eJournals

Kolloquium Straßenbau in der Praxis
expert Verlag Tübingen
2023
31
Herausgegeben von Florian Schäfer 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis Fachtagung zum Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2023 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis 7. und 8. Februar 2023 Technische Akademie Esslingen Herausgegeben von Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis Planen, Bauen, Erhalten, Betreiben unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung Tagungshandbuch 2023 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das vorliegende Werk wurde mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autoren oder Herausgeber übernehmen deshalb eine Haftung für die Fehlerfreiheit, Aktualität und Vollständigkeit des Werkes und seiner elektronischen Bestandteile. © 2023. Alle Rechte vorbehalten. expert verlag Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen E-Mail: info@verlag.expert Internet: www.expertverlag.de Printed in Germany ISBN 978-3-8169-3555-1 (Print) ISBN 978-3-8169-8555-6 (ePDF) Technische Akademie Esslingen e. V. An der Akademie 5 · D-73760 Ostfildern E-Mail: bauwesen@tae.de Internet: www.tae.de 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vorwort Eine funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur gehört zu den essentiellen Voraussetzungen eines erfolgreichen Wirtschaftsstandorts Deutschland. Auch in Zukunft wird die Straßenverkehrsinfrastruktur der bedeutendste Verkehrsweg bleiben. Neue Verfahren im Straßenbau, der Zwang zur wirtschaftlichen Bauausführung und gehobene Qualitätsanforderungen erleichtern und erschweren zugleich die Realisierung vorhandener Projekte. Hinzu kommen gesteigerte Ansprüche der Menschen an die Beteiligung in der Planungs- und Bauphase. Das moderne Umweltschutzrecht erfordert in der Anwendung die frühzeitige Berücksichtigung relevanter Belange und den umfassenden Ausgleich von Eingriffen. Auf Nachhaltigkeit wird sowohl während des Baus als auch bei der Nutzung der Infrastruktur geachtet. Zudem wird durch Building Information Modeling (BIM) die Zusammenarbeit von Bauherren bzw. Behörden, Planern und Baufirmen auf eine völlig neue Basis gestellt. Vor diesem Hintergrund findet das 3. Kolloquium „Straßenbau in der Praxis“ am 7. und 8. Februar 2023 an der Technischen Akademie Esslingen statt, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen, der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V. und der Vereinigung der Straßen- und Verkehrsingenieure Baden- Württemberg. Themenschwerpunkte • Bauweisen/ Textur • BIM: Datenmodell, Digitale Zwillinge, auf der Baustelle • Boden/ Erdbau • Digitalisierung im Asphaltstraßenbau • Erhaltungsmanagement • Industriebeiträge Asphalt • Infrastrukturbau • innovative neue Ideen • kommunale Erhaltung • Nachhaltigkeit • Pflaster • Qualitätssicherung • Radverkehr • Recycling • urbane Herausforderungen • Verkehrsmodellierung Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends im Straßenbau unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Weitere Informationen unter: www. tae.de/ 50045 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 7 Inhaltsverzeichnis 0.0 Plenarvorträge 0.1 Aktuelles aus der Straßenbau-/ Mobilitätsverwaltung 17 Andreas Hollatz 0.2 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten 19 Dr.-Ing. Bastian Wacker, Derya Guran 0.3 Straßenverkehrsinfrastruktur: digital, klimafreundlich, sicher 25 PräsProf. Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Oeser, Dr. Karl-Josef Höhnscheid 1.0 Nachhaltigkeit 1.1 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte 31 Dr. Sonja Cypra, Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb 1.2 Umweltleistung von Asphaltmischungen 37 Pamela Del Rosario, M. Sc., Gijs Krekel, M. Sc., Dr.-Ing. Nicolás Carreño, Univ. Prof. Marzia Traverso (PhD) 1.3 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau 49 Amina Wachsmann, M. Eng. 1.4 Vorstellung eines Verfahrens für die Ermittlung und Bewertung von Treibhausgasemissionen an Straßenbaustellen 59 Luigi Paolo Ceci, M. Eng. 1.5 CO 2 -Bilanzierung für Autobahnen 61 Marieke Tiede, M. Sc. 1.6 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen 63 Dr. Thomas Leopoldseder, Marcel Pilger 2.0 BIM 2.1 BIM in der Straßenbauverwaltung BW 73 Tanja Jakovljevic, MBA 2.2 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur 77 Jannis Illgner, M. Sc., Dr. Daniela Schäfer, Anna Andreev 8 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 3.0 Urbane Herausforderungen 3.1 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV 85 Dipl.-Ing. Bau (FH) - BDB - Edgar Theurer 3.2 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf 99 Dipl.-Ing. Jens Klähnhammer 3.3 Klimaresilienter Ausbau der Alleestraße in Bochum 107 Christian Reichelt, M. Sc. 4.0 Digitalisierung im Asphaltbau 4.1 Qualitätsstraßenbau Baden-Württemberg 4.0 - die Vorteile der Digitalisierung beim Asphaltbau nutzen 111 Vera Schmidt, M. Eng., Dr.-Ing. Thomas Chakar 4.2 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau 115 Dr. Marcus Müller 5.0 Kommunale Erhaltung 5.1 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen 123 Dr.-Ing. Wolf Uhlig 5.2 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise 129 Prof. Dr.-Ing. Jörg Patzak, Prof. Dr.-Ing. habil. Alexander Zeißler 5.3 Herausforderungen bei der praktischen Anwendung von Messdaten aus Klima und Verkehr in der Erhaltungsplanung am Beispiel der Stadt Münster 137 Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, Dipl.-Betriebswirt Stefan Gomolluch, Dr.-Ing. Daniel Gogolin 6.0 Verkehrsmodellierung 6.1 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau 143 Dr.-Ing. Torsten Heine-Nims 6.2 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur 149 Vincent Müller, M. Sc., Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing Andreas Köglmaier 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 9 7.0 Erhaltungsmanagement 7.1 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 159 Dipl.-Ing. Markus Kübler 7.2 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg 165 Daniel Hilpert, Dipl.-Ing. Henning Balck, Dr. rer. nat. Tatjana Epp 7.3 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau 171 Anne-Sophie Knappe, B. Sc., Thomas Tschickardt, M. Eng., Dipl.-Ing. Björn Lindner 7.4 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem 179 Marcel Gierse, M. Sc., Niklas Luka Krause, M. Sc. 8.0 BIM-Datenmodell 8.1 OKSTRA ® und IFC - Status 2023 189 Dr.-Ing. Rico Steyer, Štefan Jaud, M. Sc. 8.2 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle 203 Franziska Asel, B. Sc., Dr. rer. nat. Klaus Tilger 8.3 Digitalisierung im Straßenbau: BIM-Datenmodell in der Praxis 215 Dipl.-Ing. (FH) Andreas Dieterle 9.0 Innovative neue Ideen 9.1 Bioasphalt 219 Isa Landthaler 9.2 Grenzbetrachtungen zum Einbau von Asphaltmischgut in Steilkurven 223 Dipl.-Ing. (FH) Klaus Görgner 9.3 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ 225 Dipl.-Ing. Sven Gohl 10.0 Industriebeiträge Asphalt 10.1 Die Zukunft des Schichtenverbunds im Asphaltbau? 233 Matthias Geißler 10.2 Moderne Baustoffe im Erhaltungsmanagement - Was PMMA-Bindemittel leisten können 235 Arnd Laber 10 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 11.0 BIM - Digitale Zwillinge 11.1 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende 241 Dipl.-Ing. (FH) Eugen Hilbertz 11.2 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung 247 Dipl.-Ing. Christian Forster, Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Tim Zinke 11.3 Field 2 BIM 253 Jan Köchy, M. Sc., Dipl.-Ing. (FH) Alexander Haag 12.0 Boden/ Erdbau 12.1 Neuerungen im qualifizierten Umgang mit Böden und mineralischen Ersatzbaustoffen in Baden-Württemberg 263 Dr.-Ing. Thomas Chakar 12.2 Bodenschutz im Verkehrswegbau 265 Janis Grozinger, M. Sc. 13.0 Bauweisen/ Textur 13.1 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 269 ORR Dipl.-Ing. Stefan Höller 13.2 Leistungsoptimierte Oberflächentexturen 279 Dipl.-Ing Tim Alte-Teigeler 13.3 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen 281 Barbara Johansson, M. Sc., Dr.-Ing. Stefan Alber, Matthias Stein, M. Sc., Prof. Dr.-Ing. Wolfram Ressel 14.0 Recycling 14.1 Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt 289 Dipl.-Ing. Dr. Alfred Weninger-Vycudil, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Michael Wistuba 14.2 Vom Abfall zum Rohstoff 293 Dipl.-Ing. David Heijkoop 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 11 15.0 Qualitätssicherung 15.1 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen 307 Dipl.-Ing. Christiane Krause, Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Pfeifer, Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner, Dr.-Ing. Ute Stöckner 15.2 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau 317 Dipl.-Geogr. Maximilian Sesselmann, Dipl.-Ing. Steffen Scheller, Dipl.-Ing. Chris Herrmann, Prof. Dr.-Ing. Andreas Großmann 16.0 Infrastrukturbau 16.1 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen 331 Marius Raff, B. Eng 16.2 Instandsetzung einer Natursteinmauer 337 Dipl.-Ing., Dipl.-Ing. (FH) Michael Schätzl 16.3 Modulare Bauverfahren zur Böschungssicherung 343 Mark Biesalski 17.0 Radverkehr 17.1 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst 349 Prof. Dr.-Ing. Thorsten Cypra, Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb, Tim Wiesler, M. Sc., Niklas März, M. Eng. 17.2 Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) 355 Yannik Wohnsdorf, M. Sc. 17.3 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen 357 Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit, Katharina Thomalla, M. Sc. Geographie, Dipl.-Ing. Andreas Pott, Dipl.-Ing. Andreas Groot-Körmelink 17.4 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen 363 Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner 12 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 18.0 BIM auf der Baustelle 18.1 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung 375 Martin Grüninger, Steffen Matthes 18.2 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen 381 Dr. Veit Appelt 19.0 Pflaster 19.1 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 391 Dipl.-Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier 19.2 Das erweiterte Merkblatt für die bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einfassungen (M BEP) 405 Dipl.-Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier 19.3 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen 425 Prof. Dipl.-Ing. Berthold Best, Marcel Ayasse, Jaqueline Mailer, Carolin Moritz, Abdullah Özgül, Hannah Schumann 19.4 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich 433 Dipl.-Ing. Franziska Gober, Assistant Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Lukas Eberhardsteiner, Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Ronald Blab Anhang Programmausschuss 443 Autorenverzeichnis 445 Plenarvorträge 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 17 Aktuelles aus der Straßenbau-/ Mobilitätsverwaltung Andreas Hollatz Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Im Koalitionsvertrag „Jetzt für Morgen - Der Erneuerungsvertrag für Baden-Württemberg“ wurden ehrgeizige Ziele für das Erreichen der Klimaneutralität formuliert. Der Wandel im Verkehrssektor ist dabei für den Klimaschutz und die Erreichung der Klimaschutzziele unabdingbar. Im Bereich des Straßenbaus verfolgt das Ministeriums für Verkehr diese Ziele mit zahlreichen Maßnahmen: Mit dem Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur in Form von Radschnellwegen soll der Anteil des Radverkehrs erhöht und damit die Mobilität ökologischer werden. Mittels Photovoltaikanlagen im Bereich der Straßeninfrastruktur soll außerdem ein Beitrag zur regenerativen Energiegewinnung geleistet werden. Klimaschutz und Ressourcenschonung ergeben sich aus möglichst hochwertig gebauten und damit dauerhaften Straßen. Mithilfe von BIM können die Planungen präziser vorgenommen werden. Mordernste Baumaschinen sind dann in der Lage, auf Grundlage der Planungsdaten Einbauschwankungen mit entsprechenden Baumängeln zu minimieren. Daher setzt sich die Straßenbauverwaltung dafür ein, dass die Planungen in den nächsten Jahren mit der BIM-Methodik weitestgehend vorgenommen und der Bau der Straßen mithilfe neuester Vermessungs- und Einbautechnik umgesetzt wird. Um Zielen der Ressourcenschonung gerecht zu werden, wird beim Bau ein möglichst hochwertiger Einsatz von mineralischen Ersatzbaustoffen wie bspw. Asphaltgranulat und Betonaufbruch vorgesehen, welche in der Planung und beim Bau entsprechend zu berücksichtigen ist. Zudem spielt die Resilienz gegenüber Klimaveränderungen wie Temperaturanstiege eine immer größere Rolle beim Straßenbau, insbesondere in Süddeutschland. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg ergreift in all diesen Bereichen konkrete Maßnahmen, um ihren Beitrag in all diesen Transformationsprozessen zu leisten. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 19 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten Die Autobahn GmbH des Bundes bietet neue Möglichkeiten des Fortschritts Dr.-Ing. Bastian Wacker Die Autobahn GmbH des Bundes, Berlin Derya Guran Die Autobahn GmbH des Bundes, Berlin Zusammenfassung Nach zwei intensiven Jahren der Transformation hat die Autobahn GmbH des Bundes am 01.01.2021 ihre Tätigkeiten in den Kernbereichen Planung, Bau und Betrieb für die Bundesautobahnen aufgenommen. Mit insgesamt 10-Niederlassungen, 41-Außenstellen und 189-Autobahnmeistereien wurde ein lückenloses, bundesweite Kompetenznetz aufgebaut. Die Abteilung Innovation hat mit der Innovationsstrategie „Vorfahrt für Innovation - Innovationsmanagement in der Autobahn GmbH des Bundes“ eine strukturierte Vorgehensweise für Innovationsprojekte etabliert, um die Trends sowie Zukunftsthemen zügig in die Umsetzung zu bringen und mit allen internen wie externen Partnern zusammenarbeiten zu können. Durch die zentrale Herangehensweise und die Bündelung der vorhandenen Erfahrungen können Themen wie Building Information Modelling (BIM) und der Ausbau der Schnelladeinfrastruktur bundesweit einheitlich umgesetzt werden. 1. Einführung Die Autobahn GmbH des Bundes (kurz: Die Autobahn GmbH) übernahm zum 1. Januar 2021, nach zwei intensiven Jahren des Auf baus, die Gesamtverantwortung für Planung, Bau, Betrieb, Verkehrsmanagement, Erhalt, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung aller Bundesautobahnen in Deutschland. Damit werden die jahrzehntelangen Erfahrungen aus 16 Bundesländern gebündelt und gleichzeitig neue technologische Entwicklungen genutzt, um ein modernes und innovatives Unternehmen zu gestalten sowie die Bundesautobahnen zu noch sichereren, leistungsfähigeren und nachhaltigeren Verkehrswegen auszubauen. Der Auf bau der neuen Gesellschaft hat Mitte 2019 begonnen und konnte den Betrieb mit dem Zwischenziel der „Tag 1-Bereitschaft“ am 01.-Januar-2021 sicherstellen. Diese Betriebsbereitschaft wird aktuell noch durch Kooperationsvereinbarungen mit den Bundesländern sichergestellt, die allerdings bis zum 31.-Dezember-2023 beendet werden. Bis dahin sind alle IT-Systeme sowie Datenbestände ins Autobahn Netz überführt und werden konsolidiert. Einen wesentlichen Beitrag soll die Entwicklung, Erprobung und die zügige Implementierung neuer, aber auch bewährter Technologien und Geschäftsmodelle mit innovativem Charakter für die Autobahnen leisten. Hierzu nehmen die 10-Niederlassungen, 41-Außenstellen und 189-Autobahnmeistereien eine entscheidende Rolle ein. Die Abteilung Innovation hat mit der Innovationsstrategie „Vorfahrt für Innovation - Innovationsmanagement in der Autobahn GmbH des Bundes“-[1] eine strukturierte und transparente Vorgehensweise für Innovationsprojekte etabliert, um gemeinsam die Trends sowie Zukunftsthemen in die Umsetzung zu bringen. Dabei werden die Ziele Verfügbarkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit des Autobahnnetzes verfolgt. Fortschrittliche Entwicklungen zur Verkehrs- und Energiewende, der Digitalisierung sowie der Klimaschutzmaßnahmen sind dabei wesentliche Treiber. Um den Gründungsgedanken der Autobahn GmbH - schneller und effizienter Planen, Bauen, Betreiben und Erhalten - mit Leben zu füllen, werden innovative Ansätze im Straßenwesen, dem konstruktiven Ingenieurbau, der intelligenten Verkehrssteuerung und dem effizienten Betrieb unterstützt. Durch diese Maßnahmen wird eine Infrastruktur der Zukunft gestalten, die eine Nutzung neuer Mobilitätsformen und erneuerbarer Energien ermöglicht und höhere Sicherheit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Nutzerinnen und Nutzer bietet. Mit der Gründung der Autobahn GmbH eröffnen sich auch neuen Chancen, um die vorhandenen und entstehenden Herausforderungen aufzugreifen und in Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Politik anzugehen. Hierzu will die Autobahn GmbH ein Umfeld „pro Innovation“ schaffen und fördern. Durch Aktivitäten, wie z.-B. den Rundentisch Baumanagement, werden aktuelle Entwicklungen von allen Beteiligten aufgegriffen und gemeinsam weiterentwickelt, zudem können durch die frühzeitige Einbeziehung Hürden und Vorbehalte abgebaut werden. Durch die zentrale Herangehensweise und die Bündelung der vorhandenen Erfahrungen können Themen wie Building Information Modelling (BIM) und der Ausbau der Schnelladeinfrastruktur bundesweit einheitlich umgesetzt werden. Des Weiteren werden Pro- 20 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten jekte umgesetzt, die unmittelbar Einfluss auf Prozesse nehmen, um z.-B. gesetzte Anforderungen mit neuen Entwicklungen erreichen zu können. Hier sind unter anderem Projekte im Bereich des Lärmschutzes zu nennen. Andererseits können Entwicklungen den Arbeitsalltag für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den Autobahnen revolutionieren. Hier können Technologien wie z.-B. die Drohnentechnologie weitere Einsatzfelder eröffnen und einen attraktiven wie sicheren Arbeitsplatz gestalten. 2. Innovationsstrategie der Autobahn GmbH Als Basis für die Innovationsstrategie dienen drei übergeordnete Trendfelder, in den die Autobahn GmbH neue Technologien nutzt, um eine Weiterentwicklung zu erreichen. Zu diesen Trendfeldern gehören die Digitalisierung, die Nachfrage nach mehr individueller Mobilität und die Nachhaltigkeit. Mit der Anwendung von Zukunftstechnologien sollen Verbesserungen in den Kernaufgaben aber auch dem Klimaschutz sowie im Verkehrs- und Energiesektor erreicht werden. Hierzu werden wissenschaftliche Erkenntnisse genutzt, um den aktuellen Stand der Technik weiterentwickeln zu können. Eine leistungsfähige und sichere Infrastruktur kommt den Nutzerinnen und Nutzern aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugute, daher werden alle Maßnahmen hieran ausgerichtet. Im Rahmen der Bewertungsschritte werden einheitliche und transparente Kriterien angewendet, die durch weitere regionale Erfahrungen angereichert werden können. Im Fokus stehen anwendungsreife Innovationen, die den Sprung in das reale Verkehrssystem erreichen können. Hierzu wird ein aktives Netzwerkmanagement betrieben, um Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten zu begleiten und ggf. zu unterstützen aber auch eigene Projekte zu initiieren, um Erfahrungen im realen Umfeld auf bauen zu können. Das Zusammenspiel dieser Faktoren bringt für alle Beteiligten die optimalen Rahmenbedingungen. Die Auswahl aber auch die zielgerichtete Umsetzung von Ideen können durch entsprechende Schnittstellen und Netzwerke im Rahmen eines partnerschaftlichen Zusammenarbeitens erreicht werden. Dies kann autobahnintern aber auch mit externen Partnern erfolgen, um die langfristigen Ziele gemeinsam erreichen zu können. Diese Ziele befassen sich mit der bestmöglichen Mobilität und Leistungsfähigkeit des Verkehrsnetzes (Verfügbarkeit), der effizienten Verkehrssteuerung in potenziellen Gefahrensituationen (Sicherheit) und den Auswirkungen auf Umwelt, Klima und Soziales (Nachhaltigkeit). Zur Erreichung dieser Ziele wurden acht Innovationsschwerpunkte für die Kerntätigkeiten (Planung, Bau, Betrieb und Verkehr) definiert (Abb. 1). Abb. 1: Innovationsschwerpunkte der Autobahn GmbH Mit dem Innovationsschwerpunkt „Bauweisen“ sollen langlebige und wartungsarme Bauweisen in den Fokus genommen werden, dabei stehen neue Fertigungsmethoden und Bauverfahren sowie alternative Roh- und Baustoffe besonders in der Betrachtung. Der Innovationsschwerpunkt „Smart Data“ beschäftigt sich insbesondere mit der Etablierung von Geodateninfrastrukturen und der Verarbeitung von dynamischen und statischen BigData-Ansätzen, zudem wird auch die BIM@Autobahn Strategie diesem Schwerpunkt zu geordnet. Im Innovationsschwerpunkt „intelligenter Verkehr“ werden die Möglichkeiten zur optimalen und sicheren Nutzung der vorhandenen Infrastruktur verortet, hierzu zählt die Vernetzung von Fahrzeugen mit der Infrastruktur aber auch ein intelligentes Baustellenmanagement. Mit dem Innovationsschwerpunkt „Konnektivität“ wird die Autobahn durch die digitale Vernetzung mit allen Beteiligten zur Kommunikationsplattform, dies beinhaltet das vollautomatisierte Fahren, den Auf bau neuer Serviceangebote verschiedener Verkehrsträger aber auch die direkte Bereitstellung von Informationen an die Nutzerinnen und Nutzer. Familien- und nutzerfreundliche Rast- und Parkplätze sowie moderne, energieeffiziente und klimaneutrale Technik in den Autobahnmeistereien der Zukunft werden im Innovationsschwerpunkt „Service“ aufgenommen. Die Themen der alternativen Antriebe inkl. der erforderlichen Ladeinfrastruktur und die Energiegewinnung aus erneuerbaren Quellen aber auch Themen rund um die Lärmreduzierung und der Verknüpfung von Lebensräumen werden im Innovationsschwerpunkt „Energie und Umwelt“ verortet. Innerhalb des Innovationsschwerpunkt „Sicherheit“ werden technologische Entwicklungen zur Erhöhung der Sicherheit für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie für die Nutzerinnen und Nutzer beleuchtet, dabei spielen angepasste Parksysteme, zukunftsweisende Straßenausstattungen aber auch modernen Absicherungsfahrzeugen eine wesentliche Rolle. Für innovationsfreundliche Rahmenbedingungen ist der Innovationsschwerpunkt „Vergabe“ ein wesentlicher Baustein, um Qualitätsverbesserungen, Baubeschleunigungen und Umweltschutzmaßnahmen schneller in die Praxis zu integrieren. Der Innovationsprozess der Autobahn GmbH ist in drei Phasen aufgebaut und ermöglicht einen praxisnahen, transparenten und zielorientierten Entscheidungs- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 21 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten weg. Dabei werden in der ersten Phase durch ein aktives Netzwerkmanagement vorhandene Ideen und Bedarfe gemeinsam entwickelt, eingesammelt und ggf. vorsortiert. In der zweiten Phase erfolgen verschiedene Prüfschritte, die sich auf formale und fachliche Kriterien stützen. Hier wird eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Fachexperten in den Niederlassungen sowie zu externen Partnern gesucht. Die Umsetzung von Projekten durch die Niederlassungen erfolgt in der dritten Phase und wird regelmäßig einem Monitoring unterzogen. 3. Aktuelle Projekte in der Umsetzung In den folgenden Unterkapiteln wird eine Auswahl an Projekte aufgeführt, die sich derzeit in der Umsetzung befinden. Weitere Projekte beschäftigen sich beispielsweise mit dem Thema des Brückenmonitorings aber auch der Verschneidung von Informationen zur Bewertung von Streckenabschnitten, zudem werden Projekte im Bereich des Verkehrsmanagements umgesetzt. Andere Projekte sind im Planungsstadium und werden im Jahr 2023 weiter vorangetrieben. 3.1 Lärmschutzmaßnahmen Durch neue gesetzliche Rahmenbedingungen wird es immer schwieriger die hohen Anforderungen zum Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner mit konventionellen Maßnahmen (z.-B. Lärmschutzwände und -wälle, offenporige Deckschichten) wirtschaftlich aber vor allem technisch erfüllen zu können. Aus diesem Grund ist es wichtig neue Entwicklungen im realen Einsatzbereich zu erproben und Erkenntnisse für die zukünftigen Anwendungsfälle zu gewinnen. Neben gezielte Oberflächenbehandlungen der Deckschicht können spezielle Elemente (z.-B. Diffraktoren) im Verkehrsraum die vorhandenen Maßnahmen unterstützen. Abb. 2: Diffraktorsystem auf einer Lärmschutzwand montiert Diffraktorsysteme sollen den Schall (Verkehrslärm) nach oben ablenken und durch die damit einhergehende Streuung zu einer Reduzierung des Verkehrslärms für die Anwohnerinnen und Anwohner führen. Die Elemente bestehen aus verschiedenen tiefen Kammern und können so verschiedene Frequenzanteile des Verkehrslärms möglichst vollständig ablenken (Abb. 2). Das Wirkprinzip ist dabei keine neue Erfindung, sondern vielmehr ist es gelungen das Wirkprinzip in ein standardisiertes Produkt zu überführen. Die Autobahn GmbH führt hierzu in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Maßnahmen an verschiedenen Standorten im Bundesgebiet durch. Dabei werden unterschiedlichste Anwendungsfälle beleuchtet, um die Möglichkeiten und Grenzen der Systeme ausloten zu können. Ziel ist es, dass anhand der Erfahrungen weitere Empfehlungen für die Anwendung aber auch der Aufnahme in Regelwerke erfolgen können. Hierzu werden Messkonzepte angewendet, die es ermöglichen einen direkten Vergleich zwischen den Referenzabschnitten und den Abschnitten mit den neuen Maßnahmen durchzuführen. 3.2 BIM@Autobahn Die Autobahn GmbH hat durch den Neuauf bau der Gesellschaft die Möglichkeit, die kollaborative Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) nach dem BIM-Masterplan [2] anhand vorhandener Erfahrungen aus den Bundesländern, weiterer nationaler und internationaler Infrastrukturbetreiber und den aktuellen technischen Entwicklungen auf Basis der Open-BIM-Philosophie und Cloud-First-Strategie aufzusetzen. Hierbei werden die drei Phasen des BIM-Masterplans durchlaufen und Vorbereitungen für den Regelprozess ab 2025 mit einem optimierten Informationsfluss gelegt. Wesentlich bei der Arbeitsmethode ist es, dass die Datenverluste während der Übergabe von (Zwischen-)Ergebnissen bzw. während der Nutzungszeit verhindert wird und sich der Informationsstand während der gesamten Nutzungsdauer stetig auf baut. Zu Erreichung dieser Ziele setzt die Autobahn GmbH auf den engen Austausch mit allen relevanten Stakeholdern und hat die Leitung der Pflegestelle Bundesfernstraßen im BIM-Portal übernommen. Bei der BIM@Autobahn- Strategie wird die zentrale Datenmanagement Plattform (Enterprise Information Management System-=-EIM) der Autobahn genutzt, um allen beteiligten Partnern denselben und aktuellen Planungsstand der einzelnen Modelle zur Verfügung stellen zu können. Hierzu ist es erforderlich eine solide fachliche Basis innerhalb der Gesellschaft aufzubauen und die vorhandenen Erfahrungen nutzbar zu machen. Dies geschieht durch aktuell fünf Arbeitsgruppen, in denen Ansprechpartner aus den einzelnen Niederlassungen und des zentralen BIM-Managements die Themen „Methoden- Daten- und Kommunikationsmanagement“, „Informationsmanagement“, „Anwendungsfälle, Umsetzung und Pilotierung“, „Organisatorisches und Rahmenbedingungen“ sowie „Personalentwicklung und BIM-Schulungen“ bearbeiten und die erforderlichen Grundlagen für die Autobahn GmbH erstellen. Im Regelprozess sollen lokale Ansprechpersonen in den Niederlassungen zur Verfügung stehen, um als direkte Unterstützung in den Projekten die aktuellen, unternehmensweiten Entwick- 22 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten lungen einzubringen und die Projekte begleiten zu können. Damit dies zusammen mit den externen Partnern funktionieren kann, sind bestimmte Regeln und Pflichten zu vereinbaren. Hierzu wurde eine Auftraggeber-Informationsanforderung (AIA) in der ersten Version erstellt und in ersten Projekten eingebracht. Durch diese klaren Rollenverteilungen werden die Ressourcen auf allen Seiten optimal genutzt und die Vielzahl der Projekte lassen sich effizient steuern (Abb. 3). Abb. 3: Auftraggeber Informationsanforderung für ein einheitliches Rollenverständnis in BIM Projekten Ein wesentlicher Punkt für eine ganzheitliche Umsetzung eines objektorientierten Informationsmanagements ist die standardisierte Bearbeitung von Projekten mit einer einheitlichen Attributierung durch einen klaren und schlüssigen Objektkatalog. Diese Vorgehensweise vereinfacht die Zusammenführung und vor allem die automatisierte Kontrolle der einzelnen Teilmodelle im Gesamtmodell. Der Objektkatalog wird für alle Phasen der Nutzung --Planung, Bau, Betrieb-- benötigt, damit während der Nutzungszeit keine Verluste an Informationen auftreten und dieselbe Sprache gesprochen wird. Grundlage ist eine standardisierte Klassifizierung nach Objektgruppe, Objektklasse und ggf. Objekttyp. Weitere Merkmalwerte (z.-B. Materialien, Produktionszeiten) können den jeweiligen Objekten projektspezifisch hinzugefügt werden. Durch den Objektkatalog können verschiedene Partner in den Teilmodellen die eigenen Planungen für das Gesamtmodell erarbeiten. Nur durch diese systematische Arbeitsweise lassen sich die Schnittstellen zwischen den Disziplinen Straßenbau, Landschaft und Umwelt, Geotechnik, Ingenieurbau sowie Tunnelbau optimal nutzen, zusammenführen und die höchste Datenqualität erreichen. 3.3 Drohnentechnologie Die Betrachtung und das Monitoring großer Flächen oder großer Infrastrukturelemente lässt sich häufig besser und flexibler durch die Betrachtung aus der Vogelperspektive ermöglichen. Hierzu bietet die Drohnentechnologie in Kombination mit der Digitalisierung verschiedene Einsatzmöglichkeiten. Innerhalb der Autobahn-GmbH werden verschiedene Einsatzmöglichkeiten gesehen: Neben der Öffentlichkeitsarbeit können Informationen zu Bauwerken, Vegetationsflächen, Verkehrs- oder Baustellensituationen aus der Luft schnell und unkompliziert gewonnen werden. Abb. 4: Brückenlager Kontrolle durch den Betriebsdienst Ein aktuelles Projekt beschäftigen sich mit der Unterstützung des Betriebsdienst während der täglichen Arbeit. Im Laufe des ersten Projektes werden Einsatzmöglichkeiten in fünf Autobahnmeistereien der Niederlassung West gewonnen. Insbesondere sind dort Einsatzzwecke im Bereich der Sichtprüfung von Brückenlagern (Abb. 4) oder unzugänglichen Bereichen zu nennen. Dies beinhaltet die Bereitstellung von kurzfristigen und kostengünstigen Informationen für Brückenprüfer (ohne Spezialequipment (Brückenuntersichtsgerät)), damit weitere Maßnahmen genauer und umfassender geplant werden 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 23 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten konnten. Aber auch bei der Kontrolle von Waldgebieten konnten entscheidende Informationen zur Angebotseinholung bzgl. der Grünpflege gewonnen werden, weil eine reine Betrachtung von unten (Waldboden) deutlich weniger Auffälligkeiten gezeigt hatte. Weitere Einsatzbereiche bewegen sich in der Kontrolle von unbewirtschafteten Rastanlagen oder den autobahneigenen Grundstücken und Gebäuden. Abb. 5 Baufortschrittdokumentation mittels Luftbildaufnahmen Je nach Ausstattung der Drohnen können weitere Ergebnisse gewonnen werden. Hier das Projekt „Monitoring von Vegetationsflächen mittels UAV (Drohne)“ zu nennen, bei dem unter anderem Ausgleichsflächen mit einer Spektralkamera beflogen werden und im Anschluss der Zustand des Bewuchses analysiert werden kann. Dabei lässt sich eine Dokumentation durchführen aber auch Stellen ermitteln an denen möglicherweise Maßnahmen ergriffen werden müssen, um das geplante Ergebnis der Ausgleichsfläche erreichen zu können (Beitrag im Rahmen des 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis). Zudem werden weiterhin Einsatzbereiche für Vermessungszwecke, Baufortschrittdokumentation (Abb. 5) und bei der der Brückenprüfung beobachtet und analysiert. 3.4 Schnelladeinfrastruktur Durch das „Gesetz über die Bereitstellung flächendeckender Schnellladeinfrastruktur für reine Batterieelektrofahrzeuge (Schnellladegesetz - SchnellLG)“ [3] und durch den Koalitionsvertrages „Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ [4] der akt. Bundesregierung wurde der Aus- und Aufbau der Schnellladeinfrastruktur entlang der Bundesautobahnen in den Fokus gerückt. Die Autobahn GmbH hat vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) den Auftrag erhalten die Schnelladeinfrastruktur für Pkw auf den bewirtschafteten und unbewirtschafteten Rastanlagen auszubauen. Dieser Ausbau findet im Einklang mit dem Ausbau der Schnelladeinfrastruktur im nachgeordneten Netz statt. Ziel ist es, dass alle 10-Fahrminuten eine Schnellladeinfrastruktur zur Verfügung steht und so die Nutzung von elektrisch betriebenen Fahrzeugen auch für die Langstrecke attraktiv wird. Die Autobahn GmbH setzt den Plan in zwei parallellaufenden Projekten um. Zum einen werden 200 unbewirtschaftete Rastanlagen mit 4, 6 oder 8 Schnellladepunkten ausgestattet. Hierzu findet eine Ausschreibung von insgesamt sechs Losen statt, damit die Auftragnehmer der Autobahn GmbH den Auf bau sowie den Betrieb für die kommenden Jahre sicherstellen. Parallel wird den Konzessionären der bewirtschafteten Rastanlagen ein Angebot unterbreitet die Anforderungen der Nationalen Leitstelle zu den ermittelten Ladepunkte aufzubauen und zu betreiben. Neben den statischen Lademöglichkeiten verfolgt die Autobahn GmbH auch Aktivitäten im Bereich des dynamischen Ladens. Hierzu werden in Deutschland zwei Teststrecken mit Oberleitungssystemen zum Laden von Schwerverkehrsfahrzeugen betrieben (E-Highway: BAB A1 zwischen Reinfeld und dem Autobahnkreuz Lübeck und BAB A5 zwischen Frankfurt und Darmstadt) aber auch Forschungsaktivitäten bei der BASt zum Thema induktiven Laden verfolgt. Als assoziierter Partner unterstützt die Autobahn GmbH ein Projekt zum prozesssicheren Einbau von Induktionsspulen während des Einbaus des gebundenen Oberbaus. 4. Fazit Mit der Innovationsstrategie hat die Autobahn GmbH des Bundes direkt zu Beginn des Betriebsstart ein strukturiertes und transparentes System aufgebaut, um die Zukunft der Bundesautobahnen aktiv zu begleiten. Für alle Kernbereiche (Planen, Bauen, Betrieb und Verkehr) können Ideen in acht Innovationsschwerpunkten eingebracht werden. Innerhalb der ersten zwei Betriebsjahre wurden verschiedene, anwendungsreife Innovationen zur Bewertung im realen Einsatzbereich angestoßen und durchgeführt. Hierzu zählen Themen rund um den Lärmschutz aber auch Themen für die Erleichterung der täglichen Arbeit im Betriebsdienst oder dem Vegetationsmonitorings mittels Drohnentechnologie. Zudem werden die BIM@Autobahn-Strategie und der Ausbau der Schnelladeinfrastruktur für die gesamte Autobahn-GmbH ge- 24 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Zukunft der Bundesautobahnen gestalten steuert und zusammen mit den Niederlassungen für die Umsetzung vorbereitet. Gemeinsam mit internen wie externen Partnern können Ideen und Anwendungen aus der Forschungs- und Entwicklungsphase in das reale Einsatzgebiet überführt werden und weitere Erkenntnisse liefern. Die Weiterentwicklung der Infrastruktur kann und soll zusammen angegangen und umgesetzt werden. Literatur [1] Die Autobahn GmbH des Bundes, „Vorfahrt für Innovationen - Innovationsmanagement in der Autobahn GmbH des Bundes,“ Berlin, 2021. [2] A. Meister, F. Scholz und S. Banemann, „Masterplan BIM Bundesfernstraßen,“ BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin, 2021. [3] „Gesetz über die Bereitstellung flächendeckender Schnellladeinfrastruktur für reine Batterieelektrofahrzeuge (Schnellladegesetz - SchnellLG),“ 2021. [Online]. Available: https: / / www.gesetze-im-internet.de/ schnelllg/ SchnellLG.pdf. [Zugriff am 13 12 2022]. [4] SPD,Bündnis90/ DieGrünen,FDP,„MehrFortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit,“ 2021. [Online]. Available: https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ service/ gesetzesvorhaben/ koalitionsvertrag-2021-1990800. [Zugriff am 13 12 2022]. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 25 Straßenverkehrsinfrastruktur: digital, klimafreundlich, sicher PräsProf. Univ.-Prof. Dr.-Ing. habil. Markus Oeser Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Dr. Karl-Josef Höhnscheid Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach Zusammenfassung Alle entwickelten und stark industrialisierten Länder verfügen über ein gut ausgebautes Straßennetz. Der Straßenverkehr ist das Rückgrat des gesamten Verkehrs. Gleichwohl hat die starke Fokussierung auf den Straßenverkehr und der Ausbau der Straßeninfrastrukturen in vielen Ländern der Erde zu Konsequenzen und Konflikten geführt, die nicht länger ignoriert werden dürfen. Die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Straßenwesens einerseits und die ebenso notwendige Reduktion der mit dem Straßenverkehr verbundenen negativen Konsequenzen andererseits verlangen einen umfassenden, multidisziplinären Ansatz, der ingenieurwissenschaftliche, verhaltenswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Aspekte vereint. Diese können schwerpunktartig unterschiedlichen Themenbereichen zugeordnet werden, von denen die Themen nachhaltiger Energieeinsatz, nachhaltiges Bauen, prädiktives Infrastrukturmanagement, proaktive Verkehrssicherheit und umweltfreundliches Verkehrswesen hier kurz vorgestellt werden. 1. Einführung Der Straßenverkehr und die Straßeninfrastruktur geraten zunehmend unter Druck. Einerseits führen die starken Beanspruchungen der Brücken und Straßen zu einer erhöhten strukturellen Ermüdung und zum verfrühten Erreichen der Designlebensdauer. Andererseits ist die Straßeninfrastruktur vom Klimawandel besonders betroffen, da heiße Sommer, starker Regen, Stürme oder Hochwasser direkt auf diese Strukturen einwirken. Neben den verkehrlichen und klimatischen Einwirkungen hat der Straßenbau und -verkehr auch mit erheblichem gesellschaftlichem Druck zu kämpfen. Einerseits gehen die Genehmigung und der Baufortschritt von Infrastrukturmaßnahmen vielen Menschen in unserem Land nicht schnell genug, sie beklagen mangelnde Verfügbarkeit und lange Staus. Andererseits wird von manchen Menschen dem motorisierten Individualverkehr und der zugehörigen Infrastruktur in weiten Bereichen die Nachhaltigkeit und damit Zukunftsfähigkeit abgesprochen. Zwischen diesen beiden gesellschaftlichen Lagern entwickelt sich ein „Freund-Feind-Denken“, das von zunehmender Aggressivität geprägt ist, häufig auf Vorurteilen beruht und in wertend-moralischen Urteilen gegenüber dem jeweils anders Denkenden endet. Das sind keine guten Voraussetzungen. Deshalb ist es Zeit für eine sachliche Debatte. Dazu zwei Perspektiven auf die Straße und den Straßenverkehr: Warum ist es eigentlich so, dass ausnahmslos alle entwickelten und stark industrialisierten Länder unserer Welt über ein gut ausgebautes Straßennetz verfügen? Haben die Entscheidungsträger all dieser Länder etwa die gleiche und vermeintlich falsche Entscheidung getroffen, indem sie vor allem auf straßengebundene Mobilität für den Personen- und Güterverkehr fokussierten? Um diese Entscheidung besser zu verstehen, lohnt es sich die Charakteristiken der Straße und des Straßenverkehrs einmal näher zu betrachten. Die Straße ist die Infrastruktur für alle! Während die anderen Verkehrsinfrastrukturen nur mit sehr speziellen Verkehrsmitteln benutzt werden können, stehen die Straßen, Plätze und Wege einer riesigen Bandbreite an Verkehrsmitteln und Verkehrsarten zur Verfügung, ganz gleich, ob sie zu Fuß, mit dem Rad, dem Auto, dem Bus, dem Krankenwagen, dem Baufahrzeug oder dem Lieferwagen unterwegs sind. Jede Haustür, jede Schule, jedes Krankenhaus, jedes Geschäft und jede Firma sind an eine Straße angeschlossen. Das Straßennetz bildet die Matrix, in die die anderen Verkehrsinfrastrukturen eingebunden sind. Es existiert praktisch keine Wegekette ohne Straße. So gesehen sind Verkehrsinfrastrukturen - wie die Bahn, die Wasserwege und die Flughäfen - Inseln, die oft nur über das Straßennetz mit den Start- und Zielorten des Personen- und Güterverkehrs verbunden sind. Die aktiven Mobilitätsformen, die sich glücklicherweise wachsender Beliebtheit erfreuen, finden nahezu ausnahmslos auf dem Straßen- und Wegenetz statt. Straßen sind leicht nutzbar, auf ihnen lassen sich Güter- und Personentransporte meist ohne Umladen bzw. Umsteigen direkt vom Startzum Zielort realisieren. Das Straßennetz hat eine hohe inhärente Resilienz. Lokale Störungen können in fast allen Fällen einfach umfahren werden. Straßen sind robust und deshalb oft die einzigen Verbindungen, die noch verfügbar sind oder zügig reaktiviert werden können, wenn extreme Wetterereignisse aufziehen. Kurz gesagt, es gibt viele gute Gründe für ein gut ausgebautes und intaktes Straßennetz. Die starke Fokussierung auf den Straßenverkehr und der Ausbau der Straßeninfrastrukturen haben in vielen Ländern der Erde jedoch zu Konsequenzen geführt, die nicht länger ignoriert werden dürfen. Ein Blick in das Tabellenwerk „Verkehr in Zahlen“ [1] zeigt für Deutschland, dass im letzten Vor-Corona-Jahr (2019) 81,7 % der für den Verkehr verwendeten Energie auf den Straßenver- 26 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Straßenverkehrsinfrastruktur: digital, klimafreundlich, sicher kehr entfiel. Auf dem Straßennetz wurden im Jahr 2019 zwar 85,1 % der Personenverkehrsleistung und 71,4 % der Güterverkehrsleistung realisiert, jedoch bleibt der motorisierte Straßenverkehr im Hinblick auf die energetische Effizienz weit hinter dem Schienenverkehr zurück. Zudem wird die für den Straßenverkehr benötigte Energie (618 TWh in 2019) noch vorrangig aus fossilen Kraftstoffen bereitgestellt und belastet damit unser Klima. Durch eine optimale Verknüpfung von Straße und Schiene können die Stärken des jeweiligen Systems aktiviert werden. Erforderlich dafür ist die Schaffung von intermodalen Schnittstellen mit einem zielgerichteten Ausbau des Schienen- und Straßensystems und beispielsweise eine konsequente Verlagerung des Güterverkehrs über lange Strecken von der Straße auf die Schiene. Zwar lassen sich Straßen - durch die geringeren Anforderungen an Steigung und Kurvenradien - recht gut an die jeweilige Geländelinie anpassen, dennoch ist der Bau von Straßen flächen-, energie- und ressourcenintensiv. Asphalt und Beton bestehen zum überwiegenden Teil aus mineralischen Rohstoffen. Für den Asphaltstraßenbau und die Erhaltung von Straßen mit Asphaltdecke wurden im letzten Vor-Corona-Jahr (2019) im Bundesfernstraßennetz ca. 2,65 Mio. m³ Asphalt und 1,56 Mio. m³ ungebundene Materialien eingesetzt [2]. Hierfür waren ca. 7,6 Mio. Tonnen mineralische Rohstoffe erforderlich. Hinzu kommen die Rohstoffe für die Straßen mit Betondecke, die Ingenieurbauwerke - wie Brücken und Tunnel - und die Straßen des nachgeordneten Netzes. Um den Bedarf an neuen Rohstoffen zu reduzieren, muss noch stärker als bisher auf den Einsatz von rezyklierten Baustoffen gesetzt werden. Der Asphaltstraßenbau ist hierfür ein sehr gutes Beispiel, denn hier steigt die Recyclingquote seit nunmehr 30 Jahren und liegt derzeit bei 84 % [2]. Das System Straße ist derzeit noch nicht gut für die Aufnahme von aktiven Mobilitätsformen vorbereitet. Ein Blick auf die Unfallzahlen des Jahres 2022 im Vergleich zum bereits mehrfach erwähnten letzten Vor-Corona-Jahr (2019) zeigt zwar einen Rückgang der Anzahl der Getöteten [3], beim Radverkehr verzeichnen ist aber leider ein Zuwachs zu verzeichnen. Das liegt unter anderem daran, dass das Zusammenspiel der konventionellen und aktiven Verkehre noch nicht gut genug funktioniert und dass das Straßennetz besonders in urbanen Bereichen nicht genug Fläche für die aktiven Mobilitätsformen bereitstellt. Die oben erwähnten Punkte sind nur ein Ausschnitt einer Vielzahl von Herausforderungen mit welchen der Straßenbau und der Straßenverkehr aktuell konfrontiert sind. Im Wesentlichen geht es dabei um die Erhöhung der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit des Verkehrsträgers Straße. 2. Mögliche Lösungsansätze Die Lösung des oben dargelegten Konflikts zwischen der Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrs und der Straßenverkehrsinfrastruktur einerseits und der ebenso notwendigen Reduktion der mit dem Straßenverkehr verbundenen negativen Konsequenzen andererseits, verlangt einen umfassenden, multidisziplinären Ansatz, der ingenieur-, verhaltens- und naturwissenschaftliche Aspekte vereint. Diese können schwerpunktartig fünf Themenbereichen zugeordnet werden: 2.1 Nachhaltiger Energieeinsatz Eine leistungsfähige Straßeninfrastruktur stellt primär einen verlässlichen Transport von Personen und Gütern sicher. In diesem Zusammenhang hat die Straßenverkehrsinfrastruktur ihren Beitrag zur Ermöglichung eines energieeffizienten und -suffizienten Personen- und Güterverkehrs zu leisten. Die energetische Funktionalisierung der Infrastruktur kann hier einen entscheidenden Beitrag erbringen. Der nachhaltige Betrieb der Infrastruktur beinhaltet weiterhin die Hebung der Potenziale zur Erzeugung von erneuerbarer Energie entlang der Infrastruktur insbesondere im Zusammenhang mit der effizienten, lokalen Nutzung der erzeugten Energie. Dies umfasst auch eine weitgehend klimaneutrale Gestaltung des Betriebsdienstes. Die weitreichenden Transformationsprozesse benötigen eine entsprechende neutrale wissenschaftliche Begleitung, auf deren Basis letztendlich eine zielgerichtete Operationalisierung ermöglicht wird. Voraussetzung hierfür ist eine frühzeitige Einordnung von Zielkonflikten und die darauf auf bauende Anpassung technischer Regelwerke sowie die Bewertung unterschiedlicher Innovationspfade und Hochlaufszenarien verschiedener Technologien. 2.2 Nachhaltiges Bauen Das Herstellen und Betreiben der gebauten Umwelt gehört zu den weltweit größten Energie- und Rohstoffkonsumenten und ist somit in besonderer Weise auf diese Ressourcen angewiesen. Im Unterschied zu anderen Branchen konnte weder der ökologische Fußabdruck noch der Ressourcenverbrauch in den vergangenen Jahren reduziert werden, weshalb hier dringender Handlungsbedarf besteht. Zukünftig gilt es, die Bewertung von Projekten der Straßeninfrastruktur nicht mehr allein auf wirtschaftliche Kennwerte zu stützen, sondern Nachhaltigkeitsbewertungen für alle Phasen des Lebenszyklus zu entwickeln. Auf diese Weise sollen u.a. Minderungen der THG-Emissionen (z. B. durch die Verwendung umweltfreundlicherer Energieträger bei der Herstellung von Asphalt) oder reduzierte Ressourcenverbräuche (z. B. durch verringerte Auf baudicken aufgrund hoher Material- oder Einbauqualität) in die Gesamtbewertung von Bau- und Erhaltungsmaßnahmen eingehen. Gleichzeitig sind bautechnische Entwicklungen, die einen Beitrag zur Steigerung der Nachhaltigkeit liefern können, zu unterstützen. Diese bautechnischen und bewertenden Verfahren dienen Planern, der Verwaltung und der Baupraxis zur Auswahl und Anwendung nachhaltiger Lösungen für die Straßeninfrastruktur. Flankiert wird dieser Prozess von wirkungs- und anwendungsorientierter Forschung zu Nachhaltigkeitsaspekten unter Berücksichtigung von Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz und Schonung von 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 27 Straßenverkehrsinfrastruktur: digital, klimafreundlich, sicher Ressourcen sowie zur Steigerung der Resilienz der Straßeninfrastruktur gegenüber dem Klimawandel. Einen maßgebenden Beitrag zur Erreichung dieser Ziele kann die Digitalisierung leisten. Mit neuen digitalen Arbeitsmethoden, wie dem Building Information Modelling (BIM) [4], können Planungs-, Genehmigungs- und (Bau-)Prozessabläufe optimiert werden. Mit Hilfe Digitaler Zwillinge werden Bauwerke ganzheitlich erfasst und der gesamte Lebenszyklus bis hin zum Rückbau und zur Wiederverwendung der Baustoffe betrachtet. 2.3 Prädiktives Infrastrukturmanagement Die bauliche Infrastruktur (Fahrbahn, Bauwerke) im Bundesfernstraßennetz weist Defizite infolge der gestiegenen Verkehrsbelastung, des hohen Alters der Bauwerke, eines Rückstaus der Erhaltungsmaßnahmen sowie konstruktiver Mängel auf. Diese führen teilweise schon heute zu Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit und damit Verfügbarkeit der Straßen. Um den Herausforderungen effizient zu begegnen, ist ein agiles Infrastrukturmanagement erforderlich, in dessen Rahmen Veränderungen frühzeitig wahrgenommen werden und so adäquat im Sinne eines prädiktiven Lebenszyklusmanagements agiert werden kann. Eine moderne Bauwerksdiagnostik bzw. Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) in Verbindung mit digitalen Arbeitsmethoden - wie beispielsweise VR-AR-Ansätze in der Bauwerksprüfung - [5], Prognoseinstrumenten und innovativen bautechnischen Lösungen ermöglicht in diesem Zusammenhang eine systematische Planung von optimierten Maßnahmen im Lebenszyklus der Bauwerke auf Objekt- und Netzebene. Veränderungen im Lebenszyklus der Straßeninfrastrukturen können hierbei aktiv in Entscheidungsfindungen einbezogen werden. Mit den innovativen Methoden eines agilen Infrastrukturmanagements kann eine Reduzierung ungeplanter Sperrungen und folglich eine Verbesserung der Verfügbarkeit der Straßeninfrastruktur erreicht werden. Modernisierungsund/ oder Ersatzmaßnahmen werden planbarer. Negative Auswirkungen können, beispielsweise durch eine Reduktion der gesamtwirtschaftlichen Kosten, vermindert werden. Mit prädiktiven Ansätzen und optimierten (bau-) technischen Lösungen kann auch die Resilienz der Straßeninfrastruktur verbessert und ein wichtiger Beitrag zur nachhaltigen Straßeninfrastruktur geleistet werden. 2.4 Proaktive Verkehrssicherheit Eine sichere Verkehrsteilnahme aller stellt das zentrale Ziel der Verkehrspolitik dar. Die bislang erzielten Erfolge der Verkehrssicherheitsarbeit gilt es auch unter veränderten Rahmenbedingungen zu bewahren und neue Potentiale zu erschließen, die sich aus den technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz für Maßnahmen ergeben. Die Prävention und damit ein proaktives Sicherheitsmanagement spielt in der Verkehrssicherheitsarbeit bei Aufklärung, Ausbildung und Überwachung seit jeher eine große Rolle. Besonderes Augenmerk ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels auf die Zunahme des Anteils älterer Verkehrsteilnehmender und auf die Beförderung aktiver Mobilitätsformen zu richten. Vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen ist es erforderlich, auf die jeweils adressierten Personen und Verkehrsarten zugeschnittene Lösungen zu entwickeln. Sowohl proaktive als auch reaktive Verfahren mit Hilfe der Digitalisierung zu optimieren und effizienter zu gestalten, ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Unfallbelastete und/ oder risikobehaftete Stellen im Straßennetz zu identifizieren und zielgerichtet geeignete Maßnahmen zu entwickeln, stellt eine Daueraufgabe für die Forschung dar. Hierbei gilt es, vor allem Maßnahmen zu entwickeln und zu optimieren, die der Entstehung von Unfällen vorbeugen. Hinsichtlich der Verfahren des Infrastruktursicherheitsmanagements werden proaktive Ansätze, die auf einer Risikobewertung basieren, zunehmend gegenüber den traditionellen reaktiven Verfahren an Bedeutung gewinnen. Sich verändernde Fahrzeugflotten bedeuten neue Herausforderungen für die Ausstattung von Straßen, so können sich beispielsweise Anprallszenarien verändern, die ggf. Anpassungen der Straßenausstattung erfordern. Für die Akzeptanz derartiger proaktiver Risikobewertungen sind wissenschaftlich fundierte Grundlagen notwendig. Zur Beförderung aktiver Mobilitätsformen müssen neue planerische und bautechnische Ansätze entwickelt werden, sodass alle Bevölkerungsgruppen sicher zu Fuß und mit dem Rad / Pedelec etc. unterwegs sein können. Denn damit ist sowohl dem Klimaschutz als auch dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung durch ein sportlich-aktives Leben von frühster Kindheit bis ins hohe Alter auf sicheren Wegen Genüge getan. Eine besondere Herausforderung ist dabei die Integration der hierfür erforderlichen Verkehrsflächen in die urbanen und ruralen Verkehrsräume. 2.5 Umweltfreundliches Verkehrswesen Vorrausschauende Untersuchungen und innovative Ansätze zur Reduktion von Emissionen und Immissionen von Geräuschen, Luftschadstoffen und Licht helfen, Verkehr und Verkehrsinfrastruktur nachhaltig und sicher sowie straßennahe Wohnstandorte lebenswerter zu gestalten. Hierzu soll, insbesondere vor dem Hintergrund steigender Emissions- und Immissionsminderungsziele auf europäischer Ebene, nachprüf bar erreicht werden, Infrastruktur und Fahrzeuge in allen Betriebszuständen möglichst geräusch- und luftschadstoffarm betreiben zu können. „Sehen und gesehen werden“ aber auch „hören und gehört werden“ sind Voraussetzungen für eine sichere Mobilität insbesondere im Zusammenhang mit der Förderung neuer und aktiver Mobilitätsformen. Dem stehen Energieverbrauch, Lärm und die Auswirkungen des künstlichen Lichtes auf den Menschen und die Natur entgegen. Der technische Fortschritt sehr leistungsfähiger und dabei nachhaltiger Materialien und Systeme sowie innova- 28 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Straßenverkehrsinfrastruktur: digital, klimafreundlich, sicher tive Ideen aus der Licht- und Akustikforschung ermöglicht hierbei die Minderung von Zielkonflikten. Die ortsnahe höchstmögliche (Wieder-)Verwendung von Ausbaustoffen, auch ausgebauten Böden, bietet einen großen Beitrag zu Klimaschutz und Ressourcenschonung. Um Emissionen aus Baustoffen und Ersatzbaustoffen zu minimieren, sind geeignete Bauweisen anzuwenden. Für diese und für multifunktionale Bauwerke aus naturnahen Materialien lassen sich mit Demonstratoren für bautechnische und ökologische Forschung die Einsatzgrenzen praxisnah erproben. Eine leistungsfähige Straßenentwässerung sorgt für Verkehrssicherheit, aber auch für die Erhaltung der Qualität von Oberflächengewässern, Grundwasser und Trinkwasser, um Mensch und Umwelt vor schädlichen Stoffeinwirkungen zu schützen. Der Erkenntnisgewinn über den Abbau in Böden und Gewässern sowie den Transport und die Minimierung von Einträgen in die Weltmeere steht dabei im Fokus. Eine geeignete Pflege des Straßenbegleitgrün kann Biodiversität fördern und Lebensräume (wieder-) vernetzen. Auf Ausgleichs- und Kompensationsflächen können Synergien zwischen Natur- und Klimaschutz genutzt werden, z. B. durch Anlage oder Renaturierung von Mooren. Es gilt, diese Potenziale durch Entwicklung innovativer Methoden und Konzepte und unter Berücksichtigung digitaler Tools auszuschöpfen. Naturschutzrechtliche Fragestellungen beinhalten auch den die Straßeninfrastruktur umgebenden Naturraum. Hier sind die bestehenden Ansätze eines Building Information Modeling (BIM) um eine neue Dimension zu erweitern (z. B. durch Landscape Information Modelling). Geeignete Indikatoren unterstützen die transparente Verfolgung der Entwicklung im Sinne der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. 3. Ausblick Der vermeintliche Konflikt zwischen Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit und Verbesserung der Nachhaltigkeit des Verkehrssystems Straße ist lösbar. Im Artikel wurde dabei vor allem die Perspektive der Verkehrsinfrastruktur eingenommen. Das Potential an Lösungen erstreckt sich jedoch weit über die Infrastruktur hinaus. In der stärkeren Verkopplung zwischen Infrastruktur und Fahrzeug und in der ganzheitlichen Betrachtung des Systems Infrastruktur-Fahrzeug-Mensch liegen noch weithin ungenutzte Lösungsmöglichkeiten. Zudem müssen die einzelnen Verkehrsträger Straße, Bahn, Luft und Wasser übergreifend erfasst werden. Jeder Verkehrsträger muss entlang seiner Stärken aktiviert und ein integriertes Mobilitätssystem entwickelt werden. Es bedarf hierzu eines multidisziplinären Ansatzes, der forschungsseitig durch entsprechende Schwerpunktsetzungen flankiert werden muss, eines leidenschaftlichen Diskurses zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und einer neuen Kultur des einander verstehen Wollens und Handelns. Jeder muss sich bewegen damit die Mobilität der Zukunft gelingt! Literatur [1] Verkehr in Zahlen 021/ 2022, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.), Berlin. [2] Zander, U. Der Weg in die Nachhaltigkeit, Deutscher Straßen- und Verkehrskongress, 5. Bis 7. Oktober 2022, Dortmund. [3] Schönebeck, S.; Schepers, A.; Pöppel-Decker, M.; Färber, N.; Fitschen, A. Voraussichtliche Entwicklung von Unfallanzahlen und Jahresfahrleistungen in Deutschland - Ergebnisse 2022, Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach. [4] Meister, A.; Scholz, F.; Banemann, S. Masterplan BIM Bundesfernstraßen - Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM), Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.), Berlin. [5] Hill, M.; Bahlau, S.; Butenhof, F.; Degener, L.; Klein, F.; Kukushkin, A.; Lambracht, C.; Mertens, M. Bauwerksprüfung mittels 3D-Bauwerksmodellen und erweiterter/ virtueller Realität, BASt-Bericht B 185, 2022, Bundesanstalt für Straßenwesen (Hrsg.), Bergisch Gladbach. Nachhaltigkeit 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 31 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte Dr. Sonja Cypra Steinbeis-Transferzentrum, Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Steinbeis-Transferzentrum, Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Zusammenfassung Die Nachhaltigkeitsbewertung hat sich im Hochbau bereits etabliert und erfährt immer mehr Anwendung im Infrastrukturbereich. Speziell im Straßenbau werden bereits ökologische Aspekte teilweise zur Bewertung von Projekten und Varianten eingesetzt. Eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung existiert jedoch im Straßenbau nicht. Die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen werden aufgezeigt sowie ausgewählte existierende Bewertungssysteme für Infrastruktur- und Verkehrsprojekte werden dargestellt. Dabei wird der gesamte Lebenszyklus und für den Straßenbau relevante Phasen werden hervorgehoben. Abschließend werden Schlussfolgerungen gezogen und die Anwendung im Hinblick auf den Nutzen und die Herausforderungen aufgezeigt. 1. Einführung Das Bedürfnis nach Nachhaltigkeit stellt sowohl die traditionelle Infrastruktur als auch Organisationen (öffentliche Einrichtungen als Auftraggeber wie auch Unternehmen als Auftragnehmer), vor eine Reihe von Herausforderungen. Nachhaltiges Denken und Handeln rückt immer stärker in den öffentlichen Fokus und wird zukünftig auch einen wesentlichen Bestandteil aller Bauprozesse bestimmen, wobei sich der Blick derzeit vielfach vor allem auf die Treibhausgasemissionen richtet. Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ wurde bereits 2002 von der Bundesregierung die Nachhaltigkeit als ein zentrales Prinzip der Politik verankert, bei der neben dem Klimaschutz die umfassenderen Ziele der Nachhaltigkeit aufgegriffen werden. Mittlerweile beinhaltet sie auch die im Jahr 2015 von den Vereinten Nationen beschlossenen 17 Ziele zu einer globalen nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) [Bundesregierung 2022]. Mit dem nationalen Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein, ist der Bausektor als wesentlicher Produzent von Emissionen zusätzlich vor Herausforderungen im ökologischen Bereich gestellt. Ab 2023 gelten erste Anforderungen der EU-Taxonomie-Verordnung, die nachhaltige Kapitalflüsse in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten leiten soll. Sie stellt somit einen zentralen Baustein des Green Deals der EU dar. [European Commission 2022]. Dabei werden soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards sowie die geforderten Umweltziele (Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, Nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme) bewertet. Nachdem im Hochbau bereits Zertifizierungssysteme entwickelt wurden und breite Anwendung finden, wurden auch Bewertungsverfahren für die Infrastruktur / Verkehrsinfrastruktur entwickelt, die sich allerdings nicht konkret auf den Straßenbau beziehen. Die Schwierigkeit im Bereich von Verkehrsinfrastruktur/ Straßenbau liegt darin, ein System zu entwickeln, das als Hilfsmittel zur Entscheidungsfindung auf dem Weg einer Nachhaltigkeitsoptimierung über den gesamten Lebenszyklus genutzt werden kann. Der Lebenszyklus wird hierbei maßgeblich von der gewählten Bauweise und der zu erwartenden Verkehrsbelastung bestimmt. Modifikationen oder Innovationen im Straßenbau sind nicht nur hinsichtlich der verwendeten Materialien oder Prozesse zu bewerten, sie können auch über den gesamten Lebenszyklus maßgebliche Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsbewertung haben. So sind neben der Verarbeitung und Anlieferung der unterschiedlichen Materialien oder Zuschlagsstoffe auch eine möglicherweise erhöhte Lebensdauer oder geringere Verschleißeigenschaften (von Fahrbahn oder Fahrzeug) zu betrachten. 2. Nachhaltiges Bauen Ziel des Nachhaltigen Bauens ist, unterschiedliche Interessen von Stakeholdern in Einklang zu bringen und damit die an Bauwerke gestellten, vielseitigen und komplexen Anforderungen bestmöglich zu erfüllen. Diese Bauwerke haben lange Bestand und sind auf diese Weise zukunftssicher. Nachhaltiges Bauen stellt Anforderungen an die ökologische, soziokulturelle und ökonomische Qualität von Bauwerken. Diese drei Bereiche stammen aus der ursprünglichen Definition der Nachhaltigkeit, sie sind die drei so genannten Nachhaltigkeitsdimensionen. Mittlerweile wurde diese Definition durch verschiedene Querschnittsfunktionen wie z.-B die Qualität der Planungs- und Bauprozesse sowie die technische Qualität ergänzt, die teilweise zuvor in den drei Nachhaltigkeitsdimensionen integriert waren (s. exemplarisch Abb. 1). 32 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte Nachhaltigkeit = Qualität + Zukunftsfähigkeit Abb. 1: Definitionen der Nachhaltigkeit [DGNB e.V. 2018; Lemaitre 2022] Die Umsetzung nachhaltiger Bauwerke und damit die Erfüllung ihrer Anforderungen setzt die Nutzung geeigneter Methoden, Daten, Regeln und Werkzeuge voraus. Dazu gehören auch die Bewertungssysteme, die je nach Nutzung und Art des Bauwerks andere Schwerpunkte bilden. 3. Bewertungssysteme in Deutschland In Deutschland existieren im Wesentlichen das Bewertungssystem für Nachhaltiges Bauen (BNB), das vom damaligen Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) entwickelt wurde, und das Gütesiegel für Nachhaltiges Bauen der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), das seit einigen Jahren auch international Anwendung findet. Beide haben den gleichen Ursprung und wurden zunächst für den Hochbau entwickelt. Neben dem BNB gibt es seit 2021 mit dem Qualitätssiegel Nachhaltiges Bauen ein staatliches Qualitätssiegel für Gebäude im Rahmen der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). Dieses baut auf im Markt existierende Nachhaltigkeitsbewertungssysteme für Bauwerke nicht nur auf, sondern bezieht ihre Ergebnisse ein und lässt sich daher z.-B mit dem DGNB- Zertifikat erreichen bzw. kombinieren. Die DGNB hat für viele Nutzungen im Hochbau, aber auch im Infrastrukturbereich, wie Stadtquartiere, Verkehrsstationen und aktuell in Entwicklung Verkehrsinfrastruktur, das System weiterentwickelt. [BMVBS 2011; DGNB e.V. 2018; DGNB e.V 2020]. Auch internationale Bewertungs- und Zertifizierungssysteme finden in Deutschland Anwendung. Im Hochbau zielt die Nachhaltigkeitsbewertung über die Vergabe des Gütesiegels (Zertifikats) auf den absoluten Vergleich von verschiedenen Gebäuden an unterschiedlichen Standorten, aber auch die absolute Bewertung im Rahmen von vorgegebenen Benchmarks (verschiedene Bewertungsstufen) ab. Auf Basis dieser Zertifikate lassen sich dann für gut bewertete Immobilien unter anderem höhere Werte (z.-B für Verkäufe oder Mieten, aber auch Image) ableiten als für vergleichsweise niedrig oder nicht bewertete Immobilien. Des Weiteren wird jede Dimension / Qualität separat bewertet, was einen Rückschluss auf Stärken und Schwächen der einzelnen Qualitäten ermöglicht. Diese geht dann mit der entsprechenden Gewichtung in das Gesamtergebnis ein. Durch die für eine gute Bewertung notwendige frühe Einbindung in den Planungs- und Bauprozess sowie eine Vorzertifizierung dienen diese Systeme zusätzlich als Optimierungs- und Qualitätssicherungsinstrumente. In der Zwischenzeit haben sich im Infrastrukturbereich ebenfalls Bewertungssysteme entwickelt. 2016 wurde im Auftrag der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) ein Bewertungssystem erarbeitet, mit dem in den Phasen der Entwurfs- und Genehmigungsplanung eine Nachhaltigkeitsbewertung für Bauwerke der Straßeninfrastrukturplanung durchgeführt werden kann. Dieser Ansatz basiert auf dem Gütesiegel der DGNB bzw. dem Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB). Danach wird die Bewertung in die „Ökologische Qualität“, „Ökonomische Qualität“, „Soziokulturelle und funktionale Qualität“ sowie „Technische Qualität“ und „Prozessqualität“ eingeteilt. Die DGNB hat 2021 begonnen, ein Zertifizierungssystem für Verkehrsinfrastrukturprojekte zu entwickeln, das parallel zur Entwicklung in einem Pilotprojekt angewendet wurde. Der aktuelle Stand der Arbeitsversion umfasst die Themenfelder „Ökologische Qualität“, „Ökonomische Qualität“, „Soziokulturelle und funktionale Qualität“ sowie „Technische Qualität“ und „Prozessqualität“. Es enthält 21 Kriterien, die sich auf diese Themenfelder verteilen und neben dem konkreten Ziel des Kriteriums auch Ziele der EU-Taxonomie enthalten. Des Weiteren finden auch die Themen Agenda 2030, Circular Economy und Innovation Eingang. Bei den Nutzungen wird aktuell in Innerorts- und Außerortsbereiche unterschieden. 4. International existierende Bewertungs- und Zertifizierungssysteme International existieren verschiedene Bewertungs- und Zertifizierungssysteme für Infrastruktur, teilweise auch nur auf die Verkehrsinfrastruktur ausgerichtet (s. Tab. 1). In Teilbereichen, wie z.-B Ökologie, gibt es auch auf den Straßenbau ausgerichtete Bewertungssysteme. Häufig wurden bestehenden Erfahrungen aus dem Hochbau überprüft und angepasst, um eine Anwendung im Infrastrukturbereich zu ermöglichen. So sind das internationale Bewertungssystem CEEQUAL (in aktueller Version nach Zusammenschluss mit BREEAM Infrastructure) und SPeAR aus Großbritannien, das australische Envision und der schweizerische Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) Infrastruktur als einige Beispiele zu nennen, wenn es allgemein um Infrastrukturprojekte geht [CEEQUAL Versin 6 2019; NNBS 2020; Cypra et al. 2020]. Speziell für die Verkehrsinfrastruktur zeigen beispielsweise die Bewertungs- und Zertifizierungssysteme Greenroads und NISTRA (Nachhaltigkeitsindikatoren für Straßeninfrastrukturprojekte) mögliche Umsetzungen [Greenroads 2011; ASTRA 2017]. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 33 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte Tab. 1: Bewertungs- und Zertifizierungssysteme für Infrastruktur Für den Straßenbau liegen angepasste Bewertungssysteme für Einzelbereiche der Nachhaltigkeitsbewertung vor. In einigen Staaten wurden die Bewertungen bereits erfolgreich in die Vergabe integriert. • In den Niederlanden wurde eine Methode zur Bewertung von Infrastrukturprojekten entwickelt, die sowohl den Preis als auch qualitative Gesichtspunkte von Angeboten bewertet. Die qualitativen Aspekte können sich auf verschiedene Bereiche beziehen, wie beispielsweise Nachhaltigkeitsaspekte, Projektorganisation oder Öffentlichkeitsarbeit. Diese qualitativen Kriterien werden dann anhand von in den Ausschreibungsunterlagen veröffentlichen Faktoren in Geldeinheiten umgerechnet und fiktiv vom Angebotspreis abgezogen. So kann z.- B der Umweltkostenindikator (Milieukostenindikator, MKI) zur fiktiven Preisreduktion beitragen. Der Umweltkostenindikator enthält elf Umweltindikatoren, u.a. Abiotischer, nicht-energetischer Ressourcenverbrauch (ADP), Treibhauspotenzial (GWP), Ozonschichtabbaupotenzial (ODP), Photochemisches Oxidantienbildungspotenzial (POCP), Versauerungspotenzial (AP), Überdüngungspotenzial (EP). Die Umweltindikatoren werden mit Geldwerten als Gewichtungsfaktoren versehen und zu einem Wert zusammengefasst. Nach einem Vergleich zu Ziel- und Grenzwert erhält jedes Angebot einen „Preis“, der vom Angebotspreis des Anbieters abgezogen wird. • In Norwegen existiert ein Bewertungssystem für den CO 2 -Ausstoß von Straßenbauverfahren. Die Baumaßnahmen werden u.a. auf Basis von Umweltproduktdeklarationen (EPDs) vergeben. Bis 2024 sollen die Angebote in allen Baumaßnahmen auf dieser Grundlage bewertet werden. Die Bewertungen werden ebenfalls monetarisiert. Das Angebot mit den geringsten CO 2 - Werten bleibt unverändert. Alle weiteren Angebote erhalten einen entsprechenden fiktiven Preiszuschlag auf den ursprünglichen Angebotspreis [Nationale Milieu Database 2022; Müller 2020] . • In der Schweiz hat die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (NNBS) eine Empfehlung zum nachhaltigen Beschaffen im Infrastrukturbau herausgebracht [KBOB 2020]. Diese soll die Integration von auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Zuschlagskriterien in die Ausschreibungsunterlagen erleichtern. Sie basiert auf dem SNBS und beinhaltet somit ökologische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zuschlagskriterien. Für den Straßenbau kommen u. a. die Minimierung von Emissionen und die Länge der Bauzeit zum Tragen. • In Frankreich finden auf den Straßenbau angepasste Systeme für die Ökobilanzierung Anwendung (SEVE und ECORCE), die sich zum Großteil mit den Umweltindikatoren aus den Niederlanden decken. 34 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte Die international vorhandenen Bewertungssysteme und Datenbanken, z.-B. für die ökologische Bewertung, müssen bei der Übertragung auf den deutschen Markt angepasst und ggf. neu ausgerichtet werden. Auch wurden bereits vor über 20 Jahren erste Ökobilanzen im Verkehrsbereich durchgeführt und im Laufe der Zeit auf verschiedene Bereiche angepasst und optimiert [Lünser 1999]. Kommerzielle Tools, wie z.-B GaBi decken den ökologischen Bereich des Straßenbaus aktuell jedoch nur zum Teil ab, bzw. bilden Daten nur über Durchschnittswerte für Bewertungen in frühen Planungsphasen ab. Die existierenden Bewertungs- und Zertifizierungssysteme unterscheiden sich im Hinblick auf die Anwendung teilweise sehr. Sie umfassen teilweise den gesamten Infrastrukturbereich, wie z.-B Mobilität / Verkehr, Energie, Wasser, Abfall, Kommunikation, Schutzinfrastruktur oder nur den Verkehrsbereich. Teilweise werden nur Teilbereiche der Nachhaltigkeit, wie z.-B Ökologie betrachtet. Der Fokus bei den Systemen liegt entweder auf den frühen Planungsphasen oder auf allen Phasen. Eine Fokussierung ausschließlich auf den Straßenbau gibt es nicht. Lediglich einige Systeme wie der SNBS greifen dieses konkrete Beispiel auf, unterscheiden Planung und Bau und formulieren hierfür mögliche Zuschlagskriterien. [KBOB 2020]. Die Datenverfügbarkeit und -anforderungen variieren stark. Während es für einige Indikatoren gute Grundlagen und Vergleichswerte / Benchmarks gibt, sind diese bei anderen Indikatoren sehr lückenhaft oder fehlen vollständig. Daraus ergibt sich, dass einige Indikatoren quantitativ ausgedrückt und bewertet werden können. Teilweise gibt es eine gute Grundlage für eine mögliche Monetarisierung. Andere Indikatoren müssen jedoch mit Erläuterungsberichten oder Checklisten nachgewiesen werden. Gibt es hier keine Vergleichswerte oder Benchmarks, bieten die Bewertungs- und Zertifizierungssysteme durch die Sammlung verschiedener Daten die Möglichkeit, daraus Vergleichsgrößen zu bilden. 5. Mögliche Kriterien einer Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau Während international bereits gute Vorbilder für die ökologische Bewertung, teilweise auch erste Ansätze in der umfassenderen Nachhaltigkeitsbewertung, existieren, findet eine solche Bewertung in Deutschland noch nicht statt. Mit der Verbreitung der Umweltproduktdeklaration und die zugrunde liegenden Ökobilanzierung werden die Indikatoren, die diesen zugrunde liegen, im Bereich der Umweltwirkungen in Zukunft zum Standard. Betrachtet man die notwendige Breite einer Nachhaltigkeitsbewertung, wird deutlich, dass viele Indikatoren, insbesondere aus den Bereichen Ökonomische und Soziokulturelle Qualität, bisher viel weniger bis gar nicht Eingang finden. Da sich für die Definition der Nachhaltigkeit die drei Nachhaltigkeitsdimensionen (Dreisäulenmodell) über die Jahre etabliert haben, sollen diese auch die Grundlage für die vorgeschlagene Systematik bilden. Die meisten weiteren in anderen Themenfeldern abgebildeten Kriterien können in diese Struktur integriert werden, indem sie dort Eingang finden, wo sie die maßgebliche Wirkung haben. Lediglich die Prozesse sollen als viertes Themenfeld hinzugefügt werden, da hiermit „übergeordnete“ Themen, wie Innovationen, gebündelt werden und nicht getrennt in die anderen Bereiche eingehen. Begrenzt man den Straßenbau auf konkrete Straßenbaumaßnahmen, sind die Phasen Ausführungsplanung sowie Ausschreibung und Vergabe maßgebend, d.- h. es liegt Baurecht vor, z.-B durch einen Planfeststellungsbeschluss. Themen wie Linienführung, Verkehrsaufkommen oder Verkehrsmittelwahl und daraus abgeleitete Kriterien, wie z.-B die Biodiversität, werden daher nicht betrachtet. In Tab. 2 sind die möglichen Kriterien für eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau zusammengestellt. Tab. 2: Mögliche Kriterien für eine Nachhaltigkeitsbewertung im Straßenbau und Zuordnung zu vier Themenfeldern Das Kriterium „Energie und Umweltwirkungen“ deckt die typischen Indikatoren einer Ökobilanz bzw. Umweltproduktdeklaration (EPD) ab. Neben diesen Umweltindikatoren sind auch weitere ökologische Kriterien zu berücksichtigen. Im Kriterium „Verantwortungsbewusste Ressourcengewinnung“ geht es einerseits um die Verwendung von Recyclingmaterial sowie andererseits die Lokalität, da sich geringe Transportentfernungen des eingesetzten Materials nicht nur auf das Treibhausgasemission, sondern auch die Belastung der in an Anspruch genommenen Verkehrswege auswirken. Weiterhin sind Umweltschadstoffe und kritische bzw. gefährliche Ma- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 35 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte terialien zu identifizieren und ihre Auswirkung auf die Umwelt zu bewerten. Im Kriterium „Wasserkreislaufsysteme“ liegt der Fokus auf der Wassernutzung und dem Abwasseraufkommen. Des Weiteren sind bereits bei der Erstellung des Bauwerks bzw. bei den entsprechenden Baumaßnahmen die Möglichkeiten des Rückbaus der Konstruktion und des Recyclings der eingesetzten Baustoffe am Ende des Lebenszyklus im Kriterium „Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit“ zu bewerten. In der Nachhaltigkeitsdimension „Ökonomie“ werden die Kosten und die Resilienz subsummiert. Die Kosten sind als Lebenszykluskosten des Baulastträgers zu betrachten, um auf diese Weise auch die Auswirkungen der betrachteten Baumaßnahme auf notwendige Instandhaltungsmaßnahmen einzubeziehen. Der Lebenszyklus beschränkt sich für Straßenbaumaßnahmen auf die Lebensdauer des Bauteils bzw. der betrachteten Schicht des Oberbaus und schließt keine Wiederherstellung des Bauteils ein. Des Weiteren sind in diesem Kriterium auch die Kosten infolge baubedingter Verkehrsbeeinträchtigungen zu betrachten. Im Rahmen der Resilienz sind Klima- und Umweltrisiken, z.-B. extreme Temperaturereignisse, und Unfallrisiken, z.-B Brandschäden und chemischer Materialangriff durch austretende Stoffe, zu betrachten. Die soziale Dimension umfasst die Kriterien „Straßenverkehrslärm“, „Verkehrsführung während der Bauzeit“ und „Arbeitsplatz während der Bauzeit“. Beim Straßenverkehrslärm kann zwischen Lärmemissionen während der Bauphase, z.-B durch den Umleitungsverkehr infolge der Baustelle, und während der Nutzungsphase unterschieden werden. Im Kriterium „Verkehrsführung während der Bauzeit“ sind alle betroffenen Verkehrsteilnehmer (Kfz, öffentlicher Verkehr sowie Rad- und Fußverkehr) zu berücksichtigen. Hierbei ist auf ein entsprechendes Verkehrsführungskonzept (Umwege, Sicherheit, Barrierefreiheit etc.) zu achten. Beim Kriterium „Arbeitsplatz während der Bauzeit“ sind eine angepasste Arbeitsplatzgestaltung und der Gesundheitsschutz zu betrachten. Dabei ist es durchaus sinnvoll, über die gesetzlichen Mindestvorgaben hinauszugehen und entsprechende Konzepte bzgl. Schichtdienst, Reduktion von Mitarbeiterbelastungen, Sonnenschutz etc. zu entwickeln. Der Schutz vor Aerosolen und Dämpfen hängt einerseits von der Bauweise sowie der Anzahl und Belastung der Mitarbeiter ab. Auch Einbautemperatur und Umgebungstemperatur (Witterung und Bauprozess) sind in diesem Kriterium relevant. Im Rahmen der „Prozesse“ werden die Kriterien „Partizipation“, „Baustelle / Bauprozesse“ sowie „Qualitätssicherung“ berücksichtigt. Bei der „Partizipation“ ist zu bewerten, wie die Anwohner und Verkehrsteilnehmer informiert bzw. involviert werden, z.-B. über Zeitplanung der Bauausführung, Einschränkungen im Alltag etc. Hier bietet sich ein Nachweis durch ein Kommunikationskonzept der Bieter an. Im zweiten Kriterium werden alle Indikatoren zusammengefast, die im Zusammenhang einer Baustelle relevant sind, wie Lärm, Abfall, Wasser, Abwasser, Staub, Flora und Fauna, eingesetzte Fahrzeugflotte und emissionsmindernde Maßnahmen, benötigte Fläche zur Baustelleneinrichtung sowie Bauzeit. So sind hier bzgl. Lärm insbesondere die Vermeidung und Minderung vom Lärmemissionen, z.- B durch Maschinenauswahl, Prozessoptimierung, Bauzeitenauswahl etc. zu verstehen. Die Fläche der Baustelleneinrichtung bezieht sich auf die Gesamtfläche inklusive Lagerfläche, die bei unterschiedlichen Bauphasen oder -zeiten variieren kann. Ziel ist dabei, den Flächenverbrauch zu minimieren. Bei der Bauzeit wirken sich Maßnahmen zur Verkürzung der Bauzeit positiv aus. Alle anderen Indikatoren sollten im Rahmen eines Umwelt(schutz)konzepts berücksichtigt werden. Im Kriterium „Qualitätssicherung“ ist die Anwendung von Datenmodellen positiv zu bewerten. So kann die Anwendung und Weitergabe von Materialpass, BIM-Modellen etc. Eingang finden. Es ist zu berücksichtigen, dass einige Kriterien und Indikatoren auch in anderen Themenfeldern angesiedelt werden könnten. In der Regel werden sie in dem Themenfeld platziert, in dem sie die meisten Auswirkungen haben oder am relevantesten sind. Weiterhin ist zu beachten, dass die vorgeschlagenen Kriterien nicht gleichwertig in eine Gesamtbewertung einfließen, sondern dass die Bedeutung für das Gesamtergebnis über eine Gewichtung der Kriterien erfolgt. Um diese Gesamtbewertung vorzunehmen, sind die je Indikator ermittelten Kenngrößen über Normierungsfunktionen vergleichbar zu machen, wie es z.-B. im Rahmen der Zustandsbewertung gängige Praxis ist. Alternativ zu Gewichtung und Normierung ist auch eine Monetarisierung aller Indikatoren denkbar, wobei der angesetzte Preis je Indikator sowohl Gewichtung des Indikators als auch Normierung beinhaltet, was weniger transparent ist. 6. Fazit Nachdem sich die Anwendung von Nachhaltigkeitsbewertungs- und -zertifizierungssystemen im Hochbau etabliert hat, finden diese auch im Infrastrukturbereich verstärkt Einsatz. Teilweise wurden sie schon vor Jahrzenten entwickelt, haben sich aber im Vergleich zum Hochbau nicht im gleichen Ausmaß verbreitet. Diese Systeme umfassen den gesamten Infrastrukturbereich, wie z.-B Mobilität / Verkehr, Energie, Wasser, Abfall, Kommunikation, Schutzinfrastruktur. Es wurden auch für den Verkehrsbereich spezielle Systeme entwickelt. Der Fokus bei den Systemen liegt entweder auf den frühen Planungsphasen oder auf allen Phasen. Es hat sich gezeigt, dass das Interesse an Bewertungs- und Zertifizierungssystemen groß ist und weiter zunimmt. Die meisten bereits etablierten Systeme verfügen über eine hohe Anzahl an Projekten. Die sich in Entwicklung und Startphase befindlichen Systeme wie z.-B DGNB-Verkehrsinfrastruktur und SBNS- Infrastruktur stoßen bei verschiedenen Akteuren (Bund, Bundesländer / Kantone, Gemeinden und Unternehmen) auf großes Interesse. Die Verwendung reicht dabei von einer Entscheidungsgrundlage, ob und wie das Projekt umgesetzt wird, einen Leitfaden zur Qualitätssicherung bis hin zur tatsächlichen Zertifizierung. Eine Fokussierung ausschließlich auf den Straßenbau gibt es jedoch nicht. Teilbereiche wie z.-B Umweltindikatoren, 36 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Bewertung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte werden bereits im Straßenbau berücksichtigt und sind in einigen Staaten auch in der Ausschreibung und Vergabe integriert. In Deutschland müssen nun durch den Druck von verschiedenen Seiten wie Politik und Investoren entsprechende Bemühungen und Nachweise folgen. Aus den Erfahrungen in Teilbereichen, aus dem Hochbau und aus internationalen Bemühungen und Umsetzungen können wertvolle Informationen einfließen. Alle Bewertungs- und Zertifizierungssysteme enthalten Kriterien und Indikatoren, die auch bei der Ausschreibung und Vergabe relevant sind. So können hier neben ökologischen Kriterien auch welche aus dem sozialen Bereich, wie z.-B Schulung des Personals, Gesundheit und Sicherheit oder prozessorientierte Angaben stammen. Einige Bundesländer integrieren dies bereits in Ihren Ausschreibungen. Wie mit Innovationen umzugehen ist, stellt eine weitere Herausforderung dar. Dies kann übergeordnet in der Planung eine Rolle spielen, aber ebenso konkreten Angebote bzw. Nebenangebote betreffen. Die vorgestellten Kriterien, untergliedert in vier Themenfelder, können für eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung von Straßenbaumaßnahmen angewendet werden. Inwieweit sie relevant für eine Gesamtbewertung sind, wie sie untereinander gewichtet werden können und welche Datengrundlagen im Detail zugrunde gelegt werden können, kann anhand von Pilotprojekten weiter untersucht werden. Hierbei muss es Ziel sein, einen Kompromiss zwischen Aufwand für die Bewertung einerseits und Aussagekraft der Nachhaltigkeitsbewertung andererseits zu erreichen. Literaturverzeichnis [1] ASTRA - Bundesamt für Strassen Nachhaltigkeits - Indikatoren für STRAsseninfrastrukturprojekte (NISTRA). (2017). Online verfügbar unter: https: / / www.astra.admin.ch/ astra/ de/ home/ fachleute/ dokumente-nationalstrassen/ fachdokumente/ nistra. html, abgerufen am: 29.03.2022. [2] BMVBS - Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (Hrsg.). (2011) Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen, Büro- und Verwaltung. Online verfügbar unter: https: / / www.nachhaltigesbauen.de/ fileadmin/ pdf/ veroeffentlichungen/ Bewertungssystem_Nachhaltiges_Bauen.pdf, abgerufen am: 03.03.2020. [3] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB), www.bmub.bund. de. (2015) Übereinkommen von Paris. Paris. Online verfügbar unter: https: / / www.bmuv.de/ fileadmin/ Daten_BMU/ Download_PDF/ Klimaschutz/ paris_ abkommen_bf.pdf? adb_sid=3f2fa233-444b-4e87a5c4-0277499c4be4, abgerufen am: 15.12.2022. [4] CEEQUAL Version 6, Technical Manual - International Projects. (2019). Online verfügbar unter: https: / / www.ceequal.com/ version-6/ , abgerufen am: 01.12.2021. [5] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (2018) DGNB System: Kriterienkatalog Gebäude Neubau. Online verfügbar unter: 07.01.2022. [6] DGNB - Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (2020) DGNB System: Kriterienkatalog Quartiere. Online verfügbar unter: 07.01.2022. [7] FGSV - ForschungsGesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) FGSV-Verlag. Köln, 2008. [8] Lemaitre, C. Nachhaltig ist das neue Normal an der Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen - DGNB e.V. Online verfügbar unter: https: / / www.dgnb.de/ de/ verein/ publikationen/ bestellung/ downloads/ DGNB_Imagepraesentation_2020_ DE.pdf? m=1633447625&, abgerufen am: 15.12.2022. [9] European Commission. (2. Februar 2022) EU-Taxonomie: ergänzender delegierter Klima-Rechtsakt [Press release]. Brussels, Belgium. Online verfügbar unter: https: / / ec.europa.eu/ commission/ presscorner/ detail/ de/ ip_22_711, abgerufen am: 14.12.2022 [10] Greenroads - Manual v1.5. (2011). Online verfügbar unter: https: / / www.greenroads.org/ , abgerufen am: 01.12.2021. [11] KBOB - Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren Nachhaltiges Beschaffen im Bau - Teil Infrastruktur 2021 / 3 (Empfehlung). Bern, 12/ 2020. [12] Lünser, H. Ökobilanzen im Brückenbau: Eine umweltbezogene, ganzheitliche Bewertung. Springer eBook Collection Computer Science and Engineering, Birkhäuser Basel. Basel, 1999. [13] Müller, C. Lebenszykluskosten von Straßen Springer Fachmedien Wiesbaden. Wiesbaden, 2020. [14] Nationale Milieu Database - Stichting NAtional Environmental Database Environmental Performance Assessment Method for Construction Works, Calculation method to determine environmental performance of construction works throughout their service life base on EN 15804, March 2022. [15] Netzwerk Nachhaltiges Bauen Schweiz (Hrsg.). (2020) SNBS 1.0 Infrastruktur - Kriterienbeschrieb, Bereiche Mobilität/ Transport, Energie, Wasser, Kommunikation, Schutzinfrastruktur. Online verfügbar unter: https: / / www.nnbs.ch/ snbs-infrastruktur, abgerufen am: 01.12.2021. [16] Bundesregierung Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie - Weiterentwicklung 2021. (29. März 2022). Online verfügbar unter: https: / / www.bundesregierung.de/ breg-de/ themen/ nachhaltigkeitspolitik/ nachhaltigkeitsstrategie-2021-1873560, abgerufen am: 29.03.2022. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 37 Umweltleistung von Asphaltmischungen Ein Vergleich von Hot Mix Asphalt (HMA) und Warm Mix Asphalt (WMA) mittels Ökobilanz Pamela Del Rosario, M. Sc. Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen, RWTH Aachen Gijs Krekel, M. Sc. Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen, RWTH Aachen Dr.-Ing. Nicolás Carreño Institut für Straßenwesen, RWTH Aachen Univ. Prof. Marzia Traverso (PhD) Institut für Nachhaltigkeit im Bauwesen, RWTH Aachen Zusammenfassung In diesem Beitrag werden die potenziellen Umweltauswirkungen von HMA und WMA erörtert. Insbesondere wird untersucht, ob und inwieweit die geringeren Produktions- und Einbautemperaturen von WMA im Vergleich zu HMA zu einer verbesserten Umweltbilanz führen. Die Umweltauswirkungen werden mit der Methode der Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA) nach den Normen ISO 14040 und 14044 berechnet, wobei der Fokus auf Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) liegt. In der Fallstudie wurde das LCA unter Einbeziehung der Rohstoffgewinnung, des Transports zur Mischanlage und der Produktion sowie des Transports zur Baustelle und der Einbauprozesse durchgeführt. Die Erkenntnisse der Studie sollen die nachhaltige Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Straßenbausektors unterstützen, indem Umwelt-Hotspots und Potenziale identifiziert und adressiert werden. 1. Einführung Der Transportsektor ist ein wichtiger Treiber der anthropogenen Treibhausgase (THG). Etwa 11 % der in Europa erzeugten THG-Emissionen stammen aus dem Verkehrssektor [1]. Zudem ist der Straßenverkehr mit einem Anteil von 77 % der Hauptverursacher von THG-Emissionen innerhalb des Transportsektors [2]. Schätzungen der Weltbank zufolge können 5 bis 10 % der gesamten THG-Emissionen des Sektors mit dem Straßenbau in Verbindung gebracht werden, mit stark steigender Tendenz [3]. Je nach Straßenauf bau werden außerdem zwischen 54 % und 65 % dieser Emissionen bei der Gewinnung und Herstellung von Materialien verursacht [3]. Asphalt ist das am häufigsten verwendete Material für Straßenbeläge in Europa [4, 5]. Um den Bedarf für Bau- und Instandhaltungsprojekte zu decken, wurden allein in der EU im Jahr 2020 208,3 Millionen Tonnen Asphalt produziert, was 25 % der Gesamtproduktion entspricht [6, 7]. Daher spielt die Asphaltindustrie eine entscheidende Rolle bei der Reduzierung der THG-Emissionen und des Ressourcenverbrauchs. Tatsächlich sind sowohl die großen Mengen an Rohstoffen als auch die für die Asphaltproduktion benötigte Energiemenge mit erheblichen Umweltauswirkungen verbunden [8]. Aufgrund der beträchtlichen Umweltauswirkungen dieses Materials ist eine genaue und robuste Quantifizierung der Umweltauswirkungen von Asphaltmischungen erforderlich. Dies ist mit der Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA) möglich. Die Ökobilanz ist eine Methode, die die Identifizierung und Quantifizierung potenzieller Umweltauswirkungen während des gesamten Lebenszyklus von Produkten ermöglicht [9, 10]. Dabei werden die Umweltauswirkungen anhand von Wirkungskategorien wie Treibhauspotenzial, Versauerungspotenzial, Eutrophierungspotenzial, Ökotoxizität und anderen bewertet. Diese Methode wird derzeit in verschiedenen Branchen angewendet [11] und ist durch die ISO 14040 und ISO 14044 standardisiert [10, 12]. Die LCA-Methode wurde bereits zur Bewertung der Umweltauswirkungen in der Straßenbauindustrie eingesetzt. Insbesondere wurden mehrere LCA-Studien über Asphaltmischungen durchgeführt. Huang et al. entwickelten ein Ökobilanzmodell für den Bau und die Instandhaltung von Straßenbelägen, das auf die Straßenbauindustrie des Vereinigten Königreichs (UK) zugeschnitten ist. Dieses Modell wurde auf ein reales Asphaltbauprojekt im UK angewandt, bei dem die Mischung von Asphalt, die Herstellung von Bitumen und die Gewinnung von Zuschlagstoffen als die wichtigsten Hotspots identifiziert wurden. 38 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen Außerdem wurde festgestellt, dass die Verwendung von Recyclingmaterial den Einsatz von Primärbitumen um etwa 7 % reduziert. [13] Holldorb und Meisenzahl führten im Auftrag des Deutschen Asphaltverbandes e.V. (DAV) eine LCA-basierte vergleichende Bewertung von Beton- und Asphaltbelägen durch. Die Studie betrachtete die Umweltauswirkungen, die mit der Herstellung und Instandhaltung des Bauwerks verbunden sind. Für die Asphaltvariante zeigten die Ergebnisse, dass 43 % des Primärenergieverbrauchs bei der Asphaltherstellung anfallen, gefolgt von der Bitumenproduktion (20 %). Außerdem zeigte die Studie, dass etwa 33 % des Treibhauspotenzials (Global Warming Potential, GWP) durch die Herstellung der Asphaltmischung, 17 % durch die Herstellung des Bitumens und 13 % durch die Gewinnung der Zuschlagstoffe verursacht wird. [14] In einer weiteren Studie wurden die potenziellen Umweltauswirkungen von konventionellem Hot Mix Asphalt (HMA) und HMA mit rezyklierten Betonzuschlägen als partieller Ersatz für grobe natürliche Zuschläge untersucht. Die Autoren kommen zu ähnlichen Ergebnissen wie [13] und [14] - die Umweltauswirkungen der untersuchten Mischungen wurden vor allem durch die Bitumenherstellung, das Mischen des Asphalts und die Gewinnung der Zuschlagstoffe bestimmt. Dabei erwies sich die Bitumenherstellung als besonders bedeutsam für die Wirkungskategorien menschliche Gesundheit (nicht krebserregend), Ökotoxizität und Erschöpfung fossiler Brennstoffe. Der Mischprozess wiederum war hauptsächlich für die Wirkungskategorien Treibhauspotenzial, Ozonabbaupotenzial und menschliche Gesundheit (Partikel) relevant. [15] In ihrer Studie konzentrierten sich Gulotta et al. auf die Identifizierung von Umwelt- und Energie-Hotspots verschiedener bituminöser Mischungen für eine italienische Straße, indem sie mehrere Wirkungskategorien bewerteten (globaler Energiebedarf, Treibhauspotenzial, Versauerungspotenzial, Eutrophierungspotenzial und photochemisches Oxidationspotenzial). Die Ergebnisse zeigten, dass die Materialherstellung, einschließlich der Rohstoffgewinnung und -bereitstellung, für alle Wirkungskategorien einen durchschnittlichen Anteil von mehr als 50 % hat. [16] Diese Ergebnisse stimmen mit denen aus [14-17] überein. In den letzten Jahren wurden neue Alternativen untersucht, um die Umweltleistung von Asphaltmischungen zu verbessern. So wurden beispielsweise Warm- Mix-Asphalte (WMA) wiederbelebt. Diese Mischgüter zeichnen sich dadurch aus, dass sie bei abgesenkten Produktions- und Einbautemperaturen hergestellt werden können, indem dem Asphaltgemisch verschiedene Additive zugesetzt werden [18, 19]. Obwohl WMAs nicht neu sind, wurden sie in den letzten Jahren nicht wirklich in der Praxis eingesetzt [18]. Die Temperatursenkung bei den WMAs soll nicht nur zu Einsparungen beim Energieverbrauch und bei der Emissionserzeugung im Mischwerk führen [19], sondern auch zur Reduzierung der Bitumendämpfe und Aerosole während des Einbaus [20, 21]. Diese Verringerung von Bitumendämpfen und Aerosolen ist mit dem neuen Arbeitsgrenzwert von 1,5 mg/ m³ zu einer zusätzlichen Herausforderung für die Straßenbauindustrie geworden. Gerade deshalb haben WMAs wieder in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Die benötigte temperatursenkenden Additive sind jedoch mit eigenen Umweltauswirkungen verbunden. Daher ist es notwendig, ihre Umweltleistung innerhalb des neuen Produktsystems (WMA) zu bestimmen, um die potenziellen Emissionseinsparungen zu quantifizieren. Ziel dieses Beitrags ist, zu untersuchen, ob und inwieweit die geringeren Produktions- und Einbautemperaturen von WMA im Vergleich zu HMA zu einer besseren Umweltleistung führen. Gleichzeitig konzentriert sich diese Studie auf die Identifizierung von Umwelt-Hotspots, die während der betrachteten Phasen des Lebenszyklus von Asphaltbelägen auftreten, von der Rohstoffgewinnung bis zum Einbau des Belags. 2. Life Cycle Assessment (LCA) Bei der Ökobilanz (Life Cycle Assessment, LCA) werden alle Energie- und Materialflüsse sowie Outputs (z. B. Abfall und Emissionen) eines Produktsystems bewertet, um die Umweltauswirkungen im Lebenszyklus zu quantifizieren [22]. Die Ökobilanz besteht aus vier Phasen: Definition von Ziel und Untersuchungsrahmen, Sachbilanz, Wirkungsabschätzung und Auswertung [12]. In Anlehnung an die ISO-Normen 14040 und 14044 definiert die erste Phase eines LCA - Ziel und Untersuchungsrahmen - Parameter wie das Ziel der Studie, die funktionelle Einheit, die Systemgrenzen, die Anforderungen an Datenquellen und -qualität, die Annahmen und die Methode der Wirkungsabschätzung. In der Sachbilanz erfolgt die Erfassung aller relevanten Inputs und Outputs für die definierten Systemgrenzen. Daran schließt sich die Wirkungsabschätzung an, d.h. die Einordnung der Sachbilanzergebnisse in die verschiedenen Wirkungskategorien (Klassifizierung), gefolgt von der Umrechnung der Ergebnisse in gemeinsame Einheiten und deren Zusammenfassung innerhalb der Wirkungskategorien (Charakterisierung). Schließlich besteht die Auswertung u.a. aus der Ermittlung von Umwelt-Hotspots und dem Beitrag einzelner Prozesse zu den gesamten Auswirkungen. Darüber hinaus werden Sensitivitätsanalysen durchgeführt, um den Einfluss bestimmter Parameter auf die Ergebnisse zu untersuchen und weitere Lebenszyklus-Szenarien zu bewerten. Die LCA-Methode wird für Bauprodukte in der Norm EN 15804 standardisiert [10, 12, 23]. Diese Norm enthält allgemeine Produktkategorieregeln (Product Category Rules, PCR) für die Veröffentlichung einer Umweltproduktdeklaration (Environmental Product Declaration, EPD) für Bauprodukte. EPDs sind Typ III Umweltdeklarationen zur Mitteilung quantitativer Umweltdaten auf der Grundlage einer Ökobilanz [24]. Aus diesem Grund können EPDs auch als Datenquelle in Ökobilanzstudien verwendet werden [25]. Die EN 15804 definiert die Lebenszyklusphasen von Produkten, die in den Geltungsbereich der Norm fallen, wie in Abb. 1 dargestellt. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 39 Umweltleistung von Asphaltmischungen Abb. 1 Lebenszyklusphasen basierend auf [23] Obwohl die EN 15804 die Kernanforderungen für die EPD und damit die Ökobilanz von Bauprodukten in Europa festlegt, gibt es lokale Unterschiede, wie z. B. Gesetzgebung oder unterschiedliche Markt- und Produktmerkmale, die im Zusammenhang mit PCRs und EPDs berücksichtigt werden müssen. Daher wurden von nationalen, privaten oder akademischen Organisationen zusätzliche PCRs auf der Grundlage der EN 15804 entwickelt. PCRs gewährleisten einheitliche Bewertungen sowie vergleichbare und zuverlässige Ergebnisse. Zwei bedeutsame europäische PCRs für die Umweltbewertung der Herstellung von Asphaltbelägen sind das norwegische „PCR Teil B für Asphalt“ (in diesem Text als NO-PCR bezeichnet) und das niederländische „PCR Asfalt“ (in diesem Text als NL-PCR bezeichnet) [26, 27]. Im Rahmen dieses Beitrags werden die EN 15084 und die vorgenannten PCRs als Referenz für das LCA verwendet. 2.1 Ziel und Untersuchungsrahmen Ziel dieser Studie ist der Vergleich der Umweltleistung der Herstellung und Konstruktion eines WMA- Oberbaus mit einer Referenzkonstruktion aus HMA, wobei der Schwerpunkt auf dem Treibhauspotenzial (Global Warming Potential, GWP) liegt. Die durchgeführte Ökobilanz basiert auf einem theoretischen Szenario in Aachen, Deutschland. Betrachtet wird der Austausch der Deck-, Binder- und Tragschicht auf beiden Seiten eines 5 km langen Abschnitts der Autobahn A4. Es wird angenommen, dass die Autobahn eine durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke von 50.000 Fahrzeugen pro Tag mit einem Schwerverkehrsanteil von 20% hat. Für den Schichtenaufbau (Schichtstärken und Mischgutsorten) wurde eine Belastungsklasse von BK100 gemäß RStO 12 angesetzt [28]. Der Asphalt wird in einer fiktiven Mischanlage hergestellt, die mit einem Paralleltrockner für die Trocknung und Erwärmung vom Asphaltgranulat (Reclaimed Asphalt Pavement, RAP) sowie mit elektrisch beheizten Bitumentanks ausgestattet ist. In Anlehnung an die NL-PCR wird davon ausgegangen, dass beide Trockner mit Erdgas betrieben werden. Als Standort der Anlage wird der Produktionsstandort der Asphaltmischanlage Willy Dohmen in Geilenkirchen angenommen (30,2 km von dem betrachteten Autobahnabschnitt entfernt). Es wurde ein Referenz-HMA-Oberbau nach der RStO 12 und den Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB 07/ 13) entworfen [28, 29]. Basierend auf dem zuvor beschriebenen Szenario wurden Eckdaten wie Schichtdicke, Mischgutsorte, Bindemitteltyp, RAP-Gehalt sowie Herstell- und Einbautemperaturen festgelegt. Darüber hinaus wurde eine Variante dieses Auf baus für WMA erstellt. Die Eigenschaften der Oberbauten sind in Tab. 1 aufgeführt. Aus Vertraulichkeitsgründen wird das Additiv als „Additiv A“ bezeichnet. 40 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen Tab. 1 Oberbaukonstruktionen für HMA und WMA Oberbaukonstruktion HMA WMA Schicht Deckschicht Binderschicht Tragschicht Deckschicht Binderschicht Tragschicht Schichtdicke [cm] 3,5 8,5 22 3,5 8,5 22 Mischgutsorte SMA 8 S AC 22 B S AC 32 T S SMA 8 S AC 22 B S AC 32 T S Additiv Zellulosefasern n.a. n.a. Additiv A Additiv A Additiv A Zellulosefasern RAP-Gehalt [Gew.-%] 0 50 50 0 50 50 Herstellungstemperatur [°C] 175 170 160 150 150 145 Einbautemperatur [°C] 170 165 155 140 140 130 Die Ökobilanz wurde gemäß den Anforderungen der ISO 14040 und ISO 14044 umgesetzt, und die Systemgrenzen umfassen die Herstellungs- und Bauphasen (Lebenszyklusphasen A1-A5 nach DIN EN 15804). Als funktionelle Einheit wurde „die Herstellung und der Bau von 1 m² gewalzter Fläche“ definiert. Die Systemgrenzen der Ökobilanz sind in Abb. 2 dargestellt. Die Analyse wurde mit der Software SimaPro 9.1.0.8 unter Verwendung von Ecoinvent v.3.5-Datensätzen durchgeführt [30]. Es wurde die Allokationsmethode „Cut-off“ gemäß EN 15804 gewählt [23]. Die Wirkungsabschätzung wurde anhand der vom Center of Environmental Science der Universität Leiden (CML-IA) v.4.7 entwickelten Methode berechnet, wobei der Schwerpunkt auf dem Treibhauspotenzial gemittelt über den Zeitraum von 100 Jahren (GWP100) liegt. 2.2 Sachbilanz Aufgrund des zugrundeliegenden theoretischen Szenarios wurde die Ökobilanz in erster Linie mit Sekundärdaten berechnet. Dennoch beruhen einige Elemente auf Primärdaten. Dazu gehört die Berechnung der Referenzflüsse im Modul A1 (Rohstoffgewinnung). Die Umweltauswirkungen des WMA-Additivs wurden vom Hersteller bereitgestellt. Darüber hinaus basierte die Berechnung der Transportentfernungen für die Module A2 (Transport zum Mischwerk) und A4 (Transport zur Baustelle) auf existierenden Produktionsstandorten für die verschiedenen Rohstoffe sowie auf einer spezifischen Asphaltmischanlage. Die Produktion vom Bitumen und polymermodifizierten Bitumen (PmB) wurde anhand der Eurobitume LCI-Datenbank modelliert [31, 32]. Die Modellierung des Asphaltmischprozesses (A3) wurde in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil beschreibt den Verbrauch von Energieressourcen während des Produktionsprozesses und wird mit Hilfe des vereinfachten Energieallokationsmodells (EA) der NL-PCR berechnet [26]. Der zweite Teil beschreibt die PAK-Emissionen während des Mischprozesses, wobei ein kombinierter Ansatz aus der in der NL-PCR definierten Methodik und der deutschen technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) verwendet wurde [33]. Das Inventar des Moduls A5 (Einbau) besteht aus den Emissionen, die durch den Betrieb mobiler Maschinen (Straßenfertiger und Walzen) entstehen. Die Emissionen für Straßenfertiger und Walzen wurden mit dem vom Umweltbundesamt (UBA) entwickelten Transport-Emissions-Modell für mobile Maschinen (TREMOD-MM) ermittelt [34]. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 41 Umweltleistung von Asphaltmischungen Abb. 2 Systemgrenzen basierend auf [27] 3. Ergebnisse und Diskussion Das GWP100 der Oberbauvarianten wird für die fünf untersuchten Lebenszyklusphasen in Abb. 3 dargestellt. Der HMA-Oberbau hat mit 42.8 kg CO 2 -Äq/ m² den höchsten GWP-Wert, während der WMA-A-Oberbau einen GWP100-Wert von 40.8 kg CO 2 -Äq/ m² aufweist. In beiden Fällen treten die höchsten Auswirkungen im Modul A3 (Herstellung) auf, die etwa 55 % der Gesamtauswirkungen ausmachen. Es folgt die Gewinnung von Rohstoffen (31,4 %). Die Transportprozesse der Module A2 und A4 tragen jeweils zwischen 5 und 7 % bei, während das Modul A5 (Einbau) für weniger als 1 % des gesamten GWP100 verantwortlich ist. 42 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen Abb. 3 GWP100 der HMA- und WMA-A-Variationen Die für das GWP maßgeblichen Prozesse sind in Abb. 4 dargestellt. Den größten Beitrag leisten die Heizprozesse in der Asphaltmischanlage und die Herstellung von Bitumen. Dies korreliert mit den Ergebnissen von [35], [36] und [37], welche zu demselben Schluss kommen. Abb. 4 Prozess-Beitrag zum GWP100 für die Lebenszyklusphasen A1-A5 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 43 Umweltleistung von Asphaltmischungen Mit Ausnahme des Gütertransports weist die WMA-Variante im Vergleich zu HMA für alle beitragenden Prozesse niedrigere GWP100-Werte auf. Dies wird jedoch zumindest teilweise durch die Auswirkungen der Additivproduktion kompensiert, was auch die Untersuchungen [37] und [38] bestätigen. Beide zeigen keinen klaren Unterschied zwischen der Umweltleistung von HMA und WMA in dieser Wirkungskategorie. Darüber hinaus folgt die Beitragsanalyse für die Binder- und Tragschicht (nicht abgebildet) für beide Strukturen einem ähnlichen Trend. Für die Deckschicht (Abb. 5) sind die Auswirkungen der Herstellung von Bindemitteln aus Bitumen höher als die der Erhitzungsprozesse in der Mischanlage, was auf zwei mögliche Gründe zurückzuführen ist. Erstens werden die Deckschichten aus Splittmastixasphalt (Stone Mastic Asphalt, SMA) hergestellt, das einen höheren Bindemittelgehalt als AC (Asphalt Concrete) hat. Dies allein erhöht das Wirkungspotenzial der Bindemittelherstellung. Zweitens wird den SMA-Mischungen der Deckschichten kein RAP beigemischt. Da kein Asphaltbindemittel zurückgewonnen wird, werden die Auswirkungen der Bindemittelherstellung noch weiter verstärkt. Letzteres stimmt wiederum mit den Ergebnissen von [36] überein, die zeigen, dass mit zunehmendem RAP-Gehalt der Prozess mit dem höchsten Beitrag zum GWP100 von der Bi- Abb. 5 GWP100 der Deckschicht für HMA und WMA-A 3.1 Validierung des Modells Um die Genauigkeit des Ökobilanzmodells zu bewerten, wird das Modell anhand der Ergebnisse ähnlicher Untersuchungen vergleichend validiert. Aufgrund der insgesamt geringen Auswirkungen der Module A4 und A5 wird dieser Vergleich mit einem Cradle-to-Gate-Ansatz (Module A1-A3) durchgeführt. Die Ergebnisse des Cradle-to-Gate-LCA sind für GWP100 in Tab. 2 dargestellt. tumenherstellung (0 % RAP) auf den Heizprozess der Asphaltmischanlage (60 % RAP) übergeht. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse wird empfohlen, den Einfluss des RAP- Gehalts auf die Umweltleistung von Asphaltmischungen in künftigen Studien weiter zu untersuchen. 44 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen Tab. 2 GWP100 der drei untersuchten Oberbauten zu Validierungszwecken Schicht Mischgutsorte GWP100 [kg CO 2 -Äq/ m²] GWP100 [kg CO 2 -Äq/ t] HMA WMA-A HMA WMA-A Deckschicht SMA 7,83 6,40 86,95 71,04 Binderschicht AC 9,73 8,82 45,28 41,04 Tragschicht AC 22,61 22,95 40,80 41,42 Die Produktion von 1 Tonne AC führt zu einem durchschnittlichen GWP100-Wert von 42,5 kg CO 2 -Äq./ t, während die Produktion von SMA eine durchschnittliche Auswirkung von 81,3 kg CO 2 -Äq./ t hat. Dies entspricht einem Anstieg von 91,4 %. Der niedrigere GWP100-Wert der AC-Mischung lässt sich zum Teil durch den Einsatz von RAP begründen. Die Ergebnisse verschiedener europäischer Ökobilanzen zu AC sind in Tab. 3 aufgeführt. Im Vergleich zu diesen Arbeiten bewegen sich die in dieser Studie berechneten Ergebnisse für AC in der gleichen Größenordnung und liegen am unteren Ende des Spektrums zwischen den Arbeiten von [37] und [39]. Aufgrund des Mangels an öffentlich zugänglichen Studien zu SMA kann kein Vergleich für die Deckschichten durchgeführt werden. Tab. 3 Ergebnisse (GWP100) aus weiteren europäischen Studien basierend auf [37] AC GWP100 [kg CO 2 -Äq./ t] Quelle [37] [39] [40] [41] Wert 41,9* 45,7 46,3* 49,7 *Durchschnittlicher Wert Tab. 4 zeigt einen Vergleich der Ergebnisse für die Binder- und Tragschichten von [37] und [39] mit den Ergebnissen dieser Studie. Insgesamt liegen die für den in den Tragschichten aller Oberbauten verwendeten AC berechneten Ergebnisse um 1,8 % unter den Ergebnissen von [37]. Die gleiche Tendenz wird für das in der Binderschicht des WMA-A-Auf baus verwendete AC beobachtet, das 2,0 % niedriger ist. Die Auswirkung von AC in der Bindemittelschicht des HMA-Oberbaus liegt deutlich näher an den Ergebnissen von [39]. Tab. 4 Vergleich der Ergebnisse (GWP100) für AC zu anderen europäischen Studien Schicht GWP100 aus [37] Relative Änderung [%] GWP100 aus [39] Relative Änderung [%] [kg CO2-Äq./ t] HMA WMA-A [kg CO2-Äq./ t] HMA WMA-A Binderschicht 41,9* 8,07 -2,05 45,7 -0,92 -10,20 Tragschicht 41,9* -2,63 -1,15 45,7 -10,72 -9,37 3.2 Szenario-Analyse Die Heizprozesse in der Mischanlage wurden als ein wichtiger Hotspot für die Herstellung von Asphaltoberbau identifiziert. Das in dieser Ökobilanz verwendete Modell geht von Erdgas als Brennstoffart für diesen Prozess aus, in der Praxis werden jedoch häufig auch Kohlenstaub und Heizöl verwendet [42-44]. Um die Auswirkungen alternativer Brennstofftypen zu untersuchen, werden zwei separate Szenarien betrachtet, in denen die Art des in der Mischanlage verwendeten Brennstoffs von Erdgas auf Kohlenstaub oder Heizöl geändert wird. Der Einfluss der alternativen Brennstoffarten auf die Gesamtbelastung ist in Abb. 6 dokumentiert. Es wird deutlich, dass die Substitution von Erdgas durch Kohlenstaub zu einem erheblichen Anstieg des GWP100 führt. Im Vergleich zum Referenz-Szenario erhöht sich das GWP100 jedes Auf baus im Durchschnitt um 56,7 %. Bei der Betrachtung von Heizöl ist der gleiche Trend beim GWP100 zu beobachten, allerdings weniger ausgeprägt als bei Kohlenstaub (18,5 %). Beide Fälle zeigen, dass die Brennstoffart einen großen Einfluss auf die Umweltleistung von Asphaltbelägen hat. Eine weitere Untersuchung alternativer Brennstoffe könnte zu erheblichen Verbesserungen dieser Konstruktionen führen. Besonders relevant könnte dies für Beläge mit einem hohen RAP-Anteil sein, denn bei höheren RAP-Mengen ist der größte Beitrag auf Heizen zurückzuführen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 45 Umweltleistung von Asphaltmischungen Abb. 6 Relative Änderung des Basisszenarios (Erdgas) im Vergleich zum Einsatz von Kohlenstaub und Heizöl als alternative Heizquellen in A3 3.3 Limitationen der Studie Auf einige Einschränkungen der Studie soll eingegangen werden. Erstens mangelt es an Primärdaten aus der deutschen Asphaltindustrie, insbesondere zum Herstellungsprozess von Asphaltmischungen. Dies führt dazu, dass die Untersuchung auf einer theoretischen Fallstudie basiert, die sich stark auf Sekundärdaten stützt. Viele dieser Daten sind alt, was sich negativ auf die zeitliche Repräsentativität und die Genauigkeit der Ergebnisse auswirkt. Darüber hinaus gibt es zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts nach bestem Wissen der Autoren kein deutsches PCR. Sowohl die NOals auch die NL-PCR boten eine solide Grundlage für viele methodische Entscheidungen dieser Studie, aber diese Dokumente basieren auf unterschiedlichen Markt- und Gesetzesrahmen und beschreiben in einigen Fällen den deutschen Kontext möglicherweise nicht genau. Als Beispiel sei das vereinfachte EA-Modell des NL-PCR genannt, das die Berechnung der Auswirkungen in Modul A3 mit begrenzten Daten ermöglicht. Dabei handelt es sich jedoch um ein „Black Box“-Modell, dessen genaue Funktionsweise nicht an die deutsche Realität angepasst werden kann. In dieser Studie beschränkt sich die Wirkungsabschätzung auf die Untersuchung von GWP100. Während GWP100 in der internationalen Forschung eine häufig bewertete Wirkungskategorie ist, sind die Produktion und der Bau von Asphaltbelägen für zahlreiche Umweltauswirkungen verantwortlich, die über den Klimawandel hinausgehen. In ähnlicher Weise umfasste die durchgeführte Ökobilanz die Lebenszyklusphasen Rohstoffgewinnung, Transport zur Asphaltmischanlage, Asphaltmischung, Transport zur Baustelle und Einbau. Diese Betrachtung ermöglichte zwar den Vergleich des Oberbaus als Ganzes und nicht nur auf Mischungsbasis, erschwerte aber die direkte Vergleichbarkeit der Ergebnisse mit anderen Untersuchungen. Die überwiegende Mehrheit der Studien, einschließlich der für die Modellvalidierung verwendeten Studien, wird mit einem Cradle-to-Gate-Ansatz (Module A1-A3) durchgeführt. Diese Studien beziehen sich auf eine deklarierte Einheit und erfordern eine weitere Umwandlung der Ergebnisse, bevor ein Vergleich vorgenommen werden kann. Das Gleiche gilt für Cradle-to-Grave-Studien (vollständiger Lebenszyklus) von Asphaltbelägen, da diese häufig einen zeitlichen Aspekt in die funktionelle Einheit einbeziehen, indem sie eine Referenzlebensdauer vorsehen. 4. Schlussfolgerungen und Ausblick Mit dieser Studie sollten zwei Fragestellungen untersucht werden. Einerseits wird untersucht, ob die niedrigeren Produktions- und Einbautemperaturen von WMA zu einer besseren Umweltleistung im Vergleich zu HMA führen. Andererseits sollten die Hotspots bei der Herstellung und dem Einbau von Asphaltkonstruktionen ermittelt werden. Zu diesem Zweck wurde eine Ökobilanz mit Schwerpunkt auf GWP100 für zwei Asphaltauf bauten durchgeführt. Zunächst wurde eine Fallstudie bewertet, die als Grundlage für die Sachbilanz diente und unter Verwendung eines kombinierten Ansatzes der in den NO- und NL-PCR definierten Rahmenbedingungen durchgeführt wurde. Es hat sich gezeigt, dass die Gewinnung von Rohstoffen und die Herstellung von Asphaltmischungen in der Mischanlage die höchsten Umweltauswirkungen für GWP100 haben. Insbesondere die Herstellung von bituminösen Bindemitteln sowie die Erhitzungsprozesse in der Asphaltmischanlage weisen die höchsten Einzelwerte auf. Unter Berücksichtigung der definierten Systemgrenzen scheint der Vorteil von WMA in Bezug auf die Umweltleistung gering zu sein. Diese geringe Verbesserung wird teilweise durch die Auswirkungen der Additivherstellung ausgeglichen. Dennoch wurden soziale Aspekte, wie z. B. die positiven Auswirkungen der Temperaturabsenkung auf die Arbeitsbedingungen der Asphaltarbeiter, in dieser 46 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen Arbeit nicht berücksichtigt. Diese Aspekte könnten sich zukünftig als entscheidende Faktoren erweisen. Einige der Einschränkungen dieser Studie könnten in der Zukunft überwunden werden. So wäre beispielsweise die Entwicklung eines deutschen PCR für die Asphaltherstellung ein guter Ausgangspunkt. Durch die Festlegung methodischer Aspekte von Ökobilanzen, wie z.B. Methoden der Wirkungsabschätzung, Systemgrenzen oder die funktionelle Einheit, kann die Robustheit und Vergleichbarkeit der durchgeführten Studien verbessert werden. Insbesondere die Einbeziehung von Referenzszenarien der Industrie, ähnlich denen, die in den NL-PCR definiert sind, würde LCA-Experten dabei unterstützen, bestehende Datenlücken zu schließen Ein weiterer zu untersuchender Aspekt ist der Einfluss des RAP-Gehalts auf die Umweltleistung, da dieser Faktor die Menge an neuem Bindemittel, die in Mischungen benötigt wird, stark beeinflusst. Darüber hinaus könnte die Erforschung alternativer Brennstoffe oder Heizverfahren für die Trocknung und Erwärmung von Gesteinskörnungen ebenfalls zu ökologischen Verbesserungen führen. Literatur [1] European Statistical Office (Eurostat). “Greenhouse gas emission statistics: Air emissions accounts.” https: / / ec.europa.eu/ eurostat/ statistics-explained/ index.php? title=Greenhouse_gas_emission_statistics_-_air_emissions_accounts#Analysis_by_economic_activity (Zugriff am: 21. Nov. 2022). [2] European Environment Agency (EEA). “Greenhouse Gas Emissions from Transport in Europe.” https: / / www.eea.europa.eu/ ims/ greenhouse-gasemissions-from-transport (Zugriff am: 21. Nov. 2022). [3] The World Bank Group, “Transport: Greenhouse Gas Emissions Mitigation in Road Construction and Rehabilitation: A Toolkit for Developing Countries,” The International Bank for Reconstruction and Development / The World Bank Group, Washington D.C., Jun. 2011. [4] M. M. Villani, C. Kasbergen, A. Scarpas und D. Lo Presti, “Mechanistic procedure for parameter determination of multiplicative decomposition based constitutive models,” International Journal of Pavement Engineering, Nr. 18, 2015, Art. Nr. 5, doi: 10.1080/ 10298436.2015.1088154. [5] I. Widyatmoko, “Sustainability of bituminous materials,” in Sustainability of Construction Materials, Woodhead Publishing, Hg., 2. Aufl. Elsevier, 2016, S. 343-370. [6] EAPA. “What is Asphalt - EAPA.” https: / / eapa.org/ what-is-asphalt/ (Zugriff am: 3. Jul. 2022). [7] EAPA. “Asphalt in Figures key figures of the European asphalt industry.” https: / / eapa.org/ asphaltin-figures/ (Zugriff am: 15. Jul. 2022). [8] M. Marzouk, E. M. Abdelkader, M. El-zayat und A. Aboushady, “Assessing Environmental Impact Indicators in Road Construction Projects in Developing Countries,” Sustainability, Jg. 9, Nr. 5, S. 843, 2017, doi: 10.3390/ su9050843. [9] J. T. Harvey, J. Meijer, H. Ozer, I. L. Al-Qadi, A. Saboori und A. Kendall, “Pavement Life Cycle Assessment Framework,” Applied Pavement Technology, Washington D.C., Jul. 2016. [Online]. Verfügbar unter: https: / / rosap.ntl.bts.gov/ view/ dot/ 38470 [10] Environmental Management: Life cycle assessment - Principles and framework, ISO 14040: 2006 + Amd 1: 2020, ISO, Feb. 2021. [11] L. Jacquemin, P.-Y. Pontalier und C. Sablayrolles, “Life cycle assessment (LCA) applied to the process industry: a review,” Int J Life Cycle Assess, Jg. 17, Nr. 8, S. 1028-1041, 2012, doi: 10.1007/ s11367-012-0432-9. [12] Environmental management: Life cycle assessment - Requirements and guidelines, ISO 14044: 2006 + Amd 1: 2017 + Amd 2: 2020, ISO, Feb. 2021. [13] Y. Huang, R. Bird und O. Heidrich, “Development of a life cycle assessment tool for construction and maintenance of asphalt pavements,” Journal of Cleaner Production, Jg. 17, Nr. 2, S. 283-296, 2009, doi: 10.1016/ j.jclepro.2008.06.005. [14] C. Holldorb und M. Meisenzahl, “Ökoprofil für Asphalt- und Betonbauweisen von Fahrbahnen,” Deutscher Asphaltverband e.V. (DAV), Karlsruhe, Nov. 2003. [Online]. Verfügbar unter: http: / / geroldheins.de/ Downloads/ Huebner-Lee/ oekoprofilasphalt.pdf [15] D. L. Vega A., J. Santos und G. Martinez-Arguelles, “Life cycle assessment of hot mix asphalt with recycled concrete aggregates for road pavements construction,” International Journal of Pavement Engineering, Jg. 23, Nr. 4, S. 923-936, 2022, doi: 10.1080/ 10298436.2020.1778694. [16] T. M. Gulotta, M. Mistretta und F. G. Praticò, “A life cycle scenario analysis of different pavement technologies for urban roads,” The Science of the total environment, Early Access. doi: 10.1016/ j.scitotenv.2019.04.046. [17] Y. H. Huang, Pavement design and analysis, 2. Aufl. Upper Saddle River, NJ: Pearson Prentice Hall, 2004. [18] P. RENKEN, S. BÜCHLER, A. C. FALCHET- TO, Di WANG und M. P. WISTUBA, “Warm Mix Asphalt - A German Case Study,” Asphalt Paving Technology 2018, Volume 87, 2018, doi: 10.12783/ aapt2018/ 33821. [19] J.-M. Croteau und B. Tessier, “Warm Mix Asphalt Paving Technologies: a Road Builder’s Perspective,” in 2008 Annual Conference of the Transportation Association of Canada. [Online]. Verfügbar unter: https: / / trid.trb.org/ view/ 877088 [20] EAPA. “The use of Warm Mix Asphalt: EAPA - Position Paper.” https: / / eapa.org/ download/ 14943/ (Zugriff am: 4. Aug. 2022). [21] H. C. Brandt und P. C. Groot, “A laboratory rig for studying aspects of worker exposure to bitumen fumes,” American Industrial Hygiene Associa- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 47 Umweltleistung von Asphaltmischungen tion journal, Jg. 60, Nr. 2, S. 182-190, 1999, doi: 10.1080/ 00028899908984433. [22] J. G. Backes, P. Del Rosario, A. Luthin und M. Traverso, “Comparative Life Cycle Assessment of End-of-Life Scenarios of Carbon-Reinforced Concrete: A Case Study,” Applied Sciences, Jg. 12, Nr. 18, S. 9255, 2022, doi: 10.3390/ app12189255. [23] Sustainability of construction works: Environmental product declarations - Core rules for the product category of construction products, EN 15804: 2012 + A2: 2019 + AC: 2021, CEN, Mrz. 2022. [24] A. Passer et al., “Environmental product declarations entering the building sector: critical reflections based on 5 to 10 years experience in different European countries,” Int J Life Cycle Assess, Jg. 20, Nr. 9, S. 1199-1212, 2015, doi: 10.1007/ s11367- 015-0926-3. [25] P. Del Rosario, E. Palumbo und M. Traverso, “Environmental Product Declarations as Data Source for the Environmental Assessment of Buildings in the Context of Level(s) and DGNB: How Feasible Is Their Adoption? ,” Sustainability, Jg. 13, Nr. 11, S. 6143, 2021, doi: 10.3390/ su13116143. [26] T. Kruk und L. Overmars. “Product Category Rules voor bitumineuze materialen in verkeersdragers en waterwerken in Nederland: PCR Asfalt.” https: / / www.bouwendnederland.nl/ media/ 12923/ pcr-asfalt-v20.pdf (Zugriff am: 2. Aug. 2022). [27] H. Hauan et al. “Product category rules: NPCR 025: Part B for Asphalt.” https: / / www.epd-norge. no / getf ile.php/ 1322349- 1643017006/ PCRer/ N P C R % 2 0 0 2 5 % 2 0 2 0 2 2 % 2 0 P a r t % 2 0 B % 2 0 for%20Asphalt%20ver2-2022.pdf (Zugriff am: 10. Aug. 2022). [28] FGSV, Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen: RStO 12, 2012. Aufl. (FGSV 499 : R1). Köln: FGSV-Verl., 2012. [29] “Zusätzliche technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt: ZTV Asphalt-StB 07/ 13,” FGSV, Köln, Rep. FGSV-799, 2013. [30] PRé Sustainability B.V., SimaPro (9.1.0.8). [31] Eurobitume, Life Cycle Inventory: Bitumen, 2. Aufl. Brussels, Belgium: European Bitumen Association, 2012. Zugriff am: 19.08.22. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.eurobitume.eu/ fileadmin/ pdfdownloads/ LCI%20Report-Website-2ndEdition- 20120726.pdf [32] Eurobitume, The Eurobitume Life-Cycle Inventory for Bitumen (Version 3.1), 3. Aufl. Brussels, Belgium: European Bitumen Association, 2020. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.eurobitume.eu / fileadmin/ Feature/ LCI/ EUB2975.001_LCI_Update_2020_01_LR_pages.pdf [33] BReg, Neufassung der Ersten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA Luft): TA Luft, 2021. Zugriff am: 22.08.22. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de / bsvwvbund_ 18082021_IGI25025005.htm [34] C. Heidt, H. Helms, C. Kämper und J. Kräck, “Aktualisierung der Modelle TREMOD/ TREMOD- MM für die Emissionsberichterstattung 2020 (Berichtsperiode 1990-2018): Berichtsteil „TRE- MOD-MM“,” Dessau-Roßlau, Germany, 2020. Zugriff am: 22.08.22. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ files/ medien/ 1410/ publikationen/ 2020-06-29_texte_117-2020_tremod_mm_0.pdf [35] G. Sollazzo, S. Longo, M. Cellura und C. Celauro, “Impact Analysis Using Life Cycle Assessment of Asphalt Production from Primary Data,” Sustainability, Jg. 12, Nr. 24, S. 10171, 2020, doi: 10.3390/ su122410171. [36] A. L. Belc, A. Ciutina, R. Buzatu, F. Belc und C. Costescu, “Environmental Impact Assessment of Different Warm Mix Asphalts,” Sustainability, Jg. 13, Nr. 21, S. 11869, 2021, doi: 10.3390/ su132111869. [37] S. Kytzia und T. Pohl, “Ökobilanz der Herstellung von Asphaltbelägen,” Straße und Autobahn, Themenheft Asphaltrecycling, Jg. 08/ 2021, S. 641-652, 2021. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.utechag.ch/ fileadmin/ user_upload/ Umweltberatungen/ OEkobilanz_von_Asphaltbelaegen.pdf [38] D. L. Vega A., M. A. Gilberto und dos Santos, Joao M. O., “Life Cycle Assessment of Warm Mix Asphalt with Recycled Concrete Aggregate,” IOP Conf. Ser.: Mater. Sci. Eng., Jg. 603, Nr. 5, S. 52016, 2019. doi: 10.1088/ 1757-899X/ 603/ 5/ 052016. [Online]. Verfügbar unter: https: / / iopscience.iop.org/ article/ 10.1088/ 1757-899X/ 603/ 5/ 052016/ meta [39] USIRF, “Environmental Product Declaration from Cradle to Gate: Production of hot mix asphalt concrete representative of the French market,” French Union of Road Industry Associations (USIRF), 2016. Zugriff am: 10. September 2022. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.routesdefrance.com / wp-content/ uploads/ 4-20160113_EPD_USIRF_ hot-mix-asphalt-production-final-version.pdf [40] A. Butt, “Life Cycle Assessment of Asphalt Pavements including the Feedstock Energy and Asphalt Additives,” KTH, School of Architecture and the Built Environment (ABE), Transport Science, Highway and Railway Engineering, Stockholm, Sweden, 2012. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.diva-portal.org / smash/ get/ diva2: 556427/ FULLTEXT01.pdf [41] J. Liechti et al., “Research package PLANET EP-2: Life cycle assessment of warm mix asphalt,” Bundesamt für Strassen (ASTRA), Bern, Switzerland, 2017. Zugriff am: 10. September 2022. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.mobilityplatform.ch / fileadmin/ mobilityplatform/ normenpool/ 21664_ 1586_Inhalt.pdf [42] Comaco, “Asphalt Mixing Plants,” Comaco, Gelnhausen, Germany. Zugriff am: 6. September 2022. 48 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Umweltleistung von Asphaltmischungen [Online]. Verfügbar unter: http: / / www.comaco.de/ uploads/ media/ image_booklet_ENG_01.pdf [43] Benninghoven, “Transportable Asphalt Mixing Plants: Type TBA,” BENNINGHOVEN GmbH & Co. KG, Wittlich, Germany. Zugriff am: 6. September 2022. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www. wirtgen-group.com/ binary/ full/ o6692v95_Brochure_Asphalt_Mixing_Plants_TBA_EN.pdf [44] Streicher. “Production of asphalt mixtures and special asphalts.” https: / / www.streicher.de/ en/ business-sectors/ raw-construction-material/ asphalt-mixing-plants (Zugriff am: 9. Jun. 2022). 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 49 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Amina Wachsmann, M. Eng. Steinbeis-Transferzentrum, Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen (IMV), Karlsruhe Zusammenfassung Seit nun mehr als 35 Jahren steht fest: Die Treibhausgasemissionen müssen reduziert werden, um einen Beitrag zur Eindämmung der menschengemachten Klimaveränderung zu leisten. Klar ist auch, dass sich unser Handeln zudem in mannigfaltiger Art und Weise auf uns, unsere Gesellschaft und unseren Planeten auswirkt. Um ökologische Auswirkungen darzulegen, kann beispielsweise die Methodik der Ökobilanzierung anwendet werden. Diese kann dann neben Ergebnissen für Ökonomie und Soziales für eine umfassende Nachhaltigkeitsbewertung genutzt werden. Dieser Beitrag soll vor allem Perspektiven hin zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau aufzeigen. Hierbei wird beispielsweise auf die Fokussierung auf Treibhausgasemissionen, die manchmal etwas zu vereinfachte Betrachtung von temperaturabgesenktem Asphalt sowie die Schwächen und Stärken öffentlich zugänglicher Datensätze eingegangen. Es wird aufgezeigt, wo Weiterentwicklungspotenzial besteht und welche Vorteile aus einer solchen Weiterentwicklung entstehen können. 1. Einführung Bereits im Jahr 1972 veröffentlichte der sogenannte Club of Rome seinen Bericht über die „Grenzen des Wachstums“. [1] In diesem wurde dargelegt, dass eine weitere Zunahme des Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums zu drastischen Engpässen bei den natürlicher Ressourcen führen und die Zukunft des Planeten und der Menschheit gefährde. [1] Im „Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht“ [2] der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1985 wurde der Entschluss niedergeschrieben „ die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor schädlichen Auswirkungen von Veränderungen der Ozonschicht zu schützen“ [2] indem geeignete Maßnahme getroffen werden sollten. Fast vier bzw. fünf Jahrzehnte nach diesen Feststellungen bzw. Festlegungen steht die Menschheit weiterhin vor der Herausforderung ihr eigenes Handeln ändern zu müssen, um ihr Überleben zu sichern und auch künftigen Generationen die Möglichkeit einzuräumen auf intakte Ökosysteme und fossile Ressourcen zurückzugreifen. Die Notwendigkeit des Handelns wird dabei seit dem Jahr 2022 auch durch die Anerkennung des Menschenrechtes „auf eine gesunde und nachhaltige Umwelt“ [3] von den Vereinten Nationen unterstrichen. Ein Hauptfokus liegt aktuell auf der Eindämmung der Treibhausgasemissionen und da auf der Einhaltung des 1,5 °C Ziels. Die Auswirkungen des nicht Einhaltens des 1,5-°C-Ziels werden als dramatisch eingestuft (vgl. Tab.-1). Um das 1,5-°C-Ziel bzw. das 2,0-°C-Ziel zu erreichen, ist es notwendig, dass in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen tiefgreifende Veränderungen stattfinden. Tab.-1: Auswirkungen einer Klimaerwärmung von 1,5 °C im Vergleich zu einer Klimaerwärmung von 2,0 °C [4] Auswirkungen 1,5 °C Klimaerwärmung 2,0 °C Klimaerwärmung Artensterben 6 % der Insekten 8 % der Pflanzen 4 % der Wirbeltiere 18 % der Insekten 16 % der Pflanzen 8 % der Wirbeltiere Korallensterben min. 70 % aller Korallenriffe bis 2050 quasi alle Korallenriffe bis 2050 Hochwasser 100 % höheres Risiko 170 % höheres Risiko Extreme Hitze 9 % der Weltbevölkerung mindestens einmal alle 20 Jahre 28 % der Weltbevölkerung mindestens einmal alle 20 Jahre Dürreperioden und Wassermangel 50 Millionen Menschen im urbanen Raum 410 Millionen Menschen im urbanen Raum Gletscherschmelze 50 % der Gletscher von 2015 60 % der Gletscher von 2015 Verlust des Arktisches Meereises Alle 100 Jahre ein eisfreier Sommer in der Arktis Alle 10 Jahre ein eisfreier Sommer in der Arktis Anstieg Meeresspiegel - + 10 cm bis 2.100 und dadurch 10 Millionen mehr Menschen betroffen (Basisjahr der zugrundeliegenden Bevölkerung: 2010) 50 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Auch die Straßen, die beispielsweise in Deutschland für die Abwicklung eines Großteils des Personen- und Güterverkehrs genutzt werden [5], sind als Teil der Infrastruktur ein Bereich mit Handlungsbedarf. Inzwischen ist das deutsche Straßennetz größtenteils ausgebaut, muss aber stetig erneuert und instandgehalten werden, um seiner Funktion - einzelne Räume miteinander zu verbinden und erreichbar zu machen - gerecht zu werden. [5; 6] Um dies zu erreichen, müssen stetig Baumaterialien und Energie eingesetzt werden, was wiederum Umweltauswirkungen mit sich bringt. Der vorliegende Beitrag soll anhand des Asphaltoberbaus von Verkehrsflächen aufzeigen, warum die Betrachtung ganzer Lebenszyklen relevant ist und wie Umweltwirkungen in der Ökobilanzierung definiert werden. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden anschließend generelle Anforderungen im Asphaltstraßenbau in Bezug auf ökologische Aspekte dargelegt, um anschließend auf einzelne Einflussfaktoren im Bereich des Asphaltstraßenbaus einzugehen. Der Beitrag endet mit der Zusammenfassung der Ergebnisse sowie einem Ausblick, wie der Asphaltstraßenbau zukünftig ökologischer und damit zukunftsfähig werden kann. 2. Lebenszyklus, Ökobilanzierung für den Straßenoberbau Als Umweltwirkungen werden in [7] die von einem Produkt ausgehenden Wirkungen auf die natürliche Umwelt, die menschliche Gesundheit und die Ressourcen definiert, wobei unter dem Begriff Produkt „jede Ware oder Dienstleistung“ [7] verstanden wird. Um einen Überblick über die Umweltauswirkungen eines Produktes zu erhalten, sollte stets der gesamte Lebenszyklus („Von der Wiege bis zur Bahre“) betrachtet werden (vgl. Tab.-2). [7] Der Lebenszyklus eines Straßenoberbaus kann dabei wie in Tab.- 2 unterteilt werden. Die Planungsphase (Informationsmodul A0) kann in der Regel beim alleinigen Betrachten des Straßenoberbaus vernachlässigt werden, da davon auszugehen ist, dass diese keinen signifikanten Einfluss auf die Umweltauswirkungen des Straßenoberbaus aufweist. Die materialspezifischen Umweltauswirkungen, die durch den Straßenoberbau generiert werden, sind vielmehr in den Phasen Herstellung, Errichtung und Entsorgung anzusiedeln. Gerade in der Herstellungsphase (Informationsmodul A1 bis A3) kann durch die gezielte Modifikation der Materialzusammensetzung sowie die bewusste Auswahl der Herstelltemperatur für das Mischgut ein signifikanter Einfluss auf die Umweltauswirkungen des zu errichtenden Straßenoberbaus genommen werden (vgl. [8; 9]). Auch Transportentfernungen, das gewählte Transportmittel, die für den Ein- und den späteren Ausbauprozess eingesetzten Baumaschinen sowie die Wiederverwendbarkeit des Materials leisten einen Beitrag zu den Umweltauswirkungen eines Straßenoberbaus. Während der Nutzungsphase eines Straßenoberbaus müssen in unregelmäßigen Abständen Instandsetzungs- und Austauschmaßnahmen vorgenommen werden. Diese Maßnahmen können wiederum über die Informationsmodule A1 bis A5 sowie C1, C2 und ggf. C4 beschrieben werden. Das Modul C3 wurde in der Grafik bewusst nicht als berücksichtigtes Modul gekennzeichnet, da die Auf bereitung von beispielsweise Asphaltgranulat ebenso dem Informationsmodul A1 zugerechnet werden kann. Durch diesen Ansatz wird eine Mehrfachbilanzierung der Umweltauswirkungen bei der Auf bereitung vermieden. Die Informationsmodule B3 und B4 können wiederrum über die Informationsmodule A1 bis A5 sowie je nach Maßnahmenart optional zusätzlich über die Informationsmodule C1, C2 und C4 beschrieben werden. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 51 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Tab.-2: Informationsmodule zur Untersuchung eines gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt in Anlehnung an [10; 11] Informationen zur Bewertung des gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt Lebenszyklus des gebundenen Verkehrsflächenoberbaus aus Asphalt Ergänzende Informationen außerhalb des Lebenszyklus Phasenbezeichnung Planungsphase Herstellungsphase Errichtungsphase Nutzungsphase Entsorgungsphase Vorteile und Belastungen jenseits der Systemgrenzen Informationsmodul A0 A1 A2 A3 A4 A5 B1 B2 B3 B4 B5 C1 C2 C3 C4 D Nicht-physische Prozesse vor der Errichtung: Voruntersuchungen, Ex-pertisen, Erwerb von Bauland, Planung Rohstoffgewinnung/ -herstellung Transport zur Asphaltmischanlage Herstellung des Asphaltmischguts (Mischanlage) Transport des Mischguts zur Baustelle Einbau des Asphaltmischguts Nutzung installierter Produkte Instandhaltung Instandsetzung Austausch Modernisierung Abbruch bzw. Ausbau von Asphaltschichten Transport des Ausbauasphalts zur Asphaltmischanlage oder Deponie Abfallauf bereitung für Wiederverwendung, Rückgewinnung und Recycling Entsorgung D1 Nettoflüsse aus Wiederverwendung, Recycling, Energierückgewinnung und anderen Verwertungsverfahren B6 Betrieblicher Energieeinsatz D2 Exportierte Versorgungsmedien (z. B. Energie, Trinkwasser B7 Betrieblicher Energieeinsatz B8 Nutzeraktivitäten cradle-to-gate - Von der Wiege bis zum Werkstor cradle-to-cradle - Von der Wiege bis zur Wiege cradle-to-grave - Von der Wiege bis zur Bahre Berücksichtige Module Indirekt berücksichtige Module Begrifflichkeiten zur Beschreibung des betrachteten (Teil-)Lebenszyklus Um Umweltauswirkungen von Produkten zu beschreiben, kann beispielsweise die Methode der Ökobilanzierung (englisch: Life Cycle Assessment (LCA)) angewendet werden. Bei der Ökobilanzierung handelt es sich um eine in den ISO 14040 beschriebene iterative Methode, mit Hilfe derer die Umweltauswirkungen eines Produktes entlang des gesamten Lebenszyklus abgebildet werden können. [7] Diese Methode wird auch bei der Environmental Product Declaration (EPD), auch Typ-III- Umweltdeklaration oder Umweltproduktdeklaration genannt, angewendet. Diese EPDs „stellen qualifizierte umweltbezogene Informationen aus dem Lebenszyklus eines Produktes zur Verfügung, um damit Vergleiche zwischen Produkten gleicher Funktion zu ermöglichen“ [12]. Soll eine Nachhaltigkeitsbewertung für ein Produkt durchgeführt werden, können die Ergebnisse einer Ökobilanz die Dimension Ökologie abbilden. Die Dimensionen Soziales und Ökonomie müssen jedoch zusätzlich betrachtet werden, um von einem nachhaltigen Produkt sprechen zu können und den Begriff der Nachhaltigkeit nicht als „Catch-all-Kategorie“ [13] zu verwenden. 3. Generelle Anforderungen im Straßenbau in Bezug auf ökologische Aspekte Mit der oben dargestellten Methode der Ökobilanzierung können unterschiedliche Produkte in Hinblick auf ihre Umweltauswirkung betrachtet und miteinander verglichen werden. Solche informationsmodulbezogenen Berechnungsergebnisse bieten folgende Möglichkeiten: 1. Durch die Darstellung der Prozesse anhand von Informationsmodulen kann das allgemeine Prozessverständnis generiert bzw. gestärkt werden. 2. Die Darstellung der Prozesse in Verbindung mit den dazugehörigen In- und Outputflüssen verdeutlicht den Beitrag einzelner Module und Materialien an der gesamten Umweltauswirkung eines Produktes über den gesamten Lebenszyklus. 3. Anhand der differenzierten Ergebnisdarstellung kann dem Anwender verdeutlicht werden, an welchen Stellen im Prozess ein Verbesserungspotenzial vorliegt. 4. Anhand der differenzierten Ergebnisdarstellung kann dem Anwender verdeutlicht werden, dass es gegebenenfalls keine optimale Variante für alle Umweltaus- 52 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau wirkungen gibt. Eine Variante weist z.-B. ein höheres Treibhauspotenzial auf, während die andere Variante ein höheres Eutrophierungspotenzial mit sich bringt. Damit die Erkenntnisse über die Umweltauswirkungen eines bzw. mehrerer Produkte als Basis für eine datenbasierte Entscheidungsunterstützung genutzt werden können, ist es notwendig, dass diese Daten zur Verfügung stehen. Dies ist aktuell in Deutschland nicht der Fall und ist in Hinblick auf einen ökologischeren und auch nachhaltigeren Straßenbau zu beheben. In den ÖKOBAUDAT [14], einer durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat zur Verfügung gestellte Plattform, werden zwar generell regelmäßig aktualisierte „Ökobilanz-Datensätze zu Baumaterialien, Bau-, Transport-, Energie- und Entsorgungsprozessen“ [14] kostenlos zur Verfügung gestellt, für den Suchbegriff Asphalt in Bezug auf den Straßenbau sind dort jedoch lediglich fünf Datensätze verfügbar (vgl. Abb.-1). [15] Bei diesen fünf Datensätzen handelt es sich um generische Datensätze, d.-h., dass beispielsweise ein einziger Datensatz Asphaltbinderschichten repräsentativ beschreiben soll. Des Weiteren sind in den Datensätzen vor allem Auffälligkeiten in Bezug auf den technologischen Erfassungsbereich und die Repräsentativität zu erkennen (vgl. Tab.-3). Abb.-1: Verfügbare Datensätze in der ÖKOBAUDAT zum Suchbegriff Asphalt (konform zur [16]) [15] 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 53 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Tab.-3: Überprüfungsergebnisse der Asphalt-Datensätzen aus den ÖKOBAUDAT [15] bewertet mit „in Ordnung“ ( ) und „nicht in Ordnung“ ( ) Betrachtete Datensätze: Gussasphalt / Splittmastixasphalt SMA / Asphaltbinder / Asphalttragschicht / Tragdeckschicht Bewertung Anforderung nach der [17] bzw. auf Grundlage der [7] Funktionale/ deklarierte Einheit 1,0-kg Systemgrenze Cradle-to-Gate mit Optionen (Module A1, A2, A3, A5, C1, C2 und D (vgl. Tab.