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Frankokaribische Literatur

Eine Einführung

0319
2008
978-3-8233-7352-0
978-3-8233-6352-1
Gunter Narr Verlag 
Ralph Ludwig
10.2357/978-3-8233-7352-0

Literatur aus der "französischen" Karibik - der von den Franzosen kolonisierten Karibik - stellt heute für den europäischen Leser ein Faszinosum dar, das nicht nur mit der Anziehungskraft einer wie auch immer gearteten Exotik erklärt werden kann. Die frankokaribische Literatur gehört zu den lebendigsten Literaturen der Frankophonie: sie ist ein Kreuzungspunkt der Nationen und versammelt Kulturtraditionen von indianischen, europäischen, afrikanischen und asiatischen Bevölkerungsgruppen. Doch war die Plantagengesellschaft, also die für das karibische Archipel rund drei Jahrhunderte bestimmende Organisationsform, kein Ort friedlicher Synthese der Kulturen - so wurde etwa die indianische Kultur der Arawak und Kariben bis auf wenige Spuren ausgelöscht, konnten sich afrikanische Mythen etwa nur im religiösen Bereich halten, hat die indische Minorität, eine der jüngsten Zuwanderergruppen, erst seit wenigen Jahrzehnten zu neuem Selbstbewusstsein gefunden. Das historische Durchleben und ästhetische Sublimieren der Erfahrungen von Kolonialisierung und Migration machen daher den gemeinsamen Nenner und zugleich auch die Vielfalt der frankokaribischen Literatur aus. Dabei schöpfen die Autoren aus einem reichen Schatz mündlicher Tradition, aus den Erlebnissen und kreolischen Gewohnheiten des Alltags, aus den überlieferten Mythen. Sie finden im Exotismus und Indigenismus, der Négritude, Antillanité und Créolité oder auch im magischen Realismus vielfältige, sehr unterschiedliche Antworten auf die Fragen nach der eigenen literarischen und historischen Identität. Am Ende erweisen sich die frankokaribischen Literaturen als Steine eines Mosaiks, hinter dessen verschiedenen Teilen das Ganze schemenhaft sichtbar wird. Aus dem Inhalt: Grundfragen · Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft · Etappen · Gestern und morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant · Perspektiven: Ein verändertes Wirklichkeitsverhältnis der frankokaribischen Literatur · Entwicklungen der haitianischen Literatur · Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana · Schlussbemerkung

<?page no="0"?> narr studienbücher Ralph Ludwig Frankokaribische Literatur Eine Einführung <?page no="1"?> narr studienbücher <?page no="3"?> Ralph Ludwig Frankokaribische Literatur Eine Einführung Gunter Narr Verlag Tübingen <?page no="4"?> Ralph Ludwig ist ordentlicher Professor am Institut für Romanistik der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http: / / dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2008 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem und säurefreiem Werkdruckpapier. Internet: http: / / www.narr-studienbuecher.de E-Mail: info@narr.de Druck: Gulde, Tübingen Bindung: Nädele, Nehren Printed in Germany ISSN 0941-8105 ISBN 978-3-8233-6352-1 <?page no="5"?> Für Wolfgan g Raible, der mich den Grenzgang zwischen Sprache und Literatur gelehrt hat Für Hector Poullet und Sylviane Telchid, die meine antillanischen ‚errances’ zu einer freundschaftlichen Dialektik von Selbst- und Fremderfahrung haben werden lassen <?page no="6"?> Dieses Buch hat eine lange Geschichte. Am Anfang stand ein denkwürdiger Abend in Zombi Perdu und ein Telefongespräch mit Hans-Jürgen Lüsebrink. Außer Florence Bruneau-Ludwig - die den Text von der Datensammlung bis zur Endredaktion begleitet hat - und unseren Autorenfreunden habe ich manchen zu danken, so - Jean Mangold für die fast zwanzigjährige Dokumentations-Hilfe, - Sibylle Kriegel und Susanne Michaelis für eine kritische Lektüre in der Zeit des „cacaoyer“, - Gesine Müller und Stefan Pfänder für Diskussion und Literatur, - Steve Pagel, Rahel Szalai und Susanne Vollmer für Geduld und Unterstützung, - Jürgen Freudl für die ausgezeichnete Zusammenarbeit, manchen anderen (die nicht alle genannt werden können). <?page no="7"?> Inhalt 1 Grundfragen 11 1.1 Die Karibik als Kreuzungspunkt der Nationen: Kulturkontakt und Kreolisierung als moderne Erfahrung 11 1.2 Diglossische Spaltung als ästhetische Quelle 12 1.3 Saint-John Perse oder die Schwierigkeit, „karibische Literatur“ zu bestimmen 13 2 Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 17 2.1 Literatur als Teilganzes - Erinnerungs- und Identitätsarbeit 17 2.2 Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 21 2.2.1 Die indianische Bevölkerung der Antillen: der nicht entdeckte Andere - Transkulturationen - fiktionale Rekonstruktionen 21 2.2.2 Die Ausbildung der Plantagengesellschaft - Visionen und Praktiken von Unterwerfung 30 2.2.3 Träume von Freiheit: Auflehnungen, Kämpfe und neue Realitäten 39 2.2.4 Neue Migrationen und Kreolisierungsprozesse 49 2.2.5 Entwicklungen der Gesellschaft von Martinique, Guadeloupe und der Guyane française im 20. Jahrhundert 52 2.3 Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 58 2.3.1 Diasporizität 58 2.3.2 Religiöse Selbstsuche und Alltagsbewältigung 62 2.3.3 Ethnische Fremd- und Selbstwahrnehmung 66 2.4 Wahrnehmungen von Zeit und Weg 77 2.5 Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 78 2.6 Sprachkontakte - Mündlichkeit und Schriftlichkeit 88 3 Etappen 93 3.1 Das 19. Jahrhundert: Europäische Dominanz im kulturellästhetischen Selbstverständnis 93 3.1.1 Haiti 93 3.1.2 Die verbleibenden französischen Kolonien in der Karibik 95 <?page no="8"?> 3.2 Der haitianische Indigenismus als politisch-literarische Gegenreaktion 97 3.3 Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 99 3.3.1 Das Diskussionsfeld der Légitime Défense 99 3.3.2 Die Konstitution der Négritude 101 3.3.3 Das Cahier d’un retour au pays natal 103 3.3.4 Weitere Werke und Wirkung der Négritude 106 3.4 Die haitianische Überwindung der Négritude: Jacques Stephen Alexis und das Feld des magischen Realismus 110 4 Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 115 4.1 Glissant als Antithese 115 4.2 Fragment und Dunkelheit 116 4.3 Geschichte, non-histoire und chaos-monde 118 4.4 Vom chaos-monde zum Tout-monde 121 5 Perspektiven: Ein verändertes Wirklichkeitsverhältnis der frankokaribischen Literatur 127 6 Entwicklungen der haitianischen Literatur 129 6.1 Schreiben zwischen Kreolisch und Französisch 129 6.2 Vermittlungen zwischen Räumen und Diskursen 133 7 Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 139 7.1 Oszillationen: Afrika, Europa und die Antillen - Oralität und Literalität 139 7.2 Die Créolité 144 7.2.1 Voraussetzungen: Ansätze einer Kanonbildung in der kreolischen Literatur 145 7.2.2 Die Formierung der Créolité 146 7.2.3 Die Etablierung der Bewegung - weitere Werke von 149 P. Chamoiseau und R. Confiant 7.3 Kontinuitäten und Diskontinuitäten 162 8 Schlussbemerkung 165 <?page no="9"?> 9 Zitierte Literatur 167 9.1 Literarische und kritische Werke karibischer Autoren 167 9.2 Sammelpublikationen und Anthologien 174 9.3 Historische und kulturgeschichtliche Werke 174 9.4 Weitere Referenzen 176 <?page no="11"?> 1 Grundfragen 1.1 Die Karibik als Kreuzungspunkt der Nationen: Kulturkontakt und Kreolisierung als moderne Erfahrung Literatur aus der „französischen Karibik” - soll heißen: aus der von Frankreich kolonisierten Karibik - stellt für eine weltweite Leserschaft ein Faszinosum dar, das nicht oder jedenfalls nicht nur mit der Anziehungskraft einer wie auch immer gearteten „Exotik” erklärt werden kann. Was die tiefere Bedeutung literarischen Schreibens ausmacht, liegt nicht in eurozentrischen Evasionstraumbildern von Gauginscher Prägung. Die Karibik wird geeint durch die Erfahrung der Kolonialisierung; sie ist ein Schmelztiegel indianischer, europäischer, afrikanischer, ja asiatischer Bevölkerungsgruppen und Kulturtraditionen. Aber die Plantagengesellschaft, also die für das karibische Archipel rund drei Jahrhunderte bestimmende Organisationsform, war alles andere als der Ort einer friedlichen Synthese dieser Elemente. Césaire hatte dieses in seinem vehementen Discours sur le colonialisme ausgedrückt, zu einer Zeit, als Frankreich noch in Kolonialkriege verstrickt war: [...] la colonisation a-t-elle vraiment mis en contact ? Ou, si l’on préfère, de toutes les manières d’établir le contact, était-elle la meilleure ? Je réponds non. Et je dis que de la colonisation à la civilisation, la distance est infinie (1950/ 1989, 9 f.). Die indianische Kultur der Arawak und Kariben wurde bis auf wenige Spuren ausgelöscht. Afrikanische Mythen konnten sich nur in verstümmelter Form etwa im religiösen Bereich halten. Die indische Minorität, eine der jüngsten Zuwanderergruppen, hat erst seit wenigen Jahrzehnten zu neuem Selbstbewusstsein und stolzer Ausübung ihrer religiösen Tradition gefunden. Das historische Durchleben und ästhetische Sublimieren dieser Migrationserfahrung macht die frankokaribische Literatur auch für Europa wichtig. Denn die „alte Welt” ist heute gekennzeichnet von der Nostalgie regionaler wie nationaler Identitäten und von der Krise, die aus ihrer Vermischung und den Erscheinungsformen der „mondialisation“ herrührt. Ähnlich verorten manche karibischen Autoren den Kern ihrer literarischen Botschaft. Die Martinikaner Jean Bernabé, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant begreifen die kolonial erzwungene multiethnische Gesellschaft als historische Basis der Créolité (s. genauer u., 7.2): Réunies en général au sein d’une économie plantationnaire, ces populations sont sommées d’inventer de nouveaux schèmes culturels permettant d’établir une relative cohabitation entre elles. Ces schèmes résultent du mélange non harmonieux (et non <?page no="12"?> Grundfragen 12 culinaires, architecturales, médicinales, etc., des différents peuples en présence. (Bernabé & Chamoiseau & Confiant 1989, 31) In dieser historischen Erfahrung sehen die genannten Autoren des Éloge de la créolité den exemplarischen Wert für die Gesellschaften der modernen Welt: Penser le monde aujourd’hui, l’identité d’un homme, le principe d’un peuple ou d’une culture, avec les appréciations du dix-huitième ou du dix-neuvième siècle serait une pauvreté. De plus en plus émergera une nouvelle humanité qui aura les caractéristiques de notre humanité créole : toute la complexité de la Créolité. Le fils, né et vivant à Pékin, d’un Allemand ayant épousé une Haïtienne, sera écartelé entre plusieurs langues, plusieurs histoires, pris dans l’ambiguïté torrentielle d’une identité mosaïque. (Bernabé & Chamoiseau & Confiant 1989, 52 f.) Derart leistet die Literatur der Antillen einen auf spezifischer historischer Kulturkontakterfahrung basierten, ästhetisierten Beitrag zur aktuellen Multikulturalismusdiskussion, in einer Epoche der Jahrtausendwende, die der Haitianer und Wahlfranzose René Depestre als „formidable époque d’agonie et de mutation“ bezeichnet (1998, 228; zu R. Depestre s.u., 6.2). 1.2 Diglossische Spaltung als ästhetische Quelle Gleichwohl zielt literarisches Schreiben nicht nur auf die Übermittlung einer gesellschaftlichen Analyse. Insbesondere die moderne Literatur der Antillen erinnert in mancher Hinsicht an den karnevalesken Geist der Renaissance. Und wie Rabelais allen voran die Lebensfreudigen, Frohgestimmten in die Abbaye de Thélème einlädt: Mes familiers serez, et péculiers : Frisques, gualliers, joyeux, plaisans, mignons, En général tous gentilz compaignons (Rabelais, Œuvres complètes, 197), sollen auch die Werke karibischer Autoren schlicht Freude beim Lesen bereiten. „Quel est le but premier de la littérature sinon celui de procurer du plaisir? ”, fragt R. Confiant (1994a, 180). Wenn ihnen dieses gelingt, so geht das Lesevergnügen oftmals auf die Erzählkunst des Autors zurück. Gerade in der literarischen Produktion der letzten Jahrzehnte kommt eine Besinnung auf die Mündlichkeit zum Tragen, in einer Gegenbewegung zu konstruierten Schreibmodellen, ähnlich wie sie die deutsche Romantik am Ende des achtzehnten Jahrhunderts vollzogen hat (s. Ludwig 1992). Die karibischen Autoren bekennen sich demnach mehr und mehr zur diglossischen Grundspannung der frankokaribischen Gesellschaft zwischen französischer Schriftkultur und mündlich-kreolischer Nähekommunikation. Auch ein Schreiben in französischer Sprache schöpft aus den Erlebnissen und kreolischen Gewohnheiten des Alltags, im Reichtum mündlicher Tradition, in oralen Mythen, in der oraliture (zu diesem Begriff s. Laroche 1991, 15 ff.). Aus dem diglossischen Spannungsfeld wird ästhetischer Gewinn geschlagen. achevé et donc non réducteur) des pratiques linguistiques, religieuses, culturales, <?page no="13"?> Saint-John Perse oder die Schwierigkeit, „karibische Literatur” zu bestimmen 13 Am Ausgangspunkt der Darstellung steht, entsprechend der Auffassung, dass Geschichte, kollektives Gedächtnis und karibische Literatur einen besonderen Zusammenhang bilden, ein Gang durch die zentralen Gedächtnisorte und ihre literarischen Reflexe. Anschließend kommen - summarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit der zitierten Autoren und Werke - die Hauptetappen in der Entwicklung karibischer Literaturtraditionen des neunzehnten und vor allem des zwanzigsten Jahrhunderts zur Sprache. Einer Reihe jüngerer Perspektiven - antillanische Literatur der letzten Jahrzehnte und Jahre - gilt besonderes Interesse. Im Vordergrund müssen hier die Werke stehen, die einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich sind, in denen also das Französische die primäre Sprachebene ist. Trotzdem kann auch die Literatur in kreolischer Sprache nicht gänzlich unterschlagen werden, zumal inzwischen einschlägige Wörterbücher den Zugang erleichtern (wie z.B. Nougayrol & Vernet & Alexandre & Tourneux 1976; Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002; Confiant 2007). 1.3 Saint-John Perse oder die Schwierigkeit, „karibische Literatur” zu bestimmen Lässt sich ohne weiteres von „karibischer Literatur” oder von einem „karibischen Autor” sprechen? Wie schwer die Beantwortung dieser Frage fallen kann, zeigt ein bekanntes Dichterschicksal. 1887 wird in Guadeloupe Marie-René Alexis Saint-Leger Leger geboren. Er ist Sohn von reichen blancs créoles und verbringt seine Kindheit in Pointe-à-Pitre sowie auf den beiden habitations der Familie, die die Namen La Joséphine und Bois-Debout tragen. 1899 siedelt er mit seiner Familie nach Frankreich über; auch später hat er die antillanische Heimat nie wieder besucht. In Frankreich - von dort aus unternimmt er ausgedehnte Reisen - macht er doppelt Karriere: als Diplomat und, unter dem Namen Saint-John Perse, als Schriftsteller. Insbesondere die Éloges spiegeln seine karibische Kindheit wieder, die paradiesische Umgebung der elterlichen Pflanzung, die von ihm immer wieder sehr konkret erfasste tropische Fauna und Flora, die im folgenden Passus eigenartig mit dem Tod seiner Schwester im Jahre 1895 kontrastiert (1982, 24): Et les servantes de ma mère, grandes filles luisantes... Et nos paupières fabuleuses... Ô clartés ! ô faveurs ! Appelant toute chose, je récitai qu’elle était grande, appelant toute bête, qu’elle était belle et bonne. Ô mes plus grandes fleurs voraces, parmi la feuille rouge, à dévorer tous mes plus beaux insectes verts ! Les bouquets au jardin sentaient le cimetière de famille. Et une très petite sœur était morte : j’avais eu, qui sent bon, son cercueil d’acajou entre les glaces de trois chambres. Et il ne fallait pas tuer l’oiseau-mouche d’un caillou... Mais la terre se courbait dans nos jeux comme fait la servante, celle qui a droit à une chaise si l’on se tient dans la maison. <?page no="14"?> Grundfragen 14 Das Verhältnis zur Umgebung seiner Kindheit ist, trotz der Tragik des in diesem Zitat anklingenden Ereignisses, glücklich (Chamoiseau & Confiant 1991, 162-164), und sein sprachlicher Zugriff auf die Erscheinungen der Dingwelt ist - wie auch noch in seinen späteren Werken - unmittelbar, sicher (Raible 1972, 138), ja manchem zu sicher: „Le lieu antillais se présente à Saint-John Perse dans une netteté dont je me méfierais”, so Glissant (1990, 52). In seinen späteren Werken wie Vents oder Amers sind die karibischen Erinnerungen weniger präsent; R. Toumson (1989, 274 f.) verweist auf eine Briefstelle von 1911, in der Saint-John Perse es ablehnt, sich als antillanischen Autor zu verstehen: Des Antillais même pourraient penser, non de mes poèmes, qui sont tout simplement français, ni de mes thèmes, qui furent toujours étroitement vécus, mais de mon attitude humaine, antérieure au songe de la vie, qu’il y a là plus d’océanien, ou d’asiatique, ou d’africain, ou de toute autre chose encore, que d’antillais. (Saint- John Perse 1982, 793) In der Rolle des Diplomaten wie des Dichters begreift er sich als Vermittler zwischen Zeiten und Kulturen. Können die Werke von Saint-John Perse zur karibischen Literatur gerechnet werden? Möglicherweise kann in der Konkretion seines Wortgebrauchs, im Nicht-Betroffensein von irgendeiner Sprachkrise (Raible 1972, 137 f.) ein Phänomen des engen, direkten Lebensverhältnisses zum - mit Karl Bühler gesprochen - „Bereich der Gegenstände und Sachverhalte” gesehen werden, das für die mündliche Gesellschaft der Karibik typisch ist. Trotz der Sicherheit seiner Wörter bleibt er ein „dunkler”, „opaker” Dichter; auch dieser Zug ist u.U. ein Erbe kreolischer Oralität, besonders der Oraliture (Chamoiseau & Confiant 1991, 162; zu einer kritischen Sicht der These der Kreolität von Saint- John Perse s. Gallagher 1998). Festzuhalten bleibt, dass es eine ganz bestimmte Weltsicht ist, die den karibischen Autor auszeichnet. Diese Weltsicht lässt sich genauer mit dem Begriff der mémoire collective von Maurice Halbwachs (1997) fassen, die Aleida und Jan Assmann in das unmittelbar lebenspraktische kommunikative und das weiter zurückgreifende kulturelle Gedächtnis ausdifferenzieren (Assmann & Assmann 1988, Assmann 1992; s. ausführlicher dazu u., 2.1). Üblicherweise nimmt man an, dass nur der (Schriftsteller) über ein antillanisches kollektives Gedächtnis verfügen kann, der antillanischer Herkunft ist, d.h. eine Sozialisierung in Auseinandersetzung mit der beschriebenen multiethnischen Gesellschaft kolonialen Ursprungs erlebt hat. Dieses letzte, scheinbar einfache Kriterium gilt jedoch nur begrenzt, wenn man etwa an André Schwarz-Bart - er ist französisch-jüdischer Abstammung - und seinen Roman La mulâtresse Solitude (1972) denkt. Saint-John Perse ist eine Einzelerscheinung, die sich in keine der literarischen Bewegungen der Karibik einfügt. Verdeutlicht man sich aber seine einer errance im Sinne Glissants gleichende Existenz, so rückt er in die Nähe anderer karibischer, insbesondere haitianischer Autoren, die schon früh ihr Land verlassen und neue Heimaten gewählt haben, wie R. Depestre (s. dazu Claverie 2002). <?page no="15"?> Saint-John Perse oder die Schwierigkeit, „karibische Literatur” zu bestimmen 15 Auch in einer zweiten Hinsicht bereitet die Rede von „karibischer Literatur” Schwierigkeiten: lässt sich überhaupt von einer Einheit ausgehen, oder müsste man nicht adäquater in der Mehrzahl von littératures caribéennes sprechen? G. Hazaël-Massieux (1992) gibt letzterer Wortwahl den Vorrang und betont damit die geographisch-geschichtlich unterschiedlichen Entwicklungsbedingungen einzelner Inseln bzw. Zonen. Ähnlich urteilt R. Depestre (1994, 160), ohne allerdings die verbindenden Elemente aus dem Auge zu verlieren: Les états de créolité propres aux différentes sociétés de la Caraïbe, quoique historiquement apparentés, quoique issus, à la même époque, du même maelström colonial, dans aucune de leurs expressions - langues, religions, mentalités, arts et littératures - ne se recoupent toutefois entre eux, purement et simplement, comme des échelles de valeurs qui seraient uniformément interchangeables. On peut appliquer à nos cultures respectives ce que Flaubert a dit un jour des feuilles d’une forêt : « Toutes dissemblables dans leur ressemblance. » Nos littératures, comme les identités qu’elles illustrent, demeurent dissemblables dans leurs plus évidents signes de parenté. M. Laroche schließlich bleibt bei einem einheitlichen Oberbegriff: Malgré les noms divers par lesquels on la désigne: The West Indies, El Caribe, les Antilles, la Caraïbe est une. Cette unité n’est cependant pas la même pour la Caraïbe francophone, puisqu’il faut toujours prendre soin de bien distinguer les Antilles françaises, c’est-à-dire la Martinique, la Guadeloupe et même la Guyane, d’Haïti. C’est que si cette unité est réelle, elle est plutôt à venir. Cela peut déjà faire comprendre le paradoxe de parler de la littérature et non des littératures de la Caraïbe francophone. Les textes des écrivains haïtiens, martiniquais, guadeloupéens et guyanais présentent pourtant des caractéristiques communes de par la similitude même de leur contexte (1992, 1; zur Karibik als „Literaturraum” vergl. Fleischmann & Breitinger 1992, Fleischmann 1994). <?page no="17"?> 2 Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 2.1 Literatur als Teilganzes - Erinnerungs- und Identitätsarbeit Die allgemeine Erkenntnis, wonach Literatur sich nicht losgelöst von der gesellschaftlichen Lebenswelt entwickelt, besitzt für das antillanische fiktional-ästhetische Schreiben eine ganz besondere Inzidenz. Es ist, in den Worten Husserls (1913), ein „abhängiges Teilganzes“ individueller und kultureller Konstitutionsprozesse, die durch Erleben und Erinnerung von ethnischen Verdrängungsvorgängen, von Plantagengesellschaft und Sklaverei, durch tropisch-insuläre Natur- und Alltagserfahrung, das Ringen um Sprache und um kommunikative Anerkennung bestimmt wurden und noch werden. Solche zentralen Orte von Perzeption und Gedächtnis sollen in diesem Kapitel dargestellt werden, und zwar in ihrer Oszillation zwischen europäischer sowie antillanischer Sichtweise und literarischer Repräsentation. Wahrnehmung und Erinnerung, diese Einsicht verdanken wir Maurice Halbwachs (zuerst postum 1950/ 1997), sind nie rein individuelle, sondern immer soziale Phänomene; so spricht er beispielsweise von den „Gesetzen der kollektiven Wahrnehmung“ („les lois de la perception collective“, 1950/ 1997, 87). Und dieser französische Soziologe, dessen Sterben 1945 im Konzentrationslager Buchenwald Jorge Semprún in seinem in Titel und Anliegen auch für die antillanische Literatur bedeutsamen Werk L’écriture ou la vie schildert, macht eine weitere wichtige Feststellung; mémoire individuelle und mémoire collective befinden sich in einem der ständigen Veränderung ausgesetzten Wechselverhältnis, das von der Position des Individuums zur Gesellschaft bzw. genauer zu verschiedenen sozialen Milieus abhängt: Nous dirions volontiers que chaque mémoire individuelle est un point de vue sur la mémoire collective, que ce point de vue change suivant la place que j’y occupe, et que cette place elle-même change suivant les relations que j’entretiens avec d’autres milieux. Il n’est donc pas étonnant que, de l’instrument commun, tous ne tirent pas le même parti. Cependant lorsqu’on essaie d’expliquer cette diversité, on en revient toujours à une combinaison d’influences qui, toutes, sont de nature sociale. (Halbwachs 1950/ 1997, 94 f.) Gerade die Veränderung des Verhältnisses von Selbst- und Fremdwahrnehmung, von individueller und kollektiver Sicht in Abhängigkeit von verschiedenen sozialen Gruppen spielt für die Entwicklung der antillanischen Literatur eine wesentliche Rolle. <?page no="18"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 18 Zwei Voraussetzungen sind notwendig, um den besonderen Zusammenhang sich kreuzender Wahrnehmungen von antillanischer Geschichte und antillanischem Alltag im Wechselverhältnis mit Gedächtnis, Identitätssuche und literarischem Schreiben zu erfassen. Dies ist zuerst die Erweiterung von Halbwachs’ Gedächtniskonzept, die - wie schon im ersten Kapitel erwähnt - Aleida und Jan Assmann mit ihrer Unterscheidung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis vorgenommen haben (Assmann & Assmann 1988, Assmann 1992). Während das kommunikative Gedächtnis Inhalte und Handlungswissen des Alltags zum Gegenstand hat und in der Regel kaum länger als achtzig bis hundert Jahre vorhält, ist der Zeithorizont des kulturellen Gedächtnisses sehr viel weiter. Die im kulturellen Gedächtnis tradierten Inhalte haben eher zeremoniellen Charakter. Sie sind tendenziell zeitentbunden und bilden die Grundlage für die kulturelle Selbstbestimmung einer Gesellschaft: Selbstbildbezogen, Identitäts-relevant ist vor allem das kulturelle Gedächtnis. Denn Identitäten und die sie repräsentierenden „Selbstthematisierungen des Gesellschaftssystems“ sind, wie N. Luhmann treffend bemerkt hat, ‚nicht für den Alltagsgebrauch bestimmt.’ (Assmann & Assmann 1988, 29) „Klassische“ Werke und damit „klassische“ Literatur haben mithin einen zentralen Sitz im kulturellen Gedächtnis: Die klassischen Werke verkörpern die zeitlos gültigen Normen in reinster Form. Deshalb sind sie Maßstab und Maßgabe für das ästhetische Urteil und die künstlerische Produktion. (Assmann 1992, 110) Etwas allgemeiner gesprochen, gehört damit Schriftkultur eher in das kulturelle Gedächtnis, während die Oralität (vor allem in den Gesellschaften, die gleichzeitig über Alphabetkultur verfügen) tendenziell eher mit dem kommunikativen Gedächtnis assoziiert wird. Die zweite Prämisse für den weiteren Gedankengang liegt im besonderen Charakter des kulturellen Gedächtnisses einer Gesellschaft, die ihre Entstehung der Verdrängung der Ureinwohner, der Deportation von Afrikanern als Sklaven und der Dominanz der Plantagenökonomie verdankt. Die Sklaven, die von der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts an über siebzig, dann über achtzig Prozent der Bevölkerung der französischen Antillen ausmachen (Adélaïde-Merlande 1994, 120; s.u., 2.2.2, 2.2.3), verlieren mit der Deportation das Recht auf Individualität, auf eigene Kultur und Geschichte. Édouard Glissant spricht hier von dem „ausradierten Gedächtnis“, der mémoire raturée (1981b; s. weiter u., 4.3); was er mit genauerem Bezug auf Martinique sagt, lässt sich für alle französischen Kolonien in der Karibik verallgemeinern: Non seulement l’histoire fut collectivement subie, mais encore elle fut « raturée ». (Glissant 1981b, 88) Afrikanische Sprachen, Religionen und Kulturen bleiben nur als Spuren erhalten, als Ganze jedoch gehen sie verloren. Der Sklave wird im konkreten wie symbolischen Sinne nackt auf den Antillen angelandet: er besitzt nichts mehr, kein mate- <?page no="19"?> Literatur als Teilganzes - Erinnerungs- und Identitätsarbeit 19 rielles und symbolisches Gut, stattdessen ist er selber Besitztum (s.u. genauer zum „Code noir“, 2.2.2). Die theoretische Prämisse der Unterscheidung von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis sowie die historische Prämisse der mémoire raturée lassen sich jetzt folgendermaßen zusammennehmen: die emergierende Gesellschaft der Antillen übernimmt einerseits die Mechanismen des kulturellen Gedächtnisses von Frankreich, bemüht sich aber andererseits - und in Konflikt mit der Kultur der Kolonialmacht - um die Etablierung eines eigenen kulturellen Gedächtnisses. In diesem zweiten Prozess rücken dann aber kommunikatives und kulturelles Gedächtnis zwangsläufig eng zusammen, da auf einen älteren und etablierten kulturellen Kanon nicht zurückgegriffen werden kann. In zunehmendem Maße bemüht sich die Literatur der Antillen, die Alltagswirklichkeit der neu entstandenen Karibikgesellschaft zu erfassen und nach zunehmend autonomeren ästhetischen Prinzipien in eine Literatur zu überführen, die den wachsenden Anspruch erhebt, wesentlich zur Konstruktion dieses eigenen kulturellen Gedächtnisses beizutragen. Dabei handelt es sich nicht nur um einen semantischen Prozess, der literarisch Bilder der Inselwirklichkeit - Natur, Lebenskonditionen, gesellschaftliche Prozesse wie Aufstände und Revolutionen - transportiert, sondern auch um einen medialen und syntaktischen Vorgang. Die Konstruktion eines eigenen kulturellen Gedächtnisses rekurriert vielmals auf kommunikative Paradigmen des Alltags, wie Erzählstrukturen der Mündlichkeit und Anleihen in der kreolischen Sprache. Die literarisch verstandene Emanzipation eines eigenen kulturellen Gedächtnisses der Antillen kann nur schrittweise erfolgen. Auf der einen Seite zeigt sich, dass die Literatur bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts meist die gesellschaftliche Fremdsicht sowie die Gestaltungsideale der europäischen Literatur übernimmt. Überhaupt gehört zum französischen kulturellen Gedächtnis, dass die Beherrschung des „guten“ Französisch, des „bon usage“ eine zentrale Funktion im Katalog gesellschaftlicher Werte einnimmt. Dies bedeutet die Beherrschung des Schriftfranzösischen auf der Basis der Literatur der Klassik und in zweiter Linie die Beherrschung eines angenehmen und gepflegten mündlichen Konversationsstils (Ludwig 2008). Literarisches Ergebnis dieses kulturellen Franko-Eurozentrismus ist die Übernahme einer spezifischen Gattungshierarchie; als höchste Genres erscheinen Roman und Gedicht, während kürzere Erzählformen eine untergeordnete Rolle spielen. Und auch die Sprache der entstehenden antillanischen Literatur wirkt zumindest aus heutiger Sicht vielfach ungemein gekünstelt und pompös; ein typisches Beispiel hierfür ist der erste von einem Haitianer verfasste Roman mit dem Titel „Stella“, der aus der Feder von Émeric Bergeaud 1859 in Paris erscheint. Inhaltlich ist der Leser ebenfalls oft mit der Übernahme der europäisch geprägten Fremdsicht konfrontiert; Landschaft, Alltagswelt und moralische Werte werden auch vom Antillaner aus Pariser Perspektive wahrgenommen. Die Gedichte etwa des Guadelouper Békés Octave Giraud - wie z.B. „Le matin sous le tropique“ - stellen idyllisch Details der antillanischen Fauna und Flora dar, so als handele es sich um die staunende <?page no="20"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 20 Entdeckung des europäischen Antillenreisenden und nicht die alltägliche Umgebung des Dichters (Giraud 1862, 49 f.). Andererseits wird aus der Untersuchung der Reiseberichte, journalistischen Zeitzeugnisse etc. des 17., 18., 19. und frühen 20. Jahrhunderts deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit den hier formulierten Perspektiven immer mehr eine authentische Sicht auf die eigene conditio humana der Antillen heranreift, die dann in der jüngeren antillanischen Literatur deutlich zum Tragen kommt. Eine besondere Rolle spielen in diesem Zusammenhang den Antillen gewidmete Artikel in Zeitschriften wie L’Illustration, Le Miroir du Monde oder Le Monde Illustré, die vom 19. Jahrhundert ab wichtige Informationen - von politischen Ereignissen über Naturkatastrophen bis hin zu literarischen Texten - enthalten, darüber hinaus aber die Sichtweise der Antillen in Europa und gleichzeitig auch ein Stück Selbstwahrnehmung widerspiegeln. Beide Perspektiven interagieren stark, wobei der Selbstsicht und dem eigenen kulturellen Gedächtnis eine wachsende Bedeutung zukommt, in dem das Gewicht des europäischen Erbes neu austariert wird. Berichte über Naturkatastrophen beispielsweise tragen dazu bei, einen Gegenpol zu übertrieben idyllischen Sichtweisen der „tropiques“ zu schaffen und ein ungebrocheneres Wirklichkeitsbild zu vermitteln. Der in vielen Texten feststellbare fließende Übergang vom dokumentarischen zum literarischen Schreiben zeugt dabei einmal mehr von der besonderen Nähe von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis auf den Antillen. Überhaupt ist literarisches Schreiben auf den Antillen Teil eines Ganzen der verschiedensten Schreibprozesse. So nutzen viele Autoren historische Berichte. Etwa die unten verschiedentlich zitierte Reisechronik des Père Labat (1742) wird von dem hispanokaribischen Autor Alejo Carpentier bei seiner Darstellung der Kolonialsituation von Haiti angeführt: und zwar erscheint Labat nicht nur als Berichterstatter, sondern zudem als jemand, der Perspektiven und Urteile geprägt hat (1986, 61). Die im Folgenden dargelegten historischen und gesellschaftlichen Bereiche sind mithin nicht einfach „historische Rahmenbedingungen“, sondern sie spielen in der Selbstwahrnehmung, die die antillanische Literatur zum Ausdruck bringt, eine wichtige Rolle. Diese Wahrnehmungsbereiche machen dergestalt Orte der Erinnerung aus, die identitätsstiftend sind, wie umgekehrt ihre Aufarbeitung durch die Literatur dazu beiträgt, sie erst als Erinnerungsorte für das kulturelle Gedächtnis zu konstituieren. Damit wird ferner deutlich, dass die von Frankreich kolonisierten Zonen der Karibik durchaus so etwas wie eine gemeinsame kulturelle Basis besitzen, die Differenzqualität zur „englischen“ oder „spanischen“ Karibik haben, wenngleich mit einer Einschränkung. Die haitianische Revolution von 1804 führt den Westteil von Santo Domingo in die Unabhängigkeit, während Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guayana unter französischer Vormundschaft verbleiben; auch kulturell und literarisch ist derart ein Scheideweg entstanden. Mit dem Blick auf die jüngere Literatur der Antillen zeichnet sich noch eine weitere Differenzierung im Zusammenhang mit Identitäts- und Erinnerungsarbeit ab: der Individualität der Selbstbestimmung wird ein größerer Raum beigemessen, etwa, wenn der Antillais nicht mehr nur als Bewohner der Antillen, son- <?page no="21"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 21 dern auch als diasporische Existenz in Europa oder Nordamerika gesehen wird; hier zeigt sich einmal mehr das von Halbwachs berufene Wechselverhältnis von mémoire individuelle und mémoire collective. 2.2 Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 2.2.1 Die indianische Bevölkerung der Antillen: der nicht entdeckte Andere - Transkulturationen - fiktionale Rekonstruktionen Als Christoph Kolumbus als erster Europäer vor den Antillen ankert, ist dieses Inselarchipel von Kariben- und Arawak-Indianern bevölkert. Nach Haiti gelangt er am 6. Dezember 1492. In seinem Diario de a bordo, dem Bordbuch berichtet er genau, wie er die kleine, später im Zeitalter der „flibustiers“ und „boucaniers“ berühmt-berüchtigt gewordene vorgelagerte Insel „Isla de la Tortuga“ („Ile de la Tortue“) und die Hauptinsel „La Española“ genannt hat (Bordbuch, 144 ff.). Als er sich mit den indianischen Einwohnern, die zunächst meist ängstlich vor ihm fliehen, verständlich machen kann, bedeuten ihm diese ihre Angst vor den Einwohnern von „Canibato“ (Bordbuch, 154, 168 f.). Dem ungläubigen Kolumbus berichten sie ebenfalls, dass diese „Kannibalen“ Menschenfleisch verzehren (Bordbuch , 168). Kolumbus war auf die als eher friedfertig geltenden Ureinwohner Haitis gestoßen, die Arawak. Den Europäern stellten sie sich als „Taino“ vor; mit diesem Wort bezeichneten sie in ihrer Sprache wohl einen ‚guten, friedfertigen Mann bzw. Menschen’, was die spanischen Entdecker dann zum Namen für den Arawakstamm von Haiti machten (Mattioni 1982, 35 f.; d’Ans 1987, 40). Die Arawak hatten den ganzen Antillenbogen vom südamerikanischen, amazonischen Festland aus besiedelt und charakteristische Bestandteile ihrer Wohn- und Ernährungskultur auf die Inseln gebracht: die Hängematte, den Anbau bzw. Konsum von Manioc, Tabak, Süßkartoffel („patate douce“), Ananas, Guava usw. (d’Ans 1987, 31 ff.). Die entsprechenden Begriffe - wie „hamac“, „manioc“, „tabac“, „ananas“, „goyave“ etc. - haben entsprechend aus der Sprache der Arawak (und ferner Kariben, s.u.) über das Spanische ihren Einzug in die europäischen Sprachen gehalten. Bereits von Kolumbus wird zudem berichtet, dass sie ein ausdifferenziertes Sozialsystem besaßen, dem der „Kazike“ vorstand (Bordbuch, 168, 174). Kolumbus bezeichnet ihn in seinen Worten auch als König und berichtet im Eintrag vom 18. Dezember, wie dieser, begleitet von 200 Männern, in einer Sänfte zum Schiff getragen wurde (Bordbuch, 171 f.). Interessante Informationen gibt weiter der als Verteidiger der indianischen Bevölkerungen Hispanoamerikas berühmt gewordene Dominikanermönch Bartolomé de las Casas, der als junger Mann Kolumbus auf seiner zweiten Amerikareise begleitet hatte. Er beschreibt eloquent die Schönheit von Hispaniola und dessen Aufteilung in verschiedene indianische Königreiche; dabei erwähnt er auch die <?page no="22"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 22 mythisch gewordene Gestalt der Taino-Königin Anacaona (1542/ 1992, 29 f.; deutsche Übersetzung 1981, 21). Gleichwohl fiel es schon Kolumbus schwer, trotz der regelmäßig geäußerten Bewunderung für die Schönheit der Taino, in ihnen ebenbürtige Menschen zu sehen. Wie Tzvetan Todorov in seinem Buch mit dem signifikanten Titel Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen darlegt, konnte für Kolumbus der nicht oder spärlich bekleidete Indianer kaum wirklich Träger von Respekt sein. So zitiert Todorov den Bericht eines spanischen Adeligen, dem Kolumbus eine junge Indianerin schenkte, was dann in einer Vergewaltigung endete. Todorov bringt dieses Vakuum in der Wahrnehmung des menschlichen Anderen auf den Punkt, das ebenfalls oft den Austausch der Perspektiven in den französischen Kolonien bestimmt: Colón hat Amerika entdeckt, nicht aber die Amerikaner. Die ganze Geschichte der Entdeckung Amerikas als erster Phase der Eroberung ist von diesem Zwiespalt geprägt: Der andere Mensch wird zugleich entdeckt und abgelehnt. (Todorov 1985, 65) In dieser - fehlenden - Wahrnehmung liegt gewiss eine der Voraussetzungen für die sich wenig später auf Hispaniola (und anderswo) anbahnende „Verwüstung der Westindischen Länder“, deren Anschuldigung das Hauptanliegen von Las Casas ist. Mit drastischen Worten schildert er den Mord, den die spanischen Kolonisatoren an den Taino begehen: Die Insel Hispaniola war es, wo die Christen, wie ich bereits oben sagte, zuerst landeten. Hier ging das Metzeln und Würgen unter jenen unglücklichen Leuten an. Sie war die erste, welche verheert und entvölkert wurde. Die Christen fingen damit an, dass sie den Indianern ihre Weiber und Kinder entrissen, sich ihrer bedienten, und sie misshandelten. […] Nun fingen die Indianer an, auf Mittel zu denken, vermittels deren sie die Christen aus ihrem Lande jagen könnten. Sie griffen demnach zu den Waffen, die aber sehr schwach sind […]. Die Spanier hingegen, welche zu Pferde und mit Schwertern und Lanzen bewaffnet waren, richteten ein gräuliches Gemetzel und Blutbad unter ihnen an. Sie drangen unter das Volk, schonten weder Kind noch Greis, weder Schwangere noch Entbundene, rissen ihnen die Leiber auf, und hieben alles in Stücken, nicht anders, als überfielen sie eine Herde Schafe, die in den Hürden eingesperrt wäre. (Las Casas 1981, 14 f.; span. Original 1542/ 1992, 21 f.) Literarische Erinnerungsarbeit zielt darauf, den ersten Bewohnern Haitis und ihrer tragischen Verdrängung einen Platz im kollektiven Gedächtnis zu schaffen. So hat der haitianische Autor Jean Métellus der Taino-Königin Anacaona ein Theaterstück gewidmet, in dem sie als junge Dichter-Herrscherin inszeniert wird. In der Eröffnungsszene beklagt sie das von den goldgierigen Spaniern gebrachte Unheil und ruft die Götter an: Tout s’effondre et tout brûle La vie n’est plus qu’un immense gémissement Une gigantesque respiration d’horreur qui s’entremêle à nos jours Semez, Corocoté, l’amour, la joie et la passion <?page no="23"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 23 Aveuglez tous ces yeux incolores en quête d’or, de femmes et d’épices (Métellus 1986, 19) Corocoté ist eine Gottheit der Taino; überhaupt bemüht sich der Autor, möglichst viele lebensweltlich charakteristische Begriffe in den Text einfließen zu lassen, um sie dann in Fußnoten zu erklären. Anacaona glaubt, dass ein Fest der Versöhnung zwischen Haitianern und Spaniern Frieden schaffen kann, aber sie wird von dem falschzüngigen spanischen Gouverneur Ovando hintergangen; die Feier gerät zum Massaker, bei dem Anacaona erhängt wird. Der Indianer Yaquimex ruft zum Widerstand auf und führt die Überlebenden in die Berge: La plaine nous a livrés, trahis Vivons dans les hauteurs En gagnant les montagnes vierges et sacrées Aya bombé, Aya bombé Vivons et mourons libres Dans la chevelure des lianes Dans les grottes des rochers (Métellus 1986, 156 f.) Gezielt wird hier für die Indianer dieselbe Überlebens- und Widerstandsstrategie konstruiert wie die der aufständischen Sklaven (s.u., 2.2.3), genauso wie jedenfalls einer kleinen Zahl von ihnen fiktiv ein Ort des Überlebens belassen wird, sodass die heutige, nachhaltig vom Ethos des Befreiungskampfes geprägte haitianische Identität ihre Wurzeln auf diese aufständischen Taino zurückführen kann. Als Kolumbus auf die Kleinen Antillen gelangt, werden sich das Schicksal der indianischen Bevölkerung und die Kolonialgeschichte insgesamt zunächst anders als in Haiti entwickeln. In Guadeloupe, dem indianischen „Karoukera“, landet Kolumbus bei seiner zweiten Amerika-Fahrt im Jahr 1493 und nennt sie „Santa Maria de Guadalupe de Estremadura“. Auf Martinique trifft er 1502 im Laufe seiner vierten Reise; dieser Insel - „Matinino“ in der Sprache der Indianer - gibt er den Namen „Joannacaira“. Aber die Spanier interessieren sich nicht für die Kolonisierung dieser Inseln; für die Konquistadoren sind sie in erster Linie Orte, um auf der Fahrt nach Südamerika Station zu machen und Wasser und Proviant aufzunehmen. Die kriegerischen und stolzen Kariben hatten um das Jahr 1000 die Kleinen Antillen in einer wieder von Südamerika (genauer von der Küste des heutigen Venezuela) ausgehenden Migrationswelle den Arawak abgekämpft, und sie bekommen - wie Mario Mattioni (1982, 41) schreibt - einen „Aufschub“. Aber im 17. Jahrhundert drängen neben Spaniern auch andere europäische Nationen, allen voran die Engländer und Franzosen, in die Karibik, nachdem sie sich in ihrem kolonialen Expansionsdrang lange durch die Bulle Inter Cœtera (1493) und den Vertrag von Tordesillas (1494) gestört gesehen hatten, die die Welt der Entdeckungen und kolonialen Eroberungen praktisch zwischen Spanien und Portugal aufgeteilt hatten. Frankreich schließlich hatte mit dem Frieden von Crépy von 1544 ausdrücklich jedes Recht auf Besitzungen in Amerika und Indien eingebüßt. Anders als die Spanier sind die Franzosen nicht vom Traum des Goldes getrieben; ihr Hauptinteresse gilt vielmehr tropischen Produkten wie Gewür- <?page no="24"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 24 zen und Zucker. Damit kommt es fast zwangsläufig zu dem Drang, sich mehr und mehr Territorien als Anbaugebiete anzueignen und deren ursprüngliche Eigentümer zu verdrängen. Ab 1625 ergreifen französische flibustiers und boucaniers zunehmend Besitz vom Westteil Hispaniolas. 