-2)) Annahmen • 3-% Materialverlust in Modul D à wobei eine Begründung für die Annahme fehlt • Gutschrift für ausgebautes Material à wird allgemein kontrovers diskutiert (vgl. [18]) • 50 km Transport von Ausbaumaterial zu einem Asphaltmischwerk (Modul C2) für generischen Datensatz i.-O. Einschränkungen Generischer Datensatz ggf. Art der kritischen Prüfung Abhängige interne Überprüfung durch Sphera Solutions GmbH Unabhängige externe Überprüfung durch GaBi user forum Anforderungen an die Datenqualität Zeitlicher Erfassungsbereich Referenzjahr 2021 Geografischer Erfassungsbereich Deutschland Technologischer Erfassungsbereich Auffälligkeiten: • Materialzusammensetzung: nicht dargelegt, keine Berücksichtigung von Asphaltgranulat (aber Gutschrift für ausgebautes Material (siehe Annahmen)) • Bitumen: Annahme des unteren Heizwertes anstatt der durch [19] herausgegebenen Daten; keine Berücksichtigung Polymermodifizierter Bitumen (z.-B. in SMA) • Heizenergie Mischwerk: leichtes Heizöl • Maschine für den Einbau der Asphaltschicht: Radlader • Lediglich A-Module in Flussdiagramm dargestellt, aber Module C1 und D sollen ebenfalls berücksichtigt worden sein • Meiselverbrauch (Modul C1) bilanziert, aber der Verschleiß anderer Maschinen nicht • Kein Transport des Asphaltmischguts zur Baustelle (Modul A4), aber Transport nach Asphaltausbau zum Mischwerk (Modul C2) Präzision Sicherheitszuschläge: 20-% Vollständigkeit - keine Einschätzung anhand der vorhandenen Informationen möglich - - Repräsentativität • Geographisch: Deutschland • Zeitlich: Jährlicher Durchschnitt • Technologisch: In Deutschland wird als Hauptenergieträger zum Erreichen der hohen Temperaturen in den Asphaltmischwerken größtenteils Braunkohlestaub verwendet, in dem Datensatz wurde jedoch leichtes Heizöl angenommen Konsistenz - keine Einschätzung anhand der vorhandenen Informationen möglich - - Vergleichspräzision - keine Einschätzung anhand der vorhandenen Informationen möglich (siehe Auffälligkeiten unter Technologischer Erfassungsbereich) - - Datenquellen Angaben verfügbar Unsicherheit der Informationen siehe oben in Tabelle unter Annahmen, Technologischer Erfassungsbereich, Repräsentativität - 54 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau 4. Big Points bei der Bilanzierung von Straßenoberbauten Auch wenn repräsentative Datensätze erstellt werden, sind diese nicht als statisch zu betrachten. Nachfolgend sind einige Punkte dargelegt, die einen Einfluss auf die einem Asphalt zuzuordnenden Umweltauswirkungen haben können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die aktuell, aufgrund der Klimakrise, im Fokus stehenden, durch den Menschen verursachten Emissionen von Treibhausgasen lediglich ein Faktor der in einer Ökobilanz zu berücksichtigenden Indikatoren für die Umweltauswirkungen eines Produktes sind. Werden beispielsweise bei der Betrachtung eines Straßenoberbaus nur die einer Schicht zuzuordnenden Treibhausgasemissionen berücksichtigt, stellt ggf. das Vermeiden der Schichterneuerung das Optimum dar. Diese vereinfachte Betrachtung ist jedoch nicht zielführend, da weder der Werterhaltung noch der Verkehrssicherungspflicht folge getragen werden würde. Auch die ursprüngliche Benutzbarkeit bzw. Funktionsfähigkeit eines so „erhaltenen“ Straßenabschnittes wäre wohl eher fragwürdig. Dieses etwas drastische Beispiel soll der Sensibilisierung dienen, da die ausschließliche Beschränkung auf die Betrachtung bzw. Beschränkung von Treibhausgasemissionen auch in Hinblick auf Umweltaspekte zu Fehlentscheidungen führen kann. Die Schwierigkeit bei der alleinigen Betrachtung eines Indikators liegt dabei auf der Hand: Andere negative Umweltauswirkungen werden aus dem Auge verloren und ggf. werden zum Abmindern der einem Indikator zuzuordnenden negativen Umweltauswirkungen andere negative Umweltauswirkungen unwissentlich gesteigert. Ein Punkt, der im Bereich des Asphaltstraßenbaus vermehrt zu beobachten ist, dreht sich in Teilen ebenfalls um Treibhausgasemissionen. Durch die Verringerung der Asphalt-Herstelltemperatur werden Energie und damit einhergehend Treibhausgasemissionen eingespart bzw. vermieden. Um trotz abgesenkter Temperaturen die Verarbeitbarkeit des Mischgutes zu gewährleisten (und ggf. weitere Vorteile zu generieren), sind inzwischen mannigfaltig Asphaltzusätze und Sonderbindemittel auf dem Markt erhältlich. [20] Wie bereits [21] feststellte, wird in Studien, die die umweltbezogenen Vorteile solcher Asphaltzusätze oder Sonderbindemittel betrachten, häufig vernachlässigt, dass bei der Herstellung dieser Produkte ebenfalls Materialien und Energie eingesetzt werden müssen, wodurch dem Produkt bereits Umweltauswirkungen zuzurechnen sind. Anstatt dessen werden lediglich die durch die Temperaturabsenkung entstandenen Vorteile in Bezug auf Emissionen und Energie berücksichtigt. Dadurch gibt es ggf. einen Bruch in der Systematik, denn durch das Nicht-Berücksichtigen der Herstellung eines Asphaltzusatzes bzw. Sonderbindemittels werden nicht alle in Tab.-2 als relevant deklarierten Informationsmodule abgedeckt und somit wird ein plausibler Vergleich mit einem konventionell hergestellten Asphalt (keine Temperaturherabsetzung, keine Asphaltzusätze bzw. Sonderbindemittel) unmöglich. Um dies zu vermeiden, ist es notwendig, dass künftig analog zu einem Produktdatenblatt vorausgesetzt wird, dass die Umweltauswirkungen eines Produktes durch den Hersteller bereitgestellt werden. Bei der Temperaturabsenkung kann beispielsweise auch ein weiterer Punkt in Bezug auf die einem herzustellenden Material anzurechnenden Umweltauswirkungen relevant werden: Muss durch die Temperaturreduzierung eine Anpassung des Mischgutprozesses vorgenommen werden, muss dies in der Bilanzierung berücksichtigt werden. Beispielsweise kann es vorkommen, dass zum Erreichen der Homogenität des Mischguts bei verringerten Temperaturen der Mischvorgang verlängert werden muss. Dadurch kann es zu einer Erhöhung des Energieaufwands kommen. Auch die Wiederverwendbarkeit ist ein Faktor, der bei der Verwendung von Asphaltzusätzen zu berücksichtigen ist. Bei Asphalten handelt es sich um Baustoffe die zu rund 95-% (je nach Mischgut variiert dieser Wert) aus Mineralien (Gesteine) und zu rund 5-% aus Bitumen, einem bei der Erdölraffination entstehenden Produkt, bestehen. Durch die Wiederverwendung von Ausbauasphalt kann der Bedarf an Primärmaterialien reduziert werden. Werden Asphalt nun Asphaltzusätze zugegeben, besteht die Gefahr, dass der am Ende der Nutzungsdauer ausgebaute Asphalt nicht wiederverwendbar ist. Gründe für den Ausschluss von Ausbauasphalt können z.-B. folgende sein: • Der verwendete Asphaltzusatz hat die Materialeigenschaften so verändert, dass es bei der Wiederverwendung des Ausbauasphalts in neuen Mischgütern zu Schwierigkeiten kommt (z.-B. unbekanntes oder schlechtes Alterungsverhalten, fehlende Kompatibilität mit Frischbitumen). • Problematische Stoffeigenschaften: Ein heute eingesetzter Asphaltzusatz weist ggf. gesundheits- oder umweltgefährdende Stoffe auf, die nach heutigem Kenntnisstand jedoch noch nicht als solche einzustufen sind (vgl. beispielsweise PAK- und Asbest- Problematik). Wird ein zwischenzeitlich als belastet einzustufender, modifizierter Asphalt zum Ende der Nutzungsdauer ausgebaut, ist dieser besonders zu behandeln, um eine Kontamination unbelasteten Materials zu vermeiden und Schädigungsprozesse gegenüber Mensch und/ oder Umwelt so weit wie möglich zu vermeiden bzw. einzudämmen. Bei der Vielzahl an auf dem Markt verfügbaren Asphaltzusätzen und bislang nicht bekannten zukünftigen Auswirkungen selbiger sowie dem generellen Materialverhalten ist es umso wichtiger, dass Informationen über den Verbleib der Materialien vorgehalten werden. Zum adäquaten Umgang mit derartigen Informationen kann beispielsweise die Methode Building Information Modeling (BIM) angewendet werden. Mit dieser ist es möglich, kontinuierlich Daten zum gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks systematisch vorzuhalten. Neben der Thematik der Wiederverwendung modifizierter Asphalte kommt dem Thema der Wiederverwendung generell eine große Bedeutung zu. Durch die Wiederverwendung wird die Verwendung von Primärmaterialien bestenfalls verringert oder gar vermieden. Dies hat 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 55 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau den Vorteil, dass der Flächenbedarf für die Ressourcengewinnung verringert wird, natürliche Ressourcen geschont werden und Deponieflächen anderweitig verwendet werden können. Der Wiederverwendungsanteil kann durch das Setzen von Anreizen oder dem Stellen von Anforderungen erhöht werden. Beispielsweise zeigt die Stadt Dortmund, dass sie durch die Einführung eines Wertungsvorteils bei der Vergabe eine Erhöhung des Asphaltgranulatanteils in allen Schichten erzielen kann. Der Wertungsvorteil wird dabei wie folgt angewendet: Überschreitet der durch einen Bieter angebotene Asphalt die Standard-Wiederverwendungsanteile der Stadt Dortmund (statistische Werte vergangener Baumaßnahmen) um 20 Masseprozent (verbindlich in einem Formblatt einzutragen und mit dem Angebot abzugeben), wird dem Bieter „… ein Wertungsvorteil von 10 % auf die jeweilige Asphaltposition gewährt“ [22]. Für die hochwertige Wiederverwendung kommt außerdem dem schichtenweisen Fräsen und anschließendem getrennten Lagern eine große Bedeutung zu. Durch die Gewinnung des sortenreinen Asphaltgranulats und der sortenreinen Lagerung kann dieses anschließend hochwertig wiederverwendet werden. Dadurch können neben der Schonung von Primärmaterialien bestenfalls auch Energieeinsparungen und Emissionsvermeidungen erfolgen. Voraussetzung für die Energieeinsparungen und Emissionsvermeidungen ist, dass die Auf bereitung des Ausbaumaterials mit einem geringeren Aufwand sowie geringeren Umweltauswirkungen einhergeht, als dies bei der Gewinnung von Primärmaterialien (Informationsmodul A1) der Fall ist. Ein weiterer Punkt ist das allgemeine Einsparen von Asphaltmischgut und die damit einhergehende Ressourcenschonung. Durch die Vermeidung von Überdimensionierungen bei Straßenoberbauten kann Asphalt eingespart werden, wobei eine Unterdimensionierung ebenfalls nicht zielführend sein kann. Bei der Thematik der Dimensionierung ist ein entscheidender Faktor die Nutzungsdauer und die damit einhergehenden (prognostizierten) Belastungen aus dem Verkehr. Die aktuell in den „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12)“ [23] und in der Regel auch bei der Dimensionierung auf Grundlage der „Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt 09)“ [24] zugrunde gelegte Nutzungsdauer beträgt 30 Jahre. Bereits bei der Prognose für diesen Zeitraum sind etwaige Unsicherheiten enthalten und nicht zu vermeiden. Wird analog zu Ingenieurbauwerken eine Nutzungsdauer von 100 Jahren anvisiert, steigen die Unsicherheiten enorm, da annähernd valide Aussagen über einen so langen Zeitraum zu folgenden Themen in Bezug auf den betrachteten Verkehrsweg nicht möglich sind: 1. Entwicklung des Modal-Splits 2. Entwicklung der Fahrzeugflotten 3. Punktuellere Belastung durch höhere Spurtreue automatisierter Lkw 4. Entwicklung der Verkehrsnachfrage 5. Umweltauswirkungen Dementsprechend ist aufgrund der heutigen Datenlage stets von einer Über- oder Unterdimensionierung auszugehen. Weitere Gründe sprechen gegen eine Verlängerung der geplanten Nutzungsdauer: • Der heutige Stand der Dimensionierung und Materialien wird in 100 Jahren voraussichtlich längst veraltet sein. • Es wird mit heutiger Technik gebaut, wodurch alle zukünftigen Innovationen im Bereich Baumaschinen, Transporte und Mischanlagen nicht berücksichtigt werden können (ggf. erhöhte Umweltauswirkungen als bei Bau mit neuer Technik in x Jahren) Um die Umweltauswirkungen rund um den Asphaltstraßenbau so gering wie möglich zu halten ist der Maschineneinsatz (Baumaschinen, Transporte etc.) so kurz und energieeffizient wie möglich zu gestalten, wobei im besten Fall auf alternative, nachhaltige Antriebe umgestiegen wird bzw. alternative, nachhaltige Energieträger bevorzugt eingesetzt werden sollten. 5. Zusammenfassung und Ausblick In Tab.-4sind die Eingriffsbzw. Entscheidungsmöglichkeiten auf dem Weg hin zu einem ökologischeren Straßenbau zusammengefasst. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die einem Straßenoberbau anzurechnenden Umweltauswirkungen unterschiedlicher Art sind und in der Regel nicht direkt miteinander verglichen werden können. Einige der in Tab.- 4 dargestellten Eingriffsbzw. Entscheidungsmöglichkeiten sind vielleicht nicht sofort umsetzbar und andere wirken auf den Betrachter nur wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Trotzdem wird die Branche am Ende zusammen daran arbeiten müssen alle noch so klein wirkenden Verbesserungen anzugehen, denn auch viele kleine Beiträge können sich zu einem größeren summieren. Deutlich wird auch, dass im Bereich des Straßenbaus noch viele Daten fehlen. Die aktuell in den ÖKOBAU- DAT verfügbaren Datensätze werden auch nach Beheben der dort vorzufindenden Auffälligkeiten keine ausreichende Grundlage für den Vergleich unterschiedlicher Materialien darstellen. Aus diesem Grund werden für alle zu betrachtenden Informationsmodule (A1-A5, (B3, B4), C1-C4) folgende Informationen benötigt: 1. Energieaufwand inkl. Angaben zum Energieträger 2. Produktdeklarationen für Asphaltzusätze und Sonderbindemittel 3. Voraussichtliche Nutzungsdauern Diese benötigten Informationen dienen als Grundlage für EPDs. Die EPDs können beispielsweise materialspezifisch beschrieben werden, wobei nicht nur die materialspezifischen Informationsmodule, sondern alle relevanten Informationsmodule (A1-A5, (B3, B4), C1-C4) zu berücksichtigen sind. Bei den materialspezifischen Informationen kann nach unterschiedlichen Verfahren (z.-B. Heiß- und Warmasphalt), unterschiedlichen Mischgutarten und -sorten differenziert werden. Bei den Mischgutsorten sind wiederum unterschiedliche Mischgutzusammensetzungen zu berücksichtigen. 56 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Die so vorliegenden EPDs könnten dann als Entscheidungsgrundlage für eine umweltfreundliche Beschaffung im Bereich des Straßenbaus dienen. Dazu würden die EPDs gemeinsam mit dem monetären Angebotspreis als Grundlage für die Vergabe von Baumaßnahmen dienen, wobei Angebote ohne EPDs ebenso wie Angebote ohne monetäre Angebotspreise aufgrund der Unvollständigkeit der abgegebenen Angebotsunterlagen nicht gewertet werden würden. Damit dies funktioniert, müssten bereits bei der Ausschreibung die Anforderungen sowie die Wertungshintergründe klar kommuniziert werden. Soll ökologischer Straßenbau gefördert werden, ist das alleinige Betrachten fixer Umweltauswirkungswerte jedoch nicht zielführend. Die voraussichtliche Nutzungsdauer spielt hierbei eine essenzielle Rolle, da die über den Lebenszyklus (beispielsweise einer Schicht) anzurechnenden Umweltauswirkungen beispielsweise in einheitliche Jahresscheiben aufgeteilt werden müssen, um unterschiedliche Produkte miteinander vergleichen zu können. Einen ersten Schritt in diese Richtung macht beispielsweise das Bundesland Bayern mit der Veröffentlichung neuer Vergaberichtlinie. Demnach sollen in Bayern im „Bereich Straßenbau und... Wasserwirtschaft“ [25] künftig „bei der Wertung von Angeboten [neben dem Preis] .. vermehrt umweltbezogene Zuschlagskriterien berücksichtigt werden“ [25]. Als Kriterien dienen zukünftig der Preis (Wichtung: 60 - 70-% von 100-%) sowie der sogenannte Technische Wert (30 - 40-% von 100-%), der aus einer projektspezifischen Auswahl an Unterkriterien besteht. In Bezug auf die ökologische Verbesserung des Asphaltstraßenbaus sind hierbei die folgenden auswählbaren Unterkriterien relevant: kurze Streckensperrungen (bei Einbeziehen von Umleitungsverkehr), Bauprozessmanagement im Asphaltstraßenbau und Nachhaltigkeit (Transportentfernungen, schadstoffarme Transporte, Wiederverwendung von Asphaltgranulat). [25] Tab.-4: Zusammenstellung der Eingriffsmöglichkeiten für einen ökologischeren Straßenbau unterteilt nach den Informationsmodulen (vgl. Tab.-2) Herstellungsphase A1: Rohstoffgewinnung / -herstellung • Bilanzierung aller verwendeten Produkte, um Schadens- und Einsparpotenziale (Prozessoptimierung, alternative Antriebe und Verfahren) zu erkennen und umzusetzen • Transporte auf dem Werksgelände, wo möglich vermeiden bzw. verkürzen • Transporte auf dem Werksgelände mit Fahrzeugen mit alternativem Antrieb durchführen • Emissionen von Prozessen verringern (z.-B. Lärm- und Staubemissionen) A2: Transporte • Bilanzierung der Materialtransporte • Kurze Transportwege • Möglichkeit zur Nutzung umweltfreundlicher Verkehrsmittel? A3: Mischgutherstellung (Asphaltmischanlage) • Abgesenkte Mischguttemperaturen • Transporte auf dem Werksgelände, wo möglich vermeiden bzw. verkürzen • Transporte auf dem Werksgelände mit Fahrzeugen mit alternativem Antrieb durchführen • Energie- und emissionsoptimierte Mischanlagentechnik anwenden • Emissionen von Prozessen verringern (z.-B. Lärm- und Staubemissionen) • Materialien möglichst witterungsgeschützt und sortenrein Lagern Errichtungsphase A4: Transporte vgl. A2 A5: Einbau / Errichtung • Falls möglich, Nutzung alternativer Antriebe • Nutzung von Baumaschinen mit hoher Energieeffizienz • Emissionen von Prozessen/ Baumaschinen verringern (z.-B. Lärmemissionen und Abgase) Nutzungsphase B3, B4: Instandsetzung und Austausch • Wenn möglich, Ausnutzen der technischen Nutzungsdauer • Einbeziehen von ökologischen Aspekten in die Entscheidungsfindung zu geplanten Instandsetzungs- und Austauschmaßnahmen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 57 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau Entsorgungsphase C1: Ausbau vgl. A5 • Schichtenweises Fräsen und sortenreines Lagern als Grundlage für eine hochwertige Wiederverwendung im Sinne des Kreislaufwirtschaftsgesetzes C2: Transporte vgl. A2 C4: Entsorgung In Anlehnung an das Kreislaufwirtschaftsgesetz [26] stellt die Entsorgung die letzte Stufe für den Umgang mit Bauabfällen dar und ist sofern möglich zu vermeiden. Anstatt dessen sind die ausgebauten Materialien so hochwertig wie möglich wiederzuverwenden Allgemeine Optimierungsmöglichkeiten: • Überprüfung der Möglichkeit zur Senkung des Primärmaterialbedarfs • Überprüfung der notwendigen Materialmengen (Vermeidung von Unter- und Überdimensionierungen) • Optimierung von Nutzungsdauern Literatur [1] Pufé, I. (2017): Nachhaltigkeit, 3., überarbeitete und erweiterte Auflage, UVK Verlagsgesellschaft mbH; UVK Lucius, Konstanz, München, 2017; ISBN: 9783838587059 [2] UNEP - United Nations Environment Programme (1985): Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht, Wien, 1985 [3] DGVN - Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (2022): Das Recht auf saubere Umwelt, 11.08.2022, URL: https: / / dgvn.de/ meldung/ dasrecht-auf-saubere-umwelt, Zugriff: 08.12.2022 [4] WWF Österreich (o.D.): Folgen der Klimakrise: 1,5 Grad versus 2 Grad, o.D., URL: https: / / www.wwf.at/ artikel/ folgen-der-klimakrise-15-grad-versus-2-grad/ , Zugriff: 12.12.2022 [5] Radke, S. (2019): Verkehr in Zahlen 2019/ 2020, BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur [6] BMVI - Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2016): Bundesverkehrswegeplan 2030, URL: https: / / www.bmvi.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ G/ bundesverkehrswegeplan-2030-gesamtplan. pdf? __blob=publicationFile, Zugriff: 23.06.2021 [7] DIN EN ISO 14040 (2021): Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2021 [8] Holldorb, C.; Wachsmann, A.; Cypra, S.; Oeser, M.; Carreno Gomez, N.; Zeilinger, M. (2021): Sustainability Assessment of novel performance enhancning chemical bitumen additive, In: Di Benedetto, H. (Hrsg.): Proceedings of the RILEM International Symposium on Bituminous Materials, RILEM book series, Band 27, S. 1727-1733. Springer. Cham, 2021, ISBN: 9783030464547 [9] Brzuska, A.; Cypra, S.; Holldorb, C.; Stöckner, M. (2018): CO₂-Emissionen bei der Straßenerhaltung, In: Straße und Autobahn 69, S. 845-853, Nr. 10/ 2018 [10] DIN EN 17392-1: 2020 (Entwurf) (2020): Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklarationen - Festlegung für Straßenbaustoffe - Teil 1: Asphaltmischgut, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2020 [11] DIN EN 15643: 2021 (2021): Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2021 [12] DIN-EN-ISO-14025: 2011 (2011): Umweltkennzeichnungen und -deklarationen - Typ III-Umweltdeklarationen - Grundsätze und Verfahren, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2011 [13] Müller, C. (2015): Nachhaltige Ökonomie - Ziele, Herausforderungen und Lösungswege, De Gruyter Studium, De Gruyter Oldenbourg, Berlin, 2015; ISBN: 9783110413861 [14] BBSR - Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2019): ÖKOBAUDAT - Grundlagen für die Gebäudeökobilanzierung, Zukunft Bauen - Forschung für die Praxis, Band 09, 2. Auflage, Bonn, 2019 [15] BBSR - Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (2022): ÖKOBAUDAT - Datenbanksuche „Asphalt“, ÖKOBAUDAT- gemäß EN- 15804+A2, URL: https: / / www.oekobaudat.de/ no_cache/ datenbank/ suche/ daten/ db2.html, Zugriff: 17.11.2022 [16] DIN- EN- 15804: 2012 +A2: 2019 (2020): Nachhaltigkeit von Bauwerken - Umweltproduktdeklaration - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2020 [17] DIN- EN- ISO- 14040: 2006 (2009): Umweltmanagement - Ökobilanz - Grundsätze und Rahmenbedingungen, DIN - Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.), Beuth-Verlag, Berlin, 2009 [18] Frischknecht, R. (2020): Lehrbuch der Ökobilanzierung, Springer Spektrum, Berlin, Heidelberg, 2020; ISBN: 978-3-662-54762-5 58 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wegweiser zu einem ökologischeren und zukunftsfähigen Straßenoberbau [19] Eurobitume (2022): 2021 Update to: The eurobitume Life-Cycle Inventory for Bitumen, 05.2022, URL: https: / / eurobitume.jamesreedpr.co.uk/ wp-content/ uploads/ 2022/ 10/ LCI-Update-2021-English.pdf, Zugriff: 27.03.2020 [20] BASt - Bundesanstalt für Straßenwesen (2017): Erfahrungssammlung über die Verwendung von Fertigprodukten und Zusätzen zur Temperaturabsenkung von Asphalt, Fachveröffentlichung der Bundesanstalt für Straßenwesen, BASt - Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch-Gladbach, 2017 [21] Santos, J.; Bressi, S.; Cerezo, V.; Lo Presti, D.; Dauvergne, M. (2018): Life cycle assessment of low temperature asphalt mixtures for road pavement surfaces: A comparative analysis, In: Resources, Conservation and Recycling 138, S. 283-297, 2018; DOI: 10.1016/ j.resconrec.2018.07.012 [22] Gogolin, D.; Zeiler, R. (2022): Maximalrecycling - Erfahrungen und Langzeitbetrachtungen eines Pilotprojekts der Stadt Dortmund, In: Straße und Autobahn 73, S. 769-776, Nr. 9/ 2022 [23] FGSV 499 (2012): Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO 12), FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.), FGSV-Verlag, Köln, 2012 [24] FGSV 498 (2009): Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt 09), FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hrsg.), FGSV-Verlag, Köln, 2009 [25] Bayrisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr: Anschreiben Verbände - Richtlinie über nachhaltige Zuschlagskriterien, München, Mitteilung vom: 11.10.2022 [26] Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen, 24.02.2012 (URL: http: / / www. gesetze-im-internet.de/ krwg/ index.html) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 59 Vorstellung eines Verfahrens für die Ermittlung und Bewertung von Treibhausgasemissionen an Straßenbaustellen Luigi Paolo Ceci, M. Eng. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Zusammenfassung. Das Verfahren ermöglicht die Ermittlung und Bewertung des Treibhauspotenzials (Global Warming Potential, GWP) an Straßenbaustellen. Auf der Grundlage der Berechnungsregeln der Ökobilanzierungen (LCA) wurden Gleichungen hergeleitet, mit welchen das GWP jeder Aktivität sowie Baumaterial bestimmt wird. Dadurch ist es möglich, die Auswirkung von verschiedenen Bauweisen und Materialien in den beiden Dimensionen Kosten und Emissionen mit ihren Wechselwirkungen zu untersuchen. Im Gegensatz zur Verwendung von Datenbankwerten kann so eine Verringerung des GWP nicht nur durch eine Reduzierung der Mengen und Aktivitäten erreicht werden, sondern auch durch eine Optimierung der Prozesse. 1. Motivation Um die Auswirkungen unserer Infrastruktur mit ihren Bauwerken auf die Umwelt zu erfassen, sind Erfassungssowie Bewertungsmethoden der Emissionen notwendig, welche den gesamten Lebenszyklus betrachten. Vergabestellen können dadurch die Auswertung der Angebote um den zusätzlichen Faktor GWP-Emissionen erweitern und damit einen starken Einfluss auf umweltfreundlichere Bauweisen ausüben. Für Bauunternehmen werden hierdurch Anreize geschaffen, innovativ und gleichzeitig wirtschaftlich zu arbeiten. 2. Methodik Das Treibhauspotenzial von Infrastrukturprojekten kann mit der Methode der Ökobilanzierung kalkuliert werden. Um das GWP eines Infrastrukturprojekts zu berechnen, müssen die gesamten Treibhausgasemissionen, die mit dem Bau und dem Betrieb der Infrastruktur verbunden sind, ermittelt und mit Hilfe von Faktoren für das globale Erwärmungspotenzial in eine äquivalente Menge CO2 umgerechnet werden [1]. Diese Berechnung umfasst Emissionen aus Aktivitäten wie der Gewinnung und Verarbeitung von Baumaterialien, dem Transport zur Baustelle sowie dem Betrieb der Infrastruktur [2] [3]. Der endgültige GWP-Wert wird als CO 2 e-Menge ausgedrückt. Abbildung 1: Zusammenstellung des GWP der Bauphase 3. Ergebnisse Das entwickelte Verfahren wurde am Beispielprojekt des Neckartalübergangs angewendet, welcher mit 1,3 km die längste Autobahnbrücke Baden-Württembergs ist. Die Ermittlung des GWP zeigte, dass mit über 95 % von der Herstellung der verwendeten Baustoffe verursacht wird, 2 % von den Transporten und 3 % von den Bauprozessen einschließlich des Eigenbedarfs. Literatur [1] Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) [2] DIN e.V., DIN EN 15804, Nachhaltigkeit von Bauwerken Umweltproduktdeklarationen - Grundregeln für die Produktkategorie Bauprodukte [3] DIN e.V., DIN EN 15643. Nachhaltigkeit von Bauwerken - Allgemeine Rahmenbedingungen zur Bewertung von Gebäuden und Ingenieurbauwerken 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 61 CO 2 -Bilanzierung für Autobahnen HOCHTIEF PPP Solutions CO 2 -Bilanzierungstool Marieke Tiede, M. Sc. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Zusammenfassung Voraussetzung für die Erarbeitung von Maßnahmen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in einem Bauvorhaben oder im Straßenbetrieb ist eine Ermittlung der Emissionen. Das Ziel des Vortrags ist es, die Bedeutung der CO 2 e-Ermittlungen bei Autobahnen darzustellen und an Praxisbeispielen aufzuzeigen, wie diese durchgeführt und welche Maßnahmen zur Steigerung der Nachhaltigkeit daraus abgeleitet werden können. Hierzu wird das, an das GHG-Protokoll angelehnte, HOCHTIEF-CO 2 e-Tool zur Bestimmung der Emissionen und Erstellung einer daraus resultierenden Auswertung als CO 2 e-Bilanzierung für Autobahnen erläutert. Das CO 2 e-Bilanzierungstool ermöglicht neben der Messung eine detaillierte Ursachenforschung der Emissionen, wodurch eine Optimierung dieser ermöglicht wird. Weiterhin stellt es eine Auswertung der Ergebnisse der Emissionen der Autobahn bereit, die als Grundlage für einen regelmäßigen CO 2 -Report fungiert. Das Bilanzierungstool dient als Anreiz für andere Unternehmen ein besseres Verständnis für CO 2 -Emissionen zu entwickeln, diese zu ermitteln, sinnvoll auszuwerten und entsprechend der Zielsetzungen nachhaltiger zu handeln. 1. Einführung Zur Gewährleistung von zielgerichteten Entscheidungen ist eine vollumfängliche Datenbasis als Grundlage unabdingbar. Da HOCHTIEF, insbesondere mit der Zielsetzung bis 2045 die Klimaneutralität des Konzerns herzustellen [1], kontinuierlich Entscheidungen zur Optimierung der Nachhaltigkeit u.a. im Bereich der Transport Infrastruktur Projekte in Europa zu treffen hat, wird seit 2019 ein selbstentwickeltes Tool auf Basis des GHG-Protokolls [2] zur Datenerfassung der Emissionen und als Basis der Entscheidungsfindung eingesetzt und stetig weiterentwickelt. 2. Datengrundlage Zum sachgemäßen Einsatz des CO 2 e-Bilanzierungstools sind die relevanten Informationen und Daten der Scopes eins bis drei vollständig zu hinterlegen. Die Bestimmung der direkten internen Daten ist mit geringem Aufwand verbunden und kann durch Gesellschaften kurzfristig umgesetzt werden. Dies gilt ebenfalls für indirekte Emissionen aus eingekaufter Energie, jedoch nicht bei der Erhebung von CO 2 -Emissionen von Nachunternehmenden. Aufgrund mangelnder Erfahrungen und/ oder Kapazitäten ist es seitens der Nachunternehmenden oft nicht möglich, die erforderlichen Daten selbst zu liefern. Aus diesem Grund wurde eine Abfrage von Nachunternehmenden, die ohne Vorwissen oder hohem Aufwand durch die Unternehmen ausgefüllt werden kann, in das CO 2 e-Bilanzierungstool integriert. 3. Aufbau Das HOCHTIEF CO 2 e-Bilanzierungstool ist in drei Bereiche gegliedert. Der erste Bereich ist als Mengenerfassung gestaltet. Dieser führt Nutzende durch die verschiedenen, durch das GHG-Protokoll festgelegten, zu bestimmenden Aktivitäten der Gesellschaften. Auf diese Weise wird ein vollumfängliches Mengengerüst aufgebaut. Im folgenden Schritt werden die dazugehörigen Emissionen den entsprechenden CO 2 -Datenbanken zugewiesen. Ein Großteil der Emissionen des entsprechenden Bausektors sind häufig bereits durch vorherige Projekte verknüpft und werden lediglich bei neuen Informationen oder Neuverwendung zugewiesen. Alle Treibhausgase des GHG-Protokolls können über das Tool abgebildet werden. Zuletzt wird über das Bilanzierungstool ein Ergebnis in Form von zusammenfassenden Tabellen und Diagrammen ausgegeben, die als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden können. 4. Ergebnis Aufgrund des stetig wachsenden Antriebs externer Parteien zur Nutzung derartiger Tools und der damit einhergehenden, sprunghaften Steigerung in der Datenerfassung, kann es zunächst zu Ergebnisverzerrungen kommen. Diese Abweichungen werden über das Tool anhand von Emissionsangleichungen bei Nichterfassungen korrigiert. Hierdurch erhalten Nutzende eine realistische Aufstellung zur Entscheidungsfindung. Anhand einer Mengen- und CO 2 e- Analyse wird im Anschluss ein CO 2 e-Report erstellt. Eine Auswahl an Erkenntnissen, Instrumenten und Maßnahmen früherer Vorhaben dient dabei als Best Practice und Grundlage für ein nachhaltigeres Projektkonzept und trägt somit zur Zielerreichung im Bereich der Klimaneutralität bei. Literatur [1] Torsten Meise: Nachhaltigkeitsstrategie 2025: Interview mit Martina Steffen. In: Concepts by HOCHTIEF (01/ 2022), S.4 [2] Janet Ranganathan et al.: The Greenhouse Gas Protocol - A Corporate Accounting and Reporting Standard. Ort: World Resources Institute and World Business Council for Sustainable Development, 2004 Q POINT DIGITAL | NACHHALTIG | ZUVERLÄSSIG Mit unseren Lösungen planst, steuerst und dokumentierst du den gesamten Straßenbauprozess einfach und transparent. DIGITAL | NACHHALTIG | ZUVERLÄSSIG DIGITAL | NACHHALTIG | ZUVERLÄSSIG q-point.com Mischanlage Baustelle Frächter Inserat_QPoint_Nachhaltig_210x145.indd 1 Inserat_QPoint_Nachhaltig_210x145.indd 1 13.01.2023 11: 06: 09 13.01.2023 11: 06: 09 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 63 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Wie können digitale Technologien einen Beitrag für einen nachhaltigen Straßenbau leisten! Dr. Thomas Leopoldseder CEO Q Point Group, Q Point GmbH, Wien, Österreich Marcel Pilger CTO Q Point Group, Q Point AG, Langenthal, Schweiz Zusammenfassung Nachhaltigkeit ist nicht nur ein Schlagwort, sondern nachhaltiges Handeln wird immer stärker von Menschen und Organisationen, aber auch durch Regulative auf nationaler und/ oder internationaler Ebene gefordert. Heutzutage existiert eine Vielzahl von ausgereiften Technologien, mit denen sich die Wertschöpfungskette des Asphalt-Straßenbaus ökologischer und nachhaltiger gestaltet lässt. Digitalisierung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Mithilfe von digitalen Lösungen lassen sich Einzelprozesse effizienter gestalten und auch prozessübergreifende Optimierungsmöglichkeiten nutzen. Ein geringerer Ressourceneinsatz, höhere Qualität und eine Dokumentation für die Nutzungs- und Entsorgungsphase sind die Folge. Neben den Rahmenbedingungen wird insbesondere auch auf die Chancen durch den Einsatz der Digitalisierung im Asphalt-Straßenbau eingegangen. 1. Einführung Nachhaltigkeit ist in allen Lebens- und Arbeitsbereichen mittlerweile vom Trend zu einer ernsthaften und wichtigen Anforderung geworden. Auch immer mehr Regulative in den unterschiedlichsten Ländern fordern nachhaltiges Handeln. Auf europäischer Ebene existiert eine Vielzahl von Normen und Richtlinien. Im Februar 2022 hat die Europäische Kommission unter dem Titel „Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDD Richtlinie“ einen Vorschlag für eine Richtlinie über die Nachhaltigkeitspflichten von Unternehmen angenommen. In dieser Richtlinie werden EU-Großunternehmen in die Pflicht genommen, ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Unternehmen spielen beim Auf bau einer nachhaltigen Wirtschaft und Gesellschaft eine Schlüsselrolle [1]. Im November 2022 haben das Europäische Parlament und der Europäische Rat diese Richtlinie angenommen [2]. Diese Regelung ist auch Teil des „Green Deals“, mit dem die Europäische Union bis 2050 Klimaneutralität erreichen will. Betroffene Unternehmen müssen daher zukünftig in ihrem Lagebericht Informationen gemäß Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) bereitstellen. Die CSRD betrifft zunächst alle Unternehmen und Konzerne - unabhängig von ihrer Kapitalmarktorientierung -, die im Regelfall an zwei aufeinanderfolgenden Abschlussstichtagen zwei von drei der folgenden Kriterien erfüllen: • Mitarbeiteranzahl ist größer als 250 Personen • Bilanzsumme ist größer als 20 Millionen Euro • Nettoumsatzerlös ist größer als 40 Millionen Euro Damit sind auch viele Straßenbauunternehmen und Betreiber von Mischanlagen betroffen. Letztendlich wird diese aber auch dazu führen, dass sich viele Unternehmen im Wettbewerb stärker mit den Auswirkungen ihres unternehmerischen Handelns auf die Umwelt auseinandersetzen müssen. Nachfolgend wird nun das Thema „Nachhaltigkeit“ mit dem speziellen Fokus auf den Asphalt-Straßenbau beleuchtet. 2. Wertschöpfungskette Die Wertschöpfungskette bis zur Errichtung im Asphalt- Straßenbau umfasst im Wesentlichen folgende Phasen [3]: Tab. 1: Die Asphalt Wertschöpfungskette und deren Einfluss auf die CO 2 Emissionen [4] Phase A1 A2 A3 A4 A5 Erzeugung und Bereitstellung der Rohstoffe für Asphalt Transport der Rohstoffe zur Mischanlage Produktion von Asphalt in der Mischanlage Transport von Asphalt zur Baustelle Einbau und Verdichtung des Asphalts Anteil CO 2 Emissionen 40 % 14 % 33 % 10 % 3 % 64 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Danach folgen noch die Nutzungsphase (B) und die Entsorgungsphase (C), die ebenfalls Einfluss auf die Nachhaltigkeit des gesamten Straßenbauvorhabens haben. A1) Erzeugung und Bereitstellung der Rohstoffe für Asphalt Immer wieder wird versucht, Rohstoffe wie z. B. Ausbauasphalt, Kunststoff oder sogar Holzkohle [5] zur Erzeugung von Asphalt mitzuverwenden oder herkömmliche Rohstoffe zu ergänzen bzw. zu ersetzen. Während die Zugabe von Kunststoffen und Holzkohle noch nicht weit verbreitet ist, ist die Wiederverwendung von Ausbauasphalt eine mittlerweile technisch etablierte Lösung, die auch von den Anbietern von Mischanlagen breitflächig unterstützt wird und auch immer mehr in der Praxis ihre Anwendung findet. Der Abbau des Gesteins, die Erzeugung von Bitumen und anderen chemischen Hilfsstoffen sowie der Prozess des Abfräsens benötigen einen entsprechenden Ressourceneinsatz, der sich negativ auf die gesamte Wertschöpfungskette auswirkt und gemäß Tab. 1 auch einen sehr hohen Anteil an den CO 2 Emissionen des Gesamtprozesses verursacht. Die Verwendung von Ausbauasphalt hat allerdings den Vorteil, dass dieser nicht deponiert wird, sondern wieder dem Produktionsprozess zugeführt wird, was sich positiv auf die Ökobilanz auswirkt. Für den Abbau von Gestein werden in der Regel Großmaschinen eingesetzt, die derzeit noch nicht elektrisch betrieben werden. Obwohl es bereits einige Hersteller gibt, die Maschinen mit Strom- oder Wasserstoffantrieb anbieten, sind diese Antriebsarten noch nicht weit verbreitet und stellen die Unternehmen auch vor neue Herausforderungen (z. B. Lagerung von Wasserstoff, Elektrische Stromversorgung). A2) Transport der Rohstoffe zur Mischanlage Der Einsatz elektrisch betriebener LKWs in dieser Phase der Wertschöpfungskette spielt derzeit keine Rolle. Umso näher das Kieswerk jedoch zur Mischanlage ist, umso nachhaltiger ist der Transport. Auch der Schiff- oder Bahntransport, sofern logistisch möglich, stellt eine ökologische Alternative dar, insbesondere dann, wenn diese auch umweltfreundlich angetrieben werden (z. B. Strom aus erneuerbarer Energie, Wasserstoff). In dieser Prozessphase bedarf es noch vieler technischer und vor allem praxistauglicher Innovationen, um massive Änderungen in Richtung einer besseren Nachhaltigkeit zu bewirken. Abb. 1: Betankung eines LKWs mit Wasserstoff [6] A3) Produktion von Asphalt in der Mischanlage Neben dem Einsatz von Recyclingasphalt steht in der Mischanlage eine Vielzahl an technischen Möglichkeiten zur Verfügung, um eine nachhaltigere Produktion zu ermöglichen. Diese reichen von trockenen Lagerräumen für Rohstoffe, dem Einbau von Filtern, optimierten Brennern, Isolationen gegen Wärmeverlust, Einhausungen zur Lärmreduktion bis zur Herstellung von Niedertemperaturasphalt, wo, im Vergleich zu Normalasphalt, eine wesentlich geringere Energiemenge im Zuge des Produktionsprozesses erforderlich ist. Auch alternative Treibstoffe für den Brennvorgang, wie zum Beispiel Flüssiggas (LPG, LNG), Holzpellets, verflüssigtes Biomethan (LBG) oder auch Wasserstoff können helfen, den Produktionsprozess nachhaltiger zu gestalten. Moderne Brenner sind in der Lage, unterschiedliche Arten von Brennmaterialien zu verwenden bzw. diese sogar während des Brennvorgangs zu mischen. Die gewünschte Asphalttemperatur nimmt entscheidend Einfluss auf den Energieverbrauch während der Herstellung. Niedertemperaturasphalt (Warm Mix Asphalt (WMA)) stellt hier eine optimale Alternative dar. Dieser Asphalt hat nicht nur bei der Produktion, sondern auch beim Transport und Einbau Vorteile, da auch weniger Schadstoffe emittiert werden [7]. A4) Transport von Asphalt zur Baustelle Thermisch isolierte LKWs verringern den Temperaturabfall während des Transports. Entscheidend für den Einbau ist die Temperatur des Asphalts bei der Beladung des Fertigers sowie die Information über die Ankunftszeit des LKWs. Obwohl viele LKWs bereits mit Positionssendern ausgestattet sind, ist es bei der Verwendung unterschiedlicher Frächter für die verantwortlichen Mitarbeiter auf der Baustelle nicht einfach, eine exakte Information über den Ankunftszeitpunkt zu erhalten. Gerade diese Information innerhalb der Logistikkette stellt aber eine wichtige Voraussetzung für einen effizienten Einbau dar. In der Praxis wird dieser Information jedoch vor allem dazu verwendet, um allfällige Zusatzkosten aufgrund von Stehzeiten zu erkennen und dem jeweiligen Verursacher zuzuordnen und nicht um daraus eine Optimierung des Einbaus abzuleiten. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 65 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Beim Entladevorgang weisen Abschiebewagen Vorteile gegenüber Kippfahrzeugen auf, weil durch das Abschieben neben der verzögerungsfreien Abgabe des Mischgutes auch eine Entmischung verhindert und daher das Mischgut mit hoher Wärmestabilität abgeben wird [8]. Dies wirkt sich positiv auf den Einbauprozess aus. A5) Einbau und Verdichtung des Asphalts Eine gleichbleibende Asphalttemperatur während des Einbaus und die Kontinuität des Einbauprozesses beeinflussen wesentlich die Qualität des Asphaltbelags. Die Temperaturüberwachung während des Einbaus und der Verdichtung, aber auch die Überwachung der Anzahl der Überfahrten helfen mit, eine optimale und damit nachhaltige Asphaltoberfläche zu schaffen. In vielen Fällen erfolgt dies aber entweder manuell (und daher aufwendig) oder maschinenbezogen, da nur wenige Systeme in der Lage sind, maschinenübergreifende Temperatur- und Verdichtungsinformationen von Fertiger und Walzen zu liefern. 3. Digitalisierung als Beitrag zur Nachhaltigkeit 3.1 Grundlagen Digitalisierungslösungen tragen dazu bei, den Prozess, von der Rohstoffbeschaffung über den Transport und die Produktion bis zum Einbau optimal und mit möglichst geringem Ressourceneinsatz zu gestalten. Sie sind auch in der Lage, Informationen zu verteilen und Qualitätskriterien automatisch zu messen, um Mitarbeiter auf der Baustelle zu informieren, welche Tätigkeiten notwendig sind, um einen qualitativ hochwertigen und damit langlebigen Asphaltbelag zu erhalten. Jede Stunde, die eingespart wird, um den Asphaltbelag einzubauen, jeder LKW, der aufgrund eines optimierten Einsatzes nicht fahren muss, jede Charge, die auf der Mischanlage weniger notwendig ist und jeder Tag, den ein Asphaltbelag länger hält, reduziert die Belastungen der Umwelt und wirkt sich damit positiv auf die Nachhaltigkeit des Straßenbaus aus. Die ideale digitale Wertschöpfungskette stellt unterbrechungsfrei konsistente digitale Informationen für die nachfolgenden Prozessschritte zur Verfügung. Abb. 2: Digitale Wertschöpfungskette 3.2 Just-in-Time („Bedarfssynchrone Produktion“) Während in anderen Branchen die Just-In-Time Fertigung schon lange zum Einsatz kommt, ist der Asphalt-Straßenbau noch zum Großteil weit davon entfernt. Letztendlich könnten aber die zugrundeliegenden Konzepte auch im Straßenbau eingesetzt werden, um eine prozessoptimale, ressourcenoptimale und damit eine nachhaltige Wertschöpfungskette zu realisieren. Digitale Lösungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Grundlage für die Just-In-Time Fertigung ist das Wissen über den Bedarf. In der Automobilindustrie ergibt sich der Bedarf aus den Autokäufen in den verschiedenen Ländern. Aufgrund der standardisierten Bestellvorgänge und den minimalen Möglichkeiten zur Änderung von Bestellungen kann der Bedarf daher sehr genau prognostiziert und die Fertigung darauf optimiert werden. Anders stellt sich die Situation im Asphalt-Straßenbau dar. Der Bedarf ist nicht nur von den geometrischen und baulichen Anforderungen und der zeitlichen Einplanung der Bauausführung abhängig, sondern wird auch von externen Faktoren, wie zum Beispiel dem Wetter, Verfügbarkeit von Maschinen und Personal, beeinflusst. Umso wichtiger ist daher neben einer mittelfristigen Planbarkeit auch eine größtmögliche Flexibilität im Bestellprozess. 3.3 Digitalisierung in der Praxis Die von Q Point entwickelte Lösung Q Site stellt beispielsweise die Möglichkeit zur Verfügung, mittels App oder Webbrowserlösung unverbindliche Anfragen zeitgerecht an das Mischwerk zu senden, um damit einen vorläufigen Bedarf beim Mischwerk anzumelden. 66 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Abb. 3: Digitale Bestellungen am Beispiel der Weblösung Q Site für die Baustelle Abb. 4: Digitales Bestellmanagement am Beispiel der Weblösung Q Plant für die Mischanlage 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 67 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Diese Bedarfsmeldungen werden in Q Plant, der spezialisierten Weblösung für Mischanlagen, gesammelt. Der Bedarf kann, je nach Baufortschritt, jederzeit von der Baustelle aktualisiert werden. Somit erhält die Mischanlage, wenn alle Kunden der Mischanlage Q Site nutzen, immer ein aktuelles Bild der Nachfrage aller Baustellen. Da auch die Kommunikation zwischen Baustelle und Mischanlage mittels Q Plant und Q Site erfolgt, sind alle Vorgänge, Änderungen und Kommentare zentral protokolliert und für alle Beteiligten einsehbar und nachvollziehbar. Mit diesen Informationen ist das Mischwerk daher in der Lage, seinen Rohstoffbedarf bestmöglich abzuschätzen und seine Lieferkette entsprechend darauf abzustimmen. Das ermöglicht eine exakte Rohstoffbeschaffung und trägt daher zu einem nachhaltigen Produktionsprozess bei. Wenn dann der effektive Einbauzeitpunkt fixiert ist und der tatschliche Bedarf feststeht, kann die unverbindliche Bestellung einfach in eine verbindliche Bestellung geändert werden. Da das Mischwerk mittels Q Plant jederzeit online mit allen Baustellen verbunden ist, kann es nun auch auf kurzfristige Änderungen reagieren, identische Rezepte zu einer Produktionscharge zusammenfassen und so optimal und energiesparend produzieren. Durch die Integration mit der Mischanlagensteuerung können zusätzlich Fehler vermieden und Fehlproduktionen ausgeschlossen werden. Auch eine moderne Mischanlagensteuerung wie z. B die as1 von Ammann leistet durch vielfältige Möglichkeiten zur Produktionssteuerung und Optimierung einen Beitrag zu einer möglichst energieeffizienten und emissionsarmen Produktion. Beispielsweise lässt sich durch die dynamische Recyclingzugabe auch während der Produktion der Recyclinganteil verändern, um einerseits einen optimalen Produktionsprozess zu erhalten und andererseits Rezepte mit unterschiedlichen Recyclinganteile einfacher zu produzieren. Abb. 5: Dynamische Veränderung des Recyclinganteils am Beispiel der as1 Steuerungsvisualisierung Ein langlebiger, qualitativ hochwertiger und damit nachhaltiger Asphaltbelag erfordert viel Know-how beim Einbau. Entscheidend dabei sind aber verschiedene Informationen über die Lieferkette und den Fortschritt des Einbauprozesses. Die Digitalisierung kann dabei wesentlich unterstützen. Ein entscheidender Qualitätsfaktor beim Einbau ist der kontinuierliche Einbau. Um diesen sicherzustellen, sind eine möglichst exakte Information über den Lieferzeitpunkt und eine bedarfsgerechte und kontinuierliche Lieferleistung entscheidend. Dabei hilft beispielsweise die TruckBuddy App, eine mobile Anwendung von Q Point, mit deren Hilfe der LKW-Fahrer nicht nur seinen digitalen Fahrauftrag erhält, sondern es wird auch die Position des LKWs an die Baustelle und an das liefernde Mischwerk übermittelt. Abb. 6: Digitale Fahraufträge am Beispiel der Truck- Buddy App Die Position wird auch auf einer Karte grafisch dargestellt und die aktuelle erwartete Ankunftszeit wird aufgrund des Verkehrsaufkommens live in Q Site angezeigt. Mit diesen digitalen Informationen wird die Grundlage für einen exakten und kontinuierlichen Einbau geschaffen. 68 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen Abb. 7: Darstellung der LKWs im Zulauf (grün) und auf dem Weg zurück zur Mischanlage (grau) am Beispiel von Q Site Fährt der LKW im Auftrag des Mischwerks, erhält auch dieses die Positionsdaten übermittelt, um weitere Fuhren mit dem LKW einplanen zu können. Mischanlage, LKW- Fahrer und Baustelle sind somit zu 100% digital vernetzt und können so optimal arbeiten. Gerade bei einer derartigen Lösung sind Datenschutz und Datensicherheit von entscheidender Bedeutung. Daher kann der Fahrer jederzeit von sich aus die Positionsübermittlung beenden, sobald eine Fahrt abgeschlossen ist. Auch Informationen über die Asphalttemperatur während des Einbaus aber auch während des Verdichtungsprozesses helfen dem Einbauteam, einen langlebigen Asphaltbelag zu schaffen. Digitale automatisierte Mess- und Visualisierungssysteme wie z. B. Q Machines ermöglichen eine positionsgenaue und kontinuierliche Überwachung und Dokumentation der Temperatur, der Überfahrten und der Verdichtung, automatisch und unabhängig vom Maschinenhersteller. Abb. 8: Positionsgenaue Farbkennzeichnung der Anzahl der Überfahrten aller Walzen auf der Baustelle am Beispiel von Q Machines Nur so ist sichergestellt, dass alle Maschinen auf der Baustelle in ein derartiges Visualisierungs- und Dokumentationssystem eingebunden werden können. Dies ist auch vor allem auch bei Arbeitsgemeinschaften von wesentlicher Bedeutung. Auch die Anzahl der Überfahrten der Walzen kann mit Hilfe von Vorgabewerten definiert und mit Q Machines überwacht werden. Jede verdichtungsrelevante Überfahrt wird mittels GPS-Information gezählt und von Q Machines an alle Walzenfahrer verteilt. Damit ist es möglich, genau die optimale Anzahl an Überfahrten durchzuführen. Betriebsstunden und damit Betriebskosten werden minimiert und Emissionen auf der Baustelle reduziert. Bereits eine durchschnittliche Reduktion der Überfahrten von 7 auf 6 führt zu einer Verringerung der Einsatzzeiten und damit des Einsatzes von Betriebsmitteln um 14%, bei einer Reduktion von 7 auf 5 Überfahrten sind es bereits 29%. Nur digitale Lösungen können den Fahrern von Fertigern und Walzen diese Informationen zur Verfügung stellen, um ressourcenminimal einzubauen. Da das System sowohl auf dem Fertiger als auch auf den Walzen eingesetzt werden kann, ist der Schulungsaufwand gering und die Flexibilität maximal. Mit der durchgängigen digitalen Dokumentation entlang der gesamten Wertschöpfungskette liegen fundierte Informationen vor, die bei allfälligen Reparaturen und im Zuge des Rückbaus und der Wiederverwertung verwendet werden können, um diese Aufgaben möglichst umweltfreundlich durchzuführen. 4. Grenzen der Nachhaltigkeit Ein komplexer Prozess, wie der des Asphalt-Straßenbaus, an dem unterschiedliche Unternehmen beteiligt sind, erfordert nicht nur individuelle Lösungen innerhalb des 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 69 Nachhaltiger Straßenbau - Möglichkeiten und Grenzen eigenen Unternehmens, sondern auch unternehmensübergreifende Lösungen. Nur bei der Beachtung der gesamten Wertschöpfungskette können durch Maßnahmen in einem Prozessabschnitt Vorteile in einem anderen Prozessabschnitt erzielt werden, die zu geringeren Emissionen, besserer Qualität und einem rascheren Bauablauf führen. Weniger Sanierungen und kürzere Bauzeiten führen auch zu weniger durch Baustellen verursachte Staus, was sich ebenfalls positiv auf die Nachhaltigkeit des Straßenbaus auswirkt. Investitionen, die sich positiv auf die Nachhaltigkeit der Wertschöpfungskette auswirken sind jedoch teilweise kostenintensiv. Umso mehr ist daher vor allem von den öffentlichen Auftraggebern zu verlangen, nachhaltigen Straßenbau zu fordern aber auch zu fördern. Bei der Vergabe müssen explizit neben den wirtschaftlichen und technischen Anforderungen auch die ökologischen Auswirkungen des Bauvorhabens in den Entscheidungsprozess einfließen, um Unternehmen zu belohnen, die nachhaltig und ressourceneffizient einbauen. Beispielsweise werden in Norwegen Angebote im Straßenbau mittels eines standardisierten Verfahrens (EPD) hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die CO 2 Bilanz bewertet [9]. Dem Anbieter mit der geringsten CO 2 Belastung werden keine fiktiven Kosten zur Angebotssumme addiert. Bei allen anderen Anbietern wird der Angebotspreis fiktiv um 5 NOK je kg CO 2 erhöht. Somit erhalten Anbieter mit besonders niedrigen CO 2 Emissionen im Gesamtprozess eine wesentlich bessere Chance, den Zuschlag zu erhalten. 5. Zusammenfassung Es existiert bereits jetzt eine Vielzahl von Technologien und Lösungen, um den Straßenbau nachhaltiger zu gestalten. Auch Digitalisierungslösungen leisten Ihren Beitrag dazu, den Prozess besser, fehlerfreier und ressourcenschonender abzuwickeln. Während einige Lösungen auch innerhalb eines Unternehmens realisiert werden können (z. B. Digitale Temperatur- und Überfahrtenmessung,) erfordern andere Lösungen die Bereitschaft zur technischen unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit (Digitaler Bestell- und Lieferprozess zwischen Baustelle und Mischanlage). Nicht nur die Bereitschaft der Auftraggeber, nachhaltigen Straßenbau auch entsprechend zu belohnen, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein jedes Unternehmens nachhaltig zu arbeiten, so wie es die CSDD Richtlinie vorsieht, sind entscheidende Bausteine für einen zukunftssicheren und nachhaltigen Straßenbau. Literatur [1] Europäischen Kommission - Pressemitteilung vom 23. Februar 2022, Gerechte und nachhaltige Wirtschaft: Kommission legt Unternehmensregeln für Achtung der Menschenrechte und der Umwelt in globalen Wertschöpfungsketten fest, 2022 [2] Rat der EU - Pressemitteilung vom 28. November 2022, Rat gibt endgültiges grünes Licht für die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, 2022 [3] EN 15643-5: 2018, Nachhaltigkeit von Bauwerken - Bewertung der Nachhaltigkeit von Gebäuden und Ingenieurbauwerken, 2018 [4] Vortrag von Geir Lange auf dem E & E Kongress, November 2022, Wien [5] www.punkt4.info, Grüner Asphalt holt CO 2 dauerhaft aus der Luft, 8. Oktober 2020, abgerufen am 5.12.2022 [6] www.volvotrucks.com, abgerufen am 5.12.2022, © Volvo [7] www.energate.de: Straßenbau: Geringere Asphalttemperaturen schonen das Klima, 25. September 2019, abgerufen am 5.12.2022 [8] www.baunetzwerk.biz/ der-fliegl-asphaltprofi-thermo, 13. November 2014, abgerufen am 5.12.2022 [9] www.epd-norge.no, abgerufen am 5.12.202 BIM 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 73 BIM in der Straßenbauverwaltung BW Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen Tanja Jakovljevic, MBA Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Das Thema Digitalisierung ist kaum mehr aus dem Bauwesen wegzudenken. Dabei bilden die drei Wörter „Building Information Modeling“ (BIM) ein Synonym für das digitale Planen, Bauen und Betreiben. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (SBV BW) wird den Infrastrukturbau durch den Einsatz von BIM effizienter und zukunftsfähig gestalten. Mit der Veröffentlichung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen in 2021 gibt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) neue Ziele für den Bundesfernstraßenbau vor. Mit der veröffentlichen Zeitschiene stellt das BMDV viele Organisationen vor großen Herausforderungen, bietet damit aber auch Chancen für die Methodik. Die SBV BW hat das Ziel, ab dem Jahr 2025 alle neu zu planenden Bundesmaßnahmen und ab 2027 alle Landesmaßnahmen mit der digitalen Arbeitsmethodik umzusetzen. 1. Einführung BIM steht für eine umfassende digitale Arbeitsmethode beim Planen, Bauen und Betreiben von Infrastrukturmaßnahmen. Auf Grundlage von Modellen werden relevante Informationen und Daten zur geplanten Baumaßnahme erfasst und zentral verwaltet. Ein wesentlicher Bestandteil von BIM-Projekten ist demzufolge die Nutzung einer gemeinsamen Datenumgebung für alle am Prozess beteiligten Partner. Damit wird eine kollaborative und digitale Zusammenarbeit zwischen den Projektbeteiligten gefördert und relevante Informationen zentral in Echtzeit und transparent bereitgestellt. Das ermöglicht in Zukunft eine transparente Planung, ein kosten- und termingerechtes Bauen sowie eine nachhaltige Instandhaltung der Straßeninfrastruktur in Baden-Württemberg. 2. Masterplan BIM Bundesfernstraßen Die Strategie der BIM-Einführung im Land Baden-Württemberg wird maßgeblich von der Strategie des Bundes beeinflusst. Das BMDV hat am 12.10.2021 einen Masterplan BIM für den Bundesfernstraßenbau veröffentlicht und damit der Digitalisierung im Infrastrukturbau einen weiteren Schub gegeben. Mit der Veröffentlichung des Masterplans verfolgt das BMDV das Ziel, BIM flächendeckend und bundeseinheitlich für die Bundesfernstraßen spätestens ab 2025 einzusetzen [1]. Dabei steht in dem Dokument vor allem das gemeinsame Verständnis von BIM als kooperative, digitale Arbeitsmethode im Fokus und sieht ein dreistufiges Phasenmodell zur Einführung vor (Abb. 1). In der ersten Phase ab 2021 werden die Grundlagen geschaffen, damit BIM nach einheitlichen Standards eingeführt werden kann. In der zweiten Phase wird BIM nach und nach in allen Niederlassungen und Standorten der Autobahn GmbH sowie in den Ländern eingesetzt. In der dritten Phase soll BIM als neuer Regelprozess bei allen Projekten angewendet werden. Für den Implementierungsprozess hat das BMDV bundesweit einheitliche Rahmendokumente für die Projektbearbeitung mit BIM erarbeitet. Die Rahmendokumente sollen in den Phasen eins bis drei des Masterplans sukzessive fortgeschrieben und zu Beginn jeder Phase online auf den Webseiten des BMDV bereitgestellt werden. Langfristig sollen die Rahmendokumente zu einer bundesweit einheitlichen Durchführung der BIM-Methodik im Bereich der Bundesfernstraßen führen. Ziel ist, am Ende der dritten Phase bundeseinheitliche Vorgaben für BIM im Bundesfernstraßenbau mit normativem Charakter zu veröffentlichen. 74 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 BIM in der Straßenbauverwaltung BW Abb. 1: Phasenmodell der BIM-Implementierung, Masterplan BMDV (Quelle: Masterplan BIM, Seite 10 ) 2.1 Strategie BIM der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg Das Land Baden-Württemberg treibt die Implementierung von BIM intensiv voran. Die SBV BW hat sich zum Ziel gesetzt, im Bereich der Digitalisierung die BIM-Methodik in der eigenen Organisation zum Standard zu erheben. In Anlehnung an den Masterplan BIM im Bundesfernstraßenbau soll auch in der SBV BW eine nachhaltige und stufenweise Einführung der Arbeitsmethodik gelingen. Aus diesem Grund erfolgt die Einführung vom BIM in der SBV BW wie folgt: 1. 2020 - 2023: Voraussetzungen zur Umsetzung schaffen und Umsetzung in den Projekten punktuell initiieren 2. 2023 - 2025: Ausweitung der Umsetzung und Professionalisierung von BIM im Bundesfernstraßenbau 3. 2025: BIM im Regelprozess für alle neu zu planenden Bundesmaßnahmen 4. 2025 - 2027: Ausweitung der Umsetzung und Professionalisierung von BIM bei Landesstraßen 5. 2027: BIM im Regelprozess für alle neu zu planenden Landesmaßnahmen 2.2 Pilotprojekte des Bundes Pilotprojekte stellen ein ideales Werkzeug dar, um BIM in der Praxis zu erproben und die Methodik weiterzuentwickeln. Damit erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter neben dem theoretischen Fachwissen aus den Schulungen realitätsnah Praxiserfahrungen mit dem Einsatz BIM-Methodik in der Projektumsetzung. Seit 2020 werden landesweit stetig zahlreiche Pilotmaßnahmen gestartet. Die Auswahl der Projekte erfolgt sehr breitflächig, um möglichst viele Erfahrungen aus unterschiedlichen Leistungsphasen und Projektmaßnahmen zu generieren. Ziel ist, in den kommenden Monaten immer mehr Projekte mit zunehmenden Schwierigkeitsgraden umzusetzen. Auf diese Weise gelingt die Einführung iterativ und die SBV BW gewinnt sukzessiv an Erfahrungen, die zu einem landeseinheitlichen Standard weiterentwickelt werden. Alle Facetten der BIM-Methode können dadurch weiterentwickelt und in Zukunft in den Regelprozess eingesetzt werden. 2.3 Chancen und Herausforderungen bei der Umsetzung des Masterplans BIM Die Veröffentlichung des Masterplans BIM Bundesfernstraßen bietet den Auftragsverwaltungen viele Chancen, stellt diese aber auch gleichzeitig vor viele Herausforderungen. Mit dem im 2021 veröffentlichten Zeitrahmen stellt der Masterplan einen ambitionierten Zeitrahmen für die Implementierung von BIM vor. Ab 2025 soll BIM im Regelprozess bei allen Bundesfernstraßen eingeführt werden. Unter Berücksichtigung aller noch zu evaluierenden Prozessen, (Planen, Bauen, Betreiben und Erhalten) Regelwerken und Richtlinien sowie die organisatorischen Maßnahmen, wie die Beschaffung von technischer Ausstattung und der Auf bau von BIM-Kompetenzen stellt der Zeitrahmen von 4 Jahren die Organisationen vor große Herausforderungen. Beispielsweise sind für die Beschaffung von technischer Ausstattung und die Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechende personelle und finanzielle Ressourcen notwendig. Zudem ist die Beschaffung bei öffentlichen Institutionen meist mit öffentlichen Ausschreibungen verbunden, die einen gewissen Zeitrahmen zur Vorbereitung, Durchführung und Inbetriebnahme in Anspruch nehmen. Zur Orientierung: Die SBV BW beschafft seit 2020 die notwendigen Voraussetzungen und sieht vor, die letzten Verträge bis Anfang 2023 zu schließen. Es ist davon auszugehen, dass viele Organisationen diesen Prozess erst nach Veröffentlichung des Masterplans angestoßen haben und die Zeitschiene bis 2025 damit bereits zum aktuellen Zeitpunkt kritisch ist. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 75 BIM in der Straßenbauverwaltung BW Gleichzeitig bietet der veröffentlichte Masterplan zu wenig Orientierungspunkte für die Organisationen, die mit der Implementierung von BIM bisher noch nicht begonnen haben. Eine wesentliche, erhebliche Änderung im Masterplan ist die neue Definition von Anwendungsfällen. Bisher hatte sich der Infrastrukturbau an die Anwendungsfälle von BIM4INFRA orientiert. Organisationen, die sich bereits intensiv mit der BIM-Methodik auseinandergesetzt haben, müssen ihre Prozesse nochmals prüfen und ggf. neu aufstellen. Andererseits gibt es Organisationen, die sich erst mit der Veröffentlichung auch dem Thema BIM angenommen haben. Grundsätzlich ist dies zu begrüßen. Jedoch sind wesentliche Dokumente wie die Steckbriefe der Anwendungsfälle im Masterplan bisher nicht vollständig, was den Gesamtüberblick des gesamten BIM-Prozesses erschwert. Das kann dazu führen, dass sich Organisationen aus verschiedenen Quellen das Wissen aneignen und damit eine Standardisierung im Bundesfernstraßenbau vorerst nicht stattfinden kann. Die größte Herausforderung bei der Einführung von BIM ist die Strukturierung und Standardisierung der relevanten Informationen. Bislang existieren für die unterschiedlichen Gewerke in der Straßenplanung, -bau und -betrieb keine einheitlichen Standards für die modellbasierte Arbeitsweise. Nur mit einer phasenübergreifenden Strukturierung und Standardisierung können die zahlreichen Informationen zwischen den Beteiligten im Planen, Bauen und Betreiben beherrschbar und das übergeordnete Ziel von BIM des optimierten Informationsflusses erreichbar. Solang diese Vorgabe seitens des BMDV für einen bundeseinheitlichen Standard nicht veröffentlicht ist, besteht weiterhin in jeder Organisation eine eigene Vorgehensweise. Die Veröffentlichung des Masterplans bietet aber auch Chancen für die BIM-Methodik im Bundesfernstraßenbau. Vor allem hat die Veröffentlichung der BIM-Methodik einen weiteren Schub gegeben. Die Veröffentlichung ist für Ingenieurbüros, Baufirmen, Bauherren und Betreiber ein wichtiges Signal, sich dem Thema anzunehmen und die Organisationen für die Digitalisierung vorzubereiten. Mit dem ambitionierten Ziel, BIM ab 2025 im Regelprozess für den Bundesfernstraßenbau einzusetzen, müssen alle Beteiligte sich mit dem Thema BIM auseinandersetzen und organisationsspezifische Anpassungen durchführen. Vor allem für „BIM-Beginner“ gibt der Masterplan eine grobe Orientierung vor und stellt weitere Veröffentlichungen jeweils zu den Phasenübergängen in Aussicht. Bis 2025 sollen damit alle bundeseinheitlichen Standards vorgegeben und eine einheitliche BIM-Umsetzung im Bundesfernstraßenbau gewährleistet werden. Die Implementierung einer neuen Arbeitsmethodik erfordert Zeit. Es können noch so viele Standards definiert und IT-Ausstattung gekauft werden, wenn der Mensch die Arbeitsmethodik nicht anwendet, wird der Regelprozess nie stattfinden. Umso wichtiger ist es, den Menschen das erforderliche Wissen zu vermitteln, ihn zu unterstützen und die notwendige Zeit für das Einlernen in seiner Rolle zu geben. Das Ziel, die Arbeitsmethodik BIM ab 2025 flächendeckend im Bundesfernstraßenbau umzusetzen ist ambitioniert. Aber mit einer strategischen Informations- und Kommunikationsstrategie, vordefinierten Standards und dem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht dem Weg einer erfolgreichen Einführung von BIM nichts mehr entgegen. Literatur [1] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building (BMDV - Masterplan für die Digitalisierung im Bundesfernstraßen-Bau) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 77 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur Jannis Illgner, M. Sc. HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Dr. Daniela Schäfer HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Anna Andreev HOCHTIEF PPP Solutions GmbH, Essen Zusammenfassung Seit 2015 unterstützt die Competence Area BIM der HOCHTIEF PPP Solutions Transport Infrastruktur Europa mit ihrem P3IM System, dem PPP Informationsmanagement System, das Baumanagement, den Betrieb und die Erhaltung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur mit digitalem Know-how und auf den Bedarf zugeschnittenen Lösungen. Die meisten angebotenen Lösungen fokussieren sich auf die Unterstützung der täglichen Aufgaben im Asset Management. Das stetig wachsende Angebot an Funktionen und digitalen Prozessen wird in Anwendungsfällen, sogenannten P3IM Modulen, beschrieben. Diese bauen mitunter daten- und prozesstechnisch aufeinander auf. In diesem Beitrag wird exemplarisch ein repräsentativer Ausschnitt des Portfolios vorgestellt, an dem die standardisierte Arbeitsweise und das systematische Vorgehen der angewandten Arbeitspraktiken deutlich werden. Abschließend wird auf aktuelle Herausforderungen der Digitalisierung von Transportinfrastruktur eingegangen und aufgezeigt, wie die Competence Area BIM diesen bereits heute begegnet. 1. Einführung Der Masterplan des BMVI sieht vor, dass die BIM-Methodik (Building Information Modeling) ab 2025 für alle zukünftigen Verkehrsinfrastrukturprojekte eingesetzt werden soll. Hierbei fokussiert sich das Augenmerk jedoch nur auf einen Teil des Projektlebenszyklus, denn der Fokus der bis 2025 zu erstellenden Methodik liegt klar auf der Erstellung von Anwendungsfällen für die Planungs- und Bauphase der Projekte. Betrieb und Erhaltung hingegen werden nur als Teil des ganzheitlichen Zukunftsbildes auf Basis Digitaler Zwillinge erwähnt, bleiben in ihrer Ausgestaltung jedoch unkonkret [1]. Dieses Muster der Fokussierung von BIM auf Planung und Bau zieht sich durch große Teile der Fachliteratur (vgl. z.B. [2], [3], [4], [5]). Zusätzlich wird BIM häufig nicht als Methode, sondern als die Fähigkeit bezeichnet, Objekte als 3D Model darzustellen [2]. Die ebenfalls wichtigen nicht-geometrischen Zusatzinformationen, die unterschiedlichste Anwendungsfälle erst ermöglichen, werden dabei häufig ignoriert. Dabei sind es gerade jene Informationen, die einen Mehrwehrt für spätere Phasen im Lebenszyklus ermöglichen [6]. Wird die BIM Methodik nicht als ganzheitliche, sondern auf einzelne Lebenszyklusphasen ausgerichtete Methodik verstanden, so ergeben sich unter anderem die Gefahren von signifikanten Informationsverlusten und Mehrarbeit. Speziell für die Gruppe der Besitzer und Betreiber von Verkehrsinfrastruktur führt dies somit zu signifikanten Mehrkosten, die durch die Schaffung von Interoperabilität vermieden werden könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die aus fehlender Interoperabilität resultierenden Kosten auf die Projektphase „Betrieb und Erhaltung“ bereits 2004 mit Abstand die größten negativen finanziellen Auswirkungen hatten, ist es von essenzieller Wichtigkeit, ebendiese Interoperabilität der Daten über den gesamten Projektlebenszyklus sicherzustellen [7]. Seit Veröffentlichung der Studie des NIST in den USA (National Institute of Standards and Technology) im Jahr 2004 könnten sich die dort erfassten Kosten aufgrund von zunehmender Nutzung digitaler Programme sogar weiter erhöht haben [2]. Als projektlebenszyklusorientierter Partner der öffentlichen Hand realisiert HOCHTIEF PPP Solutions Infrastrukturprojekte mit einem ganzheitlichen Ansatz über die Planung und den Bau bis hin zu Betrieb und Erhaltung [8]. Vor dem Hintergrund der über mehrere Jahrzehnte ausgelegten Konzessionsverträge sind innerhalb von HOCHTIEF PPPS unterschiedliche Anwendungsfälle definiert worden, die entsprechende Prozesse in digitaler Form und im Einklang mit dem P3IM System abbilden. Diese Anwendungsfälle verteilen sich über den gesamten Lebenszyklus der betreuten Projekte und gehen sogar in Teilen über das klassische BIM-Verständnis hinaus, indem auch Aspekte betrachtet werden, die zwar mit dem Bau von Verkehrsinfrastruktur zusammenhängen, nicht jedoch direkt mit dem Verkehrsinfrastrukturobjekt und der zugehörigen Projektdatenstruktur verknüpf bar sind. Bereits 2013 zeigte Dr. Liebich eine Anwendungsfallklassifizierung auf, in welcher potenzielle Anwendungsfälle den Phasen des Projektlebenszyklus zugeordnet wurden 78 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur [9]. Auffällig ist, dass auch Dr. Liebich bereits Anwendungsfälle sah, die keine zwingende direkte Verbindung zum detaillierten Modell eines digitalen Zwillings benötigen (z.B. Notfallplanung). Innerhalb des P3IM wird dieser Ansatz jedoch noch weiter ausgeführt, denn insbesondere in den Projektlebenszyklusphasen Betrieb und Erhaltung existieren viele Anwendungsfälle, die keine Verbindung zu den ursprünglichen Planungsdaten benötigen (z.B. Unfallmanagement, Einsatzkräfte am Unfallort, Betriebsführung). Auch in diesen beiden Phasen werden viele Aktivitäten an Objekten durchgeführt, die bereits durch die Planungs- und Bauphasen definiert und als Teil einer Projektdatenstruktur erfasst wurden. Eine entsprechende Detaillierung ist jedoch größtenteils nicht mehr nötig, da für die Durchführung des Prozesses häufig die in einer „Project Breakdown Structure“ (PBS) definierten Attribute ausreichen. Somit ermöglicht das P3IM, dass zusätzliche Anwendungsfälle wie Unfallmanagement unterstützt werden können oder objektbezogene Anwendungsfälle wie Zustandserfassungen für Straßen- und Ingenieurbauwerke als End-2-End Prozess, inklusive Mängel- und Gewährleistungsmanagement, größtenteils digital abgebildet werden können. 2. PPP Informationsmanagement (P3IM) Das PPP Informationsmanagement P3IM wird seit 2015 sukzessive von HTPPPS Competence Area BIM zusammen mit HOCHTIEF ViCon entwickelt und auf PPP-Projekten in Baumanagement, Betrieb und Erhaltung genutzt. Es bildet den gesamten Projektlebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur ab und verbindet durch das Managementmodell unterschiedliche Datenquellen. 2.1 P3IM Evolution Das P3IM startete 2015 mit der Digitalisierung zuvor manuell durchgeführter formularbasierter Datenaufnahmen von Zustandserfassungen von Strecke und Ingenieurbauwerken über den Lebenszyklus. Durch die digitale Erfassung der Daten baubegleitend, zur Unterstützung der Bauabnahme oder für betriebliche Kontrollprüfungen und erste digitale Prozesse konnten zuvor mühsam durchgeführte Regeltätigkeiten wie Dokumentenbenennung, das Hinzufügen von Metadaten oder Datenduplizierung automatisiert werden. Sogar die regelbasierte Erstellung von PDF Dokumenten und die Informationsbereitstellung an den Bauverantwortlichen für nachfolgende digitale Prozesse, wie das Mängelmanagement oder auch zur Verifikation an den Auftraggeber, wurden somit ermöglicht. Allen Zustandserfassungen liegt seit Beginn der Entwicklungen eine PBS zugrunde. Sukzessiv wurden und werden bis heute und auch zukünftig erfasste Daten, wie auch Informationen aus anderen externen Datenquellen und Autorensystemen, eingebunden und über die PBS mit dem P3IM Modell verknüpft. Hier unterstützt HOCHTIEF ViCon, damit die Daten anwendungsfallübergreifend in Dashboards und am P3IM Modell ausgewertet werden können. Ziel war schon immer die Generierung von Mehrwert durch Transparenz, Prozessstabilität und neuen Erkenntnissen durch die Verschneidung von Daten. Das Jahr 2018 folgte mit einem Wechsel auf die Microsoft Power Plattform - ein zweiter Evolutionsschritt hin zu einem umfangreicheren „App-Gedanken“. Durch die Nutzung der vielfältigen Tools des Anbieters war es möglich, den zuvor statischen formularbasierten Aufnahmeprozess dynamischer zu gestalten und diverse Automatismen und Navigationselemente einzubauen. Diese Herangehensweise ermöglicht eine flexiblere Gestaltung vieler Lösungen, sodass größere Teile des Prozesses in den benötigten Ausprägungen automatisiert abgebildet werden können. Mit den positiven Erfahrungen und zunehmendem Wunsch der Projekte nach weiterer Digitalisierung wuchs die Zahl der BIM Anwendungsfälle als P3IM Module. Viele Anwendungsfälle sind nach wie vor mit der PBS verknüpft, weil die hieraus resultierenden Auswertungsmöglichkeiten für das Asset Management von großer Bedeutung sind. Die erzielte Digitalisierung von Datenaufnahme und Prozessen wurde jedoch auch für betriebliche Vorgänge, die vornehmlich einer anderen, nicht zwangsläufig objektorientierten Logik folgen, zunehmend wichtig. Diese Anwendungsfälle werden ebenfalls mit dem P3IM Modell verknüpft, jedoch mit geringerer Detaillierung, so dass die Vorteile einer Verschneidung von Informationen am P3IM Modell auch hier genutzt werden können. Schließlich folgte neben dem kontinuierlichen Ausbau der unterstützten Anwendungsfälle das Ziel, die Geschäftsprozesse als End-2-End Prozesse digital abzubilden. Dies stellt eine weitere Evolutionsstufe des P3IM dar. Der Fokus liegt nun darauf, die zuvor relativ unverändert digitalisierten analogen Prozesse zu optimieren, um den vollen Nutzen der Digitalisierung zu erschließen und medienbruchfreie Bearbeitung zu ermöglichen. Mit einem verstärkten Fokus auf Standardisierung wird dabei ebenfalls Wert daraufgelegt, die bestmögliche Lösung auf allen unterstützten Projekten zum Einsatz bringen zu können. Dabei ist es wichtig hervorzuheben, dass die vorherigen Stufen der Evolution zwingend durchlaufen werden mussten, um die nötigen Erkenntnisse zu gewinnen und damit die aktuellen Prozesse optimieren zu können. Die entwickelten digitalen Lösungen bieten hier eine große Arbeitserleichterung und großen Mehrwert im Informationsmanagement und reduzieren letztlich das Risikoportfolio großer Projekte. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 79 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur Abb. 1: Unterstützte P3IM Anwendungsfälle 2022 2.2 P3IM Architektur Im Folgenden wird auf die Entwicklung von Lösungen zur Datenerfassung, digitaler Prozesse und Informationsmanagement genauer eingegangen. Die aktuell genutzte Architektur des P3IM basiert zu großen Teilen auf den durch Microsoft bereitgestellten Diensten. Mit den Anwendungen der Microsoft Power Plattform wird die Dateneingabe, Verarbeitung und lokale Analyse abgebildet. Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung: Daten werden größtenteils über mobile Apps erfasst, auf den Endgeräten der Nutzer gespeichert und bei stabiler Internetverbindung an den SharePoint übermittelt. Dort liegen die Daten in strukturierter Form und können über automatisch vergebene Identifikationsnummern adressiert werden. Diese Id-Nummern ermöglichen ebenfalls eine tabellenübergreifende Verknüpfung der Datensätze, welche insb. für nachfolgende übergreifende Analysen herangezogen werden können. Weiterhin ermöglicht die Nutzung von Microsoft Power Automate die automatische regelbasierte Weiterverarbeitung der erfassten Daten und stellt sicher, dass nachträgliche Änderungen von Daten an allen relevanten Stellen verknüpfter Tabellen ebenfalls angepasst werden. Die Speicherung der Daten auf dem SharePoint ermöglicht es Nutzern darüber hinaus, einzelne Datenfelder manuell abzuändern und somit beispielsweise den Status eines Bearbeitungsvorgangs zu aktualisieren. Datenanalyse: Über den Ebenen der Datenerfassung, -speicherung und -verarbeitung spannt sich die Ebene der Datenanalyse, in der die zuvor generierten Daten ausgewertet werden können. Dies erfolgt durch die Nutzung von Microsoft Power BI, mithilfe dessen schnelle anwendungsfallbezogene Ad-Hoc Analysent ermöglicht werden. Drill-Downs und Roll-Ups werden ebenfalls unterstützt. Die Analysevorgänge beziehen ihre Daten in Echtzeit aus den auf dem SharePoint liegenden Informationen, sodass Änderungen der Daten direkt in die getätigten Auswertungen einfließen können. Abb. 2: P3IM Anwendungsarchitektur 80 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur 2.3 Repräsentative P3IM Anwendungsfälle (End-2-End) In diesem Abschnitt werden einige repräsentative Anwendungsfälle vorgestellt, die durch das P3IM ganzheitlich abgebildet werden, sodass eine nahezu medienbruchfreie Bearbeitung möglich ist. Dabei folgen die gewählten Anwendungsfälle dem Ziel, die digital abgebildete Lösung End-2-End bzw. sogar unter Einbeziehung sich anschließender Folgeprozesse darzustellen. Mobile P3IM Zustandserfassung mit nachfolgendem Mängel- und Gewährleistungsmanagement: Insbesondere in den ersten Jahren nach Fertigstellung der Bauwerke ist es für den Betreiber der Verkehrsinfrastruktur von essenzieller Wichtigkeit, den Status seiner Bauwerke digital nachzuverfolgen, um ggf. auftretende Mängel als Gewährleistungsansprüche geltend machen zu können. Mit den mobilen Apps zur Zustandserfassung (unterteilt nach Strecke und Ingenieurbauwerken) ist es für die Begehenden möglich, bei durchgeführten Begehungen festgestellte Auffälligkeiten digital festzuhalten und in einer zentralen Liste abzulegen, von wo aus eine Weiterverarbeitung erfolgen kann. Hierzu können Dokumente erstellt werden, die relevante Informationen zu den entsprechenden Feststellungen bündeln. Diese Dokumente können dann in den Folgeprozessen Mängelmanagement bzw. Gewährleistungsmanagement weiterverarbeitet werden. Dort werden mehrere Feststellungen zu einem Mangel / Gewährleistungsmangel zusammengefasst. Über einen eindeutigen Identifikator werden diese angelegten Mängel dann den gruppierten Feststellungen zugeordnet, sodass die logische Verknüpfung gewährleistet ist. Die so zugeordneten Feststellungen können somit direkt nach Durchführung der Mangelanzeige durch die zuständigen Bearbeiter (z.B. Team Erhaltung / Bau-Arge) analysiert, behoben und als behoben gemeldet werden. Bevor jedoch eine finale Bestätigung erfolgt, muss die Abmeldung durch das Projektteam bestätigt werden. Zwar sind in diesem Prozess noch nicht alle Schritte medienbruchfrei umgesetzt (bspw. erfolgt die Benachrichtigung der zuständigen Personen über einen neuen Mangel via E-Mail und existierende Dokumente können noch nicht automatisiert zusammengefügt werden). Trotzdem sind bereits heute alle Informationen zentral gespeichert und miteinander in Beziehung gesetzt, sodass die Grundlage für weitere Schritte in Richtung einer medienbruchfreien Verarbeitung bereits gelegt ist. P3IM-Unfallmanagementsystem: Das P3IM Unfallmanagementsystem war einer der ersten auf den unterstützen Projekten eingeführten Anwendungsfälle und wurde seit seiner Einführung kontinuierlich erweitert. Mithilfe einer mobilen App können Straßenwärter, Kolonnenführer oder Einsatzleiter vor Ort bereits während des Unfalls alle relevanten Daten zum Unfall aufnehmen, die für eine nachträgliche Dokumentation vonnöten sind. Weiterhin kann aus der App heraus direkt eine Meldung besonderer Vorkommnisse an den Auftraggeber versandt werden. Schäden können dokumentiert und in ihrem Ausmaß bestimmt werden. Mithilfe von Kameraaufnahmen können die am Unfallort erstellten Bilder ebenfalls direkt an den SharePoint übermittelt und automatisch dem Unfall zugeordnet werden, sodass der nachträgliche Administrationsaufwand so weit wie möglich reduziert wird. Die für den Prozess der Unfallabwicklung (Wiederherstellung der Fahrbahn / weiterer beschädigter Objekte, Reinigung, etc.) zu erfassenden Tätigkeiten eigener Betriebsmitarbeiter sowie die beauftragten Leistungen externer Dienstleister können sowohl aus dem Büro heraus als auch direkt vor Ort zeitgenau erfasst werden. Weiterhin können genutzte Geräte und Fahrzeuge hinzugefügt, sowie verbrauchte Materialien eingegeben werden, sodass aus all diesen Informationen nach Wiederherstellung der Fahrbahn auf Knopfdruck automatische Kostenzusammenstellungen erstellt werden können, die dann zur finanziellen Abwicklung herangezogen werden. Somit können durch das P3IM System Unfälle von der Erfassung bis zur Abrechnung in einem System dargestellt und bearbeitet werden, wobei eine zielgruppengerechte Adressierung dahingehend erfolgt, dass die Unfalldatenerfassung auf mobilen Endgeräten und die Unfallverarbeitung über einen Desktopzugang erfolgen. Trotzdem greifen beide Anwendungen auf denselben Datenpool zu und haben somit in Echtzeit Zugriff auf benötigte und aktuelle Informationen. 3. Wie die Competence Area BIM aktuellen Herausforderungen begegnet In einer Meta-Studie, die 189 Veröffentlichungen zur Digitalisierung im Bereich Verkehrsinfrastruktur untersuchte, definieren Costin et al. fünf Bereiche von Herausforderungen, die BIM im Bereich Verkehrsinfrastruktur prägen und eine flächendeckende Einführung erschweren: Technik, Prozesse, digitale Mentalität, den rechtliche Rahmen und ROI (Return on invest)-bezogene Herausforderungen [2]. Nachfolgend werden drei für die Competence Area BIM relevante Bereiche (Technik, Prozesse, Mindset) erläutert, und es wird beschrieben, inwiefern diese den Herausforderungen bereits heutzutage begegnet und was in Zukunft noch stärker betrachtet werden sollte: 3.1 Technische Herausforderungen Bereits 2014 stellte Matějka heraus, dass es an einer standardisierten Vorgehensweise für die Anwendung von BIM auf Verkehrsinfrastrukturprojekten fehlt und dass - falls überhaupt - nur die Methodik aus dem Hochbau übertragbar ist, nicht jedoch andere Bereiche, wie beispielsweise die Objektstruktur, da sich diese grundlegend von der des Infrastrukturbaus unterscheidet [10]. Um ebendieser Problematik proaktiv zu begegnen und bereits vor Konkretisierung des BMVI Zukunftsbildes auf Basis digitaler Zwillinge von den Vorteilen der BIM- Methodik im Verkehrsinfrastrukturbereich profitieren zu können, hat die Competence Area BIM eine eigene auf Verkehrsinfrastruktur ausgelege PBS eingeführt. Dabei erfolgt die Orientierung innerhalb des Modells anhand der übergeordnet gültigen PBS, durch die sämtliche erfassten projektbezogenen Informationen direkt am zugehörigen Objekt verortet werden können [11] [12]. Gleichzeitig helfen die bereitgestellten Apps und Prozesse 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 81 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur innerhalb der Microsoft Power Platform dabei, Daten standardisiert und im benötigten Format aufzunehmen und so nahezu in Echtzeit ans Managementmodell anbinden zu können. Damit validiert der durch die Competence Area BIM gewählte Ansatz eine für Konzessionsprojekte häufig angewandte Methode, in welcher neue Systeme ab Beginn der Betriebsphase genutzt werden [13]. Indem das P3IM allerdings trotzdem auf den für Betrieb und Erhaltung relevanten Informationen der Planungs- und Bauphasen auf baut und diese ins Datenmodell integriert, können eine aufwändige Neuerstellung von Informationssystemen verhindert und die bereits existierenden Daten mehrwertbringend genutzt werden [2] [4]. Somit ermöglicht der gewählte Ansatz, Informationen zentralisiert darzustellen und dazu beizutragen, bessere und informationsbasierte Entscheidungen zu treffen [3] und das Potenzial von bis zu 15% Einsparungen zu nutzen, welche der Nutzen einer ganzheitlichen BIM-Methodik ermöglicht [1]. Ali et al. weisen zudem auf das häufig auftretende Problem der Dateninteroperabilität hin, welches sich aus der Nutzung unterschiedlicher Software und Technologien ergibt [14]. Zwar wird mit dem IDF Dateiformat ein Standard bereitgestellt, mithilfe dessen objektbezogene Informationen softwareübergreifend ausgetauscht werden können, doch für die teilweise transaktionsbasierte Datenerfassung, die durch Mitarbeiter von Betrieb und Erhaltung durchgeführt wird, eignet sich dieses Dateiformat nur bedingt. Gleichzeitig sollen die Daten nicht nur Nutzern des Informationsmanagementmodells zugänglich sein, sondern auch Sachbearbeitern als Unterstützung in der Prozessabwicklung, bspw. für Unfallschadensabwicklung oder Mängelmanagement dienen. Daher werden alle Daten der unterstützten Lösungen auf Share- Point Online strukturiert gespeichert. Somit übernimmt SharePoint die Funktion der gemeinsamen Datenplattform (CDE) und stellt Schnittstellen bereit, mithilfe derer die gesammelten Daten im angeschlossenen Informationsmanagementmodell verarbeitet werden können. Insbesondere für die Datenbereitstellung zur Analyse wird somit dem konventionellen Ansatz ETL (extrahieren, transformieren, laden) gefolgt, sodass ursprünglich selbst nicht miteinander in Beziehung stehende Daten als mehrwertbringende Informationen innerhalb des Informationsmanagementmodells auswertbar sind. 3.2 Prozessuale Herausforderungen: Neben den technologischen Hürden sind es ebenfalls Herausforderungen im Bereich Prozesse, die die aktuelle Arbeitsweise im Bereich Betrieb und Erhaltung für Verkehrsinfrastrukturprojekte einschränken. Insbesondere das effiziente Aufstellen von digital unterstützten Arbeitsprozessen wird hier von Costin et al. hervorgehoben [2]. Innerhalb der Competence Area BIM wird dieser Herausforderung insbesondere durch die Nutzung der gemeinsamen Datenplattform begegnet, in der alle operativ erfassten und verarbeiteten Daten zusammenfließen. Somit werden digitale Schnittstellenproblematiken reduziert, Kompatibilitätsprobleme umgangen, die durch die Nutzung der Produkte unterschiedlicher Softwareanbieter entstehen würden und Kosten gesenkt, da sich auf wenige Softwareanbieter beschränkt werden kann. Gleichzeitig kann in der Rolle als zentraler Bereitsteller von neuen, digital unterstützten Anwendungsfällen für mehrere Projekte der „Best of Breed“ Ansatz verfolgt werden und die optimalste Lösung, die auf den Projekten im Einsatz ist, bei Interesse auf weitere Projekte ausgerollt werden. Als Koordinator kann die Competence Area BIM somit Innovationen und Prozessoptimierungen schnell entwickeln und dort zielgerichtet dort bereitstellen, wo Bedarf besteht. 3.3 Herausforderungen bzgl. der digitalen Mentalität: Der dritte von Costin et al. herausgestellte große Herausforderungsblock betrifft weniger die Werkzeuge und Methoden, sondern richtet sich stattdessen darauf, ein „digitales Mindset“ bei all jenen zu verankern, die regelmäßig mit den digitalen Prozessen in Berührung kommen. Dies kann durch Trainings und Weiterbildung geschehen, aber auch durch das Auf bauen von Vertrauen in die existierenden Lösungen [2]. Innerhalb der Competence Area BIM wird dieser Herausforderung auf vielfältige Weise begegnet. Um Datenverlusten bei der Übertragung von mobilen Endgeräten zum SharePoint vorzubeugen, wurden in den bereitgestellten Apps umfangreiche Sicherheitsmechanismen implementiert. Trotzdem muss hervorgehoben werden, dass die bereitgestellten Lösungen, insbesondere das Informationsmanagementmodell, nur so gut funktionieren, wie die Datenqualität es zulässt. Werden vom Nutzer falsche oder unzureichende Daten eingetragen, so ist eine mehrwertbringende Auswertung nur bedingt oder gar nicht möglich. Daher ist es umso wichtiger, dass die Einführung jeder Neuerung mit einer begleitenden Präsentation und Testphase begleitet wird, bis der Nutzer die nötige Sicherhit im Umgang mit der Lösung bekommen hat. Ein weiterer Aspekt, der die Qualität der aufgenommenen Daten beeinflusst, ist die intuitive Nutzung der Lösungen durch die Endbenutzer. Daher wird seit einiger Zeit ein verstärkter Fokus daraufgelegt, Lösungen zu entwickeln, die nicht nur funktional sind, sondern ebenfalls intuitiv bedienbar bleiben und benötigte Daten so weit wie möglich bereits im Hintergrund erfassen, sodass der Nutzer sich auf die für ihn relevanten Felder konzentrieren kann. Dies ist umso wichtiger, da Lösungen für unterschiedliche Zielgruppen bereitgestellt werden. Somit bekommen auch Straßenwärter die Gelegenheit, Daten digital erfassen zu können. Dies ermöglicht, dass Rückmeldung nicht nur aus den Büroräumen der unterstützten Projekte erfolgen, sondern fördert auch das ungefilterte Feedback derjenigen, die viele der angebotenen Apps im täglichen Gebrauch auf den mobilen Endgeräten nutzen. 4. Zusammenfassung Mit dem Masterplan BIM Bundesfernstraßen wird ein erstes Rahmendokument vorgelegt, welches einen Weg zur verstärkten Nutzung von BIM im Bereich der Ver- 82 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 7 Jahre Digitalisierung von PPP-Projekten der Verkehrsinfrastruktur kehrsinfrastruktur aufzeigt. Da der derzeitige Fokus aktuell jedoch auf den Projektlebenszyklusphasen Planen und Bauen liegt, werden die Phasen Betrieb und Erhaltung nur tangiert. Genau diesen Phasen kommt jedoch im täglichen Geschäft von HOCHTIEF PPPS eine entscheidende Bedeutung zu. Daher hat die Competence Area BIM in den letzten Jahren eine eigenständige BIM Methodik entwickelt, die in einigen Bereichen weit über das klassische BIM-Verständnis hinausgeht und passgenau auf die Bedürfnisse öffentlich-privater Partnerschaftsprojekte abgestimmt ist. Durch eine vordefinierte Projektdatenstruktur, sowie eine standardmäßig eingerichtete Datenumgebung mit zugehörigem, auf der Microsoft Power Plattform basierenden „Technologie-Stack“, ist die Competence Area BIM in der Lage, neue Lösungen zentral zu entwickeln und im „Best-of-Breed“ Ansatz auf die unterstützten Projekte auszurollen. Durch den aktuellen Fokus auf die medienbruchfreie Durchführung von End- 2-End Prozessen erleichtert die Competence Area BIM somit den Projekten die tägliche Arbeit, reduziert Routinetätigkeiten und hilft, die Digitalisierung im Bereich der Verkehrsinfrastruktur weiter voranzutreiben und aktuellen Herausforderungen in den Bereichen IT, Prozesse und digitales Mindset gut gewappnet begegnen zu können. Literatur [1] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, „Masterplan BIM Bundesfernstraßen,“ Berlin, 2021. [2] A. Costin, A. Adibfar, H. Hu und S. S. Chen, „Building Information Modeling (BIM) for transportation infrastructure - Literature review, applications, challenges, and recommendations,“ Automation in Construction 94, p. 257-281, 2018. [3] H. Sofia, E. Anas und O. Faïz, „Mobile Mapping, Machine Learning and Digital Twin for Road Infrastructure Monitoring and Maintenance: Case Study of Mohammed VI Bridge in Morocco,“ IEEE International conference of Moroccan Geomatics (Morgeo), pp. 1-6, 2020. [4] C. M. Eastman, C. Eastman, P. Teicholz, R. Sacks und K. Liston, BIM Handbook: A Guide to Building Information Modeling for Owners, Managers, Designers, Engineers and Contractors, 2 Hrsg., John Wiley & Sons, 2011, pp. 1-626. [5] W. Chou, J. Wang, X. Wang und H. Y. Chong, „A Comparative Review of Building Information Modelling Implementation in Building and Infrastructure Industries,“ Arch Computat Methods Eng 22, 2015. [6] Tschickardt, Thomas; Krause, Daniel; , „BIM im Verkehrswegebau am Beispielprojekt „Verfügbarkeitsmodell A10/ A24“,“ Bautechnik, pp. 259-268, 2019. [7] M. P. Gallaher, A. C. O’Connor, J. L. Dettbarn, Jr. und L. T. Gilday, „Cost Analysis of Inadequate Interoperability in the U.S. Capital Facilities Industry,“ National Institute of Standards and Technology, 2004. [8] HOCHTIEF PPP Solutions, „Lebenszyklus: Planen, Finanzieren, Bauen und Betreiben von Infrastruktur,“ [Online]. Available: https: / / www.hochtief-pppsolutions.de/ leistungen. [Zugriff am 23 11 2022]. [9] D. T. Liebich, IFC for INFRAstructure, Helsinki: Building Smart, 2013. [10] P. Matějka, „The importance of a transport infrastructure construction for the implementation of BIM,“ in International Scientific Conference People, Buildings and Environment 2014, Kroměříž, Czech Republic, 2014. [11] D. Dr. Schäfer, „Nutzung von BIM für das Asset Management von Verkehrsinfrastruktur - Projektbeispiel A6,“ in Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Esslingen, 2019. [12] D. Dr. Schäfer, „BIM in PPP-Projekten am Beispiel BAB A7 Nord,“ in HOCHTIEF Civil Colloquium, Bergisch Gladbach, 2017. [13] A. V. Skvortsov, V. N. Boykov und S. F. Sharapov, „Building Information Modeling of Highways on Maintenance Stage,“ p. Intelligent Technologies and Electronic Devices in Vehicle and Road Transport Complex (TIRVED), 2021. [14] N. Ali, S. S. Chen, R. Srikonda und H. Hu, „Development of Concrete Bridge Data Schema for Interoperability,“ Transportation Research Record, Bd. 2406, Nr. 1, pp. 87-97, 2014. [15] T. Kupfer, S. Rynkowski und D. Dr. Schäfer, in HOCHTIEF Civil Colloquium, Bergisch Gladbach, 2019. [16] A. Borrmann, Y. Ji, R. Jubierre und M. Flurl, „Procedural Modeling: A new approach to multi-scale design in infrastructure projects,“ in Proc. of the EG-ICE Workshop on Intelligent Computing in Engineering, 2012. [17] D. Schäfer, J. von Lukowicz, F. Bialas und I. Čadež, „Nutzung von BIM für das Asset Management von Verkehrsinfrastruktur am Beispiel des ÖPP-Projekts A7,“ in Taschenbuch für den Tunnelbau 2019, Deutsche Gesellschaft für Geotechnik e.V., 2018. Urbane Herausforderungen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 85 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Priorisierung bei der Umsetzung, Wesentliches bei Planung und Ausführung, Hinweise aus der Praxis Dipl.-Ing. Bau (FH) - BDB - Edgar Theurer Grünflächen- und Tiefbauamt, Stadt Pforzheim Zusammenfassung Der nachfolgende Beitrag zeigt, das Bushaltestellen für einen barrierefreien ÖPNV auf Basis der aktuellen gesetzlichen Vorgaben in nahezu jeder Situation möglich sind. Dafür bedarf es einer verantwortungsvollen Erstellung einer Prioritätsreihung zum Umbau der unzähligen noch nicht barrierefreien Haltestellen und einer Verankerung dieser Priorisierung in entsprechend verpflichtenden Planwerken. Die Beachtung einer überschaubaren Anzahl an Planungsvoraussetzungen gesetzlicher und technischer Normen sowie eigener Vorgaben unter Einsatz der entsprechenden am Markt befindlichen Produkte lassen Haltestellen entstehen, die dem Nutzer die notwendigen Voraussetzungen bieten, den Bus selbständig und ohne fremde Hilfe zu besteigen und wieder zu verlassen. Bei sorgfältiger Umsetzung der Planung durch detailgenaue, maßhaltige Bauausführung entsteht gebaute Umwelt, die den Anforderungen an Barrierefreiheit entspricht. Beispiele umgesetzter Projekte aus der Planungspraxis in Pforzheim geben einen Überblick, wie barrierefreie Haltestellen im Stadtbild aussehen und optimal funktionieren können. 1. Inhaltsübersicht Zur Bearbeitung der Thematik „Bushaltestellen für einen barrierefreien ÖPNV“ sind die folgenden 5 Aspekte zu betrachten: - Vorgaben - Priorisierung beim Ausbau - Planungsgrundlagen - Beispiele gebauter Anlagen - Ausführungsprobleme 2. Vorgaben Barrierefreiheit im öffentlichen Verkehrsraum wird durch eine umfangreiche Gesetzgebung vorgegeben. Beginnend bei UN- und Behindertenrechtskonventionen über die Forderung im Grundgesetz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ und dem Behindertengleichstellungsgesetz §8 „Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr“ führt der Weg zur konkretesten Forderung, dem §8, Abs. 3 des PBefG (Personenbeförderungsgesetz). In diesem wird das Ziel vorgegeben „… für die Nutzung des ÖPNV bis zum 01.01.2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen …“. Dies betrifft „in ihrer Mobilität oder sensorisch eingeschränkte“ Menschen. Die baulichen Details regeln dann entsprechende DIN, wie im Wesentlichen die DIN 18040-3: 2014-12 (Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum), die DIN 32984: 2020-12 (Bodenindikatoren im öffentlichen Raum) sowie die DIN 32975: 2009-12 (Gestaltung visueller Informationen im öffentlichen Raum zur barrierefreien Nutzung). Die Vorgabe des PBefG, vollständige Barrierefreiheit bis zum 1. Januar 2022 umzusetzen, war ein ambitioniertes Ziel. Gut 1 Jahr später kann wohl festgestellt werden, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Kennen Sie eine - zumindest größere - Kommune, die sämtliche Haltestellen barrierefrei umgebaut hat? Damit hat sich die Sache aber nicht erledigt, die Bemühungen müssen im Gegenteil intensiviert werden. Bei vielen Kommunen stellt sich in Folge dessen immer drängender die Frage „wo fangen wir überhaupt an, bei der Fülle der Haltestellen, die es - noch umzubauen gilt? “ Wurden zu Beginn pragmatisch die Haltestellen angepackt, die aus irgendwelchen Gründen „sowieso“ in Baumaßnahmen involviert waren so gilt es nun, ein klares Handlungskonzept, eine Prioritätenreihung, zu erarbeiten um die Gesetzesvorgabe planvoll zu erfüllen. 3. Priorisierung beim Ausbau Die Stadt Pforzheim hat folgendes Procedere zur Umsetzung der Barrierefreiheit bei Bushaltestellen beschlossen: Es wird eine Prioritätenliste anhand mehrerer Kriterien aufgestellt. Diese Liste wird im parallel neu erstellten Nahverkehrsplan (NVP) als Handlungsvorgabe beschlossen. Abweichungen von dieser Liste sind nur möglich, wenn einzelne Haltestellen im Rahmen von aktuellen Baumaßnahmen direkt betroffen sind (Straßenunterhaltung, Leitungsbau, Hochbauten im direkten Umfeld, …) bzw. in deren Baufelder mit einbezogen werden können. Jegliche weitere Abweichung bedarf eines expliziten Beschlusses im Rahmen von NVP-Belangen. Diese Liste besteht in Form einer Excel-Tabelle, die als Anlage VI zum NVP 2021 beschlossen wurde. Ein Ausschnitt daraus ist unten dargestellt. 86 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 1: Ausschnitt Anlage VI zum NVP 2021 der Stadt Pforzheim - Priorisierung Haltestellen für barrierefreien Ausbau Die Liste umfasst sämtliche Haltestellen auf der Stadtgemarkung Pforzheim, das sind aktuell 279 Positionen (i.d.R. Haltestellenpaare). Zur Priorisierung werden die nachfolgend aufgeführten Kriterien herangezogen und in Bewertungspunkte umgesetzt: - Einsteiger an der Haltestelle pro Jahr pro 1000 Einsteiger 1 Punkt - Zuschlag für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen etc. im Haltestellenumfeld pro Objekt 50 Zusatzpunkte - Zuschlag für Verkehrsknotenpunkte (des ÖPNV) in der Nähe pro Knotenpunkt 50 Zusatzpunkte - Zuschlag für besondere Einrichtungen wie Verwaltung, Kultur, Freizeit, Friedhöfe etc. im Haltestellenumfeld pro Einrichtung 30 Zusatzpunkte Aus der Gesamtpunktzahl von Fahrgastpunkten und Zusatzpunkten wird die Reihung der Haltestellen ermittelt. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 87 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 2: Kriterien für Priorisierungsfestlegung In einer Auswerteübersicht am Kopf der Tabelle wird jeweils der aktuelle Sachstand hinsichtlich des Zielerreichungsgrades in Pforzheim dargestellt. Ausgewertet wird hinsichtlich Prozentzahl der betroffenen Einsteiger pro Jahr und hinsichtlich der Prozentzahl nach erreichten Prioritätspunkten. In der Praxis zeigt sich derzeit kein signifikanter Unterschied dieser beiden Auswertekriterien. Final entscheidend ist das Auswertekriterium der erreichten Prioritätspunkte. Aktuell stehen wir in Pforzheim somit bei einem Zielerreichungsgrad hinsichtlich der Vorgaben des PBefG von knapp 25 %. Das ist - aus unserer Sicht angesichts von 235 umzubauenden Haltestellen - kein allzu schlechter Wert. Der NVP definiert auch Haltestellen, die nicht zum Umbau vorgesehen werden. Dies sind zum einen Haltestellen, deren Umbau aus technischen Gründen unmöglich ist und die auch nicht durch geringfügige Standortverlagerungen einer Umbaumöglichkeit zugeführt werden können. Dieses Kriterium (in Pforzheim bisher an 1 Haltestelle aufgetreten) ergibt sich erst im Rahmen konkreter Um- oder Ausbauplanungen, kann also nicht in der Liste vorab schon berücksichtigt werden. Haltestellen mit einer Fahrgastfrequenz von weniger als 4.500 Einsteigern pro Jahr werden dagegen bereits im NVP von einem (zwingenden) Umbau ausgenommen. Die Spanne an Haltestellen, in der sich unsere Planungsüberlegungen abspielen, zeigt die nachfolgende Darstellung. Die beiden Haltestellen Leopoldplatz und Leopoldstraße - im Stadtbild und Liniengefüge in unmittelbarer Nachbarschaft und dadurch im Zusammenhang zu behandeln - repräsentieren bereits knapp 5.500 von insgesamt 20.000 Prioritätspunkten, also ca. 25 %. Gelänge es, diese beiden Haltestellen im Zusammenhang barrierefrei umzubauen, könnten wir unseren Zielerreichungsgrad auf einen Schlag verdoppeln und mit 50 % eine sehr hohe Umsetzungsquote bewirken. Schon die nächste laut Liste anstehende Umbaumaßnahme „Waisenhausplatz“ brächte nur einen Zuwachs von gut 3 %. 88 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 3: Spanne der Umbaudringlichkeit laut Prioritätsreihung Mit dieser Prioritätenfestlegungstabelle haben wir ein probates, allgemein anerkanntes, Werkzeug zur Beurteilung der Umbaudringlichkeit und konfliktarmen (nicht -freien) Argumentation, wann und warum welche Haltestelle zum Umbau ansteht. Die bisher damit gemachten Erfahrungen bestätigen die Richtigkeit unserer Vorgehensweise. 4. Planungsgrundlagen Die Aufgabe barrierefreier Bushaltestellen ist es, das Ein- und Aussteigen ohne unüberwindbare Hindernisse zu ermöglichen. Die Selbständigkeit des in seiner Mobilität eingeschränkten Fahrgastes steht im Vordergrund. Eine Mithilfe des Busfahrers (oder anderer Fahrgäste) durch das Ausklappen der in jedem Bus vorhandenen Klapprampe (Vorgabe in unserem NVP) ist nur im Notfall vorgesehen. Die Ausstattungsstandards barrierefreier Bushaltestellen sind im NVP verbindlich geregelt. Ebenso sind dort die Fälle geregelt, in denen keine Barrierefreiheit angestrebt wird (s.o.). Damit ist eine einheitliche Vorgehensweise in der gesamten Stadt (und dem durch den NVP ebenfalls abgedeckten Verbundgebiet) gewährleistet, was dem Fahrgast Einheitlichkeit und Begreif barkeit zumindest verbundweit gewährleistet. Betrachten wir nun diese Planungsgrundlagen der Stadt Pforzheim näher: Standardhaltestelle im Stadtgebiet ist die 20 m lange, barrierefreie Fahrbahnrandhaltestelle. Abb. 4: Standard Fahrbahnrandhaltestelle 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 89 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 5: Systemplan barrierefreie Fahrbahnrandhaltestelle Auf einer Länge von 20 m wird ein Bussonderbord (eingebürgerter Sprachgebrauch „Kasseler Sonderbord“, da in Kassel zuerst so eingesetzt) mit Anschlag 18 cm eingebaut. Der Übergang zum Normalbord / Gehweg erfolgt durch Übergangssteine in entsprechender Länge, die sich aus der maximalen Rampenneigung von 6% ergibt. Die Sonderbordlänge von 20 m deckt alle gängigen Bustypen ab, die aktuell am Markt sind. Beim Einsatz von Doppelgelenkbussen bzw. anderen Sondertypen ist diese Länge entsprechend anzupassen. Am Haltestellenanfang befindet sich ein durch Bodenindikatoren markiertes Einstiegsfeld, bestehend aus Rippenplatten mit Rippenrichtung parallel zum Bordstein. Das 1,20 m breite und 0,60 m tiefe Einstiegfeld wird über die gesamte Gehwegbreite durch einen 60 cm breiten Auffindestreifen ebenfalls aus Rippenplatten parallel zum Bordstein ergänzt, der ein Auffinden des Einstiegsfeldes gewährleistet. Einstiegsfeld und Auffindestreifen werden durch ein Kontrastfeld eingerahmt, dass die optische und taktile Erkennbarkeit des Einstiegsfeldes / Auffindestreifens steigert. In der Regel sind Einstiegsfeld und Auffindestreifen in weißen Elementen ausgeführt, das Kontrastfeld dann schwarz. Je nach Umgebung kann das aber auch invers ausgeführt werden. Das Kontrastfeld besteht aus Betonplatten mit scharfer Kante, explizit ohne jedwede Fase. Die Bushaltestelle selbst hat eine Tiefe ab Bordsteinvorderkante von mindestens 2,50 m um vollkommen barrierefreie Bewegungsabläufe (Rangieren mit Rollstuhl) zu gewährleisten. Idealer Weise wird die Haltestelle mit einem Fahrgastunterstand als Witterungsschutz ausgestattet und mit einer Dynamischen Fahrgastinformationsanlage (DFI) ergänzt. Unbedingtes Muss ist das Haltestellenschild (H-Schild) als verkehrsrechtliche Kenntlichmachung der Haltestelle. Ist aus örtlichen Gründen kein mindestens 18 m langer (Standardgelenkbus) Sonderbord möglich ist die Sonderbordlänge auf 8 m zu beschränken. Damit sind der Einstieg und der erste Ausstieg des Fahrzeuges abgedeckt, ebenso sämtliche Solofahrzeuge. Zwischenlängen sind zu vermeiden, da dann ggfls. die Übergangsrampe von 18 cm Bordhöhe auf Normalhöhe genau an einer Bustüre zu liegen kommt und der Fahrgast in der Schräge stolpert oder anderweitig zu Schaden kommt. Sind auch 8 m Sonderbordlänge nicht möglich beschränkt sich diese auf eine Länge von 2 - 3 m in der Position der ersten Ausstiegstüre der Busse. Dann ist zumindest die Erreichbarkeit der Mehrzweckfläche (Rollstuhl, Rollator, Kinderwagen, …) im Bus direkt und barrierefrei möglich. Abb. 6: Fahrbahnrandhaltestelle Abb. 7: Einstiegsfeld Fahrbahnrandhaltestelle 90 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 8: durchgehende Bordsteinkante VERWENDEN Abb. 9: zurückspringende Bordsteinkante VERMEIDEN Die Baustoffindustrie bietet 2 unterschiedliche Arten von Bussonderborden an. Es gibt die Ausführung in gerader Bordsteinflucht mit vorspringendem Fuß des Bordes (oben links) und die Ausführung mit rückspringender Bordsteinkante und Fuß des Bordes in Bordsteinflucht (oben rechts): Der Fuß des Sonderbordes ist als Kehle ausgebildet, die bei einem tangentialen Anfahren auf Berührung durch das Busvorderrad den Bus selbst - ohne Zutun des Fahrers optimal an die Bordsteinkante heranzieht. Der Fahrer muss die Kante lediglich gestreckt tangential anfahren und dann das Lenkrad loslassen. Dieses gestreckt tangentiale Anfahren wird durch die durchgehende Bordsteinkante leicht möglich, da ohne weitere Lenkbewegung machbar. Bei der zurückspringenden Bordsteinkante muss der Rücksprung zuerst aktiv angelenkt werden bevor die Bordsteinform ihre Wirkung entfalten kann. Dem Vorteil des leichten Anfahrens der durchgehenden Kante steht im Bau der Nachteil entgegen, dass die durchgehende Bordsteinkante einen Versatz der Fahrbahndeckenkante bedingt, die im Einbau schwieriger zu bewerkstelligen ist. Der Betrieb einer Bushaltestelle ist sehr langfristig angelegt, deshalb können kurzfristige Einbauerschwernisse keine Dominanz gegenüber den Erfordernissen des täglichen Betriebes haben. Aus diesem Grund ist die zurückspringende Bordsteinkante zu vermeiden! Zur Frage der Bordsteinhöhe des Bussonderbordes - warum gerade 18 cm Anschlag? Die Spanne der von der Baustoffindustrie angebotenen Sonderbordsteine beginnt bei einer Bordhöhe von 16 cm und geht bis zu 24 cm und mehr. Ziel der Sonderborde ist es, den Spalt zwischen Bustüre und Bordsteinkante zu minimieren und gleichzeitig den Höhenversprung zwischen Busfahrzeugboden und Höhe des Bushaltestellenbelages (OK Gehweg) möglichst gering zu halten - idealerweise einen Ausstieg ohne Höhenversatz und Spalt zu ermöglichen. Die dabei auftretende Spanne an Möglichkeiten veranschaulicht die nachfolgende Grafik: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 91 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Reststufenhöhe Restspaltbreite 100 mm 50 mm 0 50 mm 100 mm vollständig barrierefrei ( maximal 50 x 50 mm ) bedingt barrierefrei ( maximal 100 x 50 mm oder 50 x 100 mm ) mit Erschwernissen oder fremder Hilfe nicht barrierefrei Abb. 10: Verhältnis Reststufenhöhe und Restspaltbreite - Einsatzoptionen Sonderbordsteinhöhen Anzustreben ist eine bauliche Lösung im grünen Bereich, maximal im gelben Sektor. Eine Bordsteinhöhe von 18 cm stellt dabei den aktuell besten Kompromiss dar. 16 cm Anschlag sind nicht barrierefrei, da die Reststufenhöhe bei aktueller Bustechnik immer im roten Bereich liegen wird. Höhen über 18 cm führen beim Einsatz von Bussen mit Außenschwingtüren häufig zu einem Aufsetzen der offenen Türe auf dem Bordstein und damit zu Beschädigungen am Bus bis hin zum Blockieren der Buselektronik im Betrieb. Außenschwingtüren kommen i.d.R. bei Überlandbussen zum Einsatz. Das hat zur Konsequenz, dass Bordsteinhöhen von über 18 cm nur dann zum Einsatz kommen können, wenn es sich um Stadtlinienbetrieb handelt und der Einsatz von Bussen mit Außenschwingtüren sicher ausgeschlossen werden kann. In der Praxis kommen - wie mehrere Umfragen in deutschen Kommunen ergaben - in nahezu 80 % aller Kommunen Sonderborde mit einer Anschlaghöhe von 18 cm zum Einsatz. Die Praxis spricht hier eine eindeutige Sprache! Einsatz der Bodenindikatoren: Die Einstiegsfelder an Bushaltestellen werden durch Bodenindikatoren nach DIN 32984 ausgebildet. Einstiegfeld und Auffindestreifen bilden Rippenplatten mit 50 mm Rippenabstand, Rippenrichtung parallel zur Bordsteinkante. Diese Indikatoren werden eingerahmt durch ein Kontrastfeld von Betonplatten mit scharfer Kante ohne jegliche Fase. Abb. 11: Kontrast Einstiegsfeld - Kontrastfeld weiß - basalt Abb. 12: Begleitplatten ohne Fase Durch den Farbkontrast (weiß zu basalt oder invers) und den taktilen Unterschied zwischen Rippenplatten und absolut ebenem Kontrastfeld ist der Einstiegsbereich (die erste Bustüre) auch für blinde Menschen oder solche mit einer Sehbeeinträchtigung eindeutig erkennbar. Nach DIN sind die Rippenplatten so einzubauen, dass die Rippenplatten „taleben“ zur umgebenden Fläche ausgeführt werden, die Rippen also über den Belag herausragen. In der Praxis führt dies zu Problemen mit dem Winterdienst, bei maschineller Schneeräumung werden die Rippen beschädigt und teilweise abgetragen. Deshalb empfehlen wir praxisorientiert den Einbau der Rippenplatten „bergeben“ sofern die Fläche bewittert (Schneefall) und maschinell geräumt wird. Im unbewitterten Bereich (unter Dach) wird „taleben“ eingebaut. Fahrgastinformationsanlagen: Zusätzlich zu den absolut notwendigen Ausstattungsdetails kann an entsprechend frequentierten Haltestellen auch eine Dynamische Fahrgastinformationsanlage (DFI) eingerichtet werden. Über einen Monitor werden die aktuellen Fahrplandaten (i.d.R. Echtzeitangaben) angezeigt. 92 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Zusätzlich wird der Bildschirminhalt über einen gut erkennbaren Taster abruf bar vorgelesen. Diese sog. TTS- Ansage - „text-to-speech“ - dient dem 2-Sinne-Prinzip. Menschen, die die Information nicht sehen können, können diese dann auf Anforderung hören. Bei entsprechender weiterer Ausrüstung können die Fahrplandaten auch über eine App direkt auf ein Smartphone abgerufen und dem Nutzer in einer für ihn verständlichen Form kommuniziert werden. Die elektronische Kommunikation kann bis hin zu Wegeführung innerhalb komplexer Haltestellenanlagen, wie z.B. zentralen Omnibusbahnhöfen, ausgebaut werden. Auch die direkte Kommunikation mit dem Bus ist möglich, so dass bei Einfahrt des Busses in die entsprechende Haltestelle bereits das Fahrziel des Busses, die Liniennummer etc. durchgegeben wird oder dem Fahrer signalisiert wird, dass dort ein blinder Fahrgast wartet. Damit können weitere Barrieren im öffentlichen Personennahverkehr abgebaut werden. Abb. 13: DFI-Anzeiger an einer Doppelhaltestelle Abb. 14: TTS-Taster zur Fahrplanansage Formen von Bushaltestellen: Barrierefreie Bushaltestellen können im Wesentlichen in 4 Standardformen angelegt werden, weitere örtlich angepasste Ausführungen sind denkbar. Abb. 15: Haltestellenformen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 93 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Die Haltestelle am Fahrbahnrand sowie das Haltestellenkap sind Bauformen, die vom bedienenden Bus ohne starkes Einlenken bzw. ohne Verlassen der Fahrspur in gestreckter Form angefahren werden können. Haltestellen am Fahrbahnrand in Längsparkstreifen und Busbuchten erfordern ein Verlassen der Fahrspur des Busses und ein Einschwenken an die Bordsteinkante der Haltestelle. Um den Bus in gestreckter Form an die Bordsteinkante anzudocken erfordert es fahrerisches Können und eine entsprechende Entwicklungslänge der Haltestellenanlage. Bei einer Haltestelle innerhalb eines Längsparkstreifens kann schon 1 falsch (im freizuhaltenden Abschnitt) geparktes Fahrzeug eine gestreckte Anfahrt unmöglich machen. Abb. 16: Verhältnis Entwicklungslänge zu Nutzlänge bei einer barrierefreien Busbucht Die große Entwicklungslänge einer Busbucht (Gesamtlänge der baulichen Anlage 88,70 m) steht in krassem Missverhältnis zur Nutzlänge. Das Verhältnis Buslänge zu Haltestellenlänge beträgt 1 : 4,8, gegenüber 1 : 1,4 bei einer Fahrbahnrandhaltestelle. Dieser enorme Platzbedarf steht im bebauten Bereich selten uneingeschränkt zur Verfügung. Deshalb kommen Busbuchten sowie Haltestellen am Fahrbahnrand innerhalb von Längsparkstreifen als Haltestellenform nur in begründeten Ausnahmefällen (z.B. unmittelbar hinter einem signalgeregelten Knotenpunkt) in Betracht. Abgesehen von den baulichen Nachteilen führt das Ausfahren aus einer Busbucht durch das notwendige Einfädeln in den fließenden Verkehr zu Verzögerungen im Ablauf und unnötigen Wartezeiten. Fahrbahnrandhaltestellen und Buskaps sind somit auch ein Mittel zur Busbeschleunigung. 5. Beispiele für barrierefreie Bushaltestellen Im Folgenden einige gebaute Beispiele von Bushaltestellen in unterschiedlichen Formen und Ausstattungsgraden im Stadtgebiet von Pforzheim: Abb. 17: Fahrbahnrandhaltestelle Hängsteig ohne Fahrgastunterstand (Ausstiegshaltestelle „stadtauswärts“) Grundform einer 20 m langen Fahrbahnrandhaltestelle mit Grundausstattung. Da die Haltestelle in Fahrtrichtung „stadtauswärts“ bedient wird hat sie keinen Fahrgastunterstand. Ein Warten auf den Bus findet nur äußerst selten statt, meist wird nur ausgestiegen und direkt zum Ziel gegangen. Deshalb findet sich dort auch i.d.R. kein Abfallbehälter. Für die Anlage der Haltestelle wurden einige Längsparkplätze in einer Parktasche zwischen Grünflächen neben dem Gehweg zur Haltestelle umgebaut (helles, neues Pflaster). Der Auffindestreifen zum Einstiegsfeld führt über den Gehweg bis zur Gehweghinterkante und ist damit für in Längsrichtung passierende Menschen auffindbar. 94 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 18: Fahrbahnrandhaltestelle Hängsteig mit Fahrgastunterstand (Einstiegshaltestelle „stadteinwärts“) Das gegenüberliegende Pendant zur vorherigen Haltestelle. In diesem Fall handelt es sich um eine Haltestelle in Fahrtrichtung „stadteinwärts“, dort warten also Fahrgäste auf den Bus, der sie ins Stadtzentrum bzw. zur zentralen Umsteigehaltestelle bringen soll. Für diese Wartezeit ist ein Fahrgastunterstand als Witterungsschutz erforderlich, ebenso ein Abfallbehälter für die Entsorgung von Abfällen vor Fahrtantritt („schnelle Zigarette vor der langen Fahrt“). Anlage in ehem. Parktasche wie Gegenseite, siehe oben. Beispiel einer Ausstiegshaltestelle an einer mehrspurigen Hauptverkehrsstraße. Der Bus hält in der rechten Richtungsfahrbahn am Straßenrand und kann nach dem Fahrgastwechsel unmittelbar wieder anfahren und auf der Anhaltespur seine Fahrt fortsetzen. Kein Fahrgastunterstand notwendig. Abb. 19: Fahrbahnrandhaltestelle Ostendstraße, Ausstiegshaltestelle in Vorstadt ohne Fahrgastunterstand Abb. 20: Fahrbahnrandhaltestelle Benckiserstraße, Haltestelle im Stadtkern mit Fahrgastunterstand Fahrbahnrandhaltestelle im Stadtkern. Durch die notwendige Integration in den Gebäudebestand war eine Entwässerung des Gehweges mittels Rinne im Gehbereich notwendig. Der Fahrgastunterstand hat keine Seitenwände, die in den Gehbereich hineinragen und den Längsverkehr behindern würden. Der Gelenkbus hält in optimal gestreckter Form entlang des Sonderbordes. Die Außenschwenktüren öffnen knapp über der Bordsteinkante mit minimalem Restspalt und Restkante zum Busboden. Die Einstiegstüre des Busses ist direkt am Einstiegsfeld der Haltestelle zum Stehen gekommen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 95 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 21 und 22: Fahrbahnrandhaltestelle Brötzinger Brücke, Haltestelle vor Straßenknoten am Ende einer Busspur Fahrbahnrandhaltestelle im Zufahrtsbereich zu einem hochfrequentierten Knoten. Um den dort häufigen Stau zu umfahren ist eine Busspur angelegt an deren Ende unmittelbar vor dem Knoten die Haltestelle positioniert ist. Der Bus verlässt die Haltestelle in den Knoten durch ein voreilendes Permissivsignal = Busbeschleunigung. Abb. 23: Fahrbahnrandhaltestelle Marktplatz, Doppelhaltestelle mit Blindenleitsystem und DFI Stark frequentierte Haltestelle im Stadtkern mit hohem Busaufkommen. Dadurch wurden 2 Haltepositionen notwendig deren Einstiegsfelder durch einen Leitstreifen verbunden sind. Durch die hohe Busfrequenz ist eine DFI-Anlage mit TTS sinnvoll. Die Fahrbahn vor dem Sonderbord wurde als Betonfahrbahn ausgeführt um die Spurrinnenbildung durch den spurgeführten Verkehr mit hoher Bus- = Schwerverkehrsbelastung zu verhindern. Wenn baulich alle Voraussetzungen für Barrierefreiheit erfüllt sind kommt es - nicht unwesentlich - auf das Können und das Wollen des Busfahrers an, eine Haltestelle so anzufahren, dass der Ein- und Ausstieg dann auch tatsächlich barrierefrei erfolgen kann. Um das zu erreichen bedarf es intensiver und wiederkehrender Schulung des Fahrpersonals! Ist auch diese Hürde überwunden und der Busfahrer „hat`s drauf“ ist schon fast der Idealzustand erreicht. In ihrer Mobilität eingeschränkte Fahrgäste können den Bus selbständig und ohne fremde Hilfe besteigen und wieder verlassen. Das Ziel des § 8 Personenbeförderungsgesetz, die Nutzung des ÖPNV ist vollständig barrierefrei, ist zumindest an dieser Haltestelle vollumfänglich erfüllt. 96 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 24-28: Fahrbahnrandhaltestelle Turnplatz, ideale Anfahrt der Haltestelle, Bus in optimaler Position 6. Ausführungsprobleme Leider gibt es - trotz bestmöglicher Planung einer Haltestelle - immer wieder Probleme bei der baulichen Umsetzung der Maßnahme. Die Verantwortlichen auf der Baustelle sind sich oft der Notwendigkeit einer absolut maßhaltigen, detailgenauen Ausführung der Planung nicht bewusst. Der Sinn der Maßnahme, Schaffung von Barrierefreiheit, wird verkannt, es wird gebaut „wie eben schon immer gemacht“. Auf die Einhaltung exakter Abstände, Höhen und dergleichen wird kein vorrangiger Wert gelegt - schließlich ist man das aus dem Tief bau so eher nicht gewohnt. Die Praxis zeigt, dass es lohnt, bei der Startbesprechung auf der Baustelle durch den Planer / Bauleiter des Auftraggebers explizit auf die Notwendigkeit exakter Einhaltung von Planmaßen und Detailgenauigkeit hinzuweisen und schon zum frühestmöglichen Zeitpunkt auf die Konsequenzen hinzuweisen, die bei Nichtbeachtung / Nichteinhaltung der Planungsdetails zu erwarten sind. Es wird sich in der Branche schnell herumsprechen, dass die Bauherrenvertreter einer Kommune keine Toleranzen in der Ausführung zulassen, nach kurzer Zeit steigt die Qualität der Ausführung spürbar und nachhaltig an. Auf zwei sehr häufig zu beobachtende Probleme soll hier noch eingegangen werden: Abb. 29: Fahrbahndecke zu hoch eingebaut Beim Einbau des Fahrbahnbelages ist hier eine Höhendifferenz zwischen Fuß des Bussonderbordes und der Fahrbahndecke entstanden. Die Einbaubohle des Fertigers wurde nicht auf das Niveau des Bordsteinfusses abgesenkt. Durch den Höhenversatz von 2 cm wird aus einer geplanten Einstiegshöhe von 18 cm über OK Fahrbahn eine Einstiegshöhe von nur noch 16 cm, damit ist die Bushaltestelle nicht mehr barrierefrei und der Zweck des Umbaus konterkariert. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 97 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Abb. 31 und 32: „Sägezahnkante“ durch fehlerhaften Einbau der Sonderborde Hier hilft nur: Abb. 30: Fahrbahndecke zu hoch eingebaut - Korrekturnotwendigkeit Eine teure Notwendigkeit, die mit etwas Sorgfalt beim Deckeneinbau hätte vermieden werden können. 98 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bushaltestellen für barrierefreien ÖPNV Beim Versetzen der Sonderborde wurde nicht darauf geachtet, dass sich die Vorderkante aller Steine in einer exakten Flucht befindet. Die entstandene „Sägezahnkante“ führt zu Beschädigungen an den Busreifen: In entsprechenden Schulungen werden die Busfahrer angehalten, mit dem Vorderrad möglichst nahe - im Idealfall „auf Berührung“ - tangential an die Bordsteinflanke anzufahren damit die Sonderborde ihre Spurführungseigenschaften im Sinne einer optimalen Positionierung des Busses ohne Restspalt bestmöglich entfalten können. Streift nun das Vorderrad an den Steinversätzen entlang schält die scharfe Kante des vergüteten Sonderbordbetons die Reifenflanken ab und führt zu gefährlichen Reifenschäden bis hin zur kompletten Reifenzerstörung bei oftmaligem Anfahren = Abschälen. Auch hier gibt es nur eine Konsequenz: Wiederum ein hoher Kostenaufwand, der durch Sorgfalt beim Versetzen der Sonderborde vollumfänglich hätte vermieden werden können. Aber ebenso fehlendes Problembewusstsein, was so eine „leichte Maßabweichung“ in der Praxis anrichten kann. Erkenntnisgewinn - teuer erkauft! Abb. 33 und 34: „Sägezahnkante“ durch fehlerhaften Einbau der Sonderborde - Korrekturnotwendigkeit 7. Resümee Werden bei der Planung und Umsetzung von „Bushaltestellen für einen barrierefreien ÖPNV“ die 4 Aspekte - Vorgaben - Priorisierung beim Ausbau - Planungsgrundlagen - Ausführungsprobleme mit der notwendigen Sorgfalt und Präzision beachtet und in gebaute Umwelt umgesetzt ist es ohne große Probleme möglich, die baulichen Voraussetzungen für einen barrierefreien Busverkehr zu schaffen. Die - Beispiele gebauter Anlagen zeigen, dass es in nahezu jeder örtlichen Situation möglich ist, Bushaltestellen barrierefrei zu errichten bzw. umzubauen. Die Voraussetzungen sind also gegeben, gesetzliche Vorgaben, Planungswerkzeuge, technische Hilfsmittel und Produkte stehen zur Verfügung. Barrierefreiheit im ÖPNV hier speziell an Bushaltestellen ist in letzter Konsequenz eine Frage des Wollens, nicht des Könnens. Den Termin des §8 Personenbeförderungsgesetz zum 1. Januar vergangenen Jahres haben wir wohl - in der Mehrzahl der Fälle - verpasst. Verpassen wir nicht die Chance, die Vorgaben des Paragraphen in absehbarer Zeit doch noch zu realisieren! Tatsächlich geht es nicht um die Erfüllung der Vorgaben eines Paragraphen, sondern um die Belange von in ihrer Mobilität eingeschränkten Mitmenschen. Diese bestmöglich abzudecken sollte unser aller Ziel sein. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 99 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Dipl.-Ing. Jens Klähnhammer FISCHER TEAMPLAN Ingenieurbüro GmbH, Erftstadt Zusammenfassung Wasser bringt infolge des Klimawandels wachsende Überflutungsgefahren für den urbanen Raum mit sich, ist aber gleichzeitig auch ein zentrales Element, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Daher sind integrierte Lösungen zum Umgang mit Wasser im Stadtraum erforderlich. Um eine klimawandelgerechte Stadtentwicklung zu ermöglichen und gleichzeitig die Lebensqualität im Zuge des Klimawandels zu erhalten, bedarf es einer wassersensiblen Stadt- und Freiraumgestaltung. Ziel ist es, dem natürlichen hydrologischen Kreislauf möglichst nahe zu kommen. Dafür sollte die Versiegelung von Oberflächen, die einen erhöhten Abfluss mit sich bringt, soweit es möglich ist, vermieden werden. Hierzu bedarf es an Ansätzen, die das Ziel verfolgen, zunächst nach ortsnahen Lösungen zur Versickerung, Verdunstung, Nutzung sowie zur Speicherung und gedrosselten Ableitung von Niederschlagswasser zu suchen. Durch den verringerten Oberflächenabfluss entlastet eine dezentrale Regenwasserbewirtschaftung das Entwässerungssystem. Dies kommt sowohl dem Gewässerschutz als auch der Grundwasserneubildung zugute. Nicht zuletzt eröffnet der Lösungsansatz vielseitige Optionen, das Ortsbild und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum zu verbessern. 1. Einführung Eine wassersensible Gestaltung von Frei- und Verkehrsflächen bietet vielzählige Synergien zur Verbesserung des Lokalklimas. Um diese Potenziale auszuschöpfen, gilt es, die Oberfläche nach dem Prinzip der „Schwammstadt“ umzugestalten. Dabei wird das anfallende Niederschlagswasser durch die Reduzierung versiegelter Flächen und eine Erhöhung des Grünanteils wie in einem Schwamm gespeichert und in Hitzeperioden wieder abgegeben. Durch die Verdunstungskühlung von Bäumen, Wasserflächen, Vegetation und Böden, die durch das gespeicherte Wasser ausreichend bewässert werden, kann so eine deutliche Reduzierung der Temperaturen erreicht werden. Vor dem Hintergrund der erwarteten Zunahme von seltenen und außergewöhnlichen Starkregen im Zuge des Klimawandels ist es auch notwendig, bei der Umsetzung des Schwammstadtprinzips effiziente Anpassungsmaßnahmen zur Starkregenvorsorge zu entwickeln. Ein Ausbau bzw. die Dimensionierung der Kanalisation für einen vollständigen Rückhalt auch außergewöhnlicher Starkregen ist weder aus betrieblicher noch aus wirtschaftlicher Sicht zielführend und ausreichend. Es müssen ergänzend an der Oberfläche Lösungen für den Umgang mit seltenen und außergewöhnlichen Ereignissen entwickelt und umgesetzt werden. Um einen weitestgehenden Überflutungsschutz zu gewährleisten, bedarf es zeitweise der gezielten Einbeziehung von Verkehrs- und Freiflächen zur Zwischenspeicherung des Wassers und eines Objektschutzes zur Schadensbegrenzung im Starkregenfall. Die Siedlungswasserwirtschaft ist gefordert, gemeinsam mit der Verkehrsflächen- und Freiraumplanung übergreifende Lösungen für ein ganzheitliches resilientes Regenwassermanagement und für eine langfristige Schadensminimierung zu entwickeln. Die entsprechenden Maßnahmen sollten dabei sowohl die zusätzliche Flächenversiegelung durch Neuerschließungen und Nachverdichtung berücksichtigen als auch mögliche Veränderungen des Niederschlagsgeschehens infolge des erwarteten Klimawandels. Technische Möglichkeiten im Straßenraum Eine wassersensible Straßenraumgestaltung erfordert in vielen Fällen die Kombination unterschiedlicher Bausteine. Nur selten lässt sich das Schwammstadtprinzip umsetzen mit nur einer einzigen Art und Weise das Regenwasser zu versickern bzw. zurückzuhalten. Abb. 1: Elemente der Schwammstadt [Quelle: MUST Städtebau GmbH BDA] Folgende Faktoren sind für die Auswahl einzelner Elemente der Schwammstadt entscheidend: • Niederschlags- und Zuflussmengen vor Ort • Überflutungsgefahr und den Schadensrisiken 100 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf • topografischen Verhältnissen (Gefälle der Straße) • Versickerungsfähigkeit der Böden • Abstand zu Oberflächengewässern • Zustand und der Sicherheit der Gewässer • Anforderungen des Gewässerschutzes • Platzverhältnissen vor Ort und • Verkehrsbelastung/ -fluss (Schadstoffmenge). Eine wassersensible Straßenraumgestaltung sollte immer folgende Funktionen erfüllen: Zum einen muss das Wasser oberirdisch abgeleitet werden, um es an geeigneter Stelle zurückzuhalten oder zu versickern und benötigt ggf. in Abhängigkeit von der Schadstoffmenge eine Behandlung belasteter Abflüsse. Die Elemente der oberirdischen Ableitung bestehen aus den vielfach im Straßenbau verwendeten Elementen, wie Straßenmulde, Straßengraben, Bordrinne, Muldenrinne, Schlitz- oder Kastenrinne (offen oder geschlossen). Außerdem wird die Ableitung ermöglicht, durch die entsprechende Einplanung von Neigungen oder speziellen Ausformungen der Oberflächen. Die Querneigung zum Straßenrand oder die Herstellung von Dachprofilen mit Einfassung mit Hochborden sind häufig verwandte Formen zur Wasserableitung. Auch kann die Straße selbst als Gerinne durch die Ausbildung eines umgekehrten Dachprofils genutzt werden. Zusätzlich können auch in Querrichtung zur Straße Vertiefungen eingeplant werden, die im Versagens- oder Starkregenfall als Notwasserwege genutzt werden können. Entscheidend unter Klimaaspekten ist die Herstellung der Funktionalitäten zur Retention und/ oder Versickerung. Hierfür bestehen folgende Möglichkeiten und Einsatzkriterien: • Flächenversickerung durch bewachsenen Boden ohne Aufstau und Speicherung • bei hoher Wasserdurchlässigkeit (kf = 1*10-3 bis 1*10-4 m/ s) • • auch bei geringen Grundwasserflurabständen möglich (Der Mindestabstand beträgt 1 Meter) • • erhöhter Flächenbedarf • • gleichmäßige Zufuhr über offene Rinnen oder Quergefälle • Versickerung über Mulden oder Gräben • z.B. in Mittel und Seitenstreifen (maximale Muldentiefe b/ 5) • • Wasserdurchlässigkeit: kf = 5*10-3 bis 5*10-6 m/ s • • Kombination mit Rückhalt möglich (Einstau maximal 24h) • • Bedarf an Querriegeln (Kaskaden) bei starkem Gefälle • Rigolenversickerung oder Kombination aus Rohr-Rigolenversickerung nach erfolgter Vorbehandlung • flächige oberirdische Beschickung oder punktuelle Rohreinleitung • z.B. unter Parkplätzen, Straßen , Grünflächen bei beengten Platzverhältnissen und schlecht durchlässigem Oberboden • Kombination mit Rückhaltung möglich • nur mit Vorreinigung oder für nicht befahrene Straßenbegleitflächen, z.B. Gehwege (außerhalb Spritzfahnenreichweite) zugelassen • Mulden-Rigolenversickerung • bei weniger durchlässigem Oberboden kf = 1*10- 5 bis 1*10-6 m/ s • bei beengten Platzverhältnissen (Vorteil gegenüber Mulde: höheres Retentionsvolumen) • Nur mit ausreichender Vorreinigung über Bodenpassage zulässig • Versickerung und Retention in Tief beeten • Tief beete oder Baumscheiben mit Rückhaltevermögen • im Bereich der Fahrbahnflächen (Verkehrsberuhigung) oder im Seitenraum der Straße zum Ausgleich von Zuflussspitzen • Vorschaltung eines Absetzraumes zum Grobstoffrückhalt. • dichte, einstau- und trockenresitente Bepflanzung der Beete • Wasserdurchlässige Straßenbeläge • Bei unzureichenden Flächen für Versickerung im Seitenraum • Besonders geeignet für Belastungsklasse ≤ Bk 0,3 nach den ER 1 sowie für sonstige Verkehrsflächen (ansonsten Einzelfallprüfung) • eingeschränkte Anwendung in Wasserschutz- und Altlastgebieten • Schub- und Torsionsbeanspruchungen vermeiden (z.B. durch schräge Anordnung von Stellplätzen • Bepflanzung im Umfeld abwägen (Durchwurzelung, Laubfall) • Durchlässigkeit des verdichteten Baugrundes kf ≥ 3x10-5m/ s bzw. ki ≥ 5x10-5(Mindestabstand zum Grundwasser ≥ 1m) • Sickerschächte nach erfolgter Vorbehandlung • nur bei hohem Grundwasserflurabstand (min. > 1,50m von Sohle) • Einsatz nur bei zwingenden Gründen (z.B. Platzmangel) • Kf (unterhalb Schacht) ≥ 1x10-3 m/ s • Erhöhung des Speichervermögens durch Verbindung mehrerer • Schächte zu Sickergalerie oder Kombination mit Mulde und Rigole • Wurzelabstand beachten • nur mit Vorreinigung oder für nicht befahrene Straßenbegleitflächen (außerhalb der Reichweite von Spritzfahnen) zugelassen Aus der Darstellung der technischen Möglichkeiten und der dabei jeweils zu beachtenden Einsatzkriterien wird deutlich, dass in Abhängigkeit der von den Verkehrsbelastungen ausgehenden Verunreinigungen in einigen Anwendungsfällen vor der Versickerung eine Behandlung des Oberflächenwassers notwendig wird. Durch eine Behandlung bzw. durch eine Vorreinigung des belasteten Wassers sollen die Abflüsse im Sinne des Gewässerschutzes grundsätzlich eine ähnliche Qualität erreichen, wie Wasser, das eine Passage durch den bewachsenen Ober- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 101 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf boden durchlaufen hat. Die Behandlung von Straßenabflüssen kann dabei einerseits dezentral unmittelbar am Ort der Abflussentstehung erfolgen. Alternativ ist eine zentrale Reinigung am Sielauslass eines Einzugsgebietes in ein Gewässer denkbar. Auch kombinierte Verfahren sind möglich. Im Zusammenhang mit der Erstellung von Konzepten zur Regenwasserbehandlung ist jeweils unter ökonomischen und ökologischen Randbedingungen sowie je nach örtlichen Verhältnissen zu prüfen, ob die Behandlung des Straßenabflusses dezentral am Entstehungsort oder in zentralen Anlagen erfolgen sollen. Folgende Möglichkeiten zur Behandlung von Oberflächenabflüssen bestehen z.B.: • Behandlung über belebte Bodenzone (Versickerung) • Einsatz von Sedimentationsrohren • Reinigungseinsätze in Straßeneinläufen • Behandlung in Schächten Leistungsfähigkeiten der Entwässerungseinrichtungen Für die klassischen bislang verwendeten Straßenentwässerungseinrichtungen existieren im Regelwerk umfassende Planungshilfen und -grundsätze für die Sicherstellung einer ausreichenden Entwässerungsleistung. Deshalb ist es bei der Planung klimaresilienter Straßenräume wichtig, Orientierungen für die Bemessung einer leistungsfähigen Straßenentwässerung zu erhalten. Unabhängig davon wird zusätzlich immer zum Nachweis des geplanten Systems eine Überprüfung mit einer 2dimensionalen Kontinuum Simulation des gesamten Entwässerungssystems incl. einer Starkregenuntersuchung empfohlen. Damit soll die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems angefangen bei Gründächern über die Verkehrsanlagen und Plätze sowie den dort jeweils geschaffenen Retentionsmöglichkeiten bis hin zu einer möglichen Einleit- oder Versicherungsstelle mit den im Einzelfall vereinbarten Einleitmengen, zu jeder Zeit und unter allen denkbaren Bedingungen überprüft werden. Als erste Dimensionierungsgrundlagen können jedoch die folgenden Werte zugrunde gelegt werden: Projektbeispiele Duisburger Dünen - Erschließung eines neuen Wohngebiets In direkter Nachbarschaft zur Altstadt von Duisburg befindet sich das Areal der „Duisburger Dünen“. Auf der ehemaligen Güterbahnhofsfläche im Süden des Hauptbahnhofes entwickelt die GEBAG Flächenentwicklungsgesellschaft mbH (100 % Tochtergesellschaft der GEBAG -Duisburger Baugesellschaft mbH) eine neue Visitenkarte für die Stadt Duisburg. Für die ca. 30 ha große Fläche soll ein Bebauungsplan aufgestellt und der Flächennutzungsplan geändert werden, um die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Genehmigung eines urbanen Stadtquartiers im Sinne einer nachhaltigen und wassersensiblen Stadtgestaltung zu schaffen. Die Durchführung des Bauleitverfahrens erfolgt parallel und in enger Abstimmung mit der technischen Planung. Abb. 2: Städtebaulicher Entwurf Duisburger Dünen [Quelle: CKSA Berlin] Die Planung der Entwässerung bezieht sich auf die Erarbeitung einer gesicherten, genehmigungsfähigen und den Regeln der Technik entsprechenden Entwässerungskonzeption im Sinne einer wassersensiblen Stadtgestaltung unter Berücksichtigung des Schwammstadtprinzips. Hierfür sind die gegebenen Randbedingungen und die Grundlagen der städtebaulichen Planung besonders zu beachten. Es werden dabei die zwei Vorzugsvarianten „Regenwasserbewirtschaftung durch zentrale Anlagen“ sowie „Regenwasserbewirtschaftung durch dezentrale Anlagen“ ohne Anschluss an das öffentliche Kanalnetz favorisiert und im Detail untersucht. Arbeitsschwerpunkte der Entwässerungskonzeption • Versickerung möglich? • Bodenbelastung/ Altlastenstandort • Grundwasserstände • Versickerungsfähigkeit des Bodens • Einschränkungen / Wasserschutzzone/ Grundwasserverunreinigung • Bergbaugebiet / Bergsenkungsgebiet 102 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf • Ableitung/ Einleitung in ein Gewässer möglich? • Sondierung von möglichen Einleitungspunkten • Abstimmung der Einleitungsmengen • Überflutungsprüfung der Unterlieger • Überprüfung der Hochwassergefährdung • Regenwasserbewirtschaftung • Quantitative Ermittlung und Bewertung der Niederschlagswasserabflüsse für das Niederschlagswasserkonzept • Betrachtung der Wasserbilanz des Erschließungsgebietes • Kategorisierung der Abflussflächen gemäß Trennerlass IV-9 031 001 2104 - vom 26.5.2004) bzw. DWA A102, DWA A138 • Wahl und Vordimensionierung von Elementen der Regenwasserbehandlung • Hydraulische Vorbemessung der erforderlichen Ableitungs-/ Versickerungs-/ Rückhalteelemente gemäß den gültigen Normen und Regeln (Böschungsneigung/ Einstauhöhen/ Bankette/ Verkehrssicherung, usw.) • u.v.m. Die frühere Nutzung des Gebiets als Güterbahnhof und entsprechender technischer Nebenanlagen erfordert eine intensive Prüfung der Bodenverhältnisse im Hinblick auf das Zusammenspiel von Versickerung und Kontaminationsflächen. Dies erlangt vor dem Hintergrund einer geforderten klimafreundlichen und nachhaltigen Regenwasserbewirtschaftung eine besondere Bedeutung. Außerdem ziehen die prognostizierten Verkehrsbelastungen u.a. Konsequenzen für den Umgang mit Regenwasser nach sich. Der Anspruch, Regenwasser nahezu vollständig über den aufgebauten „Schwamm“ an geeigneten Stellen zur Versickerung zu bringen, erfordert auf dieser ca. 30 ha großen Fläche, die oberhalb der kontaminierten ehemaligen Güterbahnhofsfläche aufzubringenden Abdichtungsschicht so zu formen, dass das Regenwasser, den an geeigneten Stellen anzuordnenden Sickereinrichtungen tatsächlich zugeleitet wird. Dies führt in der Konsequenz zur Anpassung der Dünenlandschaft. Gleichzeitig sind Straßenräume im Querschnitt und in der Höhenplanung so zu gestalten, dass Oberflächenwasser, dem „Schwamm“ und damit den Versickerungseinrichtungen zu geleitet werden kann. Das gesamte System der Regenwasserbewirtschaftung muss für den Normalfall aber auch für den Starkregenfall funktionieren und deshalb angefangen von Retentionsmöglichkeiten im künftigen Privatbereich bis zu den endgültigen Versickerungseinrichtungen in verschiedenen Szenarien simuliert werden. Dabei sind den Simulationen zugrunde gelegte technische Einzellösungen auf ihre baurechtlichen Möglichkeiten zur Verankerung im Bebauungsplan zu prüfen. Sollte dies in Einzelsituationen nicht möglich sein, ist eine Abstraktion auf zulässige Ableitungsmengen in l/ (s+ha) für jeden einzelnen Baukörper vorzunehmen. Umbau bestehender Stadtstraßen am Beispiel Stadt Hilden Das Projekt zum Umbau bestehender Stadtstraßen in Hilden ist als Pilotprojekt zu verstehen, in dem zum einen Möglichkeiten zur Umgestaltung eng bebauter Straßenzüge hin zu wassersensibel geplanten und damit klimaresilienteren Stadtstraßen untersucht und darauf auf bauend Grundsätze für die künftigen Straßenraumgestaltungen in Hilden abgeleitet werden. Seitens der Politik ist für die Stadt Hilden entschieden worden, entsprechende Maßnahmen für den Klimaschutz umzusetzen. Um dem Auf heizen der Innenstädte entgegenzuwirken, soll eine klimasensible Straßenraumgestaltung anhand von drei exemplarisch ausgewählten Straßen aus dem Stadtgebiet Hildens untersucht werden. Auf den befestigten Flächen wird anfallendes Niederschlagswasser vor Ort versickert oder über das städtische Kanalnetz den Gewässern zugeleitet. Um hitzedämpfend Wasser in bebauten Gebieten zu behalten, soll nun ein alternativer Ansatz im Hinblick auf die Umgestaltung der Straße gefunden werden. Starkregenereignisse müssen bei der Erstellung des Gesamtkonzepts beachtet werden. Anfangs stand die Frage im Raum welche Prioritäten für die Straßenraumgestaltung zu setzen sind: Priorität A: Umbau des Straßenraumes nach dem Schwammstadtprinzip und darauf auf bauend Einarbeitung und Berücksichtigung aller weiteren Funktionen der Straße. oder Priorität B: Planung einer stadtgestalterisch optimalen Straße, in der alle notwendigen Funktionalitäten aufeinander abgestimmt und berücksichtigt sind. Abschließend wird die Straßenentwässerung geplant und dabei ein Fokus auf den weitestgehend möglichen Einsatz von wassersensiblen Elementen gerichtet. Wir haben uns für Priorität B entschieden. Im Mittelpunkt der Planung standen deshalb zunächst die folgenden Aspekte: • Förderung der Nahmobilität • Berücksichtigung der Belange der Barrierefreiheit • Beseitigung trennender Barrieren • Straßenraumgestaltung durch Berücksichtigung folgender Anforderungen • Funktionale Nutzungsansprüche (verkehrlich, versorgungstechnisch, wirtschaftlich und ökologisch) • Immaterielle Ansprüche (soziale Brauchbarkeit, Orientierung, Identität, Anregung, Identifikation und Schönheit) • Beachtung der Gestaltungsgrundsätze Die Entwässerungsplanung steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit möglichen/ erforderlichen Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung. Mit der umfassenden Neugestaltung des Projektraumes besteht dann auch die Möglichkeit nachhaltige, wasserwirtschaftliche Maßnahmen umzusetzen. Eine oberflächennahe Ableitung von Niederschlagswasser und die 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 103 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Ausbildung von multifunktionalen Geländestrukturen bieten die Möglichkeiten der Retention, der Verdunstung und ggf. der Versickerung - sie tragen damit mehrfach dem Klimaschutz bei. Oberflächennahe Systeme in Kombination mit unterirdischen Rückhalteanlagen führen dabei zu deutlich höherem Überflutungsschutz. Wassersensible Straßenraumgestaltung im Bestandsnetz nutzt die Möglichkeiten, die sich mit einer grundlegenden baulichen Veränderung des Straßenraumes eröffnen, um Maßnahmen nach dem „Schwammstadtprinzip“ umzusetzen. Dabei werden wie bei jeder anderen Straßenumgestaltungsmaßnahme auch, die Anforderungen aus der Straßennutzersicht erfasst und planerisch umgesetzt. In einer vertiefenden Phase der Planung, in der immer mehr Details in Lage und Höhe berücksichtigt werden, stellt sich die Frage nach Lösungsmöglichkeiten der Straßenentwässerung, die auch untereinander kombinierbar sind. Die Auswahl und Kombination der Entwässerungselemente sind von mehreren Faktoren abhängig. Hierzu zählen unter anderem die Niederschlagsverhältnisse vor Ort, die Nähe zu oberirdischen Gewässern und deren Überflutungssicherheit, die topographischen Verhältnisse (Gefälle der Straße) sowie die Versickerungsfähigkeit des Bodens. Für die Prüfung bestehender Möglichkeiten einer wassersensiblen Umgestaltung sind in wasserwirtschaftlicher Hinsicht die folgenden Schritte notwendig: 1. Wie hoch ist die Schadstoffbelastung des Wassers? Für den Fall, dass eine geringe Belastung vorliegt, wäre zu prüfen, ob eine Vorbehandlung des Wassers durch flächenhafte Versickerung oder über Filter- oder Sedimentationsanlagen möglich ist. 2. Ist eine Regenwassernutzung möglich oder auch gewünscht? Dies kann sowohl die private Nutzung von Regenwasser aber auch die gewerbliche oder kommunale Nutzung von Regenwasser umfassen. Für diesen Fall wäre eine Sammlung/ Rückhaltung in Zisternen erforderlich. 3. Die Frage der Möglichkeit für die Versickerung sind im 3. Schritt zu untersuchen. Aufbauend auf Erkenntnissen zum Baugrund und zu den darin ermittelten Versickerungswerten ist zu entscheiden, ob eine direkte Versickerung ohne Speicherung möglich ist oder ob mit ober- oder unterirdischer Speicherung geplant werden muss. Ersteres spricht für eine Flächenversickerung. Ansonsten sind Mulden- oder Beckenversickerung bzw. die Rigolenversickerung Methoden zur Zwischenspeicherung des Wassers. 4. Falls eine Versickerung nicht möglich ist, wäre zu prüfen, ob eine Speicherung oder Abflussverzögerung vor Ort oder zentral an anderer Stelle möglich ist. Jedoch sind die Möglichkeiten einer Umsetzung all dieser Maßnahmen im angebauten Bestandsstraßennetz begrenzt. Einerseits sind zur Bebauung Abstände einzuhalten. Weiterhin ist der unterirdische Bauraum (Leitungen etc.) nur bedingt für die Umsetzung von Maßnahmen geeignet. Schließlich bestehen in eng bebauten Quartiersstraßen zahlreiche Zwangspunkte in Lage und Höhe, die einer Maßnahmenumsetzung entgegenstehen können. Letztlich sind die konkret vorhandenen Versickerungsbedingungen zu prüfen. Auch die Verkehrsbelastung und damit einhergehende Anforderung an die Vorbehandlungsbedürftigkeit können einschränkend wirken. An geeigneten Stellen kamen folgende Maßnahmen zur Anwendung: • Tief beete • Baumrigolen • Mulden-Rigolen-System • Drainfugenpflaster im Bereich von Stellplätzen Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass es nicht gelungen ist, das anfallende Oberflächenwasser vollständig zu versickern. Auf jeden Fall konnte mit diesen Umgestaltungen ein wesentlicher Beitrag zur Entlastung des Kanalnetzes geleistet werden. In der Konsequenz reduzierte sich das Stellplatzangebot im öffentlichen straßenraum um bis zu 50%. Stadtumbau südlich der Bahn in Düren In der folgenden Kurzdarstellung soll ein innovativer Entwässerungsansatz aus Düren vorgestellt werden: Die Entwässerung erfolgt in Düren vorwiegend über ein Trennsystem. Im Rahmen der Erschließung werden für das neu entstehende Innovationsquartier südliche der Bahn somit eine neue Regenwasserkanalisation und eine Schmutzwasserkanalisation notwendig. Das anfallende Schmutzwasser des neuen Plangebiets kann ungedrosselt an die bestehende Kanalisation übergeben werden. Aufgrund sehr begrenzter Aufnahmekapazitäten des öffentlichen Regenwasserkanals kann das Gebiet jedoch nicht an das bestehende Regenwasserkanalnetz angeschlossen werden. Das Niederschlagswasser des ca. 6,0 ha großen Gebiets muss stattdessen über eine Rückhaltung gedrosselt in den nahegelegenen Mühlenteich eingeleitet werden. Als Retentionsmöglichkeit ist ein unterirdisches Regenrückhaltebecken unter dem westlich gelegenen Langemarckpark vorgesehen. Die Hauptachse der Kanalisation wird über die Promenade des neuen Plangebiets verlaufen. Einen wesentlichen Bestandteil des Entwässerungskonzeptes soll eine innovative und dezentrale Regenwasserbewirtschaftung bilden. Das Konzept sieht daher vor, die Ableitung von Niederschlägen aus dem Quartier in das Kanalnetz so weit wie möglich zu reduzieren und das Wasser im Sinne der Schwammstadt vor Ort zu versickern, zu verdunsten oder zu speichern. Darüber hinaus sollen Lösungen gesucht werden, wie das überschüssige Regenwasser im Starkregenfall schadlos an der Oberfläche abgeführt und/ oder temporär zurückgehalten werden kann. Um dies zu gewährleisten, sind die Geländehöhen entsprechend anzupassen, so dass ein durchgängiges Gefälle vom Innovationsquartier bis zum Tiefpunkt des Plangebietes im Langemarckpark entsteht. Für den südlichen Bahnhofsvorplatz hingegen ist ange- 104 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf sichts des Höhenversprungs zum Fußgängertunnel eine alternative Lösung zu suchen. Abb. 3: Höhensituation Bei normalem Regen unterhalb der üblichen Bemessungsgrenzen von Entwässerungssystemen soll das im Gebiet anfallende Niederschlagswasser möglichst im Quartier versickert, gespeichert und verdunstet werden. Auf den Grundstücken erfolgt dies vor allem über begrünte Dachflächen sowie über vereinzelte Versickerungsmulden hinter den Gebäuden. Die öffentlichen Plätze und Straßenräume werden zum Teil mit wasserdurchlässigen Belägen und zum Teil mit Baumrigolen ausgestattet, die das Regenwasser der angeschlossenen Verkehrsflächen aufnehmen können. Sobald die Kapazitäten der Entwässerungssysteme (Regenwasserkanal, Rigolen, Retentionsdächer, unterirdische Rückhaltebecken) überschritten werden, kommt es zu einem Austritt des Regenwassers an der Oberfläche (Überstau/ Überflutung). Um Schäden an Gebäuden zu vermeiden, wird das Regenwasser in diesem Fall an der Oberfläche über das Gefälle der Straße zum Tiefpunkt am Langemarckplatz geleitet. Dieser Platz dient als temporäre Rückhaltefläche. Nach dem Regenereignis wird das (unterirdisch im Becken und oberirdisch auf der Platzfläche) gespeicherte Wasser gedrosselt in den Mühlenteich abgeleitet. Für diese beiden Situationen wurde das Planungskonzept erarbeitet. Abb. 4: Dezentrale Regewasserbewirtschaftung (normaler Regen) Abb. 5: Dezentrale Regewasserbewirtschaftung (Starkregen) Im Schnitt stellt sich die Situation in der Promenade wie folgt dar: Abb. 6: Promenade (normaler Regen) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 105 Wassersensible Stadtentwicklung und die Umsetzung im Strassenentwurf Abb. 7: Promenade (Starkregen) Der Langemarckplatz nimmt eine zentrale Funktion im Entwässerungssystem für das Plangebiet ein. Dies gilt insbesondere für den Überflutungsschutz bei außergewöhnlichen Starkregen. Der Lösungsvorschlag sieht zunächst vor, dass unterhalb des Platzes ein Rückhaltebecken errichtet wird. Dieses Bauwerk kann Abflussspitzen aus dem Regenwasserkanal unterhalb der Promenade aufnehmen und eine Drosselung der Einleitung in den Mühlenteich gewährleisten. Die Platzoberfläche soll als „multifunktionale Retentionsfläche“ angelegt werden. Dieses Prinzip sieht vor, dass Freiflächen mit einer ursprünglich anderen Nutzung (z.B. öffentliche Plätze, Sportanlagen, Grünflächen etc.) im seltenen Ausnahmefall eines Starkregenereignisses für kurze Zeit gezielt geflutet werden. Durch die temporäre Nutzung der Freiflächen zum Wasserrückhalt im Falle eines Starkregens sollen Schäden in stärker gefährdeten Bereichen mit hohen Schadenspotenzialen (beispielsweise Gebäude mit Kellern oder sensiblen Erdgeschossnutzungen, unterirdische Infrastrukturen etc.) vermieden werden. Für den Langemarckplatz wird entsprechend vorgeschlagen, einen Teilbereich des Platzes zu einem tiefer liegenden Notrückhalteraum für Starkregen umzugestalten. Der abgetreppte Platz bleibt die meiste Zeit des Jahres trocken und die Fläche kann zum Verweilen oder für sonstige Zwecke genutzt werden. Sobald das unterirdische Rückhaltebecken im Fall eines seltenen Starkregen seine Kapazitätsgrenzen erreicht, wird das überschüssige Regenwasser über Quelltöpfe langsam auf die tiefliegende Platzfläche (max. 50 cm) geleitet und dort temporär zurückgehalten. Zusätzlich ist eine weitere naturnahe Rückhaltefläche südlich der Unterführung zum „Haus der Stadt“ vorgesehen. Dadurch wird an der Oberfläche ein zusätzliches Rückhaltevolumen von 900 Kubikmetern geschaffen. Nach dem Ereignis wird das gesammelte Wasser dem Kanalsystem bzw. dem Mühlenteich zugeführt. In Abhängigkeit von den potenziellen Nutzungskonflikten auf der Platzfläche sollten dabei möglichst kurze Entleerungszeiten angestrebt werden. Bei der Planung der Platzfläche bedarf es einer intensiven Abstimmung zwischen allen Verantwortlichen, da sich bisher getrennte Zuständigkeiten (z.B. Stadtentwässerung, Freiraumplanung, Katastrophenschutz) auf einer Fläche überlagern. Grundsätzlich sind bei der Gestaltung der multifunktionalen Platzfläche die Anforderungen an die Verkehrssicherheit und an die Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Auch eine Beschilderung der besonderen Zweckbestimmung wird empfohlen. - Abb. 8: Langemarkplatz Abb. 9: Langemarkplatz (Starkregen) Fazit Die klimaresiliente Anpassung unserer Stadträume ist eine notwendige und gewissermaßen bereits überfällige Aufgabe für alle planenden Behörden und Ingenieurbüros. Die Berufsbilder des Stadtplaners, Architekten, Verkehrsanlagenplaners und Experten für Siedlungswasserwirtschaft vermischen sich bzw. fordern im hohen Maße eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Multifunktionalität erfordert Interdisziplinarität und Kooperation in allen Planungs-, Realisierungs- und Betriebsphasen. Für die Zukunft wird es deshalb immer wichtiger, sektorale Denkweisen aufzugeben und die Bereitschaft, sich neuen Planungsmethoden und - -abläufen zu stellen, und diese allumfassend zu kultivieren. Nur so wird es möglich, die Zuständigkeiten aller Beteiligten an Planung, Finanzierung, Unterhaltung und Betrieb ausgewogen zu regeln und für eine breite Akzeptanz zu sorgen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 107 Klimaresilienter Ausbau der Alleestraße in Bochum Christian Reichelt, M. Sc. FISCHER TEAMPLAN Ingenieurbüro GmbH, Erftstadt Zusammenfassung Der geplante Umbau der Alleestraße in Bochum soll unter klimagerechten Maßgaben erfolgen. Wesentlich sind dabei die Förderung des Umweltverbundes, eine wassersensible Gestaltung der Oberflächen sowie die Erneuerung der Entwässerungseinrichtungen, mit der eine Abkopplung vorhandener Flächen sowie die Rückhaltung, Speicherung und Versickerung erreicht wird. Diese Ziele werden insbesondere durch den Ausbau der Radverkehrsanlagen, den Ausbau des ÖPNV, die Entsiegelung von Flächen und Herstellung von Baumrigolen sowie der Pflanzung von 100 Bäumen zur Wiederherstellung des Alleecharakters erreicht. Wesentlich für die erfolgreiche Durchführung des Projektes ist die frühzeitige Beteiligung aller an der Planung beteiligten Planer und Behörden sowie Politik und Anwohnern. 1. Einführung Die Alleestraße in Bochum stellt die Hauptverkehrsachse zwischen dem Bochumer Zentrum und den westlichen Außenbezirken der Stadt dar. Sie verbindet den inneren Ring (B 226) mit den Außenbezirken und der BAB 448. Die Straße befindet sich in einem stark sanierungsbedürftigen Zustand, welcher sich sowohl in Mängeln der strukturellen Substanz der Straße widerspiegelt als auch verkehrsplanerische und städtebauliche Aspekte berührt. Der Straßenquerschnitt ist im Bestand im Wesentlichen durch die vier Kfz-Fahrstreifen und nicht mehr genutzte Straßenbahngleise in Mittellage gekennzeichnet und weist einen hohen Versiegelungsgrad auf. Radverkehrsanlagen gibt es derzeit nicht. Der ehemalige Alleecharakter wird an vielen Stellen nicht mehr deutlich, da die Durchgängigkeit der Alleebepflanzung nicht mehr gegeben ist. Die Straßenentwässerung wird über Straßenabläufe, welche an die vorh. Mischwasserkanalisation angeschlossen sind, gewährleistet. Mit dem Umbau der Alleestraße soll der Verkehrsraum neu aufgeteilt werden. Die Reduktion auf einen Kfz-Fahrstreifen je Richtungsfahrbahn sowie der Rückbau nicht mehr genutzter Gleisanlagen ermöglicht dabei die Herstellung komfortabler und sicherer Radverkehrsanlagen, den barrierefreien Ausbau des ÖPNV sowie die Integration eines neuen Entwässerungssystems. 2. Maßnahmen Um dem Anspruch eines klimaresilienten Umbaus der Alleestraße in Bochum gerecht zu werden, wurden Maßnahmen verschiedener Art überprüft und in die Planung integriert. Aus verkehrlicher Sicht stehen dabei die Förderung des Umweltverbundes mit der Schaffung von Radfahrstreifen mit einer durchgängigen Breite von 2,50 m sowie der barrierefreie Ausbau der Bushaltestellen im Vordergrund. In Teilabschnitten wird der Radfahrsteifen aufgeweitet und als Beschleunigungsmaßnahme vom Busverkehr mitgenutzt. Durch die Ausweisung neuer Ladezonen kann der Lieferverkehr zukünftig geordnet abgewickelt werden. Auch die Förderung des Fußverkehrs steht mit der vollständigen Erneuerung der schadhaften Gehweganlagen im Fokus. Abb. 1: Visualisierung der Oberflächen 108 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Klimaresilienter Ausbau der Alleestraße in Bochum Zur Neuorganisation der Entwässerung werden möglichst viele Flächen von der vorhandenen Mischwasserkanalisation abgekoppelt. Das anfallende Regenwasser der Verkehrssowie der angrenzenden Dachflächen wird gemäß dem Schwammstadtprinzip in der Alleestraße zurückgehalten, der Vegetation zur Verfügung gestellt und, wo möglich, versickert bzw. in ein nahegelegenes Gewässer abgeleitet. Ein wesentliches Werkzeug für die Rückhaltung des Regenwassers stellt dabei der in Mittellage der Straße durchgängige Grünstreifen dar, welcher lediglich an den Knotenpunkten unterbrochen wird. Dieser Mittelstreifen dient der Integration von Baumrigolen, welche den neu gepflanzten Alleebäumen das zurückgehaltene Regenwasser zur Verfügung stellen. Dies steigert die Vitalität der Bäume und trägt zusätzlich zu einer erhöhten Verdunstung und Verschattung bei, wodurch ein Beitrag zur Kühlung des ansonsten stark versiegelten, innenstadtnahen Bereichs geleistet werden kann. Die Reinigung des belasteten Niederschlagswassers der Fahrbahnen erfolgt über die belebte Bodenzone. Überschüssiges Regenwasser wird getrennt vom Schmutzwasser abgeleitet und dem Marbach zugeführt. In Bereichen der Nebenanlagen, in denen kein durchgängiger Grünstreifen hergestellt werden kann, werden die Rigolkörper unterhalb der Gehwege integriert. Diesen unterirdischen Rigolkörpern wird das nicht belastete Regenwasser der Gehwege und Dachflächen über offene Baumscheiben und eine Kombination aus Rinnen- und Straßenabläufen zugeführt. 3. Herausforderungen Der Umbau eines klassischen Straßenquerschnitts in Zentrumslage einer Großstadt zu einem klimaresilienten Stadtraum birgt in mehrerlei Hinsicht Herausforderungen. Diese beinhalten sowohl bauliche als auch planungs- und genehmigungsrechtliche Fragestellungen. Aus den Anforderungen der geplanten Funktionsweise der Alleestraße ergeben sich zahlreiche Auswirkungen auf die Konstruktion des Straßenkörpers. Die Fahrbahn inkl. ehemaliger Gleisanlagen der Straßenbahn ist im Bestand ca. 18 m breit und in Form eines Dachprofils ausgebildet. Die Ableitung des Fahrbahnwassers in den in Mittellage geplanten Grünstreifen sowie die vorgesehene Rückhaltung bei Starkregenereignissen erfordern die Herstellung eines umgedrehten Dachprofils. Dabei entstehen erhebliche Höhendifferenzen zum bestehenden Verkehrskörper. Diese wirken sich auf die in Zentrumslage in hohem Maße vorhandenen Versorgungsleitungen aus, sodass auf die Koordinierung und Umverlegung dieser Leitungen in besonderem Maße Wert gelegt werden muss. Dies bezieht sich sowohl auf die Trassenfindung als auch die Koordination des Bauablaufes. Auch die Ausbildung der Baumrigolen, insbesondere derer in Mittellage der Fahrbahn, erfordert umfangreiche Planungen und Abstimmungen. Als wesentliche Aspekte sind dabei die Dimensionierung des Rückhaltevolumens, die Auswahl der Materialien in Hinblick auf Speicher- und -tragfähigkeit, die Ausbildung der Bordkonstruktion sowie die Auswahl der Gehölze zu nennen.Neben der detaillierten Planung der baulichen Maßnahmen ist die Gewährleistung der Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens wesentlich. Insbesondere die Behandlung, Ableitung und Versickerung überschüssigen Regenwassers erforderte dabei die frühzeitige Einbindung der entsprechenden Genehmigungsbehörden in den Planungsprozess, da zwischen der Ausbildung der Entwässerungseinrichtungen und den Verkehrsanlagen besondere Abhängigkeiten bestehen, die frühzeitig in der Querschnittsgestaltung und Höhenplanung der Straße zu berücksichtigen sind. Weiterhin sind Restriktionen durch die unter der Alleestraße verlaufende Stadtbahn zu beachten. 4. Fazit Der klimaresiliente Umbau der Alleestraße bietet vielfältige Chancen das Stadtklima positiv zu beeinflussen und den Umweltverbund zu stärken. Damit diese Ziele erreicht werden ist eine gesamtheitliche Planung von Verkehrs- und Entwässerungsanlagen erforderlich. Die beschriebenen Herausforderungen können dann gemeistert werden, wenn zwischen allen Akteuren ein frühzeitiger und zielorientierter Austausch stattfindet. Dies beinhaltet insbesondere den Straßenbaulastträger, alle beteiligten Fachämter, Planer aller Gewerke, Genehmigungsbehörden, Versorgungsträger, Politik, Anwohner und weitere Beteiligte wie Lieferanten und Bauausführende. Abb. 2: Visualisierung mit Darstellung der Entwässerungseinrichtungen Digitalisierung im Asphaltbau 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 111 Qualitätsstraßenbau Baden-Württemberg 4.0 - die Vorteile der Digitalisierung beim Asphaltbau nutzen Vera Schmidt, M. Eng. Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Dr.-Ing. Thomas Chakar Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg ist seit Jahren bestrebt, die Qualität der Straßen, insbesondere die Prozessqualität beim Asphalteinbau zu verbessern. Hierzu hat das Land Baden-Württemberg vor vier Jahren ein Handbuch zu den Grundsätzen des Qualitätsstraßenbaus BW 4.0 (QSBW 4.0) eingeführt und setzt es in Baden-Württemberg erfolgreich um. Ziel von QSBW 4.0 ist es, einen kontinuierlichen, gleichbleibend heißen Einbau in einer konstanten Schichtdicke und mit der erforderlichen gleichmäßigen Verdichtung sicherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden beim QSBW 4.0 die genannten Prozessschritte digital erfasst und überwacht und eine Logistiksteuerung der Lieferung von Asphaltmischgut umgesetzt. Dies ermöglicht es, dass Abweichungen im Bauprozess rechtzeitig erkannt und Gegensteuerungsmaßnahmen frühzeitig ergriffen werden können. Mit Erhöhung der Einbauqualität werden die Erhaltungsintervalle vergrößert und damit Primärrohstoffe geschont. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg hat zur Unterstützung der Prozesse Rahmenvereinbarungen für Georadarmessungen abgeschlossen und sieht dies bei Bestandsvermessungen mittels Laserscan vor. Darüber hinaus setzt die Straßenbauverwaltung modernste Technologie bei der Bauvorbereitung und überwachung ein, wie Laserscangeräte und Wärmebildkameras. 1. Einführung Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg ist seit Jahren bestrebt, die Qualität der Straßen, insbesondere die Prozessqualität beim Asphalteinbau zu verbessern. Hierzu hat das Land Baden-Württemberg vor vier Jahren ein Handbuch zu den Grundsätzen des Qualitätsstraßenbaus BW 4.0 (QSBW 4.0) eingeführt (s. Abb. 1). Dieses Handbuch beinhaltet konkrete Vorgaben zur Planung, Ausschreibung, Vergabe sowie Bauabwicklung mithilfe moderner technologischer Standards: Vor Baubeginn steht bei Projekten mit QSBW 4.0 die Bestandserfassung mit Hilfe eines Straßenscans, der zur Erfassung der vorhandenen Oberfläche dient, sowie eine Georadarerkundung in Verbindung mit der Entnahme von Bohrkernen zur Erfassung des bestehenden Oberbaus. In der Folge wird zur Festlegung des Erhaltungsumfangs der zukünftige Auf bauhorizont definiert. Dieser wird über schichtenweises Fräsen sowie durch Fräsen in variabler Tiefe erreicht. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg hat zur Unterstützung der Prozesse Rahmenvereinbarungen für Georadarmessungen abgeschlossen, sowie sieht dies für Bestandsvermessungen mittels Laserscan vor. Für eigene georeferenzierte Erfassungen wurden Laserscangeräte beschafft, mit denen flächendeckende Punktwolken selbst erzeugt werden können. Abb. 1: Deckblatt des Handbuchs Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 - QSBW 4.0 [1] 112 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätsstraßenbau Baden-Württemberg 4.0 - die Vorteile der Digitalisierung beim Asphaltbau nutzen Abb. 2: Maßgebliche Faktoren für eine flächendeckend, gute Qualität im Zuge des Asphalteinbaus Der daran anschließende Wiederauf bau einer Asphaltstraße umfasst folgende wesentliche Schritte (Abb. 2): 1. die Herstellung des Mischgutes in der Mischanlage, 2. den Transport des heißen Mischgutes zur Baustelle, 3. der Einbau auf der Baustelle sowie 4. die Verdichtung. Bei der Herstellung des Asphaltmischgutes spielt bei QSBW 4.0 vor allem die Verladetemperatur eine große Rolle. Diese orientiert sich an der voraussichtlichen Temperatur bei der Anlieferung auf der Baustelle. Ziel ist es, das Mischgut gleichmäßig heiß für die Verarbeitung auf der Baustelle anzuliefern, bei der Herstellung in der Mischanlage jedoch möglichst wenig thermisch zu belasten. Ferner liefert die digitale Anbindung des Wiegesystems Informationen über die momentane Auslastung der Mischanlage. Anschließend wird der Verladezeitpunkt erfasst und die aktuelle Position der Fahrzeuge kontinuierlich bestimmt. In der Folge können der Zeitpunkt und die Temperatur für die Anlieferung auf der Baustelle prognostiziert werden (Abb. 3). Hierbei werden auch Umwelteinflüsse wie beispielsweise ein erhöhtes Verkehrsaufkommen berücksichtigt. Abb. 2: Temperaturverlauf ab Mischgutherstellung über Verladung, Transport und Einbau Schlüsselparameter des Einbauprozesses sind die Einbautemperatur, Fertigergeschwindigkeit und Schichtdicke (Abb. 2). Diese Werte werden baubegleitend dokumentiert und sollen möglichst konstant gehalten werden. Letzter entscheidender Faktor ist die Verdichtung des heißen Asphaltmischgutes. Diese soll angemessen und homogen sein und wird deshalb ebenfalls baubegleitend dokumentiert. Mit der Einführung der niedrigeren Arbeitsgrenzwerte für Dämpfe und Aerosole werden vermehrt Temperaturabgesenkte Asphalte eingebaut. Die digitale Überwachung und Dokumentation der Parameter, Temperatur, Einbau und Verdichtung, kann entscheidend für eine gute Qualität der zukünftigen Niedrigtemperaturasphalte beitragen. Damit die Straßenbauverwaltung sich ein eigenes flächendeckendes Bild zu den Temperaturen machen kann, stehen seit 2021 den Baureferaten Wärmebildkameras zur Verfügung. Auf dem Markt haben sich in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Quell-Technologien etabliert, die von den Baufirmen genutzt werden, um die beschriebenen Anforderungen erfüllen zu können. Darunter fallen Logistikmanagementsysteme, die LKW-Telematik, Flächendeckende Dynamische Verdichtungskontroll-Systeme 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 113 Qualitätsstraßenbau Baden-Württemberg 4.0 - die Vorteile der Digitalisierung beim Asphaltbau nutzen (FDVK) oder Softwaresysteme der verschiedenen Mischwerke. Teilweise tauschen diese Systeme Daten über Schnittstellen aus; teilweise handelt es sich aber auch um Insellösungen. Was auf Ebene einzelner Bauunternehmungen bereits eine Herausforderung darstellt, verstärkt sich auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers nochmals deutlich. Die Bauleitung der Straßenbauverwaltung sieht sich zunehmend der Schwierigkeit gegenübergestellt, für jede durchgeführte QSBW 4.0 Maßnahme unterschiedliche und mehrere Quellsysteme handhaben zu müssen (Abb. 3 oben). An diesem Punkt ansetzend, wird zurzeit eine eigene App für die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg entwickelt. Die App und die dahinterliegenden standardisierten Schnittstellen integrieren alle relevanten Daten aus den verschiedenen Quellsystemen für den Auftraggeber und bündeln diese Daten in einer einheitlichen Benutzeroberfläche für die Bauaufsicht. Die eingesetzten Systeme der Bauunternehmen werden weiterhin von diesen genutzt (Abb. 3 unten). Die Integrator-App ersetzt damit keine Quellsysteme, sondern stellt lediglich eine zentrale Schnittstelle für den schnellen und einfachen Datenaustausch mit dem Auftraggeber bereit. Eine implementierte Schnittstelle zwischen dem Quellsystem und der Integrator-App wird vorausgesetzt. Die Integrator-App ist somit ein wesentlicher Schritt in Richtung einer Standardisierung. Dies beschleunigt die Digitalisierung im Straßenbau wesentlich. Insgesamt wird dadurch das digitale Bauen einfacher und damit auch einen guten Schritt vorangebracht. 2. Fazit Ziel von QSBW 4.0 ist es, einen kontinuierlichen, gleichbleibend heißen Einbau in einer konstanten Schichtdicke und mit der erforderlichen gleichmäßigen Verdichtung sicherzustellen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden beim QSBW 4.0 die genannten Prozessschritte digital erfasst und überwacht und eine Logistiksteuerung der Lieferung von Asphaltmischgut umgesetzt. Dies ermöglicht es, dass Abweichungen im Bauprozess rechtzeitig erkannt und Gegensteuerungsmaßnahmen frühzeitig ergriffen werden können. Mit Erhöhung der Einbauqualität werden die Erhaltungsintervalle vergrößert und damit Primärrohstoffe geschont. Seit 2021 wird QSBW 4.0 bei allen Erhaltungsmaßnahmen mit geeigneten Rahmenbindungen und > 6000 m² Fläche als Regelbauweise umgesetzt. Abb. 3: Datenschnittstelle zwischen AN und AG nach aktuellem Stand (Abb. oben) sowie nach Realisierung der Asphaltintegrator-App (Abb. unten) Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg hat zur Unterstützung der Prozesse Rahmenvereinbarungen für Georadarmessungen abgeschlossen und sieht vor dies für Bestandsvermessungen mittels Laserscan abzuschließen. Darüber hinaus setzt die Straßenbauverwaltung modernste Technologie bei der Bauvorbereitung und -überwachung mit Laserscangeräten und Wärmebildkameras ein. Darüber hinaus stimmt sich die Straßenbauverwaltung mit der Bauwirtschaft ab, damit die Datenkommunikation zwischen Bauunternehmen und Auftraggeber vereinfacht wird. Literatur [1] Handbuch Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 - QSBW 4.0 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 115 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau Dr. Marcus Müller Smart Site Solutions GmbH, Nürtingen Zusammenfassung Der Asphaltstraßenbau hat einen bedeutenden Anteil an den weltweiten CO 2 -Emissionen. Digitale Technologien für die Echtzeitsteuerung von Bauprozessen im Hinblick auf Nachhaltigkeitsziele spielen bislang nur eine untergeordnete Rolle. Die Forschung und Entwicklung für den nachhaltigen Straßenbau konzentrieren sich derzeit eher auf Baumaterialien, Baumaschinen und das Produkt Straße. Der Beitrag untersucht, wie durch die digitale Echtzeitsteuerung von Bauprozessen CO 2 -Emissionen im Straßenbau signifikant gesenkt werden können. Auf Basis einer Fallstudie wird gezeigt, wie bereits heute marktgängige Software-Systeme für die digitale Echtzeitsteuerung erste Potenziale zur Emissionsreduktion entfalten. Daraus wird ein Arbeitsprogramm abgeleitet, um zukünftig noch weitere CO 2 -Reduktionspotenziale unter Nutzung von Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI) zu heben. Die Ergebnisse des Beitrags wirken sowohl auf die Praxis des Straßenbaus und der Gestaltung von Software-Systemen zur Prozesssteuerung als auch auf die KI-Forschung und die Nachhaltigkeitsforschung. 1 Z. B. https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ de/ service/ publikation/ did/ wir-bauen-nachhaltig/ 2 Bspw. https: / / www.bauindustrie.de/ themen/ umwelt-und-bautechnik 3 Z. B. https: / / www.asphalt.de/ themen/ umwelt/ 4 Bspw. https: / / www.promobilitaet.de/ positionen/ nachhaltiger-strassenbau/ 5 U. a. https: / / www.bast.de/ DE/ Projekte/ fp-laufend-s1.html 1. Einführung In Deutschland werden für die 700.000 Km Asphaltstraßen jährlich ca. 40 Mio. Tonnen Asphalt [1] in meist mit Braunkohlestaub beheizten Asphaltmischwerken produziert und auf den Baustellen verbaut. Für die Asphaltproduktion werden in Europa jährlich rd. 300 Mio. Tonnen [2] Gestein mit erdölhaltigen Bindemitteln auf ca. 180°C erhitzt [3], in einem störanfälligen Prozess mit Lkw transportiert und mit schweren Baugeräten eingebaut. Zur Herstellung einer Tonne Asphaltmischgut werden durch das Verfeuern von Braunkohlestaub 20 kg CO 2 freigesetzt [4]. Bereits bei einer mittleren Baustellengröße mit 2.500 Tonnen einzubauendem Asphalt entspricht dies etwa zwölf First-Class-Flügen einer Person von Stuttgart nach Shanghai. Und global betrachtet bedeutet es bis zu 400 Mio. Tonnen CO 2 -Emissionen im Asphaltstraßenbau. Der Straßenbau steht nicht nur durch das Ziel der Europäischen Union, ihren Anteil an der globalen CO 2 -Emission bis 2030 (im Vergleich zu 1990) um mindestens 40 % zu reduzieren, vor großen Herausforderungen. Nachhaltigkeit steht auf den Agenden zahlreicher Auftraggeber 1 , Bauunternehmen 2 , Baustofflieferanten 3 , Baugeräte-/ Anlagenhersteller und Verbände 4 sehr weit oben und wird die Zukunft der gesamten Branche - wie auch der branchenrelevanten Forschung 5 -, gemeinsam mit der Digitalisierung und weitergehenden Automation, stark prägen. Nationale (u. a. die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung) und internationale Programme (z. B. European Green Deal, Circular Economy Action Plan, US Build Back Better), neue Vergabekriterien, einzelwirtschaftliche Management-Entscheidungen und Unternehmensstrategien treiben die Relevanz eines möglichst klimaneutralen Straßenbaus massiv voran. Derzeit werden bereits große Anstrengungen in Forschung und betrieblicher Praxis unternommen, um die wachsenden Nachhaltigkeitsanforderungen anzugehen bzw. zu erfüllen. Die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten konzentrieren sich aktuell auf das Baumaterial (u. a. Erhöhung des Recycling-Anteils, temperaturabgesenkte Asphalte, alternative Bindemittel bzw. Baumaterialien), die Baumaschinen/ Anlagen (insb. Elektrifizierung von Baumaschinen, Änderung der Energieträger, Umweltproduktdeklarationen für Asphalt) und das Produkt Straße, wie u. a. solaraktive oder NOx-reduzierende Beläge. Der Erhöhung der Nachhaltigkeit durch Steuerung des eigentlichen Bauprozesses, also zu dem Zeitpunkt, in dem die CO 2 -Emissionen überhaupt entstehen, kommt bislang kaum Aufmerksamkeit zu. Studien messen insbesondere der digitalen Echtzeitsteuerung von Bauprozessen mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz eine besondere Bedeutung bei der Erreichung ambitionierter Nachhaltigkeitsziele zu [5]-[8]. Die hierzu erforderlichen digitalen Voraussetzungen sind bereits gegeben (Stichworte: Straßenbau 4.0 und Building Information Modeling), so dass der nächste Innnovationsschritt in der Entwicklung intelligenter Verfahren zur Prozesssteuerung (im Sinne von KI) nach Kriterien der Nachhaltigkeit liegt. 116 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau 2. Stand der Wissenschaft und Technik 2.1 Digitale Echtzeitprozesssteuerung im Asphaltstraßenbau Die Nutzung digitaler Technologien in der Bauwirtschaft hat in den vergangenen Jahren bedeutend zugenommen. 6 Dies gilt insbesondere für den Straßenbau. Hierzu zählen vor allem die Erfassung von Betriebsdaten mittels Sensoren (im Asphalt oder an Baugeräten und Anlagen bzw. extern, z. B. Wetterstationen am Baustellenrand), Drohnen und mobiler Endgeräte, die Datenintegration über Cloud- Plattformen und die Entstehung baustellenweiter Informationssysteme auf Basis von Building Information Modellen (BIM). Die zunehmende Digitalisierung hat auch bedeutende Auswirkungen auf die Prozesssteuerung im Straßenbau, wie u. a. die Initiative Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 (QSBW4.0) des Ministeriums für Verkehr Baden-Württemberg [4], [9] sowie die Initiative Qualitätsstraßenbau Autobahn Asphalt 4.0 (QAA4.0) von Die Autobahn GmbH des Bundes [10], [11] zeigen. Im Bereich der Prozesssteuerung im Straßenbau konzentrieren sich industrielle Anstrengungen auf die Überwachung und Steuerung prozessrelevanter Zustände, Aktivitäten und Ereignisse in integrierten Informationssystemen und die Entscheidungsunterstützung bezüglich Einbauqualität und einzusetzender Ressourcen wie Material, Baugeräte, Fahrzeuge, Anlagen und Personal (u. a. Forschungsprojekte PAST I&II, QUAST, SmartSite). Hierbei handelt es sich um prozessorientierte Informationssysteme, die den Bauprozess widerspiegeln. Diese Entwicklungen adaptieren Gestaltungskonzepte von Manufacturing Execution Systemen der Fertigungsindustrie. Stand der Technik bei der Entscheidungsunterstützung sind optimierende und heuristische Verfahren, die anhand eines formalen Modells zulässige Entscheidungsalternativen ermitteln und in Hinblick auf Zielgrößen wie Kosten, Zeit und Qualität bewerten. Der primäre Fokus marktgängiger Systeme zur digitalen Echtzeitprozesssteuerung im Asphaltstraßenbau liegt auf dem betriebswirtschaftlich effizienten Prozessmanagement und Ressourceneinsatz. Ferner zielen die Systeme auf die Qualitätssicherung durch einen kontinuierlich heißen Einbau ab. So konnte bspw. in Feldstudien die Tauglichkeit solcher Systeme im Hinblick auf einen unterbrechungsfreien Einbau auf realen Baustellen nachgewiesen werden [12]. Ein effizientes Prozessmanagement und ein effizienter Ressourceneinsatz zahlen dabei bereits heute auf Nachhaltigkeitsziele ein. So ermitteln marktgängige Systeme bspw. die optimale Flottengröße und kürzeste Umlaufrouten für den Transport. Die digitalen Systeme unterstützen die nach Umweltaspekten zu bevorzugende Verwendung temperaturabgesenkter Asphalte. Diese stellen besondere Herausforderungen an Logistik- und Einbauprozesse sowie an eine stete Temperaturüberwachung. Nicht zuletzt werden durch einen qualitätsgesicherten, 6 Zur Übersicht s. bspw. KI-Projekte des BMDV: https: / / www.bmvi.de/ DE/ Themen/ Digitales/ Kuenstliche-Intelligenz/ KI-Projekte-in-der-Mobilitaet/ aktionsplan.html digital überwachten und gesteuerten Einbau (kontinuierlicher heißer Einbau) die Nutzungsdauern von Straßen erhöht [13]. Dies wiederum führt zu selteneren Erhaltungs- und Neubaumaßnahmen - und somit zu insgesamt geringeren CO 2 -Ausstößen. 2.2 Nachhaltigkeit im Asphaltstraßenbau Im Wesentlichen konzentrieren sich die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sowie Umsetzungsprojekte im Bereich des „grünen Straßenbaus“ auf nachhaltigere Baumaterialien bzw. auf eine nachhaltigere Materialproduktion. So wurden bei der Nutzung von Recycling- Materialien und Abfallstoffen, wie bspw. Flugasche oder Plastikgranulat [14]-[17] und in der Erforschung sowie im Einsatz von temperaturabgesenkten Asphalten bereits weitreichende Fortschritte erzielt [18]. Auch die Baumaschinen sind Gegenstand einer Nachhaltigkeitsoptimierung. Jüngere Studien beschäftigen sich hierbei vor allem mit der Messung von Emissionen von Baugeräten [19]- [21]. Als eine mögliche Lösung zur Emissionsreduktion wird derzeit vor allem die Elektrifizierung von Baumaschinen erforscht [22], [23]. Ferner wurden verschiedene Bewertungs- und Ratingverfahren entwickelt, die Nachhaltigkeitsaspekte von Verkehrsstraßenprojekten adressieren. Zu nennen sind hier Integrated VicRoads Environmental Sustainability Tool, IS Rating Scheme des Australian Green Infrastructure Council, GreenLITES, GreenPave, Greenroads, I-LAST, Envision, Transportation Analysis Rating System (STARS), CEEQUAL oder INVEST [24]. Die meisten Verfahren sind unabhängig vom Einsatz bestimmter digitaler Technologien und stellen lediglich Regeln bzw. Handlungsanweisungen dar. Für alle bislang eingesetzten Verfahren gilt, dass die Datensammlung zur Ermittlung der Bewertungen bzw. Ratings nach Projektabschluss erfolgt und die Daten von Expert: innen manuell bereitzustellen sind (durch Recherche in Projektdokumenten und Beantwortung von Fragen). Die Verknüpfung heutiger Möglichkeiten der digitalen Echtzeitprozesssteuerung (inkl. Datenerhebung und Entscheidungsunterstützung während des Einbaus) mit den bereits erzielten Ergebnissen der Nachhaltigkeitsforschung im Straßenbau fand bislang noch nicht statt. Erste Studien messen der digitalen Echtzeitsteuerung von Bauprozessen mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz eine besondere Bedeutung bei der Erreichung ambitionierter Nachhaltigkeitsziele zu [5]-[8]. 3. Digitaler und nachhaltiger Asphaltstraßenbau 3.1 Nachhaltigkeitspotenziale der digitalen Echtzeitprozesssteuerung im Asphaltstraßenbau Die digitale Echtzeitprozesssteuerung im Asphaltstraßenbau plant, steuert und dokumentiert alle Wertschöpfungsstufen - Produktion, Transport, Einbau und Verdichtung von Asphalt. Bereits zahlreiche Bauunternehmen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 117 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau setzen diese Systeme zur Optimierung ihrer Abläufe, v.a. unter einer Lean-Perspektive, ein. Zur Planungszeit wird u. a. die optimale Größe der Transportflotte berechnet und eine kürzeste bzw. schnellste Umlaufroute vorgeschlagen. Während der Bauausführung sammeln diese Prozesssteuerungssysteme Daten und überführen diese in Steuerungsempfehlungen, insb. zur Einbaugeschwindigkeit und Verladefrequenz. Das System Smart Site One (SSO) des Anbieters Smart Site Solutions GmbH - hier exemplarisch für die Klasse dieser Systeme - erfasst dabei automatisiert Daten über Schnittstellen (z. B. zu Mischanlagen) und Sensoren (z. B. GPS-Boxen auf Lkw bzw. zentimetergenaue GPS-Lösungen auf Baugeräten). Die Daten werden über Mobilfunk an die SSO- Cloud übergeben, dort verarbeitet und der Bauleitung bzw. dem Einbaupolier auf der Baustelle in Form von Entscheidungsempfehlungen auf mobile Endgeräte zurückgespielt (s. Abb. 1). Primäre Zielsetzung von Systemen wie Smart Site One ist die Prozess- und Ressourcenoptimierung [12], [25], [26]. In einer Art Zielkongruenz von wirtschaftlichen und nachhaltigkeitsorientierten Optimierungen ergeben sich hieraus bereits heute schon erste Potenziale für den „grünen Straßenbau“: Eine optimierte Flottengröße und Umlaufplanung reduzieren - quasi nebenbei - auch die Anzahl der Tonnenkilometer und so die durch die Transportflotte ausgestoßenen Mengen an CO 2 . Ein zentraler Treiber der Emissionen im Asphaltstraßenbau ist die Herstellung von Asphalt im Mischwerk. Jede Tonne, die zu viel produziert wird, produziert gleichzeitig im Prinzip vermeidbares CO 2 . Auch hier leisten heutige Systeme, wie Smart Site One, über ihre präzisen, ständig aktualisierten Restmengenberechnungen einen ersten Beitrag. Baustelle und Asphaltmischwerk werden über die Algorithmen über noch benötigte Restmengen auf dem Lau- 7 Emissionen durch Nutzung der Straße werden hier nicht betrachtet. fenden gehalten. So wird exakt das produziert und transportiert, was auf der Baustelle auch tatsächlich (noch) gebraucht wird. Wissenschaft und Praxis sehen im Einsatz von temperaturabgesenkten Asphalten eine große Chance, bei der Produktion von Asphalt signifikante Einsparungen an CO 2 zu erzielen. Diese Asphalte stellen jedoch eine große Herausforderung an die Logistik, da aufgrund der geringeren Temperaturen - und somit kleineren Zeitfenstern für den Einbau und die regelkonforme Verdichtung - die Spielräume für Reaktionen auf Prozessstörungen weniger werden. Genau hier können Systeme für die digitale Echtzeitprozesssteuerung ansetzen. Sie stellen alle Abläufe transparent dar und informieren alle Beteiligten frühzeitig über Störungen. Smart Site One gibt darüber hinaus Handlungsempfehlungen, um adäquat auf diese Störungen reagieren zu können. Sämtliche Prozesse werden ferner automatisiert dokumentiert. Smart Site One macht somit die Verwendung temperaturabgesenkter Asphalte einfacher, prozessstabiler und sicherer. Dies unterstützt die Marktdiffusion von temperaturabgesenkten Asphalten in die breite Anwendungspraxis und hilft, deren positive Nachhaltigkeitseffekte zu heben. Neben der Prozess- und Ressourcenoptimierung unterstützen Systeme wie Smart Site One den qualitätsgesicherten Asphalteinbau (kontinuierlicher, unterbrechungsfreier und heißer Einbau). Dies konnte bereits in wissenschaftlichen Experimenten [27] und Praxisstudien [12] nachgewiesen werden. Ein digital qualitätsgesicherter Einbau führt zu längeren Liegezeiten der gebauten Straße und somit zu selteneren Baustellen [13]. Je länger eine Straße genutzt werden kann, desto geringer sind die CO 2 -Emissionen durch Erhaltungs-/ Neubaumaßnahmen. 7 Abb. 1: SSO optimiert die Logistik entlang der gesamten Lieferkette und nutzt dabei IoT-, KI- und Cloud-Technologien 118 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau 3.2 Forschungsprojekt KInaStra - KI für den nachhaltigen Straßenbau Die digitale Echtzeitprozesssteuerung im Asphaltstraßenbau entfaltet bereits heute erste Potenziale im Hinblick auf eine Optimierung nach Kriterien der Nachhaltigkeit. Diese Potenziale können jedoch zukünftig noch stark ausgebaut werden, sodass Systeme wie Smart Site One zu wesentlichen Eckpfeilern der Nachhaltigkeitsstrategie von Bauunternehmen stellen können. Die hierzu erforderlichen datentechnischen Voraussetzungen sind bereits weitgehend gegeben (Stichworte: Straßenbau 4.0 und Building Information Modeling), so dass der nächste Innnovationsschritt in der Entwicklung intelligenter, datengetriebener Steuerungsverfahren auf Basis von Nachhaltigkeitskriterien liegt. Diesen Innovationsschritt der intelligenten, datengetriebenen Steuerungs- und Analyseverfahren adressiert das Forschungsvorhaben KInaStra mit dem Gesamtziel: Entwicklung von KI-Verfahren für die Echtzeitsteuerung und Analyse von Asphaltbaustellen nach Kriterien der Nachhaltigkeit, um die CO 2 -Emissionen im Bauprozess nachweislich zu senken, ohne negative Auswirkungen auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit. Konkret strebt KINASTRA zwei zentrale Ergebnisse an: 1. KI-gestützte Echtzeit-Bauprozesssteuerung unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien (neben Kosten, Zeit und Qualität). 2. Digitales Nachhaltigkeits-Reporting mittels Batch- Analyse vielfältiger Bauprozessdaten. Das Forschungsprojekt KInaStra - Künstliche Intelligenz für den nachhaltigen Straßenbau - wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden- Württemberg im Rahmen des Programms „Invest BW - Digitalisierung und Künstliche Intelligenz“ über zwei Jahre (01.01.2023 bis 31.12.2024) gefördert. Die Projektinnovationen werden in einem Konsortium mit eng aufeinander abgestimmten FuE-Kompetenzen in den Bereichen KI/ Machine Learning (Universität Hohenheim), Software-Entwicklung (Smart Site Solutions GmbH, Koordinator des Projekts), Straßenbautechnik (Reif Bauunternehmung GmbH & Co. KG) und Asphaltproduktion (Makadamlabor Schwaben GmbH) entwickelt. Die Evaluation der Projektergebnisse erfolgt unter industrieller Leitung auf realen Baustellen. KInaStra zielt auf die Entwicklung einer digitalen Echtzeitsteuerung von Bauprozessen mittels Verfahren der Künstlichen Intelligenz zur In-Process-Erhöhung der Nachhaltigkeit und transparenten, kontinuierten Erfassung von CO 2 -Emissionen ab. Damit geht KInaStra einen wichtigen Innnovationsschritt in der Entwicklung intelligenter, datengetriebener Steuerungsverfahren für nachhaltige Asphaltbaustellen. Dazu werden über die gesamte Asphaltlieferkette hinweg Daten mittels Sensoren und Schnittstellen erhoben und an eine Cloud übertragen. Dort werden die Daten in Echtzeit analysiert. Mit den KInaStra-KI-Verfahren werden Empfehlungen für eine In-Time-Erhöhung der Nachhaltigkeit abgeleitet und in den laufenden Bauprozess zurückgespielt. Die erhobenen Daten werden gleichzeitig für das kontinuierliche und abschließende digitale Nachhaltigkeits-Reporting verwendet. Projektziel ist eine CO 2 -Reduktionen u. a. durch (1.) CO 2 -optimales Supply-Chain-Planning und (2.) CO 2 -optimale Supply-Chain-Execution. Somit stärkt KInaStra die ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit bei sich verknappenden und verteuernden Ressourcen und weniger CO 2 . 4. Zusammenfassung und Ausblick Bereits heute bestehen Potenziale zur Erhöhung der Nachhaltigkeit von Asphaltbaustellen durch die Verwendung digitaler Systeme zur Echtzeitprozesssteuerung. Die Potenziale lassen sich mit Verfahren der Künstlichen Intelligenz insb. des Maschinellen Lernens zukünftig aber noch signifikant erhöhen. Dazu sind weitere Forschungs- und Entwicklungsarbeiten notwendig. Das Forschungsprojekt KInaStra bietet den Rahmen, wichtige nächste Innovationsschritte in Bezug auf die nachhaltigkeitsoptimierte Prozesssteuerung zu bewerkstelligen. Für die Wissenschaft erschließen sich damit neue Untersuchungsgegenstände und Anwendungsgebiete, um u. a. Prognosemodelle zu erstellen, zu trainieren und im Praxiseinsatz zu evaluieren. Die Projektergebnisse wirken zweifach auf die betriebliche Praxis. Einerseits führen die KInaStra-Ergebnisse zu weiteren Innovationen auf Ebene der Software-Produkte für den Straßenbau. Zum anderen ergeben sich Chancen für zukünftig wesentlich nachhaltigere Baudienstleistungen und der Entwicklung nachhaltigkeitsbezogener baubegleitender Dienstleistungen. 5. Disclaimer KInaStra (Künstliche Intelligenz für den nachhaltigen Straßenbau) wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg im Rahmen des Programms „Invest BW - Digitalisierung und Künstliche Intelligenz“ über zwei Jahre (01.01.2023 bis 31.12.2024) gefördert. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 119 Künstliche Intelligenz für den digitalen und nachhaltigen Asphaltstraßenbau Literatur [1] Deutscher Asphaltverband (DAV) e.V., „Asphaltproduktion in Deutschland“, Bonn, 2020. [2] European Asphalt Pavement Association, „Asphalt in Figures 2020“, Brussels, 2020. [3] Deutscher Bundestag, „Verbrennung von Braunkohlestaub in Asphaltmischanlagen für den Straßenbau“, Berlin, 2016. [4] W. Hermann, T. Chakar, H. Klinger, V. Schmidt, und S. Klumbach, „Der Weg zu einer ressourcen- und klimaschonenden Straßeninfrastruktur in Baden-Württemberg“, Straße und Autobahn, Nr. 5, S. 401-407, 2022. [5] F. Shahnavaz und R. Akhavian, „Automated Estimation of Construction Equipment Emission Using Inertial Sensors and Machine Learning Models“, Sustainability, Bd. 14, Nr. 2750, 2022. [6] M. Arifuzzaman, M. Aniq Gul, K. Khan, und S. Z. Hossain, „Application of Artificial Intelligence (AI) for Sustainable Highway and Road System“, Symmetry (Basel), Bd. 13, Nr. 1, S. 60, 2020. [7] S. Riemer-Sørensen, „Data-driven road construction sites“, in iVT Expo, 2021. [8] N. Miravalls und T. Hahn, „How cloud and AI are de-carbonizing road construction“, 2021. Zugegriffen: Dez. 06, 2022. [Online]. Available: https: / / www.ibm.com/ blogs/ client-voices/ smart-road-optimization-with-ai-and-cloud/ [9] Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Handbuch Qualitäts-Straßenbau Baden-Württemberg 4.0 - QSBW 4.0, Bd. 2. Stuttgart, 2020. [10] Die Autobahn GmbH des Bundes, „Drackensteiner Hang: Bauen rund um die Uhr mit modernsten Verfahren - Vier Kilometer Fahrbahndeckenerneuerung an nur einem Wochenende“. https: / / www.autobahn.de/ die-autobahn/ projekte/ detail/ drackensteiner-hang-bauen-rund-um-die-uhr-mitmodernsten-verfahren-vier-kilometer-fahrbahndeckenerneuerung-an-nur-einem-wochenende#bildergalerie (zugegriffen Dez. 18, 2022). [11] Die Autobahn GmbH des Bundes, „Pilotprojekt an der A 65: Optimale Bauprozesse für mehr Produktqualität und Nachhaltigkeit“, Nov. 08, 2021. https: / / www.autobahn.de/ die-autobahn/ aktuelles/ detail/ pilotprojekt-an-der-a-65-optimale-bauprozesse-fuer-mehr-produktqualitaet-und-nachhaltigkeit (zugegriffen Dez. 18, 2022). [12] M. Müller und V. Natzschka, „Software so dynamisch und flexibel, wie der Bauprozess - Wie Netflix hilft, die Asphaltlogistik zu steuern“, in 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Sep. 2021, S. 501-504. [13] W. Leja, „Digitale Prozesse erhöhen Nutzungsdauer der Straßen“, Staatsanzeiger, Bd. 48, S. 12, Dez. 2021. [14] M. Suresh und M. Pal, „Utilization of recycled concrete wastes and latex polymer for sustainable road construction“, Mater Today Proc, Bd. 47, S. 4171-4176, 2021, doi: https: / / doi.org/ 10.1016/ j. matpr.2021.04.448. [15] C. Cherian und S. Siddiqua, „Engineering and environmental evaluation for utilization of recycled pulp mill fly ash as binder in sustainable road construction“, J Clean Prod, Bd. 298, S. 126758, 2021, doi: https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jclepro.2021.126758. [16] S. J. A. Al-Hasan, R. Balamuralikrishnan, und M. Altarawneh, „Eco-friendly asphalt approach for the development of sustainable roads“, Journal of Human, Earth, and Future, Bd. 1, Nr. 3, S. 97-111, 2020. [17] C. Plati, „Sustainability factors in pavement materials, design, and preservation strategies: A literature review“, Constr Build Mater, Bd. 211, S. 539-555, 2019, doi: https: / / doi.org/ 10.1016/ j.conbuildmat.2019.03.242. [18] A. Täube, „Temperaturabgesenkter Asphalt: Verfahren, Chancen, Risiken“, Asphalt, Bd. 56, Nr. 8, 2021. [19] B. Hong und L. Lü, „Assessment of Emissions and Energy Consumption for Construction Machinery in Earthwork Activities by Incorporating Real- World Measurement and Discrete-Event Simulation“, Sustainability, Bd. 14, Nr. 9, S. 5326, 2022. [20] C. Koch und D. Kifokeris, „Heavy-duty construction equipment: Dinosaurs of black energy? “, Management, Bd. 694, S. 703, 2021. [21] M. Giunta, „Assessment of the impact of co, nox and pm10 on air quality during road construction and operation phases“, Sustainability, Bd. 12, Nr. 24, S. 10549, 2020. [22] L. Pugi u.-a., „Electrification of an innovative directional drilling machine. sizing and design models“, in 2020 AEIT International Annual Conference (AEIT), 2020, S. 1-6. [23] J. Paraszczak, E. Svedlund, K. Fytas, und M. Laflamme, „Electrification of loaders and trucks-a step towards more sustainable underground mining“, Renewable Energy and Power Quality Journal, Bd. 12, Nr. 12, S. 81-86, 2014. [24] R. Szpotowicz und C. Tóth, „Revision of sustainable road rating systems: Selection of the best suited system for hungarian road construction using topsis method“, Sustainability, Bd. 12, Nr. 21, S. 8884, 2020. [25] M. Müller, „Smart Site One - Die innovative Asphaltlogistik aus der Cloud“, Straßen- und Tiefbau - Sonderheft Nachhaltigkeit und Digitalisierung, S. 8-9, 2020. [26] M. Müller, „Flexible Software für flexible Bauprozesse“, Straßen- und Tiefbau, Bd. 4, S. 28-29, 2020. [27] M. Mueller, M. Hubl, J. Merkert, R. Kuenzel, S. Meyl, und V. Nill, „Intelligent Road Pavement Logistics“, in Multikonferenz Wirtschaftsinformatik (MKWI 2016), März 2016, S. 365-376. Kommunale Erhaltung 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 123 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen Das neue Arbeitspapier AP EDS-1, Teil 1: Verkehrsbelastung Dr.-Ing. Wolf Uhlig Uhlig & Wehling GmbH, Ingenieurgesellschaft, Mittweida Zur Dimensionierung des Oberbaus von Straßen benötigen sowohl die empirischen Verfahren nach den RStO 12/ 20 [RStO 2012] als auch die rechnerischen Verfahren nach den RDO Asphalt [RDO Asphalt 09] und RDO Beton [RDO Beton 09] sowie den in Bearbeitung befindlichen [RSO Asphalt] und [RSO Beton] möglichst praxisnahe Eingangsgrößen der örtlichen Verkehrsbelastung. Da Achslastwaagen in der Regel nur auf Bundesautobahnen im Einsatz sind, standen für das nachgeordnete Netz bisher keine Verfahren zur Erhebung der lokal auftretenden Achslasten zur Verfügung. Im 2022 erschienenen Arbeitspapier AP EDS-1 „Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz - Teil 1: Verkehrsbelastung“ werden verschiedene Methodiken zur Ermittlung der örtlichen Verkehrsbelastung in Form von Achslastverteilungen beschrieben. Je nach Verfügbarkeit und Relevanz vorhandener Daten zur Verkehrsbelastung im betrachteten Streckenbereich können nunmehr auch Verkehrszähldaten von Dauerzählstellen oder eigene visuelle Fahrzeugerhebungen zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs herangezogen werden. Im Beitrag wird der Schwerpunkt auf Methode 3 des Arbeitspapiers gelegt, deren Anwendung insbesondere im Netz der Kreis- und Kommunalstraßen von Bedeutung ist. In diesen Netzbereichen liegen häufig keine entsprechend verwertbaren Datenbestände zu Achslasten oder zur Verteilung der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs vor. 1. Einleitung In der planerischen Praxis wird der Oberbau von Straßenverkehrsflächen - vor allem im nachgeordneten Straßennetz zu Bundesautobahnen - vorwiegend nach den Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) dimensioniert, die auf empirischer Grundlage entwickelt wurden. Die Eingangsgröße Verkehrsbelastung geht gemäß RStO in Form der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B in die Ermittlung des Befestigungsauf baus ein. Die aktuellen RStO 12 einschließlich der Korrektur vom Juni 2020 [RStO 2012] unterscheiden das Verfahren zur Ermittlung der B-Zahl in grundsätzlich zwei Methoden. Methode 1 kommt zur Anwendung, wenn lediglich Daten zum DTV (SV) vorliegen. Methode 2 kann angewandt werden, wenn detaillierte Achslastdaten zum betreffenden Planungsabschnitt vorhanden sind. Im Laufe der 30-jährigen Berufspraxis des Verfassers konnte Methode 2 kein einziges Mal zur Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen außerhalb von Bundesautobahnen Anwendung finden. Entsprechende technische Voraussetzungen in Form von Achslastwaagen sind im nachgeordneten Netz in aller Regel nicht verfügbar. Das heißt, dass lediglich die Anzahl der Fahrzeuge des Schwerverkehrs DTV (SV) als rein quantitative Eingangsgröße zur Ermittlung der Belastung aus Verkehr einen unmittelbaren, lokalen Bezug zum Planungsbereich aufweist. Alle weiteren Eingangsgrößen zur Bestimmung der Beanspruchung aus Schwerverkehr (Achszahlfaktor f A , mittlerer Lastkollektivquotient q Bm ) werden im Rahmen der betreffenden Berechnungsmethodik (Methode 1) jeweils auf der Grundlage von lediglich drei straßenklassenspezifischen, deutschlandweit einheitlich geltenden Faktoren festgelegt. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die dimensionierungsrelevante Beanspruchung B nach den RStO 12 im Zuge der planerischen Dimensionierung bisher in aller Regel mit entsprechenden Abweichungen zum tatsächlich auftretenden Belastungsniveau durch Schwerverkehrsfahrzeuge ermittelt wurde. Dies äußerte sich nach der Realisierung von Baumaßnahmen oftmals in unerwarteten Abweichungen zur geplanten Nutzungsdauer des betreffenden Straßenabschnittes, leider auch viel zu oft in einer deutlich kürzeren, tatsächlichen Nutzungsdauer. Um diesem Umstand Abhilfe zu schaffen, wurde nach mehrjähriger Bearbeitungszeit im Arbeitskreis 4.5.8 von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ein Arbeitspapier herausgegeben (Abbildung 1), das drei verschiedene Methoden zur Ermittlung der örtlich auftretenden Verkehrsbelastung beschreibt. 124 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen Abbildung 1: AP EDS-1 Für die Anwendung im kommunalen Straßennetz steht vordergründig Methode 3 im Fokus, da hier in aller Regel weder auf gemessene Achslastdaten noch auf Daten von Dauerzählstellen zurückgegriffen werden kann. Der folgende Beitrag verschafft einen Überblick zum Arbeitspapier und geht näher auf die Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs für kommunale Straßen ein. Das Verfahren bildet die Grundlage zur Ermittlung des standardisierten Oberbaus nach Methode 2 der RStO oder für die rechnerischen Verfahren nach den RDO und RSO, wodurch ein den tatsächlichen Verkehrsbelastungen signifikant besser angepasstes Ergebnis zu erwarten ist. 2. Arbeitspapier AP eds-1 Im Arbeitspapier AP EDS-1 werden 3 verschiedene Methoden beschrieben, um alle erforderlichen Eingangsgrößen aus der Verkehrsbelastung für die Standardisierung des Oberbaus sowie für die rechnerische Dimensionierung und Substanzbewertung zu ermitteln. Darüber hinaus sind im AP EDS-1 die fachlichen Hintergründe zur Bestimmung der Kennwerte für die Verkehrsbelastung entsprechend dem aktuellen Wissenstand zusammengestellt. Grundsätzlich sind zur Ermittlung der Eingangsgrößen eigene Datenerhebungen durchzuführen, um das örtlich auftretende Belastungsniveau abzubilden. Sind Datenerhebungen in situ nicht möglich, kann auf das im Arbeitspapier dokumentierte Datenmaterial zurückgegriffen werden. 3. Methode 1: Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs auf der Basis von Verkehrszähldaten Liegen bei der Planung und Vorbereitung von Maßnahmen ausschließlich Verkehrszähldaten vor (DTV (SV) ), stehen grundsätzlich zwei unterschiedliche Verfahren zur Ermittlung der Verkehrsbelastung zur Verfügung, je nach Verfügbarkeit und Relevanz der Daten von Dauerzählstellen. Die Verfügbarkeit und Relevanz einer Dauerzählstelle können anhand folgender Kriterien beurteilt werden: • Die Dauerzählstelle liegt im Betrachtungsbereich oder im unmittelbar angrenzenden Netzbereich. • Die Verkehrsstärke des Schwerverkehrs an der Dauerzählstelle entspricht in etwa der Verkehrsstärke im Betrachtungsbereich. • Die Zusammensetzung der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs an der Dauerzählstelle entspricht in etwa der Zusammensetzung im Betrachtungsbereich. Liegen zwischen Dauerzählstelle und Betrachtungsbereich keine einflussgebenden Knotenpunkte oder Einmündungen, kann von der Relevanz der Dauerzählstelle ausgegangen werden. 3.1 Variante 1: Verfügbarkeit und Relevanz einer Dauerzählstelle im Betrachtungsbereich sind gegeben Ist eine Dauerzählstelle verfügbar und für den Betrachtungsbereich relevant, können neben den hier hinterlegten Daten der Verkehrsstärke auch die Daten aus der Zusammensetzung des Schwerverkehrs genutzt werden. Dazu erfolgt im Datenbestand der Dauerzählstellen in aller Regel die Klassifizierung der Fahrzeugtypen in 5+1 oder in 8+1 Fahrzeuggruppen nach den [TLS 2012] (Abbildung 2 und Abbildung 3). Abbildung 2: Klassifizierung in 5+1 Fahrzeugklassen nach den TLS 2012 Abbildung 3: Klassifizierung in 8+1 Fahrzeugklassen nach den TLS 2012 Die Klassifizierung des Schwerverkehrs ist auf der Grundlage des Datenbestandes der Dauerzählstelle gemäß AP EDS-1 in die vier Schwerverkehrsklassen Bus (Bus), Lkw ohne Anhänger (LoA), Lkw mit Anhänger (LmA) und Sattelkraftfahrzeuge (Sat) vorzunehmen. Bei Klassifizierung der Dauerzählstellendaten in 5+1 Fahr- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 125 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen zeugklassen können aus der Klasse LkwK die Anteile der Lkw mit Anhänger sowie der Sattelkraftfahrzeuge nach Tabelle 1 ermittelt werden. Tabelle 1: Lastzugzusammensetzungen verschiedener Straßenkategorien nach AP EDS-1 Sind die Anteile der vier SV-Klassen quantifiziert, können zur Ermittlung der zugehörigen Achslastverteilungen die jeweiligen repräsentativen Verteilungen nach AP EDS-1 herangezogen werden (Tabelle 2). Tabelle 2: Repräsentative Achslastverteilungen von Schwerverkehrsklassen nach AP EDS-1 Zur Ermittlung der Anzahl der Achsübergänge können die repräsentativen Achszahlfaktoren des AP EDS-1 als Datengrundlage herangezogen werden (Tabelle 3). Tabelle 3: Repräsentativer Achszahlfaktor f Aj nach AP EDS-1 Der mittlere Achszahlfaktor ergibt sich aus der Summe der gewichteten Achsübergänge pro SV-Klasse zu: mit: Ant j (SV) = durchschnittlicher täglicher Anteil an Fahrzeugen der Fahrzeugklasse mit dem Laufindex j f Aj = repräsentative Achsanzahl der Fahrzeugklasse mit dem Laufindex j Aus der Überlagerung der relativen Achslasthäufigkeiten mit den relativen Anteilen der jeweiligen SV-Klassen, der Anzahl der Fahrzeuge des Schwerverkehrs (DTV (SV) ) und dem mittleren Achszahlfaktor ermittelt sich das dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv (Anzahl der Achsübergänge pro Lastklasse). 3.2 Variante 2: Verfügbarkeit und Relevanz einer Dauerzählstelle im Betrachtungsbereich sind nicht gegeben Sind Daten von Dauerzählstellen nicht verfügbar oder für den Betrachtungsbereich nicht relevant, kann die Verteilung der SV-Fahrzeugklassen nach Tabelle 4 vorgenommen werden. Unter Berücksichtigung der zunehmenden Diversifikation der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs im nachgeordneten Netz - insbesondere auf Landes-, Kreis- und Kommunalstraßen - sollten die Fahrzeugklassenanteile dieser Straßenkategorien nach Ansicht des Autors vorzugshalber mittels einer Silhouettenerhebung in situ überprüft werden. Tabelle 4: Schwerverkehrszusammensetzungen verschiedener Straßenkategorien nach AP EDS-1 Die weitere Vorgehensweise zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs entspricht Variante 1. 4. Methode 2: Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs auf der Basis detaillierter Achslastdaten Sind entsprechende Daten aus Achslastmessungen verfügbar, ergibt sich das dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv auf der Grundlage der gemessenen Achsübergänge pro Achslastklasse: mit: DTA (SV) = durchschnittliche Anzahl der täglichen Achsübergänge DTA (SV) Lk = durchschnittliche Anzahl der täglichen Achsübergänge in der Achslastklasse Damit können die maßgebenden Kennwerte zur Ermittlung der Verkehrsbelastung sowohl nach Methode 2 der RStO als auch nach den rechnerischen Verfahren der RDO und RSO berechnet werden (dimensionierungsrelevantes Achslastkollektiv). 126 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen 5. Methode 3: Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs auf der Basis von Silhouettenerhebungen Die Methodik des Verfahrens beruht auf der Nutzung vorhandener Kenntnisse der Achslastverteilung gesamter Fahrzeugkollektive und einzelner Fahrzeugtypen auf dem Bundesautobahnnetz sowie aus den untersuchten Zusammenhängen zwischen Achslastniveau und Fahrzeugtypverteilung des Gesamtkollektivs. Daraus konnte eine Korrelation von äußerem Erscheinungsbild der Fahrzeuge des Schwerverkehrs (Silhouetten) und dem zu erwartenden Achslastniveau hergestellt werden [Uhlig 2019]. Das nachfolgend beschriebene Verfahren sollte angewandt werden, wenn • keine verwertbaren Daten aus Achslastmessungen vorliegen und • keine relevante Dauerzählstelle für den Betrachtungsbereich genutzt werden kann oder • die Zusammensetzung der Fahrzeugtypen innerhalb der Fahrzeugklassen des Schwerverkehrs im Betrachtungsbereich signifikant von denen auf Bundesautobahnen und Bundesstraßen bzw. von der betrachteten Dauerzählstelle abweicht. Diese Randbedingungen sind insbesondere im nachgeordneten Netz der Kommunalstraßen respektive Stadtstraßen anzutreffen. Grundlage der Methode sind repräsentative Achslastverteilungen der Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs. Die in den TLS definierten 52 Fahrzeugtypen (Tabelle 5) werden im AP EDS-1 um weitere 7 Fahrzeugtypen ergänzt (Tabelle 6), ohne damit Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Tabelle 5: Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs nach den TLS 2012 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 127 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen Tabelle 6: Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs außerhalb der TLS 2012 Für eine konkrete Planungsaufgabe erfolgt zunächst die Erfassung der Struktur des Schwerverkehrs in situ mittels Silhouettenerhebung über einen statistisch relevanten Zeitbereich. Im Ergebnis der nachfolgenden Datenanalyse wird die Verteilung der Fahrzeugtypen bestimmt. Zur Berechnung der Achslastverteilung wird die örtlich gemessene Fahrzeugtypverteilung (ermittelt anhand der Silhouettenverteilung) mit den fahrzeugtypspezifischen, standardisierten Achslastverteilungen nach dem AP EDS-1 überlagert. Unter Berücksichtigung des mittleren Achszahlfaktors sowie der Anzahl der Fahrzeuge des Schwerverkehrs entsteht im Ergebnis das für den betreffenden Straßenabschnitt dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv. Dieses basiert damit auf einer ortsbezogenen, messtechnisch erfassten Fahrzeugtypverteilung in Kombination mit der standardisierten Achslastverteilung der einzelnen Fahrzeugtypen. Die Dimensionierung des Oberbaus kann somit auf der Grundlage einer spezifischen Achslastverteilung nach Methode 2 der RStO 12 oder rechnerisch nach den RDO und RSO erfolgen. Der Vorteil des Verfahrens besteht in der Berücksichtigung repräsentativer Achslastverteilungen einzelner Fahrzeugtypen anstelle von Fahrzeuggruppen bzw. Schwerverkehrsklassen. Die in Tabelle 2 ausgewiesenen Achslastverteilungen der Schwerverkehrsklassen wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes [BASt 2019] ermittelt und beruhen auf einer bestimmten Verteilung der einzelnen Fahrzeugtypen innerhalb jeder Schwerverkehrsklasse. Das induzierte Niveau der Straßenbelastung kann jedoch zwischen den verschiedenen Fahrzeugtypen innerhalb einer SV-Klasse sehr unterschiedlich sein. Abbildung 4 verdeutlicht diese signifikanten Unterschiede mittels der Kennwerte q Bm (mittlerer Lastkollektivquotient pro Einzelachse) und AÜ 10t (Anzahl der äquivalenten 10-t-Achsübergange pro Fahrzeugtyp). Abbildung 4: Belastungskenngrößen der häufigsten Fahrzeugtypen auf Autobahnen vom Typ Stadtnah Die grün gekennzeichneten Fahrzeugtypen sind dem niedrigeren Belastungsniveau, die rot gekennzeichneten Fahrzeugtypen dem höheren Belastungsniveau zuzuordnen. In jeder SV-Klasse (Lkw ohne Anhänger, Lkw mit Anhänger, Sattel-Kfz, Busse) sind Fahrzeugtypen zu finden, die sich in ihrem Belastungsniveau um teilweise ein Mehrfaches unterscheiden. Markantestes Beispiel ist der Unterschied zwischen Fahrzeugtyp 8 und Fahrzeugtyp 12, beide zugehörig zur SV-Klasse Lkw ohne Anhänger (LoA). Fahrzeugtyp 12 bringt im Mittel die neunfache Belastung von Fahrzeugtyp 8 auf die Straße. Das bedeutet, dass die prozentuale Verteilung der einzelnen Fahrzeugtypen innerhalb einer SV-Klasse die mittlere Achslastverteilung dieser SV-Klasse wesentlich beeinflusst. Da aber gerade im Netz der kommunalen Straßen eine hohe Heterogenität der Zusammensetzung des SV-Fahrzeugkollektivs zu verzeichnen ist, sollte hier eine fahrzeugtypgenaue Betrachtung als Berechnungsgrundlage für die Verkehrsbelastung herangezogen werden. Insofern ist Methode 3 des Arbeitspapiers als bevorzugte Methode für die rechnerische Ermittlung der Verkehrsbelastung auf kommunalen Straßen zu bewerten. Die detaillierte Vorgehensweise sowie die erforderlichen Datengrundlagen (Achszahlen, repräsentative Achslastverteilungen) sind in Kapitel 7 des Arbeitspapiers AP EDS-1 enthalten. 6. Zusammenfassung und Empfehlung Für Straßenklassen unterhalb von Bundesautobahnen stehen in der Regel keine detaillierten Achslastdaten zur Verfügung. Bei der Planung von Straßenbaumaßnahmen erfolgt die Dimensionierung des Oberbaus daher zum überwiegenden Teil nach Methode 1 der RStO 12. Bezogen auf den Einflussfaktor Verkehrsbelastung (in aller Regel Schwerverkehr) weist somit lediglich der Kennwert Anzahl der Fahrzeuge DTV (SV) einen unmittelbaren, lokalen Bezug zum Planungsbereich auf. Die zur Ermittlung der Beanspruchungswirkung des Schwerverkehrs erforderlichen Kennwerte Achszahl und Achslast werden in 128 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen den RStO 12 durch den mittleren Achszahlfaktor f A sowie den mittleren Lastkollektivquotient q Bm berücksichtigt. Für beide Kennwerte sind in Abhängigkeit der Straßenklasse lediglich jeweils drei unterschiedliche, deutschlandweit einheitlich geltende Werte verfügbar. Insofern ist davon auszugehen, dass die im jeweiligen Planungsbereich tatsächlich auftretenden Beanspruchungsgrößen aus Schwerverkehr mitunter deutlich von den Ersatzwerten der RStO 12 abweichen. Die im Arbeitspapier AP EDS-1 beschriebenen Methoden zur Ermittlung der Verkehrsbelastung berücksichtigen die spezifische, örtliche Zusammensetzung des Schwerverkehrs und damit eine weitgehend realistische Größe der Verkehrsbelastung. Im nachgeordneten Netz der kommunalen Straßen ist im Vergleich zu Bundesfernstraßen und Landesstraßen von einer größeren Diversität eingesetzter Fahrzeugtypen des Schwerverkehrs mit lokal unterschiedlich hohen Anteilen im Gesamtkollektiv auszugehen. Die Anwendung der in den RStO 12 ausgewiesenen, mittleren Werte für Achszahl f A und Lastkollektivquotient q Bm bergen daher eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit der signifikanten Abweichung vom örtlich auftretenden Belastungsniveau durch den Schwerverkehr in sich. Diesem Umstand kann insbesondere mit dem Verfahren nach Methode 3 des AP EDS-1 entgegengewirkt werden. Durch seine Anwendung ist ein deutlich realitätsnäheres, den örtlichen Bedingungen besser angepasstes Ergebnis bei der Dimensionierung des Schichtenaufbaus zu erwarten. Daraus abzuleiten ist ein enorm hohes volkswirtschaftliches Potenzial durch Vermeidung von zu hoch, aber auch zu niedrig ermittelten Schichtdicken kommunaler Straßen. 7. Quellen [BASt 2019] Forschungsprojekt FE 04.0285/ 2014/ ORB „Aktualisierung und Anpassung der Straßenbelastungsdaten für die Dimensionierung“, Bundesanstalt für Straßenwesen Bergisch Gladbach, 2019 [RDO Asphalt 09] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaues von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht, Ausgabe 2009 (RDO Asphalt 09). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2009 [RDO Beton 09] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen, Ausgabe 2009 (RDO Beton 09). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2009 [RSO Asphalt] Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen - Asphaltbauweisen (in Vorbereitung) [RSO Beton] Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen - Betonbauweisen (in Vorbereitung) [RStO 12] Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaues von Verkehrsflächen, Ausgabe 2012 (RStO 12). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV Verlag, Köln, 2001, einschließlich Korrektur vom Juni 2020 [Sieber 2013] Sieber, R.; Wellner, F.: Die neuen “Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen”, Ausgabe 2012 (RStO 12). Straße und Autobahn, Heft 8-2013, Kirsch-baumverlag Bonn, 594-600 [TLS 2012] Technische Lieferbedingungen für Streckenstationen, Ausgabe 2012 (TLS 2012). Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Berlin, 2012 [Uhlig 2019] Uhlig,W.: Grundlagen für Lastannahmen zur Dimensionierung von Straßenbefestigungen, Dissertation, Technische Universität Dresden, Fakultät Bauingenieurwesen, Dresden, 2019 https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: bsz: 14-qucosa2-337040 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 129 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise Prof. Dr.-Ing. Jörg Patzak Berliner Hochschule für Technik, Fachbereich Verkehrswegebau Prof. Dr.-Ing. habil. Alexander Zeißler Technische Universität Dresden, Professur für Stadtbauwesen und Straßenbau Zusammenfassung Zur Dimensionierung des Oberbaus von Straßen benötigen sowohl die empirischen Verfahren nach den RStO 12/ 20 als auch die rechnerischen Verfahren nach den RDO Asphalt und RDO Beton einschl. den sich in Bearbeitung befindenden RSO Asphalt und RSO Beton praxisnahe Eingangsgrößen der örtlichen Verkehrsbelastung. Essentielle Voraussetzung dafür ist die Erhebung der lokal auftretenden Achslasten. Da Achslastwaagen i. d. R. nur auf Bundesautobahnen im Einsatz sind, standen für das nachgeordnete Netz bisher keine Verfahren zur Verfügung um relevante Daten zu erfassen. Mit dem „Arbeitspapier für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz, Teil 1: Verkehrsbelastung“, erschienen 2021, werden erstmals 3 verschiedene Methodiken zur Ermittlung der örtlichen Verkehrsbelastung in Form von Achslastverteilungen beschrieben. Je nach Verfügbarkeit und Relevanz vorhandener Daten zur Verkehrsbelastung im betrachteten Streckenbereich können nunmehr auch Verkehrszähldaten oder eigene visuelle Fahrzeugerhebungen zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs herangezogen werden. Beispielhaft wird aufgezeigt, welche verkehrslastbedingten Eingangswerte zur Verfügung stehen und wie sich diese auf konventionelle Dimensionierung und auf die rechnerische Bewertung der strukturellen Substanz von Befestigungen in Asphaltbauweise auswirken. 1. Einleitung Mit der Einführung der RDO Asphalt [1] und der RDO Beton [2] im Jahre 2009 besteht die Möglichkeit, Straßenbefestigungen sowohl in Asphaltbauweise als auch in Betonbauweise im Rahmen von Neubaumaßnahmen rechnerisch zu dimensionieren. Regelwerke zur Bewertung der strukturellen Substanz bestehender Befestigungen in Asphalt- oder Betonbauweise [RSO Asphalt 09; RSO Beton 09] sind in Bearbeitung. Grundsätzlich setzt die Anwendung genannter Regelwerke spezifische Eingangswerte voraus. Eingangswerte umfassen hierbei u. a. Daten der Verkehrsbelastung und klimatische Randbedingungen. Die möglichst genaue Kenntnis der auf die Straßenbefestigung einwirkender Belastungen ist essentiell für die Berechnung belastbarer Dimensionierungsbzw. Prognoseergebnisse. Das Arbeitspapier „Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz Teil 1: Verkehrsbelastung (AP EDS-1) [8] stellt die Möglichkeiten der Ermittlung relevanter Verkehrsbelastungsdaten zusammen und erläutert die theoretischen Hintergründe. Darauf auf bauend wird beispielhaft aufgezeigt und diskutiert, welche Auswirkungen auf die konventionelle Dimensionierung nach den RStO [4] und auf die Bewertung der strukturellen Substanz von Befestigungen in Asphaltbauweise nach den RSO Asphalt (Entwurf) [3] aus den zu Grunde gelegten Daten resultieren. Für die zeitgemäße ingenieurtechnische und insbesondere praxisgerechte Anwendung wird unter Verwendung der Software ADtoPave [12] gezeigt, wie schnell und effektiv derartige Fragestellungen im Vorfeld von Planungs- oder Erhaltungsmaßnahmen beantwortet werden können. 2. Verkehrsbelastung - Status quo 2.1 Status quo - RStO Gemäß dem Regelwerk für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO) kann die die Berechnung der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B nach zwei unterschiedlichen Methoden durchgeführt werden. Methode 1 kommt zur Anwendung, wenn ausschließlich Angaben zur durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke des Schwerverkehrs (DTV SV ) vorliegen. Diese Methode ist die mit Abstand am häufigsten angewandte Herangehensweise und insbesondere im nachgeordneten Netz einzige Methode zu Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B. Differenziert wird zusätzlich, wenn erforderlich, zwischen konstanten und variablen Faktoren, was grundsätzlich für beide Methoden gilt. Um Methode zwei anwenden zu können müssen Achslastdaten bekannt sein. Folglich sind Achslasten sowie deren Auftretenshäufigkeiten im Vorfeld zu erfassen und auszuwerten. Diese Herangehensweise ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, da nur so die in situ existierende Verkehrsbelastung korrekt abgebildet wird. 130 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise 2.2 Status quo - RDO Asphalt 09 / RSO Asphalt (Entwurf) Rechnerische Dimensionierungsverfahren wie die RDO Asphalt [1] setzen Achslastkollektive als zwingend Eingangsgröße des Verfahrens voraus. Anzustreben sind dabei Achslastmessungen, auf deren Grundlage die objektspezifische Achslastverteilung ermittelt werden kann. Liegen diese Daten nicht vor, können repräsentative Achslastkollektive verwendet werden. In der geltenden Fassung, Ausgabe 2009, werden drei repräsentative Achslastkollektive zu Verfügung gestellt und entsprechend der Häufigkeitsverteilung auftretender Achslasten in • BAB - Fernverkehr • BAB - Mischverkehr • BAB - stadtnaher Verkehr unterschieden. Beispielhaft zeigt Abbildung 1 das Achslastkollektiv BAB Fernverkehr (gem. RDO Asphalt) als eines dieser repräsentativen Achslastkollektive. Abbildung 1: Achslastkollektiv „BAB - Fernverkehr“ (oben) mit zur Achslastklasse zugeordneter Achslast und relativer Häufigkeit (unten) [1] Die zwingende Notwendigkeit von Achslastkollektiven als Eingangsgröße besteht in gleicher Art und Weise für die Bewertung der strukturellen Substanz gem. den RSO Asphalt (Entwurf) [3]. 3. Verkehrsbelastung - nach AP EDS Teil 1 In der Praxis liegen objektscharfe Informationen zu Achslasten nur sehr selten vor, beispielsweise für ausgewählte Autobahnabschnitte. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) betreibt ein Achslastmessstellennetz, welches aktuell 41 Richtungsmessstellen an 21 Querschnitten umfasst, wobei die Fahrzeuge mit Hilfe von Sensoren verwogen werden (Weigh In Motion). Für das nachgeordnete Netz liegen derartige Informationen i. d. R. nicht vor. Im 2021 erschienen, oben genannten Arbeitspapier [8] werden erstmals 3 verschiedene Methodiken zur Ermittlung der örtlichen Verkehrsbelastung in Form von Achslastverteilungen beschrieben. Je nach Verfügbarkeit und Relevanz vorhandener Daten zur Verkehrsbelastung im betrachteten Streckenbereich können nunmehr auch Verkehrszähldaten oder eigene visuelle Fahrzeugerhebungen zur Ermittlung des dimensionierungsrelevanten Achslastkollektivs herangezogen werden. Im Vortragsteil mit dem Haupttitel „Neue Wege und Methoden zur systematischen Erhaltungsplanung kommunaler Straßen“ wurde im Untertitel 1 das neue „Arbeitspapier für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz, Teil 1: Verkehrsbelastung“ - Die Ermittlung der örtlichen Verkehrsbelastung zur Dimensionierung und Substanzbewertung im nachgeordneten Straßennetz vorgestellt. Grundlagen, Unterschiede und mögliche Anwendungen werden dabei aufgezeigt, mit dem Fokus auf Methode 3 des Arbeitspapiers. 4. Verkehrsbelastung als Eingangsgröße im Rahmen der konventionelle Dimensionierung nach den RStO - Vorgehensweise und Unterschiede am Beispiel Zur Darstellung der Unterschiede und möglichen Auswirkungen wird im ersten Schritt das Beispiel einer konventionellen Dimensionierung nach den RStO [3] betrachtet. Für die Dimensionierung, d. h. die Berechnung der dimensionierungsrelevanten Beanspruchung B werden 3 Varianten betrachtet. Als konkretes Beispiel wird die Heerstraße (Bundesstraße 2/ 5 im westlichen Stadtgebiet von Berlin) auf Höhe Freybrücke (Abbildung 2) betrachtet. Variante 1: Daten aus regelmäßigen Verkehrserhebungen Bei Variante 1 stehen wie allgemein bekannt und üblich, ausschließlich Daten zur durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke zur Verfügung. Grundlage dafür sind regelmäßigen Verkehrserhebungen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 131 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise Abbildung 2: Erhebungsstelle Heerstraße, Berlin [Quelle: Kartendaten © 2022 GeoBASIS-DE/ BKG (© 2009), Google Angaben zu den Verkehrsmengen (DTV 2019) liegen nach den Angaben der Stadt Berlin (Umweltatlas) vor. Erfasst sind hierbei die relevanten Daten im Rahmen der Verkehrserhebung, welche die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke DTV (Kfz) erfassen mit der Unterteilung in DTV Pkw DTV Lkw > 3,5 t (ohne Busse) DTV Lieferwagen <= 3,5 t DTV Linienbusse DTV Reisebusse DTV Motorräder Konkret werden folgenden Zahlenwerte der durchschnittlichen täglichen Verkehrsstärke verwendet: • DTV 2019 Kfz/ 24 h = 44.030 • DTV (SV) 2019 Kfz/ 24 h = 2.840 (SV-Anteil 6,45 %) Gem. den Vorgaben der RStO 12 (Korrektur 2020) sind folgende strassenklassenspezifischen Faktoren Achszahlfaktor f A : 4,0 Lastkollektivquotient q BM : 0,25 mittlere jährliche Zunahme SV: 2,0 % (über alle Prognosejahre) sowie nachfolgende Gewichtungsfaktoren zu verwenden. Fahrstreifenfaktor f 1 : 0,5 Fahrstreifenbreitenfaktor f 2 : 1,1 Steigungsfaktor f 3 : 1,0 Bei den i.d.R. anzusetzenden 30 Jahren Nutzungsdauer und einem ebenfalls angenommenen mittleren jährlichem Zuwachs des Schwerverkehrs von 2,0 % (über alle Prognosejahre) liegen folgende Dimensionierungsergebnisse vor: EDTA = 2840 AÜ/ 24 h B = 23,6 Mio. AÜ Die Einstufung erfolgt somit in die Belastungsklasse Bk 32. Variante 2: Verwendung des dimensionierungsrelevante Achslastkollektives „B-Str.“ Bei Variante 2 wird für die Berechnung ein dimensionierungsrelevantes Achslastkollektiv auf Grundlage von Verkehrszähldaten basierend auf Dauerzählstellen angewandt. Konkret verwendet wurde die Achslastverteilung Bundesstraßen „B-Str.“ gem. dem Arbeitspapier Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz - Teil 1: Verkehrsbelastung [8]. Achslastklassen und zugeordnete Häufigkeiten können Abbildung 3 entnommen werden. Abbildung 3: Achslastverteilung Bundesstraßen (B-Str.) (oben) mit zur Achslastklasse zugeordneter Achslast und relativen Häufigkeit (unten) [8] 132 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise Im Vergleich zu Variante 1 werden folglich die äquivalenten durchschnittlichen täglichen Achsübergänge (EDTA) nicht mehr über die straßenklassenspezifischen Faktoren f A und q BM der RStO „pauschal“, sondern achslastklassenweise über die 26 definierten Achslastklassen berechnet und aufsummiert. Für die absolute Häufigkeit der auftretenden durchschnittlichen täglichen Achsübergänge ist der zum Achslastkollektiv zugeordnete mittlere Achszahlfaktor von 3,6 zu verwenden. Bei sonst gleichen Randbedingungen (wie in Variante 1 vorgestellt) berechnen sich folgende Dimensionierungsergebnisse: EDTA = 3038 AÜ/ 24 h B = 25,2 Mio. AÜ Die Einstufung erfolgt somit unverändert in die Belastungsklasse Bk 32. Erkennbar ist allerdings die Differenz von 1,6 Mio. AÜ. Zwar liegt im Vergleich der mittleren Achszahlfaktor für dieses Achslastkollektiv unter dem der RStO, der mittlere Lastkollektivquotient jedoch darüber. Variante 3: objektspezifische Achslastverteilung auf Grundlage von Silhouettenerfassungen Wenn keine verwertbaren Daten aus Achslastmessungen vorliegen, Daten von Dauerzählstellen nicht vorliegen oder signifikante Abweichungen der Zusammensetzung der Fahrzeugtypen im Betrachtungsbereich (abweichende von Bundesautobahnen bzw. Bundesstraßen) zu erwarten sind (vgl. Kapitel 4 - Variante 2), sollte Methode 3 des AP EDS-1 [8] angewandt werden. Die Herangehensweise beruht auf einer Silhouettenerhebung über einen statistisch definierten Zeitabschnitt. Daraus kann die Verteilung der Fahrzeugtypen ermittelt werden, welche mit den fahrzeugtypspezifischen, standardisierten Achslastverteilungen des AP EDS-1 [8] überlagert werden. Ergebnis ist das für den betreffenden Straßenabschnitt (objektspezifische) dimensionierungsrelevante Achslastkollektiv. Das für das konkrete Beispiel vom Ingenieurbüro Uhlig & Wehling GmbH ermittelte Achslastkollektiv zeigt Abbildung 4. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass der für die Erhebung der Verkehrsdaten relevante Zeitbereich nicht vollständig eingehalten werden konnte. Für die absolute Häufigkeit der auftretenden durchschnittlichen täglichen Achsübergänge wurde der aus dem Achslastkollektiv berechnete mittlere Achszahlfaktor von 2,8 verwendet. Bei sonst gleichen Randbedingungen (wie in Variante 1 vorgestellt) berechnen sich damit folgende Dimensionierungsergebnisse: EDTA = 2382 AÜ/ 24 h B = 19,8 Mio. AÜ Die Einstufung erfolgt somit ebenfalls unverändert in die Belastungsklasse Bk 32 allerdings mit einer Differenz von 3,8 Mio. AÜ zur Methode der RStO und einer Differenz von 5,4 Mio. AÜ zum Achslastkollektiv „B- Str.“ [8]. Bereits an dieser Stelle wird deutlich, dass die objektspezifische Erhebung der Verkehrsbelastung entscheidenden Charakter hat, da sich die Zusammensetzung des Schwerverkehrs und die daraus resultieren fahrzeugspezifischen Achslasten netzspezifische stark unterscheiden. Insbesondere im nachgeordneten Netz bzw. in Kommunen sind erhebliche Unterschiede standardisieren straßenklassenspezifischen Kenngrößen und Achslastkollektiven zu erwarten. Im Gegensatz zur konventionellen Dimensionierung nach den RStO [4] sind für die rechnerischen Dimensionierungs- und Prognoseverfahren dimensionierungsrelevante Achslastkollektive essentielle Eingangsgröße. Die Vorgehensweise sowie mögliche Auswirkungen bei der Bewertung der strukturellen Substanz nach den RSO Asphalt (Entwurf) [3] werden in Abschnitt 6.3 exemplarisch behandelt. Abbildung 4: Objektspezifische Achslastverteilung (oben) mit zur Achslastklasse zugeordneter Achslast und relativen Häufigkeit (unten) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 133 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise 5. Verkehrsbelastung als Eingangsgröße im Rahmen der Bewertung der strukturellen Substanz von Befestigungen in Asphaltbauweise - Vorgehensweise am Beispiel Seit der Einführung der RDO Asphalt im Jahre 2009 [1] besteht die Möglichkeit, Straßenbefestigungen in Asphaltbauweise im Rahmen von Neubaumaßnahmen rechnerisch zu dimensionieren. Für Bestandsstrecken in Asphaltbauweise kann die strukturelle Substanz nach den RSO Asphalt (Entwurf) [3] bewertet und deren Restsubstanz rechnerisch prognostiziert werden. Im Ergebnis dieser Bewertung kann eine Maßnahmenplanung erst dann als wirtschaftlich eingestuft werden, wenn die Nutzungsdauer neu einzubauender Schichten an die Restsubstanz in der Konstruktion verbleibender Schichten angepasst wird. Es sei darauf vermerkt das diesem Grundsatz auch Rechnung zu tragen ist, bei Anwendung der geltenden Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen [4]. Unter Pkt. 4 „Erneuerung von Fahrbahnen“ wird explizit darauf verwiesen, dass Art und Zustand der vorhandenen Befestigung (Pkt. 4.1.4) für die Belastungsklassen Bk10 bis Bk100 rechnerisch überprüft und bewertet werden sollten. Konkret sind in diesem Fall Materialuntersuchungen (Performanceprüfungen) an Probekörpern, hergestellt aus vor Ort entnommenen Bohrkernen, durchzuführen und diese im Kontext genannten Verfahrens zu bewerten. Insbesondere sei in diesem Zusammenhang auf Tabelle 5 der RStO [4] verwiesen (Abbildung 5), in welcher für Erneuerungen in Asphaltbauweise auf vorhandener Befestigung ab Bk 10 keine standardisierten Befestigungsvarianten vorgegeben sind. Abbildung 5: Erneuerung in Asphaltbauweise auf vorhandener Befestigung [4] 5.1 Grundlagen zur Verfahrensweise Die Anwendung des Verfahrens nach den RSO Asphalt (Entwurf) [3] stützt sich im Wesentlichen auf 4 nachfolgend dargestellte Bearbeitungsschwerpunkte. 1. Festlegung strukturell homogener Streckenabschnitte 2. Probennahme (Bohrkernentnahme) als Querschnitts-/ oder Abschnittsbeprobung innerhalb der strukturell homogenen Abschnitte 3. Ermittlung der dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen aller Asphaltschichten 4. Bewertung der strukturellen Substanz gem. den RSO Asphalt (Entwurf) nach der deterministischen oder der probabilistischen Verfahrensweise Die einzelnen Schwerpunkte werden beispielsweise in [7] thematisiert, an dieser Stelle aber nicht näher behandelt, da nicht Gegenstand dieser Veröffentlichung. 6. Erläuterung der Vorgehensweise am Beispiel Im konkreten Beispiel handelt es sich um einen fiktiven Befestigungsauf bau einer Bk32, da keine konkret Erneuerungsmaßnahme zugrunde liegt. Zur Diskussion der essentiellen Relevanz der Eingangsgröße „Verkehrsbelastung“, welche hier im Vordergrund steht, ist dies auch nicht erforderlich. Die Berechnung der strukturellen Restsubstanz der Befestigung erfolgt auf Grundlage der probabilistischen Verfahrensweise unter Verwendung der Softwarelösung ADtoPave [12], mit welcher unterschiedlichste Aufgaben rund um die rechnerische Dimensionierung von Asphaltbefestigungen bearbeitet werden können (Abbildung 6). Abbildung 6: Analysing and Design Tool for Pavements (ADtoPave) [12] Für die Beispielrechnung wurde folgender Befestigungsauf bau gewählt: • 4 cm Asphaltdeckschicht • 8 cm Asphaltbinderschicht • 18 cm Asphalttragschicht • 45 cm Frostschutzschicht 6.1 Belastung aus Klima und Verkehr Für die Verkehrsbelastung wurden die in Kapitel 4 vorgestellten Daten der Achslastverteilungen nach Variante 2 und 3 verwendet. Für die Berücksichtigung dimensionierungsrelevanter Temperaturbedingungen in den Asphaltschichten der Befestigung sind gem. RSO Asphalt (Entwurf) [3] normierte, charakteristische Temperaturprofile zu verwenden. Die Auftretenshäufigkeit dieser charakteristischen Temperaturprofile ist abhängig von der jeweiligen klimainduzierten Straßentemperaturen-Zone (KiST-Zone). Im vorliegenden Betrachtungsfall wurde Temperaturzone 3 verwendet. Die Auftretenswahrscheinlichkeit der normierten, charakteristischen Temperaturprofile innerhalb einer KiST-Zone sind nach den RSO Asphalt (Entwurf) [3] festgelegt und können Tabellenwerten entnommen werden. Alternativ kann die Festlegung der KiST-Zone in ADtoPave [12] direkt über die Eingabe von Gauß-Krüger-Koordinaten bestimmt werden. 134 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise 6.2 Dimensionierungsrelevanten Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen Für das fiktive Berechnungsbeispiel mit dem zu vor festgelegten Befestigungsauf bau wurden vorhandene und nachfolgende dargestellte Materialkennwerte/ -kennwertfunktionen aus Laboruntersuchungen verwendet. Hauptkurve und Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktion Entsprechend den TP Asphalt-StB, Teil 26 [6] dient als funktionaler Ansatz der Hauptkurve (Masterfunktion) nachfolgende Gleichung. (1) mit |E*| absoluter Wert des komplexen E-Moduls (Steifigkeitsmodul) [MPa] |E*|+∞ Grenzwert des Steifigkeitsmoduls bei sehr niedrigen Temperaturen und/ oder hohen Frequenzen [MPa] |E*|-∞ Grenzwert des Steifigkeitsmoduls bei sehr hohen Temperaturen und/ oder niedrigen Frequenzen [MPa] x* beliebiger Wert auf der Abszissenachse der Hauptkurve, bestimmt mit Hilfe der Temperatur-Frequenz- Äquivalenz [Hz] ż 1 , ż 2 Materialparameter der Hauptkurve [-] In Tabelle 1 sind die Materialparameter der Hauptkurven für die verwendeten Asphalte mit den zusätzlich benötigten Parametern, T0 Referenztemperatur [°C] ф materialspezifischer Parameter [-] aufgeführt, welche zur eindeutigen Beschreibung erforderlich sind. Tabelle 1: Parameter der Hauptkurve der Asphaltschichten E-∞ E+∞ ż 1 ż 2 T0 ф [N/ mm²] [N/ mm²] [-] [-] [°C] [-] Asphaltdeckschicht 0 22585 -0,7068 2,0342 20 28618 Asphaltbinderschicht 0 28624 -0,6938 1,4038 20 20091 Asphalttragschicht 0 30316 -0,7122 1,9985 20 23301 Zur besseren Verdeutlichung zeigt Abbildung 7 vergleichend die Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktionen aller verwendeten Asphaltschichten der vorhandenen Befestigung. Abbildung 7: Steifigkeitsmodul-Temperaturfunktionen der verwendeten Asphalte (blau: ADS; gelb: ABS; rot: ATS) Ermüdungsfunktion Die Ermüdungsfunktion gem. TP Asphalt-StB, Teil 24 [5], mit dem funktionalen Zusammenhang nach Gleichung (2) der verwendeten Asphalttragschicht einschließlich der zugehörenden Parameter sind Abbildung 8 und Tabelle 2 zu entnehmen. (2) mit: ε el,Anf… elastische Anfangsdehnung [‰] N zul… max. ertragbare Lastwechselzahl k, n… Regressionsparameter [-] Tabelle 2: Parameter der Ermüdungsfunktion der Asphalttragschicht k[-] n[-] 45,7644 -2,1593 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 135 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise Abbildung 8: Ermüdungsfunktion der Asphalttragschicht Im vorliegenden Beispiel erfolgte die für die Berechnung notwenige Diskretisierung (bei angewendeter probabilistischer Verfahrensweise) zwecks Vereinfachung wie folgt: Hauptkurve: Asphaltdeckschicht: keine Diskretisierung Asphaltbinderschicht: keine Diskretisierung Asphalttragschicht 3 Klassen Ermüdungsfunktion: Asphalttragschicht 7 Klassen Schichtdicke: keine Diskretisierung Schichtenverbundzustand Für alle Berechnungen wurde davon ausgegangen, dass der Grenzwerte der Scherkraft gem. ZTV Asphalt-StB [11] basierend auf der TP Asphalt-StB, Teil 80 [9] eingehalten ist und folglich vollständig wirksamer Verbund vorliegt. 6.3 Berechnungsergebnisse Für die Berechnungen wurden die in Kapitel 6 zugrunde gelegten Daten zum Befestigungsauf bau und zu den Materialkennwerten sowie die vorgestellten relevanten Verkehrsbelastungsdaten aus Kapitel 4 (Variante 2 und 3) verwendet. Für eine im Beispiel festgelegte maximale zulässige Ausfallwahrscheinlichkeit von 10 % bzw. 20 % und den dazu zugeordneten Anpassungsfaktoren [3] berechnet sich die strukturelle Restsubstanz (S RN ) wie nachfolgend vergleichend dargestellt ( Tabelle 3 ). Tabelle 3: Berechnungsergebnisse ALK „objektspezifisch“ (Kap. 4 Variante 3) ALK „B-Str.“ (Kap.4 Variante 2) f A 2,8 3,6 max. zul. Ausfallwahrscheinlichkeit = 10 % A F 2896 4777 S RN 7 Jahre 9 Jahre max. zul. Ausfallwahrscheinlichkeit = 20 % A F 2896 4777 S RN 13 Jahre 16 Jahre 7. Ergebnis und Zusammenfassung Die aufgeführten Berechnungen zeigen bereits für den Fall der konventionellen Dimensionierung (Kap. 4) nach den RStO das erhebliche Fehleinschätzungen vorliegen können, wenn die tatsächliche Verkehrsbelastung nicht berücksichtigt wird. Die Erhebung objektspezifischer Verkehrsbelastungsdaten sollte deshalb bereits grundlegender Bestandteil von Planungsmaßnahmen im Straßenbau sein. Gleiches gilt für Erneuerungsmaßnahmen, da die Festlegung des Befestigungsauf baus (einschl. der Eignung der in der Konstruktion verbleibenden Schichten) grundsätzlich belastbar nachgewiesen werden sollte. Die Bewertung der strukturellen Substanz nach den RSO Asphalt, Entwurf 2016 ist das zu verwendende „Werkzeug“ dafür und dient der Bestimmung des rechnerisch prognostizierten Ausfallzeitpunktes von Asphalttragschichten. Die Umsetzung mit Hilfe von Softwarelösungen erleichtert ingenieurtechnische Fragestellungen sowie die praxisgerechte Anwendung, um mögliche Fehleinschätzungen frühzeitig erkennen und vermeiden zu können. Literaturangaben [1] Richtlinien für die Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RDO Asphalt), FGSV 2009 [2] Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung von Betondecken im Oberbau von Verkehrsflächen (RDO Beton), FGSV 2009 [3] Richtlinien zur Bewertung der strukturellen Substanz des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschicht (RSO Asphalt, Entwurf), FGSV 2016 [4] Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen (RStO), FGSV 2012 [5] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 24 Spaltzug-Schwellversuch - Beständigkeit gegen Ermüdung (TP Asphalt-StB, Teil 24), FGSV 2018 [6] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 26 Spaltzug-Schwellversuch - Bestimmung der Steifigkeit (TP Asphalt-StB, Teil 26), FGSV 2018 [7] Patzak, J.; Zeißler, A.: Zielführende Straßenerhaltung - Bewertung der strukturellen Substanz. 2. 136 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Der Einfluss lokal erfasster Verkehrsbelastung auf die Substanzbewertung des Oberbaus von Befestigungen in Asphaltbauweise Kolloquium Straßenbau in der Praxis, Tagungshandbuch 2021 [8] Arbeitspapier „Eingangsgrößen für die Dimensionierung und Bewertung der strukturellen Substanz“ Teil 1 - Verkehrsbelastung, FGSV 2021 [9] Technische Prüfvorschriften für Asphalt, Teil 80 Abscherversuch (TP Asphalt-StB, Teil 80), FGSV 2007 [10] Technische Prüfvorschriften für Boden und Fels im Straßenbau, Teil E1 Prüfung auf statistischer Grundlage - Stichprobenprüfpläne (TP BF-StB E 1), FGSV 1993 [11] Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen aus Asphalt (ZTV Asphalt-StB), FGSV 2007 (Fassung 2013) [12] Analysing and Design Tool for Pavements (AD-to- Pave), IDAV GmbH, Schnorrstraße 70, 01069 Dresden 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 137 Herausforderungen bei der praktischen Anwendung von Messdaten aus Klima und Verkehr in der Erhaltungsplanung am Beispiel der Stadt Münster Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Jade Hochschule Oldenburg, FB Bauwesen, Geoinformation, Gesundheitstechnologie Dipl.-Betriebswirt Stefan Gomolluch Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Dr.-Ing. Daniel Gogolin Ingenieurgesellschaft PTM Dortmund mbH Zusammenfassung Die innerörtliche Erhaltungsplanung von Bundes-, Landes-, Kreis- und Kommunalstraßen stellt eine besondere ingenieurtechnische Herausforderung dar. Denn im Gegensatz zum außerörtlichen Bereich sind hier in der Regel deutlich inhomogenere Oberbauten zu finden. Außerdem sind die vorhandenen Regelwerke wie die RPE Stra-01 bzw. E EMI-12 nur bedingt zielführend und auch Prognoserechnungen mit Pavement Management-Systemen (PMS) häufig schwierig und von großen Unsicherheiten geprägt. Letzteres liegt vielfach daran, dass einerseits die erforderlichen Daten in den Straßeninformationssystemen nur rudimentär respektive unvollständig und/ oder in unzureichender Qualität vorliegen sowie nicht planbare Aufgrabungen durch Kanal und Versorgungsträger stattfinden. Andererseits sind die Prognosefunktionen, die aus Zustandsveränderungen der Vergangenheit beruhen, für ein kommunales PMS (EMS-K) nur in Teilen vorhanden. In wie weit diese Prognosefunktionen angepasst werden müssen, um auf die aus dem Klimawandel resultierenden Veränderungen zu reagieren, ist noch unzureichend erforscht. Mit Hilfe von gezielten, systematischen Voruntersuchungen im Rahmen der Erhaltungsplanung können technisch und kaufmännisch geeignete Erhaltungsmaßnahmen gewählt werden. Leider werden diese oftmals aus Kostengründen oder Personalknappheit nur bedingt durchgeführt. Folglich besteht die Gefahr, dass die Straße früher als nötig wieder Instand gesetzt werden muss. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass bislang Klima- und Verkehrsdaten nicht bzw. nur unzureichend in die Erhaltungsplanung eingeflossen sind. In diesem Beitrag soll zum einen dargestellt werden, wie durch eine intelligente Organisation des Erhaltungsmanagements die erforderlichen Daten für eine optimierte Erhaltungsplanung bereits heute sukzessive gewonnen werden können. Zum anderen soll skizziert werden, welche Herausforderungen gerade im Innerortsbereich bestehen, belastbare Klima- und Verkehrsdaten zu gewinnen, um sie in einem kommunalen PMS (EMS-K) zu nutzen. Das Forschungsprojekt DaRkSeit soll weitere Grundlagen hierfür schaffen. 1. Einleitung Für die Kommunen stellen die Verkehrsanlagen einen der größten Posten im Anlagevermögen dar. Dieses Kapital gilt es dauerhaft zu erhalten. Wenn der bereits begonnene Werteverfall aufgehalten werden soll, ist ein qualifiziertes Erhaltungsmanagement für die gesamte kommunale Infrastruktur erforderlich. Deshalb sollte es Ziel sein, die erforderlichen Eingriffe in die Straßeninfrastruktur rechtzeitig durchzuführen, insgesamt zu minimieren bzw. die unvermeidbaren Eingriffe zu koordinieren. Die zur Verfügung stehenden Finanzmittel sind optimal einzusetzen, um die Nutzungsdauern zu erreichen und den Werterhalt des Anlagevermögens sicherzustellen. Immer knapper werdende Finanzmittel bei gleichzeitig starkem Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung sowie gestiegene Anforderungen haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass der Straßenzustand, die Substanz und die Nutzungsqualität immer schlechter wurden. Weitere Randbedingen an eine bedarfsgerechte Infrastruktur resultieren beispielsweise aus einer sich verändernden Mobilität, der weiteren Zunahme des Schwerverkehrs, der Digitalisierung und den sich immer deutlicher abzeichnenden Folgen der Klimaveränderung. Folglich ist es dringend erforderlich ein kommunales Erhaltungsmanagement aufzubauen, welches möglichst umfassend die wesentlichen Eingriffe in den Straßenraum erfasst, deren zeitliche wie räumliche Ausdehnung minimiert und die Gesamtkosten aller Eingriffe optimiert. Leider existieren in Deutschland derzeit nur rudimentäre Ansätze zur Unterstützung der technischen Planung sowie der Finanzplanung mit den erforderlichen Informationen. Daher sind in den letzten Jahren für das Amt für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster eigene Lösungsansätze (Tief bauinfrastrukturmanagement Münster - TIMM) entwickelt worden. Teile des TIMM sind in Tagungsbeiträgen (TAE in 2017 und 2019) vorgestellt worden. In die- 138 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Herausforderungen bei der praktischen Anwendung von Messdaten aus Klima und Verkehr in der Erhaltungsplanung am Beispiel der Stadt Münster sem Beitrag wird der Fokus auf der Weiterentwicklung des kommunalen PMS sowie der Abschätzung von Einflüssen aus Verkehr und Klima gelegt. 2. Optimiertes Kommunales Erhaltungsmanagement Das wesentliche Regelwerk für das kommunale PMS sind die E EMI 2012 mit den zugehörigen Arbeitspapieren der Reihe 9 kommunal (AP9 K x) der FGSV. In diesen sind die Zusammenhänge im kommunalen Erhaltungsmanagement sowie die Schritte zum Aufbau des selbigen dargestellt. Die messtechnische sowie die visuelle ZEB nehmen in diesem System eine wesentliche Rolle ein, die Substanzerfassung und -bewertung sind nur andeutungsweise beschrieben. Daher ist das Erhaltungsmanagement in Münster bereits vor Jahren um Bausteine zur Substanzbewertung erweitert worden (vgl. Abbildung 1), mit denen nicht nur technische, sondern auch kaufmännische Fragestellungen beantwortet werden können. Abbildung 1: Erweitertes EMS-K MS Als wesentliche Ergänzungen sind hier die Ermittlung der Schichtstärken des Straßenauf baus, die Abschätzung der Tragfähigkeit und die Analyse von Asphaltbohrkernen zu nennen, die ergänzend, z.T. optional in das vorhandene EMS-K MS integriert worden sind und bei der Aufstellung des Bauprogramms hinzugezogen werden können. Das machte es notwendig, dass auch der standardisierte Prozess zur Abschätzung des Finanzbedarfs der Straßenerhaltung sowie zur Festlegung des Bauprogramms angepasst werden musste (vgl. Abbildung 2). Abbildung 2: Systematisches Untersuchungsprogramm Neben dem -wie oben bereits erwähnttechnisch noch unvollständigem Regelwerk für ein kommunales PMS stellen die neuen Anforderungen aus der Klimaveränderung und den sich abzeichnenden Extrem-Wetterereignissen das Erhaltungsmanagement vor neue Aufgaben. Denn um eine verlässliche Finanzbedarfsprognose für die Straßenerhaltung zu erstellen, sind abgesicherte Prognosefunktionen für die Zustands-entwicklung notwendig. Diese Prognosefunktionen basieren auf den Messwerten der Vergangenheit bis in die Gegenwart, ermittelt zumeist auf Fahrbahnen von Außerortsstraßen. Der kommunale Bereich ist dagegen nahezu unerforscht. Aber gerade in den Kommunen können z. B. längere Hitzeperioden im Sommer mit höheren Temperaturen dazu führen, dass die Heat Island Effekte deutlich ausgeprägter werden, so dass die verbauten Asphalte in diesen Zonen schneller an ihre Belastungsgrenze stoßen. Um abzuschätzen, ob es sich bei dieser Fragestellung um einen wesentlichen Faktor in Münster handelt, ist eine erste Risikoanalyse durch die TU Dresden in Auftrag gegeben worden. Die Ergebnisse zeigen sehr deutlich, dass für die Hauptverkehrsstraßen der Belastungsklasse Bk10 die Nutzungsdauer rechnerisch von aktuell knapp 40 Jahren auf gut 10 Jah- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 139 Herausforderungen bei der praktischen Anwendung von Messdaten aus Klima und Verkehr in der Erhaltungsplanung am Beispiel der Stadt Münster re zurückgehen kann. Eine solche Entwicklung hätte sicher weitreichende und tiefgehende Folgen für die Stadt. Aus diesen Ergebnissen und weiteren Überlegungen heraus entstand die Idee, das EMS-K MS um einen weiteren Baustein „Sensorik“ (vgl. Abbildung 3) zu ergänzen. Im Forschungsprojekt DaRkSeit (s.u.) soll daher u. a. untersucht werden, in wie weit es künftig sinnvoll sein könnte, das Erhaltungsmanagement in Münster um einen Baustein „Sensorik“ zu erweitern. Abbildung 3: Erweitertes EMS-K MS mit Sensorik 3. Erweitertes Untersuchungsprogramm In diesem Abschnitt wird das o.g. erweiterte Untersuchungsprogramm genauer erläutert. Zur gezielten Wahl von Erhaltungsmaßnahmen ist es notwendig, möglichst präzise Kenntnisse zum Straßenauf bau, der Schichtenfolge sowie der Qualität der im Oberbau liegenden Schichten zu haben. Gerade in Kommunen sind wechselnde Auf bauten und kurze „homogene“ Abschnitte üblich. Eine kostengünstige Lösung kann hier der Einsatz des Georadarverfahrens sein, mit dem der Schichtenverlauf im Oberbau über das Planum hinaus in Kombination mit gezielten Bohrkernentnahmen gut bestimmt werden kann. Es bietet durch eine quasi lückenlose und flächendeckende Aufnahme den Vorteil, dass die Aussagekraft der Ergebnisse deutlich größer ist als aus punktuell gewonnenen Bohrkernen. Die für die Auswertung des Georadars erforderlichen Bohrkerne werden hinsichtlich ihrer Materialeigenschaften und Kennwerte untersucht. Die Bohrlöcher werden für Rammkernbohrungen genutzt, um zunächst punktuelle Aussagen zum ungebundenen Auf bau und Untergrund zu bekommen, die ggf. später ergänzt werden sollten. Bei den Asphaltbohrkernen wird die Frage der Wiederverwendung des Asphaltes beantwortet sowie Aussagen zur Struktur des Asphaltes (z. B. Offenporigkeit, Schichtenverbund, Rissbildung) und der Bindemittelqualität getroffen. Der Anteil und die Qualität (Alterungszustand) des vorhandenen Bindemittels im Bohrkern sind entscheidende Parameter, um z. B. die Klebkraft und Rissbeständigkeit bei Kälte oder die Ermüdungsresistenz abzuschätzen. 4. Klimadaten - Anwendung der RDO Asphalt Die Ermittlung von (Rest-) Nutzungsdauern in Abhängigkeit von Beanspruchungen, Konstruktionsaufbauten (ungebunden und gebunden) und Materialeigenschaften (insbesondere Asphaltbauweisen) erfolgt unter Anwendung der RDO Asphalt. Hierfür ist die Kenntnis der spezifischen Materialparameter wichtig. Ungebundene Materialien, wie Frostschutzmaterial, werden über den EV2-Wert definiert. Asphalte werden dagegen anhand von Performance-Kennwerten definiert, welche labortechnisch zu ermitteln sind oder über vorgegebene oder bekannte Materialien abgebildet werden. Eine detaillierte Beschreibung erfolgt in den anderen beiden Beiträgen dieses Vortragsblocks, wo auch das Thema Verkehrsbeanspruchung behandelt wird. Ein anderer, wesentlicher Parameter bei den Berechnungen gem. RDO ist die Oberflächentemperatur der Straße bzw. deren Häufigkeitsverteilung über die Zeit. Zum einen sind diese Temperaturen sehr stark Lage abhängig (vgl. KIST- Zonen-Karte) und durch lokale Einflüsse beeinflusst. So kann beispielsweise bereits heute das Klima in der Stadt Münster in 7 unterschiedliche Klimazonen eingeteilt werden. Zum anderen schwanken die Werte über den Tagesverlauf und z. B. durch Schattenwurf sehr stark in kleinen lokalen Räumen, so dass ein und dieselbe Bauweise mit gleicher Verkehrsbelastung erheblichen, unterschiedlichen Belastungen aus Temperatur ausgesetzt sein kann. Darüber hinaus ist bislang hinreichend nicht bekannt, wie im Oberbau die Temperatur über den Tag und über das Jahr an solchen Stellen verläuft und möglicherweise zusätzliche, signifikante Beanspruchungen für den Asphalt darstellt. Aus dieser unübersichtlichen Gemengelage heraus entstand die Idee zum Forschungsprojekt DaRkSeit. 5. Forschungsprojekt DaRkSeit Aus der Verknüpfung von Daten der Verkehrserfassung, des Klimas, der Straßendatenbank sowie eigener Messungen soll im Projekt „DaRkSeit“ (Abbildung-4) (https: / / www.bmdv. bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ darkseit.html ) eine Software entwickelt werden, die den Zustand 140 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Herausforderungen bei der praktischen Anwendung von Messdaten aus Klima und Verkehr in der Erhaltungsplanung am Beispiel der Stadt Münster der Straßen erstmals in Echtzeit sowie unter Berücksichtigung konstruktiver Aspekte abbildet. Daraus können frühzeitig erforderliche Straßenerhaltungsmaßnahmen abgeleitet, das Informationssystem für Bürger und Unternehmen erweitert sowie die organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen definiert werden (vgl. Abbildung 4). Abbildung 4: Skizze DaRkSeit Die Datengrundlage basiert im Wesentlichen auf vorhandenen Daten der Verkehrsüberwachung (8+1 Klassifizierung), auf verfügbaren Klimadaten sowie auf Materialdaten bestehender Straßenabschnitte. Zur Erreichung des Projektziels werden Ergänzungen zum Datenbestand erforderlich. Dies umfasst die Präzisierung der Achslastdaten (Klassifizierung in bis zu 60 Fahrzeugtypen), den Temperaturzustand im Straßen-oberbau sowie die Modellparameter zur Beschreibung des Materialverhaltens der eingesetzten Asphalte. Im Ergebnis soll ein softwarebasiertes Echtzeittool zur Berechnung des Degradationsfortschrittes sowie zur Abschätzung der Restnutzungsdauer entwickelt werden. Insbesondere soll versucht werden eine Antwort auf die Frage zu erhalten, in wie weit die positiven Effekte des optimierten Erhaltungsmanagements unter Einbezug der Bautechnik [5; 6; 7; 8] durch negative Effekte des Klimawandels (hier Temperaturerhöhung im Asphalt) aufgezehrt werden. Denn dies könnte dazu führen, dass die aus der Optimierung erzielbare verlängerte Nutzungsdauer nicht erreicht werden kann oder im Ergebnis sogar zu einer Verkürzung und damit verbunden mit einem frühzeitigeren und häufigeren Eingriff führen kann. Als Folge wären dann ein erhöhter Finanzbedarf, eine höhere Belastung der Umwelt und der Verkehrsteilnehmer möglich (vgl. Abbildung 5). Abbildung 5: Wechselwirkungen 6. Ausblick Aufgrund der politischen Entwicklung auf internationaler Ebene sowie den Auswirkungen der Pandemie hat sich das Projekt verzögert. So konnten die Sensoren im Asphalt sowie die Waage erst im Oktober 2022 verbaut und im November abschließend in Betrieb genommen werden. Hierdurch liegen bis zur Abgabe des vorliegenden Textes zu wenige Daten aus dem Projekt vor, um mit diesen ersten aussagefähigen, statistischen Berechnungen oder weitere Analysen durchzuführen. Diese sollen in der Präsentation in der Veranstaltung dann vorgestellt werden. Literaturverzeichnis [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2012): Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen, Ausgabe 2012, FGSV Verlag, Köln [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2001): Richtlinien für die Planung von Erhaltungsmaßnahmen an Straßenbefestigungen, Ausgabe 2001, FGSV Verlag, Köln [3] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2009): Richtlinien für die rechnerische Dimensionierung des Oberbaus von Verkehrsflächen mit Asphaltdeckschichten, Ausgabe 2009, FGSV Verlag, Köln [4] Buttgereit, A. (2019): „Ansätze für ein Erhaltungsmanagement kommunaler Straßen unter Berücksichtigung des NKF“, Dissertation, Ruhruniversität Bochum, Bochum [5] Buttgereit, A.; Gomolluch, S.: Erhaltungsmanagement - Ein Baustein im Asset Management in Münster (Teil 1+2); Straße und Autobahn, FGSV Verlag, 12/ 2020 und 01/ 2021 [6] Buttgereit, A.; Gogolin, D.; Koordt, M.: Pilotprojektserie zum nachhaltigen Asphaltstraßenbau - Ein Beitrag zum Klima- und Ressourcenschutz (Teil 1+2); Straße und Autobahn, FGSV Verlag, 03/ 2022 und 09/ 2022 [7] Siverio Lima, M.; Buttgereit, A.; Queiroz, C.; Haritonovs, V.; Gschösser, F.: Optimizing financial allocation for maintenance and rehabilitation of Münster’s road network using the World Bank’s RONET model; Manuscript ID: infrastructures-1532125; doi: 10.3390/ infrastructures7030032, https: / / www. mdpi.com/ 2412-3811/ 7/ 3/ 32/ pdf, 03/ 2022 [8] Siverio Lima, M; Hajibabaei, M.; Hesarkazzazi, S.; Sitzenfrei, R.; Buttgereit, A.; Queiroz, C.; Tautsching, A.; Gschösser, F.: Environmental potentials of asphalt materials applied to Urban Roads: Case Study of the City of Münster; http: / / www.MPDI. com/ journal/ sustainability, 2020 Verkehrsmodellierung 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 143 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau Dr.-Ing. Torsten Heine-Nims BERNARD Gruppe ZT GmbH, Stuttgart Zusammenfassung Der Verkehrsablauf in Füssen und Schwangau ist tageszeitlich geprägt von einem hohen, stark schwankenden sowie touristischen Verkehrsaufkommen. Speziell in der Urlaubszeit führen Störungen auf der Autobahn BAB A7 bzw. Blockabfertigung am Grenztunnel zu regelmäßigen Überlastungen, insbesondere im Stadtstraßennetz, aber auch darüber hinaus. Die existierende Umgehung B310/ B16 wird kaum angenommen, da z.B. Hinweise auf die Alternativroute mit geringeren Reisezeiten gegenüber der Ortsdurchfahrt fehlen. Hinzu kommen fehlende Informationen zu freien Parkplätzen in den Innenstädten. Somit fließt der Verkehr aufgrund der derzeitigen Lenkungs- und Steuerungsmöglichkeiten eher ungeregelt und unstrukturiert. Im Rahmen der Digitalisierung des Verkehrs sollen geeignete Maßnahmen entwickelt werden, um den Verkehrsablauf durch optimierte lokale und strategische Steuerungsansätze zu verstetigen und besser als bisher zu lenken, bei gleichzeitiger dauerhafter Verringerung von Rückstaus. Als Maßnahmenbestandteil sollen auch dynamische Anzeigen für die Alternativroute über die B310/ B16 mit verkehrslenkender Wirkung zur Anwendung kommen. Damit verbunden und über die verkehrliche Wirkung hinausgehend sind Effekte der Reduzierung der Lärm- und Luftschadstoffe. Gleichzeitig werden Maßnahmen zur Digitalisierung von Stellplätzen und zur Besucherstromlenkung umgesetzt, wobei Informationen über freie Stellplätze mittels landesweiter Datenplattform zur Verfügung gestellt werden. Vor diesem Hintergrund wird die Wirksamkeit der angestrebten Maßnahmen mittels einer detaillierten Verkehrsuntersuchung nachgewiesen und auf bauend darauf die verkehrstechnische Gesamtkonzeption zur Maßnahmenumsetzung entwickelt. Schwerpunkt ist ein integrierter Ansatz zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung sowie Informationsvermittlung für den fließenden und ruhenden Verkehr. 1. Aufgabenstellung und Zielsetzung Die Verkehrsbelastung in Füssen und Schwangau liegt insbesondere in der Urlaubszeit regelmäßig über der verfügbaren Kapazität des innerstädtischen sowie angrenzenden Straßennetzes. Hieraus resultieren erhebliche Rückstaus im Innenstadtbereich von Füssen, welche z. T. bis nach Schwangau zurückreichen. Die sich einstellenden, verkehrlich nachteiligen Effekte werden verstärkt durch Störungen auf der Autobahn BAB A7 bzw. Blockabfertigung am Grenztunnel. „Hot Spot“ ist der Kaiser-Maximilian-Platz, welcher bereits in 2018 mit 24.000 Fahrzeugen belastet war und über den bis 2030 lt. Prognose bis zu 30.000 Fahrzeugen abgewickelt werden müssen. Wesentliches Problem in diesem Zusammenhang ist, dass der Verkehr aufgrund der derzeitigen Steuerungsmöglichkeiten in Füssen ungeregelt, ungesteuert und unstrukturiert fließt. Dem sich einstellenden unstetigen und z.T. stark stauenden Verkehrsablauf kann kaum entgegengewirkt werden, da Hinweise zur Befolgung der alternativen Verkehrsführung auf der Umgehungsstraße B310/ B16 (z. B. durch eine bedarfsgerechte dynamische Beschilderung) nicht verfügbar sind. Darüber hinaus fehlen lenkende und steuernde Maßnahmen zur Verkehrsverstetigung an den Knotenpunkten sowie deren Koordinierung (siehe Abbildung 1). Navigationssysteme weisen zur Stauumfahrung zudem die Durchfahrt durch Wohngebiete und den Innenstadtbereich aus. Abb. 1: Knotenpunkte im Vorzugsstraßennetz von Füssen und Schwangau Vor diesem Hintergrund hat die Stadt Füssen eine Projektskizze „Das Füssener Verkehrskonzept“ erstellt. Diese Projektskizze wird hinsichtlich eines integrierten und modularen Gesamtsystems zur Verkehrslenkung und -steuerung weiter konkretisiert sowie weitere verkehrliche Maßnahmen im Detail entwickelt. Schwerpunkt ist ein gesamtheitlicher Ansatz zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung sowie Informationsvermittlung für den fließenden und ruhenden Verkehr. Die damit verbundenen Ziele bestehen in der Verstetigung des Verkehrsflusses durch optimierte lokale und strategische Steuerungsansätze an den Lichtsignalanlagen sowie im gesamten Vorzugsstraßennetz. Darüber hinaus umfassen die Maßnahmen digitale Lösungsansätze zur Ver- 144 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau meidung von Parksuchverkehr sowie die dynamische Anzeige der Alternativroute im Straßennetz mit verkehrslenkender Wirkung zur verbesserten Nutzung der Umgehungsstraße B310/ B16. 2. Methodisches Vorgehen und Grundlagen Im Rahmen einer verkehrstechnischen Untersuchung sollen zunächst die erzielbaren verkehrlichen Wirkungen abgeschätzt werden. Dies erfolgt durch Analyse der gegenwärtigen Situation und auf bauend darauf entwickelten Überlegungen, mit welchen verkehrslenkenden und -steuernden Maßnahmen eine verbesserte Verkehrsabwicklung sowohl des alltäglichen Verkehrs als auch bei störungsbedingten Ereignissen, wie Blockabfertigung, Tunnelsperrung oder touristischer Mehrverkehr erreicht werden kann. Die Maßnahmenkonzeption sieht vor: • bedarfsgerechte bauliche Anpassungen an einzelnen Knotenpunkten • Erstellung verkehrsabhängiger und koordinierter Lichtsignalsteuerungen für das Vorzugsstraßennetz. Bauliche Maßnahmen an mehreren Knotenpunkten im Stadtgebiet von Füssen umfassen Anpassungen an der Knotenpunktgeometrie, wie Spuraufweitung zur Trennung der Links- und Rechtsabbieger, Verlängerung von Abbiegefahrstreifen sowie Anpassung der Signaltechnik bzw. Vorfahrtregelung (siehe Abbildung 2). Abb. 2: Geometrische Anpassungen an Knotenpunkten (Beispiele) Neben den baulichen Anpassungen erfolgt eine Neuplanung bzw. Überplanung aller Lichtsignalsteuerungen. Wesentlich beim zu entwickelnden Steuerungskonzept ist, das dieses dem Netzzusammenhang der Lichtsignalanlagen Rechnung trägt, d.h. eine koordinierte Verkehrsabwicklung zur Verstetigung des Verkehrsflusses zum Inhalt hat. Gleichzeitig sollen die auf die tageszeitlichen Anforderungen ausgerichteten Umlaufzeiten und Grünzeiten, welche sich aus den tageszeitlich unterschiedlichen Belastungen im Straßennetz ergeben, berücksichtigt werden (siehe Abbildung 3). Dies gilt auch für Lastprogramme in Folge von störungsbedingten Ereignissen, wobei es hier insbesondere um die Abwicklung des Mehrverkehrs hinsichtlich der Umgehungsstraße B310/ B16 geht. Um die gegebenen Wechselwirkungen zwischen den Verkehrsanlagen geeignet abbilden und bewerten zu können, erfolgt die Verkehrsuntersuchung anhand einer mikroskopischen Verkehrsflusssimulation. Abb. 3: Koordinierung stadteinwärts (Weg-Zeit-Diagramm) [2] Hierbei werden einerseits die bestehende Situation und andererseits zur Leistungssteigerung die vorgesehenen geometrischen Anpassungen an den Knotenpunkten sowie die steuerungstechnischen Maßnahmen detailliert im Modell abgebildet. Beide Zustände können somit differenziert und vergleichend (z.B. unterschiedliche Belastungsszenarien) bewertet werden. Die Bewertung der Verkehrsabläufe erfolgt auf der Grundlage der mittels des Simulationsmodells gemessenen verkehrstechnischen Kenngrößen, wie Wartezeiten und den daraus abgeleiteten Qualitätsstufen nach HBS 2015 [1] sowie Rückstaulängen und Anzahl der Halte. Grundlage der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation bildet eine realitätsnahe Abbildung der Gegebenheiten vor Ort sowie das zu berücksichtigende Verkehrsaufkommen, das auf aktuell erhobenen Verkehrsmengen basiert. Aufgrund der Covid-19- Pandemie werden Hochrechnungen aus älteren Verkehrserhebungen, z.B. BAYIS 2015 herangezogen und ein Korrekturfaktor angewendet. Abbildung 4 verdeutlicht die Veränderung des Verkehrsaufkommens in der Covid-Zeit sowie beim Lockdown im Jahre 2021 für die maßgebende Spitzenstunde am Abend am Beispiel des Prinzregentenplatzes. Im Rahmen der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation werden mit Blick auf die Beurteilung sowie die praktische Umsetzung und Anwendung der vorgesehenen baulichen und steuerungstechnischen Maßnahmen unterschiedliche Szenarien betrachtet: • Szenario 1: Bestandsverkehrsaufkommen 2021 (ohne Umleitungsverkehr und ohne Maßnahmen) • Szenario 2: Bestandsverkehrsaufkommen 2021 (mit Umleitungsverkehr und ohne Maßnahmen) • Szenario 3: Bestandsverkehrsaufkommen 2021 (mit Umleitungsverkehr und mit Maßnahmen) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 145 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau Abb. 4: Dimensionierungsverkehrsmengen Kfz-Verkehr (davon 8 % Schwerverkehr) - abends 16-17 Uhr (Beispiel Prinzregentenplatz) 3. Ergebnisse der verkehrstechnischen Untersuchung Die Ergebnisse der mikroskopischen Verkehrsflusssimulation für Szenario 1 zeigen, dass die sich einstellenden verkehrlichen Abläufe als leistungsfähig mit der Qualitätsstufe D nach HBS 2015 und besser bewertet werden können. An einigen Knotenpunkten haben einzelne Fahrbeziehungen eine zum Teil starke Tendenz zur Qualitätsstufe E nach HBS 2015. Die auftretenden Rückstaulängen sind zwar temporär, gehen aber z.T. signifikant über die bestehenden Aufstellflächen hinaus. Grund hierfür ist auch die unzureichende Koordinierungswirkung zwischen den Lichtsignalanlagen. In weiterführenden Betrachtungen (Szenarien 2 und 3) wird untersucht, welche Leistungsfähigkeit im Falle einer Umleitung aufgrund störungsbedingter Ereignisse, z.B. Blockabfertigung, Tunnelsperrung oder touristischer Mehrverkehr, unter Annahme der Verlagerung eines Teils des Verkehrsaufkommens auf die Umgehungsstraße (B310/ B16), erreicht werden kann (siehe Abbildung 5). Mittels iterativen Vorgehens wird die Verkehrsbelastung in beiden Richtungen im Zuge der Umleitungsstrecke (Umgehungsstraße B310/ B16) erhöht. Hierbei zeigt sich bezüglich des Szenario 2, dass - unabhängig von den baulichen und steuerungstechnischen Maßnahmen - die Lastprogramme bis zu 200 Kfz/ h je Richtung zusätzlich leistungsfähig abwickeln können. Zu keinem Zeitpunkt stellen sich signifikante Beeinträchtigungen ein. Bei 300 zusätzlichen Kfz/ h je Richtung (und ohne Maßnahmen) erreichen einige Knotenpunkte im Zuge der Umgehungsstraße B310/ B16 die Leistungsfähigkeitsgrenze bzw. geht die Belastung darüber hinaus. Im Innenstadtbereich entsteht je nach Lastrichtung ein ähnliches Bild. Unter Hinzuziehung der baulichen und steuerungstechnischen Maßnahmen in Szenario 3 stellt sich auch bei einer Belastung von 300 zusätzlichen Kfz/ h je Richtung eine leistungsfähige Verkehrsabwicklung ein, mit mindestens der Qualitätsstufe C nach HBS 2015 und bei nur wenigen Fahrbeziehungen an einzelnen Knotenpunkten die Qualitätsstufe D nach HBS 2015. Abb. 5: Umleitungstrecke B310/ B16 - z.B. bei Blockabfertigung, Tunnelsperrung oder touristischer Mehrverkehr (grün) Für Szenario 1-3 verdeutlichen die ermittelten Ergebnisse bezüglich der Umleitungsstrecke (siehe Tabelle 1), dass sich die mittleren Reisezeiten um bis zu 5 Minuten, die Anzahl der Halte in östlicher Richtung auf rund ein Drittel und die Verlustzeiten deutlich reduzieren. D.h., dass mit den vorgesehenen Maßnahmen eine Verbesserung der derzeitigen täglichen Situation im Stadtstraßennetz von Füssen und Schwangau erzielt werden kann. Tabelle 1: Vergleich von Simulationsszenarien mit und ohne Maßnahmen Über 300 Kfz/ Stunde und je Richtung hinaus ist im gesamten Netz keine Leistungsfähigkeit mehr gegeben (verschiedene Knotenpunkte erreichen lediglich die Qualitätsstufe F nach HBS 2015). Verursacht durch die hohe Verkehrsbelastungen resultieren lange Rückstaus und Wartezeiten, welche deutlich über den verfügbaren Kapazitäten liegen. In diesem Zusammenhang zeigt sich, dass die Kapazität der Lechbrücke aufgrund ihres Ausbauzustandes maßgebend ist. Ausgehend von den Untersuchungsergebnissen erfolgt die verkehrstechnische Gesamtkonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau. 146 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau 4. Realisierungskonzept Über die in der Simulationsuntersuchung nachgewiesenen Maßnahmenwirkungen hinaus können weitere Verbesserungen der Leistungsfähigkeit, insbesondere im innerstädtischen Straßennetz, erreicht werden. Diese sollen zu einem gesamthaften und mit Blick auf die intelligente und nachhaltige Verkehrslenkung und -steuerung integrierten Lösungsansatz beitragen. Daher werden zusätzliche bzw. ergänzende Maßnahmen zur Anwendung vorgesehen: • Strategische Steuerung über zusätzliche Detektoren (siehe Abbildung 6) • Zuflussdosierung an neuralgischen Punkten, um die Innenstadt zu entlasten (Dies dient insbesondere der verbesserten Bedienung von Binnenfahrten, der Luftreinhaltung und der Reduzierung der Lärmbelastung.) • Dynamische Verkehrsinformationstafeln zur Ausweisung der Umleitungsstrecke (siehe Abbildung 7 sowie Abbildung 8a und 8b) • Verbindung der technischen Einrichtungen mit einem Verkehrsrechner • Optimierung des Parkleitsystems. Abb. 6: Messstellenkonzeption zur Strategiesteuerung Auf Grundlage des erweiterten Detektionsnetzes werden strategische Steuerungseingriffe konzipiert und an den Lichtsignalanlagen umgesetzt, insbesondere zur Zuflussdosierung im Sinne einer stadtverträglichen Verkehrsabwicklung. Darüber hinaus kann durch die netzweite Erfassung der Verkehrssituation ein signifikanter Anteil des Durchgangsverkehrs durch die geplanten dynamischen Anzeigen auf die Alternativroute (Umgehungsstraße B310/ B16) verlagert werden. Die Ansteuerung der installierten technischen Einrichtungen vor Ort erfordert die zentralseitige Datenauswertung und -auf bereitung sowie Informationsbereitstellung, welche durch die Verbindung mit einem Verkehrsrechner erfolgt. Ein weiterer wesentlicher Aspekt für eine verbesserte Verkehrssituation im innerstädtischen Bereich bildet die Optimierung des Parkleitsystems. Hierbei werden über das Förderprogramm „Tourismus in Bayern - Fit für die Zukunft“ Maßnahmen zur Digitalisierung von Stellplätzen und zur Besucherstromlenkung umgesetzt - Vermeidung von Parksuchverkehr. Zudem sollen Informationen über freie Stellplätze mittels landesweiter Datenplattform zur Verfügung gestellt werden. Abb. 7: Konzeption Verkehrsinformationstafeln Abb. 8a: Anzeigeninhalte - Standort 1 Abb. 8b: Anzeigeninhalte - Standort 2 Diese zusätzlichen Maßnahmen stellen eine zielgerichtete Erweiterung des Maßnahmenbündels dar und ermögliche die bedarfsgerechte und ergebnisorientierte Umsetzung der verkehrslenkenden und -steuernden Lösungen. 5. Fazit und Ausblick Im Rahmen der durchgeführten Verkehrsuntersuchung mittels mikroskopischer Verkehrsflusssimulation konnte nachgewiesen werden, dass für die Städten Füssen und Schwangau eine wesentliche Verbesserung des Verkehrsablaufes im Innenstadtbereich bzw. des Vorzugsstraßennetzes erzielt werden kann. Diese bestehen aus verkehrslenkenden sowie -steuernden Maßnahmen und schließen strategische Steuerungen (dynamische Anzeigen für die Alternativroute) sowie lokale Steuerungseingriffe (Lichtsignalsteuerungen) ein. Hierbei zeigt sich, dass insbesondere touristischer Verkehr sowie Verkehre von nichtalltäglich, jedoch regelmäßig auftretenden Situationen, z.B. Blockabfertigung und Tunnelsperrung zu einem erheblichen Teil auf die Umleitungsstrecke und somit auf die Umgehungsstraße B310/ B16 verlagert werden können. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 147 Verkehrskonzeption zur intelligenten Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau Die Maßnahmenumsetzung sieht ein intelligentes Gesamtsystem zur Verkehrslenkung und -steuerung in Füssen und Schwangau vor, mit den erforderlichen zentral- und feldseitigen Komponenten. Durch diese Maßnahmen soll insbesondere die Innenstadt von Füssen entlastet und somit die Lebensqualität des Schutzguts Mensch erhöht werden. Durch einen koordinierten, strategischen und situationsoptimierten Verkehrsfluss sowie Echtzeit-Verkehrsinformationen kann es zu weniger Halte- und Anfahrvorgängen, weniger Rückstau im Innenstadtbereich und einer verbesserten Nutzung der Umgehungsstraße B310/ B16 kommen. Dies hat auch einen Effekt auf die Kraftstoff-Emissionen und den Lärm, die dadurch deutlich reduziert werden kann. Im Zusammenspiel mit den Maßnahmen zur Erneuerung des Parkleitsystems ist eine deutliche Verbesserung der heutigen Situation und speziell des Parksuchverkehrs zu erwarten. Eine Fertigstellung und Inbetriebnahme das Gesamtsystems sind im Laufe des Jahres 2023 vorgesehen. Literaturverzeichnis [1] HBS 2015, Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen: FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2015 [2] RiLSA 2015, Richtlinien für Lichtsignalanlagen - Lichtzeichenanlagen für den Straßenverkehr: FGSV - Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, Köln 2015 myptv.com/ de Straßenverkehrsinfrastruktur Modellieren. Simulieren. Planen. Das sind die erste Schritte, wenn Sie den Neu-, Um-, Ausbau oder die Verbesserung bestehender Straßen in Ihrer Stadt nachhaltig, effi zient und sicher gestalten möchten. PTV Software untserstützt Sie bei Fragestellungen unter anderem zu folgenden Themen: Prognose des zukünftigen Verkehrsaufkommens Ressourcenoptimierung Resiliente Straßennetzplanung Erschließungswirkung Verkehrssicherheit #JointheConversation 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 149 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Eine ressourcenoptimierte Instandhaltungsplanung unter Berücksichtigung von zukünftigen Verkehrsmengen, Erschließungswirkung und Aspekten der Verkehrssicherheit Vincent Müller, M. Sc. PTV Planung Transport Verkehr GmbH, Karlsruhe Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt.-Ing Andreas Köglmaier PTV Planung Transport Verkehr GmbH, Karlsruhe Zusammenfassung In dem Vortrag sollen die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen für ein nachhaltiges Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur vorgestellt werden. Auf bauend auf einer kurzen Beschreibung von der Funktionsweise von makroskopischen Verkehrsmodellen wird an konkreten Beispielen erläutert, wie Verkehrsprognosedaten sinnvoll in ein Erhaltungsmanagement eingebunden werden können. Hierbei stehen folgende Aspekte im Vordergrund: • Prognose des zukünftigen Straßenzustands • Ressourcenoptimierung • Resiliente Straßennetzplanung • Erschließungswirkung • Verkehrssicherheit Im Vortrag werden die vorhandenen Datenquellen wie Landesverkehrsmodelle und das deutschlandweite Verkehrsmodell PTV Validate vorgestellt, die als Datengrundlage für ein modellbasiertes Erhaltungsmanagement dienen können. Abschließend werden Ansätze aufgezeigt, wie diese Daten zukünftig ins BIM eingebunden werden können. 