1635 macht der französische Abenteurer Pierre Belain d’Esnambuc Martinique zur französischen Kolonie, und im selben Jahr hissen Charles Lyénard de l’Olive und Jean du Plessis die französische Fahne auf Guadeloupe. Der bis heute gültige Name „Martinique“ ist eine Abwandlung der indianischen Bezeichnung, während die Franzosen für die zweite Kolonie mit „Guadeloupe“ eine Reduktion von Kolumbus‘ Benennung beibehalten. Eine der zentralen Fragen der karibischen Kulturgeschichte lautet, ob und wie es zu einer Weitergabe kulturellen Wissens der indianischen Inselbevölkerung an die Kolonisatoren und dann an die Gesamtpopulation der entstehenden Plantagengesellschaft einschließlich der schwarzafrikanischen Sklaven kommen konnte. Für die heutige, maßgeblich von der Literatur getragene Identitätssuche spielt es eine zentrale Rolle, zu wissen, ob trotz der unzweifelhaften Verdrängung von Arawak und Kariben, trotz des Bruches so etwas wie ein transkultureller Prozess, sei dies auch nur in Gestalt einer spurenhaften Kontinuität, rekonstruierbar ist. Fest steht zweierlei. Erstens sind bis heute kulturelle Spuren der indianischen Völker auf den Inseln erhalten. Zweitens können wir feststellen, dass der Verdrängungsvorgang ein langsamer war und durchaus Phasen und Aspekte kooperativ geregelter Koexistenz hatte. Zunächst zu dem greifbaren kulturellen Erbe der Arawak und Kariben. Einen ersten Transfer-Bereich machen zweifelsohne die kulinarischen Praktiken aus. An erster Stelle sind Anbau und Zubereitung von Maniok zu nennen; die „kassav“ sind heute kulturell geradezu emblematische Maniok-Fladen. Viele andere tropische Früchte, Pflanzen etc. sind durch Vermittlung der Arawak und Kariben zu nutritiven Grundlagen der kreolischen Inselbevölkerung geworden. Damit zusammen hängt die Übernahme von Arbeitstechniken und Instrumenten, wie die aus dem Karibischen übernommene Bezeichnung für den großen Kochtopf über dem Feuer, den „canari“. Typisch für das Feld der Arbeitstechniken und Instrumente ist weiter der Einbaum, der „gommier“. Während diese heutige Bezeichnung auf die Baum-Spezies zurückgeht, die für seine Herstellung verwendet wird, leitet sich das französische Wort „canot“ aus spanisch „canoa“ ab, das die lautliche Adaptation eines karibischen Wortes darstellt. Transkulturelle Spuren finden sich aber auch im Bereich des Spielerisch-Karnevalesken und in bestimmten Glaubenspraktiken. Bekannt sind verschiedene Spiele und Rituale mit dem „boutou“, der Keule der Kariben, und die traditionell abergläubische Angst vor dem antillanischen Gecko, dem „mabouya“, geht - ohne dass dies heute in der karibisch-frankokreolischen Gesellschaft allgemein bewusst wäre - auf die Rolle der „mabouya“ im karibischen Glauben zurück, wo der „mapoya“ ein böser Geist war. So berichtet der Révérend Père Raymond Breton in seinem Dictionnaire caraïbe-français von 1665: <?page no="25"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 25 […] tous nos Sauvages sont étrangement mélancoliques, songeards, taciturnes […] J’ai toujours rapporté à leur mélancolie, et à la mésintelligence de la langue. Ce que l’on dit communément que le diable les bat. Car jamais je n’ai rien vu ni ouï dire de semblable aux Sauvages, en tous les 19 ans que j’ai conversé avec eux, voici le fondement de ce dire : quand leur rate est comprimée par leur coude étant couché sur le côté gauche, elle envoie des fumées noires au cerveau qui leur causent des songes noirs et horribles, comme s’ils étaient aux prises avec mapoya, ou qu’il les emportât ; j’en ai pris quelques-uns entre mes bras, que je voyais être en ses peines, et les ai éveillés et tirés hors du lit, qui se seraient volontiers jetés à genoux devant moi pour me remercier de ce que je les avais défendus (disaient-ils) de mapoya, qui les battait ; la seconde raison est que les Sauvages disent, au moindre mal qu’ils ont : c’est un sort, ou un mal donné de mapoya, ou des sorciers, nharomán mapoyanum, ce n’est pas à dire qu’ils les aient battus, mais qu’ils leur ont envoyé ou procuré ces maux. (Breton 1665/ 1999, 170 f.) Patrick Chamoiseau entwickelt im dritten Band der Erinnerungen seiner martinikanischen Kindheit eine Episode, die von dem mabouya-Aberglauben bestimmt ist. Und zwar schildert er, wie der „négrillon“ - die Selbstbezeichnung des Autors - Mitglied einer Jungenbande war, die die Welt der Ritter nachspielte. Als er hier in Ungnade fällt, muss er die „épreuve du mabouya-collé“ (2005, 264) erdulden: die kleinen gnadenlosen Ritter werfen dem Delinquenten Geckos auf den nackten Oberkörper. Aber diese Zeremonie löst ein solches Grausen aus, dass auch den Bandenoberen die Courage abhanden kommt: Il gisait en lui-même, forcé maintenant de vivre dans ce qui lui était donné : son pauvre corps, ses peurs et ses insuffisances, ce courage qu’il lui fallait chercher dans les eaux glauques de la terreur… Tony découvrit le bocal, provoquant un murmure d’épouvante. Deux des trois mabouyas étaient morts, sans doute usés par la lumière. Le troisième survivait, énorme, accroché aux parois embuées sur ses pattes de travers. Il était encore plus vitreux et gluant. Le roi ordonna le début de l’épreuve. Tout un chacun se recula tandis que Tony ouvrait le bocal et saisissait le spectre de la mort avec une pince à linge. […] Tony lui balança le mabouya sur la poitrine. Le reptile échoua sur le sein gauche, grimpa sur son épaule et se projeta dans les airs. L’assemblée explosa dans une panique extrême. […] Un sauve-qui-peut-succombe-qui-doit extrême et général. Le négrillon resta échoué, sans mouvementer son corps, touché à tout jamais par le contact visqueux… Il ne saura jamais si le mabouya avait été glacial, ou seulement froid, ni ce qu’il lui avait enlevé de son âme, ni quelle dartre infâme il lui avait inoculée. (Chamoiseau 2005, 281-283) Es sind ganz bestimmte lebensweltliche Bedingungen, die einen Wissens-Transfer von den Arawak und Kariben zur bis in die Moderne entwickelten Plantagengesellschaft möglich gemacht haben. Mattioni betont (1982, 45 f.), dass das Hauptproblem der Europäer in der Karibik im 16. und auch noch im 17. Jahrhundert die Ernährung, das Erschließen von Ressourcen und Techniken des Überlebens in einer unbekannten Umwelt war. Vor diesem Hintergrund waren Kontakt und Handel mit den Indianern unbedingt notwendig, genauso wie die Imitation ihrer Praktiken: <?page no="26"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 26 La défiance réciproque n’a d’ailleurs pas empêché des contacts qui se sont révélés fort fructueux pour les nouveaux arrivants. Les Caraïbes ont enseigné aux Français l’art de la pêche et de la chasse ; pour survivre, les colons ont très tôt adopté le „jardin“ caraïbe d’où, après écobuage dans la forêt, l’Indien tirait le manioc et la patate douce, base de sa subsistance. Ils ont appris des femmes caraïbes la fabrication de la galette de manioc, la cassave qui, au début de la colonisation et même après, a remplacé le pain. La pêche du lamentin et des tortues de mer a été également apprise des Indiens caraïbes. (Butel 1982a, 63) Und derartige Phasen von Interaktion und Transfer waren nicht zuletzt deshalb so wirkungsvoll, weil das Zusammenleben länger währte, als manche Berichte über grausame Dezimierungen der Indianer suggerieren. Die eigentliche Plantagengesellschaft bildet sich auf den französischen Antillen erst am Ende des 17. Jahrhunderts heraus. Die ersten Jahrzehnte nach der Kolonisierung werden von den „engagés“ bestimmt: mittellose, mit der Landarbeit vertraute Franzosen (vorzugsweise aus der Normandie) verdingen sich meist für drei Jahre bei einem etablierten Siedler, der ihre Überfahrt bezahlt hat, um ihre Schuld abzuarbeiten und anschließend nach Möglichkeit ein eigenes Stück Erde zu bewirtschaften (Butel 1982a, 68 ff.; Adélaïde 2000, 15). Die Bevölkerung ist auf den französischen Antillen zunächst relativ niedrig: 1650 kann man allenfalls 1500 Weiße und nur wenige Sklaven (s.u.) annehmen (Butel 1982a, 62). Die wichtige Martinique-Karte von Pierre Mariette (von 1650) teilt die Insel in einen Südteil „Demeure des François“ und einen Nordteil „Demeure des Sauvages“. Der Sitz des (1659 verstorbenen) Gouverneurs Jacques Dyel du Parquet, der offensichtlich um friedliche Beziehungen mit den Kariben bemüht war, wird südlich des Fort St. Pierre verzeichnet. In der Gegend des heutigen Vauclin gibt Mariette einen „Carbet“ als „lieu ou les Caraibes font leurs assemblées“ an. Im Inneren der Insel finden sich kaum Vermerke, Verkehrswege werden nicht genannt, die Aufmerksamkeit des Kartographen gilt vor allem der Küste. An zwei Orten, davon einmal südöstlich im Bereich der Kariben, verzeichnet er die Präsenz der Jesuiten: <?page no="27"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 27 Martinique gegen das Jahr 1650 (Karte von Pierre Mariette, Samml. Ludwig) Während in Guayana die Indianer mit dem dichten Regenwald bis heute einen natürlichen Schutzraum bewahren konnten, ändern sich allerdings die Verhältnisse auf Martinique und Guadeloupe. Das wechselseitige Misstrauen wächst, und Aufstände brechen aus. 1636 kommt es auf Guadeloupe zu einem Massaker an den Kariben, 1657 zu einer Strafexpedition gegen die Indianer von Martinique. Über ihren Charakter berichtet noch der Dominikanerpater Jean-Baptiste Labat, ein Prediger-Abenteurer, der die Antillen zwischen 1693 und 1705 unermüdlich bereist. Er ist gewiss kein barmherziger Verteidiger der Indianer und Sklaven, aber ein vielseitig begabter und genauer Beobachter. So beschreibt er die Kariben : Ces sortes de gens sont indolens & fantasques à l’excès. Il faut des ménagemens infinis avec eux ; ils ne peuvent souffrir d’être commandez, & quelque faute qu’ils fassent, il faut bien se garder de les reprendre, ou seulement de les regarder de travers, leur orgueil sur ce point n’est pas concevable ; & delà est venu le proverbe, que regarder de travers un Caraïbe, c’est le battre, & que de le battre, c’est le tuer, ou s’exposer à en être tué. Ils ne font que ce qu’ils veulent, quand ils veulent, & comme ils veulent [...] (II, 138). Folgende, mit einem Auszug zitierte Beschreibung der Kariben verfasst Labat bei seinem Besuch auf Dominica; es ist seine bekannte Darstellung der morgend- <?page no="28"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 28 lichen roucou-Zeremonie. Dabei lassen sich die Männer nach dem Bad von ihren Frauen mit roucou einreiben, was zu einer rötlichen Färbung ihrer Haut führt: Ils attendent là que l’air & le vent les séchent ; après quoi une de leurs femmes, ou quelqu’autre, vient avec un petit coüi rempli de rocou détrempé dans l’huile de carapat ou palma Christi, afin de les rocoüer. Elle commence par peigner, ou au moins par démêler leurs cheveux, & après les avoir frottez d’un peu d’huile de carapat, elle les lie avec un cordon de cotton, & en fait une touffe au-dessus de la tête ; et puis tenant le coüi avec la peinture de la main gauche, & un pinceau, comme un petit balet de plumes, de la droite elle le barboüille par tout le corps en commençant par le visage. Quand tout le haut du corps est peint, le Caraïbe se leve afin qu’on lui peigne les cuisses & les jambes ; & lorsque cela est achevé, il se remet sur son siége, & se barboüille lui-même les parties ausquelles la pudeur n’a pas permis à sa femme de toucher. (VI, 110 f.) Er betont noch einmal nachhaltig die außerordentliche Freiheitsliebe dieses Indianervolkes, die so weit führe, dass die Kariben jede Form von Unterordnung ablehnen, sodass sie die Franzosen - die sich nicht grundsätzlich weigern, Übergeordneten Respekt entgegenzubringen - verspotten: Aussi se moquent-ils de nous autres, quand ils voyent que nous portons respect, & que nous obéïssons à nos Superieurs. (VI, 125) Mit solchen Sätzen schafft Labat aber auch die ideologische Grundlage, um die weitgehende Vertreibung der Kariben nach Dominica und Saint Vincent, die zu diesem Zeitpunkt schon stattgefunden hat, zu rechtfertigen: La manière de vivre des nos Caraïbes est encore une preuve qu’ils sont étrangers dans les Isles, puisqu’elle est toute opposée, & tout-à-fait differente de celle des anciens Indiens qui les habitoient. Car ces derniers aussi-bien que ceux des grandes Isles étoient des gens simples, doux, serviables, affectionnez aux étrangers, qui seroient toujours demeurez dans cet état, si les cruautez inoüies, & l’avarice insatiable des Espagnols ne les avoient enfin obligez de se soulever contre eux, pour se délivrer du joug insuportable de leur tyrannie. Au lieu que nos Caraïbes ont toujours été des gens belliqueux, à leur maniere, des gens fiers & indomptables, qui préférent la mort à la servitude, que les Européens depuis ceux qui les ont découverts, jusqu’à ceux qui y sont à présent, n’ont pû humaniser assez pour pouvoir demeurer ensemble dans un même endroit ; & qu’ils ont été obligez de détruire, ou de chasser, & de les rencogner comme ils sont à présent dans les deux Isles qu’ils occupent, qui sont la Dominique & Saint Vincent, pour pouvoir vivre avec quelque sorte de sureté dans les autres Isles. (VI, 129 f.) Aus der Sicht von Labat musste man also die Kariben aus Martinique und Guadeloupe vertreiben, um hier in Sicherheit leben zu können, denn anders als die friedfertigen Arawak waren sie in seinen Augen nicht zu bezähmen, zu „humanisieren“. Wie weit der Verdrängungsprozess zu dieser Zeit wirklich reichte, lässt sich schwer sagen; zumindest einzelne Kontakte muss es auf den französischen Inseln noch gegeben haben, denn Labat berichtet auch, dass Kariben dort Handelsgut verkauften (VI, 115). <?page no="29"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 29 Allerdings reicht dieser Verdrängungsprozess auch in die Wahrnehmung und Selbstbestimmung des antillais vor allem der Kleinen Antillen hinein. Frühe literarische Auseinandersetzungen mit den Kariben, wie sie der Guadelouper habitation-Besitzer Poirié Saint-Aurèle in seinem „poème en trois chants“ mit dem Titel Mussambé, ou Le chef caraïbe liefert, bilden die Ausnahme und verfolgen das Ziel, die Verdrängung der Kariben ideologisch zu untermauern, nicht aber vorrangig, ihr kulturelles Erbe zu sichern und zu integrieren. Immerhin stellt Poirié Saint- Aurèle seinem Gedicht eine mehrseitige historische „Notice“ über die Kariben voran, um dann den Kaziken der Kariben mit monströsen Zügen zu zeichnen, der schließlich zu Recht den Franzosen unterliegt (Poirié Saint-Aurèle 1833, 181): Or, quel est ce guerrier dont la tête inclinée Semble d’un peuple entier porter la destinée […] C’est lui, c’est Mussambé. Son âme impétueuse Dans le crime entretient sa vigueur monstrueuse Dominant in der Selbstsuche der jüngeren Autoren-Generationen wird die Auseinandersetzung mit dem afrikanischen Erbe, der schwarzen Hautfarbe; die gesellschaftlich-kulturellen Grundlagen hierfür entstehen mit der Plantagengesellschaft. Dennoch gewinnt die Reflexion auf das Erbe der Arawak und Kariben in der literarischen Selbstsuche heute wieder an Gewicht in einer Diskussion, die sich um Begriffe wie die „identité mosaïque“ bewegt und alle ethnischen und kulturellen Komponenten der Karibik einzubeziehen trachtet. Und so wenden sich ihnen nicht nur haitianische Autoren wie Jean Métellus zu. Trotz der Dominanz der seinerzeit auf Afrika gerichteten Perspektive klingt die Verdrängung der indianischen Urbevölkerung im Werk des aus Marie-Galante stammenden Dichters Guy Tirolien an (1961, 11 f.): Karukéra mon corps sue le roucou dans mes narines saoûles tourbillonnent des odeurs de poisson […] dans ma chair le soc brûlant des pirogues géantes les voilà ! les voilà ! loin très loin par delà la clameur des cayes une furie de galops sur les vagues vaincues […] le malheur vole au rendez-vous ils débarquent ! ils débarquent ! leurs gris-gris crachent des lucioles la mort est flamme autour de moi la mort est nuit <?page no="30"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 30 l’île chavire - et nul oiseau ne chantera plus Karukéra In dem bekannten, 1967 - also lange vor der Entstehung der Bewegung der créolité - von dem Guadelouper Poeten und militant créole Hector Poullet verfassten kreolisch-französischen Gedicht „Twa twa tou patou“ erscheinen die Kariben an erster Stelle (1982, 13; zur kreolischen Sprache in Gesellschaft und Literatur der Karibik s.u. , 2.6): Mi péyi-la i la an plein mitan lanmè an plein mitan sòley […] Péyi a Karayib Péyi a nèg Péyi a zendyen Péyi a blan Péyi a milat […] D’abord il y a cette terre là au beau milieu de la mer au beau milieu du soleil […] Terre de Caraïbes Terre de nègres Terre d’indiens Terre de blancs Terre de mulâtres […] In dem schon im Eingangskapitel erwähnten Éloge de la créolité von Jean Bernabé, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant - dem gewiss meistdiskutierten literarischen Traktat der Antillen der letzten zwei Jahrzehnte - wird denn auch in der bis in die unmittelbare Gegenwart reichenden Debatte ein karibisches Kulturerbe als Element kreolischer Identität gefordert: La Créolité est l’agrégat interactionnel ou transactionnel, des éléments culturels caraïbes, européens, africains, asiatiques, et levantins, que le joug de l’Histoire a réunis sur le même sol. (Bernabé & Chamoiseau & Confiant 1989, 26; s. genauer dazu u., 7.2) Entsprechend lässt Confiant in seinem fiktionalen „récit“ Nègre Marron einen Kariben auftreten, um den Mythos des „Maboya“ zu evozieren (2006b, 48 f.). 2.2.2 Die Ausbildung der Plantagengesellschaft - Visionen und Praktiken von Unterwerfung Gegen Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts verändert sich die Gesellschaft der französischen Antillen deutlich. Der Zuckerrohranbau rückt in den Vordergrund, was zu einer immer systematischeren Ausnutzung der Flächen und zu einem erhöhten Bedarf an Arbeitskräften führt. Hatte der guadelouper Gouverneur Houel schon 1647 die mangelnde Eignung der engagés beklagt und den verstärkten Import schwarzafrikanischer Sklaven gefordert, so wird dies jetzt Wirklichkeit. Der Sklavenhandel ist Voraussetzung und Teil der Ausbildung einer Gesellschaft, in der viele heutige Literaten der Antillen die eigentliche Ursa- <?page no="31"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 31 che ihrer intellektuellen Conditio sehen, ja das historische Trauma, das ihnen - so Glissant - die Geschichte weitgehend geraubt hat: Les Antilles sont le lieu d’une histoire faite de ruptures et dont le commencement est un arrachement brutal, la Traite. (Glissant 1981b, 130) Diesen Wandel belegt sehr deutlich die Martinique-Karte von Mathieu Seutter von 1720, aus der hier Ausschnitte wiedergegeben sind: Westteil von Martinique gegen das Jahr 1720 (Karte von Mathieu Seutter, Ausschnitt, Samml. Ludwig) Deutlich ist zu erkennen, dass jetzt die französischen Kolonisatoren auch im geographischen und ökonomischen Sinne voll und ganz Matinino zu Martinique gemacht, dass sie im tieferen Sinn des Wortes von der Insel Besitz ergriffen haben. Drei Orden teilen sich die kirchliche Zuständigkeit: die Jesuiten im Südwesten, die Dominikaner im Norden und die Kapuziner im Südosten. Die kartographische Erfassung, insbesondere der nördlichen Küste, ist sehr viel genauer geworden. Der Raum ist inzwischen dicht besiedelt, und die bestimmende öko- <?page no="32"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 32 nomische Form ist nun die „habitation“, auf der in erster Linie Zuckerrohr angebaut wird. Wie unten auch das Detail aus der Medaillon-Legende zeigt, werden die Plantagen, „sucreries“ und die dazu gehörigen Mühlen verzeichnet, und die entsprechenden Symbole finden sich auf praktisch allen ebenen Flächen der Insel. Und auch das Verkehrsnetz ist ausgebaut: größere und kleinere Wege werden unterschieden, und sie durchqueren das ganze Landesinnere. Erschließung von Martinique gegen 1720 (Legende der Karte von Mathieu Seutter, Samml. Ludwig) So wie Labat vom weiter praktizierten Tauschhandel mit den Kariben - unbeschadet ihrer Verdrängung und Umsiedelung - berichtet hat, so präsentiert das Medaillon in der unteren linken Ecke der Karte eine solche Szene: sehr deutlich ist das nach oben geknotete Haar der Kariben auszumachen, ihre Einbäume, ihre charakteristischen geflochtenen Körbe und Waffen: <?page no="33"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 33 Tauschhandel mit den Kariben in Martinique gegen 1720 (Darstellung auf der Karte von Mathieu Seutter, Samml. Ludwig) Gleichwohl haben die Kariben jetzt nur noch marginale Bedeutung. Sie sahen denn auch mit Verachtung auf die Ethnie herab - wie Labat bezeugt (II, 139) -, die man ihrem Heimatkontinent entreißt und jetzt massiv als Arbeitskräfte für die Zuckerproduktion importiert: die schwarzafrikanischen Sklaven. Vom Ende des 17. Jahrhunderts verändert der Sklavenhandel grundlegend die gesellschaftliche Prägung der Antillen. Dieser Prozess geht schon aus einigen demographischen Angaben hervor. Sala-Molins gibt an, dass 1678 sich 27.000 afrikanische Sklaven auf den französischen Antillen befanden. Rund ein Jahrhundert später, im Jahr 1780, war die Zahl auf 673.000 gewachsen. Wohl beginnt der Zuckerrohranbau bereits 1650; aber die breite Etablierung von Plantagengesellschaft und Zuckerindustrie dauert in etwa bis zum Ende des Jahrhunderts. Die Compagnie des Indes Occidentales wurde zwar schon 1664 von Colbert gegründet; jedoch erst gegen 1680 gewinnt der französische Seehandel mit den Antillen - ausgehend insbesondere von den Häfen Bordeaux und Nantes - wirklich an Bedeutung (Butel 1982b, 90). Gab es z.B. 1671 auf Martinique 111 sucreries und 6.582 Sklaven, sind es 1685 - also gerade vierzehn Jahre später - 172 Zuckerfabriken und 10.343 Sklaven (Butel 1982b, 94). 1720 leben auf Martinique 36.000 Sklaven, auf Guadeloupe 17.000. Mit dem Friedensvertrag von Ryswick wird 1697 der Westteil von Hispaniola offiziell <?page no="34"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 34 als die französische Kolonie Saint-Domingue anerkannt. 1720 lebten hier 47.000 Sklaven, zehn Jahre später ist ihre Zahl auf 80.000 angewachsen (Butel 1982c, 114). Es etabliert sich der „Dreieckshandel“. Sklavenhandel wird von allen europäischen Nationen getrieben, die karibische Kolonien besitzen, also von Engländern, Franzosen, Holländern und Dänen. Eine Ausnahme bilden nur die Spanier; sie decken ihren Sklavenbedarf für ihre amerikanischen Kolonien durch Kauf insbesondere von französischen, später englischen Händlern (Adélaïde-Merlande 1994, 117). Der wichtigste Auslaufhafen für die französischen Sklavenhändler ist Nantes; Schiffe allein aus diesem Heimathafen transportieren im 18. Jahrhundert etwa 450.000 Sklaven (Wismes 1992, 18 f.). Diese Schiffe sind bewaffnet, und sie führen Handelsware mit - Eisenbarren, Muscheln, Stoffe, Spiegel, Waffen, Alkohol und dergleichen -, die an der afrikanischen Westküste gegen Sklaven eingetauscht werden; besonderes Zentrum ist der Raum von der heutigen Republik Elfenbeinküste bis Nigeria. Die Sklaven werden im afrikanischen Inland geraubt und dann meist in Sammellagern an der Küste für den Verkauf zusammengetrieben. Eine solche Szene stellt auch folgender Stich dar: (In: Le Monde Illustré 4461, 1. Mai 1948, 474, Samml. Ludwig) <?page no="35"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 35 Ein autobiographisches Zeugnis des Leidensweges eines Sklaven im 18. Jahrhundert liefert der (zunächst in englischer Sprache publizierte) Lebensbericht von Olaudah Equiano. Dieses Werk hat schon früh Spuren in Frankreich hinterlassen; der Abbé Grégoire widmet ihm in seiner Schrift De la littérature des nègres ou Recherches sur leurs facultés intellectuelles, leurs qualités morales et leur littérature von 1808 immerhin ein ausführliches Résumé, um so die Intelligenz und Einfühlsamkeit eines schwarzen Autors belegen zu können (Grégoire 1808, 245-252). Olaudah Equiano hatte schließlich freikommen, sich in England niederlassen sowie lesen und schreiben lernen können. Er stammte aus einer angesehenen Familie in der Gegend des aktuellen Nigeria. Dem Trauma von Raub, Versklavung, Schiffsreise in die Karibik und Verkauf verleiht er deutlich eine Stimme. Als er eines Tages mit seiner Schwester allein zu Hause geblieben war, hatten zwei Männer und eine Frau den Zaun überstiegen, die Kinder gefesselt und mitgenommen. Einer der schmerzlichsten Momente - wie ihn ähnlich wohl auch die bildliche Darstellung des „rapt des esclaves“ oben vermittelt - ist die gewaltsame Trennung von seiner Schwester: Le jour suivant fut plus triste encore que tout ce que j’avais connu jusque-là, car ma soeur et moi fumes arrachés l’un à l’autre alors que nous étions étroitement enlacés. C’est en vain que nous les suppliâmes de ne pas nous séparer ; on l’enleva de mes bras pour l’emporter aussitôt, tandis que je sombrais dans un état d’égarement indescriptible. Je pleurais et me plaignais sans cesse, et pendant plusieurs jours je ne mangeai que ce qu’ils me fourraient de force dans la bouche. (Equiano 1987, 19; engl. Original 1789) Als er verschifft wird, glaubt er zunächst, die weißen Männer wollten ihn verspeisen. Seinerseits verweigert er sich dem Essen, worauf er zum ersten Mal ausgepeitscht wird. Er hat das Glück, nicht wie die Erwachsenen angekettet zu werden; zu diesem Zweck war eigens ein Schmiedeofen errichtet worden (Equiano 1987, 28). So kann man ihn öfter an Deck lassen, und er kann Atem holen von der unglaublich schlechten Luft, den Krankheiten und den Klagen der Sterbenden in den Zwischendecks, in die die Sklaven gepfercht werden: […] à présent que toute la cargaison du navire y était confinée, l’odeur devenait absolument pestilentielle. L’exiguïté du lieu et la chaleur du climat, ajoutées à la densité de la population du bateau, si tassée qu’il restait à peine à chacun de quoi se retourner, nous coupaient presque la respiration. En conséquence de quoi l’on transpirait abondamment, si bien que l’air devint bientôt irrespirable, à force de pestilences diverses, et provoqua parmi les esclaves des maladies dont beaucoup moururent […] Cette situation misérable était encore aggravée par l’humiliation des chaînes, qui devenaient insupportables, et par l’état repoussant des lieux d’aisance où les enfants tombaient souvent, manquant y suffoquer. Les cris aigus des femmes et les plaintes des mourants concouraient à créer un spectacle d’une horreur presque inconcevable. (Equiano 1987, 31) Wie recht Olaudah Equiano mit seiner Schilderung hat, zeigt diese Skizze eines négrier: <?page no="36"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 36 Aufriss eines Sklavenschiffes (In: Le Monde Illustré 4461, 1. Mai 1948, 473 f., Samml. Ludwig) Die Schwarzen als Handelsware - als bois d’ébène - konnten eine bestimmte Maßeinheit - die pièce d’Inde - ausmachen; dies konnte eine Mann oder eine Frau in guter Gesundheit und mit vollständigen Zähnen sein, oder auch drei jungfräu- <?page no="37"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 37 liche schwarze Mädchen. Sie wurden in Afrika für ein „paquet“ erworben: eine bestimmte gemischte Menge der erwähnten Tauschwaren, wie Waffen, Alkohol und farbige Baumwollstoffe (Wismes 1992, 19 f.). Auf den Antillen wurden sie dann wieder verkauft, und die Schiffe luden für die Rückfahrt in die europäischen Heimathäfen tropische Produkte wie Zucker, Edelhölzer und Gewürze. Auf den Plantagen bildeten die Sklaven drei Gruppen. Vergleichsweise privilegiert waren die Haussklaven, die als Domestiken arbeiteten, also kochten, bei Tisch bedienten, Kinder hüteten usw. Die zweite Gruppe, die ungefähr zehn Prozent der Sklavenpopulation ausmachte, waren spezialisierte Arbeiter: sie fuhren Ochsenkarren, machten Zimmermanns- und Schmiedearbeiten, hatten besondere Aufgaben bei der Zuckerherstellung usw. Die dritte, zahlenmäßig bei weitem größte Gruppe waren die Feldsklaven, die Zuckerrohr pflanzten und ernteten sowie alle weiteren Landarbeiten verrichteten (s. Debien 1982, 143-145). Für die Kulturgeschichte und das Verständnis der Kreolisierungsprozesse der Antillen besonders wichtig ist die Rolle der Haussklaven. Sie waren mehr als die anderen in Kontakt mit Kultur und Sprache der Kolonialherren und trugen diese Kenntnisse abends zurück in die „rue cases nègres“, die charakteristische Reihe der Sklavenhütten. So zeichnen sich innerhalb der Sklaven hierarchische Gruppierungen ab. An der obersten Stelle der Plantagenordnung steht der weiße Plantagenbesitzer, der aber oft die eigentlichen Verwaltungsarbeiten einem gérant überträgt, der ebenfalls aus der Kaste der Weißen, der békés stammt. Zwischen Sklaven und gérant steht der commandeur, der in der frühen Kolonialzeit ein (mittelloser) Weißer war, am Ende des 17. Jahrhunderts häufig schon ein Schwarzer ist (Debien 1982, 145 f.). Es entsteht also eine stark hierarchisierte Gesellschaft, die in ihrer prototypischen Form Hautfarbe mit gesellschaftlichem Status verbindet. Der Status der Sklaven wird durch den Code Noir geregelt, den Ludwig XIV. 1685 erlässt. Danach haben sie nicht das Recht auf irgendeinen Besitz; vielmehr konstituieren sie selber mobiles Eigentum: Article 28. - Déclarons les esclaves ne pouvoir rien avoir qui ne soit à leur maître [...] (Sala-Molins 1988, 146) Article 44. - Déclarons les esclaves être meubles, et comme tels entrer en la communauté [...] (Sala-Molins 1988, 178) Dennoch gewährt der Code Noir den Sklaven einen gewissen Schutz, wenn man etwa an die Paragraphen denkt, die für die Alten und Kranken eine Versorgung durch den maître vorsehen: Article 27. - Les esclaves infirmes par vieillesse, maladie ou autrement, soit que la maladie soit incurable ou non, seront nourris et entretenus par leurs maîtres [...] (Sala-Molins 1988, 144) Während Haiti 1804 den Freiheitskampf gegen Frankreich gewinnt und die Unabhängigkeit erringt, gelingt in den französischen Kolonien die endgültige Abschaffung der Sklaverei erst 1848 unter Victor Schœlcher (zur ersten, von <?page no="38"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 38 Napoleon wieder rückgängig gemachten Aufhebung der Sklaverei durch die französische Revolutionsregierung 1794 und zur haitianischen Revolution s.u., 2.2.3). Und noch 1836 berichtet der Amerika-Reisende Alcide d’Orbigny von einem Sklavenverkauf. Interessant ist, wie er den Mentalitätswandel des Weißen beschreibt, der auf die Antillen kommt und mit der Sklaverei konfrontiert wird. Während der Neuling schockiert wird durch die Erniedrigung des schwarzen Menschen und die grausamen Strafen, die dieser erleiden muss - allem voran die Auspeitschung, deren blutige Spuren auf der nackten Haut d’Orbigny sofort allenthalben wahrnimmt (d’Orbigny 1836, 25) -, so akkommodiert man sich nach einiger Zeit mit den Umständen und beginnt, moderate „Mittelpositionen“ zu vertreten, die für die Sklaverei ein gewisses rechtfertigendes Verständnis finden: (A. d’Orbigny 1836, 14 f., Samml. Ludwig) Le sort des nègres, leur vie, leurs mœurs, voilà ce qui me préoccupa le plus vivement dans le cours de mes promenades champêtres. C’est, en effet, ce qui frappe d’abord tout nouveau débarqué. Le sentiment de l’égalité humaine, la compassion, la bienveillance pour ce qui souffre, dominent, quoi qu’on en ait, toutes les considérations d’existence coloniale. On revient ensuite de cette première impression ; on se blase sur des tableaux chaque jour reproduits ; on trouve un moyen terme entre des opinions radicales et exclusives ; mais c’est une <?page no="39"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 39 affaire de raison et de calcul. Quand on arrive, le cœur parle seul. Aussi avoueraije que je ne pus me défendre d’un sentiment pénible, quand je vis une vente publique de nègres, faite aux enchères par l’office d’un priseur juré. C’était à la suite de la faillite d’un planteur. On vendait les esclaves de son habitation, qui figuraient comme actif dans les colonnes de son bilan. « Trois cents piastres le nègre ! » disait le crieur. Et le sujet posé devant les chalands subissait l’examen le plus scrupuleux. Un cheval amené au marché par des maquignons n’aurait pas été l’objet de plus de défiance. Celui-ci lui ouvrait la bouche pour compter ses dents ; celui-là se baissait pour inspecter ses pieds, ses jambes, ses cuisses et son buste, cherchant à s’assurer qu’on ne lui dissimulait rien, ni varices ni hernies (Pl. II - 4). Les femmes elles-mêmes se mêlaient de cette inspection, et les petits enfans venaient apprendre quel cas ils devaient faire de créatures ainsi marchandées. (d’Orbigny 1836, 25) Die Reflexion auf die Sklaverei, das „Ausradieren“ von Gedächtnis, Individualität und originärer Kultur spielt für die Literatur der Antillen bis heute eine zentrale Rolle. So fordert É. Glissant, im Anschluss an die Feststellung der grundlegenden Bedeutung der Sklavendeportation für die antillanische Geschichte (1981b, 130 f., vergl. o.): Parce que la mémoire historique fut trop souvent raturée, l’écrivain antillais doit « fouiller » cette mémoire, à partir de traces parfois latentes qu’il a repérées dans le réel. (Glissant 1981b, 133) 2.2.3 Träume von Freiheit: Auflehnungen, Kämpfe und neue Realitäten Die Unterdrückung der Schwarzen konnte nicht ohne Widerstand bleiben. Die erste Form der Auflehnung nach den Kariben-Aufständen ist die Flucht des Sklaven aus der Plantage. Dem flüchtigen Sklaven, d.h. dem nègre marron, war auf den Karibik-Inseln - anders als in Guayana, wo sich im Regenwald-Hinterland verschiedene Gruppierungen geflohener Sklaven erfolgreich etablieren konnten - wenig Fluchtraum gegeben. Gleichwohl haben immer wieder Sklaven diese Flucht gewagt, und sie haben sich mitunter zu bewaffneten Gruppen zusammengeschlossen, die Plantagen angegriffen haben (Adélaïde-Merlande 1994, 132 f.). Die meisten Bewegungen dieser Art muss es auf Saint-Domingue gegeben haben, wo im Vergleich zu den Kleinen Antillen weitere Rückzugsmöglichkeiten gegeben waren (Debien 1982, 155-158). Auch kam es zu Akten des Widerstands innerhalb der Plantagen, insbesondere zu Vergiftungen von Vieh, ja sogar von Plantagenbesitzern. In Saint-Domingue soll der mythische aufständische Sklave Mackandal - ein in Afrika geborener Sklave, ein „bossale“ - einen regelrechten Vergiftungsfeldzug gegen alle Weißen geplant haben. Er wurde 1758 hingerichtet; der Umstand, dass ihm offensichtlich zunächst die Flucht vom Scheiterhaufen gelingen konnte, hat seinen Ruf als unbesiegbarer sorcier gestärkt (Pluchon 1987, 165 ff. ). Die Strafen, die der aufgegriffene Flüchtige zu erdulden hatte, konnten grausam sein (wenngleich auch viele Plantagenbesitzer Interesse am gesunden Überleben ihres Arbeitskrafteigentums hatten); der Code Noir sah folgende Strafen vor: <?page no="40"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 40 L’esclave fugitif qui aura été en fuite pendant un mois à compter du jour que son maître l’aura dénoncé en justice, aura les oreilles coupées et sera marqué d’une fleur de lis sur une épaule ; et s’il récidive une autre fois à compter pareillement du jour de la dénonciation, aura le jarret coupé et il sera marqué d’une fleur de lis sur l’autre épaule ; et la troisième fois il sera puni de mort. (Sala-Molins 1988, 166) Eine vergleichsweise leichte Strafe war das collier, das einen erneuten Fluchtversuch, verbunden mit dem Durchqueren von Feldern, Gebüsch und Wald, erschweren sollte: (In: Le Monde Illustré 260, 5 avril 1862, 221, Samml. Ludwig) Der Mythos des esclave marron besitzt in den symbolisch geführten Identitätssuchen der Antillen eine erhebliche Rolle; in der Literatur wird er vom frühen 19. Jahrhundert bis heute ausformuliert (s. auch Rochmann 2004). Bereits im erwähnten ersten haitianischen Roman „Stella“ (Bergeaud 1859) fliehen die beiden in der Sklaverei geborenen Brüder Romulus und Rémus in die Berge: <?page no="41"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 41 « Partons ! » crièrent d’une voix les deux frères. Incontinent, ils saisirent leurs manchettes, prirent leurs haches sur l‘épaule et s’armèrent de leurs torches. (Bergeaud 1859, 26) Sie verschanzen sich dann in den Bergen, um eines Tages das Haus des „colon“ anzugreifen und es niederzubrennen, um Rache zu nehmen (Bergeaud 1859, 33). Eine berühmte literarische Aufarbeitung des Mythos des nègre marron und des haitianischen Unabhängigkeitskampfes insgesamt stellt im Übrigen ein bekanntes hispanokaribisches Werk dar: El reino de este mundo des kubanischen Autors Alejo Carpentier (1986; zuerst 1949 erschienen). In der Darstellung z.B. der Hinrichtung von Mackandal verbindet er mythische Sicht und historischen Bericht (1986, 40 f.). Heute wird dieser Mythos von Comic Strips - z.B. der Geschichte von Cétout‘ et Misérine (Association Calladium 1980) - ebenso weitertransportiert wie von literarisch zentralen Werken, etwa den Romanen der Martinikaner Édouard Glissant, Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant. Folgt man Édouard Glissant, so hat allerdings zunächst auf Martinique und Guadeloupe eine literarische „Entdeckung“ des nègre marron stattfinden müssen; gewiss verbindet sich mit der literarischen Zelebration des aufständischen Schwarzen eine Infragestellung der kolonialen Ideologie, die im unabhängig gewordenen Haiti leichter fiel als in den verbliebenen französischen Karibik-Kolonien: Notre drame […] est que nous avons collectivement renié puis oublié le héros qui dans notre histoire réelle a pris sur lui notre résistance : le Nègre marron. (Glissant 1981b, 413) Für die Identität und mémoire der Antillen besitzt der nègre marron eine zentrale Bedeutung: […] le Nègre marron est le seul vrai héros populaire des Antilles, dont les effroyables supplices qui marquaient sa capture donnent la mesure du courage et de la détermination. Il y a là un exemple incontestable d’opposition systématique, de refus total. (Glissant 1981b, 104) Albert James Arnold hebt jüngst hervor, dass die Berufung auf den nègre marron in Martinique im Widerspruch zur zahlenmäßig im Vergleich etwa zu Haiti relativ geringen Präsenz dieser Widerstandsform auf den Kleinen Antillen steht (2006b, 644 f.); allerdings ist die literarische Konstruktion von Identität eher mit einer Auswahl und Bewertung historischer Fakten denn mit einer quantifizierenden Analyse verbunden. Es bleibt nicht bei einzelnen Fluchten und Aufständen. In Saint-Domingue lehnen sich erst die gens de couleur - freigelassene Sklaven und Mulatten - auf; sie fordern Gleichstellung mit der weißen Bevölkerung. Ihr Wortführer ist Vincent Ogé. Es kommt zur Rebellion; Ogé und sein Gefährte Chavannes fliehen in den spanischen Teil der Insel; die dortigen Autoritäten jedoch liefern sie den Franzosen aus, im Februar 1791 werden sie hingerichtet (Pluchon 1982b, 280). <?page no="42"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 42 Im August 1791 greifen Sklaven im Norden der Insel Plantagen an und brennen Zuckerrohrfelder nieder; zu ihren Anführern zählen Boukman und Jean- François. Der haitianische Abgeordnete Hérard-Dumesle hat 1824 die legendäre Vaudou-Zeremonie des Bois Caïman berichtet, in der - begleitet von Tieropfern - Boukman seine Verbündeten Treue schwören ließ (Pluchon 1987, 118 f., 301-304). Auch von diesem Ereignis gibt Carpentier in El reino de este mundo eine fiktive Darstellung, die für die frankokaribische Literatur von erheblicher Bedeutung ist; die Ritualverse zitiert er dabei in haitikreolischer Version: Los truenos parecían romperse en aludes sobre los riscosos perfiles del Morne Rouge, rodando largamente al fondo de las barrancas, cuando los delegados de las dotaciones de la Llanura del Norte llegaron a las espesuras de Bois Caiman, enlodados hasta la cintura, temblando bajo sus camisas mojadas. […] Una alarida se había levantado en medio de la tormenta. Junto a Bouckman, una negra huesuda, de largos miembros, estaba haciendo molinetes con un machete ritual. Fai Ogún, Fai Ogún, Fai Ogún, oh! Damballah m’ap tiré canon Fai Ogún, Fai Ogún, Fai Ogún, oh! Damballah m’ap tiré canon […] El machete se hundió súbitamente en el vientre de un cerdo negro, que largó las tripas y los pulmones en tres aullidos. Entonces, llamados por los nombres des sus amos, ya que no tenían más apellido, los delegados desfilaron de uno en uno para untarse los labios con la sangre espumosa del cerdo, recogida en un gran cuenco de madera. Luego, cayeron de bruces sobre el suelo mojado. Ti Noel, como los demás, juró que obedecería siempre a Bouckman. El jamaicano abrazó entonces a Jean François, a Biassou, a Jeannot, que no habrían de volver aquella noche a sus haciendas. El estado mayor de la sublevación estaba formado. (Carpentier 1986, 51-53) Lawinengleich schien sich der Donner am felsigen Profil des Morne Rouge zu brechen, er rollte lange nach im Grunde der Schluchten, als die Abgesandten des Plantagengesindes der Nordebene im Dickicht des Bois Caïman eintrafen, bis zu den Hüften mit Schlamm bedeckt und zitternd in ihren nassen Hemden. […] Ein Geheul hatte sich inmitten des Gewittersturmes erhoben. Neben Bouckman schwang eine knorrige, langgliedrige Negerin eine rituelle Machete gleich einer Kinderwindmühle: »Fai Ogún, Fai Ogún, Fai Ogún, oh! Damballah m’ap tiré canon! « Fai Ogún, Fai Ogún, Fai Ogún, oh! Damballah m’ap tiré canon! « […] Plötzlich drang die Machete in den Leib eines schwarzen Schweines, das mit drei Schreien Eingeweide und Lungen ausspie. Danach kamen sie, mit den Namen ihrer Herren aufgerufen, da sie selber keine Familiennamen hatten, einer nach dem anderen herbei, um sich die Lippen mit dem schaumigen, in einer großen Holzschale aufgefangenen Blut des Schweines zu salben. Dann fielen sie auf dem nassen Boden aufs Gesicht. Ti Noel schwor wie alle übrigen, daß er Boukman immer <?page no="43"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 43 gehorchen werde. Der Jamaikaner umarmte darauf Jean François, Biassou, Jeannot, die heute nacht nicht auf ihre Plantagen zurückkehren sollten. Der Generalstab des Aufstandes hatte sich gebildet. (Carpentier 2004, 39-41) Zwischen August und Oktober 1793 wird in Saint-Domingue nacheinander in drei Bezirken die Sklaverei aufgehoben (Pluchon 1982b, 285 f.), am 4. Februar 1794 hebt die französische Revolutionsregierung die Sklaverei in allen französischen Kolonien auf (Adélaïde-Merlande 1994, 144). In den Kolonialkämpfen zwischen Franzosen, Engländern und Spaniern kommt nach wiederholtem Parteiwechsel ein Schwarzer, der selbst freigelassener Sklave ist, zu immer mehr Macht in Saint-Domingue: Toussaint Louverture, dessen prononciert afrikanische Züge oft erwähnt werden (Pluchon 1982b, 288 ff.): (In: L’Illustration 4596/ 4. April 1931, 396, Samml. Ludwig) <?page no="44"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 44 1801 proklamiert er eine Verfassung, die die Insel unter französischer Herrschaft belässt, die Kolonie aber gleichzeitig weitgehend der Pariser Befehlsgewalt entzieht (Pluchon 1982b, 293; Adélaïde-Merlande 1994, 152-154; d’Ans 1987, 178- 180). Ein solches Streben nach Autonomie findet bei Napoleon keine Duldung; 1802 schickt er seinen Schwager, den General Leclerc, mit mehr als zwanzigtausend Soldaten nach Saint-Domingue, um die koloniale Ordnung zu sichern. Toussaint und sein Heer ehemaliger Sklaven leisten erbittert Widerstand, aber er wird verraten, festgenommen und in ein Gefängnis im französischen Jura gebracht, wo er 1803 stirbt (Pluchon 1982b, 294; zu neueren Bewertungen von Toussaint Louverture s. Nesbitt 2006). Der martinikanische Autor Aimé Césaire, Mitbegründer der Négritude, widmet Toussaint Louverture einen historischen Essay. Césaire würdigt hier etwa die revolutionäre Tragweite der von Toussaint erlassenen Verfassung (1962/ 1981, 281). Césaire sieht den Verdienst des haitianischen Freiheitskämpfers darin, die Prinzipien der französischen Menschenrechtserklärung von 1795 auch in der dritten Welt angewendet zu haben, worin er bis heute Symbolgestalt bleibt: Sa part, c’est tout le domaine qui sépare le seulement pensé de la réalité concrete ; le droit, de son actualization ; la raison, de sa propre vérité. […] Il est hors d’apparence qu’en proclamant le droit de l’homme à la nation, le droit des peuples à la patrie, le législateur français ait pensé aux colonies. Sans apparence aucune qu’il ait pensé aux peuples noirs. On peut même assurer qu’il n’est pas un révolutionnaire français qui ait songé qu’un jour les nègres formeraient un état. […] Quand Toussaint Louverture vint, ce fut pour prendre à la lettre la déclaration des droits de l’homme, ce fut pour montrer qu’il n’y a pas de race paria ; qu’il n’y a pas de pays marginal ; qu’il n’y a pas de peuple d’exception. (Césaire 1962/ 1981, 343 f.) Für Édouard Glissant bildet die Gestalt von Toussaint Louverture ebenfalls eine historische Herausforderung, und so macht er den Haitianer zuerst 1961 zum Protagonisten eines Theaterstücks, in dem auch Mackandal und Delgrès (s.u.) auf den Plan treten (Glissant 1986). Am Ausgangspunkt steht für Glissant nicht zuletzt Césaires Sicht von Toussaint, die eine kritische Komponente enthält: Toussaint als von den Ereignissen überholter Kämpfer, dem der radikale Sprung in die Freiheit nicht gelingt und der seine Mission nur im Selbstopfer vollenden kann (Glissant 1986, 7). Den Kampf gegen die Unabhängigkeit allerdings gewinnt Leclerc nicht. Er stirbt wie viele französische Soldaten am Gelbfieber, und sein Nachfolger Rochambeau kann den Sieg genauso wenig davontragen. Am ersten Januar 1804 ruft Dessalines die Unabhängigkeit aus und gibt der ersten schwarzen Republik den alten indianischen Namen Haiti (Pluchon 1982b, 295). Haiti findet jedoch bis heute keine Ruhe. Seine Geschichte ist eine Folge blutiger Aufstände, von Kriegen und schnellen Regierungswechseln. Die Teilung des Landes nach der Ermordung von Dessalines 1806 in den von Pétion ab 1807 regierten Süden und die Cap-Region des Nordens, wo sich der General Christophe unter dem Namen Henry I er 1811 zum König krönen und Bauwerke wie die ko- <?page no="45"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 45 lossale citadelle Laferrière und den palais de Sans-Souci errichten lässt, ist nur ein - bekannter - Abschnitt dieser Entwicklung (d’Ans 1987, 182 ff.). Bei Aimé Césaire wird dieser Henri Christophe zur zentralen Figur eines Theaterstücks (1963/ 1970, vergl. dazu den Kommentar des Autors in Césaire 2005, 57 ff.). Christophe erscheint hier - der Geschichte getreu - als schwarzer Gegenspieler des Mulatten Pétion. Césaire leiht ihm einen kritisch-realistischen Scharfsinn im Urteil über die Haitianer; vor seinen Offizieren und einer Volksmenge erklärt er: Qu’est-ce que ce peuple qui, pour conscience nationale, n’a qu’un conglomérat de ragots ! Peuple haïtien, Haïti a moins à craindre des Français que d’elle-même ! L’ennemi de ce peuple, c’est son indolence, son effronterie, sa haine de la discipline, l’esprit de jouissance et de torpeur. (Césaire 1963/ 1970, 29) Sein Ziel, so stellt ihn Césaire - historisch nicht unrichtig, aber literarisch überhöht - dar, ist es, Haiti zu Fleiß und auch nationalem Stolz zu verhelfen. Er ruft den Menschen zu: Aussi bien, qu’on se le dise dès à présent, avec moi vous n’aurez pas le droit d’être fatigués. (Césaire 1963/ 1970, 29) Es kommt zu Exzessen; Christophe lässt einen Bauern von einem Kanonier erschießen, als man ihn von ferne ausruhen sieht (Césaire 1963/ 1970, 78 f.). Gerade weil die Gleichheit zwischen Schwarz und Weiß nur eine theoretische Schimäre ist, will er dem nègre mehr als allen anderen abverlangen, um ihm Würde zu verschaffen (1963/ 1970, 59). Und im Ringen um ein „patrimoine d‘énergie et d’orgueil“ plant er die Errichtung eines nahezu unmöglichen Bauwerks, der Zitadelle auf den Gebirgshängen: Précisément, ce peuple doit se procurer, vouloir, réussir quelque chose d’impossible ! Contre le Sort, contre l’Histoire, contre la Nature, ah ! ah ! l’insolite attentat de nos mains nues ! (Césaire 1963/ 1970, 62) Im Scheitern gedenkt er seiner afrikanischen Wurzeln: Afrique de ta grande corne sonne mon sang ! (Césaire 1963/ 1970, 143), und auch seine Frau besingt auf Kreolisch ihre afrikanischen Ursprünge: Solé, Solé-ô, moin pa moun icit. Moin cé moun l’Afric (Césaire 1963/ 1970, 142) Wie der historische Christophe erschießt sich Césaires Held schließlich, als aufständische Soldaten näher rücken (Césaire 1963/ 1970, 148 f.; Pluchon 1982c, 342). Die dichte Folge der haitianischen Staatsoberen im 19. Jahrhundert wirft ein bezeichnendes Licht auf die unstete Geschichte der jungen Republik: <?page no="46"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 46 Die haitianischen Staatschefs von Dessalines (1804-1806) bis Général Sam (1898-1902) (In: L’Illustration 3102/ 9. August 1902, 106, Samml. Ludwig) Besonders prägend für Haiti im 20. Jahrhundert sind die amerikanische Besetzung (1915-1934) und die grausame Diktatur von François Duvalier („Papa Doc“: 1957-1971) und seines Sohnes Jean-Claude Duvalier („Baby Doc“: 1971-1986). Den Aufständischen gegen die amerikanischen Invasoren - den cacos - hat Jean Métellus einen Roman gewidmet (1989). Die haitianischen Diktaturen sind in verschiedenen Werken aufgearbeitet worden; besonders bekannt ist René Depestres Roman Le mât de cocagne (1979). <?page no="47"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 47 Auch in Martinique, Guadeloupe und der Guyane française kommt es zu Auseinandersetzungen mit der französischen Zentralmacht, wiewohl mit anderem Ausgang als in Haiti. Plantagenbesitzer und ferner Händler sind zunächst wenig geneigt, die neu erlassenen Gesetze der Französischen Revolution in den Kolonien umzusetzen. Die kriegerischen Rivalitäten mit den Engländern führen nun zu unterschiedlichen Entwicklungen der französischen Iles-du-Vent, die kulturgeschichtlich erhebliche Konsequenzen haben. Während die Engländer 1794 Martinique einnehmen und diese Insel erst im Zuge des traité d’Amiens von 1802 an die Franzosen zurückgeben, vertreibt der in Marseille geborene und dann als Pirat, Bäcker und Händler auf den Antillen heimisch gewordene patriote Victor Hugues mit seinem revolutionären Expeditionscorps die angelsächsische Kolonialmacht nach wenigen Monaten der Besetzung wieder aus Guadeloupe (Adélaïde-Merlande 1994, 162-165). So wird auf Guadeloupe die Guillotine errichtet, und mit den Royalisten sterben auch Pflanzer; andere Plantagenbesitzer fliehen auf die englischen Inseln. In Martinique hingegen bleibt unter englischer Herrschaft das Plantagensystem unangetastet; die Guyane française wird von den Engländern nicht begehrt, aber dennoch kommt es hier zu verschiedenen Unruhen und Aufständen (Adélaïde-Merlande 1994, 164). 