1. Einführung Eine wesentliche Aufgabe der Verkehrsplanung liegt in der Untersuchung bestehender Zustände und der Abschätzung von Auswirkungen künftiger Entwicklungen und potenzieller Maßnahmen wie beispielsweise der Errichtung einer neuen Straße. So ist beispielsweise der Personenverkehr im Verkehrsnetz das Ergebnis vielfältiger individueller Entscheidungsprozesse von Privatpersonen, während sich der Wirtschaftsverkehr aus Entscheidungsprozessen von wirtschaftlichen Akteuren in Unternehmen erklärt. [1] Ein makroskopisches Verkehrsmodell ist ein Instrument der rechnergestützten Verkehrsplanung, das der Analyse und der Planung des Systems Verkehr dient. Das System Verkehr umfasst dabei das Verkehrsangebot des Individualverkehrs und des öffentlichen Verkehrs und die Verkehrsnachfrage. Durch ein Modell können die Wirkungen eines vorhandenen oder geplanten Verkehrsangebots, das sowohl das IV-Straßennetz als auch das ÖV- Liniennetz mit den Fahrplänen umfassen kann, ermittelt werden. [2] Das Verkehrsmodell besteht üblicherweise aus einem Verkehrsnachfragemodell, einem Netzmodell und verschiedenen Wirkungsmodellen (Abbildung 1): • Das Verkehrsnachfragemodell enthält die Daten der Verkehrsnachfrage. Die Kenntnis der Verkehrsnachfrage eines Planungsgebietes ist eine unverzichtbare Planungsgrundlage für die Bewertung von Verkehrsnetzen. Verkehrsnachfragematrizen können nur teilweise durch Erhebungen bestimmt werden. Deshalb benutzt man zur Nachbildung der realen Nachfrageverhältnisse mathematische Modelle, die die Verkehrsströme zwischen den Bezirken des Planungsgebietes auf der Basis der Struktur- und Verhaltensdaten der Bevölkerung, der räumlichen Nutzungsstrukturen und des Verkehrsangebotes berechnen. • Das Netzmodell enthält die Daten des Verkehrsangebotes. Das Netzmodell besteht aus Verkehrszellen, Knoten, Haltestellen, den Strecken des Straßen- und Schienennetzes und aus den ÖV-Linien mit ihren Fahrplänen für klassische Verkehrssysteme. Darüber hinaus sind Sharing-Stationen bzw. Abhol- und Absetzknoten für die Abbildung neuer Mobilitätsformen erforderlich. • Die Daten des Netzmodells und des Nachfragemodells sind die Eingangsdaten für die Wirkungsmodelle. Das Benutzermodell bildet das Verkehrsverhalten der Fahrgäste und Kfz-Verkehrsteilnehmer nach und ermittelt so Belastungszahlen und benutzerbezogene 150 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Kenngrößen (wie etwa Reisezeit oder Umsteigehäufigkeit). Das Betreibermodell berechnet betriebliche Kennzahlen des ÖV, zum Beispiel Servicekilometer, Fahrzeugzahl, Einsatzstunden oder Betriebskosten. Aus den Nachfragedaten abgeleitete Fahrkartenerlöse ermöglichen die Abschätzung linienbezogener Einnahmen für eine Linienerfolgsrechnung. Abbildung 1: Auf bau und Verknüpfung von Verkehrsmodellen [2] Ein Verkehrsmodell stellt, wie alle Modelle, eine Abstraktion der realen Welt dar. Ziel der Modellierung ist die Systemanalyse, die Wirkungsprognose und die modellgestützte Vorbereitung von Entscheidungen, die in der realen Welt getroffen werden. Abbildung 2 zeigt das Zusammenspiel der einzelnen Modellkomponenten noch einmal auf. Wie in Abbildung 2 gezeigt sind die typischen Ergebnisse von Verkehrsmodellen unter anderem Belastungszahlen (pro Strecke, Zeitintervall und Fahrzeugtyp) und aktuelle Reisezeiten. Diese Daten können dann für eine Vielzahl von Anwendungsfällen verwendet werden [1, 2]: • Kommunale Verkehrsentwicklungspläne • Variantenvergleiche für geplante Straßen/ ÖV-Projekte • Kommunale Lärm- und Luftreinhaltepläne • Knotenpunktuntersuchungen HBS • Entwicklung eines ÖV-Konzepts für einen Landkreis (NVP) • Baustellenuntersuchungen • Verkehrssicherheitsstudien • Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur Im folgenden Kapitel werden verschiedene Anwendungsfälle von Verkehrsmodellen im Bereich Erhaltungsmanagement aufgezeigt. Die in diesem Kapitel beschriebenen Grundzüge von makroskopischen Verkehrsmodellen stellen hierbei die Grundlage dar. 2. Möglichkeiten der Einbindung von Verkehrsprognosemodellen 2.1 Prognose des zukünftigen Straßenzustands Der demografische Wandel hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Auch das Straßennetz muss an die geänderten Bedingungen angepasst werden. Hierfür ist es erforderlich, das Straßennetz entsprechend seiner Netzfunktion und Verkehrsbedeutung gezielt zu entwickeln. Nur so ist es möglich, einen effektiven Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel und damit eine funktionsgerechte und wirtschaftliche bauliche Straßenerhaltung zu gewährleisten. Hierfür ist es nötig, den zukünftigen Straßenzustand korrekt zu prognostizieren und dessen Einflussgrößen (siehe Abbildung 3) zu verstehen. Abbildung 2: Eingangs- und Ausgangsdaten eines Verkehrsmodells und deren Zusammenspiel 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 151 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 3: Einflussgrößen auf den Straßenzustand [3] Der Prognosezeitraum beschreibt den zeitlichen Verlauf der Alterung der Straßeninfrastruktur. Das jährlich zur Verfügung stehende Budget hat Einfluss auf die Anzahl und Nachhaltigkeit der realisierbaren Ausbau- und Erhaltungsmaßnahmen. Diese beiden Einflussgrößen auf den Straßenzustand sind regional nur begrenzt beeinflussbar. Hier ergab sich in der Vergangenheit das Problem, dass hochgesteckten qualitativen Zielvorgaben oftmals unzureichende Budgets gegenüberstanden, so dass die zur Erreichung der (vielfach politisch motivierten) Ziele notwendigen Bausummen nicht zur Verfügung standen. Direkt beeinflusst werden kann hingegen die Netzlänge, die durch die Lage der Zentralen Orte, die Bevölkerungsverteilung und -entwicklung im Landkreis, durch Gesetze und Richtlinien sowie die Fachplanungen für über- und nachgeordnete Netzebenen mitbestimmt wird. Die Netzlänge ist abhängig von der Verkehrs- und Verbindungsbedeutung einzelner Streckenabschnitte und es ist somit im Rahmen des Erhaltungsmanagements erforderlich, sowohl die aktuelle als auch die zukünftige Verkehrssituation zu verstehen. Hierfür dienen die in Kapitel 1 beschriebenen Ergebnisse von Verkehrsmodellen [3]. Durch genaue Prognosewerte für die verschiedenen Fahrzeugklassen (inklusive Schwerlastverkehr) lassen sich die einzelnen Streckenabschnitte bezüglich Ihrer Verkehrsbedeutung klassifizieren und vergleichen. Zudem können so die Auswirkungen zukünftiger Bauvorhaben (z.B. neues Gewerbegebiet oder neue Umgehungsstraße) quantifiziert und somit auch die Auswirkungen möglicher Verkehrsverlagerungen auf den Straßenzustand berechnet werden. Des Weiteren ist es möglich, die Ergebnisse von Verkehrsmodellen zu nutzen, um die Verbindungsbedeutung von Straßen zu ermitteln. So kann für jede einzelne Strecke beispielsweise der Anteil von Durchgangsverkehr am Gesamtverkehr oder auch der Quell- und Zielverkehr für jeden einzelnen Streckenabschnitt bestimmt werden. 2.2 Ressourcenoptimierung Ziel der Ressourcenoptimierung sind Prioritätenlisten mit nachvollziehbaren Investitionsentscheidungen, die einen nachhaltigen Einsatz der zur Verfügung stehenden Finanzmittel gewährleisten. Hierzu werden Konzepte benötigt, die das vorhandene Straßennetz funktional bewerten und ein Kernnetz definieren. Darauf auf bauend kann in Verbindung mit einer Zustandserfassung und -bewertung ein Ausbau- und Erhaltungsmanagement erarbeitet werden, welches die Fragen beantwortet, wann, wo, welche Maßnahmen erforderlich werden und wie groß das dafür benötigte Budget ist. Abbildung 4 fasst diesen Prozess noch einmal zusammen. Abbildung 4: Ressourcenoptimierungsprozess Die in Abbildung 4 aufgezeigten Prozessschritte beinhalten unter anderem jeweils die folgenden Aufgaben, die teilweise wiederum auf den Ergebnissen aus makroskopischen Verkehrsmodellen auf bauen. Verkehrsanalyse und -prognose • Analyse und Prognose der Raumstruktur • Ermittlung der heutigen und künftigen Verkehrsbedeutung der Straßen (u. a. durch Verkehrsmodell) • Untersuchung der Straßenkapazitäten und der Verkehrssicherheit (u. a. durch Verkehrsmodell) Netzkonzeption • Untersuchung des Straßennetzes entsprechend der Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung • Ermittlung der heutigen und künftigen Verbindungsbedeutung (u. a. durch Verkehrsmodell) • Funktionale Gliederung des Straßennetzes Zustandserfassung und -bewertung • Erfassung der vorhandenen Schadensmerkmale • Ableitung der normierten Zustandswerte und des Gesamtwertes • Ermittlung des Handlungsbedarfs 152 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur • Ausbau- und Erhaltungsmanagement • Prognose der Zustandswerte • Ermittlung der bauwürdigen Streckenabschnitte • Ermittlung und Optimierung des Budgets Im folgenden Beispiel werden die Ergebnisse eines solchen Ressourcenoptimierungsprozesses für die Kreisstraßen im Vogtlandkreis aus dem Jahr 2016 aufgezeigt. Dem Szenario Nullfall wurden drei Szenarien gegenübergestellt, die unter dem Gesichtspunkt des Substanzerhaltes bzw. der nachhaltigen Substanzverbesserung ausgewählt wurden. Die Entwicklung des Gesamtwertes wurde dabei in Abhängigkeit vom Erhaltungsbudget untersucht. Hierbei erfolgte die Berechnung für ein Minimal-Budget von 0,5 Mio. EUR und für ein Maximal-Budget von 14,0 Mio. EUR mit einer Schrittweite von 0,5 Mio. EUR. Die Grafik in Abbildung 5 dient dazu als Anhaltspunkt. In dieser ist die Entwicklung des Gesamtwertes bis zum Jahr 2026 in Abhängigkeit vom jährlichen Erhaltungsbudget der nächsten Jahre dargestellt. Auf der Abszisse ist das Budget in 0,5 Mio. EUR Schritten angegeben, die Ordinate stellt den prognostizierten Gesamtwert im Jahr 2026 dar. Die fallenden farbigen Linienverläufe kennzeichnen die Verbesserung des Zustandswertes bei steigendem Budget. Als horizontale Linien sind der Warnwert GW=3,5 und der Schwellwert GW=4,5 eingetragen [3]. Abbildung 5: Entwicklung des Gesamtwertes in Abhängigkeit vom Erhaltungsbudget zum Jahr 2026 [3] Es ist ersichtlich, dass bei einem jährlichen Erhaltungsbudget von 1 Mio. EUR bis zum Jahr 2026 alle Netzklassen im Mittel den Warnwert von 3,5 übersteigen, was somit auch bedeutet, dass einzelne Straßenabschnitte deutlich über dem Warnwert bzw. Schwellwert liegen. Mit einem konstanten Mitteleinsatz von ca. 2 Mio. EUR treten nur geringe Verbesserungen im Zustand der Kreisstraßenabschnitte auf. Im Jahr 2026 würden ca. 50 % der betrachteten Abschnitte den Warnwert und ca. 40 % den Schwellenwert überschreiten. Eine nachhaltige Substanzverbesserung gegenüber den Befahrungsdaten wird bei einem konstanten Mitteleinsatz von über 2 Mio. EUR pro Jahr erreicht. Sowohl für den konstanten Mitteleinsatz von ca. 6,5 Mio. EUR pro Jahr als auch für den konstanten Mitteleinsatz von ca. 9. Mio. EUR pro Jahr zeigen sich deutliche Verbesserungen in den Zuständen der Kreisstraßenabschnitte. 2.3 Resiliente Straßennetzplanung Die plötzlichen und unerwarteten Sperrungen der Salzbachtalbrücke (A66) und der Rahmedetalbrücke (A45) haben erneut deutlich gemacht, wie abhängig unser gesellschaftliches Leben von einer funktionierenden Infrastruktur ist. Laut einem „Zeit“-Artikel erreichen rund 14.000 Autobahnbrücken in den nächsten Jahren das Ende ihres Lebenszyklus. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass es im Laufe der nächsten Jahre immer wieder Vollsperrungen von Hauptverkehrsadern geben wird. Neben den Betroffenheiten für den Individual- und Wirtschaftsverkehr sind erhebliche Auswirkungen auf die Lebensräume längs der Ausweichstrecken zu erwarten. Eine smarte Verkehrslenkung und multi-modale Verkehrsverlagerungen sind wesentliche Schlüssel zur Minderung von unzumutbaren Belastungen. Um die Wirksamkeit einzelner Umlenkungsszenarien zu überprüfen, ist eine Simulation anhand eines Verkehrsmodells oft die erste Wahl. Entscheidungsträger in Verwaltung und der Wirtschaft können so schnell klären, welche Maßnahmen die negativen Einflüsse auf Menschen und Umwelt am besten reduzieren oder wie Warentransporte von A nach B multi-modal viel effektiver gewährleistet werden können. Einen solchen Anwendungsfall stellt die Sperrung einer Brücke über den Rhein dar. Wie in Abbildung 6 gezeigt, können die dadurch entstehenden Verlagerungseffekt mit Hilfe eines Verkehrsmodells identifiziert werden. Somit lassen sich Vorhersagen zum zusätzlichen Verkehrsaufkommen auf den Umleitungsstrecken und eventuell nötigen Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz dieser treffen. Mögliche Ansatzpunkte sind in diesem Zusammenhang u. a. kurzfristige Änderungen der Ampelschaltungen, Änderungen der Verkehrsführungen oder lokale Verstärkungen der Asphaltdecke. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 153 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 6: Verlagerung des Verkehrs bei Brückensperrungen Des Weiteren kann ein auf Modelldaten basierendes Verfahren zur Vorselektion von Bauwerken unter baulichen und gesamtwirtschaftlichen Aspekten den Baulastträgern dazu dienen, frühzeitig besonders kritische Bauwerke zu identifizieren, um diese in ein Verfahren zur Maßnahmenplanung auf Teilnetzebene einbeziehen zu können. Eng verknüpft mit der baulichen Vorselektion ist die Bestimmung des baulichen Maßnahmenbedarfs. Art der Maßnahme und Eingreifzeitraum werden auf Basis der Vorselektionsstufe und dem Zustand des Bauwerks ermittelt. Im Fokus stehen schließlich die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen von verkehrlichen Einschränkungen aufgrund der Ertüchtigungs- und Erneuerungsmaßnahmen an den Bauwerken. Hierbei finden neben den maßnahmenbedingten Baulastträgerkosten und den veränderten Restwerten der Bauwerke, die Veränderung von Reisezeiten, Emissionen und Unfällen im von Verkehrseinschränkungen direkt oder indirekt betroffenen Teilnetz Berücksichtigung. Für die Erarbeitung optimierter Ertüchtigungsprogramme ist eine Betrachtung von gleichzeitigen (Teil-) Sperrungen von Brücken und den entstehenden Wechselwirkungen im Verkehrsmodell von besonderer Bedeutung. Und zwar insbesondere vor dem Hintergrund der Vielzahl an zu ertüchtigenden Bauwerken im Bundesfernstraßennetz bei gleichzeitig vergleichsweise guter Finanzausstattung des Programms zur Brückenmodernisierung. [4]-- 2.4 Erschließungswirkung Verkehrsmodelle können ebenfalls verwendet werden, um die Erschließungswirkung von Straßen zu analysieren. Hierbei ist in der Regel nicht das Straßennetz selbst, sondern die Erreichbarkeit von einzelnen Orten ausschlaggebend. Wenn man diese betrachtet, lassen sich Annahmen über die Notwendigkeit bestimmter Verbindungsstraßen oder auch über die Priorisierung von Instandhaltungsmaßnahmen treffen. Verkehrsmodelle liefern Reisezeiten zwischen jedem beliebigen Punkt (z. B. Ortsmitte, Kreuzung) innerhalb des Modellbereichs, welche dann zu Isochronen zusammengefasst werden können. Somit lassen sich unterschiedliche Szenarien und deren Auswirkungen auf die Erreichbarkeit bestimmter Punkte vergleichen. Ein Beispiel für eine solche Studie über die Erschließungswirkung ist das im Rahmen der Digitalisierungsstrategie des Landes Baden-Württemberg durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz durchgeführte Projekt „Erreichbarkeitssicherung im Ländlichen Raum“. Dabei wird ein für den Landkreis Calw modellhaft entwickeltes digitales Werkzeug zur Bewertung der Erreichbarkeit von Standorten der Daseinsvorsorge (z. B. Arztpraxen, Schulen, Läden) auf seine Praxistauglichkeit in einer größeren zusammenhängenden Gebietskulisse in den Landkreisen Sigmaringen, Tuttlingen und dem Zollernalbkreis erprobt und weiterentwickelt. Eine verantwortungsvolle und vorausschauende Strukturpolitik muss dafür Sorge tragen, dass die Erreichbarkeitsverhältnisse in den ländlichen Kommunen auf einem akzeptablen Niveau bleiben. Oft fehlen jedoch verlässliche und objektive Daten, um beurteilen zu können, wie sich Entscheidungen über eine Veränderung von Standorten der Daseinsvorsorge oder von öffentlichen Verkehrsangeboten letztendlich auf die Erreichbarkeitssituation der betroffenen Bevölkerungsgruppen auswirken. Mit dem digitalen Planungswerkzeug sollen Akteure der Raum-, Fach- und Verkehrsplanung sowie der Kommunalpolitik durch thematische Karten oder durch Simulieren unterschiedlicher Szenarien bei Standortentscheidungen besser unterstützt werden. [5] 2.5 Verkehrssicherheit Verkehrsmodelle und deren Ergebnisse können ebenfalls für Untersuchungen zum Thema Verkehrssicherheit verwendet werden. So können beispielsweise Aufgaben zum Erkennen, Bearbeiten und Analysieren von Unfallclustern durchgeführt und Black Spots mit Heatmaps und Algorithmen identifiziert werden. Je nach Modellierungssoftware geschieht dies entweder direkt im Modell oder parallel in einem GIS-Programm. Die Ergebnisse erlauben dann Rückschlüsse auf die Unfallraten pro Strecke und mögliche Verlagerungen von Verkehrsmengen auf „sicherere“ Korridore. Abbildung 7 zeigt die Ergebnisse einer solchen Unfall Heatmap innerhalb eines Verkehrsmodells am Beispiel Halle an der Saale. [6] 154 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur Abbildung 7: Unfall Heatmap Halle an der Saale [6] 3. Grundlagendaten (bestehende Verkehrsmodelle) 3.1 (Landes-)Verkehrsmodelle Bestehende Verkehrsmodelle stellen eine wertvolle Datengrundlage für verkehrsplanerische Untersuchungen und somit auch für die in Kapitel 2 vorgestellten Use Cases dar. In Deutschland und der Schweiz existieren eine Vielzahl an Modellen, die bei Bedarf verwendet werden können. Diese sind entweder als Open Data frei zugänglich, oder werden von Städten und Kommunen verwaltet und bei Bedarf herausgegeben. Einerseits lässt sich hier als Beispiel das Nationale Personenverkehrsmodel (NPVM) der Schweiz anführen, das vom Bundesamt für Raumentwicklung ARE verwaltet wird. Es dient dazu, das Mobilitätsverhalten von Menschen zu analysieren und zu prognostizieren. Das NPVM steht mit einem Basiszustand 2017 des durchschnittlichen Werktagsverkehrs (DWV), des durchschnittlichen Tagesverkehrs (DTV) und der Morgen- und Abendspitzenstunden (MSP, ASP) zur Verfügung. Der schwere Straßengüterverkehr (Lastwagen sowie Lastzüge/ Sattelschlepper) und der Lieferwagenverkehr werden in den verschiedenen Zuständen jeweils in Form von Matrizen berücksichtigt. Der Bezug von Daten und Modellzuständen des NPVM steht allen Interessierten und Nutzern von Verkehrsdaten zur Verfügung. [7] Andererseits gibt es auch in Deutschland eine Vielzahl von Verkehrsmodellen, wie zum Beispiel die Landesverkehrsmodelle. Diese decken jeweils ein ganzes Bundesland ab und sind derzeit größtenteils in der Auf bauphase. Solche bundeslandweiten Modelle sind unter anderem für Bayern [8], Nordrhein-Westfalen [9] und Baden-Württemberg [10] geplant. Zudem haben die meisten größeren deutschen Städte ebenfalls eigene Modelle, die jeweils aktuell fortgeschrieben werden. Auch diese können bei Bedarf für Verkehrsuntersuchungen verwendet werden. 3.2 Kommerzielle Datengrundlagen Zusätzlich zu den in Kapitel 3.1 genannten öffentlichen Modellgrundlagen existieren auch kommerzielle Modelle, die als Grundlage für Studien ohne bestehendes Verkehrsmodell verwendet werden können. Dazu zählt unter anderem das deutschlandweite Verkehrsmodell Validate der PTV Group, das oft als Basis für die Entwicklung eines neuen Modells dient. Validate enthält die Pkw- und Lkw-Belastungen für das gesamte deutsche Hauptstraßennetz und ist damit eines der größten zusammenhängenden Verkehrsmodelle der Welt. [11] Außerdem gibt es inzwischen die Möglichkeit, die Erstellung von Verkehrsmodellen weitgehend zu automatisieren und innerhalb weniger Tage für beliebige Orte ein einsatzfähiges Modell zu erstellen. Das Model2Go der PTV Group bietet diese Möglichkeit. Hierbei wird ein neues Cloud-basiertes Verfahren angewendet, das eine smarte Automatisierungstechnologie mit verschiedenen Datenquelle kombiniert. So kommen beispielweise Karten der Anbieter Here oder TomTom zum Einsatz genauso wie öffentliche GTFS -Fahrplandaten zu Liniennetzen im öffentlichen Nahverkehr und OpenStreetMap Daten. Die automatisierte Modellerstellung ist dabei nicht nur schneller und weniger kosten- und ressourcenintensiv, sondern auch deutlich weniger fehleranfällig. [12] 4. Ausblick Durch die kürzliche Veröffentlichung der FGSV Empfehlungen zum Einsatz von Verkehrsnachfragemodellen für den Personenverkehr wurde erstmals ein deutschlandweiter Standard für die Erstellung von Verkehrsmodellen geschaffen [1]. Es ist davon auszugehen, dass diese Empfehlungen in allen zukünftig erstellten und fortge- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 155 Die Möglichkeiten von makroskopischen Verkehrsmodellen zum Erhaltungsmanagement von Straßenverkehrsinfrastruktur schriebenen Verkehrsmodellen berücksichtigt werden und es somit zu einer noch besseren Vergleichbarkeit von Modellen und Modellregionen kommt. Auch die in Kapitel 3.1 erwähnten Landesverkehrsmodelle werden auf diesen Standards basieren und nach Fertigstellung regelmäßig fortgeschrieben werden. Dieser Prozess der Vereinheitlichung wird auch zu einer stärkeren Automatisierung von Prozessen und Analysen führen. Hierbei werden Web-Anwendungen, wie sie für den Daseinsvorsorgeplaner in Baden-Württemberg bereits existieren, noch stärker genutzt werden [5]. Somit wird es zukünftig für alle Stakeholder noch einfacher werden, auf Modellergebnisse zuzugreifen und diese für Verkehrsplanerische Analysen zu nutzen. Auch eine Einbindung von Verkehrsmodellen und deren Ergebnisse in BIM ist in diesem Zusammenhang denkbar und würde Planern und Ingenieuren eine weitere wertvolle Datenquelle liefern. Hierzu gibt es verschiedene Ansatzpunkte und Überlegungen, die bei der PTV Group derzeit diskutiert werden. Literatur [1] Empfehlungen zum Einsatz von Verkehrsnachfragemodellen für den Personenverkehr, Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, 2022 [2] PTV Visum 2023 Handbuch, PTV GmbH, 2022 [3] Aufbau eines rechnergestützten Erhaltungsmanagement-Systems für die Kreisstraßen im Vogtlandkreis, PTV Transport Consult GmbH, 2016 [4] https: / / www.bast.de/ DE/ Publikationen/ Berichte/ unterreihe-b/ 2022-2021/ b-184.html [5] https: / / mlr.baden-wuerttemberg.de/ de/ unsere-themen/ laendlicher-raum/ modellprojekte-und-studien/ digitalbw/ [6] https: / / company.ptvgroup.com/ de/ nachhaltige-sichere-und-belastbare-mobilitaet-fuer-alle/ anwendungsfaelle/ sichere-Mobilitaet [7] https: / / www.are.admin.ch/ are/ de/ home/ mobilitaet/ grundlagen-und-daten/ verkehrsmodellierung/ npvm.html [8] https: / / www.stmi.bayern.de/ assets/ stmi/ med/ veroeffentlichungen/ 17_07_08_bau_intern_ohne_personalien.pdf [9] https: / / company.ptvgroup.com/ fileadmin/ Featured/ AWS/ Praesentationen/ Verkehrsmodelle/ 04-AWS- LVM-NRW-Plueck-Schiller.pdf [10] https: / / vm.baden-wuerttemberg.de/ f ileadmin/ redaktion/ m-mvi/ intern/ Dateien/ PDF/ Ziel-und_ M a % C 3 % 9 F n a h m e n e m p f e h l u n g e n _ d e r _ %C3%96PNV-Zukunftskommission.pdf [11] https: / / www.myptv.com/ de/ ptv-data/ mobilitaetsdaten [12] https: / / blog.ptvgroup.com/ de/ verkehrssimulationverkehrsmodellierung/ model2go-neue-generationverkehrsmodelle/ WestWood ® Kunststofftechnik GmbH Tel.: 0 57 02 / 83 92 -0 · www.westwood.de Abdichtungssystem unter Asphalt vereint ETAG 033 und ZTV-ING rissüberbrückend bis einschließlich -30 °C sehr gute Haftzugsfestigkeiten zum Untergrund (Beton und Stahl) WW_Tagungshandbuch_Kolloquium_Strassenbau_in_der_Praxis.indd 1 WW_Tagungshandbuch_Kolloquium_Strassenbau_in_der_Praxis.indd 1 17.01.23 11: 24 17.01.23 11: 24 Erhaltungsmanagement 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 159 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Anforderungen, Strategien und Innovationen Dipl.-Ing. Markus Kübler Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Baden-Württemberg ist als dynamisches Land, profilierter Wirtschaftsstandort und Transitland auf eine gut ausgebaute und vor allem intakte Straßeninfrastruktur angewiesen. Die große Herausforderung in Bezug auf die Sicherstellung der Mobilität in Baden-Württemberg ist und wird der Erhalt der bestehenden Straßeninfrastruktur sein. Der Vortrag gibt einen Überblick über verschiedene Anforderungen, Strategien und Innovationen im Rahmen der Erhaltung des Straßennetzes in Baden-Württemberg. Auf die Straßenbestandteile Brücken, Fahrbahnen, Radwege sowie Hang- und Felssicherungsvorrichtungen wird hierbei spezifisch eingegangen. 1. Straßennetz Baden-Württemberg 1.1 Zuständigkeiten und Umfang Infolge der Reform der Bundesfernstraßenverwaltung ist seit 1.-Januar-2021 die Autobahn GmbH des Bundes zuständig für die Planung, den Bau, den Betrieb und die Erhaltung der Autobahnen. Dies gilt auch für das Autobahnnetz in Baden-Württemberg. Die Zuständigkeit der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg umfasst somit das Bundes- und Landesstraßennetz. Die Straßenbauverwaltung des Landes ist hierbei insbesondere mit Blick auf die Erhaltung zuständig für rund 4.200 Kilometer Bundessowie rund 10.000 Kilometer Landesstraßen mit insgesamt rund 7.300 Brücken. 1.2 Zustandsentwicklung und Anforderungen Die Zustandsentwicklung des Bundes- und Landesstraßennetzes zeigt, dass trotz dem im Jahr 2011 vollzogenen Paradigmenwechsel „Erhaltung vor Um-, Aus- und Neubau“ und der damit verbundenen Schwerpunktsetzung der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg auf Erhaltungsmaßnahmen der Zustand des Bundessowie des Landesstraßennetzes in der Gesamtschau der letzten rund zehn Jahre weitestgehend konstant geblieben ist. Bei den Bundes- und Landesstraßen hat sich in diesem Zeitraum der Zustand der Fahrbahnen leicht verbessert. Der Zustand der Bundes- und Landesstraßenbrücken hat sich leicht verschlechtert. Dies ist insbesondere darin begründet, dass beispielsweise ein Großteil der Bundes- und Landesstraßenbrücken in den 1970er-Jahren gebaut wurden, der Brückenbestand nunmehr ein durchschnittliches Bauwerksalter von rund 50 Jahren aufweist und sich die Brücken sozusagen im Nachgang zum Hochlauf an Brückenneubauten vor rund einem halben Jahrhundert mit Blick auf die Substanz und die Tragfähigkeit aktuell in erheblichem Umfang in einen instandsetzungsbzw. ertüchtigungswürdigen Zustand befindet. Die Erhaltung des Bundes- und Landesstraßennetzes stellt somit auch weiterhin eine große Herausforderung dar und bedarf großer Anstrengungen. Dieser Sachverhalt wird zukünftig in besonderem Maße dadurch verstärkt, dass im Bundes- und Landesstraßennetz zunehmend Erhaltungsmaßnahmen vorzeitig infolge des Klimawandels (beispielsweise durch Starkregenereignisse, Hochwasser, Felsstürze, Hangrutschungen) erforderlich werden. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg führt Erhaltungsmaßnahmen grundsätzlich an bestehenden schadhaften bzw. mindertragfähigen Brücken, Fahrbahnen, Radwegen, Stütz- und Lärmschutzwänden sowie Hang- und Felssicherungen durch. Aber auch der Neubau von Hang- und Felssicherungen, die betriebstechnische und bauliche Tunnelnachrüstung sowie der Neubau von Amphibien- und Kleintierschutzanlagen stellen Aufgabenbereiche dar, welche über die Erhaltungsmittel finanziert werden. 2. Brückenerhaltung 2.1 Brückenprüfungen Bauwerke nach der DIN-1076 werden regelmäßigen Prüfungen unterzogen. Diese Bauwerksprüfungen sind nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern ein wesentlicher Bestandteil des Erhaltungsmanagements der Straßenbauverwaltung des Landes. Dabei werden die Brücken im Abstand von sechs Jahren einer Hauptprüfung unterzogen. Jeweils drei Jahre nach der Hauptprüfung erfolgt eine Einfache Prüfung. Zudem kontrollieren die zuständigen Straßenmeistereien im Zuge von jährlich durchzuführenden Besichtigungen die Brücken. Hierbei erfolgen zweimal jährlich Beobachtungen im Hinblick auf augenscheinliche Schäden. Im Zuge der Brückenprüfungen werden Schäden aufgenommen und der Zustand unter Berücksichtigung der Standsicherheit, der Verkehrssicherheit sowie der Dauerhaftigkeit beurteilt. Die Ergebnisse werden zu einer Zustandsnote zusammengefasst. Es werden hierbei sechs Zustandsnotenbereiche zugeordnet: 160 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg Notenbereich Beschreibung 1,0 - 1,4 1,5 - 1,9 2,0 - 2,4 2,5 - 2,9 sehr guter Zustand guter Zustand befriedigender Zustand ausreichender Zustand 3,0 - 3,4 3,5 - 4,0 nicht ausreichender Zustand ungenügender Zustand Bauwerksbzw. Brückenprüfungen werden von besonders qualifizierten und erfahrenen Bauwerksprüfingenieuren der Straßenbauverwaltung des Landes oder von ausgewählten externen Ingenieurbüros vorgenommen. 2.2 Zustandsentwicklung der Brücken Die auf Grundlage der Brückenfläche gemittelte Zustandsnote aller Bundes- und Landesstraßenbrücken in Baden- Württemberg hat sich in den letzten zehn Jahren um rund 0,1 leicht verschlechtert, die ermittelte durchschnittliche Zustandsnote beträgt derzeit 2,4 (Stand Januar 2022). In Summe sind aktuell 350 Bundessowie 312 Landesstraßenbrücken durch einen Neubau zu ersetzen oder instandsetzungs-/ ertüchtigungsbedürftig (Stand Februar 2022). Vor diesem Hintergrund ist aktuell etwa für jede zehnte Brücke eine Erhaltungsmaßnahme einzuleiten. 2.3 Zunahme des Schwerverkehrs Die Regelungen der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung sowie der Straßenverkehrs-Ordnung sehen grundsätzlich ein zulässiges Gesamtgewicht von 40-Tonnen vor, für welches eine Überfahrt der Brücken erlaubt ist. Die Notwendigkeit der Brückenerhaltung wird auch durch die gestiegene Belastung der Brücken infolge einer Zunahme des Schwerverkehrs verstärkt. Die Zunahme des Schwerverkehrs führt dazu, dass viele Brücken Tragfähigkeitsdefizite aufweisen und auf die künftigen Nutzungsanforderungen hin ertüchtigt werden müssen. 2.4 Baurechtliche Voraussetzungen Bei der Planung umfangreicher Erhaltungsmaßnahmen an Brücken insbesondere bei Ersatzneubauten sind neben den rein objektbezogenen Planungen auch die Belange des Umwelt- und Naturschutzes, des Wasserhaushalts, des Immissionsschutzes (Lärm) sowie die Rechter Dritter (Grunderwerb oder vorübergehende Inanspruchnahme von Flächen zur Durchführung der Baumaßnahmen) zu erheben und entsprechend rechtlich zu würdigen. 2.5 Erhaltungsplanung der Brücken Grundsätzlich umfasst die Erhaltungsplanung der Bundes- und Landesstraßenbrücken die Instandsetzung, die Ertüchtigung und den Ersatzneubau der Bauwerke. Im Rahmen der Erhaltungsplanung sind hierbei verschiedene Komponenten zu berücksichtigen. Diese sind insbesondere • Zustandsnote im Allgemeinen • Brücken mit Zustandsnote 3,5 und schlechter • Brückenmodernisierungsprogramm des Bundes • Brücken mit spannungsrisskorrosionsgefährdetem Spannstahl • Brücken mit Verdrängungskörpern (Hohlkörperplatten) • Brücken mit sprödbruchgefährdeten Edelstahlrollenlagern • Brücken mit Koppelfugen • Mindertragfähige Brücken im Zuge der ausgewiesenen Großraum-und Schwertransportstrecken • Brücken im Zuge wichtiger Strecken für den Schadholzabtransport aus den Wäldern. Mit Blick auf erforderliche Ersatzneubauten von Brücken geht die Straßenbauverwaltung neue Wege, um insbesondere die fehlenden Personalressourcen zu ersetzen. Externe Planungsbüros sollen in noch weit umfassenderem Umfang als bisher mit der Ersatzneubauplanung von Brücken beauftragt werden sollen. Hierzu läuft seit Oktober 2022 eine Ausschreibung durch das Ministerium für Verkehr, die bei den Planungsbüros auf großes Interesse gestoßen ist.- 3. Beispiel Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke im Zuge der B 27 in Kornwestheim 3.1 Ausgangslage und Vorgeschichte Die Gumpenbachbrücke liegt im Zuge der B 27 auf der Gemarkung Kornwestheim (Landkreis Ludwigsburg) zwischen den Anschlussstellen Kornwestheim-Mitte und Kornwestheim-Nord. Die B 27 verläuft in Süd-Nord- Richtung von Stuttgart nach Ludwigsburg und verbindet dabei das Oberzentrum Stuttgart mit dem Mittelzentrum Ludwigsburg/ Kornwestheim. Die durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke beträgt mehr als 50.000-Kfz/ 24 Std, der Schwerverkehrsanteil rund 7-Prozent. Die B 27 weist in diesem Abschnitt einen zweibahnigen, vierstreifigen Straßenquerschnitt auf. Abb. 1: B 27 im Bereich der Gumpenbachbrücke, (Situation vor der Baumaßnahme) Die Gumpenbachbrücke wurde im Jahr 1954 als vierfeldriger Durchlaufträger mit einer Gesamtlänge von rund 100 Meter gebaut. Sie besteht aus zwei Teilbauwerken, jeweils einem pro Richtungsfahrbahn. Die Teilbauwerke haben separate Über- und Unterbauten und sind über eine Mittelkappe miteinander verbunden. Im Mai 2009 fanden an beiden Teilbauwerken Hauptprüfungen nach DIN 1076 statt. Dabei wurden Tausalzschäden und angerostete Querspannglieder an den Kragarmen festgestellt. Aufgrund des weiteren Fortschreitens dieser Bauwerksschäden sowie zahlreicher Betonabbrüche im 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 161 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg darauffolgenden Winter, erfolgte im Mai 2010 eine Sonderprüfung. Beide Teilbauwerke wurden hierbei mit der Zustandsnote 3,7 bewertet. Insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen wurde entschieden, im Zuge einer Erhaltungsmaßnahme die Gumpenbachbrücke durch einen Neubau zu ersetzen. Mit den Planungen für den Ersatzneubau der Brücke wurde im Jahr 2010 begonnen. Die Erteilung des Gesehen-Vermerks für den RE-Vorentwurf durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur ist am 25. November 2014 erfolgt. Der Planfeststellungsbeschluss nebst wasserrechtlicher Erlaubnis liegt seit 25. Oktober 2016 vor. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur hat am 16. Januar 2019 den Gesehen-Vermerk für den RAB-ING-Entwurf erteilt. Der Baubeginn der Hauptmaßnahme war im Januar 2020, das Bauende war im September 2022. 3.2 Ersatzneubau - innovativer Querverschub der Brücke einschließlich Stützen und Fundamente Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke erfolgte auf Grundlage zweier Teilbauwerke, welche jeweils drei Felder aufweisen. Diese Teilbauwerke bestehen aus gevouteten Spannbetonplattenbalken. Die Plattenbalken sind monolithisch mit den Stützen verbunden. Der innovative Bauablauf des Ersatzneubaus sah die Herstellung eines Teilbauwerks der Gumpenbachbrücke in Seitenlage zur B 27 sowie den anschließenden Querverschub des Teilbauwerks einschließlich der Mittelstützen und Fundamente als semi-integralen Brücke vor. Auf dieser Grundlage konnten die mit einem Ersatzneubau verbundenen Eingriffe in den Verkehr der hochbelasteten B 27 deutlich minimiert sowie die vorhandenen vier Fahrstreifen der B 27 während der knapp dreijährigen Bauzeit weitestgehend aufrechterhalten werden. Eine Behelfsbrücke war nicht erforderlich. Der Ersatzneubau der Gumpenbachbrücke stellte somit eine nachhaltige Erhaltungsmaßnahme auf Grundlage einer ressourcensparenden Bauweise dar. Nach Information des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur wurde im Rahmen des Ersatzneubaus der Gumpenbachbrücke der erste Querverschub einer semi-integralen Talbrücke in Deutschland durchgeführt. Im Einzelnen stellte sich der Bauablauf wie folgt dar: • Das neue östliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke wurde zunächst einschließlich der Stützen und Fundamente in Seitenlage zur B 27 gebaut. Der Verkehr auf der B 27 konnte hierbei weiterhin über die zwei bestehenden Teilbauwerke mit vier Fahrstreifen geführt werden. • Nach der Herstellung des neuen Teilbauwerks in östlicher Seitenlage wurde der Verkehr in Fahrrichtung Ludwigsburg auf dieses neue östliche Teilbauwerk umgelegt. Diese Verkehrsführung umfasste die zwei Fahrsteifen der Verbindung Stuttgart - Ludwigsburg. Anschließend wurde der Verkehr in Richtung Stuttgart vom alten westlichen Teilbauwerk nun über das alte östliche Teilbauwerk geführt. Diese Verkehrsführung umfasste die zwei Fahrsteifen der Verbindung Ludwigsburg - Stuttgart. Es standen somit weiterhin weitestgehend vier Fahrsteifen zur Verfügung. Abb. 2: B 27 im Bereich der Gumpenbachbrücke, (östliches Teilbauwerk in Seitenlage gebaut) • Nach dieser Verkehrsumlegung war das alte westliche Teilbauwerk der Gumpenbachbrücke nicht mehr unter Verkehr und konnte abgebrochen werden. Anstelle des alten westlichen Teilbauwerks wurde in endgültiger Lage das neue westliche Teilbauwerk gebaut. • Nach der Fertigstellung des neuen westlichen Teilbauwerks sowie einer weiteren Umlegung des Verkehrs in Richtung Stuttgart vom alten östlichen Teilbauwerk auf dieses neue westliche Teilbauwerk wurde das östliche Teilbauwerk als sogenannte „Inselbaustelle“ abgebrochen. Der Verkehr in Richtung Ludwigsburg verblieb hierbei auf dem neuen östlichen Teilbauwerk in Seitenlage. • In der letzten Bauphase wurde das in Seitenlage hergestellte, semi-integrale Teilbauwerk einschließlich der Stützen und Fundamente verschoben. Hierzu brachten hydraulische Hub- und Verschubsysteme die Brücke in seine endgültige Lage. Für den Zeitraum des Querverschubs wurde der Verkehr der B 27 über das neue westliche Teilbauwerk geführt. Hierzu wurde ein Fahrsteifen je Fahrtrichtung eingezogen. Abb. 3: B 27 im Bereich der Gumpenbachbrücke, (östliches Teilbauwerk vor Querverschub) Die Gesamtkosten der Baumaßnahe betragen voraussichtlich rund 31-Millionen Euro (Stand Dezember 2022) und beinhalten auch eine Erneuerung der Lärmschutzwände entlang der B 27 sowie Um-/ Ausbau-maßnahmen an der Anschlussstelle Kornwestheim-Nord. 162 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 4. Erhaltungsmanagement für Straßen (Fahrbahnen) und Radwege 4.1 Zustandserfassung und-bewertung (ZEB) Die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg sowie die straßenbegleitenden Radwege in der Baulast des Bundes und des Landes werden turnusmäßig nach vier Jahren einer neuen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) unterzogen. Dabei erfolgt die Zustandserfassung der Straßen und Radwege mit Messfahrzeugen. Zum Einsatz kommen schnell fahrenden Messfahrzeuge, die im Verkehrsstrom mitfahren und mit Hilfe von Lasertechnik und Kameras die Straßenoberfläche aufnehmen. Sie erfassen einerseits den so genannten Gebrauchswert. Dieser umfasst die relevanten Aspekte aus Sicht des Verkehrsteilnehmers: • Allgemeine Unebenheit • Fiktive Wassertiefe • Griffigkeit Andererseits misst die ZEB den so genannten Substanzwert. Dieser gibt an, wie stark die Substanz einer Straße angegriffen ist und damit auch, wie sehr sie an Wert verliert. Hierbei werden folgende Aspekte betrachtet: • Spurrinnentiefe • Risse • Restschadensfläche Die ZEB-Daten erlauben einen guten Überblick über die Zustandsverteilung und Zustandsausprägung der Straßenabschnitte. Hierbei wird für jeden 100 Meter-Abschnitt außerorts und jeden 20 Meter-Abschnitt in Ortsdurchfahrten eines Straßenzuges anhand der beiden Teilwerte Substanz- und Gebrauchswert der Zustand ermittelt. Die Notenskala reicht hierbei von 1 (bester Wert) bis 5 (schlechtester Wert), wobei ab einer Note von 4,5 jeweils der sogenannte Schwellenwert erreicht ist. Die ermittelten Zustandsgrößen wurden nach einer festgelegten Wertesynthese zu einem Gesamtwert verknüpft: Zustandsnotenklasse Beschreibung 1,0 - 1,4 1,5 - 2,4 2,5 - 3,4 3,5 - 4,4 neuwertig sehr guter bis guter Zustand guter bis mittlerer Zustand Warnwert (3,5) überschritten, Anlass zur intensiven Beobachtung und Analyse, ggf. Planung von Maßnahmen 4,5 - 5,0 Schwellenwert (4,5) überschritten, Einleitung baulicher oder verkehrsbeschränkender Maßnahmen 4.2 Zustandsentwicklung der Straßen (Fahrbahnen) und Radwege Die Entwicklung des Straßenzustands (Fahrbahnen) kann insbesondere über den Gesamtwert aus der ZEB beurteilt werden. Der Gesamtwert der Bundesstraßen hat sich von 3,2 im Jahr 2011 auf 3,0 im Jahr 2015 verbessert. Die letzte ZEB der Bundesstraßen hat im Jahr 2019 stattgefunden. Die ZEB 2019 hat einen Gesamtwert von 3,0 ergeben. Der Gesamtwert der Landesstraßen hat sich von 3,5 im Jahr 2012 auf 3,4 im Jahr 2016 verbessert. Die letzte ZEB der Landesstraßen hat im Jahr 2020 stattgefunden. Die ZEB 2020 hat einen Gesamtwert von 3,4 ergeben. Im Jahr 2018 wurde landesweit die erste ZEB Radwege durchgeführt. Die Ergebnisse der aktuell laufenden ZEB Radwege 2022/ 2023 liegen noch nicht vor. Anhand der Ergebnisse der ZEB Radwege 2022/ 2023 kann die Zustandsentwicklung ebenfalls bewertet werden. 4.3 Erhaltungsmanagement des Landes Auf Grundlage der Informationen zum Substanz- und Gebrauchswert der ZEB-Abschnitte sowie unter Berücksichtigung von voraussichtlich zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel sowie einem Erfahrungswert für durchschnittliche Kosten von Erhaltungsmaßnahmen hat das Land ein Erhaltungsmanagement für die Bundes- und Landesstraßen in Baden-Württemberg erstellt. Das Erhaltungsmanagement umfasst hierbei insbesondere eine Priorisierung der sanierungsbedürftigsten Streckenabschnitte (Erhaltungsabschnitte) im Bundessowie Landesstraßennetz und stellt somit neben den Ergebnissen der ZEB die Grundlage für die Umsetzung von Maßnahmen zur Erneuerung der Fahrbahndecken durch die Straßenbauverwaltung des Landes dar. 5. Hang- und Felssicherung Hang- und Felssicherungsvorrichtungen (wie bspw. Steinschlagzäune) fallen nicht unter die Bauwerke nach der DIN 1076. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg erfasst derzeit den Bestand der vorhandenen Hang- und Felssicherungsvorrichtungen. Auf dieser Grundlage soll u. a. eine Neukonzeption für die Sicherungsbauwerke erstellt sowie eine Erhaltungsstrategie ausgearbeitet werden. In der Praxis erfolgt die Umsetzung möglicher Sofortmaßnahmen, wie beispielsweise das punktuelle Entfernen gelockerten Gesteins, kleinere Ausbesserungsarbeiten an Geröllschutzzäunen und Beräumungen kleineren Umfangs im Rahmen der Straßenunterhaltung. Diese Arbeiten werden von den unteren Verwaltungsbehörden vorgenommen. Bei darüberhinausgehenden baulichen Folgemaßnahmen zur Hang- und Felssicherung für die Wiederherstellung eines verkehrssicheren Zustandes erfolgt eine Abstimmung zwischen den unteren Verwaltungsbehörden mit den zuständigen Regierungspräsidien. Für die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen an vorhandenen Hang- und Felssicherungen sind die Regierungspräsidien zuständig. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 163 Erhalt der Straßeninfrastruktur Baden-Württemberg 6. Schlussbemerkung Grundsätzlich werden bei der Planung und Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen die einzelnen Bestandteile des Straßennetzes immer zusammen betrachtet und in Abhängigkeit vom jeweiligen Zustand der einzelnen Straßenbestandteile gemeinsam als Erhaltungsmaßnahme umgesetzt. Bei Erhaltungsprojekten ist im Vergleich zu Neubauprojekten dabei in besonderem Maße der mit der Baumaßnahme verbundene Eingriff in den Verkehr zu berücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass der Bund in den nächsten Jahren für die Erhaltung der Bundesstraßen in Baden- Württemberg eine bedarfsgerechte Mittelausstattung gewährleistet. Das Land stellt aktuell für die Erhaltung der Landesstraßen die Haushaltsmittel nicht in dem erforderlichen Umfang zur Verfügung. Die Straßenbauverwaltung des Landes hat den Erhaltungsmittelbedarf für das gesamte Landesstraßennetz in Baden-Württemberg vor allem auf Grundlage zweier Gutachten zur Brückensowie Fahrbahnerhaltung ermittelt. Demnach wäre in etwa eine Verdopplung der aktuellen Mittelausstattung erforderlich. Mittelbis langfristig wäre die Mittelausstattung vor allem unter Berücksichtigung einer Baupreissteigerung weiter zu erhöhen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 165 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg Daniel Hilpert Heller Ingenieurgesellschaft mbH, Darmstadt Dipl.-Ing. Henning Balck Heller Ingenieurgesellschaft mbH, Darmstadt Dr. rer. nat. Tatjana Epp Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Referat 24: Erhaltung und Ingenieurbau, Stuttgart Zusammenfassung Baden-Württemberg ist als Bundesland, Wirtschaftsstandort und Transitland mit einem Netz von rund 4.200 km Bundesstraßen und rund 10.000 km Landesstraßen auf eine gut ausgebaute und intakte Straßeninfrastruktur angewiesen. Die große Herausforderung in Bezug auf die Sicherstellung der Mobilität in Baden-Württemberg ist und wird der Erhalt der existierenden Infrastruktur sein. Die Verpflichtung des Landes für diese und zukünftige Generationen ist es, diese Infrastruktur erwartungsgerecht zu erhalten. Die Landesregierung setzt seit 2011 dementsprechend den Schwerpunkt auch auf den Erhalt und die Sanierung der bestehenden Straßeninfrastruktur. Um die erforderlichen Mittel für die Erhaltung der Fahrbahnen und Ingenieurbauwerke sachgerecht verteilen und das Netz nachhaltig erhalten zu können, bewertet die Straßenbauverwaltung des Landes den vorhandenen Zustand nach einheitlichen und nachvollziehbaren Kriterien und priorisiert die geplanten Maßnahmen. Die Planung und Durchführung erfolgt auf der operativen Ebene durch die zuständigen Baureferate in den Regierungspräsidien. Das Erhaltungsmanagement der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg basiert bei den Fahrbahnen auf dem Verfahren der messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB), das bereits Anfang der 1990er Jahre durch den Bund entwickelt wurde. Der Zustand der Bundes- und Landesstraßen sowie der straßenbegleitenden Radwege in der Baulast des Bundes und des Landes wird in einem regelmäßigen Zyklus alle 4 Jahre gem. den ZTV ZEB-StB (Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straße) erhoben und bewertet. Die Prüfung der Bauwerke erfolgt ebenfalls in einem regelmäßigen Intervall gemäß den Vorgaben der DIN-1076 zur Prüfung und Überwachung von Ingenieurbauwerken im Zuge von Straßen und Wegen hinsichtlich ihrer Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Die Ergebnisse der Zustandserfassung und -bewertung bilden zusammen mit den Bestands- und Verkehrsdaten eine wichtige Grundlage für die Ermittlung des Finanz- und Ressourcenbedarfs, die Mittelverteilung sowie für die Priorisierung der einzelnen Maßnahmen. Der Prozess der Erhaltungsplanung gliedert sich in die landesweite Bestimmung der erhaltungsbedürftigsten Abschnitte (Erhaltungsabschnitte) und der jeweiligen Dringlichkeit. Die Regierungspräsidien erstellen ihr jährliches Sanierungsprogramm auf Basis der ZEB-Ergebnisse sowie des Erhaltungsmanagements. Die Öffentlichkeit wird zusätzlich zum jährlichen Sanierungsprogramm regelmäßig über die Gesamtbilanz abgeschlossener Erhaltungsmaßnahmen informiert. Die Visualisierung des Erhaltungsmanagements sowie der realisierten Projekte erfolgt auf Grundlage von Karten. Damit die für die Erhaltungsplanung relevanten Informationen effizienter und barrierefrei auf allen Ebenen der Straßenbauverwaltung genutzt werden können, wurde das bereits seit 2007 für die Visualisierung der Zustandsdaten eingesetzte Online-Visualisierungstool OnKo der HELLER Ingenieurgesellschaft mbH für das Erhaltungsmanagement 2021 maßgeblich erweitert. Dazu hat das Ministerium für Verkehr gemeinsam mit den Ingenieur: innen von HELLER eine Systematik entwickelt, die die Planung und das Controlling weiter vereinfachen soll. Die webbasierte Managementsoftware ermöglicht allen in die Erhaltungsplanung involvierten Mitarbeiter: innen einen Zugriff auf die aktuellen Zustands-, Bestands- und Verkehrsdaten, die Streckenbilder, den aus den Zustandsdaten abgeleiteten Bedarf, die Planung und die bereits realisierten Projekte. Diese umfassende Datengrundlage beinhaltet Daten zu den Fahrbahnen der Bundes- und Landesstraßen, aber auch zu den straßenbegleitenden Radwegen sowie zu den Brücken. Dadurch wird eine übersichtliche und effektive Möglichkeit geschaffen, gegebenenfalls übergreifend durchführbare Maßnahmen zu identifizieren. Über die lineare Referenzierung der jeweiligen Informationen zum digitalen Straßennetzmodell lassen sich diese zielgerichtet verschneiden und für die Entscheidungsfindung flexibel auswerten. Genau wie bei der mittlerweile unverzichtbaren digitalen Vernetzung in der Wirtschaft und Industrie sind auch im Straßenwesen neue Konzepte und Technologien für die Vernetzung der Fachsysteme und den Datenaustausch erforderlich. Die von HELLER entwickelte, modular aufgebaute Managementsoftware folgt den modernsten Entwicklungsprinzipien und nutzt sogenannte Microservices für die Zusammenführung und Synchronisierung unterschiedlicher Daten in unterschiedlichen Darstellungen (Karte, Streckenband, Tabelle, etc.). Die Visualisierung der Informationen erfolgt dabei stets gezielt für die jeweilige Aufgabe mit dem erforderlichen ingenieurtechnischen Hintergrund. 166 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg 1. Bedeutung der Erhaltungsplanung Deutschland ist im internationalen Maßstab ein Land mit einer umfangreich ausgebauten Infrastruktur. Ein effizienter Personen- und Güterverkehr ist für die Wirtschaftsbeziehungen innerhalb Deutschlands und zu seinen europäischen und internationalen Partnern sowie für die Lebensqualität der Bürger von hoher Bedeutung. Aufgrund dessen sind Sicherheit, Verlässlichkeit und Verfügbarkeit der Infrastruktur unverzichtbar. Aus dem Bestand erwachsen daher umfangreiche Aufwendungen zur nachhaltigen Bewirtschaftung und Erhaltung der Infrastruktur. Hinzu tritt eine starke Zunahme der Verkehrsleistung, die insbesondere aufgrund der überproportionalen Zunahme der Transportleistung im Güterverkehr weitere Herausforderungen an die Erhaltung stellt. Neben der Planung und Priorisierung der erforderlichen Erhaltungsmaßnahmen, d.h. der Instandsetzung und Erneuerung ausgewählter Streckenabschnitte, kommt der Prognose der erforderlichen Mittel und der daraus folgenden Netzentwicklung eine erhebliche Bedeutung zu. Die Erhaltungsplanung ist damit ein langfristig unverzichtbarer Baustein der Finanz- und Programmplanung. Weichen die tatsächlichen Erhaltungsbedarfe maßgeblich von den prognostizierten Erhaltungsbedarfen ab, können wichtige Verkehrsprojekte aufgrund der begrenzten Ressourcen nicht oder erst später umgesetzt werden oder es kommt zu Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit und Verfügbarkeit von Netzteilen. Nicht zuletzt ist die budgetorientierte Erhaltungsprognose auch ein strategisches Steuerungsinstrument in Bezug auf die Höhe und Wirksamkeit des Mitteleinsatzes. Die Basis für die vorgenannten Planungs- und Entscheidungsprozesse stellen aktuelle und belastbare Information zum Bestand und Zustand der Infrastruktur und den geplanten und realisierten Bauprojekten dar. In diesem Kontext ist das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Auftrag der Bundesländer entwickelte digitale Straßennetzmodell von großer Bedeutung. Dieses ist in der Anweisung Straßeninformationsbank (ASB) der Bundesanstalt für Straßenwesen dokumentiert. Ergänzend dazu wurde auf der Bundesebene der Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen (OKSTRA) entwickelt. Er stellt eine Sammlung von Objekten aus dem Bereich des Straßen- und Verkehrswesens bereit. Das Modell der ASB stellt einen abstrakten Zwilling der Straßeninfrastruktur (digital twin) dar und ermöglicht die Speicherung netzbezogener Informationen für diverse fachbezogene und administrative Anwendungen. In Baden-Württemberg werden das digitale Netzmodell und die straßennetzbezogenen Informationen in der zentralen Straßeninformationsbank (TT-SIB) vorgehalten. Diese dient als Grundlage zur Referenzierung der unterschiedlichsten Bestands-, Zustands-, Betriebs-, Verkehrs und Projektdaten. Dank der linearen Referenzierung zu einem gemeinsamen Straßennetz lassen sich die unterschiedlichen Informationen miteinander streckenbezogen verschneiden und auswerten. 2. Informationen zum Zustand der Landes- und Bundesstraßen Seit 2007 nutzt das Land Baden-Württemberg das in den frühen 1990er Jahren vom Bund entwickelte Verfahren der messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) als Grundlage für die Erhaltungsplanung der Bundes- und Landesstraßen. Der Zustand des Bundes- und Landesstraßennetzes wird 2007 (Bundesstraßen) und 2008 (Landesstraßen) im regelmäßigen Turnus von 4 Jahren messtechnisch erfasst (Abbildung 1). Bei jeder ZEB werden eine Vielzahl unterschiedlicher Daten bzw. Informationen generiert. Für jeden erfassten Fahrstreifenkilometer entstehen 400 Umgebungsbilder (Front-, Rück- und zwei Seitenkameras), 100 hochauflösende Oberflächenbilder, 36.000 Messpunkte für die Längs- und Querebenheit, zusammenfassend mit einer ungefähren Datenmenge von 1,2 GB. Es ist relativ einfach abzuschätzen welche Datenmenge bei einer Messkampagne entstehen und welche Anforderung an das Datenhosting gestellt wird. Hinzu kommen die unzähligen Auswerteergebnisse wie Zustandskarten, Streckenbänder, Statistiken, Tabellen und sonstige Dokumente. Abbildung 1: Messtechnische Zustandserfassung der Landesstraßen (Fotos: Schniering GmbH) Es ist leicht zu erkennen, dass diese Menge an Daten strukturiert und für die Anwender auf der strategischen und operativen Ebene in eine nutzbare Form gebracht werden muss. Bei der ZEB gibt es für die erste Phase der Aus- und Bewertung standardisierte Prozesse und Verfahren. Die Rohdaten werden zunächst koordinatenbezogen zum digitalen Straßennetz zugeordnet, danach werden für vorher definierte Zustandsabschnitte Zustandsgrößen, z. B. die Spurrinnentiefe oder der Anteil der von Rissen betroffenen Fläche, berechnet. Abschließend werden die Zustandsgrößen bewertet, in Zustandswerte überführt und in einer Ergebnistabelle mit Netzbezug abgelegt. Diese Tabelle bilden u.a. die Grundlage für die Darstellung des Zustands und die Berechnung statistischer Kennzahlen zum Netz. Durch den Netzbezug lassen sich die Zustandsdaten mit den Daten vorangehender Kampagnen vergleichen bzw. mit Bestands und Maßnahmendaten anwendungsbezogen verschneiden. Detailliertere Darstellungen des Straßenzustands lassen sich darüber hinaus anhand der sogenannten Rohdaten und des darin gespeicherten Netzbezugs erzeugen. Wie bereits vorangehend dargestellt, können die Zustandsdaten in den unterschiedlichen Aggregationsstufen bzw. nach entsprechender Auswertung und Verschneidung mit weiteren Informationen zur Infrastruktur sowohl auf der strategischen, der taktischen als auch der operativen Ent- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 167 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg scheidungsebene eingesetzt werden. Im Laufe der letzten 10 Jahre hat sich der Anwendungsbereich sukzessive erweitert. Die wesentlichen Anwendungsfelder der ZEB werden in Abbildung 2 zusammen mit den erforderlichen Inputdaten dargestellt. Abbildung 2: Anwendungsfelder der ZEB und erforderliche Inputdaten 3. Der Wert der Information im Asset Management Was macht den Wert der Informationen aus bzw. wie lässt sich der Wert für die Straßenbauverwaltung darstellen? Um diese Fragestellung näher beantworten zu können, ist eine Betrachtung der Anwendungsgebiete und der Bedürfnisse der unterschiedlichen Anwender nötig. Im Asset Management gemäß der Norm ISO 55000 [1] ist die systematische Analyse der Prozesse und der Anforderungen und Bedürfnisse der Stakeholder (Teilhaber) ein grundlegender Bestandteil des Managements der Informationen. Es geht dabei insbesondere darum, dass die Organisation auf allen Ebenen zielorientiert handeln und Entscheidungen auf der Grundlage geeigneter, d. h. aktueller, ausreichend detaillierter und valider Informationen treffen kann. Die ZEB eignet sich hierzu als hervorragendes Beispiel. Ihre Ergebnisse werden auf allen Ebenen der Bauverwaltung sowohl für die Entwicklung von Strategien, als auch als Grundlage für das Controlling und vor allem für die operative Planung der Straßenerhaltung eingesetzt. Doch allein durch die bloße Erfassung der Daten stellen die Informationen nur einen potenziellen und noch keinen realen Wert dar. Der reale Wert der Informationen für die Organisation entsteht erst durch deren effiziente und zielorientierte Nutzung in den Prozessen, z. B. bei der strategischen Entscheidungsfindung, beim Controlling der Ziele oder bei der konkreten Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Allein durch die Bereitstellung der Streckenbilder der ZEB entsteht bereits ein großer Nutzen, da viele Fragestellungen, die ansonsten nur vor Ort geklärt werden könnten, mit dem vorhandenen Bildmaterial online am PC bearbeitet werden können. Der Wert der Information lässt sich selten direkt monetär bewerten, es stehen aber diverse Verfahren aus der Gruppe der Nutzwertanalyse zur Verfügung. Informationen sind ein sehr wesentlicher Bestandteil bei der Entscheidungsfindung. Die Informationen tragen dazu bei, dass bessere Entscheidungen getroffen werden und damit Ressourcen (Finanzen, Personal) effizient und sparsam eingesetzt werden. In Baden-Württemberg sind die Daten der ZEB ein fester Bestandteil bei der Entscheidungsfindung im Prozess der Erhaltungsplanung (Abbildung 3). Die Erhaltungsplanung erfolgt nicht direkt auf der Grundlage der Ergebnistabelle bzw. Zustandskarte. Damit eine effiziente und effektive Planung mit einem möglichst hohen Nutzen möglich ist, werden die vergleichsweise kurzen erhaltungsbedürftigen Zustandsabschnitte gezielt zu längeren Erhaltungsabschnitten aggregiert und visualisiert. Dafür kommt das von HELLER Ende der 1990er Jahre zusammen mit der bayerischen Straßenbauverwaltung entwickelte Verfahren der verbesserten Erhaltungsplanung (VEP) [5] zum Einsatz. Dieses ist auch bei der Aufstellung des Bauprogramms in Baden-Württemberg ein grundlegender Bestandteil, der Sanierungsbedarfe in den Regierungspräsidien darstellt und zur signifikanten Verbesserung des Netzes beiträgt. Anhand der abschnittsbezogenen Kennzahlen ist eine Priorisierung der einzelnen Abschnitte möglich. Das Verfahren ist transparent und nachvollziehbar und trägt nachhaltig zu einem höheren Nutzen der Zustandsdaten bei. Abbildung 3: Kreislauf der Erhaltungsplanung Im Asset Management sind Informationen ein wichtiger Asset (Wert) der Organisation. Informationen haben zunächst nur einen potenziellen Wert. Unter bestimmten Voraussetzungen können Information auch einen realen Wert für die Organisation darstellen. Dieses ist dann der Fall, wenn sie in die Prozesse der Organisation integriert werden und z.B. bei der Bewertung der Performance der Assets, der Entscheidungsfindung oder für die Information der unterschiedlichen Stakeholder genutzt werden. Vergleichbares geschieht mit den Daten der ZEB. Zunächst dienen sie zur Bewertung des aktuellen Zustands der Infrastruktur. Mit den Daten mehrerer Kampagnen lässt sich auch die Entwicklung (Performance der Assets) bewerten. Zustandsdaten sind auf der strategischen Ebene für die Bestimmung des Erhaltungsbedarfs, die Mittelverteilung und die Bestimmung der Erhaltungsstrategie und auf der taktisch-operativen Ebene für die Festlegung und Priorisierung der Maßnahmen ein wichtiger Bestandteil. Auf der operativen Ebene dienen Sie zur Bewertung des baulichen Zustands und zur Auswahl geeigneter Bauweisen. In sehr hoch aggregierter Form werden Zustandsdaten zur In- 168 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg formation der Öffentlichkeit eingesetzt. Aufgrund der Transparenz des Verfahrens lässt sich mit den ZEB-Ergebnissen sehr gut darstellen, dass die Straßenbauverwaltung im Sinne der Allgemeinheit handelt und die Infrastruktur effizient und nachhaltig erhält und ausbaut. Dieser vertrauensbildende Aspekt ist auch ein wichtiger Bestandteil des Wertes der Information. Ein wichtiger Punkt ist auch die Planungssicherheit, welche wesentlich durch die Bereitstellung eines stetigen Investitionsvolumens erzeugt wird. Für eine effiziente Erhaltung der Infrastruktur und die Aufrechterhaltung der Netzverfügbarkeit ist es erforderlich, vorausschauend zu handeln. Dieses ist nur mit den entsprechenden Informationen zum Zustand und geeigneten Prognosen zur Zustandsentwicklung möglich. Von daher ist es erforderlich, dass die Zustandsdaten regelmäßig termingerecht erfasst werden und in der nötigen Vollständigkeit und Korrektheit für die Anwender vorliegen. Im Sinne des Asset Managements lassen sich die Anforderungen an die Informationen in objektive und subjektive Kriterien unterteilen (4). Für den Prozess der Datenbeschaffung bzw. -erhebung ist es wichtig, dass objektive Anforderungen an die Genauigkeit, Vollständigkeit, Korrektheit, etc. definiert werden. Für die Verwaltung der Daten sind Anforderungen an die effiziente und sichere Datenhaltung von Bedeutung. Für den Bereich der Anwendung spielen zumeist auch noch subjektive Kriterien eine Rolle. Hier geht es darum, dass der Anwender den Daten vertraut und diese effizient nutzen kann. Das Erhaltungsmanagement des Landes Baden-Württemberg baut auf den Zustandsdaten der ZEB auf. Die Anforderungen an die Informationen sind im Wesentlichen in der ZTV ZEB-StB definiert. Die Datenhaltung erfolgt in konsistenter Form mit Referenzierung zum Straßennetz auf gesicherten Servern. Die Auf bereitung der Ergebnisse sowie die Darstellung der Zustandsdaten, der Visualisierungen und der Schlüsselkennzahlen wurde gemeinsam mit den Anwendern anwendungsbezogen erarbeitet. Ziel war es, die Informationen bei der strategischen Entscheidungsfindung und den operativen täglichen Aufgaben effizient nutzen können. Abbildung 4: Beschaffung / Verwaltung / Anwendung der Daten [2] 4. Von der Information zum Wissen Es bedarf einer geeigneten Methodik, um von den Informationen zum Wissen zu gelangen. Bereits Albert Einstein beschrieb sehr zutreffend, dass Information nicht mit Wissen gleichzusetzen sei. („Information is not knowledge“). Er ergänzte diesen Satz damit, dass nach seiner Einschätzung, die Quelle des Wissens die Erfahrung sei. („The only source of knowledge is experience.”). Im Sinne des Asset Managements oder Information Managements geht es darum, dass die zugrundeliegenden Daten so auf bereitet werden, dass sie in Form von Informationen in den Prozessen genutzt werden können. Das Wissen entsteht dann, wenn die Daten zwischen den relevanten Interessengruppen ausgetauscht, variabel in der Organisation genutzt und zur Entscheidungsfindung eingesetzt werden. Die Entscheidungsprozesse können dabei auch durch Software unterstützt werden. Die einzelnen Stufen der Nutzung der ursprünglichen Daten wird häufig in Form einer Pyramide dargestellt (5). An der Spitze der Pyramide steht die aus dem Wissen erlangte Erkenntnis. Abbildung 5: Pyramidendarstellung Daten, Information, Wissen und Erkenntnis Es ist sehr wichtig, dass die Verwaltung ein Bewusstsein für diese Systematik entwickelt. Allzu oft werden Entscheidungen über die Erfassung von Daten getroffen, ohne die tatsächlichen, zukünftigen Anwendungsfälle zu kennen. Stattdessen sollten der erforderliche Umfang und die Qualität der Daten im Bewusstsein dieser Anwendungen geplant werden, ohne dabei die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der Erfassung aus den Augen zu verlieren. Allgemein empfiehlt sich immer der Top-Down-Ansatz bei der Definition des Informationsbedarfs. Wenn der Datenbedarf Bottom-Up, d.h. ausschließlich auf der operativen Ebene definiert wird und die Interessen der strategischen Ebene nicht abgefragt werden, kann dieses dazu führen, dass die Daten später für strategische Entscheidungen nicht oder zumindest nur in eingeschränkter Weise verwendet werden können. Wenn der Anwendungsfall nicht genau definiert wurde, kann dieses auch dazu führen, dass Daten in einem unnötig hohen Detaillierungsgrad erhoben werden. Dieses führt im Endeffekt zu erhöhten Aufwänden bei der Pflege oder im Extremfall auch dazu, dass die Pflege langfristig scheitert. Darüber hinaus kann es bei diesem Ansatz passieren, dass relevante Attribute, wie z.B. der Bezug zum Straßennetz nicht oder nicht in der erforderlichen Form definiert werden. Ohne Netzbezug lassen sich die Informationen nicht mit anderen Daten objektbezogen verschneiden 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 169 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg und auswerten. Der Weg zum Wissen oder gar zur Erkenntnis ist dann blockiert. Anders ist dieses bei der ZEB. Das Wissen und die Erkenntnisse in der Erhaltungsplanung konnte in Baden- Württemberg auf der Grundlage der bisher abgeschlossenen 4 ZEB-Kampagnen wesentlich erweitert werden. Die ZEB-Ergebnisse stehen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern online zum Abruf zur Verfügung und sie sind fester Bestandteil der Entscheidungsfindungsprozesse. Darüber hinaus konnten aktuell durch die Verschneidung der Projektdaten mit den Zustandsdaten neue Erkenntnisse zum Einfluss der baulichen Maßnahmen auf den Gesamtzustand gewonnen werden. Zusätzlich werden die Daten der Fahrbahn mit den Daten der Radwege und Bauwerksdaten verschnitten. Diese fließen wiederum in die Entwicklung der Erhaltungsstrategie ein. Auf der Ebene der Erkenntnis gibt jedoch auch noch Bedarf. Beispielsweise sind einige relevante Fragen des Erhaltungsmanagements noch unbeantwortet. Allen voran steht die Frage, wie lange eine Fahrbahn typischerweise den Belastungen aus Verkehr und Witterung standhält. Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es neben den Zustandsdaten qualitätsgesicherter Informationen zum Auf bau und Alter der Straßen. Diese Daten liegen in Baden-Württemberg nicht vollständig vor. Alternativ können aber anhand der Daten zu realisierten Baumaßnahmen, welche ab der Kampagne im Jahr 2011 systematisch mit den ZEB-Daten verschnitten wurden, Rückschlüsse auf die Netzentwicklung, die Effizienz der Baumaßnahmen und den Erhaltungsbedarf gezogen werden. 5. Fachbezogene Darstellung und Bereitstellung der Information Die anwendungsbezogene Darstellung und Bereitstellung der Daten ist eine wesentliche Voraussetzung für die effiziente und zielorientierte Nutzung der Informationen. Bereits vor über 100 Jahren wurden in der niedersächsischen Straßenbauverwaltungen Straßenregister bzw. „Straßenbücher“ geführt. Die für die Verwaltung und Planung relevanten Informationen wurden in Form eines Streckenbands mit dem räumlichen und zeitlichen Bezug dargestellt. Aus heutiger Perspektive ist das eine sehr pragmatische, gleichzeitig aber auch sehr nützliche Methodik, da der Anwender die relevanten Eigenschaften der Straße zusammen mit der vollständigen Historie der Maßnahmen auf einen Blick betrachten kann (Abbildung 6). Abbildung 6: historisches Straßenbuch mit Darstellung der baulichen Maßnahmen (Foto: Balck) Das in der Vergangenheit genutzte Datenmodell und die lineare Darstellung der Straße bzw. der damit verknüpften Daten und Informationen wurde nahezu unverändert in die digitale Welt überführt und ist heute eine unverzichtbare Arbeitsgrundlage für alle Planungs- und Entscheidungsprozesse. Die niedersächsische Straßenbauverwaltung setzt wie bereits vorangehend erwähnt seit vielen Jahren die TT- SIB als zentrales Informationssystem zum Bestand der Straßeninfrastruktur ein. Das System ermöglicht es, die unterschiedlichen Fachdaten, u.a. Netz, Administration, Bestand, Verkehr, Zustand, Streckenbilder und Projektdaten, über den gemeinsamen Bezug zum Straßennetz zu visualisieren und auszuwerten. Neben der Straßeninformationsbank TT-SIB, in der lediglich die aggregierten Zustandswerte und Streckenbilder der ZEB bereitgestellt werden, hat sich für die Darstellung und Nutzung der sehr detaillierten und speicherintensiven Zustandsdaten seit 2007 das Verfahren der Online-Visualisierung etabliert. Das aktuell eingesetzte Auskunftssystem OnKo3 (Abbildung 7) wurde speziell für die Ziele der Erhaltungsplanung entwickelt und ermöglich die Darstellung der Ergebnisse der ZEB in den 5 Ansichten: Karte, Streckenband/ -profil, Streckenbild, Tabelle sowie Statistik. Mit dem System lassen sich insbesondere auch die realisierten Maßnahmen und die erhaltungsbedürftigen Streckenabschnitte fachbezogen darstellen, priorisieren und zusammen mit den elementaren Zustandsrohdaten in Form sogenannter Rohdatenprofile gemeinsam mit den Strecken- und Oberflächenbilder für die Planung auf der Objektebene nutzen. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Streckenband. Mit diesem lassen sich alle für die Planung oder das Controlling relevanten Daten, z.B. der Zustand, die realisierten Maßnahmen und der Erhaltungsbedarf visualisieren (Abbildung 8). Die Darstellung wurde so konzipiert, dass die Anwender damit effizient arbeiten können. Das Land Baden-Württemberg ermöglicht allen im Erhaltungsmanagement relevanten Mitarbeiter: innen in Regierungspräsidien einen umfassenden Zugriff auf die Daten der ZEB sowie den daraus abgeleiteten Erhaltungsbedarf und realisiert Schulungen zur ZEB und zur Anwendung der Online-Visualisierung. Abbildung 7: Online-Visualisierung der Zustandsdaten [4] 170 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Erhaltungsmanagement mit System im Land Baden-Württemberg Das Land Baden-Württemberg hat seit 2009 OnKo bei sich in der Anwendung. Zu Beginn war OnKo das Auskunftssystem für die Befahrungsdaten der ZEB-Kampagnen. Über die Jahre hinweg ist das Erhaltungsmanagement immer stärker in den Focus gerückt. Die Streckenbanddarstellung in Verbindung mit Karten und Streckenbilder bildete eine hervorragende Grundlage für die Weiterentwicklung zu einem umfänglichen Erhaltungsmanagement-System. Für die Erhaltungsplanung ist neben dem reinen Zustand der Fahrbahn auch weitere Indikatoren notwendig zur Entscheidungsfindung. Aus diesem Grund wurden im Streckenband die Aufbau- und Querschnittsdaten, Zustandsdaten der Bauwerke (inkl. Erhaltungsbedarf), die geplanten und realisierte Maßnahmen sowie die Verkehrsbelastung (DTV/ SV) dargestellt (Abbildung 8). In der Online-Visualisierung werden seit 2016 die Daten der beiden letzten ZEB-Kampagnen sowie die zwischen den Kampagnen realisierten baulichen Maßnahmen visualisiert und bereitgestellt. Damit lassen sich die alterungsbzw. belastungsbedingte Zustandsentwicklung und die Auswirkungen der baulichen Maßnahmen auf der operativen Ebene bewerten und bei der Planung zukünftiger Maßnahmen berücksichtigen (Abbildung 8). Abbildung 8: Erhaltungsbedarf, baulichen Maßnahmen, Bestandsdaten, Bauwerksdaten, etc. [4] Auf der strategischen und der taktischen Ebene sind für die Steuerung und Strategiefindung sowie das Controlling sogenannte Key Performance Indicators (KPI) [3] eine unverzichtbare Arbeitsgrundlage. Diese Schlüsselkennzahlen werden auf der Basis aktueller und historischer Zustands-, Verkehrs- und Bestandsdaten anhand statistischer Auswerteverfahren bzw. durch Verschneidung der vorgenannten Fachdaten bestimmt. Im Bereich der Erhaltungsplanung beziehen sich die Kennzahlen meist auf Gebiete oder Teilnetze z.B. das Land, die Regierungspräsidien, die Gebiete der Straßenmeistereien oder aber auch Landkreise. Auch Auswertungen getrennt nach Baulast bzw. für die Ortsdurchfahren und die freie Strecke können von Bedeutung sein. 6. Fazit Für das Management der Infrastruktur sind Daten unverzichtbar. Damit sie einen Nutzen haben, müssen sie zielgerichtet erhoben, regelmäßig und vergleichbar aktualisiert und für die jeweilige Anwendung ausgewertet bzw. dargestellt werden. Häufig werden die Anforderungen an die Daten ohne eine vorherige Analyse der Geschäftsprozesse und Bedürfnisse der Anwender oder Stakeholder definiert. Dieses ist jedoch von großer Bedeutung für eine erfolgreiche Arbeit mit den Daten. Das Asset Management bietet viele gute Ansätze für ein systematisches Management der Informationen. Dazu zählt insbesondere die zielgerichtete und prozessorientierte Definition des Informationsbedarfs und die Orientierung auf die Bedürfnisse der Stakeholder innerhalb und außerhalb der Organisation. Erst mit der Nutzung erhalten Informationen einen realen Wert. Damit Informationen genutzt und in Wissen und Erkenntnis überführt werden können, müssen sie anwendungsbezogen auf bereitet und für eine effiziente Nutzung bereitgestellt werden. Am Beispiel der Erhaltungsplanung der Landes- und Bundesstraßen in Baden-Württemberg lässt sich sehr gut aufzeigen, wie die Daten der Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) zielgerichtet im Asset Management eingesetzt werden und in unterschiedlichen Entscheidungsebenen mehrfach Nutzen bringen. Von der Information zum Wissen ist es mit der richtigen Systematik häufig nur ein kleiner Schritt! Literatur [1] ISO 55000: 2018 Asset management - Overview, principles and terminology [2] in Anlehnung an: Laney, D.B.: Infonomics: How to Monetize, Manage, and Measure Information as an Asset for Competitive Advantage, Gartner, Inc. 2016 [3] Heller, S., Balck, H., Alfen, H.W., Korn, M.: Guidelines für ein Infrastructure Asset Management. Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, März 2018 [4] Online-Visualisierung OnKo3, HELLER Ingenieurgesellschaft mbH [5] bau intern, Erhaltungsmanagement an Straßen in Bayern, Sonderheft August 2011zweite, aktualisierte Auflage 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 171 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau Anne-Sophie Knappe, B. Sc. Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main Thomas Tschickardt, M. Eng. Wayss & Freytag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main Dipl.-Ing. Björn Lindner Havellandautobahn Services GmbH & Co KG, Oberkrämer Zusammenfassung Am 11.11.2022 fand die feierliche Verkehrsfreigabe des ÖPP-Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 zwischen AS Neuruppin und AD Pankow statt. Damit geht das erste Pilotprojekt, bei welchem alle Projektphasen mit BIM aus einer Hand erfolgen in die letzte und längste Phase - Betrieb und Erhaltung. Während der nächsten knapp 25 Jahre wird das Erhaltungsmanagement durch die modellbasierte Visualisierung von Zustands- und Schadensdaten der Ingenieurbauwerke, dem Zustand des Oberbaus sowie den Erhaltungsmaßnahmen an einem Bauwerksinformationsmodell (BIM) unterstützt. Dazu werden die Daten aus SIB-Bauwerke, der ZEB-Befahrung und der Erhaltungsplanung in das BIM eingebunden. Mittels einer Benutzeroberfläche steuert der Anwender die Visualisierung von Zustandsnoten, Messwerten sowie Maßnahmen auf Grundlage eines projektspezifisch und individuell festgelegten Farbschemas. Dadurch soll die Identifizierung von Problemstellen im Zustand der Verkehrsanlage sowie Konfliktstellen bei der Planung von Maßnahmen beschleunigt und somit eine sichere und langlebige Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden. Der Beitrag ist eine Fortschreibung von [1], [2] und [3]. 1. Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ Das Projekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“, welches als eines der Pilotprojekte des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) zur Vorbereitung und Erprobung des vom Stufenplan Digitales Planen und Bauen vorgegebenen Leistungsniveaus 1 ausgewählt wurde, erweist sich für die Anwendung der BIMMethode als besonders geeignet, da wesentliche Teile der Wertschöpfungskette von Planung, Bau und Erhaltung aus einer Hand erfolgen. Auftragnehmer ist Havellandautobahn GmbH & Co. KG bestehend aus der INVESIS, PGGM und der HABAU Group. Planungs- und Bauleistungen werden durch die ARGE A 10/ A 24 Havellandautobahn bestehend aus Wayss & Freytag und HABAU erbracht, Betrieb und Erhaltung erfolgen durch die Havellandautobahn Services GmbH & Co. KG. Für die Erhaltungsphase sind die beiden folgenden Anwendungsfälle zu erbringen: • Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen und • Visualisierung gem. ZTV-Funktion StB A 10/ A 24. Die Anwendungsfälle verfolgen das Ziel die Informationsabfrage schnell und gezielt zu gestalten sowie die Zusammenführung von Daten aus verschiedener Datenquellen zu bewerkstelligen. Die Visualisierung selbst dient der Lokalisierung von Schäden, Problemstellen und der Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Aber auch die verbesserte Kommunikation mit Hilfe des Bauwerksinformationsmodells stellt ein wichtiges Teilgebiet dar. Die Anwendungsfälle sind für die BIM-Vertragsstrecke, welche den vierten Bauabschnitt der BAB A 24 umfasst, umzusetzen. Der Bereich von Km-222+675 bis Km-228+675 hat eine Gesamtlänge von 6km und beinhaltet neben den beiden Richtungsfahrbahnen, zwei Tank- und Rastanlagen, ein Brückenbauwerk BW2 und eine Lärmschutzwand. Weiterführende Informationen zum Projekt oder den Grundlagen des Erhaltungsmanagements sowie weiteren BIM-Anwendungsfällen im Projekt sind den vorangegangenen Beiträgen in [1], [2] und [3] zu entnehmen, 2. BIM in der Erhaltungsphase Mit dem enormen Potenzial der Digitalisierung steht der Baubranche ein tiefgreifender Wandel bevor. Insbesondere die BIM-Methodik konnte bereits weitreichende Erfolge in Bereichen wie Effizienz, Transparenz und Kommunikation erzielen. Der Fokus richtet sich sukzessiv von der Planung und Ausführung auch auf den Erhaltungszeitraum, um den lebenszyklischen Ansatz von BIM zu vollenden. Bei steigender Verkehrsbelastung wird es zu einer immer größeren Herausforderung, die dauerhafte und sichere Nutzung der Verkehrsinfrastruktur zu gewährleisten und gleichzeitig den klimapolitischen Zielen gerecht zu werden. Auch um die Masse an Maßnahmen und Bauvorhaben realisieren zu können, ist eine strukturierte und effiziente Erhaltungsplanung unabdingbar. In Anlehnung an die bisherigen Vorteile der BIM-Integration könnte die Nutzung eines Bauwerksinformationsmodells insbesondere aufgrund der steigenden Komplexität der Infrastrukturerhaltung und der Vielzahl mitwirken- 172 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau der Personen einen entscheiden Mehrwert zur Prozessoptimierung generieren. Das Erhaltungsmanagement umfasst verschiedene Aufgabenbereiche, zu denen unter anderem die Datenpflege, die Erfassung und Bewertung des Straßen- und Bauwerkszustands, Erhaltungsstrategien und Maßnahmenplanung gehören. Die gesammelten Daten werden in verschiedenen Dateien und Programmen gespeichert und zwischen den Projektbeteiligten ausgetauscht. Im Fokus steht, eine gemeinsame, intelligente Datenplattform mittels eines Bauwerkinformationsmodells zu generieren, um eine zentrale Verwaltung der Erhaltungsdaten zu gewährleisten. Hierfür, wurden für das Projekt Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24 zwei Anwendungsfälle zur modellbasierten Visualisierung von Erhaltungsdaten definiert. 2.1 Grundlage für die Umsetzung Im vorangegangenen Beitrag wurde die Konzeptionierung, welche im engen Austausch mit dem zuständigen Erhaltungsmanagement entwickelt wurde, vorgestellt [3]. Für die Umsetzung des Anwendungsfalls wird die Software DESITE MD Pro des Anbieters Thinkproject genutzt. Die Software bietet als Koordinationsmodell die Möglichkeit zur Prüfung, Visualisierung, Auswertung und Erweiterung eines 3D-Bauwerksmodells [4]. Des Weiteren besteht die Möglichkeit über HTML-Formulare und JavaScript sowie einer API-Schnittstelle beliebige Anwendungen und Benutzeroberflächen zu programmieren. Über die API kann unter anderem auf die Daten des DESITE-Projekts wie die verschiedenen Domänen, Werkzeuge und Objekte, aber auch auf lokale Dokumente und Datenbanken zugegriffen werden. Das vollständige Programm besteht neben den verschiedenen HTML- Dateien aus CSV-, JSON-, CSS- und Bild und JS-Dateien. Das CSS (Cascading Style Sheet) gibt das einheitliche Design der Oberflächen vor. In den CSV-Dateien werden projektspezifische anpassbare Farbcodierungen für Zustandsnotenbereiche, Messwerte oder Maßnahmen festgelegt. Im JSON-Format werden unter anderem die Nutzereingaben in der HTML-Oberfläche gespeichert, um die letzten Eingaben beim wiederholten Aufruf automatisch einzutragen. Zudem wird im Projektorder ein Ordner „Erhaltungsmanagement“ angelegt. Dieser speichert die später importierten Daten aus SIB-Bauwerke, der ZEB-Befahrung und der Erhaltungsplanung und archiviert diese bei Aktualisierungen. Da SIB-Bauwerke in der aktuellen Version keine Möglichkeit für den Direktzugriff bieten, müssen die Daten zunächst noch manuell heruntergeladen und in ein CSV-Format umgewandelt werden. Die Möglichkeit in SIB-Bauwerke Exporteinstellungen zu speichern, führt hierbei zu einer erheblichen Zeitersparnis. Zur Veranschaulichung der Funktionalitäten wurden für die nachfolgenden Bilder Testdaten angelegt, die keinen tatsächlichen Bauzustand oder vorhandenen Schaden wiedergeben. 2.2 Datenimport Neben der eigentlichen Visualisierung ist der Import und die Auf bereitung der Daten ein entscheidender Schritt, um eine fachlich richtige Visualisierung und Verknüpfung mit den Modellelementen zu gewährleisten. Dazu wird eine eigene Oberfläche angeboten, über welche der Nutzer die entsprechenden CSV-Dokumente auswählen kann. Besonders wichtig ist dabei auch die gleichzeitig stattfindende Datenprüfung. Zum einen wird das Modell durchsucht, ob alle für die Visualisierung und Verknüpfung relevanten Merkmale vorhanden sind, die Farben werden als Materialien angelegt und die importierten Daten auf Vollständigkeit kontrolliert. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Datenprüfung werden diese in einer festgelegten Struktur in das Bauwerkinformationsmodell importiert (siehe Abbildung 1). Die Daten werden geordnet nach Zustandsdaten und Maßnahmen und anschließend zeitlich und Gewerke spezifisch strukturiert. Dadurch können auch vorangegangene Prüfungen jederzeit eingesehen und Zustandsverschlechterungen analysiert und beobachtet werden. Gleichzeitig findet auch die Verknüpfung statt. Die Voraussetzung hierfür ist ein attribuiertes Modell dessen Merkmalwerte mit den importierten Daten übereinstimmen. Abbildung 1 Datenmanagement (Beispieldaten) Die Maßnahmen und Messwerte der ZEB-Befahrung werden nach Fachmodell, Bauteilgruppe und Kilometrierung verknüpft, wohingegen die Daten zum Bauwerkszustand nach Bauwerksnummer und Bauteilgruppe verknüpft werden. Zur Optimierung der Performance 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 173 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau wurden alle Modellelemente zunächst in analoger Strukturierung in ein JSON-Format gebracht. Dies erhöht erheblich die Geschwindigkeit bei der Zuordnung, da nicht wiederholt über das Gesamtmodell iteriert werden muss. Zudem ist hier eine Verfeinerung der Verknüpfung über die Benutzeroberfläche möglich, welche im nachfolgenden Kapitel erläutert wird. Die Verlinkung mit den Modellelementen ermöglicht eine schnelle Informationsabfrage und ist später auch Grundlage für die Visualisierung. 2.3 Visualisierung der Zustandsdaten aus SIB-Bauwerke Die erste Oberfläche zur Visualisierung des Bauwerkszustandes stellt die Teilbauwerksbewertung dar. Danach folgen hierarchisch die Bauteilgruppen- und zuletzt die Einzelschadensbewertung. Die Teilbauwerksbewertung gibt einen Überblick über den Gesamtzustand des Teilbauwerks, listet zugehörige Dokumente wie das Bauwerksbuch und Zustandsberichte auf und stellt Fotos vom Bauwerk über einen Slider zur Verfügung. Durch drei Dropdowns kann zu einer beliebigen Prüfung eines Teilbauwerks gefiltert werden. Dabei ist, durch die beschriebene Ablage der Daten, der Zugriff auf vergangene Prüfungen und damit alte Zustände inbegriffen. Dadurch kann auch die Entwicklung bzw. womöglich die Verschlechterung des Zustandes analysiert werden. Bei Bedarf sind weitere Informationen zum Bauwerk sowie zur Prüfung über die Informations-Buttons abruf bar. Auf dieser, aber auch auf den nachfolgenden Oberflächen wird die Navigation durch automatische Zooms auf Bauwerke bzw. einzelne Modellelemente unterstützt. Abbildung 2 Teilbauwerksbewertung (Beispieldaten) Die Visualisierung auf Bauteilgruppenebene findet wie erwähnt auf der nächsten Hierarchieebene statt. Dort listet eine Tabelle die bei der Bauwerksprüfung bewerteten Bauteilgruppen sowie ihre Maximalwerte für Standsicherheit, Verkehrssicherheit und Dauerhaftigkeit. Die farbliche Einordung der Bewertung findet sich sowohl in der Tabelle und kann durch einen Klick auf die Buttons in dem Tabellenkopf auch auf das Modell übertragen werden (analog Einzelschadensbewertung Abbildung 3). Alle Modellelemente, die mit diesen Bauteilgruppen verknüpft sind, werden entsprechend des Farbschemata eingefärbt und die Modellelemente ohne eine Bewertung werden zur Fokussierung ausgegraut und transparent dargestellt. Alternativ können diese über den Umschalt-Button (toggle-switch) auch vollständig ausgeblendet werden. Auch die Modellelemente mit Bewertung haben eine geringe Transparenz. Grund ist, dass es in der Visualisierung zu Verdeckungen kommen kann. Die Transparenz bewirkt, dass schlechter bewertete Elemente nicht übersehen werden können. Es ist jedoch auch möglich diese unter Materialien nach Belieben anzupassen. Die unterste Ebene ist die Einzelschadensbewertung. Diese gleicht vom Auf bau der Bauteilgruppenbewertung. Jedoch werden nun die bei der Prüfung erfassten Einzelschäden am betroffenen Bauteil visualisiert. Es besteht auch die Möglichkeit nach Bauteilgruppen zu filtern oder durch selektieren eines Modellelements die mit ihm verknüpften Schäden zu filtern. Andersherum kann auch durch einen Klick auf die Lupe neben jedem Schaden nach den verknüpften Modellelementen gefiltert werden. 174 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau Abbildung 3 Einzelschadensbewertung (Beispieldaten) Auch die Tabelle in der Oberfläche wird eingefärbt, um besonders relevante Schäden schnell zu erkennen. Einige Informationen zum Schaden wie die Schadens-ID und die Bezeichnung des Schadens nach ASB-Ing sind bereits auf dieser Oberfläche aufgelistet, um einen ersten Eindruck über die Art und Ausprägung der vorhandenen Schäden zu bekommen. Detailliertere Informationen sind über den Pfeil am rechten Rand jeder Tabellenzeile zu erhalten. Dieser führt den Anwender auf die Oberfläche Einzelschadensinformation. Die Benutzeroberfläche besteht aus den zwei Teilen Lokalisierung und Schadensbeschreibung/ -bewertung. Der erste Teil zeigt alle Merkmale, welche die Position des Schadens genauer beschreiben. Neben der Bauwerks-, Teilbauwerksnummer, Bauteilgruppe und dem betreffenden Bauteil erfasst der Prüfer ebenfalls in welcher Höhe und Breite sich der Schaden am Bauteil befindet. Außerdem gibt der Text des Prüfers oftmals noch genauere Informationen zum Schaden und zur Lokalisierung. Wie bereits angesprochen wird ebenfalls die Möglichkeit angegeben, die Position des Schadens durch eine Verbesserung der Verknüpfung zu konkretisieren. Die Standardisierung der Bauwerksprüfung ist nicht auf dem Stand, dass eine Verknüpfung der später in SIB-Bauwerke vorgehaltenen Daten bis auf Modellelementebene sicher und fehlerfrei durchgeführt werden kann. Aus diesem Grund kann der Anwender bei Bedarf mit Hilfe der dargestellten Informationen sowie dem Schadensbild das richtige Modellelement identifizieren, selektieren und über den Button „Mit selektierten Bauteilen verknüpfen“ den Schaden mit dem Modellelement verknüpfen. Die neue Verknüpfung wird gespeichert und die Visualisierung passt sich automatisch an. Weiter kann auch ein Ansichtspunkt dem Schaden hinzugefügt werden. Es können Zeichnungen, Notizen oder Messungen im Modell vorgenommen und diese dann als Ansichtspunkt mit dem Schaden verknüpft werden. Aktuell wird jedoch nur die Anlage eines Ansichtspunkts je Schaden angeboten. Der zweite Teil ist die Schadensbeschreibung. Informationen wie die Schadens-ID, die Bsp.-ID zum Schaden, Menge und Dimension sind hier angezeigt. Es handelt sich dabei um eine Vorauswahl potenziell relevanter Informationen. Zur Übersichtlichkeit sind weitere importierte Merkmale ausgeblendet, können jedoch jederzeit über das Drop-Down-Feld ausgewählt und somit der Tabelle hinzugefügt werden. Zuletzt gibt es noch die Option dem Schaden eigene Informationen anzufügen. Dies ist prinzipiell nicht Teil des Anwendungsfalls, soll aber die weiteren Möglichkeiten der Entwicklung verdeutlichen. Vorgeschlagen werden dabei zum Beispiel Informationen wie Notizen, notwendige Maßnahmen, Kostenschätzungen etc. 2.4 Visualisierung der ZEB-Messergebnisse Die Messwerte der ZEB-Befahrung sind ebenfalls am BIM-Erhaltungsabschnitt zu visualisieren. Dazu ist zunächst eine importierte ERG-Datei (standardisierte Ergebnisdatei nach ZTV-ZEB) einer ZEB-Messkampagne in einem Drop-Down zu wählen. Folgende Messwerte können anschließend modellbasiert visualisiert werden: • Ebenheiten im Längsprofil • Unebenheiten in Längsrichtung • Unebenheiten vor Belagsübergängen • Ebenheiten im Querprofil • MSPH - maximal fiktive Wassertiefe • MSPT - maximale Spurrinnentiefe • Griffigkeit • Griffigkeit 40 • Griffigkeit 60 • Griffigkeit 80 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 175 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau Abbildung 4 Einzelschadensinformation (Beispieldaten) • Längs- und Querrisse • LQRP - betroffener Plattenanteil • LQRL - mittlere Länge • Eckausbrüche • EABP - betroffener Plattenanteil • WABF - mittlere Länge • Kantenschäden • KASP - betroffener Plattenanteil • KASL - mittlere Länge Für jeden Messwert wurden vorab Farbwerte die einen sehr guten bis sehr schlechten Zustand beschreiben festgelegt. Sollen zukünftig weitere Messwerte mit einbezogen werden, ist diese Festlegung schlicht zu erweitern. In der Benutzeroberfläche sind am unteren Rand immer in Abhängigkeit des ausgewählten Messwerts die Visualisierungsbereiche mit ihren Farbwerten aufgelistet. Es werden zwei Arten der modellbasierten Visualisierung offeriert. Da auch die Modellelemente des Oberbaus mit den Schäden verknüpft sind, kann analog zur Bauwerksvisualisierung die Bewertung direkt an den Modellobjekten dargestellt werden. Wenn man sich jedoch vorstellt, dass der Zustand an einem größeren Streckenabschnitt visualisiert werden soll und man dementsprechend weit aus dem Modell rauszoomen muss, wäre die Einfärbung an einer einzelnen Fahrbahnplatte kaum noch zu erkennen. Daher gibt es zusätzlich die Achsdarstellung. Diese visualisiert die Messwerte nicht an den Objekten, sondern entlang der Hauptachse in den Messabständen der ZEB- Befahrung. Wie auch in der nachfolgenden Abbildung zu erkennen, ist der Streifen zudem länger, je schlechter der gemessene Messwert ist. Dies lenkt den Fokus auf die besonders betroffenen Bereiche. Abbildung 5 Visualisierung der ZEB-Befahrung Zoomt der Anwender weiter an das Modell heran, ist auch die Visualisierung der Modellelemente gut erkennbar. Eine fahrstreifengetrennte Visualisierung ist auf kurzen Distanzen deutlich geeigneter. Die Selektion eines Modellelements des Oberbaus führt dazu, dass in der Oberfläche eine Tabelle mit weiterführenden Informationen angezeigt wird. Dort kann der genaue Messwert fahrstreifengetrennt abgelesen werden. Zusätzlich steht der schlechteste Messwert einer Fahrbahn auch auf dem Streifen in der 3D-Visualisierung. Es können auch mehrere Objekte oder ganze Bereiche selektiert werden, um alle Ergebnisse für einen Messwert zu erhalten. 2.5 Visualisierung der Erhaltungsmaßnahmen Die Visualisierungsoptionen für die Erhaltungsmaßnahmen entsprechen denen für den Zustand am Oberbau. Die Benutzeroberfläche listet alle Maßnahmen der ausgewählten Erhaltungsplanung zeitlich sortiert auf. Die Tabelle kann zusätzlich durch die Filter Anlagenteil und Leistungsort vorgefiltert werden. Eine Auswahl an Informationen wie Jahr der Maßnahme, Bundesautobahn, Richtungsfahrbahn, Maßnahmencode und Fahrstreifen sind spaltenweise aufgeführt während die Tabellenköpfe gleichzeitig ebenfalls als Filter fungieren. 176 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau Abbildung 6 Objektvisualisierung der ZEB-Befahrung (Beispieldaten) Über einen Schieberegler kann die Tabelle nach Maßnahmen bestimmter Jahre, aber auch nach Zeitbereichen durchsucht werden. Weiterführende Informationen zur Maßnahme können analog zu den Einzelschäden über den grünen Pfeil neben den Tabellenzeilen abgerufen werden. Jede Maßnahme hat zudem einen Lupen-Button mittels welchem die zu der Maßnahme gehörenden Objekte eingefärbt werden. In der Streifendarstellung werden die gefilterten Maßnahmen in Streifen parallel zur Achse dargestellt. Die Länge des Streifens reicht dabei von dem Startbis zum Endkilometer der durchzuführenden Maßnahme. Graue schmale Zwischenlinien kennzeichnen Jahreswechsel. Das heißt alle Maßnahmen, die zwischen zwei grauen Linien liegen finden im gleichen Jahr statt. Maßnahmen die näher an der Achse liegen, finden früher statt. Die zeitliche Sortierung ist demnach von innen nach außen. Zur Identifizierung, um welche Maßnahme es sich handelt, ist jeder Streifen mit dem Maßnahmencode versehen. Der Anwender kann auch das Modell selbst nutzen und durch Selektion eines Modellelements zu allen an diesem Objekt durchzuführenden Maßnahmen filtern. Konnte zum Beispiel eine schadhafte Fahrbahnplatte identifiziert werden, kann geprüft werden, welche Maßnahmen in nächster Zeit geplant sind. 2.6 Zusätzliche Anwendungen Die Visualisierung vom Zustand des Oberbaus und von den Maßnahmen kann zudem durch ein Kilometerraster unterstützt werden. Für die Einstellung des Rasters wird eine Achse ausgewählt und anschließend der Start-Kilometer sowie eine Frequenz in Metern festgelegt. Dieses vom Nutzer flexibel eingestellte Raster kann von jeder Oberfläche über einen Button in der Kopfzeile abgerufen werden und soll die Orientierung im Modell vereinfachen. Auch eine dynamische Verknüpfung von Planunterlagen und Dokumenten mit dem Bauwerksinformationsmodell wurde entwickelt. Die Software DESITE MD Pro bietet die Möglichkeit über Verknüpfungsregeln Modellelemente und Dokumente zu verknüpfen. Abbildung 7 Erhaltungsmaßnahmen (Beispieldaten) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 177 Modellbasierte Visualisierung als Grundlage für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau Abbildung 8 Kilometerraster Da diese, die je nach Dokumentenart abweichende Namenskonvention nicht abbilden konnte, wurde eine dynamische Verknüpfung programmiert. Diese kann sowohl die Differenzen zwischen den Dokumentenarten (z.B. QM-Dokumente, Planunterlagen, Bauwerksbücher) berücksichtigen, als auch die Verknüpfung auf verschiedenen Modellhierarchien umsetzen. Der Anwender kann dann auf einer Benutzeroberfläche nach Dokumenten filtern oder sich alle mit einem Objekt verlinkten Dokumente anzeigen lassen. Zudem können diese direkt über die Benutzeroberfläche geöffnet werden, was eine erhebliche Zeitersparnis bei der Suche nach dem richtigen Dokument bedeutet. Die Merkmalwerte im Modell beinhaltet eine Reihe von Kurzschreibweisen. So steht zum Beispiel die Abkürzung ING für Ingenieurbauwerk. Da die Anwender nicht mit allen Abkürzungen vertraut sind, dient die Oberfläche „Merkmale“ neben dem allgemeinen Auflisten aller Merkmale des selektierten Modellelements, auch zur Übersetzung in die Langschreibweise. Dies wird über eine CSV-Datei bewerkstelligt, in welcher sowohl Kurzals auch Langschreibweise der Merkmalwerte gepflegt werden. Dadurch werden Verständnisschwierigkeiten vermieden und gleichzeitig durch die kurze Schreibweise ein weniger fehleranfälliges und leichter prüf bares Modell erzeugt. 3. Fazit und Ausblick Mit den vorgestellten Benutzeroberflächen werden in erste Linie die projektspezifischen Anwendungsfälle der Erhaltung erfüllt. Es wurde dabei jedoch auch großen Wert auf die Anwendbarkeit der Programmierung für nachfolgende Projekte gelegt. Notwendige Merkmalsbezeichnungen im Modell als auch aus den Prüfungen wurden nicht statisch im Code verbaut, sondern können vom Anwender in CSV-Dateien angepasst werden, um schnell auf mögliche Änderungen reagieren zu können. Wie eingangs erläutert wird der BIM Ansatz in diesem Projekt lediglich in einem von zehn Abschnitten des Gesamtprojektes umgesetzt. Für die effiziente Nutzung und zur Vermeidung von zusätzlichen Aufwendungen in der Erhaltungsplanung ist es daher erforderlich, diese Methodik auf das gesamte Projekt auszuweiten. Aktuell werden die ersten Zustandsdaten der neuen Verkehrsanlage erfasst und sollen dann mit den Benutzeroberflächen visualisiert werden. Mittels der Visualisierung wird die interdisziplinäre Kommunikation sowie die Identifizierung von Schäden und Planung von Erhaltungsmaßnahmen unterstützt. Für ein ganzheitliches Erhaltungsmanagement ist die Benutzeroberfläche zukünftig, um weitere Anwendungsfälle zu erweitern. Dafür bietet jedoch die gewerkeübergreifende Zusammenführung der Daten und gemeinsame Visualisierung eine geeignete Grundlage. Unter Berücksichtigung der vorangegangenen Beiträge zu dieser Thematik lässt sich sagen, dass die konzeptionelle Ausarbeitung eine gute und wichtige Grundlage für die nun fertiggestellte Programmierung geboten hat. Eine direkte Schnittstelle zu den Datenbanken SIB-Bauwerke und TT-SIB ist erforderlich, um die Datenkonsistenz zu gewährleisten. Des Weiteren wäre auch eine modellbasierte Zustandserfassung in Betracht zu ziehen, bei der die aufgenommenen Schäden direkt mit dem zugehörigen Modellelement verknüpft werden. Damit würde nicht nur die Genauigkeit der Verortung erhöht, sondern auch der Datenimport redundant. Dies erfordert eine Schnittstelle zu den Datenbanken. Eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche Nutzung von BIM im Erhaltungsmanagement spielt die Datenqualität. Damit ist ein bundeseinheitlicher Standard für alle Gewerke gemeint. Auch ist die Überarbeitung von Straßeninformationsbanken, Richtlinien und Regelwerken unter Berücksichtigung des BIM-Ansatzes erforderlich. Literatur [1] Tschickardt, Thomas; KNAPPE, Anne-Sophie (2021): Modellbasiertes Erhaltungsmanagement im Verkehrswegebau am Beispiel des Pilotprojekts „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“. In: Jürgen Krieger (Hg.): Digitale Transformation im Lebenszyklus der Verkehrsinfrastruktur (DTV). Fachtagung über Planung, Bau, Betrieb von Brücken, Tunneln, Straßen digital. Heft 1. Tübingen: expert verlag GmbH, S. 277-286. [2] Tschickardt, Thomas; Krause, Daniel: BIM im Verkehrswegebau am Beispielprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“ 96 (2019), Nr. 3, S. 259-268 [3] Tschickardt, Thomas: Erste Erfahrung und Mehrwert durch BIM im BMVI Pilotprojekt „Verfügbarkeitsmodell A 10/ A 24“. In: Krieger, Jürgen; Isecke, Bernd (Hrsg.): Brückenkolloquium. Fachtagung für Beurteilung, Planung, Bau, Instandhaltung und Betrieb von Brücken: Tagungshandbuch 2020: Tübingen: expert verlag GmbH, 2020 [4] thinkproject: DESITE BIM, online verfügbar unter: https: / / thinkproject.com/ de/ produkte/ desite-bim/ , zuletzt abgerufen: 30.11.2022 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 179 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Für das Straßennetz eines Stadtstaates Marcel Gierse, M. Sc. Freie und Hansestadt Hamburg, Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer Niklas Luka Krause, M. Sc. Freie und Hansestadt Hamburg, Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer Zusammenfassung In dem folgenden Beitrag wird über die verschiedenen Handlungsstränge der Entwicklung eines intelligenten Assetmanagementsystems für die Hamburger Infrastruktur im LSBG und im speziellen über die Herausforderungen und Lösungsansätze für die Integration des Straßennetzes eines Stadtstaates berichtet. Nach einem Überblick über die verschiedenen Stakeholder und Projekte wird ein Einblick in die gefundene Lösung auf Basis der neuesten Version des ERP-System SAP S/ 4 HANA geben. Die Abbildung der Straßeninfrastruktur als Realflächenmodell und die Umstellung auf ein objektbasiertes Projektmanagement zur Erreichung der Ziele der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements“ [1] werden erläutert. Zum Abschluss wird ein Ausblick auf die weitere Entwicklung gegeben. 1. Einführung Die Freie und Hansestadt Hamburg hat zur Erneuerung der verschiedenen Enterprise Resource Planning Systeme (EPS-Systeme) der Kernverwaltung und weiterer Landesbetriebe ein Projekt namens ERP 4.0 aufgelegt. Geleitet wird dieses Projekt durch den Landesbetrieb Kasse.Hamburg, welcher auch die Betriebsverantwortung für die meisten ERP Systeme inne hat. In einem Teilprojekt sollen alle Landesbetriebe, unter anderem der Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer in einem Mastertemplate Ansatz auf ein neues ERP System umziehen. Hier soll die aktuelle Version SAP S/ 4HANA die bisherigen Systeme ablösen. Einer der Landesbetriebe ist der Landesbetrieb Straßen Brücken und Gewässer (LSBG). Er plant, baut und betreibt im Auftrage verschiedener Ämter unterschiedliche städtische Infrastruktureinrichtungen. Hierzu zählen ca. 495 km Hauptverkehrsstraßen, ca. 1.200 Brücken und weitere Ingenieurbauwerke sowie die öffentlichen Hochwasserschutzanlagen der 1. Deichlinie und wasserwirtschaftliche Einrichtungen entlang der Alster und Bille. Besonders in den Fokus sind der Betrieb und Erhalt der städtischen Infrastruktur durch die Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“ [1] gerückt. In der Drucksache werden einheitliche Anforderungen für die Einführung von Systemen und Methoden des Assetmanagements für die unterschiedlichen Assetklassen und Verantwortlichen definiert. Weiterhin wird ein Berichtssystem „Zentrales Erhaltungsmonitoring“ skizziert, an welches alle Assetklassen einheitlich sowohl technische als auch kaufmännische Daten zu den technischen Objekten übermitteln sollen. Im Laufe der Ausgestaltung der Vorgaben der Drucksache ist im LSBG immer mehr die Erkenntnis gereift, dass eine wesentliche Grundlage für ein gesamtheitliches Assetmanagement System die lückenlose technische Verknüpfung von technischen und kaufmännischen Daten zu den jeweiligen Objekten ist. Daher wurde auch auf Basis der Ergebnisse des Projektes „Bridge“ zur Einführung eines digitalen Endes zu Ende Prozesses für die Bauwerksunterhaltung entschieden, dass die Lösungsideen für den gesamten LSBG angepasst und ausgerollt werden sollen. So ist das Projekt der Kasse.Hamburg zur Umstellung auf die neue SAP-Version um die Abbildung eines Objektverzeichnisses und die kombinierte Einführung der beiden SAP Module Enterprise Portfolio and Project Management (SAP EPPM) für die Abwicklung von Projekten und Bauprojekten und SAP Enterprise Assetmanagement (SAP EAM) für die Abwicklung von Unterhaltungs- und kleineren Instandsetzungstätigkeiten erweitert worden. Hinzu kam die Aufgabe der Kasse.Hamburg in einem Proof of Concept (PoC) die Machbarkeit für die Integration der Straßeninfrastruktur sowie weitere Assetklassen aufzuzeigen und die nötigen Grundlagen innerhalb des regulären Projektes zu schaffen und einen weiteren Ausbau zu ermöglichen. 180 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Abb. 1: Überblick über die Lösungsbausteine für das neue Assetmanagementsystem (LSBG Vezer) 2. Überblick über die Umsetzung der Anforderungen im SAP System Die Entwicklung der fachlichen und technischen Assetmanagement-Lösung ist - wie bei klassischen ERP-Projekten üblich - einerseits stark prozessgetrieben, andererseits aber wegen der komplexen Anforderungen an das Datenmanagement gleichzeitig auch sehr datengetrieben. Während auch für ERP-Projekte zunehmend agile Projektmethoden genutzt werden, ist es für datenintensive Projekte unabdingbar, agil-iterative Vorgehensmodelle zu verwenden. Es hat sich bewährt, für solche agil-iterativen Projekte mit mehreren Lösungsversionen die fachlichen und technischen Konzepte nicht nur kurzfristige Lösungen zu entwerfen, sondern zunächst ein Set von Leitlinien zu definieren, die auch für die längerfristige Lösung Gültigkeit besitzen und folgende Charakteristiken haben: • „Leitlinien“ geben einen allgemeinen Rahmen für die fachliche und technische Konzeption und geben Orientierung für die einzelnen Projektteams und über die Teams hinweg. • Sie reduzieren den Abstimmungsbedarf, führen zu einer besseren Integration der Lösung und sichern eine langfristige Ausrichtung über den konkreten Scope des aktuellen Iterationsschrittes (Release, Version) hinaus. • Anpassungen an den Leitlinien erfordern eine sorgfältige Überprüfung der Auswirkungen auf die fachlichen Konzepte und Anwendungen. Fachliche Konzepte, die gegen Leitlinien verstoßen, sind (nur) als Ausnahmen zulässig. • Im Unterschied zu den Leitlinien konkretisieren und detaillieren die „fachlichen und technischen Konzepte“ die Lösung in einer definierten Lösungsversion: Sie sind versioniert und entsprechen inhaltlich den Anwendungsversionen. • Fachliche und technische Konzepte werden iterativ weiterentwickelt. • Die fachlichen Konzepte werden im Projektverlauf um die technischen Lösungskonzepte (Abbildung in den SAP- und ggfs. weiteren Fachverfahren) ergänzt und zusammen beschrieben. Innerhalb des Projektumfeldes wurden durch den LSBG mehrere zentrale Lösungskomponenten unter Beachtung der Leitlinien aufgebaut. Nachfolgend sind diese und deren Zusammenhänge erläutert. Eine Datenmanagementkomponente („Data Hub“), in dem die Daten für die relevanten Assetklassen aus verschiedenen vorgelagerten Informationsquellen eingelesen, auf Konsistenz geprüft und die technischen Objekte für das Objektverzeichnis - soweit möglich - regelbasiert und unter Einsatz verschiedener fortgeschrittener Algorithmen automatisch generiert werden. Der Data Hub verteilt die Daten in die relevanten Zielsysteme, d. h. in der ersten Ausbaustufe insbesondere in das S/ 4HANA System, und führt manuelle Änderungen an diesen Daten z. B. im S/ 4HANA im zentralen Data Hub Datenbestand nach. Ein zentrales Objektverzeichnis: Es enthält für alle Assetklassen und den Zuständigkeitsbereich des LSBG alle technischen Objekte mit ihren strukturellen Verbindungen (Hierarchien, netzartige Verknüpfungen) und für das Erhaltungsmanagement relevanten Informationen, insbesondere auch die Verortungs- und Geometriedaten der technischen Objekte. Das Objektverzeichnis definiert auch die Verbindung zu den kaufmännischen Anlagen in der Anlagenbuchhaltung der Kasse. Standardisierte Prozesse für das Projektmanagement sowie für die Daueraufgaben mit durchgängigem Objektbezug: D. h. alle relevanten Prozesse für das Erhaltungsmanagement wie z. B. die Mittel- und Langfristplanung für Straßen oder Brücken, die kurzfristige Bedarfs- und Aufgabenplanung, Zustandsermittlungen oder die Planung und Durchführung von Daueraufgaben und Projekten erfolgen mit Bezug zu technischen Objekten auf Basis des Objektverzeichnisses. Dabei werden insbesondere auch Lösungen bereitgestellt, um Kosten für den LSBG und die FHH von Maßnahmen in adäquater Weise objektgenau zuordnen und auswerten zu können. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 181 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Die letzte Komponente ist ein umfassende Berichtssystem für das objektbasierte Erhaltungs- und Projektmanagement. Es umfasst sowohl Reports für die Durchführung des operativen Geschäftes als auch analytische Anwendungen für übergreifende Analysen und die Berichterstattung an die Auftraggeber. Ergänzend werden auch Reports und Analysen für das Assetmanagement bereitgestellt. 3. Leitlinien für den Aufbau und Struktur des zentralen Objektverzeichnis Das Objektverzeichnis liefert ein anlageklassen-übergreifendes, gesamthaftes Verzeichnis der Anlageobjekte aus fachlicher und wertmäßiger Sicht. Es beschreibt einzelne Anlageobjekte und Beziehungen zwischen den Objekten in Form von hierarchischen Strukturen, im jeweiligen Netz und sonstige Verknüpfungen zwischen Objekten auch über Anlageklassen hinweg. Das zentrale Objektverzeichnis beschreibt Assets und ihre Beziehungen in Raum und Zeit und - wenn zweckmäßig - mit ihren modellhaften Repräsentationen (BIM, FE-Modelle etc.). Die grundsätzliche Konzeption des Objektverzeichnisses soll durch Abstraktion ein hohes Maß an Flexibilität für zukünftige Erweiterungen und die Skalierbarkeit auf weitere Anwendungen/ Assetklassen und größere räumliche und organisatorische Umfänge ermöglichen. Für die Abbildung gilt das Motto: „so einfach wie möglich, aber nicht einfacher“. Die konkrete Ausprägung des zentralen Objektverzeichnis erfolgt nach Bedarf, d. h. mit Blick auf definierte Anwendungsfälle. Dabei werden bei der Konzeption auch zukünftige, absehbare Anwendungsfälle berücksichtigt. Für die Abbildung verschiedener Assetklassen und damit sehr unterschiedlicher technischer Objekte ist es sehr wichtig, für alle diese Assetklassen gleiche Grundanforderungen an die Abbildung im Objektverzeichnis zu definieren. Zu jedem Asset existiert ein Minimalset an Informationen, das u. a. enthält: • Einen Schlüssel/ ID in der „Zentralen Objektverzeichnis“-Anwendung (SAP EAM). • Einen global eindeutigen Identifier (GUID) als Basis für die Interoperabilität mit anderen Fachverfahren. • Den Pflegestatus, der den Pflegezustand des Datensatzes beschreibt. • Den Freigabestatus, der die allgemeine Nutzbarkeit des Objektes / Assets beschreibt (mit Gültigkeitsperiode bzw. Versionierung). • Informationen zu „Asset-Partnerrollen“ wie z. B. Eigentümer des Assets, Betreiber des Assets, Eigentümer der Daten, Verantwortlicher für die Datenpflege etc. • Eine eindeutige Zuordnung zu einer Assetklasse. Das Objektverzeichnis ist konzeptionell so auszulegen, dass Assetklassen-spezifisch Objekte sowohl als punktuelle, linienförmige, flächige (2D, Polygone) als auch räumliche Objekte (z. B. Punktwolken aus Befliegungen, 3D-Modelle, 2.5D Modelle wie z. B. Oberflächen mit Auf bauinformationen aus Bohrkernen, Georadar etc.) mit ihren jeweiligen Eigenschaften abbildbar sind; auch Kombinationen dieser Sichten sollen möglich sein. Objekte werden, wenn immer es möglich und zweckmäßig ist, räumlich verortet. Bei allen verwendeten Nummerierungen ist eine „Codierung“ von Informationen („sprechende Schlüssel“) zu unterlassen. Nummern für Objekte sind zweckmäßig einfach aufzuzählen und Informationen wie z. B. Zuständigkeiten, Objektarten oder ähnliches in entsprechenden auswertbaren Feldern am abzulegen. Assets werden typischerweise in Hierarchien detailliert. Übliche Dimensionen für die Hierarchiebildung sind räumliche, technische oder funktionale Aspekte. Spezifische Leitlinien und Fachkonzepte hierzu werden pro Assetklasse definiert. Allgemein ist pro Assetklasse nur eine Asset-Hierarchie vorzusehen, also nicht parallel z. B. funktionale und räumliche Hierarchien. Allgemein soll die Granularität der Objekthierarchien so granular wie nötig (für die vorgesehenen Anwendungsfälle) und so allgemein (grob) wie möglich definiert werden. Die konkrete Datenpflege auf den unteren Ebenen muss flexibel auch für ausgewählte Gruppen von Assets möglich sein, um für erforderliche Anwendungen / Auswertungen die notwendigen Details verfügbar zu haben, ohne die feinteilige Datenpflege für einen großen Asset-Bestand zwingend notwendig zu machen. Für die meisten Assetklassen werden Auswertungen nicht nur auf Einzelobjektebene benötigt, sondern Auswertungen erstrecken sich auf Gruppen von Assets oder den Gesamtbestand der Assets einer Assetklasse. Für die Auswertungen werden dann häufig spezielle Kennzahlen gebildet, die Kenngrößen einzelner Assets/ Gruppen von Assets in Bezug zu dem Gesamtbestand oder Teilbeständen der Assets setzen; Bsp.: Anzahl oder Flächen aller Brücken in Gebiet xy oder Gesamt-Straßenfläche der Hauptverkehrsstraßen in FHH. Die Berechnung solcher übergreifenden Kennzahlen (Gesamtkenngrößen) setzt voraus, dass die entsprechenden Asset-Ebenen konzeptionell vollständig und nicht überlappend sind und außerdem der Datenpflegestand so vollständig und qualitativ belastbar ist, dass die berechneten aggregierten Bezugsgrößen belastbar sind. In der Konsequenz ist pro Assetklasse/ Asset-Hierarchie (1: 1 gemäß o.g. Richtlinie) bereits beim Design die Hierarchieebene zu definieren, auf denen solche Bezugsgrößen berechnet werden sollen. Diese Ebene wird im nachfolgenden „Referenzebene“ genannt. Pro Hierarchie ist eine Referenzebene zu definieren und der Entscheidungsprozess im Data Governance Konzept für das Objektverzeichnis zu dokumentieren. Die Objekte auf dieser Referenzebene müssen besondere Bedingungen erfüllen, die auf unteren Ebenen nicht notwendigerweise alle erfüllt werden müssen: • Vollständigkeit, konzeptionell und bzgl. Datenpflege (unvollständige Datenpflege führt zu Ungenauigkeiten in der Kennzahlenbildung) • Eindeutigkeit/ Überlappungsfreiheit (Abweichungen führen zu Ungenauigkeiten in der Kennzahlenbildung) • Auf der Referenzebene findet auch die Zuordnung zu den kaufmännischen Anlagen der Anlagenbuchhaltung der Kernverwaltung der FHH statt. 182 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem 4. Abbildung der Straßeninfrastruktur als Realflächenmodell Im Jahr 2013 hat der Hamburger Senat mit dem Aufbau eines Erhaltungsmanagementsystems für Hamburgs Straßen (EMS-HH) begonnen [2]. Zur Anlagenklasse Straßen gehören nicht nur die Fahrbahnen, sondern auch die Nebenflächen (Gehwege, Radwege, Straßenbegleitgrün, Verkehrsinseln), die Öffentliche Beleuchtung (ÖB), die Lichtsignalanlagen (LSA) sowie die Straßenentwässerung. I m Rahmen des EMS-HH legte der Senat im Jahr 2022 bereits den 4. Straßenzustandsbericht vor [3]. In den Straßenzustandsberichten wird regelmäßig nicht nur über den Zustand von Hamburgs Straßennetz, sondern auch über die Aktivitäten zur Umsetzung des operativen und strategischen Erhaltungsmanagements berichtet. Einführung und Umsetzung eines systematischen Erhaltungsmanagements haben bereits dazu geführt, dass eine weitere Verschlechterung des Zustands des Straßennetzes gestoppt und eine sichtbare Verbesserung des Gesamtzustands der Straßen erreicht werden konnte. Aufgrund des massiven Erhaltungsstaus war es dabei zunächst notwendig, eine hohe Priorität auf das operative Erhaltungsmanagement und die Umsetzung von Erhaltungsmaßnahmen zu legen. Gleichzeitig wurden Strukturen für ein strategisches Erhaltungsmanagement geschaffen und die Datengrundlagen wurden sukzessive verbessert. Mit der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“ [1] erfolgte eine Aktualisierung und Präzisierung der für die Anlagenklasse Straßen bereits vorhandenen Vorgaben. Bereits aufgebaute Strukturen können weiter genutzt werden. Für das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur ist eine Bewertung einzelner Straßenabschnitte essenziell. Nur so können Kennzahlen z. B. bezüglich der aktuellen Anlagenwert oder Restnutzungsdauer ermittelt werden. Zudem ist es für das Erhaltungsmanagement der Straßeninfrastruktur notwendig, dass die Anlagenbuchhaltung und die technische Datenhaltung für die Straßenabschnitte eine Kongruenz aufweisen. Dies bedeutet, dass die Abgrenzung der Objekte in beiden Fällen identisch sein muss. Hierzu erfolgt die Anwendung eines Realflächenmodells. Dieses wird in einem Pilotgebiet umgesetzt, um dieses auf seine Praxistauglichkeit und Anwendbarkeit zu prüfen. Das Pilotgebiet befindet sich im Bezirk Hamburg-Mitte (siehe Abb. 2). Die Fläche entspricht etwa 1 % der von Hamburgs Straßen. Abb. 2: Pilotgebiet der Assetklasse Straßen (LSBG B 12) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 183 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Die Anwendung eines Realflächenmodells wird notwendig, da das bisherige Knoten-Kanten-Modell insbesondere im Knotenpunktbereich, durch den Bezug auf die jeweilige Achse, Doppelungen oder fehlende Flächen aufweist. Anders als beim Knoten-Kanten-Modell sind beim Realflächenmodell keine Doppelungen oder fehlenden Bereiche vorhanden. Die Flächen können, z. B. bei Änderungen der Querschnittsgestaltung, schnell und einfach angepasst werden oder, z. B. die Nebenflächen, generalisiert werden. Grundlage für das Realflächenmodell ist eine aus den Aufgaben der Wegeaufsicht und der Pflege des Straßenbegleitgrüns heraus entwickelte Feinkartierung. Der Objektschlüsselkatalog wurde jedoch hierüber hinaus für weitere Anwendungsgebiete mit der damaligen Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU), heute Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA), dem Landesbetrieb Geoinformation und Vermessung (LGV) und der damaligen Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation (BWVI), heute Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM) abgestimmt. Die Grundlage bilden hochauflösende Luftbilder (Bestimmung der Materialien und Nutzung) und das Verwaltungsvermögen Tief bau (Begrenzung der Flächen bzw. Abgrenzung zu Flächen sonstiger Verwaltungsvermögen oder sonstigen Eigentümern). Hierdurch kann der gesamte Straßenraum durch flächenhafte Objekte (Polygone) nach Material und Nutzung differenziert werden. Die Feinkartierung stellt somit ein zentrales Element der Bestandsdatenerfassung dar. Durch die vollständig georeferenzierte flächenhafte Abbildung sind doppelt belegte Flächen ausgeschlossen. Dies bedeutet, dass eine saubere Flächenbilanz möglich ist. Die Summe der Flächen aller Objekte der Feinkartierung entspricht somit z. B. immer der Summe des zugewiesenen Objektes. Darüber hinaus ist eine räumliche Verschneidung mit weiteren Datensätzen wie Leitungsdaten, Zustandsdaten, Baumkataster etc. möglich. Anders als beim Knoten-Kanten-Modell sind im Realflächenmodell die Informationen nicht einer Straße bzw. Straßenachse (Kante) zugeordnet. Da aber sowohl für die Anlagenbuchhaltung als auch für die technische Datenhaltung eine eindeutige Zuordnung der Informationen zu den jeweiligen Straßen notwendig ist, werden Technische Objekte gebildet. Für die Assetklasse Straßen werden die in Tab. 1 dargestellten Technische Objekte genutzt. Die Objekte sind in der angeführten Reihenfolge von oben nach unten in eine TP-Hierarchie eingebunden. Tab. 1: Abbildung der Assetklasse Straßen Anlage Ref/ optional Ebene Objekt im SAP Straße obligatorisch +3 Technischer Platz Straßenabschnitt obligatorisch +2 Technischer Platz Flächenebene obligatorisch +1 Technischer Platz Flächenobjekt/ Teilanlage Referenzebene 0 Technischer Platz Flächensonderfunktion Optional -1 Technischer Platz Auf baudaten Optional -2 Equipment 5. Proof of Concept für eine Prognoseanwendung im kommunalen Bereich Eine wesentliche Funktion zum Erfüllen der Anforderungen der Drucksache Erhaltungsmanagement ist eine langfristige Planung von einzelnen Erhaltungsmaßnahmen aber auch Neu- und Ersatzneubauten. Nur so lässt sich für die jeweilige Assetklasse eine valide Prognose des Zustandes aber auch der notwendigen investiven und konsumtiven Haushaltsmittel aufstellen. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich auch wichtige Rückschlüsse für die Unternehmenssteuerung des LSBG ziehen. Gemäß der Drucksache „Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg“, soll sich „die Infrastruktur […] zu jedem Zeitpunkt in einem guten Zustand befinden. […] Definitionen der einschlägigen Regelwerke für die jeweilige Asset Klasse geben dabei Anhaltswerte für einen jeweiligen Zustandskorridor“ [1]. Hierzu ist eine langfristige Planung der Erhaltungsabschnitte sowie der entsprechenden Maßnahmen notwendig. Zur Aufstellung der hierzu benötigten personellen und finanziellen Ressourcen ist eine Prognose der Zustandsentwicklung notwendig. Im Rahmen des Proof of Concept wurde hierzu eine entsprechende Prognose- App entwickelt. Sofern die Zeitpunkte vergangener Maßnahmen bekannt sind, können anhand der Zustandsnoten Prognosen zu dem zukünftigen Verlauf und daraus folgend den Eingriffszeitpunkten gegeben werden. Hierdurch ist eine Planungssicherheit der jährlich benötigten investiven und konsumtiven Mittel für die nächsten Jahre möglich. Die hierzu benötigten Bestandsdaten werden derzeit in einer georeferenzierten Datenbank zusammengetragen. Bis zum Vorliegen vollständiger Bestandsdaten sind wissenschaftlich ermittelte Verhaltenskurven zur Ermittlung der Zustandsentwicklung nicht zielführend. Daher wird in einem ersten Schritt eine lineare technische Abnutzung über die zu erwartende Lebensdauer angewandt. Die einzelnen Schritte der Prognose-App erfolgen in Anlehnung an das im Fernstraßenbereich angewandte Pavement-Management-System (PMS). Die verschiedenen 184 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Informationen wie Zustands- und Auf baudaten werden in der Anwendung zusammengeführt und Bedarfe objektscharf prognostiziert. Diese dienen als Grundlage für die Planung konkreter Erhaltungsmaßnahmen im SAP- System. In zukünftigen Prognosen werden diese bereits geplanten aber noch nicht umgesetzten Maßnahmen berücksichtigt (siehe Kapitel 6). Der aktuelle Zustand sowie die Prognose der Zustandsentwicklung für die Fahrbahn und Nebenflächen soll hierbei zukünftig separat erfolgen. Dies ist notwendig, da sich diese in ihrer voraussichtlichen Nutzungsdauer als auch im Instandhaltungsintervall voneinander unterscheiden. So werden die Fahrbahnen etwa alle 10-15 Jahre mit einer neuen Asphaltdeckschicht instandgesetzt und zusätzlich etwa alle 20-25 Jahre die Asphaltbinderschicht erneuert. Diese Instandsetzungsarbeiten sind notwendig, um die angestrebte Nutzungsdauer von 40 Jahren zu erreichen. Im Gegensatz hierzu sind Instandsetzungsarbeiten bei den oftmals in Pflasterbauweise hergestellten Nebenflächen innerhalb der Nutzungsdauer nicht so häufig notwendig. Die Bewertung des Zustandes der Fahrbahnen erfolgt anhand einer messtechnischen Zustandserfassung und -bewertung (ZEB). Diese wird in Hamburg auf den HVS bereits seit 2003 regelmäßig durchgeführt. Hamburg war somit eine der ersten deutschen Kommunen, die die Straßenverkehrsinfrastruktur überprüfen ließ. Die Systematik und Vorgehensweise einer ZEB sind in Drucksache EMS-HH [2] beschrieben. Grundlage dieser Verfahren sind die in dem Regelwerk „Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen“ (E EMI 2012) bei der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen [4] festgehaltenen Hinweise. Damit bewegt sich die ZEB in Hamburg auf methodisch sicherem Fundament. Für die Bewertung der Nebenflächen gibt es keine vergleichbaren Regelwerke zur ZEB der Fahrbahnen. Diese müssen erst noch entwickelt werden. So wird zur Erfassung und Bewertung des baulichen Zustands von Radverkehrsanlagen in der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen unter aktiver Beteiligung des LSBG an bundesweit einheitlichen Standards gearbeitet. 6. Integrierte Bedarfsplanung Insgesamt gilt es zukünftig aus verschiedenen Blickwinkeln ein Gesamtportfolio an Projekten und Daueraufgaben bzw. Infrastrukturassets zu steuern. Insgesamt ist es die Aufgabe des Assetmanagements den für die FHH bestmögliche Lösung aus allen Anforderungen zu finden. Hierfür ist eine gemeinsame Datengrundlage aller Beteiligten und die Möglichkeiten zur Auswertung und Aufbereitung in den SAP-Modulen aber auch der SAP Analytics Cloud (SAC) wichtig. Abb. 3: Vision eines kollaborativen und integriertem Assetmanagement (LSBG Vezer) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 185 Auf dem Weg zu einem intelligenten Assetmanagementsystem Für das SAP-System des LSBG kommen die operativen Daten zu Maßnahmen aus den Modulen EPPM und EAM. Für die langfristige Prognose des Zustandes von technischen Objekten und davon abgeleiteten Maßnahmen werden heute verschiedene Anwendungen benutzt. Im Rahmen des Proof of Concept wurde eine eigene Prognose App (EMS App) entwickelt (siehe Kapitel 5). Alle Informationen aus diesen Anwendungen laufen auf dem DataHub zusammen und aus diesem heraus werden für die freigegebenen Prognosen Bedarfe im EAM angelegt. Hierfür wird die Meldungsart „Bedarfsmeldung“ für alle Assetklassen verwendet. Der operative Assetmanager findet nun im EAM sowohl aktuelle Schadensmeldungen aus der Zustandserfassung als auch die prognostizierten Bedarfe. Auf dieser Basis kann nun die technische objektscharfe Bedarfsplanung durchgeführt werden. Dabei stehen auch alle Informationen zu nicht zustandsinduzierten Maßnahmen bereit. Diese können bei der Entscheidung ebenfalls berücksichtig werden. Der konkrete technische Bedarf kann dann mit einem entsprechend passenden SAP Businessobjekt an den jeweiligen Realisierungsverantwortlichen weitergegeben werden. Zustands- und Bedarfsprognosen sollen nach der Drucksache Erhaltungsmanagement jährlich aktualisiert werden. Daher sind einige Festlegungen für den Umgang mit den Bedarfsmeldungen im SAP-System notwendig. Unbearbeitete Bedarfsmeldungen werden mit der Veröffentlichung der aktualisierten Prognose abgeschossen. Die bereits bearbeitete Bedarfsmeldungen, die bereits in Erhaltungsmaßnahmen weiter beplant wurden, können wiederum in der Prognoseprozess mitberücksichtigt werde. Durch die Nutzung des SAP-Standard Lebenszyklus der Bedarfsmeldung sind Analysen über die Veränderung der jeweiligen Prognosen und eine Historisierung möglich. Alle Funktionen der Bedarfsplanung sind in den jeweiligen SAP-Modulen im Standard grundsätzlich technisch möglich. Es hat sich aber im PoC gezeigt, dass dieser Prozess nicht besonders benutzerfreundlich ist. Daher wurde beschlossen, dass für diese, für das Erhaltungsmanagement besonders herausragende Tätigkeit, eine eigene App mit einem besonderen Augenmerk auf die Benutzerfreundlichkeit bei der Anzeige von vielen Meldungen und Informationen zu den Technischen Objekten aber auch durch Unterstützung bei der Anlage von IH-Aufträgen bzw. EPPM-Projekten und der Verknüpfung zu den Technischen Objekten mit Objektverknüpfungen im SAP zu unterstützen. Ziel ist es, dass der Operative Assetmanager sich auf die fachliche Arbeit und nicht auf die Bedienung des SAP-System fokussieren muss. 7. Weitere Entwicklungsmöglichkeiten Im Jahr 2023 liegt der Fokus auf der Einführung des neuen SAP-Systems und dem damit verbundenen Change in vielen Arbeitsprozessen. Für die Weiterentwicklung der Prognoseanwendung werden noch viele unterschiedliche weitere Daten mit konkretem Objektbezug benötigt. Das Objektverzeichnis für die Straßen mit weiteren Informationen, im Besonderen zu den Nebenflächen anzureichern wird eine wichtige Aufgabe für die Folgeprojekte sein. Herausfordernd wir hier sein, dass z. B. für die Zustandsbeurteilung für die Nebenflächen auch eher subjektive Faktoren wie das Sicherheitsgefühl und die Attraktivität für den Radverkehr mit aufgenommen werden sollen. Diese zu standardisieren, vergleichbar zu machen und um großen Umfang für die Stadt Hamburg zu erfassen wird eine große Aufgabe werden. Aber auch fehlende Daten zu dem Auf bau und Alter der Straßenobjekte gilt es aus Bestandsdaten zu ermitteln oder sich Annahmen zu treffen. Auf Basis der objekthaften Projektdaten lassen sich auch neue Möglichkeiten für die Prognose von Maßnahmekosten entwickeln. Insgesamt ist mit der Einführung des neuen SAP-Systems in der jetzigen Form ein solides Fundament für die zukünftige Entwicklung des Assetmanagements der Hamburger Infrastruktur gelegt worden. Literatur [1] Grundsätze des Erhaltungsmanagements der Freien und Hansestadt Hamburg. 21/ 13592. 26.06.2018. 1561.indd (buergerschaft-hh.de) [2] Stellungnahme des Senats zum Ersuchen der Bürgerschaft vom 27. März 2013 „Hamburg braucht einen Masterplan zur Sanierung von Gehwegen, Radwegen und Straßen (Drucksache 20/ 6988) Haushaltsplan 2013/ 2014 Einzelplan 7 Behörde für Wirtschaft, Verkehr und Innovation Nachforderung von Haushaltsmitteln in Höhe von 2 Mio. Euro im Jahr 2014 bei dem neu einzurichtenden Titel 7200.741.87 „Erhaltungsmanagement und Instandsetzung Hamburger Straßen, Zweckzuweisung an die Bezirke“ Erhaltungsmanagementsystem für Hamburgs Straßen (EMS-HH). 20/ 10333. 17.12.2013. 3052.qxd (buergerschaft-hh.de) [3] Straßenzustandsbericht 2022. 22/ 9898. 08.11.2022. 2173.indd (buergerschaft-hh.de) [4] Empfehlungen für das Erhaltungsmanagement von Innerortsstraßen (E EMI 2012). Ausgabe 2012. Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV). BIM- Datenmodell 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 189 OKSTRA ® und IFC - Status 2023 Dr.-Ing. Rico Steyer AKG Software Consulting GmbH, Heitersheim Štefan Jaud, M. Sc. The Hard Code GmbH, Moorenweis Zusammenfassung Das OKSTRA ® -Datenformat wurde im Rahmen eines Forschungsprojektes der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) für das Straßenwesen in Deutschland entwickelt. Die Anwendung des OKSTRA® ist in Deutschland Standard für Projekte im Straßenwesens des Bundes und der Länder. Die Idee dahinter bestand im zuverlässigen und verlustfreien Datenaustausch von Projekten im Straßenwesen zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Der OKSTRA ® (Objektkatalog Straßenwesen) ist ein sehr detailliert definiertes Datenformat und wird seit dieser Zeit durch eine neutrale Pflegestelle gepflegt und weiterentwickelt. Mit ähnlichen Zielen wird der internationale IFC-Datenstandard entwickelt, der von zentraler Bedeutung für die BIM-Arbeitsmethodik ist. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim IFC um ein Datenschema, welches seinen Ursprung im Hochbau hat, und einen Hersteller- und Produktunabhängigen Datenaustausch im gesamten Bauwesen ermöglichen soll. Der Bericht beantwortet die Fragen, was sich in den zurückliegenden 4 Jahren beim OKS- TRA® und IFC getan hat und wie die Nutzbarkeit beider Datenformate bei Infrastrukturprojekten aus heutiger Sicht einzuschätzen ist. Thematisch werden damit die Entwicklungen beim OKSTRA® (bis Version 2.020) und die Erweiterung des IFC-Datenschemas für die Infrastruktur (Version IFC4.3) dargelegt. 1. Einführung Bereits beim OKSTRA-Symposium 2018 beschäftigte sich ein Vortrag mit einem Vergleich zwischen Objektkatalog Straßenwesen (OKSTRA ® ) und Industry Foundation Classes (IFC) als BIM-konformen Datenformat, das für die Infrastruktur erweitert wird. Die Ergebnisse dieses Vortrages können verkürzt damit zusammengefasst werden, dass OKSTRA ® ein sehr detailliert definiertes Datenformat für den Straßenbau ist und in Deutschland flächendeckend angewandt wird. Im Gegensatz dazu handelt es sich beim IFC um ein Datenschema, welches seinen Ursprung im Hochbau hat, und einen Hersteller- und Produktunabhängigen Datenaustausch im Bauwesen ermöglichen soll. Die Weiterentwicklung des IFC- Datenschemas stand damals noch am Anfang, so dass erwartungsgemäß eine praktische Anwendung des IFC- Datenformates für Infrastrukturprojekte in Deutschland nicht empfohlen werden konnte. Hauptergebnis des Vergleiches zwischen OKSTRA ® und IFC im Rahmen des OKSTRA-Symposiums 2018 war, dass es zwischen beiden Datenformaten erhebliche Unterschiede gibt und diese bestimmen, welches Datenformat für welchen Anwendungsfall am besten geeignet ist. Als Handlungsempfehlungen aus dem Vergleich zwischen OKSTRA ® und IFC für die Weiterentwicklung des OKSTRA ® wurden von (Frei, 2018) die folgenden Schwerpunkte herausgearbeitet: • Integration von BIM-Anforderungen in den OKS- TRA ® (Volumenkörper, generische Objekte, Objektattribuierung), • Erhöhung der Akzeptanz des OKSTRA ® durch Schaffung einer Zertifizierung, • Ausbau des parametrisierten Modells, z.B. des Deckenbuches, • Übernahme möglichst großer Teilmengen der OKS- TRA ® -Objektdefinition in die neu zu schaffenden IFC-Infrastrukturobjekte! Frei (2018) schlussfolgert, dass mit einer konsequenten Weiterentwicklung des OKSTRA ® nach diesen Vorschlägen erreicht wird, dass es nicht um die Frage OKSTRA ® oder IFC geht, sondern dass sich beide Datenformate/ schemen ergänzen, frei nach dem Motto OKSTRA ® und IFC. Zur Beantwortung der Frage, ob diese Empfehlungen zur Weiterentwicklung des OKSTRA ® in den letzten 4 Jahren erfolgreich umgesetzt werden konnten, ist es notwendig zu analysieren, welche Entwicklungsschritte in den letzten Jahren im OKSTRA ® und dem IFC unternommen wurden. Haben sich die beiden Datenformate einander angenähert oder gibt es Unterschiede, die sich ggf. auch mit mittel- oder langfristiger Perspektive nicht oder nur sehr schwer beheben lassen? 2. Entwicklungen im Objektkatalog Straßenwesen (OKSTRA ® ) Der Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen OKSTRA® ist eine Sammlung von Objekten aus dem Bereich des Straßen- und Verkehrswesens mit dem Ziel ein gemeinsames und einheitliches Verständnis dieser Objekte aus den betroffenen Fachbereichen zu erreichen. Die konsequente Anwendung des OKSTRA ® führt zu einem standardisierten Austauschformat zwischen den unterschiedlichen Projektbeteiligten sowie auch zwischen den unterschiedlichen Softwareapplikationen aus dem Straßen- und Verkehrswesen. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass der OKSTRA ® als Datenaustauschformat 190 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 zu verstehen ist, welches den Status eines Projektes zu einem bestimmten Zeitpunkt/ Meilenstein darstellt. In diesem Sinne ist dies als Analogie zum gebräuchlichen PDF-Format für Textdokumente zu verstehen. Damit besteht gleichfalls eine Parallele zum IFC-Datenschema, zumindest so lange der Anwendungsfall „Design to Design“ nicht umgesetzt werden kann. Der Objektkatalog für das Straßen- und Verkehrswesen wurde durch das allgemeine Rundschreiben Straßenbau 12/ 2000 des Bundesverkehrsministeriums für den Bereich der Bundesfernstraßen offiziell eingeführt. Dieses Rundschreiben wurde später durch das allgemeine Rundschreiben Straßenbau 24/ 2010 ersetzt. Der im Oktober 2021 erschienene Masterplan BIM Bundesfernstraßen (BMVI, 2021) listet neben dem Datenschema IFC auch den Objektkatalog Straßenwesen (OKS- TRA ® ) als BIM-konformes Datenformat auf. OKSTRA ® verfügt für den Straßenentwurf/ Straßenbau über eine sehr große Detailtiefe. Dies zeigt sich auch bei der Weiterentwicklung des OKSTRA ® -Klassenbibliothek (OK- LABI) in den Jahren 2018 bis 2020. 2.1 Objektklassenbibliotheken (OKLABI) Eine Vielzahl von OKSTRA ® -Schemen und Objektarten wurden in den letzten 4 Jahren neu entwickelt. Gleichfalls wurden viele neue Attribute schon existierenden Objektarten zugeordnet. Beispiele sind z.B. Anpassung an die ASB 2.04 (Anweisung Straßeninformationsbank) und die neue ASB-ING (Segment Bauwerksdaten) sowie die Aufnahme der REB-VB 21.000 und REB-VB 22.000 im Bereich der Mengenberechnung/ Bauabrechnung. Die Weiterentwicklung des OKSTRA ® berücksichtigte auch die BIM-Methodik. Ziel ist es, eine zu IFC vergleichbare Möglichkeit für die Abbildung generischer volumenbasierter 3D Geometrieobjekte mit zugeordneten semantischen Informationen zu schaffen. Diese können als Grundlage eines OKSTRA ® -basierten Modellaustausches von 3D-Straßenplanungsmodellen dienen. Die OKSTRA®/ IFC-Expertenworkshops im Rahmen des Projektes BIM4Infra2020 lieferten dazu Empfehlungen zur OKSTRA ® -Schemaerweiterungen, die inzwischen auch teilweise umgesetzt wurden. In den Tabellen 1-3 sind die Weiterentwicklungen der OKLABI-Versionen 2018 bis 2020 aufgelistet. OKLABI 2018: Tabelle 1: Änderungsanträge OKLABI 2018 (Quelle: www.okstra.de/ Änderungsanträge) Antrag Titel und Inhalt A0117 Erweiterung des Datenmodells zur Zustandserfassung für Radwege A0123, A0126 Änderungen im Datenschema „Grundwerb“: Detailänderungen in den Wertekatalogen der Schlüsseltabellen Erwerbsart, Erwerbszweck und Personenklasse, Verwendung von ALKIS-Nutzungsarten in der Objektart Nutzungsart. A0130 Änderungen und Erweiterungen zur präziseren Beschreibung und Bewertung der verkehrlichen Situation in einer „Arbeitsstelle_an_Strassen“. Einführung der komplexen Datentypen: standardisierte_ Bewertung_ Arbeitsstelle, Baubetrieb_ Arbeitsstelle und Eigenschaften_ Fahrtrichtung A0133 Ergänzung des Höhenbezugssystems DE_DHHN2016_NH im OKSTRA ® , Erweiterung der Schlüsseltabelle „Koordinatenreferenzsystem_Hoehe“ um den Schlüsselwert DE_DHHN2016_NH. A0137 Ein neues Schema „S_Pruefdaten“ wird vorgeschlagen, welches mit einigen neuen Objektarten den Kern der neuen Modellierung bildet. Die meisten Informationen bzw. Prüfdaten werden in komplexen Datentypen gespeichert, welche - teils über mehrere Ebenen - unterhalb der neuen Objektarten angesiedelt sind. Einige neue Datentypen wurden eingeführt und kleinere Ergänzungen und Änderungen am vorhandenen OKSTRA ® -Modell vorgenommen. A0138 Korrekturen am Datenschema Kostenmanagement im Rahmen der Qualitätssicherung und Fehlerbehebung zur Modellierung der AKVS 2014. Insgesamt handelt es sich um 7 unterschiedliche Maßnahmen, z.B. Ergänzung einer Objektart Baulosbeteiligung, Ergänzung eines optionalen Attributes Nr_ Baulos in der Objektart Baulos, Umbenennung verschiedener Attribute, Ergänzungen weiterer Attribute etc. A0140 Anpassung der Objektart „Leistungsbeschreibung“ aus dem OKSTRA ® -Schema „S_Kostenmanagement“ durch Erweiterung der Regeln zur Attributbelegung. Die Änderungen resultieren aus Defiziten des Datenaustauschs über den OKSTRA ® 2.017 im Bereich Modellierung der Komponente S_Kostenmanagement. A0131, A0134, A0031 Anpassung des OKSTRA ® an die Anforderungen von Intelligenten Verkehrssystem (IVS) mit dem Ziel durch OKSTRA ® Straßendaten für die IVS zur Verfügung zu stellen. Die Anforderungen wurden im Rahmen des Forschungsprojektes „Entwicklung eines Verfahrens zur optimierten Zugänglichkeit von kartenrelevanten Straßendaten für IVS“ (FE 03.0500/ 2012/ IRB) erarbeitet und gemäß den Vorschlägen des Forschungsprojektes im OKSTRA ® umgesetzt. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 191 OKSTRA® und IFC - Status 2023 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass insgesamt 8 Änderungsanträge in den OKLABI 2018 aufgenommen wurden. Diese umfassen die Fachbereiche Betrieb, Grunderwerb, Vermessung, Arbeitsstellen-Management, Prüfdaten, Kostenmanagement und Intelligente Verkehrssysteme. Bei allen Änderungsanträgen lässt sich ein direkter oder mindestens indirekter Bezug zur BIM- Methodik erkennen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um semantische Informationen, die definierten Fachobjekten/ Fachbedeutungen zugewiesen werden. OKLABI 2019: Tabelle 2: Änderungsanträge OKLABI 2019 (Quelle: www.okstra.de/ Änderungsanträge) Antrag Titel und Inhalt A0143 Ergänzung des OKSTRA ® , um Griffigkeitsmessungen mit SKM abzubilden. Dafür werden die Objektarten SKM_ Messung und SKM_Oberfläche einschließlich dafür notwendiger Schlüsseltabellen und Datentypen eingeführt. Bezogen auf die BIM-Methodik (Betriebs-Modell) stellt sich hier der Bezug von semantischen Informationen her, die Rückschlüsse über die Griffigkeit der Fahrbahnoberfläche erlauben. Die Griffigkeit der Straßenoberfläche ist sicherheitsrelevant und deshalb ein wichtiges Kriterium für des Betrieb und die Erhaltung von Straßen. A0135, A0136 Aktualisierung des Schemas „Liegenschaftsverwaltung“, mit Überarbeitung der Schemata „Grunderwerb“ und „Organisation“. Dies wurde notwendig, um erweiterte Informationsanforderungen der Nutzer zu berücksichtigen, aktuelle von historischen Daten zu unterscheiden, Verknüpfungen mit anderen Datenschemata (SIB, BW-SIB, etc.) zu gewährleisten, sowie die Umstellung des Liegenschaftskatasters auf ALKIS zu realisieren. Auswirkungen auf die Verknüpfungen des Schemas „Liegenschaftsverwaltung“ mit den Schemata „Grunderwerb“, „Kataster“ (ALKIS), „Landschaftsplanung“ (Kompensationskataster), „Straßennetz“ (Lokalisierung Straße zu Flurstück), „Straßenverzeichnis“ und „Bauwerk“ (Lokalisierung Bauwerk zu Flurstück) waren zu berücksichtigen. A0142 Überarbeitung des Schemas „Bauwerke“ sowie der Objektarten ASB_Objekt und Dokument nach den neuen „Anweisungen Straßeninformationbank - Segment Bauwerksdaten (ASB-ING)“. Die ASB- Ing wurde im Rahmen der Neugestaltung der SIB-BW grundlegend überarbeitet und war im „alten“ OKSTRA ® (bis OKLABI 2018) nicht abbildbar. Die Überarbeitung erlaubt die Abbildung der neu definierten Klassen und Relationen im OKSTRA ® . A0145 Anpassung des Datenschemas Prüfdaten wegen der Fortschreibung von Regelwerken und der Notwendigkeit einer flexibleren Modellierung im OKSTRA ® . Es wurden eine Vielzahl von Datentypen. Objektarten und Schlüsseltabellen den erweiterten Anforderungen der Prüfrichtlinien angepasst. Diese spielen bei der Qualitätssicherung vor allen beim Bau und der Unterhaltung von Straßen eine große Rolle. A0147 Anpassung des Datenschemas „Kostenmanagement“ infolge der Anweisung der Kostenermittlung und zur Veranschlagung von Straßenbaumaßnahmen, Ausgabe 2014 (AKVS 2014). In diesem Zuge wurde z.B. die Objektart AKVS_ Projekt mit den Attributen „Straße_Abschnitt_Station“, der „Brueckenflaeche“, der „Tunnellaenge“, „Troglaenge“ und „Wandflaeche“ erweitert. Damit entstand z.B. die Pflichtrelation zwischen der Objektart Formblatt und der Objektart Leistungsbeschreibung. Im OKLABI 2019 wurden 5 Anpassungen in den Fachgebieten Betrieb, Liegenschaftsverwaltung / Asset Management, der Modellierung von Ingenieurbauwerken nach ASB-ING, der Prüfdaten von Straßen infolge von Regelwerkserweiterungen sowie dem Kostenmanagement nach AKVS2014 vorgenommen. Es wird deutlich, welche große Modelltiefe und Detaillierung der zugehörigen semantischen Informationen notwendig ist, um Straßenverkehrsanlagen in allen Leistungsphasen nach den geltenden technischen Regeln in Deutschland zu modellieren. Das international ausgerichtete IFC-Datenschema für Infrastruktur kann nur viel allgemeiner als Basis oder Fundament (für Klassen/ Objekte und Merkmale/ Attribute) dienen, welches durch regionale Regeln ergänzt wird. Hier kann der OKSTRA ® eine wertvolle Grundlage sein. OKLABI 2020: Im OKLABI 2020 wurden 7 Änderungsanträge aus den Bereichen Kostenmanagement. Mengenberechnung (REB21.000 und REB22.000), Volumengeometrie-Attribute, Prüfdaten von Straßen und die Anpassung des OKSTRA an die ASB 2.04 vorgenommen. Nachfolgend werden wegen dem direkten Bezug zur BIM-Methodik 3 Änderungsanträge detaillierter beschrieben. Die verbleibenden 4 Änderungsanträge werden in Tabelle 3 zusammengefasst. • Änderungsantrag A0139: Einführung von Volumengeometrie-Attributen: Die Anwendung der BIM Methodik erfordert die Erstellung und Nutzung von 3D- Objekten und Modellen. Diese sind nicht nur in der Planungs- und Bauphase zu nutzen, sondern werden in allen Phasen des Lebenszyklus angewendet. Ge- 192 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 rade bei der Erstellung von Bestandsdokumentationen und Bestandsmodellen, kommen diese zum Einsatz. Der Änderungsantrag verfolgt deshalb das Ziel, geeigneten OKSTRA®-Objektarten ein zusätzliches optionales Volumengeometrie-Objekt hinzuzufügen, um die Objekte für die Anwendung in der BIM-Methodik nutzbar zu machen. Dies erfordert eine generische Grundstruktur, die derzeit im OKSTRA® nicht vorhanden ist. Daher fehlt es auch an Objekt-/ Eigenschafts-Vorlagen, die projektbezogene Vorgaben in einer generischen Struktur erlauben. Im Änderungsantrag A0139 wurde die folgenden Aufgaben definiert: • Nutzung der in früheren OKSTRA®-Versionen verfügbaren 3D-Volumengeometriebeschreibungsmöglichkeiten auf Grundlage von GML. Konkret bedeutet dies die Ergänzung von Volumengeometrie-Attributen an der Objektart Aufbauschicht, zu der bis zu den OKSTRA-Versionen 1.015 / 2.015 bereits die Volumengeometrie angegeben werden konnte. Als weitere Objektarten sind Sensor, Aufstellvorrichtung_Schild, Leitung, Gebäude, Geschoss, Mauerabschnitt, Öffnung und Zaun vorzusehen. • Integration einer zu IFC vergleichbaren Möglichkeit zur Abbildung generischer Objekte und deren zugehörigen (erweiterbaren) Eigenschaften (vgl. IfcBuildingElementProxy und IfcPropertySet). Dies bedingt die Einführung eines neuen Teilmodells zur Abbildung einer generischen Objektstruktur. Damit könnten auch freie Objekte, die nicht im OKSTRA Katalog vorgegeben sind, übertragen werden. Neben der BIM Thematik könnte dies auch für die Berücksichtigung der neuen RAS-Verm-Objekte genutzt werden. • Übertragung von Objekten und Objekteigenschaften durch Templates basierend auf der neuen generischen Objektstruktur ähnlich des IfcPropertySetTemplate. Die Umsetzung könnte durch ein neues Teilmodell bzw. die Definition eines separaten Datenschemas erfolgen. Der OKSTRA ® erlaubt die Beschreibung von Objekten volumenbasiert mit 3D-Geometrien. Damit können die in den Straßenentwurfsprogrammen erstellten 3D-Modelle auch mit dem OKSTRA ® auf Grundlage der GML-Möglichkeiten übertragen werden. Mit dem OKLABI 2020 wurde Punkt 1 des beschriebenen Änderungsantrags A0139 umgesetzt. • Änderungsantrag A0149: Aufnahme der neuen REB21.000 zur Mengenermittlung/ Bauabrechnung in den OKSTRA®. Dabei sind die OKSTRA®-Objektarten Berechnung_REB_22013, Mengendefinition und Profillinie anzupassen und neue OKSTRA®- Objektarten zu definieren. So wurden die Objektarten Berechnungsabschnitt_V, Berechnungssabschnitt_O, Berechnungsbereich_V, Berechnungsbereich_O, Teilfläche_REB_21000, Teilfläche_V, Teilfläche_O, Strecke_REB_21000 eingefügt. Die neue Objektart Berechnungsabschnitt_V beschreibt das aus den Querprofilen zu berechnende Volumen und erbt von der Objektart Mengendefinition. Ein Berechnungsabschnitt setzt sich aus einem oder mehreren Berechnungsbereichen (Objektart Berechnungsabschnitt_V) zusammen. Das optionale Attribut „Ergebnis“ (Datentyp Kubikmeter) enthält das Ergebnis der Mengenberechnung. Analog ist das Prinzip zwischen den Berechnungsabschnitt_O und den Berechnungsabschnitt_O dessen optionales Attribut „Ergebnis“ (Datentyp Quadratmeter) das Ergebnis der Mengenberechnung enthält, siehe Abbildung 1 Berechnungsabschnitt_V Berechnungsabschnitt_O Abbildung 1: Objektart Berechnungsabschnitt_V und Berechnungsabschnitt_O (Änderungsantrag A0149, Dokument N0191.pdf, www.okstra.de) • Änderungsantrag A0152: Aufnahme der neuen REB22.000 „Mengenermittlung/ Bauabrechnung“ in den OKSTRA®. Dazu bedarf es neuer Objektarten sowie der Anpassung der existierenden OKSTRA®- Objektarten allgemeines Punktobjekt, Bruchkante und DGM. Im Rahmen dieses Änderungsantrages wird die Objektart allgemeines_Volumenobjekt eingeführt. Es vervollständigt den im OKSTRA® bereits vorhandenen Satz allgemeiner Geometrieobjekte. Das optionale Attribut „Volumengeometrie“ (Datentyp GM_MultiSolid) beinhaltet die ggf. auch mehrteilige Volumengeometrie. Das Pflichtattribut „fachliche Bedeutung“ (Datentyp CharacterString) dient der Zuordnung der Fachbedeutung aus einer Fachbedeutungsliste. Im Rahmen der Einführung des allgemeinen Volumenobjektes wurde die neue Symbolart „Volumen“ definiert. Diese wird für die Fachbedeutungen vergeben, die in allgemeinen Volumenobjekten verwendet werden. Die beiden Objektarten OF_ Berechnung und V_Berechnung wurden ebenfalls neu eingeführt. Die Objektart OF_Berechnung dient zur Darstellung der Oberflächen, wobei diese wahlweise aus einem digitalen Geländemodell (DGM), einem DGM im Bereich eines Abrechnungspolygons oder aus dem von einem Abrechnungspolygon eingeschlossenem Flächeninhalt entstehen.Die Objektart V_Berechnung dient zur Darstellung von zu berechnenden Rauminhalten. Die Rauminhalte können 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 193 OKSTRA® und IFC - Status 2023 ermittelt werden als Auftrag und Abtrag zwischen zwei DGM bzw. zwischen einem DGM und einer Horizontalebene (außerhalb und innerhalb eines Abrechnungspolygons) oder dem Rauminhalt zwischen zwei Horizontalebenen im Bereich eines Abrechnungspolygons. Dabei können die DGM’s durch Höhenversätze optional verschoben werden. Abbildung 2 beinhaltet die Darstellung der OKSTRA®-Objektart V_Berechnung Abbildung 2: Objektart V_Berechnung (Änderungsantrag A0152, Dokument N0193.pdf, www.okstra.de) Mit den beiden eindeutigen Relationen „Ergebnisgeometrie_Auftrag“ und „Ergebnisgeometrie_Abtrag“ zum neuen allgemeinen Volumenobjekt können der Auftrag und der Abtrag als 3D-Volumenkörper angegeben werden. Der Geometrie- Datentyp GM_MultiSolid ermöglicht, dass beide Ergebnisgeometrien auch aus mehreren getrennten Körpern bestehen können. Die ermittelten Rauminhalte werden durch die (optionalen) Attribute „Auftrag“ und „Abtrag“ vom Datentyp Kubikmeter ausgegeben. 194 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 Tabelle 3: Änderungsanträge OKLABI 2020 (Quelle: www.okstra.de/ Änderungsanträge) Antrag Titel und Inhalt A0144 Anpassung der OKSTRA® an die ASB, Version 2.04. Es war notwendig, die Modellierung der OKS- TRA®-Objekte bei auftretenden Widersprüchen zur ASB, Version 2.04 anzupassen, so dass die OKSTRA®-Objekte mit den neuen Objekten der ASB, Version 2.04 korrespondieren. Im Vergleich zur Vorgängerversion 2.03 wurde die ein neues Segment „Datenqualität“ eingeführt, dass auch in allen anderen Segmenten verwendet werden muss. Das Segment „Entwässerung“ wurde vollständig neu überarbeitet, und ein neues Höhenbezugssystem (Kernsegment, Grund- und Aufriss) eingeführt. A0150 Aktualisierung des Datenschemas „Prüfdaten“ zur Prüfung von Baustoffen im Straßenbau. Motivation für diesen Änderungsantrag waren die Entwicklung eines IT-Prüfprogramms für Baustoffe. Anpassungen waren hier sowohl bei den Objektarten, den Datentypen und den Schlüsseltabellen notwendig. Einzelne neue Attribute, in der Regel aus verwaltungstechnischen Gründen wurden verschiedenen Objektarten zugewiesen. Die Schlüsseltabellen wurde um weitere Werte (Attributwerte), z.B. um zusätzliche Körnungen ergänzt. A0153 Aktualisierung des Datenschemas „Prüfdaten“ zur Prüfung von Baustoffen im Straßenbau. Zukünftige Veränderungen in der ZTV Asphalt StB im Bereich der Eignungsnachweise erfordern die Anpassung der Objektart Eignungsnachweis_Asphalt. A0154 Anpassung der Objektart Leistungsbeschreibung im Datenschema „S_Kostenmanagement“, um die Neufassung des KBK (vom 07.02.2020) im OKSTRA® umzusetzen. Dies ermöglicht die Eintragung von Homogenbereichen mittels Platzhaltertexten in Leistungsbeschreibungen. Ziel war es, die in der neuen ZTV Asphalt StB vorgesehenen Verfahren zur Erstellung von Eignungsnachweisen, die aus Proben von mehreren Asphaltmischwerken resultieren und aus mehreren Erstprüfungsergebnissen entstehen, im OKSTRA® zu ermöglichen. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die inhaltliche Tiefe des OKLABI 2020 durch die Änderungsanträge weiter zugenommen hat und der OKSTRA ® an neue geltende Richtlinien in Deutschland angepasst wurde. Durch die Umsetzung von Punkt 1 des o.g. Änderungsantrags A0139 im OKLABI 2020 wurden konkrete Ergebnisse der OKSTRA-IFC-Expertenworkshops umgesetzt und die BIM-Methodik im OKSTRA ® abgebildet. Festzuhalten bleibt jedoch, dass die im Änderungsantrag beschriebenen Ergänzungen des OKSTRA ® um die Abbildung generischer Objekte und deren zugehörigen (erweiterbaren) Eigenschaften sowie die Übertragung von Objekten und Objekteigenschaften durch Templates im OKLABI 2020 nicht umgesetzt wurden. Es bleibt zu hoffen, dass dies in zukünftigen Versionen des OKLABI vorgenommen wird. OKLABI 2020: Die in der Tabelle 4 aufgelisteten Änderungsanträge befinden sich gegenwärtig in der Umsetzung und werden damit Bestandteil nachfolgender OKSTRA ® -Versionen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 195 OKSTRA® und IFC - Status 2023 Tabelle 4: in Bearbeitung befindliche Änderungsanträge des OKSTRA (Stand 15.12.2022) (Quelle: www.okstra.de/ Änderungsanträge) Antrag Titel und Inhalt A0131 Modellierung von RAS-Verm-Objekten: Ziel ist es, die RAS-Verm-Objekte einheitlich zu definieren, um die Durchgängigkeit zu anderen Fachanwendungen zu gewährleisten. Da BIM (Building Information Modeling) auch in der Infrastrukturplanung zunehmend an Bedeutung gewinnt, werden vorhandene Prozesse, die Erstellung dreidimensionaler Modelle, die Visualisierung oder die Datenformate, die aus dem BIM resultieren, bei der RAS-Verm-Objektbildung berücksichtigt und fließen insofern auch in die OKSTRA ® -Modellierung ein. A0141 Implementation von Techniken zur Realisierung des technischen Datenschutzes: Beim Export und Import von OKSTRA ® -Dateien sind solche Techniken zu implementieren, z. B. Verschlüsselung, Übertragung von Metadaten und Generierung digitaler Fingerprintdateien, die es gewährleisten, dass die technisch-organisatorischen Anforderungen an den Datenschutz, wie Vertraulichkeit, Unveränderbarkeit, Authentizität, Revisionssicherheit und Integrität der Daten beim Austausch von datenschutzrelevanten Daten gewährleistet werden. A0155 Erweiterung des OKSTRA im Schema Grunderwerb und Liegenschaften: Künftig soll es möglich sein, vollumfänglich Daten über die OKSTRA ® Schnittstelle zu übergeben, so dass z. B. auch Fortführungsnachweise, zugeordneter Schriftverkehr, Zahlungen usw. ausgetauscht werden können. Dafür sind die maßgeblichen Anwendungsfälle noch zu spezifizieren. A0156 Ergänzung des Objekt-Änderungsdatums aus der SIB: Das automatisch in der SIB vom System erzeugte Änderungsdatum (Stand)eines Objektes soll ergänzt werden. A0157 Aufnahme der neuen REB-VB 22.001: Erweiterung der Objektarten allgemeines_ Punktobjekt, allgemeines_ Linienobjekt, allgemeines_ Flächenobjekt und allgemeines_Volumenobjekt, Einführung der Objektart Mengengruppe. A0158 Anpassungen im Datenschema „Prüfdaten“ Straßenbaustoffe: einige Pflichteigenschaften können nicht in allen Situationen belegt werden. Außerdem entsprechen die Wertekataloge einiger Schlüsseltabellen nicht mehr den tatsächlichen Erfordernissen. Dies ist anzupassen. A0159 Ergänzungen im Datenschema „Prüfdaten“ und Aktualisierung von Schlüsseltabelleneinträgen: Ergänzungen für die Angaben zu Kontrollprüfungen Asphalt sind erforderlich. A0160 Übernahme des durch die FG ASB-Ing neu ergänzten Datenmodells in die OKSTRA ® -Spezifikation: Das derzeitige OKSTRA ® -Modell, entspricht nicht dem ASB-Ing (neu)-Modell, welches Grundlage der Erstellung der SIB-BW 2.0 ist. A0161 Inkrementeller Datenaustausch zwischen Straßeninformationsbanken: Der Bedarf für einen in immer kürzeren Abständen benötigten Datenaustausch zwischen verschiedenen Fachsystemen im Straßenwesen (z.B. Länder-/ Autobahn-SIBs <-> BISStra) wird zukünftig stark ansteigen. Es soll ein Dokument zur praktischen Vorgehensweise erarbeitet und mit den Herstellern in einem Workshop diskutiert, abgestimmt und eine mögliche Umsetzung prototypisch vorgestellt werden. A0162 Allgemeine Geometrieobjekte sollten verpflichtend Geometriedaten enthalten: Derzeit sind die Geometriedaten optional (0 oder 1) Bestandteil des allgemeinen Geometrieobjektes. Zukünftig sollen die nachfolgenden Geometriedaten (allgemeines_Punktobjekt, allgemeines_Linienobjekt, allgemeines_ Flächenobjekt, allgemeines_Volumenobjekt) verpflichtend Bestandteil sein, da ein Punkt ohne Koordinaten keinen Sinn macht. Dies ermöglicht ebenso eine automatisierte Überprüfung der übergebenen Modelle auf Plausibilität (alle Punkte besitzen vollständige 3D-Koordinaten) A0163 Ergänzungen von Schlüsseltabelleneinträgen und Aktualisierung im Datenschema Prüfdaten: Im Zuge der Neufassung der ZTV Asphalt-StB wurden Änderungen der Systematik von Kontrollprüfungen vorgenommen. Dies macht eine Ergänzung der Schlüsseltabelle „Art_Pruefung“ notwendig. Gleichfalls ändern sich durch die neue „TL VBit-StB 22“ Eigenschaftsbezeichnungen. Damit werden die derzeitigen Probleme bei der Modellierung des Ist-Zustandes behoben. 196 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 3. Entwicklungen IFC 4.3 Infrastruktur 3.1 Entwicklungsprozess IFC 4.3 Industry Foundation Classes (IFC) ist ein Datenschema, das den Austausch hochwertiger geometrischer und semantischer Daten von Bauwerken ermöglicht und als ISO 16739 veröffentlicht wurde (ISO 16739-1, 2018). Seine Entwicklung begann in den 90er Jahren und erfolgte in mehreren veröffentlichten Versionen. Die Version IFC2x3 stellt die erste praxistaugliche Version dar und fand weitgehend Verwendung, sowohl von Softwareanbietern in ihren Produkten als auch von Experten in ihren Arbeitsabläufen. Die aktuelle offizielle Version IFC4 erweitert und vereinheitlicht die bestehenden Konzepte aus IFC2x3. Sie wurde erstmals 2012 von buildingSMART International (bSI) veröffentlicht und im folgenden Jahr als ISO 16739: 2013 herausgegeben. Die Version IFC4 weckt ein immer größeres Interesse unter Fachleuten, einige Softwarehäuser haben bereits erste Softwareprodukte nach IFC4 zertifizieren lassen (bSI 2019). Die Entwicklung der beiden oben genannten IFC-Versionen konzentrierte sich allerdings nur auf den Austausch von Gebäudemodellen und vernachlässigte den Infrastruktursektor völlig. In den letzten zehn Jahren stieg das Interesse an einer Erweiterung von IFC zur Unterstützung von Infrastruktur- Workflows immer weiter. Dieses Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse der Projekte aus den letzten Jahren zusammen und bietet einen allgemeinen Überblick für Experten, die sich (noch) nicht intensiv mit diesem Thema befasst haben. Der Inhalt, überarbeitet durch entsprechende Anpassungen und Aktualisierungen, stammt überwiegend aus Jaud et al. (2020). Als Reaktion auf die oben genannten Wünsche startete der bSI Arbeitsraum „Infrastructure Room“ mehrere Projekte, um eine Erweiterung des IFC auf den Bereich Infrastruktur zu realisieren. Alle Entwicklungen basierten auf der aktuellen offiziellen Version IFC4, die in Abbildung 3 in blau dargestellt ist. Abbildung 3: Überblick über die bSI-Projekte, die den IFC Standard für den Bereich Infrastruktur erweitern. Die Jahreszahl gibt das Fertigstellungsjahr des Projekts an, der Buchstabe «c» kennzeichnet den Status „candidate standard“ (Jaud et al., 2020). Die ersten beiden Projekte IFC Alignment und IFC Overall Architecture (in Abbildung 3 grün dargestellt) konzentrierten sich auf die grundlegenden Konzepte, die in allen Infrastrukturbereichen zu finden sind, z. B. die Achse und Gradiente, Stationierung und Geländemodelle. Darüber hinaus wurde eine allgemeine Richtlinie für andere geplante Aktivitäten im Infrastrukturbereich entwickelt, z. B. die Wiederverwendung bestehender IFC-Entitäten, wo immer dies möglich ist. Hierdurch soll der Aufwand für Softwareanbieter, die den IFC-Standard bereits unterstützen, verringert werden. Die Erweiterung wurde als IFC4.1 bezeichnet und erreichte nach Abschluss des IFC Alignment Deployment Projekts den Status „final standard“. Im Anschluss wurden domänenspezifische Projekte gestartet (in Abbildung 3 rot und orange dargestellt). Das IFC Bridge Fast Track Projekt konzentrierte sich auf eine Schemaerweiterung zur Unterstützung der semantisch reichhaltigen Modellierung von Brückenstrukturen. Die resultierende Erweiterung IFC4.2 erreichte Anfang 2019 den Status „candidate standard“. Parallel zu den Entwicklungen für Brücken wurden im Jahr 2018 vier Projekte gestartet: IFC Common Schema, IFC Road, IFC Ports & Waterways und IFC Rail. Das erste Projekt konzentrierte sich auf gemeinsame Themen wie Geotechnik und Erdbau, während sich die anderen drei ihrer jeweiligen Infrastrukturdomäne widmeten: Straßen, Häfen und Wasserstraßen sowie Eisenbahnanlagen. Im Rahmen des IFC Common Schema Projekts wurde auch die Harmonisierung zwischen den Projekten der einzelnen Bereiche überwacht. Das konzeptionelle Modell des IFC Rail Projekts erreichte Ende 2019 den Status „candidate standard“. Ein Harmonisierungsprozess auf der Grundlage eines einheitlichen UML-Modells führte alle konzeptionellen Modelle in der IFC4.3 Standarderweiterung zu- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 197 OKSTRA® und IFC - Status 2023 sammen. Das jüngste Projekt, welches noch in Bearbeitung ist, ist das IFC Tunnel Projekt, das in Abbildung 3 ganz rechts dargestellt ist. Das Projekt konzentriert sich auf die Erweiterung der IFC4.3-Spezifikation zur Unterstützung der Besonderheiten von Tunnelanlagen. Das Team hat vor kurzem das konzeptionelle Modell vorgestellt und fängt demnächst mit der Modellierung notwendiger Anpassungen im IFC Datenmodell, die voraussichtlich IFC4.4 heißen wird, an. In den letzten beiden Jahren liefen parallel zwei Projekte, die unter anderem mit der Software-Validierung betraut waren: IFC Rail Phase 2 und IFC Infrastructure Extensions Deployment. Hier erstellten Domänenexperten, Softwareanbieter und Moderatoren gemeinsam sogenannte „Storylines“ und „Unit tests“, um die Anwendbarkeit der entwickelten IFC4.3 Schemaerweiterungen gründlich zu überprüfen und anhand der in den Anforderungsberichten spezifizierten IDMs (Information Delivery Manual’s) zu validieren. An beiden Projekten haben sich weltweit große und kleine Softwarehäuser, öffentlichen Behörden und Verwaltungen sowie private Planungs- und Bauunternehmen beteiligt und damit viel Aufmerksamkeit erregt. Am Ende haben die beteiligten Softwarehersteller die generelle Implementierbarkeit von IFC4.3 nachgewiesen. Weltweit prüften Fachexperten die Anwendbarkeit der IFC4.3 Schemaerweiterungen beim Austausch von Fachobjekten und zugehörigen semantischen Informationen nach den Vorgaben der gemeinsam erstellten „Storylines“. Anschließend haben die Arbeitsgruppen „Infrastructure Room“ und „Railway Room“ gemeinsam das halbjährige Projekt „Certification MVDs for Infrastructure and Railway“ ins Leben gerufen. Damit sollten die notwendigen Anleitungen und Daten für eine sofortige Softwarezertifizierung nach der offiziellen Veröffentlichung des IFC Standard entwickelt und dem Zertifizierungsteam zur Verfügung gestellt werden. Ein Hauptergebnis war, dass als Grundlage für einen reibungslosen Datenaustausch im Bereich der Infrastruktur die Model View Definition (MVD) „Alignment based Reference View (AbRV)“ dient. Dies geschieht analog zum Vorgehen in der Gebäudedomäne, die dafür die MVD „Reference View“ benutzt. Alle Anleitungen und Daten basierten auf den gesammelten Beispielen aus den „Storylines“ und „Unit tests“ und sind öffentlich zugänglich auf https: / / github.com/ bSI-InfraRoom/ MVD-Infra-Test-Instructions. Anfang März 2022 wurde der IFC4.3 Standard als „final standard“ bezeichnet und bei ISO eingereicht. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts war noch nicht absehbar, wie viel Zeit die ISO-internen Arbeitsabläufe in Anspruch nehmen. Eine Veröffentlichung als ISO-Standard erfolgt voraussichtlich im Sommer 2023. Parallel überdenkt buildingSMART International (bSI) die Art und Durchführung von der Zertifizierung der Softwareprodukte. Mit dem Ziel einer Beschleunigung des Zertifizierungsprozesses und einer verbesserten Transparenz soll dieser evtl. komplett überarbeitet werden. 3.2 IFC 4.3 Erweiterungen - Details Gemäß den Leitlinien des IFC Infra Overall Architecture Projekts verwendeten die Projekte die bestehenden Entitäten und Konzepte wieder. Einen Überblick über die am IFC Schema vorgenommenen Änderungen gibt Tabelle 5, in der die Gesamtzahl der Ergänzungen, Aktualisierungen und Verwerfungen für die verschiedenen Elemente des IFC-Standards aufgeführt sind. Tabelle 5: Anzahl der Änderungen in IFC4.3 im Vergleich zu IFC4 Neu Aktualisiert Verworfen Entität 108 20 12 Enum Typ 42 47 1 Select Typ 3 1 2 Funktion 1 2 0 Eine der wichtigsten Erweiterungen des Standards ist das Konzept der linearen Referenzierung, die auf ISO 19148: 2012 basiert (ISO 2012). Hierfür wurden die Entitäten IfcPositioningElement, IfcLinearPositioningElement, IfcReferent und IfcRelPositions eingeführt, die die erforderliche Semantik für die Positionierung von Elementen relativ zu anderen Elementen modellieren. Die Verortung und Orientierung eines Objekts im Raum kann nun mit IfcLinearPlacement angegeben werden, so dass jedes Ifc- Product entlang einer Achse platziert werden kann. Darüber hinaus wurde der Geometriekern um linear extrudierte Geometrien wie IfcSectionedSolidHorizontal und IfcSectionedSurface erweitert, die die Beschreibung von Objektgeometrien in einer für den Infrastrukturbereich üblichen Weise unterstützen: Extrusion mit veränderbaren Profilen entlang einer Raumachse. Das IFC Schema unterstützt nun auch die mathematisch gängigen Definitionen sämtlicher Übergangsbögen mit von IfcSpiral abgeleiteten Klassen, unter anderem die IfcClothoid, die üblicherweise im Straßenbau Anwendung findet. Weitere Ergänzungen und Änderungen im Vergleich zu IFC4 beinhalten z.B.: • vielseitige Projekt- und Raumstrukturelemente, z. B. IfcFacility und IfcFacilityPart, • Erweiterung des Produktbaums um neue Entitäten und neue vordefinierte Typen für Infrastrukturelemente, z. B. für Straßenschichten: IfcCourse, IfcCourseTypeEnum und IfcCourseType, bzw. für Erdarbeiten und Geotechnik: IfcEarthworksElement und IfcGeomodel, • Standardisierung von Eigenschafts- und Mengensätzen für diverse Entitäten, z. B. Pset_ BearingCommon, und weitere Geometriedefinitionen, z.B. IfcOpenCrossProfileDef, IfcReferenceSegment und IfcSegmentedReferenceCurve. 198 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 4. Praxistauglichkeit 4.1 Vergleich OKSTRA® - IFC - Stand 2022 Tabelle 6 zeigt ausgewählte Merkmale von OKSTRA ® und IFC. Während beide Standards nun generische semantische Objekte unterstützen, bestehen wesentliche Unterschiede in Bereichen der Anwendbarkeit und Qualitätssicherung. Zum Beispiel kommt OKSTRA ® nur in Deutschland zur Anwendung und kann nur im XML- Format geschrieben werden. IFC kann hingegen in mehreren Formaten serialisiert werden und findet weltweit seinen Einsatz. Ein weiterer Unterschied ist die Qualitätssicherung der Implementierungen: während bSI eine Softwarezertifizierung für bestimmte Austauschszenarien anbietet, existiert für OKSTRA ® ein Prüftool, dass die Korrektheit der Dateien überprüft, nicht aber die Softwarelösungen. Tabelle 6: Vergleich OKSTRA ® vs. IFC Betrachtete Version Softwarezertifizierung Offiziellers Prüfprogramm Generische semantische Objekte Format Domänen Anwendungsbereich Anpassbarkeit an AIA OKSTRA 2.020 Nein Ja Ja XML Straße Deutschland Wenig IFC 4.3.0.0 Ja Nein Ja STEP, JSON, XML … Straße, Gebäude, Bahn, … Welt Voll Ein wesentlicher Unterschied zwischen OKSTRA ® und IFC ist die Anpassungsfähigkeit des Datenmodells an individuelle Auftraggeberanforderungen (AIA). Während OKSTRA ® auf die Anforderungen der deutschen Straßenbehörden (Regelwerke) abgestimmt wurde, wird IFC weltweit entwickelt und hat deshalb keinen direkten Bezug zu nationalen Regeln oder Vorschriften. Mit den sehr spezifischen Regeln des OKSTRA ® kann der Imbzw. Export der Daten zuverlässig implementiert und interpretiert werden und vereinfacht die Anwendung in Deutschland. Im Gegensatz dazu können mit IFC individuelle und nationale Anforderungen realisiert werden. Hierfür wird allerdings Experten Know-How sowie einiges an Vorarbeit benötigt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass OKSTRA ® die AIA weitgehend eingebettet hat, während IFC sehr generell gehalten wurde und erst durch AIA und einen BIM Abwicklungsplan (BAP) projektspezifisch eingesetzt werden kann. Der IFC Standard schließt eine Vielzahl neuer Fachgebiete/ Domänen ein. In einigen Gewerken ist dieser Standard zunächst zu etablieren und muss sich in der produktiven Anwendung erst beweisen. Dazu sind durch die Softwarehäuser gute Prototypen zu implementieren, die mit den Anforderungen und den Prozessen in Firmen und Behörden zu validieren und ggf. anzupassen sind. OKSTRA ® gilt hingegen als die derzeit im Straßenbau leistungsfähigste Schnittstelle in Deutschland und ist bereits seit vielen Jahren etabliert. Der IFC Standard gestattet die Nutzung bei zahlreichen Anwendungsfällen in der gesamten Baubranche. So können Projektbeteiligte ihre Daten miteinander verknüpfen, vergleichen und koordinieren. Da IFC auch in den benachbarten Fachgebieten der Baubranche angewendet wird, können fachübergreifende Projekte in Form unterschiedlicher Fachmodelle erstellt, bearbeitet und ausgetauscht werden. Das IFC-Datenschema ist damit das zentrale Tool zur Erstellung von BIM-konformen Modellen. Gemeinsam mit dem BIM Collaboration Format (BCF) für das Qualitäts- und Mängelmanagement bildet es die Grundlage des Building Information Modelling. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der OKSTRA ® ebenfalls zum Bestandteil von BIM wird. OKSTRA ® -konforme Daten lassen sich ebenfalls in einem gemeinsamen Datenraum verwalten und sind damit auch Bestandteil der „Single Source of Truth“. 4.2 Vergleich OKSTRA ® - IFC - Stand 2022 Zum Themenbereich rund um OKSTRA® und IFC (Datenaustausch, Datenformate, Standards, Harmonisierung) befinden sich derzeit einige Forschungsprojekte auf nationaler und internationaler Ebene in Bearbeitung. Exemplarisch sind hier ein paar Projekte aufgezählt, die in den letzten Jahren bearbeitet und zum Teil schon abgeschlossen wurden. Auf der Webpage www.okstra.de können im Bereich Forschungsaktivitäten die Ergebnisse weiterer laufender und bereits abgeschlossener Forschungsarbeiten eingesehen werden. • Umsetzung des Stufenplans Digitales Planen und Bauen: Hier sei an die durchgeführten OKSTRA®- IFC Expertentreffen erinnert, dessen Ergebnis der oben beschriebene Änderungsantrag zur Einführung von Volumengeometrie-Attributen im OKSTRA® resultierte (BMVI, 2015). Der Stufenplan Digitales Planen und Bauen (BMVI, 2015) wird durch den Masterplan BIM Bundesfernstraße (BMVI, 2021) fortgesetzt und nachfolgend auch in einem Masterplan BIM Digitaler Zwilling ab 2025 münden. • Building Information Modeling (BIM) im Straßenbau unter besonderer Berücksichtigung der Erhaltungsplanung: Da Fahrbahnbefestigungen einen erheblichen Finanzierungsbedarf bei der Straßenerhaltung verursachen, spielen sie eine wichtige Rolle 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 199 OKSTRA® und IFC - Status 2023 bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen. BIM- Modelle erscheinen durch ihre Verknüpfung von geometrischen, ökonomischen und ökologisch-sozialen Daten besonders geeignet für das Erhaltungsmanagement. Derzeit wird bei der Erhaltungsplanung der OKSTRA® als Datenstandard in Kombination mit GIS-Systemen genutzt. In diesem Zusammenhang ist zu untersuchen, ob eine Anpassung des OKSTRA®- Standards für die Anwendung in der BIM-Methodik erforderlich bzw. machbar ist. Damit ist auch die Frage zu beantworten, wie geeignete BIM-Modelle für die Anwendung in der Erhaltungsplanung von freien Strecken bzw. POI (Points of Interest, z.B. Kreuzungspunkte) gestaltet sein müssen. (Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)) • Analyse von Straßenbestandsobjekten aus Laserpunktwolken durch Mustererkennung/ Objekterkennung einschließlich der Georeferenzierung: Mit dem Forschungsvorhaben sollen Methoden und Algorithmen entwickelt werden, die in der Punktwolke nach vorab definierten Mustern von Bestandsobjekten suchen und erkannte Objekte protokollieren und OKSTRA®-konform abspeichern. Eine Methode, die aus Punktwolken Bestandsobjekte analysieren kann, würde die notwendigen Vorarbeiten bei der Planung und beim Betrieb einer Straße gegenüber der bisherigen Arbeitsweise erheblich vereinfachen und beschleunigen. (Quelle: Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)) • IFC-Tunnel: Erweiterung von IFC Datenschemas um die Besonderheiten des Tunnelbaus. Hier werden vor allem geologische sowie geotechnische Modellierung und die Definition von Tunnelquerschnitten untersucht und ggf. in IFC neu modelliert. Bestehende Entitäten werden nach Bedarf angepasst, z.B. für die räumliche Struktur oder Georeferenzierung. • IFC 5: Das IFC Schema soll gründlich überarbeitet werden. Es soll modernisiert, modularisiert sowie normalisiert werden. So soll der Objektbaum vereinfacht werden um ein „Late-Bind“ Ansatz für die zukünftige Versionen zu ermöglichen (Berlo et al., 2021). 4.3 Beispiel Abrechnungsdaten nach REB 22.013 mit OKSTRA ® und IFC Zur Illustration der Anwendung des OKSTRA ® und den IFC-Datenformats dient die Erstellung eines Abrechnungsdatensatzes nach REB 22.013. Dabei handelt es sich um eine Baugrube für ein Gebäude. Die Erzeugung von Abrechnungsdaten basiert auf der Analyse von zwei digitalen Geländemodellen. Das erste Modell stellt den Ausgangszustand vor der Baumaßnahme dar (Urgelände), das zweite Modell repräsentiert die Baugrube der Baumaßnahme als DGM. Beide Modelle werden miteinander verglichen und daraus die Massendifferenz gebildet. Diese bildet den Rauminhalt und stellt damit das Abrechnungsvolumen der Baugrube dar. Die Methode der Massenermittlung besteht in der Errechnung eines Rauminhaltes beider Geländemodelle auf einen definierten Bezugshorizont. Die Differenz beider Mengen ergibt folgerichtig den Rauminhalt der Baugrube, siehe Abbildung 4 (Hettwer & Steyer, 2018). Abbildung 4: OKSTRA ® Ausgabe (VESTRA - REB Mengenberechnung) Über die Schaltfläche „Prüfdatei“ (siehe Abbildung 4) wird eine XML-Datei gemäß REB 22.013 im OKSTRA ® -Format ausgegeben und im Projektpfad abgespeichert. Diese Prüfdatei kann im OKSTRA ® -Prüfprogramm eingelesen, analysiert und dargestellt werden (siehe Abbildung 5). Das OKSTRA ® -Prüfprogramm beinhaltet neben der Prüffunktionalität eine Vielzahl von weiteren Funktionen, z.B. das Vergleichen und Verschmelzen von verschiedenen Datenbeständen, die Transformation von Datenbeständen in ausgewählte Koordinatensysteme die Korrektur von Stationierungen oder OKSTRA ® -ID’s. 200 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 Abbildung 5: OKSTRA ® Prüfprogramm, links: Datenstruktur, rechts: grafische Modelldarstellung 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 201 OKSTRA® und IFC - Status 2023 Das Ergebnis der Rauminhaltsberechnung lässt sich auch als BIM-Objekt mit den zugehörigen semantischen Informationen abspeichern und als IFC-Datei ausgeben. Abbildung 6 zeigt einerseits das IFC-Modell im IFC4.0, wo die einzelnen Objekte als Proxy-Elemente in ihrer Geometrie und mit den zugeordneten semantischen Informationen in einem IFC-Viewer dargestellt sind. Die rechte Seite von Abbildung 6 beinhaltet heute schon einen Blick in nahe Zukunft. Es handelt sich um die Darstellung der gleichen Baugrube, die in auf Grundlage des neuen IFC 4.3 Datenschemas für die Infrastruktur modelliert wurde. Abbildung 6: Anzeige IFC Modell Baugrube im IFC- Viewer und TUM Open Infra Platform SchlussfolgerungenIm Ergebnis dieses Vergleiches des Entwicklungsstandes von IFC4.3 und dem OKSTRA ® und deren Anwendbarkeit können die nachfolgenden Schlussfolgerungen gezogen werden: • Das IFC-Datenschema ist in vielen Bereichen des Planens und Bauens und der benachbarten Fachdisziplinen anwendbar. Dies dokumentieren die schon vorhandenen sehr umfangreichen Anwendungsfälle. • Die Erweiterung des IFC Datenschemas 4.3 für die Infrastruktur ist seitens bSI finalisiert und im März 2022 an die internationalen Normungsgremien übergeben worden. • Inhaltlich stellt der IFC eine erste Erweiterung des IFC-Standards für die Infrastruktur dar und bildet ein internationales Fundament, auf dem nationale Standards mit Bezug zu entsprechenden technischen Richtlinien und Prozessen auf bauen müssen. • Aus Sicht der Autoren besteht Abstimmungsbedarf zwischen Definitionen des IFC4.3 und den Arbeiten der Fachgruppe BIM im Verkehrswegebau zu den Klassen/ Objekten und Merkmalen. Dem wir Rechnung getragen durch die Harmonisierung beider Kataloge, auch in Zusammenarbeit mit der Autobahn GmbH des Bundes. • Der OKSTRA ® wurde in den letzten Jahren sehr umfangreich an neue Richtlinien im Straßenwesen angepasst und erweitert. Im Vergleich zum IFC-Datenschema ist OKSTRA ® das umfangreichere und inhaltlich detailliertere Datenformat. • Der OKSTRA ® ist weiterhin unter Berücksichtigung der BIM-Methodik zu entwickeln. Dies betrifft sowohl die Definition von Volumenkörpern als auch der zugehörigen Merkmale / Attribute. Es bleibt auch heute festzuhalten, dass beide Datenformate Ihre Berechtigung haben und damit weiterhin parallel existieren werden. Deshalb sollten beide Datenformate in die Ausschreibungen von BIM-Projekten im Verkehrswegebau durch die Bauherren gefordert werden. 1. Die genannten Schlussfolgerungen zu offenen Fragen, die durch die weiteren Entwicklungen des OKSTRA ® und IFC zu beantworten sind. 2. Unter der Annahme, dass OKSTRA ® und IFC für Infrastrukturprojekte auch in Zukunft parallel existieren, lassen sich für die Anwendung beider Datenformate separate (spezifische) Anwendungsfälle definieren? Wie ist dies in der Praxis umsetzbar? 3. Inwiefern erscheint es sinnvoll und machbar die große Detailtiefe des OKSTRA ® auf dem Gebiet der Straße in einem „Deutschen IFC-Property Set Straße“ oder ähnlichen Konzepten des IFC Schemas umzusetzen? Reichen in diesem Zusammenhang die derzeit definierten generischen Klassen/ Objekte im IFC4.3 zur Abdeckung der Anforderungen im Planungs-, Bau- und Betriebsrecht aus? 4. Durch die Weiterentwicklung des OKSTRA ® wurden fachliche Bezüge zur BIM-Methodik (z.B. neue Verfahren zur Mengenberechnung) geschaffen. Es wurden bis heute jedoch nur wenige Schritte unternommen, den OKSTRA ® durch die Definition von 3D-Objekten und deren zugehörigen semantischen Informationen BIM-ready zu machen. Wie stellt sich die Strategie für den OKSTRA ® unter Berücksichtigung des parallelen IFC-Standards dar? Wie ist in diesem Zusammenhang die Fachobjektliste der neuen RAS-Verm zu bewerten? Ist es denkbar, dass andere BIM-konforme Datenformate wie BCF oder MVD in einen OKSTRA ® Umfeld zu integrieren oder anzuwenden? Literatur [1] OKSTRA (2022): OKSTRA Webseite (Änderungsanträge, Dokumente, Forschungsaktivitäten); verfügbar unter https: / / www.okstra.de (15.12.2022) [2] van Berlo, L., Krijnen, T., Tauscher, H., Liebich, T., van Kranenburg, A., Paasiala, P. (2021): Future of the Industry Foundation Classes: towards IFC 5. Proceedings of the Conference CIB W78 2021, Luxembourg [3] BMVI (2015): Stufenplan Digitales Planen und Bauen, Einführung moderner, IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken [4] BMVI (2021): Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens 202 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 OKSTRA® und IFC - Status 2023 und Betreibens mit der Methode Building Information Modelling (BIM) [5] bSI (2019): IFC4 Software Certification Delivers First Milestone. Verfügbar unter https: / / www.buildingsmart.org/ ifc4-software-certification-deliversfirst-milestone/ (13.04.2022) [6] Frei, M. (2018): OKSTRA und IFC - Ein Vergleich, OKSTRA-Symposium 15./ 16. Mai 2018, Bergisch-Gladbach [7] Hettwer, J., Steyer, R. (2018): OKSTRA® in der Bauabrechnung - die Umsetzung der REB-VB 22.013 Ausgabe 2012, OKSTRA-Symposium 15./ 16. Mai 2018, Bergisch-Gladbach [8] ISO 16739-1: 2018 (2018): Industry Foundation Classes (IFC) for data sharing in the construction and facility management industries - Part 1: Data schema. Standard, International Organization for Standardization, Geneva, CH. [9] Jaud, Š., Esser, S., Muhič, S., Borrmann, A. (2020): Development of IFC schema for infrastructure. Proceedings of 6th international conference siBIM: Structured data are new gold, pp. 27-35. Online 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 203 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Franziska Asel, B. Sc. Peter Gross Infrastruktur GmbH & Co. KG, St. Ingbert Dr. rer. nat. Klaus Tilger A + S Consult GmbH, Dresden Zusammenfassung Die Digitalisierung der Baustelle kann nicht auf die Digitalisierung der Planung und Ausschreibung warten. Ferner müssen Baubetriebe mit klassischer analogen oder unzureichend digitalen Eingangsdaten leben und diese für eigene Workflows direkt nutzen. Die größten Hindernisse der nicht verfügbaren Eingangsdaten sowie der darin fehlenden Standardisierung bestehen also weiterhin. Die Digitalisierung der Baustelle muss demnach klassische Workflows aufgreifen und digital erweitern. Im Ergebnis können dann alle darauf aufsetzende digitalen Vorteile gezogen werden: Modellhafte Bestellungen in den nächsten Baufenstern, das optimierte Management von Mengen, Schalungsteilen oder anderen Ressourcen, die Erfassung des Baufortschritts oder der maschinelle Vergleich zwischen SOLL und IST (wodurch Nachträge sofort und objektiv begründbar ableitbar sind). Die Kehrseite sind hohe Anfangsinvestition der Digitalisierung durch Wissenserwerb, Umstellung von klassischen Wasserfallmethoden zum agilen LEAN, umfangreiches Schnittstellenwissen und die Modellierung sowie Realisierung von digitalen Prozessen (wie das Mapping). 1. Einführung 1.1 Projekt Die Anschlussstelle (AS) Plieningen liegt gegenüber des Stuttgarter Flughafens und bildet die Verbindung zwischen der A 8, der B 312 und der L1192. Aufgrund der Planung einer neuen oberirdischen Bahntrasse wird die AS Plieningen umgebaut. Dazu werden die Ausfahrrampe aus Richtung München und die Einfahrrampe in Richtung Karlsruhe als Trogbauwerke hergestellt. Über die Ein- und Ausfahrrampe werden die beiden Eisenbahnüberführung (EÜ) für die neue oberirdische Bahntrasse und die beiden Straßenüberführungen (SÜ) gebaut. [1] Die Abb. 1 zeigt den Baufortschritt vom 22. Dezember 2021. Die alte AS ist mit einem gelben Dreieck gekennzeichnet. Parallel zur A 8 liegen die rot gekennzeichneten EÜ und die schwarz gekennzeichnete SÜ. Die beiden Rampen sind grün gekennzeichnet: Abb. 1: Umbau Anschlussstelle Plieningen Stand 22.12.2021 [2] Die Baufirma Peter Gross Infrastruktur GmbH & Co. KG ist beim Bau der Anschlussstelle Plieningen von der Arbeitsgemeinschaft (ARGE) Neubaustrecke Flughafentunnel, die aus den Baufirmen Züblin (technische Federführung) und der Firmengruppe Max Bögl besteht, für den Ingenieurbau beauftragt. Dieser beinhaltet die Herstellung der beiden Trogbauwerke (Ein- und Ausfahrrampe) mit den beiden Eisenbahn- und Straßenüberführungen. Zu Beginn wurde ein digitaler Zwilling (digital Twin) Bestand erstellt (UCDT), welcher nicht Bestandteil des Vortrags ist. 1.2 Inhalt Es werden ausgewählte Workflows der praktischen Umsetzung der Baumaßnahme mit BIM basierend auf direkt gegebenen und zu 100 % klassischen Grundlagen vorgestellt. Diese Grundlagenarbeit ist gerade in den für das Bauen notwendigen Details schwierig, da weder die Ausschreibung noch die übergebenen Daten digitale Arbeitsweisen einsetzen. Da dieser Zustand wohl noch lange (in Deutschland) Standard ist, müssen darauf abgestimmte Technologien entwickelt werden, die BIM auf der Baustelle realisieren. Die Lösung dazu ist die sukzessive Zuarbeit in zu entwickelnde Standards durch bspw. buildingSMART. Beispielhaft wird der Digitalisierungsprozess zum Auf bau des Digital Twin für das Bauen: - beim Re-Engineering eines Straßentrogbauwerks (UC1), - der Abbildung einer „baubaren“ Entwässerung (UC2), - an der Rekonstruktion von Erdbauwerken einer Straße (UC3) und - an der modellhaften Schalungsplanung (UC4) dargestellt. 204 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Der Anwendungsfall „Vernetzung eines Terminplan“ (UC5) zeigt „erste Früchte“ der steinigen Digitalisierung. Auf bauend auf diesem Digital Twin werden klare Anwendungsszenarios für das Bauen entwickelt, dargestellt und dadurch der Nutzen von digitalen Standards aufgezeigt. Die Ergebnisse resultieren aus einer Projektarbeit im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen Peter Gross Infrastruktur GmbH & Co. KG und A + S Consult GmbH. 2. Re-Engineering eines Straßentrogbauwerks (UC1) 2.1 Übergeordneter BIM-Workflow Problem: Die Übergabe von Informationen im hochbauverwandten Ingenieurbau mittels IFC ist gegeben, jedoch nicht standardisiert. Demnach obliegt die Verwendung von IFC-Klassen wie auch die Definition von Eigenschaften (Properties) aus Sicht der Weiterverarbeitung (Baustelle) dem Autor (externer Planer). Das Ergebnis ist eine datentechnisch undokumentierte, nicht normalisierte und damit widerspruchsenthaltende Menge an unstrukturierten Informationen. Ohne Standardisierung oder Dokumentation der Informationen bestehend aus Klassen und Eigenschaften kann keine digitale Informationsverarbeitung durchgeführt werden - die Eingangsdaten sind demnach nicht digital. Lösung: Die unstrukturierten Informationen werden durch eine Maschine strukturiert, die Widersprüche entfernt oder aufgedeckt. Damit ist ein digitaler Workflow gegeben, der die wiederholte korrekte Abarbeitung garantiert (im Sinn LEAN). Workflow: Tab. 1: Eingangsdaten (im Projekt) Format Inhalt IFC Teilmodell der Trogbauwerke mit Eisenbahn- und Straßenüberführung: Ausfahrrampe von Station 0+518.042 bis 0+597.280, Einfahrrampe von Station 0+206.880 bis 0+273.462. Tab. 2: Grundlegender Workflow der Informationsverarbeitung Nr. Schritt Inhalt Ergebnis UC1.1 Auf bereitung - Import IFC in KorFin ® . - Statistik aller Kategorien (Propertysets) und Eigenschaften (Properties). CSV/ XLSX UC1.2 Dokumentation - Untersuchung der Information für jede Kategorie und jede Eigenschaft Verstehen, Informationsverlust korrigieren. Auswahl in XLSX UC1.3 Reengineering - Erstellung einer spezifischen, widerspruchsfreien Zuordnung der unstrukturierten Information zur strukturierten (normalisierten) Information (in einem widerspruchsfreien Informationsmodell). CSV UC1.4 Mapping - Generierung von Regeln aus dieser CSV zur automatischen Transformation der IFC-Quellen. - XML mit IFC-Quelle in KorFin ® vernetzen. - IFC-Quelle mappen. XML UC1.5 Export - Exportieren im standardisierten Informationsmodell via IFC. IFC 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 205 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Ergebnis des Usecase: Im Ergebnis liegen unstrukturierte Informationen (rot) und strukturierte Informationen (grün) an jedem Fachobjekt vor: Abb. 2: Erfolgreiches (beispielhaftes) Mapping (grün) Diese Technologie wird praktischer Weise für jeden Produzenten (IFC-Quelle) einmalig ausgeführt. Es entsteht jeweils für jeden Produzenten ein Mapping. Damit werden alle heterogenen widersprüchlichen Informationsmodelle aller Quellen in genau ein gemeinsames Informationsmodell übertragen, was der Digitalisierung entspricht. Erst jetzt sind Auswertungen unabhängig zur Quelle und im Komplex durchführbar. 2.2 Durchführung: Mapping Es muss folgende Dokumentation und Reengineering zu einem finalen Mapping erstellt werden: Tab. 3: Auszug aus der aufbereiteten CSV (Reengineering) Propertyset IN Property IN Kategorie OUT Eigenschaft OUT ID-Daten Kommentare BASE BASE_INFO ID-Daten Typname BASE BASE_CLASSIFYER Abhängigkeiten Arbeitsebene FLOORMAPPING FLOORMAPPING_ WORK_KEY Abhängigkeiten Ebene FLOORMAPPING FLOORMAPPING_KEY Tragwerk Tragwerk TRUSSENTRY TRUSSENTRY_FORCED Tragwerk Tragwerksverwendung TRUSSENTRY TRUSSENTRY_USE … … … … 206 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Kategorie und Eigenschaft sind Bestandteile des widerspruchsfreien Informationsmodells von KorFin ® . Doppelte und unbrauchbare Informationen erhalten keine Zuordnung. 3. Abbildung einer „baubaren“ Entwässerung (UC2) 3.1 Übergeordneter BIM-Workflow Problem: Die Planung der Entwässerung erfolgt im standardisierten Informationsmodell ISYBAU. Damit steht ein mächtiges Informationsmodell zur Verfügung, das mit einer Vielzahl von Autorensystem „befüllt“ werden kann. ISY- BAU ist jedoch nicht Fachobjekt-orientiert: kein Lifecycle (GUIDs) in den Fachobjekten der Entwässerung sowie keine Verwendung von (standardisierten oder herstellerabhängigen) Bauteilen aus Bauteilbibliotheken (und damit keine Konfektionierung beispielsweise eines Schachts). Die Verwendung des Fachmodells Medien/ Entwässerung im BIM benötigt jedoch zur Digitalisierung entsprechende Bauteile aus Bibliotheken (des Herstellers) und den korrekten Lifecycle zur weiteren Vernetzung und Anreicherung (beispielsweise beim Bauen im Terminplan des Vorgangsmodells). Lösung: Erstellung eines Automaten, der die (vollständigen) Informationen im Informationsmodells ISYBAU benutzt, um Bauteile zu rekonstruieren (aus Bibliotheken auswählt) und mit dabei zu erstellenden Fachobjekten im korrekten Lifecycle vernetzt. Die Nutzung von ausmodellierter Geometrie und Übergabe als IFC ist nicht sinnvoll, da der Bauteilbezug fehlt, dieser jedoch essenziell für die Baustelle ist und es kein standardisiertes Informationsmodell zur Entwässerung in IFC existiert (wäre wieder UC1). Workflow: Tab. 4: Eingangsdaten (im Projekt) Format Inhalt DWG Lage (2D) der Regenwasserschächte und Haltungen. PDF Deckel-, Sohlhöhen von fünf Regenwasserschächten, die Haltungslängen zwischen den Schächten und die Nennweiten der Rohre je Rampe. Tab. 5: Grundlegender Workflow der Informationsverarbeitung Nr. Schritt Inhalt Ergebnis UC2.1 Auf bereitung - Auf bereitung der Eingangsdaten für Schächte und Haltungen mit iTWO civil. - Annahmen zu Materialien und anderen durch Planer fehlende Informationen. Planung der Entwässerung in iTWO civil UC2.2 Austausch - Export der Planung der Entwässerung aus iTWO civil (Schächte und Haltungen). ISYBAU-XML UC2.3 Auf bereitung - Erweiterung des Usecase um Straßenablauf. Planung des Straßenablaufs in iTWO civil UC2.4 Austausch - Export des Straßenablaufs. ISYBAU-XML UC2.5 Reengineering - Übertragung der Semantik der ISYBAU-Informationen nach BIM. Semantik der Informationen erstellen UC2.6 Digitalisierung - ISYBAU in KorFin ® interpretieren: - Fachobjekte (mit Lifecycle) bilden. - Bauteile aus Bauteilbibliothek für abwassertechnische Anlagen automatisch auswählen. - Schächte automatisch konfektionieren. - … Fachmodell Entwässerung UC2.7 Export - Exportieren im standardisierten Informationsmodell via IFC. IFC 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 207 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Ergebnis des Usecase: Im Ergebnis liegen mit der ISYBAU-Quelle vernetzte Fachobjekte der gesamten Entwässerung vor. Diese besitzen den Lifecycle und konfektionieren sich aus bestellbaren Bauteilen selbst (Schacht): Abb. 3: Generiertes Fachobjekt Schacht mit normalisierten Eigenschaften (ISYBAU übertragen aus iTWO civil) und finaler Konfektionierung Auswertungen wie die Leistungsmeldung (Baufortschritt) und damit der SOLL-/ IST-Vergleich sind jetzt möglich. 3.2 Durchführung: Analyse ISYBAU und Informationsübertragung iTWO civil KorFin ® Tab. 6: Auszug ISYBAU Parametrik für Schächte (verändert) [3] iTWO civil ISYBAU 2013 XML-Austauschformat Name Beispiel/ Anmerkung Feldname Referenzliste Datentyp Schachtnummer RA35 <Objektbezeichnung> - String - 2 Knoten <Objektart> G100 Integer alte Schachtnummer RA350 <AlteObjektbezeichnung> - String Fehlt - <LISA-GUID> - String Fehlt - <ReihenfolgeID> - Integer Status 1 geplant <Status> G105 Integer Baujahr 2021 <Baujahr> - gYear Kanal Kanalart Freispiegelkanal Regenwasserkanal <Entwaesserungsart> G101 String … … … … … In iTWO civil sind die Eigenschaften teilweise anders benannt als nach ISYBAU. 208 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle 3.3 Durchführung: Entstehung des Fachmodells Entwässerung Tab. 7: Schrittweise Entstehung des Fachmodells Entwässerung Schritt Beschreibung Beispiel Bauteile - Bauteile in Bauteilbibliothek besitzen festgelegte Attribute und valide Typisierung (Nenndurchmesser, Schachtunterteil, Ring, …). Zuweisung - Anhand der ISYBAU Informationen wird passendes Bauteil automatisch ausgewählt. Fachobjekte erstellen - Fachobjekt erstellen. - Gefundene Bauteile aus der Bibliothek zuweisen und referenzieren (Schacht). - Haltungen aus ISYBAU parametrisieren. Attribute erzeugen - Finale Attribuierung automatisch erzeugen (für das Bauen vorbereiten). 4. Rekonstruktion von Erdbauwerken einer Straße (UC3) 4.1 Übergeordneter BIM-Workflow Problem: Die Informationen der Trassierung und speziell des Erdbaus werden analog übergeben. Um den Erdbau im Bauprojekt realisieren zu können, muss das Volumen digital vorliegen. Zur Digitalisierung ist eine vollständige Parametrisierung notwendig (Achse und Profile an allen! Stellen), damit beim Bauen bautechnologische Informationen verarbeitet werden können, um beispielsweise die mengenkorrekte Abrechnung durchführen zu können. Lösung: Im Ersten Schritt wird die Trassierung digitalisiert (Achse/ Gradiente). Darauf auf bauend werden der Erd- und Oberbau durch Profile in entsprechenden Fachobjekten mit Lifecycle erstellt und vollständig parametrisiert. Ein statisches IFC-Modell mit ausmodellierten Geometrien ist für das Bauen nicht nutzbar, da damit die dynamische Leistungsmeldung und damit die Abrechnung sowie der digitale Baufortschritt nicht realisierbar ist (siehe Vortrag „RealSite5D: Technologie der echten modelbasierten Leistungsmeldung beim Bauen). Workflow: Tab. 8: Eingangsdaten im Projekt Format Inhalt DWG Lage (2D) der Achsen, Gradienten der Achsen und Querprofile der beiden Rampen. PDF Absteckpläne, die Querneigungsangaben und Abstandsmaße enthalten. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 209 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Tab. 9: Grundlegender Workflow der Informationsverarbeitung Nr. Schritt Inhalt Ergebnis UC3.1 Auf bereitung Auf bereitung der Eingangsdaten in iTWO civil: - Erzeugung der Achsen mit dazugehörigen Gradienten, Breiten- und Rampenbändern. - Erstellung der Stationsliste. - Ausarbeitung der Querprofillinien mit Begrenzungslinien. iTWO civil Planung UC3.2 Austausch - Export der Trassierungsdaten aus iTWO civil. LandXML UC3.3 Reengineering - Übertragung der Informationen der Trassierungsdaten in parametrische Fachmodelle. Semantik der Informationen erstellen UC3.4 Digitalisierung - Fachobjekte der Trassierung mit Lifecycle erstellen. - Fachobjekte der parametrischen Volumina des Erd- und Oberbaus mit Lifecycle erstellen. - mit LandXML-Quelle stabil vernetzen. Fachmodell Trassierung UC3.4 Export - Exportieren im standardisierten Informationsmodell via IFC. IFC Ergebnis des Usecase: Im Ergebnis sind voll parametrische Volumina des Oberbaus vorhanden, die „leistungsgemeldet“ werden können: Abb. 4: Asphaltdecke 210 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle 4.2 Durchführung: Fachmodellaufbau Für jede Oberbauschicht wird das Querprofilvolumen des Straßenkörpers als genau ein Fachobjekt erstellt: Abb. 5: Schrittweise Entstehung Fachmodell Trassierung Da die LandXML-Quelle durch KorFin ® referenziert wird und daraus die Volumina vollständig parametrisiert sind, führt eine externe Aktualisierung (durch iTWO civil) automatisch zur vollständigen Anpassung des Fachmodells. Damit wird die „Intelligenz“ des Fachmodells ersichtlich, die die Aktualisierung des 4D-Bauablauf oder der modellhaften Kostenberechnung direkt impliziert. 5. Modellhafte Schalungsplanung (UC4) 5.1 Übergeordneter BIM-Workflow Problem: Die Schalung wird in klassischen Workflows (2D-/ 3D- AutoCAD) erstellt. Dabei werden (glücklicherweise) Blöcke als Platzhalter (Placeholder) für entsprechende Bauteile in einer eindeutigen und widerspruchsfreien Form verwendet. Die Schwierigkeit liegt in der fehlenden Georeferenzierung zur Trasse (Lage und Höhe) sowie in der fehlenden Zuordnung von Bauteilen des jeweiligen Herstellers der Schalungsteile. Damit fehlt das Fachmodell, das bauteil-referenziert auf bauenden Anwendungen, wie die Auswertung von Bestelllisten zum Mieten zulässt. Lösung: Auf den Workflow der klassischen Schalungsplanung in 2D-AutoCAD wird ein digitaler Prozess aufgesetzt, der genau die Bauteile des verwendeten Herstellers in ein Fachmodell umsetzt. Damit können über die jetzt verfügbaren Angaben des Herstellers (Bestellnummer) die Bestellung automatisiert und weitere Anwendungsfälle durchgeführt werden (Vorgang des Schalens). Workflow: Tab. 10: Eingangsdaten (im Projekt) Format Inhalt DWG Lage (2D) der Schalungselemente. RFA Bauteile als Revit-Bauteilbibliothek des Herstellers. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 211 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Tab. 11: Grundlegender Workflow der Informationsverarbeitung Nr. Schritt Inhalt Ergebnis UC4.1 Auf bereitung - Georeferenzierung der Schalungsplanung. Dieser Schritt sollte in Zukunft entfallen. UC4.2 Auf bereitung - Umwandeln der Revit-Bauteilbibliothek in IFC. - Generieren der KorFin ® -Bauteilbibliothek (mit Übernahme aller Informationen des Herstellers). IFC RES (KorFin ® -native) UC4.3 Auf bereitung - „Abgleich“ der Einfügepunkte und Drehungen der Blöcke und der Bauteile (aus Bibliothek). UC4.4 Austausch - Export aller Blöcke mit Position und Ausrichtung aus AutoCAD (Python-Script). CSV UC4.5 Digitalisierung - Fachobjekt Schalungsteil je Bauelement mit Lifecycle erstellen. - CSV in KorFin ® vernetzen und Fachobjekte der Schalung anhand der Planung parametrisieren. Bei der Parametrisierung kann auf die Trassierung des Trogs und das Fachmodell des Trogs zurückgegriffen werden. Fachmodell Schalung UC4.6 Export - Exportieren im standardisierten Informationsmodell via IFC. IFC Ergebnis des Usecase: Im Ergebnis sind Fachobjekte der Schalungsteile vorhanden, die im 4D-Bauterminplan angesprochen werden können, Bestelllisten ausgewertet werden, etc.: Abb. 6: Fachobjekt Schaltafel (in unterster Schalungsreihe) mit Herstellerangaben (Bestellnummer, Abmaße, Gewicht ...) 212 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle 6. Vernetzung eines Terminplan (UC5) 6.1 Übergeordneter BIM-Workflow Problem: Die Terminplanung wird in externen Autorensystemen durchgeführt. Dort fehlt aber der Bezug zum Gesamtmodell. Lösung: Die Terminplanung wird um die Angabe der betreffenden Fachobjekte sowie zu bauende Stationsbereiche erweitert. Zusammen mit hinterlegten Zeitverhalten (bestimmte Teilvolumen in bestimmter Bauzeit), der intelligenten internen (in einem Fachobjekt) sowie impliziten (mit dynamische Baugrenzen) Segmentierung von KorFin® wird das Modell dynamisch dagegengestellt, ist damit „leistungsmeldbar“, abrechenbar und für den SOLL-/ IST- Vergleich direkt nutzbar. Workflow: Tab. 12: Eingangsdaten (im Projekt) Format Inhalt RSM Aufgebautes dynamisches intelligentes Gesamtmodell in KorFin ® Intelligent bedeutet, dass sämtliche parametrische Planung enthalten und live für die Anforderungen des Bauens (im dynamischen Prozess des Bauens) angewandt wird. Es ist jetzt klar, dass statisch modellierte IFC-Modelle für das Bauen nicht verwendet werden können. CSV Gesamtterminplan mit allen Vorgängen, Referenzen auf Fachobjekte und optionalen Angaben der Stationsbereiche. Jetzt wird das erstellte Lifecycle direkt für die stabile Vernetzung im Terminplan benutzt. Es ist jetzt klar, warum BIM ohne Lifecycle nicht funktionieren kann - also analoge Eingangsdaten ohne Lifecycle nicht direkt verwendet werden dürfen. Tab. 13: Grundlegender Workflow der Informationsverarbeitung Nr. Schritt Inhalt Ergebnis UC5.1 Digitalisierung Erstellung des KorFin ® -Gesamtmodells (u. a. UC1, …, UC4). KorFin ® 3D- Gesamtmodell UC5.2 Austausch - Export des erstellten Terminplan aus MS Project oder TILOS im KorFin ® -Schema. CSV UC5.3 Synchronisation - CSV in KorFin ® importieren. - Verknüpfung der Fachobjekte mit den Vorgängen aus Terminplan manuell rekonstruieren. oder: - Verknüpfung der Fachobjekte in den Vorgängen mit den importierten Spalten zum Fachobjekt und Stationsbereich prüfen. KorFin ® 4D- Gesamtmodell 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 213 Praktische Digitalisierung von der (analogen) Planung zur modellbasierten Baustelle Ergebnis des Usecase: Im Ergebnis ist ein 5D-Gesamtmodell erstellt. Dieses kann für die Bauvorbereitung, die Leistungsmeldung und damit Abrechnung, Verwaltung des Baufortschritts und den SOLL-/ IST-Vergleich verwendet werden: Abb. 7: Vernetzter Terminplan 6.2 Durchführung: Aufbau 4D-Gesamtmodell Abb. 8: Bauterminplan der Notgehbahn (innerhalb des Ausfahrttrogs) Literatur [1] https: / / www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/ media thek/ detail/ media/ anschlussstelle-plieningen/ mediaParameter/ show/ Medium/ , Stand 04.09.22. [2] https: / / www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/ media thek/ detail/ media/ anschlussstelle-plieningen/ mediaParameter/ show/ Medium/ , Foto: Arnim Kilgus 22.12.2021, Stand 06.07.2022. [3] https: / / www.bfr-abwasser.de/ html/ ISYBAU_Aus tauschformate_Abwasser.14.08.html, Stand 08.06.2022. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 215 Digitalisierung im Straßenbau: BIM-Datenmodell in der Praxis Dipl.-Ing. (FH) Andreas Dieterle RIB Deutschland GmbH, Stuttgart Zusammenfassung Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat hat den Masterplan BIM im September 2021 veröffentlicht. Deutschlandweit werden BIM-Pilotprojekte durchgeführt. Die Erfahrungen gehen in die Praxis über. Termine für die offizielle Einführung von BIM-Prozessen im Straßenbau stehen. Anhand einer CAD-Lösung für den Straßen- und Tief bau soll aufgezeigt werden, wie Modelldaten generiert und über Standardformate ausgetauscht werden. Wie können Informationen während der Bauausführung ans Autorensystem zur weiteren Bearbeitung oder Beurteilung gesendet werden? 1. Attributierung Die Modellierung aus dem CAD beinhaltet zunächst „nur“ 3D-Geometrie, sprich geometrische Modelldaten wie Volumenkörper, Flächen, Linien etc. Über genauere Objektbezeichnungen kann die Geometrie aus dem Autorensystem weitere Informationen erhalten. Im Straßenbau können das spezielle Attribute sein wie z.B. der Name der Achse, welcher im Autorensystem verwendet wurde. Mit Hilfe solcher Attribute können sich Beteiligte wesentlich besser zum Projekt austauschen. RIB iTWO civil: BIM-Modell Objektorientierte CAD-Systeme arbeiten weiter mit eindeutigen Objektbezeichnungen. Eine Linie erhält zur Geometrie noch die Objektbezeichnung, beispielsweise „Bordstein“. Weiter können der Geometrie noch Projekt- Attribute, wie zum Beispiel der Abrechnungs-zeitraum, oder spezifische Objektattribute wie der genaue Bordsteintyp oder die Belastungsklasse angegeben werden. Über diese Attribute können im Gesamtprozess Automatismen angestoßen werden. Aus dem BIM-Modell können über Kombinationen aller Attributtypen ganz gezielt Objekte einer oder mehreren Positionen im Leistungsverzeichnis zugewiesen werden. Entscheidend ist hier, dass die Attribute eindeutig sind und den Vorgaben innerhalb des Prozesses entsprechen. Hier sollte ein Autorensystem entsprechend unterstützen. RIB iTWO civil: Objektattribute 2. Modellinformationen und BCF BIM Collaboration Format (kurz: BCF) ist eines der einfachsten und nützlichsten Standards im „buildingS- MART Werkzeugkasten“. BCF dient der Strukturierung und Dokumentation der digitalen Koordination zwischen den Modellen der Planer und Spezialisten und ermöglicht es den verschiedenen Parteien, während der Planungs- und Bauphase Koordinationsanfragen zu stellen. Mit Kommentar-funktionen unterstützt BCF Aufgaben und Problem-stellungen gemeinsam zu lösen. Datenfluss Das Dateiformat ist von den BIM Modellen unabhängig verwendbar, aber über die GUID mit den Modellelementen verknüpft. Dieser Bezug zu den aggregierten BIM Fachmodellen bei gleichzeitiger unabhängiger Verwendbarkeit macht es dem Format möglich als Kommunikation zwischen Projektbeteiligten mit verschiedenen Softwaresystemen standortübergreifend als digitales Koordinations-werkzeug in komplexen Planungsaufgaben zu dienen. Jede BCF-Aufgabe wird mit einer eindeutigen ID registriert, wodurch es einfacher wird, zu verfolgen, wie viele Anfragen offen sind. 216 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitalisierung im Straßenbau: BIM-Datenmodell in der Praxis Eine BCF-Datei wird in der Regel dann erzeugt, wenn eine Modellprüfung ein Problem aufzeigt, z.B. eine Kollision zweier Ver-/ Entsorgungsleitungen, die als Ergebnis einer Prüfung zwischen Wasserversorgung und Abwasser im Baumodell erkannt wird. Um dieses Problem nun effektiv innerhalb des Planungs- und Ausführungsteams kommunizieren zu können, werden folgende Informationen zusammengefasst: • Screenshot des Problems aus dem 3D-Modell • zugehörige Kamera-Position im 3D Modell • textliche Beschreibung des Problems (optional) • textlicher oder grafischer Lösungsvorschlag (optional) • Zuständigkeit (optional) • Status (z.B. erkannt, zugewiesen, ignoriert, usw., optional) RIB iTWO civil: Bearbeitung BCF 3. AsBuilt-Daten Ein weiterer Schritt in die Digitalisierung ist es, AsBuilt Daten von der Baustelle für weitere Prozesse zu nutzen. Alle entsprechend ausgerüsteten Datenerfassungs-möglichkeiten wie Baumaschinen, Roverstäbe oder Drohnen stellen relevante Daten aus der Bauausführung zur Verfügung. Daraus ergibt sich ein Gesamtergebnis mit detaillierten Fertigungsständen zu jeder Zeit, welches gezielt abgefragt werden kann. Die ausgeführten Daten werden zum Beispiel als Gesamt- DGM generiert und dem Autoren CAD-System zur Verfügung gestellt. Im CAD können damit Vergleiche durchgeführt und Fertigstellungsgrade gemeldet werden. RIB iTWO civil: AsBuilt-Daten Eine weitere Möglichkeit ist es Verdichtungsprotokolle mit den entsprechenden Angaben zu übernehmen. Hiermit kann in der CAD dokumentiert werden, welche Einbauschichten entsprechend den Vorgaben verdichtet wurden. Sämtliche Informationen, die vom Verdichter übertragen werden, können als Attribut angezeigt werden. MTS Schrode AG: Anbauverdichter Neben dem Ausführungsdatum und der Maschine kann vor allem die Soll-Auflast und die finale Ist-Auflast angezeigt werden. Mit entsprechender Einfärbung erkennt man sofort die Qualität des Einbaus. RIB iTWO civil: Verdichtungsergebnisse Innovative neue Ideen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 219 Bioasphalt Auf dem Holzweg? Isa Landthaler Hochschule Biberach Zusammenfassung Für die Asphaltherstellung wird bisher das erdölbasierte Bitumen eingesetzt. Aufgrund der Erdölknappheit, den sich stetig erhöhenden Marktpreisen und der Auswirkungen auf die Umwelt wird derzeit nach einer effizienten, kostengünstigen und umweltfreundlichen Alternative gesucht, mit der das Bitumen ersetzt werden kann. Als Möglichkeit hierfür kann Bioasphalt angesehen werden, bei welchem das Bitumen teilweise oder gänzlich mit nachwachsenden Rohstoffen ersetzt wird. Forscher entwickelten hierzu Varianten aus Algen und Lignin mit nahezu gleichbleibender Bindemittelqualität. 1. Einführung In Deutschland werden etwa 20 Millionen Tonnen Asphalt hergestellt [1]. Da hierfür Bitumen als Bindemittel eingesetzt wird, steht die Bauindustrie vor neuen Herausforderungen. Denn in den vergangenen Jahren ist zu beobachten gewesen, dass zum einen das Bitumen immer teurer wird und zum anderen eine Bitumenknappheit vorherrscht. Darüber hinaus steht die Bauindustrie vor einem Wandel, indem die Sustainable Development Goals mehr und mehr implementiert werden. Um einen nachhaltigeren Asphalt zu erschaffen, ist deshalb darauf zu achten die Umweltauswirkungen so gering wie möglich zu halten, indem beispielsweise die Mischtemperatur verringert wird, Additive hinzugefügt werden, die die Bitumenqualität und -langlebigkeit erhöhen, oder Bitumenersatzstoffe aus nachwachsenden Ressourcen verwendet werden. Als eine Maßnahme wurde die Recyclingquote bei der Asphaltherstellung angehoben. Jedoch kann dabei die maximale Zugabemenge an Asphaltgranulat selten gewährleistet werden, da diese von mehreren Faktoren wie der technischen Ausstattung der Mischanlage, der herzustellenden Asphaltsorte oder Qualität des Recyclingmaterials abhängig ist. Zudem verschlechtert eine hohe Recyclingrate die Bitumenqualität. Als Alternative können zudem Bitumenersatzstoffe auf Basis nachwachsender Rohstoffe angesehen werden. Der damit gemischte Asphalt ist unter dem Namen Bioasphalt bekannt. Im Folgenden wird näher auf dessen aktuellen Forschungsstand eingegangen. 2. Bioasphalt Der Unterschied zwischen konventionellen Asphalt und Bioasphalt besteht darin, dass das Bitumen teilweise oder gänzlich mit nachwachsenden Rohstoffen ersetzt wird. Dabei herrscht eine Vielzahl an Möglichkeiten vor, um das Bitumen mit anderen Stoffen auszutauschen. Die derzeitigen Forschungen beschränken sich jedoch auf Ersatzstoffe, die auf Basis von Lignin, Algen, Latex und diversen Pflanzenölen basieren. Bioasphalt kann mittels der folgenden Gruppen unterschieden werden: • als direkte Alternative, indem das Bitumen gänzlich ersetzt wird. • Als Bitumenerweiterung, indem das Bitumen zu mindestens 25% ersetzt wird. • Als Bitumenmodifizierung, bei der das Bitumen bis zu 10 M-% ersetzt wird. [2] 2.1 Bioasphalt auf Basis von Algen Zur Herstellung eines algenbasierten Bindemittels verwendete der Forschungsbund „Algoroute“ die Algensorte Scenedesmus sp. Hierzu wurde auf die Mikroalgenabfälle aus der Kosmetik- und Lebensmittelindustrie zurückgegriffen, welche zu etwa 80 % aus Wasser bestehen. Die Mikroalgenbestandteile wurden einer Pyrolyse unterzogen. Dabei wurden diese zunächst in einem geschlossenen Behälter auf ca. 300 °C erhitzt, wodurch ein Druck entsteht, welcher dem ähnelt, der bei der natürlichen Umwandlung von Algen und Mikroorganismen in Erdöl bei einer Tiefe von 1500 bis 3000 m entspricht. Daraus entsteht eine schwarze, ölige und zähflüssige Masse an der Wasseroberfläche, welcher als vollständiger Bitumenersatzstoff verwendet werden kann. Schlussendlich liegt der Wirkungsgrad des Umwandlungsprozesses bei 55 %, d. h. sich der Ertrag gegenüber der Masse des Ausgangsstoffes um 45 % verringert. Die Untersuchungen unter Laborbedingungen ergeben, dass kein signifikanter Unterschied beim algenbasierten Bindemittel zum Bitumen besteht. Darüber hinaus ist der Bitumenersatzstoff ab 100 °C flüssig und der der viskoelastische Bereich liegt zwischen -20 °C und +60 °C. Folglich kann die Kohäsion der Granulatstruktur gewährleistet werden und der Widerstand gegenüber mechanischer Belastung wird erhöht [3]. 220 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bioasphalt 2.2 Bioasphalt auf Basis von Lignin Neben Cellulose und Cithin gehört Lignin zu den häufigsten natürlichen Polymeren und lässt sich nahezu aus allen Pflanzen gewinnen. Die harzige Substanz wird in der pflanzlichen Zellwand eingelagert, wo es eine Verholzung der Zelle bewirkt und somit der Pflanze die Druck- und Bruchfestigkeit verleiht. Lignin besitzt zudem drei Grundbausteine, die aus den folgenden Phenyleinheiten aufgebaut sind: - P-Cumaralkohol - Confiferyalkohol - Sinapinalkohol [4] Abbildung 1: Grundbausteine des Lignins Anhand Tabelle 1 ist zu erkennen, dass Laub- und Nadelbäume einen hohen Ligningehalt haben, weshalb sich diese besonders für die Verwendung von lignin-basierten Asphalt eignen. Tabelle 1: Ligninggehalte in diversen Pflanzen [4] Pflanzentyp Ligningehalt [%] Holz 20-30 Holzrinde 20-30 Kokusnussrinde 20-30 Stroh, Hanf, Flachs 15-25 Gärreste 5-25 Gras 5-15 Bisher wird der größte Lignin-Anteil mittels Kraft-Aufschluss-Verfahren gewonnen. Zudem erzielten Bindemittelgemische Im Genaueren handelt es sich hierbei um ein Verfahren, bei dem zur Lösung des Lignins von der faserigen Cellulose entrindete Holzschnitzel unter Druck mehrere Stunden in Natronlauge gekocht werden. Dieses Verfahren findet insbesondere bei der Papierherstellung seine Anwendung. Dort fallen weltweit jährlich etwa 50 Millionen Tonnen Lignin als Abfallprodukt an, die zu etwa 98 % ungenutzt bleiben, indem diese verbrannt werden [5]. Abbildung 2: Prinzip des kontinuierlichen Sulfatverfahrens [Pastusiak, 2003] Anhand der Forschungsergebnisse erzielt Bitumen, das mit einem Kraft-Lignin gemischt wurde, die besten Ergebnisse. Darüber hinaus kann das Bitumen unter Laborbedingungen und bei gleichbleibender Qualität mit Lignin bis zu 50 M-% ersetzt werden [6]. Ein weiterer Beleg für die Verwendung von ligninbasiertem Bitumen geben die Ergebnisse der bisherigen Pilotprojekte. Beispielsweise existieren seit 2015 in den Niederlanden 23 Straßen mit einer Gesamtlänge von 12 km aus Bioasphalt, bei welchen das Bitumen zu 45 % mit Lignin ausgetauscht wurde, bis heute und sind in einem hervorragenden Zustand [6]. 2.3 Vorteile der Verwendung von Bioasphalt Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der Einsatz von Bioasphalt vorteilhaft sein kann. Denn zum einen ist es eine direkte Maßnahme, um der Bitumenknappheit entgegenzutreten, indem das Bitumen durch andere Stoffe ersetzt wird. Darüber hinaus können lokale Rohstoffe hierfür verwendet werden. Dies stärkt zum einen die regionale Wirtschaft und zum anderen erreicht dies eine entsprechende Unabhängigkeit gegenüber anderen Ländern. Daneben kann insbesondere bei ligninbasierten Bioasphalt die Mischguttemperatur verringert werden. Daraus resultiert, dass Energiekosten bei der Asphaltherstellung eingespart werden können. Ein weiterer Vorteil, der in Betracht gezogen werden muss, ist die Verringerung des ökologischen Fußabdruckes. Denn bei einer ganzheitlichen Betrachtung ist zu erkennen, dass sich die CO2 Emission im Gegensatz zum konventionellen Bitumen verringert. Beispielsweise zeigt Abbildung X, dass 5,72 % des im gesamten Lebenszyklus produzierten CO2 um 5,72 % reduziert werden kann, sofern das Bitumen mit 25 M-% Lignin ersetzt wird [7]. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 221 Bioasphalt Abbildung 3: Anfallendes CO2 pro Tonne unter der Betrachtung des gesamten Lebenszyklus 3. Fazit Anhand der Forschungsergebnisse ist zu erkennen, dass nachwachsende Bitumenersatzstoffe als wirksame Alternative für Bitumen angesehen werden können. Denn damit ist es möglich das Bitumen zu einem erheblichen Prozentsatz bei nahezu gleichbleibender Bindemittelqualität zu ersetzen. Mit der Erhöhung des Anteils an nachwachsenden Ersatzstoffen sinkt zugleich der Bitumenanteil. Unter all den Forschungen kann die Verwendung von ligninbasierten Bioasphalt aufgrund des enormen Vorkommens ein bahnbrechendes Ergebnis bringen. Jedoch werden hierfür weitere Forschungen benötigt, um den Prozentsatz des Lignins zu erhöhen und den richtigen Mischprozess zu finden, um die Ergebnisse zu optimieren und eine Produktion im großen Maßstab zu ermöglichen. Daneben kann das Bitumen mit nachwachsende Ersatzstoffe aus Algen oder weiteren Rohstoffen, die einer Pyrolyse unterzogen wurden, bereits vollständig ersetzt werden. Jedoch fehlen bisher Langzeitstudien, die auf die Dauerhaftigkeit bzw. dem Standhalten des Straßenbaumaterials unter realen Bedingungen eingehen. Literatur [1] Statista Research Department (01.06.2022): Asphaltmischgut - Produktion in Deutschland bis 2021, URL: https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 589508/ umfrage/ produktion-von-aspahltmischgut-in-deutschland/ (20.08.2022) [2] Yao et al. (2022): Review on Applications of Lignin in Pavement Engineering: A Recent Survey. URL: https: / / www.researchgate.net/ publication/ 357856035_Review_on_Applications_of_ Lignin_in_Pavement_Engineering_A_Recent_ S u r ve y ? _ i e p l % 5 B g e n e r a l Vi ew I d % 5 D = C e f PtowSgg RFSb3crHutzPOO1Dkq0TXvoC3X&_ iepl%5Bcontexts%5D%5B0%5D=searchReact&_ iepl%5BviewId%5D=Qljqn2SBRH7cd1w6u3ZU Z3siphMm70Q9lqlw&_iepl%5BsearchType% 5 D = p u b l i c a t i o n & _ i e p l % 5 B d a t a % 5 D % 5 BcountLessEqual20%5D=1&_iepl%5Bdata%5 D%5BinteractedWithPosition1%5D=1&_iepl %5Bdata%5D%5BwithoutEnrichment%5D=1&_ iepl%5Bposition%5D=1&_iepl%5BrgKey%5 D=PB%3A357856035&_iepl%5BtargetEntity Id%5D=PB%3A357856035&_iepl%5Binteracti onType%5D=publicationTitle [3] Französische Botschaft in Deutschland (2015): Bio-Bitumen: nachhaltige Straßen aus Mikroalgen. URL: https: / / idw-online.de/ de/ news629842 [4] Gosselink et al. (2016): Lignine, groene grondstof voor chemicaliën en materialen. URL: https: / / www.researchgate.net/ publication/ 326689381 [5] Bioökonomie BW (): Lignin - ein Rohstoff mit viel Potenzial. URL: https: / / www.biooekonomie-bw. de/ fachbeitrag/ dossier/ lignin-ein-rohstoff-mit-viel- Potenzial [6] Gosselink et al. (2021): The use of lignin as a biobinder in asphalt applications [7] Tokede, Traverso, Mankaa (2020): Life Cycle Assessment of Asphalt variants in Infrastructure: the case of Lignin in Australian road pavements. URL: https: / / www.researchgate.net/ publication/ 339774146 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 223 Grenzbetrachtungen zum Einbau von Asphaltmischgut in Steilkurven Dipl.-Ing. (FH) Klaus Görgner Max Bögl Stiftung GmbH & Co. KG, Neumarkt 1. Einführung • Wer ist SMB, Geschäftsfelder 2. Schaden und Umgang • Prüfzentrum Immendingen: Überschreiten der physikalischen Grenzen • Mangelbehebung • Anpassungen beim Einbau • Prüfzentrum Changchun: Überschreiten der physikalischen Grenzen • Anpassungen beim Material und Einbau • Einsatz Additiv • Mangelbehebung 2.1 Schlüsse für zukünftige Projekte • Lessons learned • Untersuchungen im Labor • Prüfung des Kurvendesigns • Festlegungen Eine Runde Mitfahrt im PG Miramas Drama auf der Baustelle > Umgang und Schlüsse 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 225 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ Dipl.-Ing. Sven Gohl Makadamlabor Schwaben GmbH, Sindelfingen In Zusammenarbeit mit EUROVIA Teerbau GmbH, NL Stuttgart Zusammenfassung Asphalt ist der prägende Baustoff zum Bau und Aufrechterhaltung der modernen Infrastruktur. Etwa 95 % aller Verkehrsflächen in Deutschland bestehen aus Asphalt. Dabei wird der Asphalt in der öffentlichen Wahrnehmung meist ausschließlich als Funktionsschicht einer Straßenbefestigung angesehen. Dabei spielt er auch für die Gestaltung der Stadtlandschaft eine wichtige Rolle. Die Stadtplanung und die Verschönerung der Städte sind wiederkehrende Themen, die zunehmend mit anderen Prioritäten wie der Sicherheit der Verkehrsteilnehmer in Einklang gebracht werden müssen. Ob von stark befahrenen Straßen, über wasserdurchlässige Park- und Freizeitflächen bis hin zu farbig gestalteten Radverkehrsflächen und Fußgängerzonen, Asphalt gibt für die meisten Aufgabenstellungen die passende Antwort. Immer bestrebt, Lösungen für eine moderne und nachhaltige Infrastruktur anzubieten, hat EUROVIA einen Asphalt entwickelt, der unter dem Markennamen LUMIVIA angeboten wird. Der Asphalt besitzt besondere Oberflächeneigenschaften. Unter dem Einfluss von Sonnenlicht, Straßenlaternen oder Fahrzeugscheinwerfern leuchtet der Asphalt und erhält zusätzlich einen Glitzereffekt. Sein Aussehen trägt zur Differenzierung von Verkehrsbereichen und damit zur Erhöhung der Sicherheit bei. Durch die Hervorhebung von Verkehrsflächen mit besonderer Zweckbestimmung, z. B. Radwege oder Fußgängerüberwege, soll der glitzernde Asphalt Aufmerksamkeit beim Kraftfahrer erzeugen und ihn dazu veranlassen, langsamer zu fahren. Der Sonderasphalt kann aber auch allein wegen seines dekorativen Aspekts für repräsentative Flächen, z. B. vor Firmenzentralen genutzt werden. Zusätzlich kann er in Bereichen eingesetzt werden, bei den ein besseres Wohlbefinden beim Nutzer erreicht werden soll, z. B. in dunklen Unterführungen oder Parkhäusern. 1. Einleitung Die Idee, in Deutschland die Asphaltdeckschicht mit reflektierenden Eigenschaften einzuführen, entstand zunächst aus dem Wunsch, optisch ansprechende Oberflächen zu schaffen. Daher waren die ursprünglichen Zielanwendungen Parkplätze vor bestimmten gewerblichen Einrichtungen wie Kinos oder Autohäusern. Bei einer ersten Probefläche an der Mischanlage in Sindelfingen konnte der erhoffte Effekt nachgewiesen werden [Abb. 1]. Der Sonderasphalt wurde dort erstmals in 2020 auf einem Parkplatz eingebaut. Die Scheinwerfer der etwa 100 m entfernten Mischanlage lassen nun die Fläche im Vergleich zur Umgebung heller erstrahlen. Schnell wurde klar, dass reflektierende Oberflächen besonders geeignet sind, um zwischen Verkehrsbereichen zu unterscheiden, in denen die Nutzer besonderen Schutz benötigen. Darüber hinaus veranlasste die Corona-Virus-Krise viele Menschen dazu, für kurze bis mittlere Entfernungen von öffentlichen Verkehrsmitteln auf das Fahrrad umzusteigen. Die aktuelle Debatte über den starken Anstieg der Kraftstoffpreise hat diesem Effekt einen zusätzlichen Schub verliehen. Abb. 1: Parkplatz an der Mischanlage Sindelfingen 226 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ Um möglichst schnell eigene Strukturen für Fahrräder zu schaffen, um diesem Trend gerecht zu werden, haben einige deutsche Kommunen damit begonnen, sogenannte Pop-up-Radwege zu realisieren. Ursprünglich befanden sie sich in der Verkehrszone für Kraftfahrzeuge, wurden aber später meist durch gesonderte Markierungen davon abgegrenzt. Da sich die Radverkehrsfläche innerhalb der ursprünglichen Fahrbahn befindet, mussten die Radfahrer dort geschützt werden. Eine reflektierende Asphaltdeckschicht erschien hierfür für die Entwickler ebenso als geeignet. Zur Erhöhung der Verkehrssicherheit wird auf Radwegen gern auf farbige Lösungen zurückgegriffen. So wird in vielen Städten eine rote Beschichtung auf Epoxidharzbasis auf eine Asphaltdeckschicht aufgetragen bzw. ein mit synthetischen Bindemitteln, unter Zugabe von Pigmenten, roter Asphalt hergestellt und als Asphaltdeckschicht eingebaut. Abb. [2] zeigt einen kreuzenden Radweg in einem Einmündungsbereich, welcher mit einer roten Beschichtung hervorgehoben ist. Bei Tageslicht wird dadurch eine klare Abgrenzung des Verkehrsraums geschaffen und dem Kraftfahrer signalisiert, dass hier besondere Vorsicht geboten ist. Abb. [3] zeigt die gleiche Verkehrssituation bei Dunkelheit und regnerischen Wetter. Abb. 2: Radweg im Knotenpunkt mit aufgetragener, roter Beschichtung bei Tag Der Radweg ist hier kaum noch zu erkennen und grenzt sich nur sehr schwach von der Straße ab. Es zeigt sich also, dass die erhoffte Signalwirkung gerade dann nicht vorhanden ist, wenn sie am dringendsten benötigt wird. Durch die besonders reflektierenden Eigenschaften des Sonderasphaltes kann hingegen sowohl bei Tag als auch bei Nacht eine optische Differenzierung mit Glitzereffekt des besonderen Verkehrsbereichs erreicht werden. Beschichtungen oder farbige Asphalte führen zu zusätzlichen Herausforderungen, die bei der Entwicklung des Stadtbildes vom Planer berücksichtigt werden sollten. Bei notwendigen Aufgrabungen aufgrund von Wartung und Erneuerung von Versorgungsträgern sind Sanierung in Kleinstflächen mit farbigem Asphalt kaum möglich bzw. mit sehr hohen Kosten verbunden. Zusätzlich kann es generell bei den genannten Lösungen zu Farbänderungen während der Nutzungszeit kommen. Die Wirkung lässt demnach über die Zeit nach. Aus ökologischen Gesichtspunkten besteht bei diesen Lösungen weiterhin der Nachteil, dass eine Wiederverwendung nicht möglich ist und auch keine Recyclingbaustoffe im Produkt selbst verwendet werden können. Gerade hier kann der entwickelte Sonderasphalt sich zusätzlich abheben. Abb. 3: Radweg im Knotenpunkt mit aufgetragener, roter Beschichtung bei Nacht 2. Asphaltmischgutkonzeption und Wirkung Die Zusammensetzung von LUMIVIA unterscheidet sich kaum von der eines herkömmlichen Asphaltmischgutes. Ein Teil der Gesteinskörnungen wird einfach durch gebrochenes Spiegel-/ Glas-Granulate ersetzt. Die endgültige Rezeptur wird auf den Verwendungszweck des Produkts und die Bedürfnisse durch Anpassung der Zugabemengen an Spiegel-/ Glas-Granulat abgestimmt. Beispielsweise können Asphalte für Bereiche, bei denen aus verkehrstechnischen Gründen eine verstärkte Abgrenzung erforderlich ist, mit erhöhten Anteilen an Spiegel-/ Glas-Granulaten hergestellt werden. Soll mit der Zugabe an Spiegel-/ Glas-Granulat ein rein visueller Effekt erzeugt werden, so kann der Anteil reduziert werden. Wichtig ist, dass der eingesetzte, recycelte Glas- und Spiegelbruch für die Verwendung in Asphalt vorbereitet wird. Durch eine besondere Art der Auf bereitung werden die Bruchkanten des Glases und der Spiegel rund geschliffen, die Körnungen in gewünschten Größenverteilung abgesiebt und somit ein spezielles Granulat mit abgestimmter Zusammensetzung erzeugt [Abb. 4]. Ähnlich wie bei verwendeten Materialien in sogenannten Barfußparks wird dadurch sichergestellt, dass keine erhöhte Verletzungsgefahr bzw. die Gefahr der Beschädigung von Reifen hervorgeht. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 227 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ Abb. 4: auf bereitetes Spiegel-/ Glas-Granulat für die Zugabe in Asphalt Die Verarbeitung unterscheidet sich üblicherweise nicht signifikant von der des Asphaltes, den der Sonderasphalt ersetzt. Das Ziel ist es, die gleichen Eigenschaften wie z.B. Dichtigkeit und Makrotextur zu erreichen. Der Glitzereffekt ist sofort spürbar und erreicht seine volle Wirkung nach mehrwöchiger Nutzung durch den Straßenverkehr. Bei geringer Verkehrsbeanspruchung sorgt die Abwitterung von Bitumenresten auf dem im Asphalt enthaltenen Spiegel-/ Glas-Granulat für eine Zunahme des Glitzereffektes über die Zeit, insbesondere bei geringen Lufttemperaturen. Die genannten Zeiträume können durch die Erwägung einer Oberflächenbehandlung mittels Hochdruckwasserstrahlen der Asphaltdeckschicht verringert werden. Grundsätzlich können alle Arten von Asphaltdeckschichten in Anlehnung an das deutsche Regelwerk (TL Asphalt-StB 07/ 13 [1], sonstige Merkblätter der FGSV) mit dem Spiegel-/ Glasgranulat hergestellt werden. Mit der ursprünglich vorgesehenen Nutzung in Verkehrsflächen mit untergeordneter Beanspruchungssituation durch Kraftfahrzeuge werden keine erhöhten Anforderungen an die Verformungs-beständigkeit gestellt. Da aber auch die Frage hinsichtlich der Nutzung in Verkehrsflächen mit hohem Verkehrsbeanspruchung, z.B. in Tunneln, aufkam, wurde die Verformungsbeständigkeit einer Asphaltdeckschicht AC 11 D SP mit Spiegel-/ Glas-Granulat im einaxialen Druck-Schwellversuch nach den TP Asphalt- StB , Teil 25 B 1 [2] überprüft. Dabei konnte nachgewiesen werden, dass die Verformungsbeständigkeit auch für hohe Verkehrsbeanspruchungen problemlos erreicht werden kann [Tab. 1]. Asphaltmischgut AC 11 D SP, 10/ 40- 65,Moräne AC 11 D SP, 10/ 40-65 Moräne, Glas-/ Spiegel- Granulat Dehnung nach 10.000 Lastwechsel 12,8 ‰ 9,3 ‰ Dehnungsrate 2,2 ‰ * 10 4 / n 1,8 ‰ * 10 4 / n Tab. 1: Vergleichende Untersuchung der Verformungsbeständigkeit im einaxialen Druck-Schwellversuch nach den TP Asphalt-StB, Teil 25 B 1 Von Anfang an wurde bei der Konzeption großer Wert auf die Wiederverwendung von Ausbauasphalt in allen Rezepturen gelegt. Die Einführung von mindestens 20-30 M.-% Asphaltgranulat wird im Sonderasphalt aus Gründen der Ressourcenschonung als unverzichtbar angesehen. Zusammen mit dem recycelten Glas- / Spiegel-Granulat beträgt der Recyclinganteil in den so konzipierten Asphaltdeckschichten bis über 50 M.-%. In Abb. 5 sind die angestrebten Massenverhältnisse der verwendeten natürlichen und künstlichen Körnungen mit Asphaltgranulat im Asphaltmischgut visualisiert. Abb. 5: visuallisertes, angestrebtes Massenverhältnis des verwendeten Glas-/ Spiegel-Granulates, Asphaltgranulat und natürlichen Gesteinskönungen in einem Asphaltdeckschichtmischgut AC 8 D S 2.1 Wirkung auf die Verkehrssicherheit Das verwendete Glas-/ Spiegel-Granulat im Sonderasphalt reflektiert natürliches und künstliches Licht und lässt dadurch die Umgebung am Tag und bei Nacht heller wirken. Am Tag fängt der Asphalt an zu funkeln und grenzt sich so automatisch von anderen Verkehrsflächen ab [Abb. 6]. Das sorgt für eine helle und freundliche Atmosphäre und vor allem für eine klare Verkehrsführung. Kraftfahrer werden somit auf die Besonderheit der Fläche hingewiesen und animiert, ihre Geschwindigkeit zu reduzieren. 228 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ Abb. 6: Asphaltdeckschicht mit Glas-/ Spiegel-Granulat bei Tageslicht Durch den einsetzenden Glitzereffekt wird die Asphaltdeckschicht auch bei schlechter Beleuchtung hervorgehoben und grenzt sich dadurch von anderen Verkehrsflächen ab. Das sorgt auch bei Dunkelheit für ein erhöhtes Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl beim Nutzer sowie einer besseren Wahrnehmung des Verkehrsbereiches durch Verkehrsteilnehmer anderer Flächen, z.B. Kraftfahrer. Abb. 6: Asphaltdeckschicht mit Glas-/ Spiegel-Granulat bei Nacht 2.2 Ökologische Auswirkungen im Sinne einer verbesserten Nachhaltigkeit Durch die Verwendung hoher Anteile an recycelten Materialien wird ein Beitrag zu Ressourcenschonung geschaffen. Zusätzlich ergeben sich weitere positive Eigenschaften, die sich am Tag und bei Nacht voneinander unterscheiden. Durch das erhöhte Reflexionsvermögen des Asphaltes wird weniger Sonneneinstrahlung und somit Wärme vom Asphalt absorbiert und gespeichert. Durch die verminderte Auf heizung kann ein Beitrag zur Reduzierung innerstädtischer Wärmeinseln im Vergleich zu herkömmlichen Asphaltdeckschichten erreicht werden. Durch die besonders starke Reflexion sowohl der künstlichen als auch natürlichen Lichtquellen erscheint die Umgebung auch bei Dunkelheit heller. Somit ergänzt LUMIVIA die vorhandene Straßenbeleuchtung ohne weitere Energie zuzuführen. Aber auch ohne künstliches Licht entsteht eine natürliche Auf hellung der Oberfläche. 3. Anwendungsmöglichkeiten Die Verwendung des entwickelten Sonderasphaltes LU- MIVIA ist sehr vielfältig und abhängig vom gewünschten planerischen Ziel: • er eignet sich für städtische Straßen aller Art sowie für Vorplätze von Einrichtungen mit Publikumsverkehr (Museum, Schwimmbad, Einkaufszentrum) • er kann bei Bedarf auch bei Verkehrsflächen mit hoher Verkehrsbelastung eingesetzt werden • der glitzernden Oberflächeneffekt kann zur Verschönerung des Stadtbildes genutzt werden und für ein verbessertes Wohlbefinden sorgen • die reflektierenden Eigenschaften des Asphaltes eignen sich besonders für Verkehrswege mit besonderer Zweckbestimmung (z.B. Radwege), da diese sich von sonstigen Flächen bei Tag und Nacht besser abgrenzen • … und vieles mehr. In [Abb. 7] werden einige Anwendungsbeispiele von LUMIVIA aufgezeigt. Abb. 7: Anwendungsbeispiele für Sonderasphalt unter Verwendung von Glas-/ Spiegel-Granulat 4. Zusammenfassung Als Partner der Regionen entwickelt EUROVIA Mobilitätslösungen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit und Stärkung des sozialen Zusammenhalts durch Planung, Bau und Erhaltung von Verkehrsinfrastrukturen und städtebaulichen Maßnahmen. Durch die Zugabe von Spiegel-/ Glas-Granulat in Asphaltdeckschichten konnte ein Asphaltmischgut entwickelt werden, der besonderen Eigenschaften hervorruft: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 229 Asphalt mit besonderen Eigenschaften: nachhaltig, sicher und repräsentativ Sicher Durch erhöhte Reflexionseigenschaften können Verkehrswege mit besonderer Zweckbestimmung hervorgehoben und vom üblichen Straßenraum bei Tag und Nacht hervorgehoben werden. Nachhaltig Durch die Verwendung eines hohen Anteils recycelter Produkte wird zur Ressourcenschonung beigetragen. Zusätzlich kann durch die reflektierenden Eigenschaften mit Glitzereffekt bei Dunkelheit vorhandene Beleuchtung ohne Einbringung weiterer Energie ergänzt und somit ein Beitrag zur Energieeinsparung erbracht werden. Repräsentativ Die besonderen funkelnden und glitzernden Oberflächeneigenschaften lassen Vorplätze vor öffentlichen und privaten Einrichtungen aufwerten und verleihen diesen einen edlen Look. Literaturverweise [1] „Technische Lieferbedingungen für Asphaltmischgut für den Bau von Verkehrsflächenbefestigungen; TL Asphalt-StB 07/ 13“, FGSV-Verlag GmbH [2] „Technische Prüfvorschriften für Asphalt: Einaxialen Druck-Schwellversuch - Bestimmung des Verformungsverhaltens von Asphalt bei Wärme; TP Asphalt-StB, Teil 25 B 1“ Industriebeiträge Asphalt 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 233 Die Zukunft des Schichtenverbunds im Asphaltbau? Einsatz und Nutzen von Asphacal ® TC Matthias Geißler Nadler Straßentechnik GmbH, Schweitenkirchen Zusammenfassung: Seit drei Jahren ist die Asphacal® TC Kalkmilch der Nadler Straßentechnik GmbH auf dem deutschen, österreichischen und Schweizer Markt und kann bereits beachtliche Erfolge verzeichnen. In ganz Deutschland sowie in der Schweiz wurden rund fünf Millionen m² Testflächen der Kalkmilch eingebaut und zum Teil bereits in gängige Regelwerke aufgenommen. Was macht den Erfolg der Asphacal® TC Kalkmilch aus? Im Ausland ist die Kalkmilch seit 25 Jahren im Einsatz, tausendfach erprobt und mittlerweile gängige Praxis, in Deutschland ist sie jetzt erst angekommen. Die hochkonzentrierte Kalkhydratsuspension findet Anwendung im Asphaltbau. Sie verhindert den Austrag der Bitumenemulsion durch den Baustellenverkehr und sorgt dafür, dass der Schichtenverbund dableibt, wo er hingehört. Asphacal® TC verhindert somit einhergehende Verschmutzungen im Baustellenumfeld durch Anhaftungen an den Reifen. Speziell in den heißen Sommermonaten bietet die Kalkmilch Asphacal® TC einen optimalen Schutz des Schichtenverbunds. Auf der BAUMA 2022 präsentierte Nadler den neuen Asphacal-O-Mat 1000. Die innovative Maschine fürs Ausbringen von Asphacal® TC hat ein Fassungsvermögen von ca. 1000 l verbrauchsfertiger Emulsion (ausreichend für ca. 3.500 m²). Die variable Arbeitsbreite beträgt bis zu 3,60 m. 1. Forschungsstand: Durch die Anlage von unzähligen Testbaustellen, konnten in den letzten Jahren umfassende Praxiserfahrungen gesammelt werden. Der positive Effekt, dass der Schichtenverbund vollumfänglich erhalten bleibt, wurde von verschiedenen Prüfstellen (TU Darmstadt, IBQ, TÜV / LGA, Baureferat München u. v. m.) bestätigt und ein negativer Effekt ist in keiner Weise erkennbar. Im Jahr 2023 werden weitere Testreihen angelegt, um eine genaue Grenze, ab welcher Menge Asphacal® TC Kalkmilch der Schichtenverbund negativ beeinflusst wird, zu erkennen und das Überschreiten auf den Baustellen zu vermeiden. Dies ist für eine absolute Prozesssicherheit notwendig. Das Ziel ist die Aufnahme in das deutsche Regelwerk und dass die Verwendung von Asphacal® TC Kalkmilch im Sommer Stand der Technik und auf europäischen Baustellen Usus ist. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 235 Moderne Baustoffe im Erhaltungsmanagement - Was PMMA-Bindemittel leisten können Arnd Laber Triflex GmbH & Co. KG, Bereich Infrastruktur, Minden Zusammenfassung Seit vielen Jahren setzt die Triflex GmbH & Co. KG als Vertriebsgesellschaft der inhabergeführten Follmann-Chemie Gruppe in der bautechnischen Anwendung von PMMA-basierten Produkten und Systemen Maßstäbe und begleite aktiv die Entwicklung heute geltender Regelwerke wie z.B. der Flchadachrichtlinie. Mit der stetig wachsenden Erfahrung auch aus dem Bereich der Parkhaussanierung und durch die neuen Betrachtung des Werkstoffs PMMA, wie er z.B. in der H PMMA beschrieben wird, hat sich die Triflex zum Ziel gesetzt, auch im Erhaltungsmanagement von Verkehrsflächen einen nachhaltigen Beitrag zur dauerhaften Instandhaltung zu leisten. Die ersten produktbezogenen Versuche in diesem Bereich bestätigen den Ansatz. Der Absatz der dafür konzipierten Produkte hat sich in den vergangenen vier Jahren bundesweit mehr als verdreifacht und hat inzwischen auch ohne Regelwerksbezug (die H RepA schließt bewusst PMMA aus! ) eine Schwelle von 100 to. p.a. überschritten. Es hat sich aber auch gezeigt, dass der Werkstoff auf eine sehr konservative Branche trifft und somit wird klar, dass man mit reinen Vertriebsaktivitäten unverhältnismäßig lange braucht, um die in dem Produkt liegenden Chance in den Markt zu transferieren. Daher unterstützen wir mit voller Überzeugung innovative und weiterführende Ansätze. Aus diesem Bereich um damit einen wertvollen Beitrag zu einem modernen Erhaltungsmanagement zu leisten. 1 PMMA: Polymethylmethacrylat 2 Hinweise für die Herstellung von Abdichtungssystemen aus einer Polymerbitumen-Schweißbahn auf einer Versiegelung, Grundierung oder Kratzspachtelung aus PMMA für Ingenieurbauwerke aus Beton (Ausgabe 2018) Seit Jahren in den Normen In vielen Bereichen des Bauens im Bestand sind PMMA 1 basierte Produkte und Systemlösungen seit Jahren die Norm. Wurden diese Flüssigkunststoffe noch vor 30 Jahren z.B. im Dachbereich eher belächelt, habe sie über ihre Performance heute doch einen festen Platz bei Planung und Ausführung teils komplizierter Details. Sie haben ihren Weg in die aktuellen Normenreihen gefunden und über viele Jahre den Nachweis angetreten, dass sie in Funktion und Dauerhaftigkeit mehr als nur eine flüssige Alternative zu den etablierten Bahnen darstellen. Nicht umsonst haben heute nahezu alle relevanten Bahnenhersteller entsprechende Flüssigkunststoffe in ihrem Lieferprogramm. Was spricht für PMMA als Bindemittel Epoxidharze und Polyurethan sind seit vielen Jahren die Bindemittel in der Welt der Bauchemie. Sie haben sich anforderungsgerecht weiterentwickelt und leisten heute einen umweltgerechten Beitrag als Beschichtungsstoffe, als Rissfüllstoffe oder als Bindemittel für Betonersatzsysteme, die normiert und grundgeprüft sind. Die Bedeutung der PMMA-Produkte hat in den vergangen Jahren stark zugenommen. Als schnellreagierende, hoch belastbare System formuliert nutzen sie ihren UV- und Witterungsbeständigkeit z.B. als kalt applizierte Fahrbahnmarkierungen (nach BASt) oder als grundgeprüfte Oberflächenschutzsysteme im Bereich von Parkbauten. Das dann erst im Herbst 2018 über das H PMMA 2 des FGSV der Weg für diese Bindemittel auch für Anwendungen z.B. im Bereich der Brücke normierbar geöffnet wurde, ist letztlich nur der Beleg dafür, dass sie - sinnvoll formuliert und anforderungsgerecht konzipiert - Basis für Werkstoffe sind, die einen relevanten Beitrag leisten, wenn kurze Bauzeiten benötigt werden und/ oder alternative Bindemittel aufgrund einzuhaltender Temperaturgrenzen nicht zielsicher eingesetzt werden können. Mit PMMA an Asphaltflächen anbinden? Natürlich geht das. Im Bereich Dach ist die Verträglichkeit aber auch die Dauerhaftigkeit in Verbindung zu Bitumenschweißbahnen heute Stand der Technik. Auch bei Fahrbahnmarkierung ist es eine seit Jahren erfolgreich etablierte Bauweise - und das auch im befahrenen Bereich. 236 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Moderne Baustoffe im Erhaltungsmanagement - Was PMMA-Bindemittel leisten können Hierzu müssen sich Hersteller wie die Triflex auch entsprechenden Befahrbarkeitsprüfungen unterziehen, die teilweise auf eigenen Prüfständen durchgeführt werden. RPA-Prüfstand der Triflex GmbH & Co. KG Heute lassen sich mit entsprechenden Formulierungen der PMMA-Bindemittel und den darauf abgestimmten Sieblinien daraus Reaktionsharzmörtel konzipieren, die nicht nur den Anforderungen der bestehenden Normen entsprechen, sondern manchmal auch darüber hinaus gehen. Normgerechte Reaktionsharzmörtel auf PMMA-Basis. Ob aus Anforderungen den DIN EN 1504-3 oder über Anforderungen in Anlehnung an die „Technischen Lieferbedingungen / Technische Prüfvorschriften für Betonersatzsysteme aus Reaktionsharzmörtel/ Reaktionsharzbetonen TL/ TP BE PC“ - moderne PMMA-Mörtel können die entsprechenden Kennwerte nachweisen und haben damit einen Platz bei den Auswahl der zur Verfügung stehenden Baustoffe. Aber warum nicht bei der Erhaltung von Asphaltflächen? Obwohl die Diskussion über den Zustand unserer Verkehrsinfrastruktur seit Jahren intensiv geführt wird, hat sich „der Markt“ anscheinend damit abgefunden, dass die für kleinere Erhaltungsmaßnahmen zum Einsatz kommenden Ersatzmassen bis vor Kurzem keinerlei Normierung unterlagen bzw. nur allgemein in der ZTV-BEA-StB 09 sowie den TL Asphalt-StB 07/ 13 geregelt wurden. Das entsprechende Hinweisblatt der FGSV - die H RepA 3 - hat dabei den richtigen Versuch unternommen, grundsätzliche Anforderungen zur Beschaffenheit von Reparaturasphalten zu formulieren. Mit mäßigem Erfolg. Da die H RepA bereits im Vorwort explizit Reaktionsharzbasierte Ersatzprodukte inhaltlich nicht regeln kann (will? ). Warum? Weil sie mehr leisten können? Weil sie dauerhaftere Instandhaltung ermöglichen? 3 Hinweise für Reparaturasphalt zur Schadstellenbeseitigung (Ausgabe 2019) 4 Spurbildungsversuch gemäß TL Asphalt-StB 07, Teil 22 (2013) Hier besteht Nachbesserungsbedarf und die Öffnung hin zu reaktionsharzbasierten Bindemittelalternativen. Da mit Ausnahme der Wasseraufnahme (sie liegt bei PMMA-Mörteln bei 0) kaum eine der in der H RepAaufgeführten Bindemittelprüfungen mit einem Reaktionsharz durchführbar ist, haben wir uns andere Wege gesucht, die Performance der speziell für diesen Bereich konzipierten Mörtel nachzuweisen. Performance-Prüfungen als Orientierung Um nicht nur das Bindemittel, sondern die Ersatzmasse an sich, hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit zu prüfen, hat die Triflex in Zusammenarbeit mit dem IBQ-Institut, Remseck in verschiedenen Auf baustärken das Produkt Triflex Asphalt Repro 3K entsprechenden Belastungsproben unterzogen, die alle aus gängigen Prüfnormen für Asphalte abgeleitet wurden. Vollkörper Triflex Asphalt Repro 3K, 40 mm stark im Mischungsverhältnis 1: 6 Rinnentiefe nach 10.000 Zyklen bei 60° C : 0,2 mm (Der Vergleichsasphalt AC 11 DS lag bei 2,2 mm) 4 Doch nicht nur als Vollkörper für hohe mechanische Belastung, sondern auch als dünnschichtige Auflage zeigt der Werkstoff seine Widerstandsfähigkeit. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 237 Moderne Baustoffe im Erhaltungsmanagement - Was PMMA-Bindemittel leisten können Eine 5 mm Auflage Triflex Asphalt Repro 3K im Mischungsverhältnis 1: 3 zeigt bei gleicher Belastung auf einem Träger aus AC 11 DS eine Rinnentiefe von 1,9 mm. Dabei fällt auf, dass an dem Probekörper weder eine Delamination noch eine Rissbildung im Flankenbereich der Verdrückung zu beobachten ist. Auch der für die Praxis so wichtige Abrieb wurde mit entsprechenden Prüfkörpern in Anlehnung an CEN/ TS12697-50 5 ermittelt. Weder die 1: 3 noch die 1: 6 Mischungen (Verhältnis Harz : Füllstoff) des Triflex Asphalt Repro 3K ergaben dabei nach 10 Doppelschubzyklen mit einer Vertikallast von 1000 N bei 40° C einen messbaren Abrieb. Wie viele der „etablierten“ Ersatzmassen würden wohl ähnliche Werte erreichen? Wenn sie dann überhaupt als dünnschichte Auflagen anwendbar wären. 5 Asphalt - Prüfverfahren - Teil 50: Widerstand gegen Oberflächenverschleiß ; Deutsche Fassung CEN/ TS 12697-50: 2018 Neben zahlreicher Praxisbeispiele die außer im Straßenbau auch in den Bereichen Logistik-, Parkhaus- und Industrieflächen liegen, laufen derzeit auch noch weitere Prüfungen - so z.B. an der Fachhochschule Erfurt (FHE). Zum Zeitpunkt der Skripterstellung laufen die Prüfungen noch. Über die sich andeutenden, bemerkenswerten Ergebnisse und die daraus gewonnenen Ableitungen wird im Vortrag zu berichten sein. Fazit Quo vadis Erhaltungsmanagement? Können wir es uns leisten, wie bisher immer und immer wieder Schadstellen nur behelfsmäßig zu flicken? Haben wir mal daran gedacht, dass es vielleicht für junge Berufseinsteiger oder für die aktiven Fachkräfte auch mehr als unbefriedigend ist, immer und immer wieder an die gleiche Schadstelle ran zu müssen? Kann man da stolz auf seine Arbeit sein? Mit PMMA-basierten Bindemitteln steht für das Erhaltungsmanagement von Verkehrsflächen eine dauerhafte und damit auch wirtschaftliche Alternative zur Verfügung, die so vielfältig einsetzbar ist, dass eine Vielzahl von Aufgaben im Straßen-,Tief- und Gleisbau zielsicher erledigt werden können und das über weite Strecken im Jahr. Zeitraubende Detailprobleme können jetzt schnell und ergebnissicher gelöst werden. BIM - Digitale Zwillinge 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 241 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende Dipl.-Ing. (FH) Eugen Hilbertz PTV Planung Transport Verkehr GmbH, Karlsruhe Zusammenfassung Makroskopische und mikroskopische Verkehrsmodelle helfen Visionen für die Umsetzung von Maßnahmen zur Mobilitätswende zu realisieren und zu bewerten. Für Planer und für Entscheider ist es wichtig, dass es kein richtig oder falsch gibt, wenn man Ideen entwickelt. Erst durch eine Bewertung dieser Ideen kann eine mögliche Realisierung gestützt werden. Es gibt auch schon Beispielstädte, die man sich in der Realität anschauen kann: Houten (Niederlande), Kopenhagen (Dänemark), Ferrara (Italien), Pontevedra (Spanien), Barcelona (Spanien), Bern-Bümpliz (Schweiz), Curitiba (Brasilien), Singapur, Bogota (Kolumbien) 1. Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende Abb. 1: Realität (Bild: Pixabay Kevan Craft) Wenn wir von digitalen Zwillingen in der makroskopischen oder der mikroskopischen Verkehrsplanung reden, dann gibt es da zwischen Realität und Modell doch sehr große Unterschiede. Ein Modell kann immer nur so gut wie die Datenbasis sein, die den Modellierern zur Verfügung steht. Bei Verkehrsmodellen ist die Datenbasis, was das Verhalten der Verkehrsteilnehmer angeht, meist sehr klein. Abb. 2: Digitaler Zwilling, grob (Bild: Pixabay Clker Free Vector Images) Eine Basis der Verhaltensbefragung sind Haushaltsbefragungen. Diese werden häufig als zufällige Stichproben über alle Haushalte einer Stadt, einer Region oder auch über ganz Deutschland verteilt erhoben. Der Stichprobenumfang liegt dabei häufig in einem Bereich von 1 % bis 1,5 % aller Haushalte. Bei der deutschlandweiten Mobilität in Deutschland (MiD) wurden im Jahr 2016/ 2017 insgesamt 156.000 Haushalte mit gut 316.000 Personen befragt. Das entspricht 0,38 % aller Haushalte. Bei lokalen Haushaltsbefragungen können teilweise auch höhere Anteile an der Bevölkerung befragt werden. Bei einer Großstadt mit über 100.000 Einwohner und geschätzten 50.000 Haushalten würde 1,5 % bedeuten, dass 750 Haushalte mit etwa 1.500 Personen befragt und ausgewertet werden müssen. 242 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende Abb. 3: Digitaler Zwilling, fein (Bild: Pixabay Schmidsi) Die zufällige Stichprobenwahl ist dabei ein wichtiges Kriterium, da sonst die Abschätzungen für Parameter eines digitalen Zwillings falsche Gewichte ergeben können. 2. Makroskopischer Ansatz In makroskopischen Verkehrsmodellen können strategische Planungen erfolgen. Der Prognosehorizont liegt hier häufig bei 15 bis 20 Jahren. Das bedeutet, dass man jetzt Ideen und deren mögliche Auswirkungen untersucht, die erst in 15 bis 20 Jahren umgesetzt sind. Die demografischen und städtebaulichen Entwicklungen in den Städten in diesen Zeiträumen sollen ebenfalls berücksichtigt werden. 2.1 Datengrundlage Abb. 4: Strukturdaten in Bezirken, Umlegungsergebnis (PTV Visum) 2.1.1 Einteilung des Verkehrsmodells in Bezirke Um in einem Verkehrsmodell Daten zu der Bevölkerung und Strukturdaten abbilden zu können, werden die unterschiedlichen Untersuchungsbereiche in Verkehrsbezirke eingeteilt. Die Verkehrsbezirke sollten aus statistischen Gründen ähnlich groß sein und wenigstens 1.000 Einwohner enthalten. 2.1.2 Strukturdaten Die Strukturdaten können für Verkehrsmodelle in der Aggregationsebene Verkehrsbezirk vorliegen. Das bedeutet, dass für jeden Verkehrsbezirk eingetragen ist, wie viele Arbeitsplätze, Schulplätze, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitmöglichkeiten etc. vorhanden sind. 2.1.3 Nachfragemodell Mit Hilfe eines Nachfragemodells (klassisches Vierstufen-Nachfragemodell, verzahntes Vierstufen-Nachfragemodell EVA, Wegekettenmodell) können nach der Verkehrsverteilung und nach der Moduswahl alle Relationen in Bezug zu ihrer Reiseweiten- und Reisezeitenverteilung analysiert werden. 2.2 Mobilitätswende vs. Verkehrsmittelwende Abb. 5: Wunschlinien Wege. Hier: Wohnen <-> Einkaufen Warum bewegen sich Menschen von A nach B? Was ist der Grund für den Wunsch nach Ortsveränderung? Wir wohnen an einem Platz A und wir arbeiten, gehen zum Einkaufen, besuchen Freizeiteinrichtungen, an einem Ort B. Liegen diese Orte jeweils weit voneinander entfernt, müssen wegen des Wunsches nach Ortsveränderung lange Wege zurückgelegt werden. In den 1980ern/ 1990ern Jahren entstand in der Stadt- und Verkehrsplanung die Idee „Der Stadt der kurzen Wege“. Aktuell beschreibt man das Ziel noch genauer. Die 15-Minuten-Stadt. 15-Minuten, in denen man die meisten aller täglichen Ziele zu Fuß oder mit dem Fahrrad oder mit den Verkehrsmitteln des ÖV erreichen kann. Ob es nun 15-Minuten oder 20-Minuten sind, ist dabei nicht so entscheidend. Wichtig ist, dass man die Möglichkeit für Städte untersucht. Dazu kann man in makroskopischen Verkehrsmodellen Analysen zu den Entfernungen der Quell-Ziel-Relationen durchführen. Wunschlinien, Desire lines, zeigen dabei, wie weit Quellen und Ziele in einer Stadt für verschiedene Aktivitäten auseinander liegen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 243 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende Hierbei werden Ergebnisse aus eigenen Haushaltsbefragungen oder aus regionalen oder auch bundesweiten Befragungen zugrunde gelegt. Mobilitätswende bedeutet in erster Linie eine Veränderung der Entfernungen der jeweiligen Ursachen für den Wunsch nach Ortsveränderung (Quelle-Ziel-Relationen). Dadurch ist zwangsläufig auch eine Veränderung in der Verkehrsmittelwahl möglich. Ein Verlagern von Verkehren des motorisierten Individualverkehrs auf die Verkehrsmittel des öffentlichen Personenverkehrs alleine ist noch keine Mobilitätswende. 2.3 Aktivitäten-/ Agentenbasiertes Modell (ABM) Abb. 6: Tour eines Agenten. Aktivität Einkaufen. Verkehrsmittel Pkw (PTV Visum) Das Aktivitäten-basierte Modell (ABM) ist ein alternativer Ansatz zur Nachfragemodellierung, welcher die Nachfrage in einer Region als Ergebnis vieler individueller Mobilitätsentscheidungen darstellt. In klassischen makroskopischen Nachfragemodellen wird die Bevölkerung zu verhaltenshomogenen Personengruppen zusammengefasst. Für jede Gruppe werden Aktivitätenpaare oder Aktivitätenketten modelliert. Die Berechnung der Nachfrage basiert auf negativem Nutzen der Ortsveränderungen. Diese Modelle werden auch als Wege-basierte bzw. Touren-basierte Nachfragemodelle bezeichnet, da sie sich auf die reine Anzahl der Wege oder Ketten konzentrieren und nicht auf die Bildung von Touren im Kontext von Personen und ihren individuellen Eigenschaften. Die Ergebnisse eines makroskopischen Nachfragemodells sind mehrere Fahrtenmatrizen, die nach Personengruppe, Fahrtzweck und Modus differenziert sind. Im Gegensatz dazu liegt beim Aktivitäten-basierten Modell der Fokus auf der einzelnen Person und ihrer Mobilität. Aktivitäten-basierte Modelle sind mikroskopische Nachfragemodelle, in denen Mobilitätsentscheidungen aller Personen individuell als aufeinanderfolgende diskrete Entscheidungen simuliert werden. Eine solche Wahl kann eine langfristige Entscheidung wie die Wahl des Arbeitsplatzes oder eine kurzfristige wie die Entscheidung über die Anzahl der Touren und Trips sein. Aktivitäten-basierte Modelle sind für einige Bereiche der Nachfragemodellierung beliebt, da sie das Verhalten von Individuen auf sehr intuitive Weise modellieren und das Potenzial haben, einige Aspekte der Mobilität (z.B. neue Modi, Multimodalität, Haushaltsinteraktionen) besser zu berücksichtigen als aggregierte Modelle. Die Individuen werden als „synthetische Bevölkerung“ dargestellt. Die Personen in einer synthetischen Bevölkerung sind keine exakten Reproduktionen der wahren Bevölkerung, sondern werden typischerweise durch Monte-Carlo-Simulationen von Personenmerkmalen (Geschlecht, Alter, Einkommen, Beruf, Wohnort...) auf der Grundlage statistischer demographischer Daten erzeugt. Die Entscheidungen der Personen hängen von den Merkmalen ab, die mit den erzeugten Personen verbunden sind. Als Ergebnis des Modells werden Tagespläne in Form von Abfolgen von Aktivitätsausübungen generiert. Die Tagespläne enthalten Informationen über die Aktivitäten, beispielsweise Startzeiten, Dauer und Standorte, sowie über die Touren einschließlich der Wahl des Modus. 2.3.1 Abbildung von Touren im Aktivitäten-/ Agentbasierten Modell Abb. 7: Tour eines Agenten. Aktivität Einkaufen. Verkehrsmittel ÖV (PTV Visum) Eine Tour beschreibt eine Folge von Trips. Die Touren eines Tagesplans decken die Aktivitäten ab, die eine Person mit diesem Tagesplan ausübt. Beispiel: Wohnen- Arbeit-Wohnen und anschließend Wohnen-Sport-Einkaufen-Wohnen. Beispiel: • Wohnen - keine Aufenthaltszeit, Start 11: 12: 32 • Mit dem ÖV in 10min 32s zur ersten Freizeitaktivität. Ankunft 11: 23: 05 • Freizeit - Aufenthaltsdauer 1h 26min 3s, Start 12: 49: 08 • Mit dem ÖV in 15min 34s zur zweiten Freizeitaktivität. Ankunft 13: 04: 42 • Freizeit - Aufenthaltsdauer 1h 57min 52s, Start 15: 02: 34 • Mit dem ÖV in 21min 59s zur dritten Freizeitaktivität. Ankunft 15: 24: 33 • Freizeit - Aufenthaltsdauer 16min 5s, Start 15: 40: 38 • Mit dem ÖV in 11min 20s zurück zum Wohnen. Ankunft 15: 51: 58 244 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende 2.4 Ergebnisse von makroskopischen Verkehrsmodellen Abb. 8: Verkehrsstrombündel einer Strecke in beiden Fahrtrichtungen (PTV Visum) Die Nachfrage, die aus einem Nachfragemodell berechnet wurde, wird im makroskopischen Verkehrsmodell auf das Angebot umgelegt, bewertet. Eine weitere Analysemöglichkeit sind Verkehrsstrombündelanalysen. Hier werden die Verkehre auf deren Quelle und Ziel untersucht, die einen bestimmten Abschnitt im Netzmodell befahren. Die Ergebnisse werden mit dem Nachfragemodell rückgekoppelt um Verlagerungseffekte zwischen verschiedenen Modi (mIV, mIV-Mitfahrer, ÖV, Fahrrad, Fußgänger) zu bewerten. Auf diese Weise können alle Visionen einer Stadtentwicklung durchgespielt und deren Auswirkungen auf die Verkehrsmittelwahl analysiert werden. 3. Mikroskopischer Ansatz Mit mikroskopischen Simulationsmodellen können Verkehrsabläufe detaillierter dargestellt werden, als mit makroskopischen Verkehrsmodellen. Der Rechenaufwand wird größer je detaillierter das Simulationsmodell abgebildet wird. Mikroskopische Simulationsmodelle können zur detaillierten Untersuchung nach der Vorausplanung in einem strategischen, makroskopischen Verkehrsmodell angewandt werden. Sie dienen auch für Kurzfristprognosen von kleinräumigen Maßnahmen im Verkehrsraum und zur Ermittlung der Qualitätsstufe des Verkehrsablaufs. 3.1 Mikroskopischer Aspekt der Verkehrsmodellierung Abb. 9: Strecken und Flächen für Fahrzeuge und Fußgänger (PTV Vissim) In der öffentlichen Diskussion werden häufig Aufgaben an kleinen, eher überschaubaren Situationen gemessen. Fragen wie: „Wie sieht das dann aus, wenn dort eine Stadtbahn fährt? “ oder: „Wenn dort eine Haltestelle gebaut wird. Passt die überhaupt in den Straßenraum? “ Mit Hilfe einer mikroskopischen Simulation des Verkehrsablaufes können auch kleinräumige Problemstellen erkannt und Lösungsansätze entwickelt werden. Die Daten werden entweder aus einem makroskopischen Verkehrsmodell exportiert oder manuell eingegeben. Als Grundlage können auch Daten aus CAD-Programmen importiert werden. Die Intention ist: „Erst simulieren, dann bauen! “ In einem mikroskopisches Verkehrsmodell können die Verkehrsabläufe realitätsnah abgebildet werden. Verdichtungen eines ÖV-Taktes, neue Radwege, neue Gehwege, modifizierte Fahrbahnen können in allen Ausprägungen untersucht werden. Auch Änderungen in der Lichtsignalsteuerung oder ÖV-Beschleunigungsmaßnahmen können so untersucht werden, bevor sie in der Wirklichkeit umgesetzt werden. Damit besteht die Möglichkeit auch Ansätze zu verfolgen, die einem zunächst unrealistisch oder auch unvorstellbar erscheinen. Auswertungen über Reisezeiten, Qualitätsstufen des Verkehrsablaufes (QSV) werden so für alle Verkehrsteilnehmer sichtbar. Das Fahrverhalten von Fahrzeugen kann auf Basis des Fahrzeugfolgemodells von R. Wiedemann, die Bewegung von Fußgängern auf der Basis des Social-Force-Modells von Helbing und Molnár simuliert werden. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 245 Digitale Zwillinge zur Bewertung von Maßnahmen für die Mobilitätswende 3.1.1 Realisierung im Modell Abb. 10: 3D-Darstellung (Video) eines mikroskopischen Verkehrsmodells (PTV Vissim) Um im mikroskopischen Verkehrsmodell realitätsnähere Bezüge herstellen zu können, ist es möglich zur Veranschaulichung der Ergebnisse eine 3D-Darstellung zur wählen. Zusätzlich zu den relevanten Netzobjekten, die ebenfalls dreidimensional dargestellt werden können, ist es möglich, weitere 3D-Objekte, wie Gebäude, Straßenraummöblierung, Bepflanzung, Beschilderungen oder Lichtsignalmasten einzufügen. Literatur [1] PTV Planung Transport Verkehr GmbH: Handbuch PTV Visum 2023. Karlsruhe. 2022 [2] PTV Planung Transport Verkehr GmbH: Handbuch PTV Vissim 2023. Karlsruhe. 2022 [3] Mobilität in Deutschland - MiD. Ergebnisbericht. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Bonn. Dezember 2018. S. 19 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 247 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung Dipl.-Ing. Christian Forster HOCHTIEF ViCon, Essen Dr.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Tim Zinke HOCHTIEF ViCon, Essen Zusammenfassung Digitale Zwillinge gewinnen im Bauwesen und auch im Infrastrukturbau zunehmend an Bedeutung. Dies wird sowohl durch vielfältige wissenschaftliche Untersuchungen und Diskussion vorangetrieben als auch durch erste praktische Umsetzungen. Der vorliegende Beitrag stellt die Strukturierung, Entwicklung und Implementierung eines digitalen Zwillings für Verkehrsinfrastrukturen auf Streckenzugebene vor. Für das PPP-Projekt „ViA6West“ ist für eine Bundesautobahn auf einer Länge von 47,2 km ein Digitaler Zwilling umgesetzt worden, der Daten aus verschiedenen Quellen wie Inspektionen, Straßenbefahrungen, Verkehrsdaten, Wetterdaten und 3-D-Modelldaten miteinander verknüpft. Diese Daten werden in einer zentralen Datenhaltung gespeichert und für verschiedene Anwendungsfälle auf bereitet, welche beispielhaft vorgestellt werden. Als Basis für die tägliche Arbeit wird ein Dashboard eingesetzt, das mit Hilfe einer Business Intelligence Lösung erzeugt wird. Die Umsetzung erfolgt durch die HOCHTIEF PPP Solutions GmbH und die HOCHTIEF ViCon GmbH. 1. Einführung In den letzten Jahren wird die Digitalisierung im Bereich der Verkehrsinfrastrukturen durch die öffentliche Hand stark vorangetrieben. Der Grundstein dieses Prozesses wurde durch die Reformkommission Bau von Großprojekten aus dem Jahr 2015 gelegt [1]. Als ein Ergebnis der im Jahr 2015 vorgeschlagenen Maßnahmen ist der Masterplan BIM Bundesfernstraßen entstanden, der eine übergeordnete Strategie für die Implementierung von verschiedenen Digitalisierungskomponenten beinhaltet [2]. Im Vordergrund steht dabei die phasenweise Einführung der BIM-Methode für die Planung und Ausführung von Bauprojekten. Gleichzeitig wird als Zukunftsbild der Digitale Zwilling eingeführt, der vornehmlich auf das Erhalten und Betreiben von Bauwerken abzielt und damit seine Hauptaufgabe in der Nutzungsphase ausübt. Diese Einordnung liefert eine wichtige Grundlage für die Festlegung, welche Aufgaben dem Digitalen Zwilling zukünftig zugeschrieben werden. Bezüglich der konkreten Inhalte, zu integrierenden Komponenten und einheitlichen Definitionen eines Digitalen Zwillings existieren derzeit keine einheitlichen Grundlagen [3]. Dies liegt daran, dass es sich bei diesem Thema um eine vergleichsweise junge Disziplin handelt. In Abb. 1 ist die Anzahl der Suchtreffer einmal für wissenschaftliche Publikationen (blau) und zum anderen für das relative Suchinteresse am Beispiel einer Suchmaschine (grün) dargestellt. Es ist zu sehen, dass ab dem Jahr 2018 ein deutlich zunehmendes Interesse zu verzeichnen ist und in den letzten vier Jahren viele unterschiedliche Initiativen, Projekte und Pilotprojekte entstanden sind. Viele davon stammen aus dem Bereich des Maschinenbaus, allerdings finden sich auch zunehmend Ansätze aus dem Bereich der Verkehrsinfrastrukturen. Abb. 1: Ergebnisse für verschiedene Begriffe für wissenschaftliche Publikationen (blau) und relatives Interesse am Beispiel einer Suchmaschine (grün) für den Zeitraum 2010 bis 2022 2. Definition und Komponenten 2.1 Ursprünge Als erste Person, die das Konzept des Digitalen Zwillings umfassend beschrieben hat, wird heute Michael Grieves von der Universität Michigan benannt. Für eine Vorlesung im Rahmen des Product Lifecycle Managements wurden vom ihm die wichtigsten Komponenten und ihre Zusammenhänge bereits im Jahr 2002 definiert [4]. 248 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung Der Begriff des Digitalen Zwillings wurde um das Jahr 2010 herum von der NASA eingeführt, die die grundlegende Idee von Grieves adaptierte und für Luftfahrzeuge der nächsten Generation ein zukunftsweisendes Gesamtkonzept entwickeln wollte, das eine Paradigmenwechsel herbeiführen sollte. Hierfür wurde ein Schwerpunkt auf die Integration von verschiedenen Daten gelegt, um diese zur Simulation von Fahrzeugen oder Systemen zu nutzen. Ein vorrangiges Ziel war die Abbildung aller Effekte während des gesamten Lebenszyklus des zu analysierenden Systems [5]. 2.2 Definition Auf bauend auf den verschiedenen theoretischen Überlegungen der letzten 20 Jahre lassen sich verschiedene Definition identifizieren, die je nach Anwendungsdomäne, Zielgruppe oder Fokussierung auf verschiedene Lebenszyklusphasen unterschiedliche Schwerpunkte legen. Alle Definitionen haben allerdings grundlegende Komponenten gemeinsam, die im Folgenden als die Basisdefinition von Digitalen Zwillingen verwendet werden. Diese sind in Abb. 2 visualisiert. Abb. 2: Komponenten des Digitalen Zwilling sowie deren Zusammenspiel Die im Bauwesen heutzutage sehr häufig verwendete Definition geht auf Boje et al. zurück [6], der drei Komponenten eines Digitaler Zwilling beschreibt : • Eine physische Komponente (reales Asset, tatsächlich existierendes Bauwerk), • eine virtuelle Komponente (digitale Repräsentation des realen Assets) und • ein Datenaustausch zwischen den Komponenten, der bidirektional erfolgt. Es ist erkennbar, dass ein reines digitales Abbild eines tatsächlich existierenden Bauwerks noch kein Digitaler Zwilling ist. Dieser erfordert einen Datenaustausch, der sowohl Daten aus dem realen Bauwerk in die Digitale Repräsentation überträgt (z. B. Bestandaufnahme des Istzustandes einer Brücke) als auch die Digitale Repräsentation benutzt, um Maßnahmen am realen Bauwerk durchzuführen (Auswertung der aufgenommenen Daten und Ableiten von Instandhaltungshaltungsmaßnahmen, die manuell oder automatisch durchgeführt werden). Betont werden muss, dass es sich bei den Daten, die in der digitalen Repräsentation zusammengeführt werden, um eine Vielzahl unterschiedlicher Daten handeln kann. Dies können beispielsweise folgende Daten sein, die in Form von Datenbankinhalten, Dateien, (geometrischen) Modellen oder weiteren Formaten vorliegen: • Messdaten aus Sensoren (Verkehrsbelastung, Dehnmessstreifen (DMS), Wettersensoren, etc.) • Daten aus Bauwerksdokumentationen (Bauwerksakte, Bauwerksbücher, Inspektionsberichte, etc.) • Zustandsdaten (SIB-Bauwerke) • Modelldaten (BIM-Modell, GIS-Modell) 2.3 Anwendungsbereiche Die vorgestellte allgemeine Definition lässt sich bei Kombination mit der Idee der Anwendbarkeit im gesamten Lebenszyklus von Bauwerken in unterschiedliche Anwendungsszenarien unterteilen. Diese sind in Abb. 3 zusammengefasst. Erste Daten eines Digitalen Zwillings werden bereits in der Planungsphase erzeugt und bilden die Grundlage für die spätere Anwendung. Dies können geometrische Daten, Materialien, Qualitäten oder Produktbeschreibungen sein. Abb. 3: Einsatz des Digitalen Zwilling im Lebenszyklus 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 249 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung In der Herstellungsphase wird das erste Mal die Komponente des physischen Assets geschaffen. Vor allem im Bereich der Bauprozesse kann hier der Datenaustausch zwischen den beiden Zwillingen einen Mehrwert erzeugen. Sind beispielsweise die Positionen von Baugeräten auf der Baustelle in Echtzeit bekannt, kann eine Optimierung der Einsatzplanung erfolgen. In Bezug auf die Transportwege von Materialien, wie z. B. Aushubmaterialien, ist es so möglich, Transportdistanzen zu minimieren, indem tagesaktuell berechnet wird, an welchen Ort in welchem Maß Quellen und Senken existieren. Vor allem in der Nutzungsphase lassen sich eine Vielzahl von möglichen Anwendungsfällen für Digitale Zwillinge identifizieren. Durch die sukzessive Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung von Daten, die während des gesamten Betriebs entstehen, kann eine Unterstützung aller durchzuführenden Geschäftsprozesse erfolgen. Auf die wichtigsten Anwendungen wird in dem Praxisbeispiel des nächsten Kapitels eingegangen. 3. Praktische Umsetzung ViA6West 3.1 Nutzen Der Digitale Zwilling ViA6West fokussiert sich auf die Anwendung in der Nutzungsphase. Daher werden im Folgenden mögliche Anwendungen in der Herstellungs- und Rückbauphase nicht weiter betrachtet. Der größte Mehrwert des Digitalen Zwillings A6 liegt in der strukturierten Speicherung der Daten sowie den sich daraus ergebenden Bearbeitungsmöglichkeiten. Verschiedene Datenquellen werden miteinander verknüpft und so zentral auswertbar gemacht. Auf diese Weise kann Wissen generiert werden, dass bei in Datensilos vorliegenden Daten nicht gewonnen werden könnte. Wissen wird erzeugt, indem eine Datenverarbeitung mit einer Business Intelligence Lösung erfolgt und so Informationen generiert werden, die wiederrum von Menschen zur Entscheidungsunterstützung eingesetzt werden. 3.2 Entwicklungsschritte Abb. 4: Top-Down Ansatz für die Entwicklung von Anwendungsfällen (auf bauend auf [7]) Digitale Zwillinge können wie beschrieben für eine Vielzahl von Aufgaben verwendet werden. Daher ist es empfehlenswert, eine strukturierte Herangehensweise zu wählen. Als praxistauglich hat sich eine Top-Down Verfahrensweise herausgestellt (siehe Abb. 4). Der Gesamtprozess sollte mit einer Zieldefinition beginnen, damit eine Zielerreichungsmessung erfolgen kann. Im Anschluss werden die bestehenden Geschäftsprozesse identifiziert, die durch den Digitalen Zwilling unterstützt werden sollen. Diese Geschäftsprozesse können dann ggf. weiter unterteilt werden. Das Ergebnis sind Anwendungsfälle, die eine spezifische Aufgabe abgrenzen. Der Vorteil des Denkens in Anwendungsfällen liegt in der Zerlegung eines Gesamtzusammenhangs in Einzelaufgaben (bzw. Anwendungsfälle). Diese lassen sich detailliert ausformulieren, beispielsweise indem der abzuarbeitende Prozess mit allen Prozessschritten aufgeschrieben wird. Jeder Prozessschritt erfordert für die Bearbeitung Daten, die wiederrum mit verschiedenen Hilfsmitteln bzw. Softwaretools erhoben, gespeichert oder verarbeitet werden können. Erst wenn die Daten bekannt sind, die für jeden Anwendungsfall erforderlich sind, kann mit der Implementierung des jeweiligen Anwendungsfalls begonnen werden. 3.3 Anwendungsfälle Anwendungsfälle für Verkehrsinfrastrukturen lassen sich nach [7] in drei unterschiedliche Themenbereiche einteilen: • Betriebsprozesse, die regelmäßig wiederkehrend abzuarbeiten sind und für die Unterhaltung erforderlich sind. • Erhaltungsplanung und -durchführung, die in einem größeren zeitlichen Abstand stattfinden, größere Maßnahmen erfordern und i.-d.-R. von einer anderen Personengruppe ausgeführt werden als die Betriebsprozesse. • Strategische Aufgaben des Lebenszyklusmanagements, durch welche zukünftig durchzuführende 250 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung Maßnahmen, Kosten, Bauwerkszustände etc. berechnet bzw. prognostiziert werden. Die im Rahmen des vorliegenden Projekts umgesetzten Anwendungsfälle ordnen sich vor allem in den Bereich der Betriebsprozesse, allerdings auch in den Bereich der Erhaltungsplanung und -durchführung ein. Die Umsetzung der Anwendungsfälle im Digitalen Zwilling A6 ist als eine erste Ausprägungsstufe zu charakterisieren, die auf die Ausführbarkeit der aufgesetzten Prozesse ausgerichtet ist und nicht auf eine möglichst vollumfängliche Integration aller möglichen Anwendungsfälle. D.-h., dass eine sukzessive Weiterentwicklung des Digitalen Zwillings erfolgt, indem Prozesse kontinuierlich verbessert werden, weitere Datenquellen eingebunden werden und neue Anwendungsfälle umgesetzt werden. Darüber hinaus wird der Datenaustausch (die Maßnahmenumsetzung) aus dem Digitalen Zwilling in das reale Asset hauptsächlich über manuelle Prozesse durchgeführt. Zukünftig wird eine stärkere Automatisierung der Prozesse angestrebt. Die derzeit umgesetzten Anwendungsfälle sind in der Abb. 5 zusammengestellt. Die Umsetzung erfolgt dabei je nach erforderlichen Daten auf Streckenzugs-, Bauwerks- oder Bauteilebene. Abb. 5: Umgesetzte Anwendungsfälle Digitaler Zwilling ViA6West [8] 3.4 Datenintegration Eine wichtige Grundlage für die Implementierung eines lauffähigen Digitalen Zwillings ist die Schaffung von einheitlichen Datenstrukturen. Allen Objekten, Erhebungsergebnissen, Dokumenten, Sensoren, etc. werden dabei Attribute zugeordnet, die im Vorfeld eindeutig definiert und im Projekt konsequent angewendet werden. Die dabei zur Anwendung kommende Systematisierung wird als Projektdatenstruktur (PDS) bezeichnet. Die Projektdatenstruktur dient für alle Anwendungsfälle als Grundlage für die Verknüpfung relevanter Projektdaten aus unterschiedlichen Quellen in einem Projekt. Sie ermöglicht eine einheitliche Einordnung von Daten auch dann, wenn Autoren oder Softwarehersteller üblicherweise unterschiedliche Strukturen benutzen. Eine Projektdatenstruktur muss für jedes Projekt spezifisch aufgesetzt werden und orientiert sich an den verschiedenen Datentypen und -formten, die in den verschiedenen Anwendungsfällen erforderlich sind. Ein Beispiel für drei verschiedene Bereiche, die durch eine PDS abgedeckt werden, ist in Tab. 1 zusammengestellt. Es können dabei Angaben zum Ort (Wo ist ein Element verbaut? ), Angaben zum Objekt (Um welches Objekt handelt es sich und in welchem Zusammenhang steht es zu anderen Objekten? ) und zur Tätigkeit (Um welche Tätigkeit mit welchen Beteiligten handelt es sich? ) unterschieden werden. In jedem Bereich kommen unterschiedlichen Attribute zur Anwendung. Die dargestellte Attributsliste ist nicht abschließend und kann bei einer umfangreichen Anzahl an Anwendungsfällen sehr viele Einträge beinhalten. Tab. 1: Beispiele für Attribute verwendet zur Ausformulierung der Projektdatenstruktur (PDS) Bereich Attributscodierung Beschreibung Location LBS_Abschnitt Abschnittsbezeichnung im Gesamtprojekt (Bau oder Erhaltung) Location LBS_Start Startkilometer Location LBS_End Endkilometer Object OBS_Object Objekt (z. B. Überbau) Object OBS_Subobject Teilobjekt (z. B. Kappe) Object OBS_Element Element (z. B. Beton der Kappe) Work WBS_Prozess Art des Prozesses (Inspektion, Erneuerung, etc.) Work WBS_Trade Gewerk, das den jeweiligen Prozess durchführt Wie in Abb. 3 ersichtlich, werden in der Nutzungsphase sukzessive Daten aus dem Betrieb erhoben. Die Datenerhebung findet dabei vorzugsweise mit Hilfe von digitalen Formularen statt, die individuell erarbeitete Front- Ends besitzen und in denen die Projektdatenstruktur abruf bar ist. Ein Beispiel wird in Abb. 6 gezeigt. Abb. 6: Digitales Aufnahmeformular mit Datenbankanbindung zur automatischen Synchronisation von Eingaben Auf diese Weise wird gewährleistet, dass die Datenspeicherung in dem jeweils erforderlichen Format unter Zuweisung aller Attribute und unter Anwendung der 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 251 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung Projektdatenstruktur erfolgt. Nur wenn hier eine durchgängige Verwendung stattfindet, kann eine Verknüpfung der Daten erfolgen und es können die beabsichtigten Auswertungen durchgeführt werden. 3.5 Implementierungsbeispiele Zwei Beispiele für Ansichten des implementierten Digitalen Zwillings A6 sind in Abb. 7 und Abb. 8 dargestellt. In Abb. 7 ist zu sehen, dass zur besseren Orientierung die Objekte mit einem digitalen Bauwerksmodell verknüpft sind. Dabei kann sowohl eine Auswahl von Modellelementen im Bauwerksmodell und die Filterung der Ergebnisse anhand dieser Auswahl erfolgen, als auch der umgekehrte Weg der Datenselektion und Anzeige der zugehörigen Bauwerksmodellelemente. Dies ist nur möglich, wenn eine konsequente Anwendung der Projektdatenstruktur für alle in den Digitalen Zwilling eingespeisten Daten erfolgt ist. In Abb. 8 ist die Einbindung von weiterführenden Dokumenten dargestellt. Es handelt sich hier um die Datenaufnahme einer Fahrbahnverschmutzung, die mit einem Foto dokumentiert wird. Das Foto wird über ein digitales Formular aufgenommen, dem Ort und ggf. dem zugehörigen Objekt zugeordnet und dann in der Datenbank gespeichert. Auf Grundlage weiterführender Attribute, die z.-B. Maßnahmen beschreiben, welche zur Mangelbeseitigung durchgeführt werden müssen, lässt sich die Leistungsfähigkeit des Digitalen Zwillings sukzessive erweitern. Die Projektdatenstruktur erlaubt darüber hinaus ein Mapping mit anderen Datenbanken. Ergebnisse von Bauwerksaufnahmen lassen sich so exportieren, dass Sie in die Datenbank SIB-Bauwerke importiert werden können. Auf diese Weise kann ein Datenaustausch erfolgen und die Interaktion zwischen unterschiedlichen Datenhaltungen ist gewährleistet. Der verwendete Mapping-Ansatz erfordert bei einer jeder Änderung eines Datenschemas allerdings auch die Anpassung der Verknüpfungsbzw. Exporteinstellungen. Abb. 7: Beispiel der Verknüpfung Bauwerksmodell und weiteren Daten auf Bauwerksebene über die Projektdatenstruktur (PDS) Abb. 8: Beispiel der Verlinkung zwischen Dashboardansicht und weiterführenden Dokumenten 252 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Digitale Zwillinge von Straßeninfrastrukturen - Theorie, Umsetzungsbausteine und Implementierung 4. Zusammenfassung Digitale Zwillinge - vor allem für eine Anwendung in der Nutzungsphase von Verkehrsinfrastrukturen - werden derzeit in vielen Ausprägungen diskutiert. Es hat sich aufgrund der vergleichsweise jungen Entwicklungsgeschichte noch kein einheitliches Verständnis herausgebildet. Existierende Frameworks und erste Praxisbeispiele zeigen aber, dass bei einer strukturierten Implementierung unter Beachtung grundlegender Zusammenhänge zur Datenverknüpfung leistungsstarke Digitale Zwillinge aufgebaut werden können und eine durchgängige digitale Informationskette geschaffen werden kann. Das Praxisbeispiel ViA6West ist ein Digitaler Zwilling, der vor allem Anwendungsfälle für Betriebsprozesse, typsicherweise durchgeführt von Personen der Autobahnmeistereien, beinhaltet. Darüber hinaus sind auch verschiedene Anwendungsfälle für die Erhaltungsplanung und -durchführung integriert. Basis für die bilden vollständig verknüpfte Daten, die über eine Projektdatenstruktur in Verbindung zueinander gebracht werden. Die Anbindung ein 3-D-Bauwerksmodell ist dabei eine Hilfestellung für Nutzer, um eine bessere Orientierung durch eine Visualisierung zu geben. Zukünftig werden Digitale Zwillinge in allen Bereichen an Bedeutung gewinnen. Eine zentrale Herausforderung wird bei der Entwicklung die Integration unterschiedlicher existierender Datenquellen sein. Darüber hinaus ist es für den Bereich der öffentlichen Verkehrsinfrastrukturen erstrebenswert, offene Verknüpfungsstandards zu entwickeln, die beispielsweise auf Ontologien basieren. Auf diese Weise können unterschiedliche Softwareanbieter auf den vorliegenden Datenbeständen auf bauen und ein Wechsel zwischen Softwarelösungen wird ermöglicht. Literatur [1] BMVI (2015): Stufenplan Digitales Planen und Bauen - Einführung moderner IT-gestützter Prozesse und Technologien bei Planung, Bau und Betrieb von Bauwerken. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin: Stand Dez. 2015. [2] BMVI (2021): Masterplan BIM für Bundesfernstraßen: Digitalisierung des Planens, Bauens, Erhaltens und Betreibens im Bundesfernstraßenbau mit der Methode Building Information Modeling (BIM). Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin: Stand September 2021. [3] Sacks, R.; Brilakis, I.; Pikas, E.; Xie, H. S.; Girolami, M. (2020): Construction with digital twin information systems. Data-Centric Engineering, Vol. 1, 2020. [4] Grieves, M. (2016): Origins of the Digital Twin Concept. Working Paper, online verfügbar unter https: / / doi.org/ 10.13140/ RG.2.2.26367.61609. [5] Tuegel, E. J., A. R. Ingraffea, T. G. Eason, and S. M. Spottswood (2011): Reengineering Aircraft Structural Life Prediction Using a Digital Twin. International Journal of Aerospace Engineering, pp. 1-14. [6] Boje, C., A. Guerriero, S. Kubicki, and Y. Rezgui (2020): Towards a semantic Construction Digital Twin: Directions for future research. Automation in Construction, 114: 103179. [7] Zinke, T. et al. (2022) Konzeptionelle Untersuchung zur Zusammenführung von Komponenten des Digital Twin Brücke. FE-Nr. 15.0677/ 2020/ IRB 1. Zwischenbericht (unveröffentlicht). [8] buildingSMART (2022): BIM Champions 2022. Online verfügbar unter https: / / www.buildingsmart.de/ buildingsmart/ aktuelles/ die-bim-champions-2022. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 253 Field 2 BIM Nutzung von As-Built-Daten der Bauausführung für einen digitalen Zwilling Jan Köchy, M. Sc. SITECH Deutschland GmbH, Sindelfingen Dipl.-Ing. (FH) Alexander Haag SITECH Deutschland GmbH, Sindelfingen Zusammenfassung Der digitale Zwilling ist ein digitales Abbild eines physischen Bauwerkes. In diesem soll das Modell aus der Planung im Zuge der Bauausführung um Informationen über die tatsächliche Ausführung ergänzt werden. Dies können unter anderem geometrische- oder Qualitätsinformationen sein. Gepflegt wird ein digitaler Zwilling üblicherweise in einem Common Data Environment. Dieses dient von der Projektinitiierung an als gemeinsame Datenumgebung für die Kommunikation und den Datenaustausch der Projektbeteiligten. Durch die Nutzung digitaler Lösungen können Medienbrüche zwischen den Projektphasen vermieden werden. Bei der Pflege des digitalen Zwillings können auch As-Built-Daten von Baumaschinen verwendet werden, die die Ergebnisse ihrer Arbeit automatisiert dokumentieren. Es gibt mit Trimble Quadri ein objektbasiertes CDE, das sich für die Verwalten von Straßenbauwerken eignet. Der digitale Zwilling kann aufgrund der Vielzahl der enthaltenen Informationen eine Entscheidungshilfe bei der Planung von Betrieb und Erhaltung von Straßeninfrastrukturen sein. 1. Einführung Um die Digitalisierung des Straßen- und Tief baus weiter zu verbreiten, ist eine homogenere Nutzung aller Daten im Bauprozess von Nöten. Es fehlt derzeit an einer Schnittstelle, die als Datendrehscheibe für Bauprojekte dient und alle Projektbeteiligten zusammenbringt. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur sieht in einer besseren Kommunikation und einer transparenteren Arbeitsweise einen Schlüssel für effizienteres Planen und Bauen [1]. Diesem Mangel kann mit einer gemeinsamen Datenumgebung, dem sogenannten CDE begegnet werden. Im CDE arbeiten alle Baubeteiligten in einem virtuellen Projektraum transparent zusammen. Um die Datennutzung auch während der Bauausführung aufrechtzuerhalten, werden Maschinensteuerungssysteme für Baumaschinen eingesetzt. Diese bekommen nicht nur Planungsdaten aus dem Büro zur Verfügung gestellt (BIM2Field), sondern dokumentieren beim Arbeiten den Baufortschritt in Geländemodellen. Dabei wird aus dem Datenfluss, der momentan in einer Einbahnstraße auf die Baustelle fließt, ein Krauslauf, der As-Built-Daten für die Weiterverarbeitung ins Büro übergibt. Diese so erzeugten Modelle können anschließend genutzt werden, um im Büro einen digitalen Zwilling aus As-Built-Daten von der Baustelle zu pflegen (Field2BIM). Der folgende Text zeigt in diesem Zusammenhang die technischen Möglichkeiten der Einbindung von Baumaschinensteuerungen in digitale Bauprozesse auf. Im Ergebnis soll ein Eindruck darüber vermittelt werden, an welchem Punkt die Digitalisierung von Straßen- und Tief baustellen aktuell steht, an welchen Stellen Änderungen des Status Quo erforderlich werden und wie der Betrieb von Straßeninfrastruktur in Zukunft in die Nutzung der As-Built-Daten eingebunden werden kann. 2. Technische Möglichkeiten Das Ziel der Modellerstellung muss es sein, Planungsdaten möglichst nahtlos für verschiedene Aufgaben verwenden zu können. Dabei sind Medienbrüche unbedingt zu vermeiden. Diese entstehen in der Regel dann, wenn Daten im falschen Austauschformat von einer Projektphase in die nächste oder von einem Projektbeteiligten an einen anderen übergeben werden. Die größten Medienbrüche finden beim Übergang von der Planungsin die Ausführungsphase und beim Übergang von der Ausführungsin die Betriebsphase statt. Die Planung etwa verliert an Nutzen, wenn sie für die Arbeit auf der Baustelle auf Papier (*.pdf) gedruckt werden muss. Physische Ausdrucke werden zwar auch künftig genutzt werden, doch sollten möglichst viele Aufgaben mit digitaler Unterstützung erledigt werden. Der Einsatz von Maschinensteuerungssystemen für die Bauausführung bietet vielfältige Möglichkeiten, die Daten der Planung direkt für die Steuerung von Baumaschinen zu verwenden. Wenn von gesteuerten Baumaschinen die Rede ist, ist damit eine Baumaschine gemeint, die dem Maschinis- 254 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Field 2 BIM ten mithilfe eines Positionierungssystems die Lage des genutzten Werkzeugs (z. B. der Schneide eines Baggerlöffels) direkt im geplanten Modell anzeigt. Die Positionierung im Feld erfolgt dabei entweder satellitengestützt (GNSS) oder mithilfe optischer Vermessungsinstrumente (Robotik-Totalstation). Diese Technologie wird heute flächendeckend auf vielen Maschinen genutzt. Auf einigen Baumaschinen, wie dem Motorgrader oder der Schubraupe, ist der Einsatz einer Baumaschinensteuerung bereits der Standard. Durch die Anbindung von Baumaschinen an eine Cloud kann dem Maschinisten ein Entwurf direkt vom Büro aus zur Verfügung gestellt werden. Bei integrierten Cloudlösungen können Dateien direkt aus einem CAD an eine Maschine übergeben werden. Neben der Zeitersparnis durch nicht erforderliche Fahrten zu Baumaschinen steigert dieses Vorgehen direkt die Qualität der Bauausführung, da die Planung nicht erst in einem Zwischenschritt z. B. in Form eines Schnurgerüstes auf das Baufeld übertragen werden muss. Allein durch den Einsatz einer Baumaschinensteuerung lässt sich also ein Medienbruch und damit eine potentielle Fehlerquelle vermeiden. Die folgenden Absätze sollen einen Überblick darüber geben, welche technologischen Möglichkeiten für die Digitalisierung von Baustellen darüber hinaus zur Verfügung stehen und welchen Nutzen diese für Baubeteiligte haben. 2.1 Projektabwicklung mithilfe eines Common Data Environment Eines der wesentlichen Ziele der Methode BIM ist die Verbesserung der Kommunikation und der Transparenz in der Abwicklung von Bauprozessen [1]. Diese Ziele werden unter anderem durch die Nutzung eines Common Data Environment (CDE) erreicht. Mit CDE ist eine gemeinsame Datenumgebung gemeint, in der alle Projektbeteiligten zusammenarbeiten und sämtliche (relevanten) Projektinformationen abgelegt und organisiert sind. Ganz praktisch ist ein CDE also in aller Regel ein Cloud-Speicher, in dem Projektdateien abgelegt werden können. Die Relevanz des Themas CDE wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur bestätigt. Die Nutzung eines CDE wird an verschiedenen Stellen im Masterplan BIM Bundesfernstraßen empfohlen [2]. Im Rahmendokument Datenmanagement werden die Anforderungen an ein CDE konkretisiert [3]. Demnach liegt die Verantwortung für ein CDE beim Auftraggeber. Dieser stellt einen BIM-Manager für die Einrichtung und Überwachung des CDE. Informationen können je nach Berechtigung von allen Nutzern beigesteuert und / oder eingesehen werden. Angebunden werden können an ein CDE über den gesamten Lebenszyklus alle Beteiligten eines Projektes. Dabei handelt es sich angefangen bei der Projektinitiierung unter anderem um verschiedene Fachplaner und Gutachter, über die Planung mit verschiedenen Ingenieurbüros, über die Ausführung mit unter Umständen mehreren Auftragnehmern, Subunternehmern, Bauüberwachern, usw. bis zum Betrieb mit den Straßenmeistereien. In einem CDE können alle HOAI-Leistungsphasen dokumentiert werden. Im Bedarfsfall kann so auch zum Zeitpunkt der Bauausführung noch nachvollzogen werden, warum in der Vorplanung die Entscheidung für eine bestimmte Variante getroffen wurde. Mithilfe von verschiedenen Nutzungsberechtigungen wird sichergestellt, dass jeder Mitarbeiter im Projekt alle (aber auch nur die) für ihn relevanten Informationen zur Verfügung hat. Dies wird am Beispiel des Wechsels von einer Leistungsphase in die nächste deutlich: Natürlich muss das Ergebnis einer Phase (z. B. die abgeschlossene Entwurfsplanung) den Akteuren einer anderen Phase (hier: Ausführungsplanung) übergeben werden, doch können viele Informationen (z. B. der Schriftverkehr) archiviert werden. Archivierte Daten werden innerhalb des CDE auf bewahrt, doch den Folgebeteiligten nicht zur Verfügung gestellt. Die Auswahl, welche Dateien archiviert und welche für eine Folgephase relevant sein können, trifft der BIM-Manager des Auftraggebers. Als Administrator stehen ihm alle Daten zur Verfügung, er steuert jedoch, wem welche Daten in einer neuen Phase freigegeben werden. Für das Einrichten und die Einhaltung der Ordnung innerhalb eines CDE ist ebenfalls der BIM-Manager des Auftraggebers verantwortlich. Für den Informationsaustausch sollte ein Kommunikationsmodell gepflegt werden. Dieses beinhaltet den aktuellen Stand aller Gewerke in einem zusammengefassten Modell. In diesem Modell werden Daten verschiedener Gewerke oder Fachabteilungen in verschiedenen Dateiformaten miteinander verschnitten und so eine Gesamtansicht des aktuellen Planungsstandes erzeugt. Dieses Kommunikationsmodell steht allen Beteiligten zur Verfügung und gilt als single source of truth. Gemeint ist mit diesem Ausdruck, dass dieses Modell als gegenwärtiger Stand der Planung gilt. Wann immer Beteiligte Informationen aus dem Modell entnehmen, können Sie sicher sein, dass sie den aktuellen Stand verwenden. Änderungen müssen deshalb umgehend eingepflegt werden. Durch dieses Verfahren wird vermieden, dass Projektbeteiligte mit unterschiedlichen Planständen arbeiten. Es entfällt in der Konsequenz das Hantieren mit Papierplänen unterschiedlicher Indizes. Zusätzlich kann ein CDE das Projektmanagement bei weiteren Aufgaben unterstützen. So gehört häufig ein Aufgabenmanagement zum Funktionsumfang eines CDE. Damit werden Aufgaben innerhalb der Projektgruppe an andere Beteiligte zugewiesen. Zur Präzisierung von Aufgaben können Ansichten aus Modellen und Plänen zu Aufgaben hinzugefügt werden. So wird eine fehlerfreie Kommunikation ermöglicht. Eine Kommentarfunktion erlaubt die Diskussion von Detailansichten oder Aufgaben direkt am Modell. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 255 Field 2 BIM Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Verwendung eines CDE im ersten Schritt natürlich eine Änderung der Prozesse der Projektbeteiligten bedeutet. Da sich die Änderung im Wesentlichen jedoch lediglich auf den Speicherort für Dateien und Pläne bezieht, bedeutet die Änderung keinen großen Mehraufwand. Viel wichtiger ist in diesem Zusammenhang, dass mit der Nutzung eines CDE eine neue Art der Kommunikation ermöglicht wird. Damit verbunden sind unter Umständen einige Änderungen in Bezug auf die Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit der Modellpflege und der Kommunikation. Im Gegenzug gewinnt ein Projekt durch die Nutzung eines CDE an Transparenz und sorgt für eine präzisere Kommunikation. Durch die Visualisierung von verschiedenen Planungsdaten und die Verschneidung von Daten verschiedener Beteiligter und verschiedener Formate kann ein CDE zur single source of truth für Bauprojekte werden. 2.2 BIM 2 Field Der Workflow, bei dem Daten aus einem Modell an eine Baustelle übertragen werden, wird als BIM 2 Field bezeichnet. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Planungsdaten bereits mit der Methode BIM erzeugt und bereitgestellt wurden. Um alle Vorteile der Methodik ausnutzen zu können, sollten die Daten in einem CDE abgelegt sein. In diesem Fall handelt es sich beim Modell bereits um ein georeferenziertes 3D-Modell, das direkt für die Umsetzung genutzt werden kann. In der Regel werden die Informationen des Modells für verschiedene Anwendungsfälle jedoch ausgedünnt, um den Nutzern der Daten (den Maschinisten) nur die für ihre Aufgabe notwendigen Informationen bereitzustellen. Aus dem Gesamtmodell werden also einzelne Entwürfe erzeugt, die die Informationen für bestimmte Aufgaben enthalten. Dies können beispielsweise 3D-Linien für den Kanalbau oder Oberflächen für den Straßenbau sein. Mit diesen Daten können dann Geräte auf Baustellen, wie etwa Bauvermessungsgeräte oder gesteuerte Baumaschinen, direkt arbeiten. Für BIM 2 Field empfiehlt es sich, gesteuerte Baumaschinen durch die Montage eines Modems mit dem Internet zu verbinden. Neben den Möglichkeiten, Standortinformationen der Maschine in Echtzeit zu erhalten und im Supportfall per Fernzugriff auf die Maschine zugreifen zu können, bietet die Internetanbindung vor allem den Vorteil, dass Planungsdaten und Entwürfe über das Internet mithilfe einer Cloud auf Baumaschinen und Vermessungsgeräte übertragen werden können. Baustellengeräte bedienen sich also direkt an den Planungsdaten in der Cloud. Diese Cloud ist nicht mit dem übergeordneten CDE zu verwechseln. Im Gegensatz zum CDE, welches vom Auftraggeber verwaltet wird, handelt es sich bei der Cloud für die Anbindung von Maschinensteuerungen und Bauvermessungsgeräten um eine herstellerspezifische Lösung, die das ausführende Unternehmen für die eigenen Geräte verwaltet. Mithilfe von Cloud-to- Cloud-Verbindungen können das CDE des Auftraggebers und die Clouds der ausführenden Unternehmen jedoch kommunizieren und Entwurfsdateien synchronisieren. Ein limitierender Faktor der Methode ist, dass die Steuerungssysteme verschiedener Hersteller von Maschinensteuerungssystemen nicht zwangsläufig miteinander kompatibel sind. Auch, wenn sich auf einige offene Dateiformate geeinigt wurde (z. B. *.xml), müssen Planungsdaten nach wie vor häufig in die herstellerspezifischen Entwurfsformate umgewandelt werden. Dies führt dazu, dass ein weiterer Bearbeitungsschritt bei der Bereitstellung von Daten für die Umsetzung auf der Baustelle erforderlich werden kann. Auch die Kommunikation der Clouds untereinander funktioniert aktuell nur eingeschränkt. Künftig ist jedoch zu erwarten, dass sich Anbieter von Cloud- Lösungen immer mehr öffnen und die Vernetzung der verschiedenen Clouds vorangetrieben wird. 2.3 Field 2 BIM Das Übertragen von Daten von der Baustelle ins Büro wird als Field 2 BIM bezeichnet. Dabei werden beispielweise Zwischenstände oder die Qualität eines Bauteils dokumentiert. Das Aufmaß kann auf verschiedene Weise erfolgen. Der Ablauf beim Aufmessen von Elementen mit klassischen Vermessungsmethoden wird hier nicht genauer betrachtet. Auch dabei können die Ergebnisse eines Aufmaßes mithilfe der Cloud nahtlos ins Büro übertagen werden und so unabhängig von Fahrzeiten weiterverarbeitet werden. Besondere Erwähnung soll an dieser Stelle die Dokumentation mithilfe einer Baumaschinensteuerung finden. Die Voraussetzung ist auch hierfür, dass Baumaschinen mit einem Positionierungssystem ausgestattet und in einer Cloud vernetzt sind. Die Nutzung von gesteuerten Baumaschinen eröffnet die Möglichkeit, die Maschinen bei der Arbeit am Modell den IST-Zustand dokumentieren zu lassen. Wann immer eine Maschine an einem bestimmten Entwurf arbeitet, zeichnet sie für jeden Übergang im Gelände Daten auf [Abb. 1]. Dabei ist auf Maschinen mit einer Baumaschinensteuerung von Trimble neben dem Modem für die Vernetzung keine zusätzliche Hardware erforderlich. 256 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Field 2 BIM Abb. 1: Beispielhafte Darstellung einer Überfahrtenkarte für eine Raupe in Trimble WorksOS Die erfassten Daten lassen sich in zwei Kategorien einteilen: 1. Qualitätsdaten: Damit sind sowohl geometrische Daten (Koordinaten) einschließlich der erreichten Genauigkeit der gemessenen Punkte, als auch gemessene Werte am verarbeiteten Material gemeint. Dies können beispielsweise Verdichtungswerte oder die Temperatur von Asphalt sein. Weiterhin werden unter anderem die Fahrtrichtung, die Fahrgeschwindigkeit und der genutzte Entwurf automatisch aufgezeichnet. 2. Metadaten: Für jede Überfahrt werden Informationen über Datum und Uhrzeit, Maschinenname, Durchgangsnummer, usw. dokumentiert. Mit diesen Daten lässt sich genau nachvollziehen, wann ein bestimmter Punkt im Baufeld von welcher Maschine mit welchem Entwurf usw. überfahren wurde. Die Software Trimble WorksOS erstellt im Ergebnis aus den Daten der einzelnen Überfahrten Geländemodelle, die für ein As-Built-Modell verwendet werden können [Abb. 2]. Verschiedene Filter ermöglichen es dem Nutzer exakt die Daten zu exportieren, die für die Dokumentation benötigt werden. So werden für die Dokumentation eines Aushubs andere Parameter abgefragt als für die Dokumentation eines Materialeinbaus. Für die Filterung stehen umfangreiche Optionen zur Verfügung. Es kann beispielsweise danach gefiltert werden, mit welchen Entwurf Maschinen gearbeitet haben, ob der Automatikmodus der Maschinensteuerung eingeschaltet war, in welchem Zeitraum gearbeitet wurde usw. So können zielgerichtete Abfragen für verschiedene Bauaufgaben erstellt werden. Durch die korrekte Nutzung von Filtern wird sichergestellt, dass nur die Daten dargestellt werden, die Relevanz für das Projekt haben. Für den Erfolg der Dokumentation sind einige Rahmenbedingungen zu beachten: Bei dem vorgestellten Vorgehen sind keine Arbeitsschritte des Maschinisten für die Dokumentation erforderlich. Die Maschinensteuerung dokumentiert kontinuierlich Daten beim Arbeiten im Modell und die Auswahl der richtigen Daten erfolgt erst im Nachhinein im Büro. Es ist daher von besonderer Bedeutung, eine strenge Entwurfsstruktur einzuhalten, damit die Auswahl der richtigen Daten anhand der Filter zuverlässig funktioniert. Daneben ist zu beachten, dass beim Verdichten von Material ein Walzmaß beachtet werden muss. Abhängig davon, ob im Aus- oder im Einbau gearbeitet wird, wird eine Raupe beispielsweise einige Zentimeter zu hoch oder zu tief schieben. Das von einer Raupe erzeugte Geländemodell kann daher Informationen darüber bieten, ob die Gefällesituation korrekt umgesetzt und die Oberfläche gleichmäßig hergestellt wurde, es dient jedoch nicht zur Abschätzung der tatsächlichen Höhe. Besonders empfehlenswert ist aus diesem Grund die Verwendung der Daten von gesteuerten Walzen. Diese dokumentieren bei ihrem letzten Übergang die tatsächlich hergestellte Höhe nebst Verdichtungswerten. Die Genauigkeit der Ergebnisse hängt von der Genauigkeit der genutzten Steuerungssysteme ab. Je nach äußeren Umständen wird bei Nutzung einer satellitengestützten Maschinensteuerung eine Genauigkeit von zwei Zentimetern in Lage und Höhe erreicht. Bei Nutzung einer Totalstation ist eine Lage- und Höhengenauigkeit von etwa einem 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 257 Field 2 BIM Zentimeter zu erwarten. Bei der As-Built-Dokumentation erfährt diese Genauigkeit jedoch eine Einschränkung. Während der Auswertung der As-Built-Daten mit Trimble WorksOS wird das Planum in kleine Quadrate eingeteilt. Dies dient dem verbesserten Handling der anfallenden Datenmengen. Durch die Nutzung dieser Quadrate kann es in den Randbereichen eines Planums zu einer Lageabweichung von maximal 17 Zentimetern kommen. Dies schränkt die Nutzbarkeit der Daten für hochpräzise Aufgaben wie die Erstellung einer Schlussrechnung ein. Für andere Aufgaben stellt diese Einschränkung jedoch kein Problem dar. So können die Daten z. B. für die Abschätzung des Baufortschrittes und damit verbunden für die Erstellung von Abschlagsrechnung verwendet werden. Auch für die Überprüfung der Kalkulationsansätze von Bauunternehmen anhand der As-Built-Leistungsdaten von Baumaschinen sind die von gesteuerten Baumaschinen aufgezeichneten Daten geeignet. Abb. 2: Beispielhafte Darstellung eines von einer Raupe erzeugten Geländemodells nach dem Export aus Trimble WorksOS. 3. Der digitale Zwilling Die Daten aus dem zuvor vorgestellten Prozess können für den Auf bau eines digitalen Zwillings verwendet werden. Dabei handelt es sich um ein digitales Abbild eines physischen Bauwerkes. Die Grundlage des Zwillings ist das Modell aus dem Planungsprozess. Bei Verwendung eines CDE wird nur das Ergebnis der Planungsphase als Modell übergeben. Alte Planstände sind zwar dokumentiert, werden jedoch nicht zwingen an Ausführende übergeben. Da die Planung jedoch in den seltensten Fällen 1: 1 umgesetzt werden kann, muss das Modell im Zuge des Baufortschrittes an die realen Gegebenheiten angepasst werden. Dies kann unter anderem durch Vermessungsdaten oder durch Daten von Baumaschinen erfolgen. Für einige Anwendungsfälle ist das Bestandsaufmaß der fertigen Leistung ausreichend. Hierzu werden in der Regel nach Abschluss von Baumaßnahmen die fertigen Leistungen dokumentiert. Die Dokumentation von überbauten Anlagen oder Schichten wird dabei jedoch nicht erfasst. Ergänzt wird das Bestandsaufmaß zur Dokumentation in der Praxis um Skizzen auf Papier aus der Bauausführung. Diese lassen sich jedoch nicht ohne weiteres in den digitalen Zwilling übernehmen. Überbaute Leistungen werden daher oft nicht ausreichend dokumentiert. Abhilfe schaffen kann an dieser Stelle der Einsatz der in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Technologie. Damit kann für jede Einbaulage einer ungebundenen Schicht die Höhe nebst Verdichtung dokumentiert werden. So lässt sich ein digitaler Zwilling aus einzelnen tatsächlich hergestellten Schichten zusammenbauen. Auch Störungen wie Rohrgräben werden von Baumaschinen erfasst und können an den digitalen Zwilling übergeben werden. An einzelne Objekte im digitalen Zwilling können weitere Dateien mit Zusatzinformationen angehängt werden. Dies sind beispielsweise Fotos, Prüf berichte oder Wetterdaten. So entsteht aus einer Vielzahl verschiedener Informationen ein vollumfängliches Modell, mit dem die Daten der Planung, der Ausführung und der Abnahme (mit der abschließenden Bestandsvermessung) zusammengeführt und festgehalten werden. 258 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Field 2 BIM 3.1 Nutzung eines objektbasierten CDE für den Aufbau von digitalen Zwillingen Eine besondere Form eines CDE stellt die Software Trimble Quadri dar. Historisch ist das Programm aus einer GIS-Anwendung entstanden. In der heutigen Weiterentwicklung können in Quadri alle Informationen (Dateien) als Objekt abgelegt und visualisiert werden. Anders als andere CDE handelt es sich bei Quadri nicht um ein datei-, sondern um ein objektbasiertes CDE. Die Informationen werden in Quadri nicht als Datei in ihrem ursprünglichen Dateiformat abgelegt, sondern jede Datei wird beim Veröffentlichen in Quadri mithilfe eines Konvertierungstools in das Modell importiert. Abhängig davon, welcher Objektkatalog im Projekt verwendet werden soll, werden Konvertierungsregeln für die benötigten Dateiformate definiert. Diese Regeln übersetzen Informationen aus dem Ausgangsformat (z. B. Name eines Layers) in Attribute von Objekten im Zielmodell. Elemente in Quadri haben daher keine Dateiformate im klassischen Sinne mehr. Im Ergebnis sind in Quadri in einem grafischen Modell alle Informationen zum Projekt zusammengefasst. Für den Im- und Export stehen Connectoren zu einer Vielzahl von Programmen zur Verfügung, mit denen Dateien nahtlos in Quadri importiert werden können. Ein Austauschformat entfällt bei der Nutzung von Connectoren. Daneben können die grafischen Informationen um weitere Dateien (z. B. *.pdf-Dateien mit Ergebnissen von Kontrollprüfungen) ergänzt werden. So lassen sich auch in Quadri alle relevanten Informationen zu einem Bauwerk zusammenführen. 3.2 Nutzung des digitalen Zwillings in der Betriebsphase Aktuell wird mit der Schlussrechnung einer Baumaßnahme auch eine digitale Bestandsvermessung des hergestellten Bauwerkes übergeben. Eine Art digitalen Zwilling gibt es in einer abgeschwächten Version damit bereits heute. Um abschätzen zu können, inwiefern diese Daten für den Streckenbetrieb genutzt werden, wurden nicht repräsentativ eine Landesstraßenmeisterei und die Autobahnmeisterei eines privaten Straßenbetreibers zur Nutzung digitaler Vermessungsdaten befragt. Diese verwenden die übergebenen Daten aktuell nur zur Rechnungsprüfung. Die Daten werden höchstens dann wiederverwendet, wenn erneut Baumaßnahmen im betroffenen Abschnitt vorbereitet werden. Es kann daher gefolgert werden, dass die Nutzung digitaler Zwillinge im Straßenbetrieb heute überwiegend nicht stattfindet. Wird der digitale Zwilling konsequent gepflegt, so könnte mit Abschluss einer Baumaßnahme eine detaillierte Dokumentation über alle Planungsphasen und Bauzustände hinweg an den Betrieb einer Infrastruktur übergeben werden. Dem Betrieb stehen mit dem digitalen Zwilling umfangreiche Möglichkeiten zur Verfügung, um Betrieb und Erhaltung der Infrastruktur optimal zu gestalten. So können beispielweise für die Planung von Unterhaltungsmaßnahmen zuverlässige Maße und Flächen aus dem Modell entnommen werden und im Falle von Schäden an Bauteilen kann die Qualitätsdokumentation aus der Bauausführung einbezogen werden, um die Ursache für Schäden schnell eingrenzen zu können. Zusätzlich können im digitalen Zwilling Informationen eingepflegt werden, die während des Betriebs anfallen. Dies können etwa erfolgte Reparaturen oder Unfallberichte sein. Die Nutzung des Zwillings sollte also nicht mit dem Abschluss von Baumaßnahmen enden, sondern auch im Betrieb fortgesetzt werden. Die Anforderungen an die Genauigkeit liegen mangels Erfahrungen in diesem Bereich nicht vor. Aufgrund der anfallenden Aufgaben im Straßenbetrieb wird jedoch davon ausgegangen, dass die in Kapitel 2.3 beschriebenen Genauigkeiten für die Aufgaben des Straßenbetriebs ausreichend sind. 4. Fazit Im Prozess der Digitalisierung von Baustellen im Straßen- und Tief bau ist die Planung bereits relativ weit fortgeschritten. Auch in der Bauausführung hält die Digitalisierung mehr und mehr Einzug und der Einsatz von gesteuerten Baumaschinen, die in einer Cloud miteinander vernetzt sind und mithilfe von Positionierungsdiensten direkt im Modell arbeiten nimmt immer mehr zu. Aktuell fehlt jedoch eine Schnittstelle, die die verschiedenen Dateiformate der Projektphasen und die abweichenden Anforderungen der Projektbeteiligten zusammenführt. Diese Schnittstelle kann durch die Nutzung eines CDE geschaffen werden. Mit einem CDE kann die Kommunikation im Projekt erheblich verbessert und Abläufe beschleunigt und präzisiert werden. Als single source of truth stellt ein CDE allen Projektbeteiligten zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort den aktuellen Planungsstand zur Verfügung. Der Datenkreislauf schließt sich, wenn dann As-Built- Daten aus der Bauausführung zum Auf bau eines digitalen Zwillings in einem CDE verwendet werden. Die technischen Möglichkeiten erlauben es, gesteuerte Baumaschinen im laufenden Betrieb als Vermessungsgerät einzusetzen und im Ergebnis Geländemodelle an ein zentrales As-Built-Modell zurückzugeben. Diese Möglichkeit existiert bereits bei vergleichsweise einfachen CDE. Für den Betrieb besonders vielversprechend ist die Nutzung eine objektbasierten CDE. Darin werden Informationen in verschiedensten Ausgangsformaten in einem Gesamtmodell integriert. Durch die Organisation des Streckennetzes in Abschnitte lassen sich verhältnismäßig kleinräumige Modelle erstellen, die das Streckennetz eines Straßenbetreibers widerspiegeln. Durch die einfache Verfügbarkeit einer Vielzahl von Informationen zu Bauwerken verspricht die Nutzung eines objektbasiertes CDE eine präzise und zuverlässige Entscheidungsgrundlage für den Betrieb von Straßeninfrastruktur. Literatur [1] Stufenplan Digitales Planen und Bauen (2015), Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Stand: 15.12.2022, Seiten 3f., 7f.) https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Publikationen/ DG/ stufenplan-digitales-bauen.pdf? __blob=publicationFile 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 259 Field 2 BIM [2] Masterplan BIM Bundesfernstraßen, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Stand: 15.12.2022, Seiten 13, 18) ttps: / / bmdv. bund.de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-masterplan-bundesfernstrassen.pdf? __blob=publicationFile [3] Masterplan BIM Bundesfernstraßen; Rahmendokument: Datenmanagement - Version 1, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Stand: 15.12.2022) https: / / bmdv.bund.de/ Shared- Docs/ DE/ Anlage/ StB/ bim-rd-datenmanagement. pdf? __blob=publicationFile. Boden/ Erdbau 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 263 Neuerungen im qualifizierten Umgang mit Böden und mineralischen Ersatzbaustoffen in Baden-Württemberg Dr.-Ing. Thomas Chakar Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg, Stuttgart Zusammenfassung Mit Inkrafttreten der Mantelverordnung (BR-Drs. 494/ 21) und der Einführung der Ersatzbaustoffverordnung (EBV) und Anpassung der Bundes-Bodenschutzverordnung (BBodSchV) ändern sich ab dem 1.8.2023 in ganz Deutschland die rechtlichen Rahmenbedingungen im Umgang mit Böden und sekundären Baustoffen wie Baustoffrecyclingmaterial. Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg (BW) stimmt sich eng mit der Umweltverwaltung BW ab sowie der Straßenbauverwaltung des Bundes und der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), damit derzeit noch offene Fragen in Bezug auf die Umsetzungspraxis vor Inkrafttreten geklärt und ggfs. Konkretisierungen vorgenommen werden. Beispielsweise wurden vom Ministerium für Verkehr BW Arbeitshinweise zum Umgang mit Bodenmaterial und mineralischen Ersatzbaustoffen aufgestellt. Darüber hinaus sind weitere Unterlagen verfügbar oder in der Ausarbeitung, welche als Hilfestellung hierfür dienen. 1. Einführung Für die Bauverwaltung ist mit Blick auf das Inkrafttreten der Mantelverordnung am 1.8.2023 von wesentlicher Bedeutung, wie (a) die rechtlichen Vorgaben ganz konkret zu verstehen sind, also in unmittelbaren Bezug auf die Vorerkundungen, Planungen, Bauüberwachungen und Dokumentation sowie (b) wie aufgrund der rechtlichen Vorgaben die Abläufe der Bauverwaltung anzupassen sind und welche Änderungen und Ergänzungen in den Strukturen und Arbeitsmitteln vorzunehmen sind. In Baden-Württemberg werden in rechtlicher Hinsicht die Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums für die Verwertung von als Abfall eingestuftem Bodenmaterial (VwV Verwertung von Bodenmaterial) [1] sowie die „Vorläufige Hinweise zum Einsatz von Baustoffrecyclingmaterial“ [2] durch die neuen Regelungen ersetzt. Damit das praktische Vorgehen im Zuge von Vorerkundungen beschrieben ist, hat die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) ein Merkblatt für umweltrelevante Untersuchungen (M URU) [3] aufgestellt. Für die Planer hat die FGSV die aktuelle Fassung der Richtlinien für die umweltverträgliche Anwendung von industriellen Nebenprodukten und Recycling-Baustoffen im Straßenbau (RuA-StB) aktualisiert [4]. Damit wird den Planern mithilfe von Tabellen dargestellt, welche Anwendungen nicht nur in umweltrelevanter Hinsicht, sondern auch nach bautechnischer Maßgaben umgesetzt werden können. So wird aus den dort angegebenen Tabellen unmittelbar für die Bauweisen des technischen Regelwerks der FGSV ersichtlich, ob der Einsatz des jeweiligen mineralischen Ersatzbaustoffs prinzipiell zulässig ist. In Abb. 1 ist dies exemplarisch für die Asphalt- und Betonbauweisen für Gleisschotter der Materiaklasse 1 (GS- 1) angegeben. Abb. 1: Tabellenauszug des Entwurf der RuA-StB für die Materialklasse GS-1 (Gleisschotter) [4] 264 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Neuerungen im qualifizierten Umgang mit Böden und mineralischen Ersatzbaustoffen in Baden-Württemberg Zum Umgang mit Bodenmaterial im Erdbau wurde im November 2022 ein Arbeitskreis in der FGSV gegründet (AK 5.5.4), mit dem Ziel hierzu ein Merkblatt aufzustellen. 2. Arbeitshinweise zum Umgang mit Bodenmaterial und mineralischen Ersatzbaustoffen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg Für die Straßenbauverwaltung BW sind vom Ministerium für Verkehr (VM) zusammen mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft (UM) Arbeitshinweise für praxisnahe Beispiele für die Bauleitungen aufgestellt [5]. Diese geben Orientierung nach Entfall die bisherigen länderspezifischen Regelungen. Abb. 2: Deckblatt der Arbeitshinweise der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg [5] Für wesentlichen Anwendungsfälle der Straßenbaupraxis wie • Umlagerung von Bodenmaterial, • Bodenaustausch zur Verbesserung der Tragfähigkeit • Hinterfüllungen • Umgang mit Asphaltgranulat • Umgang mit teerhaltigen Straßenauf bruch sind hier die maßgeblichen Regelungen in einfach lesbarer und möglichst verständlicher Form zusammengestellt. Schulungen zu diesen Themen sind im Frühjahr 2023 sowohl vom UM wie auch dem VM für die Kollegen der Regierungspräsidien vorgesehen. Weitergehende länderübergreifende (Vollzugs-)Hilfen der LAGA, LABO sind in der Ausarbeitung, welche weitere Konkretisierungen und Erläuterung bei Detailfragen erwarten lassen. Für einen erfolgreichen Übergang von den bisherigen Regelungen des Landes BW zu den bundeseinheitlichen Regelungen mit seinen speziellen Änderungen in der Schadstoffanalytik hat der Industrieverband Steine und Erden Baden-Württemberg e.V. (ISTE) seine Mitglieder frühzeitig zur Durchführung der entsprechenden Untersuchungen für die Eignungsnachweise aufgefordert. Damit soll die Lieferbereitschaft ab dem 1.8.2023 von Recycling-Baustoffen sichergestellt werden. 3. Fazit Ziel der Straßenbauverwaltung in Baden-Württemberg ist es im Sinne der Nachhaltigkeit, auch weiterhin einen möglichst reibungslosen Umgang mit Bodenmaterial und mineralischen Ersatzbaustoffen zu gewährleisten. Das Ministerium für Verkehr stimmt sich hierfür mit allen Beteiligten eng ab. Das Ministerium wirkt bei Anpassung des technischen Regelwerks der FGSV mit, steht in Kontakt mit dem BMDV und andere Ländervertretungen und hat in Abstimmung mit dem UM Arbeitshinweise für die Kollegen aufgestellt. Ergänzend hierzu werden Informationsveranstaltungen im Frühjahr 2023 durchgeführt. Bis der Umgang mit Böden und mineralischen Ersatzbaustoffen routiniert praktiziert wird, sind noch zahlreiche Details zu klären, letztendliche auch in bauvertraglicher Hinsicht. Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg steht auch hierzu im Austausch mit allen Beteiligten, um entsprechende Details zu klären und einen weitestgehend reibungslosen Übergang in die neuen Regelungen zu erreichen. Literatur [1] Verwaltungsvorschrift des Umweltministeriums für die Verwertung von als Abfall eingestuftem Bodenmaterial (VwV Verwertung von Bodenmaterial) „Verwertung von als Abfall eingestuftem Bodenmaterial“ UM BW 2007 [2] Erlass des Ministeriums für Umwelt und Verkehr vom 13.04.2004 Az. 25-8982.31/ 37 „Vorläufige Hinweise zum Einsatz von Baustoffrecyclingmaterial“ [3] Merkblatt für umweltrelevante Untersuchungen (M URU), Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), im Entwurf bei Redaktionsschluss [4] Richtlinie für die umweltverträgliche Anwendung von industriellen Nebenprodukten und Recycling- Baustoffen im Straßenbau- RuA-StB 01, in Überarbeitung bei Redaktionsschluss [5] Arbeitshinweise zum Umgang mit Bodenmaterial und mineralischen Ersatzbaustoffen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg, im Entwurf bei Redaktionsschluss 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 265 Bodenschutz im Verkehrswegbau Von der Erstellung des Bodenschutzkonzepts bis zur Bodenkundlichen Baubegleitung Janis Grozinger, M. Sc. HPC AG, Niederlassung Freiburg im Breisgau Zusammenfassung Der im Verkehrswegebau lange häufig vernachlässigte Bodenschutz ist mittlerweile gesetzlich verankert. Als Ausführungsgrundlage ist ein fachlich korrektes, gut strukturiertes und für alle Beteiligten nachvollziehbares Bodenschutzkonzept entscheidend. Darauf basierend setzt die Bodenkundliche Baubegleitung (BBB) die Bodenschutzmaßnahmen auf der Baustelle um. Es gilt, die Maßnahmen gegenüber Baufirmen und Planungsbüros verständlich zu kommunizieren und bei Bedarf eine vermittelnde Rolle zwischen den Bauausführenden und der Behörde einzunehmen. Das Ziel ist, einen fachlich angemessenen Bodenschutz in einen reibungslosen Ablauf des Bauvorhabens zu integrieren und somit zur Schonung der Ressource Boden als eine unserer Lebensgrundlagen beizutragen. 1. Einführung/ Motivation Zum 01. Januar 2021 ist in Baden-Württemberg das neue Landes-Bodenschutz- und Altlastengesetz [1] in Kraft getreten. Unter § 2 Absatz 3 wird bei unversiegelten und unbebauten Flächen ab einer Größe von >- 0,5- ha die Einreichung eines Bodenschutzkonzepts mit dem Bauantrag vorgeschrieben. Zudem kann die zuständige Bodenschutzbehörde ab einer Fläche von >-1-ha eine Bodenkundliche Baubegleitung (BBB) verlangen. Als Grundlage für die Erstellung eines Bodenschutzkonzepts dient die DIN 19639 [2]. Der Begriff Boden bezieht sich auf den belebten, obersten Teil der Erdkruste, der eine durchwurzelbare Bodenschicht darstellt. Der kulturfähige Boden ist eine endliche Ressource und ist in seinen Funktionen als wertvoller Lebensraum, Schadstofffilter für das Grundwasser und fruchtbarer Pflanzenstandort zu schützen. 2. Bodenschutzkonzept 2.1 Grundlagenermittlung Vor der Erstellung des Bodenschutzkonzepts erfolgt die Grundlagenermittlung (z. B. Sichtung von Karten und Plänen) und vorausgehende Abstimmungen mit Auftraggeber und Planungsbüro. Die Geländearbeiten beinhalten die Erfassung und Bewertung des bodenkundlichen Ausgangszustands [3]. Zudem erfolgt ggf. eine Boden-Probenahme zur Vorklärung bei einer externen Verwertung/ Entsorgung von Bodenmaterial. 2.2 Inhalte des Bodenschutzkonzepts Einer Darlegung der ermittelten Grundlagen und der genauen Beschreibung des Vorhabens folgt die Dokumentation des bodenkundlichen Ausgangszustands. Aus den bodenkundlichen Verhältnissen lassen sich Empfindlichkeiten der Böden hinsichtlich Verdichtung und Erosion ableiten. Elementarer Teil der Konzeption ist der Bodenschutzplan mit der Beschreibung der Nutzung und der Schutzmaßnahmen der jeweiligen Flächen während des Bauvorhabens. Hierzu gehören i.-W. Bodenabtrags- und Auftragsflächen, Baustraßen, Lager- und BE-Flächen sowie Tabuflächen (weder Befahrung noch Lagerung). So sind z.-B. die Befahrbarkeit und die Bearbeitbarkeit grundsätzlich abhängig von der Bodenfeuchte. Trockene (feu1) und schwach feuchte (feu2) Böden dürfen ohne Einschränkungen befahren werden, sehr feuchte (feu4), nasse (feu5) und sehr nasse (feu6) Böden dürfen nur auf befestigten Baustraßen befahren werden. Bei feuchten (feu3) Böden sind die Maschineneinsatzgrenzen anhand eines Nomogramms zu ermitteln (Abb. 1). Abb. 1: Nomogramm zur Ermittlung des maximal zulässigen Kontaktflächendrucks von Maschinen auf Böden (aus [1]). Die roten Linien repräsentieren ein Beispiel. 266 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Bodenschutz im Verkehrswegbau Bspw. müsste die Wasserspannung des Bodens bei einem 30 t-Kettenbagger mit einer Flächenpressung von 0,8 kg/ cm² (=8 t/ m²) mind. 30 cbar betragen. Die Wasserspannung kann mit einem Tensiometer auf der Baustelle ermittelt werden. Bei der Bauplanung sind ausreichend Pufferzeiten einzuplanen, um nach Niederschlagsereignissen eine ausreichende Befahrbarkeit des Bodens abzuwarten. Darüber hinaus werden im Bodenschutzkonzept eine überschlägige Mengenbilanzierung für auszubauenden Boden und Verwertungsmöglichkeiten für abzufahrenden Boden dargelegt. 2.3 Beratung bei der Ausschreibung der Erdarbeiten Der Bodengutachter berät den Vorhabenträger bzw. das Planungsbüro bei der Ausschreibung der Erdarbeiten hinsichtlich der Bodenschutzmaßnahmen. 3. Bodenkundliche Baubegleitung (BBB) 3.1 Rolle der BBB Das Ziel der BBB ist einen fachlich geeigneten Bodenschutz in einen reibungslosen Ablauf des Bauvorhabens zu integrieren. Die BBB ist damit Vermittlerin zwischen Behörde, Planungsbüro und Baufirma. Die BBB führt eine Bauüberwachung durch, ist i.d.R. aber nicht weisungsbefugt. Bei Missachtung der Bodenschutzmaßnahmen wird eine regelkonforme Lösung durch angemessene Kommunikation angestrebt. Ein behördlich verfügter Baustopp sollte als letztes Mittel in Betracht gezogen werden. 3.2 Umsetzung der Bodenschutzmaßnahmen Es ist wichtig, dass gleich bei der Bauanlauf besprechung sowohl dem Bauleiter als auch dem Baustellenpersonal die Bodenschutzmaßnahmen aus dem ihnen vorliegenden Bodenschutzkonzept erläutert werden. Es gilt, eine verständliche Sprache zu benutzen. Gerade zu Beginn der Erdarbeiten muss die BBB v. a. bei feuchten Bodenverhältnissen regelmäßig vor Ort sein, um die Bodenschutzmaßnahmen zu kontrollieren, ggf. anzupassende Maßnahmen abzustimmen und den Baufortschritt zu dokumentieren. Die BBB sollte für die Baufirma und das Planungsbüro stets erreichbar sein. 3.3 Rekultivierung/ Nachsorge Verfüllungen oder die Herstellung des Feinplanums werden durch die BBB begleitet. Es wird beurteilt, ob und in welchem Umfang eine Nachsorge erforderlich ist. Bei Bodenschadverdichtungen ist der Schaden, bspw. durch eine Tiefenlockerung und der anschließenden Pflanzung dicht wurzelnder Pflanzenarten, zu regulieren. Durch den damit einhergehenden Auf bau der Bodenstruktur können die natürlichen Bodenfunktionen zu einem gewissen Grad wiederhergestellt werden. Nach Beendigung der Erdarbeiten wird ein Abschlussbericht erstellt, der neben dem Abnahmeprotokoll den chronologischen Bauablauf mit Fokus auf die Umsetzung der Bodenschutzmaßnahmen enthält. 4. Fazit Durch die vor zwei Jahren vollzogene Neufassung des Landes-Bodenschutz- und Altlastengesetzes ist der Bodenschutz im Verkehrswegebau zu berücksichtigen. Durch eine offene und konstruktive Kommunikation der Beteiligten wird ein möglichst reibungsloser Baustellenablauf gewährleistet. Vorausschauendes Planen der BBB bspw. hinsichtlich der Verwertung von Bodenmaterial ermöglicht Kosteneinsparungen für den Auftraggeber. Literatur [1] LBodSchAG: Landes-Bodenschutz und -Altlastengesetz in Baden-Württemberg vom 14.12.2004 (GBI. S. 1233, 1247) [2] DIN 19639: 2019-09. Bodenschutz bei Planung und Durchführung von Bauvorhaben, Beuth Verlag, Berlin [3] Ad-hoc-Arbeitsgruppe Boden: - Bodenkundliche Kartieranleitung, Hrsg.: Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Zusammenarbeit mit den Staatlichen Geologischen Diensten, 5. Aufl., Hannover 2005. Bauweisen/ Textur 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 269 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 ORR Dipl.-Ing. Stefan Höller Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach Abstract Beton zeichnet sich durch eine hohe Steifigkeit aus. Bei anforderungsgerechter Herstellung können Betonfahrbahnen eine lange Nutzungsdauer ohne Verformungen aufweisen und sind daher besonders für den Schwerlastverkehr geeignet. Mit Asphalt als flexible Variante lässt sich eine höhere Lärmminderung erreichen und Bauen und Sanieren lassen sich einfacher und schneller durchführen. Dies eignet sich besonders für niedrigere Achslasten. In den letzten Jahren wurde viel darüber diskutiert, wie man die beiden Baustoffe Asphalt und Beton am besten kombiniert. Eine vielversprechende Konstruktion ist die Anordnung von Beton auf dem Hauptfahrstreifen und Asphalt auf der 2. und weiteren Fahrstreifen. Die Betonbauweise erfüllt die Anforderungen des Lkw-Verkehrs und die Asphaltbauweise den Anforderungen des Pkw- Verkehrs. Dieser Ansatz wird seit vielen Jahren auf Autobahnen in Nordrhein-Westfalen erprobt und weiterentwickelt. Im Jahr 2021 wurde erstmals im Rahmen einer Versuchsstrecke neben einer Asphaltkonstruktion mit einer Deckschicht aus Gussasphalt eine durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke hergestellt. Die bisherigen Entwicklungsschritte, die aktuelle Versuchsstrecke und weitere geplante Aktivitäten werden hier vorgestellt. 1. Einführung Das Netz der Bundesfernstraßen in Deutschland besteht aus Asphalt in verschiedenen Variationen und aus Beton in Plattenbauweise auf unterschiedlichen Tragschichten. Beton zeichnet sich durch eine hohe Steifigkeit aus. Bei anforderungsgerechter Herstellung können Betonfahrbahnen eine lange Nutzungsdauer ohne Verformungen aufweisen und sind daher besonders für den Schwerlastverkehr geeignet. Mit Asphalt als flexible Variante lässt sich eine höhere Lärmminderung erreichen und Bauen und Sanieren lassen sich einfacher und schneller durchführen. Dies eignet sich besonders für niedrigere Achslasten. Bisher werden diese beiden Baustoffe bzw. Bauweisen mit wenigen Ausnahmen getrennt voneinander behandelt. Die Verkehrsbelastung und der Anteil des Schwerverkehrs auf deutschen Straßen und Autobahnen steigen nahezu stetig. Hinzu kommen die Auswirkungen des Klimawandels, die Verknappung von Ressourcen und ein zunehmender Fachkräftemangel. Bisher konnte die Straßeninfrastruktur trotz der vielfältigen Herausforderungen auf einem hohen Niveau gehalten werden, aktuelle Untersuchungen zeigen aber, dass dafür eine hohe Anzahl und Dauer von Baustellen erforderlich ist, wodurch die Verfügbarkeit zunehmend eingeschränkt wird. Möglicherweise kommen die bisherigen Standardbauweisen an ihre Grenzen. Um die Mobilität zukünftig zu gewährleisten, sind deshalb Bauweisen mit maximaler Nutzungsdauer und minimalen Erhaltungsaufwendungen bei minimalen Verkehrseinschränkungen und minimalem Personalaufwand während des gesamten Lebenszyklus erforderlich. Potential wird darin gesehen die Fahrstreifen der Bundesfernstraßen sinnvoll mit verschiedenen Bauweisen zu versorgen. Weiterhin haben Untersuchungen gezeigt, dass mit der Anwendung einer durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke die Nutzungsdauer und Verfügbarkeit der Betonbauweise weiter erhöht werden kann. 2. Vorgeschichte In den 1990er Jahren wurde damit begonnen Asphalt neben Beton auf Autobahnen auszuführen. In einem ersten Entwicklungsschritt wurde Beton auf dem Hauptfahrstreifen und dem Seitenstreifen und Asphalt auf den weiteren Fahrstreifen ausgeführt, zunächst ohne zusätzliche Maßnahmen. Die Abbildung 21 zeigt einen Querschnitt der Konstruktionen. Das grundsätzliche Verhalten dieser einzelnen Bauweisen war positiv. Nach wenigen Jahren kam es jedoch zu Erosionen in der Längsfuge zwischen beiden Bauweisen. Abbildung 22 zeigt dies exemplarisch. Abbildung 21: Asphalt neben Beton, Entwicklungsstufe 1 270 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 Abbildung 22: Erosionen in der Längsfuge Um dieses erkannte Problem zu beheben, wurde zwischen Betondecke und Asphaltkonstruktion eine vertikale Gummigranulatmatte und darunter ein Kammerdrain angeordnet. Die Abbildung 23 zeigt einen Querschnitt dieser Konstruktion. Abbildung 23: Asphalt neben Beton, Entwicklungsstufe 2 Mit dieser zusätzlichen Maßnahme war das Problem der Erosionen behoben. Nach einiger Zeit der Nutzung stellte sich aber ein anderes Problem ein. Der Asphalt neben der Granulatmatte konnte nur unzureichend verdichtet werden und es kam zu Nachverdichtungen und Setzungen mit Stufenbildung. Die Abbildung 24, links und Mitte zeigen dies exemplarisch. Als Sanierung wurde ein Streifen Asphalt herausgenommen und mit Gussasphalt verfüllt, siehe Abbildung 24, rechts. Dies ist nicht nur mit einigem Aufwand und Einschränkungen für den Verkehrsfluss verbunden, sondern stellt bis zur Sanierung eine erhebliche Gefahr vor allem für Zweiradfahrer dar. Abbildung 24: Asphalt neben Beton, Verdichtungsprobleme am Asphaltrand und geschädigte Längsfugen Auf der Basis dieser bisherigen Praxiserfahrungen entstand der 3. Entwicklungsschritt. Zwischen Beton an Asphalt wurde eine vertikale Bitumenschweißbahn angeordnet und darunter ein Dränbetonschlitz. Abbildung 25 zeigt den Konstruktionsauf bau. Abbildung 25: Asphalt neben Beton, Entwicklungsstufe 3 Mit diesem dritten Entwicklungsschritt wurden positive Erfahrungen und Langzeiterfahrungen gesammelt. Vordenker für diese neue Bauweise „Beton an Asphalt“ war der Landesbetrieb Straßenbau NRW. Wesentliche Entwicklungsschritte wurden von ihm initiiert. Daraus leitet sich auch der Begriff „NRW-Bauweise“ ab. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Autobahnring Köln mit seinen seit Jahrzehnten hohen Verkehrsbelastungen. Auch bei den vorliegenden positiven Ergebnissen und Bestätigung in der Praxis wurde nach weiteren Optimierungsmöglichkeiten gesucht. Dazu wurde das Temperaturverhalten von Beton an Asphalt näher betrachtet. In der Abbildung 26 sind die Asphaltbauweise, Beton in Plattenbauweise und Beton mit durchgehender Bewehrung als Prinzipskizzen dargestellt. Alle drei Varianten, bzw. Baustoffe dehnen sich mit steigenden Temperaturen aus und ziehen sich bei fallenden Temperaturen zusammen. Dies führt zu horizontalen Verschiebungen bzw. wo diese behindert sind, zu Spannungen. Im Falle der Asphaltbauweise findet dies in Längsrichtung kontinuierlich statt. Bei Beton in Plattenbauweisen finden diese Verschiebungen bzw. Spannungen konzentriert in den Querfugen statt. Hinzu kommt, dass die Fugenbewegungen nicht in allen Fugen einheitlich stattfinden, sondern es finden sich Fugen mit besonders großen Bewegungen und solche mit nahezu keinen Bewegungen. In einzelnen Fugen wurden Bewegungen von 3,5 mm gemessen. Im Falle einer Betondecke mit durchgehender Bewehrung bilden sich Risse in Abständen von etwa 0,7 m bis 1,4 m. Diese Risse werden von der Längsbewehrung in ihrer Öffnungsweite auf maximal 0,5 mm begrenzt. Damit finden die temperaturbedingten Verschiebungen bzw. Spannungen in Längsrichtung hier gleichmäßiger statt. Wenn Beton an Asphalt in Plattenbauweise „kraftschlüssig“ nebeneinander ausgeführt werden, führen die Temperatureinwirkungen zu Spannungsspitzen im Bereich der Querfugen. Im Falle von Asphalt „kraftschlüssig“ neben Beton mit durchgehender Bewehrung sind diese Spannungsspitzen deutlich geringer. Beide Bauweisen zeigen tendenziell mehr ein kontinuierliches Temperaturverhalten. Um das Langzeitverhalten von Beton an 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 271 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 Asphalt weiter zu verbessern, bietet sich hier der Einsatz der Variante mit Bewehrung an. Abbildung 26: Asphaltbauweise, Beton in Plattenbauweise, Beton durchgehend bewehrt (Prinzipskizzen) 3. Konzept der Versuchsstrecke Vom Landesbetrieb Straßenbau Rheinland-Pfalz bzw. der Autobahn des Bundes zusammen mit der BASt und der Villaret Ingenieurgesellschaft wurde die Bauweise Beton an Asphalt weiter optimiert. Hier standen die zentralen Fragen im Raum: - Wie können Asphalt und Beton optimal kombiniert werden? - Welche Bauweisenvarianten sind dafür am besten geeignet? - Welche Baustoffe eignen sich am besten? - Welche Details sind zu beachten? Diese Fragen wurden beantwortet und in ein Konzept für eine neue Versuchsstrecke überführt. Darin sind die beschriebenen Erkenntnisse zu den Bauweisen „Beton an Asphalt“ und Erkenntnisse aus anderen Versuchsstrecken zur „durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke“ berücksichtigt. In der Tabelle 31 und der Tabelle 32 sind die wichtigsten Eckdaten der Versuchsstrecke und die Reihenfolge der Bauleistungen dargestellt. Abbildung 3.1: Konstruktionsauf bau der Versuchsstrecke A 61 bei Boppard, Querschnitt Tabelle 31 Anforderungen an die Versuchsstrecke Anforderung Betonbauweise Beton C3545 Zement CEM III A42,5 Bewehrung längs 20mm Durchmesser Bewehrungsgrad (längs) 0,75 % Schichtdicke 24 cm Bewehrte Endsporne bzw. bewehrter Reibungsblock an den Enden der Strecke Asphaltbauweise Gussasphaltdeckschicht 0/ 5 mm Größtkorn (Standard) Asphaltbinderschicht (Standard) Asphalttragschicht (ATS 1 und 2), (Standard) Längsfuge zwischen Asphalt und Beton Dränbetonschlitz in der vertikaler Rückschnitt der Asphaltkonstruktion Herstellung vertikale Bitumenschweißbahn Ausführung Längsscheinfuge zwischen Gussasphaltdeckschicht und Betondecke Tabelle 32: Reihenfolge der Bauleistungen lfd Nr. Bauleistungen 1 Herstellung Verfestigung 2 Herstellung Dränbeton 3 Herstellung ATS 1 (gesamter Querschnitt) 4 Herstellung ATS 2 (2. Fahrstreifen) 5 Herstellung Asphaltbinderschicht (2. Fahrstreifen) 6 Vertikaler Rückschnitt Asphaltbinder- und Tragschicht 7 Herstellung Splittstreifen in ATS 1 8 Herstellung vertikale Bitumenschweißbahn 9 Herstellung bewehrte Betonfahrbahndecke (mit Grindingtextur) In der Abbildung 31 ist der Konstruktionsauf bau der Versuchsstrecke im Querschnitt skizziert. Die Versuchsstrecke wurde von der BASt und der Villaret Ingenieurgesellschaft wissenschaftlich und messtechnisch begleitet. Folgendes Untersuchungsprogramm wurde ausgeführt: Vor der Herstellung der Strecke wurden zwei Wetterstationen nach Vorgaben des Deutschen Wetterdienstes eingerichtet. Es wurden Temperaturfühler in verschiedenen Höhen in der Asphalt- und Betonkonstruktion positioniert. In den Endbereichen wurden Druckmessdosen und Extensometer positioniert. Die Längsbewehrung der Betondecke erhielt Dehnungsmessstreifen. Die Sensorik 272 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 wird kontinuierlich betrieben. Nach Fertigstellung erfolgten in regelmäßigen Abständen visuelle Zustandserfassungen, Georadarmessungen und Deflektionsmessungen mit dem FWD. 4. Baupraktische Realisierung Versuchsstrecke und erste Ergebnisse Für die baupraktische Realisierung der Versuchsstrecke wurde vom Landesbetrieb Strassenbau Rheinland-Pfalz, bzw. der Autobahn des Bundes ein Abschnitt der A 61 bei Boppard ausgewählt. Die Umsetzung erfolgte dann im Frühjahr bis Herbst 2021. Nach Fertigung der Asphaltragschichten wurde die Quer- und Längsbewehrung für die Betondecke verlegt. Abbildung 41, rechts zeigt die Positionierung der Querbewehrung als Gitterträger und links die Längsbewehrung mit diagonal angeordneten Übergreifungsstößen. Vor der Betonage sind zwei Besonderheiten zu beachten: Zwischen Hauptfahrstreifen und Seitenstreifen wird in der bewehrten Betonfahrbahndecke eine Längsscheinfuge angeordnet. Hier dringt potentiell Wasser ein. Um diesen Bereich vor Bewehrungskorrosion zu schützen, wurde Zinkspray aufgetragen. Die Betonage der bewehrten Betondecke wurde in Tagschichten mit entsprechenden Unterbrechungen gefertigt. Zur Gewährleistung einer durchgehenden Bewehrung ohne Unterbrechungen, wurde an den späteren Tagesendfugen Hartschaumblöcke mit Aussparungen und Abdecktafeln dahinter positioniert. Dies und die Applikation des Zinksprays zeigt Abbildung 42. Abbildung 41: Längs- und Querbewehrung vor der Betonage Abbildung 42: Zinkspray als zusätzlicher Korrosionsschutz und Tagesendfuge Abbildung 43: Betonandienung und Einbau mit dem Gleitschalungsfertiger 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 273 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 Die Abbildung 43 zeigt die Betonandienung mittels Mobilbagger und Trog neben der Einbaustrecke und den Einbau mittels Gleitschalungsfertiger. Die Firma Schnorpfeil, die die Bauweise zum ersten Mal ausgeführt hat, tat dies auf qualitativ hohem Niveau. Besonders zu erwähnen sind die zusätzlichen Maßnahmen der Qualitätssicherungen, um vor allem bei den hohen Einbautemperaturen unmittelbar Auffälligkeiten zu erkennten und entsprechend zu reagieren. Zur Verhinderung von Aufschüsselungen und Verschiebungen müssen an durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecken Endbauwerke ausgeführt werden. Auswertungen früherer Strecken ergaben, dass vier bzw. sechs bewehrte Endsporne aus technischer Sicht ihre Funktion erfüllen, aber keine vollständigen Fixpunkte darstellen, sondern Restverschiebungen zulassen. Die sich anschließende Querfuge bedarf dann entsprechender Unterhaltungsaufwendungen. Alternativ kann ein bewehrter Reibungsblock mit einer Länge von 15 m und einer Tiefe 1,5 m ausgeführt werden und analog zu den Endspornen an die bewehrte Betondecke angeschlossen werden. Ziel ist ein Endbauwerk ohne Restverschiebungen. Dies wurde auf der Versuchsstrecke erstmalig ausgeführt. Die Abbildung 44 zeigt die Endsporne am Südende und den Reibungsblock am Nordende der Strecke. Abbildung 44: Endsporne und Reibungsklock an den Enden der Versuchsstrecke Abbildung 45: Kühlen der Unterlage, Nachbehandlung mit feuchtem Vliessstoff Die Herstellung der Betondecke erfolgte im Sommer 2021. Für diesen Zeitraum wurden hohe Temperaturen und starke Sonneneinstrahlung erwartet. Um trotzdem die geforderte Betonqualität zu erreichen, wurden drei Maßnahmen beschlossen. Die Unterlage wurde unmittelbar vor dem Betoneinbau mit Wasser gekühlt, siehe Abbildung 45 oben. Die Gesteinskörnungen wurden vor der Betonage mit Wasser gekühlt. Darüber hinaus wurde zusätzlich zur Nachbehandlung mit aufgesprühtem Paraffinwachs ein Vliesstoff vollflächig ausgelegt und über Tage feucht gehalten, siehe Abbildung 45 unten. In durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecken bilden sich in regelmäßigen Abständen feine Querrisse, idealer Weise im Abstand von 0,7 m bis 1,4 m. Diese stellen keine Schäden dar, sondern sind Teil der Konstruktion. Feine Risse in gleichmäßigen Abständen und geringen Öffnungsweiten sind ein erster Hinweis auf ein positives Langzeitverhalten. Abbildung 46 zeigt exemplarisch die Rissentwicklung auf der Versuchsstrecke A 5 bei Darmstadt. In blau sind die Tagesmitteltemperaturen mit den jahreszeitlichen Zyklen dargestellt. Die verbleibenden fünf Kurven zeigen die Rissentwicklung (Anzahl Risse pro 100 m) in den fünf Untersuchungsabschnitten. Zunächst bilden sich in sehr kurzer Zeit sehr viele Risse. Dieser Prozess verlangsamt sich dann mit der Zeit. Etwa nach drei Winterperioden ist ein „endgültiges Rissbild“ erreicht. Der Vergleich mit anderen Versuchsstrecken und Einbaubedingungen ergab, dass Betonagen bei hohen Einbautemperaturen zu einer schnelleren Rissbildung und kühlere Temperaturen zu entsprechend lang- 274 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 sameren Rissbildungen führen. Auf der Versuchsstrecke A 61 Boppard wurden die Risse bereits mehrfach visuell erfasst und weitere folgen. Abbildung 47 zeigt ein Beispiel. Das Rissbild befindet sich in der Entstehung analog zu den Untersuchungen in Darmstadt und ist noch nicht abgeschlossen. Bisher gibt es keine Auffälligkeiten. Von besonderem Interesse ist hier, welche konkreten Auswirkungen die zusätzlichen Maßnahmen der Nachbehandlung haben. Abbildung 46: zeitliche Entwicklung der Querrisse, Beispiel Versuchsstrecke A 5 bei Darmstadt Abbildung 47: Freier Querriss in der bewehrten Betondecke Auf allen bisherigen Strecken mit durchgehender Bewehrung haben sich freie Querrisse in Abständen von 0,7 m bis 1,4 m gebildet. Kleinere und größere Abstände führen später zu Betonausbrüchen bzw. großen Rissöffnungsweiten und Bewehrungskorrosion. Um dies vollständig zu verhindern, wurde zunächst in den USA und später in Belgien eine neue Methode der Risssteuerung angewendet, das sog. Crack Control. Dabei werden am rechten Fahrbahnrand in regelmäßigen Abständen kurze Kerbschnitte ausgeführt, die eine gleichmäßige Rissbildung provozieren sollen. Dieses Verfahren wurde auch auf der Versuchsstrecke in einem Teilabschnitt angewendet, siehe Abbildung 48. Die bisherigen Untersuchungen zeigen, dass die Methode grundsätzlich wirksam ist, es aber Bereiche gibt, in denen die Kerben keinen Querriss ausgelöst haben. Möglicherweise muss bei Folgeanwendung der Zeitpunkt des Ankerbens genauer auf die Festigkeitsentwicklung abgestimmt werden. Abbildung 48: Kerbschnitte zur Risssteuerung (Crack Controll) Die Abbildung 49 zeigt Temperaturfühler vorbereitet für die Herstellung der Betondecke. Analog wurden Fühler in der Asphaltkonstruktion positioniert. Diese werden kontinuierlich betrieben und stündlich aufgezeichnet. In den folgenden Abbildungen werden ein Sommer- und ein Wintertag näher betrachtet. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 275 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 Abbildung 49: Temperaturfühler vorbereitet für die Betonage Abbildung 410: Temperaturen im Asphalt (oben) und Beton (unten) im Sommer (10.08.2022) Abbildung 410 zeigt beispielhaft die Temperaturen vom 10.08.2021 in der Asphalt- und in der Betonkonstruktion über den Querschnitt verteilt. Auf der Vertikalachse ist jeweils der Abstand der Fühler von der Oberfläche in [m] dargestellt und auf der Horizontalachse die Temperaturen in [°C]. An der Oberseite gibt es über den Tag verteilt bei beiden Bauweisen starke Veränderungen von etwa +7 °C bis über +20 °C. an der Unterseite sind die Veränderungen erwartungsgemäß geringer. Auffällig ist, dass sowohl an der Oberseite als auch an der Unterseite die Temperaturen in der Asphaltkonstruktion um etwa 1,5 °C höher liegen als im Beton. Dies führt nicht unmittelbar zu einem Schaden, aber es entstehen Spannungen und Verschiebungen in der Längsfuge zwischen beiden Bauweisen. Dies wird weiter beobachtet. In der Abbildung 411 ist die Temperaturen an einem Wintertrag, 24.12.2021, dargestellt. Die Situation ist tendenziell die gleiche. Abbildung 411: Temperaturen im Asphalt und Beton im Winter (24.12.2021) Die beschriebenen Endsporne und der neuartige Reibungsblock wurden bei der Herstellung mit Extensometern ausgestattet und die horizontalen Verschiebungen kontinuierlich aufgezeichnet. Abbildung 412. Zeigt beispielhaft ein Gerät, welches seitlich an der Betondecke in einem Schutzkasten angebracht wurde. 276 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 Abbildung 412: Extensometer hinter den Endspornen bzw. Reibungsblock Die Abbildung Abbildung 413 zeigt erste Ergebnisse dieser Messungen. Auf der Horizontalachse ist die Zeit dargestellt. Auf der Vertikalachse sind die Verschiebungen in [mm] aufgetragen. Die blauen und grauen Graphen zeigen die Bewegungen am Ende der Endsporne. Die orangen und gelben Graphen zeigt die Bewegungen am Ende des Reibungsblock. Die Endsporne vollziehen Verschiebungen von maximal 3,5 mm, der Reibungsbock Verschiebungen von weniger als 0,5 mm. Unter der Voraussetzung, dass an den Widerlagern der Extensometer keine Verschiebungen aufgetreten sind, bestätigt sich hier die Annahme, dass bei Endspornen in dieser Größenordnung Restverschiebungen stattfinden und am Reibungsblock nahezu keine Verschiebung auftreten. Die Aufzeichnungen laufen kontinuierlich weiter und werden beobachtet. Abbildung 413: horizontale Bewegungen an den Endspornen und dem Reibungsblock 5. Zusammenfassung und Ausblick Die Asphalt- und Betonbauweisen haben ihre individuellen Vorteile auf Bundesfernstraßen. Beton mit seiner hohen Steifigkeit eignet sich besonders für hohe Verkehrs- und Achslasten, benötigt wenig Unterhaltung, ist aber aufwendiger in der Herstellung. Asphalt, als die flexible Variante, erreicht eine bessere Lärmreduzierung, ist einfacher und schneller in der Herstellung, eignet sich aber mehr für geringere Achslasten. Bisher werden beide Baustoffe weitestgehend getrennt voneinander behandelt. Dies betrifft sowohl das Straßenbauregelwerk als auch die baupraktische Ausführung. Steigende Verkehrs- und Achslasten, die Auswirkungen des Klimawandels, ein wachsender Fachkräfte Mangel und die Verknappung von Rohstoffen sind die großen Herausforderungen für die Straßeninfrastruktur der Zukunft. Um hier Mobilität zu gewährleisten, bedarf es innovativer Ansätze. Die bisherigen Standardbauweise mit Asphalt in den verschiedenen Varianten und Beton in Plattenbauweise stoßen möglicherweise an ihre Grenzen. Die geschickte Kombination der Asphalt- und Betonbauweise zusammen mit der Anwendung einer durchgehend bewehrten Betondecke anstelle der unbewehrten Plattenbauweise haben das Potential dies zu erreichen. Um praktische Erfahrungen mit diesem Ansatz zu sammeln, wurde eine Versuchsstrecke konzipiert und im Jahr 2021 auf der A 61 bei Boppard umgesetzt. Sie besteht aus einer durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke auf dem Hauptfahrstreifen und dem Seitenstreifen. Der zweite Fahrstreifen wurde in Asphaltbauweis mit einer Deckschicht aus Gussasphalt, der Asphaltvariante mit der höchsten Nutzungsdauer, gefertigt. Die Herstellung erfolgte qualitativ hochwertig ohne Auffälligkeiten. Beide Bauweisen auf den jeweiligen Fahrstreifen können realistisch ein positives Langzeitverhalten gewährleisten. Von großem Interesse ist die Längsfuge zwischen beiden. Hier wurden die bisherigen Erfahrungen aus NRW genutzt und eine Bitumenschweißbahn und ein Dränschlitz in der Längsfuge angeordnet. Weiterhin wurde zuerst Asphalt gebaut, zurückgeschnitten und Beton angebaut. Die Temperaturaufzeichnungen zeigen Unterschiede zwischen beiden Bauweisen. Dies führt zu Spannungen und Verschiebungen und einem möglichen Versagen der Längsfuge. Aktuell ist diese Fuge funktionsfähig, sie wird aber weiter beobachtet. Weiterhin wurden auf bauend auf den bisherigen Erfahrungen mit der durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke folgende Innovationen eingebracht. Am Ende wurde erstmalig anstelle von Endspornen ein Reibungsblock ausgeführt. Die bisherigen Auswertungen zeigen, dass 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 277 Durchgehend bewehrte Betonfahrbahndecke und Gussasphalt nebeneinander: die Versuchsstrecke auf der Autobahn A 61 dieser ein besseres Verhalten mit nahezu keinen horizontalen Verschiebungen zeigt als die Endsporne. Weiterhin wurde zur Steuerung des Rissbildes Einkerbungen vorgenommen. Die Herstellung der Strecke war erfolgreich. Die Einbauqualität und der Fahrkomfort sind sehr hoch. Bisher gibt es keine Auffälligkeiten. Die messtechnische Ausstattung der Strecke wird kontinuierlich betrieben. Die beschriebenen neuen Ansätze werden regelmäßig untersucht, dabei kommen FWD, Georadar und visuelle Zustandserfassungen zum Einsatz. Die bisherigen Erfahrungen zu „Asphalt an Beton“ und zur „durchgehend bewehrten Betonfahrbahndecke“ sind in den Hinweispapieren der FGSV beschrieben, siehe Abbildung 51. Bei weiterem positiven Verhalten und Langzeitverhalten ist eine Aufnahme als neue Standardbauweise möglich. Abbildung 51: Hinweispapiere der FGSV zum Thema 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 279 Leistungsoptimierte Oberflächentexturen Nachhaltig gestaltet nach den tatsächlichen Anforderungen Dipl.-Ing Tim Alte-Teigeler OAT green tech solutions GmbH, Bietigheim/ Baden Zusammenfassung Eine der wichtigsten Eigenschaften von Straßenbelägen aus Sicht der Nutzer ist die Oberflächentextur. Sie beeinflusst unter anderem Griffigkeit, Geräuschemissionen, Fahrkomfort, Rollwiderstand und damit Kraftstoffverbrauch und Reifenverschleiß. Je nach Art der Verkehrsfläche, egal ob aus Beton oder Asphalt, gibt es unterschiedliche Anforderungen an die Oberfläche. Die Textur sollte für diese hin optimiert werden. Daher ist es wichtig, die Oberfläche von einem ganzheitlichen Standpunkt aus auf innovative Weise zu betrachten. In der Vergangenheit war es üblich, unabhängig von der Nutzung der Verkehrsfläche Standardtexturen anzuwenden. Mit den heutigen Erkenntnissen ist es jedoch möglich, Texturen optimiert nach den jeweiligen Anforderungen zu gestalten. Das erhöht die Nachhaltigkeit von Straßenbelägen, indem man nur den tatsächlich notwendigen Aufwand betreibt, sich auf eine längere Nutzungsdauer konzentriert, die Auswirkungen auf Umweltfragen wie Treibhausgas- oder Lärmemissionen verbessert oder eine Oberfläche erneuert, anstatt den gesamten Belag zu ersetzen. Es gibt unzählige Arten von Verkehrsflächen. Entsprechend dieser Vielfalt variieren auch die Zwecke und die Anforderungen, insbesondere an die Oberfläche. Beispielsweise können hier genannt werden: Autobahnen mit hohen Anforderungen an Griffigkeit und Geräuschentwicklung, Strecken in Tunneln, bei denen die Helligkeit von Bedeutung ist, Flugbetriebsflächen, bei denen Lärmemissionen keine Rolle spielen und das Hauptaugenmerk auf die Griffigkeit gelegt wird oder Industrieflächen, mit Anforderungen beispielsweise an Griffigkeit oder besondere Glätte. In einem ersten Schritt muss die genaue Nutzung bzw. der Zweck einer zu bearbeitenden Verkehrsfläche ermittelt werden. Bei der Analyse sollten beispielsweise Beanspruchungen aus Lasten und Witterung, Richtungen der Befahrung, Relevanz von Lärmemissionen, Fahrgeschwindigkeiten, geplante Nutzungsdauer und weitere eventuell relevante Aspekte betrachtet werden. Auf Basis einer möglichst exakten Beschreibung der Nutzung können die tatsächlichen Anforderungen an die Oberfläche und ihre Textur abgeleitet werden. Dies ist unabdingbar, um die optimale Textur für eine Verkehrsfläche zu bestimmen. So ist beispielsweise für eine Verringerung der Lärmemissionen eine feinere Textur erforderlich, während für eine dauerhafte Griffigkeit eine gröbere Textur vorteilhaft ist. Manchmal sind Kompromisse erforderlich, um die beste Leistung zu erzielen. Im nächsten Schritt wird die entworfene Textur auf den Belag aufgebracht. Hierfür gibt es verschiedene Technologien, wie z. B. das Auf bringen von Mikrobelägen oder Beschichtungen, Grinding oder Grooving sowie weitere Methoden zur Oberflächenbearbeitung. Um das beste Ergebnis zu erzielen, ist das Kennen der Vor- und Nachteile der einzelnen Techniken, der Ausführbarkeit, der zu erwartenden Oberflächentextur und vieles mehr von größter Bedeutung. Oftmals ist auch eine Kombination verschiedener Methoden unerlässlich. Selbstverständlich ist es vorteilhaft, bereits vor dem Bau einer neuen Verkehrsfläche die bedarfsoptimierte Gestaltung der Textur anzustreben. Die meisten Techniken können aber auch bei der Sanierung oder nachträglichen Optimierung von Verkehrsflächen bzw. derer Oberflächentexturen eingesetzt werden. Nach Festlegung der Herstellungsmethode gilt es final darauf zu achten, dass die Ausführung durch entsprechend qualifizieren Fachfirmen qualitativ hochwertig erfolgt. Besonderes Augenmerk ist hier auf die Expertise des Personals und den Einsatz moderner und leistungsfähiger Maschinentechnik zu legen. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Ergebnis den gestellten Ansprüchen gerecht und dem Nutzer und Betreiber von Verkehrsflächen die optimale Oberflächentextur zur Verfügung gestellt wird. Der innovative Ansatz zur Gestaltung von Oberflächen auf Grundlage der Bedürfnisse des Nutzers wirft Fragen auf: Welche Oberflächentexturen sind verfügbar, für welche der unterschiedlichen Verkehrsflächen sind diese am besten geeignet, wo können sie eingesetzt werden und welche Verfahren gibt es, um sie aufzubringen. Bei allen Schritten, von der Untersuchung der Anforderungen über die Entwicklung des Texturdesigns bis hin zur Ausführung, ist eine entsprechende Fachkenntnis unabdingbar. Für jedes Einsatzgebiet gibt es die richtige Textur sie muss nur anforderungsgerecht definiert und gefertigt werden. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 281 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen Barbara Johansson, M. Sc. Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart Dr.-Ing. Stefan Alber Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart Matthias Stein, M. Sc. Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart Prof. Dr.-Ing. Wolfram Ressel Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart Zusammenfassung Straßenseitige Parameter, wie Neigungen und die mittlere Texturtiefe, beeinflussen die Entwässerung stark, sowohl einzeln, als auch in wechselseitigem Einfluss zueinander. Beispiele für den wechselseitigen Einfluss auf die resultierende Wasserfilmdicke sind die Längsneigung und die mittlere Texturtiefe (MTD). Einerseits wird ein höherer MTD-Wert als positiv für die Entwässerung angesehen, da die Texturtäler mehr Wasser aufnehmen können, während die Texturspitzen immer noch einen Kontakt zwischen Reifen und Fahrbahn erzeugen können. Andererseits erhöht ein höherer MTD- Wert den Fließwiderstand der Fahrbahn, was vor allem bei hohen Längsbzw. Schrägneigungen und/ oder großen Fahrbahnbreiten zu einer Verschlechterung der Entwässerungssituation führen kann. Anhand eines numerischen Modells für dichte Deckschichten (PSRM) wird unter Berücksichtigung von Parametern der Straße (z. B. Neigung, Fahrbahnbreite, MTD-Wert), eine Parameterstudie zu den Einflüssen auf das Entwässerungsverhalten durchgeführt und gleichzeitig versucht, die komplexen Zusammenhänge bei der Entwässerung von Fahrbahnoberflächen besser zu verstehen. 1. Einführung In diesem Beitrag sollen einige wichtige straßenseitige Parameter und ihr Einfluss auf die Entwässerung von dichten Fahrbahnen sowie die Interkorrelation dieser Parameter zueinander dargelegt werden. Auch soll besonders auf die teils widersprüchlichen Effekte einzelner Parameter hingewiesen werden. Das Ziel dieser Parameterstudie ist es, zu zeigen, dass eine Bewertung von Fahrbahnen hinsichtlich ihrer Entwässerungseigenschaften pauschal sehr schwierig ist und immer alle Parameter berücksichtigt werden müssten. Eine abschließende Abschätzung der Parametereinflüsse oder gar ein empirischer Zusammenhang kann leider nicht gegeben werden. Dies sollte weiterhin Gegenstand der Forschung bleiben. Auch ist zu betonen, dass im Folgenden von Wasserfilmdickenverteilungen auf der Fahrbahnfläche oder der maximalen Wasserfilmdicke die Rede ist. Die Aquaplaninggefahr kann dementsprechend nicht einfach abgelesen werden, da hier noch Faktoren u.a. wie der Fahrzeugtyp, die Fahrgeschwindigkeit und die Reifenprofiltiefe berücksichtigt werden müssen (weiter beschrieben u.a. in [1]). Das Zusammenspiel verschiedener straßenseitiger Parameter, wie der Fahrbahnbreite, mittleren Texturtiefe (MTD) und Längs- und Querneigung, ist weiterhin noch nicht abschließend verstanden und v.a. für dichten Asphalt in der Literatur wenig besprochen (siehe z. B. [2] für eine Parameterstudie unter Berücksichtigung verschiedener straßenseitiger Parameter). Dies liegt unter anderem daran, dass momentan wenige Modelle für die numerische Berechnung der Entwässerung von dichten Deckschichten existieren. Neben dem hier präsentierten Modell ist vor allem das Modell PAVDRN [3] in der Literatur oft zitiert. Demgegenüber wird zur Berechnung von Wasserfilmdicken noch vielmals auf empirische Zusammenhänge wie den von Gallaway [4] zurückgegriffen. Ein Überblick über Methoden zur Simulation von dichten und offenporigen Fahrbahnflächen ist in [5] zu finden. 2. Numerisches Modell der Entwässerung dichter Fahrbahnoberflächen Im Rahmen einer Dissertation wurde ein numerisches Modell zur Simulation des Entwässerungsvorgangs auf dichten Fahrbahnoberflächen (Pavement Surface Runoff Model = PSRM) entwickelt [6]. Das Modell nutzt die tiefengemittelten Flachwassergleichungen um die Wasserfilmdicke auf der Oberfläche berechnen zu können. Diese Gleichungen können angewandt werden und das Problem mathematisch vereinfachen, wenn die horizontale Ausbreitung wesentlich größer als die vertikale Tiefe des Wasserfilms ist [6]. Numerisch ist das Modell mithilfe der 2D Finite-Volumen-Methode diskretisiert und ist in der Software Toolbox DuMu x ([7], [8]) umgesetzt, die ein numerisches Lösen komplexer Fluidgleichungen und -probleme erlaubt. 282 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen Das PSRM [6] erlaubt den Import realer Fahrbahngeometrien aus txtbzw. CAD-Daten, was neben der Simulation der Entwässerungssituation von existierenden/ geplanten Fahrbahnen auch Untersuchungen des Einflusses von Unebenheiten wie Spurrinnen erlaubt [9]. Zusätzlich kann mit einer manuellen Einstellung eine Fahrbahngeometrie mit oder ohne Standardbzw. Schrägverwindung und beliebigen Längen, Breiten und Neigungen erzeugt werden. Das Modell simuliert die Entwässerung auf der gewählten Fahrbahngeometrie mit gewünschter Feinheit des numerischen Gitters unter Berücksichtigung weiterer Eingangsgrößen. Ein Regenereignis, als räumlich und zeitlich gleichförmig angenommen, kann in Dauer und Intensität frei gewählt werden. Für die mittlere Texturtiefe können diskrete Werte zwischen 0,4 und 1,83 mm gewählt werden. Diese Werte sollen einen realistischen Wertebereich von Fahrbahntexturtiefen abdecken. Sie sind aus Versuchsdaten ([1]) entnommen und zur Kalibrierung des Einflusses der Rauheit im PSRM verwendet worden [6]. Zusätzlich können auch wechselnde Fahrbahndeckschichten oder Rinnen berücksichtigt werden [2]. Die Simulationsergebnisse können visualisiert und ausgewertet werden, wobei vor allem die Wasserfilmdickenverteilung über die Fahrbahnoberfläche im Laufe der Zeit oder im stationären Zustand von Interesse ist. Eine Beschreibung des PSRM kann auch [10] und mit allen Details [6] entnommen werden. 3. Parameterstudie der Entwässerung dichter Fahrbahnoberflächen 3.1 3.1 Simulationsdaten Um den Einfluss straßenseitiger Parameter auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen beschreiben zu können, wird im Folgenden auf die Simulationsergebnisse einer Masterarbeit [11] zurückgegriffen, die Simulationen einer vorangegangenen Parameterstudie [2] berücksichtigt und weiter vertieft hat. Verschiedene Einflussparameter wurden hier variiert und es werden hier insgesamt 210 der Simulationen ausgewählt, die nun weiter ausgewertet werden (siehe Tab. 1). Neben der Wasserfilm-Dickenverteilung kann der Anteil der Fahrbahnfläche bestimmt werden, der von Wasserfilmdicken > 2-mm betroffen ist. Diese Wasserfilmdicke wird von der momentan gültigen Fassung der RAA [12] als kritisch angesehen. Alle Simulationen stellen die Wasserfilmdickenverteilung auf der Fahrbahn während eines 15-minütigen Regens mit einer Intensität von 0,75-mm/ min dar. Diese Regenintensität entspricht in Anlehnung an die REwS [13] etwa einem typischen r 15,1 -Regenereignis im Raum Stuttgart gemäß den KOSTRA-Daten [14]. Ein Teil der Simulationen bildet Fahrbahnen mit konstanten Neigungsverhältnissen (längs und quer) und einer Länge von 30 m ab. Der zweite Typ umfasst Standardverwindungen mit einem Querneigungsnulldurchgang und einer Länge von 360-m. Für die beiden Typen wurden die Fahrbahnbreite b, die Längsneigungen s und der MTD- Wert variiert. Tab. 1: Parametervariationen der Simulationen [2], [11] Tab. 1: Parametervariationen der Simulationen [2], [11] Typ Konstante Neigung Standardverwindung Länge [m] 30 360 Breite [m] 10 - 25 12 - 25,75 Längsneigung [%] 1 - 5 0 - 5 Querneigung [%] 1 - 2 2,5 MTD [mm] 0,4 - 1,8 0,4 - 1,8 Die Querneigungen wurden nur bei Flächen mit konstanter Neigung zwischen 1 und 2-% variiert, höhere Querneigungen führten nur teilweise zu Wasserfilmdicken über 2-mm. Da hier eine möglichst umfangreiche Parameterstudie von Wasserfilmdickenanteilen > 2- mm versucht werden soll, wurden höhere Querneigungen nicht betrachtet. Die Querneigung in den Simulationen der Standardverwindungsflächen beträgt außerhalb des Verwindungsbereichs konstant 2,5-% und die Verwindungsgeometrie ist entsprechend den Vorgaben der RAA [12] mit einem zentralen Verwindungsbereich von 50-m unter Berücksichtigung der minimalen Anrampungsneigung angelegt. Abb. 1: Simulation der Wasserfilmdicke einer Standardverwindungsfläche mit b = 25,75-m, s = 1-% und MTD = 0,89-mm Eine beispielhafte Darstellung der Wasserfilmdickenausbreitung auf einer Fahrbahnfläche mit Standardverwindung ist Abb. 1 zu entnehmen. Dargestellt ist hier und in den folgenden Abbildungen die bezogene Wasserfilmdicke, also die Wasserfilmdicke oberhalb der mittleren Texturtiefen und damit oberhalb der Texturspitzen. In der Abbildung ist der Querneigungsnulldurchgang mittig sehr gut zu erkennen zusammen mit den erhöhten Werten der Wasserfilmdicke im Verwindungsbereich und darüber hinaus. 3.2 Datenauswertung und Parameterstudie für konstante Neigungsflächen Mit dem PSRM wurde eine Simulation für jede oben beschriebene Parametervariation durchgeführt und der resultierende Flächenanteil größer 2- mm berechnet. Die Ergebnisse für die Flächen mit konstanten Neigungsverhältnissen (vergleiche Tab. 1) sind in Abb. 2 gegeben, mit einer Querneigung von 1-% oben und einer Querneigung von 2-% unten. In der Abbildung sind drei gleichfarbige Kurvenscharen zu erkennen, die die Ergebnisse der drei 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 283 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen MTD-Werte (0,4-mm, 0,89-mm und 1,8-mm) zeigen. Es kann der Anteil der Fahrbahnfläche entnommen werden, der von Wasserfilmdicken größer 2-mm betroffen ist. Für jeden MTD-Wert sind 5 Kurven gegeben, die den Flächenanteil für die Variation der Längsneigung von 1 - 5-% darstellen. Der betroffene Flächenanteil sinkt jeweils mit zunehmender Längsneigung. Die Längsneigung verursacht ein fast gleichförmiges Drücken der Kurve, wobei sich die Flächenanteile mit zunehmender Längsneigung verringern, die Kurvenform und damit der Einfluss der Fahrbahnbreite auf das Ergebnis bleibt aber fast komplett gleich. Das gilt für eine Querneigung von 1-%-bzw. auch von 2 % (vergleiche Abb. 2 (a) bzw. (b)). Für diese Simulationsfälle kann also durch eine Erhöhung der Längsneigung der Anteil der Fahrbahn-fläche, der von erhöhten Wasserfilmdicken betroffen ist, verringert werden. Dass diese Aussage nicht pauschal für jeden Fall angewandt werden kann, zeigt sich bereits in Abb. 2 (a), da hier bei einem MTD- Wert von 0,89-mm und einer Fahrbahnbreite von 15-m, der betroffene Flächenanteil für s = 2-% höher ist als für s = 1-%. Dieser Widerspruch wird später ebenfalls bei der Auswertung der Daten der Standardverwindungen eindrücklicher ersichtlich. Auch ist hinzuzufügen, dass der betroffene Flächenanteil zwar abnimmt, dies aber nicht immer die Entwässerungssituation wesentlich verbessern kann. Abb. 3 zeigt beispielhaft die Wasserfilmdicken-verteilung bei einer mittleren Texturtiefe von 1,8 mm, einer Querneigung von 1-% und einer Längsneigung von 1-% bzw. 5-%. Die Flächen mit Wasserfilmdicken über 2 mm nehmen mit höherer Längsneigung ab, erhöhte Wasserfilmdicken treten laut Simulation aber weiterhin auf einem großen Teil der Fahrbahnfläche auf. Der Einfluss der mittleren Texturtiefe auf die Ausbreitung des Wasserfilms ist in Abb. 2 klar zu erkennen, wobei ein höherer MTD-Wert für höhere betroffene Flächenanteile sorgt, da der Fließwiderstand durch die Textur erhöht wird. Dies ist besonders bei geringen Neigungen oder höheren Fahrbahnbreiten zu beobachten. In der Abbildung nimmt der Anstieg der Flächenanteile mit steigender Texturtiefe bei höheren Fahrbahnbreiten (vergleiche Abb. 2 (a)) oder bei einer höheren Querneigung (vergleiche Abb. 2 (b)) ab. Der Einfluss ist auch nicht linear; während eine Erhöhung der Texturrauheit von 0,4 auf 0,89-mm zu mehr als einer Verdopplung der Flächenanteile > 2-mm führt, erreicht ein noch höherer MTD-Wert von 1,8- mm nur noch eine Erhöhung der Flächenanteile um etwa 10-%. (a) (b) Abb. 2: Betroffene Flächenanteile > 2-mm Wasserfilmdicke für konstante Neigungsverhältnisse mit 3 unterschiedlichen MTD-Werten, Längsneigungen s-= 1 - 5-% und Querneigung (a) q = 1-% und (b) q-=-2-% Abb. 3: Wasserfilmdickenverteilung für konstante Neigungsverhältnisse mit einem MTD-Wert von 1,8-mm, Querneigung q = 1-% und Längsneigung (a) s-= 1-% und (b) s = 5-% Interessant ist ebenfalls, dass die Texturtiefe die Form der Kurven verändert, also beeinflusst wie stark der Einfluss der Fahrbahnbreite auf die betroffenen Flächenanteile ist. Während bei q = 1-% die Kurven für MTD-Werte von 0,89 und 1,8-mm degressiv verlaufen, also mit zunehmender Fahrbahnbreite die Kurven immer geringer ansteigen, zeigt die Kurvenschar für eine Texturtiefe von 0,4-mm einen progressiven Verlauf; die betroffenen Flächenanteile steigen bei Fahrbahnbreiten von 25-m im Vergleich zu 20-m sprunghaft an. Bei q = 2-% verlaufen nur die Kurven für einen MTD-Wert von 1,8-mm degressiv, die anderen 284 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen Kurven jeweils progressiv. Das zeigt, dass der Einfluss der Querneigung widersprüchlich sein kann und sich in bestimmten Situationen verstärkt. Eine starke Interkorrelation mit anderen straßenseitigen Parametern scheint gegeben zu sein und sollte genauer erforscht werden. (a) (b) (c) Abb. 4: Betroffene Flächenanteile > 2-mm Wasserfilmdicke für konstante Neigungsverhältnisse mit Längsneigung s-= 1 - 5-%, Querneigung q-= 1-% und 3 unterschiedlichen MTD-Werten (a)-(c) Wie in der oberen Auswertung schon mehrfach erwähnt, hat auch die Fahrbahnbreite einen starken Einfluss auf die Wasserfilmdickenausbreitung. Effekte, wie der Einfluss der Fahrbahntextur auf den Fließwiderstand, werden auch durch zunehmende Fahrbahnbreiten verstärkt. Der Einfluss der Fahrbahnbreite kann in diesem Zusammenhang sehr gut bei den Steigungswechseln bzw. -abnahmen der Kurven in Abb. 2 erkannt werden. Um die Interkorrelation der straßenseitigen Parameter Fahrbahnbreite (b), Längs (s)- und Querneigung (q) besser verstehen zu können, zeigt Abb. 4 ebenfalls die betroffenen Flächenanteile mit denselben Parameter-variationen wie in Abb. 3 nur in Abhängigkeit der maximalen Fließweglänge (L) anstatt der Fahrbahnbreite. Die maximale Fließweglänge lässt sich berechnen zu: [1] Die Formel und auch die Abb. 4 zeigen, dass die maximale Fließweglänge bei steigenden Neigungen stark zunimmt. Bei geringeren Längsneigungen ändert sich L nicht so stark bei steigenden Fahrbahnbreiten. Für höhere Werte von s steigt die maximale Fließweglänge mit höheren Fahrbahnbreiten schneller an. Die Vergrößerung von Flächenanteilen, die von 2-mm oder höheren Wasserfilmdicken betroffen sind, ändert sich hier genau gegenläufig. Die Kurven werden mit steigender Längsneigung immer flacher, also der Anstieg der Flächenanteile ist bei geringeren Längsneigungen höher. Ein Erklären des Zusammenhangs zwischen den Parametern der maximalen Fließweglänge (b, q, s) untereinander und im Zusammenhang zur Texturtiefe lässt sich aus diesen Darstellungen nicht leicht finden. Auch hier ist weiterer Forschungsbedarf gegeben. 3.3 Datenauswertung und Parameterstudie für Standardverwindungen Die simulierten Flächenanteile größer 2-mm für Standardverwindungen mit einer konstanten Längsneigung von 2,5-% außerhalb des Verwindungs-bereiches sind in Abb. 5 dargestellt. Betreffend der Texturtiefe und der Fahrbahnbreite können zu einem großen Teil die gleichen Schlüsse wie für die Simulationen bei konstanten Neigungs-verhältnissen gezogen werden. Eine höhere Texturtiefe verschlechtert die Situation, v.a. bei hohen Fahrbahnbreiten mit entsprechend hohen Fließwegen. Bei einer Texturriefe von 0,4-mm ist kein sehr starker Anstieg der betroffenen Flächenanteile zu beobachten. Bei einer Verdoppelung des MTD-Wertes sind vor allem bei hohen Fahrbahnbreiten sprunghafte Anstiege mit einem progressiven Kurvenverlauf zu sehen. Eine weitere Erhöhung der Texturtiefe auf 1,8 mm führt nur noch zu einem leichten Anstieg der Flächenanteile. In diesen Simulationen zeigt sich jedoch klar, dass eine Empfehlung zu höheren Längsneigung um die Entwässerungssituation zu verbessern, nicht pauschal getroffen werden kann. Während die Flächenanteile bei MTD-Werten von 0,4 und 0,89-mm mit zunehmender Längsneigung abnehmen, ist dies für MTD = 1,8-mm nicht der Fall. Die höchsten Längsneigungen von 4 und 5-% erzielen signifikant höhere Flächenanteile über 2-mm, während sogar die Kurve für s = 0-% die niedrigsten Werte aufweist. Dies kann genauer in Abb. 6 gesehen werden, die die Wasserfilmdickenverteilung im Bereich nach und im Bereich der Standardverwindung zeigt. Die Erhöhung der Längsneigung führt zwar einerseits zu einer Verbesserung im Verwindungsbereich selbst, mit kleineren Flächenanteilen maximaler Wasserfilmdicke, allerdings breitet sich der Anteil betroffener Flächen immer mehr über fast die gesamte simulierte Fahrbahnfläche aus. Es kann also nicht pauschal von einer verbesserten Entwässerungssituation gesprochen werden, was auch in [2] festgestellt wurde. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 285 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen (a) (b) (c) Abb. 5: Betroffene Flächenanteile > 2-mm Wasserfilmdicke für Standardverwindungen mit Längsneigung s-= 0 - 5-%, und 3 unterschiedlichen MTD-Werten (a)-(c) 4. Fazit Mit dem numerischen Modell PSRM kann eine Parameterstudie der wesentlichen straßenseitigen Parameter, zur Abschätzung der Einflüsse auf den Entwässerungsvorgang von dichten Fahrbahnoberflächen, durchgeführt werden. Verschiedene Parametervariationen können simuliert und die Ergebnisse miteinander verglichen werden. Dadurch lassen sich erste Schlüsse zur Abschätzung der Parametereinflüsse und zur Beziehung der Parameter untereinander ziehen. Bei konstanten Neigungsverhältnissen bewirkt eine Erhöhung oft, aber nicht immer, eine Verringerung der erhöhten Wasserfilmdickenanteile. Eine Erhöhung der mittleren Texturtiefe oder der Fahrbahnbreite begünstigt dagegen meist einen höheren Flächenanteil mit Wasserfilmdicken über 2-mm. Bei Verwindungsbereichen dagegen, bewirkt eine Erhöhung der Längsneigung in den gezeigten Simulationsfällen meistens eine Verringerung der Flächenanteile mit erhöhten Wasserfilmdicken im Verwindungsbereich, außerhalb des Verwindungsbereichs nimmt der Flächenanteil jedoch zu. (a) (b) (c) (d) Abb. 6: Wasserfilmdickenverteilung für Standardverwindungen mit einem MTD-Wert von 1,8-mm und Längsneigung (a) s = 0-%, (b) s = 1-%, (c) s = 4-% und (d) s = 5-% Der Einfluss straßenseitiger Parameter korreliert jeweils stark miteinander und eine Zu- oder Abnahme durch einen Parameter fällt unterschiedlich stark aus, je nach Höhe der anderen vorliegenden Parameter. Diese Aussagen können aber nicht pauschal angewandt werden. Vor allem in Bereichen mit hohen maximalen Fließweglängen, kann die Rauheit als Fließwiderstand immer mehr dominieren und die Entwässerungssituation verschlechtern. Auch führt eine Abnahme von Bereichen maximaler Wasserfilmdicke trotzdem zu erhöhten Wasserfilmdicken oder zu größeren Bereichen mit zwar geringeren aber weiterhin erhöhten Wasserfilmdicken. 286 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Einfluss von straßenseitigen Parametern auf das Entwässerungsverhalten von Fahrbahnoberflächen Eine weitergehende Untersuchung der Einflussparameter ist Teil der Forschung. Auch sind in diesem Beitrag nicht alle möglichen Parameter systematisch variiert worden. Das Regenereignis, in Intensität und Dauer, hat ebenfalls noch einen starken und interkorrelierenden Einfluss auf den Entwässerungsprozess (siehe dazu auch [2]). Um die Ergebnisse miteinander vergleichen zu können und auch eine ausreichende Anzahl an simulierten Fahrbahnflächen mit erhöhten Wasserfilmdicken zu erhalten, ist die Bandbreite der verwendeten Parameter gezielt beschränkt worden. Zusätzlich dazu kann auch auf die Wasserfilmverteilung außerhalb dieser Bandbreite, v.a. bei höheren Längs- und Querneigungen eingegangen werden. Im Gegensatz zur Simulation von dichten Fahrbahnen, existieren mehrere Modelle für offenporige Deckschichten; diese sind teilweise auch verwendet worden um empirische Zusammenhänge oder Designkurven zu erstellen, die Richtwerte für z. B. optimale Schichtdicken aus entwässerungstechnischer Sicht geben können (beispielsweise [15], [16]). Am Lehrstuhl entsteht momentan zur Ergänzung des PSRM ein numerisches Modell, das auch die Entwässerung von offenporigen Deckschichten berechnen kann (siehe auch [5]). Ziel beider Modelle ist es, Fahrbahngeometrien hinsichtlich ihrer Entwässerung bewerten zu können und Empfehlungen anzuregen, wie sich straßenseitige Parameter unter Berücksichtigung des Entwässerungsvorgangs im individuellen Zusammenspiel auswirken. 5. Danksagung Die Autoren danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) für die Förderung von Teilen dieser Arbeit im Rahmen der Forschergruppe „Dauerhafte Straßenbefestigungen für zukünftige Verkehrsbelastungen - Gekoppeltes System Straße - Reifen - Fahrzeug“ (FOR 2089). Literatur [1] Hermann, S.: Simulationsmodell zum Wasserabfluss- und Aquaplaning-Verhalten auf Fahrbahnoberflächen, Dissertation, Veröffentlichungen aus dem Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart, 2008. [2] Lippold, C., Vetters, A., Ressel, W., Alber, S.: Vermeidung von abflussschwachen Zonen in Verwindungsbereichen - Vergleich und Bewertung von baulichen Lösungen, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Reihe Verkehrstechnik, V 319, 2019. [3] Anderson, D. A., Huebner, R.S., Reed, J.R., Warner, J.C., Henry, J.J.: Improved Surface Drainage of Pavements, National Cooperative Highway Research Program, Final Report, 1998. [4] Gallaway, B., Ivey, D., Hayes, G., Ledbetter, W., Olson, R., Woods, D.: Pavement and Geometric Design Criteria for Minimizing Hydroplaning, Texas Transportation Institute, Final Report, 1979. [5] Teutsch, T., Schuck, B., Götz, T., Alber, S., Ressel, W.: Computational Methods for Analyses of Different Functional Properties of Pavements, In: Coupled System Pavement-Tire-Vehicle, Springer, 2021. [6] Wolff, A.: Simulation of Pavement Surface Runoff using the Depth-Averaged Shallow Water Equations, Dissertation, Veröffentlichungen aus dem Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart, 2013. [7] Flemisch, B., Darcis, M., Erbertseder, K., Faigle, B., Lauser, A., Mosthaf, K., Müthing, S., Nuske, P., Tatomir, A., Wolff, M., Helmig, R.: DuMux: DUNE for Multi- {Phase, Component, Scale, Physics, …} Flow and Transport in Porous Media, Advances in Water Resources, Vol. 34, 2011. [8] Koch, T., Gläser, T., Weishaupt, K. et al.: DuMux 3 - an Open-Source Simulator for Solving Flow and Transport Problems in Porous Media with a Focus on Model Coupling. Computers and Mathematics with Applications, Vol. 81, 2020. [9] Alber, S., Schuck, B., Ressel, W., Behnke, R., Canon Falla, G., Kaliske, M., Leischner, S., Wellner, F.: Modeling of Surface Drainage during the Service Life of Asphalt Pavements Showing Long-Term Rutting: A Modular Hydromechanical Approach, Advances in Materials Science and Engineering, Vol. 2020, 2020. [10] Ressel, W., Wolff, A., Alber, S., Rucker, I.: Modelling and Simulation of Pavement Drainage, International Journal of Pavement Engineering, Vol. 20(7), 2019. [11] Martin, J.: Straßenbau- und entwurfstechnische Einflussfaktoren auf Wasserfilmdicken und deren flächige Ausdehnung, Masterarbeit, Institut für Straßen- und Verkehrswesen, Universität Stuttgart, 2016. [12] FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen): Richtlinien für die Anlage von Autobahnen (RAA), FGSV Verlag Köln, 2008. [13] FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen): Richtlinien für die Entwässerung von Straßen (REwS), FGSV Verlag Köln, 2022. [14] Malitz, G., Ertel, H.: KOSTRA-DWD-2010 Starkniederschlagshöhen für Deutschland (Bezugszeitraum 1951 bis 2010), Deutscher Wetterdienst, Abschlussbericht, 2015. [15] Ranieri, V., Ying, G., Sansalone, J.: Drainage Modeling of Roadway Systems with Porous Friction Courses, Journal of Transportation Engineering, Vol. 138(4), 2012. [16] Tan, S.A., Fwa, T.F., Chai, K.C.: Drainage Considerations for Porous Asphalt Surface Course Design, Transportation Research Record, Journal of the Transportation Research Board, Vol. 1868 (1), 2004. Recycling 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 289 Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt VIF-Forschungsprojekt KOMBAS Dipl.-Ing. Dr. Alfred Weninger-Vycudil FH Campus Wien, Österreich Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Michael Wistuba ISBS TU Braunschweig Zusammenfassung Die kombinierte Bauweise einer Asphaltdeckschicht auf einer Betondecke (KOMBAS-Bauweise) ist eine Antwort auf die zunehmende Schwerverkehrsbelastung auf vielen Abschnitten des österreichischen Autobahn- und Schnellstraßennetzes und eine innovative Straßenoberbaulösung, speziell vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit im Bereich Bau, Erhaltung und Wiederverwendung. Dabei spielen die Auswahl der Baumaterialien, die Dimensionierung im Neubaufall, der Schichtverbund sowie die wirtschaftlich-ökologische Lebenszyklusbewertung vor dem Hintergrund der höchstmöglichen Verfügbarkeit der Strecken für die „Kunden des Straßennetzes“ eine entscheidende Rolle. 1. Einführung Die zunehmende Schwerverkehrsbelastung auf vielen Abschnitten des österreichischen Autobahn- und Schnellstraßennetzes erfordert innovative Lösungen auch für den Straßenoberbau, speziell vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit im Bereich Bau, Erhaltung und Wiederverwendung. Unter Bezugnahme auf diese Anforderungen bestand das Hauptziel des VIF-Forschungsprojektes KOMBAS (Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt) in der Entwicklung und Bewertung der bautechnischen Anforderungen an die kombinierte Bauweise „Betondecke mit Asphaltdeckschicht“ (auch häufig als „Black-Topping“ bezeichnet) sowie in der Bereitstellung eines umfassenden Leitfadens für die Bewertung und die praktische Umsetzung auf dem Straßennetz der ASFINAG. Dieser Leitfaden liefert die Grundlage für eine zukünftige Standardisierung (z.B. RVS-Merkblatt). Dabei spielen die korrekte Auswahl der Baumaterialien (mit Schwerpunkt lärmmindernde Deckschichten), die optimale Zusammensetzung der geschichteten Konstruktion (Dimensionierung im Neubaufall), der Schichtverbund, sowie auch die wirtschaftlich-ökologische Lebenszyklusbewertung vor dem Hintergrund der höchstmöglichen Verfügbarkeit der Strecken für die Nutzer (Kunden des Straßennetzes) eine entscheidende Rolle (Weninger-Vycudil A., et al. (2022) [1]). Dieses von der ASFINAG (österreichische Autobahngesellschaft) und dem Bundesministerium für Klimaschutz finanzierte Projekt wurde im Rahmen der Verkehrsinfrastrukturforschung 2019 (FFG) von der Fa. Deighton GmbH, dem Institut für Straßenwesen der TU-Braunschweig (ISBS) und der Fa. Nievelt Labor GmbH unter der Leitung der beiden Autoren durchgeführt und im Frühjahr 2022 erfolgreich abgeschlossen. 2. Zusammenstellung der Grundlagen 2.1 Stand der Technik Aufgrund der Tatsache, dass mehr als 30 % des Straßenoberbaus auf dem ASFINAG-Netz in der Betonbauweise ausgeführt sind, entstand bereits sehr früh die Überlegung, die Betondecken mit einer dünnen Asphaltdeckschicht (wenige cm) zu überbauen. Aus diesem Grund gibt es bereits eine Reihe von Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung dieser Bauweise, wobei in einigen Bereichen bereits sehr früh Schäden (z. B. in Form von Blasenbildungen) aufgetreten sind. Der erste Schritt im Rahmen des Forschungsprojektes bestand somit darin, diese Erfahrungen systematisch zu sammeln, aufzubereiten und als Grundlage für die geplanten Festlegungen zu verwenden. Dabei handelte es sich primär um folgende Informationen: • Grundlagen und Literatur aus Österreich, speziell von der vorhandenen Langzeitteststrecke A1 Böheimkirchen - St. Pölten Süd • Aktuelle Anforderungen und Vorgaben aus Deutschland (M BEB [2]) und Österreich (ASFINAG [3]) • Aktuelle Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern (z. B. Belgien und Deutschland) sowie aus Nordamerika Die Recherche zeigte, dass in jenen Ländern, wo seit vielen Jahrzehnten Betondecken im größeren Umfang errichtet wurden oder werden, auch die Überbauung mit Asphalt häufig ausgeführt wird. Der Grund hierfür liegt einerseits in einer Verlängerung der technischen Nutzungsdauer der Betondecke aber auch in der Erfüllung von erhöhten Griffigkeits- und Lärmanforderungen. Hier kommen dann in erster Linie lärmmindernde Beläge zum Einsatz. Folgende Anwendungsfälle konnten daraus kategorisiert werden: 290 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt • Entspannung der alten Betondecke und Überbauung mit Asphalt mit erforderlicher Dicke zur Aufnahme der Verkehrslasten (Erneuerung im Hocheinbau in Asphalt) • Überbauung der alten, durchgehend bewehrten Betondecke mit einer Asphaltdeckschicht • Überbauung der alten durchgehend bewehrten Betondecke mit Binder- und Asphaltdeckschicht, ggf. mit einer SAMI-Schicht direkt auf der Betondecke • Überbauung der alten Betondecke in Plattenbauweise (vorweg mit Sanierung von Schadstellen und Austausch von einzelnen geschädigten Betonplatten) mit Binder- und Asphaltdeckschicht • Überbauung der alten Betondecke in Plattenbauweise (vorweg mit Sanierung von Schadstellen und Austausch von einzelnen geschädigten Betonplatten) mit Asphaltdeckschicht 2.2 Untersuchungs- und Teststrecken Als zusätzliche Grundlage für die Empfehlungen im Leitfaden wurden neben der Auswertung von Fragebögen, die von den Experten der ASFINAG für ausgewählte Abschnitte beantwortet werden konnten, sowie den aktuellen Ergebnissen der bestehenden Langzeituntersuchungsstrecke auf der A1, weitere Untersuchungstrecken definiert und umfassend bewertet (siehe Tabelle 1). Tab. 1: Auswahl Untersuchungsstrecken Straße Abschnitt Station RFB A2 Kottingbrunn - Wr. Neustadt mehrere Abschnitte 29,0 - 46,0 Graz A2 Wr. Neustadt - Seebenstein 46,0 - 58,0 Wien A9 Deutschfeistritz 166,0 - 172,0 Spielfeld Folgende Eigenschaften der Oberbauschichten dieser ausgewählten Strecken wurden unter Heranziehung von vor Ort genommenen Bohrkernen untersucht und miteinander verglichen: • Schubfestigkeit • Haftzugfestigkeit • Verformungsanfälligkeit (Spurbildungstest) • Scherermüdungsbeständigkeit der Schichtgrenze mittels zyklischem Scherversuch Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen (siehe beispielsweise Abb. 1 für die Schubfestigkeit), dass die spezifischen Anforderungen (sofern definiert) fast überall erfüllt werden und die Ergebnisse auch für die Fragestellungen im Rahmen Dimensionierung (im Neubaufall) verwendet werden konnten. Abb. 1: Ergebnisse der Schubfestigkeitsbestimmung [1] 3. Analysen der KOMBAS-Bauweisen 3.1 KOMBAS-Bauweisen Auf der Grundlage der umfassenden Recherchen, wurden die in Abb. 2 dargestellten KOMBAS-Bauweisen entwickelt und im Detail untersucht. Die Sonderbauweise SBE1 entspricht nach RVS 03.08.63 [4] einer Bautype BE1 mit einer SMA S2 Deckschicht oder SMA S3 Deckschicht (lärmmindernd) und die Sonderbauweise SBE2 der Bautype BE2 (hydraulisch gebundene Tragschicht), wiederum mit SMA S2 oder SMA S3. Abb. 2: KOMBAS-Bauweisen nach [1] 3.2 Dimensionierung Die im Rahmen des Projektes vorgestellten Lösungen und Empfehlungen gelten primär für den Neubau aber auch für die Instandsetzung oder Erneuerung einer Bestandsbetondecke, wobei die Dimensionierung sich ausschließlich auf den Fall Neubau bezieht (gem. den Anforderungen nach RVS 03.08.63 [4]). 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 291 Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt Dabei wurde untersucht, inwieweit eine Überbauung von Betondecken durch eine Asphaltdeckschicht, ggf. unter Variation der Dicke der Asphaltdeckschicht und der Betondecke, die theoretische Lebensdauer der Straßenbefestigung beeinflusst. Als Eingangsgrößen für die Dimensionierungsberechnungen wurden die Asphaltsteifigkeiten an im Labor hergestellten Asphalt-Probenkörpern sowie an Bohrkernen aus 2 Entnahmestellen aus der Teststrecke A2 (SMA 11 S2) ermittelt. Die theoretischen Grundlagen der Berechnungen sowie die Begründungen für die Auswahl des Rechenverfahrens (Ermüdungsnachweis entsprechend der Hypothese nach Miner) können dem Endbericht des Projektes entnommen werden (Weninger-Vycudil A., et al. (2021) [1]). Die Berechnungen zeigen, dass die Überbauung mit Asphalt zu einer deutlichen Reduktion der Schädigungssumme (nach Miner) am Ende der Bemessungsperiode führt und somit von einer Tragfähigkeitsreserve gesprochen werden kann, wenn die Betondeckendicke nicht vermindert wird. Die im Rechenmodell angesetzte Betondickendicke wirkt sich entscheidend auf die rechnerische (theoretische) Lebensdauer bei einer Überbauung aus. Weil das Rechenmodell (Mehrschichtentheorie für Mischbauweisen) nicht ohne Weiteres auf die Realität übertragen werden sollte, wird empfohlen, rechnerische Vorteile bezüglich einer Reduktion der Betondicke bautechnisch nicht ohne weitere Untersuchungen umzusetzen und stattdessen die rechnerischen Vorteile dieser Reserve zu nutzen und bei den Zustandsprognosemodellen über den Verkehrsbelastungskoeffizienten (VBI) zu berücksichtigen. Daher wurden im Rahmen der holistischen Lebenszyklusbetrachtung die Oberbauvarianten ohne Reduktion der Betondicke betrachtet. 3.3 Holistische Lebenszyklusbewertung In einem weiteren Schritt wurden die KOMBAS-Bauweisen einer holistischen Lebenszyklusbetrachtung unterzogen und mit den Standardbauweisen nach RVS 03.08.63 [4] verglichen. Die Berechnung erfolgte dabei nach den Vorgaben des „Handbuches Pavement Management in Österreich 2016“ [5] sowie den standardisierten Lebenszyklen für den Straßenoberbau der ASFINAG. Im Zuge der Analysen wurden folgende Schwerpunkte gesetzt: • Wirtschaftliche Beurteilung im Rahmen einer Lebenszykluskostenanalyse • Ökologische Bewertung im Rahmen einer vereinfachten Öko-Bilanzierung unter Heranziehung des GWP (Global Warming Potential) • Vergleich der Verkehrsbeeinträchtigung während der gesamten technischen Nutzungsdauer Diese Art von holistischer Lebenszyklusanalyse (Nachhaltigkeitsanalyse) wurde für den Straßenoberbau in dieser umfassenden Art und Weise erstmalig in Österreich angewendet und zeigt, dass neben der ökonomischen Bewertung auch der ökologische und nutzerbezogene (soziale) Aspekt in den Entscheidungsprozess integriert werden sollte. Als maßgebende Kenngröße des Vergleichs im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsuntersuchung wurden die Annuitäten herangezogen. Hier zeigt sich bei den neuen Oberbauvarianten „Asphalt auf Beton“ zunächst sehr deutlich der Einfluss der „Dimensionierungsreserve“ aus der Überbauung mit Asphalt, da die überbauten Betondecken eine geschätzte technische Nutzungsdauer von ca. 50 Jahren erreichen. Die erhöhten Erhaltungskosten gleichen sich somit durch längere technische Nutzungsdauern aus, sodass die Differenz der Annuitäten zwischen den untersuchten Oberbauvarianten deutlich geringer ausfällt. Ein wirtschaftlicher Vorteil ist bei der Standardbauweise der Betondecke und bei der KOMBAS-Bauweise mit der SMA D deck S2 Deckschicht zu erkennen (siehe Abb. 3). Abb. 3: Relativer Vergleich Annuitäten der Oberbauvarianten in Bezug zur Variante AS1 LK42 SMA S2 [1]. Die KOMBAS-Bauweisen repräsentieren die beiden rechten Balken. Die geringen Annuitäten der Betondecke ohne Überbauung sowie der KOMBAS-Bauweise BE1 LK40 SMA S2 sind natürlich wesentlich von den Errichtungskosten der Betondecke abhängig. Inwieweit der Vorteil der Betonbauweise gegenüber den anderen Varianten bei einer Erhöhung des Einheitspreises der Betondecke bleibt, wurde ebenfalls untersucht (Erhöhung der Errichtungskosten für die Betondecke um 10%). Die Erhöhung der Einheitspreise führt dabei zu einer deutlichen Annährung der Annuitäten. Ein ähnlicher Vergleich ist auch bei der vereinfachten Ökobilanz möglich, die als weiterer Bewertungsschritt durchgeführt wurde. Auch hier lässt sich das gesamte GWP auf einen jährlichen Wert normieren. Dabei konnte festgestellt werden, dass die beiden neuen KOMBAS- Bauweisen ein geringeres mittleres jährliches GWP aufweisen, im Vergleich zur konventionellen Betondecke und der Asphaltbauweise mit SMA S2 (mit und ohne Berücksichtigung des Recyclingpotentials am Ende der technischen Nutzungsdauer). Dieser Vergleich ist in der nachfolgenden Abb. 4 graphisch auf bereitet und zeigt nochmals den Vorteil der KOMBAS-Bauweisen gegenüber den Standardkonstruktionen Asphalt mit SMA D deck S2 und Beton. 292 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt Abb. 4: Vergleich GWP pro Jahr gesamter Lebenszyklus zu AS1 LK42 SMA S2 ohne Berücksichtigung des Recyclingpotentials [1]. Die KOMBAS-Bauweisen repräsentieren die beiden rechten Balken. Der letzte Vergleich erfolgte über den Indikator „Verfügbarkeit“ bzw. „Verkehrsbeeinträchtigung“. Dabei wurde ein vereinfachter relativer Vergleich vorgenommen, der es ermöglicht, über die mittlere jährliche Verkehrsbeeinträchtigung eine Aussage zu tätigen. Die auf die technische Nutzungsdauer bezogene mittlere jährliche Verkehrsbeeinträchtigung ist bei der KOMBAS-Bauweise BE1 LK40 SMA S3 (lärmmindernd) am höchsten, was auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die Erhaltungsintervalle für diese Deckschichtart mit 12 Jahren geschätzt wurden und somit eine Erhaltungsmaßnahme mehr aufweisen als die SMA S2 KOMBAS-Variante, welche die geringste Verkehrsbeeinträchtigung zeigt. Die Werte können in Abhängigkeit von der örtlichen Situation und besonders in Abhängigkeit von der Länge des Bauloses stark streuen, sodass vor allem die Standardbauweisen als „gleichwertig“ einzustufen sind. Ein gewisser Vorteil kann jedoch der KOMBAS-Bauweise BE1 LK40 SMA S2 zugeordnet werden. 4. Leitfaden und Empfehlungen Das Ergebnis dieser Untersuchungen und Analysen ist der KOMBAS-Leitfaden. Dieser ist so aufgebaut, dass er die Anforderungen für die Ausführung der KOMBAS- Bauweise grundsätzlich bauchronologisch beschreibt und somit dem Anwender einen guten Überblick von der Planung, der Ausführung bis zur Erhaltung bzw. zum Abbruch gibt. Der KOMBAS-Leitfaden ist eine Empfehlung, wobei eine detaillierte Untersuchung auf Projektebene in allen Fällen vorzunehmen ist. Der KOMBAS-Leitfaden beinhaltet dabei folgende Vorgaben [1]: • Allgemeine Grundsätze der KOMBAS-Bauweise • Anwendungsbereich • Technische Anforderungen und Empfehlungen Planung • Technische Anforderungen und Empfehlungen Ausführung • Technische Anforderungen und Empfehlungen bauliche Erhaltung • Hinweise zum Abbruch und zum Recycling • Quellenverzeichnis Die Erfahrungen mit der KOMBAS-Bauweise zeigen, dass eine Aufnahme in das Technische Regelwerk (RVS) sinnvoll und zweckmäßig ist. Dies bezieht sich dabei in erster Linie auf die RVS 03.08.63 [4] für die Dimensionierung im Bereich Neubau, also die Errichtung einer neuen Betondecke und einer bituminösen dünnen Asphaltdeckschicht von Beginn an. 5. Fazit Die Ergebnisse des KOMBAS-Projektes zeigen ein sehr hohes Anwendungs- und Entwicklungspotential der KOMBAS-Bauweise auf dem Straßennetz der ASFI- NAG. Die bis dato mit der KOMBAS-Bauweise ausgeführten Streckenabschnitte im Netz der ASFINAG erzielen mit wenigen Ausnahmen - dort wo Blasenbildungen festgestellt wurden - eine gute praktische Anwendbarkeit, wobei gerade im Bereich des Neubaus bei der Gestaltung der Betondecke eine Reihe von Fragen noch im Detail zu beurteilen wären. Dies betrifft vor allem die Gestaltung der Oberfläche, der in einschichtiger Bauweise zu errichtenden Betondecke. Darüber hinaus wurde empfohlen, Versuchsstrecken mit unterschiedlichen Betondeckenvorbehandlungen zu vergleichen und auch die Frage speziell nach der Gestaltung bzw. Ausführung der Fugen in der Neubaubetondecke zu untersuchen. Literatur [1] Weninger-Vycudil A., Wistuba M., Buchta M., Grönninger J., Chankov G. und Litzka J.: KOM- BAS - Kombinierte Bauweise Beton - Asphalt. Verkehrsinfrastrukturforschung 2019, Projekt finanziert von ASFINAG und BMK, Endbericht, Wien, 2021 [2] M BEB - Merkblatt für die bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen aus Beton. Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen (FGSV), Köln, 2009 [3] B.3 Technische Vertragsbestimmungen für den Straßen- und Brückenbau der ASFINAG, be203030 V18, gültig ab 2022-01-01 [4] RVS 03.08.63: Bautechnische Details - Oberbaubemessung. Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen, Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, Wien, 2016 [5] Weninger-Vycudil A., Brozek B. Simanek P., Litzka J.: Handbuch Pavement Management in Österreich 2016. Handbuch im Auftrag der ASFINAG (unveröffentlicht), Wien, Fassung 2019 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 293 Vom Abfall zum Rohstoff Dipl.-Ing. David Heijkoop Recycling Kombinatie REKO B.V., Rotterdam, Niederlande 294 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 295 Vom Abfall zum Rohstoff 296 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 297 Vom Abfall zum Rohstoff 298 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 299 Vom Abfall zum Rohstoff 300 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 301 Vom Abfall zum Rohstoff 302 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 303 Vom Abfall zum Rohstoff 304 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Vom Abfall zum Rohstoff VOM ABFALL ZUM ROHSTOFF! GEMEINSAM MIT IHNEN DAS RICHTIGE RECYCLING Qualitätssicherung 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 307 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Dipl.-Ing. Christiane Krause Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin Dipl.-Ing. (FH) Ulrich Pfeifer Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Steinbeistransferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen, Karlsruhe Dr.-Ing. Ute Stöckner Steinbeistransferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen, Karlsruhe Zusammenfassung Der Zustand kommunaler Verkehrsflächen wird seit etlichen Jahren mit verschiedenen Verfahren erfasst. Ausgehend von den Fahrbahnbefestigungen der Hauptstraßen spielen weitere Flächenarten bis hin zu Rad- und Fußwegen eine zunehmende Rolle. Die etablierten und qualitätsgesicherten Verfahren der Zustandserfassung von Fahrbahnen können hier nur eingeschränkt eingesetzt werden, so dass mit angepassten Verfahren gearbeitet werden muss. Oft nur kleine Straßenquerschnitte schränken die Anwendung der bekannten und zertifizierten Messgeräte der Zustandserfassung und -bewertung (S&A) auch auf Fahrbahnen im kommunalen Nebenstraßennetz ein. Für die daher entwickelten kleineren Fahrzeuge mit S&A-Systemen gibt es aber im Vergleich zu zertifizierten Systemen keine nachgewiesene Qualitätssicherung. Grenzen des Einsatzes zertifizierter S&A-Systeme im kommunalen Einsatzfeld werden aufgezeigt und ein Weg beschrieben, mit dem die kommunalen Bauverwaltungen Projektrisiken minimieren können. 1. Einleitung Die Straßenverkehrsinfrastruktur stellt einen erheblichen Anteil der öffentlichen Vermögenswerte dar und leistet durch ihre Verbindungsfunktion zugleich einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Prosperität. Von großer Bedeutung ist daher eine vorausschauende Erhaltungsplanung, die es ermöglicht über kurzfristige Bauprogramme hinaus zeitgerecht auch mittel- und langfristig personelle wie finanzielle Ressourcen einsetzen zu können. Um dies zu erreichen wurden in der Vergangenheit erhebliche Anstrengungen unternommen: Die Entwicklung standardisierter Verfahren zur Zustandserfassung- und Bewertung von Außerortsstraßen insbesondere auf Bundes- und Länderebene sowie die darauf auf bauenden Untersuchungen zur Prognose der Entwicklung des Fahrbahnzustandes und der damit zu erwartenden Maßnahmekosten sind mit den eingeführten Zertifizierungsverfahren der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) heute Stand der Technik [1], [2] sowie [3], [4], [5]. Kommunale Baulastträger haben daher früh begonnen, die ZEB-Methode ebenfalls einzusetzen um ihre Ressourcen effizient zur Aufgabenerfüllung einsetzen zu können. Die kommunal oft unterschiedlichen Ausgangsbedingungen haben in der Folge zu einer Erweiterung des technischen Regelwerkes geführt, das jedoch nicht alle erforderlichen Aspekte für alle anzutreffenden Bauweisen abdeckt [6], [7]. Darüber hinaus enthält das Regelwerk [6] unterschiedliche Methoden zur Durchführung der ZEB (vgl. Abschnitt 2), jedoch keine formalen Anforderungen zu deren Qualitätssicherung. In der Folge sind unterschiedliche Anbieter für ZEB-Dienstleistungen auf dem Markt anzutreffen, deren Ergebnisqualität von den kommunalen Auftraggebern zu beurteilen ist: Welche Daten sind valide und vergleichbar, erfüllen also die Anforderungen an Wiederholbarkeit und Unabhängigkeit von der Erfassung selbst? Welche Daten liefern damit die notwendige Qualität um auf Basis des Standes der Technik die operativen und strategischen Entscheidungen im Sinne eines Asset Managements [8], [9] treffen zu können? Zur Beantwortung dieser Fragen ist eine Vorgehensweise erforderlich, zu der nachfolgend ein Lösungsansatz vorgestellt wird. Dieser baut auf der messtechnischen Zustandserfassung auf, so dass zunächst die unterschiedlichen im kommunalen Regelwerk enthaltenen Verfahren nochmals beleuchtet werden. 2. Kommunale Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) Grundsätzlich stehen zur Zustandserfassung der Oberflächeneigenschaften von Straßen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Erfasst werden in der Regel die Aspekte Längs- und Querebenheiten sowie Oberflächenschäden. Abhängig von ihrer Methodik stellen die Verfahren der Zustandserfassung und -bewertung unterschiedliche Anforderungen an Zeit- und Kostenintensität. 308 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Im Ergebnis bedienen sie unterschiedliche Qualitätsstandards, die letztlich auch Einfluss nehmen auf die o.g. Fragestellungen in Bezug auf die Nutzung der Daten. 2.1 Visuell-sensitive Erfassung Die Begehung durch ein Team zur visuell-sensitiven Zustandserfassung stellt eine klassische Methode dar. Jedoch ist eine visuell-sensitive Erfassung von Zustandsgrößen durch geschultes Personal zeitaufwändig und kostenintensiv. Die Integration der Bewertung in den Erfassungsvorgang birgt aufgrund menschlicher Einschätzungen das Risiko verzerrter Ergebnisse und lässt keine Möglichkeiten rückwirkend das Qualitätsniveau von Anlagenteilen oder einzelner Bewertungsaspekte zu justieren. 2.2 Visuell-bildbasierte Erfassung Die rein visuelle bzw. die visuell-bildbasierte Zustandserfassung mittels Auswertung einer Videobefahrung stellt demgegenüber allein durch den schnelleren Erfassungsvorgang eine deutliche Verfahrensbeschleunigung dar. Die visuell-bildbasierte Zustandserfassung weist dabei den Nachteil auf, dass Risse und Unebenheiten in Abhängigkeit von Witterung und Bilddarstellung oft nur grob erkennbar sind. Die Aussagen beschränken sich naturgemäß auf die Ausdehnung von Schäden unter Vernachlässigung von deren Ausprägung („Schadensschwere“). Eine abschnittsbezogene Darstellung der Auswertungen ist möglich. Ohne nachprüf bare Dokumentation der Schäden im Bild fallen die Nachteile der visuell-sensitiven Erfassung (Bewertungsverzerrung und mangelnde Nachjustierbarkeit) ebenso an. Kamera- und Kameraführungsbedingte Einschränkungen der Erkennbarkeit von Schäden können infolge fehlender Qualitätsstandards zusätzliche Quellen der Ergebnisverzerrung darstellen 2.3 Messtechnische Erfassung Als dritte Methode der Erfassung des Straßenzustandes besteht mit der zertifizierten messtechnischen Erfassung ein wiederholbares, weitgehend automatisiertes und somit qualitätsgesichertes Verfahren, auf dessen Basis eine objektive Beurteilung des Fahrbahnzustandes erfolgen kann. Anforderungen an die Wiederholbarkeit sind in den ZTV ZEB-StB [FGSV, 2006/ 2018] formal geregelt und setzen in Deutschland eine Zertifizierung durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) voraus: Die sogenannte zeitbefristete Betriebszulassung stellt damit im Rahmen von Zustandserfassungen nach den ZTV ZEB- StB 2006/ 2018 einen anerkannten Qualitätsstandard für Erfassungsabschnitte mit Längen von 100m im Außerortsbereich sowie von 20m im Bereich von Ortsdurchfahrten dar, der sicherstellt, dass vergleichbare und wiederholbare Messergebnisse erzielt werden. Die Zertifizierung mit der ZbBz als eingeführter und qualitätsgesicherter Prozess stellt aufgrund seiner Anforderungen an die Messgeräte zur Erfassung der Zustandsgrößen sowie aufgrund der verbundenen standardisierten Datenverarbeitung im Rahmen der Netzprojektion und Zustandsbewertung selbst einen qualitätssichernden Prozess dar. Mit der Zertifizierung der Messgeräte und des Auswerteprozesses gelten die Ergebnisse daher als objektiv, reliabel und valide und werden im Außerortsbereich sowie auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen erfolgreich eingesetzt. 2.4 Mischformen Um auch bei beengten räumlichen Verhältnissen Straßenzustandserfassungen durchführen zu können, wurden kleinere Fahrzeuge entwickelt, für die aus verschiedenen Gründen jedoch keine ZbBz-Zertifizierung vorliegt. Darüber hinaus sind im Bereich der Lasermesstechnik Laserpunktwolken in Verbindung mit Bildaufnahmen am Markt verfügbar. Bisher werden diese vorwiegend für die Digitalisierung des Straßenbestandes (Realflächen und Straßenausstattung) sowie zusammen mit Messfunktionen im Bild in Verbindung mit 360°-Panoramen als Ersatz für Vor-Ort-Termine angeboten. Eine visuell-bildbasierte Erfassung von Schäden kann in diesen Systemen ebenfalls erfolgen und wird teilweise auch als Dienstleistung angeboten. Eine Auswertung als abschnittsbezogene Zustandsgrößen ist möglich. Einzelne Anbieter sind darüber hinaus bereits in der Lage auf Basis der Lasermessdaten zusätzliche Auswertungen der Ebenheit auszuliefern. Da diesem Vorgehen einerseits eine messtechnische Vorgehensweise zugrunde liegt, andererseits aber die prozessbedingte Qualitätssicherung gegenüber dem zertifizierten ZbBz-Verfahren, wie es die oben genannte messtechnische Erfassung beschreibt, fehlt, wird diese Art der Erfassung als Mischform betrachtet. 3. Problemstellung und Lösungsansatz Wie aufgezeigt, sind die Anforderungen kommunaler Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) ähnlich den Anforderungen der ZEB für außerörtliche Straßen hinsichtlich Nachvollziehbarkeit und Wiederholbarkeit der Messungen sowie an die Reliabilität der Ergebnisdaten, um alle Fragestellungen des Managements der Straßeninfrastruktur beantworten zu können. Die o.g. Zertifizierung der BASt wird in der Praxis daher häufig auch kommunal gefordert. Die ZbBz-zertifizierten Messfahrzeuge stoßen in kommunalen Straßennetzen jedoch an ihre Einsatzgrenzen. Die Gründe hierfür liegen in den Eigenschaften kommunaler Verkehrsnetze: Im städtischen Umfeld sind Behinderungen durch anliefernde, entsorgende oder parkende Fahrzeuge möglich, die Auswirkung auf die Fahrbzw. Erfassungslinie mit sich bringen können; eine mittige Befahrung enger Straßenräume mit Dachprofil verfälscht die Aussagekraft dieser Ergebnisse. Weitere Einschränkungen entstehen z. B. aus Gründen der Entwässerung, die Neigungswechsel innerhalb kurzer Abschnitte erfordern. Das kommunale Straßennetz ist regelmäßig durch unterschiedliche Straßenhierarchien und kleinräumige Straßenstrukturen gekennzeichnet. Diese gehen einher mit teils kurzen Straßenabschnitten und unterschiedlichen Querschnittsbreiten, so dass dort Befahrung und Messung technisch nur eingeschränkt möglich sind In der Praxis wurden daher kleinere Fahrzeuge mit S&A-Systemen entwickelt, die aber ohne Zertifizierung betrieben werden. Im Ver- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 309 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen gleich zu zertifizierten Systemen ist keine vergleichbare Qualitätssicherung bekannt. Damit stellen sich für eine effiziente kommunale Straßenzustandserfassung zwei Fragen: a. Wie kann das Qualitätsniveau auch ohne ZbBz anbieterunabhängig nachgewiesen und sichergestellt werden? Aus derzeitiger Sicht kann dies ohne aufwändige Systemprüfungen, wie sie die BASt bei der Zertifizierung durchführt, nur durch Abgleich von Befahrungsergebnissen mit den Ergebnissen einer zertifizierten Referenzbefahrungen erfolgen, um die Messungen mit einem vorher bekannten Zustand vergleichen zu können. Damit wird den Betreibern die die Möglichkeit gegeben die Qualität des jeweiligen Gerätes nachzuweisen. Dies führt zur zweiten Frage der damit verbundenen Anforderungen. b. Welche Anforderungen an das Qualitätsniveau der Straßenzustandserfassung zertifizierter Fahrzeuge werden in der alltagspraktischen Anwendung im kommunalen, nachgeordneten Straßennetz für Zustandserfassung und Bewertung erfüllt? Der mögliche äußere Einfluss bei der Befahrung (vgl. Behinderungen durch enge Querschnitte, parkende Fahrzeuge etc. und damit verbundene Schwankungen der Fahrlinien) auf die Qualität der zertifizierten Erfassungsergebnisse soll geprüft werden, um das zu fordernde Qualitätsniveau für die anstehende Zustandserfassung definieren zu können. Dazu sind vergleichende Ergebnisse für verschiedene Befahrungen durch zertifizierte Messfahrzeuge erforderlich. Zur Beantwortung der Fragen wurde wie folgt vorgegangen: Zunächst wurde eine kommunale Referenzstrecke als Vergleichsgrundlage ausgewählt. Die Befahrung und Messdatenerfassung erfolgte unabhängig voneinander durch zwei unterschiedliche ZbBz-zertifizierte Messgeräte, die Datenauswertung durch die jeweiligen Betreiber. Aus dem Vergleich der so ermittelten Messdaten können Anforderungen an die Qualität von Ergebnisdaten abgeleitet werden, die kommunal den Stand der Technik repräsentieren. 4. Referenzstrecke und Datenbasis Die ausgewählte Referenzstrecke hat eine Länge von rund 20 km und umfasst sowohl unterschiedliche straßenräumliche Situationen des nachgeordneten kommunalen Straßennetzes als auch verschiedene Bauweisen. Tab. 1 zeigt die Verteilung der Bauweisen. In Abb. 1 sind Beispiele örtlicher Situationen der Referenzstrecke dargestellt. Tab. 1: Abschnitte der Referenzstrecke nach Bauweise Bauweise Anzahl der Abschnitte Anteil der Abschnitte Asphalt 939 87 % Beton 89 8 % Pflaster 51 5 % Sonstige 2 0,2 % Gesamt 1.080 100 % Insgesamt wurden innerhalb der Referenzstrecke 10 Vergleichsstrecken mit je 20 Abschnitten zu 20m untersucht. Die betrachteten Vergleichsstrecken überschneiden sich nicht. Zum Vergleich der Erfassungsergebnisse wurden die Zustandsgrößen und -merkmale durch zwei unterschiedliche ZbBz-zertifizierte Messgerätebetreiber erhoben. Dabei befährt ein Erfasser (im Weiteren Detector 1X) die Strecke einmal, der zweite Erfasser (im Weiteren Detector 3X) befährt die Strecke insgesamt dreimal. Der zeitliche Unterschied der beiden Erfassungszeitpunkte liegt bei etwa einem halben Jahr. Zum Vergleich der Ergebnisse wurde wie folgt vorgegangen: Innerhalb der Referenzstrecke wurden in Anlehnung an das Vorgehen der BASt bei der Zertifizierung der ZbBz- Fahrzeuge jeweils zwanzig Auswerteabschnitte mit kommunal üblicher Abschnittslänge von 20m herangezogen. Erfasst wurden Längs- und Querebenheiten für alle Bauweisen sowie die bauweisenspezifischen Schadensmerkmale der Oberfläche. Es wurden nur jeweils vollständig und gültig ausgewertete Abschnitte der Referenzstrecke zum Vergleich herangezogen. 5. Ergebnisse der Untersuchungen 5.1 Vergleich der Lokalisierung von Abschnitten Eine Betrachtung der Lage von Einzelschäden zeigt den Einfluss der Messwegerfassung auf die Abschnittslokalisierung. Situation A (zu Abb.2) Situation B (zu Abb.3) 310 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Situation C (zu Abb. 4) Situation D (zu Abb. 5) Abb. 1: Beispiele örtlicher Situationen der Referenzstrecke Die in Abbildung 2 dargestellten Messwegerfassungen aus den Messfahrten 1 (Trip 1) und 2 (Trip 2) wurden jeweils neu gestartet, bei Messfahrt 3 (Trip 3) wurde die Messwegerfassung von Trip 2 fortgesetzt. Abbildung 2 zeigt beispielhaft die resultierende Verschiebung der Einzelschäden innerhalb des zulässigen Toleranzbereiches: Gegenüber Trip 1 und Trip 2 ergibt sich aufgrund der 20m-Abschnitte eine Verschiebung der Abschnitte um 1m bis zu 7m gegeneinander, wie aus den Oberflächenbildern sowie aus der Stationierung (STATION) der Bildaufnahmen zu erkennen ist: Der Vergleich der Oberflächenbilder als Auswertegrundlagen der beiden Erfasser zeigt anhand der Lage charakteristischer Oberflächenmerkmale in Abbildung 3 die Reproduzierbarkeit der Lokalisierung und der Bilddarstellungen auch unter Berücksichtigung eines alltagspraktischen Geräteinsatzes von Detector 1X, der demjenigen des Trip 3 von Detector 3X mit einem Versatz von etwa 2m entspricht. Dieser Vergleich zeigt Abweichungen von 1m bis zu 7m zwischen den betrachteten 20m- Abschnitten gegeneinander (noch innerhalb des zulässigen Toleranzbereichs). Die resultierenden Abweichungen finden sich sowohl zwischen den Fahrten der beiden Systembetreiber als auch innerhalb der Fahrten von Detector 3X. 5.2 Vergleich der Daten zur Ebenheit Die Angaben zur Ebenheit werden als statistischer Vergleich anhand ausgewählter Zustandsmerkmale der Ebenheit betrachtet. Es werden die Vergleichsgrößen (ZG) allg. Unebenheit AUN [cm³], mittl. Spurinnentiefe MSPT [mm], mittl. fiktive Wassertiefe MSPH [mm] sowie Querneigung QN [%] gem. ZTV ZEB -StB 2006 (Stand 2018) betrachtet. Dabei werden die Grenzwerte bezüglich der beiden Anforderungsniveaus für Kontroll- und Wiederholungsprüfungen als auch für die Eigenüberwachung angesetzt. Die Grenzwerte für AUN werden mangels Angabe in der ZTV auch auf das mittlere und maximale Stückmaß unter der 4m-Latte PGR_AVG und PGR_Max [mm] angewendet. Die Vergleichsstrecke wird dazu in Anlehnung an die ZbBz-Zertifizierung mit 20 Abschnitten, jedoch nur mit der kommunal üblichen Länge von 20m je Abschnitt angesetzt. Sie beträgt damit jeweils 400m. Beispielhaft werden nachfolgend die Ergebnisse der Vergleichsstrecke V22 dargestellt. Abbildung 4 zeigt neben der grafischen Darstellung der 20 Zustandsgrößen der betrachteten 20m-Abschnitte auch die nach ZTV ZEB-StB anzusetzenden merkmalsabhängigen Grenzwerte der Normierung zur Bewertung der Zustandsgrößen. Verschiebungen in der Abschnittsbewertung einzelner Merkmale in Abhängigkeit von der jeweiligen Befahrung werden dadurch visualisiert. Alle in Tabelle 2 grün dargestellten Prüfwerte werden eingehalten, die nicht farbigen Felder liegen außerhalb der Grenzwerte. Der nicht zertifizierungsrelevante PGR_ MAX-Wert wird -charakteristisch für die Betrachtung der gewählten Vergleichsstrecken insgesamtnur in seltenen Fällen eingehalten. 5.3 Vergleich von Oberflächenschäden Die Angaben zu Oberflächenschäden werden als statistischer Vergleich nach ausgewählten Substanzmerkmalen der Oberfläche betrachtet. Der Vergleich der Substanzmerkmale der Oberfläche erfolgt analog der BASt-Zertifizierung auf Basis der Zustandswerte. Abbildung 5 zeigt die grafische Darstellung der 20 merkmalsabhängigen Zustandsgrößen der betrachteten 20m-Abschnitte. Die dargestellte Vergleichsstrecke V88 weist dabei hinsichtlich der Merkmale FLI und AFLI Werte auf, die mangels Auftretens von Flickstellen mit ZW = 2,0 und besser bewertet werden und daher für diese beiden Merkmale nicht den Voraussetzungen an einen Prüfabschnitt für die Zertifizierung entsprechen. Die detektierten Risse (ZW_RISS) bilden sich dagegen über alle 4 Befahrungsfahrten ab. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 311 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Abbildung 2: Vergleich der Abschnittslokalisierung anhand der Lage von Einzelschäden (3 Fahrten von Detector 3X) Abbildung 2: Vergleich der Abschnittslokalisierung anhand der Lage von Einzelschäden 312 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Abbildung 4: Grafische Darstellung der Ebenheitsmerkmale aller 4 Befahrungsfahrten von Vergleichsstrecke V22 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 313 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Tab. 2: Vergleich der Grenzwerte der ZbBz-Zertifizierung und Eigenüberwachung sowie der Grenzwerte der Kontrollprüfungen mit Vergleichsstrecke V22 Grenzwerte der Vergleichsstrecke V22 ZbBz-Zertifizierung und Eigenüberwachung Kontrollprüfung Trip 1 (Operator 3X) zu Trip 2020 (Operator 1X) Trip 2 (Operator 3X) zu Trip 2020 (Operator 1X) Trip 3 (Operator 3X) zu Trip 2020 (Operator 1X) ZG (Zustandsgröße) Δ ZG s ZG Δ ZG s ZG Δ ZG s ZG Δ ZG s ZG Δ ZG s ZG Längsebenheit / Mittelwert Planografensimulation: PGR_AVG wenn AUN ≥ 3,0 cm³ 0,4 0,8 0,6 1,0 -0,06 0,22 -0,12 0,33 -0,08 0,17 Längsebenheit / Maximalwert Planografensimulation: PGR_Max, wenn AUN ≥ 3,0 cm³ 1,66 3,97 0,34 1,88 0,86 2,84 Querebenheit / Mittelwert Spurrinnentiefe rechts: MSPTR [mm] -0,71 0,7 -0,61 0,6 -0,52 0,61 Querebenheit/ Mittelwert Spurrinnentiefe links MSPTL [mm] 0,7 1,5 1,0 2,5 -0,1 0,53 0,32 1,03 -0,18 0,4 Querebenheit/ Fiktive Wassertiefe rechts: MSPHR [mm] -0,26 0,56 -0,14 0,4 -0,18 0,48 Querebenheit/ Fiktive Wassertiefe rechts: MSPHL [mm] -0,26 0,65 -0,11 0,47 -0,23 0,63 Querneigung QN [%] 0,3 0,5 0,3 0,8 0,53 0,15 -0,2 0,14 0,16 0,15 314 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Abbildung 4: Darstellung ausgewählter Substanzmerkmale der Oberfläche aller 4 Befahrungsfahrten von Vergleichsstrecke V88 Alle in der zugehörigen Tabelle grün dargestellten Prüfwerte werden eingehalten, die nicht farbigen Felder liegen außerhalb der Grenzwerte. Die Abweichungen stehen neben Verschiebungen der Lokalisierung auch in Verbindung mit der Exaktheit der Auswertung der Oberflächenmerkmale. 6. Schlussfolgerungen 6.1 Kommunale ZEB im nachgeordneten Straßennetz Die vorgenommenen Untersuchungen zeigen erwartungsgemäß, dass auch die Ergebnisse der ZbBz-zertifizierten S&A-Systeme Schwankungen unterliegen, die mit steigender Abweichung von den Bedingungen außerorts gelegener Messstrecken größer werden. Abweichungen der Ergebnisse einzelner Erfassungs- und Auswertungsvorgänge zeigen erwartungsgemäß den Einfluss von Fahrlinien, die im kommunalen Bereich durch lokal-punktuelle Straßeneinbauten wie Kanalschächte und Einläufe verursacht werde und in Verbindung mit den 20m-Abschnitten stehen. Als vergleichsweise robust erweist sich die zugrunde gelegte Abschnittslänge: Das vorliegende Verfahren orientiert sich am Zertifizierungsverfahren der BASt, legt aber im Vergleich zum BASt-Verfahren bei gleicher Anzahl der Abschnitte strengere Maßstäbe an: Durch die Verkürzung der Abschnittslängen von 100m bei der Zertifizierung auf die kommunal üblichen 20m-Abschnittslängen steigt der relative Anteil einzelner Schäden innerhalb eines Auswerteabschnitts. Damit können zulässige räumliche Verschiebungen zwischen zwei Abschnitten Einfluss auf die Abschnittsauswertung nehmen. Insgesamt bestätigen die Ergebnisse die Anwendung der messtechnischen Straßenzustandserfassung mittels ZbBz-zertifizierter Fahrzeuge auch im kommunalen Bereich nachgeordneter Straßen für Asphalt- und Betonbauweisen, so dass diese Ergebnisse hier als Benchmark dienen können. 6.2 Bedeutung für die kommunale Praxis Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass auch nichtzertifizierte S&A-Systeme zur Straßenzustandserfassung und -bewertung zugelassen werden können, wenn sie unter Einhaltung der Schwankungsbreite die Ergebnisse einer zertifizierten Referenzbefahrung reproduzieren. Alle Anforderungen an Dokumentation und Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse, wie sie von den zertifizierten S&A-Systemen erfüllt werden, bleiben dabei unabhängig von deren Form bestehen, ebenso die Anforderungen an die Datenstrukturierung der Ergebnisse. Hierbei wird jedoch allein auf die Ergebnisqualität im Sinne der Genauigkeit der ermittelten Zustandsgrößen abgezielt, unabhängig von der Art des Auswertungs- und Erfassungsverfahrens. Dieses Vorgehen erfordert -wie beschriebeneine Referenzbefahrung, die als Vorleistung benötigt wird. Es eröffnet damit jedoch nicht nur die Möglichkeit der Straßenzustandserfassung durch nicht-zertifizierte S&A-Systeme. Vielmehr ist das „kommunale Referenzstreckensystem“ übertragbar auf weitere kommunale Anlagen: Bisher bereits auf dem Markt angebotene Dienstleistungen zur Zustandserfassung von Fuß- und Radverkehrsanlagen können mit dem Verfahren qualitätsgesichert werden. Damit bieten sich weitere Chancen zur Optimierung des Einsatzes begrenzter kommunaler Ressourcen durch die frühzeitige Ermittlung des zukünftigen Erhaltungs- und Finanzbedarfs. 7. Zusammenfassung und Ausblick Der kommunale Einsatz zertifizierter S&A-Systeme zur Straßenzustandserfassung des Hauptverkehrsnetzes ist Stand der Technik. Im nachgeordneten kommunalen Straßennetz werden u. a. aufgrund der räumlichen Bedingungen auch kleinere, nicht-zertifizierte S&A-Systeme eingesetzt. Um deren Qualitätslevel prüfen zu können, wird eine Referenzbefahrung vorgeschlagen. Die vorliegenden Ausführungen zeigen das Vorgehen dazu auf. Besondere Bedeutung kommt dem Verfahren durch die Übertragbarkeit der Qualitätssicherung auf Verkehrsanlagen, die mit den zertifizierten S&A-Systemen nicht befahren werden können, zu. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 315 Qualitätssicherung von Kampagnen der Zustandserfassung und -bewertung kommunaler Verkehrsflächen Literatur [1] FGSV, 2001-2019: Arbeitspapiere zur systematischen Straßenerhaltung, AP 9, Sammelmappe; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln, 2001-19. [2] FGSV, 2006/ 2018: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB- StB 06). Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln, 2006; Stand 2018 [3] BASt, 2019: Prozessbeschreibung Zeitbefristete Betriebszulassung (ZbBz) und Systemprüfung (Sp) von schnellfahrenden Messsystemen zur Erfassung der Substanzmerkmale (Oberfläche) (abrufbar als Download über die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) >>https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Qualitaetsbewertung/ Pruefungen/ pdf/ Prozessbeschreibung-Substanz.pdf? __blob=publicationFile&v=2<<, zuletzt abgerufen am 21.04.2022) [4] BASt, 2020a: Prozessbeschreibung Zeitbefristete Betriebszulassung (ZbBz) und Systemprüfung (Sp) von schnellfahrenden Messsystemen zur Erfassung der Längsebenheit (abrufbar als Download über die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) >>https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Qualitaetsbewertung/ Pruefungen/ pdf/ Prozessbeschreibung-l%C3%A4ngs.pdf? __blob=publicationFile&v=3<<, zuletzt abgerufen am 21.04.2022) [5] BASt, 2020b: Prozessbeschreibung Zeitbefristete Betriebszulassung (ZbBz) und Systemprüfung (Sp) von schnellfahrenden Messsystemen zur Erfassung der Querebenheit (abrufbar als Download über die deutsche Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) >>https: / / www.bast.de/ DE/ Strassenbau/ Qualitaetsbewertung/ Pruefungen/ pdf/ Prozessbeschreibungquer.pdf? __blob=publicationFile&v=2<<, zuletzt abgerufen am 21.04.2022) [6] FGSV, 2008-18: Arbeitspapiere zur systematischen Straßenerhaltung, AP 9, Reihe K „Kommunale Straßen; Sammelmappe; Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen, FGSV-Verlag, Köln, 2008-18 [7] Oeser et. al., 2014: Oeser, M.; D. Kemper; D. Wang; D. Vallée und M. Schneider: Entwicklung von Prognosefunktionen für den Straßenzustand kommunaler Straßen. Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, Heft 1107. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Abteilung Straßenbau, Bonn, 2014. [8] FHWA, 2012: Executive Brief: Advancing a Transportation Asset management Approach, 2012 [9] PIARC, 2017: Asset Management Manual: A Guide for Practitioners. verfügbar unter >>URL https: / / road-asset.piarc.org/ en<< -zuletzt abgerufen am 19.04.2019 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 317 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Dipl.-Geogr. Maximilian Sesselmann Lehmann + Partner GmbH, Dresden Dipl.-Ing. Steffen Scheller Lehmann + Partner GmbH, Dresden Dipl.-Ing. Chris Herrmann Lehmann + Partner GmbH, Erfurt Prof. Dr.-Ing. Andreas Großmann HTWG Fakultät Bauingenieurwesen, Konstanz Zusammenfassung Die Ebenheit ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal beim Bau von Betonfahrbahnen, da sie den Fahrkomfort, die Verkehrssicherheit und die Dauerhaftigkeit einer Fahrbahndecke beeinflusst. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verkehrsbelastung gewinnt die zielsichere Erreichung der geforderten Ebenheit im Bauprozess an Bedeutung. Durch den Einsatz von Mobile Laserscanning Systemen kann eine hochgenaue 3D-Straßenoberfläche generiert werden, die erweiterte Analyse- und Bewertungsmöglichkeiten ermöglicht, um eine zielgerichtete Qualitätssicherung im Betonstraßenbau vornehmen zu können. Der Beitrag beschreibt verschiedene Einsatzmöglichkeiten von mobil erfassten Laserscans. Dazu zählen u. a. die berührungslose Erfassung der Längsebenheit von gerichteten Oberflächen im Rahmen der Bauabnahme, 3D-Deformationsanalysen und die Kontrolle des lagegerechten Einbaus von Betonfertigteilen. 