1802, nach der Rückgabe von Martinique an Frankreich, führt Napoleon mit der „Loi relative à la traite des noirs et au régime des colonies du 30 floréal de l’an X“ die alte koloniale Ordnung und damit die Sklaverei wieder ein (s. den Gesetzestext in Castaldo 2006, 71 f.). Auf Guadeloupe kommt es bereits 1801 zu Spannungen mit der napoleonischen Verwaltung; im Zentrum des Widerstands gegen jede Art der Wiedereinführung der Sklaverei stehen zwei farbige antillanische Offiziere, die in der Armee Napoleons Karriere gemacht hatten: Delgrès und Ignace. Napoleon schickt den jungen General Richepanse mit einem Expeditionsheer nach Guadeloupe, um die koloniale Ordnung wieder herzustellen. Als er im Mai 1802 auf Guadeloupe landet, beschließen Delgrès und Ignace, Widerstand zu leisten. Delgrès macht in Basse-Terre seine berühmte Erklärung bekannt, die heute gleichermaßen in Geschichtsbüchern wie literarischen Werken Platz gefunden hat (hier zit. nach Bangou 1987, I, 169 f.): A L’Univers entier Le dernier Cri de l‘Innocence et du Désespoir C’est dans les plus beaux jours d’un siècle à jamais célèbre par le triomphe des Lumières et de la Philosophie, qu’une classe d’infortunés qu’on veut anéantir, se voit obligée d’élever la voix vers la postérité, pour lui faire connaître, lorsqu’elle aura disparu, son innocence et ses malheurs. […] Osons le dire : les maximes de la tyrannie la plus atroce sont surpassées aujourd’hui. Nos anciens tyrans permettaient à un maître d’affranchir son esclave, et tout nous annonce que, dans le siècle de la Philosophie, il existe des hommes, malheureusement trop puissants par leur éloignement de l’autorité dont ils émanent, qui ne <?page no="48"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 48 veulent voir d’hommes noirs, ou tirant leur origine de cette couleur, que dans les fers de l’esclavage. Et vous, Premier Consul de la République, vous guerrier philosophique, de qui nous attendions la justice qui nous était due, pourquoi faut-il que nous ayons à déplorer notre éloignement du foyer d’où partent les conceptions sublimes que vous nous avez si souvent fait admirer ! Ah ! sans doute un jour vous connaîtrez notre innocence ; mais il ne sera plus temps, et des pervers auront déjà profité des calomnies qu’ils ont prodiguées contre nous pour consommer notre ruine. Citoyens de la Guadeloupe, vous dont la différence de l’épiderme est un titre suffisant pour ne point craindre les vengeances dont on nous menace (à moins qu’on ne veuille vous faire un crime de n’avoir pas dirigé vos armes contre nous), vous avez entendu les motifs qui ont excité notre indignation. La résistance à l’oppression est un droit naturel. La divinité même ne peut être offensée que nous défendions notre cause. Elle est celle de la Justice et de l’Humanité. Nous ne la souillerons pas par l’ombre même du crime. Oui, nous sommes résolus de nous tenir sur une juste defensive, mais nous ne deviendrons jamais les agresseurs. Pour vous, restez dans vos foyers ; ne craignez rien de notre part. Nous vous jurons solennellement de respecter vos femmes, vos enfants, vos propriétés et d’employer tous nos moyens à les faire respecter par tous. Et toi, Postérité ! accorde une larme à nos malheurs et nous mourrons satisfaits […] Ein Auszug aus diesem Text präfiguriert Raphaël Confiants Roman L’archet du colonel (1998), andere Zitate werden Delgrès auf den letzten Seiten in den Mund gelegt (1998, 328-332; s. dazu auch u., 7.2.3). Wie in der Wirklichkeit gibt sich Delgrès in der Fiktion mit seinen Getreuen den Tod, indem er die Befestigungen von Matouba mit präparierten Pulverladungen sprengt, als die Soldaten von Richepanse zum letzten Sturm ansetzen; Ignace geht im Fort von Baimbridge unter (Confiant 1998, 329 ff; Bangou 1987, I, 174 f.). Schon Césaire besingt das Schicksal von Delgrès („Mémorial de Louis Delgrès“, zuerst in Ferrements, 1960, 66-71): […] Je chante la main qui dédaigna d‘écumer de la longue cuillère des jours le bouillonnement de vesou de la grande cuve du temps […] Or constructeur du cœur dans la chair molle des mangliers aujourd’hui Delgrès au creux de chemins qui se croisent ramassant ce nom hors maremmes je te clame et à tout vent futur toi buccinateur d’une lointaine vendange. (Césaire 1994, 360 f.) Ein weiteres Beispiel für die literarische Ausgestaltung des Delgrès-Mythos gibt Daniel Maximin in L’isolé soleil (1982, 45 ff.; zur Delgrès-Figur in der Literatur vergl. Rice-Maximin 1998, 38-58, Gewecke 2007, 217). Mit Delgrès gehen auch zwei Frauengestalten in die Literatur ein: seine Gefährtin Marthe Rose und die Mûlatresse Solitude. Marthe Rose begleitet Delgrès <?page no="49"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 49 durch die Confiantsche Fiktion, der Mûlatresse Solitude - sie hatte schwanger die Kämpfe überlebt und wurde am Tag nach der Niederkunft gehängt - hat André Schwarz-Bart einen Roman gewidmet (1972; s. dazu z.B. Gyssels 2001). Erst 1848 gelingt in Frankreich die Aufhebung der Sklaverei; als wesentlicher Initiator dieses politischen Aktes gilt der Elsässer Victor Schœlcher. Heute wird mitunter über Schœlchers Bedeutung gestritten. 1948 aber verfasst der Martinikaner René Maran - Träger des Prix Goncourt 1921 für seinen Roman Batouala (s. dazu u., 3.3.2) - einen Artikel, der Schœlchers Werk eloquent würdigt. Nach prägenden Reisen in die Kolonien hatte Schœlcher 1847 eine Petition mit siebzehn gewichtigen Gründen für die Abschaffung der Sklaverei formuliert. 1848 redigiert es als Kommissionsvorsitzender den Gesetzesakt der Aufhebung der Sklaverei. Im selben Revolutionsjahr wird er zum „sous-secrétaire d’Etat à la Marine et aux Colonies“ ernannt, mit dem Auftrag, über die Anwendung des Sklavereiabschaffungs-Dekrets zu wachen; auch wird er zum Abgeordneten von Martinique gewählt. Maran sieht in Schœlcher einen „grand abolitionniste“, und er zitiert Victor Hugo, der den elsässischen Freiheitspolitiker „une nature de héros“ genannt hatte (Maran 1948, 476). Ähnlich drückt sich 1948 Aimé Césaire aus: Victor Schœlcher, un des rares souffles d‘air pur qui aient soufflé sur une histoire de meurtre, de pillage, d‘exactions. (Wiederabdruck in Césaire 2004, 49) Am 10. Mai 2001 erlässt das französische Parlament einstimmig ein Gesetz, das die Sklaverei als Verbrechen gegen die Menschheit einstuft. É. Glissant erhält den Auftrag zur Gründung eines „Centre national pour la mémoire des esclavages et de leurs abolitions“ und verfasst aus diesem Anlass die Schrift Mémoires des esclavages (2007). Hier würdigt er das Lebenswerk von Victor Schœlcher, kritisiert aber gleichzeitig den „Schœlcherismus“, d.h. das oft und vielerorts zelebrierte Bewusstsein der Überwindung der Sklaverei und damit verbundener Errungenschaften wie dem Schulwesen. Dieser in ein immer konservativeres Denken umschlagende Schœlcherismus hat - folgt man Glissant - letztlich in einen unkritischen Assimilationismus gemündet: L’action inlassable et héroïque de Victor Schœlcher […] a eu pour conséquence qu’il s’est ensouché dans les Antilles francophones la tradition d’un vrai schœlchérisme […] tradition qui s’est transformée peu à peu en un engagement inconditionnel de fidélité envers la France. (Glissant 2007, 102) 2.2.4 Neue Migrationen und Kreolisierungsprozesse Patrick Chamoiseau stellt in seinem Roman Texaco (1992, s. dazu ausführlich u., 7.2.3) die gesellschaftliche Entwicklung in den Jahren unmittelbar nach der Aufhebung der Sklaverei dar: viele Schwarze drängen heraus aus der habitation, suchen ihr Glück mit eigenen kleinen Feldbestellungen oder in den urbanen Räumen. Jedenfalls fehlen nun Arbeitskräfte auf den Feldern von Martinique und Guadeloupe. Daher beschreiten die französischen Kolonialautoritäten jetzt den Weg, den die britischen Karibik-Kolonien - besonders Britisch-Guayana, Jamaica und Trinidad - schon vorher gegangen sind: man lanciert wieder eine Immigra- <?page no="50"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 50 tionswelle, diesmal von Vertragsarbeitern. Derart kommt es zu einer neuen Zuwanderung von Afrikanern - meist congos genannt -, in sehr beschränkten Umfang von Chinesen (s. dazu ausführlicher u., 7.2.3), vor allem aber von Indern. Die Zahlenangaben schwanken; Elisabeth et al. (2003, 45) nennen für Martinique - zwischen 1853 und 1884, dem Ende der Immigration - einen Zustrom von 25.509 engagés indiens, von denen ein Teil das im Vertrag festgelegte Recht auf Rückreise genutzt hat, während sich 13.271 Migranten dauerhaft in Martinique niedergelassen haben (zu den indischen Migranten in Guadeloupe s. Bangou 1987, II, 38-41). Auch in ihrem Fall ist die Seereise, von Pondichéry über Mauritius und La Réunion auf die französischen Antillen, sehr beschwerlich, die Sterblichkeit auf den Schiffen hoch; einmal angekommen, sind die Arbeitsbedingungen sehr hart, die Länge ihrer Vertragsbindung variiert zwischen fünf und acht Jahren (Adélaïde-Merlande 1994, 245). Wohl betreibt man gezielt eine Kastenvermischung und untersagt an bestimmten Tagen rituelle Tänze auf den Plantagen, um die Arbeitskraft für den nächsten Tag nicht zu schwächen (Elisabeth et al. 2003, 45, 53). Dennoch kommen sie, wie das Foto u. zeigt, mit einem anderen Selbstbewußsein auf die Antillen; nicht umsonst tragen einige Männer hier den traditionellen Turban, die Frauen den Sari: die Inder treten in die Kreolgesellschaft mit dem Bewusstsein ihrer eigenen Religion und Kultur ein. Obwohl sie in Martinique und Guadeloupe die unterste Hierarchiestufe der Plantagengesellschaft einnehmen, steuern sie doch geradezu emblematische Elemente zur kreolischen Kultur bei, insbesondere im kulinarischen und vestimentären Bereich. Indische Einwanderer auf Martinique, Foto 19. Jh. (In: Elisabeth et al. 2003, 46) <?page no="51"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 51 Die indischen Migranten sind bemüht, auch über die nachfolgenden Generationen Glauben und Brauchtum aufrecht zu erhalten. Wie sehr dies auf Unverständnis treffen kann, zeigt der Titel unter folgender Abbildung - „Carnaval des Indiens à Fort-de-France“ -, wobei die Inder hier einen traditionellen Ritus praktizieren (Männer tragen die symbolischen Kostüme des „Ramayana“, s. den Kommentar in Elisabeth et al. 2003, 53): (Le Miroir du Monde 19, 12. Juli 1930, 57, Samml. Ludwig) Dany Bébel-Gisler publiziert 1985 die von ihr transkribierten und reformulierten Erinnerungen der Guadelouper Bäuerin Léonora (welche angibt, kurz nach der „histoire de la guerre de 14-18“ geboren zu sein). Léonora erlebt in ihrer Kindheit intensiv die Rituale der Inder, die man geringschätzig „kouli Malaba“ nannte: Les vrais Indiens, déshérités, ceux qu’on appelait «kouli Malaba», «Teïta», travaillaient et vivaient sur l’habitation, à Cambrefort et à Changi. Quand ils sont rassemblés en grand nombre dans un endroit, ça fait toujours des histoires. Pour le «Maliémen», leur grande fête religieuse, les Indiens invitaient tout le monde, sans distinction de peau, à partager le colombo de cabri servi sur des feuilles de bana- <?page no="52"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 52 nier. Quand la Toussaint approchait, les Indiens organisaient leurs danses sur l’habitation. (Bébel-Gisler 1985, 41 f.) Auch Léonora berichtet von den - bis heute praktizierten - Tieropfern der Zendyen, und derartige Riten haben zu dem Mysterium beigetragen, das die in der Literatur dargestellten antillanischen Inder oft umgibt. In Texaco von Patrick Chamoiseau rächt ein indischer „major“ die Heldin, indem er ihr in einem Korb die abgeschnittenen Ohren der Schläger bringt, die ihren Vater auf dem Gewissen haben (1992, 223 f.). Confiant lässt in seinem Roman L’Allée des Soupirs (1994b) den „Indien“ Ziguinote auf den Plan treten, der als Totengräber arbeitet und eines Tages so weit geht, Geschlechtsverkehr mit dem Leichnam einer schönen Frau zu vollziehen (1994b, 225). Die wohl eindringlichste fiktionale Schilderung der indischen Migration hat Raphaël Confiant mit La panse du chacal (2004) vorgelegt: Adhiyamân Dorassamy muss miterleben, wie seine ehedem wohlhabenden Eltern in Madurai während einer Zeit von materieller Not, von Dürre und Hunger von Schakalen zerrissen werden. Er rettet sich nach Pondichéry und lässt sich als engagé für die Antillen anwerben; bereits jetzt muss er spüren, dass seine Zugehörigkeit zur höheren Kaste der „vaishya“ ihm kaum noch Distinktion verschafft (2004, 49). So überwindet er noch vor der Einschiffung die Gesetze seiner Vorfahren, indem er die junge Devi aus der niedrigeren Kaste der „shudra“ heiratet. Zu Beginn der Reise adoptiert Devi dann einen Säugling, dessen Mutter psychisch den Umständen nicht mehr trotzen konnte (2004, 95). Die Enttäuschung bei der Ankunft auf den Antillen ist groß, die falschen Versprechungen, die man den Migranten in Pondichéry gemacht hat, zerreißen vor der harten Wirklichkeit wie ein Schleier. Dem kleinen Vinesh und auch Devi wird die Assimilation in der Kreolgesellschaft gelingen, während Adhiyamân letztlich die Trennung von der heiligen Heimaterde nicht überwindet (z.B. 2004, 275). 2.2.5 Entwicklungen der Gesellschaft von Martinique, Guadeloupe und der Guyane française im 20. Jahrhundert Mit der Aufhebung der Sklaverei und der Integration der neuen Migranten bildet sich in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guayana die Gesellschaft heraus, die heute von vielen literarischen Werken mitunter nostalgisch inszeniert wird, sei es in Zobels durch die Verfilmung von Euzhan Palcy bekannt gewordenem Roman La Rue Cases- Nègres (1950/ 1974), sei es in den Werken der Créolité, insbesondere von Patrick Chamoiseau und Raphaël Confiant. Ein einschneidendes Ereignis ist 1935 der mit großem Pomp begangene tricentenaire der Kolonisierung von Martinique und Guadeloupe. Bei dieser Gelegenheit wird von den kolonialen Instanzen und auch dem gutsituierten Bürgertum der Kolonien die Bindung an Frankreich und seine Werte vorgeführt; das kulturelle Eigenbewusstsein versteht dabei die Symbole der antillanischen Lebenswelt als eine Art regionale Folklore: <?page no="53"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 53 Die Feiern zum Tricentenaire der Kolonisierung der französischen Antillen, Umzug der französischen Delegation in Pointe-à-Pitre (In: L’Illustration 4847, 25. Jan. 1936, Samml. Ludwig) Feiern zum Tricentenaire, Mädchen zum Empfang der französischen Delegation in Pointe-à-Pitre (In: Miroir du Monde 308, 25. Jan. 1936, 84, Samml. Ludwig) <?page no="54"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 54 Reiseberichte, wie sie etwa die Sonderausgabe von L’Illustration anlässlich des tricentenaire publiziert, malen ein buntes Tropenbild voller Harmonie, in dem Marktszenen, Zuckerrohrfelder, Fischerboote und Hahnenkampf Platz finden (Cadilhac 1935; Vignaud 1936): Les îles… Les tropiques… Les Antilles… Ces mots se prolongent tout vibrants du charme des choses lointaines et mal connues (Cadilhac 1935, ohne S.) Auch die Menschen sind Teil dieses Bildes, etwa, wenn der Autor sich mit dem Bischof von Guadeloupe austauscht: Tout le petit peuple est ardemment catholique, mais il l’est à sa manière. […] Le noir, très superstitieux, croit un peu aux zombis (revenants) et beaucoup au sorcier qui fait des philtres pour se faire aimer et plus souvent pour envoûter. (Cadilhac 1935, ohne S.) In dem Kommentar zum Umzug bei den Feierlichkeiten von 1935 beschreibt ein anderer Berichterstatter von L’Illustration seine Eindrücke von der Guadelouper Bevölkerung und lässt derart deutlich werden, wie herablassend der koloniale Diskurs ist und wie stark die Vorurteile gegen die schwarze Hautfarbe sind. Solche Sätze lassen ermessen, welchen Weg der Auflehnung Aimé Césaire und seine Weggefährten der Négritude-Bewegung gehen mussten: C’est le passage, d’abord, le long des routes parfaitement confortables, devant les cases isolées qu’abritent les bananiers et les cocotiers, illustrations réalisées des vieux romans coloniaux qui ont charmé notre jeunesse. Sur les seuils, des hommes et des femmes noirs, dont la curiosité passive se change, au moindre de nos signes de sympathie, en gesticulation amicale reconnaissante, tandis que d’impayables négrillons et négrillonnes, qui ont tous les teintes de nos déjeuners du matin, du café au lait clair au chocolat foncé, nous suivent de leurs grands yeux d’étranges Poulbots intéressés. (Zamacoïs 1936, 95) In Frankreich ermisst man den materiellen Gewinn, den die karibischen Kolonien erbringen; es wird verzeichnet, dass die Produktion von Zucker und Rum die wesentlichen Ertragsquellen sind und dass gleichzeitig der Bananenanbau zunimmt (Lewandowska 1935, 49; Monroux 1935). Derartige Kalküle gehen mit einer Art kulturell-exotistischen Verklärung einher (zum Begriff des „Exotismus“ vergl. Moura 2003). So heißt es in Le Miroir du Monde: Gloire à la Martinique, façonnée par nous depuis des siècles, parlant notre langue, s’affirmant chaque jour, de plus en plus, comme la sentinelle avancée de la France sur la grande route de circulation internationale vers les deux Amériques. La Martinique, c’est la fleur française des tropiques : comme nos aïeux, souhaitons de semer sur cette terre les idées, les sentiments, toutes les nuances et les générosités de notre vie spirituelle pour que cette perle, jetée à travers l’Océan, devienne une vivante image de cette France coloniale, dont la Métropole peut, à juste titre, s’en orgueillir. (Lewandowska 1935, 50) Deutlich zeigt die folgende Karte des „Ministère des Colonies“ von 1937, wie jetzt der Austausch mit dem kolonialen Zentrum, der Métropole, aber auch mit dem amerikanischen Kontinent andererseits gestiegen ist. Es werden französische und <?page no="55"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 55 ausländische Schiffs- und Flugverbindungen nach Frankreich, zu anderen Karibikinseln (wie Guadeloupe, St. Martin, Haiti) sowie weiter nach Nord- und Südamerika (Miami, New York, Montreal, Panama, Venezuela) verzeichnet: (Karte des Ministère des Colonies 1937, Samml. Ludwig) <?page no="56"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 56 Es wird deutlich, wie Selbst- und Fremdbilder voneinander abweichen. Gerade die sich auch mit der Karte von 1937 abzeichnende gestiegene Mobilität, ebenso der Übermittlung von Ereignisberichten und Impressionen aus den Karibikkolonien hin zu breiteren Schichten der französischen Öffentlichkeit durch Zeitschriften wie L’Illustration oder Le Miroir du Monde führen zu einem verstärkten Kreuzen der Perspektiven, die gleichwohl sehr unterschiedlich bleiben. Während viele Antillais sich enthusiastisch zu Frankreich bekennen, dominiert in Frankreich eine koloniale Sicht, die große Mühe hat, die verschiedenen Hautfarben auf ein und dieselbe menschliche Ebene zu stellen. Maryse Condé spürt dies als junges Mädchen, als ihre Eltern nach dem zweiten Weltkrieg die geschätzten Reisen von Guadeloupe zur Métropole wieder aufgenommen haben: Comme mon père était un ancien fonctionnaire et ma mère en exercice, ils bénéficiaient régulièrement d’un congé «en métropole» avec leurs enfants. Pour eux, la France n’était nullement le siège du pouvoir colonial. C’était véritablement la mère patrie et Paris, la Ville Lumière qui seule donnait de l’éclat à leur existence. [...] Aussi, dès le mitan de l’année 1946, ils reprirent avec délices le paquebot qui devait les mener au port du Havre, première escale sur le chemin du retour au pays d’adoption. [...] Aujourd’hui, je me représente le spectacle peu courant que nous offrions, assis aux terrasses du Quartier latin dans le Paris morose de l’après-guerre. Mon père ancien séducteur au maintien avantageux, ma mère couverte de somptueux bijoux créoles, leurs huit enfants, mes sœurs yeux baissés, parées comme des châsses, mes frères adolescents, l’un d’eux déjà à sa première année de médecine, et moi, bambine outrageusement gâtée, l’esprit précoce pour son âge. Leurs plateaux en équilibre sur la hanche, les garçons de café voletaient autour de nous remplis d’admiration comme autant de mouches à miel. Ils lâchaient invariablement en servant les diabolos menthe : - Qu’est-ce que vous parlez bien le français ! Mes parents recevaient le compliment sans broncher ni sourire et se bornaient à hocher du chef. Une fois que les garçons avaient tourné le dos, ils nous prenaient à témoin: - Pourtant, nous sommes aussi français qu’eux, soupirait mon père. Plus français, renchérissait ma mère avec violence. Elle ajoutait en guise d’explication : Nous sommes plus instruits. Nous avons de meilleures manières. Nous lisons davantage. Certains d’entre eux n’ont jamais quitté Paris alors que nous connaissons le Mont-Saint-Michel, la Côte d’Azur et la Côte basque. (Condé 1999, 11-13) Der zweite Weltkrieg, der die Eltern von Maryse Condé einige Jahre an den vertrauten Frankreich-Reisen gehindert hat, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Antillen. Im Jahr 1940 ordnen sich die Antillen dem Vichy-Régime des Maréchal Pétain unter. Seeblockaden verhindern Versorgung, Handel und Mobilität; die französischen Truppen in der Karibik werden vom Admiral Robert befehligt. 1943 sieht sich dieser gezwungen, den Anschluss der französischen Antillen an die France libre von de Gaulle hinzunehmen (Nicolas 1998, 9-85). Literarisch ist <?page no="57"?> Orte - Ziele - gekreuzte Interessen 57 der „temps Robert“ vor allem durch Raphaël Confiants Roman Le nègre et l’amiral (1988) bekannt geworden. Der hier mit einigen Beispielen veranschaulichte koloniale Diskurs treibt Intellektuelle und Politiker zur Überwindung des Kolonialstatus. 1946 wird die Loi d’assimilation verabschiedet: Guadeloupe, Martinique und Guyane française werden - zusammen mit La Réunion im Indischen Ozean - „Départements d’Outre- Mer“. Die Initiativen für die Erarbeitung des Gesetzes stammen von Aimé Césaire und Léopold Bissol, beide kommunistische Abgeordnete von Martinique, sowie einzelnen anderen Abgeordneten aus Guadeloupe, Guayana und von La Réunion (z.B. Bangou 1987, III, 84 ff.). Césaire betont noch in seinen Gesprächen mit der in La Réunion geborenen Politologin Françoise Vergès die Bedeutung dieses Gesetzes und das Gewicht, das er seinerzeit auf den Begriff der „départementalisation“ (verstanden als Gegenbegriff zu „assimilation“) gelegt hat (2005, 36 f.). Etwa von Fraucke Gewecke wird vermerkt, dass der anfängliche Enthusiasmus über die départementalisation einer Ernüchterung Platz macht (Gewecke 2007, 214 f.). Mehrere Intellektuelle und Literaten kritisieren die weiter bestehende Abhängigkeit von Frankreich, wie Hector Poullet in seinem aus dem Jahr 1967 stammenden Gedicht Nou asi milé. Dieser Titel spielt mit der im Guadeloupekreolischen (s.u., 2.6) bestehenden Homophonie zwischen „asimilé - assimilé“ („assimiliert“) und „asi milé - sur le mulet“ (Poullet 1982, 11 f.): Nou asi milé A fout kyè a-y kontan ! I asi milé I pa nèg Ba-y lè ! I fransé pasé fwansé ! Sé kontan kyè a-y kontan ! I pa ti nèg Gadé po a-y I chaben I milat I blan tibwen bronzé I pa bata kongo I fwansé pasé fwansé ! […] Mé Lè i rivé lòt koté-la an péyi a moun-la […] Lè yo kriyé-y « biko » Les «assimulets» Diable que son cœur est content ! Le voilà à dos de mulet Ce n’est pas un nègre Laisse-le passer ! Il est plus français qu’un Français ! Son cœur est vraiment heureux ! Ce n’est pas un de ces petits nègres Regarde donc sa peau C’est un chabin un mulâtre que dis-je un blanc à peine bronzé Ce n’est pas un bâtard de nègre-congo ! Il est plus français qu’un Français ! […] Mais Quand il s’en fut de l’autre côté Dans ce pays là-bas […] Quand on l’appela « bicot » <?page no="58"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 58 li ki pa té nèg bitako Kyè a-y anni chalviré asimilé santi-y mélé vini touvé-y dézadapté Mandé kyè a-y : « Es an fwansé ? » Tann-li réponn : « Asé fè jé Ou pa fwansé ! » Lui qui n’était pas même un négro Son cœur ne fit qu’un tour Notre assimilé se sentit bien embarrassé Tout désemparé Il lui demanda : « Suis-je français ? » Il l’entendit répondre : « Non, et tu le sais bien ! » Poullet fügt der französischen Version des Gedichts folgenden Kommentar bei: Lorsque le gouvernement français décida d’assimiler les habitants de la Guadeloupe pour en faire des Français (d’Outre-mer) par la loi de départementalisation du 19 Mars 1946, les Guadeloupéens eurent cette phrase ironique : « Hier nous allions à dos d’âne, nous voici à dos de mulet, demain nous irons peut-être à cheval (comme les maîtres) ». (1982, 11) Seit den 1970er und 1980er Jahren sind die frankokaribischen Gesellschaften wieder in einem Wandelprozess begriffen. Ein maßgeblicher Faktor ist die Medialisierung der Gesellschaft, also die starke Verbreitung von Rundfunk, Fernsehen sowie in den letzten Jahren auch der Internet-Kommunikation; ein weiterer Punkt betrifft die verstärkte Mobilität, die sowohl die Entwicklung von Diaspora - von „Exil“-Gruppen - wie die Aufrechterhaltung des Austauschs von der Diaspora mit dem alten Zentrum (den Antilleninseln, die aus herkömmlicher Sicht als koloniale Peripherie erschienen) befördert. 2.3 Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 2.3.1 Diasporizität Mobilität, Kulturkontakt und Kulturkonflikt haben - so ist deutlich geworden - die Antillengesellschaften geprägt. Teil ihrer - auch von der Literatur getragenen - Identitätsarbeit ist die ständig oszillierende Verortung der Verhältnisse von Zentrum und Peripherie, die nicht zum Stillstand kommende Re-Situierung von alten und neuen Werten, von „eigen“ und „fremd“. Von grundsätzlicher Bedeutung in diesem Zusammenhang ist das Konzept der „Diaspora“ oder „Diasporizität“. Als Prototyp einer diasporischen Gesellschaft galt lange das jüdische Volk in seiner Verschleppung nach Babylon, eine Sicht allerdings, die Robin Cohen in seinem zentralen Werk Global Diasporas (1997) in Frage stellt. Meist werden Kriterien folgender Art für die Definition von „Diaspora“ angeführt: eine gesellschaftliche Gruppe verlässt - die Gründe variieren - ihr Heimatland und bildet in einer anderen, aufnehmenden Gesellschaft eine Minorität, die das Bewusstsein der verlassenen Heimat, der von der neuen <?page no="59"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 59 Umgebung unterschiedenen eigenen Kultur in der kollektiven Erinnerung bewahrt. Dieses Selbstverständnis kann auf die im Zielland der Migration geborenen Generationen übertragen werden. Typisch sind eine Idealisierung des Ausgangslandes und, mit Cliffords Worten, eine „resistance to assimilation“ (Clifford 1994, 307), sodass oft die Vorstellung oder der Traum der Heimkehr Teil des diasporischen Bewusstseins ist (zu diesen Kriterien s. auch Krings 2003). Sowohl Cohen wie Clifford betonen aber auch den produktiven Effekt, den Diaspora haben kann: wenn auf der einen Seite diasporisches Bewusstsein eine kulturelle Assimilation im aufnehmenden Land zumindest partiell verhindert, so werden gleichzeitig Praktiken der Akzeptanz und des Zusammenlebens entwickelt, was für Mitglieder einer diasporischen Gruppe letztlich die Schaffung eines sehr optionsreichen, weiten sozialen Handlungsnetzes zur Folge haben kann. Die in die Karibik als Sklaven deportierten afrikanischen Schwarzen gehören zu der Gruppe, die Cohen als „victim diaspora“ bezeichnet (1997, 31 ff.). Gewiss hatten die ersten Sklavengenerationen den Traum von der Heimkehr nach Afrika, wobei dieses „homeland“ immer mehr mythischen Charakter bekommen hat; diese mythische afrikanische Heimat trägt den Namen „Guinea“. Die konkrete Vorstellung der Rückkehr wird also zunehmend spiritueller: die Heimkehr vollzieht sich als geistige Reise, als Traum, als Zauber, als Rückkehr nach dem Tode. Spuren dieses diasporischen Mythos werden durch Erzählungen, religiösmythischen Glauben und Literatur bis heute transportiert. Dany Bébel-Gisler gibt ein authentisches Récit einer alten Guadelouperin wieder, das die Flucht von Sklaven zurück nach Afrika zum Gegenstand hat (und von der Erzählerin schätzungsweise wirklich geglaubt wird). Hier wird nur die französische Übersetzung, nicht das von Bébel-Gisler ebenfalls veröffentlichte kreolische Original zitiert (Bébel-Gisler 1985, 8 f.): Le sorcier leur dit : Ils vont voir. Préparez-vous, nous partirons, il est temps. - Comment pourrons-nous faire? - Je vous le dis, préparez-vous. - Nous ne pourrons jamais retourner en Afrique. C’est en bateau que nous sommes venus. Ce n’est pas avec nos pieds faits pour la boue que nous marcherons sur la mer. - Préparez-vous, je reviens tout à l’heure. Le Nègre est allé dans le poulailler du Blanc. Il a pris deux œufs. - Je vous le dis, partons. Une partie l’a suivi, une partie est restée. […] Ils sont descendus sous le pont. Il a fait son sorcier a cassé les deux œufs. Un grand bâtiment est apparu. Ils sont partis, ils sont retournés en Afrique. Ein bekanntes literarisches Zitat des Guinea-Mythos ist die Rede, die in Joseph Zobels La Rue Cases-Nègres der alte Médouze dem jungen José Hassam hält: Enfin, certains soirs, soit dans ses contes, soit dans ses propos, M. Médouze évoque un autre pays plus lointain, plus profond que la France, et qui est celui de <?page no="60"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 60 son père: la Guinée. Là, les gens sont comme lui et moi ; mais ils ne meurent pas de fatigue ni de faim. […] - Si tu partais en Guinée, monsieur Médouze, tu sais, j’irais avec toi. Je pense que m’man Tine voudra bien. - Hélas ! me répondait-il, avec un sourire mélancolique, Médouze verra pas la Guinée. D’ailleurs, j’ai plus ni maman, ni papa, ni frères et sœurs en Guinée… Oui, quand je serai mort, j’irai en Guinée ; mais alors, je pourrai pas t‘emmener. (Zobel 1950/ 1974, 57 f.) In Haiti hat das mythische Guinea seinen Sitz im Vaudou-Glauben; Gary Victors Roman Les cloches de La Brésilienne (2006) etwa erwähnt den „ginen“ als Geist des Guten (2006, 223). Die Spiritualisierung der Guinea-Heimatlegende und damit das Verblassen diasporischen Selbstverständnisses ist eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung der Kreolgesellschaft. Interessant ist noch eine Bemerkung von Cohen (1997, 36): er zitiert eine Untersuchung von Montilus, der zufolge ein haitianischer Mann sich heute durchaus stolz als „neg Ginin“ bezeichnen kann, wobei Guinea „a mythical place of origin that had become an ideal of resistance to slavery, its suffering, and its humiliation“ symbolisiert. Derselbe Mann wird hingegen die Bezeichnung als „neg Congo“ als Beschimpfung empfinden. Folgt man Cohen bzw. Montilus, hängt dies mit der negativen Konnotation der Kongo- Geister, der lwa Congo in Haiti zusammen, die als gleichgültig im Hinblick auf das Schicksal ihres Volkes gelten. Auf Martinique und Guadeloupe gilt jedoch neg Congo eher deshalb als negativ, weil damit ein Afrikaner bezeichnet wird, der noch nicht durch die gesellschaftlichen Einflüsse der Antilleninseln und damit partiell zugleich durch europäische Kultur geprägt ist. So wird, wieder mit Cohens Begriffen, aus der „victim diaspora“ eine „kulturelle Diaspora“ (wenngleich dieser letzte Begriff von Cohen nicht unproblematisch ist): die frankokaribische Négritude von Césaire und Damas sucht im kulturellen Sinne noch Bindungen und Wurzeln in Afrika, ohne damit die Vorstellung einer Rückkehr in ein konkretes Heimatland zu verbinden (Cohen 1997, 144 ff.). Eine solche Spiritualisierung des diasporischen Bewusstseins haben weiter die indischen engagés - sie bilden in den Kategorien von Cohen eine „labour diaspora“ - und die auf sie folgenden Generationen der zendyen vollzogen. Haben noch etliche Mitglieder der ersten Migrantengeneration von ihrem vertraglich zugesicherten Heimkehrrecht Gebrauch gemacht (s.o.), so arrangieren sich die Gebliebenen und ihre Kinder in wachsendem Maße mit der neuen Umgebung. Gewiss ist für den Hindu Indien geheiligte Erde (s. z.B. Vertovec 2000, 3), aber in der karibischen Diaspora werden Kultur und Glaube adaptiert, transformiert, vereinfacht und in mancher Hinsicht vergessen; diese Anpassung vollzieht sich auch mit dem Lernen der kreolischen Sprache oder dem Durchbrechen der traditionellen Heiratsregeln (zu den Akkommodierungs-Mechanismen s. Parekh 1994). Dies hat Confiant in seinem erwähnten Roman La panse du chacal veranschaulicht; eines Tages erklärt Z’Oiseau, ein „vatialou éminent qui savait convoquer les dieux“ (2004, 224), dem jungen Vinesh: <?page no="61"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 61 eh ben… nous, les Z’Indiens, on n‘a pas le droit de quitter notre pays pour aller vivre dans un autre. Ici, en Martinique, nous ne sommes pas vraiment chez nous. […] Nous ne sommes bons qu’à couper la canne comme de nouveaux esclaves et nos dieux ne sont pas contents. Et nous les oublions peu à peu. Nous délaissons nos temples … (2004, 230 f.) In der Spiritualisierung und im Verblassen, ja Erlöschen diasporischen Bewusstseins der verschiedenen Gruppen liegt eine wichtige Voraussetzung zur gesellschaftlichen Kreolisierung, zur Ausbildung der heutigen frankokaribischen Gesellschaften; gerade auf die Beförderung und Bewusstwerdung dieses Prozesses zielt das Konzept der Antillanité von Édouard Glissant (s.u., 4; zur Wende der Exil-Nostalgie hin zum kreativen Umgang mit historischer Trennung und Migration vergl. Munro 2005). In dem Moment, wo sich ein Bewusstsein karibischer Kultur und Heimat entwickelt, ist die Voraussetzung für die Umkehrung des Verhältnisses von Zentrum und Peripherie gegeben. In Haiti sind es Armut und Diktaturen, die viele Haitianer - Intellektuelle, Autoren wie arbeitsuchende Arme - auf die reicheren Antilleninseln, nach Frankreich oder Nordamerika treiben. Bei den Haitianern außerhalb Haitis herrscht meist ein starkes diasporisches Bewusstsein, und sowohl die heutigen Reisemöglichkeiten, also die vereinfachte räumliche Mobilität wie die elektronische Kommunikation eröffnen eine Dimension permanenten Austauschs mit dem verlassenen antillanischen Zentrum. Gerade die in der Diaspora erfahrene gesellschaftliche Alterität verstärkt das Gefühl kultureller Identität der karibischen Heimat. Diese Selbstverortung wird von Mitgliedern der Diaspora in die karibischen Sphären zurückvermittelt, sodass durch Impulse von außen antillanische Identität gestärkt wird. Das typisch diasporisch - maßgeblich, wenngleich nicht ausschließlich - auf das verlassene karibische Zentrum bezogene Schreiben charakterisiert viele haitianische Autoren. Wie Fraucke Gewecke feststellt, gilt für die meisten von ihnen „auch dann, wenn der Ort der Handlung in ihren Romanen außerhalb Haitis liegt, das vorrangige Interesse der haitianischen Wirklichkeit so, wie sie sich auf die Lebensbedingungen der Haitianer im Exil auswirkt“ (Gewecke 2007, 222). Als Beispiele nennt sie Werke von Jean-Claude Charles oder Gérard Étienne. Wie allerdings Leben in der Diaspora Auseinandersetzungs- und Akkommodationsprozesse mit der Aufnahmegesellschaft bedeutet, so gehen diese Mechanismen auch in das Schreiben ein. Deutlich spürbar ist dies beispielsweise in Dany Laferrières autobiographisch beeinflusstem Roman Pays son chapeau (1997/ 2001), in dem der Autor (der im Récit als Laferrière auftritt, z.B. 1997/ 2001, 94) nach zwanzig in Montreal und Miami verbrachten Jahren nach Port-au-Prince zurückkehrt und oft in ironischer Distanz das Land seiner Kindheit wiederentdeckt. Was das Leben im Exil und diasporische Zerstreuung bedeuten können, lässt sich erahnen, wenn der Autor im Roman der in Haiti besuchten Mutter von seinem Versuch erzählt, den längst nach Nordamerika geflohenen Vater aufzufinden: <?page no="62"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 62 - J’étais allé le voir dans ce petit appartement de Brooklyn. J’ai frappé à la porte. Aucun bruit. J’ai continué à frapper tout en appuyant mon oreille contre la porte. Finalement, j’ai entendu quelqu’un marcher vers moi. - Qui est là ? - Ton fils, dis-je. - Je n’ai pas d’enfants, tous mes enfants sont morts. - C’est moi, papa, je suis venu te voir. - Retourne d’où tu viens, tous mes enfants sont morts en Haïti. - Mais je suis vivant, papa. - Non, il n’y a que des morts en Haïti, des morts ou des zombis. Il n’a pas ouvert la porte et je suis parti. Ce fut notre unique conversation. (Laferrière 1997/ 2001, 244) Dieselben kulturellen Wechselbeziehungen wirken in der Diaspora von Martinique und Guadeloupe, die im Großraum Paris besonders stark vertreten ist (s. zu ihrer Entwicklung Condon & Ogden 1996). Viele Antillais werden in der Diaspora geboren oder verbringen prägende Kindheitsjahre in der „métropole“, was auch zu identitären Konflikten führen kann, wie sie Gisèle Pineau in ihrem Roman Fleur de Barbarie (2005) in bemerkenswerter Weise thematisiert: hier schwankt die ebenfalls autobiographische Züge tragende Protagonistin in der Wahl ihres eigentlichen identitären Ruhepunktes. 2.3.2 Religiöse Selbstsuche und Alltagsbewältigung In der Karibik koexistieren bis heute viele Religionsbekenntnisse nebeneinander; dominant ist das Christentum in vielen Facetten, wobei der Glaube an andere übersinnliche, durch Beschwörungen und Zauberrituale anrufbare Kräfte hinzukommt. Am deutlichsten ist dies in Haiti ausgeprägt, wo der Vaudou allgegenwärtig ist. Der Vaudou ist aus Afrika auf die Antillen gekommen; hauptsächtlich wird er im alten Dahomey praktiziert. Dabei handelt es sich um eine Form des Fetischismus: Ce fétichisme, qui possède temples, autels, « prêtres » des deux sexes, exprime, en effet, l’assujettissement désolé des hommes, mais aussi leur espoir, par les sacrifices sanglants, la musique, les chants et les danses, qui rythment les cérémonies publiques. (Pluchon 1987, 56 f.) Eine solche literarisch dargstellte Zeremonie wurde schon zitiert: der von Carpentier inszenierte Schwur im Bois Caïman wurde von einer Vaudou-Zeremonie begleitet, in deren Verlauf eine Priesterin ein schwarzes Schwein opfert. - Von den Missionaren des 17. Jahrhunderts bis heute löst der Vaudou bei dem Karibik- Reisenden Erstaunen, Zweifel und Bestürzung aus. Folgendes Foto eines Vaudou-Altars im frühen 20. Jahrhundert zeigt deutlich den fetischistischen Charakter, die verschiedenen Opfergaben, die Transzendenz zwischen Leben und Tod sowie auch den typischen Synkretismus, denn die Priesterin trägt hier ja keine afrikanische, sondern Würde verleihende europäische Kleidung: <?page no="63"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 63 Vaudou-Altar mit Vaudou-Priesterin (Journal de la Semaine 84, 23. Okt. 1929, 874, Samml. Ludwig) Diese Abbildung ist einem Artikel von William B. Seabrook entnommen, in dem eine Geschichte haitianischer zombis wiedergegeben wird: in der Tat ist im haitianischen Vaudou ein Zombi, wie auch Pluchon (1987) festhält, ein willen- und seelenloses Wesen, das seinem Beherrscher wie ein Automat gehorcht. Im mythischen Récit von Seabrook sind es Tote, die als willenlose Arbeitskräfte wiederbelebt werden, während Pluchon auf die Praxis verweist, Menschen durch Eingabe toxischer Substanzen in einen zunächst kataleptischen und dann tranceartigen Zustand zu versetzen (Pluchon 1987, 79 ). In Dany Laferrières erwähntem Heimkehr-Roman Pays son chapeau (1997/ 2001) begegnet der Autor in Port-au-Prince sogleich der Omnipräsenz des Vaudou im haitianischen Alltag. Und so durchsetzt die Auseinandersetzung mit dem Vaudou auch das Schreiben. In einer ironischen Episode befragt er einen Ethnologie-Professor nach den zombis: Je lui pose la question de but en blanc : - Professeur Romain, que savez-vous de l‘armée des zombis ? - Ah! dit-il en levant les bras au ciel, il ne se passe pas un jour sans qu’un journaliste hollandais, coréen ou américain ne vienne m’entretenir de ce sujet. - Alors, professeur ? Der Professor erzählt jetzt von einem Aufstand armer Bauern auf dem Land, bei dem Soldaten geschossen haben, ohne die Bauern verletzen zu können: - Je peux seulement vous révéler un seul fait… Il paraît qu’un des soldats a reconnu un paysan. - Et ? <?page no="64"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 64 - Et, selon le soldat, cet homme était mort depuis longtemps. - Donc, un zombi. - C’est ça. - Mais ce n’est pas nouveau en Haïti, professeur. Et ce n’est pas la première fois non plus que des propriétaires terriens font travailler des zombis dans leurs champs. - Oui, mais c’est la première fois qu’on assiste à une révolte de zombis… Généralement, le zombi n’a aucune volonté. Il n’arrive même pas à tenir sa tête droite. Il ne fait qu’obéir. (Laferrière 1997/ 2001, 72- 74) Während Laferrières Stil journalistisch-dialogisch geprägt und permanent ironisch gebrochen ist, erfüllt die Mystik des Vaudou in tieferer Weise Gary Victors aktuellen Roman Les cloches de La Brésilienne; hier wird der Vaudou letztlich als positive Kraft gewertet, die der Okkupation Haitis durch okzidentale und nordamerikanische Kräfte Einhalt gebietet, dem Menschen zur Erfüllung auch seines erotischen Seins verhilft und Gerechtigkeit wiederherstellen kann. Es ist die von ferne klingende Vaudou-Trommel, der den bretonischen Priester des Dorfes La Brésilienne, den Père Lefenec, anlockt, fasziniert und seine katholische Lebenswelt in Frage stellt: Le tambour du mardi se faisait toujours entendre à partir de neuf heures. C’était le seul de toute la semaine qui respectait un horaire rigide. À neuf heures, on entendait les premiers battements. Les mesures d’un yanvalou. Lentes, lascives. Une sorte d’appel insistant qui jouait sur les notes d’une sensualité diabolique. Le père Lefenec avait eu une fois, que Dieu lui pardonne, la vision d’une femme, une superbe négresse aux seins nus dansant autour d’un feu qui lançait des langues gourmandes vers ses fesses dures comme de la chair d’igname. Épouvanté par cette vision qui avait provoqué chez lui un début d’érection, il s’était jeté à genoux pour demander pardon à Dieu. Ensuite, le tambour donnait le signal à un orchestre de peaux. Un pétwo partait à l‘assaut des montagnes, de la plaine et des savanes. Une chevauchée furieuse d’échos en furie qui fusionnaient en une pétarade, gamme capricieuse d’une percussion étouffée à intervalles réguliers par une main sortie du ciel. (Victor 2006, 135 f.) Ein yanvalou ist, wie der Autor anmerkt, ein Vaudou-Tanz, und von diesem Moment an kann sich der - in seiner Reaktion zunächst ironisierte - Père Lefenec der Magie, Erotik und Schicksalsträchtigkeit der Vaudou-Welt nicht mehr entziehen. Auch der Stil des Autors transportiert hier die eingehende Rhythmik des Vaudou-tambour, die wie eine höhere Instanz erscheinende, die Sinne überwältigende Kraft und Regelmäßigkeit seiner Klänge (s. weiter zu diesem Roman u., 6.2). Ein magisches Weltverständnis und konkreter der quimbois sind in Martinique und Guadeloupe fest verwurzelt. Der quimbois unterscheidet sich aber vom Vaudou Haitis durch eine stärker synkretistische Natur - wir erkennen hier neben afrikanischen Wurzeln zugleich Spuren europäischer Magie des Nach-Mittelalters (z.B. Pluchon 1987, 49) - und durch seine geringere religiöse, stärker alltagspraktische Ausrichtung (die natürlich auch im Vaudou nicht fehlt). Auf den Kleinen <?page no="65"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 65 Antillen ist ein Zombi zudem anders als in Haiti schlicht ein Geist, ein Phantom (Pluchon 1987, 79). Haben die Missionare vergeblich versucht, den quimbois zu verdrängen, so bilden diese Praktiken ein Faszinosum für die europäische Öffentlichkeit. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts berichten Journalisten und Reisende verschiedentlich darüber und prägen derart eine Facette der Wahrnehmung der Antillen (Arnaud 1933, Brussey 1931). Ein Artikel in Le Miroir du Monde enthält genaue Beobachtungen, die die Kreolgesellschaft der 1930er Jahre dokumentieren und in abgeschwächter Form auch heute noch zutreffen: Les « zombis » - les esprits - survolent les Antilles. Pas un morne, pas une vallée, pas une demeure qu’ils ne visitent. Personne ne le nie et chacun s’en méfie. Ils veillent sur les infortunes, les maladies, les trésors enterrés, les entreprises des hommes, aussi persévérants dans leur haine que Pénélope dans son amour. (Arnaud 1933, 201) Hier wird nicht völlig ohne eurozentristisches Überlegenheitsgefühl, aber authentisch wiedergegeben, wie der quimbois Alltagsprobleme lösen soll, von denen Liebe und Eifersucht einen hohen Stellenwert besitzen. Die Berichterstatterin schildert die Tätigkeiten einer Guadelouper „sorcière“: Manm Fanfan, la sorcière de Pointe-à-Pitre, reçoit tous les jours, sauf le vendredi. La poudre de « ménin-vini » attire l’amour, au contraire de la poudre de « voyéaller » qui chasse les importuns. Manm Fanfan vend encore de la poudre des « quat vôleu » (quatre voleurs), de la poudre de soleil levant et de soleil couchant, et combien d’autres qu’elle fabrique avec du sang : du sang de poulette grise tuée à la tombée du jour avant qu’elle n‘ait pondu pour la première fois, du sang d’anolie, le lézard du pays, qu’elle capture dans le cimetière au clair de lune, et tout le sang qu’elle ne m’a pas avoué, et « d’leau-moûne-mô », l’eau qui servit à laver un mort, le plus puissant des charmes d’amour aux Antilles, et les filtres dont on ne parle pas, qui tuent sans preuve, parce qu’il entre dans leur composition du venin de trigonocéphale, le serpent de la Martinique. - Manm Fanfan, implore un vieillard, voisin-mouin amophasé en chien (mon voisin se métamorphose en chien). Et la sorcière lui apprend qu’il faut retourner sa veste pour s‘immuniser contre les entreprises des « zombis » à forme animale et humaine. (Arnaud 1933, 201) In der Literatur von Martinique und Guadeloupe gerade der letzten zwei Jahrzehnte erscheinen häufig Motive und Strukturen aus magischem Glauben und quimbois. Hinzu kommt, dass die kreolische Erzähl- und Märchenwelt voller Magie ist und gerade diese Formen der oraliture eine wichtige Inspirationsquelle für die neuere Literatur der Antillen geworden sind. Ein - amüsantes - Beispiel ist der von Patrick Chamoiseau in seinen ersten Roman Chronique des sept misères (1986) transportierte dorlis-Mythos; ein dorlis ist ein männlicher Geist, der die Fähigkeit besitzt, sich unbemerkt des Körpers einer Frau zu bemächtigen: Ce soir-là, Héloïse se coucha pour son dernier sommeil de vierge, car entre-temps le nègre Phosphore, ayant divulgué à son fils en chagrin la Méthode apprise d’une <?page no="66"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 66 tombe, en avait fait un dorlis. La manière d’opérer d’Anatole-Anatole reste encore inconnue. L’on se perd en conjectures pour savoir s’il pratiquait celle du crapaud caché sous le lit, celle de la fourmi qui passe par les serrures, ou celle des trois pas devant-trois pas derrière qui permet de traverser les murs. Toujours est-il que, le soir en question, il se retrouva dans la chambre d’Héloïse malgré les ouvertures barricadées. Applicant sa nouvelle science de dorlis, il la pénétra en son mitan sans la réveiller, et passa sur le corps endormi huit heures délicieuses. Ses grognements, ses pleurs, ses vibrations, ses petites morts sous le plaisir, se mêlaient aux légers ronflements de sa partenaire. Au pipiri, celle-ci se découvrit meurtrie comme un fruit tombé. A la vue des taches sanguinolentes de ses draps, percevant son ventre en attente d’une satisfaction que le sommeil avait bloquée, elle se sut souillée par l’homme de la mort, et passa la journée dans une bassine d’eau où trempait un chapelet. Le soir, elle enfila, comme il était dit pour se protéger des dorlis, une culotte noire à l’envers. Cela stoppa net Anatole-Anatole qui, de retour, s’apprêtait à pointer. (Chamoiseau 1986, 28 f.) 2.3.3 Ethnische Fremd- und Selbstwahrnehmung Immer wieder werden im Diskurs über die Kolonien Stimmen laut, die die Würde und Intelligenz der Menschen schwarzer Hautfarbe verteidigen, wie beispielsweise der Abbé Grégoire in seinem bereits erwähnten Traktat De la littérature des nègres ou Recherches sur leurs facultés intellectuelles, leurs qualités morales et leur littérature. Wenn in einem Artikel in L’Illustration von 1921 schwarze Parlamentsabgeordnete vorgestellt werden („Trois nègres siègent à la Chambre des députés français“, Lefranc 1924, 65), beeilt sich der Autor, in einer Fußnote zu versichern: Il est évident que nous n’attribuons au mot nègre aucun sens péjoratif ou méprisant, que ce mot n’a du reste ni dans notre langue, ni dans l’esprit des Français sensés. Au surplus, nous savons que les trois parlementaires de race noire dont nous parlons ici tiennent à honneur d’être nègres et que l’euphémisme « homme de couleur » leur paraît inutile et même assez peu franc. (Lefranc 1924, 65) Nun, dies haben schon andere Zitate aus den Medien der Kolonialzeit deutlich gemacht, ein auf der weißen Hautfarbe basierendes Überlegenheitsbewusstsein ist in dieser Zeit, anders als Lefranc suggeriert, eher die Regel; über einen dieser Abgeordneten - den Guadelouper Gratien Candace - schreibt ein anderer L’Illustration-Autor anlässlich des Auftritts dieses Politikers bei den Tricentenaire- Feiern (s.o., 2.2.5), er habe „l’épiderme assorti à celui de ses électeurs“ (Zamaco ï s 1936, 95). Aber die Bevölkerung der Antillen selbst beobachtet sehr genau ethnisch-physiologische Unterschiede, typisiert diese und verbindet sie mit sozialen Wertungen: eine hellere Hautfarbe gilt bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts als bessere Voraussetzung für sozialen Aufstieg. So, wie in den spanischen Kolonien sehr früh die verschiedenen Typen der ethnischen Vermischung geradezu katalogisiert worden sind, wird auch in der Frankokaribik gesellschaftliche Wirklichkeit essentialisiert. Folgendes Zitat ist einer kolonial-exotistisch geprägten Darstellung <?page no="67"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 67 entnommen, aber die darin vorkommenden Begriffe wurden lange und werden vereinzelt noch als Selbstbezeichnungen der Antillais verwendet. Soziales Selbstverständnis lässt sich also über lange Zeit nicht von der Hautfarbe trennen; diese Wahrnehmungskategorien haben sich in der Interaktion von Fremd- und Selbstsicht und der Übernahme der Fremdsicht als Selbstsicht entwickelt: Mais voici qu’avec le jour, les noirs sortent de leurs demeures. Les noirs, c’est trop dire. Toute la gamme des nuances, depuis le cirage jusqu’au café au lait clair, se lit sur le[s] visages des habitants. Câpres, nés d’une mulâtresse et d’un noir ; Griffes, nés d’une câpresse et d’un nègre ; Mestifs, nés d’une câpresse et d’un blanc ; Quarterons, nés d’une mestive et d’un blanc. (Reboux 1931, 52) Die sozial-wertende Haltung, die die Antillais traditionell oft selbst gegenüber der Hautfarbe einnehmen, kommt weiter in dem von Reboux‘ Auflistung nicht erwähnten Begriff nèg po-chapé zum Ausdruck: damit ist ein „nègre à la peau claire“ gemeint, jemand, der der schwarzen Farbe „entronnen“ (kreolisch „chapé“, von französisch „échapper“) ist (Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002, 91). Wichtig ist in diesem Zusammenhang allerdings die Feststellung, dass das Wort nèg zumindest im Kreolischen, oft auch im Antillenfranzösischen wertfrei gebracht wird; so gibt das haitikreolische Wörterbuch von Nougayrol & Vernet & Alexandre & Tourneux hier schlicht die Bedeutung „homme“ - ‚Mensch‘ - an (womit allerdings kein Weißer gemeint sein kann, 1976, 344). Die folgenden Bildbeispiele zeigen solche Kategorisierungen - „négresse“ und „mulâtresse“ -, die immer wieder auch in der Literatur auftauchen: (Postkarte, Samml. Ludwig) <?page no="68"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 68 (Le Monde Illustré 1864, Samml. Ludwig) Im obigen Zitat bleiben im Übrigen die Benennungen für die indische Gruppe ungenannt; wie schon beschrieben, sind die „zendyens“ die Abkömmlinge der indischen Migranten; couli oder couli malaba sind pejorative Begriffe. Literarisch werden diese Typenbezeichnungen ständig erwähnt, weil sie eben fester Teil des herkömmlichen antillanischen Alltagsverständnisses sind. Wie zentral das ethnische Erscheinungsbild für den Antillais ist und in welchem Maße diese Kategorisierungen von den Wahrnehmungsmaßstäben der Europäer geprägt sind, verdeutlicht die nach dem Modell einer Fabel geschriebene <?page no="69"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 69 Geschichte Chappée coulie des martinikanischen Autors Gilbert Gratiant (1996, 176-181): eine (in modernerer Schreibung) chapée coulie ist ein „Type de métis issu d’un Indien ou Indienne (hindous) et d’un Blanc ou d’un mulâtre ou d’un Noir“ (Gratiant 1996, 712; Telchid 1997 definiert kürzer „Métis(se) de nègre et d’indien“). Die Geschichte lässt zunächst eine négresse und eine indienne auftreten, die wechselseitig ihre phänotypischen Merkmale aufzeigen und um deren ästhetischen Wert streiten. Dieser Disput nimmt ein Ende, als eine junge chapé couli - in vieler Augen der schönste Frauentyp der Antillen, wie in der Gratiant-Ausgabe von 1996 angemerkt wird - auf den Plan tritt, weil beide Antagonistinnen von ihr in den Schatten gestellt werden (es wird nur die französische Version zitiert): J’ai entendu une bien étrange querelle Entre trois femmes des hauteurs de Basse Pointe. […] L’une, une négresse, poings aux hanches, Disait à l’autre femme devant elle, Une coulie tranquille comme de l’eau : «Tu n’es pas une femme, tu es une poupée. Tu as un beau nez fin bien droit, Mais dans les narines tu portes un anneau […] Tu marches comme une dame, Mais ton corps est maigre et débile. Y a-t-il même place dans ton ventre Pour un bel enfant ? […] » D’une voix faible et toute douce La femme coulie répondit simplement : « Ma négresse tu as bien raison. Tu es forte et belle comme un jeune bœuf, Ta peau est un satin brillant. […] Je sais que tu t’y connais à faire des enfants Et à leur donner à téter, deux à la fois. Mais je t’en prie, ma commère, je t’en prie, Il suffit de te regarder dans la glace Et de comparer les images qu’on voit dans le journal Des belles Parisiennes et des stars du cinéma, Et dis-moi alors, ma commère, dis-moi Qui donc ressemble davantage à ces femmes-là : Est-ce toi ou bien est-ce moi ? » […] Alors de derrière une touffe de bambous Une jeune femme sortit tout doucement, Une jeune fille à la peau de sapotille Le corps recouvert d’une grande robe vague toute rouge, Semblable à une belle branche de flamboyant. C’était la fille que Mademoiselle Montayani, Une femme coulie de l’habitation, Avait eue avec Monsieur Gasparin, Un vieux commandeur fort bouillant, Beau mulâtre blanc à grosse moustache. <?page no="70"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 70 Elle se contenta de regarder ces femmes Et puis elle rit tout doucement Pour faire comprendre à ces femmes-là Qu’elles n’avaient plus rien à faire que se taire Devant une belle chappée-coulie, Sculpturale, fine et la grâce même. Im Übrigen ordnen sich auch die Autoren selbst sozial-phänotypisch ein; Patrick Chamoiseau erscheint in seinen Kindheitserinnerungen als négrillon (2005), Raphaël Confiant als chabin (1993b). Ein chabin ist „un nègre à la peau claire aux cheveux crépus blonds“ (Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002, 89). Schon verschiedentlich sind die Begriffe „Kreol“, „Kreole“ und „Kreolisierung“ gefallen. Kreol als Sprache wird u. in 2.6 genauer behandelt; créolisation und créolité als gesellschaftliche Prozesse und Konzepte werden besonders in 4 und 7.2 genauer behandelt. An dieser Stelle sei die Entwicklung dieses Wortfeldes bereits aufgegriffen, um klären zu können, wer ein „Kreole“ ist. Gerade weil „créole“ auch zu einem gesellschaftstheoretischen Begriff geworden ist, fällt dies nicht leicht. Der gängigen Auffassung zufolge wäre der Begriff „kreolisch“ (crioulo, criollo, créole) vom Portugiesischen in das Spanische und von dort ins Französische gelangt. „Créole“ hat zunächst Ausschnitte der Wirklichkeit der Inselkolonien bezeichnet und ist im Anschluss zum Terminus für die Sprache der Bewohner geworden (Chaudenson 1992, 8). Eine jüngere Untersuchung kommt jedoch zu der Auffassung, dass die Entlehnungrichtung umgekehrt, also vom Spanischen in das Portugiesische, gewesen sein muss (Woll 1997). Im hispanophonen Amerika hat criollo oft die Bedeutung „in Amerika geborener Abkömmling der weißen, europäischen Siedler“, wobei dieses Verständnis aber eher historisch-gelehrt erscheint; im nicht-akademischen Sinn ist damit der „am (amerikanischen) Ort Geborene“, der wirkliche „Einheimische“ gemeint, wie das Adjektiv „criollo“ meist „authentisch einheimisch“ bedeutet: Used nominally, and applied in a historical context, the word can refer to ‘a person born in (Spanish) America but of European (esp. Spanish) ancestry’; less common are the historically older denotations ‘person of mixed Spanish and Negro descent born in (Spanish) America’ and ‘a black slave born in the home of his/ her master’. In vernacular (non-academic) Spanish, nominal criollo refers to ‘a person born or raised in a given place’: i.e. ‘a true local’ […] Used adjectively in combination with names of local people, animals, plants, etc., criollo denotes the indigenous, the truly local or national character of the person or thing mentioned. (Schwegler 2003, 49) Bezogen auf den amerikanischen Gebrauch von creole (créole, criollo, crioulo) insgesamt zeigt Charles Stewart (2007b) die zwei maßgeblichen Bedeutungskomponenten auf, die ebenso bei Schwegler anklingen: damit kann einerseits „in den Kolonien (bzw. am amerikanischen Ort) geboren“ gemeint sein, und andererseits „vermischt“; diese Verwendungen können kombiniert sein, müssen es aber nicht. Identitäts- und kolonialgeschichtlich interessant ist in diesem Zusammenhang die von Jorge Cañizares-Esguerra (2007) für die spanischen Kolonien getroffene Fest- <?page no="71"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 71 stellung, dass die spanischstämmigen criollo-Eliten hier das Argument ihrer Vermischung mit indianischem Fürsten-Blut zum Beleg ihrer Überlegenheit gegenüber den europäischen Spaniern für sich in Anspruch genommen haben. Nun stellt sich die Frage, ob in der Frankokaribik mit créole auch ein Antillais mit nicht- oder nicht ausschließlich europäischer Abstammung gemeint sein kann. Robert Chaudenson vertritt die Auffassung, dass créole hier bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts gleichermaßen in den Kolonien geborene Europäer und Schwarze bezeichnet; anschließend würde in Martinique und Guadeloupe unter dem Einfluss des europäisch-französischen Sprachgebrauchs die Bedeutung „in den Kolonien geborener Weißer“ Exklusivcharakter gewinnen, wohingegen in Haiti nach der Verdrängung der weißen Bevölkerung créole maximale Bedeutungsextension bekomme (Chaudenson 1992, 8-10; s. dazu Gallagher 2007, 226). Während die von Chaudenson für Haiti aufgewiesene Bedeutungsentwicklung unbestreitbar scheint, sind im Hinblick auf Martinique und Guadeloupe doch Nuancierungen angebracht. Gewiss findet man auf diesen Inseln häufig Gleichsetzungen von „créole“ mit „blanc créole“ bzw. - dieser Terminus bezeichnet zumeist den weißen Plantagenbesitzer von Martinique - „béké“ (Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid geben als Bedeutung von „béké“ „blanc créole“ an, 2002, 71). In vieler Augen ist beispielsweise Joséphine de Beauharnais, die aus Martinique stammende Frau Napoleons, der Inbegriff der „belle créole“, wie der Guadelouper Béké Poirié Saint-Aurèle in den Versen seines langen Gedichts „Joséphine“ wiederholt (1833, 113-124). Bekannt ist das Gedicht des Guadeloupers Octave Giraud - auch er gehört ja wie fast alle Autoren dieser Zeit zur Gruppe der weißen Besitzenden - aus seiner Gedichtsammlung Fleurs des Antilles von 1862; der Autor widmet diese Verse „La Rose“, einem kleinen Fluss, dessen Lauf nach dem Afrikaner und Inder auch die badende Kreolin trifft: Dans un bassin sombre et sauvage, Où percent des rayons furtifs, Elle rencontre un doux visage, Aux regards profonds et pensifs C’est la créole nonchalante, Dont l’eau caresse le beau sein ; Elle regarde, l’indolente, Ses pieds blancs au fond du bassin. […] (Giraud 1862, 45) Ebenso sind in den Romanen des 19. Jahrhunderts - wie etwa Yette. Histoire d’une jeune créole von Thérèse Bentzon (zuerst 1880/ 1977) oder Les créoles ou la vie aux Antilles von J. Levilloux (zuerst 1835/ 1977) - Kreolen in der Regel eindeutig auf den Antillen geborene Weiße. Betrachtet man allerdings die folgende Postkarten-Reproduktion, so gewinnt man den Eindruck, dass in der Weiterentwicklung der Gesellschaft zumindest métis bzw. hier métisse auch zu der Gruppe der Kreolen gerechnet werden können <?page no="72"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 72 (ebenso bildet Reboux 1931, 57 eine junge Mulattin ab und kommentiert „tout le charme des belles créoles“): (Postkarte, ohne Datum, Samml. Ludwig) Der (undatierte, aber eindeutig gegen 1903-1904 erschienene) Atlas colonial illustré von Larousse rechnet zumindest nach der Aufhebung der Sklaverei gleichermaßen Weiße, Schwarze und métis zu den créoles: Il y eut [en Guadeloupe] des unions fréquentes entre nègres et blancs et il en résulta des métis variés. Quand l’esclavage fut aboli aux Antilles, en 1848, on recourut à l’immigration hindoue pour compléter la main d’œuvre. Désormais, la population comprit les immigrants blancs, jaunes ou noirs et les créoles ou gens nés dans le pays (blancs ou hommes de couleur). En 1867, les créoles représentaient les neuf dixièmes de la population totale, avec près des deux tiers de métis, plus d’un quart de noirs et 8 pour 100 de blancs. (Atlas colonial illustré , o.J., 246) Auch in der literarischen Produktion des 19. Jahrhunderts finden sich Belege für ein aus früherer Zeit fortdauerndes oder wieder neu aufkommendes ethnisch weiter gefasstes Konzept von „créole“. In einem anonymen kurzen Dialog oder <?page no="73"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 73 Theaterstück aus dem Jahr 1842, in dem fast karikierend koloniale Vorurteile transportiert werden - der betrügerische, auf den Inseln geborene schwarze Sklave, die unerfahrene Französin aus Europa und die eingeweihte weiße Herrin - gibt der Sklave am Ende seinen Betrug zu, aber er nimmt eine antillanische Identität für sich in Anspruch (Anonym 1842, 99): LOUISE : On en a retrouvé les pots dans le petit jardin de Jean, avec quelques bouteilles vides. Pas vrai, Jean ? (Jean baisse la tête sans répondre.) Ah ! vous êtes ici depuis trop peu de temps, cousine, pour connaître encore cette race. LA JEUNE FEMME : Quoi, tous les nègres mentent et volent ainsi ? JEAN, d’un ton blessé : Moi voler et mentir, mais moi pas nègre. LA JEUNE FEMME, étonnée : Plaît-il ? DOROTHÉE, pleurant : Jamais personne avoir appelé nous nègres. JEAN, avec énergie : Nous noirs créoles ! In den populären Druckmedien um die Mitte des 20. Jahrhunderts findet sich der Begriff „créole“ für Mitglieder der karibischen Gesellschaft, die ihren Ursprung einem Kontaktprozess verdanken („Les jaunes, comme les noirs de la côte, se sont fondus dans l’ensemble créole“). Gleichzeitig zeigt sich hier, dass der asiatischen Migration in Französisch-Guayana - ganz im Stil des Kolonialdiskurses wird diese Gruppe als die „Gelben“ („jaunes“) bezeichnet - eine größere Bedeutung zukommt als in Martinique und Guadeloupe: (Réalités 101, Juni 1954, 45, Samml. Ludwig) <?page no="74"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 74 Für die in den französischen Kolonien im 19. Jahrhundert auftretende Definition von créole als auch auf Nicht-Weiße bezogenem Terminus spricht die antillanischkulturelle Bewusstwerdung, die die neuen Migrationsbewegungen des 19. Jahrhunderts auslösen. Schon zur Zeit der Sklaverei hatten die in den Kolonien geborenen Sklaven sich von den noch nicht akkulturierten, direkt aus Afrika eintreffenden Schwarzen - den bosal oder soubarou - abgesetzt. Bezeichnenderweise haben beide Wörter dann im Kreol die Bedeutung „sauvage, rustre, laid“ u.ä. angenommen (Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002, 80, 296), und in dieser Bedeutung ist bossale in das Antillenfranzösische eingegangen (Telchid 1997, 26). Das Eintreffen der Afrikaner im 19. Jahrhundert nach der Aufhebung der Sklaverei hat bei den von den Sklaven abstammenden Antillanern zu einer Art Alteritätsschock geführt, zu dem Eindruck, dass diese congos ein anderes Volk mit einer anderen Kultur repräsentierten, und damit ist das diasporische Bewusstsein weiter zurückgedrängt worden. Der Guadelouper Béké Octave Giraud fasst seinen Eindruck in Verse (1862, 134 f.): Un jour je vis flotter, en dehors de la passe Les voiles d’un navire ; il portait des Congos ! […] Les curieux en foule accourent au rivage ; Et chaque voix répand la nouvelle à grand bruit ; […] Parfois ils souriaient avec mélancolie… C’était un souvenir du rivage africain ! ... Et moi je regardais cette race avilie, Qui venait féconder le sol américain… Et je me dis : « Peut-être, à ces hordes sauvages, Dieu réserve un grand rôle en la suite des ans ! ... » Die Differenz zwischen martinikanischer und afrikanischer Kultur tritt noch deutlicher hervor, als sich der Roi Behanzin, König des Dahomey (dieses Reich deckt sich mit Teilen des heutigen Benin), 1894 nach erbittertem Widerstand gegen die französische Kolonialarmee geschlagen gibt und mit vier seiner Frauen nach Martinique in eine Art goldenen Exil-Käfig geschickt wird: <?page no="75"?> Artikulationen von Selbst- und Fremdverständnis 75 (In: L’Illustration 2664, 17. März 1894, Titelblatt, Samml. Ludwig) Während die erste Abbildung von Behanzin kurz nach der Gefangennahme noch in Afrika entstanden ist, zeigt ihn das folgende Foto im martinikanischen Exil: <?page no="76"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 76 (In: L’Illustration 3098, 12. Juli 1902, 30, Samml. Ludwig) Martinique blickt staunend auf diesen beeindruckenden Herrscher, dem man äußerste Härte und Grausamkeit im Kampf gegen die Franzosen nachsagt; z.B. war in L’Illustration bekannt geworden, dass er noch kurz vor seiner Kapitulation seine letzten Gefangenen geopfert hatte (L’Illustration 2664, 17. März 1894, 220). Auf Martinique lebt Behanzin kein verstecktes Dasein; sein Sohn Wanilo besucht die Schule, er selbst empfängt Besuche, bei denen er mit betonter Freundlichkeit seinen afrikanischen Habitus entfaltet, wie einer seiner Gäste berichtet (Saint- Maurice 1902b). Behanzins Kleidung bleibt afrikanisch, er trägt die Insignien seiner - verlorenen - Macht (eine Art gebogenes Zepter aus Elfenbein und Silber, das auch auf der Abbildung von 1902 zu erkennen ist) und spricht nur wenige Worte Französisch. Das Aufeinandertreffen afrikanischer und antillanisch-kreolischer Kultur, das sich in der Annäherung von Behanzin und einer schönen Martiniquaise personalisiert, hat der Regisseur Guy Deslauriers zum Zentrum seines Films L’exil du roi Behanzin von 1995 gemacht, zu dem Patrick Chamoiseau das Drehbuch verfasst hat. Die Wirkung des Behanzin-Mythos auf die Martinikaner lässt auch Raphaël Confiant in Case à Chine (2007, 240 ff.) anklingen. <?page no="77"?> Wahrnehmungen von Zeit und Weg 77 2.4 Wahrnehmungen von Zeit und Weg Ein besonderer, längst nicht ausreichend erfasster Aspekt des Zusammenhangs von antillanischem Alltagswissen und antillanischer Literatur ist das Verhältnis zum geographischen und zeitlichen Raum. Auf der einen Seite steht die eher mythisch erinnerte als historisch-chronologisch gelernte Frühzeit der Kolonisation und afrikanischen Deportation, verbunden mit der Überwindung enormer Distanzen, von denen die ersten Sklavengenerationen sicherlich kein Verständnis im heutigen geographischen Sinne hatten. Auch heute noch ist zumindest bei vielen Älteren das Verhältnis zur Vergangenheit wenig kalendarisch; als ein älterer Mann aus Capesterre in Guadeloupe überlegt, wann sein Vater gestorben ist, assoziiert er den Zeitpunkt des Todes mit einem bekannten Wirbelsturm, primär aber nicht mit einer Jahreszahl (s. die in Ludwig & Poullet & Bruneau-Ludwig 2006 dokumentierte Gesprächsaufnahme). Das Meer ist für Seeleute ein Verkehrs- und für die reichen blancs créoles, die békés, ein Handelsraum; für das Gros der antillanischen Bevölkerung ist es eine Begrenzung. In der traditionellen Kreolgesellschaft - vor der Zeit der von gestiegener Mobilität und stärkerer globaler Kommunikation bestimmten letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts - war das Meer nur für wenige eine Dimension der Mobilitätsentfaltung. Aus diesem Grund widmet etwa Raphaël Confiant der „pacotilleuse“ - der sich zwischen den Inseln bewegenden Händlerin, die „pacotilles“ anbietet, also Waren wie Kosmetikartikel, billigen Schmuck, Zigarren etc. - literarische Aufmerksamkeit (2005). Ebenso ist die Fortbewegung auf den Inseln besonderer Natur, wie die Schilderung des älteren Guadeloupers zeigt, der an die Fußmärsche entlang den traces zurückdenkt. Dabei musste er vor Sonnenaufgang aufbrechen, um nicht zu sehr unter der Hitze zu leiden: on a besoin d’aller à Trois-Rivières on allait le matin très tôt . à cinq heures toujours à cinq heures du matin on se réveillait hein . y a pas du soleil on ne on ne sert [sort] pas avec du soleil on allait à Trois-Rivières faire ses commissions et puis on on retournait . pas même dans la grande rue . par des p’tits traces y avait des p’tits des p’tits chemins ouais des p’tits chemins on appelle ça des des traces des p’tits traces de chiens (Ludwig & Poullet & Bruneau-Ludwig 2006, 159 f.) Dieses kreolische Verhältnis zu Raum und Zeit spielt in der Literatur eine erhebliche Rolle. Epische Romane wie Le quatrième siècle von Édouard Glissant (1964) oder Biblique des derniers gestes von Patrick Chamoiseau (2002) lassen sich bestimmt auch als eine Überwindung der raumzeitlichen Grenzen verstehen. In verschiedenen Werken von Glissant nehmen die Begriffe „trace“ und „errance“ - letzterer meint zunächst eine nicht-lineare Orientierung - einen wichtigen Platz ein; ebenso spricht er von der Nicht-Linearität der Zeit (vergl. z.B. 1990, 23 ff.; 1997, 79, 83, 111). Das nicht-lineare Verhältnis zu Zeit und Weg wird bei diesem Autor zur Chiffre für den Umgang mit Vergangenheit und Gegenwart (Glissant 2006, 157; zu Glissant und seinem Konzept des „Tout-monde” s. u., 4). <?page no="78"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 78 Die Struktur vieler Werke anderer Autoren, wie die „spirale“ des Haitianers Frankétienne (s.u., 6.1), kann in Zusammenhang mit dem kreolischen Verhältnis zu den genannten Dimensionen gebracht werden. 2.5 Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten In einer kolonial-exotistischen Sichtweise stellt sich, so wurde bereits gesagt, die karibische Natur als eine Art Idyll dar, welches als solches nicht vor dem Hintergrund einer antillanischen, sondern europäischen Alltagserfahrung wahrgenommen wird. Nur der Hintergrund des als rauher und disharmonischer empfundenen „alten Europas“ lässt die beschriebene Perspektive auf die Antillen entstehen. Der schon zitierte Guadelouper Dichter Octave Giraud gibt, als er sich in Paris aufhält, im Vorwort zu seinem Gedichtband Fleurs des Antilles (1862, 7 f.) an, sich vom „contraste frappant avec le ciel, le climat, les mœurs de la vieille Europe“ leiten zu lassen, in dem sich ihm die Natur der Antillen präsentiert: J’ai noté tour à tour toutes mes émotions, tous mes ravissements, à l’aspect de la majesté de l’Océan, en face des merveilles éblouissantes de la nature, étalées sous mes yeux, au sein des campagnes de la Guadeloupe, dans les vertes savanes qui se déploient sur la pente des mornes, dans les hautes montagnes hérissées de roches gigantesques, dans les forêts vierges empreintes d’une religieuse beauté, sur les bords des petites rivières capricieuses et limpides qui roulent en cascades et qui transportent dans leur cours des fleurs brillantes et des fruits embaumés. Als Gauguin Martinique bereist, malt er 1887 mit leuchtenden Farben die Végétation tropicale, Harmonien von Frauengestalten Aux mangos oder Au bord de l’étang (Reproduktionen in Chamoiseau & Confiant 1991, XXXII-XXXV ). Wenn man die literarische Entwicklung der Frankokaribik auch als einen Weg der Aneignung der eigenen Alltagswelt und Kultur versteht, so lässt sich sagen, dass die Auseinandersetzung mit der real gelebten und mitunter mythisch verstandenen Natur hier eine wachsende Rolle spielt. Giraud behandelt, ganz im Stile der europäischen Romantik, in seinem Gedicht „Un volcan aux Antilles“ (1862, 139-148) die Guadelouper „Soufrière“ unter dem Thema einer Bergwanderung; nur in zwei Zeilen assoziiert er die von diesem Vulkan möglicherweise ausgehenden Gefahren, um dann aber gleich wieder zur romantisch-idyllischen Sicht zurückzuschwenken (1862, 145): Tout à coup, sous mes pieds, tressaille le terrain… Je rève éruptions et tremblements de terre ! ... Mais le soleil décline à l’horizon des mers, Et change en tapis d’or son lit de flots amers […] In der Wirklichkeit der Antillen nehmen die von Giraud zurückgedrängten Seiten einen anderen Rang ein. Sowohl in den bildlichen Repräsentationen wie im dokumentarischen Schreiben wird Zeugnis über bedrohliche Elemente der Natur abgelegt. In der Erinnerung vieler Antillais besitzen Wirbelstürme, Erdbeben und Vulkanausbrüche einen zentralen Stellenwert. Schon im 18. Jahrhundert zeigt <?page no="79"?> Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 79 Moreau le Jeune in seiner Darstellung eines „ouragan“, dass der Mensch oft den Naturgewalten ausgeliefert ist und es in der Not keine Rassenunterschiede gibt; weder vor Weißen noch vor Schwarzen macht die Gefahr halt: (Stich einer Zeichnung von Moreau le Jeune, veröffentlicht als Titelblatt des 6. Bandes von: Guillaume- Thomas-François Raynal, Histoire philosophique et politique des Établissements et du Commerce des Européens dans les deux Indes, Genf 1780 [Jean-Léonard Pellet], Samml. Ludwig) Ein weißer Journalist berichtet, wie er den fürchterlichen Wirbelsturm vom 18. August 1891 über Martinique erlebt und überlebt hat: <?page no="80"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 80 Saint-Pierre, le 29 août 1891. Vous connaissez ma maison et vous devez vous douter du danger que j’ai couru. Elle est placée en face de la mer. Vingt fois j’ai cru la maison emportée. Le dernier étage a été enlevé avec ses lambris, et pour comble de malheur, un énorme cocotier que nous avions dans la cour est venu s’abattre sur la maison. Je ne crois pas que je passerai jamais une nuit plus horrible. J’étais avec mes deux nièces, mon neveu et deux bonnes. Tout ce monde était agenouillé dans l’eau qui envahissait la maison, poussant des cris de terreur, s’attendant à disparaître d'un moment à l’autre, se traînant à mes pieds dès que j’essayais de passer dans une pièce autre que celle où je me trouvais pour aller consolider une porte ou une fenêtre. Mais ce qu’on ne peut dire, c’est l'horreur, l’épouvante qu’on éprouve dans ces moments terribles ; c’est la violence de ces éléments déchaînés, ces mugissements formidables de la tempête qui glacent le sang des plus vaillants. Et ces scènes tragiques ont eu lieu partout, dans toutes les maisons. L’on doit se regarder comme heureux quand on sort vivant d’un semblable cataclysme. Je crois que les victimes s’élèveront au nombre de mille. Quant aux blessés, c’est par milliers qu’il faudra les compter. (Monet 1891, 57-58) Die Druckmedien beginnen im 19. Jahrhundert, Berichte über antillanische Naturkatastrophen wiederzugeben, wie etwa folgendes Récit des Erdbebens, das am 11. Januar 1839 Martinique heimgesucht hat; es ist wieder dem von Henri Monet 1891 herausgegebenen Buch mit Berichten über Naturkatastrophen auf dieser Insel entnommen. Die Verbreitung solcher Darstellungen trägt dazu bei, romantisierende Naturbeschreibungen zu relativieren und der Natur als Bedrohung einen markanteren Ort im kollektiven Gedächtnis zu schaffen: « Le temps était au beau. J’entends un bruit sourd, mais large, profond, étrange, à n’être pris pour aucun bruit connu. Une nuée d'immenses oiseaux l’aurait peutêtre produit avec leurs ailes. Parti du sud-est, ce bruit courait dans la direction opposée du compas en tourbillonnant. J’ai senti en même temps les premières secousses et vu sauter bientôt la toiture de la maison et les murailles se fendre avec fracas. J’ai voulu sortir, après avoir regardé ma montre, et j’ai trouvé les portes et les fenêtres engagées sous la pression des cintres. Je me suis ensuite remis sur mon lit, comme on est au roulis et au tangage d’une barque battue par la tempête. Pendant 30 à 35 secondes, l’île m’a semblé être dans un crible horriblement agité. Les secousses de la terre ont eu toutes les directions, oscillation, trépidation, trentecinq secondes ! Une éternité pour la terreur impatiente. Assez de temps pour détruire l’ouvrage des hommes pendant des siècles, pour amonceler plus de décombres qu’on ne pourrait en déblayer pendant une année entière. « Ah ! mon bon ami, quelle a été ma position pendant plus de douze heures. A quel prix, grand Dieu, m’avez-vous tenu quitte du deuil des miens et des angoisses sur ma propre conservation. Aux secousses que j’ai éprouvées, aux ruines dont je me suis vu entouré, je n’ai pu douter de la destinée de nos villes, de Saint-Pierre où ma famille, où mes enfants se trouvaient loin de moi. « Jugez de ce que j’ai dû subir de tortures d’esprit, quand je me suis vu au milieu des débris ensanglantés de Fort-Royal, sans moyen de communication immédiate avec Saint-Pierre, sans nouvelles de ma famille ! Ah ! pendant ces longues heures, je suis mort à moi seul de toutes les morts qui ont passé sous mes yeux ! Le soir <?page no="81"?> Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 81 enfin, j’ai pu savoir que je n’avais à regretter que le dégât de mes propriétés ! (Monet 1891, 273-274) Auch das Meer erweist sich oft nicht nur für den Seefahrer, sondern genauso für den Inselbewohner, der mit und vom Meer lebt, als feindliches Element. Folgende Abbildung zeigt eine stürmische See an einem Ort der Guadelouper Felsenküste, wo sie besonders unzugänglich ist, d.h. an der „Porte d‘Enfer“: (In: L’Ami de la Jeunesse et des Familles 1865, Samml. Ludwig) Wiederholt beruft die Literatur die Gefahren des Meeres, so Raphaël Confiant in seinem frühen Roman Eau de Café (1991) oder auch Gisèle Pineau in Fleur de barbarie (2005). In Pineaus Roman bleibt der Großvater der Protagonistin, der Fischer Selbonne Titus, auf See verschollen; die Großmutter Théodora verliert darüber zeitweise den Verstand und irrt ein Jahr lang ständig in der Vorstellung am Ufer umher, das Meer könne Knochen von Selbonne anschwemmen. Die größte Naturkatastrophe auf den französischen Antillen ist der Ausbruch der „Montagne Pelée“, des Vukans von Martinique, im Jahr 1902. Er trifft die ehedem blühende Hauptstadt der Insel, Saint-Pierre: <?page no="82"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 82 (Postkarte, datiert vom 15.12.1920, Samml. Ludwig) Immer wieder zelebriert die martinikanische Literatur die Hauptstadt Saint- Pierre als lebendigen Hafen, Ort der kulturellen Innovation, zudem der Bohème wie der Frivolität (Zeugnis letzterer Facette ist die 1892-1893 unter dem Initialienkürzel „F.G.H.“ erschienene erotische Erzählung Une nuit d’orgie à Saint- Pierre Martinique, neu ediert als Effe Géache 1992). Diese Stadt gilt als Wiege einer bekannten Musikrichtung der Antillen, der Biguine. Guy Deslauriers dreht 2004 auf der Grundlage eines Scénario von Patrick Chamoiseau einen Film, in dem fiktional die Erfindung dieser charakteristischen Musik nachempfunden wird, als im Saint-Pierre des ausgehenden 19. Jahrhunderts die einfachen kreolischafrikanischen Musikinstrumente und Rhythmen der Musiker vom Lande mit europäischen Einflüssen - insbesondere der Klarinette - zusammentreffen. Deslauriers zeigt in seinem Film auch das Ende von Saint-Pierre. Die Aktivität der Montagne Pelée Tage vor dem vernichtenden Ausbruch war von den meisten Bewohnern der Stadt nicht ernst genommen worden; am 8. Mai 1902 erschüttert gegen 8 Uhr morgens eine Explosion Saint-Pierre, die dann von einer immensen heißen Wolke zugedeckt wird, welche sogar die in der Bucht ankernden Schiffe erfasst: es sterben mehr als dreißigtausend Menschen. Die Druckmedien berichten diese Katastrophe (und geben mitunter noch höhere Opferzahlen an), zumal die Auswirkungen sogar die Nachbarinseln berühren: C’est à presque toutes les Petites Antilles que s’est étendue la catastrophe qui a commencé tragiquement par la destruction totale de Saint-Pierre et la mort de 40.000 personnes. Depuis lors les cablogrammes nous annoncent coup sur coup tremblements de terre, raz de marées, éruptions nouvelles, soit à la Martinique, soit à Saint-Vincent, soit à Sainte-Lucie, un peu partout […]. (Weindel 1902, 160) <?page no="83"?> Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 83 Dieses Desaster ist für Frankreich Gelegenheit, als koloniales Mutterland Solidarität zu demonstrieren und nicht ohne Pathos Hilfe zu entsenden: (Le Petit Journal, Supplément illustré, 1 er juin 1902, Samml. Ludwig) Der Schock sitzt tief, und zumindest für einen kurzen Zeitraum weichen die romantischen Eindrücke des Wanderers dem Blick auf die Zerstörung: <?page no="84"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 84 Il faut violenter la raison et l’imagination pour se persuader de la terrifiante réalité. Il y a vingt-cinq jours, cette ville vivait. Elle s’appelait Saint-Pierre ; c’était la reine de la Martinique, la perle de la mer des Caraïbes, la doyenne des cités coloniales françaises. […] Tout était couleur, sève et vie. L’horizon n’offrait à l’œil que des sites riants, un amphithéâtre de mamelons verdoyants. La cime dominante était baptisée Montagne Pelée, un peu par antiphrase sans doute, car de nombreux bouquets d’arbres s’accrochaient à ses flancs. […] On y voyait aussi un lac limpide entouré de palmistes et de lycopodiacées. […] Et voilà que soudain, sur cette cime aux fraîcheurs délicieuses, l’eau fait place au feu, le lac devient cratère. La montagne est un monstre rugissant qui bave des torrents de boue fumante, crache la cendre, le gaz et la flamme. D’une première éructation, le 5 mai, elle anéantit l’usine Guérin; trois jours après, le jeudi de l’Ascension, […] d’un souffle formidable elle culbute Saint-Pierre. Ce monstre maintenant a dépouillé son vêtement trompeur de mousse et verdure. Il est bien le mont Pelé, une tête hideuse, lépreuse, ignivome, ouvrant comme de formidables mâchoires ses crevasses et ses fumerolles, avides d’hécatombes […] Chemin faisant, je relève quelques détails bizarres. Ici devait être un débit de tabac… Les murs de pierre ? ... Escamotés ! … Évaporés ! ... Mais où, selon vraisemblance, était le comptoir, j’aperçois sur le sol, tout un lot de pipes en terre […] (Saint-Maurice 1902a, 466) „Ruines de la cathédrale et de la rue Victor Hugo“ (In: La Vie Illustrée 190, 6. Juni 1902, 161, Samml. Ludwig) Der exotistisch-harmonisierende Diskurs durchzieht trotz der jetzt einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewusstsein rückenden Naturkatastrophen in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts weiter das - auch literarische - Schreiben der <?page no="85"?> Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 85 Antillen. Dennoch setzt sich in der Literatur die Verarbeitung eines Verhältnisses zur Umwelt durch, in dem einerseits Reichtum und Schönheit der tropischen Umwelt, andererseits aber die Gefahren, Brüche und Ängste, die von ihr regelmäßig ausgehen, zum Tragen kommen. Die Katastrophe von 1902 - zweifelsohne ein traumatisch-markanter Ort im kollektiven Gedächtnis von Martinique - ist in verschiedenen Werken behandelt worden, z.B. von Patrick Chamoiseau (1992). Raphaël Confiant widmet der Nuée ardente 2002 einen Roman. Daniel Maximin macht den drohenden Ausbruch des Guadelouper Vulkans und die Evakuierung der Stadt Basse-Terre 1976 zum Thema seines Romans Soufrières (1987). Es wäre falsch, die „wirkliche“ antillanische Sicht der Natur in Opposition zum Exotismus als ausschließlich kontrovers und von Unruhe geprägt zu interpretieren. Nachdem Césaire in seinem Cahier d’un retour au pays natal (1983, erste Version 1939) die romantisierend-exotistische Sicht hinter sich lässt, kann die Literatur heute auch die affirmativen inneren Bindungen an die umgebende Welt ästhetisch realisieren, die zu den vitalen Quellen antillanischen Lebensgefühls zählen. Dabei ist eine positive Hinwendung zur Natur durch den individuellen Erfahrungs- und Empfindungshorizont des Autors gebrochen. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist die Darstellung der Natur und insbesondere von Fluss und Meer in Édouard Glissants Roman La Lézarde. So heißt es, an der Mündung der Lézarde in den Atlantik, an einem in der Romanfiktion tragischen Ort: Celui qui découvre la mer sait qu’il n’est plus un fleuve (l’âme qui coule sans retour : bondissant d’écueil en barrage, glissant sur la trame des jours, s’attardant aux beautés), mais une nappe, un plan immobile, une patience, le temps fini, l’espace éteint dans sa propre grandeur. Celui-là pesamment se couche près de l’eau, et s’il est triste c’est peut-être à cause des oiseaux dans le ciel, malfinis, cayalis, ailes muettes et lointaines. Ici meurt le fleuve, dans les boues et l’odeur fétide. Plus rien n’avance, sinon le sable qu’on voit au loin marcher dans le soleil. Ici, le temps patient vous guette, rien ne peut qu’il ne vous mène. Où ? Vers la mer sans achèvement. (Glissant 1958, 144) Als der haitianische Autor Émile Ollivier an den Ort seiner Kindheit, nach Haiti und Jacmel zurückkehrt, ist das Meer für ihn ein synästhetischer Ort der Erinnerung und der Gegenwart, ein Zugang und eine Verbindung zu verschiedenen Bereichen seiner Existenz: J’aime la mer. Elle dit ce que je ne sais pas toujours dire: le mouvant, le nomade. Voici plus d’un demi-siècle que je regarde des mers, des rivières, des sources, des fleuves, des lacs et des étangs. Jamais je n’aurais pensé que je serais resté attaché à la mer de mon enfance, mer infestée de méduses du côté du Lamentin, mer aux vagues saccagées par le tumulte éphémère des mouettes, écumes, orchidée de diamants dansant dans le bleu-vert des vagues ; jamais je n’aurais pensé traîner toute ma vie le souvenir des galets noirs et mouillés sur la grève, là où l’écume morte attend l’écume vivante. Je cherche encore des pierres plates capables <?page no="86"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 86 d’effectuer dix ricochets successifs. Ma ville rongée par la mer ! Je la connais rue par rue […] (Ollivier 1999, 77 f.) Vegetation und Wald können auch magisch-mythisch belebte Orte sein, die Schutz, Nahrung und erotische Erfüllung spenden. In Gary Victors Les cloches de La Brésilienne (2006) ist es der Gipfel eines besonderen Mahagoni-Baums, eines „mapou“, wo der katholische Priester und die junge Shibouna zusammenfinden: C’était la première fois que le prêtre voyait la jeune fille s’emporter de la sorte. Elle parut jouir un instant de sa surprise puis d’autorité elle le prit par la main pour l’emmener au sommet d’une petite colline coiffée du mapou le plus majestueux que le religieux eût vu depuis son arrivée en Haïti. L’arbre était massif. Son feuillage vert et touffu sous la réverbération de la clarté de la pleine lune avait des éclats métalliques. […] Le visage, le corps de Shibouna se firent tout d’abord flous avant de prendre une netteté presque incandescente. Le père Lefenec hurla quand il se sentit soulever dans les airs. Il se retrouva au sommet du mapou, allongé sur un feuillage doux, chaud et à peine humide. Il se dit qu’il rêvait. […] Shibouna l’enveloppa de son corps. Au sommet du mapou, l’orgasme du père Lefenec éclaira la nuit de la Brésilienne. (Victor 2006, 144 f.) Ein ganz besonderer Ort in der antillanischen Kultur ist der Fluss. Er ist der Ort der Wäsche, des Bades, der Kommunikation: <?page no="87"?> Wahrnehmungen der Natur und ihrer Gewalten 87 Haitianische Wäscherinnen am Fluss (In: Réalités 108, Jan. 1955, 37, Samml. Ludwig) In der mündlichen Tradition der Antillen kreisen viele Geschichten um die Magie des Flusses, um Geister, die in ihm wohnen, wie die „Manman Dlo“. In Sylviane Telchids kreolischer Erzählung „Ka i manjé pwa-la“ („Qui a mangé les pois? “) verschlingt ein junges Mädchen das vorbereitete Mittagessen der ganzen Familie - Reis und Bohnen -, als ihre Mutter zur Wäsche am Fluss ist. Der Fluss entlarvt dann diese jüngste von drei Schwestern als die Missetäterin, denn ihre Mutter zwingt alle drei nacheinander, hier am Ufer einen magischen Vers zu sprechen. Die Jüngste hatte erst alles abgestritten, aber die „rivyè“ schwillt an und droht, die Lügnerin fortzureißen (Telchid 1985, 117-126). In der ebenfalls von Sylviane Telchid verfassten Kurzgeschichte „Montdésir“ trägt Manman Dlo die Geliebte von Ptit Georges auf den Boden des Flusses hinab, um dort mit ihr zu leben (Telchid 1994). Auch in schriftsprachlicher geprägten Texten erscheint der Fluss als Ort des Geheimnisses wie des Vergnügens. Ein schönes literarisches Porträt des Bades im Fluss und in der „cascade“ gibt Audrey Pulvart in L’enfant-bois (2004, 113 f.): Debout sur la large roche plate en haut du saut, Jean-Guy peut presque voir son cœur, lui aussi prêt à jaillir. Il est arrivé le premier, comme toujours. Il ne lui reste <?page no="88"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 88 qu’à prendre son envol pour se jeter entre les cuisses voluptueuses du bassin élargi : Bef douvan bwè dlo clèèèè ! Djoubouff ! Jean-Guy est déjà en bas, il a disparu dans l’eau puis réapparu juste en dessous de la cascade. Salutaire fraîcheur. Il nage vers le rebord avant de se laisser calmement dériver sur le dos, le regard loin. Là-haut, Soleil et Ciel ont repris leurs droits. La forêt-pluie et son maelström vert bouteille ont mis un genou en terre. Arrêtés net dans leur progression envahissante. Obligés de faire allégeance à la force décuplée de la Rivière, qui se laisse maintenant délicieusement aller dans son réceptacle, avant de continuer sa route, apaisée. Jean-Guy se met à rêver. Quelques lianes poussent encore le toupet à dérouler leurs bras maigres le long des parois du saut. Comme des guirlandes qu’on aurait oublié de ranger. Des filles perdues de la Rivière coulent tout leur long, fluides filets de féerie interrompue. Der Autorin gelingt es, durch variierende syntaktische Konstruktionen und Lautfolgen die Kontraste zwischen dem ruhigen Fluss des Wassers, der Atmosphäre des Regenwaldes und dem lustvollen Sprung des Jungen stilistisch umzusetzen . 2.6 Sprachkontakte - Mündlichkeit und Schriftlichkeit Die frankokaribische Gesellschaft der Kolonialzeit hat zunächst einmal deutlich zwei Gruppen oder Milieus ausgebildet: die besitzende Oberschicht der blancs créoles einerseits und die ärmeren Nachfahren der schwarzafrikanischen Sklaven und verschiedener ehemaliger engagés auf der anderen Seite. Allerdings sind im 19. Jahrhundert und besonders im Laufe des 20. Jahrhunderts Übergangszonen und Grenzverschiebungen entstanden. So hat sich in Haiti nach der schwarzen Revolution eine neue urbane, auch reiche Elite formiert. Herkömmlicherweise gehört die Beherrschung der französischen Sprache zum kulturellen Kapital (im Sinne von Bourdieu 1979) der führenden Gruppen sowohl von Haiti wie der Kleinen Antillen und von Französisch Guyana, während die breite Masse der Franko-Antillaner sich jener Sprache bedient, die in der Plantagengesellschaft entstanden ist und deren oraler Reichtum mehr und mehr Verfechter findet: gemeint ist das Kreol. Das Kreol muss am Ende des 17. Jahrhunderts als Kommunikationsmedium etabliert gewesen sein (s. z.B. Bollée 2007, 164 ff.); von seiner Existenz zeugt recht eindeutig der Père Labat. Offensichtlich handelt es sich bei dem Idiom, das er erwähnt und notiert, nicht um ein Pidgin, d.h. eine wenig systematisierte Mischsprache. Vielmehr hat dieser unter den Sklaven verbreitete „baragouin“ - wie nicht nur er etwas geringschätzig sagt - schon eine feste Form: J’avois une extrême envie d’interroger nos Négres sur quantité de choses que je voyois, & dont je souhaittois d’être instruit ; mais il fallut me priver de ce plaisir, parce que c’étoient des Négres nouveaux qui ne parloient qu’un langage corrompu, que je n’entendois presque point, auquel cependant on est bien-tôt accoûtumé. (Labat 1742, I, 98) <?page no="89"?> Sprachkontakte - Mündlichkeit und Schriftlichkeit 89 Je m’avisai de demander au Négre qui me conduisoit, s’il y avoit des serpens dans le chemin ; il me répondit, aussi-tôt, en son baragoüin : Tenir mouche. (Labat 1742, I, 103 f.) Le Négre qu’on m’avoit donné étoit créolle, il avoit déja servi d’autres Cures, il connoissoit le quartier où j’allois, il parloit François, d’ailleurs j’étois déja accoûtumé au baragoüin ordinaire des Négres. (Labat 1742, I, 135) Mit „tenir mouche“ transkribiert Labat schätzungsweise „tini mouché“, was ein typischer kreolischer Satz ist (der so viel wie „Il y en a, Monsieur“ bedeutet). Das Kreol von Haiti, Martinique, Guadeloupe und Französisch Guayana leitet mehr als achtzig Prozent seines Vokabulars aus dem Französischen ab, wobei die grammatischen Endungen entfallen sind. Typisch für die Lautung des Kreols ist etwa der Wandel von französisch / y/ zu / i/ und / œ/ zu / è/ : so wird aus „la lune“ kreolisch „lalin“ und aus „malheur“ „malè“. Die Grammatik des Kreolischen ist hingegen nicht ohne weiteres oder zumindest nicht vollständig aus dem Französischen abzuleiten; ein typisches grammatisches Merkmal ist der hohe Stellenwert von Aspektunterscheidungen (wie „perfektiv-imperfektiv“) im Verbalbereich. Man nimmt hier - dies ist jedoch nach wie vor eine offene Debatte - Einflüsse afrikanischer Sprachen oder auch kognitiver Universalien an (s. dazu Ludwig 2003). Jedenfalls sind sich die genannten frankokaribischen Kreolsprachen im Hinblick auf eine Reihe von Merkmalen (wozu neben Tempus und Aspekt ferner die Satzstellung, das Fehlen agglutinierter Morpheme usw. zählen) sehr ähnlich, und sie weisen eine typisch mündliche Prägung auf (Ludwig 1989, 1996). Das Verhältnis von Kreolisch und Französisch in der Karibik hat man oft als „diglossisch“ bezeichnet, obwohl diese Bewertung in mancher Hinsicht zu korrigieren und zu präzisieren ist (vergl. o., 1.2., sowie genauer Ludwig & Poullet & Bruneau-Ludwig 2006). Die auf Charles Ferguson (1959) zurückgehende Unterscheidung des Gebrauchs einer „high variety“ und einer „low variety“ in einer Gesellschaft meint bekanntlich, dass der „hohen“ Sprache oder Sprachvarietät die offizielleren, schriftsprachlicheren Funktionen vorbehalten sind - Literatur, Kirche, Politik usw. -, während der „low variety“ die Domäne des Informell-Mündlichen belassen bleibt, wozu die Folklore gehören kann (s. zu dieser Diskussion in jüngerer Zeit Fishman 2002). Weiter dürfen die aktuellen Unterschiede zwischen den französischen Départements d’Outre-Mer Martinique, Guadeloupe und Guyane française einerseits und Haiti andererseits nicht vergessen werden. In Haiti sprechen heute nach wie vor achtzig bis neunzig Prozent der Bevölkerung nur Kreol, d.h., sie partizipieren kaum am öffentlichen Geschehen, in dem das Französische dominiert. In den D.O.M. erfasst die Zweisprachigkeit Kreolisch- Französisch nahezu die ganze Bevölkerung, wobei es allerdings Kompetenzunterschiede gibt, sei es, dass das Schriftfranzösische nicht vollständig beherrscht wird, sei es, dass die Kreolkompetenz zurückgeht. Das Schema der Zweisprachigkeit wird zudem durch die Existenz eines Antillenfranzösischen gebrochen, das vom Kreolischen beeinflusst ist (s. dazu Ludwig & Poullet & Bruneau- Ludwig 2006). Eine Probe dieses Antillenfranzösischen liefert der Guadelouper <?page no="90"?> Gekreuzte Perspektiven: kulturelle und identitäre Wege der antillanischen Gesellschaft 90 Autor Germain William in seiner kleinen Erzählung Aurélien a paré le saut (1980), wobei er hier die Form rekonstruiert, die dieses Regionalfranzösische - das „francole“ mit dem Begriff des Autors - in den 1930er Jahren gehabt haben muss: Aurélien Frangipane était un brave bougre, pas mauvais pour un sou, qui n’écrasait pas une mouche et qui jamais n’aurait pas dit le mot, même s’il avait marché dedans. Le papa et la maman d’Aurélien, qui étaient mariés-mission, avaient fait huit enfants dont auquel Aurélien était le dernier, ce que l’on criait la crasse du boyau. (William 1980, 4) Trotzdem kann man sagen, dass die herkömmliche Gesellschaft der Antillen wesentlich von der Koexistenz und Konkurrenz von französischer Schriftkultur und oraler Kreolkultur bestimmt wird (s. dazu auch Fleischmann 1986). Mitunter bewerten die Kreolsprecher die Mündlichkeit und damit ihre Sprache selber als „niedere Varietät“ (denn das Kreolische kennt ja traditionell nur mündliche Verwendung); dies kommt etwa in den folgenden kreolischen Sprichwörtern zum Ausdruck: Pawol an bouch pa chaj : „Les mots n’ont pas de poids dans la bouche”, ‘Ce sont des promesses sans lendemain’. Pawòl sé van : „Les mots sont du vent”, ‘Les paroles s’envolent’. Auf der anderen Seite ist die kreolische Oralkultur - wie auch Hector Poullet und Sylviane Telchid in ihren kurzen „Éléments d’une poétique de la langue créole“ (1994) betonen - unabdingbarer Bestandteil der antillanischen Lebenswelt, und andere Sprichwörter akzentuieren gerade den besonderen Wert des gesprochenen Wortes: Pawòl a-w sé ta-w : „Tes paroles sont à toi”, ‘On est responsable de ce qu’on dit’. (Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002, 452). Gerade in einer Zeit, in der Medieneinfluss wie andere soziale Transformationsprozesse der Moderne Bereiche dieser traditionellen Oralität bedroht erscheinen lassen, rückt ihre gesellschaftliche Bedeutung mehr und mehr ins Bewusstsein. In der Tat werden immer weniger veillées mortuaires abgehalten. In der herkömmlichen antillanischen Gesellschaft war eine Totenwache gleichzeitig ein Anlass, diesen Abschied festlich, begleitet von Geschichten, zu begehen; dies war die privilegierte Gelegenheit zur Inszenierung der oraliture (s. dazu auch Ramassamy 2002). Dazu gehört, dass der Erzähler mit einem Auditorium regelrecht interagiert; so unterbricht er die Geschichte, um sein Publikum in Wortspiele einzubinden: wenn er seinem Publikum beispielsweise ein kri entgegenruft, muss dieses mit kra antworten. Das gemeinsame Erzählvergnügen steht im Vordergrund. Der conteur kann sogar eine parole pas claire haben, d.h. es an den üblichen Regeln von semantischer Kontinuität und Konsistenz fehlen lassen; dies tut seinen Qualitäten als Erzähler aber überhaupt keinen Abbruch. Eine sehr sorgfältige, authentisch transkribierte Sammlung solcher Geschichten aus Martinique und Guadeloupe haben Joëlle Laurent und Ina Césaire 1976 herausgegeben. Die wichtigsten Typen sind die contes sorciers und die contes ani- <?page no="91"?> Sprachkontakte - Mündlichkeit und Schriftlichkeit 91 maux; zu letzterer Gruppe gehört auch die Geschichte des „Brigadier Clak-Clac et Brigadier Von-Von“ (Laurent & Césaire 1976, 142 f.): Kri! - Kra ! - Mesie ze dam, te ni - m-m- ki te ni - fi, Mesie ze dam, ti fi-a te b l t lm-, i te b lb l ! E kri ! - E kra ! Mesie ze dam, pu ti fi-a te rive pu i f - twal t, i te ka mete dlo labl-ni p-d- üi ju, pu i te f twalet-li ! Kri ! - E kra ! Cric ! - Crac ! Messieurs et dames, il était une fois une mère qui avait une fille. Messieurs et dames cette jeune fille était si belle qu’elle était bébelle ! Et cric ! - Et crac ! Messieurs et dames pour que cette jeune fille puisse faire sa toilette, elle mettait de l’eau à ablanir pendant huit jours ! Cric ! - Crac ! Viele dieser Geschichten verbinden verschiedene Zonen der Frankokaribik. Der „Compère Lapin“, die bekannteste und über die ganze Frankokaribik (und darüber hinaus) verbreitete Fabelgestalt, geht auf ein afrikanisches Vorbild zurück. Während er aber in der afrikanischen Erzählwelt als einhellig positive Figur erscheint, erwirbt er in der Plantagengesellschaft auch Züge von egoistischer List und Verschlagenheit, sodass man in ihm die Inkarnation des Sklaven sehen kann, der den Nöten und Zwängen der Kolonialgesellschaft entrinnt (Confiant 1995, 8). Die Formen der oraliture haben das Schreiben bedeutender frankoantillanischer Autoren beeinflusst, wie des Martinikaners Édouard Glissant oder des Haitianers Frankétienne. Überhaupt lässt sich die Geschichte der Literatur der Karibik auch als eine zunehmende Emanzipation der Mündlichkeit von der (französisch-europäischen) Schriftlichkeit bzw. als eine kulturelle Bewusstwerdung und Aufwertung der Mündlichkeit, als eine wachsende Relativierung des schriftkulturellen Erbes und eine Synthetisierung dieser kulturell-ästhetischen Welten verstehen. <?page no="93"?> 3 Etappen 3.1 Das 19. Jahrhundert: Europäische Dominanz im kulturell-ästhetischen Selbstverständnis 3.1.1 Haiti Am 1. Januar 1804 wird aus Saint-Domingue Haiti: zwei Jahre nach der Festnahme des legendären Aufständischen-Führers Toussaint Louverture kann Dessalines die Unabhängigkeit erklären (s.o., 2.2.3). Kulturell aber hat Haiti auch hundert Jahre später noch nicht zu einem Selbstbewusstsein gefunden: als Vorbild gilt die französische Gesellschaft. Autoren wie Oswald Durand oder Chanlatte (mit vollständigem Namen Juste Chanlatte Comte de Rosiers) imitieren stilistisch die großen französischen Autoren des 19. Jahrhunderts, selbst wenn sie thematisch Haiti und seine Geschichte aufgreifen und O. Durand mit Choucoune 1883 ein wichtiges Gedicht in kreolischer Sprache verfasst (zu Choucoune und der ambivalenten Bewertung von O. Durand s. Fleischmann 1987). Das politische Selbstwertgefühl, der Stolz auf den Freiheitskampf kommen ebenso wie die tiefe Bindung an die französische Schriftkultur im Gedicht „Aux Haïtiens“ von Pierre Faubert zum Ausdruck (1859, 143): Frères, nous avons brisé le joug infâme Qui, trop longtemps, courba nos fronts ; Jaunes et noirs, brûlant d’une héroïque flamme Nous avons vengé nos affronts ; Et le Dieu juste et fort couronnant notre audace, Noir ou jaune, à l’égal du blanc, A pu se dire enfin : « j’ai créé pour ma race « Une patrie avec mon sang. » […] Im selben Werke-Band widmet Faubert dem haitianischen Unabhängigkeitskämpfer Ogé ein „drame historique“, dem er bezeichnenderweise ein langes Zitat von Lamartine voranstellt; in der Tat hatte der französische Romantiker das Andenken und die historische Bedeutung von Ogé gewürdigt (Faubert 1856, 32-36). Auch der schon erwähnte erste haitianische Roman - Stella von Émeric Bergeaud (1859) - erzählt die Geschichte der Aufstände und Kriege, die schließlich zur Unabhängigkeit Haitis geführt haben; Léon-François Hoffmann bezeichnet ihn als „little more than a detailed and occasionally fictionalized account of Haitian history from the 1791 revolt to the 1804 declaration of independence“ <?page no="94"?> Etappen 94 (1994, 366). Die Helden des Unabhängigkeitskampfes erscheinen im Roman als „Romulus“ und „Rémus“. Zu Beginn lässt der „Colon“ ihre Mutter „Marie l’Africaine“ totpeitschen (1856, 17); der Autor gibt selbst an, dass seine Gestalten „êtres collectifs“ bzw. - die Mutter - eine „idéalité“ seien (1856, VI). Die Brüder fliehen darauf aus der Habitation und bauen Widerstand auf; sie treffen dabei auf ein junges, mittelloses weißes Mädchen, das angibt, aus Paris zu stammen und vom Colon nach Saint-Domingue gebracht worden zu sein (1859, 46 ff.). Sie wird den Brüdern zur Gefährtin und moralischen Führerin, auch in der unseligen Zwischenzeit, wo sich die beiden verfeinden. Erst beim triumphalen Sieg offenbart Stella ihre wahre Identität; sie ist der Freiheits-Engel: Tout ce qui existe en ce moment est mon ouvrage. Je suis la Liberté, étoile des nations ! Chaque fois que vous lèverez les yeux au ciel, vous me verrez. Comme l’astre immobile qui guide le marin sur les immenses plaines de l’Océan, je vous guiderai dans les champs sans limites de l’avenir (Bergeaud 1859, 308) Insbesondere die Schlussrede von Stella, der auch das letzte Zitat entnommen ist, transportiert das Erbe der französischen Aufklärung; nicht umsonst ist die Gefährtin von Romulus und Rémus eine weiße Französin. Die Aufklärung prägt maßgeblich die haitianische Literatur des 19. Jahrhunderts, und die Bedeutung, die man auf der Suche nach nationaler Identität der Buch- und insbesondere literarischen Schriftkultur beimisst, wird durch diesen Hintergrund verstärkt (s. Fleischmann 1994, 322 f.). Mitunter finden sich literarische Annäherungen an die populäre haitianische Kreolkultur, wenngleich unter mehr oder weniger folkloristischem Vorzeichen. Ignace Nau wendet sich in seinen Gedichten wohl kurz dem Vaterland zu („Dessalines“, „Au génie de la patrie“), aber die meisten Gedichte dieses vermutlich 1839 verstorbenen Autors thematisieren doch Gefühlswelt und Natur (Nau 2000a). Ihm ist jedoch ebenfalls das sehr dialogisch geschriebene „récit“ mit dem Titel Isalina ou une scène créole zu verdanken, dessen Handlung im Milieu der Arbeiter einer habitation angesiedelt ist, in dem auch „tafia“ und Vaudou ihren Platz haben (Nau 2000b). Aber auch wenn vereinzelt Kreolisch in den Text einfließt (2000b, 60), so bleibt die literarische Sprache ganz den heute künstlich anmutenden, schriftlich geprägten Stilidealen des 19. Jahrhunderts verhaftet; dies zeigen die Worte, die Isalina nach der Erlösung aus dem bösen Zauber für ihren wahren Geliebten findet: Quel chant ! lui dit-Isalina d’une voix faible ; il y a longtemps, n’est-ce pas, ô Paul, que nous n’avons passé de si doux moments ensemble. Hélas ! Je ne sais après tout quel méchant esprit me portait malgré moi à sourire aux paroles d’un scélérat. (Nau 2000b, 65) Bisweilen äußert sich aber die Geringschätzung der populären Tradition Haitis wie der afrikanischen Kultur (oder dessen, was man dafür hält) so vehement wie bei dem in Guadeloupe geborenen Adoptiv-Haitianer und Historiker Joseph Saint-Rémy, der das Verbot des Vaudou-Kultes billigt und es begrüßt <?page no="95"?> Das 19. Jahrhundert: Europäische Dominanz im kulturell-ästhetischen Selbstverständnis 95 de voir reculer à mesure que la civilisation pénètre la campagne, ces danses indigènes dont le charme consiste dans de naïves mais souvent dans d’impudiques gymnastiques (nach Corzani 1978, III, 152). Dieses Werte-Paradigma ändert sich auch nicht wesentlich mit den Dichtern, die sich kurz vor der Jahrhundertwende um die Zeitschrift La Ronde gruppieren und für etwa zwanzig Jahre tonangebend sind, darunter Justin Lhérisson, der in einem seiner Gedichte von dem „wilden Afrika” (“l’Afrique sauvage”) spricht (Laroche 1987a, 46), und Etzer Vilaire, für dessen pompösen Stil hier einige Zeilen aus seinem Gedicht Plus haut stehen mögen: Tais-toi, mon cœur, sois humble ! Et toi, front orgueilleux, Incline-toi ! ... La gloire est l’éclair dans les cieux. Et rien de ce qui luit ne s’arrête en l’espace. La gloire est un oiseau mystérieux qui passe [...] (nach Kesteloot 1981, 43). 3.1.2 Die verbleibenden französischen Kolonien in der Karibik Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guayana haben eine andere politische Entwicklung genommen als Haiti: sie sind noch im 20. Jahrhundert französische Kolonien, bis sie 1946 jeweils den département d’outre-mer-Status erhalten (s.o., 2.2.5). Ihre literarische Situation bis in die zwanziger Jahre hinein weist allerdings viele Parallelen zu der Haitis vor der amerikanischen Besetzung auf. Die Literatur des 19. Jahrhunderts stammt im Wesentlichen aus der Feder mehr oder weniger schöngeistiger békés. Oft rechtfertigen sie in kaum verschleierter Weise die Machtverhältnisse der Plantagen-Gesellschaft; o. (in 2.1.1, 2.3.3) wurde schon der Guadelouper blanc créole Poirié Saint-Aurèle mit seinem Band Cyprès et palmistes (1833) erwähnt, in dem er in einem hymnischen Gedicht Joséphine de Beauharnais feiert, der man nachsagt, ihrem Einfluss sei die Wiedereinführung der Sklaverei durch Napoleon maßgeblich zuzuschreiben. Im selben Werk liefert er mit seiner langen „poésie historique“ mit dem Titel Mussambé eine Begründung für die Verdrängung der Kariben. Der martinikanische béké E. Lemerle wendet in seinem Gedicht Les Antilles zunächst den bekannten verklärenden Blick zu, der auch die Schwere der Naturkatastrophen idyllisierend in den Hintergrund spielt (1865, 32): Douces Antilles, chères îles, Votre nom réveille en mon cœur Le souvenir des jours tranquilles Qui chez vous firent mon bonheur, Comme aussi des jours de tempêtes Qui parfois troublèrent nos fêtes Et sont une ombre en votre ciel. <?page no="96"?> Etappen 96 Anschließend verurteilt er zwar die Sklaverei, die er als „criminel attentat“ wertet (1865, 34), aber er bedauert doch sehr den damit entstandenen Mangel an Arbeitskräften und die Anwerbung chinesischer Arbeiter, wie er für die freigelassenen Sklaven wenig Hochachtung verspürt (Lemerle 1865, 33): Puis le noir, au travail rebelle, Ne juge la liberté belle Que comme prélude au repos. Par son nombre, cette peuplade Peu sympathique à nos progrès, Ouvre à l’élément rétrograde De tristes chances de succès. Allerdings stimmen nicht alle Autoren in diese mouvance eine. Eine Ausnahme bildet etwa Octave Giraud, der in seinem Victor Hugo gewidmeten Gedicht Le vieux nègre (1862, 65 ff.) die Leiden des Sklaven thematisiert und die Aufhebung der Sklaverei wirklich begrüßt. Charakteristisch ist für diese Literatur - auch für die poetischen Naturimpressionen von Octave Giraud -, dass immer ein diasporisches Selbstverständnis bewahrt wird: Paris bleibt das kulturelle und politische Gravitationszentrum, und der schreibende béké trägt literarisch das Bewusstsein seiner peripheren Situation zur Schau; die geographische Distanz wird ästhetisch durch den strikten Respekt der französischen Stilprinzipien des 19. Jahrhunderts aufgewogen. Dies kommt besonders deutlich in dem Vorwort zum Ausdruck, das Louis de Maynard de Queilhe seinem zweibändigen Roman Outre-Mer voranstellt (1835). Er affirmiert hier seine europäisch-französischen Ursprünge („le Quercy et le vieux Limousin auxquels nous appartenons“, 1835, vol. 1, I), um sich fast im selben Atemzug als „Français d’Amérique“ zu verstehen. Und wenn er sich dann auch semantisch der Welt der Habitation-Gesellschaft und der Fiktion des dramatisch endenden Mulatten Marius annimmt, so vergisst er sprachlichstilistisch nicht die Prinzipien französischer Schriftlichkeit: Je crois inutile de me justifier de n’avoir pas employé le patois des nègres. On me saura gré au contraire de ne pas avoir troublé la belle limpidité du langage français de tous ces mots barbares, qui y seraient tombés comme autant de pierres. (Maynard de Queilhe, 1835, vol.1, IV f.) Am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert gesellen sich einige hommes de couleur zu den schreibenden bekés, deren Perspektive allerdings gleichwohl vom ererbten Pariser Kulturkanon bestimmt ist. Diese mitunter als „doudouistes“ bezeichneten Autoren, wie die Martinikaner Victor Duquesnay und Daniel Thaly oder der Guadelouper Oruno Lara, eifern den herkömmlichen poetischen Modellen Frankreichs nach und wenden ihrem Land den harmoniesuchenden Blick zu, der an und für sich dem Fremden und seiner Vorstellung des Exotischen gehört; hier wird ein diasporisches Bewusstsein mitunter geradezu künstlich gestiftet. Als Beispiel seien einige Verse aus D. Thalys Gedichtband Lucioles et cantharides zitiert, der 1900 erschienen ist: <?page no="97"?> Der haitianische Indigenismus als politisch-literarische Gegenreaktion 97 Je sais loin de l’hiver dans l’île des étés Sous le ciel caraïbe aux teintes infinies Des coins miraculeux de sites enchantés Où l’âme sait goûter de calmes harmonies (Thaly, nach Corzani 1978, II, 59) 3.2 Der haitianische Indigenismus als politisch-literarische Gegenreaktion 1915 ereignet sich ein folgenreicher Einschnitt in der politischen Geschichte von Haiti: die Armee der Vereinigten Staaten besetzt das Land. Diese Okkupation dauert bis 1934 (vergl. o., 2.2.3). Im Klima des politischen Widerstands gegen die Besatzer kommt es zu einer Rückbesinnung auf die haitianische Volkskultur und zu einer Umkehrung des literarischen Paradigmas. Das zentrale, manifestartige Werk dieser Erneuerung - des „Indigenismus” - ist der Essayband Ainsi parla l’oncle von Jean Price-Mars (1928). Dieser haitianische Arzt und Intellektuelle geißelt die negative Einstellung seiner Landsleute zu ihrer eigenen Tradition; hierfür prägt er den Begriff des bovarysme culturel: [...] au fur et à mesure que nous nous efforcions de nous croire des Français «colorés», nous désapprenions à être des Haïtiens tout court, c’est-à-dire des hommes nés en des conditions historiques déterminées ayant ramassé dans leurs âmes, comme tous les autres groupements humains un complexe psychologique qui donne à la communauté haïtienne sa physionomie propre spécifique. Dès lors, tout ce qui est authentiquement indigène - langage, mœurs, sentiments, croyances - devient-il suspect, entaché de mauvais goût aux yeux des élites éprises de la nostalgie de la patrie perdue. À plus forte raison, le mot nègre, jadis terme générique, acquiert-il un sens péjoratif. Quant à celui d’«Africains», il a toujours été, il est l’apostrophe la plus humiliante qui puisse être adressée à un Haïtien. À la rigueur, l’homme le plus distingué aimerait mieux qu’on lui trouve quelque ressemblance avec un Esquimau, un Samoyède ou un Toungouze plutôt que de lui rappeler son ascendance guinéenne ou soudanaise. (Price-Mars, nach Laroche 1987a, 106 f.) Der Indigenismus - zu dieser Gruppe zählen neben J. Price-Mars etwa Charles Fernand Pressoir, Carl Brouard, Jacques Roumain und später René Depestre - kann sich auf zwei Wurzeln stützen. Die erste ist die Bewegung der nordamerikanischen Schwarzen. Deren zentrale Vorbereiter sind William E. B. Du Bois und Markus Garvey. Du Bois streitet für die Rehabilitation von Selbstbewusstsein und Schönheit des schwarzen Menschen; der gebürtige Jamaikaner Garvey predigt passiven Widerstand gegen die Unterdrückung des Schwarzen, und er fordert ihre Rückkehr nach Afrika. Dieser emanzipatorische Aufschrei kulminiert in der negro renaissance der 1920er Jahre, zu deren führenden Köpfen Langston Hughes, Claude Mac Kay und Countee Cullen gehören. C. Mac Kay - er ist ebenfalls Jamaikaner - veröffentlicht 1929 seinen Roman Banjo, in dem er die Aufwertung des afrikanischen Erbes dem <?page no="98"?> Etappen 98 europäischen Rassismus und Kapitalismus entgegensetzt (s. z.B. Corzani 1978, III, 123 ff.). Die zweite Quelle des haitianischen Indigenismus liegt in Haiti selbst. Bereits vor 1915 finden sich Werke, die die spätere Antithese vorbereiten, z.B. die von Georges Sylvain verfasste kreolische Version der Fabeln von La Fontaine (1901). „On peut voir en Sylvain le héraut de l’ère suivante de la littérature haïtienne”, so G. Hazaël-Massieux (1992, 24). Der haitianische Indigenismus führt zu dem ersten frankokaribischen Roman, der Weltruhm erlangt hat: die Gouverneurs de la rosée von Jacques Roumain. Er erscheint 1946, kurz nach dem Tod des Autors, der 1927 zusammen mit J. Price- Mars die Revue indigène herausgegeben und 1934 die haitianische kommunistische Partei gegründet hatte. Als Sozialrevolutionär präsentiert sich auch der Held seines Romans, dessen Handlung denkbar klar und einsträngig aufgebaut ist: Manuel, der Jahre auf den Zuckerrohrplantagen in Kuba gearbeitet und dort Erfahrungen mit dem organisierten Widerstand der Arbeiter gesammelt hatte, kehrt nach Haiti in das Dorf seiner Kindheit zurück. Die Abholzung der Berge hat das Wasser versiegen lassen, und ein Konflikt zwischen zwei Clans hindert die hungernden Bewohner, nach einer Lösung zu suchen; lähmend wirkt zudem die Abhängigkeit von Vaudou-Kult und korrupter Ordnungsmacht. Manuel geht dennoch vom ersten Tag an eine Liebesbeziehung zu Annaïse ein, die der verfeindeten Seite angehört. Gemeinsam überwinden sie die Spannungen, und Manuel - aller Skepsis zum Trotz - findet eine Quelle; doch nachts wird er von Gervilen, einem eifersüchtigen Cousin von Annaïse, tödlich verletzt. Mit letzter Kraft beschwört er die ihm Nahestehenden, die wahre Ursache seines Todes geheimzuhalten, um das Werk der Versöhnung nicht zu gefährden. Der Roman endet mit dem Gesang des coumbite: in der wiedergefundenen Gemeinschaftsarbeit leiten die Dorfbewohner das Wasser der von Manuel entdeckten Quelle auf die Felder, und Annaïse offenbart Manuels Mutter, dass sie schwanger ist. Wie die Handlungsstruktur ist die Symbolik zum Gutteil einfach verständlich: das Wasser ist ein Fruchtbarkeitssymbol, und seine Beherrschung im coumbite bedeutet gleichzeitig die neu gewonnene materielle wie geistig-kulturelle Selbstbestimmung. Fließt das Wasser, so kann - wie B. Ormerod (1985, 20 f.) dargelegt hat - die herbe de Guinée wieder wachsen (Gouverneurs de la rosée, 14), d.h. die Haitianer finden zu den aus Afrika stammenden Werten ihrer Kultur zurück, die freilich von falschem Aberglauben gereinigt sind. Hinter dem Titel verbirgt sich das kreolische soukélawouzé (Chamoiseau & Confiant 1991, 146) oder gouvèné rouzé (Ormerod 1985, 32), was zunächst „Herren der Bewässerung” bedeutet. Mit seiner Titelwahl suggeriert Roumain, dass die erfolgreichen Einwohner des Dorfes quasi die Stelle einnehmen, die früher der Repräsentant der Kolonialmacht, der Gouverneur hatte, und dass sie damit nicht nur über das Wasser verfügen, sondern über den Tau, der eigentlich der höheren Gewalt der Elemente untersteht. Die Sprache des Romans oszilliert zwischen schriftfranzösischem Stil und Wendungen, die dem Kreol entlehnt sind, wie folgender Passus - der heimgekehrte Manuel umarmt hier seine Eltern - zeigen mag: <?page no="99"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 99 Elle eut un élan vers lui, mais ses bras retombèrent le long de son corps, et elle chancela, la tête renversée. Il la serrait contre lui. Les yeux fermés, elle appuyait son visage contre sa poitrine et, d’une voix plus faible qu’un souffle, elle murmurait: - Pitite mouin, ay pitite mouin. Entre ses paupières fanées, les pleurs coulaient. Elle s’abandonnait de toute sa lassitude d’interminables années d’attente, sans force pour la joie comme pour l’amertume. De surprise, Bienaimé avait laissé tomber sa pipe. Il la ramassa et l’essuya soigneusement contre sa vareuse. - Baille-moi la main, garçon, dit-il. Tu es resté longtemps en chemin ; ta maman a beaucoup prié pour toi. (Roumain 1946, 32) Die kursiv gesetzte Äußerung der Mutter ist direkt aus dem Kreol transkribiert; ebenso stehen hinter den Begrüßungsworten des Vaters kreolische Wendungen. Die aus der Sicht des Autors verfassten Abschnitte sind hingegen mit den darin enthaltenen adverbialen Konstruktionen (wie „De surprise“) dem traditionellen Schriftfranzösisch zuzurechnen. Auch in allgemeinerer Hinsicht ist dieser Roman gespalten, zwischen dem Bedürfnis, sich dem authentischen Landleben anzunähern und es als Eigenwert zu begreifen, und dem Anspruch, die hergebrachten Gewohnheiten literarisch umzudeuten und real zu verändern. Selbst wenn es diese Spaltung nicht überwindet, behält Roumains Werk nicht nur literarhistorischen, sondern außerdem wesentlichen ästhetischen Wert. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass seine Symbolik - die zentralen Motive des Wassers und der Erde - offen für Assoziationen mit anderen, christlichen oder sogar amerindianischen Mythen ist und die Protagonisten trotz ihres programmatischen Charakters dem Leser als Menschen, die mit existenziellen Situationen ringen, nahegebracht werden. 3.3 Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 3.3.1 Das Diskussionsfeld der Légitime Défense Gegen das herrschende literarische Epigonentum im Stile eines D. Thaly wie gegen die damit einhergehende Weltsicht formuliert eine Gruppe martinikanischer Studenten 1932 in Paris einen ebenso heftigen wie pointierten Protest. Étienne Léro, René Ménil, Jules Marcel Monnerot und einige Gleichgesinnte veröffentlichen die erste und einzige Ausgabe der Zeitschrift Légitime Défense. Sie schöpfen ihre Ideen bei C. Mac Kay und L. Hughes, im Surrealismus und in der Psychoanalyse; vor allem aber bekennen sie sich zum internationalen Kommunismus, wie sie in der Einleitung darlegen (1932, 1 f.). É. Léro zieht in seinem Beitrag eine vernichtende Bilanz der antillanischen Literatur: <?page no="100"?> Etappen 100 Il est profondément inexact de parler d’une poésie antillaise. Le gros de la population des Antilles ne lit pas, n’écrit pas et ne parle pas le français. [...] (Et s’il fallait chercher la poésie là où on la contraint à se réfugier, c’est dans le créole qu’il faudrait puiser qui n’est point un langage écrit, c’est dans les chants d’amour, de tristesse et de révolte des travailleurs noirs.) (Léro 1932, 10) Er beschuldigt den Antillaner, der weißen Wertewelt hörig zu sein: L’antillais, bourré à craquer de morale blanche, de culture blanche, d’éducation blanche, de préjugés blancs, étale dans ses plaquettes l’image boursouflée de luimême. D’être un bon décalque d’homme pâle lui tient lieu de raison sociale aussi bien que de raison poétique. (Léro 1932, 10) Einige Dichter inkarnieren in den Augen der Gruppe diese Selbstverleugnung: Une indigestion d’esprit français et d’humanités classiques nous a valu ces bavards et l’eau sédative de leur poésie, ces poètes de caricature dont je ne vous citerai que quelques noms: Vieux et Moravia en Haïti, Lara en Guadeloupe, Salavina, Duquesnay, Thaly, Marcel Achard en Martinique. (Léro 1932, 11) In den nächsten Zeilen wird auch ein jüngerer martinikanischer Dichter Opfer von Léros Polemik, ein Autor, der sich später in der kommunistischen Partei engagieren und eine Zeit lang Aimé Césaire begleiten wird: Gilbert Gratiant. Sein erstes bekanntes Gedicht in kreolischer Sprache von 1935 mag zeigen, dass ihm die Légitime Défense nicht wirklich gerecht wird, wenngleich Gratiant hier über dem politischen Engagement deutlich die lyrische Form vernachlässigt (1990, 8 f.; auch in Senghor 1948, 44-47; s. weiter die moderne kreolische Transkription in der Werkausgabe 1996, 604): Joseph, lévé Joseph mi an chapeau monsieur fini pöté: I ké fai-ou philosophe loss ou descen-n dan bouk. -„Mèci madan-m ! ” Joseph mi ti l’agent pace ou travaill’ ba moin. (Ou a viré ren-n-li dans boutique l’Usine-la, -„Mèci maitt-moin ! ” Joseph ni l’élection dimanche pou député Tafia-moin bon, mi an bel goude; nègg pa ingrat... -„Mèci mussieu ! ” Joseph cé an laquêtt’ man ka fait pou la Viège. Debout, Joseph Joseph, voici un chapeau que Monsieur ne porte plus Il te rendra faraud quand tu descendras au bourg -„Merci, Madame ! ” Joseph, voici quelques sous pour le travail que tu m’as fait. (Tu viendras le rendre à la boutique de l’usine). -„Merci, mon Maître ! ” Joseph, il y a une élection dimanche pour un député. Mon tafia est bon; voici une belle gourde; les nègres ne sont pas ingrats -„Merci, Monsieur ! ” Joseph, c’est une quête que je fais pour la Vierge. <?page no="101"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 101 l’enfè. -„Mèci mon Pè ! ” Joseph ! Joseph ! Qui temps ou ké lévé ? La charité ça bon pou chien ! Joseph ! Joseph ! Pa sé ni pièce champ-can-n, Pa sé ni pièce chateau, Pa sé ni pièce l’auto, Pa sé ni pièce Mussieu, Pa sé ni pièce Madan’m, Pa sé ni pièce mon Pè, Si pa té ni Joseph ! sauverai de l’Enfer. -„Merci, mon Père ! ” Joseph, Joseph ! Quand te révolteras-tu ? La charité n’est bonne que pour les chiens ! Joseph ! Joseph ! Il n’y aurait pas de champs de cannes, Il n’y aurait pas de château, ll n’y aurait pas d’auto, Il n’y aurait pas de „Monsieur”, Il n’y aurait pas de „Madame”, Il n’y aurait pas de „Mon Père”, S’il n’y avait pas Joseph ! 3.3.2 Die Konstitution der Négritude Aber es gelingt weder der Gruppe der Légitime Défense - „Schulaufgaben”, devoirs d’école nennt Sartre (1948, XXVI) die Gedichte von É. Léro - noch den Autoren, die jetzt - wie z.B. in Guadeloupe Gilbert de Chambertrand - zunehmend kreolische Texte verfassen, dem sich manifestierenden Bedürfnis nach einer eigenen, typisch nicht-europäischen Identität ein katalysierendes Konzept und im selben Zug eine poetisch neue, gewichtige Form zu verleihen. Dieses bleibt der Verdienst des Martinikaners Aimé Césaire und der Négritude, die Césaire zusammen mit dem Senegalesen Léopold Sédar Senghor und dem Guayanesen Léon-Gontran Damas begründet (zum Zusammenhang von Légitime Défense und Négritude cf. auch Lewis 2006). Diese Bewegung erhält ihre Impulse aus der amerikanischen negro renaissance, dem haitianischen Indigenismus und den Schriften des deutschen Ethnologen Leo Frobenius, dessen Histoire de la civilisation africaine 1936 in französischer Sprache bei Gallimard erscheint. Césaire berichtet in den mit Françoise Vergès geführten Gesprächen über dieses Zusammentreffen mit den Vordenkern der schwarzen Emanzipation in Paris, während der Studienjahre am Lycée Louis-le- Grand, wo die Freundschaft und der intensive Austausch mit Léopold Sédar Senghor ihren Anfang nehmen: J’ai ainsi rencontré plusieurs écrivains nègres américains, Langston Hugues ou Claude McKay. Les nègres américains ont été pour nous une révélation. Il ne suffisait pas de lire Homère, Virgile, Corneille, Racine, etc. Ce qui comptait le plus pour nous, c’était de rencontrer une autre civilisation moderne, les Noirs et leur fierté, leur conscience d’appartenir à une culture. (Césaire 2005, 25 f.) Besondere Erwähnung verdient hier weiter der Roman Batouala des aus einer guayanesischen Familie stammenden Martinikaners René Maran. Dieses etwa von den Protagonisten der späteren Négritude als Vorläufer verstandene Werk - mit dem signifikanten Untertitel „Véritable roman nègre“ - stellt eine Art fiktio- Montre que tu es bon chrétien, je te Montré ou bon chrétien, man ké tiré-ou <?page no="102"?> Etappen 102 nale Kritik des Kolonialismus und nicht zuletzt Rehabilitation der afrikanischen Völker dar; 1921 wurde es mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet. Im Vorwort erklärt Maran, der als Beamter im Kolonialministerium arbeitet, den Ort der Handlung, nämlich Oubangui-Chari, d.h. eine der vier Kolonien von Französisch-Äquatorialafrika (1921/ 2001, 14). Die Kolonisatoren klagt er bereits an dieser Stelle an: Car, la large vie coloniale, si l’on pouvait savoir de quelle quotidienne bassesse elle est faite, on en parlerait moins, on n’en parlerait plus. Elle avilit peu à peu. Rares sont, même parmi les fonctionnaires, les coloniaux qui cultivent leur esprit. (Maran 1921/ 2001, 13) Batouala ist ein mächtiges Stammesoberhaupt, Bewahrer überkommener Bräuche und erfolgreicher Jäger-Kämpfer (1921/ 2001, 30, 20, 59). Als solcher ist er ein herber Kritiker der weißen Kolonialherrscher, die sich im Land breit gemacht haben: Je ne me lasserai jamais de dire, proférait […] Batouala, je ne me lasserai jamais de dire la méchanceté des « boundjous » [der Europäer - R.L.]. Jusqu’à mon dernier souffle, je leur reprocherai leur cruauté, leur duplicité, leur rapacité. (Maran 1921/ 2001, 97). Batouala hatte Yassigui’ndja zur Frau genommen, als diese beinahe noch ein Kind war. Nach einigen Jahren allerdings macht ihr der junge, von vielen begehrte Bissibi’ngui Avancen, denen sie - allen grausamen Strafen, die der ehebrüchigen Frau drohen, zum Trotz - schließlich nachgibt. Die sprachliche Form dieses Romans steht einerseits in der Tradition des französischen Naturalismus. Maran ist ein genauer Beobachter afrikanischer Stammesbräuche, und er beschreibt sie in einer verhältnismäßig schmucklosen, nüchternen Sprache. Auf der anderen Seite können wir in ihm einen Erben der antillanischen und afrikanischen Oralkultur ausmachen, die sich an einer Präferenz direkter oder indirekter Rede erkennen lässt, derer sich der Erzählerautor bedient, um sich an den Leser zu wenden oder sie seinen Protagonisten in den Mund zu legen. Dazu gehört eine fast musikalische Rhythmik des Stils, die durch kurze Satzstrukturen, junkturlose Verknüpfungen und Reihungen parallel konstruierter Syntagmen zum Ausdruck kommt. Dies mag ein Zitat aus der Agonie von Batouala am Ende des Werks zeigen: Une fois de plus, dans son délire, il dit tout ce qu’il avait à reprocher aux blancs, - mensonge, cruauté, manque de logique, hypocrisie. Il ajouta, en son marmonnement perpétuel, qu’il n’y avait ni bandas ni mandjias, ni blancs ni nègres ; - qu’il n’y avait que des hommes - et que tous les hommes étaient frères. Une courte pause, et il reprit son soliloque incohérent. Il ne fallait ni battre son voisin, ni voler. Guerre et sauvagerie étaient tout un. Or ne voilà-t-il pas qu’on forçait les nègres à participer à la sauvagerie des blancs, à aller se faire tuer pour eux, en des palabres lointaines ! Et ceux qui protestaient, on leur passait la corde au cou, on les chicottait, on les jetait en prison ! Marche, sale nègre ! Marche, et crève ! ... (Maran 1921/ 2001, 187-188). <?page no="103"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 103 Die eigentliche Négritude formiert sich wenige Jahre später. Was die Légitime Défense anbelangt, so steht Césaire ihr eher reserviert gegenüber. Dennoch wird er zweifelsohne von demselben emanzipatorischen Zeitgeist getragen, der sich charakteristischerweise in der intellektuellen Diaspora entwickelt (vergl. z.B. Corzani 1978, III oder knapper Delas 1991, 12 ff.). Das geistige Klima des Paris der 1920er und 1930er Jahre ermöglicht es den Vätern der Négritude, die realen historischen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Afrika, den Vereinigten Staaten und den Antillen zu vergessen und den im Französischen negativ konnotierten Begriff nègre zum Zentrum einer literatur- und kulturübergreifenden Theorie zu machen: C’est le nègre qu’il fallait chercher en nous. Nous [Césaire et Senghor - R.L.] nous sommes intéressés aux littératures indigènes, aux contes populaires. Notre doctrine, notre idée secrète, c’était: « Nègre je suis et Nègre je resterai. » Il y avait dans cette idée l’idée d’une spécificité africaine, d’une spécificité noire. (Césaire 2005, 27 f.) Auch jüngere Autoren, die heute nach anderen literarischen Wegen suchen und die allzu starke Paradigmenbildung durch die Négritude kritisieren, wie sie bis in die 1970er Jahre hinein anhält, sind sich der wesentlichen Leistung Césaires und seiner Bewegung bewusst. P. Chamoiseau bemerkt: Les auteurs de la Négritude ont lutté contre l’exploitation de l’homme par l’homme, d’où l’adhésion à toutes les thèses marxisantes. Et ils ont lutté pour une revalorisation de tout ce qui était noir, nègre et africain. C’était l’Afrique qu’on chantait, une sorte d’Afrique mythique, merveilleuse, la mère originaire vers laquelle il fallait se tourner, vers laquelle il fallait absolument revenir. Et c’est cela qui, d’une certaine manière, a fait bouger beaucoup de choses dans la société antillaise. Cela a d’abord permis de retrouver une réalité plus vraie, de se rapprocher de ce que nous étions, de débloquer en nous-mêmes une sorte de névrose, une sorte de couvercle qui nous aliénait parce qu’en fait, à l’époque, on se pensait blanc. [...] Mais le problème qui surgit rapidement, c’est le phénomène de généralisation de la Négritude, c’est-à-dire qu’au monde blanc dominateur qui veut que les blancs soient les plus beaux, les plus forts, les plus civilisés, la Négritude substitue un monde noir qui contrecarre ce discours en affirmant que les noirs sont aussi beaux, aussi forts etc. Ce discours a été absolument salutaire pour tous les noirs du monde, ou plutôt, pour tous ceux qui l’ont entendu, parce qu’il faut bien voir que tout le monde n’a pas eu accès à la Négritude. Mais ceux qui l’ont perçu ont été transportés et transformés par ce discours un peu agressif. La Négritude est toujours opérationnelle dans bien des domaines de l’imaginaire antillais. Beaucoup de gens ont encore des difficultés avec l’Afrique, la peau noire, avec ce qui est nègre. (Chamoiseau, in Chamoiseau & Confiant 1992, 8 f.) 3.3.3 Das Cahier d’un retour au pays natal 1939 veröffentlicht Césaire die erste Version seines zentralen Werkes: das Cahier d’un retour au pays natal. Bis zur definitiven Ausgabe von 1956 erweitert er dann sein langes, von traditionellen Regeln der Metrik freies Gedicht noch verschie- <?page no="104"?> Etappen 104 dentlich, nicht zuletzt unter dem Einfluss des Zusammentreffens mit André Breton 1941; ansonsten heißen seine poetischen Vorbilder Baudelaire, Rimbaud, Lautréamont, weiter auch Mallarmé, Péguy und Claudel (Delas 1991, 24, 31). Der erste Teil des Cahier ist von einer pessimistischen, ja apokalyptischen Grundstimmung beherrscht, in der Césaire die Augen auf die wirklichen Lebensbedingungen des antillanischen Schwarzen, auf die face cachée du décor (Lüsebrink 1992, 4) richtet: Au bout du petit matin bourgeonnant d’anses frêles les Antilles qui ont faim, les Antilles grêlées de petite vérole, les Antilles dynamitées d’alcool, échouées dans la boue de cette baie, dans la poussière de cette ville sinistrement échouées. (Cahier, 8) Au bout du petit matin, le morne au sabot inquiet et docile - son sang impaludé met en déroute le soleil de ses pouls surchauffés. (Cahier, 10) Au bout du petit matin, le morne famélique et nul ne sait mieux que ce morne bâtard pourquoi le suicidé s’est étouffé avec complicité de son hypoglosse en retournant sa langue pour l’avaler [...] (Cahier, 11). Die Bewusstwerdung des schwarzen Selbst hat die Erkenntnis der Radikalität der aktuellen Misere und geschichtlichen Entwürdigung zur unbedingten Voraussetzung. André Breton nennt dies den „Sieg des Schattens“: Le pays natal, oui, comment en particulier résister à l’appel de cette île, comment ne pas succomber à ses ciels, à son ondoiement de sirène, à son parler tout de cajolerie? Mais aussitôt l’ombre gagne: il n’est que de se mettre à la place de Césaire pour comprendre à quels assauts cette nostalgie peut être en butte. Derrière ce ramage il y a la misère du peuple colonial, son exploitation éhontée par une poignée de parasites qui défient jusqu’aux lois du pays dont ils relèvent et n’éprouvent aucun trouble à en être le déshonneur, il y a la résignation de ce peuple qui géographiquement a contre lui d’être de loin en loin un semis sur la mer. Derrière cela encore, à peu de générations de distance il y a l’esclavage et ici la plaie se rouvre […] (Breton 1943, 106) Die Opposition von Césaires Sicht der Natur (morne famélique, morne bâtard) zu Epigonen wie Thaly könnte nicht stärker sein; aber auch der Kontrast seiner Krankheits- und Todesbilder zu der eingangs zitierten harmonischen Todesvision von Saint-John Perse ist deutlich. Der Bruch mit den europäischen Klischees bei der Annäherung an die eigene Befindlichkeit führt Césaire dahin, die europäischcartesianische Ratio und poetisch die traditionellen Metaphern zu verwerfen. Diese Sprache von Césaire ist es, die Breton zuerst in dem Artikel „Un grand poète noir“ von 1943, in dem er die erste Bekanntschaft mit Césaire berichtet, und dann in seinem Vorwort zur Cahier-Ausgabe von 1947 belle comme l’oxygène naissant nennt (Cahier, 87): Des mots ? Ah oui, des mots ! Raison, je te sacre vent du soir. Bouche de l’ordre ton nom ? <?page no="105"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 105 Il m’est corolle du fouet. Beauté je t’appelle pétition de la pierre. Mais ah ! la rauque contrebande de mon rire Ah ! mon trésor de salpêtre ! Parce que nous vous haïssons vous et votre raison, nous nous réclamons de la démence précoce de la folie flambante du cannibalisme tenace (Cahier, 27) nous chantons les fleurs vénéneuses éclatant dans des prairies furibondes ; les ciels d’amour coupés d’embolie ; les matins épileptiques ; le blanc embrasement des sables abyssaux, les descentes d’épaves dans les nuits foudroyées d’odeurs fauves. (Cahier, 31) Die bis zur Apokalypse getriebene Erkenntnis der eigenen Bedingtheit: Nous vomissure de négrier Nous vénerie des Calebars (Cahier, 39, vergl. zur apokalyptischen Vision 32), läutet das Ende der alten, schlechten Négritude ein: Je dis hurrah ! La vieille négritude progressivement se cadavérise (Cahier, 60). Die Dominanz der weißen Kultur schwindet: Écoutez le monde blanc horriblement las de son effort immense ses articulations rebelles craquer sous les étoiles dures (Cahier, 48). Nicht Hass gibt der Autor als Motivation für das an, was Sartre in Orphée noir, seinem bekannten Einleitungsbeitrag zur Anthologie de la nouvelle poésie nègre et malgache de langue française von Césaires Freund Senghor, als „racisme antiraciste” bezeichnet hat (1948, XIV; s. dazu Césaire 2005, 28), sondern ein universelles Verlangen: vous savez que ce n’est point par haine des autres races que je m’exige bêcheur de cette unique race que ce que je veux c’est pour la faim universelle pour la soif universelle (Cahier, 50). Als neuer, stolzer schwarzer Mensch kann Césaire endlich von sich selbst Besitz ergreifen: <?page no="106"?> Etappen 106 mes danses de mauvais nègre à moi mes danses la danse brise-carcan la danse saute-prison la danse il-est-beau-et-bon-et-légitime-d’être-nègre A moi mes danses et saute le soleil sur la raquette de mes mains ( Cahier , 63 f.). 3.3.4 Weitere Werke und Wirkung der Négritude Von den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts an konstituiert sich die Négritude - langsam - als breitere Bewegung. Zu dem größer werdenden Korpus literarischer Texte - in erster Linie handelt es sich um Gedichte - kommen theoretische Schriften. Zwischen 1941 und 1945 gibt Césaire in Martinique die Zeitschrift Tropiques heraus (vergl. die Faksimile-Reproduktion 1978); sein wichtigster Mitarbeiter ist neben seiner Frau Suzanne einer der führenden Köpfe der Légitime Défense, inzwischen wie Césaire selbst Lehrer am Lycée Schœlcher in Fort-de-France: René Ménil. Die Tropiques, die darin veröffentlichten Gedichte von Césaire und theoretischen Schriften von Ménil, stehen unter dem Zeichen des Surrealismus; Corzani nennt das Blatt eine „défense et illustration du Surréalisme aux Antilles” (1978, IV, 128 ff.). Der Surrealismus erscheint als ein Mittel, dem Antillaner die Rückkehr zu seiner unbewussten, verschütteten, eigentlichen Persönlichkeit zu ermöglichen; damit richtet er sich notgedrungen gegen die herrschende Ordnung, was die in dieser Zeit enge Bindung von Surrealismus und Marxismus erklärt (vergl. dazu auch Antoine 1992, 245 ff.). Aber die Herausgeber von Tropiques nehmen zudem Texte auf, die über diesen Rahmen hinausweisen. É. Glissant, als Schüler am Lycée Schœlcher im Bannkreis von Césaire und in der Folge einer seiner engagiertesten Kritiker, versichert die enorme Bedeutung und Fruchtbarkeit von Tropiques für die künftige literarische Entwicklung von Martinique (persönliche Mitteilung). Für Glissant sind einerseits die Artikel über moderne französische Lyrik prägend; beispielsweise äußert sich Césaire zu Mallarmé (Heft 5, April 1942) und zu Lautréamont (Heft 6-7, Februar 1943). Andererseits hebt Glissant hervor, dass in Tropiques ein Blick auf die Karibik als kulturelle Zone vorhanden ist, wenn hier etwa Texte von Carpentier oder eine Untersuchung zu den Pflanzennamen der Antillen erscheinen (Heft 12, Januar 1945 bzw. der Artikel von Henri Stehlé, Heft 10, Februar 1944). Césaire begrüßt die loi d´assimilation von 1946, mit der die französischen Karibik-Kolonien den Status von „départements d’outre-mer” erhalten (Corzani 1978, IV, 132). Mit seiner öffentlichen Lettre à Maurice Thorez (abgedruckt im dritten Band der Œuvres complètes von Césaire, 1976, 459-473) tritt er 1956 aus der französischen kommunistischen Partei aus; im Anschluss gründet er den Parti Progressiste Martiniquais. Et à moi mes danses <?page no="107"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 107 Mit der neuen politischen Verortung wendet sich Césaire einer anderen Gattung zu: dem Theater. Nachdem er 1956 eine Theaterversion von Et les chiens se taisaient geschrieben hat - eine Art poème dramatique (Delas 1991, 94), in dem das Schicksal und Sterben eines Revolutionärs behandelt wird -, widmet er sich der Verfassung einer Trilogie. Sie beginnt mit La tragédie du roi Christophe (zuerst 1963, überarbeitete Fassung 1970). Protagonist dieses Stückes ist der haitianische Potentat Henry Christophe, der z.B. auch in Carpentiers El reino de este mundo auftritt (vergl. ausführlicher o., 2.2.3). Henry Christophe konnte zum Monarchen im Norden des nunmehr unabhängigen Haiti werden, als sich das Land nach dem Tod von Dessalines spaltet und im Süden eine von Pétion regierte Mulattenrepublik gebildet wird. In Une saison au Congo setzt Césaire dann Patrice Lumumba ein literarisches Denkmal (1966, überarbeitete Version 1973; s. dazu Sekora 1992). Zu der Trilogie zählt schließlich Une tempête (1969), eine - wie Césaire im Untertitel angibt - adaptation pour un théâtre nègre von Shakespeares Tempest. Mit Moi, laminaire... veröffentlicht Césaire 1982 wieder eine Gedichtsammlung (vergl. den Überblick über Césaires Werk und die darauf bezogenen Studien von Delas 1991). Die Intertextualität, die Césaires Tempête mit Shakespeares Werk verbindet, macht dieses Stück des martinikanischen Autors mehrfach aufschlussreich. W. Bader (1983) hat gezeigt, dass das Stück des englischen Dichters eine ungemein reiche Rezeption in Europa wie in Amerika ausgelöst hat. Césaire weicht kaum vom Shakespeareschen Grundschema ab: Prospero, Herzog von Mailand, ist von seinem Bruder Antonio unrechtmäßig auf eine Insel vertrieben worden, wo er sich den Luftgeist Ariel und den Wilden Caliban unterwirft. Als sein Bruder mit Gefolge eines Tages zu Schiff in der Nähe ist, kann er einen Sturm entfesseln und alle in seine Gewalt bringen. Doch schließlich gibt er seine Tochter Antonios Sohn Ferdinand zur Frau und lässt alle unbeschadet wieder ziehen; anders als bei Shakespeare bleibt Prospero bei Césaire auf der Insel und kehrt nicht mit den anderen nach Italien heim. Shakespeares Stück ist in mancher Hinsicht inhaltlich offen, es ist geographisch und historisch nicht festgelegt. So wird Césaire der Weg zu einer historisch präzisierten, vom kolonialen Kontext geprägten Lesart eröffnet. Prospero tritt bei ihm nicht als positive Figur, sondern letztlich als rücksichtsloser Kolonialherr auf. Während der Mulatte Ariel auf die geistige Läuterung des Unterdrückers setzt, sieht der schwarze Sklave Caliban nur im gewalttätigen Aufstand eine Lösung (II.1.; 1969, 37 f.). Wenngleich eine erste Revolte an den falschen Verbündeten wie auch an Calibans eigener Unfähigkeit, Prospero umzubringen, scheitert (III.4.; 1969, 79), ist der schwarze Sklave am Ende Sieger; sein Gesang La liberté ohé, la liberté hallt in der letzten Szene von ferne, während im Vordergrund der gealterte und seines Verstandes nicht mehr mächtige Prospero seine stereotype Besessenheit von der Kultur des weißen Kolonisators aus sich herausbrüllt (1969, 91): On jurerait que la jungle veut investir la grotte. Mais je me défendrai... Je ne laisserai pas périr mon œuvre... Hurlant Je défendrai la civilisation ! <?page no="108"?