1. Einführung In der Bundesrepublik Deutschland nimmt nicht nur auf den hochbelasteten Straßen der Schwerverkehrsanteil weiterhin zu, sondern auch auf dem nachgeordneten Straßennetz, insbesondere den kommunalen Straßen. Diese stetige Verkehrszunahme führt zu einer erhöhten Beanspruchung des Oberbaus. Resultierende Schädigungen, wie beispielsweise Verformungen oder Versatze, führen zu einer Reduzierung der Befahrbarkeit und Sicherheit für die Verkehrsteilnehmer. In der Regel werden Struktur- und Substanzschäden von Fahrbahnoberflächen mit schnellfahrenden Messsystemen erfasst. Zu den Nachteilen dieser Verfahren zählt, dass die Längsebenheit gemäß geltender Regelwerke bislang nur in einer Messlinie erfasst und bewertet wird. Für die wiederkehrende Zustandserfassung im Sinne einer Erhaltungsplanung ist dies mehr als hinreichend. Demgegenüber haben sich für eine Beurteilung von Verkehrsflächen im Sinne einer Qualitätssicherung in der jüngeren Vergangenheit Mobile Laserscanning Systeme bewährt. Durch deren Einsatz kann eine hochgenaue 3D-Straßenoberfläche generiert werden, die verschiedenste Analyse- und Bewertungsmöglichkeiten ermöglicht, um künftig eine zielgerichtete Qualitätssicherung vornehmen zu können. Der Beitrag beschreibt verschiedene Einsatzmöglichkeiten von mobil erfassten Laserscans zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau. Dazu zählen die berührungslose Erfassung der Längsebenheit von gerichteten Oberflächen im Rahmen der Bauabnahme, 3D-Deformationsanalysen oder die Kontrolle des lagegerechten Einbaus von Betonfertigteilen. Die hier vorgestellten Erkenntnisse basieren größtenteils auf Untersuchungen, die im Rahmen von Forschungsprojekten unter der Leitung der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) durchgeführt wurden: [1], [2], [3], [4], [5]. Hervorzuheben ist dabei das Projekt „Betonfahrbahn 4.0“ [6], das von 2017 bis 2021 vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr gefördert wurde. 2. Technologie 2.1 Konventionelle Methoden zur Erfassung und Bewertung der Längsebenheit Ein zentraler Punkt im Herstellungsprozess einer Betonfahrbahn ist die zielsichere Erreichung der geforderten Ebenheit. Diese wird fertigerseitig nach der Verdichtung des Betons durch das Zusammenspiel von Längs- und Querglätter realisiert. Die Einhaltung der geforderten Längs- und Querebenheit wird im Rahmen der Qualitätssicherung durch die ausführende Firma periodisch überprüft. Zur Erfassung und Bewertung der Ebenheit im Zuge der Bauabnahme können sowohl berührende Verfahren als auch berührungslose Verfahren zum Einsatz kommen. Die maßgeblichen Regelwerke sind [7] und [8]. Ein im Straßenbau weit verbreitetes, berührendes System zur Erfassung und Bewertung der Längsebenheit ist der Planograf [4] siehe Abb. 1. Ein Planograf ist eine 4 m lange Rahmenkonstruktion, die auf 10 in Längsrichtung angeordneten Laufrädern steht. In der Mitte der Laufradreihe befindet sich ein Messrad, das sich auf und ab bewegen kann. In der 318 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Nullstellung liegt die Unterkante des Messrades in der von den Unterkanten der Laufräder gebildeten Bezugslinie. Unebenheiten werden als vertikale Bewegungen des Messrades beim Überrollen einer Fahrbahnoberfläche erkannt. Die Messungen werden typischerweise von einer elektronischen Messeinheit zusammen mit den Daten eines Weggebers mit einer Rasterweite von 0,1 m aufgezeichnet. Innerhalb dieses Intervalls ist jeweils nur der größte Messwert maßgeblich. Die wesentlichen Vorteile eines Planografen sind seine Robustheit im Baustelleneinsatz und die einfache Auswertung und Interpretierbarkeit der Daten. Ein großer Nachteil ist, dass bauartbedingt nur Wellenlängenbereiche bis zu 4 m erfasst und ausgewertet werden können. Während singuläre Anomalien durch den geometrischen Analyseansatz eines Planografen sehr genau erfasst werden können, ist dies für periodische Unebenheiten nicht möglich. Gerade diese Anomalien jedoch beeinflussen den späteren Fahrkomfort und die Beanspruchung der Fahrbahn durch dynamische Radlasten. Komplexere Ebenheitsindikatoren, wie der International Roughness Index (IRI) oder das Bewertete Längsprofil (WLP) können auf der Grundlage von Planografendaten nicht berechnet werden. Darüber hinaus bestimmt die Fahrlinie während der Messung, welches Längsprofil analysiert wird. Es ist daher möglich, dass potenziell problematische Bereiche gar nicht erfasst und somit nicht bewertet werden. Abb. 1: Prinzip eines Planografen, wie er üblicherweise bei Abnahmeprüfungen verwendet wird [9] In Deutschland basieren berührungslose Verfahren auf der High-Speed Road Monitoring Methode (HRM), bei der vier lineare Abstandssensoren zur Erfassung lang- und kurzwelliger Straßenanregungen eingesetzt werden [10]. Da die Triangulations-Lasersensoren an einem starren Balken angebracht sind, erfassen sie nacheinander denselben Punkt auf der Straße (Prinzip der Mehrfachabtastung). Die vier Laser arbeiten typischerweise mit einer Frequenz von 20.000-Hz und einer Entfernungsgenauigkeit von 0,1 mm. Die Punktdichte in Längsrichtung wird durch den Abstand zwischen dem dritten und vierten Laser bestimmt, der gemäß Regelwerk 0,1 m beträgt [7]. Von der BASt zertifizierte HRM-Systeme sind in der Lage, Wellenlängen zwischen 0,2- m und 50- m zuverlässig zu erfassen. Typischerweise werden die Triangulationslaser so an einem Messfahrzeug angebracht, dass sie in der rechten Rollspur messen. Eine detaillierte Beschreibung der HRM-Methode findet sich u. a. bei [2]. Anders als Planografen können HRM-Systeme neben räumlich begrenzten Baustellen auch ganze Straßennetze im fließenden Verkehr (bis zu 80 km/ h) erfassen. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Daten sowohl die Berechnung traditioneller geometrischer Ebenheitsindikatoren (z. B. Lattensimulation, Planografensimulation) als auch Response-Type Indikatoren erlauben, die durch geeignete Filter auch die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Straße und Fahrzeug/ Passagier in den Fokus rücken (z. B. International Roughness Index, Bewertetes Längsprofil). Einer der Nachteile der HRM-Methode besteht darin, dass Messungen nur entlang der Einbauposition des HRM-Systems vorgenommen werden können (i. d. R. zwischen dem rechten Vorder- und Hinterrad). Aufgrund der nötigen Präzisionssensorik ist es nicht wirtschaftlich, mehrere HRM-Systeme an einem Fahrzeug zu installieren. Hinzu kommt, dass das dem HRM-Verfahren zugrundeliegende Messprinzip (Mehrfachabtastung) in bestimmten Situationen außer Kraft gesetzt werden kann. Dies ist der Fall, wenn die einzelnen Laser an unterschiedlichen Punkten der Oberfläche oder entlang unterschiedlicher Messlinien messen. Solche Situationen können z. B. bei Brückenübergängen, sehr engen Kurvenradien oder bei einer in Längsrichtung texturierten Oberfläche (Grinding/ Grooving) auftreten. 2.2 Mobiles Laserscanning System S.T.I.E.R Das kinematische Multisensorsystem S.T.I.E.R, ist ein von der Firma Lehmann + Partner GmbH entwickeltes und betriebenes Messsystem zur Erfassung der Längs- und Querebenheit, der Textur, der dreidimensionalen Oberfläche sowie des Oberflächenbilds von Straßen und Verkehrsflächen. Die Kernkomponenten von S.T.I.E.R sind ein inertiales Positionierungssystem, Laserdistanzsensoren zur Messung eines Höhenlängsprofils in der rechten Rollspur (HRM), ein Oberflächen-LiDAR-System sowie verschiedene Kamerasysteme zur Erfassung der Fahrzeugumgebung und der Fahrbahnoberfläche (siehe Abb. 2). Diese Sensorausstattung qualifiziert das BASt-zertifizierte Messsystem S.T.I.E.R nicht nur für die Datenerfassung im Rahmen der netzweiten Zustandserfassung und -bewertung von Straßen, sondern auch für den Einsatz im Rahmen bauvertraglicher Abnahme- und Gewährleistungsverfahren [11]. Die für den Beitrag relevanten Datenquellen sind zum einen das inertiale Positionierungssystem und zum anderen der Oberflächenlaserscanner. Zur Verortung aller Sensordaten ist S.T.I.E.R mit einem Positionierungssystem aus globalem Navigationssatellitensystem (GNSS), inertialer Messeinheit (IMU) und Wegstreckenmesser (DMI) ausgerüstet. Durch die Kombination dieser Bestandteile ist sowohl die Bestimmung der absoluten Position als auch der relativen Positionsänderung der Messplattform möglich. Im Zuge eines Post-Processing Schrittes integriert ein Kalman-Filter GNSS-, IMU- und DMI-Daten und erzeugt so eine hochgenaue Positionierung. Optional können hierbei Referenzstationsdaten eingebunden werden, um die Positionierungslösung weiter zu optimieren. Im Ergebnis liegt die Fahrzeugtrajektorie als Punktfolge mit allen relevanten Informationen, wie beispielsweise Zeitstempel, Beschleunigungen, Raumwinkel und Koordinaten vor. Hinsichtlich der Lagegenauigkeit ist das eingesetzte Positionierungssystem bei GNSS-Abdeckung mit 2 cm und bei einminütigem GNSS-Ausfall mit 12 cm spezifiziert [12]. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 319 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Abb. 2: Mobile Laserscanning System S.T.I.E.R 3 der Firma Lehmann + Partner GmbH. Auf dem Dachträger sind die Antennen und IMU des Positionierungssystems sowie diverse Umgebungskameras angebracht. Zwischen dem rechten Vorder- und Hinterrad befinden sich vier nach dem HRM-Prinzip angeordnete Einzellaser zur Erfassung eines Höhenlängsprofils in der rechten Rollspur. Am Heck sind ein Oberflächenlaserscanner sowie eine hochauflösende Oberflächenzeilenkamera samt zugehöriger Beleuchtungseinheit montiert. Bei dem am Fahrzeugheck montierten und auf die Fahrbahnoberfläche ausgerichteten Laserscanner handelt es sich um einen Pavement Profile Scanner Plus (PPS), der vom Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik hergestellt wird [13]. Die Entfernungsmessungen werden mit Hilfe des Phasenvergleichsverfahrens und einem Infrarotlaser (1.550 nm) realisiert, wodurch eine hohe Präzision der Entfernungsmessung bei hohen Messgeschwindigkeiten und gleichzeitiger Augensicherheit gewährleistet ist. Die Messgenauigkeit wird herstellerseitig, gemittelt über ein 10-cm-*-10 cm großes Oberflächenelement, im Submillimeterbereich angegeben [14]. Wie in Abb. 2 links schematisch dargestellt, beträgt der Öffnungswinkel des Scanners 70 °, was bei einer Montagehöhe des Geräts von 3 m über der Fahrbahnoberfläche die Erfassung eines ca. 4,2 m breiten Profils ermöglicht. Der Laserscanner erfasst primär die Polarkoordinaten Entfernung und Scanwinkel. Zusätzlich werden Zeitstempel und die Reflexionsintensität pro Punktmessung aufgezeichnet. Der PPS misst 1 Million Punkte pro Sekunde mit ca. 920 Punkten pro gescanntem Profil. Daraus ergibt sich der Punktabstand auf einem Profil von ca. 4,5 mm. Bei einer Befahrungsgeschwindigkeit von 80 km/ h werden alle 28 mm derartige Scanprofile erzeugt. Über die zeitliche Synchronisierung der Messungen des Positionierungssystems und des Laserscanners entsteht das grundlegende Datenprodukt für die weiterführenden Analysen: Eine 3D-Punktwolke, die neben der geometrischen auch eine radiometrische Information in Form der Reflexionsintensität pro Lasermesspunkt enthält (siehe Abb. 4 links). Eine 4-x-5-m große Betonplatte wird bei 80 km/ h mit ungefähr 160.000 Messpunkten flächenhaft abgetastet. Eine höhere Messpunktdichte in Fahrtrichtung kann durch Reduktion der Befahrungsgeschwindigkeit erreicht werden. 3. Methoden 3.1 Modellierung von 3D-Straßenoberflächen Das Rohdatenprodukt, das sich aus der zeitlichen Synchronisation der Polarkoordinatenmessungen des Laserscanners mit den Positions- und Orientierungsdaten des Positionierungssystems ergibt, ist eine unorganisierte 3D-Punktwolke. Da der PPS-Laserscanner ca. 1 Million Punkte pro Sekunde erfasst, entstehen in Abhängigkeit von der Orientierung und der Fahrgeschwindigkeit des Messfahrzeugs sehr dichte 3D-Daten mit mehreren zehntausend Messpunkten pro Quadratmeter. Diese Datendichte ist für die Zielanwendung (Ebenheitsanalyse) oftmals gar nicht erforderlich. Daher ist es sinnvoll, aus den dichten Oberflächenscans strukturierte Oberflächenmodelle zu berechnen. Für Straßenanwendungen ist die traditionelle Oberflächenmodellierung (Dreiecksvermaschung, Rasterung) nicht immer optimal. Hier bietet ein Ansatz aus dem Automobilbereich eine adäquate Möglichkeit zur Straßenoberflächenmodellierung. Das Datenformat Curved Regular Grid (CRG) wurde von der Daimler AG eingeführt und intern für Simulationsanwendungen wie Reifen, Schwingungs- und Fahrsimulation verwendet [15]. 320 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Abb. 3: Schematische Darstellung des Auf baus eines achsenbezogenen Gittermodells entlang einer Fahrzeugtrajektorie oder Straßenachse (U). Die rechte Abbildung zeigt in der Draufsicht die Projektion der Höhenwerte aus dem Laserscan auf die Knotenpunkte des CRG Oberflächenmodells. Die Erstellung eines CRG umfasst folgende Schritte: Zunächst wird eine Achse (Referenzlinie U) definiert, die entweder mit Entwurfselementen wie Geraden, Bögen und Klothoiden konstruiert wird oder auf der Fahrlinie eines Messfahrzeugs (Trajektorie) basiert. Entlang dieser Achse werden dann in regelmäßigen Abständen orthogonale Profile angeordnet (Querschnitte V). Abb. 3 zeigt schematisch das CRG Format, das aus einer Referenzlinie U und Querschnitten V besteht. Basiert die CRG Achse auf der Trajektorie des Messfahrzeuges, befindet sich das so erzeugte CRG Grundgerüst im gleichen Koordinatensystem wie die 3D-Messpunkte des Laserscans. Daher können beide Datensätze direkt räumlich miteinander verschnitten werden. Dies ist im rechten Teil von Abb. 3 dargestellt. Jedem CRG Knotenpunkt wird nun der Höhenwert zugewiesen, der aus den Laserscanpunkten (blau) berechnet wird, die innerhalb eines bestimmten Radius r liegen. Das Ergebnis dieser Berechnung ist ein regelmäßiges Oberflächenmodell, das an der Geometrie der Straße ausgerichtet ist. Strukturell gliedert sich eine CRG Datei in einen Header-Bereich, in dem die grundlegenden Strukturparameter definiert sind (z. B. Punktabstand auf dem Querschnitt V, Breite des Querschnitts V, Anfang/ Endpunkte der Referenzlinie U) und einen Datenteil, in dem die Höheninformationen der CRG- Knotenpunkte blockweise gespeichert sind. Für weitere Hintergrundinformationen zu CRG-Daten in Mobile Mapping Anwendungen siehe [16] und [17]. Abb. 4: Laserscan einer Betonfahrbahn (links) und überlagertes CRG Oberflächenmodell (rechts). Abb. 4 zeigt auf der linken Seite eine dichte, unorganisierte 3D-Punktwolke einer mit dem S.T.I.E.R System gescannten Betonstraßenoberfläche. Auf der rechten Seite sind die regelmäßig verteilten CRG Punkte (0,1 m x 0,1 m Raster) überlagert. Durch die klare Strukturierung der Daten innerhalb des CRG Formats und den Achsenbezug jedes einzelnen CRG Punktes ist ein schneller Zugriff auf die Punktdaten möglich, der weitere räumliche Auswertungen hinsichtlich Ebenheit und lokaler Oberflächenvariationen ermöglicht: Längs- und Querprofile können schnell und einfach an jeder Stelle der Straßenoberfläche extrahiert und ausgewertet werden siehe Abb. 5. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 321 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Abb. 5: Prinzip der Extraktion beliebig vieler paralleler Längsprofile aus dem an der Straßengeometrie orientierten CRG Oberflächenmodell im Rahmen der Längsebenheitsbewertung. 3.2 Ebenheitsindikatoren Ergebnis einer Längsebenheitsmessung mit dem Planografen ist der Planografenschrieb, der die Auf- und Abbewegung des Messrades auf einer mm-Skala entlang des Messweges darstellt. In Anlehnung an dieses berührende Analyseverfahren hat sich die Lattensimulation auf Basis von berührungslosen Messungen als zentraler Indikator für die Längsebenheitsbewertung in den deutschen Richtlinien, insbesondere im Bereich der Bauabnahme, etabliert [7]. Bei der Lattensimulation wird eine virtuelle Latte von typischerweise 4 m Länge schrittweise über ein digitales Höhenlängsprofil mit 0,1 m Punktabstand bewegt siehe Abb. 6. An jeder Position der virtuellen Latte wird der Abstand unter der Lattenmitte zum entsprechenden Profilpunkt berechnet. Im Ergebnis liegt für die Messtrecke ein Signal der Stichmaße unter der 4-m Latte (PGR) im 0,1 m Intervall vor. Als Indikator für die Bewertung der Längsebenheit werden basierend darauf ein mittlerer PGR-Wert (PGR AVG) und ein maximaler PGR-Wert (PGR MAX) für einen Auswerteabschnitt definierter Länge berechnet. Typische Abschnittslängen sind 10 m, 20 m oder 100 m. Da die PGRWerte mit den von Planografen ermittelten Werten korrelieren, wird der PGR MAX in Deutschland vor allem bei Bauabnahmen und Funktionsinspektionen zur Längsebenheitsbewertung herangezogen. Es ist jedoch anzumerken, dass das Ergebnis der Lattensimulation kein direktes Pendant zur Planografenmessung ist, da die Bezugslinie des Planografen im Zuge der Messung geringfügig in das Längsprofil eindringen kann (aufgrund von Anordnung und Durchmesser der Laufräder) [4]. Die simulierte 4-m Latte liegt dagegen immer auf dem Profilpunkten auf. Die Lattensimulation liefert daher tendenziell höhere Stichmaßwerte als ein Planograf. Wie der Planograf kann auch die Lattensimulation nur punktuelle Unebenheiten bis zu einer Wellenlänge von 4 m adäquat bewerten. Dabei wirken sich gerade periodische Unebenheiten entscheidend auf den Fahrkomfort und die Straßenschädigung infolge verstärkter Belastung aus. Abb. 6: Prinzip der Lattensimulation (nach [11]) Nicht zuletzt deshalb wurde eine komplexere Bewertungsmethode entwickelt: das Bewertete Längsprofil bzw. Weighted Longitudinal Profile (WLP). Das WLP hat sich bereits für die netzweite Zustandserfassung in Österreich etabliert [18] und ist in der europäischen Norm EN 130365 beschrieben. Seine Kennwerte ΔWLP und σWLP adressieren die Aspekte Fahrkomfort, Sicherheit und Oberflächenhaltbarkeit besser als bestehende Ansätze, die sich nur auf die Bewertung der geometrischen Eigenschaften der Fahrbahnoberfläche konzentrieren [19]. Um die im Höhenlängsprofil einer Straßenoberfläche enthaltenen kurz- und langwelligen Anregungen über den gleichen Bewertungsmaßstab (Millimeter) beurteilen zu können, werden im Zuge eines Transformationsprozesses kurze Wellen mit vergleichsweise geringen Am- 322 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau plituden über eine Gewichtungsfunktion betont. Da im Längsprofil einer Straße enthaltene Periodizitäten zu Resonanzerscheinungen am Fahrzeug und in der Folge zu merklichen Komforteinbußen führen können, wird zusätzlich eine spezielle Oktavbandfilterung angewendet, um insbesondere kurze, in regelmäßigen Abständen auftretende Unebenheiten einer angemessenen Bewertung zuzuführen. Abb. 7 visualisiert das Berechnungsschema des WLP. Details zur Berechnung sind im Regelwerk beschrieben [7]. Der dem WLP zugrundeliegende Auswerteansatz verbindet die Vorteile von konventionellen geometrischen Bewertungsmethoden, wie der Lattensimulation (PGR), und Response-Type-Methoden, wie dem International Roughness Index (IRI), der auch Aspekte der Fahrdynamik berücksichtigt. Damit gewährleistet das WLP eine objektive Bewertung von lokalen Einzelereignissen (ΔWLP) sowie von regellosen und periodisch auftretenden Unebenheiten (σWLP). Die Kennwerte ΔWLP und σWLP stehen nicht nur im Zusammenhang mit dynamischen Radlasten und damit der potentiellen Straßenschädigung, sondern geben auch den empfundenen Fahrkomfort gut wieder, worauf nicht zuletzt die starke Korrelation von σWLP mit IRI Werten verweist [1]. Aus diesen Gründen hat die BASt in der vergangenen Dekade verschiedene Studien durchgeführt, um die Einführung des WLP als zukünftigen Standardindikator für die Zustandsbewertung von Autobahnen und für Bauvertragszwecke vorzubereiten [1], [4]. Eine Berechnung des WLP auf Basis von Planografendaten ist nicht möglich, da als Berechnungsgrundlage ein Höhenlängsprofil benötigt wird. Abb. 7: Schematische Darstellung der einzelnen Schritte zur Berechnung der WLP Kennwerte (nach [4]): Transformation in den Frequenzraum und Multiplikation mit einer Bewertungsfunktion (oben links), Zerlegung des bewerteten Spektrums in aufeinanderfolgende Oktavbänder und Rücktransformation in den Ortsraum (oben rechts), Zusammensetzung der Teilprofile zum WLP (unten links) und Ableitung der Indikatoren (unten rechts). Das im Regelwerk [7] erwähnte zehnte Oktavband mit dem Wellenlängenbereich von 102,4 - 204,8 m ist hier nicht mit aufgeführt. 3.3 3D-Oberflächenanalyse Die vorstehend vorgestellten konventionellen Erfassungsansätze und Längsebenheitsindikatoren haben gemeinsam, dass sie lediglich ein einzelnes Höhenlängsprofil einer Straßenoberfläche erfassen und bewerten. Liegt eine Ebenheitsanomalie außerhalb der Messlinie, kann sie nicht detektiert und somit auch nicht adäquat bewertet werden. Mobile Laserscanning Systeme wie S.T.I.E.R hingegen scannen die Straßenoberfläche über die gesamte Fahrstreifenbreite mit einer extrem hohen Messpunktdichte. Unebenheiten können daher auf der Grundlage von Laserscans nicht nur im Profil, sondern als tatsächliches dreidimensionales Phänomen analysiert werden. Dazu werden spezifische Indikatoren oder Merkmale benötigt, die die räumliche Anordnung von 3DPunkten in ihrer lokalen Umgebung beschreiben. Sogenannte 3D- Punktmerkmale bzw. 3D-Deskriptoren ermöglichen es, lokale Geometrien in Punktwolken zu beschreiben und damit sowohl signifikante Punkte zu identifizieren als auch 3D-Punktwolken in Bezug auf lokale Oberflächeneigenschaften zu klassifizieren [20]. Es existieren eine Vielzahl von Algorithmen zur Berechnung von lokalen und globalen 3D-Deskriptoren [21]. Die lokale Punktnachbarschaft wird in der Regel entweder durch eine Anzahl nächster Nachbarn oder durch eine Kugel mit einem bestimmten Radius um jeden 3D-Punkt definiert. Während Radien im Zentimeter- und Dezimeterbereich für die dreidimensionale Oberflächenanalyse von Straßen mit lokalen 3D-Deskriptoren sinnvoll sind, können auch größere, radius-unabhängige lokale Zusammenhänge berücksichtigt werden. Eine lokale Punktnachbarschaft 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 323 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau kann auch durch semantische Objektgrenzen definiert werden. Beispielsweise bildeten bei [22] die Messpunkte eine Punktnachbarschaft, die eine Betonplatte abbilden. In diese Punktnachbarschaft wurde eine lokale Oberfläche eingepasst. Die Abweichung der vorhandenen Plattenoberfläche von der idealen Plattengeometrie wurde dann durch Berechnung des 3D-Abstands jedes Scanpunkts zur ausgleichenden Ebene quantifiziert. Auf diese Weise wird jeder Scan-Punkt mit einem Wert attribuiert, der beschreibt, wie er relativ zur idealen Geometrie einer Betonplatte lokalisiert ist. Zur Veranschaulichung zeigt der linke Teil von Abb. 8 das Berechnungsprinzip der 3D-Punkt-zu-Ebene-Abweichung. Dort ist ein Profilschnitt durch eine gescannte Oberfläche S dargestellt, in die eine ausgleichende Ebene E eingepasst wird. Jedem Oberflächenscanpunkt wird der Abstand zu dieser Ebene zugeordnet. Auf der rechten Seite ist eine schematische 3D-Darstellung einer konkav verformten Betonplatte zu sehen, deren Oberflächenpunkte entsprechend der 3D- Ebenenabweichung eingefärbt sind (blau/ violett: Abweichung unterhalb der Ebene; grün: keine Abweichung von der Ebene; rot/ gelb: Abweichung oberhalb der Ebene). Abb. 8: Berechnungsprinzip der 3D-Punkt-zu-Ebene-Abweichung, die die vertikale Verformung einer Oberfläche quantifiziert [22] Diese Art der 3D-Oberflächenanalyse ermöglicht sowohl die Beschreibung von baubedingten oder thermisch induzierten Plattenverformungen als auch die detaillierte Untersuchung von kritischen Stellen im Bauprozess. Letzteres bezieht sich vor allem auf die Bereiche, in denen der Fertigungsprozess unterbrochen werden musste (z. B. aufgrund von Witterungseinflüssen). Nach dem erneuten Anfahren eines Gleitschalungsfertigers kann es durchaus einige Zeit dauern, bis alle Subsysteme wieder optimal funktionieren [9]. Es ist daher nicht ungewöhnlich, dass an solchen Ansatzstellen Unebenheiten auftreten. Wie in Abb. 9 zu sehen ist, ist der Übergang entlang der Querfuge durch eine lokal unterschiedlich stark ausgeprägte Aufwölbung gekennzeichnet. Der Grund dafür ist ein Herunterfahren des Fertigers am Ende eines Bau- Tages bzw. das Wiederaufnehmen des Fertigungsprozesses am Folgetag. Die vertikale Verformung wurde hier durch Einpassen einer Ebene in die angrenzenden Platten berechnet. Abb. 9: 3D-Analyse eines Bereichs, in dem der Gleitschalungsfertiger neu gestartet werden musste. Auf dem Kamerabild (links) ist ein sanierter Kantenschaden im Bereich der Querfuge am rechten Fahrbahnrand zu erkennen. Auf dem Laserscan (rechts) zeigt die Farbcodierung eine deutliche Aufwölbung direkt hinter der Querfuge. 324 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau 4. Anwendungen 4.1 Berührungslose Ebenheitsanalyse auf längstexturierten Oberflächen Um herauszufinden, welche modernen Erfassungstechnologien als Alternative zum HRM-Verfahren im Rahmen der Ebenheitsbewertung von Straßen infrage kommen, wurde im Auftrag der BASt zwischen 2018 und 2022 eine umfangreiche Studie durchgeführt [5]. Insgesamt wurden fünf Erfassungssysteme sowohl im öffentlichen Straßennetz als auch auf dem duraBASt-Testgelände gegeneinander getestet [23]. Dazu gehörten verschiedene HRM-Systeme unterschiedlicher Dienstleister, das LCMS-2 (Laserlichtschnittverfahren) und ein S.T.I.E.R- System mit PPS-Laserscanner. Neben der geometrischen Genauigkeit und Wiederholbarkeit wurden systematisch die Einflüsse von Fahrgeschwindigkeit, Fahrunterbrechungen, Textur, Brückenübergangskonstruktionen sowie Spurrinnen und enge Kurvenradien auf die Bewertung der Längsebenheit untersucht und verglichen. Die Studie kam zu dem Schluss, dass die auf dem PPS-Laserscan bzw. dem daraus abgeleiteten 3D-Oberflächenmodell (CRG) basierende Bewertung der Längsebenheit mit den Ergebnissen der bisher zugelassenen berührungslosen Methoden (HRM) vergleichbar ist. Es wird daher angestrebt, eine BASt-Zertifizierung des Laserscanverfahrens für die Längsebenheitserfassung zu erhalten. Für die Querebenheitserfassung erhält das System bereits seit 2012 jährlich die zeitbefristete Betriebszulassung durch die BASt. Abb. 10 zeigt exemplarisch einen 300 m langen Abschnitt aus einer Abnahmeprüfung (Lattensimulation) mit zwei Überschreitungen des Abnahmewertes. Da S.T.I.E.R sowohl über ein HRM-System als auch ein Oberflächen-LiDAR-System verfügt, können die simultan erfassten Daten direkt verglichen werden. Abb. 10: Vergleich einer HRM-basierten und einer Laserscanbzw. CRG-basierten Längsebenheitsanalyse unter Verwendung des derzeit in Deutschland für Abnahmeprüfungen gebräuchlichen Ebenheitsindikators PGR-MAX. Der hellgrün hinterlegte Bereich stellt den Toleranzbereich der Abnahmeprüfung dar. Wie vorstehend gezeigt, bietet ein 3D-Modell (CRG) im Allgemeinen eine valide Grundlage für die berührungslose Bewertung der Längsebenheit. Ein wesentlicher Vorteil des 3D-Modellansatzes gegenüber dem HRM- Verfahren wurde für längstexturierte Oberflächen gezeigt [6]. Bei Grinding- und Groovingstrukturen ist das HRM-Prinzip (Mehrfachabtastung desselben Oberflächenpunkts) verletzt, da es vorkommen kann, dass Messungen abwechselnd in den Rillen oder auf den Stegen vorgenommen werden. Obwohl die Rillen-Stege-Struktur prinzipiell auch vom Laserscanner erfasst wird, kann im Zuge der CRG Oberflächenmodellierung gesteuert werden, ob z. B. nur die obersten oder untersten LiDAR- Messungen für die Berechnung eines CRG Knotenpunkts berücksichtigt werden oder ein abstandsgewichteter Mittelwert. Dies ermöglicht eine adäquate geometrische Darstellung der längstexturierten Oberfläche und deren Bewertung hinsichtlich ihrer Ebenheit. In Abb. 11 ist dies am Beispiel einer 7 km langen Autobahnstrecke dargestellt (unbewehrter Beton, Plattenbauweise). 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 325 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau Abb. 11: Vergleich von HRM- und CRG-basierten Höhenlängsprofilen für Waschbeton (EAC) und längstexturierte Betonoberflächen (Grinding/ Grooving) unter Verwendung des Bewerteten Längsprofils (WLP). Die Indikatoren sind auf ihren Abnahmewert normiert. Die ersten 3 km sind als Waschbeton (EAC) ausgeführt. Danach folgt ein 3,3 km langer längstexturierter Abschnitt: die ersten 2,8 km sind nur gegrindet und für die letzten 0,5 km wurde eine kombinierte Grinding-/ Grooving-Oberflächenstruktur hergestellt. Daran schließt sich ein weiterer Waschbetonabschnitt von 1 km Länge an. Um ΔWLP und σWLP auf einer einheitlichen y-Achse darzustellen, wurden beide auf den entsprechenden Abnahmewert normiert (ΔWLP: 24mm; σWLP: 4mm). Werte über eins markieren somit Überschreitungen des Abnahmewertes. Anhand der Kennwertkurven lässt sich erkennen, dass die HRM- und 3D-Modell-basierten Höhenlängsprofile die Waschbetonoberfläche nahezu identisch abbilden. Zu Beginn der Grindingstrecke zeigen die 3D-Modell-basierten Kurven eine Abnahme des Kennwertniveaus und damit eine Verbesserung der Ebenheit. Im Gegensatz dazu sind die HRM-basierten Kurven durch ein erhöhtes Rauschen gekennzeichnet. Die ebenheitsverbessernde Wirkung des Grindings lässt sich aus den HRM-basierten Kurven nicht ablesen. In dem Abschnitt, in dem Grinding und Grooving kombiniert auftreten, zeigen die HRM-Profil-basierten Kennwerte eine extrem erhöhte Ausprägung, während die CRG-Profil-basierten Kennwerte stabil auf dem Niveau des vorherigen Abschnitts bleiben. 4.2 Plattenspezifische 3D-Deformationsanalysen Wie von [22] beschrieben, entsprechen die derzeit im deutschen Straßennetz vorherrschenden Oberflächenmorphologien von Betondecken nicht den Modellannahmen, von denen im Kontext der rechnerischen Dimensionierung und Restsubstanzbewertung von Betonfahrbahndecken ausgegangen wird. Die tatsächliche Situation ist wesentlich komplexer als die abstrahierenden Annahmen über konvex und konkav gekrümmte Oberflächenverformungen. Die derzeit verwendeten Stoßfaktoren bilden daher die reale Beanspruchung durch dynamische Radlasten nur unzureichend ab. Die Untersuchungen von [22] basieren auf Oberflächenlaserscans, die auf verschiedenen deutschen Autobahnen mit dem S.T.I.E.R System aufgenommen wurden (unbewehrter Beton, Plattenbauweise). Über die erwarteten Verformungen (Schüsseln / Wölben) hinaus konnten weitere Verformungsmuster identifiziert und mithilfe des Plane Deviation Grid (PDG) Deskriptors sowie einem maschinellen Lernansatz automatisch klassifiziert werden - siehe Abb. 12.Abb. 13 Der PDG- Deskriptor basiert auf der in Abschnitt 3.3 beschriebenen 3D-Analyse (Punkt-Ebene-Abstände). Mit seiner Hilfe können die vertikalen Verformungswerte an Schlüsselpunkten einer Platte automatisch extrahiert werden (z.-B. Ecken, Kanten und Plattenzentrum). Abb. 13 zeigt typische PDG-Deskriptorwerte für drei Deformationsmuster. Abb. 12: Beispiele für unterschiedliche Verformungsmuster auf deutschen Autobahnen (Draufsicht). Die Studie kam zu dem Schluss, dass der vorgeschlagene Ansatz nicht verformte Platten, konkave und konvexe Verformungen in zwei Schweregraden und andere unregelmäßige Verformungen zuverlässig automatisch klassifizieren kann. Die Autoren konnten auch zeigen, dass im deutschen Autobahnnetz verschiedene Verformungsmuster auftreten, die bisher bei der rechnerischen Dimensionierung und Restsubstanzbewertung von Betonfahrbahndecken nicht ausreichend berücksichtigt werden. Das Vorhandensein dieser Verformungsmuster lässt auf erhöhte Spannungen im Plattensystem schließen, wenn Radlasten auf vorverformte Platten treffen, was wieder- 326 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau um einen Einfluss auf die Haltbarkeit einer Betonfahrbahn haben kann. Im Rahmen von Abnahmemessungen können mit dem Ansatz von [22] Ebenheitsanomalien lokalisiert und entsprechend behandelt werden, damit das Plattensystem bei der Verkehrsfreigabe einer möglichst geringen Belastung ausgesetzt wird. Dies kann zur Herstellung von Betondecken mit langer Lebensdauer und geringem Instandhaltungsbedarf beitragen. Abb. 13: Typische PDG-Deskriptorwerte für glatte Platten (grün) und nach konvex/ konkav verformte Platten (rot/ blau). Die IDs 0 bis 5 stehen für die Plattenmitte und die Plattenecken. 4.3 Kontrolle des lagegerechten Einbaus von Betonfertigteilen Die Verwendung von Betonfertigteilen hat verschiedene Vorteile, wie z. B. eine gleichmäßige Qualität durch kontrollierte Produktionsbedingungen oder einen beschleunigten Sanierungsprozess. Deshalb wird diese Bauweise zunehmend eingesetzt, vor allem wenn es darum geht, einzelne beschädigte Platten zu ersetzen. Das Forschungsprojekt „HESTER“ [24] untersuchte unter anderem den Einbau von Betonfertigteilen im Bereich von innerstädtischen Bushaltestellen. Von besonderem Interesse war dabei die Lage der Fertigteile zueinander und in Bezug zur angrenzenden Straßenoberfläche. Die Laserscannermessungen mit dem S.T.I.E.R. System wurden drei Wochen nach dem Einbau der Betonfertigteile durchgeführt. Wie in Abb. 14 zu sehen ist, wurde eine ausgleichende Ebene E für die angrenzende Asphaltfläche (Bestand) eingepasst. Anschließend wurden die vertikalen Abstände der gescannten Fertigteiloberfläche zu dieser Ebene berechnet. Während die Elemente im vorderen Teil von Abb. 14 nahezu perfekt eingebaut wurden, weichen einige andere Elemente von der Ebene der angrenzenden Asphaltdecke ab, da sie leicht schräg eingebaut wurden. Dadurch ergeben sich Kanten an einigen Übergängen zwischen den Fertigteilen, die wiederum die Haltbarkeit der Fertigteilelemente potentiell negativ beeinflussen. Abb. 14: Überprüfung der korrekten vertikalen Positionierung von Betonfertigteilen 5. Schlussfolgerung Dieser Beitrag fasst die Erkenntnisse verschiedener Forschungsprojekte zusammen und zeigt, dass mobiles Laserscanning die Aufnahme hochauflösender digitaler Topographien von Straßenoberflächen ermöglicht. Solche Oberflächenscans können nicht nur im Rahmen der Zustandserfassung und -bewertung, sondern auch zur Analyse der Bauqualität im Rahmen von Abnahmeverfahren verwendet werden. Auf der Basis von 3D-Punktwolken können Oberflächenmodelle erzeugt werden, die eine Extraktion und regelwerkskonforme Analyse von Längsprofilen an jeder beliebigen Stelle des Fahrstreifenquerschnitts anhand der derzeitigen und künftigen Längsebenheitsindikatoren zulassen. Insbesondere eignet sich diese Methode zur Bewertung gerichteter Oberflächen (Grinding/ Grooving), bei denen herkömmliche berührungslose Methoden (HRM) an ihre Grenzen stoßen. Darüber hinaus ermöglichen Laserscans dreidimensionale Auswertungen, die mit einer herkömmlichen Profilanalyse nicht zu realisieren sind. Eingebettet in einen entsprechenden Bauprozess können die Lasermessungen zur Qualitätssicherung genutzt werden, um potenzielle Problemstellen zu identifizieren, hochgenau zu lokalisieren und ebenheitsoptimierende Maßnahmen zielgenau durchzuführen. Literatur [1] FE 29.202/ 2008, „Längsebenheitsauswerteverfahren Bewertetes Längsprofil“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach, 2011. [2] FE 04.0213/ 2008, „Überprüfung der Signalverarbeitungsverfahren nach dem Prinzip der Mehrfachabtastung (HRM)“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach, 2015. [3] FE 04.0248/ 2011, „Integrale Bewertung der Ebenheit“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach, 2015. [4] FE 04.0286/ 2014, „Erweiterung des Einsatzes des bewerteten Längsprofils auf bauvertragliche Anwendungen und Vergleich mit dem herkömmlichen Abnahmeverfahren“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch-Gladbach, 2019. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 327 Mobiles Laserscanning zur Qualitätssicherung im Betonstraßenbau [5] FE 04.0326/ 2018, „Fortschreibung von Qualitätsstandards zur Abnahme von Ebenheitsmesssystemen für ZEB- und Abnahmemessungen vor dem Hintergrund neuer Erfassungstechnologien“, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Berglisch- Gladbach, 2022. [6] University of Stuttgart, „Projekt Betonfahrbahn 4.0 - Prozesssichere Herstellung von Betonfahrbahnen durch Integration neuer innovativer Maßnahmen und digitale Vernetzung zur Erhöhung von Qualität und Dauerhaftigkeit,“ 2022. [Online]. Available: https: / / www.project.uni-stuttgart.de/ bf4/ [Zugriff am 14.12.2022] [7] FGSV, „Technische Prüfvorschriften für Ebenheitsmessungen auf Fahrbahnoberflächen in Längs- und Querrichtung, Teil: Berührungslose Messungen (TP Eben - Berührungslose Messungen)“, Köln: FGSV Verlag GmbH, 2009. [8] FGSV, „Technische Prüfvorschriften für Ebenheitsmessungen auf Fahrbahnoberflächen in Längs- und Querrichtung, Teil: Berührende Messung (TP Eben - Berührende Messung)“, Köln: FGSV Verlag GmbH, 2017. [9] P. Skalecki, M. Sesselmann, S. Rechkemmer, T. Britz, A. Großmann, H. Garrecht und O. Sawodny, „Process Evaluation for Smart Concrete Road Construction: Road Surface and Thickness Evaluation Using High-Speed LiDAR Technology.“, In: Automation, Bd. 2, Nr. 1, pp. 31-47, 2021. [10] P. B. Still und P. G. Jordan, „Evaluation of the TRRL High-Speed Profilometer (Report LR922)“, Transportation and Road Research Laboratory, Crowthorne, 1980. [11] FGSV, „Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien zur Zustandserfassung und -bewertung von Straßen (ZTV ZEB-StB)“, Köln: FGSV Verlag GmbH, 2006. [12] Applanix, „POS LV“, 2019. [Online]. Available: https: / / www.applanix.com/ downloads/ products/ specs/ POS-LV-Datasheet.pdf [Zugriff am 14.12.2022]. [13] A. Reiterer, M. Dambacher, I. Maindorfer, H. Höfler, D. Ebersbach, C. Frey, S. Scheller und D. Klose, „Straßenzustandsüberwachung in Sub-Millimeter“, In: Photogrammetrie - Laserscanning - Optische 3D-Messtechnik: Beiträge der Oldenburger 3D-Tage 2013, pp. 78-85, 2013. [14] Fraunhofer IPM, „Pavement Profile Scanner PPS / PPS-Plus“, 2022. [Online]. Available: https: / / www. ipm.fraunhofer.de/ content/ dam/ ipm/ en/ PDFs/ product-information/ OF/ MTS/ Pavement-Profile- Scanner-PPS.pdf [Zugriff am 14.12.2022] [15] J. Rauh und M. Mössner-Beigel, „Tyre simulation challanges“, In: Vehicle System Dynamics, Bd. 46, Nr. 1, pp.-4962, 2008. [16] V. Potó, A. Csepinszky und Á. Barsi, „Representing road related laserscanned data in curved regular grid: a support to autonomous vehicles“, In: The International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Science, Bd. XLII, Nr. 2, p. 917-921, 2018. [17] J. Su, R. Miyazaki, T. Tamaki und K. Kaneda, „High-Resolution Representation for Mobile Mapping Data in Curved Regular Grid Model“, In: Sensors, Bd. 19, Nr. 24, pp. 1-17, 2019. [18] RVS 13.01.13, „Bestimmung von Längsebenheitsindizes“, Forschungsgesellschaft Straße-Schiene- Verkehr (FSV), Wien, 2021. [19] A. Ueckermann und B. Steinauer, „The Weighted Longitudinal Profile. A New Method to Evaluate the Longitudinal Evenness of Roads.“, In: Road Materials and Pavement Design, Bd. 9, Nr. 2, pp. 135-157, 2008. [20] M. Weinmann, B. Jutzi, C. Mallet und M. Weinmann, „Geometric Features and Their Relevance for 3D Point Cloud Classification“, In: ISPRS Annals of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, Bd. IV1/ W1, pp. 157-164, 2017. [21] Y. Guo, M. Bennamoun, F. Sohel, M. Lu, J. Wan und N. M. Kwok, „A Comprehensive Performance Evaluation of 3D Local Feature Descriptors“, In: International Journal of Computer Vision, Bd. 116, pp. 66-89, 2016. [22] M. Wieland und M. Sesselmann, „Plattenspezifische 3D-Oberflächenanalyse im Kontext mit der rechnerischen Dimensionierung und Restsubstanzbewertung von Betonfahrbahndecken“, In: Straße und Autobahn, Bd. 6, pp.-447-458, 2018. [23] BASt, „duraBASt - Demonstrations-, Untersuchungs- und Referenzareal der BASt“, 2022. [Online]. Available: https: / / www.durabast.de/ durabast/ DE/ Home/ home_node.html [Zugriff am 14.12.2022] [24] S. Villaret, „Hybrides Ertüchtigungssystem für die Straßenerhaltung unter Einsatz neuartiger Werkstoffe (HESTER)“, In: Konferenz HighTechMat- Bau (31.01.2018), Berlin, 2018. Infrastrukturbau 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 331 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen Marius Raff, B. Eng HBC Biberach, Gottmadingen Zusammenfassung Bereits 1901 beschrieb Herr Kallman, dass das lose Verlegen von Ver- und Entsorgungsleitungen im Straßenquerschnitt umständlich und auf Dauer sehr kostspielig ist. Eine wesentlich nachhaltigere Lösung des Unterbringens der Leitungsinfrastruktur stellt der sogenannte Infrastrukturkanal dar. In diesem werden alle Ver- und Entsorger in einem begehbaren Leitungsgang unterhalb der Straße geführt. Dies ermöglicht, dass Straßenquerschnitte weitestgehend ohne Straßeneinbauten auskommen können und keine Aufgrabungen im Straßenkörper durchgeführt werden müssen. Um Gemeinden und Netzbetreiber von den Vorzügen des Infrastrukturkanals zu überzeugen, wurde ein reales Erschließungsprojekt mit und ohne Infrastrukturkanal bepreist. Die Arbeit belegt, dass sich die hohe anfängliche Investition in einen Infrastrukturkanal, nach spätestens 150 Jahren amortisiert. Des Weiteren werden zahlreiche umwelttechnische Vorteile dieser Erschließungsmethode erläutert. 1. Einführung „Das Wort, dass die Erde, Raum für alle habe, trifft hinsichtlich des Straßenkörpers der Großstädte jedenfalls nicht mehr zu, und nur mit unendlicher Mühe ist es möglich geworden, allen zum Teil divergierenden Interessen der vielen Verwaltungen und Unternehmungen, die die öffentlichen Straßen und Wege zur Fortführung ihrer Leitungen benötigen, ohne gegenseitige Beeinträchtigung zu entsprechen. Ohne auf die Anlage von untergeordneter Bedeutung einzugehen, sei nur erwähnt, dass die Kanalisation, die Wasserwerke, die Gasanstalten, die Rohrpost, die Telegraphenkabel, die Fernsprech-Kabelröhren und -Kanäle, die Feuerwehr- und Polizeitelegraphen noch neben den Starkstromleitungen ihren Platz und zum Teil sehr reichliches Baurayon beanspruchen. Hierzu kommen als weitere erschwerende Umstände die zahllosen Abzweigungen nach den Häusern für Gas, Wasser, Telephon, elektrisches Licht und dergl., …, und all dies soll wohlmöglich noch auf den Bürgersteigen platziert werden, um die umständlichen, kostspieligen, besonders störenden Erd- und Pflasterarbeiten auf dem Damm tunlichst zu verhüten.“ [1] In diesem Bericht werden bereits 1901 die Schwierigkeiten beschrieben, welche in Folge der Unterbringung von Leitungen und Kanälen im Straßenbau auftreten. Damals wie heute werden beinahe sämtliche Ver- und Entsorgungsleitungen innerhalb von städtischen Gebieten unterhalb der Straße geführt. Dem Bericht ist zu entnehmen, dass sich Größe, Anzahl und Art der Leitungen im Laufe der Zeit verändern. Durch die fortlaufende Steigerung der Versorgungsanforderungen hat sich auch der Platzbedarf der Leitungen vergrößert. Die Art, wie Sie untergebracht werden, hat sich jedoch nicht nennenswert verbessert, sodass sich die 1901 beschriebenen Probleme eher vergrößert als verkleinert haben. Neben dem Platzbedarf stellen auch die Wartung, die Reparatur und die neue Verlegung der Kanäle, Leitungen und Kabel ein großes Problem dar. Ursache hierfür ist die Tatsache, dass diese von außen nicht zugänglich sind. Die einzige Möglichkeit, größere Arbeiten an den Leitungen durchzuführen, besteht darin, die darüberliegenden Straßen aufzureißen. Dies führt nicht nur zu enormen Kosten, sondern auch unter anderem zu: erhöhtem Ressourcenverbrauch, Belästigung der Anwohner durch Lärm und Staub, Schädigung anderer Leitungen durch die Baumaßnahmen und Belästigung der Verkehrsteilnehmer durch Umleitungen und Stau. Des Weiteren sind die Arbeiten aufgrund ihrer Art als gefährlich einzuschätzen und auch von der Witterung abhängig. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass die Straßen ebenfalls langfristige Schäden durch solche Reparatur- und Verlegungsarbeiten erfahren, da es nur durch vollständige Erneuerung des Oberbaus möglich ist, die ursprüngliche Qualität einer Straße wieder herzustellen. Wenn man sich im städtischen Bereich bewegt kann man sehen, wie stark dieses Problem ausgeprägt ist. Die meisten Straßen weisen eine Mehrzahl von Fugen im Asphalt auf, welche auf sogenannte Aufgrabungen in Folge von Kabel-, Leitungs-, und Kanalarbeiten zurückzuführen sind. Dabei ist der Oberbau der Straßen nicht selten nur wenige Jahre alt. Ein weiteres Problem ist es, dass unsere Gesellschaft aktuell vor einer Energiewende steht und gleichzeitig die Digitalisierung läuft. Daher scheint es teilweise noch ungewiss, welche Arten von Kabeln und Leitungen in naher Zukunft verlegt werden. Fest steht allerdings, dass auch dann, nach wie vor viele Straßen aufgerissen werden müssen, um die darunter liegende Infrastruktur instand zu setzen oder auszubauen. Sowohl die Verstädterung der Gesellschaft als auch der Klimawandel schreiten nach wie vor schnell voran, was Aussagen bezüglich der Art und Dimensionierung von Leitungen, Kanälen und Kabeln, welche in Zukunft benötigt werden zusätzlich erschweren. 332 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen Eine Möglichkeit um all diese und weitere Probleme, welche aufgrund des konventionellen Leitungsbau entstehen zu vermeiden, stellt der sogenannte Infrastrukturkanal dar. In diesem werden sämtliche Leitungen zur Ver- und Entsorgung eines Gebiets in einem begehbaren Leitungskanal geführt. 2. Weshalb es einen Technologiewechsel braucht Einer Studie zur Folge bleibt eine städtische Straßenoberfläche lediglich zwei Jahre und neun Monate unberührt. Folglich wird die erste Aufgrabung einer leitungsführenden Straße durchschnittlich nach 35 Monaten durchgeführt [2], was in 87 % der Fälle auf Arbeiten an der Leitungsinfrastruktur selbst zurückzuführen ist. [3] Dies hat aus vielerlei Hinsichten weitreichende Folgen. In erster Linie stellt eine Aufgrabung ein Mangel dar, da die Statik des Straßenkörpers gestört wird. Selbst absolut fachgerecht durchgeführte Aufgrabungen, was naturgemäß nahezu unmöglich ist, werden nach einigen Jahren in ihren Arbeitsfugen auf brechen. Dies führt durch das Eindringen von Wasser zwangsläufig zu Frostschäden, die dann nicht mehr nur die Aufgrabung selbst, sondern den ganzen Straßenkörper betreffen. Daraus lässt sich schließen, dass Aufgrabungen die Lebensdauer von Straßenkörpern, generell signifikant verkürzen. Eine weitere Folge von Aufgrabungen ist ein hoher volkswirtschaftlicher Schaden, der sich in erheblichen Wartezeiten im Verkehr und Belästigung bzw. Behinderung der anwohnenden Bürger ausdrückt. Die bei Aufgrabungen erforderlichen Arbeiten produzieren stets Lärm und Staub. Um die Verkehrsbeeinträchtigung möglichst klein zu halten, wird die Baustelleneinrichtung aufgrund des Einsatzes von Lichtsignalanlagen und großem Absperraufwand sehr kostenintensiv. Gleichzeitig wird aus selbigem Grund versucht, die abgesperrte Fläche möglichst klein zu halten, was die Arbeiten verkompliziert und den Einsatz von kleineren Maschinen erfordert. Dies führt ebenfalls zu einer Erhöhung der Kostenintensität. Auch aus ökologischer Hinsicht haben Aufgrabungen zahlreiche negative Folgen. Zwar sind die ausführenden Kräfte dazu angehalten, möglichst viel von dem aufgebrochenen Material wieder zu verwenden, in der Praxis stellt sich das aufgrund des Durchmischens der Materialien und den beengten Platzverhältnissen aber als schwierig heraus. Ebenfalls berücksichtigt werden muss, dass Aufgrabungen, das Kleinklima der innerstädtischen Bereiche erheblich verschlechtern können. Neben dem entstehenden Staub, des Staus und des Baustellenverkehrs der zahlreichen Aufgrabungen, kann das Kleinklima insbesondere durch die Beschädigung von Bäumen nachhaltig verschlechtert werden. Nicht selten werden die wenigen vorhandenen Bäume entlang von Straßen nach Aufgrabungen krank oder sterben gar ab. Ursachen hierfür sind z. B. das Durchtrennen von Wurzeln oder die zu starke Verdichtung der Wurzelräume. Ein weiteres ökologisches Problem, in Folge von Aufgrabungen ergibt sich, wenn die konventionelle Leitungsverlegung mit der Verlegung im Infrastrukturkanal verglichen wird. Aufgrund der zahlreichen Umwelteinflüsse im Boden ist die Nutzungsdauer erdverlegter Leitungen ohnehin schon kürzer als im Infrastrukturkanal. Zusätzlich besteht im Infrastrukturkanal die Möglichkeit sämtliche Leitungen auf einfachste Weise zurückzubauen. Daher können diese sortenrein recycelt oder gar wieder verwendet werden. Die Leitungen, die hingegen bei Aufgrabungen geborgen werden, sind und werden bei der Bergung, starkverschmutzt und beschädigt. Folglich fallen Sie dann, in der Regel als unverwertbarer Abfall an. Blicke in offene Leitungsgräben beweisen, dass die Arbeiten an Leitungen und die dazugehörigen Erdarbeiten bei Aufgrabungen als kompliziert und somit auch als äußerst kostenintensiv einzustufen sind. Oftmals wissen die ausführenden Bauunternehmen nicht, welche bzw. wo sie Leitungen im Bereich der aufzugrabenden Fläche antreffen werden, da die Pläne hierzu fehlen bzw. nicht der Realität entsprechen. Dies erschwert die Aushubarbeiten wesentlich. Neben der Tatsache, dass der Baggerlöffel nur dünne Schichten abtragen kann, ist zusätzlich ein zweiter Mann erforderlich, der die Arbeiten von der anderen Seite beobachtet. Trifft man auf eine kreuzende Trasse oder eine im geringen Abstand verlegte Leitung, so ist ein nicht unwesentlicher Teil des Aushubs von Hand durchzuführen. Trotz dieser Sicherheitsvorkehrungen kommt es regelmäßig vor, dass weitere Leitungen aufgrund der Aushubarbeiten beschädigt werden. Im besten Fall wird der Sekundärschaden dann sofort bemerkt, die Aufgrabung erweitert und beide Schäden behoben. Möglich ist es aber auch, dass der Sekundärschaden zunächst oder gänzlich unentdeckt bleibt. Dies führt dazu, dass an der gleichen Stelle in kürzestem Zeitraum eine zweite Aufgrabung durchgeführt werden muss oder jahrelang z. B. Schmutzwasser ins Erdreich gelangt. Neben dem Grundwasser sind bei Aufgrabungen auch die Arbeiter selbst akut gefährdet. Das Angraben von Stromleitungen führt weltweit immer wieder zu Todesfällen von Bauarbeitern. Nicht selten, weil die vorgeschriebenen Trassenbänder entweder fehlen oder nicht ordnungsgemäß verlegt wurden. Auch die Gräben von Aufgrabungen sind als besonders gefährlich einzustufen. Zeitdruck, Platzmangel und kreuzende Leitungen führen häufig zu nicht fachgerecht abgeböschten bzw. nicht fachgerecht verbauten Grabenwänden. Zusammenfassend lässt sich bisher sagen, dass Aufgrabungen der Volkswirtschaft schaden und außerdem: kostenintensiv, straßenschädigend, gefährlich, umweltschädigend und wenig Nachhaltig sind. Die Tatsache, dass hautsächlich das erdverlegen von Leitungsinfrastruktur, Aufgrabungen erforderlich macht, verfestigt die Aussage, dass im Leitungsbau ein Technologiewechsel erforderlich ist. Nachfolgend, werden an dieser Stelle, einige Missstände bezüglich Aufgrabungen in der Praxis aufgedeckt, um den benötigten Technologiewechsel weiter zu bestärken. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 333 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen Abb. 1: Zustand von Quartiersstraßen in Deutschland Das Foto Abb. 1: Zustand von Quartiersstraßen in Deutschland stammt aus der Gemeinde Böhringen-Rickelshausen nahe Radolfzell und spiegelt den Zustand vieler Deutscher Quartierstraßen wider. Beim Betrachten des Fotos, können einige Abweichungen von den geltenden Durchführungsbestimmungen festgestellt werden. Zunächst einmal ist zu sehen, dass um den Kanalschacht herum eine Aufgrabung durchgeführt wurde. Höchstwahrscheinlich lag die Ursache dafür, in einer Setzung des Schachtes, die durch die allgemein bekannten Verdichtungsproblematik um Straßeneinbauten entstanden ist. Des Weiteren ist vorgeschrieben, dass die Schnittflächen von Aufgrabungen geradlinig auszuführen sind. Bei der Aufgrabung des Schachtes wurde diese Regelung mutwillig oder aufgrund von Unwissenheit missachtet. Auch andere im Bild zu sehende Fugen von Aufgrabungen, erfüllen die Anforderung der Geradlinigkeit nicht ausreichend. Es wird gefordert, dass die Asphaltdeckschicht mit einer Fuge von mindestens zehn mm Stärke zu Straßeneinbauten hergestellt wird. [4] Die Fuge ist mit Fugenmassen oder Fugenbändern auszubilden. Im Bild fehlt die Fuge, Feuchtigkeitseintrag in den Straßenoberbau ist die Folge. Im Bild, sind außerdem sieben Aufgrabungen zu erkennen, deren Abstand deutlich geringer als zehn Meter zueinander ist. Gemäß ZTV A-StB 12 wäre daher ein Austausch der gesamten Asphaltdeckschicht erforderlich. Zu guter Letzt wird auch die Durchführungsbestimmung bezüglich der Randstreifen nicht eingehalten. Diese dürfen nämlich maximal nur 35 cm breit sein. Als Resultat der nicht Einhaltung sind Risse in den Fugen zwischen zwei Aufgrabungen zu sehen. Schlussfolgern lässt sich daher, dass sich die Lebensdauer von Straßen durch Mängel bei der Ausführung von Aufgrabungen zusätzlich verringert. Dabei ist zu beachten, dass die Schuld daran, nur zu geringfügigen Teilen den bauausführenden Unternehmen zuzuschreiben ist. Die Fugenausbildung zwischen Asphaltdeckschicht und Einbauten muss beispielsweise separat ausgeschrieben werden, fehlt aber oftmals im Leistungsverzeichnis. Das Problem der mangelnden Ausführung ist viel mehr strukturell bzw. technisch zu sehen, die in Deutschland zum größtenteils veraltete Leitungsinfrastruktur führt schlicht und ergreifend zu sehr vielen Aufgrabungen, die sowohl das beteiligte Personal als auch das Budget der Gemeinden an ihre Grenzen bringen. Der zunehmende Fachkräftemangel wird diese Situation künftig verschärfen und unterstreicht die Notwendigkeit eines Technologiewechsels zusätzlich. 3. Lebenszyklus der Leitungsinfrastur einer Quartierstraße Um zu beweisen, dass sich ein Infrastrukturkanal aus ökonomischer Sicht rechnet, wurden die Kosten die beim baulichen Erschließen eines Gebiets und dem anschließenden betriebsgerechten Erhalten der Leitungsinfrastruktur über einen Nutzungszeitraum von 150 Jahren entstehen verglichen. Dieser Zeitraum wird gewählt, da bei einem Infrastrukturkanal aus Stahlbetonfertigteilen von einer kalkulatorischen Lebensdauer von 150 Jahren ausgegangen werden darf. Für den Vergleich wurden die Kosten gegenübergestellt, die sich einerseits aus der konventionellen Erschließung, sprich mit erdverlegter Leitungsinfrastruktur und andererseits aus der Erschließung mit einem Infrastrukturkanal ergeben. Um ein möglichst realistischen Kostenvergleich durchzuführen, wurden sämtliche Mengen und Dimensionen anhand eines realen Projektes ermittelt. Das zu erschließende Gebiet befindet sich auf dem Festland der Gemeinde 78479 Insel Reichenau bei Konstanz. Dort soll im Lindenbühl West auf 6 ha ein neues Wohnquartier mit nachhaltigem Wohnkonzept entstehen. Insgesamt soll Wohnraum für 2000 Menschen und Raum für 10 Kleinbetriebe wie Bäckereien oder Fitnessstudios geschaffen werden. Reihenhäuser, Wohnblocks und Kleinbetriebe gliedern sich an die mittig gelegene 745 m lange Haupterschließungsstraße an und werden über insgesamt 16 Hausanschlüsse, sogenannte Sammelhausanschlüsse versorgt. Mit Hilfe einer Bedarfsanalyse ermittelte man die notwendigen Ver- und Entsorgungskapazitäten des Gebiets. Anhand dieser wurde dann die Dimension des benötigten Infrastrukturkanals bestimmt. Prinzipiell gibt es verschiedene Möglichkeiten für Art und Material der baulichen Hülle als auch für die Vortriebsweise. Da es sich bei dem Projekt um eine Neuerschließung handelt, legte man sich auf eine offene Bauweise fest. 334 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen Tab. 1: Gegenüberstellung der Kosten Als Material wurde Stahlbeton gewählt, da dieser schlicht und ergreifend am dauerhaftesten ist und bereits seit 2000 Jahren erfolgreich unterhalb der Erde verbaut wird. Um den hohen Qualitätsansprüchen für eine kalkulatorische Nutzungsdauer von 150 Jahren gerecht zu werden, entschied man sich außerdem für den Einsatz von Stahlbetonfertigteile. Sowohl Rechteckquerschnitte als auch kreisrunde Fertigteile kommen für einen Infrastrukturkanal in Frage. Aufgrund des statischen Systems und der Geometrie ergibt sich jedoch, dass beim Rechteckquerschnitt der Bewehrungsgrad als auch die Gesamtmenge an Beton die benötigt wird, im Vergleich zu einem Kreisquerschnitt mit gleicher Nutzfläche deutlich höher ist. Somit fiel die Wahl auf den Kreisquerschnitt. Anhand dieser Projektierung ließen sich belastbare Erschließungskosten für das Gebiet berechnen. Diese sind bei Erschließung mit Infrastrukturkanal etwa 65 % höher. Die ermittelten Kosten können der Tabelle 1 Kostenvergleich entnommen werden. Wie bei jedem Bauprojekt sind jedoch auch die Kosten, die während der Nutzugsdauer entstehen, von zentraler Bedeutung. Allein die Tatsache, dass sämtliche Ver- und Entsorger in regelmäßigen Abständen erneuert werden müssen, führt dazu, dass sich die hohe Anfangsinvestition in einen Infrastrukturkanal in unter 150 Jahren amortisiert. Besonders erwähnenswert ist dabei, dass aufgrund der verringerten Umwelteinflüsse im Infrastrukturkanal, die Lebensdauer der Medien signifikant verlängert wird. Je nach Ver- oder Entsorger um den Faktor 1,15 bis 2,0 im Vergleich zur konventionellen Verlegung. [5] 4. Fazit Aufgrund von mangelnder Datenlage blieben zahlreiche Mehrkosten, die beim Erschließen und unterhalten der Quartierstraße auf der Reichenau mit erdverlegter Leitungsinfrastruktur entstehen, unberücksichtigt. Gleichzeitig wurden schwer zu ermittelnden Kosten, die für das Herstellen des Infrastrukturkanals benötigt werden, mit einem Sicherheitszuschlag berechnet. Die Investition amortisiert sich dennoch. Neben den wirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Vorteilen bietet die Technologie ein Gebiet mit einem Infrastrukturkanal zu erschließen, auch zahlreiche umwelttechnische Vorteile. Zu den wichtigsten gehören: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 335 Auswirkungen von Infrastrukturkanälen auf die Nachhaltigkeit von Quartiererschließungen • Schutz vor dem direkten Austreten verunreinigter Substanzen in die Umwelt • Ressourcenschonung durch die verlängerte Lebensdauer der im Infrastrukturkanal verlegten Leitungsinfrastruktur • Verbesserte Recyclingmöglichkeiten, da ein ordentlicher Rückbau gewährleisten werden kann • Vermeiden von CO 2 -intensiven Aufgrabungsbzw. Straßenbaumaßnahmen • Schonen knapper Ressourcen wie z.-B. Sand Soll ein neues Gebiet erschlossen werden, so sollten Gemeinden künftig prüfen, ob es sich rentiert, zur Ver- und Entsorgung einen Infrastrukturkanal zu errichten. Wird hierfür das richtige Bauverfahren und die richtigen Baumaterialien verwendet, so ist die Chance, das Projekt erfolgreich abzuschließen sehr gut. Voraussetzung ist jedoch, dass ein passendes Finanzierungsbesser gesagt Betreibermodell für das geplante Projekt gewählt wird. Des Weiteren ist ein Benutzungszwang des Infrastrukturkanals für alle beteiligten Ver- und Entsorger auszusprechen, um den Projekterfolg zu gewährleisten. Literatur [1] Kallmann, M. (1901). Maßnahmen zum störungsfreien Betreiben städtischer Licht- und Bahnkabelnetze. Technisches Gemeindeblatt 4. [2] Gebhards, G. (2010). Elastomermörtel für Schachtfugen: Resümee nach mehr als zehn Jahren Praxiserfahrung. Giesel. [3] Jodl, H. G. (1996). Der begehbare Infrastrukturkanal Ein altes Thema für einen neuen Anfang? Wien: ÖIAV. [4] FGSV. (2012). Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Aufgrabungen in Verkehrsflächen . Köln. [5] Institut für Bauforschung. (2014). Nachhaltige Erschließung Ökologische und wirtschaftliche Chancen bei der. Mainz: Bauforum Rheinland-Pfalz GbR. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 337 Instandsetzung einer Natursteinmauer Im Spannungsbogen zwischen Bestandserhaltung und Denkmalschutz in Rothenburg ob der Tauber Dipl.-Ing., Dipl.-Ing. (FH) Michael Schätzl Staatliches Bauamt Ansbach Zusammenfassung Die einsturzgefährdete Stützwand entlang der Hindenburgstraße in Rothenburg ob der Tauber wurde mit einem patentierten Verfahren instandgesetzt. Dabei wurden Kosten eingespart und die ensemblegeschützte Ansicht der historischen Stützwand erhalten. 1. Einführung Im Juli 2018 wurde die Brückenbauabteilung des Staatlichen Bauamts Ansbach informiert, dass es in Rothenburg ob der Tauber eine Stützwand gibt, bei der das Geländer morsch ist. Bis dahin wurde dieses Bauwerk nicht nach DIN 1076 geprüft, da es in der Brückenbauabteilung nicht bekannt war. Der Geh- und Radweg, dem diese Stützwand dient, liegt etwas abseits der Staatsstraße und kürzt eine Schleife der Straße ab. Bei der Recherche zu diesem Bauwerk wurde eine Vereinbarung aus dem Jahr 1984 entdeckt, in der eine gemeinsame Baulast durch den Freistaat Bayern (72 %) und Stadt Rothenburg o. d. T. (28 %) gegeben ist: „Die Überprüfung des baulichen Zustands der Stützmauer ist jährlich nach Aufforderung durch die Stadt mit einem Vertreter des Straßenbauamtes Ansbach und der Stadt Rothenburg ob der Tauber gemeinsam durchzuführen.“ [1] Gemeinsame Begehungen der Bauhofleiter Stadt Rothenburg und der Straßenmeister SM Rothenburg fanden zwar statt, eine ordentliche Bauwerksprüfung nach DIN 1076 erfolgte, zumindest in den letzten 20 Jahren, jedoch nicht. 2. Zustandsfeststellung 2.1 Erste Begehung Bei der unmittelbar nach Bekanntwerden eingeleiteten Bestandaufnahme wurde der folgende Zustand festgestellt: - Die Stützwand hat eine Länge von 282 m, eine Stützwandhöhe von bis zu 2,6 m. - Der Weg ist talwärts als Fußweg und bergwärts als Fußweg mit dem Zusatz „Radfahrer frei“ beschildert. - Die Breite des Weges beträgt circa zwei Meter. - Das Bauwerk ist wegen Bewuchs überwiegend nicht prüfbar. 2.2 Bauwerksprüfung Nach einem notwendigen ersten Freischneiden durch die Straßenmeisterei Rothenburg und Bauhof Rothenburg konnte eine ausführliche und vollständige Bauwerksprüfung durchgeführt werden. Zu den bereits bei der ersten Begehung ersichtlichen morschen Geländern und verrosteten Geländerpfosten-verankerungen, wurden noch viele weitere Schäden festgestellt, die sowohl die Verkehrssicherheit, als auch die Dauerhaftigkeit und Standsicherheit erheblich einschränkten. Abb. 1: Schiefstellung der Stützwand So wurden insbesondere starke Ausbauchungen und Verkippungen der Natursteintrockenmauer ersichtlich. In einem Abschnitt bestand sogar akute Einsturzgefahr. Die Verformungen der Stützmauer, die zum Teil deutlich von der Senkrechten abweichen, wie in Abb. 1 zu sehen ist, setzten sich auch in der Asphaltschicht fort. Die hier entstandenen Risse im Belag förderten das Eindringen von Wasser im Hinterfüllbereich und führten zur weiteren Verschlechterung des Bauwerkszustandes. Das Ergebnis der Bauwerksprüfung mit der Zustandsnote von 3,5 [2] führte zur unmittelbaren Sperrung des Fußweges. 338 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Instandsetzung einer Natursteinmauer 3. Planung 3.1 Variantenuntersuchung Auf Grund von Erfahrungen mit der Erhaltung von Natursteintrockenmauern im Taubertal erschien der Abbau und Wiederauf bau der Stützwand nicht praktikabel. Da in diesem sehr steilen Gelände mit dem sehr schmalen Gehweg mit keinem Großgerät gearbeitet oder auch nur mit LKW gefahren werden kann, hätte eine solche Erneuerung mit den bestehenden Steinen nur mit sehr viel Handarbeit und nur beschränkter maschineller Unterstützung erfolgen können. Die Kosten hierfür wären nicht abschätzbar gewesen. Daher wurde diese Variante auch nicht weiterverfolgt. Um den Bestand des Fußweges, der einen Ortsteil und Campingplatz mit der Altstadt von Rothenburg o.d.T. verbindet, zu erhalten, wurden sechs Neubauvarianten und zwei Sanierungsvarianten untersucht: Variante 1N: Winkelstützwand mit Spritzbetonvernagelung der Baugrube. Kostenschätzung 3,0 Mio. € Variante 2N: Gabionenwand mit Stahlbetonbalken. Kostenschätzung 1,9 Mio. € Variante 3N: Schwergewichtswand aus Muschelkalkblocksteinen. Kostenschätzung 2,0 Mio. € Variante 4N: Stützwand mit Mikropfählen und Baugrube mit Spritzbetonvernagelung. Kostenschätzung 3,2 Mio. € Variante 5N: Stahlbetonplatte auf Blocksteinen. Kostenschätzung 2,4 Mio. € Variante 6N: lastfreier Bestand, Hangsicherung bergseitig mit Spritzbetonvernagelung und Blocksteinen. Kostenschätzung 1,5 Mio. € Variante 1S: System BST: Mauerwerksfugen werden verschlossen, Daueranker und Lastverteilungselemente aus Beton, Form und Geometrie bleibt erhalten. Kostenschätzung 1,4 Mio. € Variante 2S: Spritzbetonschale mit Vernagelung. Kostenschätzung 1,2 Mio. € [3] 3.2 Denkmalschutz Die 1942 erstmals erwähnte Stützwand steht im Bereich des Ensembleschutzes des Stadt Rothenburg ob der Tauber. Daher wurde eine denkmalschutzrechtliche Erlaubnis bei der höheren Denkmalschutzbehörde der Regierung von Mittelfranken eingeholt. Laut diesem Bescheid konnte nur die Sanierungsvariante 1S die Anforderungen des Denkmalschutzes gewährleisten [4]. Auch wurde eine detaillierte Abstimmung mit dem Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege gefordert. Hierzu wurden vor Ort die untersuchten Varianten für die Stützwand vorgestellt und das geplante Geländer bemustert. Um für die Sanierung der Stützwand das patentrechtlich geschützte Verfahren der Fa. Bau-Sanierungstechnik (BST) anzuwenden, war es notwendig bei der Regierung von Mittelfranken die Zustimmung zur freihändigen Vergabe einzuholen. Die verschiedenen Varianten und Untervarianten für die Geländerkonstruktion die den Anforderungen als Absturzsicherung entsprachen wurden vorab mit der höheren Denkmalschutzbehörde und dem Bay. Landesamt für Denkmalpflege abgestimmt. Für die Bemusterung vor Ort wurden durch den Bauhof der Stadt Rothenburg zwei Felder eines Mustergeländers der Variante 7 hergestellt und beschichtet. Leider konnte in Sachen Geländer kein Einvernehmen zwischen dem Landesamt für Denkmalpflege, der Stadt Rothenburg und dem Staatlichen Bauamt hergestellt werden, da nun vom Landesamt ein Holzgeländer gefordert wurde. 3.3 Vergleichsobjekt Die Instandsetzung der Stützwand sollte gemäß der Variante 1S mit dem Verfahren von BST erfolgen. Daher wurden die Besonderheiten dieses Verfahrens recherchiert und ein Vergleichsobjekt in der Nähe besichtigt. Bei der besichtigten Stützwand in Heilsbronn handelt es sich um eine mehrere Meter hohe Wand, die das Gelände zu einem Innenhof abstützt. Hier wurden zuerst die alten Mörtelfugen ausgestemmt und ausgekratzt, das Mauerwerk gereinigt und mit einer Art Putzmaschine neu verfugt. 3.4 System BST Bei den nachfolgenden Systemen der Fa. Bau-Sanierungstechnik (BST) handelt es sich um patentrechtlich geschützte Verfahren. Die Verfahren werden nur allgemein grob wiedergegeben. Für genauere Angaben wird auf die Internetadresse im Literaturverzeichnis verwiesen [5]. BST-Systemvernagelung: Nach dem neuen Verfugen der Ansichtsfläche werden bei dem Verfahren der Systemvernagelung Ankerbohrungen in die bestehende Stützwand und den Hinterfüllbereich eingebohrt. Anschließend werden die Bohrungen für die Rückverankerungen in die Stützmauer niedergebracht. Um die Beton-Lastverteilungselemente herzustellen, wird mit dem Düsenstrahlverfahren ein runder Hohlraum hinter der Stützwand erzeugt. Hierbei dienen die unteren Bohrungen als Ablauföffnung für den gelösten Boden und das Strahlwasser. Die Öffnung wird so lange gespült bis sauberes Wasser aus den Ablauföffnungen austritt. Dies zeigt dem Geräteführer an, dass der Hohlraum die gewünschte Größe erreicht hat. Nun werden die Edelstahlnadeln und die Daueranker durch die Bohrungen für die Rückverankerungen gesteckt und die unteren Ablauföffnungen verschlossen. Die 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 339 Instandsetzung einer Natursteinmauer Daueranker werden verpresst und die Rückverankerungselemente betoniert. Abschließend werden auch die oberen Öffnungen der Edelstahlnadeln mit Mörtel verschlossen. Abb. 2: BST-Systemvernagelung[5] BST-Pfeilerrücklagen: Den Unterschied der Pfeilerrücklagen zur Systemvernagelung bilden die in der Höhe durchgehenden pfeilerartigen Betonblöcke, die in regelmäßigen Abständen hinter der Stützwand hergestellt werden. Dadurch kann auf Daueranker, die sehr tief in den Untergrund der Hinterfüllung eingebracht werden müssen, verzichtet werden. Diese Methode kommt bevorzugt zum Einsatz, bei hoher oder unbekannter Spartendichte im Hinterfüllbereich. Die Pfeilerrücklagen können auf unterschiedliche Weisen hergestellt werden. Dazu wird der Hohlraum hinter der Stützwand entweder über Ausspülen des Hinterfüllboden, über Ausbaggern oder über Aussaugen mit entsprechender Gerätschaft hergestellt. Abb. 3: BST-Pfeilerrücklagen[5] 3.5 Ausführungsplanung Bevor mit der Ausführungsplanung begonnen werden konnte, waren Schürfe für die Erstellung eines Bodengutachtens erforderlich. Hier zeigte sich, dass die Natursteinwand mit dem klüftigen Felsuntergrund regelrecht vermauert war. Bei der Stützwand in Rothenburg o.d.T. wurde das System mit den Pfeilerrücklagen gewählt, da bereits Strom-, Wasser- und Telefonleitungen im Hinterfüllbereich bekannt waren, die jedoch trotzdem teilweise verlegt werden mussten. Abb. 4: Schnitt A-A, Ausführungsplanung [7] Die Pfeilerrücklagen weisen eine Stärke von 50 cm und eine Höhe von mindestens 1,45 m auf. Sie wurden in einem Achsabstand von 1,5 m angeordnet und mit Edelstahlnadeln DN 12 mm im Abstand von 30 cm mit der Natursteinmauer vernadelt. Um die Wirksamkeit der Vernadelung auch rechnerisch nachzuweisen wurden vom Prüfingenieur Auszugsversuche gefordert. Diese wurden durch die Hochschule Karlsruhe mit den Edelstahlnadeln DN 12 mm sowohl in der vollflächig vermörtelten Mauerwerksfuge als auch im Stein durchgeführt und ausgewertet. Dabei wurden die geforderten Auszugswerte deutlich übertroffen. Es konnte auch kein Unterschied im Tragverhalten in Abhängigkeit vom Einbauort (Stoß-, Lagerfuge oder Vollstein) festgestellt werden [6]. Somit stand einer geprüften Ausführungsstatik für die sanierte Stützwand nichts mehr im Weg, was einer der wesentlichen Vorteile dieses Verfahrens ist. Außerdem bleibt die Ansichtfläche im Wesentlichen unverändert und Ausbauchungen oder Schiefstellungen bis zu einem gewissen Grad können im Mauerwerk verbleiben. 340 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Instandsetzung einer Natursteinmauer Abb. 5: Längsabwicklung, Ausführungsplanung [7] 4. Baudurchführung 4.1 Bauvorbereitung Da die Zustandserfassung, Planung und Einholung der Genehmigungen für die Baumaßnahme einen gewissen Zeitbedarf benötigten, wurde als Provisorium eine Absturzsicherung beim einsturzgefährdeten Bereich der Stützmauer und ein Bauzaun entlang des morschen Holzgeländers errichtet. Dadurch konnte der Fußweg, zumindest bis zum Start der Bauarbeiten, wiedereröffnet werden. Als Vorbereitung der Bauarbeiten musste die Stützwand auf mindestens einen Meter Breite von Bewuchs freigeschnitten werden, um für die Sanierung ein Arbeitsgerüst auf bauen zu können. Hierzu waren zuvor Begehungen eines Biologen und eine Artenschutzrechtliche Prüfung erforderlich. Um brütende Vögel und Reptilien zu schützen, konnten die Holzungsarbeiten nur von Anfang Oktober bis Ende Februar durchgeführt werden. Zum Fällen der Bäume im steilen Gelände wurde ein Mobilbagger mit Zange eingesetzt. Durch tagelangen Regen war jedoch so viel Wasser in den Untergrund eingedrungen, dass der Bagger auf dem Fußweg einbrach und die Stützwand im oberen Bereich etwas verschoben wurde. Zum Glück wurde niemand verletzt. Der Bagger musste jedoch am nächsten Tag mit Hilfe eines Mobilkrans von der Staatsstraße aus geborgen werden. Die restlichen Bereiche der Stützwand wurden dann von der Straßenmeisterei Rothenburg o.d.T. aufwendig von Hand freigeschnitten. 4.2 Bereichsweiser Rückbau und Wiederaufbau Der einsturzgefährdete Bereich wurde bis auf ca. 1,5 m Höhe zurückgebaut und fachgerecht mit gemörtelten Fugen wiederhergestellt. Dabei konnte nur noch mit kleinstem Gerät gearbeitet werden, da in dem steilen Gelände mit keinem LKW gefahren werden konnte. 4.3 Instandsetzung mit Pfeilerrücklagen Um die Stützwand für die Sanierung mittels Pfeilerrücklagen vorzubereiten, musste die Natursteintrockenmauer von Wurzeln befreit und die Wand gereinigt werden. Anschließend wurde die Ansichtsfläche maschinell mit Trasskalkmörtel verfugt. Abb. 6: Ansichtsfläche Vorbereitung Natursteinwand Diese Fugenfüllung ist jedoch nicht tief und reicht maximal acht Zentimeter von der Vorderkante des Steins in die Fuge hinein. Nach ausreichender Erhärtung wurden in einem nächsten Schritt in den Lagerfugen Löcher gebohrt und die Lagerfuge vollflächig mit Mörtel verpresst. Hierbei diente die zuerst erstellte Fugenfüllung als Verdämmung, damit aus der Ansichtsfläche kein Mörtel austreten konnte. Die Hohlräume für die Pfeilerrücklagen wurden mit Hilfe eines Saugbaggers hergestellt. Zuvor war die Asphaltschicht im Maße der Pfeilerrücklagen ausgeschnitten worden. Da der Materialtransport durch absaugen mit einem Schlauch zum LKW auf der Staatsstraße erfolgte, war es möglich auf dem beengten Weg sehr effizient zu arbeiten. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 341 Instandsetzung einer Natursteinmauer Abb. 7: Saugbagger Die zuvor provisorisch verlegten Leitungen konnten durchtrennt werden bzw. wurden in die Pfeilerrücklagen mit einbetoniert. Bevor die Pfeilerrücklagen betoniert werden konnten mussten noch die Löscher für die Edelstahlnadeln gebohrt und nach dem Einlegen der Nadeln wieder mit Mörtel verschlossen werden. Abb. 8: Baugrube für Pfeilerrücklage In der fertiggestellten Ansichtsfläche sieht man die Bohrlöcher nicht mehr. Die einzigen verbleibenden Öffnungen sind die Drainageöffnungen, die den Auf bau eines hydrostatischen Drucks verhindern sollen. Abb. 9: Fertiggestellte Wandfläche (ohne Geländer) 4.4 Geländer Die alte Absturzsicherung bestand aus quadratischen Holzpfosten, die mit der Natursteinmauer über ein einbetoniertes U-Profil verbunden waren und einem Rundholz als Handlauf. Da diese Konstruktion nicht den allgemeinen Anforderungen der Unfallverhütung oder der ZTV-Ing. entsprach, wurden verschiedene Varianten untersucht, um eine sichere und dauerhafte Absturzsicherung zu gewährleisten. Dabei war es erforderlich, dass die Verankerung des Geländers dem Holmdruck standhält und ein Durchfallen oder Übersteigen für Personen, insbesondere für Kinder, verhindert wird. Die Geländerkonstruktion sollte möglichst schlank und unauffällig sein und zur Natursteinwand passen. Die Stützwand hat eine Brüstungshöhe von ca. 15 - 40 cm. Es wurden auch Varianten untersucht, die Geländerverankerung auf Einzelfundamenten vor der Brüstungswand zu befestigen. Dies hätte jedoch den Fußweg noch weiter eingeengt und wurde auch vom Landesamt für Denkmalpflege abgelehnt. Somit kam also nur eine Verankerung der Geländerkonstruktion auf der sanierten Stützwand in Betracht. Um eine Aussage zum aufnehmbaren Holmdruck zu erhalten, wurden von der TU München horizontale Druckversuche durchgeführt. Dabei wurden an mehreren Stellen die Lasten, die auf den Geländerpfosten einwirken, simuliert. Die Pfosten sollen in der sanierten Natursteinwand mit Kernbohrungen und Mörtelfüllung hergestellt werden [8]. 342 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Instandsetzung einer Natursteinmauer Abb. 10: Planung Geländer Var. 7 Abb. 11: Bemusterung Geländer Dementsprechend wurden auch für den Druckversuch Pfosten in die Natursteinwand einbetoniert. Die Last wurde mittels Druckzylinder aufgebracht und die Abb. 12: Druckversuch Geländer Verformungen mit einem Wegaufnehmer aufgezeichnet. Die aufgebrachten Lasten konnten dabei, ohne Schäden an der sanierten Natursteinwand zu verursachen, aufgenommen werden. Derzeit werden noch die Ausführungspläne für das neue Geländer erstellt, welches dann in 2023 montiert werden soll. 5. Fazit Durch den schlechten Zustand der in Vergessenheit geraten Stützwand war eine kurzfristige Einschränkung des Fußweges erforderlich. Eine regelmäßige Bauwerksprüfung und ein koordiniertes Erhaltungs-management können solche Einschränkungen der Verkehrsinfrastruktur verhindern. Durch das innovative Instandsetzungssystem, das verschiedene Bauweisen zu einem patenrechtlich geschützten Verfahren kombiniert, konnte die Stützwand in Rothenburg o.d.T. in kurzer Bauzeit saniert werden. Dabei war die vorgestellte Instandsetzung wesentlich günstiger als ein Ersatzneubau und konnte die Anforderungen an den Denkmalschutz erfüllen. Literatur [1] Vereinbarung Unterhalt und Baulast eines Gehweges entlang einer Staatsstraße zwischen dem Freistaat Bayern und der Stadt Rothenburg ob der Tauber, 1984 [2] Bauwerksprüfung, StBa Ansbach, 2019 [3] Variantenuntersuchung, StBa Ansbach, 2019 [4] Denkmalschutzrechtliche Erlaubnis nach Art. 6 BayDSchG, Reg.v.Mfr., 2020 [5] www.bau-sanierungstechnik.de, 2020 [6] Gutachten Hochschule Karlsruhe, 2021 [7] Bestandsübersichtsplan, StBa Ansbach, 2021 [8] Stadt Rothenburg o.d.T., 2022 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 343 Modulare Bauverfahren zur Böschungssicherung Fertigteilbauweisen im Infrastrukturbau Mark Biesalski Glatthaar Starwalls GmbH & Co. KG, Schramberg-Waldmössingen Zusammenfassung Die bauliche Böschungssicherung ist in Deutschland geprägt von konventioneller Ortbetonbauweise. Modulare Fertigteilbauweisen ermöglichen es heute, die Vorteile des Ortbetons mit den Vorteilen von Fertigteilen in einem Bauwerk zu vereinen. Damit entsteht eine neue modulare Bauweise in Anlehnung an bestehende technische Ausführungsbestimmungen. 1. Einführung Der Zustand unserer Infrastrukturnetze erfordert in den kommenden Jahrzehnten enorme Investitionen in den Neubau und die Sanierung unserer Bauwerke. Die Baustellendichte erzeugt jeden Tag kilometerlange Staus und damit einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe. Hinzu kommt der Fachkräftemangel, der sich insbesondere auf zeitaufwendige, konventionelle Bauweisen auswirkt. Der Ingenieurbau der Zukunft muss schneller, effektiver, wirtschaftlicher und nachhaltiger werden. 2. Verfahren zur Böschungssicherung Die Auswahl des richtigen Verfahrens ist abhängig von vielen Faktoren und Randbedingungen. Hier näher beleuchtet werden insbesondere modulare Stützwände, sowie Spezialtief bauverfahren mit einer Verblendung mit Fertigteilvorsatzschalen. 2.1 Winkelstützwände in modularer Bauweise Neben standardisierten Fertigteilbauweisen, wie z. B. L- Winkelsteine oder Schwergewichtsmauern aus Systemblöcken, sind es insbesondere die freiplanbaren Fertigteilbauweisen, die immer mehr im Ingenieurbau zum Einsatz kommen. Massive Fertigteilwände mit einer Fundamentaus-bildung in Ortbeton sind als Maßanzug für den Planer und Bauherrn eine schnelle und wirtschaftliche Alternative zu konventionellen Bauweisen. Bauwerke dieser Art sind statisch und architektonisch frei planbar. Wandstärken, Bauteilabmessungen und Bewehrungs-grad sind individuell festlegbar. Die Planung und Ausführung kann auf Grundlage bestehender Regelwerke, wie der ZTV-Ing., erfolgen. Die Fundamentplatte kann als Ortbetonbauwerk frei dimensionierbar unter die Fertigteilwand gelegt werden oder auch als L-Winkelbauweise an die Fertigteilwand anschließen. Die Fundamentplatte wird analog zu Ortbetonbauwerken als durchgängig bewehrtes und betoniertes Bauwerk ausgebildet. Bei dieser Bauweise kommt, im Gegensatz zu Ortbetonbauwerken, zuerst die Wand und dann das Fundament. Abb. 1: Regelquerschnitt einer modularen Fertigteilbauweise 2.1.1 Gründungsformen von Stützwänden Bei ausreichender Tragfähigkeit des Baugrundes, ist die Flachgründung in frostsicherer und tragfähiger Tiefe die häufigste Gründungsform. Hierzu wird das Fundament in Abmessung, Stärke und Bewehrungsgrad auf Grundlage statischer Eingangsgrößen und der Boden-kennwerte bemessen. Spezialgründungen sind bei einer modularen Fertigteilbauweise mit einem Ortbetonfundament jederzeit möglich. 2.1.2 Gründung auf Bohrpfählen und Spundwänden Bei schlechtem Baugrund oder bei mangelndem Platz für eine klassische Abböschung werden häufig Spezialtief bauverfahren, wie Bohrpfähle und Spundwände eingesetzt. Bei solchen Gründungsarten werden die Fertigteilwände auf diesen Gründungsverfahren aufgeständert und anschließend mit einem Ortbetonbalken statisch angeschlossen. 344 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modulare Bauverfahren zur Böschungssicherung Abb. 2: Regelquerschnitt Gründung auf Bohrpfahlwand 2.1.3 Gründung auf Mikropfählen Bei schlechtem Baugrund oder auch zur Optimierung von Fundamentbemessung sind Zug- und Druckpfähle eine gute Möglichkeit zur Aufnahme statischer Kräfte. Hier kommt insbesondere auf eine gute Detailplanung an, um die Pfahlköpfe optimal in die Anschluss- und Fundamentbewehrung einzubinden. Abb. 3: Regelquerschnitt Gründung mit Mikropfählen 2.2 Modulare Fertigteilvorsatzschalen Spezialtief bauverfahren, wie Bohrpfähle, Spundwände und rückverankerter Spritzbeton, müssen häufig nachträglich in ihrer Ansichtsfläche gestaltet werden. Konventionell geschieht das, in der Regel, mit zusätzlichen Ortbetonwänden unter erheblichen Kosten- und Zeitaufwand. Innovative Fertigteilvorsatzschalen können hier eine wirtschaftliche Lösung sein. Gegründet auf einem Fundament, werden solche Systeme mit einem Ortbetonkopfbalken statisch an das jeweilige Verbauverfahren angeschlossen. Die Entwässerung liegt häufig mittels Drainage zwischen Verbauverfahren und der Vorsatzschale. Bei Spundwänden wird aus Korrosionsgründen der Ringraum mit Beton verfüllt. Insbesondere bei rückverankerten Spritzbetonwänden müssen die möglichen Toleranzen in der Ausführung bei der Planung einer Fertigteilvorsatzschale berücksichtigt werden. Abb. 4: Regelquerschnitt Vorsatzschale vor Spundwand Abb. 5: Ausführungsbeispiel einer Vorsatzschale im Montagezustand. 3. Fugenabdichtung in der modularen Bauweise Die klassische Fugenbandkonstruktion aus Ortbetonbauwerken, lässt sich in der Fertigteilbauweise nur mit erheblichem Mehraufwand realisieren. Zur Abdichtung von Bewegungsfugen setzt man bei Fertigteilen häufig auf Kompressionsdichtungen, in Verbindung mit einem dauerelastischen Verguss. Diese Abdichtungsvarianten sind mit ihren mechanischen Eigenschaften und dem Abdichtverhalten eine gleichwertige Alternative zum klassischem Fugenband. Abb. 6: Kompressionsprofil EK 15/ 25 System/ Quelle TPH Norderstedt 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 345 Modulare Bauverfahren zur Böschungssicherung 4. Gestaltung von Ansichtsflächen Die Fertigteilbauweise erlaubt vielfältige und wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten der Ansichtsfläche von Fertigteilwänden. Bedingt durch die liegende Fertigung solcher Wandsysteme sind hochwertige Sichtflächen deutlich einfacher zu erzielen, wie bei Ortbetonbauwerken in stehender Schalung. Von schalungsglatt bis zu individuellen Matrizenstruktur, sind viele Ausführungsvarianten möglich. Auch die Integrierung von echten Natursteinverbänden in die Fertigteilwände, ist eine sehr wirtschaftliche Ausführungsart gegenüber konventionell gemauerten Natursteinvorsätzen. Abb. 7: Modulare Stützwand mit integrierter Natursteinverblendung 5. Bauen in Rekordzeit Bei einer Höhenfreimachung in Ingolstadt konnte sich 2019 die modulare Fertigteilbauweise einer Böschungsabfangung ganz besonders beweisen. 2660 m² Stützwand in 3 Etagen in nur 9 Monaten. Nicht nur die erhebliche Verkürzung der Bauzeit war für den Bauherrn ausschlaggebend, sondern auch die deutliche Reduzierung der Baukosten und der hohe Vorfertigungsgrad. Als Maßanzug musste sich die Stützwand an das neu errichtete Brückenbauwerk anpassen. Abb. 8: BV Hepberg, 1.Etage, Stützwand mit Natursteinverblendung und Anschlussbewehrung Böschungshöhen von bis zu 9,0 m waren statisch eine Herausforderung. Die Umsetzung zeigt, wie individuell modulare Fertigteilbauweisen an statische Voraussetzungen und örtliche Gegebenheiten angepasst werden können. Abb. 9: BV Hepberg, Modulare Fertigteilstützwand 6. Innovative Produktionsverfahren Nicht standardisierbare Fertigteilbauweisen im Ingenieurbau waren bisher in der Produktion nur schwer automatisierbar. Ein innovatives Verfahren der Firma Aeditive aus Hamburg macht mit ihrem 3D-Druck Verfahren Hoffnung auf mehr Digitalisierung in der Fertigteilproduktion. Bei diesem 3D-Druck Verfahren wird in Anlehnung an ein Spritzbetonverfahren gearbeitet. Bewehrungskörbe werden mit Industrierobotern eingespritzt und zu einem finalen Fertigteil modelliert. Abb. 10: Concrete Aeditor im Fertigteilwerk, Quelle Fa. Aeditive Literatur [1] Glatthaar Starwalls: Ausschnitte aus umgesetzten [2] Ausführungsplanungen [3] Glatthaar Starwalls: Eigene Literatur und technische Aufzeichnungen [4] Mark Biesalski: Fachartikel „Strassenbaubeschleunigung“ in Straßen und Tiefbau 2/ 2020 Radverkehr 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 349 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Prof. Dr.-Ing. Thorsten Cypra Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Saarbrücken Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe Prof. Dr.-Ing. Jan Riel Hochschule Karlsruhe Tim Wiesler, M. Sc. Hochschule Karlsruhe Niklas März, M. Eng. Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar), Saarbrücken Zusammenfassung Die Bereitstellung von durchgehenden sowie sicher und komfortabel befahrbaren Radverkehrsanlagen ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine breite Akzeptanz des Fahrrades als alltägliches Verkehrsmittel. Zahlreiche Kommunen haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine dahingehende Transformation des Verkehrsnetzes begonnen und konnten innerhalb überschaubarer Zeiträume beachtliche Veränderungen des Modal Split erreichen. Radfahrende sind Witterungseinflüssen deutlich mehr ausgesetzt als die Nutzer von ÖV und Kfz. Dies schlägt sich auch in Verkehrszählungen nieder: So führt bereits in den Morgenstunden einsetzender Regen - unabhängig von der Jahreszeit - zu einem deutlichen Rückgang des Radverkehrsaufkommens. Dies zeigt, dass gerade in den Wintermonaten die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Radverkehrsinfrastruktur eine hohe Bedeutung hat und ein zuverlässiger Winterdienst neben Planung und Bau der Infrastruktur hierfür einen maßgeblichen Beitrag leisten kann. Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurden das Institut für Verkehr und Infrastruktur der Hochschule Karlsruhe (HKA) und das Fachgebiet Straßen- und Verkehrswesen der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw-saar) beauftragt, Empfehlungen zu erarbeiten, wie der Radverkehr im Winter durch einen optimierten Winterdienst gefördert werden kann. Grundlagen der zu erarbeitenden Maßnahmen waren umfassende Erhebungen und Untersuchungen zum Winterdienst und zum Radverkehr bei winterlicher Witterung in den drei ausgewählten Kommunen Karlsruhe, Köln und München. Mit Hilfe von Befahrungen bei winterlichen Bedingungen wurden Probleme sowohl aus Sicht der Radfahrenden als auch aus Sicht des Winterdienstes erkannt. Weiterhin wurde mit Hilfe einer durchgeführten Umfrage bei Radfahrenden das Entscheidungs- und Fahrverhalten bei winterlichen Bedingungen erfragt. Messungen zum zeitlichen und räumlichen Liegeverhalten von Streustoffen haben Erkenntnisse zur optimierten Streustrategie auf Radwegen gebracht. Die Empfehlungen umfassen neben Konzeption und Durchführung des Winterdienstes auch die winterdienstfreundliche Planung und Gestaltung von Radverkehrsanlagen sowie die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Radverkehr im Winter und basieren bei einzelnen Maßnahmen auf Grundlage von differenzierten Nutzen-Kosten-Bewertungen. 1. Einführung Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) vertreten durch die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hatten die Hochschule Karlsruhe (HKA) und die Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken (htw saar) mit einem Forschungsprojekt zur nachhaltigen Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst beauftragt. Das seit Jahren steigende Radverkehrsaufkommen in Deutschland rückt die Erfordernis einer ganzjährig gut und sicher befahrbaren Radverkehrsinfrastruktur in den Fokus der Öffentlichkeit. Bezogen auf den Winterdienst sind Radfahrende vielerorts mit Mängeln konfrontiert: • Eine unzuverlässige Betreuung selbst verkehrswichtiger Verbindungen • Unklarheit über die örtlichen Leistungen des Winterdienstes • Deutliche Qualitätsunterschiede auf einer Verbindung • Ineffektive Betreuung durch unpassende Betriebsmittel und Streustoffe Obwohl aufgrund des Klimawandels bundesweit mit einem Rückgang von Tagen mit Schneefall und überfrierender Nässe zu rechnen ist, stellen Glätteereignisse in der Winterperiode eine ernstzunehmende Gefährdung für den Radverkehr dar. Auch sind regional weiterhin regelmäßige Räumeinsätze notwendig, um das Fahrrad als witterungsunabhängiges Verkehrsmittel für Alltagswege zu etablieren. Ziel des Projektes war es, umfassende Empfehlungen zur Förderung des Radverkehrs im Winter 350 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst zu geben, die neben dem Winterdienst auch die Planung von Radverkehrsanlagen und Informations- und Kommunikationsmaßnahmen für die Radfahrenden umfassen. 2. Untersuchung des Winterdienstes auf Radwegeverbindungen in Kommunen Grundlagen der zu erarbeitenden Maßnahmen waren umfassende Erhebungen und Untersuchungen zum Winterdienst, zur Radverkehrsinfrastruktur und zum Radverkehr bei winterlicher Witterung in den drei ausgewählten Kommunen Karlsruhe, Köln und München. Dabei wurde zunächst neben der Winterdienstpraxis und eingesetzter Räum- und Streutechnik die Systematik ausgewiesener (Winter-) Radrouten betrachtet. In diesem Rahmen fanden Gespräche mit verschiedenen Akteuren z. B. in Form von Workshops mit dem Betriebspersonal statt. In den untersuchten Kommunen wurden jeweils Routen mit einer Gesamtlänge von ca. 50 km ausgewählt, die in den beiden Winterperioden 2020/ 2021 und 2021/ 2022 bei winterlichen Bedingungen befahren, mit einer Kamera dokumentiert und ausgewertet wurden. Dabei wurden Verbindungen aus äußeren Stadtteilen oder Vororten ins Zentrum betrachtet, welche auch über Zuständigkeitsgrenzen verlaufen und verschiedene Führungsformen beinhalten. Die klassifizierte Befahrbarkeit konnte anschließend mit den Winterdienst- Einsatzdaten verglichen werden. Dabei wurde deutlich, wo Probleme in der Praxis liegen und wie dies die Befahrbarkeit für den Radverkehr beeinträchtigt (Beispiele siehe Abb. 1). Außerdem ließ sich feststellen, wie lange mit der eingesetzten Räum- und Streutechnik je nach Witterung eine gute Befahrbarkeit gewährleistet werden kann. Teilweise wurden Routen hierfür auch an einem Tag mehrfach befahren. Abb. 1: Mit Schnee zugeschobene Radwege durch den Straßenwinterdienst [Bildquelle Wiesler (links), Cypra (rechts)] Abb. 2: Zu geringe Durchfahrtsbreite für das Winterdienst-Schmalspurfahrzeug [Bildquelle März] Für ausgewählte Tage wurde weiterhin der gesamte durchgeführte Winterdienst auf Fahrbahnen und Radverkehrsinfrastruktur in den Kommunen analysiert. Dazu wurden einzelne Winterdiensteinsätze mit Kameras aufgezeichnet und ausgewertet. Diese Videoaufzeichnungen gaben Aufschluss über Problemstellen und -bereiche sowie vermeidbare Zeitverluste durch Hindernisse, wie z. B. Pfosten oder zu schmale Durchfahrtsbreiten (vgl. Abb. 2). Zur Systematisierung der gemachten praktischen Erfahrungen mit dem Fahrradfahren im Winter und dahingehenden Einstellungen wurde ein Online-Fragenbogen für Radfahrende in den drei Kommunen erarbeitet, der von knapp 3000 Personen vollständig beantwortet wurde. Aufgrund der hohen Anzahl der Teilnehmenden und dem breiten demografischen Spektrum konnten mit den Rückmeldungen für die jeweiligen Kommunen repräsentative Aussagen getroffen werden. Der Fragebogen wurde in 7 Themenfelder, u.a. zur Fahrradnutzung und zum Mobilitätsverhalten, zu Erfahrungen zum Fahrradfahren oder zur Meldung von schlechten Zuständen auf Radwegen im Winter, mit jeweils mehreren Fragegruppen aufgeteilt. Insbesondere für erfahrene Radfahrende stellen schlechte Witterungsverhältnisse kaum ein Hemmnis dar. Ein unzuverlässiger oder nicht durchgängig durchgeführter Winterdienst auf Radrouten kann hingegen dafür sorgen, dass Radfahrende sich erheblich eingeschränkt fühlen. Als besonders unangenehm werden Schneewulste auf Radfahr- und Schutzstreifen betrachtet. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 351 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Abb. 3: Bewertung der Befahrbarkeit von verschiedenen winterlichen Fahrbahnsituationen Auch von routinierten Radfahrenden werden starke Schneedecken, sowohl auf Radwegen als auch Fahrradstraßen, sowie Eisglätte als gefährlich bewertet (siehe Abb. 3)., d.-h. Situationen, welche bei seltenen Witterungssituationen oder bei stark reduzierten Winterdiensttätigkeiten auftreten. Aber auch Schnee auf Schutzsteifen oder Radfahrstreifen wird besonders negativ bewertet, diese Situation tritt in Städten mit einem großen Netz aus markierten Führungsformen besonders häufig auf und auch schon bei geringen Schneemengen, die dann aber von der breiteren Fahrbahn auf den Schutzstreifen/ Radfahrstreifen geschoben werden. Leichtere Schneerückstände oder auch eine geschlossene, aber dünne Schneedecke werden weniger kritisch gesehen. Die Mehrheit ist bereit, im Winter auf ein besonders großes Radnetz zu verzichten, solange es ausgewiesene und zuverlässig betreute Routen gibt, welche bei jeder Witterung gefahrlos befahren werden können. Angebote wie ein eigenes Winterradnetz oder Mängelmelder sind jedoch selbst erfahrenen Radfahrenden oft noch unbekannt. Des Weiteren spielt der Aspekt der Beleuchtung von Strecken für das Sicherheitsgefühl vieler Radfahrender im Winter eine große Rolle. Der Einsatz von Streustoffen auf Radwegen ist in vielen Kommunen unterschiedlich. Zur Optimierung der Streustrategie auf Radwegen wurde im Rahmen dieses Forschungsprojektes das Verfahren der BASt zur Untersuchung der zeitlichen und räumlichen Verteilung von Streustoffen (FS100, FS30 und FS0) auf der Fahrbahnoberfläche mit dem Spül-Saug-Gerät nach ESG auf Radwegen angewendet. Im Ergebnis kann man festhalten, dass bei präventiven FS 100 Streuungen die Sole durch den Radverkehr nicht verschleppt wird und somit bis zum Einsetzen von Niederschlägen eine lange Wirkung zur Glättevermeidung erzielt werden kann. Zudem haben sich folgende Erkenntnisse und Empfehlungen aus den Versuchen ergeben: • Zur Optimierung der Streustoffaustragung müssen die Streudichten weiter untersucht werden. • FS 100 weist bei den Versuchen eine deutlich bessere Verteilung auf als FS 30 und FS 0 • Die aus den Empfehlungen für Winterdienst für Fahrbahnen übertragenen Streudichten sind ausreichend für den Winterdienst auf Radwegen. • Ausgebrachtes Feucht- und Trockensalz (FS-30 und FS- 0) werden durch Fahrradüberfahrten nicht verdrängt. Bei der Soleausbringung (FS- 100) können aber deutlich geringere Salzmengen gleichmäßig ausgetragen werden, die in vielen Fällen ausreichend sind. Auf bauend auf den gesammelten Erkenntnissen wurden mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des Winterdienstes auf Radwegeverbindungen erarbeitet. Diese gliedern sich in die drei Cluster Winterdienst; Planung, 352 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Bau und Ausstattung von Radverkehrsanlagen sowie zuletzt Radverkehr. Ausgewählte Maßnahmen wurden in einer Nutzen-Kosten-Analyse bewertet. Grundlage der Bewertung ist die Eintretenswahrscheinlichkeit winterlicher Witterungszustände. Die Kosten wurden in der Regel als Jahreskosten bei der Nutzen-Kosten-Analyse berücksichtigt. Um die Kosten möglicher Maßnahmen abzuschätzen, wurden, soweit verfügbar, Kostensätze aus den beteiligten Kommunen Karlsruhe, Köln und München herangezogen. Die für einen Teil der Maßnahmen durchgeführten Kosten-Nutzen-Bewertungen haben deutlich gemacht, dass vielfach bereits der unmittelbare Nutzen während der winterlichen Witterungsereignisse für den Radverkehr die Kosten deutlich übersteigt. Dieser Nutzen, der exemplarisch für die Stadt Karlsruhe mit nur wenigen Winterdienstereignissen ermittelt wurde, wird in anderen Regionen Deutschlands, in denen aufgrund der klimatischen Randbedingungen deutlich mehr winterliche Witterungsereignisse auftreten, noch deutlich höher ausfallen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass bei einer umfassenden Umsetzung möglichst vieler der empfohlenen Maßnahmen der Anteil der Radfahrenden im Winter insgesamt zunimmt, nicht nur an den Tagen mit winterlicher Witterung und nicht nur auf den unmittelbar betroffenen Radwegeverbindungen. 3. Empfehlungen und Folgerungen für die Praxis Auf Grundlage der Untersuchungen zum Winterdienst in den 3 Untersuchungsstädten Karlsruhe, Köln und München, der durchgeführten Befragung von Radfahrenden sowie die Analysen zur räumlichen und zeitlichen Streustoffverteilung auf Radwegen wurden im letzten Schritt entsprechende Empfehlungen erarbeitet: • Betreuung durchgehender Radwegeverbindungen im Winterdienst unabhängig von Baulastträgerschaft und Führungsform. Hierfür ist die Definition eines Winterradnetzes erforderlich, das vor Beginn des Berufsverkehrs winterdienstlich behandelt wird. Dabei sind sowohl separat geführte Radwege und kombinierte Geh-/ Radwege als auch Führungsformen auf der Fahrbahn (Radfahrstreifen, Schutzstreifen) einzubeziehen. Ebenso sind in dieses Winterradnetz Fahrbahnen, auf denen der Radverkehr im Mischverkehr, z. B. Fahrradstraßen, Anliegerstraßen oder auch landwirtschaftliche Wegeverbindungen, geführt wird, zu integrieren. Die Fahrbahnen sollten nach Möglichkeit durch Winterdienstfahrzeuge mit größerer Räumbreite betreut werden, um auch für den Kfz-Verkehr eine ausreichende Befahrbarkeit zu gewährleisten. • Bei Schneefallereignissen wiederholte Räumung des Winterradnetzes, wobei die Radwegeverbindungen während des Schneefalls nicht auf ihrer gesamten Breite geräumt werden müssen, sondern die Räumung entsprechend der Räumbreite der eingesetzten Fahrzeuge (ca. 1,50 m) ausreichend ist. Bei beidseitig geführten Radwegen sind zeitlich die Radwege in der Richtung zu priorisieren, auf denen die stärkere Radverkehrsbelastung besteht (z. B. morgendlicher Berufsverkehr). • Nach Ende des Schneefallereignisses Räumen weiterer Radwegeverbindungen (Sekundärnetz), wenn aufgrund der prognostizierten Witterung ansonsten mit einer längeren Schneebedeckung zu rechnen ist. • An Knotenpunkten Räumung aller von Radfahrenden genutzten Verkehrsflächen: An Knotenpunkten sind neben einer durchgehenden Verbindung auch Abbiegeverbindungen, Zu- und Abfahrten der Radwege und die Anfahrten an Taster bei Lichtsignalanlagen in der Einsatzplanung mit gleicher Priorität zu berücksichtigen. Kleine Flächen, die nicht maschinell geräumt werden können, sind ggf. manuell zu räumen. • Schneeablage situationsabhängig rechts oder links: Wenn ausreichende Ablageflächen vorhanden sind, sollte die Schneeablage rechts vom Radweg erfolgen. Wenn rechts neben einem Radweg direkt ein Gehweg mit geringer Breite verläuft, muss die Schneeablage auf dem Radweg erfolgen, so dass die nutzbare Breite reduziert wird. In diesem Fall kann auch eine Schneeablage links sinnvoll sein, um einen ausreichenden Abstand für die Radfahrenden von Bordsteinkante und Kfz-Verkehr zu ermöglichen. Eine Schneeablage im unmittelbaren Wurzelbereich von Bäumen sollte vermieden werden, um die Salzbelastung der Bäume zu minimieren; hier empfiehlt sich die Ablage hinter dem Wurzelbereich oder wenn ausreichend Platz vorhanden ist auf der baumabgewandten Seite. Eine Schneeablage auf offenen Grünflächen ist hingegen in der Regel unkritisch. Bei Radfahrstreifen und Schutzstreifen auf der Fahrbahn ist die Schneeablage rechts neben Radfahrstreifen oder Schutzstreifen vorzusehen. Wenn daneben Parkflächen angeordnet sind, ist der Trennstreifen hierfür in der Regel ausreichend breit. In Regionen mit starken Schneefällen sind die Trennstreifen ggf. breiter anzulegen, um ausreichende Ablageflächen zur Verfügung zu stellen. • Schutzstreifen und Radfahrstreifen auf der Fahrbahn sind in separaten Räumdurchgängen zu betreuen: In der Regel reicht die Räumbreite des Winterdienstfahrzeugs, das die Fahrbahn für den Kfz-Verkehr betreut, nicht aus, um Schutzstreifen und Radfahrstreifen vollständig zu räumen. Daher sind diese entweder in einem zweiten Durchgang oder mit einem separaten Fahrzeug zu räumen. Dieser Räumdurchgang sollte möglichst kurzfristig nach der Räumung der Kfz-Fahrbahn erfolgen, da durch den ersten Räumdurchgang der Radfahrstreifen bzw. Schutzstreifen zugeschoben und somit für den Radverkehr überhaupt nicht mehr befahrbar sein kann. Hieraus resultiert ein erhebliches Gefährdungspotenzial, da die Radfahrenden auf die Fahrbahn ausweichen müssen. Besonders vordringlich ist die unmittelbar nachfolgende Räumung, wenn auf der Fahrbahn Schienen verlegt sind, da die Radfahrenden dann in den Schienenbereich ausweichen müssen, woraus bei der winterlichen Witterung erhebliche Sturzrisiken resultieren. • Die Schneeräumung mit Kehrwalzen ist in der Regel zu bevorzugen, da das Räumergebnis erheblich besser als mit Pflügen ist. Kehrwalzen können bei trockenen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 353 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst Schneedecken bis zu 10 cm Schneehöhe eingesetzt werden, was in vielen Regionen mit hohem Radverkehrsaufkommen ausreicht, da diese eher schneearm sind. Bei stärkeren Schneefallereignissen ist die frühzeitige und wiederholte Räumung zweckmäßig, so dass für die Winterdienstfahrzeuge in der Regel keine zusätzlichen Schneepflüge notwendig sind, sondern z. B. nur für einzelne Fahrzeuge auch Pflüge vorgehalten werden sollten. • Streueinsätze in der Regel präventiv mit auftauenden Streustoffen: Da auftauende Streustoffe durch den Radverkehr nicht in den Seitenraum verfrachtet werden, bleiben sie lange auf dem Radweg liegen, wenn sie nicht durch Niederschlag weggespült werden. Dies gilt sowohl für Trockensalz als auch für Feuchtsalz oder das Ausbringen reiner Sole (FS 100). Aufgrund der gleichmäßigeren Ausbringung und des geringeren Salzgehalts wird in der Regel der Einsatz von FS 100 empfohlen. Bei einsetzendem Niederschlag sind Streudurchgänge zu wiederholen. Bei Witterungsperioden mit sich wiederholender leichter Reifglätte in den Morgenstunden kann aufgrund der Restsalzmenge auf dem Radweg auf Wiederholungseinsätze am Folgetag verzichtet werden. • Ausreichende Durchfahrtsbreite für Winterdienstfahrzeuge: Um eine durchgehende Betreuung zusammenhängender Radverbindungen zu ermöglichen, ist eine durchgehende Breite von 1,60 m zu gewährleisten. Diese sollte auch nicht durch herausnehmbare Poller eingeschränkt werden, da mit dem Herausnehmen und Wiedereinsetzen der Poller während des Winterdiensteinsatzes Zeitverluste verbunden sind. Auch wenn diese betriebswirtschaftlich kaum ins Gewicht fallen, sollten bei der Neuanlage von Radwegen Abstände vorgesehen werden, die eine Durchfahrt für den Kfz-Verkehr verhindern, eine Durchfahrt für die Schmalspurfahrzeuge jedoch ermöglichen. • Regelmäßige Überprüfung der Befahrbarkeit für Winterdienstfahrzeuge: Insbesondere in Baustellenbereichen mit temporären Verkehrsführungen werden aufgrund fehlender Flächen die verfügbaren Querschnitte für den Radverkehr reduziert. Hierbei ist darauf zu achten, dass diese Flächen weiterhin mit Winterdienstfahrzeugen befahren werden können, da ein Ausweichen der Radfahrenden auf die Fahrbahn nicht oder nur mit erheblichem Gefährdungspotenzial möglich ist. Diese Befahrbarkeit muss auch während der Bauzeit fortlaufend gewährleistet sein und darf nicht durch bauablauf bedingte Einengungen unterbrochen werden. Ggf. sind die Bauunternehmen kurzfristig zur unmittelbaren Beseitigung der Engstellen durch die Einsatzleitung aufzufordern. • Anlage von dezentralen Zwischenlagern für Streustoffe: Da die auf Radwegen eingesetzten Schmalspurfahrzeuge nur geringe Streubehältervolumen haben, kann es zur Reduktion von Leerwegen in größeren Kommunen oder auch für Straßenmeistereien sinnvoll sein, dezentrale Zwischenlager für Streustoffe (Salz oder Sole) einzurichten. Hierdurch können Einsatzkosten und Bedienzeiten, insbesondere bei Wiederholungseinsätzen reduziert werden, was sowohl zu Kosteneinsparungen für den Winterdienst als auch zu einer Qualitätssteigerung für den Radverkehr führt. • Baulastträgerübergreifende Vergabe von Winterdienstleistungen: Um die durchgehende Betreuung von hochrangigen Radwegeverbindungen auch bei unterschiedlichen Baulastträgern, z.-B. an Gemeindegrenzen, zu gewährleisten, kann die gemeinsame Vergabe in einer Ausschreibung mit entsprechender Kostenteilung sinnvoll sein. Hierbei sind in der Regel nicht nur einzelne Routen, sondern zusammenhängende Netze oder Teilnetze zu berücksichtigen, um einen für private Dienstleister attraktiven Leistungsumfang zu definieren. Bei der Vergabe sollten lange Vertragslaufzeiten angestrebt werden. Die Qualitätsstandards, die durch die privaten Dienstleister erbracht werden sollen, sind eindeutig in der Ausschreibung zu definieren und während der Vertragslaufzeit regelmäßig zu prüfen. Es ist davon auszugehen, dass dies mit höheren Kosten verbunden sein kann, je nach Verfügbarkeit potenzieller Dienstleister sind unterschiedliche Vertragsmodelle zweckmäßig. • Qualitätssicherung unter Einbeziehung der Radfahrenden und durch Kontrollfahrten des Personals: Sowohl bei der Betreuung durch Fremdunternehmen als auch durch verwaltungseigene Ressourcen werden Instrumente zur Qualitätsbewertung empfohlen. Hierbei sollten die Radfahrenden einbezogen werden, da diese aus eigenem Interesse hierfür leicht gewonnen werden können. Hierfür ist eine enge Zusammenarbeit mit den Verbänden, z.-B. ADFC, aber auch Unternehmen, Hochschulen oder Schulen anzustreben, um interessierte Radfahrende zu gewinnen. Weiterhin ist die Qualitätsprüfung auch durch regelmäßige Befahrungen des eigenen Personals, idealerweise mit dem Fahrrad, sinnvoll, was auch in Dienst- und Einsatzplänen Berücksichtigung finden muss. • Durchgehende Beleuchtung von Radwegeverbindungen: Wie u.a. die Umfrage bei den Radfahrenden deutlich gemacht hatte, ist neben winterlicher Witterung und schlechterer Befahrbarkeit bei winterlichen Fahrbahnzuständen auch die lange Dunkelheit während des Winters eine Ursache für die reduzierte Nutzung des Fahrrades. Obwohl Fahrräder zunehmend mit guter Beleuchtung ausgerüstet sind, werden Radwegeverbindungen, die nicht beleuchtet sind, von vielen Radfahrenden auch aus Gründen eines mangelnden subjektiven Sicherheitsempfindens bei Dunkelheit gemieden. Daher wird empfohlen, hochrangige Radwegeverbindungen außerhalb der geschlossenen Ortslage mit einer ortsfesten Beleuchtung auszurüsten. Die hierfür notwendigen Investitionen sind vor allem dann sinnvoll, wenn nur kurze Abschnitte auszustatten sind, z. B. zwischen zwei Ortsteilen, die außerorts verlaufen und nicht beleuchtet sind, die Radwegeverbindung aber ansonsten innerörtlich geführt wird. Um den Aspekten des Naturschutzes Rechnung zu tragen, 354 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Förderung des Radverkehrs im Winter durch optimierten Winterdienst sind hierfür innovative Lösungen, bei denen die Beleuchtung bedarfsabhängig nur im Umfeld des Radfahrenden eingeschaltet ist, möglich. • Berücksichtigung ausreichender Flächen für Winterdienst und Schneeablagerung: Es wird empfohlen, bei der Weiterentwicklung des technischen Regelwerks, insbesondere den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt), bei der Definition von Regelquerschnitten neben Radwegen, Radfahrstreifen und Schutzstreifen ausreichende Flächen für die Ablagerung des geräumten Schnees vorzusehen. Auch bei der Dimensionierung von Radverkehrsflächen in Knotenpunktbereichen ist die Befahrbarkeit mit Winterdienstfahrzeugen zu beachten. • Ausweisung von Winterradnetzen mit einem Piktogramm: Um den Bekanntheitsgrad der Winterradnetze bei den Radfahrenden zu steigern, wird empfohlen, diese Radwegeverbindungen mit einem Piktogramm auszuschildern. Dieses Piktogramm kann neben der Zielangabe angebracht werden. Die Ausstattung vorhandener Wegweiser kann einfach mit nachträglich angebrachten Aufklebern erfolgen. Die Ausschilderung sollte jedoch nur dann erfolgen, wenn die Routen auch tatsächlich zuverlässig im Winterdienst betreut werden. Eine ergänzende Informationskampagne zur Ausschilderung wird empfohlen. Abb. 4: Piktogramm zur Beschilderung von Strecken in einem Winterradnetz (links) und beispielhafte Darstellung des Piktogramms für das Winterradnetz neben der Zielangabe (rechts) • Echtzeit-Informationen zur Befahrbarkeit von Radwegeverbindungen: Für die Entscheidung, bei winterlicher Witterung mit dem Fahrrad zu fahren, ist die Einschätzung der Befahrbarkeit der Radwegeverbindungen von großer Bedeutung. Hierfür können Echtzeit-Informationen über durchgeführte Winterdiensteinsätze verbunden mit Informationen zur Witterung hilfreich sein. Daher wird empfohlen, eine entsprechende App für Internet und Smartphone zu entwickeln, die auf vorliegende Daten von Winterdienstbetreibern und Straßenwetterstationen zurückgreift. Voraussetzungen hierfür sind die automatisierte Einsatzdatenerfassung in den Winterdienstfahrzeugen sowie Straßenwetterstationen. Diese sollten zumindest teilweise auch Sensoren auf separat geführten Radwegen haben, eine Übertragung von in der Fahrbahn gemessenen Parametern ist aber eingeschränkt möglich. Die Anwendung ist baulastträgerübergreifend zu konzipieren und sollte alle Radwegeverbindungen einer Region abbilden. Alternativ können diese Funktionalitäten auch in bestehende Apps für die Radtourenplanung integriert werden. • Freihalten der Radwege von temporären Hindernissen: Die durchgehende Befahrung von Radwegeverbindungen mit Winterdienstfahrzeugen wird in einzelnen Kommunen durch temporäre Hindernisse erschwert. Dies können zum einen E-Scooter sein, die durch die Nutzer verkehrsbehindernd auf Radwegen abgestellt werden. Sollte dies häufig auftreten, werden saisonale Abstellverbote für E-Scooter empfohlen, die durch die digitale Definition von Sperrflächen umgesetzt werden können. Zum anderen können dies auch Abfall- oder Wertstoffsammelbehälter sein, die für die Abholung am Straßenrand auf Radwegen bereitgestellt werden. Tritt dies vermehrt auf, sind in Abstimmung mit Ab-fallentsorgungsbetrieben und Anwohnern alternative Stellplätze zu definieren. Generell wird empfohlen, die Umsetzung der vorgenannten Maßnahmen mit Informationskampagnen zu begleiten. Hierfür eignen sich sowohl klassische Printmedien und Informationsstände als auch Online-Formate und soziale Medien. Neben den während der Wintersaison aktiven Radfahrenden sollten hierbei gezielt auch Radfahrende, die nur außerhalb der Wintermonate das Fahrrad regelmäßig nutzen, als Zielgruppe angesprochen werden. Die konsequente Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen in Kombination mit der Information der Radfahrenden hierüber können den Radverkehrsanteil im Winter nachhaltig steigern. Wie die Nutzen-Kosten-Analysen deutlich gemacht haben, sind die hiermit verbundenen Kosten im Vergleich zum Nutzen durch gesteigerte Sicherheit und verbesserte Befahrbarkeit der Radwegeverbindungen verbunden mit einer Steigerung des Radverkehrsanteils im Winter insgesamt nur gering. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 355 Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) Yannik Wohnsdorf, M. Sc. Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik Zusammenfassung Um den Ausbaubedarf der Radinfrastruktur für das Land Baden-Württemberg systematisch zu erfassen, wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Konzeption für ein landesweites Radverkehrswegenetz erstellt. Die Konzeption wurde nach den Vorgaben der Richtlinien für die integrierte Netzgestaltung (RIN) entwickelt. Dabei werden die in den Landesentwicklungsplänen festgelegten, zentralen Orte miteinander verbunden. Bei anderen Verkehrsmodi (ÖV, MIV) ist dieser Ansatz üblich. Im Radverkehr wurde dieser bisher kaum verfolgt, was zu den heute vorhandenen Unzulänglichkeiten führt. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurde die Vorgehensweise nach den RIN für den Anwendungsfall einer landesweiten Konzeption für ein Radverkehrsnetz konkretisiert und angewendet. 1. Einführung Das Land Baden-Württemberg will zur Pionierregion für nachhaltige Mobilität werden und hat sich unter anderem zum Ziel gesetzt, den Anteil des Radverkehrs an allen Wegen bis 2030 um 20 - % zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden im Rahmen der RadSTRATEGIE BW verschiedene Handlungsfelder aufgezeigt. Eines davon ist die Verbesserung des Verkehrsangebots durch den Ausbau der Radinfrastruktur. [1] Einige Planungen des Landes Baden-Württemberg hierzu sind bereits in einem fortgeschrittenen Stadium. Was fehlt, ist eine übergeordnete Konzeption, die einerseits die vorhandenen Planungen in sich vereint und andererseits auch die Ableitung zusätzlich notwendiger Maßnahmen ermöglicht. Eine solche Konzeption dient bestenfalls auch der Begründung von Maßnahmen im Radverkehr sowie deren Priorisierung. 2. Arbeitsschritte der Netzplanung Im Folgenden werden die einzelnen Arbeitsschritte der Netzplanung in abgekürzter Form vorgestellt. Eine ausführliche Beschreibung der Methode und der Ergebnisse ist in der Zeitschrift „Straßenverkehrstechnik“ des Kirschbaum-Verlags für 2023 geplant. 2.1 Netzkonzeptionelle Überlegungen Zu Beginn der Netzplanung stehen die netzkonzeptionellen Überlegungen, bei denen festgelegt wird, welche Quellen und Ziele in Baden-Württemberg für die zu erstellende Netzkonzeption betrachtet werden sollen und welche Verbindungen zwischen diesen relevant sind. Entsprechend den Vorgaben der RIN [2] werden als Quellen und Ziele die zentralen Orte, genauer die Ober-, Mittel- und Unterzentren aus dem Landesentwicklungsplan übernommen. Für Baden-Württemberg werden ca. 5.700 Relationen zwischen den zentralen Orten auf verschiedenen Stufen, je nach Bedeutung des zentralen Orts, betrachtet. Die folgende Abb. 1 zeigt die zentralen Orte in Baden-Württemberg sowie beispielhaft die Verbindungsfunktionsstufe II zum nächstbenachbarten Zentrum. Abb. 1: Zentrale Orte und Verbindungsfunktionen der Stufe II zum nächsten Nachbarn in Baden-Württemberg (Hintergrundkarte: © OpenStreetMap-Mitwirkende). Bei dem Verfahren nach den Vorgaben der RIN handelt es sich um eine angebotsorientierte Netzplanung, die sich zusätzlich am Prinzip gleichwertiger Lebensverhältnisse und der Daseinsvorsorge orientiert. Auf diese Weise geplante Netze ermöglichen eine Erhöhung des Radverkehrsanteils in der Fläche statt nur in den Ballungsräumen, wo die Nachfrage entsprechend höher ist. 2.2 Verkehrswegenetzmodell Darüber hinaus wird ein Netzmodell benötigt, das einerseits alle heute vorhandenen Verkehrswege und andererseits auch die zukünftig geplanten Verkehrswegen für den Radverkehr enthält. Dazu wurden mehrere Daten- 356 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Netzkategorisierung für den Radverkehr in Baden-Württemberg nach den Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN) quellen miteinander verknüpft, um eine integrierte Betrachtung zu ermöglichen. Das Netzmodell muss routingfähig sein, sodass Routen auf den Relationen zwischen den zentralen Orten im Netz gefunden werden können. 2.3 Auswahl der Routen Aus der Gesamtheit der Verkehrswege im Netzmodell werden dann diejenigen Verkehrswege ausgewählt, die eine Verbindungsbedeutung entsprechend der netzkonzeptionellen Überlegungen haben. Dies geschieht über eine Routenwahl, bei der für jede Relation mit Verbindungsfunktion eine Route gesucht wird. Die Menge dieser Routen ergibt ein kategorisiertes Netz, in dem jedem Abschnitt eine Verbindungsbedeutung zukommt. Aus Landessicht wird eine Minimierung der Netzlänge und damit der Kosten für Bau und Unterhalt angestrebt. Außerdem sollen die vorhandenen Planungen des Landes miteinbezogen werden, so dass keine parallele Konzeption zu diesen entsteht. Aus Nutzersicht soll das Netz möglichst direkte Verbindungen ermöglichen. Um diesen beiden Zielen gerecht zu werden, wird das Netz in einem iterativen Verfahren sukzessive aufgebaut. Ausgangspunkt bilden die heute vorhandenen Planungen, die schrittweise dort, wo Lückenschlüsse erforderlich sind, um Strecken aus den anderen Datenquellen ergänzt werden. Das Ergebnis des Verfahrens ist ein kategorisiertes Netz, das sich aus den unterschiedlichen verwendeten Datenquellen zusammensetzt, wie in der folgenden Abb. 2 zu erkennen ist. Abb. 2: Netzkonzeption für den Radverkehr in Baden- Württemberg (Hintergrundkarte: © OpenStreetMap-Mitwirkende). Im kategorisierten Netz kann ein Großteil der betrachteten Routen bei vertretbaren Umwegfaktoren auf Verkehrswegen geführt werden, die heute vorhandenen Planungen entstammen. 2.4 Ermittlung des Ausbaubedarfs Für die einzelnen Abschnitte des kategorisierten Netzes kann nun der Ausbaubedarf überprüft werden. Dieser kann abschließend in einem Bedarfsplan dargestellt und auf Grundlage der Eigenschaften der Verkehrswege priorisiert werden. 3. Fazit Die Vorgehensweise zur Netzkonzeption, wie sie in den RIN beschrieben wird, ist für den Radverkehr bisher selten verfolgt worden. Im Rahmen des Forschungsprojekts konnte sie für den Anwendungsfall eines landesweiten Radverkehrskonzepts zur systematischen Erfassung des Ausbaubedarfs erfolgreich angewendet werden. Mit der erarbeiteten Netzkonzeption ist das Land Baden-Württemberg nun in der Lage, das Radverkehrsangebot transparent, zielgerichtet und landesweit zu entwickeln. Literatur [1] Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden- Württemberg (Hg.): RADSTRATEGIE BADEN- WÜRTTEMBERG. Stuttgart: 2016 [2] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (Hg.): Richtlinien für integrierte Netzgestaltung (RIN). Köln: 2008 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 357 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen Prof. Dr.-Ing. Alexander Buttgereit Jade Hochschule Oldenburg, FB Bauwesen, Geoinformation, Gesundheitstechnologie Katharina Thomalla, M. Sc. Geographie Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Dipl.-Ing. Andreas Pott Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Dipl.-Ing. Andreas Groot-Körmelink Stadt Münster, Amt für Mobilität und Tiefbau Zusammenfassung Das Thema Mobilitäts- und Verkehrswende ist in Deutschland seit einiger Zeit sehr hoch auf der Prioritätenliste der Verantwortlichen im Öffentlichen Dienst sowie im Bewusstsein von Politik und Gesellschaft. Ohne Maßnahmen zur Umgestaltung, zur alternativen Nutzung oder dem Umbau der Verkehrsinfrastruktur ist es aber oftmals nur bedingt möglich, wirksame Erfolge zu erzielen. Damit diese Maßnahmen auch realisiert werden können, bedarf es häufig eines komplexen und umfangreichen Planungs- und Bauprozesses mit einer Vielzahl an Beteiligten, der schließlich durch politische Beschlüsse sowie der baulichen Umsetzung abgeschlossen wird. Dieser Prozess dauert in der Regel von der ersten Planungsidee bis zur Umsetzung viele Jahre. Für die dringend notwendigen Maßnahmen zur Unterstützung der Verkehrswende werden aber kürzere Realisierungszeiten gewünscht und gefordert. Folglich sind alternative Vorgehensweisen gefragt. In der Stadt Münster sind daher verschiedene Herangehensweisen angewendet worden, um diese Prozesse zu beschleunigen, ohne dabei die rechtlichen, fachlichen Belange sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit zu vernachlässigen. Dies hat z. B. dazu geführt, dass innerhalb eines Jahres ca. 45 km Radwege erneuert worden sind bzw. ein neuer Radweg, die Kanalpromenade, von mehr als 20 km Länge in ca. dreieinhalb Jahren von der Planung bis zur Verkehrsfreigabe hergestellt werden kann. In diesem Beitrag soll die Vorgehensweise, die nicht nur in Münster anwendbar ist, mit den positiven wie negativen Effekten dargestellt werden. Außerdem soll es Mut machen, dem Beispiel zu folgen und somit die Mobilitäts- und Verkehrswende in Deutschland zu beschleunigen. 1. Einleitung Verfolgt man die öffentliche Berichterstattung in den Medien, so hört man viel zu oft, dass die notwendigen und dringenden Projekte der Erneuerung, des Ausbaus oder des Neubaus von Verkehrsinfrastrukturen oder auch der Digitalisierung (Breitbandausbau) zu lange dauern. Oftmals werden in diesem Zusammenhang reflexartig Stichworte wie Bürokratie, lange Genehmigungsprozesse als Ursache genannt und nach einer Revolutionierung des Arbeitens in der öffentlichen Verwaltung gefordert. Doch ist das wirklich so richtig? Oder kann man nicht auch in den bestehenden Strukturen erfolgreich arbeiten und wenn ja, was sind die Schlüssel zu diesem Erfolg? Als Beispiel sollen zwei komplett unterschiedliche Aufgaben aus dem Verantwortungsbereich des Amtes für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster herangezogen werden. Die erste Aufgabe bestand darin, im Rahmen der Straßenerhaltung zusätzlich bereit gestellte Finanzmittel neben dem „normalen Tagesgeschäft“ zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur nachhaltig zu verbauen. Dieser Teil soll hier in der schriftlichen Ausarbeitung nur kurz dargestellt werden. Die zweite Aufgabe umfasst den Ausbau eines rund 27km langen Betriebsweges entlang des DEK in Münster auf einer Länge von etwa 21km innerhalb von 3-5 Jahren von der ersten Planung bis zur Inbetriebnahme. Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Umsetzung sowohl in der klassischen Verwaltungsstruktur und -organisation nach Ämtern und Dezernaten sowie in Anlehnung an eine Projektorganisation mit z.T. „agilen Methoden“ erfolgte. In beiden Bespielen sind flexible Arbeitsorganisation, klare Kommunikation (-sprozesse) nach innen und nach außen, eindeutige Verantwortlichkeiten und Entscheidungsstrukturen als Basis des späteren Erfolgs zu nennen. 2. Klassischer Planungsprozess Der klassische Planungsprozess für den Straßenbau ist beispielsweise in den RE 2012 dargestellt (Bild 1). Die zu leistenden Inhalte und Qualitäten sind darin hinreichend beschrieben und bilden in Kombination mit den HAOI als 358 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen Grundlage für die Honorarermittlung bei externer Vergabe die Basis vieler Straßenbauprojekte. Bild 1: Planungsprozess nach RE Begleitet wird die technische Planung von einer in den letzten Jahrzehnten immer komplexer werdenden Umweltverträglichkeitsprüfung. Aus dem Bild 2 ist zu erkennen, dass es eine enge Verflechtung zwischen der technischen Planung und der Umweltrechtlichen Prüfung gibt, die in einer iterativen Ergebnisfindung münden. Bild 2: Zusammenspiel Umweltschutz und Entwurf in der Planungsphase Damit aber die Straße gebaut werden kann, sind zusätzlich politische Beschlüsse erforderlich, die je nach Bedeutung und Zuständigkeit von unterschiedlichen Gremien in der Kommune oder des Landes oder des Bundes getroffen werden. Basis der Entscheidungen sind normalerweise die Entwurfsunterlagen (Technik und Umwelt inkl. Finanzierung) zu jeweiligen Planungsstadium. Dies ist ein gut geregelter und seit Jahren etablierter Prozess. Die Planungszeiten dieser Vorgehensweise betragen oftmals drei, fünf, zehn oder mehr Jahre, je nach Komplexität sowie Klarheit und Konstanz der Projektziele. Um die Mobilitätswende aber für die Bürger*innen und Entscheidungsträger*innen in Münster erfahrbar und erlebbar zu machen, sind solche Planungszeiträume zu lang. Deshalb sollten Alternativen gesucht und getestet werden. 3. Vorgehensweise Die Möglichkeiten zur Beschleunigung des Planungs- und Bauprozesses gibt es bereits heute unter Anwendung des geltenden Rechts und des geltenden technischen Regelwerks. Sie sind durch gesetzliche Änderungen z. B. für Arbeiten im Bestand im Straßen- und Wegegesetz NRW aktuell sogar noch größer als zum Zeitpunkt der im folgenden beschriebenen Beispiele. a) Straßenerhaltung Zur Unterstützung der Mobilitätswende hat der Rat der Stadt Münster zusätzliche Mittel insbesondere zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur für einen begrenzten Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung gestellt. Ein Teil des Geldes sollte auch im Rahmen der Straßenerhaltung umgesetzt werden. Zunächst ist entschieden worden, dass die vorhandenen Möglichkeiten und Ermessensspielräume der Zuständigkeitsordnung möglichst weitgehend ausgeschöpft werden sollen, d. h. es sollten möglichst schlanke Entscheidungsstrukturen und Entscheidungswege genutzt werden. Außerdem ist die ämterübergreifende Projektarbeit in den klassischen Verwaltungsstrukturen intensiviert worden. Hierin sind ebenfalls externe Beteiligte wie z. B. die Polizei einbezogen worden. Auf diese Weise ist es innerhalb weniger Wochen möglich gewesen, Projekte zu identifizieren und zu priorisieren, die innerhalb der nächsten 3-4 Jahre realisiert werden sollten. Aus dieser Liste wurde im nächsten Schritt ein Bauprogramm für die folgenden 18-24 Monate festgelegt und mit den vorhandenen bzw. noch abzuschließenden Bauverträgen der Straßenerhaltung umgesetzt. Dies führte dazu, dass z. B. in 2019 rund 10 Mio. Euro in 45 zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur flossen, die teilweise sogar mit Zuwendungen refinanziert werden konnten. b)Kanalpromenade Am Anfang stand im Dezember 2018 die in 2016 im Radverkehrskonzept 2025 beschlossene Idee, einen 27 km langen Radwege entlang des DEK in Münster zu bauen (Bild 3) und das möglichst schnell (innerhalb von 3-4Jahren). Es gab den vorhandenen Betriebsweg, der baulich und kapazitätsmäßig ertüchtigt werden sollte. Allerdings gab es kein Baurecht, die Finanzierung war unklar, Zuwendungen standen noch nicht in Aussicht und Umweltverträglichkeitsuntersuchungen lagen noch nicht vor. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 359 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen Bild 3: Ausbaustrecke mit Bauabschnitten (Quelle: Stadt Münster) Der Ausbau einer durchgängigen und für Radfahrende komfortabel nutzbaren Radverkehrsinfrastruktur entlang des DEK ist dringend erforderlich. Die ökologischen, ökonomischen und gesundheitlichen Vorteile (individuell und gesamtgesellschaftlich) liegen auf der Hand. Städtisches Ziel ist, mehr Radverkehr zu generieren und den Anteil des Radverkehrs am Modal Split auf 50 % zu erhöhen. Dies kann nur gelingen, wenn die Infrastruktur entsprechend komfortabel und sicher angepasst wird. Der derzeitige Ausbauzustand der vorhandenen Radwege entlang des DEK wird den Ansprüchen der Fahrradstadt Münster sowie pendelnder Personen (Berufstätige, Studierende) weitestgehend nicht gerecht. Um die Betriebswege zukünftig für den Alltagsradverkehr komfortabel nutzen zu können, sollen die Standards für Velorouten angewendet werden. Neben einer Asphaltoberfläche -die Vorteile ergeben sich hierbei durch einen geringeren Rollwiderstand (Reduzierung der Reisezeitverluste) sowie eine witterungsunabhängige Nutzung (weder Staub bei Trockenheit, noch Matsch bei Nässe) und geringere Unterhaltungsaufwendungen- sind eine Ausbaubreite von mindestens 3 m, Fahrbahnrandmarkierungen (Schmalstrich) sowie eine angemessene Beleuchtung auf ganzer Strecke zur besseren Orientierung und Erhöhung der Sicherheit wesentliche Kriterien. Da sich aufgrund des DEK-Ausbaus unterschiedliche Planungs- und Bauphasen ergeben, ist auf Basis eines Gesamtkonzepts eine stufenweise Umsetzung beabsichtigt, die mit den Abschnitten außerhalb der DEK-Ausbaustrecke (Stadtstrecke) beginnt (Bild 4). Bild 4: Ausbauphasen / -abschnitte für die Betriebswege des DEK Die Wahl der Bauabschnitte orientierte sich dabei im Wesentlichen an der folgenden Taktik: • Das Umsetzen, was einfach und schnell erreichbar ist, parallel die anderen Bereiche planen • Stadtstrecke durch WSA umsetzen lassen in Zuge des geplanten Ausbaus des DEK • Bauen von außen nach innen • Lösung der Umweltfragen „Mobilitätswende zu Lasten der Umwelt“ (Fledermäuse, Bäume und Sträucher, Versiegelung ), insbesondere im Abschnitt 4 (grün gegen Mobilität) in einem ergebnisoffenen, transparenten, integrativen Beteiligungsprozess • Intensive projektbegleitende Kommunikation Die notwendigen politischen Beschlüsse sind bis auf den Planungsbeschluss in 2019 zu Beginn des Projektes im weiteren Verlauf mehr oder weniger auf Basis einer „Idee“ gefasst worden und nicht üblich auf konkrete Fakten. Das bedeutete, dass im gesamten Planungs- und Genehmigungsprozess die Unterlagen parallel erstellt worden sind, Gutachten bearbeitet wurden, Zuwendungen beantragt wurden, Vereinbarungen zu Planung, Bau und Kostenteilung zwischen den Baulastträgern verhandelt wurden und die Umweltrechtlichen Dinge geklärt wurden. Trotz vieler Abhängigkeiten ist es durch eine sehr gute Projektleitung eines versierten Teams bislang zu keinen nennenswerten Verzögerungen oder Kostensteigerungen gekommen. Diese Vorgehensweise setzt ein immenses Vertrauen zwischen allen den Beteiligten, vor allem zwischen Politik und Verwaltung. Dieser Umstand soll daher an dieser Stelle noch einmal besonders gewürdigt und hervorgerufen werden. 360 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen Der aktuelle Umsetzungsstand stellt sich wie folgt dar: • September 2022: Fertigstellung BA 6 • Dezember 2022: Fertigstellung BA 1 • Sommer 2023: Fertigstellung BA 4 • BA 5 und Teilstück BA 3 sind bereits fertiggestellt Das Projekt ist somit immer noch im Zeit- und Kostenplan. Abschließend soll noch erwähnt werden, dass aufgrund der quantitativ und qualitativ hochwertigen Fledermauspopulation ein europaweit einzigartiges Forschungsprojekt läuft, in dem die Verträglichkeit von Fledermäusen mit adaptiver Beleuchtung untersucht wird (Bild 5). Nähere Informationen unter https: / / bmdv.bund.de/ Shared- Docs/ DE/ Artikel/ DG/ mfund-projekte/ flebefa.html. Bild 5: Adaptive Beleuchtung an der Kanalpromenade 4. Öffentlichkeitsarbeit - Beispiel Kanalpromenade Dem Thema Öffentlichkeitsarbeit kommt bei diesem Projekt eine herausragende Bedeutung zu, wenn es um die erfolgreiche Umsetzung geht. Wie oben im Abschnitt Planung bereits erwähnt, sind von diesem Projekt gegenläufige Interessen, allein im Bereich Umwelt betroffen. Damit die öffentliche Diskussion zu dem Thema in geordneten Bahnen, möglichst auf der Sachebene, verläuft, sollte von Beginn an eine maximale Transparenz der Ziele und der zur Zielerreichung erforderlichen Entscheidungsbasis geben, so dass die notwenigen politischen Beschlüsse nachvollziehbar sind und ggf. einer rechtlichen Prüfung Stand halten. Ein regelmäßiger Austausch mit allen Beteiligten / der Öffentlichkeit führte zu einer breiten Akzeptanz für dieses Infrastrukturprojekt. Für die beim Umbau entstandenen Einschränkungen und Umleitungen hat eine aufsuchende und crossmediale Baukommunikation stattgefunden: Eigens für die Kanalpromenade designte Baustellenschilder und -banner stellen relevante Informationen dar und illustrieren dieses besondere Projekt für Münster mit einem positiven Motiv. Neben den vor Ort eingesetzten Medien haben regelmäßig aufsuchende Formate stattgefunden, bei denen die Planerinnen und Planer mit den Menschen ins Gespräch gekommen sind, um über das Projekt zu informieren und Anregungen aufzunehmen. Informativ begleitet wird das Bauprojekt mit einer Imagebroschüre sowie mehreren Kurzfilmen, die unter www.stadt-muenster.de/ kanalpromenade angesehen werden können. Darüber hinaus wird auf dem Internetauftritt des Amtes für Mobilität und Tief bau der Stadt Münster fortlaufend über den Stand der Bauarbeiten berichtet. In Ergänzung zur klassischen Pressearbeit sowie zu Informationen über die städtischen Social-Media-Kanäle können sich die Bürgerinnen und Bürger so fortlaufend über Hintergründe des Bauprojektes sowie temporäre Wegesperrungen informieren. Als Letztes soll an dieser Stelle noch erwähnt werden, dass auch an die spätere Nutzung der Anlage gedacht worden ist. Da der Kanal in Münster neben der Transport- und Verbindungsfunktion auch der Freizeit und Naherholung dient, müssen sich die Menschen dort rücksichtvoll bewegen, um eine gemeinsame Nutzung mit Freude zu ermöglichen. Zur Erinnerung und ins Bewusstseinsrufen sind Hinweistafeln entworfen worden (Bild 6). Bild 6: Schilder Rücksichtnahme (Quelle: Stadt Münster) 5. Wie geht es weiter? Die erfolgreiche Vorgehensweise bei den hier vorgestellten Projekten hat dazu geführt, dass im Rahmen der Projektplanung bereits geprüft wird, in wie weit diese auf andere Projekte 1: 1 oder angepasst übertragen werden kann. Eine erste Auswertung zeigte bereits sehr früh, dass im Rahmen der Straßenerhaltung durchaus die hier vorgestellte Vorgehensweise sinnvoll ist, die bei vergleichbaren Maßnahmen dauerhaft etabliert werden könnte. Eine pauschale Anwendung auf alle Maßnahmen der Straßenerhaltung macht dagegen wenig Sinn. Denn z. B. der Aufwand für die Vorbereitung und die Projektsteuerung ist deutlich größer und auf Dauer mit den vorhandenen Ressourcen vermutlich nicht zu leisten. Ähnliches gilt für die Kanalpromenade. Denn aufgrund der Dringlichkeit des Projektes sind Mitarbeitende aus dem vorhandenen Personalstamm für das Projekt abgestellt worden. Die Aufgaben, die die Personen bislang wahrgenommen haben, konnten nicht alle auf andere verteilt werden, so dass dort ein Arbeitsrückstau entstanden ist und am Ende übrigbleiben wird. Insbesondere der Bereich Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit ist mit 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 361 Mobilitätswende gestalten - Projekte mit agilem, integrativen Arbeiten erfolgreich umsetzen einem großen Zeitbedarf zu Buche geschlagen. Die üblicherweise zur Verfügung stehenden Personalressourcen reichen für den zu leistenden Qualitätsstandard nicht aus. Daher wird in der noch durchzuführenden Nachbetrachtung des Projektes von den Verantwortlichen zu entscheiden sein, wie viel zusätzliches Personal ist eine schnelle, im Konsens entstehende hochwertige Planung und Baudurchführung wert? Die Ansätze zur optimalen des Planungs- und Baurechts sind bereits in ein anderes Projekt im Brückenbau eingeflossen und haben dazu geführt, dass in das länger geplante Projekt mehr Dynamik in die richtige Richtung entstanden ist. In wie weit dauerhaft das sehr vertrauensvolle Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung aufrecht gehalten werden kann, scheint nur schwer vorhersagbar. Denn es ist bislang sehr stark von handelnden Personen abhängig gewesen, die bereits jetzt nicht mehr alle im notwendigen Umfang an den entsprechenden Positionen zur Verfügung stehen. Allein die Tatsache, dass sich die Politik der Wiederwahl stellen muss, eröffnet das Risiko, dass durch einen Wechsel von Mandatsträgern das Vertrauen ständig neu aufgebaut werden muss. Dennoch haben diese Projekte gezeigt, dass es ein lohnenswerter Weg ist. Neben dem fachlichen Erfolg und der positiven öffentlichen Meinung sind vor allem die im Projekt Beteiligten sehr motiviert und begeistert worden, alles daran zu setzen, am Ende erfolgreich zu sein. Diese positive Grundhaltung strahlt auch in andere Arbeitsbereiche hinein und sorgt dort für mehr Motivation und bessere Ergebnisse. Literaturverzeichnis [1] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V. (2019): Richtlinien zum Planungsprozess und für die einheitliche Gestaltung von Entwurfsunterlagen im Straßenbau, Ausgabe 2012, FGSV Verlag, Köln [2] Weise, G.; Durth, W.; Kleinschmidt, P.; Lippold, C.: Straßenbau Planung und Entwurf, Verlag Bauwesen, 2005 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 363 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen Prof. Dr.-Ing. Markus Stöckner Steinbeis Transferzentrum Infrastrukturmanagement im Verkehrswesen, Karlsruhe Zusammenfassung Für die weitere Förderung des Radverkehrs ist eine hochwertige und gut nutzbare Radverkehrsinfrastruktur von zentraler Bedeutung. Ausgehend von den Leitzielen des Nationalen Radverkehrsplans wurde daher ein multikriterieller Ansatz einer Qualitätsbewertung von Radverkehrsanlagen entwickelt. Neu dabei ist, dass dieser im Sinne eines Asset Management Systems über den gesamten Lebenszyklus der Radverkehrsinfrastruktur läuft und eine netzweite Analyse des Handlungsbedarfs zulässt. Damit werden kritische Abschnitte im Radverkehrsnetz identifiziert, der genaue Lösungsansatz wird dann im Rahmen einer planerischen Beurteilung erzeugt. Die letztlich planerische Einschätzung wird mit diesem Verfahren nicht vorweggenommen, allerdings können Defizite lokalisiert, beschrieben und bewertet werden. Zur Definition der Qualität von Radverkehrsanlagen existieren umfangreiche Fachbeiträge aus verschiedenen meist planerischen oder verkehrstechnischen Blickwinkeln, aus der Sicht des Asset Managements fehlen diese noch. Im folgenden Beitrag wird daher der Frage der Qualität von Radverkehrsanlagen aus der Sicht des Asset Managements und damit Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung nachgegangen. 