> Etappen 108 Il tire dans toutes les directions. Zu den Begründern der Négritude zählt, wie erwähnt, neben Césaire und Senghor der Guayanese Léon-Gontran Damas; 1937 erscheint seine Gedichtsammlung Pigments („édition définitive“ 1962, wieder in Damas 1972). Senghor kommentiert Damas’ Werk, das in mancher Hinsicht radikaler als Césaire wirkt: Poésie non sophistiquée : elle est directe, brute, parfois brutale, mais sans vulgarité. Elle n’est surtout pas sentimentale, encore que souvent chargée d’une émotion qui se cache sous l’humour. (Senghor 1948, 5) Dieses mag sein Gedicht Solde (aus Pigments, Damas 1972, 41 f.) zeigen; dessen Motiv - der Schwarze in der Kleidung der guten „weißen” Gesellschaft - findet sich übrigens später im Ausgangsbild von Bertène Juminers Roman La fraction de seconde (1990) wieder, der noch zur Sprache kommen wird (s.u., 7.1.): Solde J’ai l’impression d’être ridicule dans leurs souliers dans leur smoking dans leur plastron dans leur faux-col dans leur monocle dans leur melon J’ai l’impression d’être ridicule avec mes orteils qui ne sont pas faits pour transpirer du matin jusqu’au soir qui déshabille avec l’emmaillotage qui m’affaiblit les membres et enlève à mon corps sa beauté de cache-sexe J’ai l’impression d’être ridicule avec mon cou en cheminée d’usine avec ces maux de tête qui cessent chaque fois que je salue quelqu’un J’ai l’impression d’être ridicule dans leurs salons dans leurs manières dans leurs courbettes dans leur multiple besoin de singeries J’ai l’impression d’être ridicule avec tout ce qu’ils racontent jusqu’à ce qu’ils vous servent l’après-midi un peu d’eau chaude et des gâteaux enrhumés J’ai l’impression d’être ridicule avec les théories qu’ils assaisonnent au goût de leurs besoins <?page no="109"?> Die französische Karibik: vom Exotismus zur Négritude 109 de leurs passions de leurs instincts ouverts la nuit en forme de paillasson. J’ai l’impression d’être ridicule parmi eux complice parmi eux souteneur parmi eux égorgeur les mains effroyablement rouges du sang de leur ci-vi-li-sa-tion. Neben der Anklage, die Damas hier in der letzten Strophe konklusionsartig gegen die Kolonialverbrechen der weißen Gesellschaft führt, fällt der mit einem elementaren Zweierrhythmus gepaarte fast synästhetische, ja physische Charakter dieses Gedichts auf. Beschuldigt werden die kommunikativen, vestimentären und alimentären Gepflogenheiten, mit denen die „gute Gesellschaft” der Tropen Europa imitiert. Damit, also mit manieriertem Small-Talk statt ungezwungener Mündlichkeit, mit steifem Anzug statt leichter Kleidung, entäußert sich der Schwarze seiner Lebensfreude, und er leugnet mithin seine eigentliche Identität. Derart wird er schließlich auch zum Komplizen bei den Verbrechen der nachgeahmten Kultur. In dem cache-sexe kann eine Anspielung nicht nur auf Afrika, sondern vielleicht eher auf die besondere Lebenswirklichkeit der Völker Guayanas, der Indianer oder Boni, gesehen werden; in anderen Gedichten macht Damas diese Welt zum Thema. Im Unterschied zu Césaire lässt er öfter kreolische Wörter einfließen; so heißt es in der Gedichtsammlung Black Label (1956/ Neuauflage 1988, 17): Zié Békés brilé zié Nègues Il est dit que le Blanc aura toujours le nègre à l’œil. Die Négritude hat eine ganze Reihe von Autoren wesentlich geprägt, wie die Guadelouper Paul Niger und Guy Tirolien; in Tiroliens Balles d’or etwa werden „Black beauty“, „Afrique“ oder „Négritude“ Gedichte gewidmet (1961, 41 f., 45- 48, 71 f.). Zur theoretischen Präzisierung der Bewegung trägt Frantz Fanons Werk mit dem programmatischen Titel Peau noire masques blancs (1952) bei. Er behandelt zentrale Felder der Selbstverleugnung des Schwarzen, seiner Ablehnung des Kreolischen, der Faszination, die die weiße Frau auf den schwarzen Mann ausübt usw. Trotzdem könnte dieses Buch den Titel tragen, den René Depestre später seiner eigenen Bilanz gibt: Bonjour et adieu à la Négritude (Depestre 1980). Letztlich lehnt es Fanon ab, Unterdrückung mit einer bestimmten Hautfarbe in Zusammenhang zu bringen: Je suis un homme, et c’est tout le passé du monde que j’ai à reprendre. Je ne suis pas seulement responsable de la révolte de Saint-Domingue. Chaque fois qu’un homme a fait triompher la dignité de l’esprit, chaque fois qu’un homme a dit non à une tentative d’asservissement de son semblable, je me suis senti solidaire de son acte. [...] Ce n’est pas le monde noir qui me dicte ma conduite. Ma peau noire n’est pas dépositaire de valeurs spécifiques. [...] Je n’ai pas le droit, moi homme de cou- <?page no="110"?> Etappen 110 leur, de rechercher en quoi ma race est supérieure ou inférieure à une autre race. (Fanon 1952, 183-185) Auch die Thesen, die Fanon 1959 anlässlich des „Deuxième congrès des écrivains et artistes noirs“ zur wechselseitigen Fundierung von Nationalkultur und Freiheitskampf formuliert, richten sich generell gegen die kulturelle Unterdrückung in der Kolonialsituation, sind aber nicht grundsätzlich an die Kondition des kolonisierten Schwarzen gebunden. R. Confiant widmet der Auseinandersetzung mit der Négritude und Césaire eine umfassende Studie (1993a), die er - dies mag bezeichnend sein für die literarische Ideengeschichte der französischen Antillen - in jüngster Zeit in überarbeiteter und auch im Hinblick auf das nicht unpolemisch formulierte Urteil modifizierter Form neu herausgibt (2006a). 3.4 Die haitianische Überwindung der Négritude: Jacques Stephen Alexis und das Feld des magischen Realismus Bereits 1948 hatte Sartre in Orphée noir die Überwindung der Négritude prophezeit, in der er nur eine historische Antithese gegen die alte Dominanz des Weißen sehen konnte, die in eine neue universelle, über-rassischen Synthese münden würde: En fait, la Négritude apparaît comme le temps faible d’une progression dialectique : l’affirmation théorique et pratique de la suprématie du blanc est la these ; la position de la Négritude comme valeur antithétique est le moment de la négativité. Mais ce moment négatif n’a pas de suffisance par lui-même et les noirs qui en usent le savent fort bien ; ils savent qu’il vise à préparer la synthèse ou réalisation de l’humain dans une société sans races. Ainsi la Négritude est pour se détruire, elle est passage et non aboutissement, moyen et non fin dernière. (Sartre 1948, XLI) Auf dem ersten Kongress der schwarzen Schriftsteller und Künstler, 1956 in Paris, trägt ein engagierter Haitianer ein Konzept vor, das eine klare Absage an die Grundlagen der Négritude bedeutet: Jacques Stephen Alexis. Er lehnt sich insbesondere gegen zwei Hauptthesen der genannten Bewegung auf. Erstens ist in seinen Augen Kultur - und damit Literatur und gestaltende Kunst - vorrangig ein Phänomen, das die historische Identität eines Volkes, einer Nation ausmacht: La culture haïtienne est une culture nationale, celle d’une nation bien individualisée [...]. (Alexis 1956, 252) In die haitianische Kultur ist, so Alexis, indianisches, europäisches und afrikanisches Erbe eingegangen; in der ausschließlichen Favorisierung der afrikanischen Komponente sieht er eine übertriebene Reaktion auf den Vorwurf, Haiti sei nur eine kulturelle Provinz Frankreichs. Ebensowenig wie er die haitianische Literatur primär als Teil einer universellen Bewegung verstanden haben will, ebensowenig - dies ist seine zweite Kritik an der Négritude - darf sich die internationale <?page no="111"?> Die haitianische Überwindung der Négritude: Jacques Stephen Alexis 111 Solidarität der haitianischen Intellektuellen und Autoren auf die schwarze Rasse beschränken: [...] nous devons dire aussi que toutes les gloses et toutes les gorges chaudes en faveur d’une prétendue „négritude” sont dangereuses dans ce sens qu’elles cachent la réalité de l’autonomie culturelle du peuple haïtien et la nécessité d’une solidarité avec tous les hommes, avec les peuples d’origine nègre également, cela va de soi. (Alexis 1956, 256) [...] nous ne serons jamais les sectateurs d’un particularisme étroit qui cloisonnerait le monde en races et catégories antagonistes. (Alexis 1956, 264) Die Aufgabe von Kunst und Literatur ist für Alexis realistischer Art; sie besteht in der Widerspiegelung der Volkskultur. Dieser Prozess ist allerdings vielfältig individuell und ästhetisch gebrochen (“le réalisme social ne propose à quiconque de gober des ‹vers de terre artistiques›”, 1956, 261). Kunst muss dabei immer Konventionelles, Hergebrachtes überwinden; folglich gehorcht sie einem romantisch-revolutionären Impetus. Aus dieser theoretischen Forderung leitet Alexis den Begriff des réalisme merveilleux ab. Gerade in oralen, in einer Bindung an die Natur lebenden Gesellschaften wie die Haitis spielt das Magische, Mythische eine große Rolle; realistische Kunst muss dieses Wirklichkeitsverhältnis aufgreifen (1956, 266 f.). Das magische Element erlaubt es der Kunst gleichzeitig, ihre avantgardistisch-revolutionäre Aufgabe zu erfüllen: Vive un réalisme vivant, lié à la magie de l’univers, un réalisme qui ébranle non seulement l’esprit, mais aussi le cœur et tout l’arbre des nerfs ! (Alexis 1956, 263; vergl. die ausführliche Stildefinition 264) In der Aufnahme von Elementen eines magischen Wirklichkeitsverhältnisses, die bis ins Religiös-Kultische reichen, sieht Alexis eine Parallele zwischen haitianischer und afrikanischer Kunst (1956, 263), eine Sicht, die übrigens umgekehrt etwa die senegalesische Autorin Khadi Fall teilt (Fall 1992). Dieser magische Realismus ist nicht auf Haiti beschränkt; vielmehr lässt sich die haitianische Volkskultur nicht von den Gesellschaften derselben geographischen Zone, also von der Dominikanischen Republik, von Kuba, Mexiko usw. trennen. Ohne dass Alexis es beim Namen nennen würde, ist er - als Sohn einer dominikanischen Mutter ohnehin mit der hispanischen Karibik vertraut (Depestre 1980, 200 f.) - von Alejo Carpentiers Konzept des real maravilloso beeinflusst (Depestre 1980, 241 f.; Laroche 1987a, 98), das der kubanische Autor in dem 1949 erschienenen Roman El reino de este mundo umgesetzt hat. Dieses für die ganze Karibik zentrale Werk speist sich von der Geschichte der haitianischen Unabhängigkeit, von dem Mythos des einarmigen nègre marron Mackandal und des selbsternannten Monarchen Henry Christophe (Carpentier 1986, zuerst 1949; s.o., 2.2.3). Der magische Realismus wird bei Depestre zur Leitetikette für die haitianische Literatur, die er bis zu Price-Mars zurückspannt und zu dessen Hauptvertretern er - neben Alexis - J. Roumain zählt (1980, 243 f.): Dans Les gouverneurs de la rosée comme dans Compère Général Soleil, et dans les autres travaux excellents de l’un comme de l’autre, à travers les somptueuses <?page no="112"?> Etappen 112 allégories de la lutte pour une vie meilleure en Haïti, le songe et le réel parviennent toujours à fusionner merveilleusement les données quotidiennes de la tendresse et de la beauté. (Depestre 1980, 244) Jacques Stephen Alexis war Arzt und marxistischer Revolutionär. Er kommt 1961 um; vermutlich ist er von den Tontons Macoutes - den Schergen des Diktators Duvalier - ermordet worden, als er heimlich von Kuba aus nach Haiti übersetzen wollte (mit seinem Leben, seinem Schicksal setzt sich Éric Sarner 1994 in dem Récit La Passe du Vent auseinander). Sein 1955 erschienener Roman Compère Général Soleil, die Geschichte des jungen schwarzen Haitianers Hilarius Hilarion, der im Gefängnis zum Kommunisten und dann nach einer kurzen Phase des Glücks ermordet wird, hat ihn berühmt gemacht. Hier sei ausführlicher sein letzter, 1959 publizierter Roman erwähnt, dessen geplante Fortsetzung der Autor nicht mehr schreiben konnte: L’espace d’un cillement. Es ist die Geschichte der Mulatten El Caucho und La Niña; er ist eine vorbildhafte Gestalt - athletischer Mechaniker und aktives Gewerkschaftsmitglied -, sie eine schöne Prostituierte. Beide stammen aus Kuba, und sie verlieben sich vom ersten Moment an. Ihr ist jedes Glück, auch das erotische, verschlossen geblieben. Erst in der Liebe zu El Caucho findet sie dorthin, als sich beide an eine gemeinsame Kindheit in Kuba erinnern können. Doch flieht La Niña vor der Verantwortung der Liebe nach Kuba; El Caucho will dort nach ihr suchen. Ebenso wie der Roman eine Chiffre für einen haitianischen Lösungsweg darstellt, verbietet die Wirklichkeit einen glücklichen Ausgang. Folgender Passus - El Caucho kann sich an den wahren Namen von La Niña erinnern - mag stellvertretend für Botschaft und Stil des Autors stehen (Alexis 1959/ 1986, 306): - Eglantina ? Es-tu réveillée ? ... Eglantina ? ... - Oui... Que veux-tu ? ...” Elle se frotte les yeux, puis elle sursaute. Elle tremble... «Comment m’as-tu appelée ? ... Répète ! - Eglantina... C’est bien ton nom ? ... Eglantina Covarrubias y Perez ? ...» Elle le considère avec ses yeux ronds. «Tais-toi ! ...» Elle pleure sur l’épaule de El Caucho... Oriente... Eglantina Covarrubias y Perez... Quel monde interdit ose-t-il évoquer ! Voilà plus de douze ans qu’elle est La Niña pour tous ! ... Ce nom, il est même rare qu’elle le formule en elle-même... De quel droit ? Quel est celui qui ose braver le tabou? Quel est celui qui vient la réveiller de la mort ? ... Elle lui prend le visage entre les paumes, les tourne, les retourne... Die aktuelle Misere Haitis, die Prostitution, das Ausgeliefertsein gegenüber den amerikanischen Marinesoldaten, die von den Schiffen ausströmen und auf der Suche nach käuflicher Liebe die Sensation Bar heimsuchen, die Entwurzelung der Existenz werden auf zweierlei Weise aufgehoben: durch die Gestalt des revolutionären Erlösers und das wunderbare Glück der gemeinsamen Erinnerung, des Wiederfindens in der Fremde. Alexis konkretisiert seinen Begriff der culture zonale, die er in den Überlegungen von El Caucho zu einer politischen Utopie werden lässt: <?page no="113"?> Die haitianische Überwindung der Négritude: Jacques Stephen Alexis 113 Il sait cependant qu’un jour naîtra la grande Fédération Caraïbe. Quelques hommes qui ont le don de voyance y rêvent déjà. Une fédération libre d’hommes de même race, de même sang, de même cœur, ayant passé par les mêmes géhennes, les mêmes servitudes, les mêmes combats... La libération ne sera définitive que le jour où se seront fédérées les énergies, toutes les personnalités locales caraïbes, en dépit des différences réelles créées par l’insularité et l’histoire. (Alexis 1959/ 1986, 112) Wie schon Roumain, aber noch stärker als er, wendet Alexis eine Art inneren Monolog, eine stream of consciousness-Technik an. Anders als Roumain allerdings lässt Alexis in diesen Passus nicht regelmäßig kreolische Wendungen einfließen. Bei ihm fällt stattdessen eine staccatoartige Satzfolge, eine Reihung von Hauptsätzen mit ständiger Wiederholung des Subjektpronomens auf (Elle se frotte les yeux, puis elle sursaute. Elle tremble), ein grammatisches Muster, das durchaus an gesprochene Sprache und an das Kreol im Besonderen erinnert. Trotzdem behält auch diese Passage wie die direkte Rede spürbar konstruierten Charakter; dies zeigt z.B. die typisch schriftfranzösische und im Kreol fehlende Frageform mit Inversion (Comment m’as-tu appelée? ) statt des Fragetyps „Comment est-ce que tu m’as appellée? ”. Ein anderer Autor steht an der Kreuzung verschiedener Strömungen: Magloire-Saint-Aude. 1912 wird er als Clément Magloire geboren, und 1941 nimmt er sein Pseudonym an (eine Kontraktion der Namen seiner Eltern). 1938 gründet er zusammen mit Carl Brouard, Lorimer Denis und François Duvalier (dem späteren Diktator) die Revue Les Griots, die sich als Fortschreibung der Revue Indigène begreift; entsprechend zählt ihn René Depestre in seinem Rückblick zur indigenistischen Bewegung (Depestre 1998, 23). Gleichwohl konvergieren bei ihm magischer Realismus und Jacques Stephen Alexis, Einflüsse des Symbolismus wie Surrealismus, und er bildet gewiss ein Scharnier zu modernen haitianischen Autoren, allen voran Frankétienne (s.u., 6.1); in keine der vorhandenen Gruppierungen aber lässt er sich vollständig einordnen. Zur Négritude bekennt er sich nicht sonderlich, obwohl er deren Verdienste sieht. Anders wiederum als Roumain oder Alexis bleibt er eher ein individuell-resignativer Kritiker; oft kommt in seinem Schreiben ein geradezu depressiv-anarchistischer Ton zum Tragen. Sein Werk, das vom Pariser Verlagshaus Jean-Michel Place mit einer Gesamtausgabe gewürdigt worden ist (1998), spannt sich zwischen zwei Polen (s. die Einführung zur Gesamtausgabe von 1998 von F. Leperlier). Der erste besteht aus seiner ebenso symbolistisch wie surrealistisch beeinflussten Lyrik. In seinem Gedicht Larmes scheint auch die sprachlich chiffrierte kulturelle Zerrissenheit des haitianischen Intellektuellen durch („veilleur en cinq langues“), die später Frankétienne mit seinem Oiseau schizophone thematisiert; es figuriert an zweiter Stelle in Magloire-Saint-Audes bekanntester Gedichtsammlung Dialogue de mes lampes (1941; zit. nach der Ausgabe 1998, 30): <?page no="114"?> Etappen 114 Larme Sans dieu livide fragile le cœur, Tranquille souple veilleur en cinq langues. Purifié, bas, sur ma clé. Au dormeur de face sans visage, Glacé néant par les fenêtres Et seul sur ma gorge. Cendres de peau aveugle en éternité. Zweiter Pol: die romanhaften Texte. In seinen Parias (1949), die er selbst als „documentaire“ einstuft, erscheint eine Art ironisiertes Alter Ego des Autors in Gestalt des „poète obscur“ Desruisseaux. Seine Rolle ist die des ruhelos Umherstreifenden, der zwischen der armen Hauptbevölkerung Haitis (dies sind die „parias“) und der wohlhabenden Oberschicht oszilliert und sich mangels Sinnfindung oft in die „débauche“ flüchtet. Zu Magloire-Saint-Audes Prosa-Realismus gehören auch häufige ausführliche Anleihen im Kreol (zit. nach 1998, 120): Très vaseux, ce matin-là, Desruisseaux se fit violence pour ne pas glisser dans la mélancolie. Il alla chez un restaurateur, but de l’eau de Seltz, du rhum. Il alluma une cigarette. Il sortit, et se mit à flâner vers le portail Jean-Ciseaux. Il avait passé la nuit dans un dancing, avec une mulâtresse dominicaine. Très ardente, elle l’avait éreinté. Le poète obscur voyait le corps nu de la femme, étendu sur le lit, et sa chevelure parfumée inondant ses seins. Elle l’appelait: «Indio-Indien». Il songea: «Qu’est-ce qu’elle doit faire en ce moment ? » La tristesse des lendemains d’orgie s’insinuait en Desruisseaux, l’enveloppait. Son cœur était mou. Quand il porta sa cigarette à ses lèvres, sa main tremblait. Il se dit: -Ah, fo’m fout-li youn l’aut’coup ! Il entra dans un estaminet, but à nouveau. <?page no="115"?> 4 Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 4.1 Glissant als Antithese Es fällt schwer, auf wenigen Seiten über das Werk von Édouard Glissant zu sprechen. Es stellt insofern eine wesentliche Etappe in der literarischen Entwicklung der Kleinen Antillen dar, als Glissant - theoretisch weitgreifender als Alexis in Haiti - mit seinem Konzept der Antillanité über die Négritude hinausgegangen ist. Aber Glissant öffnet gleichermaßen Perspektiven für Jetzt und Morgen der antillanischen Literatur. Dies gilt für das poetische „Wie” des Schreibens; so versichert P. Chamoiseau (1990b, bes. 144) - ungleich populärer und zugänglicher als Glissant -, ihm die Grundvorstellung seiner Sprachästhetik zu verdanken. Dies gilt weiter für die Reflexion über den exemplarischen Wert, den die Kreolisierung, die historische Erfahrung der Antillen für die Anthropologie des multiethnischen Miteinanders in der modernen Gesellschaft besitzt. Schließlich stößt man auf Hindernisse bei dem Versuch, Glissant zu resümieren, weil sich sein Stil und seine Theorie dem Versuch einer bündigen Zusammenfassung entziehen: die opacité - einer seiner poetischen Leitbegriffe - prägt zugleich Glissants eigenen Duktus (vergl. zu Glissant auch Bader 1984). Die Rolle Glissants als Antithese in der literarischen Entwicklung, als Überwinder der Négritude, beschreibt Chamoiseau: [...] la Négritude niait quelque chose qui nous semble fondamental aujourd’hui, à savoir l’apparition, aux Antilles, dans cette société multiraciale, d’une culture différente, donc d’une réalité anthropologique différente. Or, le seul mot de „nègre” ne suffisait pas à définir cette réalité-là. C’est alors qu’apparaît Édouard Glissant, dans les années cinquante, avec le phénomène de l’Antillanité. Son propos est le suivant: ce monde nègre, qui a été révélé par la Négritude, est trop généralisant. Il faut essayer de comprendre ce qui s’est produit aux Antilles, dans cet espace antillais précisément. C’est cela notre espace géographique, notre lieu d’existence dans le monde. Que s’est-il passé depuis que les noirs ont été arrachés à l’Afrique et se sont implantés aux Antilles où ils ont été confrontés au monde européen? Que veut dire „être Antillais”? Et c’est un peu comme cela qu’on peut définir l’Antillanité. Si l’on envisage une expression authentique antillaise, il faut s’alimenter du réel antillais. L’Antillanité nous rapproche de notre lieu, et notre génération étant pratiquement contemporaine de l’Antillanité, nous en voyons finalement les bienfaits. (Chamoiseau, in Chamoiseau & Confiant 1992, 9) Immer wieder hat Glissant bekundet, wie sehr ihn seine Kindheit geprägt hat. Er ist Sohn eines Plantagenverwalters, eines stolzen, wiewohl mit der kolonialen <?page no="116"?> Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 116 Ordnung im Konsens lebenden Mannes. Als er einige Monate alt ist, verlässt seine Mutter die Pflanzung auf den mornes und siedelt mit ihm und seinen Geschwistern in den Lamentin - Industriezone und Mündungsgebiet der Lézarde - über. Dieses Motiv, das Durchwandern der Insel und die damit wachsende, immer tiefere Verbindung zu ihrer Natur, durchzieht sein ganzes Werk: pays et bois me hélèrent, sables où j’ai erré so schreibt er in einer jüngeren Gedichtsammlung (Fastes, 1991, 9). Ab 1938 besucht er das Lycée Schœlcher; unter dem Einfluss von Césaire beschäftigt er sich mit moderner französischer Lyrik, mit Baudelaire, Rimbaud und dem Surrealismus. 1946 nimmt er mit einem Stipendium sein Studium in Paris auf. Der im selben Jahr verabschiedeten loi d’assimilation, mit der Martinique, Guadeloupe und Französisch-Guayana zu départements d’outre-mer werden, steht er, anders als Césaire, ablehnend gegenüber; er sieht darin den Versuch, die französischen Antillen vom karibischen Verbund zu trennen (Radford 1982, 18). In seinem frühen Essay Soleil de la conscience finden sich die programmatischen Sätze: [...] aux Antilles, d’où je viens, on peut dire qu’un peuple positivement se construit. Né d’un bouillon de cultures, dans ce laboratoire dont chaque table est une île, voici une synthèse de races, de mœurs, de savoirs, mais qui tend vers son unité propre. Cette synthèse, telle est en effet la question, peut-elle réussir une unité ? (Glissant 1956, 15) 4.2 Fragment und Dunkelheit Die erste Gedichtsammlung, die er publiziert, ist mit November 1952 datiert: Un champs d’îles (zitierte Ausgabe: 1962; wieder in: 1994c, 53-72). Hier legt Glissant Züge seiner Poetik offen, die für sein Werk kennzeichnend bleiben. Er zögert nicht, die Schönheit des karibischen Archipels unumwunden lyrisch auszudrücken, obwohl die Realisierung der eigentlichen Harmonie der Zukunft überlassen werden muss: Savoir ce qui dans vos yeux berce Une baie de ciel un oiseau La mer, une caresse dévolue Le soleil ici revenu Beauté de l’espace ou otage De l’avenir tentaculaire Toute parole s’y confond Avec le silence des Eaux [...] <?page no="117"?> Fragment und Dunkelheit 117 Beauté d’attente Beauté des vagues L’attente est presque un beaupré Enlacé d’ailes et de vents Comme un fouillis sur la berge (Glissant 1965, 16 f.) Dieser Impetus bringt ihn Saint-John Perse nahe und trennt ihn deutlich von Césaire; für Glissant besteht kein Bedürfnis mehr, demonstrativ eine Distanz zwischen sich und der exotistischen Lyrik eines D. Thaly zu spannen. Trotzdem bleibt der tiefe Eindruck, den die Schönheit des Archipels und besonders seiner Heimat Martinique auf ihn ausübt, von einem Gefühl des Schmerzes behaftet, das aus dem analytischen Bewusstsein um die soziale Problematik der Inseln herrührt. Als ein Lösungsweg erscheint die Suche des Wortes, und damit wird dem Autor, dem Dichter eine zentrale gesellschaftliche Funktion zugewiesen: L’île entière est une pitié Qui sur soi-même se suicide Dans cet amas d’argiles tuées O la terre avance ses vierges Apitoyée cette île et pitoyable Elle vit de mots dérivés Comme un halo de naufragés A la rencontre des rochers Elle a besoin de mots qui durent Et font le ciel et l’horizon Plus brouillés que les yeux de femmes Plus nets que regards d’homme seul (Glissant 1965, 18 f.) Dennoch kann das seherische Dichterwort immer nur fragmentarisch sein, in dem Sinn, den Ernst Bloch in seinem Prinzip Hoffnung (1959) diesem Adjektiv gegeben hat; der unabgeschlossene Charakter des Kunstwerks weist über die Gegenwart hinaus, macht es offen für das in der Gegenwart noch nicht Ausformulierbare. Glissant ist von Anfang an ein nach absoluter Klarheit trachtender cartesianischer Geist fremd. Klarheit ist bei ihm nie von Dunkelheit zu lösen: die Begriffe opacité und chaos ziehen sich als ein positiver Leitfaden durch sein ganzes Werk. Schon in Un champ d’îles formuliert Glissant: Toute prose devient feuille et accumule dans l’obscur ses éblouies. Faites-le feuille de vos mains, faites-le prose de l’obscur, et l’ébloui de vos brisures. (Glissant 1965, 12) Und auch der Sammlung Fastes stellt er als Devise und Einleitung voran (1991, 5,9): aux clairières, qui se réjouiront de telle opacité Leur offrir un convenir de langage et d’obscurité, par où perdure en un tout <?page no="118"?> Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 118 l’imprévu de la parole: comme une épaille grandissant ses lunes, sur des ombres toujours sculptées. Die Verbindung der immer offenen Reflexion mit dem poetischen Bild der Nacht lässt unwillkürlich an Novalis denken; ohnehin besteht eine Reihe von Parallelen zwischen Glissant und der deutschen Romantik, die sich - in einer Gegenbewegung zur Verabsolutierung des Rationalismus, des „Lichtes” der Aufklärung - auf Gattungen der Mündlichkeit und ein Weltverständnis besonnen hat, welches Mythos und „Dunkelheit” einschließt (vergl. Ludwig 1992, 1994). 4.3 Geschichte, non-histoire und chaos-monde 1958 erscheint Glissants erster Roman: La Lézarde, der ihm den Prix Renaudot einbringt. Bezeichnenderweise haben sich weder Césaire noch Damas oder Senghor diese Gattung zu eigen gemacht (zu früheren Stadien der Entwicklung des frankokaribischen Romans s. auch Bader 1985). Glissant hingegen kommt der stärkere mimetische Zwang zur Auseinandersetzung mit der Realität - der Antillen - entgegen, der vom Roman ausgeht; sein polyphoner Charakter gibt ihm Gelegenheit, Lyrik und Reflexion, eine Vielfalt von Stimmen ineinander zu verflechten. La Lézarde ist die Geschichte von Mathieu Béluse, dem Hirten Thaël (Raphaël Targin), von Mycéa (Marie Celat) und Valérie, oder besser, der Roman ist Teil ihrer Geschichte, denn Glissant verwendet in seinen Romanen die Technik des retour des personnages, die mit Balzac berühmt geworden ist (trotzdem ist die sehr „thematische” Konstruktion der Glissantschen Gestalten den sehr greifbaren, „physischen” Figuren Balzacs diametral entgegengesetzt, s. Pépin 1990, 90). Das verbindende, zentrale Strukturelement ist der Fluss: [...] la voilà dans le grand matin, joyeuse et libertine, elle se déshabille et se réchauffe, c’est une fille nue et qui ne se soucie des passants sur la rive, elle baigne dans sa promptitude (éternelle, et l’eau passe sur l’eau), et bientôt, comme femme mûrie dans le plaisir et la satiété, la Lézarde, croupe élargie, ventre de feu sur les froides profondeurs de son lit, comblée, s’attarde et se repaît dans le cri de midi (Glissant 1958, 30 f.). Die eigentliche Handlung umfasst die Planung und Ausführung eines Attentats. Die genannte Protagonistengruppe, alles im Wahlkampf engagierte junge Leute, will Garin, den renégat (1958, 18 f.), den Vertreter der Zentralmacht, den Usurpator der Quelle der Lézarde, töten. Thaël folgt Garin dem Lauf des Flusses hinab, und Garin stirbt in den Mündungsfluten. Wenngleich das Attentat auch von den Protagonisten letztlich als Mittel verworfen wird, enthält der Roman ein deutliches politisches Bekenntnis zur Antillanität und damit zur Unabhängigkeit Martiniques von Frankreich. Bevor die Gruppe auseinandergeht, beauftragt sie den Autor mit ihrer Botschaft: Tu leur diras, avec les mots, tu leur diras toutes les îles, non ? Pas une seule, pas seulement celle-ci où nous sommes, mais toutes ensemble. [...] Mets que les Antil- <?page no="119"?> Geschichte, non-histoire und chaos-monde 119 les c’est tout compliqué... [...] Mets que nous avons lutté, que nous sommes sortis du dédale. Que c’est cela le plus criminel : quand on vole à un peuple son âme, qu’on veut l’empêcher d’être lui-même, qu’on veut le faire comme il n’est pas. (Glissant 1958, 226 f.) Auch das Buch mit der Geschichte der Gruppe soll, so bittet sich Thaël vom Autor aus, dem Rhythmus der Lézarde folgen (1958, 224). 1964 erscheint Glissants zweiter Roman, Le quatrième siècle. Nach der Entdeckung von Raum und politischer Mündigkeit greift Glissant nun, vom „vierten Jahrhundert” nach der Kolonisierung der Insel durch die Franzosen, auf die Vergangenheit aus (vergl. Corzani 1978, V, 222). Er versucht, von der Geschichte Besitz zu nehmen, indem er sie aus der (natürlich fiktiven) Genealogie zweier rivalisierender Familien rekonstruiert: der Longoué - sie repräsentieren den nègre marron, das Bindeglied zu Afrika, und der Sklavenfamilie der Béluse. Letzter direkter Abkomme der Familie der unangepassten, unbeugsamen Schwarzen ist Papa Longoué. Schon in der Lézarde war er in Erscheinung getreten, als Seher und quimboiseur, dessen Visionen aber schließlich - kurz vor seinem Tode (1958, 217 f.) - zu kraftlos waren, um die Gegenwart zu beeinflussen; zudem war seine Magie nicht rückhaltlos auf der Seite der politisch Handelnden (1958, 140). In Le quatrième siècle sucht nun der Historiker Mathieu Béluse die Nähe von Papa Longoué, um sich die Vergangenheit erzählen zu lassen. Dabei konfligieren die mündliche, unchronologische, mythische Vergangenheitshaltung von Papa Longoué und das konzeptualisierend-analytische Geschichtsverhältnis von Mathieu Béluse: - Mais tu ne sais pas ce qui s’est passé là-bas dans le pays au-delà des eaux ! Depuis si longtemps, depuis si longtemps, mon fils... Nous ne savons pas, pensa Mathieu. Nous. Nous ! Et pas même toi le plus vieux par ici, plus vieux que les maisons des écoles [...] puisqu’il n’y a pas eu un seul temps vide jusqu’à aujourd’hui et que nous avons tous oublié ensemble [...] jusqu’à ce que, moi qui n’ai pas oublié puisque je n’ai jamais rien su de cette histoire, je vienne seul pour questionner le plus vieux par ici et qui est papa Longoué, toi, toi qui as oublié sans oublier puisque tu vis dans les hauteurs loin de la route, et tu prétends qu’il ne faut pas suivre les faits avec logique mais deviner, prévoir ce qui s’est passé; non, même pas toi qui aujourd’hui malgré le poids du soleil sur la tête cherches quand même à établir les dates, les motifs ! C’est parce que nous voulons toi et moi remonter le chemin du soleil, nous essayons de tirer sur nous le jour du passé, nous sentons que nous sommes trop légers sous ce poids, et pour remplir notre présence nous sommes trop vides dans cette absence, cet oubli (Glissant 1964, 57 f.; vergl. z.B. auch 213 f.). Mit der Generation von Mathieu erlischt der Antagonismus zwischen den beiden Familien, zwischen europäisch-schriftlicher und afrikanisch-mündlicher Welthaltung; Mathieu heiratet Marie Celat („Mycéa”; die Celat sind ein Nebenzweig der Longoué). These und Antithese werden in einer Synthese aufgehoben, die nunmehr ein handelndes Eingreifen in die Geschichte bedeutet (es wird auf die Handlung der Lézarde angespielt): <?page no="120"?> Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 120 Peut-être savait-elle, par une de ces intuitions qui soudain vous portent dans la nuit indescriptible, pourquoi Marie Celat et Mathieu Béluse étaient, par delà l’épaisseur quotidienne de l’existence, prédisposés l’un pour l’autre. Pourquoi un Béluse et une Celat, gardés secrètement au long de cette histoire, et appelés à la connaissance, dépasseraient ensemble la connaissance pour enfin entrer dans l’acte (Glissant 1964, 272 f.). Die analytische Konzeption hat, wie Chamoiseau und Confiant sagen (1991, 190), „dem mündlichen Erzähler die Hand gereicht”, sie hat sein Erbe in sich aufgenommen. Sie will nicht zur alten mythischen Welthaltung zurückkehren, aber sie behält von ihr eine Skepsis gegenüber sich selbst zurück (1964, 274). Das Romanwerk von Glissant setzt sich fort mit Malemort (1975), La case du commandeur (1981a) und Mahagony (1987). Insbesondere in Malemort bricht Glissant mit Lexik und Syntax des Schriftfranzösischen. Von diesem Roman geht ein entscheidender Elan zur Erschütterung der Rolle des Französischen in der traditionellen Diglossie und zur Inspiration vom Kreolischen aus; in jüngster Zeit bestimmt diese sprachliche Strategie vor allem die Romane von Chamoiseau und Confiant. Eines der dargelegten Hauptanliegen, das Sich-Aneignen der Geschichte, verfolgt Glissant auf theoretischer Ebene (neben anderen Themen) im Discours antillais (1981b), in der Poétique de la relation (1990) wie in späteren Schriften. Die Antillaner sind - so Glissant - mit der Grunderfahrung der ausgelöschten Erinnerung, der mémoire raturée konfrontiert: Notre conscience historique ne pouvait pas « sédimenter », si on peut ainsi dire, de manière progressive et continue, comme chez les peuples qui ont engendré une philosophie souvent totalitaire de l’histoire, les peuples européens, mais s’agrégeait sous les auspices du choc, de la contraction, de la négation douloureuse et de l’explosion. Ce discontinu dans le continu, et l’impossibilité pour la conscience collective d’en faire le tour, caractérisent ce que j’appelle une non-histoire. Le facteur négatif de cette non-histoire est donc le raturage de la mémoire collective. (Glissant 1981b, 130 f.; vergl. die Zitate in 2.1 u. 2.2.2) Aus der Erfahrung der non-histoire, der Nicht-Geschichte der Antillen, aus der Analyse der Kreolisierung gewinnt Glissant ein gesellschaftliches Modell von universaler Bedeutung (s. weiter in 4.4). Glissants Konzept liegt die Vorstellung eines relationalen kulturellen Ganzen zugrunde, das die Individualität seiner Teile wahrt und sie nicht in ein hierarchisches Abhängigkeitsverhältnis bringt; damit ist eine Erkenntnistheorie verknüpft, die auf den positivistischen Anspruch einer letztgültigen Einsicht verzichtet. Zu dieser Modellvorstellung gehört der Begriff des chaos-monde: Le chaos-monde n’est ni fusion ni confusion : il ne reconnaît pas l’amalgame uniformisé - l’intégration vorace - ni le néant brouillon. Le chaos n’est pas « chaotique ». Mais son ordre caché ne suppose pas des hiérarchies, des précellences - <?page no="121"?> Vom chaos-monde zum Tout-monde 121 des langues élues ni des peuples-princes. Le chaos-monde n’est pas un mécanisme, avec des clés. (Glissant 1990, 108) [...] chaos ne veut pas dire désordre, néant, introduction au néant, chaos veut dire affrontement, harmonie, conciliation, opposition, rupture, jointure entre toutes ces dimensions, toutes ces conceptions du temps, du mythe, de l’être comme étant, des cultures qui se joignent, et c’est la poétique même de ce chaos-monde qui, à mon avis, contient les réserves d’avenir des humanités d’aujourd’hui. (Glissant 1994a, 124) Die Selbstbestimmung der modernen, durch Migrationsbewegungen gekennzeichneten Gesellschaft darf entsprechend nicht auf einer identité-racine begründet sein, weil sich damit die Vorstellung des Nicht-Relationalen, Hierarchischen verbindet: L’identité comme racine condamne l’émigré (surtout au stade des deuxièmes générations) à un écartèlement laminant. Le plus souvent rejeté, aux lieux de son nouvel ancrage, il est contraint à des exercices impossibles de conciliation entre son ancienne et sa nouvelle appartenance. (Glissant 1990, 157) Der auf einem bestimmten Gründungsmythos fundierenden, einsinnigen Identitätsbildung wird die identité-relation entgegengesetzt: L’identité-relation - est liée, non pas à une création du monde, mais au vécu conscient et contradictoire des contacts de cultures ; - est donnée dans la trame chaotique de la Relation et non pas dans la violence cachée de la filiation ; [...] - ne se représente pas une terre comme un territoire, d’où on projette vers d’autres territoires, mais comme un lieu où on « donne-avec » en place de « com-prendre ». (Glissant 1990, 158) 4.4 Vom chaos-monde zum Tout-monde Das Konzept des chaos-monde wird als Tout-monde zum zentralen Romanthema und Romantitel (Glissant 1993). Den Begriff Tout-monde kommentiert der Autor: Le Tout-monde, c’est le mouvement tourbillonnant par lequel changent perpétuellement - en se mettant en rapport les uns avec les autres - les cultures, les peuples, les individus, les notions, les esthétiques, les sensibilités etc. C’est ce tourbillon ... Parce que quand on dit une conception du monde, c’est un a priori qui donne au monde un axe et une visée. Le Tout-monde, c’est la conception du monde sans axe et sans visée, avec seulement l’idée de la prolifération tourbillonnante, nécessaire et irrépressible, de tous ces contacts, de tous ces changements, de tous ces échanges. Mais le monde n’est pas le Tout-monde, un personnage le dit à un endroit du livre, parce qu’on peut très bien exister sans avoir l’imaginaire du Tout-monde. (Glissant, 1994b) <?page no="122"?> Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 122 Glissants umgreifende Theorie des widersprüchlichen toleranten Ganzen wird auf der Ebene der Romangestalten durch deren errance in der Welt umgesetzt; damit knüpft Glissant an das Erleben des Antillais im 20. Jh. an, der als Soldat, Arbeiter, Intellektueller in alle Teile der Welt verschlagen wird: Les Antillais [...] éparpillent partout comme une poudre, sans insister nulle part. [...] La poudre de l’insondable. (Glissant 1993, 386) Mathieu Béluse, der übrigens biographisch immer mehr auf den Autor verweist, ist der intellektuelle Reisende; seit 1946 hat er Martinique verlassen. Raphaël Targin geht als Soldat in den Krieg. Die errance des Antillaners kreuzt sich mit anderen Schicksalen. Der chaotische Weg des Stepan Stepanovitch führt über große Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts, wie Montecassino (1993, 371), durch schwere Verletzungen und Auferstehungen. Stepan Stepanovitch bedient sich vieler Idiome, und überhaupt sind Sprachenvielfalt und Sprachkontakt eine andere zentrale Ebene des Tout-monde: Alors encore vous entendez ces langages du monde qui se rencontrent sur la vague le mont, toutes ces langues qui fracassent l’une dans l’autre comme des crêtes de vagues en furie, et vous entreprenez, tout un chacun applaudit, de bondir d’une langue dans l’autre, ça fait de grosses dévirades d’imprévu, puis vous coulez dans ce mystère des mots et voilà que vous quittez la débandade et vous défilez comme une rivière à sec dans le secret de son partage de rivière, alors là pas un n’applaudit, vous êtes seul à descendre, vous entamez d’avertir ce qu’on appelle un style, plus secret que le changer de peau d’une bête-longue au plus fond d’un bois-campêche, et qu’est-ce qu’ils appellent un style, c’est rien que la manière dont vous racontez la roche de rivière et le courant du vent sur la misère et le malheur, et la fumée des bois sur tous les bonheurs rassemblés. (Glissant 1993, 20) Das im positiven Sinne babylonische Sprach-Chaos ist Symbol des Tout-monde und wird damit zum Prinzip poetischen Schreibens: Nous écrivons comme ça. Nous contons ces histoires sempiternellement reprises. L’avion a mélangé les langues, te voici là en présence de toutes les langues du monde, il faudra que tu déboussoles celle que tu pratiques, vous ne pouvez pas la laisser trotter aussi mollement à saturation, et si tu disposes d’une autre langue non pas en réserve mais dans la ressource de ta vie, alors vous convoquez le choc, l’éclat mais d’en dessous, la chatoyance sans affichat, où l’une par l’autre ces langues se révèlent à elles-mêmes et au monde qu’elles vivent. [...] Le langage est un voyage et vous voyez qu’il n’a pas de fin. Les langues sont des étapes où vous couchez à l’ablanie, pour noircir ou blanchir selon qu’il se trouve. Vous rassemblez les cris que vous avez poussés, récoltés alentour, fouillés dans la terre ou taillés sur leur branche, vous les désordonnez pour commencer la parole. (Glissant 1993, 267) Glissant kommentiert den Zusammenhang von Vielfalt der Idiome und Toutmonde (Ausgangspunkt ist der Vergleich mit dem traditionellen Realismus von Balzac): <?page no="123"?> Vom chaos-monde zum Tout-monde 123 Le monde balzacien, c’est un monde homogène - avec ses contradictions - mais c’est un monde homogène. Le monde de ce que j’écris est un monde exclusif, et la seule unité, dans ce monde, c’est l’équivalence entre les divers styles possibles, ou entre la totalité des styles possibles dans le monde, c’est-à-dire la totalité des langages qui expriment le Tout-monde. Il s’agit donc d’une unité explosée, qui n’est pas homogène par rapport à son objet et à son lieu; chaque langage n’est pas homogène par rapport à sa situation, mais y correspond bien. Il y a accord, ou syncrétisme, entre un langage et une situation; un langage, une situation et une vision du Tout-monde. Parce qu’il n’est pas question d’une vision du monde au sens marxiste du terme, mais d’une vision du Tout-monde, c’est-à-dire une vision de l’imaginaire du chaos. Mais cette vision de l’imaginaire du chaos a des langages, c’est-à-dire des styles différents selon les personnages, la situation des personnages et l’entour dans lequel ils se situent. On pourrait dire qu’il existe un langage de la dispersion ou de l’errance, un langage du désert, un langage de la densité forestière ou de jungle, un langage de la culture, au sens agricole du terme, c’est-à-dire un langage de l’agriculture; il y a un langage du délire, il y a un langage de l’imaginaire sans limites, et il y a un autre langage de l’imaginaire avec des limites, des raisons et des réticences [...] Et tous ces langages-là ont ceci de commun qu’ils envisagent tous le Tout-monde, qu’ils n’envisagent pas seulement l’entour dans lequel ils se trouvent situés, mais, envisageant cet entour, ils envisagent immédiatement le Tout-monde, c’est-à-dire la chaotique nécessité de la relation. (Glissant 1994b) Weitere Elemente der Theorie des Tout-monde liefert Glissant, indem er in den Roman Zitate aus dem Traité du Tout-monde von Mathieu Béluse einflechtet. Hier vermengen sich endgültig Reflexion, Fiktion und Wirklichkeit zu einem poetischen Ganzen; entsprechend trägt die letzte umfassende theoretische Abhandlung von É. Glissant den Titel Traité du Tout-monde (1997), und die im Roman fiktiv Mathieu Béluse zugewiesenen Passus werden nahezu unverändert übernommen. Der genannte Traité entwickelt denn auch das Konzept des „Tout-monde“ weiter: J’appelle Tout-monde notre univers tel qu’il change et perdure en échangeant et, en même temps, la « vision » que nous en avons. La totalité-monde dans sa diversité physique et dans les représentations qu’elle nous inspire : que nous ne saurions plus chanter, dire ni travailler à souffrance à partir de notre seul lieu, sans plonger à l’imaginaire de cette totalité. (Glissant 1997, 176) Zu diesem Konzept gehört Glissants dynamischer Begriff der „créolisation“, den er dem Begriff der „créolité“ von Chamoiseau und Confiant gegenüberstellt (z.B. Glissant 2006, 69, zu seiner Abgrenzung von créolisation und créolité s. Glissant 1990, 103; zu einer anderen frühen Definition von „Kreolisierung“ vergl. Patterson 1975, zum aktuellen Stand der Diskussion s. Stewart 2007a). Die Überkommenheit der Selbstdefinition vermittels der „identité-racine“, die auf den Antillen vorgelebte Kulturkontaktsituation werden heute zu einem universalen Phänomen: Ma proposition est qu’aujourd’hui le monde entier s’archipélise et se créolise. (Glissant 1997, 194) <?page no="124"?> Gestern und Morgen der antillanischen Literatur: Édouard Glissant 124 La créolisation est le non-Être enfin en acte : enfin le sentiment que la résolution des identités n’est pas le bout du petit matin. Que la Relation, cette résultante en contact et procès, change et échange, sans vous perdre ni vous dénaturer. (Glissant 1997, 238) Die Ausfaltung der Begriffe von „Tout-monde“ und „créolisation“, die in ihren Grundgedanken bereits mit den frühen Schriften Glissants beginnt, machen diesen Autor zum antillanischen Vordenker der heutigen Multikulturalismus- Debatte, die um Termini wie „Migration“, „Globalisierung“ und „Hybridisierung“ kreist (s. Chambers 1996, Bronfen 1997). Eine enge Verschränkung von Fiktion und Reflexion zeichnet auch Glissants 1999 erschienenen Roman aus, dessen Titel im Übrigen eine deutliche Referenz auf Faulkners Werk „Sartoris“ enthält: Sartorius. Le roman des Batoutos (1999). Die „Batoutos“ sind - wie de Ceccatty 1999 betont - ein imaginäres, synthetisches afrikanisches Volk; sie erleiden die Sklaverei und werden zum Träger der Botschaft des „chaos-monde“: Nous parcourons d’esprit et de corps le monde [...] Nous pressentons qu’il est divers, et un tout à la fois, contradictoire en lui-même et chaotique de toute la force de ses imprévus. Les Batoutos nous l’ont enseigné, c’était bien avant que nous les ayons reconnus. (Glissant 1999, 19) 2003 erscheint Glissants Roman Ormerod. Konsequent setzt Glissant sein Konzept des offenen vielheitlichen Ganzen in der Semantik und Struktur dieses kaum bündig zusammenfassbaren Werkes um. Raum und Zeit werden durchquert, der Leser trifft an verschiedenen Orten der Welt und insbesondere des karibischen Archipels Kämpfer wie die négresse maronne Flore Gaillard, die 1793 in St. Lucia gegen die englische Kolonialmacht aufbegehrt, Gros-Zinc und den General Alvarez; eine weitere historische Achse sind die politischen Ereignisse von Grenada im Jahr 1983 (zu Sartorius und Ormerod sowie bes. zu Glissants Verhältnis zu Zeit und Geschichte in diesen Romanen s. Degras 2006; Mascarou 2006). Das poetische Denken führt Glissant mit La Cohée du Lamentin (2005) und Une nouvelle région du monde (2006) fort. Es bewegt sich weiter um die Grundkonstanten seiner Reflexion und Ästhetik, etwa den Kreolisierungsbegriff: „Le monde est imprévisible, parce qu‘il se créolise“ (2005, 50). Die „mondialisation“ und die mit ihr verknüpften politischen Ereignisse werden nach wie vor, vielleicht immer mehr als Bedrohung empfunden. „Mondialisation“ wird mit „Tout-Empire“ gleichgesetzt, dem er „mondialité“ (z.B. 2005, 22 f.) im Sinne von „Tout-Monde“ entgegensetzt: „L’Empire ou le Tout-Monde, la balance est devant nous“ (2005, 162). Die „neue Welt-Gegend“, die sich dem Menschen jetzt eröffnet, ist eben der „Tout-Monde“: […] nous signalons un consentement tacite à de tels et nouveaux ensembles commutatifs et à cette totalité réalisée des lieux et à cette diversité rassemblée des âges, qui sans cesse font l’autre région du monde dans laquelle nous voilà entrés, tout ici. Mais il n’est jamais vrai que nous voici naïfs dans cette région, elle n’est pas un refuge du rêve ni un fantasme de l’espoir. Aussi bien, nous n’y trébuchons plus. Ce n’est pas une terre élue. Elle n’appartient à personne. Comme vous le savez <?page no="125"?> Vom chaos-monde zum Tout-monde 125 déjà, sans rien savoir encore, nous la crions et la dénommons Tout-monde. (Glissant 2006, 76) Erinnerung ist Teil der Relation, und so insistiert Glissant wieder auf der Bedeutung der „mémoire“ als Voraussetzung und Komponente des „Tout-Monde“: Et si nous voulons partager la beauté du monde, si nous voulons être solidaires de ses souffrances, nous devons apprendre à nous souvenir ensemble. (Glissant 2006, 161) Als in Frankreich nach dem Regierungswechsel 2007 ein Ministerium entsteht, das (neben der Immigration und der Integration) für die „identité nationale“ zuständig ist, erhebt Glissant gemeinsam mit Patrick Chamoiseau die Stimme (Glissant & Chamoiseau 2007). Ein solches Ministerium wird als Erbe kolonialen Hegemonialdenkens empfunden (2007, 2 f.), als Errichtung einer symbolischinstitutionellen Mauer zum Zweck der Fixierung einer „identité racine“. Dieser Bedrohung (2007, 24 f.) halten Glissant und Chamoiseau das Konzept der „mondialité“ entgegen: Dans la mondialité (qui est là tout autant que nous avons à la fonder), nous n’appartenons pas en exclusivité à des «patries», à des «nations», et pas du tout à des «territoires», mais désormais à des «lieux», des intempéries linguistiques, des dieux libres qui ne réclament peut-être pas d’être adorés, des terres natales que nous aurons décidées, des langues que nous aurons désirées, ces géographies tissées de matières et de visions que nous aurons forgées. (Glissant & Chamoiseau 2007, 16 f.). <?page no="127"?> 5 Perspektiven: Ein verändertes Wirklichkeitsverhältnis der frankokaribischen Literatur Édouard Glissant hat eine Entwicklung erahnt und schreibend vorbereitet, die durch die Umstrukturierung des antillanischen Alltags eine breitere Basis erhält. Seit den 1970er Jahren sind die Gesellschaften der Frankokaribik und die literarische Wahrnehmung dieser Wirklichkeit in einem immer schnelleren Wandel begriffen. Besonders spürbar ist dies in Martinique, Guadeloupe und Französisch- Guayana. In diesen von Frankreich subventionierten départements d’outre-mer ist der materielle Wohlstand ungleich höher als auf Haiti. Die konsequente Alphabetisierung und die Verbreitung des Fernsehens führen dazu, dass die oraliture mehr und mehr schwindet, dass die kreolische Sprache eine verschärfte Konkurrenz durch das Französische bekommt. Dennoch und gerade deswegen herrscht bei einer ganzen Reihe von Autoren das Bewusstsein, dass das kulturelle Gedächtnis der Antillen stark durch diese Mündlichkeit geprägt ist. Würde dieses Gedächtnis erlöschen, so würden im selben Zug die kulturellen Wurzeln der Antillen abgeschnitten. Daher spielt in der jüngeren Literatur das Beerben der Mündlichkeit durch die Literatur und die theoretische wie ästhetische Verarbeitung des Verhältnisses zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, zwischen alter Erzähltradition und europäischen Schreibmodellen, zwischen Kreol und Französisch, zwischen mythischem und analytischem Weltverständnis eine zentrale Rolle. In Haiti sind die politisch-materiellen Bedingungen anders, aber bei den haitianischen Autoren besitzt das genannte Thema gleichfalls eine zentrale Bedeutung. 1971 kommt Jean-Claude Duvalier („Baby Doc”), der Sohn von François Duvalier („Papa Doc”), an die Macht. Erst 1986 können die Haitianer dem Duvalierismus mit dem déchoukay ein Ende setzen: der Diktator wird vertrieben. Seither hat es dennoch viele blutige Unruhen gegeben, und nach wie vor ist Haiti weit von einer Lösung seiner enormen politischen und materiellen Probleme entfernt. Die Reflexion über die Beziehung von haitianischer Mündlichkeit und französischer Schriftkultur hat in der jüngeren haitianischen Literatur aus verschiedenen Gründen zugenommen. In der kreolischen Volkskultur ist des Öfteren ein revolutionäres Movens, ein Rückhalt gegen die Diktatur gesehen worden. Bei den im Exil lebenden Autoren, wie René Depestre oder Jean Métellus, scheint das Bedürfnis gewachsen zu sein, mit den haitianischen Wurzeln des Ich anzuknüpfen, ohne dabei allerdings die Anbindung an eine als universal verstandene französische Schriftkultur und auch die Reflexion über die Öffnung besonders zur amerikanischen und europäischen Welt aufzugeben. <?page no="128"?> Perspektiven: Ein verändertes Wirklichkeitsverhältnis der frankokaribischen Literatur 128 Das gewandelte Wirklichkeitsverhältnis lässt sich an exemplarischen Autorbiographien nachvollziehen. Maryse Condé siedelt in den 1980er Jahren auf ihre Heimatinsel Guadeloupe über; nach Jahren in Afrika, einer intellektuellen Auseinandersetzung mit der Négritude und einer literarischen Verarbeitung afrikanischer Mythen, woraus Romane wie Heremakhonon (1976, Neuausgabe 1988) oder Ségou (1984, 1985) hervorgegangen sind, wendet sie sich jetzt auch literarisch wieder der Realität und Sprache der Antillen zu, zunächst mit La vie scélérate (1987), literarisch reifer dann mit Traversée de la mangrove (1989) (vergl. G. Hazaël- Massieux 1992) und weiteren Romanen (s.u., 7.1). So sehr die Besinnung auf die Authentizität die Kultur der Karibik und deren identitäre Aufwertung auch wichtig werden und bleiben, so lässt sich auch die Frage der Beziehung von Selbstdefinition und Leben in der Diaspora vernehmen, und zwar auch bei Autoren der Kleinen Antillen. Die gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch einmal enorm gestiegene räumliche Mobilität und die elektronisch leichter gewordene permanente Aufrechterhaltung der Kommunikation binden Antillen und Diaspora, erleichtern den Schritt in beide Richtungen. Auch diese Bewegung spiegelt die Lebensorientierung mancher Autoren wider. Im Jahr 2007, nachdem nicht nur sie selbst, sondern inzwischen auch sehr deutlich Gisèle Pineau in Fleur de Barbarie (2005) die Frage der Identität einer Antillaise jenseits des Archipels gestellt hat, verlässt Maryse Condé Guadeloupe im Zorn. Einem Autor aus der haitianischen Diaspora wie René Depestre, der lange in Kuba gelebt und nunmehr die französische Staatsbürgerschaft angenommen hat, muss sich wiederum die Reflexion über den Kontrast von mündlicher Volkskultur und universalen Modellen neu aufdrängen, nachdem für ihn der Traum einer internationalen sozialistischen Humanität erloschen ist (s.u., 6.2). <?page no="129"?> 6 Entwicklungen der haitianischen Literatur 6.1 Schreiben zwischen Kreolisch und Französisch In der jüngeren haitianischen Literatur sind (mindestens) zwei Tendenzen zu unterscheiden: die kreolische oder jedenfalls stark der kreolischen Mündlichkeit verpflichtete Literatur, und die Werke in französischer Sprache, in erster Linie der bekannten haitianischen Autoren aus der Diaspora, die auch thematisch, sprachlich und reflexiv Distanzen und Gegensätze zu überwinden suchen. Eines der wichtigsten Werke der kreolischen Literatur insgesamt ist der Roman Dézafi von Frankétienne (1975), der einige Jahre später unter dem Titel Les affres d’un défi (1979) in einer französischen Version erschienen ist (die nicht als eigentliche Übersetzung verstanden werden will) und inzwischen im kreolischen Original glücklicherweise in Frankreich neu ediert ist (2002; zur Problematik der Edition haitianischer Autoren in Frankreich s. N’Zengou-Tayo 2006). Der Autor verwendet verschiedene Register des ländlichen, nicht-franzisierten, „basilektalen” Kreols, bis hin zur esoterischen Sprache der Anhänger des Hahnenkampfes; hinter dem Titel Dézafi steht gleichfalls une sorte de défi que se lancent les éleveurs de coqs dans certaines régions du nord d’Haïti (Chamoiseau & Confiant 1991, 174). Chamoiseau & Confiant (1991, 175 ff.) oder ähnlich Bouraoui (1987, 94) heben an diesem Roman hervor, dass er ohne einen zentralen Protagonisten bleibt; stattdessen eröffnet er ein breites Flechtwerk von Gestalten und Motiven. Die Handlung kreist um eine Unterdrückung: Saintil (kreolisch Sintil) beherrscht die Gegend; er ist Hougan, also Vaudou-Priester, der nicht nur die Bewohner unterjocht, sondern auch die Zombis. Saintils Tochter Sultana (Siltana) allerdings ist in einen der Zombis, Clodonis (Klodonis), verliebt und sucht ihn zu befreien, indem sie ihm Salz bringt. Frankétiennes Werk besitzt eine politische Dimension, wenngleich Dézafi kein engagierter Roman ist (wie z.B. Le mât de cocagne von R. Depestre) (s. Chamoiseau & Confiant 1991, 179; Laroche 1987b). Die eigentliche Leistung dieses Romans liegt in seiner Sprache, in seiner Struktur, die reich aus der mündlichen kreolischen Kultur schöpft: L’éclatement de l’œuvre, son morcellement, ses ruptures de rythme, de niveaux, ses dérapages et ses répétitions, le tourbillon finalement qui semble tourner d’autant plus vite qu’il tourne sur place, ne serait-ce pas la traduction de l’effort pour saisir, unir, cette multiplicité, ce foisonnement de vie dans une langue et pour une culture qui commencent à peine à s’énoncer par écrit? (Laroche 1987b, 105) <?page no="130"?> Entwicklungen der haitianischen Literatur 130 In dieser nicht-linearen Struktur des Romans spielt die Doppelung eine wichtige Rolle, die mit der Vaudou-Tradition der marassa („Zwillinge”) zu tun hat (Chamoiseau & Confiant 1991, 177; vergl. zum Motiv der dossa, der allmächtigen Zwillingsschwester, Laroche 1987b, 100). Zu diesem Stil eine kurze Textprobe: Bagèt woule. Lougawou vole. Timoun fwonte piwete lan kalfou; yo ponpe; yo plezire; yo bouloze; yo kasepwente; yo bay chika; yo danse banda; yo simen kalinda; yo vire ren yo lan wonn gedezarenyen gedemazaka. Nou gade yo; nou souké tèt nou. Pafwa, nou chikin kò nou anplas. Zèklè file. Loray gwonde. Lapli tonbe. Lavalas desann. Bann rara sòti kanmenm lan granchemen. Nou fè rimay leve kanpe. Men, si nou dwe antre toutbon lan won, sou ki pye pou nou danse ? Po nou filange. Nou pote mak jouk lan zo. (Frankétienne 1975/ 2002, 19) Roulements de tambour. Voltiges de loup-garou. A un croisement de routes, de jeunes écervelés font des pirouettes acrobatiques, exécutent des sauts périlleux, se livrent à des déhanchements hystériques. Nous les regardons s’agiter; et nous secouons la tête de pitié. Par moments, il nous arrive de bouger sans nous déplacer vraiment. Zigzag fugace des éclairs. Chevauchée bruyante de l’orage. Déchirure du ciel et avalanche d’eau. Torrents déchaînés et rivières en crue charriant d’innombrables épaves. Malgré tout, au dehors, les raras bouillonnent d’animation. En proie à la tentation, nous esquissons le geste de nous lever. Mais, s’il est question pour nous d’y participer pleinement, sur quel pied devrions-nous danser ? La chair tailladée, nous avons le corps raviné de cicatrices... jusqu’aux os. (Frankétienne 1979, 7) Abgesehen von einer hypothetischen Konstruktion (si nou dwe antre...) besteht der kreolische Text nur aus sehr knappen Hauptsätzen. Diese typisch kreolische Textstruktur wird hier gezielt zur Verstärkung der frenetischen, lawinenartigen Bewegungsimpression eingesetzt. Dem Autor gelingt es, diesen Rhythmus im Französischen mit Nominalstrukturen aufzufangen, wobei er aber auf die breitere Palette von Junktionstechniken zurückgreift, etwa in der Partizipialkonstruktion la chair tailladée, die im kreolischen Text als Hauptsatz ausgedrückt ist (Po nou filange); auf diese Weise kann er die geraffte Syntagmenstruktur des Kreols wahren, die, anders als ein vollständiger französischer Haupt- oder Nebensatz, kein Hilfsverb wie être erfordert. Auffällig ist weiter der größere Umfang des französischen Textes; z.B. für Torrents déchaînés et rivières en crue charriant d’innombrables épaves steht im Kreol kein direktes Äquivalent. Wenn auf der einen Seite die lexikalischen Ausdrucksmöglichkeiten im Französischen zahlreicher sind, so benennen die kreolischen Ausdrücke Welterfahrungen, die für den eingeweihten Leser vorausgesetzt werden können, in der französischen Version aber ausführlichere Darlegung nötig machen: lavalas ist im Kreol mit einer ganz spezifischen Erfahrung verbunden, die das französische Wort avalanche ohne Zusätze nicht wiedergeben kann (zur Präsuppositionalität als Merkmal von Mündlichkeit s. Ludwig 1986; vergl. zum kreolischen lavalas auch das u. in 7.2.1 zitierte Gedicht von H. <?page no="131"?> Schreiben zwischen Kreolisch und Französisch 131 Poullet). Im kreolischen Text macht sich der Autor zudem die graphischen Gestaltungsmöglichkeiten der Buchseite zunutze. Andere Texte von Frankétienne sind von Beginn an in kreolisch inspiriertem Antillenfranzösisch konzipiert, das zum Ort außerordentlicher referentieller Kraft und ästhetisch-poetischer Innovation wird. Der Gattungsbezeichnung „Roman“ zieht er den Terminus „spirale“ vor, den er seit 1972 - dem Erscheinungsjahr von Ultravocal - entwickelt (Frankétienne, in: Loupias 1998, 43): Je n’ai rien inventé. La spirale est un mode de fonctionnement de la nature, que l’on retrouve aussi bien dans la physique des particules que dans la biologie moléculaire, avec les filaments de l’AND... J’ai fini par découvrir que, dans son éclatement, la spirale renvoyait à la notion de hasard, à cette théorie du chaos dont on parle tant. Pour moi, à travers l’écriture, c’est une tentative, peut-être illusoire, de retrouver l’essence de la vie. Die antillenfranzösische „Spirale“ L’oiseau schizophone erscheint zunächst, wie alle Werke von Frankétienne, in einer kleinen haitianischen Auflage (bzw. im Eigenverlag). So erklärt es sich, dass die Frankétienne-Rezeption anfangs wieder das Privileg einer kleinen Gruppe karibischer und karibophiler Intellektueller bleibt, bis 1998 ein Pariser Verlag dieses kapitale Werk in Faksimile veröffentlicht; inzwischen sind auch andere Romane bzw. „Spiralen“ neu ediert, so zuletzt D’une bouche ovale. Deuxième mouvement des métamorphoses de l’oiseau schizophone (Portau-Prince 1996/ Châteauneuf-le-Rouge 2006). Wie in der kreolischen Version von Dézafi nutzt Frankétienne in L’oiseau schizophone die graphischen Ausdruckstechniken. Der für den traditionellen Roman charakteristischen, der Saussureschen Linearität des sprachlichen Zeichens unterworfene Rezeptionsprozess wird damit erschüttert. Die von Frankétienne benutzte Variationsbreite des graphischen Zeichens substituiert auch in L’oiseau schizophone Intonation und Expressivität der gesprochenen Sprache in unerhört lebendigerer Weise als Mittel des graphemischen Standardinventars wie Ausrufe- und Fragezeichen. L’oiseau schizophone handelt von dem Autor Philémond Théophile, der die Repression der Diktatur erleiden muss. Dieses Werk steht für die sprachliche Spaltung des haitianischen Denkers, die politische und physische Krankheit Haitis. Aus dem Konflikt heraus wachsen Blumen des Bösen, die ihre Nährstoffe aus nicht versiegender physisch-erotischer Lebensfreude der kreolischen Volkskultur sowie aus ästhetischer Schaffenskraft beziehen (Frankétienne 1998, 656 f.): <?page no="132"?> Entwicklungen der haitianischen Literatur 132 Surpris au crépuscule par des agents de la police gouvernementale, trois jeunes lycéens qui placardaient sur un mur de la Cathédrale Chicoye, la Grande Basilique Notre-Dame du Mois d'Août, d'inoffensives affiches publicitaires, furent abattus froidement, soupçonnés de menées subversives contre la sûreté de l'Etat et accusés post mortem d'avoir noué des contacts clandestins avec la secte mystique dénommée l'Etoile Illumineuse. Leurs mains et leurs têtes tranchées furent expédiées, dans un panier en osier ensanglanté, au chef de la révolution zozobiste comme un précieux butin de chasse. Echec la détresse La crise politique Fresque de flammes austères germination du verbe tourelle de tourterelles dans l'intervalle des cloches quand la fumée s'incline vers la sécheresse des toits où le cerveau s'embrase en un luxe d'incendie et de fleurs de pavot je déparle au marteau douloureux de mon âme en amont de ma chute égayée de Cinéma dérobement L'ombre d'une vie musique je récupère mes cris ma fièvre en équilibre pantomimant la mort la dérision de l'art la bouffonnerie des ailes ensorcelées d'abîme. Craquelure voeu de verre désir aux yeux de braise en un brûlant sillage de désastres fatidiques les périls en cascade où s'infiltre le venin aux jointures de la fuite aux ciselures de la course aux contours de mes lèvres modulant la magie des fentes entrebâillées le tutoiement du sexe aux éclats de l'orgasme. <?page no="133"?> Vermittlungen zwischen Räumen und Diskursen 133 Nicht nur Frankétienne schreibt kreolisch; denselben sprachlich-identitären Weg gehen Carrie Paultre (1978) oder Félix Morisseau-Leroy (1982; zu Geschichte und Gegenwart der kreolophonen Dichtung in Haiti bzw. der Frankokaribik insgesamt s. auch M.-Ch. Hazaël-Massieux 1998a). 6.2 Vermittlungen zwischen Räumen und Diskursen Am bekanntesten innerhalb eines breiteren Publikums ist die neuere haitianische Literatur wohl durch die Werke von René Depestre geworden, dem 1988 für seinen Roman Hadriana dans tous mes rêves der Prix Renaudot verliehen wurde. Insbesondere in seinem jüngeren Werk wertet Depestre die Erfahrungen seines Nomadenlebens aus. Geboren 1926 in Jacmel, bekennt er sich früh zum Marxismus. Immer wieder betätigt er sich politisch militant und muss in der Folge das Land verlassen, sei es nach einigen Studienjahren in Paris, in Prag oder 1952 in Kuba. 1958 kommt er nach Haiti zurück. Schnell aber gibt er seine Opposition zu François Duvalier zu erkennen, und er nimmt 1959 eine Einladung von Che Guevara nach Kuba an. Er lebt dort lange, als Autor, Journalist und Organisator des kulturellen Lebens; von dort aus unternimmt er ausgedehnte Reisen in die Länder der sozialistischen Welt. Jedoch beginnt er, die kubanische Politik zu kritisieren, und 1978 muss er Kuba den Rücken kehren. Seit 1986 lebt er in Südfrankreich (zu Depestres Biographie vergl. Couffon 1986). In dem Essay Ainsi parle le fleuve noir, der an erster Stelle seines 2005 erschienenen Bandes Encore une mer à traverser (mit welcher Titelwahl er übrigens Césaire zitiert) steht (2005, 11- 90), setzt er sich nicht nur mit der haitianischen Geschichte und literarischen Etappen, sondern gleichzeitig auch mit den Stationen seines Lebens auseinander. Gerade das Nachdenken über die Entwurzelung, das Scheitern des kubanischen Traums, scheint sein Bedürfnis zu stärken, an die Wurzeln der haitianischen Volkskultur anzuknüpfen und seine Initiationsjahre auf der Heimatinsel zu literarisieren (vergl. den autobiographischen Passus in Hadriana dans tous mes rêves, 135 f.). Nach einer kontinuierlichen lyrischen Tätigkeit - einen Überblick über die in Gedichten niedergelegten Eindrücke aus Depestres verschiedenen Lebensabschnitten vermittelt die Neuausgabe des Journal d’un animal marin (1990) - veröffentlicht er 1975, zunächst in einer spanischen Übersetzung, den Roman Le mât de cocagne; 1979 erscheint er im französischen Original. Dieses Werk ist in den letzten Jahren Depestres in Kuba entstanden, als man ihn schon aus den kulturpolitischen Schlüsselpositionen verdrängt hatte. Der Ort der Handlung ist eine imaginäre tropische Insel, die von dem Diktator Zoocrate Zacharie mit blutiger Willkür beherrscht wird. Das Regime hat den oppositionellen Senator Henri Postel aus seinem Amt entfernt und, um ihn vor aller Augen zu demütigen, zur Übernahme eines ärmlichen Ladengeschäfts gezwungen. Postel, der sich nach der grausamen Ermordung seiner Familie auch physisch aufgegeben hat, plant die Flucht nach Kanada. Aber er besinnt sich im letzten Moment und meldet sich für ein populäres Volksfest an: die Besteigung des mât de cocagne, eines mit Fett <?page no="134"?> Entwicklungen der haitianischen Literatur 134 beschmierten Baumstamms, an dessen Gipfel eine Trophäe für den Sieger hängt. Die Organe der Diktatur, das Office National de l’Electrification des Ames, wollen den karnevalesken Ritus zur Stützung ihrer Herrschaft einsetzen, nachdem sie Volksfeste lange unterdrückt haben (1979, 23). Postel bereitet sich auf den Wettkampf vor, und in dieser Form der Rückbesinnung auf den freiheitlichen Sinn der populären Kultur kommt es zu seiner geistigen und körperlichen Wiedergeburt. Eine der Scharnierstellen des Romans ist die Schilderung einer Vaudou-Zeremonie, in der die loas um Hilfe gebeten werden (1979, 102-122); dabei entdeckt Postel die Liebe zu der jungen Elisa und so von neuem die Kraft der sinnlichen Bedürfnisse. Postel gelingt es als einzigem, den mât de cocagne zu besteigen. Im Koffer am Gipfel des Baums findet er ein Gewehr als Trophäe, mit dem er sogleich auf die Vertreter der Diktatur schießt, bevor er selbst tödlich getroffen wird. Das Volksfest hat seinen ursprünglichen Sinn wiedergefunden. Die karnevaleske Kultur erweist sich als Macht, die Eros befreit und sich gegen politische Unterdrückung kehrt; daran ändern auch der Tod von Postel und das Fehlschlagen des anschließenden Umsturzversuchs nichts. Gewiss ist der Roman eine Allegorie auf das haitianische Duvalier-Regime (Hauptstadt des Grand Pays Zacharien ist Port-au-Roi). Wichtiger aber als diese konkrete Seite ist die allgemeine Aussage von Depestres romaneskem Engagement: libidinöse Erfüllung ist Teil der Volkskultur - die in Haiti durch den Vaudou-Kult geprägt ist - und sie ist Chiffre für die freie Selbsterfüllung des Menschen; damit erweist sie sich als subversive Kraft in politischen Systemen, die das Individuum seiner Freiheit berauben. Entsprechend gehört in Frankétiennes Dézafi sexuelle Unterdrückung zu den Manifestationsformen von Repression (vergl. Laroche 1987b, 98 f.). Die Erotik ist im karibischen Alltag, im karnevalesken Volksfest wie - so versichert Depestre selbst - im Vaudou-Kult allgegenwärtig (s. Couffon 1986, 15); in Hadriana dans tous mes rêves legt Depestre diese Erkenntnis einem Fremden in den Mund: Henrik Radsen aussi, en grand Blanc danois, est monté à son tour au créneau. Il a dit que, mieux que des prières, les danses vaudou étaient des hymnes inégalés à l’aventure humaine que Dieu déroule comme un tapis sous nos pas d’ici-bas. En Europe, qu’il a dit, dans les prières, les fidèles font appel aux yeux, aux mains, aux genoux, aux lèvres. Le charme d’Haïti devant Dieu tient dans le fait que les hanches, les reins, les fesses, les organes intimes interviennent dans les mouvements élevés de l’âme comme autant de forces motrices de rédemption. Le banda est peut-être la forme oratoire la plus belle qu’on ait imaginée. (Depestre 1988, 64 f.) Obwohl die Erotik bei Depestre, wie Kundera kommentiert (1991, 52 f.), frei von jeglichen psychologischen oder moralischen Problemen ist, stellt ihre Literarisierung eine Form des Normbruchs dar: traditionellerweise ist dieser sinnliche Bereich aus der formelleren frankophonen Schriftlichkeit der Antillen verbannt (zur Erotik als Facette der Integration von Mündlichkeit im karibischen Roman s. Ludwig 1992). In seinem Essayband Le métier à métisser (1998) erläutert Depestre noch einmal die Rolle seines „érotisme solaire“ (1998, 125 ff.). <?page no="135"?> Vermittlungen zwischen Räumen und Diskursen 135 Dieses Thema ist zentral in Depestres jüngerem narrativen Werk, also der Novellensammlung Alléluia pour une femme-jardin (1981), des erwähnten Romans Hadriana dans tous mes rêves (1988) bis hin zu dem Novellenband Éros dans un train chinois (1990). Deutlicher als in seinem ersten Roman knüpft er in Hadriana dans tous mes rêves an den magischen Realismus an. Hier erzählt er die Geschichte der schönen Hadriana Siloé, die bei ihrer Hochzeit stirbt. Aber es ist die Zeit des Karnevals, und der Vaudou-Kult erlaubt ihre Wiederauferstehung. Ganz wie es Bakhtine (1970) für Rabelais’ Verhältnis zur Volksfestkultur dargelegt hat, sind im Karneval Tod und Wiedergeburt, Trauer, Fest und sexuelle Erfüllung eng verwoben. Wenn Depestre allerdings Bereiche des mündlichen kulturellen Gedächtnisses der Haitianer verschriftlicht, bleibt dieses weitgehend ein semantischer Akt. Trotz einzelner Zitate von kreolischen Wendungen oder von Ausdrücken, die der französischen Subnorm angehören (wie im nächsten Zitat baisable und enculable), hält seine Sprache insgesamt dem Schriftfranzösischen die Treue. Dies zeigt ein Ausschnitt aus der Schilderung der wiederauferstandenen Hadriana, als sie in Jamaica nach achtunddreißig Jahren den Autor wiedertrifft (Depestre hat ihm den Namen Patrick Altamont gegeben, aber die biographischen Bezüge sind überdeutlich); sie berichtet ihm über ihre Zombi-Existenz nach dem Tode und die Überlistung dieses Zaubers. In der Zombifizierung Hadrianas kann im Übrigen auch eine Metapher für die haitianische Realität gesehen werden (vergl. weiter 1988, 125): J’étais perdue dans le vide stupéfiant baptisé zombie en Haïti. J’étais provisoirement jetée au cachot d’une fosse de cimetière avant d’être écartelée par la magie en gros bon ange et petit bon ange, dans un semblant d’existence doublement végétative : d’un côté, belle tête de bétail corvéable et taillable, et surtout baisable et enculable à merci ; et de l’autre côté, hôte à vie d’une vieille grosse bouteille de champagne. Cet avenir me paraissait une menace plus horrible encore que la vie d’élémentaire forme auditive qui était la mienne, depuis le samedi soir, dans mon état de catalepsie ou de mort apparente. [...] la palpitation de la mer proche parvenait à ma cave funéraire. C’était l’appel mystérieux du golfe de mon enfance, une invite indicible au voyage, à l’espoir, à l’action. La mer de Jacmel me rabattait secrètement vers l’espace lumineux de tout ce que j’étais à un doigt de perdre à tout jamais. La victoire était encore possible sur les forces démoniaques qui me zombifiaient. (Depestre 1988, 173) Depestre bekennt sich zum kreolischen Erbe Haitis (vergl. sein Gedicht En fils créole de la francophonie, in Ludwig 1994, 56 f.), parallel aber zum Ideal des literarischen Französisch, das für ihn - wie er in seinem autobiographischen Essay Un exil enraciné dans la langue française (1991) zu erkennen gibt - immer ein universaler Leitfaden war. Diese Identifikation mit den haitianischen Jugenderinnerungen einerseits und der französischen Sprache andererseits teilt Depestre mit Jean Métellus; wie Depestre stammt er aus Jacmel; Jacmel ist auch Gegenstand und Titel eines langen Gedichtes (1991). Métellus thematisiert in seinen Romanen die haitianische Vergangenheit, etwa den Aufstand der Cacos gegen die amerikanische Okkupation (1989, vergl. dazu Ceccon 2006), und das Leben der Haitianer in der Diaspora, <?page no="136"?> Entwicklungen der haitianischen Literatur 136 wie in seinem Roman Louis Vortex (1992a). In seiner Gedichtsammlung mit dem Titel Voix nègres knüpft er deutlich an das Gedankengut von Indigenismus und Négritude an und feiert schwarze Leitfiguren wie Martin Luther King, Louis Armstrong oder Patrice Lumumba (1992b). Eine Reihe weiterer haitianischer Schriftsteller erforderte eine vertiefte Betrachtung (s. auch den Überblick in Marty 2000). Wichtig ist das Werk von Marie Chauvet, namentlich ihre Trilogie Amour, colère et folie (1968). Mit der dritten Erzählung aus diesem Band - La folie - liefert die Autorin, so M. Laroche (1984, 1), eine direkte Ausgestaltung der Theorie des réalisme merveilleux von J. S. Alexis. Zu nennen sind ferner jüngere Autoren wie Louis-Philippe Dalembert, dessen Songe d’une photo d’enfance (1993) mehrere Texte vereint, die ihren Handlungsort auf einer imaginären Insel haben, die der Leser unschwer als Metapher für Haiti deutet: „Salbounda” (dieser kreolische Name bedeutet soviel wie „dreckiger Hintern”) mit der Hauptstadt „Port-aux-Crasses”. Dalemberts zuerst 1998 erschienener Roman L’autre face de la mer hat seinen Ausgangspunkt in einer schmutzigen, am Meer gelegenen Stadt und dem Traum des Wanderns: Longtemps, j’ai rêvé de traverser l‘océan, comme on enjamberait une flaque d’eau, pour aller voir le point de jonction du ciel et de la terre, les racines mêmes de l’horizon. Un vieux rêve de jeunesse, désormais hors ma portée… (Dalembert 1998, 13) Diesen Evasionstraum erzählt zu Beginn des Romans die Großmutter Grannie; was ihr versagt bleibt, gelingt am Ende ihrem Enkel Jonas, nach dem Tod von Grannie: En renonçant à ce qu’il possédait, c’est-à-dire rien et tout à la fois, en abandonnant sa ville natale, en mourant à ses rues sales et chaotiques, à ses montagnes ravagées, écrasées de soleil, ses mendiants loqueteux, ses bourgeois arrogants, la médiocrité triomphante, il espérait rencontrer une nouvelle vie plus loin. De l’autre côté de l’océan. (Dalembert 1998, 238 f.) Dalemberts Stil transportiert mitunter die haitianische Oralität, bis hin zu kreolischen Einschüben wie dem Lied über das Meer („Sou lanmè n ape flote …“, 1998, 167 f.) oder sehr dialogischen Abschnitten (1998, 231 ff.). In kurzen, knappen und harten Juxtapositionen skizziert er den Blick auf die schäbige Stadt, wobei die Syntax, der Verzicht auf ausgewogene Satzkonstruktionen ebenfalls auf die Mündlichkeit verweisen: Jonas fraye avec difficulté sa voie au milieu de tous ses gens. Il transpire comme les autres. Le soleil lui brule le crâne. Cette envie de vomir qui lui comprime la poitrine. La ville grouille sous le feu du soleil. Palpite, sexe en rut. La ville monte et descend. Sue, ahane. S’embouteille du soir au matin. La ville, si on peut nommer ainsi ce marasme où cohabitent des millions d’humains et trois fois plus de cochons. Tous se vautrant dans la merde. (1998, 123) <?page no="137"?> Vermittlungen zwischen Räumen und Diskursen 137 Empfindung und bis ins Alptraumhafte reichende Assoziationen werden schließlich von syntaktisch entbundenen, frei fließenden Formulierungen ausgedrückt (z.B. 1998, 103, 201, 213). In den Kindheitserinnerungen Mille eaux von Émile Ollivier (1999) sind Momente des Leidens und Glücks durchwoben, Blicke auf den Auszug des Vaters aus der Familie oder auf die sanfte Beziehung zum Dienstmädchen Evita: Aufnahmen einer unscheinbaren, essentiellen Geschichte, die ihren Platz neben dem biographischen Diktat hat, dem der Autor wie die meisten Haitianer durch die politischen Wirren unterworfen wurde: Ces souvenirs sont les plus nets qui me soient restés de ce temps de ma prime enfance. Malgré leur caractère fragmentaire, nimbés de mystères, ils persistent et resurgissent. Ils sont comme cette autre histoire qui a recouvert d’un drap de sang toute mon adolescence et mes premiers pas d’adulte. Mais elle est connue celle-là : la dictature, l’exil, l’errance. (Ollivier 1999, 120) Diese Wanderung - errance - ist für viele der haitianischen Literatur der letzten Jahrzehnte zuzurechnenden Werke charakteristisch: sei es, dass der Ausbruch aus dem Leben in Haiti gesucht wird, sei es, dass das Leben fern von Haiti Heimat- Nostalgie stiftet. Lyonel Trouillot zeigt in Les enfants des héros (2002/ 2007) die Kinder Colin und Mariela, die - nachdem sie, so wird suggeriert, ihren tyrannischen Vater umgebracht haben - aus der Hütte der Eltern fliehen und in haitianischen Elendsvierteln herumirren. Aus der Perspektive der Diaspora nähert sich Dany Laferrière Haiti an. In seinem frühen Roman mit dem burlesken Titel Comment faire l’amour à un nègre sans se fatiguer inszeniert er zwei junge, in Montreal lebende Haitianer, die ein Bohème-Leben zwischen vielen Büchern, dem Schreiben auf einer alten „Remington“-Maschine (s. z.B. 1985/ 2004, 53), der Koran-Lektüre und mehr oder weniger unkomplizierten Frauen-Bekanntschaften („Miz Sophisticated Lady“, „Miz Littérature“) führen: U NE CHRONIQUE DE MA CHAMBRE AU 3670, R UE S AINT -D ENIS (description faite avec l’accord de ma vieille Remington 22). J’écris : LIT. Je vois : matelas poisseux, drap crasseux, sommier grinçant, Divan gondolé. Je pense : dormir (Bouba dort douze heures d’affilée), baiser (Miz Sophisticated Lady), rêvasser au lit (avec Miz Littérature), écrire au lit (le Paradis du Dragueur Nègre), lire au lit (Miller, Cendrars, Bukowski). (Laferrière 1985/ 2004, 108) In dem schon in 2.3.1 angesprochenen Roman Pays sans chapeau (1997/ 2001) tritt der deutlich autobiographische Züge tragende Erzähler nach langen Jahren der Abwesenheit die Rückkehr nach Haiti an und trifft dort - ebenso ergriffen wie ironisch - auf die Welt seiner Kindheit. Sehr nachhaltig thematisiert dieser Roman die Spannungen und Risse, die Entfernung und - die für den Haitianer oft erzwungene - Migration mit sich bringen (wie die o in 2.3.1 zitierte Episode des in Brooklyn aufgespürten Vaters zeigt, der, in der Überzeugung, alle seine Kinder seien tot, dem Sohn den Eintritt in seine Wohnung verweigert). <?page no="138"?> Entwicklungen der haitianischen Literatur 138 Ein interessanter Roman schließlich ist Gary Victor mit Les cloches de La Brésilienne (2006) gelungen. Es ist die Geschichte des schielenden Kriminalinspektors Dieuswalwe Azémar, ein „kakakleren“ (Alkoholiker), dessen Fehler - wozu an erster Stelle seine notorische Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit zählen - dafür verantwortlich sind, dass seine Vorgesetzten ihm nur unbedeutende Fälle anvertrauen (2006, 11). Er muss jetzt in der kleinen haitianischen Stadt La Brésilienne aufklären, warum die Glocken der Kirche keine Töne mehr hervorbringen können; unbedingt soll bis zur „fête patronale“ das Geläute wieder erklingen. Er gerät hier in ein Netz von Korruption und Intrigen, das sich zwischen dem Bürgermeister Exantus, dem Abgeordneten Maren, dem bretonischen Priester Lefenec und dem nordamerikanischen Prediger Sirius spannt. Haiti wird in diesem Werk mit scharfem, gleichzeitig karikierendem wie mitunter dem magischen Realismus verpflichteten Blick von innen heraus gesehen. Wiewohl die Perspektive des Autors ihren Brennpunkt in der ländlichen Gesellschaft Haitis setzt, so wird doch deutlich, wie sehr dieses Land von äußeren Mächten bestimmt ist, sei es, dass es einfach nur Haitianer sind, die in Nordamerika Geld im Musikgeschäft verdient haben („un parvenu revenant des États-Unis“, 2006, 49), sei es, dass ein protestantischer Prediger recht unverhohlen als amerikanischer Spion inszeniert wird, der Azémar schließlich zu ermorden trachtet. Der Grund für das Verschwinden des Glockengeläutes liegt in dem personalisierten Konflikt zwischen Vaudou und Katholizismus: vom Vaudou fasziniert, liebt der Père Lefenec die Vaudou- Priesterin Shibouna, die er aber dann wieder von sich weist, obwohl sie ein Kind von ihm bekommen hat. Dieses Kindes nimmt sich Azémar schließlich an, der in dem blutigen Machtkampf - in dem auch die schöne, von den Mächtigen ausgehaltene Mireya zu Tode kommt, mit der der Polizist vorher Momente sensibelkörperlicher Intensität verbringt (2006, 62 ff.) - einen Läuterungsprozess durchlebt. Der Realismus, die Poesie wie auch ironische Polyphonie dieses Buches sprengen dessen einfache Gattungszuordnung zum „polar“, die zunächst einmal angemessen erscheint. <?page no="139"?> 7 Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 7.1 Oszillationen: Afrika, Europa und die Antillen - Oralität und Literalität Die Literatur der franko-antillanischen départements d’outre-mer ist heute, wie schon gesagt, in starkem Maße durch den Wandel der kreolischen Welt im Zuge von Technisierung und Alphabetisierung geprägt. In der Auseinandersetzung mit dieser Realität „beerbt” sie die Hauptetappen der karibischen Literatur auf verschiedene Weise. Keine der dargestellten traditionellen Bewegungen wird unverändert fortgesetzt; es kommt vielmehr zu unterschiedlichen Synthese-Versuchen, die eben von dem beschriebenen neuen Wirklichkeitsverhältnis getragen werden, das sich mit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts abzeichnet und dann von den achtziger Jahren an immer dominanter wird. (Einzelstudien zu vielen der im folgenden besprochenen Autoren finden sich etwa in dem Sammelwerk von Condé 1992b.) Die Guadelouper Autorin Simone Schwarz-Bart hat 1972 einen Roman veröffentlicht, in dem diese Entwicklung sehr deutlich zum Vorschein tritt: Pluie et vent sur Télumée Miracle. Es ist die Geschichte von Télumée, die hart für ihre ärmliche Existenz arbeiten muss und im Laufe ihres Lebens schwere Rückschläge erfährt. Ihr erster Mann - Élie, der Gefährte glücklicher Kindheitstage - wird bei einer Dürreperiode arbeitslos, flüchtet sich in den Alkohol und jagt sie schließlich mit Hilfe einer neuen Geliebten aus der Hütte. Sie findet dann kurzes Glück an der Seite des Arbeiters Amboise; dieser aber verunglückt tödlich, als er sich bei der Organisation eines Streiks in der Zuckerfabrik engagiert (1972, 220-222). Sie nimmt sich dann des geistig verwirrten Außenseiters Médard an, der aber ihre Adoptivtocher entführt und schließlich, bei dem Versuch, Télumée zu erstechen, selbst umkommt. Alle Schicksalsschläge können Télumée ihren Lebensmut, ihren aufrechten Gang und ihre Hilfsbereitschaft anderen gegenüber nicht rauben, was ihr den Namen Télumée „Miracle“ einbringt (1972, 239). S. Schwarz-Bart hat versichert, sie wolle mit Télumée Miracle ihre Sicht der Guadelouper Wirklichkeit umsetzen; diese sei Teil des antillanischen Kulturerbes (patrimoine): J’écris ce que j’aurais voulu lire. Ce que j’ai cherché moi-même ? Ce que les Antillais devraient avoir dans leur bibliothèque, leur patrimoine. Message, c’est un grand mot. J’aimerais transmettre tout ce que je connais de notre réalité, tout ce que je ressens, mais sans prétention. J’aimerais bien que les Antillais puissent me lire. (S. & A. Schwarz-Bart 1979, 21) <?page no="140"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 140 Der im Roman verarbeitete Geschichtsabschnitt umfasst hauptsächlich die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, die Vorstufe zur heutigen Gesellschaft, die noch dominant mündlichen Charakter hatte (zur negativen Darstellung der Schriftlichkeit bei S. Schwarz-Bart s. Ludwig 1992); gleichwohl löst die Autorin sich nicht vom Bezugsrahmen der Moderne, sie setzt eine alphabetisierte antillanische Rezipientenschicht voraus. Das Anknüpfen an die kreolische Mündlichkeit führt sie dahin, auch das Textmodell der Oraliture sowie die damit verbundene Lebenshaltung einzubringen. Die Handlung des Romans wird von der Protagonistin in der Ich-Form geschildert; so zögert die Autorin auch, ihr Werk als Roman statt als Erzählung zu bezeichnen. Die narrative Rahmensituation wird im Text durch weitere Erzählungen, etwa von Télumées Großmutter Reine Sans Nom, gedoppelt (vergl. S. & A. Schwarz-Bart 1979, 21). Als Träger der mündlichen Weltsicht erscheinen dem Kreol entnommene Sprichwörter; ihnen kommt eine wichtige Funktion bei der Lösung von Problemen und der Kindererziehung zu. In der Sozialisierung von Kindern in der mündlichen Gesellschaft erweisen sich wiederum die contes der Erwachsenen, meist der Alten, als wesentliches Element. Als die Kinder Télumée und Élie aus dem Munde von Reine Sans Nom die Geschichte von Wvabor Hautes Jambes vernehmen, der unablässig dem Traum des Glücks auf Erden nachreitet, bis er die Kontrolle über sein Pferd verliert, hält die alte Frau kurz inne und fragt die beiden: - Mes petites braises, dites-moi, l’homme est-il un oignon ? - Non, non, disions-nous, fort savants dans ce domaine, l’homme n’est pas un oignon qui s’épluche, il n’est pas ça. Et elle reprenait alors très vite, satisfaite... (1972, 78) Was in dem für die kreolische Erzählung typischen Wechsel zwischen Conteur und Zuhörern zu einem pädagogischen Fragespiel umgebildet wird, ist das kreolische Sprichwort On nonm pa on zongnon (“Un homme n’est pas un oignon”; dies bedeutet soviel wie: „man muss das menschliche Wesen respektieren”, s. Ludwig & Montbrand & Poullet & Telchid 2002, 448; zur Rolle des Sprichworts in der kreolischen Rede s. Ludwig & Poullet 1990). In demselben narrativen Einschub der Großmutter kommt ein Charakteristikum des mündlichen kulturellen Gedächtnisses zum Vorschein, das S. Schwarz- Bart in die Nachbarschaft der haitianischen Tradition bringt: eine „magische” Weltsicht. Aus Wvabor Hautes Jambes wird in der Geschichte der Großmutter ein Geist, ein ruheloser Reiter, der negatives Vorbild ist: obwohl das Leben eine Kette von Unglücksfällen sein kann, soll sich Télumée niemals die Zügel ihres Schicksals aus der Hand nehmen lassen (1972, 79). In der Romanhandlung selbst verwischen sich die Grenzen zwischen analytischer und mythischer Wahrnehmung bei der Zauberin Man Cia, die sich nach ihrem Tod in einen Hund verwandelt (1972, 188-193). Dieses magische Weltbild, das S. Schwarz-Bart in ihrem folgenden Roman Ti Jean l’Horizon (1979) noch sehr viel breiter in Szene setzt (vergl. Riesz 1985), wird in Télumée Miracle allerdings durch die analytischere Sicht des Wahn- <?page no="141"?> Oszillationen: Afrika, Europa und die Antillen - Oralität und Literalität 141 sinns von Ange Médard gebrochen. Der Roman gibt auch ein realistisches Abbild der armen ländlichen Gesellschaft der Kleinen Antillen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Struktur der antillanischen Familie, deren zentraler Stützpfeiler die Frau ist; ein detailgerechtes Porträt dieser Lebenswelt hatte schon Joseph Zobel mit seinem zuerst 1950 erschienenen Roman La rue Cases-Nègres geliefert, der nicht zuletzt durch die ausgezeichnete Verfilmung von Euzhan Palcy weithin bekannt geworden ist (zu Zobel vergl. Chamoiseau & Confiant 1991, 142 ff.; Corzani 1978, VI, 103 ff.; Bader 1985). Wie eine Nähe zwischen dem Werk von S. Schwarz-Bart und dem haitianischen magischen Realismus vermerkt werden kann, so hinterlässt die Négritude Spuren in den Romanen von Bertène Juminer. Er wird 1927 in Cayenne/ Französisch-Guayana geboren. Wenngleich er einen großen Teil seiner Kindheit in Guadeloupe verbringt und nach einem Medizinstudium in Montpellier lange im Iran und im Senegal tätig ist, behält er immer eine besondere Bindung zu seiner Geburtsregion. Seine frühen Romane, wie Les bâtards (1961), Au seuil d’un nouveau cri (1963) oder Les héritiers de la presqu’île (1979) sind stark durch die Négritude und vor allem durch Frantz Fanon beeinflusst, mit dem Juminer eine enge Freundschaft verband (zum früheren Werk von Juminer vergl. Corzani 1978, V, 63-86). Sein letzter Roman, La fraction de seconde (1990), ist deutlich von dem Verlangen getragen, die mythischen afrikanischen Wurzeln der Schwarzen, europäisches Schriftkultur-Wissen und die in die Kindheit zurückreichende Prägung durch die karibische Oralität in ein antillanisches Ich zu überführen, wobei die französische Verwaltung der Kolonien bzw. départements d’outre-mer als Entfremdungsfaktor erscheint (vergl. zu diesem Werk Hippon 1991). Die Rahmenhandlung dieses Romans, der deutlich autobiographische Züge trägt, ist die Feier anlässlich der Pensionierung des Richters Hermann Florentin in Cayenne. Der Protagonist muss bei dieser Gelegenheit eine offizielle Laudatio über sich ergehen lassen, angetan - das Bild erinnert an das schon zitierte Gedicht von Damas (s.o., 3.3.4) - mit einem blauen Smoking, einer tenue d’apparat, die ihm zu eng ist und physisch Unwohlsein bereitet (1990, 11). Gegenüber der verfälschenden, seinem dossier entnommenen Darstellung der Stationen seines Lebens flüchtet sich Florentin in die Erinnerung an die Sage der versklavten stolzen Yoruba-Kriegerin Agatimé (parole de nuit), an die Ankunft der Sklaven auf den Antillen (parole du soir), an seine eigene Kindheit und die Stufen seiner Karriere (parole de jour). Er hat seine Kindheit in Guadeloupe bei seiner Großmutter Man Ya verbracht, und ihre Erzählungen sind das lebendige Band zwischen Alltagsereignissen, kommunikativem und kulturellem Gedächtnis, wie es Juminer verstanden haben will (parole du soir und parole de nuit). Schließlich erleidet Florentin einen Herzinfarkt, und in diesem „Bruchteil einer Sekunde” hat er seine ganze Existenz bis zu ihren mythischen Wurzeln vor Augen: Pourtant, trônant en son fauteuil d’honneur, souverain à son corps défendant, il souriait à son enfance revenue, et la fleur éclose sur sa face - un lis ? un amaryllis ? - sembla se figer pour toujours. Il voulut crier: „Man Ya ! ... Man Ya ! ”, lancer l’ultime appel, l’absolu exorcisme à ses angoisses d’antan ; il n’émit qu’un faible râle, s’affaissa de côté, sans savoir qu’il venait d’aborder la terrible Fraction de <?page no="142"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 142 Seconde, celle où tout homme en imminence de mort renaît soudain à soi-même et recommence le cycle d’une existence entière, à tombeau ouvert. Mais la Science était entrée dans une ère de miracles : ce fut un voyage éclair au-delà du cadran... (Juminer 1990, 244) Juminers Stil ist einerseits von präziser wissenschaftlicher Beobachtung und gleichzeitig von einer nicht zuletzt durch Saint-John Perse beeinflussten poetischen Suche geprägt, die - abgesehen von einzelnen Ausnahmen, zu denen auch kreolische Zitate gehören - ihre Ausdrucksmittel im klassischen Schriftfranzösischen schöpft. Doch andererseits wird sein Schreiben von dem Bedürfnis getragen, dem Antillaner in der Schriftlichkeit die mündliche Kultur, die parole de nuit, zu bewahren. So erklärt Juminer in einem Essay, in dem er dem Begriff der parole de nuit eine erweiterte Bedeutung verleiht (1994, 147 f.): Au fil des générations jusqu’à l’immédiat après-guerre, notre enfance a été bercée par une sorte d’oracle de proximité, au sein même du cercle de famille : la parole de nuit, ainsi nommée parce qu’intervenant rituellement après le coucher du soleil et germant des sédiments d’une mémoire collective. Corollaire d’une intimité naturelle avec le grand âge, elle informait et formait, tout en confortant une certitude identitaire. Ainsi a pu survivre et se transmettre une histoire parallèle, charnelle en quelque sorte, issue de la nuit des temps, mais tout aussi fragile, car tributaire de la seule oralité, alimentée par sa propre récitation. [...] De nos jours, sous l’effet de l’évolution des mœurs, tous ces paramètres ont bien changé [...]