1. Einführung Die Bedeutung des Radverkehrs in Deutschland hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Radverkehr stellt in Zusammenhang mit der Mobilitätswende hin zur Klimaneutralität des Verkehrs einen unverzichtbaren Baustein dar, es wird als eine Form der aktiven Mobilität als gesundheitsfördernd wahrgenommen und mit neuen Radformen wie Pedelecs oder Lastfahrräder wurden sowohl die Gruppe der Nutzenden als auch Reichweite und Einsatzgebiete des Radverkehrs entscheidend erweitert. Auf der Homepage des Bundesverkehrsministeriums ist ausgeführt, dass 80 Prozent der Deutschen das Fahrrad nutzen, 55 Prozent halten es für ein unverzichtbares Verkehrsmittel und es sind 78 Millionen Fahrräder sind in Deutschlands Haushalten vorhanden [1]. Demzufolge finden sich viele Aktivitäten, um den Radverkehr zu fördern. Ein wesentlicher Beitrag liefert der Nationale Radverkehrsplan 3.0, der insgesamt 9 Leitziele für die Förderung des Radverkehrs priorisiert hat [2]. Dies Priorisierung basiert auf einem Dialogforum auf der Basis einer Bürgerbeteiligung und Beteiligung sowohl von Straßenbaulastträgern als auch Verbänden. Dabei steht das Ziel eines lückenlosen Radverkehrs unangefochten auf dem ersten Platz, es finden sich aber auch die Ziele Fahrrad-Pendlerland, Ziele der urbanen Mobilität, Sicherheit bis hin zu einem smarten Radverkehr. Diese neun Leitziele werden vier Säulen zugeordnet, die die Grundsätze einer aktiven Radverkehrsförderung darstellen [3]. Diese sind (I) Fahrrad und Politik, (II) Fahrrad und Infrastruktur, (III) Fahrrad und Mensch sowie (IV) Fahrrad und Wirtschaft. Dabei wird die Forderung nach einem lückenlosen Radverkehr in Deutschland der Säule Fahrrad und Infrastruktur zugeordnet, ebenso die Querschnittsthemen Stadt und Land sowie Innovation und Digitalisierung. Die dort formulierte Grundforderung formuliert eine im ganzen Land gut geplante und gebaute Radinfrastrukur. Die damit verbundenen Aktionen und Vorhaben sind vielfältig und fordern verschiedenste Fachbereiche, beginnend von der klassischen Verkehrsplanung und dem Bau, der Entwicklung neuer Radformen, Verkehrspsychologie, Gesundheit und Medizin bis zu IT-Technologien. Die Herausforderungen sind damit vielfältig, einen mit entscheidender Punkt stellt aber auch die Radverkehrsinfrastruktur dar. Diese muss auf die neuen Anforderungen - neue Radformen, andere Nutzungsprofile - angepasst werden, sie muss für viele Anwendungen digital abbildbar sein und vor allem, es muss über die Forderungen des Nationalen Radverkehrsplans hinaus nicht nur Planung und Bau, sondern auch der Betrieb und damit das Lebenszyklusmanagement, also das Asset Management mit betrachtet werden. Generelle Grundlage ist dafür die Definition und Beschreibung der Qualität von Radverkehrsanlagen. Zur Definition der Qualität von Radverkehrsanlagen existieren umfangreiche Fachbeiträge aus verschiedenen meist planerischen oder verkehrstechnischen Blickwinkeln, aus der Sicht des Asset Managements fehlen diese noch. Im folgenden Beitrag wird daher der Frage der Qualität von Radverkehrsanlagen aus der Sicht des Asset Managements und damit Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung nachgegangen. 2. Stand der Wissenschaft und Technik Asset Management (AM) steht für die systematische und koordinierte Planung, Verwaltung und Erhaltung der Assets, d. h. der materiellen und immateriellen Werte einer Organisation, mit dem Ziel der Wertschöpfung. Die Grundlagen sind in der Norm DIN EN ISO 55000 [4] gelegt. Im Hinblick auf den Straßenbau ist zu beachten, dass der zentrale Gegenstand des AM die Organisation mit ihren Prozessen und Abläufen zur Verwaltung der Straßeninfrastruktur ist [5]. Damit konzentriert sich AM auf geschäftliche und technische Vorgehensweisen für die Ressourcenzuweisung und -nutzung mit dem Ziel einer besseren Entschei- 364 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen dungsfindung auf der Grundlage hochwertiger Informationen und klar definierten Zielen“ [6]. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Straßenbauverwaltungen die Einführung eines strategisches AM vorangetrieben, um langfristige Infrastrukturziele abzuleiten und die Investitionsplanung zu unterstützen. Für ein Infrastruktur-AM-System (IAMS) werden zuverlässige Daten benötigt, um u. a. Informationen über den aktuellen Zustand der Verkehrsinfrastruktur zu erhalten und darauf auf bauend ihren zukünftigen Zustand zu prognostizieren. Diese Daten dienen dann als Grundlage für den Entscheidungsprozess über Zeitpunkt, Umfang und Kosten von Maßnahmen im Asset Management für Verkehrsanlagen [7]. Das IAMS der Verkehrsinfrastruktur umfasst somit deren gesamte Lebensdauer mit den dazugehörigen Fahrbahnabschnitten, Ingenieurbauwerken, Entwässerung, Ausstattung, Landschaftspflege und Nebenanlagen [8]. Die bereits routinemäßig angewendeten Verfahren des Pavement-Management-Systems (PMS), welche zur Erfassung und Bewertung einschließlich verkehrspolitischer und finanzieller Randbedingungen von Verkehrsflächen dienen, werden zum Teil bereits auch für Radverkehrsanlagen genutzt. Der grundlegende Zusammenhang zwischen den Entscheidungsebenen und den Aufgaben im Asset Management ist in Abbildung 1 dargestellt. Abb. 1: Ebenen und Aufgaben des Asset Managements (überarbeitet nach [9]) Zur Umsetzung eines solchen Prozesses für Radverkehrsanlagen muss es als Grundlage eine politische Strategieentscheidung geben, diese ist im Kapitel 1 beschrieben. Eine weitere wesentliche Grundlage ist die Anlagenbewertung, hier also die Bewertung der Qualität eines Radverkehrsnetzes sowie dann ein Abgleich mit der Anforderungsanalyse, aus der dann ein ggf. erforderliches Maßnahmenprogramm abgeleitet werden kann. Damit können in der Folge die Bewertungsprozesse und der zugehörige Daten- und Informationsbedarf beschrieben werden. Zur Bewertung von Radverkehrsnetzen existieren inzwischen umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, die unterschiedliche Ansätze verfolgen. In fast allen Arbeiten lässt sich eine gemeinsame Aussage finden, und zwar wird eine multikriterielle Bewertung aus Eigenschaften wie Sicherheit, Benutzungskomfort oder Netzkonnektivität gefordert [10], [11]. In [10] wurde eine Methodik entwickelt, um kommunale Fahrradnetze im Hinblick auf die Akzeptanz von fehlendem Komfort und Umwegen zu bewerten. Damit wird ein planerisches Werkzeug zur Nutzerqualität vorgelegt. In [11] wird ein Rahmen für die wichtigsten europäischen Radverkehrsstrategien vorgestellt und ein methodischer Ansatz zur Bewertung der Fahrradtauglichkeit bestehender Netze entwickelt. Der Ansatz basiert auf einer räumlichen multikriteriellen Analyse, die die Bevölkerungsdichte, Verkehrsquellen, Service Stationen und Straßenmerkmale (Hierarchie und Steigung) kombiniert. So werden dort als wesentliche Bewertungsvariablen eine angemessene Radverkehrsinfrastruktur, Netzmerkmale und Sicherheitsaspekte genannt, im Detail beispielsweise Führungsform, Art und Breite, Radabstellanlagen, Streckenführung, Steigung bis hin zum Oberflächenzustand. So wird für weitere Entwicklung vorgeschlagen, Merkmale wie die Abschätzung der Geschwindigkeit (konventionell und elektrisch) in Abhängigkeit von der Straßenneigung und die explizite Einbeziehung der geometrischen Merkmale des Straßenquerschnitts neben weiteren Detaillierungen vorgeschlagen. Eine Übertragung auf deutsche Netze liefert [12] mit einer Anwendung für die Benutzbarkeit des Radwegenetzes der Landeshauptstadt München. Dort wird zunächst der Begriff Fahrradfreundlichkeit diskutiert, der ebenso wie der hier verwendete Begriff Qualität von Radverkehrsanlagen uneinheitlich definiert ist. Das Autorenteam bewertet als präziseste Definition nach [13], Fahrradfreundlichkeit ist „eine Bewertung eines gesamten Radwegenetzes hinsichtlich des wahrgenommenen Komforts und der Bequemlichkeit sowie des Zugangs zu wichtigen Zielen“. Sie unterscheiden zwischen Fahrradtauglichkeit und Fahrradfreundlichkeit. Fahrradtauglichkeit ist „eine Bewertung des wahrgenommenen Komforts und der Sicherheit eines linearen Abschnitts eines Radwegs“. Daraus folgt, Fahrradfreundlichkeit ein übergeordnetes Konzept, das räumlich und inhaltlich zusammenhängt. Es werden die Vorgehensweisen aus Kopenhagen mit 14 Faktoren, der ADFC-Fahrradklimatest mit 6 Faktoren und die Vorgehensweise aus Dresden mit 7 Faktoren analysiert. Für die Studie selbst werden vier Faktoren als maßgebend angesehen, dies sind (1) Vorhandensein und Art des Radweges, (2) Geschwindigkeitsbegrenzung, (3) Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und (4) Qualität der Knotenpunkte für Fahrräder. Die dazu notwendigen Informationen werden aus einer technischen Analyse und Umfragen gewonnen, die Auswertungen dann in einem GIS-Modell räumlich dargestellt. Andere Bewertungen werden über das Bicycle Level of Service - BLOS), wie im Highway Capacity Manual (HCM) 2010 dargestellt, vorgenommen. Dabei werden vier Analysefaktoren gewählt, dies sind Knotenpunkt, Verbindung, das Segment und die Führung/ Geometrie [14]. Im Wesentlichen gehen dort Merkmale ein, die die verkehrliche Leistungsfähigkeit von Radverkehrsanlagen beschreiben. Eine Analyse für deutsche Verhältnisse wird 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 365 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen in [15] untersucht. Ziel war, eine ergänzende Methode zum deutschen HBS zu entwickeln. Im deutschen Regelwerk finden sich umfangreiche Vorgaben im Zusammenhang mit der Radverkehrsplanung. So wird der Anwendungsbereich der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) [16] als Grundlage für Planung, Entwurf und Betrieb von Radverkehrsanlagen angegeben. Damit stellen die ERA die wesentliche planerische Grundlage für Radverkehrsanlagen in Deutschland dar. Letztlich wird, wenn auch in knapper Form der Betrieb von Radverkehrsanlagen beschrieben und neben der anforderungsgerechten Planung mit als wesentlich für die Akzeptanz von Radverkehrsanlagen gesehen. Dabei wird der u. a. der Oberflächenzustand sowie Reinigung und Winterdienst genannt, allerdings werden keine weiteren Detaillierungen vorgenommen. Allerdings wird mit dem Kapitel Wirkungskontrolle und Qualitätssicherung sowohl die organisatorische als auch die inhaltliche Grundlage gelegt, um während der Betriebsphase auch auf der Netzebene den notwendigen Qualitätsstandard zu gewährleisten. Dieser bezieht sich zunächst auf die Zielgrößen nach RIN, auf die Entwurfsanforderungen sowie die Qualität des Verkehrsablaufes. Zur Wirkungskontrolle werden umfangreiche Aspekte und Methoden benannt, beispielsweise auch zum Erhaltungs- und Betriebszustand. Auch wenn die Methoden benannt sind, Angaben zur operativen Umsetzung fehlen. Eine weitere Handreichung wurde mit den H EBRA „Hinweisen zur einheitlichen Bewertung von Radverkehrsanlagen“ [17 erstellt, das ein Verfahren zur Bewertung von Netzabschnitten für den Alltagsradverkehr beschreibt und auch Netzabschnitte mit Handlungsbedarf erkennbar machen will. Damit soll eine einheitliche Vorgehensweise vorgeschlagen werden. Inhaltlich werden Aspekte benannt, die fahrtrichtungsbezogen zu einer Bewertung von Abschnitten führen sollen. Zudem werden Datenquellen benannt. Methodisch bleibt das Papier an einigen Punkten bei eher subjektiven Einschätzungen, beispielsweise bei der Erlebnisqualität, zudem finden sich nicht aktuelle Aussagen, beispielsweise zur Zustandserfassung und -bewertung des Oberflächenzustandes von Radverkehrsanlagen wieder. Auch wenn die dort genannten Parameter zu einer Vereinheitlichung der Bewertung beitragen können, eine netzweite Bewertung erscheint damit schwierig. Das Arbeitspapier Betrieb von Radverkehrsanlagen AP BeRad [18] beschreibt für die unterschiedlichen Arten von Radverkehrsanlagen Anforderungsniveaus für den Betriebsdienst. Es werden typische Qualitätsstandards benannt, die den Baulastträgern beim Betrieb von Radverkehrsanlagen im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit zur Orientierung dienen. Das AP orientiert sich dabei an etablierten Standards wie beispielsweise des Leistungsheftes für den Straßenbetrieb auf Bundesfernstraßen [19]. Es werden der Umfang regelmäßiger Kontrollfahrten beschrieben, so auch die relevanten Erfassungsparameter im Detail. Zudem werden Maßnahmen zur Beseitigung von Mängeln konkret benannt. Behandelt werden bauliche Unterhaltung, Grünpflege, Wartung und Instandhaltung der Straßenausstattung, Reinigung und Winterdienst. Es stellt damit eine gute Grundlage zur Abdeckung der netzorientierten betrieblichen Aufgaben während der Nutzungsphase von Radverkehrsanlagen dar. Für die Erfassung des Oberflächenzustandes existiert noch keine einheitliche Vorgehensweise im Technischen Regelwerk, allerdings besteht derzeit ein umfangreicher Erfahrungshintergrund, an dem man sich orientieren kann. Die Grundlagen an die Erhaltung von Radwegen sind in [20] beschrieben. Ziel der dort beschriebenen Methode ist die Gewährleistung einer angemessenen Verkehrssicherheit und Befahrbarkeit sowie eine rechtzeitige wirtschaftliche Substanzerhaltung. Dazu werden netzbezogen zunächst alle relevanten Schäden und Mängel berücksichtigt. Diese Schäden oder Mängel unterscheiden sich für die verschiedenen Deckenarten von Radwegen (z. B. Asphalt, Beton, Pflaster). Die Charakterisierung erfolgt durch Zustandsmerkmale und werden mit Hilfe quantitativer oder qualitativer Maßstäbe, der Zustandsindikatoren und Zustandsgrößen, gekennzeichnet. Dabei spielen insbesondere Ebenheiten und Textur, Griffigkeiten und bauweisenbezogene Substanzmerkmale der Oberfläche eine Rolle. Die Daten können messtechnisch erfasst werden, als räumliches Bezugsmodell dient ein Netzknoten-Stationierungs-System. Dabei wird das gesamte Verfahren von der Erfassung bis hin zur Erhaltungsplanung exemplarisch aufgezeigt. Die generelle Methodik ist vom Verfahren für die ZEB von Außerortsstraßen abgeleitet, wobei hier unterschiedliche Erfassungsmethoden zur Anwendung kommen, die fallbezogenen Vor- und Nachteile haben. Generell werden messtechnische Verfahren, visuell-sensitive Verfahren und visuell-bildbasierte Verfahren unterschieden. Objektive und wiederholbare Ergebnisse sind i.d.R. mit den messtechnischen Verfahren erzielbar, die beiden anderen genannten Verfahren unterliegen subjektiven Einflüssen und liefern damit kaum eine Vergleichsmöglichkeit bei unterschiedlichen Anwendungen. Allerdings hängt die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Verfahren vom Anwendungsfall und vom gewünschten Erfassungsziel ab. Messtechnische Verfahren bieten aber auch je nach Konfiguration den Vorteil, dass eine Reihe zusätzlicher Merkmale miterfasst werden können, die dann auch den weiteren Faktoren der Qualitätsbewertung wertvolle Eingangsdaten liefern können. Beispielhaft seien geometrische Merkmale wie Breite oder Steigung genannt, die parallel mitlaufenden Bilder erlauben eine nachträgliche Beurteilung beispielsweise der Führungsform im Labor. Durch die Projektion der erhobenen Daten auf ein einheitliches Bezugssystem ist eine vergleichende Zuordnung möglich. 366 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen Abb. 2: Generischer Ablauf des Erhaltungsmanagements von Radverkehrsanlagen Die Zustandserfassung und -bewertung von Radwegen wird inzwischen routinemäßig in verschiedenen Bundesländern begleitenden Radwegen außerorts durchgeführt, gleichermaßen auch in verschiedenen Kommunen. In den Projekten auf Ebene der Bundesländer hat sich ein weitgehend einheitliches Vorgehen etabliert. Die Erfassung erfolgt laser- und bildbasiert messtechnisch mit entsprechend ausgestatteten Kleinfahrzeugen. Als räumliches Bezugssystem wird das ASB-konforme Netz verwendet, mit einer Auskunftsplattform können die Ergebnisse visualisiert und weiteren Bearbeitungsschritten zur Verfügung gestellt werden. Die bisherigen Erfahrungen sind in [21] beschrieben. Im kommunalen Bereich wurde u. a. eine visuell-sensitive Erfassung der Radwege in Baden-Baden [22] und eine visuell-bildbasierte Erfassung in Dortmund durchgeführt [23]. Ebenso sind messtechnische Erfassungen bekannt. Ein Konzept für eine erweiterte Erhaltungsplanung um funktionale Kriterien wurde mit der Stadt Münster entwickelt [24]. Ein allgemeiner Ablauf ist in Abbildung 2 darstellt, Als problematisch zeigte sich in allen Fällen die Netzcodierung nach ASB. Die ASB kennt eine Achse, an die Querschnittsstreifen angehängt werden. Die Netzcodierung nach den ASB erlaubt aber richtungsbezogene Analysen, die für eine Netzbewertung notwendig sind. Dies ist soweit unproblematisch, wenn es sich um Fahrstreifen handelt. Bei Radwegen, die eine geometrisch abweichende Führungsform, beispielsweise in Knotenpunkte haben, kann dies zu Ungenauigkeiten führen, die nachträglich korrigiert werden müssen. Das Land Baden-Württemberg stellt ergänzend zum ASB-Modell mit radVIS [25] ein eigenes Radwegenetz zur Verfügung. Dies hat den Vorteil, dass ein eigenes Netzmodell zur Verfügung steht, das baulastträgerübergreifend einen erweiterten Datensatz zur Qualitätsbewertung zur Verfügung stellen kann. Das System ist online, befindet sich aber noch im Auf bau. 3. Zieldefinition einer Qualitätsbewertung Bislang zeigt sich, dass die Zieldefinition der Qualitätsbewertung von Radverkehrsanlagen von vielen Kriterien abhängt. Zusammenfassend konnten folgende Punkte gezeigt werden: - Es besteht ein gemeinsames politisches Verständnis, mit welchen Schwerpunkten der Radverkehr gefördert werden soll. - Infrastruktur und Digitalisierung spielen eine entscheidende Rolle, um diese Ziele zu erreichen. - Die Teilziele lassen sich je nach Stakeholdergruppe clustern, es stehen auch weitreichende Methoden zur Beschreibung unterschiedlicher Qualitätsziele zur Verfügung. - Die aufgezeigten Methoden müssen netzweit ausgelegt werden und erfordern eine einheitliche geometrische/ räumliche Datenzuordnung. Meistens sind diese knoten-kantenbasiert und werden mit GIS-Flächen verknüpft, so dass vielfältige Auswertungen möglich sind. Ausgehend von den Erkenntnissen aus dem Stand der Technik wird daher eine Clusterung in die Oberziele / Bereiche Nutzerqualität, Entwurfsqualität, in die bauliche und in die betriebliche Qualität nach Abbildung 3 vorgeschlagen. Dabei sollen Grundlagen sowohl für die Strategischen Aufgaben, für die Taktischen Aufgaben sowie die operativen Aufgaben gemäß einem IAMS bearbeitbar sein. Allgemein betrachtet können strategisch Entwicklungsplanungen mit Partizipationsmodellen und darauf auf bauend Finanzbedarfsprognosen erstellt werden. In der taktischen Planung sollen Prioritätenlisten unter verschiedenen Zielsetzungen erstellt werden, die operative Ebene beschäftigt sich mit den Maßnahmenumsetzungen. Die Oberziele werden dabei gemäß dem beschriebenen Stand der Technik in Teilziele weiter geclustert. Die Teilziele können gemäß Abbildung 4 wie folgt formuliert werden: Betriebliche Qualität: Die Anforderungen an die betriebliche Qualität sind für die Bereiche Markierung, Beschil- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 367 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen derung, Reinigung, Grünpflege, Winterdienst und verkehrsgefährdende Schäden im AP BeRad beschrieben. Darauf auf bauend kann ein Prozess für die jeweilige kommunale Anwendung idealerweise auf einer digitalen Plattform erstellt werden. Bauliche Qualität: Zur Erfassung der baulichen Qualität wird zum einen der Oberflächenzustand sowie die Substanz des Auf baus bewertet und es können erforderliche Maßnahmenprogramme abgeleitet werden. Damit kann ein angemessener Oberflächenzustand als auch die Substanz selbst gewährleistet werden. Nutzerqualität: Die Nutzerqualität wird sowohl mit objektiv messbaren Kriterien als auch mit subjektiven Kriterien erfasst. Dabei kann die Netzstruktur auf Angemessenheit (Konnektivität), objektive und subjektive Sicherheit als auch der Kraftaufwand in Zusammenhang mit Steigungen bewertet werden. Entwurfsqualität: Die Entwurfsqualität behandelt objektiv messbare Kriterien, wie sie durch Gesetze und das Technische Regelwerk vorgegeben werden. Damit ist zum einen der geometrische Entwurf als auch die Verkehrsqualität und die Führungsform adressiert. Die Umsetzung hängt vom Einzelfall ab, insbesondere auch von verfügbaren oder relativ einfach zu beschaffenden Daten. Damit kann das System in der konkreten Anwendung skaliert und angepasst werden. Dabei ist zu beachten, dass die vier Teilziele und damit deren Bewertung einer unterschiedlichen zeitlichen Veränderung unterliegen. So unterliegen die Qualitätsmerkmale im Rahmen der betrieblichen Qualität einer hohen zeitlichen Veränderung, die in der Regel über die Begehung im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht und die betriebliche Einsatzplanung erkannt und ggf. behandelt werden können. Eine Berücksichtigung dieser Aspekte im Rahmen einer weiteren routinemäßigen Erfassung ist nicht notwendig, da diese Anforderungen über den Betriebsdienst mit einem entsprechend ausgearbeiteten Konzept abgedeckt werden können. Daher ist dieser Aspekt unter den betrieblichen Anforderungen zusammengefasst. Die Merkmale zur Beschreibung der baulichen Qualität ergeben sich aus dem üblichen Verschleiß der Verkehrsflächen und wird routinemäßig derzeit in Abständen von ca. vier Jahren erfasst. Gleiches kann für das Nutzerempfinden angenommen werden, soweit sich die Einschätzung der Nutzenden verändert. Bei der Regelwerkskonformität ergeben sich einerseits Änderungen durch die Fortschreibung von Gesetzen und Regelwerken als auch in der Verkehrsbelastung. Beides sollte dann auch in regelmäßigen Abständen überprüft werden. In der Abbildung 4 sind wie bei der ZEB hilfsweise 4 Jahre angegeben, dies wäre noch zu überprüfen. Die Qualitätsziele werden dann anhand von geeigneten Kennzahlen bewertet. Abb. 2: Generischer Ablauf des Erhaltungsmanagements von Radverkehrsanlagen 368 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen Abb. 3: Zielsystem mit Untergliederung nach Teilzielen 4. Zieldefinition einer Qualitätsbewertung 4.1 Prozessmodell und Datenorganisation Ausgehend von dem grundlegenden Asset Management Modell stehen für eine generelle Bewertung und der Verbesserung des Radwegenetzes eine Reihe von Aufgaben an. So müssen bei der Formulierung des strategischen AMS die Anforderungen an das Radwegenetz aus gesetzlicher und technischer Sicht als auch die gesellschaftlichen Anforderungen klar formuliert werden, damit ein eindeutiges Qualitätsniveau ableitbar ist. Damit verbunden sind haushaltrechtliche und damit auch politische Entscheidungen sowie die Formulierung der zugehörigen Prozessabläufe. Im taktischen Teil sind betriebliche Qualität sowie die anderen drei Oberziele getrennt zu behandeln, dies ergibt sich aus der bereits beschriebenen zeitlichen Veränderlichkeit der Qualitätsbewertungen. Für die weiteren Qualitätsziele müssen dann die notwendigen Eingangsinformationen für eine IT-gestützte Auswertung gewonnen werden sowie eine Bewertung der Qualitätsziele vorgenommen werden. Aus diesen resultiert der nötige Handlungsbedarf, der dann im operativen AM umgesetzt wird. Wesentlich sind die Erfolgskontrolle und Bewertung Wirksamkeit der eingesetzten Maßnahmen sowie des gesamten Maßnahmenprogramms. Grundlage ist damit eine detaillierte Analyse und Beschreibung der in den Kommunen vorherrschenden Prozesse und Arbeitsabläufe in Bezug auf die Planung, Bau und Betrieb von Radwegenetzen. Dazu ist es zunächst notwendig, ein einheitliches Verständnis des Gesamtprozesses zum Erhaltungsmanagement über die Lebensdauer verbunden mit den jeweils erforderlichen Datenflüssen zu definieren. Dabei gelten folgende Annahmen: Die Norm EN ISO 55000 beschreibt drei Betrachtungsebenen, eine strategische, eine taktische und eine operative Ebene. Deren Aufgabenbereiche müssen eindeutig gegeneinander abgegrenzt sein. Innerhalb dieser Betrachtungsebenen muss eine Systemabgrenzung vorgenommen werden, welche Aufgaben im Asset Management erledigt werden und wo die Grenze zu grundlegenden politischen Überlegungen besteht. Ein übergeordnetes und allgemeines Prozessmodell beschreibt ein Asset Management in seiner Grundstruktur, die im Kontext der Radnetzinfrastruktur notwendigen Teilprozesse müssen darin zuzuordnen sein. Dies bedeutet gleichzeitig, dass das spätere Datenmodell in der Lage sein soll, alle Arbeitsebenen und Aufgabenbereiche abzudecken. Je nach Arbeitsebene sind unterschiedliche Anforderungen an die Daten bezüglich Detaillierungsgrad und Datenumfang zu stellen. Im Prozessmodell muss daher der Zusammenhang zwischen prozessbezogenen Aufgaben und den jeweiligen Informationsübergabepunkten aufgezeigt werden. Unter Informationen sind alle Arten von Daten zu verstehen, die als Eingang für die Bearbeitung des jeweiligen Prozessschrittes benötigt werden als auch die Daten/ Informationen oder Kennzahlen, die als Ergebnis des jeweiligen Prozessschrittes anfallen. Wichtig ist dabei ein einheitliches geometrisches und räumliches Bezugssystem. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 369 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen Abb. 4: Struktur und Aufgaben des AMS für Radverkehrsnetze 4.2 Datenerfassung Grundlage für die Datenerfassung ist ein geeignetes Netzsystem, idealerweise nach dem Knoten- und Kantenmodell. Wenn man unterstellt, dass dies vorhanden ist, müssen geeignete Bestandsinformationen vorliegen, um sogenannte bestandshomogene Abschnitte oder Anlagenbestandteile bewerten zu können. Die erste Frage stellt sich dabei nach den zu bewertenden Anlageteilen. Hier besteht in der Definition beispielsweise ein Unterschied zwischen den ZEB-Verfahren an Radwegenetzen der Länder und den Definitionen des radVIS Baden-Württemberg, das eine wesentlich umfassendere Unterteilung vorsieht. Derzeit übliche Verfahren beschränken sich aber meist auf den Netzumfang, der mit der entsprechenden StVO-Beschilderung als Radweg ausgewiesen ist. Ein Auszug ist in Abbildung 6 gegeben. Bei der Bildung der bestandshomogenen Abschnitte kann wie folgt vorgegangen werden: 1. Bilden von Abschnitten zwischen zwei Knotenpunkten 2. Setzen von Abschnittswechseln bei - Änderung der Baulast - Übergang OD - FS - Wechsel der Führungsform - Querschnittsänderung - Zustandsänderung Abb. 5: Beispiel für zu erfassende Anlagenbestandteile Die so erhaltenen Abschnitte werden dann der weiteren Bewertung unterzogen und als Auswerteabschnitte bezeichnet, denen dann die entsprechenden Kennzahlen zugeordnet werden. Dazu ist es erforderlich Bestanddaten, Zustandsdaten, Netzänderung oder auch Verkehrsdaten zu erfassen. Wichtig ist, wie bereits erwähnt, die Projektion auf ein einheitliches Bezugssystem. Für die automatisierte Erfassung von Zustands- und Bestandsdaten stehen verschiedene Lösungen zur Verfügung. Die weitentwickelsten Lösungen dürften sogenannte Quads oder Kleinfahrzeuge darstellen, die mit Lasermesstechnik die Oberfläche abtasten sowie mit Orthophotos eine Klassifizierung von Schäden und Schadensflächen zulassen. Damit lassen sich neben den Zustandsmerkmalen der Oberflächen Bauweisen, Querschnittsbreiten, Steigungen, Beschilderung, Straßenraumanalyse, Bewuchs, Gefahrstellen und vieles mehr detektieren, womit diese Art der Datenerhebung dann neben der Ermittlung von Eingangsdaten für die bauliche Qualität auch einige Eingangsdaten für die anderen Qualitätsziele mit liefern kann. Weiter sind eine Reihe von Messfahrrädern auf dem Markt, hier hängt die Informationsdichte von der jeweils verbauten Sensorik ab. Gleiches gilt für zwischenzeitlich erhältliche E-Scooter. Zu der messtechnischen ZEB von Radverkehrsanlagen läuft darüber hinaus ein Forschungsprojekt, in dem die Qualitätsanforderungen an die Messtechnik, zu erfassende Zustandsmerkmale samt Bewertungshintergrund und einheitliche Datenstrukturen abgeleitet werden [26]. 4.3 Bewertungsmodelle Ein allgemeines Modell zur Bewertung der Qualitätseigenschaften ist in Abbildung 7 darstellt. Zunächst werden die drei Teilziele getrennt bewertet und dann mit Hilfe, beispielsweise einer Nutzwertanalyse zu einer einheitlichen Bewertung der Netzqualität zusammengeführt. Ein ähnliches Verfahren wurde für den Anwendungsfall der kommunalen Klimafolgenanpassung im Projekt blugreenstreets gezeigt [27]. Dabei wurde der bauliche Handlungsbedarf mit weiteren Zielgrößen überlagert, um einen möglichst großen gesellschaftlich gewünschten Effekt für die innerstädtische Klimafolgenanpassung zu generieren. Die dort entwickelte Vorgehensweise ist grundsätzlich übertragbar. Die konkrete Anwendung einer solchen Anwendung wurde für Radverkehrsanlagen in mehreren Arbeiten getestet. In Jüstel [28] wird aus den Leitlinien des nationalen Radverkehrsplans die Qualitätsziele ableitet und operationalisiert. Diese waren Optimierung des baulichen Zustands, Verbesserung der Verkehrssicherheit in der freien 370 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen Strecke und an Knotenpunkten, regelkonforme Führung und Entwurfsstandards, Erfüllung der Netzfunktion und subjektive Nutzeranforderungen. Letzte wurden über eine Befragung ermittelt. Die Anforderungen und Bewertungen beruhen auf einer umfangreichen Analyse gesetzlicher und technischer Anforderungen, deren Umfang nicht unterschätzt werden darf. Die Vorgehensweise wurde an realen Streckenabschnitten getestet. Bereits schon die Analyse der Fundstellen zur Beschreibung der Längsunebenheit verweist auf 6 verschiedene Regelwerke [29]. Eine weitere Anwendung wurde von Fischer [30] entwickelt, in dem ein vereinfachtes Bewertungsmodell, bestehend aus den Parametern baulicher Zustand, Direktheit, Konnektivität, Knotenpunkte und Attraktivität entwickelt wurde. In der Arbeit konnte gezeigt werden, das mit vergleichsweise einfachen Mitteln ein Netz- und ein Bewertungsmodell aufgestellt werden kann, das valide Ergebnisse liefert. Im Gegensatz zu komplexeren planerischen Bewertungsverfahren konnte gezeigt werden, dass damit eine vergleichende Netzanalyse möglich ist. Allerdings sind die genannten Anwendungen Pilotversuche, eine Anwendung im größeren Maßstab steht noch aus. Abb. 6: Ablauf eines Bewertungsverfahrens 5. Ausblick Mit den Ergebnissen konnte ein Weg gezeigt werden, der eine netzweite Qualitätsbewertung von Radverkehrsanlagen mit den Dimensionen betriebliche Qualität, bauliche Qualität, Nutzerqualität und Regelwerkskonformität zulässt. Wesentlich ist, dass mit dem Ansatz eine Lebenszyklusbetrachtung verfolgt wird. Dabei wurden die Methoden eines strukturierten Asset Management mit Einsatz der zugehörigen Werkzeuge als strukturierte Vorgehensweise verwendet. Die Herausforderung dabei ist, das System vollständig IT-gestützt aufzustellen, was ein entsprechendes Datenmanagement erfordert. In der Praxis werden dann verschiedene Datensysteme verknüpft müssen, was aber fallbezogen lösbar ist. Die Vorgehensweise wurde in kleineren Projekten getestet, eine Pilotumsetzung in größeren realen Netzen ist in weiteren Projekten vorgesehen. Dabei werden vor allem ergänzende Methoden der Datenbeschaffung als auch die Bewertungsverfahren weiter ausgearbeitet. Literatur [1] https: / / www.bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StV/ fahrrad-uebersicht.html? https=1 [2] https: / / bmdv.bund.de/ SharedDocs/ DE/ Artikel/ StV/ Radverkehr/ nationaler-radverkehrsplan-3-0.html [3] Fahrradland Deutschland 2030 - Nationaler Radverkehrsplan 3.0. Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV), 2022. https: / / bmdv.bund. de/ SharedDocs/ DE/ Anlage/ StV/ nationaler-radverkehrsplan-3-0.pdf? __blob=publicationFile [4] DIN ISO 55000: 2017-05. Asset Management - Übersicht, Leitlinien und Begriffe (ISO 55000: 2014); Beuth-Verlag, Berlin [5] Heller, S.; Degelmann, R.; Korn, M.: Guidelines für ein Infrastructure Asset Management im Freistaat Bayern. In: Straße und Autobahn 69 (2018), Nr. 6 [6] AASHTO: Transportation Asset Management Guide: Designed to replace pages of “Standard specifications for highway bridges” and contains revisions to “Standard specifications for structural supports for highway signs, luminaires and traffic signals”. A Focus on Implementation. Washington, DC, 2013 [7] Hajdin, R.; Lee, H.-O.; Honeger, C.; Nowacki, M.; Cao, R.; Beamish, S.; Valdes-Flores, M.; Morgado, J.; Lategan, W., Roffe, J.-C.; Tanasic C, N.: Innovative Approaches to Asset Management: 2019R19EN - Technical Report. La Defense, France, 2019 [8] Stöckner, M.; Hajdin, R.; König, M.: BIM im Asset Management für Verkehrsanlagen, Sachstand zur Forschung. OKSTRA Symposium 2022, Hamburg. FGSV-Verlag, Köln, 2022. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 371 Qualitätsbewertung von Radverkehrsnetzen [9] Stöckner, M.; Stöckner, U.; Niever, M.: Tiefbau- Infrastruktur-Management Münster (TIMM). Konzeption und Aufbau. Schlussbericht 2020 im Auftrag des Amtes für Mobilität und Tiefbau der Stadt Münster, unveröffentlicht. [10] Reggiani G, van Oijen T, Hamedmoghadam H, Daamen W, Vu H, Hoogendoorn S: Understanding bikeability: a methodology to assess urban networks. Transportation (2022) 49: 897-925. https: / / doi.org/ 10.1007/ s11116-021-10198-0 [11] Santos, B.; Passos, S.; Gonçalves, J.; Matias, I. Spatial Multi-Criteria Analysis for RoadSegment Cycling Suitability Assessment. Sustainability 2022, 14, 9928. https: / / doi.org/ 10.3390/ su14169928 [12] Schmid-Querg, J.; Keler, A.; Grigoropoulos, G. The Munich Bikeability Index: A Practical Approach for Measuring Urban Bikeability. Sustainability 2021, 13, 428. https: / / doi.org/ 10.3390/ su13010428 [13] Lowry, M.B.; Callister, D.; Gresham, M.; Moore, B. Assessment of communitywide bikeability with bicycle level of service. Transp. Res. Rec. 2012, 2314, 41-48. https: / / doi.org/ 10.3141/ 2314-06 [14] Huff, H.; Liggett R: The Highway Capacity Manual’s Method for Calculating Bicycle and Pedestrian Levels of Service: The Ultimate White Paper. Lewis Center for Regional Policy Studies and Institute of Transportation Studies University of California, Los Angeles, 2014. http: / / www.lewis.ucla.edu/ wpcontent/ uploads/ sites/ 2/ 2014/ 09/ HCM-BICYC- LE-AND-PEDESTRIAN-LEVEL-OF-SERVICE- THE-ULTIMATE-WHITE-PAPER.pdf [15] Brandenburg A, Geistefeld J, Zeidler V, Buck S, Vortisch P, Baier, M: A new method für the Quality of Service Assessment of Highly Frequented Bicycle Facilities in Germany. TRR, 2022. DOI: 10.1177/ 03611981221112669 [16] Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, ERA, 2010. FGSV-Verlag, Köln, 2010 [17] Hinweise zur einheitlichen Bewertung von Radverkehrsanlagen, H EBRA, 2021. FGSV-Verlag, Köln, 2021 [18] Arbeitspapier Betrieb von Radverkehrsanlagen, AP BERad, 2021. FGSV-Verlag, Köln. [19] Leistungsheft für den Straßenbetrieb auf Bundesfernstraßen, 2021. Herausgeber: BMVI, FGSV- Verlag, Köln, 2021. [20] Maerschalk, G; Oertelt, S.: Anforderung an die Erhaltung von Radwegen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft S 84, 2014. https: / / bast. opus.hbz-nrw.de/ opus45-bast/ frontdoor/ deliver/ index/ docId/ 798/ file/ S84b.pdf [21] Balck, H: Zustandserfassung und -bewertung von Radwegen: Über die Entwicklung eines praxisorientierten Verfahrens, das für die Gestaltung der Verkehrswende wichtig ist. Asphalt & Bitumen 8 (2022) Nr. 4 [22] Stöckner M; Stöckner U.: Erstellen einer Grobplanung für das mittelfristige Erhaltungsprogramm des Straßennetzes der Stadt Baden-Baden. Im Auftrag der Stadt Baden-Baden, Tiefbauamt, 2019, unveröffentlicht. [23] Stöckner M.; Stöckner U.; Vorbereitung und Begleitung der Bestands- und Zustandserfassung der Verkehrsflächen der Stadt Dortmund. Im Auftrag des Tiefbauamtes der Stadt Dortmund, 2022, unveröffentlicht. [24] Stöckner, M; Stöckner U.: Workshop 2 „Erweiterte Erhaltungsplanung der Verkehrsanlagen der Stadt Münster“ im Auftrag des Amts für Mobilität und Tiefbau (AMT) der Stadt Münster, 2022, unveröffentlicht. [25] RadVIS BW - Radverkehrs-Infrastruktur digital verwalten. https: / / www.mobidata-bw.de/ pages/ radvis [26] Jakobi, V, Stöckert, U, Merkens, T, Feiler, D, Hänsel, A.: Erfassung und Bewertung des baulichen Zustandes von städtischen Radverkehrsanlagen. FE 70.0957 Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), laufendes Projekt. [27] Zwernemann, P; Stöckner, M; Eckart, J.: Transdisziplinäre Standortfindung zur Sanierung multicodierter Straßenräume (Forschungsprojekt BlueGreenStreets). Technische Akademie Esslingen. 2. Kolloquium Straßenbau in der Praxis. 07.09.2021, Tagungsband 2021. [28] Jüstel, J.: Qualitätsbewertung von Radverkehrsanlagen. Master-Thesis, Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, 2021. Unveröffentlicht. [29] Stöckner M, Hupfer C, Brow, I: Qualitätsbewertung Radwegenetz BW; Workshop II. Baden-Württemberg Institut für Nachhaltige Mobilität, Karlsruhe, 2021 [30] Fischer, G: Development of a quality assessment system for cycling networks using the example of the city of waterloo, Ontario, Canada. Bachelor- Thesis, Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft, 2021. Unveröffentlicht. BIM auf der Baustelle Als Familienunternehmen plant und baut WOLFF & MÜLLER schon immer mit dem Blick für kommende Generationen. Als innovativer Baudienstleister decken wir alle Phasen im Lebenszyklus eines Bauwerks ab. Unter dem Dach einer ganzheitlich denkenden Unternehmensfamilie arbeiten Spezialisten aus den verschiedenen Bereichen Hand in Hand, um anspruchsvolle Projekte schneller, wirtschaftlicher und nachhaltiger umzusetzen. Profitieren auch Sie von über 85 Jahren Bauerfahrung und innovativen Methoden für eine nachhaltig wirtschaftliche Planung, einen effizienten Bauprozess und bleibende Qualität. WOLFF w& MÜLLER Tief- und Straßenbau GmbH & Co. KG | Schwieberdinger Str. 107 | 70435 Stuttgart | tief-und-strassenbau@wolff-mueller.de Erfahren Sie mehr unter wolff-mueller.de WOLFF & MÜLLER - Bauen mit Begeisterung Bauen für Generationen. mit Qualität,die bleibt. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 375 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung LV-Klassifikation als Ansatz zur Integration von LV und BIM-Modell Martin Grüninger WOLFF & MÜLLER Tief- und Straßenbau GmbH & Co. KG, Stuttgart Steffen Matthes WOLFF & MÜLLER Tief- und Straßenbau GmbH & Co. KG, Stuttgart Zusammenfassung Die LV-Klassifikation ist ein Ansatz zur Strukturierung eines Leistungsverzeichnis (LV), um eine vollumfängliche Verknüpfung mit dem zugehörigen 3D-Modell zu ermöglichen. Im Rahmen von Mengenabfragen (QTO) am Modell werden 100 % der LV-Positionen berücksichtigt, ohne dass dafür jede Position explizit im Modell repräsentiert sein muss. Die einzelnen Positionen werden in explizit modellierte Leit- und Normalpositionen sowie Anhangspositionen unterschieden. Anhangspositionen werden entsprechend des Verhältnisses ihrer LV-Menge bezogen auf die LV-Menge der Leitposition im Modell repräsentiert. Der Ansatz ermöglicht es, jede LV-Position unabhängig von Modellierbarkeit und Modellierungsaufwand mit dem 3D-Modell zu verknüpfen. Da die Kalkulation direkt mit dem LV verknüpft ist, können dadurch 100 % der Kalkulationsansätze im Modell abgebildet werden. Dies ist Voraussetzung, um eine Bauprozesssteuerung auf einer fundierten Datengrundlage zu ermöglichen. 1. Einleitung Um ein Bauwerk erfolgreich in die Örtlichkeit umsetzen zu können, gilt es, die Arbeitsvorbereitung und anschließende Prozesssteuerung auf dem jeweilig dafür notwendigen bestmöglichen Wissensstand aufzusetzen. Dieses Wissen muss aus den verschiedensten Daten abgeleitet werden, die während des Bauprozesses anfallen. Bis zu einem gewissen Punkt kann dies gelingen, wenn die Daten unabhängig voneinander betrachtet oder nur punktuell vernetzt werden („Datensilos“). Durch eine umfassende Vernetzung der Daten aus unterschiedlichen Quellen kann die Wissensbasis jedoch verbessert und damit die Prozessqualität bestmöglich gesteigert werden kann. Um Daten vernetzen zu können gilt es, Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Datenstrukturen zu identifizieren oder zu schaffen. Datenstrukturen ergeben sich aus dem Blickwinkel, den die Datenautoren (Mensch, Software) auf den Bauprozess einnehmen. Folglich sind diese sehr unterschiedlich und nicht einfach zusammenzuführen. Selten denken Datenautoren an die verschiedensten Blickwinkel, die andere Personen während des Bauprozesses einnehmen. Als Beispiel sollen folgende, für das Bauunternehmen relevante, strukturierte Daten dienen: Leistungsverzeichnis (LV), 3D-Modell und Kalkulation. Das durch den Planer des Auftraggebers erstellte LV orientiert sich in der Struktur meist an den einzelnen Gewerken des Bauprozesses. Es soll zum Ziel haben, alle Bauaufgaben bestmöglich qualitativ und quantitativ zu beschreiben. Es bildet somit die Struktur, auf der weitere Daten des Bauprozesses auf bauen. Auf dieser LV-Struktur baut die Kalkulation der Bauunternehmen auf und ist somit bereits direkt mit dem LV verknüpft. Sie liefert detaillierte Aufwands- und Kosteninformationen bezüglich der Bauaufgabe. Das 3D-Planungsmodell wiederum hat die Aufgabe die Bauaufgabe geometrisch möglichst detailgetreu und realitätsnah abzubilden. Die Strukturierung der Daten erfolgt dabei zunächst rein geometrisch. Die bauausführungsbezogenen Gewerke des LV spielen dafür keine Rolle. 3D-Modellstruktur und LV-Struktur werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus erstellt und sind nicht ohne weiteres kompatibel. Die BIM Methodik zielt darauf ab, Qualitätsbeschreibung und Geometrische Information im Sinne einer „Single Source of Truth“ abzubilden und vollumfänglich zu vernetzen. Innerhalb des Ansatzes zeigen sich jedoch aktuell Schwächen auf. Zum einen kann eine Bauaufgabe im Straßen- und Tief bau auf Grund von Unbekannten aus der Örtlichkeit (Bodenklassen, Untergrundverbesserung, unbekannter Leitungsbestand, …) in der Planungsphase nicht vollumfänglich geometrisch abgebildet werden. Zum anderen zeigt sich im Moment auch keine praktikable Lösung auf, wie die gegenwärtig angewandten qualitativ hervorragenden Grundlagen auf Basis des Standardleistungskatalogs (StLK) verlustfrei mit der Geometrie vernetzt werden können. Im vorliegenden Beitrag wird mit der LV-Klassifikation eine allgemeingültige Möglichkeit aufgezeigt, die Daten des LV (und anhängend der Kalkulation) mit den Daten des 3D-Modells zu verknüpfen. Im Rahmen von Mengenabfragen am Modell können dadurch 100 % der LV- Mengen berücksichtigt werden. Der Beitrag liefert Anregungen, wie das LV zukünftig verknüpfungsoptimiert 376 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung strukturiert werden kann. Am Beispiel der Wochenplanung des Bauleiters werden die softwaretechnische Umsetzung des Ansatzes sowie die aus der Datenverknüpfung resultierenden Mehrwerte aufgezeigt. 2. Motivation Während des Kalkulationsprozesses geht es für ein Bauunternehmen darum, die Aufwände und damit verbundenen Kosten aller im LV angeforderten Leistungen zu ermitteln. Dabei werden unter anderem die Mengen geprüft und Annahmen bezüglich den Leistungsansätzen und dem sich daraus ergebenden Bedarf an Personal und Geräten getroffen. Weiterhin werden die notwendigen Materialen, so wie der Einsatz von Nachunternehmerleistungen festgelegt. Darüber hinaus werden die Bauabläufe mit der dafür notwendigen Logistik entwickelt. Es entsteht Wissen in Form von Daten, welche grundlegend auf der Struktur des LV auf bauen und in der Regel nach Kostenarten strukturiert sind. Die Umsetzung der hier getroffenen Annahmen in die Örtlichkeit ist Basis für die erfolgreiche Abwicklung der Baumaßnahme. Nach Beauftragung gilt es, das Wissen aus der Kalkulation an die mit der Bauausführung betrauten Personen weiterzugeben. Dies geschieht in der Regel in Form von Übergabebesprechungen, in denen die wichtigsten Annahmen aus der Kalkulation thematisiert werden. Die Kalkulationsdaten sind jedoch in Gänze auf Grund der zersplitterten LV-Struktur für die bauausführenden Personen in ihrer komplexen Form oft wenig zugänglich. Hier kann der in diesem Beitrag vorgestellte Ansatz der LV-Klassifikation Abhilfe schaffen. Er ermöglicht die komplexen Kalkulationsdaten mittels des LV mit den Geometriedaten des 3D-Modell zu verknüpfen. Der Zugriff auf die Kalkulationsdaten kann dadurch sehr anschaulich und verständlich mittels des 3D-Modell erfolgen. Abbildung 1: Wochenplanung mit verknüpfter Datengrundlage Beispielhaft für den Nutzen der Datenverknüpfung steht die wochenweise Planung der Bauausführung des Bauleiters. Für jede der innerhalb der Woche auszuführenden Hauptarbeiten erstellt er ein Arbeitspaket auf Basis des Geometriemodells. Durch entsprechende Verknüpfungen enthält das Arbeitspaket ebenfalls die Informationen aus zugehörigen LV-Positionen und Kalkulationsdaten. Dieses Arbeitspaket kann der Bauleiter dann direkt an den Polier übergeben. Abbildung 1 zeigt schematisch, wie die wochenweise Planung der Bauausführung mittels Arbeitspaketen aussieht. In Abbildung 2 ist ein auf Basis des verknüpften Datenmodells erstelltes Arbeitspaket dargestellt. Abbildung 3 zeigt die Zusammenfassung des Arbeitspaketes im PDF-Format. Abbildung 2: 3D-Ansicht eines Arbeitspaketes Abbildung 3: PDF-Ausdruck eines Arbeitspaketes 3. Ziele Hauptziel der LV-Klassifikation ist es, die im LV qualitativ beschriebene Bauaufgabe vollumfänglich mit der im 3D-Modell beschriebenen Geometrie der Bauaufgabe zu verknüpfen. Konventionell wäre dies nur möglich, wenn jede LV-Position eine explizite Repräsentation im 3D-Modell hätte mit der sie verknüpft wird. Durch die LV-Klassifikation werden LV-Positionen, die keine 3D- Repräsentation haben, mit 3D-repräsentierten LV-Positionen verknüpft. Dadurch kann die Detailliertheit der 3D-Modellierung variabel angepasst werden. Eine Abwägung zwischen gewünschter Mengensicherheit und erforderlichem Modellierungsaufwand kann erfolgen. Unabhängig davon sind stets 100 Prozent der LV-Positionen im 3D-Modell repräsentiert und stehen für die Mengenabfrage zur Verfügung. Dies ermöglicht, dass in der Kalkulation im Bauunternehmen erarbeitete Wissen zur Steuerung des Bauprozesses zu nutzen. Der Datenzugriff kann schnell und anschaulich über das 3D-Modell erfolgen. Der Aufwand, die Daten zu nutzen wird reduziert und die Akzeptanz der Nutzung dadurch erhöht. Um BIM als Regelprozess im Unternehmen einsetzen zu etablieren, ist es unabdingbar, BIM unabhängig vom Auftraggeber nachträglich zur Bauphase hin einführen zu können. Dies kann auf Basis einer konventionellen Aus- 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 377 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung schreibung mittels Nachmodellierung einer 2,5D Planung und der Klassifizierung des herkömmlichen LV´s erfolgen. Der Detaillierungsgrad der Modellierung kann auf die Positionen beschränkt werden, für die eine genaue Menge erforderlich ist. Positionen, deren Modellierungsaufwand im Verhältnis zum Bauvolumen sehr groß ist, müssen nicht explizit modelliert werden. Viele dieser Modellierungsaufgaben werden aktuell im Zuge der nachgelagerten Abrechnung durch das Bauunternehmen bereits ausgeführt. Eine Vorverlagerung dieser Arbeiten kann die Datengrundlage vor Beginn der Baumaßnahme verbessern. Da eine Ausgabe der Daten für die konventionelle Abrechnung ebenfalls möglich ist können Projekte auch hybrid abgewickelt werden (intern als BIM-Projekt, zum Auftraggeber hin konventionell). Außerdem führt die LV-Klassifizierung dazu, dass Klarheit bezüglich der Abrechnung der einzelnen Positionen herrscht. Für explizit im 3D-Modell modellierte Positionen kann die Abrechnung direkt anhand deren Geometrie erfolgen. Die Abrechnungsmenge für an andere Positionen angehangene Positionen muss geprüft und gegebenenfalls durch ein separates Aufmaß verifiziert werden. 4. Herausforderung Zwingend erforderlich zur Umsetzung des Ansatzes der LV-Klassifikation ist ein passend strukturiertes 3D-Modell der Bauaufgabe. Die meisten Ausschreibungen im Tief- und Straßenbau sind aktuell nicht BIM-basiert und enthalten kein 3D-Modell. Die Nachmodellierung der 2,5-D-Planung durch das Bauunternehmen ist grundsätzlich möglich. Abweichend zum in der gegenwärtigen Vergabepraxis oft angetroffenen Zustand, bedarf es dann einem ausreichend großen Zeitfenster von der Vergabe bis zum Baubeginn. Weiterhin ist es erforderlich, dass die Struktur des LVs grundsätzlich für einen modellbasierten Ansatz geeignet sein sollte. Die LV-Positionen sollten in ihrer Aufteilung verschiedene Bauphasen und Bauabschnitte berücksichtigen. Beispielsweise wäre es ungünstig, wenn das Abtragen des Banketts am Baubeginn und das spätere Wiederherstellen am Bauende in derselben LV-Position ausgeschrieben sind. Die im Bauablauf zeitlich getrennten Arbeiten und die damit verbundenen, kalkulierten Aufwände könnten im Modell nicht getrennt voneinander dargestellt werden. Eine nachgängige interne Aufspaltung in eine Unterposition würde nötig werden. 5. LV-Klassifikation Eine eigene Analyse von verschiedenen Bauherren LV´s im Tief- und Straßenbau hat ergeben, dass nur ca. 65 % der Bausumme sinnvoll und direkt modellierbar sind. Sinnvoll bedeutet dabei, dass die Positionen explizit und mit vertretbarem Aufwand modellierbar sind. So können Leistungen, die nicht explizit geometrische zugeordnet werden können (z.B. Bodenaustausch), nicht sinnvoll modelliert werden. Bindemittel für Bodenverbesserungen oder -verfestigungen, die im LV in der Mengeneinheit „to“ ausgeschrieben sind, können nicht explizit modelliert werden. Der Aufwand für die Modellierung der Steigeisen eines Schachtes wird im Verhältnis zu deren Bausumme als nicht vertretbar angesehen. In fast allen dieser Fälle kann die nicht sinnvoll modellierbare Position einer anderen, sinnvoll modellierbaren Position zugeordnet werden. Sinnvoll modellierbare Positionen werden im Rahmen der LV-Klassifikation in Normal- und Leitpositionen unterschieden. Normalpositionen sind explizit im Modell repräsentiert, es gibt jedoch keine anderen Positionen, die von ihnen abhängig sind. Leitpositionen sind ebenfalls explizit modelliert und besitzen weitere, von ihnen abhängige Anhangspositionen. Anhangspositionen werden in „relativ“ und „kombi“ unterschieden. Relative Anhangspositionen können einer- oder mehreren Leitpositionen zugeordnet werden. Ihre Menge hängt von der Menge aller zugehörigen Leitpositionen ab. Kombi Anhangspositionen werden genau einer Leitposition zugeordnet. Das Besondere dabei ist, dass im Vorhinein nicht festgelegt werden kann, welche der Kombiposition einer Leitposition oder die Leitposition selbst, für ein Modellobjekt zur Anwendung kommen. Zunächst werden also sowohl die Leitposition als auch alle zugehörigen Kompositionen entsprechend ihrer LV-Mengenverhältnisse berücksichtigt. Die verschiedenen Positionsarten und ihre Abhängigkeiten sind in Abbildung 4 schematisch dargestellt. Abbildung 4 Positionstypen und Abhängigkeiten der LV-Klassifikation Tabelle 1 enthält das Beispiel einer Leitposition und einer zugehörigen Anhangsposition. Die Position 01.01., das Herstellen der Asphaltdeckschicht, wurde als Leitposition klassifiziert. Der Modellierungsaufwand für diese Position steht in einem günstigen Verhältnis zu ihrer Bausumme und eine hohe Mengengenauigkeit ist Voraussetzung für die Bauausführung. Die Position 01.02., das Herstellen der Anschlussfuge der Asphaltdeckschicht, wurde als relative Anhangsposition klassifiziert. Die geringe Bausumme rechtfertigt den Modellierungsaufwand nicht. Beispielhaft wird nun im Rahmen der Mengenabfrage am Modell ein Deckschichtobjekt ausgewählt, welches mit der Position 01.01. verknüpft ist und eine Fläche von 1 m² hat. Entsprechend der LV-Mengenverhältnisse von Anhangs- und Leitposition (50,00 m / 250 m²) wird automatisch eine Menge von 0,2 m für Position 01.02. mitgeliefert. 378 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung Tabelle 1: Beispiel einer Leitposition mit zugehöriger, relativer Anhangsposition OZ Kurztext ME Menge Positionstyp 01.01. ADS herstellen m² 250,00 Leitposition 01.02. Anschlussfuge herstellen m 50,00 Anhang_ relativ Tabelle 2 enthält das Beispiel einer Leitposition und zweier zugehörigen Anhangspositionen. Die Position 02.01., das Abtragen des Bankettes Z1 DK0, wurde als Leitposition klassifiziert. Die Positionen 02.02. und 02.03., das Abtragen der Bankette weiterer Bodenklassen und Deponiekategorien, wurde als kombi Anhangsposition klassifiziert. In diesem Fall werden die Mengen aller Positionen im 3D-Modell explizit abgebildet. Es ist jedoch im Voraus nicht vorhersehbar, für welches Modellobjekt welche LV-Position zum Tragen kommt. Beispielhaft wird nun im Rahmen der Mengenabfrage am Modell ein Bankettobjekt ausgewählt, welches mit der Position 02.01. verknüpft ist und ein Volumen von 1 m³ hat. Dieses Volumen wird nun entsprechend den LV- Mengenverhältnissen sowohl auf die Leitposition als auch alle kombi Anhangspositionen aufgeteilt. Es ergeben sich für Positionen 02.01., 02.02. und 02.03. die Mengen 0,25 m³ (50,00 m³ / 200 m³), 0,5 m³ (100,00 m³ / 200 m³) und 0.25 m³ (50,00 m³ / 200 m³). Tabelle 2: Beispiel einer Leitposition mit zugehörigen kombi Anhangspositionen OZ Kurztext ME Menge Positionstyp 02.01. Bankett abtragen Z1 DK0 m³ 50 Leitposition 02.02. Bankett abtragen Z2 DK0 m³ 100 Anhang_ kombi 02.03. Bankett abtragen Z2 DK1 m³ 50 Anhang_ kombi 6. Umsetzung im Beispielprojekt A36 Am Beispiel der Erhaltungsmaßnahme BAB 36 zwischen AS Halberstadt und AS Blankenburg-Ost (im folgenden A36 genannt) soll der Ansatz sowie dessen softwaretechnische Umsetzung in DESITE BIM verdeutlicht werden. Die Maßnahme hatte ein Gesamtbauvolumen von ca. 1,8 Mio. Euro. Im wesentlich ging es darum, auf einer Strecke von ca. 3 km für eine Richtungsfahrbahn den Asphaltoberbau zu erneuern und die Frostschutzschicht neu zu profilieren. Die Modellierung erfolgte dabei auf Basis des Ergebnisses der LV-Klassifikation. In Abbildung 5 ist das Vorgehen hinsichtlich der LV- Klassifikation ersichtlich. Da für die Baumaßnahme nur wenige Planungsunterlagen vorlagen (u.a. keine Querschnittszeichnungen), wurden einfache Zeichnungen erstellt anhand derer die LV-Klassifikation anschaulich abgestimmt werden konnte. Die blau hinterlegten Positionen sind Leitpositionen, während die gelb hinterlegten Positionen Anhangspositionen darstellen. Abbildung 5: Abstimmung der LV-Klassifikation In Tabelle 3 ist die Anzahl und Bausumme der einzelnen Positionen im Ergebnis der LV-Klassifikation erkennbar. Es wurden lediglich 34 Positionen (Normal- und Leitpositionen) zur expliziten Modellierung vorgesehen. 121 Positionen wurden an diese angehängt. Trotz dessen, dass nur diese ca. 21,9 % der Positionen direkt modelliert wurden, konnten dadurch ca. 68,7 % der gesamten Bausumme abgebildet werden. Tabelle 3: Übersicht Positionstypen im Ergebnis der LV-Klassifikation (LV A36) Positionstyp Anzahl Positionen Anteil Bausumme [ca. %] Normalposition 1 0,7 Leitposition 33 68,0 Anhangspositionen 121 31,3 Auf Grundlage dieser LV-Klassifikation wird die softwaretechnische Umsetzung in DESITE erläutert. Dabei wird die Perspektive der Bauleitung eingenommen. Im Detail geht es darum, die Bauausführung für die anstehende Woche gemeinsam mit dem Polier zu planen (siehe auch Abbildung 1). Als Datenbasis dienen dazu folgende Elemente: strukturiertes 3D-Modell, klassifiziertes Bauherren-LV und Auftragnehmer Kalkulation. Auf Grundlage einer Kalenderwoche wird für jede Haupttätigkeit ein Arbeitspaket erstellt. Abbildung 6 zeigt die Übersicht über alle Kalenderwochen der Baumaßnahme. Diese werden zu Beginn des Projektes für den gesamten Bauzeitraum angelegt. Für jede Kalenderwoche ist ersichtlich, wie viele Arbeitskräfte geplant und wie viele Lohnstunden geplant und kalkuliert wurden. Die Werte ergeben sich durch Aufsummieren der Werte aller in der Kalenderwoche enthaltenen Arbeitspakete. Dies ermöglicht dem Bauleiter, eine schnelle Übersicht zu jeder Kalenderwoche zu erhalten. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 379 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung Abbildung 6: Übersicht über Kalenderwochen der Baumaßnahme Wird eine Kalenderwoche geöffnet, gelangt man zu der in Abbildung 7 dargestellten Übersicht. Hier sind alle für die Kalenderwoche geplanten Arbeitspakete ersichtlich. Dies dient einer schnellen Übersicht über die Höhe der geplanten und kalkulierten Lohnstunden sowie der kalkulierten Gesamtkosten. An dieser Stelle kann mit der Erstellung eines neuen Arbeitspaketes begonnen werden. Abbildung 7: Übersicht über Arbeitspakete einer Baumaßnahme Abbildung 8 zeigt den ersten Schritt bei der Erstellung eines neuen Arbeitspaketes. Zunächst werden die Modellobjekte nach bestimmten Kriterien gefiltert. Filter können in beliebiger Reihenfolge beliebig kombiniert werden. Anhand der hinterlegten Kalkulation können für jede Filterkonfiguration direkt die kalkulierten Lohnstunden berechnet werden. Dadurch wird eine zielgerichtete Iteration des Filters hinsichtlich der Lohnstunden ermöglicht. Im Beispiel wurden nach den Modellobjekten gefiltert, die am Ort MÜ2 (Mittelstreifenüberfahrt 2) liegen. Für die mit diesen Objekten verknüpften LV-Positionen wurden insgesamt 127 Lohnstunden kalkuliert. Abbildung 8: Festlegen der Modellobjekte des Arbeitspaketes Im nächsten Schritt werden, wie in Abbildung 9 gezeigt, Details bezüglich des Arbeitspaketes definiert. Diese beinhalten den Arbeitspaketnamen sowie die Arbeitskräfteeinsatzplanung. Es erfolgt die Festlegung, wie viele Arbeitskräfte an wie vielen Tagen der Woche für wie viele Stunden eingesetzt werden sollen. Wieder kann hier der direkte Abgleich mit den kalkulierten Lohnstunden erfolgen. Abbildung 9: Arbeitspaket detaillierte Arbeitskräfteplanung In Abbildung 10 sind die mit den gefilterten Modellobjekten verknüpften LV-Positionen ersichtlich. Während die Klassifikation in den vorhergehend beschriebenen Schritten bereits für die Ermittlung der kalkulierten Lohnstunden von Bedeutung war, ist sie hier das erste Mal direkt ersichtlich. Leit- und Normalpositionen sind grün gekennzeichnet, während Anhangspositionen gelb bzw. blau gekennzeichnet sind. Es wird direkt ersichtlich, welche Anhangspositionen ihre Mengen von welchen Leitpositionen ableiten. Die Mengen von Leit- und Normalpositionen sind explizit modelliert und damit nicht anpassbar. Die Mengen von Anhangspositionen sind aufgrund ihrer inhärenten Unschärfe anpassbar. 380 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Modellbasierte Prozesssteuerung im Tief- und Straßenbau in der Bauausführung Abbildung 10: LV-Mengenübersicht eines Arbeitspaketes Nachdem die Mengen der Anhangspositionen entsprechend angepasst wurden, werden, wie in Abbildung 11 gezeigt, die für die LV-Positionsmengen kalkulierten Kosten und Aufwände dargestellt. Außer eigener Kommentare bestehen hier keine weiteren Anpassungsmöglichkeiten. Die Erstellung des Arbeitspaketes wird anschließend abgeschlossen und das Arbeitspaket wird in der Übersicht sichtbar (Abbildung 12). Die Weitergabe des Arbeitspaketes kann als PDF- (siehe Abbildung 3) oder als Excel-Datei mit angehängtem Modellausschnitt erfolgen. Abbildung 11: Kalkulationsmengenübersicht eines Arbeitspaketes Abbildung 12: erstelltes Arbeitspaket in der Übersicht 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 381 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Dr. Veit Appelt A + S Consult GmbH, Dresden Zusammenfassung BIM2Field und Field2BIM heißen die neuen Tendenzen, der definierte Nutzen ist klar: Transparenz in allen Dimensionen Mengen, Zeit und damit Geld. Alles in einer optimalen Kommunikationsumgebung mobil auf der Baustelle und im Büro dezentral verfügbar - jederzeit und allumfassend. Der Weg dorthin vollzieht sich jedoch nur über vollständig digitale Prozesse; demnach über parametrisierte Gesamtmodelle mit umfassenden vernetzten Informationen innerhalb eines SSoT - und eben nicht über unabhängige sowie unzureichend digitalen Arbeitsweisen. Diese Voraussetzung zusammen mit digitalen Technologien der Auswertung sowie modernen Methoden der Informationsspeicherung und -übertragung führen zur Realisierung des wohl anspruchsvollsten Anwendungsfalls im BIM - der digitalen Leistungsmeldung, Abrechnung und Kontrolle des Bauprozesses. 1. Einführung Ein intelligentes Gesamtmodell wird als SOLL zum Leistungsmelden benutzt. Hierbei erfasst die Baustelle genau die Fachobjekte oder Teile davon, die sie erstellt hat. Das Ergebnis ist ein IST-Modell, das direkt mit dem SOLL- Modell innerhalb genau eines Gesamtmodells vernetzt ist. Damit ist automatisch der Baufortschritt digitalisiert. Ist zusätzlich das SOLL mit einem Terminplan (4D/ 5D- SOLL-Modell) vernetzt, ist sofort das SOLL zum IST über der Zeit auswertbar: Teile, die vor oder hinter dem Zeitplan liegen, werden digital erkannt. Im Vortrag wird kurz auf die Erstellung eines dafür notwendigen intelligenten Gesamtmodells eingegangen. Auf bauend darauf wird der Usecase der Leistungsmeldung mit modernen Methoden der Erfassung und Informationsverarbeitung dargestellt und die Ergebnisse als vollautomatische Produktion des IST-Modells aufgezeigt. Damit wird deutlich, dass Digitalisierung beim Bauen nicht mit dem statischen Modellieren der Planung zu verwechseln ist. RealSite5D: Baugrund und Erdbau digital erfassen und abrechnen eine kombinierte BIM2FIELD- und FIELD- 2BIM-Lösung. 2. Einordnung Gesamtmodell: Vernetzung von Informationsebenen Die Abb. 1 zeigt die Vernetzung von Informationsebenen ohne Verschwendung (LEAN) innerhalb genau eines Kosmos - Gesamtmodell - ist Grundlage der Digitalisierung: Abb. 1: Einordnung Gesamtmodell 382 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen 3. Vollparametrischer Erd- und Oberbau Speziell für den Erd- und Oberbau müssen die Volumina vollparametrisiert aus der Fachplanung enthalten sein, da nur so • einbaubedingte Besonderheiten (Einbaulagen Damm, Einbaulagen Asphalt) berücksichtigt und • implizite Volumenteile (Stationsbereiche der Baustelle) digital auswertbar sind (damit dynamisch auf die jeweils aktuelle Bausituation bezogen): Abb. 2: Vollparametrischer Erd- und Oberbau 4. Theorie: Baufortschritt und Leistungsmeldung Im Kontext der Einordnung des IST-Modells (Punkt 2) und zum parametrischen Gesamtmodel (Fachplanung ist im Gesamtmodel enthalten, Punkt 3) wird die Erfassung des Baufortschritts durch Leistungsmeldung in verschiedenen Usecases dargestellt: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 383 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Abb. 3: IST-Modell Damit ist das IST-Modell über Leistungsmeldungen vollständig parametrisiert: Abb. 4: IST-Leistungsmeldung 4.1 Leistungsmeldung und Einbauschichten Das Fertigmelden von ganzen, unveränderbaren Fachobjekten des SOLL (Schacht, Haltung, Schutzplanke, Markierung) ist trivial. Kompliziert (und mit statischen IFC-Modellen nicht möglich) ist die Anwendung der direkten parametrischen Auswertung des IST durch die Leistungsmeldung beim Erdbau und hier speziell in Einbaulagen (Einbauschichten) im Erdbau: 384 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Abb. 5: IST-Einbauschichten im Erdbau oder im Oberbau: Abb. 6: IST-Einbauschichten im Oberbau Neben der Auswertung der Parametrik in der „Einbauhöhe“ ist erst jetzt bekannt, welche Stationsbereiche des Erd- oder Oberbaus erstellt wurden (Stand der Baumaschine). Diese Information stellt die Parametrik in „Längsrichtung“ dar. Beide Parametrik zusammen bilden das gemeldete Volumen des IST. 5. Meldung in modernen Informationstechnologien Die Erfassung der Leistungsmeldung kann direkt (klassisch) über Listen oder über einen Server via. App erfolgen: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 385 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Abb. 7: Datenfluss Damit wird die Erfassung mobil: Abb. 8: Mobil-App: Erfassung Bau 6. Analyse des IST Nach der Erfassung wird das IST-Modell vollautomatisch aus dem SOLL über den entsprechenden Leistungsmeldungen (Parametrik! ) berechnet: 386 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Abb. 9: Analyse erfasster Bau Oder der somit erfasste Baufortschritt über der Zeit analysiert: Abb. 10: Darstellung des Bauverlaufes eine IST-Analyse „gefahren“: 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 387 RealSite5D: Technologie der echten modellbasierten Leistungsmeldung beim Bauen Abb. 11: Ergebnis: Stationsgenaue Auswertung des IST oder das SOLL zum IST verglichen: Tab. 1: Definition der SOLL/ IST-Analyse Analyse Inhalt SOLL ohne IST Teile hinter dem Zeitplan (Lates) IST ohne SOLL Teile vor dem Zeitplan (Futures) 7. Ausblick Die nächsten Schritte bestehen in der lasergestützten Erfassung des tatsächlichen IST (ISTIST). Dieses definiert den neuen Auswertehorizont des nächstgemeldeten IST. Dabei muss die Erfassung: • als weitere Informationsebene im Gesamtmodell erfasst sein und • direkt mit dem SOLL- und IST-Modell vernetzt sein, um • komplexe nD-Auswertungen (bis zum LV und Vorgangsmodell sowie neuem IST) zu ermöglichen. Diese Technologie unterscheidet sich entschieden von anderen (bereits eingesetzten) Technologien insbesondere durch die Erhaltung der automatischen Vernetzung zwischen SOLL, IST (gegebenenfalls abgerechnet) und ISTIST (automatisch ausgewertetes IST durch Laserbefliegung). Damit sind direkt die (neuen) Analysemöglichkeiten im Sinn digitaler Prozesse impliziert. Beispielsweise sind direkte Auswertungen einer Laserbefliegung ohne digitale Rückvernetzung mit dem SOLL oder IST heute Standard. Daraus sind Volumina zwar „irgendwie“ von der Baustelle im Haus hochgenau bestimmbar, die digitale Weiterverarbeitung im Sinn des vollautomatischen SOLL-/ IST-Vergleich aber nicht möglich. Da manuelle Prozessschritte diesen Missstand ausgleichen, handelt es sich um einen weiterhin klassischen Prozess. Pflaster 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 391 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) Dipl.-Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Straßenbau, Fachbereich Pflasterbau, Friedberg Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen Stand: Dez. 2022 Öffentlich bestellt und vereidigter Sachverständiger von der Handwerkskammer Schwaben für das Straßenbauerhandwerk Fachbereich Pflasterbau Dipl. Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier Keltenstr. 24, 86316 Friedberg Tel. 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de www.burgetsmeier.de 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis 7. und 8. Februar 2023 392 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 393 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 394 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 395 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 396 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 397 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Grundlegende Neuigkeiten: - Bord- und Einfassungssteine müssen ab Bk 1,8 in Haftschlämme gesetzt werden - Es werden verschiedenste Ausführungsarten / möglichkeiten rund um das Thema beschrieben, so auch Klebeborde, Asphaltbordrinnen, Gussasphaltrinnen, Betonbordrinnen mit Gleitschalungsfertiger usw. - Befahrene Kastenrinnen sind schadensträchtig. - Tauglichkeit RR als Widerlager - Fundament und Rückenstütze aus C 20/ 25 mit ≥ 12 MPa im fertigen Zustand! - Rückenstütze ist in Schalung herzustellen detaillierte Betoniervorgaben 398 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Grundlegende Neuigkeiten: - Fugenausbildung: offen, Fugenband, Fugenkit, vermörtelt - Bewegungsfugen - Konkrete Angaben zu Planung und Ausführung - Konkrete Vorgaben zu Kontrollprüfungen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 399 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 400 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 401 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 402 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 403 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) 404 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das neue Merkblatt für Randeinfassungen und Entwässerungsrinnen in der Praxis (M RR) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Haben Sie noch Fragen ? WWeeiitteerree VVoorrttrrääggee: : sshh.. www.pflaster-gutachter.de AAUUSS SSCCHHÄÄDDEENN LLEERRNNEENN" SSCCHHÄÄDDEENN VVEERRMMEEIIDDEENN - Pflaster in ungebundener Bauweise - Pflaster in gebundener Bauweise - Treppen und Rampen - Trockenmauern, Stützmauern, Stützwinkel, Gabionen, Blockschichtungen - Niederschlagsabwassergebühr, muss das sein? - Sickerfähige und begrünbare Pflaster- und Plattenbeläge - Fassadenanschlüsse mit Pflaster und Platten - Parkplätze bauen, aber richtig - ZTV Wegebau - Pflaster auf Bauwerken und vieles mehr! ! ! 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 405 Das erweiterte Merkblatt für die bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einfassungen (M BEP) Dipl.-Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Straßenbau, Fachbereich Pflasterbau, Friedberg Bauliche Erhaltung von Pflasterflächen aufwendig bauen oder unterhalten? Stand: Dez. 2022 Öffentlich bestellt und vereidigter Sachverständiger von der Handwerkskammer Schwaben für das Straßenbauerhandwerk Fachbereich Pflasterbau Dipl. Ing. (FH) Bernd Burgetsmeier Keltenstr. 24, 86316 Friedberg Tel. 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de www.burgetsmeier.de 3. Kolloquium Straßenbau in der Praxis 7. und 8. Februar 2023 406 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Ungebundene Bauweise: Es sind doch immer die gleichen Schäden. - Entleerte und/ oder nicht gefüllte Fugen - Pflaster- und Plattenverschiebungen - Unebenheiten und Überzähne - Lockere oder gelockerte Steine - Steinbrüche - Kanten- und Eckabplatzungen - Betonartige Verkrustungen von Bettungs- und Fugenmaterial 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 407 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 408 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 409 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Bildet den Stand der Technik ab! 410 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Im "Merkblatt für die Bauliche Erhaltung von Verkehrsflächen mit Pflasterdecken oder Plattenbelägen" werden für die Praxis technische Hinweise gegeben für die • Festlegung der maßgebenden Zustandsmerkmale für die Zustandserfassung, • Identifizierung der wesentlichen Schäden an Pflasterdecken und Plattenbelägen und • Planung und Ausführung geeigneter Maßnahmen der Baulichen Erhaltung. Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 411 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Deshalb: Ursprung allen Übels ist oft die ungebundene Fugenfüllung! … wirklich? Mischbauweise nach ZTV Wegebau? Fuge gebunden und Bettung ungebunden? … ist das die Lösung? Oder vollgebundene Bauweise? Die aktuelle ATV DIN 18318 enthält nun gebundene Bauweise! à somit besteht die Wahl: - Regelwerke der FLL - ZTV Wegebau - Regelwerke der FGSV - M FP geb Die Antwort ergibt sich aus dem jeweiligen Geltungsbereich. 412 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) … wurde gerade in das neue M BEP eingearbeitet … wurde auch in die neue TP Pflaster eingearbeitet Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Vorteile einer gBw: wartungsarm (-frei) dauerhaft gleichbleibende Ebenheit höhere Stabilität und Dauerhaftigkeit, insbesondere bei Schubkräften (Drehen, Beschleunigen, Bremsen, Kreuzungen, spurgeführter Verkehr, Gefällestrecken, etc.) größere gestalterische Spielräume, z.B. Kreuzfugen Nachteile einer gBw: aufwendiger und teurer (nicht unbedingt über die Jahre! ) - Planung, da z.B. zus. Bewegungsfugen geplant werden müssen - Ausschreibung, es müssen die Materialien abgestimmt werden, hierzu sind teilweise Voruntersuchungen erforderlich (z.B. Haftzugfestigkeit zwischen Stein und Fuge) - Bauüberwachung erfordert ein höheres Maß an Zeit, Aufwand und Qualität sowie Kontrollprüfungen samt Auswertung gemäß AL-P - Höhere und umfangreichere handwerkliche Qualität erforderlich - Ausführung; Zeit und Kosten sowie zusätzliche Bauteile und Arbeiten 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 413 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Wie aufwendig ist es (kann es sein), eine ungebundene Pflasterfläche zu warten? - Gar nichts erforderlich? ? ? - Fugensand, regelmäßig Nachsanden - Unkraut und Verschmutzungen - Senken, Pfützen, Spurrinnen, Sägezahnbildung - Reparaturen, verschobene/ gebrochene Steine, Kantenabplatzungen, Abplatzungen Wie aufwendig ist es (kann es sein), eine gebundene Pflasterfläche zu warten? - Bewegungsfugen erneuern (Wartungsfugen) - Gar nichts erforderlich wenn fachgerecht erstellt! ! ! - Risse sanieren, weil sie nicht fachgerecht erstellt wurde! Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Aber was machen wir mit Pflasterflächen, die rutschig sind? Oder zu laut sind? Oder zu schmutzempfindlich und wenig reinigungsfreundlich? - Gut liegende, ebene Natursteinflächen mit runden Köpfen? - Glatt polierte Basaltflächen? - Denkmal- oder ensemblegeschützte Bereiche? - Barrierefreie Gestaltungswünsche? - Ausführung nur in Teilbereichen? - Nahtlose Übergänge? 414 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 415 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 416 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Die Antwort heißt: Das Pflaster muss auf gar keinen Fall ausgebaut, abgesägt und wieder eingebaut werden. Es gibt zahlreiche Verfahren, mit denen das Pflaster, egal ob - Betonsteinpflaster (abhängig vom Preis) - Klinkerpflaster - Natursteinpflaster - Bruchrauhes Kleinpflaster - Großpflaster - Platten - Formatierte Quader aus Naturstein im eingebauten Zustand nachbearbeitet werden können. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 417 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Das muß nicht immer sein! 418 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 419 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 420 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 421 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 422 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 423 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) 424 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Das erweiterte Merkbl. für die bauliche Erhaltung von Verkehrsfl. mit Pflasterdecken, Platten- und Großformatbelägen sowie von Einf. (M BEP) Dipl.Ing.(FH) Bernd Burgetsmeier, Keltenstr. 24, 86316 Friedberg, 0821/ 5697474, b.burgetsmeier@web.de Haben Sie noch Fragen ? WWeeiitteerree VVoorrttrrääggee: : sshh. . www.pflaster-gutachter.de AAUUSS SSCCHHÄÄDDEENN LLE ERRNNEENN" SSCCHHÄÄD DEENN VVEERRMMEEIIDDEENN - Pflaster in ungebundener Bauweise - Pflaster in gebundener Bauweise - Treppen und Rampen - Trockenmauern, Stützmauern, Stützwinkel, Gabionen, Blockschichtungen - Niederschlagsabwassergebühr, muss das sein? - Sickerfähige und begrünbare Pflaster- und Plattenbeläge - Fassadenanschlüsse mit Pflaster und Platten - Parkplätze bauen, aber richtig - ZTV Wegebau - Pflaster auf Bauwerken und vieles mehr! ! ! 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 425 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen Entwicklung eines Messverfahrens zur Bewertung des Einflusses von Fugenmaterial bei Pflaster- und Plattenbelägen auf den Rutschwiderstand Prof. Dipl.-Ing. Berthold Best Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Marcel Ayasse Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Jaqueline Mailer Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Carolin Moritz Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Abdullah Özgül Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Hannah Schumann Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm Zusammenfassung Mit der Neuherausgabe des „Merkblattes über den Rutschwiderstand von Pflasterdecken und Plattenbelägen für den Fußgängerverkehr“ hat die FGSV 2020 erneut Grundlagen für die Trittsicherheit von Fußgängerverkehrsflächen und deren Messung formuliert. Der Rutschwiderstand einer Pflaster- oder Plattenfläche ist bisher unter vielen vereinfachenden Kriterien definiert worden, die die Wirklichkeit nicht hinreichend genau abbilden. Ferner sind die meisten Messungen auf den Rutschwiderstand von Einzelsteinen beschränkt worden. Das Zusammenwirken von Pflasterstein bzw. Platte und Fuge ist unberücksichtigt geblieben. Für die Fortentwicklung des technischen Regelwerkes werden alle bisher getroffenen Annahmen kritisch hinterfragt. Insbesondere ist die Bewertung der Rutschsicherheit an der Fläche und nicht mehr an einem Einzelstein vorgenommen worden. Dabei wurden die Messungen mit dem im Straßenbau üblichen SRT-Gerät mit Messungen weiterer, für die Trittsicherheit von Fußböden eingeführten Messgeräte verglichen. Der Beitrag gibt einen Überblick über den Stand der Forschung und stellt alternative Verfahren zur Messung des Rutschwiderstandes vor. 1. Einführung Mit der Formulierung von Kriterien zum Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen hat sich die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) erstmalig mit der Herausgabe des entsprechenden Merkblattes im Jahre 1997 beschäftigt. Die darin enthaltenen Mess- und Grenzwerte beruhten auf der umfangreichen Untersuchung neuer und gebrauchter Beläge mittels SRT-Pendelgerät und Ausflussmessungen nach Moore. Auch wurde in dem Merkblatt festgehalten, dass die Gebrauchseigenschaften abhängig sind vom Pflasterbzw. Plattenformat und dem daraus resultierenden Fugenanteil. Die grundlegende Überarbeitung des Merkblattes führte zu dessen Neuherausgabe im Jahre 2020. Mittlerweile hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Makrorauheit für das sichere Begehen von Fußgängerverkehrsflächen von untergeordneter Bedeutung ist. Daher wurden die Ausflussmessungen nach Moore nicht mehr herangezogen. Dem SRT-Verfahren wird auch in der Neuherausgabe der Vorzug gegeben, die Anwendung alternativer Messverfahren allerdings ermöglicht. Explizit erwähnt ist das Begehungsverfahren „Schiefe Ebene“ und das Gleitmessgerät (GMG). Die Erkenntnisse aus der Erstauflage, dass auch der Fugenanteil beim Rutschwiderstand mitwirkt, wurden für die Neuauflage zunächst nicht weiterverfolgt. Damit war der Anlass zu umfangreichen Laboruntersuchungen an der Technischen Hochschule Nürnberg gegeben. Ziel war die Entwicklung eines Messverfahrens zur 426 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen Bewertung des Einflusses von Fugenmaterial bei Pflaster- und Plattenbelägen auf den Rutschwiderstand 2. Rutschwiderstand und Ausrutschen 2.1 Grundlagen Beim Rutschwiderstand handelt es sich um ein komplexes Zusammenwirken von Griffigkeits- und Rauheitskriterien, die sich darüber hinaus im Laufe der technischen Nutzungsdauer einer Pflaster- oder Plattenfläche verändern. Subjektive Einflüsse sind darüber hinaus die Gehwegbenutzer (alte, junge und mobilitätseingeschränkte Personen), das Schuhwerk (Material, Profil und Zustand von Sohle und Absatz), das Umfeld (Erlebnisbereiche in Stadt- und Einkaufszentren, gepflegte oder heruntergekommene Bebauung, Treppen- oder Parkbereiche) und der visuelle Eindruck der Belagsoberfläche (Nässe, Neigung, Belichtung, Verlegeart, Fugenart, Helligkeit etc.). Zur Bestimmung und Bewertung der Trittsicherheit auf Pflaster und Plattenbelägen ist in einem ersten Schritt die Definition und Abgrenzung der Trittsicherheit vorzunehmen. Zunächst ist festzuhalten, dass es für die Trittsicherheit keine allgemeingültige Definition gibt. Der Begriff kann mit „surefootedness“ in das Englische übersetz werden, was die Fähigkeit, auf unebenem Untergrund leicht zu gehen ohne zu stürzen bedeutet. Die Unfälle bei mangelnder Trittsicherheit werden durch Stolpern, Umknicken oder Ausrutschen verursacht. In den Begriffsbestimmungen für Straßenbautechnik hat die FGSV erläutert, dass die Trittsicherheit von messbaren und nicht messbaren Eigenschaften sowie von subjektiven Empfindungen des Nutzers bestimmt wird. Der Begriff „Trittsicherheit“ wird im Merkblatt selbst nicht verwendet. Es werden jedoch die maßgeblichen Einflüsse für ein sicheres Fortbewegen zu Fuß festgehalten: • Reibungssystem zwischen Belagsoberfläche, Gleitmittel und Schuhe • Umgebungsbedingungen • Individuelle Empfindung • Subjektive Einflüsse (Alter, Mobilitätseinschränkungen) Im Rahmen der Untersuchungen an der Technischen Hochschule sollte eine Konzeption für die Messung und Bewertung des Rutschwiderstandes von Pflaster- und Plattenbelägen einschließlich der Fugen entwickelt werden. Hierzu wurde ausschließlich das Ausrutschen als Indikator für mangelnde Trittsicherheit herangezogen. Die beiden anderen Unfallursachen, Stolpern und Umknicken, wurden nicht herangezogen. 2.2 Der Vorgang des Ausrutschens Beim Ausrutschen handelt es sich um einen komplexen Unfallvorgang, bei dem viele Einflussgrößen eine Rolle spielen. Grundsätzlich muss die Reibkraft von Schuh-/ Fußsohle und Boden überschritten werden, damit es zu einem Ausrutschen kommt. Zusätzlich muss die Reibkraft für mindestens 10 cm überschritten oder eine Rutschgeschwindigkeit ≥ 0,5 m/ s vorhanden sein. Der Gleitreibungskoeffizient ist als Quotient aus der Gleitreibung und der Normalkraft des Körpers definiert und von der Rauheit der verwendeten Materialien sowie einem möglichen Gleitmittel abhängig. Bei Verwendung der für Fußgängerverkehrsflächen gängigen Gleitmitteln (Wasser, Öl) zwischen den Reibflächen wird der Gleitreibungskoeffizient verringert. Die Arbeitsgruppe „Arbeitswissenschaftliche Erkenntnis Trittsicherheit: Beurteilung der Rutschsicherheit von Fußböden“ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat für die Beurteilung der Rutschsicherheit den Anforderungskoeffizienten Q entwickelt. Dieser Anforderungskoeffizient ist der Quotient aus den horizontalen und vertikalen Aufsetzkräften, welche beim Gehen entstehen. Ist Q ≥ Gleitreibungskoeffizient, ist ein sicheres Begehen möglich. Zur Ermittlung und Beurteilung des Anforderungskoeffizienten Q spielt der menschliche Gang eine wichtige Rolle. 2.3 Der menschliche Gang Bei horizontalen Vorwärtsbewegungen unterscheidet man zwischen langsameren Gehen und schnellerem Laufen. Jeder Zyklus besteht aus einem „Doppelschritt“, gefolgt von der „Stützphase“ und der „Schwebephase“. Für die Betrachtung des Rutschwiderstandes ist die Stützphase entscheidend, denn in dieser berührt mindestens ein Fuß den Boden und überträgt die nötige Kraft, um weiterzugehen. Beim Gehen geschieht dies über beide Füße. Durch die doppelte, größtenteils vertikale, Kraftübertragung ist der Rutschwiderstand höher als beim schnellen Laufen. Hier erfolgt die Krafteinwirkung nur über einen Fuß und ist horizontaler gerichtet. Diese Gangarten sind Betrachtungen des optimalen Ganges. Doch durch schlechte Haltung, oftmals hervorgerufen von Büroarbeiten und die Nutzung des Smartphones während des Gehens, verändert sich die Vorwärtsbewegung. Die Füße werden oftmals kaum noch gehoben, sondern „schlurfen“ über den Boden und begünstigen damit den Ausrutschvorgang. Neben der Gangart ist ein weiterer Einfluss des Menschen selbst sein körperlicher und geistiger Zustand. Das Gewicht eines Menschen spielt in die Rutschhemmung ein. Je schwerer eine Person ist, desto größer ist die vertikale Kraftübertragung und damit der Rutschwiderstand. Kinder und leichtere Personen sind demnach gefährdeter, auszurutschen. Das Tragen von Einkaufstaschen oder anderen Gegenständen kann die Gangart und Schwerpunktlage beeinflussen und das Ausrutschen begünstigen. Der geistige Zustand des Einzelnen kann das ebenfalls begünstigen, aber auch verhindern. Sind Menschen konzentriert, passen sie ihre Gangart an unterschiedliche Bodenbeläge instinktiv an. Durch schwere Lasten, geringe Konzentration oder andere Störfaktoren kann dieser Instinkt aussetzen. Ebenfalls schwer zu erfassende Umstände sind das Alter, der Verwitterungsgrad und die Sauberkeit des Bodenbelags. Starke Abnutzung können die Mikro- und Makrorauheit maßgeblich verändern und ein Ausrutschen 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 427 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen begünstigen. Frost kann die Strukturen des Materials auf brechen und ungeplanter Bewuchs, wie Moos, Gras oder Unkraut, können den Rutschwiderstand erheblich beeinflussen. Unebenheiten, beispielsweise lockere Steine, spielen auf jedem Bodenbelag eine große Rolle, da sie nahezu überall zu finden sind. Auch geplante Einbauteile wie Schieberkappen, Lüftungsgitter oder Sickerrinnen stellen eine Rutschgefahr dar, besonders bei Nässe. Ein Einfluss auf die Rutschsicherheit, der bei jedem Fußbodenbelag auftritt, sind die Fugen. Betrachtet man die Fliesenverlegung in Schwimmbädern, sorgt eine große Menge an Fugen für einen besseren Rutschwiderstand, nicht zuletzt durch ihre Drainagewirkung. Die Überlegung dahinter ist, dass Fliesen einen sehr niedrigen Rutschwiderstand aufweisen, insbesondere, wenn sie nass sind. Das Fugenmaterial besitzt einen höheren Widerstand, was demnach bedeuten würde, je häufiger und in größerer Oberfläche dieses Fugenmaterial vorkommt, desto höher ist die Gleitreibung. Durch ein Messverfahren ist dies jedoch nicht belegbar. Ebenso entscheidend, wie die Anzahl ist vermutlich das Material und die Größe der Fugen. Bisher gibt es jedoch keine Bewertungsmethode, um den Einfluss der Fugen genau zu bestimmen. 2.4 Messdurchführung Gemäß des Untersuchungsbedarfes ist es von großer Bedeutung, verschiedene Fugenmaterialien untersuchen zu können. Zu diesem Zwecke wurden im Labor Prüfflächen aus vier verschiedenen Pflastern hergestellt. Um die Prüfflächen herzustellen, boten sich zwei verschiedene Methoden der Pflasterung an, zum einem die Pflastersteine auf eine Schotterbettung oder alternativ auf ein Mörtelbett zu setzten. Um den Einfluss des Fugenmaterials aussagekräftig darzustellen, ist es maßgeblich, bei jeder Messreihe den gleichen Ausgangszustand zu erzeugen. Hierzu zählt vor allem, dass die Pflastersteine sich in ihrer Lage nicht verändern. Daher wurde der Verlegung in einem Mörtelbett der Vorzug gegeben. 2.5 Der Messaufbau Es wurden vier Prüfflächen, drei davon aus Betonpflaster mit unterschiedlichen Abmessungen der Pflastersteine und eine aus Granitstein hergestellt. Die Betonpflastersteine wurden mit den Abmessungen 30x30cm, 20x20cm und 10x20cm gewählt. Die Pflastersteine wurden mit einem Fugenabstand von 1 cm in Naturstein-Verlegemörtel verlegt. Die Prüfflächen wurden so konzipiert, dass das Fugenmaterial ohne Veränderung der verlegten Fläche ausgetauscht werden konnte. Als Fugenmaterialien wurden Sand, Splitt und Moos untersucht. Weiterhin wurden die Pflasterflächen ohne Fugenfüllung gemessen. Für das Projekt standen 3 Messgeräte zur Verfügung, das SRT-Pendelgerät, das Floor-Slide-Control 3 (FSC 3) und das Gleitmessgerät 300VR (GMG 200). 2.5.1 Das SRT-Pendelgerät Das Messgerät besteht im Wesentlichem aus dem Pendelarm, an dem der Gleiter befestigt werden kann und einer Messskala mit Schleppzeiger. Es stehen zwei Gleiter unterschiedlicher Härte zur Verfügung. Für die Messungen zur Simulation von Fußgängern wird der Gummigleiter mit IRHD Härte 96 im nassen Zustand verwendet. Zur Vorbereitung nach DIN EN 16165 muss dieser zunächst im noch trockenen Zustand mehrere Pendelbewegungen durchlaufen. Ebenso muss vor jeder Messung einer neuen Prüfoberfläche die Nullpunkteinstellung des Geräts justiert werden. Erst wenn diese Vorbereitungen abgeschlossen sind, kann die Messung erfolgen. Für diese muss zunächst die Oberfläche mit ausreichend Wasser benetzt und der Pendelarm in die Ausgangsposition gebracht werden. Insgesamt müssen acht Messwerte für eine Messreihe aufgenommen werden. Anschließend wird die zu prüfende Oberfläche um 180° gedreht und eine zweite Messreihe aufgenommen. 2.5.2 Das FSC 3 Das FSC 3 ist ein Messgerät, das die Haft- und Gleitreibung von Bodenbelägen ermittelt. Da das Gerät für den Gebrauch auf Fußbodenbelägen im Innenbereich entwickelt wurde, war es nötig, das Gerät entsprechend für den Außeneinsatz zu modifizieren, ohne den Bewertungshintergrund zu verändern. Die Räder des Gerätes wurden durch Zahnräder ersetzt, sodass es über eine Kette fahren kann, um ein Rutschen der Räder zu verhindern. Das Gerät besitzt zwei Motoren, die das eigenständige Fahren des Gerätes über die zu prüfende Fläche ermöglichen. Im Inneren des Gerätes befindet sich ein Messingquader, der eine konstante Gleitauflagerkraft erzeugt. Dem FSC 3 liegen zwei Gleiter bei, zum einen ein Gleiter aus SBR-Gummi und zum anderen ein Gleiter aus Leder. Der SBR-Gummigleiter wird für die Messung auf nassen und der Ledergleiter auf trockenen Oberflächen verwendet. Für die Versuchsreihen wurde der SBR-Gummigleiter eingesetzt. Das Messgerät misst den Reibungskoeffizienten μ, der das Verhältnis zwischen Zugkraft und Gewichtskraft wiedergibt. Hierfür bewegt sich das Messgerät mit einer konstanten Geschwindigkeit über eine definierte Messstrecke. Die Zugkraft, die es hierfür aufwenden muss, wird von dem Messgerät eigenständig ermittelt und angezeigt. 2.5.3 Das GMG Das GMG ist ein Messgerät für die Bestimmung des Gleitreibungskoeffizienten von Bodenbelägen. Im Gegensatz zu dem FSC 3 ist bei dem GMG das Messen von Straßen- und Wegebelägen bereits herstellerseitig vorgesehen. Für die Ermittlung des Gleitreibungskoeffizienten verwendet das GMG einen Zugmechanismus. Dieser zieht mit einer Geschwindigkeit zwischen 0,2 - 0,25 m/ s einen Gleitkörper über eine max. 80cm lange Strecke. Aus der benötigten Zugkraft und der Gewichtskraft des Gleitkörpers (94,18 N) kann das Messgerät den Gleitreibungskoeffizient des gemessenen Bodenbelages ermitteln. Der 428 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen Zugmechanismus ist zusammen mit der Sensorik, Elektronik und der LCD-Anzeige in einem Transportgehäuse eingebaut. 2.6 Messungen und Auswertung 2.6.1 Referenzmessungen Zu Beginn der Versuchsreihen wurden zunächst Vergleichs- oder Referenzmessungen durchgeführt, um die drei verschiedenen Messmethoden miteinander vergleichen zu können. Das Messverfahren mit dem SRT- Pendelgerät ist gemäß dem FGSV-Merkblatt über den Rutschwiderstand von Pflasterdecken und Plattenbelägen für den Fußgängerverkehr bevorzugt anzuwenden. In diesen Untersuchungen sollte speziell der Einfluss der Fugen ermittelt werden. Zu diesem Zwecke war es notwendig, Messungen über eine längere Strecke und mehrere Fugen durchzuführen. Daher ist eine reine Messung mit dem SRT-Pendelgerät in diesem Fall nicht zielführend, da dieses nur punktuelle Aussagen über den Rutschwiderstand liefert. Aus diesem Grund werden alternative Messverfahren mit dem FSC 3 und dem GMG untersucht. Um die Ergebnisse interpretieren zu können, ist es erforderlich, die für den SRT-Wert geltenden Orientierungswerte auf die Ergebnisse der alternativen Prüfverfahren zu projizieren. Die zu untersuchenden Referenzmaterialien dürfen keine Fugen aufweisen, müssen an jeder Stelle nahezu die gleiche Oberflächenbeschaffenheit haben und ca. zwei Meter lang sein. Folgende Materialien wurden untersucht: • Steinfolie • Korkunterlage • Mauersperrbahn • Gipskartonplatte • Linoleumboden • Tischplatte • Edelstahlplatte • Marmorplatte • Aluminiumplatte • OSB-Platte • Floatglas • Whiteboard Die Messungen mit dem SRT-Pendelgerät wurden gemäß DIN EN 16165 Anhang C durchgeführt. Die Messungen mit dem FSC 3 und dem GMG wurden entsprechend der DIN 51131 durchgeführt. Vor Beginn der Messungen wurden die Gleitmessgeräte um Labor aufgestellt, damit diese sich dem Raumklima anpassen können. Gemäß DIN 51131 wurde die Prüffläche bei Temperaturen, die 25 °C nicht über- und 21 °C nicht unterschreiten, im Labor gelagert. Vor Auf bringen des Gleitmittels wurde die zu messende Fläche von Schmutz gereinigt. Anschließend wurde das Gleitmittel mindestens fünf Minuten vor Beginn der Messungen auf die Prüffläche aufgetragen. Als Messstrecke wurden 50 cm gewählt. Die Auszuglänge des GMG wurde dementsprechend angepasst, was einer Auszugslänge von 63 % entspricht. DIN 51131 gibt als zulässiges Gleitmittel eine 0,1 %-ige Natriumdodecylsulfatlösug (SDS-Lösung) vor. Vor Beginn einer Messreihe müssen die Gleiter für mindestens 10 min in der SDS-Lösung eingelegt werden. Anschließend müssen diese mit einem Schleifpapier der Körnung 320 mit mindestens 20 Schleif hüben behandelt werden. Ein Schleif hub besteht dabei aus einer Vor- und Zurückbewegung über den Gleiter. Die Behandlung der Gleiter mit dem Schleifpapier ist nötig, um eine plane Oberfläche zu erhalten und Staub zu entfernen. Dieses Vorgehen ist vor jeder Messreihe zu wiederholen. Nachfolgende Tabelle zeigt die Ergebnisse der Referenzmessungen. Als Ergebnis wurde jeweils der Mittelwert der vorhandenen Messreihen aufgeführt. Das GMG und das FSC 3 lieferten jeweils den Reibungskoeffizienten μ und das Pendelgerät einen SRT-Wert. Die Ergebnisse wurden nach aufsteigenden SRT-Werten sortiert. Tab.1: Referenzmessungen Versuchsmaterial SRT Pendelgerät FSC 3 GMG Aluminiumplatte 9 0,09 0,2 Whiteboard 9 0,26 0,32 Glasplatte 10 0,16 0,16 Tischplatte 14 0,2 0,53 Edelstahlplatte 14 0,31 0,52 Marmorplatte 19 0,38 0,64 Linoleumboden 25 0,45 0,47 Gipskartonplatte 26 0,49 0,38 Korkunterlage 40 0,62 0,82 OSB-Platte 42 0,48 0,56 Mauersperrbahn 51 0,51 0,4 Steinfolie 64 0,51 0,68 Aus den ermittelten Messwerten wurde folgendes Diagramm erstellt, um den Zusammenhang der Messgeräte darzustellen. Dabei wurden die Messwerte der zugehörigen Oberflächen der alternativen Prüfverfahren über die linke Ordinate und die SRT-Werte über die rechte Ordinate aufgetragen. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 429 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen Abb. 1: Messwerte der Referenzmaterialien Ein klarer Zusammenhang zwischen den Messwerten würde vorliegen, wenn die Graphen nahezu parallel oder aufeinander laufen würden. Das GMG zeigt deutlich Ausreißer bei den Messpunkten der Materialien Whiteboard, Tischplatte, Edelstahlplatte, Marmorplatte, Gipskartonplatte, Korkunterlage und Mauersperrbahn. Die Ausreißer lassen sich entweder durch die starke Abnutzung der Materialien durch die vorangegangenen Messungen erklären oder wurden als Messfehler eingestuft. Durch die Wegnahme der Ausreißer wurden die Graphen geglättet. Es ist deutlich zu erkennen, dass die Kurve der FSC-3-Messwerte sich ähnlich wie der des SRT-Pendelgerätes entwickelt. Das GMG liefert keine durchgehende Kurve, da nach Eliminierung der Ausreißer keine zusammenhängende Messreihe mehr übrig ist. Würde man die Punkte händisch verbinden, würde die Kurve annähernd parallel zu der des SRT-Pendelgerätes verlaufen. Abb. 2: Messwerte der Referenzmaterialien ohne Ausreißer 1 Der Fachbereich Sicherheitstechnik an der Universität Wuppertal hat als Ergebnis seiner Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Gleitsicherheit die „Wuppertaler Sicherheitsgrenzwerte“ aufgestellt. Bei Reibzahlen unterhalb μ = 0,30 besteht ein nicht akzeptables Ausgleitrisiko (unsicherer Bereich). Bei zunehmender Reibzahl nimmt die Sicherheit gegen Ausgleiten zu. Im Bereich μ = 0,30 bis μ = 0,45 ist bedingt sicheres Begehen möglich. Oberhalb von μ = 0,45 kann von einem „sicheren“ bzw. „sehr sicheren“ Zustand ausgegangen werden. Um den Zusammenhang des SRT-Wertes mit dem Reibungskoeffizienten darzustellen, wird eine Ausgleichsgerade generiert, die den Verlauf der Messpunkte darstellt und durch den Ursprung verläuft. Über die generierte Ausgleichsgerade werden die Orientierungswerte des SRT-Pendelgerätes für sicheres Gehen auf den Reibungskoeffizienten projiziert. Somit lässt sich der untere Grenzwert für den Reibungskoeffizienten mit μ = 0,60 und der obere Grenzwert mit μ = 0,94 bestimmen. Dies bedeutet, dass Oberflächen mit einem Reibungskoeffizienten von unter μ = 0,62 nicht mehr sicher begehen werden können. Zwischen μ = 0,60 und μ = 0,94 ist das Begehen der Oberfläche bedingt sicher. Der so ermittelte Bewertungshorizont weicht drastisch von den Wuppertaler Grenzwerten 1 ab, die einen Anhaltspunkt für sicheres Gehen anhand des Reibungskoeffizienten liefern. Gleiches Vorgehen wurde analog auf die Messwerte des GMG angewandt. So ergibt sich der untere Grenzwert mit μ = 0,43 und der obere Grenzwert mit μ = 0,68. Dies stimmt zum Teil mit den Wuppertaler Grenzwerten überein, die den oberen Grenzwert mit μ = 0,60 definieren. Der untere Grenzwert der Wuppertaler Grenzwerte liegt bei μ = 0,30, Die Ausgleichsgerade des GMG ist dennoch kritisch zu betrachten, da nach Wegnahme der Ausreißer nur noch wenige Referenzwerte übrig sind. Tab. 2: SRT Werte der Pflastersteine Entsprechender Reibungskoeffizient μ - SRT Wert FSC 3 GMG Betonpflaster 30/ 30 69 1,17 0,85 Betonpflaster 20/ 20 62 1,06 0,76 Betonpflaster 10/ 20 61 1,04 0,75 Granitpflaster 68 1,16 0,84 Es wird ersichtlich, dass der Bewertungshintergrund des FSC 3 neu bewertet werden muss. Ein Reibungskoeffizient μ von größer 1 ist physikalisch nicht möglich. 2.6.2 Messungen zur Beurteilung der Fugen Um den Einfluss der Fugen beurteilen zu können, wurden die genannten Fugenmaterialien in die Fugen der vorbereiteten Prüfflächen eingebracht. Die Messungen des alternativen Prüfverfahren werden wie bei den Referenzmessungen nach DIN 51131 durchgeführt. Für jede Oberfläche und Fugenmaterial werden drei Messreihen angefertigt. Nach Abschluss der dritten Messreihe wird das Fugenmaterial entfernt und anschließend ein neues eingebracht. Nachfolgend werden für die Auswertung die Mittelwerte über die Messreihen des FSC 3 gebildet. 430 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen 2.6.2.1 Fugenmaterial Splitt Beispielhaft wird das Vorgehen zur Auswertung des Einflusses des Fugenmateriales anhand der 30/ 30 cm großen Betonpflastersteine dargestellt. Bei diesen Pflastersteinen kann der Einfluss der Fuge nicht über den Mittelwert der Messstrecke beurteilt werden, da ihr Einfluss auf den gesamten Reibungskoeffizienten nur sehr klein ist. Bekannt ist, dass das FSC 3 und das GMG bei der Überfahrt der Oberfläche zwei Fugen überstreichen. Die Gleiterplatte des FSC 3 ist so aufgebaut, dass zwei Gummigleiter nebeneinander angeordnet sind und ein dritter mittig 11cm weiter vorne. Das bedeutet, dass das Messgerät eine Fuge jeweils 2x überfährt. Anhand der Messkurve des FSC 3 können signifikante Ausschläge in den Messungen erkannt werden, diese entsprechen den Fugen. Eine Fuge müsste demnach zwei Ausschläge im Diagramm erzeugen. Abbildung 3 zeigt die Messkurve des FSC 3 für 30/ 30 cm große Betonpflastersteine und das Fugenmaterial Splitt. Die in die Kurve gelegten roten Linien sollen die Fuge markieren. Die beiden Linien haben einen Abstand von 30 cm, was dem Fugenabstand des Pflasters entspricht. Es wird ersichtlich, dass der Reibungskoeffizient in der Fuge gegen 0 geht, demnach verschlechtert das Fugenmaterial Splitt den Rutschwiderstand einer Fläche. Abb. 3: Messkurve des FSC 3 für Betonpflaster 30/ 30, Fugenmaterial Splitt Abb. 4: Messkurve des GMG für Betonpflaster 30/ 30, Fugenmaterial Splitt Die Messkurven des GMG zeigen nur vereinzelt Ausschläge im Verlauf der Kurve. Um die Fuge in der Messkurve identifizieren zu können, wurde vor Beginn der Messung die Lage der Fuge innerhalb der Messstrecke bestimmt. Zur Auswertung wurden wie schon zuvor beim FSC 3 die Fugen im Diagramm mit roten Linien markiert (Abb. 4). Dabei wurde auch der Bereich bis 20 cm hinter der Fuge betrachtet, da erst zu diesem Zeitpunkt der Gleiter die Fuge komplett überquert hat. Wie im Diagramm zu erkennen, zeigt beide Fugen nahezu konstante Werte wie der Rest der Fläche. Daher lässt sich ein Einfluss des Fugenmaterials Splitt nicht feststellen. Bei den anderen Materialien ist Auswertung der Messkurve ähnlich. 2.6.2.2 Fugenmaterial Sand In der zugehörigen Messkurve für die 30/ 30 cm großen Betonpflastersteine sind die Fugen klar zu erkennen. Auch fällt der Reibungskoeffizient μ in der Fuge auf 0. Der Fugenbereich erscheint in der Messkurve breiter als bei Splitt, da das Messgerät beim Überfahren der Fuge den Sand für eine kurze Strecke mitnimmt. Die Fuge ist auch in der Messkurve der Betonpflastersteine 20/ 20 cm deutlich zu erkennen. Der Abfall in der Fuge geht wie vorher gegen 0. Dies bestätigt die Vermutung, dass Sand aufgrund seiner runden Körnung ein Rutschen begünstigt. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 431 Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für Fußgängerverkehrsflächen 2.6.2.3 Fugenmaterial Moos Die Fuge der großen Betonpflaster verhält sich sehr ähnlich wie Sand. In der Fuge fällt der Messwert auf 0, das feuchte, mit Gleitmittel vollgesaugte Moos begünstigt ein Gleiten. Auf der zweiten Prüffläche (Betonpflaster 20/ 20 cm) ist der Abfall des Reibungskoeffizienten weniger stark. Das verwendete Moos hat keine homogene Zusammensetzung, so unterscheidet sich das Fugenmaterial von Fuge zu Fuge. Eine weitere Begründung liegt im Feuchtigkeitsgehalt. Da sich die Moose unterscheiden, ist folgerichtig, dass diese das Gleitmittel unterschiedlich aufnehmen. 2.6.2.4 Ohne Fugenfüllung Die Messkurven der großen Pflastersteine zeigen die Fuge nicht sehr zuverlässig an. Der Einfluss der Fuge bewirkt im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Fugenmaterialien keinen Abfall bis auf 0. Der Einfluss der Fuge kann demnach als geringer eingestuft werden. Die Messkurve der Betonpflastersteine 20/ 20 cm zeigt die Fuge deutlicher. Der Wert fällt auch hier nicht besonders stark ab, was die vorherige Analyse stützt. 2.6.2.5 Einfluss der Fugenbreite Für die Untersuchungen des Einflusses der Fuge wurden drei Prüfflächen aus dem gleichen Betonpflaster mit unterschiedlichen Abmessungen angelegt. Dadurch unterscheidet sich das Fugenbild der Prüfflächen erheblich. Die nachfolgende Tabelle enthält die Mittelwerte der Messungen mit dem FSC 3 und dem GMG. Tab. 3: Messergebnisse FSC 3/ GMG Betonpflaster 30/ 30 Betonpflaster 20/ 20 Betonpflaster 10/ 20 Fugenmaterial FSC 3 GMG FSC 3 GMG FSC 3 GMG ohne 0,62 0,79 0,65 0,78 0,58 0,73 Sand 0,6 0,71 0,57 0,43 0,43 0,58 Splitt 0,64 0,69 0,57 0,77 0,5 0,73 Moos 0,57 0,67 0,54 0,64 0,6 0,6 Auswertung FSC 3 Betrachtet man das Fugenmaterial, wird ersichtlich, dass der Reibungswiderstand bei Sand mit Zunahme der Fugenbreite abnimmt. Dies stimmt mit der vorherigen Analyse überein, dass Sand den Reibungskoeffizienten herabsetzt. Mit zunehmenden Fugenanteil muss der Reibungskoeffizient dementsprechend abnehmen. Gleiches kann aus den Werten des Fugenmaterials Splitt abgelesen werden. Die Werte für Moos und ohne Fugenfüllung lassen sich nur schwer beurteilen, da hier das Messverfahren an seine Grenzen kommt. Der erhöhte Wert des mittleren Betonpflasters ohne Fugenmaterial kann durch ein Verkeilen des Gleiters bei der Überfahrt über den Hohlraum zustande gekommen sein. Auswertung GMG Die bei der Einzelbetrachtung mit dem FSC 3 aufgefallene geringe Verringerung des Reibungskoeffizienten ohne Fugenfüllung kann mit dem GMG bestätigt werden. Über die Ausgleichsgerade konnten µ-Werte für eine theoretisch fugenlose Vergleichsfläche ermitteltet werden. Aufgrund der vielen Ausreißer ist die Aussagekraft hinter diesen Werten für das GMG kritisch zu sehen. Dennoch erscheinen die ermittelten µ-Werte plausibel. Dabei zeigt sich, dass die Messwerte für die Prüffläche mit Fugen im Vergleich zu der theoretisch fugenlosen Vergleichsfläche unregelmäßig abweichen. Die Abweichungen sind ohne Fugenfüllung im Vergleich zu der theoretisch fugenlosen Fläche am geringsten. 3. Fazit Bei der Durchführung der Messungen mit dem FSC 3 ist offensichtlich geworden, dass das Gerät für den Einsatz auf gepflasterten Flächen nicht geeignet ist. Durch die sehr unruhige Fahrt über die Oberfläche war die zuverlässige Messung über mehrere Messreihen nicht möglich. Die Eignung des GMG zur Untersuchung von Fugeneinflüssen wird aufgrund des langen Gleiters als fraglich beurteilt. Bei der Auswertung der Messergebnisse ist festzustellen, dass die Ausgleichsgerade den Zusammenhang der Werte des FSC 3 und dem SRT-Pendelwert nicht praxisnah widerspiegelt. Dies bietet einen möglichen Ansatzpunkt für weiter Untersuchungen mit anderen Referenzoberflächen. Ob ein Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Messmethoden besteht und wie sich dieser gestaltet, muss Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Literatur [1] DIN 51131: Prüfung von Bodenbelägen - Bestimmung der rutschhemmenden Eigenschaft - Verfahren zur Messung des Gleitreibungskoeffizienten. Beuth Verlag, Berlin [2] DGUV Information „Bewertung der Rutschgefahr unter Betriebsbedingungen“ Fachausschuss Bauliche Einrichtung der Deutschen Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV). Berlin, 2011 [3] Merkblatt über den Rutschwiderstand von Pflaster- und Plattenbelägen für den Fußgängerverkehr. FGSV Verlag, Köln, 1997 [4] Merkblatt über den Rutschwiderstand von Pflasterdecken und Plattenbelägen für den Fußgängerverkehr. FGSV Verlag, Köln, 2020 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 433 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Dipl.-Ing. Franziska Gober Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Österreich Assistant Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Lukas Eberhardsteiner Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Österreich Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Ronald Blab Technische Universität Wien, Institut für Verkehrswissenschaften, Österreich Zusammenfassung Im innerstädtischen Bereich kommt es bei Verkehrsflächen, die wenig Schwerverkehr ausgesetzt sind, aufgrund von gestalterischen und umwelttechnischen Vorteilen oftmals zur Anwendung ungebundener Pflasterstein-Auf bauten. In Österreich gibt es aktuell nur eine Bemessungsmethode für diese Bauart, welche in der Richtlinie RVS 03.08.63 [1] geregelt ist. Diese Methode ist in der Variation der Eingangsparameter stark eingeschränkt. Um dem entgegenzuwirken, wurde eine rechnerische Dimensionierung für ungebundene Pflasterstein-Auf bauten entwickelt. Bei Anwendung dieser Dimensionierungsmethodik können notwendige Parameter (Verkehrslast, Klima, Materialverhalten und Struktur) realistischer berücksichtigt werden. Diese werden in einem Finite Elemente Oberbau-Modell berücksichtigt, mit dem die Spannungen und Verformungen infolge verkehrlicher Belastungen ermittelt werden. Im Anschluss an die Modellberechnungen wird mittels Ansetzens geeigneter Schadenskriterien die Anzahl an Lastwechsel berechnet, die der Aufbau ertragen kann. Zuletzt wird dieser Wert mit den zu erwartenden Lastwechseln verglichen. Durch Anwendung dieser Methode können Sicherheitsreserven bei der Bemessung ungebundener Pflasterstein-Auf bauten reduziert und wirtschaftlichere Auf bauten bemessen werden. 1. Einführung Österreichs Verkehrsflächen werden heutzutage vorwiegend in Asphalt- oder Betonbauweise errichtet. Pflasterstein-Flächen, welche hauptsächlich für Verkehrsflächen geeignet sind, die kaum Schwerverkehrsbelastungen ertragen müssen, nehmen hierbei einen eher geringen Anteil ein. Aufgrund ihrer positiven Eigenschaften in den Bereichen Umwelt, Ökonomie und Gestaltungsmöglichkeiten nimmt ihre Bedeutung jedoch vor allem innerstädtisch, wo es diverse wenig stark befahrene Zonen (Fußgängerzonen, Parkplätze, …) gibt, zu. Um ausgeprägte Schädigungen bzw. ein frühzeitiges Ende der Lebensdauer des Auf baus zu vermeiden, ist eine entsprechende Dimensionierung erforderlich. Aktuell gibt es für die Bemessung ungebundener Pflasterstein-Auf bauten in Österreich nur eine Methode. Diese ist in der Richtlinie RVS 03.08.63 [1] geregelt. Dabei werden die erforderlichen Schichtdicken mittels Standardauf bauten aus einem Bemessungskatalog ermittelt. Die Standardauf bauten für die ungebundene Pflasterstein-Bauweise beinhalten vier Lastklassen sowie vier unterschiedliche Bautypen. Die Ermittlung der anzuwendenden Lastklasse erfolgt unter Berücksichtigung der täglichen Normlastwechsel, der Bemessungsperiode, eines Verkehrszuwachsfaktors sowie Faktoren zur Berücksichtigung der Verteilung des Schwerverkehrs. Mithilfe der ermittelten Lastklasse kann die Bautype und somit der zu verwendende Standardauf bau gewählt werden. Diese Methode ist sehr schnell und einfach anwendbar. Nachteilig ist jedoch, dass die tatsächlich vorkommenden Materialparameter nicht berücksichtigt werden können. Auch unterschiedliche Verbandsarten oder abweichende Verkehrsbelastungen bleiben unberücksichtigt. Dadurch kommt es zu hohen Bemessungsreserven und teils unwirtschaftlichen Oberbauten. Auch Sonderbemessungen können bei Verwendung des Standardkatalogs nicht durchgeführt werden. Um diesen Nachteilen entgegenzuwirken, wurde eine rechnerische Dimensionierung für ungebundene Pflasterstein-Auf bauten entwickelt. Der Ablauf dieser Methodik kann Abb. 1 entnommen werden. Neben der Verkehrsbelastung werden vier Klimaperioden sowie die konkreten Materialeigenschaften und das Reibungsverhalten zwischen den Steinen als Eingangsparameter festgelegt. Mit diesen Daten kann ein Finite Elemente (FE) Oberbau-Modell erstellt und die maßgebenden Spannungen und Verformungen berechnet werden. Unter Verwendung geeigneter Schadenskriterien kann die Anzahl an möglichen Lastwechseln und somit die Lebensdauer des Auf baus bestimmt werden. Zuletzt wird die Anzahl der ertragbaren Lastwechsel () mit den zu erwartenden Lastwechseln () verglichen, wobei [Gl. 1] stets eingehalten werden muss. (Gl. 1) 434 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Abb. 1: Dimensionierungsmethodik für ungebundene Pflasterstein-Auf bauten 2. Eingangsparameter In den nachfolgenden Kapiteln werden die einzelnen Eingangsparameter (Verkehrslast, Klima sowie Materialverhalten und Struktur) für das FE-Oberbau-Modell im Detail beschrieben. Diese Parameter werden angewendet, um für die auftretenden Lastfälle die technische Lebensdauer des betrachteten Oberbaus in Form der ertragbaren Anzahl an Lastwechseln zu errechnen. 2.1 Verkehrslast Auf der Einwirkungsseite wird die Verkehrsbelastung mit dem JDTLV-Wert beschrieben. Dieser ist die jährlich durchschnittliche tägliche Lastverkehrsstärke und wird für den jeweiligen Straßenquerschnitt über Verkehrszählungen oder mithilfe des JDTV-Wertes und dem Schwerverkehrs-Anteil bestimmt. [2, 3] Auf der Widerstandsseite werden Verkehrslasten detaillierter betrachtet. Hierzu gibt es drei Bemessungsstufen abhängig von den verfügbaren Verkehrsdaten für den betrachteten Streckenabschnitt (Fahrzeuggruppen, Fahrzeugklassen, Gesamtgewichts- und Achslastverteilung). Die Fahrzeuggruppe gibt dabei Auskunft über die Anzahl der Fahrzeugachsen, die Fahrzeugklasse hingegen definiert Fahrzeugtypen, welche durch die Anordnung von Achsaggregaten voneinander unterschieden werden. Wie in [Tab. 1] beschrieben, wird die Verkehrsbelastung bei den Stufen 1 und 2 mithilfe von statistisch abgeleiteten Modellverteilungen eines repräsentativen Schwerverkehrskollektivs berechnet. Bei Bemessungsstufe 3 liegen genügend Verkehrsdaten vor, um eine exakte Bestimmung der Belastung vorzunehmen und dadurch Bemessungsreserven zu reduzieren. [4] Tab. 1: Bemessungsstufen für die Verkehrslast gemäß FSV [4] Stufe Fahrzeuggruppen Fahrzeugklassen Gesamtgewichts- und Achslast-verteilung Festlegung der maßgeblichen Verkehrslast 1 Modellverteilungen 2 Modellverteilungen 3 Verkehrszählungen, Wägedaten Anzumerken ist, dass die Fahrzeuggruppen stets bekannt sind, da auf Maut-Daten bzw. Verkehrszählungen zurückgegriffen wird. Hierbei lässt sich ein Problem bei der Ermittlung der Verkehrslast für ungebundene Pflasterstein-Aufbauten erkennen. Da das Schwerverkehrskollektiv grundlegend für Asphalt- und Betonstraßen entwickelt wurde und Maut- Daten für die Verteilung der Fahrzeuggruppen herangezogen werden, entspricht die Verkehrsbelastung nicht zwingend jener, welche für ungebundene Pflasterstein-Flächen üblich ist. Daraus resultiert eine Überschätzung der Verkehrsbelastung und eine damit zusammenhängende Überdimensionierung des Aufbaus. Die Anpassung des Verkehrskollektivs ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte. 2.2 Klima Die Tragfähigkeit des Untergrundes und damit auch weitergehend die Tragfähigkeit der ungebundenen unteren und oberen Tragschicht wird durch das Klima beeinflusst. Dies ist durch die unterschiedlichen Aggregatzustände des Wassers im Boden (flüssig, fest) begründet, welche durch unterschiedliche Temperaturen während des Jahres hervorgerufen werden. Im Winter, wenn das Wasser im Boden gefroren ist, nimmt die Tragfähigkeit zu und erreicht das Maximum des Jahres. Kommt es zur Temperaturzunahme im Frühjahr und daraus resultierend zu einem Auftauen des Eises, sinkt die Tragfähigkeit des Untergrunds aufgrund großer Wassermengen im Boden auf ein Minimum. Während der folgenden Monate nimmt der Wassergehalt im Boden ab, was zu einem Anstieg des Steifigkeitsmoduls führt. Zur Einteilung des Tragfähigkeitsverhalten wurden vier Klimaperioden, wie in [Tab. 2] dargestellt, repräsentativ für die klimatischen Verhältnisse in Österreich festgelegt. [3] Tab. 2: Untergrundtragfähigkeit abhängig von der Klimaperiode gemäß Litzka et al. [3] Klimaperiode Zeitraum E-Modul [MPa] Winter 16.12. - 15.03. 280 Frühjahr (Tauen) 16.03. - 15.05. 70 Übergang 16.05. - 15.06. 100 Sommer-/ Herbst 16.06. - 15.12. 140 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 435 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Da die Tragfähigkeit der ungebundenen Tragschichten von jener des Untergrunds abhängt, variieren auch diese im Jahresverlauf. Das Verhältnis des E-Moduls von ungebundener unterer Tragschicht (uTS) zum Untergrund beträgt für 30 cm dicke Tragschichten 2,80. Für die Ermittlung der Tragfähigkeit der ungebundenen oberen Tragschicht (oTS) wird auf [Tab. 3] verwiesen, wobei eine zusätzliche Unterscheidung je nach U-Klasse der oberen Tragschicht laut der Richtlinie RVS 08.15.01 [5] zu berücksichtigen ist. [2] Tab. 3: Verhältnis E-Modul ungeb. obere Tragschicht (E-Modul-oTS) zu E-Modul ungeb. untere Tragschicht (E-Modul-uTS) laut FSV [2] Verhältnis E-Modul-oTS zu E-Modul-uTS Dicke ungeb. uTS [mm] 200 300 400 ungeb. oTS (Klasse U2, U3, U4) 1,40 1,22 1,12 ungeb. uTS (Klasse U6, U7) ungeb. oTS (Klasse U1) 2,38 2,08 1,89 ungeb. uTS (Klasse U6, U7) 2.3 Materialverhalten und Struktur Die einzelnen Schichten, für welche isotropes und linear elastisches Materialverhalten in der Berechnung angesetzt wird, werden mit den in [Tab. 4] genannten Parametern im FE-Oberbau-Modell berücksichtigt. Der E-Modul der Tragschichten und des Untergrundes variiert, wie in Kapitel 2.3 beschrieben, während des Jahres. entspricht der Dichte, der Querdehnzahl. Grundsätzlich sind die Materialparameter frei wählbar. Tab. 4: Materialeigenschaften gemäß FQP [6] Schicht E-Modul [MPa] ν [-] р [kN/ m³] Granitstein 32.700 0,25 26,0 Betonstein 32.000 0,15 24,0 Bettung 350 0,30 18,0 ungeb. oTS variiert 0,30 18,0 ungeb. uTS variiert 0,30 18,0 Untergrund variiert 0,30 16,0 3. Simulation - Finite Elemente Oberbau-Modell Mithilfe der in Kapitel 2 festgelegten Werte können die einzelnen Schichten sowie die Verkehrsbelastung im FE-Oberbau-Modell im Programm Abaqus/ CAE 2020 erstellt werden. Ergänzend muss das Verhalten (Verbund, Reibung) zwischen den Schichten bzw. Steinen sowie am Rand des Modells definiert werden. Das Verhalten der ungebundenen Schichten wird mithilfe eines Drucker-Prager Kappenmodells genauer beschrieben [7]. In Vorprojekten wurden diese fehlenden Modell-Parameter bestimmt und einer Validierung unter Zuhilfenahme eines realitätsnahen Großversuchs und Lastplattenversuchen unterzogen. [7, 8] Außerdem wurde das benötigte Verhalten zwischen den Steinen anhand von Reibungsversuchen bestimmt. [9] In den folgenden Kapiteln werden die Reibungsversuche sowie die festgelegten Modell-Parameter beschrieben. Zuletzt wird die Validierung des FE-Oberbau-Modells behandelt. 3.1 Reibungsversuche Für die Bestimmung des Reibungsverhaltens zwischen den Steinen wurden drei Versuche (in horizontaler, vertikaler und normaler Richtung der Fuge laut Abb. 2) entwickelt [10]. Zunächst wurden alle Versuche mit zwei unterschiedlichen Steintypen (Betonstein, Betonstein mit Verbundnoppen) durchgeführt. Wurde ein deutlich abweichendes Verhalten festgestellt, kam es zur Überprüfung von drei weiteren Steintypen (Granitstein, Wellenstein, Doppel-T-Stein). Dies war beim Versuch in horizontaler Richtung der Fall. Abb. 2: Darstellung der drei Richtungen der Reibungsversuche Bei den Versuchen in horizontaler und vertikaler Richtung wurden jeweils drei Steine desselben Steintyps mit verdichteten Fugen nebeneinander angeordnet und es wurde eine konstante, seitliche Einspannung aufgebracht. Anschließend wurde eine ständig zunehmende horizontale/ vertikale Last aufgebracht und gleichzeitig die horizontale/ vertikale Verschiebung des mittleren Steins bezogen auf die äußeren Steine gemessen. Die Versuche wurden mit unterschiedlichen seitlichen Einspannungen durchgeführt. [9-11] Aus den Versuchen konnte in vertikaler Richtung ein Reibungsbeiwert von 0,60 unabhängig vom Steintyp festgestellt werden. Dieser wird im FE-Programm beim tangentialen Reibungsverhalten zwischen Stein und Platte berücksichtigt. [10] Zusätzlich wird bei der Definition des horizontalen Reibungsverhalten zwischen Stein und Platte festgelegt, dass „Hard-Contact“ vorliegt und eine Trennung nach Kontakt möglich ist. Bei den Versuchen in horizontaler Richtung wurde ein Verhalten festgestellt, welches mithilfe eines Mohr-Coulomb-Reibungsgesetzes (Reibungswinkel , Kohäsion ) gemäß [Tab. 5] beschrieben werden kann. [9] Die Berücksichtigung im FE-Oberbau-Modell erfolgt hierbei über eine User-Subroutine, welche die Definition des tangentialen Reibungsverhaltens zwischen den Steinen mittels der angeführten Mohr-Coulomb-Parameter ermöglicht. 436 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Tab. 5: Mohr-Coulomb Reibungsparameter aus den Versuchen laut Hengl et al. [9] Steintyp [MPa] [°] Betonstein 0 49,69 Granitstein 0,0189 29,56 Wellenstein 0,0422 71,15 Betonstein mit Verbundnoppen 0,4994 57,64 Doppel-T-Stein 0,7519 62,23 In Normalen-Richtung wurden zwei Steine mit einer Fuge angeordnet. Einer der beiden Steine war fixiert, der andere durch eine ständig zunehmende horizontale Last beansprucht. Auch hier wurde die relative Verschiebung der Steine zueinander ermittelt. Unabhängig vom Steintyp lässt sich das Fugenverhalten in Normalen-Richtung mit dem in [Tab. 6] dargestellten Zusammenhang beschreiben. Bei der Definition des Reibungsverhaltens in Normalen-Richtung zwischen den Steinen im FE-Oberbau-Modell erfolgt die Einbindung dieses Verhaltens über eine „Pressure-Overclosure“ Bedingung. Tab. 6: Fugenverhalten in Normalen-Richtung gemäß Hengl et al. [9] Verformung [mm] Druckspannung [MPa] -0,50 0 0,00 0,0001 0,05 0,15143 0,10 0,35921 0,15 0,62114 0,20 0,93722 0,25 1,30745 0,30 1,73183 0,35 2,21036 0,40 2,74304 0,45 3,32987 0,50 3,97085 0,55 4,66598 3.2 Zusammenfassung der Modell-Parameter Zusätzlich zu den in Kapitel 3.1 beschriebenen Parametern zur Definition des Reibungsverhaltens werden die restlichen notwendigen Parameter für das FE-Oberbau- Modell im nachfolgenden Abschnitt beschrieben. Die Tragschichten und der Untergrund wurde über ein Drucker-Prager-Kappenmodell beschrieben. Dazu wurden die Ergebnisse des FE-Oberbau-Modells mit jenen von Lastplattenversuchen (später in Kapitel 3.3 beschrieben) verglichen und die Abweichungen so gut wie möglich minimiert. Eingabedaten des resultierenden Drucker- Prager-Kappenmodells für jede Schicht sind in [Tab. 7] angeführt. Zusätzlich sind für jede Schicht folgende Werte einzugeben: R = 0, ε 0 = 0 , α = 0 sowie K = 0. [Tab. 8] fasst die Eingabeparameter für das „Cap Hardening“ des Kappenmodells zusammen. Da es für die Bettung keine Versuche zur Validierung gab, wurden dieselben Eigenschaften wie für die ungebundene obere Tragschicht angenommen. [7] Tab. 7: Materialeigenschaften „Cap Plasticity“ für die ungebundenen Schichten gemäß Füssl et al. [7] Schicht [MPa] [°] ungeb. oTS 1,0 45 ungeb. uTS 0,8 45 Untergrund 0,3 35 Tab. 8: Beschreibung des „Cap Hardening“ für die ungebundenen Schichten gemäß Füssl et al. [7] hydrostatische Fließspannung [MPa] volumetrische plastische Verformung [-] 0 0 0,01 0,0141 0,03 0,0373 0,05 0,0551 0,07 0,0690 0,10 0,0845 0,15 0,1021 0,30 0,1241 0,40 0,1335 0,50 0,1405 Für das FE-Oberbau-Modell sind auch Randbedingungen sowie Reibungsbedingungen zwischen den verbleibenden Schichten, wie in Abb. 3 ersichtlich, festzulegen. An allen Außenflächen kommt es zu elastischen Bettungen und es wird voller Verbund zwischen Untergrund und ungeb. unterer Tragschicht, ungeb. unterer Tragschicht und ungeb. oberer Tragschicht sowie ungeb. oberer Tragschicht und Bettung angesetzt. [7] Um das FE-Oberbau-Modell möglichst nah an die Realität anzupassen, können folgende Verbandsarten berücksichtigt werden: Reihen-, Kreuzfugen-, Fischgrät- und Ellbogenverband. Zusätzlich zum Eigengewicht aller Schichten wird die Struktur mit einer vertikalen Radlast von 50 kN vereinfacht als Rechteckslast in der Mitte des Modells belastet. Der maßgebende Lastfall wird zunächst über alle möglichen Lastpositionen abhängig vom gewählten Verband überprüft. Nachfolgende Berechnungen haben für den maßgebenden Lastfall zu erfolgen. Aufgrund der Linearität des Modells, können die Berechnungsergebnisse skaliert werden. Daher muss ausschließlich eine Last für jede Klimaperiode und jede Achskonfiguration angesetzt werden. Die Achskonfigurationen der berücksichtigten Fahrzeuge gemäß Kapitel 2.1 können aus diesen Ergebnissen zusammengesetzt werden. Dies führt zu einer enormen Reduzierung des Rechenaufwands. 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 437 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Abb. 3: Beispielhafte Darstellung des FE-Oberbau-Modells samt Parameter Für die Diskretisierung des FE-Oberbau-Modells wurden einheitlich rechteckige Elemente gewählt. Bei der Bettung wurden zudem quadratische Ansatzfunktionen gewählt, bei allen anderen Schichten lineare. 3.3 Modellvalidierung Das FE-Oberbau-Modell wurde für vertikale Belastungen im Rahmen eines früheren Forschungsprojekt validiert [8]. Hierfür wurden an sieben unterschiedlichen Pflasterplatten- und Pflasterstein-Auf bauten realitätsnahe Großversuche durchgeführt. Der grundlegende Aufbau entspricht dem Standardauf bau der Richtlinie RVS 03.08.63 [1] (3- cm Sandbettung, 20- cm ungebundene obere Tragschicht und 30-cm ungebundene untere Tragschicht). Für alle Auf bauten wurde ein Reihenverband gewählt. Vier der sieben Auf bauten wurden mit Sensoren ausgestattet, um beispielsweise vertikalen Druck in den ungebundenen Schichten (Oberseite der ungebundenen oberen Tragschicht bzw. des Untergrunds) zu messen. Die Daten der Sensoren wurden herangezogen, um die Ergebnisse der Testflächen mit jenen des FE-Oberbau-Modells zu vergleichen. [7] Die für die Validierung notwendigen Materialkennwerte für das FE-Oberbau-Modell wurden im Zuge der Großversuche bestimmt. Zusätzlich wurden FWD-Versuche am gesamten Auf bau vor und nach den Großversuchen sowie Lastplattenversuche beim Einbau der ungebundenen oberen und ungebundenen unteren Tragschicht sowie des Untergrunds durchgeführt. Die Betonsteine wurden Ultraschallmessungen (Betonsteine) unterzogen. [8] 4. Schadensbewertung und Lebensdauer Mithilfe der errechneten Spannungen und Verformungen aus dem FE-Oberbau-Modell kann die Anzahl ertragbarer Lastwechsel und damit die technische Lebensdauer des Auf baus berechnet werden. Plastische Verformungen aufgrund wiederholter Belastung sind hierbei der maßgebende Faktor für das Ende der Lebensdauer ungebundener Pflasterstein-Auf bauten. Um diese bei der Ermittlung der Lastwechsel berücksichtigen zu können, werden geeignete Schadenskriterien zur Berechnung der ertragbaren Anzahl an Lastwechsel N zul herangezogen. Die Lastwechsel der Einwirkungsseite N erw und jene der Widerstandsseite N zul haben stets [Gl. 1] zu erfüllen [12]. 4.1 Schadenskriterien Plastische Verformungen sind der einschränkende Faktor für die Lebensdauer des Straßen-Oberbaus in ungebundener Pflasterstein-Bauweise. Diese entstehen in den ungebundenen Schichten zufolge auftretender Verkehrsbelastung. Damit die Verformungen bei der Berechnung der Lebensdauer berücksichtigt werden können, werden sie mithilfe geeigneter Schadenskriterien bewertet. Bei der rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflasterstein-Auf bauten wird auf das 95-%-Shell-Kriterium zurückgegriffen. [13] Dieses Kriterium verknüpft die Anzahl an Lastwechsel mit den zulässigen Verformungen. [14] [Gl. 2] beschreibt das genannte Kriterium. Es werden die möglichen Lastwechsel für jedes Achsaggregat i, alle vorkommenden Fahrzeugklassen j und die vier Klimaperioden k ermittelt. Maßgebend hierbei ist die größte vertikale Verformung ε zz innerhalb der ungebundenen Schichten. Der Wert ß BZ ist konstant mit 0,018. (Gl. 2) 4.2 Bestimmung der Lebensdauer Um die Lastwechsel und damit die Lebensdauer des Oberbaus zu ermitteln, wird zunächst der Kehrwert von den Lastwechseln laut [Gl. 2] gebildet. Dies ergibt die zugehörige Schädigung C ijk für die auftretenden Achsaggregate i, Fahrzeugklassen j und Klimaperioden k wie folgt: 438 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich (Gl. 3) Diese wird benötigt, um die gewichtete Gesamtschädigung C zul zu berechnen. C zul errechnet sich aus der Auftretenswahrscheinlichkeit der einzelnen Fahrzeugklassen des Schwerverkehrskollektivs p j , sowie der Verteilung der Klimaperioden über das gesamte Jahr p k . (Gl. 4) Nach erneuter Bildung des Kehrwerts, erhält man die gesamt zulässige Anzahl an Lastwechsel N zul gemäß [Gl. 5]. (Gl. 5) Die Einwirkungsseite wird mithilfe von [Gl. 6] beschrieben. Dabei ist JDTLV die jährlich durchschnittliche tägliche Lastverkehrsstärke, V die Verteilung des Schwerverkehrs auf mehrere Richtungsfahrstreifen, S die Verteilung der Fahrspur innerhalb des Fahrstreifens, n die Bemessungsperiode in Jahren und z der jährliche Zuwachsfaktor. [15] Die benötigten Werte für V, S, n und z können der Richtlinie RVS 03.08.63 [16] entnommen werden. (Gl. 6) Zuletzt muss überprüft werden, ob [Gl. 1] erfüllt ist. Sollte der linke Teil der [Gl .1] einen Wert größer 1 ergeben, muss der Oberbau neu dimensioniert und die Berechnungen erneut durchgeführt werden. 5. Zusammenfassung und Ausblick Bisher können ungebundene Pflasterstein-Auf bauten in Österreich ausschließlich mithilfe eines Bemessungskatalogs dimensioniert werden. Dies führt zu hohen Bemessungsreserven und unwirtschaftlichen Auf bauten. In Zukunft soll durch die hier beschriebene rechnerische Dimensionierung eine alternative Bemessungsmethode geschaffen werden. Bei Verwendung der rechnerischen Dimensionierungsmethodik können projektspezifisch die tatsächlich auftretenden Materialkennwerte und Verkehrslasten ebenso in Rechnung gestellt werden wie unterschiedliche Steintypen, -formate und Verbandsarten. Auch Sonderbemessungen, für welche bis jetzt stets eine gesonderte Betrachtung notwendig war, können nun schnell durchgeführt werden. All dies führt zu wirtschaftlicheren Oberbauten bei gleichbleibender Lebensdauer. Literatur [1] FSV: RVS 03.08.63: Oberbaubemessung. Wien, Österreich: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr 2016. [2] FSV: RVS 03.08.68 Rechnerische Dimensionierung von Asphaltstraßen. Wien, Österreich: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße-Schiene- Verkehr 2018. [3] J. Litzka, C. Molzer and R. Blab: Modifikation der Österreichschen Bemessungsmethode zur Dimensionierung des Straßenoberbaus. Schriftenreihe Straßenforschung.°Vol. 465. Wien: Bundesministerium für wirtschaftliche Angelegenheiten 1996. [4] FSV: RVS 03.08.69: Rechnersiche Dimensionierung von Betonstraßen. Wien: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr 2020. [5] FSV: RVS 08.15.01: Ungebundene Tragschichten. Wien, Österreich: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße-Schiene-Verkehr 2017. [6] FQP: CR-Projekt Pflasterplattenbauweisen, Projektbericht TU Wien (unveröffentlicht). 2021, S. 134. [7] J. Füssl, H. Hengl, L. Eberhardsteiner, W. Kluger- Eigl and R. Blab: Numerical simulation tool for paving block structures assessed by means of fullscale accelerated pavement tests. In: International Journal of Pavement Engineering 19(10)/ 2018, S. 917-929. [8] R. Blab, W. Kluger-Eigl, J. Füssl and M. Arraigada: Accelerated pavement testing on slab and block pavements using the mls10 mobile load si-mulator. In: Proceedings of the 4th international conference on accelerated pavement testing. 2012. Davis, CA, USA. [9] H. Hengl, W. Kluger-Eigl, M. Lukacevic, R. Blab and J. Füssl: Horizontal deformation resistance of paving block superstructures-Influence of paving block type, laying pattern, and joint behavior. In: Internacional Journal of Pavement Research and Technology 19(7)/ 2018, S. 1575-1594. [10] J. Füssl, W. Kluger-Eigl and R. Blab: Experimental identification and mechanical interpretation of the interaction behaviour between concrete paving blocks. In: International Journal of Pavement Engineering 17(6)/ 2016, S. 478-488. [11] R. Blab, W. Kluger-Eigl, J. Füssl, T. Hessmann and B. Gagliano: CR-Projekt Pflasterbauweisen 1. Forschungsjahr. 2014, S. 76. [12] R. Blab, L. Eberhardsteiner, K. Haselbauer, B. Marchart and T. Hessmann: Implementierung des GVO und LCCA-Ansatzes in die österreichische Bemessungsmethode für Straßenoberbauten - OBESTO. TU Wien - Institut für Verkehrswissenschaften - Forschungsbereich Straßenwesen, Wien: Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH 2014. [13] Shell: Shell pavement design manual - Asphalt pavements and overlays for road traffic. Asphalt pavements and overlays for road trafficLondon: Shell International Petroleum Company Limited 1978. [14] R. Blab, J. Füssl, B. Gagliano, T. Hessmann and W. Kluger-Eigl: Beiträge zur Weiterentwicklung von 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 439 Ansatz zur rechnerischen Dimensionierung ungebundener Pflastersteinaufbauten in Österreich Pflasterbefestigungen. In: Mitteilungen Insti-tut für Verkehrswissenschaften, Forschungsbe-reich Straßenwesen, Technische Universität Wien 29/ 2013. [15] L. Eberhardsteiner and R. Blab: Design of bituminous pavements - a performance-related approach. In: Road Materials and Pavement Design 2017, S. 1-15. [16] FSV: RVS 03.08.63 - Oberbaubemessung. Wien: Österreichische Forschungsgesellschaft Straße- Schiene-Verkehr 2016. Anhang 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 443 Programmausschuss Der Programmausschuss für das Kolloquium Straßenbau in der Praxis setzt sich aus anerkannten Experten aus Forschung und Entwicklung, Industrie und Praxis zusammen. Zu seinen Aufgaben gehören die Formulierung der Zielsetzung und Festlegung der Themenschwerpunkte der Fachtagung, die Begutachtung und Auswahl der eingereichten Vortragsvorschläge für das Tagungsprogramm und die fachliche Beratung des Veranstalters. Vorsitzender Prof. Dr.-Ing. Florian Schäfer Hochschule Biberach Mitglieder Dr.-Ing. Anne Benner Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg Benjamin Butscher, MBA Strabag GmbH, Langenargen Prof. Dr.-Ing. Leyla Chakar Hochschule für Technik Stuttgart Dr.-Ing. Thomas Chakar Tiefbauamt Stuttgart Prof. Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Alexander Hofmann HOCHTIEF PPP Transport Westeuropa GmbH, Essen Prof. Dr.-Ing. Christian Holldorb Hochschule Karlsruhe Technik und Wirtschaft Dr.-Ing. Dirk Jansen Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt), Bergisch Gladbach DI (Univ.) Mario Krmek ÖBB-Infrastruktur AG, Wien, Österreich Dipl.-Ing. Ulrich Noßwitz BERNARD Gruppe ZT GmbH, Aalen Prof. Dr.-Ing. Steffen Riedl Fachhochschule Erfurt Dr.-Ing. Wiebke Thormann ADAC München Prof. Dipl.-Ing. Hartmut Veigele Hochschule Biberach Dr. Wolf-Henrik von Loeben ViaTec Basel AG, Schweiz Dipl.-Ing. Manfred Wacker VSVI Baden-Württemberg, Stuttgart 3. Kolloquium Straßenbau - Februar 2023 445 Autorenverzeichnis AAlber, Stefan 281 Alte-Teigeler, Tim 279 Andreev, Anna 77 Appelt, Veit 381 Asel, Franziska 203 Ayasse, Marcel 425 BBalck, Henning 165 Best, Berthold 425 Biesalski, Mark 343 Blab, Ronald 433 Burgetsmeier, Bernd 391, 405 Buttgereit, Alexander 137, 357 CCarreño, Nicolás 37 Ceci, Luigi Paolo 59 Chakar, Thomas 111, 263 Cypra, Sonja 31 Cypra, Thorsten 349 DDel Rosario, Pamela 37 Dieterle, Andreas 215 EEberhardsteiner, Lukas 433 Epp, Tatjana 165 FForster, Christian 247 GGeißler, Matthias 233 Gierse, Marcel 179 Gober, Franziska 433 Gogolin, Daniel 137 Gohl, Sven 225 Gomolluch, Stefan 137 Görgner, Klaus 223 Groot-Körmelink, Andreas 357 Großmann, Andreas 317 Grozinger, Janis 265 Grüninger, Martin 375 Guran, Derya 19 HHaag, Alexander 253 Heijkoop, David 293 Heine-Nims, Torsten 143 Herrmann, Chris 317 Hilbertz, Eugen 241 Hilpert, Daniel 165 Höhnscheid, Karl-Josef 25 Hollatz, Andreas 17 Holldorb, Christian 31, 349 Höller, Stefan 269 IIllgner, Jannis 77 JJakovljevic, Tanja 73 Jaud, Štefan 189 Johansson, Barbara 281 KKlähnhammer, Jens 99 Knappe, Anne-Sophie 171 Köchy, Jan 253 Köglmaier, Andreas 149 Krause, Christiane 307 Krause, Niklas Luka 179 Krekel, Gijs 37 Kübler, Markus 159 LLaber, Arnd 235 Landthaler, Isa 219 Leopoldseder, Thomas 63 Lindner, Björn 171 MMailer, Jaqueline 425 März, Niklas 349 Matthes, Steffen 375 Moritz, Carolin 425 Müller, Marcus 115 Müller, Vincent 149 OOeser, Markus 25 Özgül, Abdullah 425 PPatzak, Jörg 129 Pfeifer, Ulrich 307 Pilger, Marcel 63 Pott, Andreas 357 RRaff, Marius 331 Reichelt, Christian 107 Ressel, Wolfram 281 SSchäfer, Daniela 77 Schätzl, Michael 337 Scheller, Steffen 317 Schmidt, Vera 111 Schumann, Hannah 425 Sesselmann, Maximilian 317 Stein, Matthias 281 Steyer, Rico 189 Stöckner, Markus 307, 363 Stöckner, Ute 307 TTheurer, Edgar 85 Thomalla, Katharina 357 Tiede, Marieke 61 Tilger, Klaus 203 Traverso, Marzia 37 Tschickardt, Thomas 171 UUhlig, Wolf 123 WWachsmann, Amina 49 Wacker, Bastian 19 Weninger-Vycudil, Alfred 289 Wiesler, Tim 349 Wistuba, Michael 289 Wohnsdorf, Yannik 355 ZZeißler, Alexander 129 Zinke, Tim 247 Weitere Informationen und Anmeldung unter www.tae.de/ go/ bauwesen Besuchen Sie unsere Seminare, Lehrgänge und Fachtagungen. Geotechnik Verkehrswegebau und Wasserbau Konstruktiver Ingenieurbau Bautenschutz und Bausanierung Umwelt- und Gesundheitsschutz Energieeffizienz Baubetrieb und Baurecht Facility Management Ein Großteil unserer Seminare wird unterstützt durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Profitieren Sie von der ESF-Fachkursförderung und sichern Sie sich bis zu 50 % Zuschuss auf Ihre Teilnahmegebühr. Alle Infos zur Förderfähigkeit unter www.tae.de/ foerdermoeglichkeiten Bauwesen, Energieeffizienz und Umwelt Bis zu 50 % Zuschuss möglich Eine funktionierende und leistungsfähige Infrastruktur gehört zu den essentiellen Voraussetzungen eines erfolgreichen Wirtschaftsstandorts Deutschland. Auch in Zukunft wird die Straßenverkehrsinfrastruktur der bedeutendste Verkehrsweg bleiben. Neue Verfahren im Straßenbau, der Zwang zur wirtschaftlichen Bauausführung und gehobene Qualitätsanforderungen erleichtern und erschweren zugleich die Realisierung vorhandener Projekte. Hinzu kommen gesteigerte Ansprüche der Menschen an die Beteiligung in der Planungs- und Bauphase. Das moderne Umweltschutzrecht erfordert in der Anwendung die frühzeitige Berücksichtigung relevanter Belange und den umfassenden Ausgleich von Eingriffen. Auf Nachhaltigkeit wird sowohl während des Baus als auch bei der Nutzung der Infrastruktur geachtet. Zudem wird durch Building Information Modeling (BIM) die Zusammenarbeit von Bauherren bzw. Behörden, Planern und Baufirmen auf eine völlig neue Basis gestellt. Vor diesem Hintergrund findet das 3. Kolloquium „Straßenbau in der Praxis“ am 7. und 8. Februar 2023 an der Technischen Akademie Esslingen statt, in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Straßenwesen, der Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V. und der Vereinigung der Straßen- und Verkehrsingenieure Baden-Württemberg. Der Inhalt Bauweisen/ Textur BIM: Datenmodell, Digitale Zwillinge, auf der Baustelle Boden/ Erdbau Digitalisierung im Asphaltstraßenbau Erhaltungsmanagement Industriebeiträge Asphalt Infrastrukturbau innovative neue Ideen kommunale Erhaltung Nachhaltigkeit Pflaster Qualitätssicherung Radverkehr Recycling urbane Herausforderungen Verkehrsmodellierung Die Zielgruppe Ingenieurbüros Baufirmen Kommunen und Straßenbaubehörden Projektsteuerer Forschungseinrichtungen Baustoffhersteller Softwareentwickler Das vorliegende Tagungshandbuch enthält die vorab eingereichten Beiträge zu den Vorträgen und gibt einen Überblick über den aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neueste Entwicklungen und Trends im Straßenbau unter den Aspekten von Nachhaltigkeit und Digitalisierung. www.tae.de ISBN 978-3-8169-3555-1