. Für die poetische Auseinandersetzung mit Französisch-Guayana als Kreuzungspunkt von europäischer Kolonisation, karibischer Archipelwelt und lateinamerikanischem Kontinent steht ein weiterer Name: Élie Stephenson. In seiner Gedichtsammlung Comme des gouttes de sang etwa oszilliert er zwischen der Begeisterung für die Heimat Gowatéria (der indianische Name für die Gegend von Cayenne, den Stephenson als Bezeichnung für Guayana insgesamt verwendet), zu der er sich bekennt, und der konfliktuellen Auslotung der Wirklichkeit. In diesem Rahmen klingt auch bei Stephenson eine kritische Sicht der europäischen Alphabetkultur und die Hinwendung zu einer ursprünglicheren Oralität an (1988, 20): Gowatéria ! ô terre immortelle sous les fesses de dieu protégée du Déluge apaise la fureur des nègres tricolores. Gowatéria ! église désertée des statues quand je parle de toi, puis-je dire Mon pays puis-je dire chez Moi ? encerclé par les livres encerclé par les urnes encerclé par les armes encerclé par la peur <?page no="143"?> Oszillationen: Afrika, Europa und die Antillen - Oralität und Literalität 143 je m’enfouis dans ton humus comme un lézard dans son trou un nouveau-né dans ses langes. Auch manche Romane von Maryse Condé lassen sich als antillanische Identitätssuche verstehen (vergl. zu M. Condés Romanwerk z.B. Fendler 1992). Mit dem Konflikt zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit und den mündlichen Erzählformen setzt sie sich am deutlichsten in Traversée de la mangrove (1989) auseinander. In einem Guadelouper Dorf hat sich eine undurchsichtige Gestalt namens Francis Sancher niedergelassen. Er ist wohl Schriftsteller, und als solcher findet er bei den Mitgliedern der ihn umgebenden oralen Gesellschaft wenig Verständnis: Un écrivain, est-ce donc un fainéant, assis à l’ombre de sa galerie, fixant la crête des montagnes des heures durant pendant que les autres suent leur sueur sous le chaud soleil du Bon Dieu ? (1989, 38 f.) Doch wird die Geschichte von Sancher nur in Rückblenden erzählt. Der Roman setzt mit seinem Tod ein, und der eigentliche Inhalt gehört, mit Juminer gesprochen, der Parole de nuit: diejenigen, die ihn kannten, halten Totenwache und erzählen, jeder aus seiner Sicht, ihre Beziehung zu dem mysteriös Verstorbenen. Im Mittelpunkt von Maryse Condés Roman Les derniers rois mages (1992a) steht der tragische Versuch, ein antillanisches Ich auf eine afrikanische Genealogie zu stützen. Spéro hat einen roi mage zum Urgroßvater, einen von den Franzosen im Zuge der afrikanischen Kolonialkriege 1894 für sechs Jahre nach Martinique zwangsdeportierten Herrscher aus Abomey. Seine Familie bewahrt rituell die Erinnerung an den afrikanischen Ahnen, dessen mythische Genealogie bis zur Königin Posu Adewene und zum Panther Agasu von Spéros Großvater Djéré in Notizheften festgehalten wird (1992a, 87 ff.). Spéro heiratet die intellektuelle Amerikanerin Debbie, die Anhängerin von W. E. Du Bois, Malcolm X und Martin Luther King ist (1992a, 28). Die von Debbie forcierte intellektuelle Selbstsuche scheitert jedoch, ebenso wie ihre Ehe; Spéro denkt schließlich an Suizid. In diesem Roman unternimmt es die Autorin - so ihre erklärte Absicht (mündliche Mitteilung) -, Verbindungen zwischen Amerika, der anglophonen und der frankophonen Karibik herzustellen und diese im Text durch unterschiedliche Register des Französischen widerzuspiegeln. Der Leser hätte sich allerdings eine konsequentere Realisierung dieser Vorstellung gewünscht; in ästhetischer wie theoretischer Hinsicht behält dieser Roman einen etwas schematischen Charakter. Ähnlich ist Condés 1993 erschienener Roman La colonie du nouveau monde von dem Wunsch getragen, die Karibik als Einheit zu erfassen und das verzweifelte Identitäts-Ringen des Menschen in diesem Raum darzustellen. Mit dem Roman Désirada spannt sie 1997 ein Netz zwischen La Désirade (jener kleinen, Guadeloupe vorgelagerten Insel) und der antillanischen Diaspora in Frankreich; Ort der Selbsterkenntnis in der Identitätssuche der antillanischen Frau ist wieder die Karibik. Die Sprache dieser Autorin bleibt auch in späteren Werken einem eher kurzen, klaren Stil verpflichtet, der oralitätsnah ist, ohne sich freilich stark an das Kreolische anzulehnen. Während z.B. in dem Roman La belle créole (2001) das <?page no="144"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 144 Drama eines armen, aus dem Gefängnis entlassenen Guadeloupers - der Rückhalt in seinem Boot mit Namen „La belle créole“ findet - im Vordergrund steht, stellt Condé die Migrationsproblematik in das Zentrum der Histoire de la femme cannibale (2003): hier wird die in Guadeloupe geborene Protagonistin Rosélie nach Südafrika verschlagen. Die Autorin stellt einmal mehr die Frage der Identität der intellektuellen schwarzen Frau; Rosélie ist Malerin und war einem Jamaikaner an das Cap gefolgt. Dort trifft sie Stephen, einen weißen Professor für irische Literatur (2003, 25). Erst als Stephen nach langen Jahren des gemeinsamen Lebens umkommt, muss sie wirklich die Kräfte ihrer Persönlichkeit und die Selbstaffirmation in ihrer Malerei finden. Die geistige errance versucht Condé auch durch eine Vielzahl von literarischen Anspielungen (so auf Senghor, 2007, 89 und Césaire, 2007, 240), von musikalischen Verweisen und zitierenden Einflechtungen aus den Sprachen der Welt literarisch zu übermitteln (z.B. Kreolisch, 2007, 53, 60; Englisch, 2007, 47, 49, 214, 241; Portugiesisch, 2007, 24; Latein, 2007, 24). - Im Jahr 2006 erscheint dann aber ein „récit“ von Maryse Condé, mit dem sie sich wieder tief der Guadelouper Kreolgesellschaft zuwendet: Victoire ist eine meisterhafte guadelouper Köchin, und mit diesem - etliche kreolische Zitate beinhaltenden - Portrait setzt sie gleichzeitig ihrer eigenen Großmutter ein literarisches Denkmal. Es verdienten noch verschiedene Autoren und Werke eine ausführlichere Darstellung. Dazu zählt der Martinikaner Vincent Placoly, der sich von der Négritude der Verankerung der französischen Karibikinseln im amerikanischen Verbund und insbesondere den Anknüpfungspunkten zum hispanophonen Amerika zuwendet (vergl. etwa seinen Aufsatz Révolution française, révolutions américaines in der Essay- und Novellensammlung Une journée torride von 1991), oder Xavier Orvilles Roman Laissez brûler Laventurcia (1989). Wie X. Orville ist Tony Delsham Martinikaner, und seine Romane - z.B. Fanm Dèwó (1993; nur der Titel ist kreolisch) - finden auf den Antillen einen großen Leserkreis. In Guadeloupe greift Daniel Maximin mit dem Roman Soufrières (1987) ein markantes Ereignis der Inselgeschichte auf: die Evakuierung von Basse-Terre vor dem Ausbruch des Vulkans La Soufrière im Jahre 1976. 7.2 Die Créolité Schließlich soll die Bewegung zur Sprache kommen, in der viele der aufgezeigten Tendenzen zusammentreffen: die Créolité. Diese Theorie ist nicht zuletzt deshalb fruchtbar, weil sie zu weitreichenden Diskussionen und Kontroversen geführt hat. <?page no="145"?> Die Créolité 145 7.2.1 Voraussetzungen: Ansätze einer Kanonbildung in der kreolischen Literatur Zu den Bedingungen der Créolité zählt ein in den letzten Jahrzehnten deutlich breiter gewordenes Korpus von Werken in kreolischer Sprache, das inzwischen von Ansätzen einer Kanonbildung erfasst ist. Diese Produktion erstreckt sich von den frühen Fabelsammlungen etwa des Martinikaners François Achille Marbot (1846, Neuausg. 2002), von dem ersten kreolischen Roman Atipa des guayanesischen Autors Alfred Parépou aus dem Jahre 1885 (Faksimile-Ausgabe 1980) bis zu der modernen Lyrik etwa des Martinikaners Monchoachi (Bèl-bèl zobèl, ohne Jahresangabe, sowie die Beckett- Übersetzung La ka espéré Godot , 2002 ) oder der Guadelouper Hector Poullet (1982) und Sonny Rupaire (1982). Weiter gehören dazu die kreolischen Romane von Raphaël Confiant (z.B. 1987) oder auch neue kreolische Adaptationen der Fabeln von La Fontaine (Poullet & Telchid 2002; vergl. als Überblick über kreolische Dichtung die Anthologie von Prudent 1984; M.-Ch. Hazaël-Massieux 1998a, Rice- Maximin 1998, 142-154). Stellvertretend sei ein Gedicht aus H. Poullets zweisprachiger Gedichtsammlung Pawòl an bouch angeführt. Es zählt nicht zu seinen bekannten politisch engagierten Versen wie Nou asi milé (1982, 11f.) oder Twa twa tou patou (1982, 13-17, s.o., 2.2.1), einer „Hymne auf die karibische Einheit” (Chamoiseau & Confiant 1991, 133); vielmehr hat es einen verhaltenen, individuellen Charakter. Dies entspricht eher dem zeitgenössischen Bestreben, eine zu enge Bindung zwischen militanter Gesellschaftskritik und literarischem Schreiben zu lösen, um den Blick auf eine tiefere kreolische Lebenswirklichkeit und Ästhetik richten zu können. Im Übrigen orientiert sich Poullet mit Kyè an-mwen pran dlo an dem bekannten Vorbild von Verlaine (1982, 43 bzw. 46 im französischen Teil): Kyè an-mwen pran dlo Il pleure dans mon cœur kon ravin apwé lavalas Comme dans la ravine après la pluie kyè an-mwen pran dlo Il pleure dans mon cœur Anni vwè jan kò an-mwen las Et c’est tout mon corps qui meurt Kon ravin apwé lavalas Comme dans la ravine après la pluie a pa lenbé a pa dévenn Alors que rien ne me tracasse si kyè an-mwen gro kon kalbas Aucune langueur aucun ennui a pa doulè a pa pon penn Ne justifie mon cœur-calebasse A pa lenbé a pa pon penn Aucune langueur aucun malheur An byen anpenn di sa sa yé À dire pourquoi, j’ai trop de peine, Epi dlo kyè an-mwen chayé Avec toute l’eau de mon cœur lanné-sit pé ké ni karenm. Cette année sera sans carême. Auch in jüngerer Zeit lässt sich eine rege Aktivität im Bereich der kreolsprachigen Lyrik verzeichnen, wenn man beispielsweise an Gedichtsammlungen wie Pawòl bwa sèk denkt, die dem Martinikaner Daniel Boukman 1992 den Prix Carbet <?page no="146"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 146 eingebracht hat; dieselbe Feststellung gilt für das Theater (s. M.-Ch. Hazaël- Massieux 1998b). 7.2.2 Die Formierung der Créolité Als 1986 das erste Werk der Bewegung erscheint, die sich dann als Créolité mit einer theoretisch explizierten Basis konstituiert hat, handelt es sich formal um einen Roman in französischer Sprache, die allerdings tiefgreifender als in früheren Werken - und darin liegt eine Erneuerung der Ausdrucksweise literarischen Schreibens auf den Antillen - vom Kreolischen durchtränkt ist: die Chronique des sept misères von P. Chamoiseau (vergl. zum sprachlichen Aspekt auch M.-Ch. Hazaël-Massieux 1989, bes. 285 ff.). Es ergibt sich eine Synthese im eigentlichen Sinne des Wortes, eine individuelle narrative Sprache, die weder ein Mesolekt ist, d.h. eine Form der Vermischung von Französisch und Kreolisch, die von einer größeren Sprecherschicht getragen würde, noch gar eine formal franzisierte Umschrift des Kreolischen. Das Französische wird nicht mehr als Schriftnorm, als bon usage, als high variety einer Diglossiesituation behandelt, sondern es nimmt von der Makrobis in die Mikrostruktur die Mechanismen des Mündlichen in sich auf. Jean-Louis Joubert nennt dies das Vergessen der „universalité sacralisée du français“ (2006, 25) und weist auf frühere Praktiken des „métissage de la langue du roman“ hin, insbesondere im Werk des aus der Republik Elfenbeinküste stammenden Autors Ahmadou Kourouma (1976, 1990). P. Chamoiseaus Weggefährte R. Confiant charakterisiert diese sprachliche Haltung folgendermaßen: Nous n’avons plus peur [...] d’habiter la langue française de manière créole; non pas de la décorer avec des petits mots créoles pour créer une espèce de français folklorique et régionaliste, il ne s’agit pas du tout de cela. Il s’agit de récupérer toute la rhétorique de la langue créole et d’essayer de la greffer à travers un matériau linguistique français. (Confiant, in Chamoiseau & Confiant 1992, 14) Damit ist ein Akt der Auflehnung gegen die kulturelle Assimilation der Antillen nicht auf der Ebene der Semantik, sondern der Ästhetik verbunden, der ein wesentliches Stimulans für die literarische Debatte der Antillen darstellt (vergl. z.B. die Anspielung in M. Condés Traversée de la mangrove, 1989, 241). Außerdem hat der Erfolg der beschriebenen literarischen Sprache möglicherweise Konsequenzen für die Orientierung des Standardfranzösischen. In dem Maße nämlich, wie Werke etwa in kreolisch-oral durchsetztem Französisch über den Weg der großen literarischen Preise (wie den Prix Goncourt 1992 für Chamoiseaus Texaco, s.u.) in einen neu konturierten literarischen Kanon eingehen, der in seiner traditionellen Form immer Grundlage für das „gute (Schrift-) Französisch“, den „bon usage“ war, erschüttert die mündlich beeinflusste frankophone Literatur auch die herkömmliche Prestigenorm (s. Ludwig 1997). Die Makrostruktur der Chronique des sept misères weicht ab von einer rein linearen Textorganisation; die chronologische Folge wird in vielfältiger Weise durchbrochen, etwa von dem eingebetteten Mythos des esclave-zombi Afoukal (als Beispiel für die Mikrostruktur von Chamoiseaus Sprache s. u. die Textanalyse zu <?page no="147"?> Die Créolité 147 seinem neuesten Roman). Die zentrale Handlung berichtet vom Aufstieg des djobeur Pipi zum König des Marktes von Fort-de-France und seinem Fall. Pipi erscheint aber nicht als Individuum im modernen Sinne des Wortes, obwohl er im Roman sehr viel mehr konkrete Konturen gewinnt als die Gestalten Glissants, in dessen Werk Chamoiseau seinen literarischen Ausgangspunkt sieht. Pipi steht für einen Fokalisationspunkt der urbanen Einfache-Leute-Gesellschaft vor dem Assimilationsgesetz von 1946: den Markt von Fort-de-France. Chamoiseau identifiziert sich mit den Handlangern des Marktes: En vous confiant qui nous étions, aucune vanité n’imprégnera nos voix : l’histoire des anonymes n’ayant qu’une douceur, celle de la parole, nous y goûterons à peine. Riches seulement d’une brouette et de son maniement, nous ne cultivions rien, ne pêchions rien, n’apportions rien. Et notre participation à la vie du marché n’avait point, comme pour les tôles du toit, les grilles ou le ciment des établis, la confortable certitude d’y être indispensable. Dès l’instant où la marchande eut des paniers trop lourds, apparurent les djobeurs, d’abord pour l’aimable coup de main, puis le service de chaque jour que la marchande payait en fin de journée, selon son cœur. Cela s’inscrivit bientôt dans un savoir-faire dont les règles se transmirent. (Chamoiseau 1986, 13) Der Abstieg Pipis fällt mit dem Wandel des Marktes zusammen, als sich nach der Assimilation Selbstbedienungsläden und Supermärkte ausbreiten (1986, 117). Zentrales Anliegen des Autors ist das Bedürfnis, Schlüsselmomente der vor einigen Jahrzehnten noch oral dominierten martinikanischen Wirklichkeit festzuhalten, und zwar nicht aus rein analytischer Perspektive, sondern aus der diesem kollektiven Gedächtnis eigenen mündlich-kreolischen Sicht, mit den Augen der Freunde des djobeur Pipi. So sagt Chamoiseau: Nous avons un imaginaire créole qui nous appartient, mais qui a été refoulé, et sans lequel nous ne pouvons pas exister. Ce travail de récupération de la culture créole se fait, entre autres, dans le roman. Cette récupération de la culture créole a nécessairement une coloration historique, et c’est pourquoi beaucoup de nos romans sont aussi des explorations historiques, parce qu’on ne peut pas tenter de réinvestir des temps, des moments culturels de notre vision du monde si on n’inclue pas des thématiques ayant des résonances profondes dans notre fond sensible, dans notre imaginaire. (Chamoiseau, in Chamoiseau & Confiant 1992, 14) R. Confiant behandelt in dem Roman Le nègre et l’amiral (1988) eine solche historische Schlüsselphase. Von 1939 bis 1945 ist Martinique von der Außenwelt abgeschnitten, und vor Ort repräsentiert der Admiral Robert das Vichy-Regime. Es fällt schwer, eine wirkliche Hauptperson oder Haupthandlung auszumachen; Confiant inszeniert das Leben der Bewohner des Morne Pichevin, eines Armenviertels von Fort-de-France, das über eine Treppe mit vierundvierzig Stufen zu erreichen ist, von denen die siebte Unglück bringt. Er erzählt die Geschichte der Prostituierten Philomène und des drivailleur Rigobert, des zunächst gutsituierten Intellektuellen Amédée Mauville; er stellt den Konflikt zwischen dem Admiral Robert und Henri Salin du Bercy, dem Herrscher über die béké-Kaste, dar. Claude Lévi-Strauss, der russische Revolutionär Victor Serge und André Breton treten <?page no="148"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 148 auf, und Confiant lässt Breton mit der ihm eigenen Ironie die Zeitschrift Tropiques entdecken (1988, 98 f., vergl. Bretons eigene Schilderung dieses Moments in Breton 1943, 94 f.). Amédée Mauville bricht mit der Mulattenbourgeoisie und zieht sich mit Philomène, seiner négresse féérique, auf den Morne Pichevin zurück. In seinen Mémoires de céans et d’ailleurs, die er hier verfasst, legt er dar, wie er erotische Erfüllung erst zusammen mit der kreolischen Mündlichkeit entdeckt: Dès mon installation au Morne Pichevin, je me suis jeté avec délices, que dis-je, avec débauche, dans le parler créole que l’on m’avait toujours appris à traiter avec la dernière des condescendances. Je revois encore mon père disant à mon grand frère et à moi-même : « Il n’est pas question pour vous d’apprendre à zoulouter la langue française, messieurs ! » [...] C’est Philomène qui m’apprend à aimer, dans un même balan, et son corps et le créole car elle fait l’amour dans cette langue, déployant des paroles d’une doucine inouïe, incomparable, qui ébranle mon être tout entier. Aussi, dans nos babils post-coïtaux, je ressens un bien-être physique à habiter chaque mot, même le plus banal, et à être habité par lui. (Confiant 1988, 127) Die Erotik steht bei Confiant immer als Symbol für die Fusion von Ich und mündlicher Gesellschaft, von alltäglichem kommunikativem Gedächtnis und kulturellem Gedächtnis; sie repräsentiert die Mündlichkeit in der Schriftlichkeit, hier das Kreol in den Aufzeichnungen von Amédée Mauville (vergl. Ludwig 1992, 1997). In ihrem Éloge de la créolité präzisieren Chamoiseau und Confiant zusammen mit dem Sprachwissenschaftler Jean Bernabé ihre theoretischen Grundpositionen (1989). Die Créolité fußt, wie schon eingangs erwähnt (s. 1.1), auf der Reflexion eines historischen Vorgangs, der die Basis der Gesellschaft der Antillen ausmacht: des erzwungenen Kulturkontakts. Hierin haben die Antillen eine Erfahrung vorgelebt, die heute die Welt in wachsendem Maße bestimmt: Le monde va en état de créolité (Bernabé & Chamoiseau & Confiant 1989, 52; vergl. Zitat o. in 1.1). Daher impliziert die Créolité zunächst eine besondere solidarité géopolitique mit den Völkern der Karibik und eine solidarité anthropologique (bzw. solidarité créole) mit außerkaribischen Gesellschaften, die durch ähnliche Kolonisationsbzw. Kreolisierungsbedingungen geprägt worden sind (1989, 32 f.), so mit den Seychellen, Mauritius usw. Darüber hinaus jedoch besitzt sie generell exemplarischen anthropologischen Wert, weil die identité mosaïque (Glissants identité-relation), in welche die Créolité mündet, der adäquate Weg der modernen Selbstfindung ist (kritisch zur Créolité s. z.B. Corzani & Hoffmann & Piccione 1998, 151 ff.; Arnold 2006; Gallagher 2007). Das primäre Ziel der Créolité richtet sich dennoch auf die antillanischen Kreolgesellschaften als solche und umfasst die Aufwertung und Bewahrung des mündlichen kollektiven Gedächtnisses: Nous faisons corps avec notre monde. Nous voulons, en vraie créolité, y nommer chaque chose et dire qu’elle est belle. Voir la grandeur humaine des djobeurs. Saisir l’épaisseur de la vie du Morne Pichevin. Comprendre les marchés aux légumes. <?page no="149"?> Die Créolité 149 Élucider le fonctionnement des conteurs. Réadmettre sans jugement nos « dorlis », nos « zombis », nos « chouval-twa-pat », « soukliyan ». (Bernabé & Chamoiseau & Confiant 1989, 40) Dieser Akt ist, wie gesagt, nicht ausschließlich semantischer Art, sondern reicht bis in die Makro- und Mikrostruktur der literarischen Texte; nur auf diesem Wege lässt sich realisieren, was Confiant und Chamoiseau eine kreolische Rhetorik nennen. Für diese Rhetorik liefert ihnen der Conteur ein Modell: dessen Erzähltechnik haftet ein opakes Element an, Raum und Zeit werden in einer nichtlinearen Weise behandelt (s. Chamoiseau, 1994b). Zu dieser Strategie gehört, was Confiant als ressassement bezeichnet: Il s’agit de l’habitude que nous avons non seulement de raconter un même fait de trente-douze mille manières, mais encore de le ressasser comme si on cherchait à en épuiser les significations. À l’écrit, cela produit un récit étoilé et non linéaire qui va à contre-courant de la tradition romanesque occidentale, les branches de l’étoile étant les différents ressassements, le centre en étant ce fameux sens que l’auteur cherche désespérément à atteindre. (Confiant 1994a, 178 f.) Trotzdem versuchen weder Confiant noch Chamoiseau (selbst wenn letzterer z.B. in Solibo Magnifique als marqueur de paroles auftritt, 1988, 159), Mündlichkeit zu transkribieren; sie bringen vielmehr die Mündlichkeit in eine schriftliche Synthese ein: [...] il ne s’agit pas, en fait, de passer de l’oral à l’écrit, comme on passe d’un pays à un autre ; il ne s’agit pas non plus d’écrire la parole, ou d’écrire sur un mode parlé, ce qui serait sans intérêt majeur. Il s’agit d’envisager une création artistique capable de mobiliser la totalité qui nous est offerte, tant du point de vue de l’oralité, que de celui de l’écriture. (Chamoiseau 1994b, 157 f.) Aus dem Konflikt zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, aus dem Tod des mündlichen Erzählers gewinnt Chamoiseau den Stoff für seinen Roman Solibo Magnifique (1988). 7.2.3 Die Etablierung der Bewegung - weitere Werke von P. Chamoiseau und R. Confiant Confiant thematisiert den irreversiblen Bruch zwischen mythischem mündlichen kollektiven Gedächtnis und analytisch-schriftlicher Haltung in seinem Roman Eau de Café (1991; vergl. ausführlicher dazu Ludwig 1992, sowie Valenza Arnold 2006 zur Motivik dieses Romans und ihrer Fortsetzungs in Confiants zehn Jahre später erschienenen Roman Brin d’amour). Der Ich-Erzähler - Confiant projiziert sich in die Fiktion von Eau de Café - kehrt nach achtzehn Jahren Abwesenheit in das martinikanische Dorf Grand-Anse zurück, wo er einen Großteil seiner Jugend an der Seite seiner Tante Eau de Café und des oft merkwürdig schweigsamen Waisenmädchens Antilla verbracht hat. Antilla war einst allein am Strand herumgeirrt und dort von Eau de Café aufgelesen worden. Die Bewohner von Grand-Anse haben das Meer immer nur als Bedrohung erlebt und mit einer Reihe prohibitiver Mythen belegt. Antilla erscheint ihnen als Wellengeburt und daher <?page no="150"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 150 als Kind des Bösen; die Dorfbewohner atmen erst auf, als Antilla auf rätselhafte Weise umkommt. Der Autor, ehedem als Kind Mitglied dieser mündlichen Gemeinschaft, kommt mit der Absicht zurück, den Mythos zu ergründen und seine Nachforschungen schriftlich festzuhalten. Dies bringt ihm die Feindschaft von Grand-Anse ein; mündlicher Mythos und analytische Schriftlichkeit erweisen sich als unvereinbar. Der Autor bleibt aber bei seiner Haltung, obwohl ihn das Ausgestoßensein aus der mündlichen Gemeinschaft schmerzt. Inzwischen stehen auch andere Autoren bzw. Werke der Créolité nahe. Zu nennen ist der Roman L’homme au bâton des Guadelouper Autors Ernest Pépin (1992), in dem es um die kollektive Angst vor einem mysteriösen Frauenschänder geht, die karnevaleske Züge annimmt; sprachlich wie konzeptionell unverkennbar ist der Einfluss der Créolité weiter in Pépins Tambour-Babel (1996) und in Le tango de la haine (1999). Gisèle Pineau viel beachtetes Erzählwerk La grande drive des esprits (1993) wie spätere Romane dieser Autorin knüpfen an die kreolische Bewegung an (zu G. Pineau s. u., 7.3). Ebenso ist der Theoretiker Jean Bernabé inzwischen als Romanautor hervorgetreten (z.B. 2004, 2006). Einzelne Romane sind besonders aufschlussreich, was die aktuellen Möglichkeiten poetisch-reflexiver Gestaltung karibischen Schreibens im Allgemeinen sowie spezieller die Entwicklung der Créolité anbelangt; an erster Stelle ist dabei Texaco von P. Chamoiseau (1992) zu nennen. P. Chamoiseau fasst den Inhalt seines mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Romans folgendermaßen zusammen: [...] mon dernier roman parle de ce que j’appelle la conquête de la ville. Un esclave quitte l’habitation, et sa seule voie de sortie - on le comprend très bien, ce ne sont pas les champs; les champs, il fallait les fuir - c’est le bourg, la ville, là où il y a un espace de liberté. Il part donc à la conquête de la ville. Et on s’aperçoit que dans toute la réalité martiniquaise, on assiste, dès la fin de l’esclavage, - à part une période de conquête des mornes - à une sorte de bond collectif en direction de l’espace urbain. (Chamoiseau, in Chamoiseau & Confiant 1992, 15 f.) Dieser Sklave trägt den Namen Esternome; als er noch vor 1848 freigelassen wird, treibt es ihn zunächst nach Saint-Pierre, damals eine blühende Stadt, gegen die die habitation plötzlich klein anmutet. Nach der Aufhebung der Sklaverei zieht er mit Ninon - einer Schwarzen, die er liebt - auf die mornes. Ninon jedoch ist von der Aussicht, in der Fabrik, also nicht mehr auf dem Feld zu arbeiten, fasziniert und verlässt Esternome schließlich mit einem Sänger. Es kommt zum Ausbruch des Vulkans, der Montagne Pelée (1902). Esternome sucht vergeblich in den aschebedeckten Ruinen von Saint-Pierre nach den Überresten von Ninon. Im Anschluss folgt er einer kollektiven Bewegung und siedelt nach Fort-de-France über, wo er mit einer anderen Frau eine Tochter bekommt, die nach dem Tod des Vaters dessen Eroberung des urbanen Raums fortsetzt: Marie-Sophie Laborieux. Und zwar lässt sie sich eines Tages auf einer freien Fläche in der Nähe der Ölgesellschaft Texaco nieder und wird damit zur Begründerin des gleichnamigen Stadtviertels, das sie dann ebenso hartnäckig wie erfolgreich gegen die weißen <?page no="151"?> Die Créolité 151 békés und die Behörden von Fort-de-France verteidigt, die Texaco abreißen wollen. Texaco ist aus europäischer Sicht ein Elendsquartier an der Peripherie der Inselhauptstadt. Der von den Behörden ausgesandte Urbanist kommt aber durch die Erzählungen von Marie-Sophie Laborieux zu einer anderen Sicht. Danach erscheint das populäre Randviertel als mit dem europäisierten Zentrum der Stadt kontrastierender Hort mündlicher Geschichte und Identität, die sich in der erzählten Genealogie der Begründer, d.h. der repräsentativen Träger der Migrationsbewegung, wie in der Architektur und Lebenswelt von Texaco konkretisiert: Elle m’apprit à relire les deux espaces de notre ville créole : le centre historique vivant des exigences neuves de la consommation ; les couronnes d’occupation populaire, riches du fond de nos histoires. Entre ces lieux, la palpitation humaine qui circule. Au centre, on détruit le souvenir pour s’inspirer des villes occidentales et rénover. Ici, dans la couronne, on survit de mémoire. Au centre, on se perd dans le moderne du monde ; ici, on ramène de très vieilles racines, non profondes et rigides, mais diffuses, profuses, épandues sur le temps avec cette légèreté que confère la parole. (Chamoiseau 1992, 188 f.) Auch dieser Roman ist von dem Versuch beherrscht, die mündliche Erinnerung zu bewahren, deren räumliches Symbol Texaco ist: Alors Idoménée disait : Mais c’est quoi la mémoire ? C’est la colle, c’est l’esprit, c’est la sève, et ça reste. Sans mémoires, pas d’En-ville, pas de Quartiers, pas de Grand-case. Combien de mémoires ? demandait-elle. Toutes les mémoires, répondait-il. Même celles que transportent le vent et les silences la nuit. Il faut parler, raconter, raconter les histoires et vivre les légendes. (Chamoiseau 1992, 197) Erneut wird ein Aspekt der problematischen Dialektik von Schriftlichkeit betont, in der das niedergeschriebene kollektive Gedächtnis seine Durchdringung mit der Gegenwart einbüßt. Aus der lebendigen mündlichen Erinnerung ergibt sich eine Kopräsenz der Zeiten, die ein lineares Zurücklassen einer Vergangenheit nicht erlaubt. Die Toten leben in der Erzählung weiter; erst das Bannen der Erinnerung in die Schrift lässt sie wirklich sterben. Erst Schriftlichkeit tötet das Vergangene, löscht es aus der Gegenwart heraus und schafft derart eine lineare Progression der Zeit: [...] je commençai à écrire, c’est dire : un peu mourir. Dès que mon Esternome se mit à me fournir les mots [gemeint ist der noch in der Erinnerung lebendige, tatsächlich schon verstorbene Vater von Marie-Sophie Laborieux - R.L.], j’eus le sentiment de la mort. [...] les mots écrits, mes pauvres mots français, dissipaient pour toujours l’écho de sa parole et imposaient leur trahison à ma mémoire. [...] Le sentiment de la mort fut encore plus présent quand je me mis à écrire sur moimême, et sur Texaco. C’était comme pétrifier des lambeaux de ma chair. [...] Texaco mourait dans mes cahiers alors que Texaco n’était pas achevé. [...] Oiseau Cham, existe-t-il une écriture informée de la parole, et des silences, et qui reste vivante, qui bouge en cercle et circule tout le temps [...] ? (Chamoiseau 1992, 353 f.) <?page no="152"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 152 Es bleibt, auch auf mikrostruktureller Textebene die kreolische Durchdringung von Chamoiseaus literarischer Sprache und den Umgang mit der typisch mündlichen Verankerung in der antillanischen Alltagserfahrung zu zeigen. Der folgende Ausschnitt handelt von dem Konflikt um die Fabrikarbeit, über die sich Esternome und Ninon entzweien. Der Bruch zwischen beiden reicht so weit, dass sie sich ihm oft versagt und kinderlos bleibt: S ÉRÉNADE DU MALHEUR . Ninon voulait descendre travailler à l’Usine ; lui, Esternome, ne voulait pas. Alors Ninon lui faisait une vieille tête. Elle allongeait la bouche et battait des paupières quand il croisait ses yeux. La nuit, dans la cabane, elle se couchait en sorte d’être à sept mornes de lui. Il restait alors raide comme un lolo de noces. Il devait la cueillir comme on fouille une igname quand la terre n’est pas molle. Pendant qu’il moulinait, elle chantonnait n’importe quel lalala, histoire de lui montrer qu’il n’avait pas son âme. Et pire : il avait beau lui porter ce qu’il faut, Ninon dédaigna les promesses : ni tétés gonflés, ni musique dans le ventre. Chaque mois, elle exposait sa rosée rouge d’œufs vides et l’humeur pas très bonne qui fonctionnait avec. Mon Esternome attendait que ça passe. Puis, lui remettait ça. De force, comme pour prendre un lambi au fond d’une conque épaisse. Il pensait (comme d’ailleurs tous les hommes désireux d’accorer une amour vagabonde) qu’un négrillon l’occuperait assez pour déplumer l’envie d’un envol vers l’Usine. Mais, au lieu d’un négrillon, surgissaient l’ondée rouge, la mort rouge [...] (Chamoiseau 1992, 158 f.) Hinter einer Großzahl von Ausdrücken stehen kreolische Wendungen. Im ersten Satz geht voulait descendre travailler auf kreolisch „té vlé désann travay” zurück. Dann verweist lui faisait une vieille tête auf „on vyé tèt”, was soviel heißt wie „mit seiner Miene Ärger bekunden”. Die Wortfolge „ou ka lonjé gyèl-ou” (“du schmollst”) hat den Autor zu allongeait la bouche angeregt. Im kreolischen Verständnis ist die sexuelle Erregung in der Hochzeitsnacht am stärksten, und „rèd con on lolo nos” ist sprichwörtlich geworden; diesen Vergleich übernimmt Chamoiseau, um den Grad des unerfüllten Verlangens zu verdeutlichen. Die Wendung déplumer l’envie hat mit dem kreolischen Verb „plimé” zu tun, was ein Ausdruck für das Täuschen oder Ausrauben ist, dessen rhetorische Wirkung durch seinen bildhaften Ursprung (“rupfen”) verstärkt wird. Das mündliche Weltverhältnis, das besondere kollektive Gedächnis wird in der physischen Konkretion alles Erlebten deutlich. Alle Gefühlsregungen werden äußerlich manifestiert, es gibt keinen inneren Unmut, der nicht physiognomisch an den Tag gelegt würde. Die ausbleibende Schwangerschaft wird nicht abstrakt festgestellt, sondern an ihren sichtbaren körperlichen Konsequenzen offengelegt. In der oralen Gesellschaft gibt es keinen Bruch zwischen einzelnem und Gemeinschaft, es gibt kein Individuum im eigentlichen Sinne und damit ebensowenig „individuelle”, den anderen nicht zugängliche Gefühlsreaktionen. Damit verwandt ist die Zuordnung des Erlebens zur umgebenden Welt, d.h. die für die kreolische Mündlichkeit typische Anbindung von Einzelphänomenen an bekannte Erlebniskategorien aus dem kollektiven Zeitverständnis und dem in kollektiver Übereinstimmung verstandenen Naturraum. Dieser essentiell metonymische Mechanismus findet sich natürlich gleichfalls in mündlichen Registern <?page no="153"?> Die Créolité 153 anderer Sprachen, aber im Kreolischen ist er dominant bei der sprachlichen Verarbeitung des Erlebens (vergl. Ludwig & Poullet 1989, 1990). So ist ein morne zu einer Zeit, wo ein Schwarzer wie Esternome fast jeden Weg zu Fuß zurücklegen musste, eine weite Distanz; umfasst die Entfernung die auch im kreolischen Volksglauben mythische Zahl von sieben Hügeln, ist sie unüberwindlich, und diese Bewertung ist jedem Teilhaber am kreolischen Alltagswissen sofort verständlich. Ein lambi ist eine große Meeresschnecke („strombus gigas“), die Basis charakteristischer Gerichte der kreolischen Küche ist und deren an rosa Porzellan erinnerndes Gehäuse traditionell als Horn verwendet wird. Prendre un lambi au fond d’une conque épaisse verlangt einen gewalttätigen Akt: das Gehäuse muss zerschlagen werden, um die Schnecke herausschneiden zu können. In der conque de lambi mag man ein Bild für das weibliche Geschlechtsteil sehen, dem Esternome aber entgegen dem üblichen Klischee des Eindringens vielmehr in der umgekehrten Richtung etwas entnehmen will: eine gemeinsame erotische Erfüllung und dann ein Kind, einen négrillon. Letztlich verwendet Chamoiseau also ein Element kollektiven Erlebens in einer neuen Weise, was den Kunstgriff dieses Bildes ausmacht. Es lässt auch den Assoziationen eines Lesers Raum, der nicht Mitglied der Kreolgesellschaft ist. Neben einem eindrücklich geschriebenen, vom Autor als Roman eingestuften Erzählwerk L’esclave vieil homme et le molosse (1997a; es geht um die Flucht eines alten Sklaven, dem der verfolgende Bluthund immer mehr zum Vertrauten wird), fasst Patrick Chamoiseau eine Reihe theoretischer Überlegungen in Écrire en pays dominé zusammen (1997b). Hauptgedanke ist, dass die Herrschaft in der Moderne - anders als zu Kolonialzeiten - in einer sehr viel subtileren als der körperlichen und materiellen Unterdrückung besteht, nämlich in der Fremdüberformung des „imaginaire“, in dem eine Art Nadelöhr der gesellschaftlichen Wahrnehmung wie ästhetischen Produktion gesehen werden muss: Comment écrire alors que ton imaginaire s’abreuve, du matin jusqu’aux rêves, à des images, des pensées, des valeurs qui ne sont pas les tiennes ? Comment écrire quand ce que tu es végète en dehors des élans qui déterminent ta vie ? Comment écrire, dominé ? (Chamoiseau 1997b, 17) Les dominations nouvelles plongent les imaginaires dans une nasse invisible. Agression sans attaque. Conquête indiscernable. Né de notre Culture - j’appelle ainsi nos réactions-productions-émotions dans l’aléa de l’existant - , l’imaginaire devient maître de nos rapports au monde, lesquels le produisent à leur tour. C’est une autorité immanente, collective-individuelle, individuelle-collective, qui conditionne l’être, détermine l’inconscient, organise le conscient, régente la frange haute du conscient où se tiennent le Vrai, le Juste, le Beau, le vouloir-être, le vouloir-faire... (Chamoiseau 1997b, 275) Die Befreiung des „imaginaire“ entbindet die Persönlichkeit des Autors, der (nur) so in die Pléiade des literarischen Tout-monde eintreten kann: Guerrier de l’imaginaire, tu ne sauras point quand tu auras « libéré » ton esprit du filtre dominateur, ni changé l’arc-en-ciel de l’éther qui t’anime, tu mourras en position, papa des vigilances qui sauront se méfier de ta propre vigilance pour - <?page no="154"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 154 hérésie continuelle - inventer l’autre ciel, en continu, sans happy-end et sans morale de fable. (Chamoiseau 1997b, 277) Guerrier, c’est avancer dans l’obscur. Dérouter les zones hautes de l’esprit pour confier l’Écrire aux décisions plus folles, bien plus intelligentes dans le commerce des indicibles. Ramener l’ambigu du réel dans l’ouverture du texte, le complexe de chaque phrase propice à moult éveils. Toucher aux perceptions, choquer, zébrure du rire, surprise, hypnose d’une musique, plongée aux opacités brusques, imagination déferraillée, tracassée, débondée hors-coutumes sur des zones-frontières..., pour que se produise un événement propre à chacun des lecteurs. Dans cette liesse, qui voit clair et qui voit en aveugle, la psyché haute - bien que participante - se voit un peu exclue. C’est liberté. (Chamoiseau 1997b, 278) Im Jahr 2002 erscheint der nächste Roman von P. Chamoiseau, der deutlich epische Züge trägt und einmal mehr Glissant geistig beerbt: Biblique des derniers gestes. Dieses Werk beginnt und endet mit der Agonie eines alten Rebellen. Dieser Balthazar Bodule-Jules - in seiner Kindheit und sogar noch in den Momenten vor dem Tod von Man L’Oubliée gegen die Teufelin Yvonnette Cléoste beschützt (2002, 770-773) - wird zur Chiffre für den Aufständischen, für den universellen Guerilla-Kämpfer an der Seite von Che Guevara, Ho Chi Minh oder Patrice Lumumba (s. z.B. 2002, 332-333). Wie schon in Écrire en pays dominé der Autor zum „guerrier de l’imaginaire“ wird, so identifiziert sich der Erzähler in Biblique des derniers gestes mehr und mehr mit dem Revolutionskrieger: J’avais souvent utilisé le « je » en griffonnant mes notes. Pour mieux me mettre à sa place. Mais je savais maintenant que j’étais devenu lui durant bien des instants, qu’il m’avait habité de ses émotions, que ses élans avaient trouvé des nappes taiseuses en moi. (Chamoiseau 2002, 764-765) Die Agonie, die „letzten Gesten“ werden zum Moment einer höheren Synthese, einer Überwindung der Widersprüche. Die fruchtbare Dunkelheit erlaubt die Inkorporation des Lichts, und auch Erzählen und Schreiben verschmelzen. Nun gibt es auf Martinique zwei Typen von Erzählern: diejenigen, die ihren Text semantisch klar und nachvollziehbar aufbauen - also die conteurs à voix claire - und anders die conteurs à voix pas claire, die oft zusammenhanglos und undeutlich erscheinen, deshalb aber das Publikum nicht minder in ihren Bann ziehen. Gerade dieser zweite Typ inkarniert für Chamoiseau die Magie kreolischer Narrativik und damit die Text gewordene Opazität; entsprechend ist der Roman durchzogen von Referenzen auf den conteur à voix pas claire. Die Agonie des alten „guerrier“ und der letzte Reflexionszustand des Autor- Kämpfers führen jetzt zur Überwindung der Antithetik; als Man L’Oubliée den Raum betritt, heißt es: „Il y eut comme l’entrée d’une lune et d’un soleil“ (2002, 771). Analog zu dem Versuch, den Gegensatz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von Ratio und Chaos zu überwinden, neigt sich Chamoiseau über andere Antagonismen. Beispielsweise inszeniert er einen Besuch Césaires bei Balthazar Bodule-Jules; dies verschafft dem sterbenden Rebell Gelegenheit, dem Dichter für die vitale Kraft seiner Poesie zu danken (2002, 766 f.). Anschließend tritt auch Glissant an sein Bett (2002, 769 f.). <?page no="155"?> Die Créolité 155 Die Problematisierung des Erzähler-Ichs und das Ineinanderfließen von Protagonist und Autor (s. bes. 2002, 752-764, vergl. dazu auch Joubert 2006, 97-99) deuten auf eine gewisse Akzentverschiebung im Schreiben von Chamoiseau. Steht in früheren Werken in der Tat - getreu dem Éloge de la créolité - die kollektive kreolische Erinnerung im Zentrum, so gewinnt jetzt die Konfrontation von gesellschaftlichem und individuellem Gedächtnis eine vermehrte Bedeutung. Die Créolité im gesellschaftstheoretisch-philosophischen Sinn überwindet Grenzen, mündet in das chaos-monde und führt damit gleichzeitig über die geographischen Grenzen der historisch sozialen, primär auf die Antillen bezogenen Kreolität hinaus. Damit aber bekommen Ich-Suche und der Umgang mit der mémoire collective einen neuen Elan. Diese Entwicklung kommt - nach Antan d’enfance (1990a) und Chemin-d’école (1994a) - im dritten, letzten und persönlichsten Teil der Kindheitserinnerungen von Chamoiseau zum Tragen, die er unter dem Eindruck des Todes seiner Mutter verfasst und 2005 unter dem Titel À bout d’enfance publiziert. Gleichwohl ist dies ein ganz anderer Abschied von den Eltern, als ihn der deutsche Autor Peter Weiss (1961) nimmt. Wenn P. Weiss schreibt: „Die Trauer, die mich überkam, galt nicht ihnen, denn ich kannte sie kaum, die Trauer galt dem Versäumten, das meine Kindheit und Jugend mit gähnender Leere umgeben hatte“ (1961/ 1977), so durchzieht Chamoiseaus Buch ein ganz anderer Geist, auch wenn etwa bei der in der Ferne erhaltenen Nachricht vom Tod des Vaters der Gedanke an unaufholbar Versäumtes kommt (2005, 77). Die Konstitution seines Ichs, die zaghafte Entdeckung der Sexualität, der Wandel des Blicks auf die Welt der Erwachsenen werden in humorvoller Harmonie besonders mit der Mutter ‚Man Ninotte‘ und der Schwester ‚la Baronne‘ vollzogen bzw. literarisch dargestellt. Der Blick auf die Kindheit als Suche nach einer glücklichen verlorenen Zeit kommt in der Episode des Drachensteigenlassens und der „guerre des cerfs-volants“ (205, 93 ff.) zum Tragen: Les cerfs-volants sont là, bijoux de ma mémoire. Souvenirs de couleurs, de beautés, de magie aérienne, d’élévation sans fin. Je sens encore la vibration du fil dans l’impatience des doigts… (2005, 97) À bout d’enfance ist in gewisser Hinsicht eine Abkehr von der rein phantasierten, mithin vorrangig abstrakt-literarischen Erinnerung früherer Phasen der kreolischen Gesellschaft, wie sie in Romanen des Typs Chronique des sept misères zum Ausdruck kommt. Chamoiseau zeigt im dritten Teil seiner Kindheitserinnerungen verschiedene Stadien und Formen des Literatur werdenden Erinnerungsprozesses. Dazu zählt der Mechanismus der einzelnen „Gedächnisfotographien“, die aber nicht immer völlig gewiss erscheinen, wie das bleibende Bild des Vaters im Pyjama: Le négrillon se souvient du pyjama. Bleu pâle à rayures blanches, ou l’inverse… Ou peut-être un vert tendre… Le pyjama occupe d’ailleurs la plupart de ses souvenirs. (2005, 55) <?page no="156"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 156 Wie Halbwachs gezeigt hat (s.o., 2.1), besitzt schon diese ganz privat-intime Ebene der Erinnerung einen kollektiven Aspekt; manches konstituiert sich erst im Gespräch mit der Schwester: Mais les souvenirs s’entrecroisent… Les mémoires s’interpellent… Tout le monde témoigne car les absences pèsent… (2005, 55) Diese „absences“ sind das Problem, das der Autor immer wieder literarisch zu überwinden sucht, also den Verlust der Erinnerung, die vom Kindheitsmoment bis zur im Wandel befindlichen Kultur reicht. Gerade in der literarisch bezeugten individuellen Erinnerung (deren soziale Komponente, wie gesagt, Halbwachs benennt und Chamoiseau eingesteht bzw. produktiv nutzt) wird nun ein Garant für die Bewahrung von kreolischen Lebensformen gesehen, um deren Platz im kulturellen Gedächtnis im Sinne von Jan und Aleida Assmann Chamoiseau ringt, denn auch sie sind vom „Ausradieren“ bedroht (s.o., 2.1). In dem Roman Un dimanche au cachot (2007) stellt sich Chamoiseau - der hier getreu seinen Leitbegriffen von sich sagt, in seinen Büchern die „Masken“ des „marqueur de paroles“ und des „guerrier de l’imaginaire“ anzunehmen (2007, 23) - erneut das Problem der Erinnerung und des literarischen Bezugs zur Vergangenheit. Ausgangsmotiv ist ein Appell an den in der Fiktion erscheinenden Autor, sich in seiner Eigenschaft als éducateur (welchen Beruf der reale Patrick Chamoiseau nach wie vor ausübt) eines Mädchens anzunehmen, das sich an einem regnerischen Sonntag in eine Ruine geflüchtet hat und diese nicht mehr verlassen will. Der Autor entdeckt, dass es sich bei diesem Versteck - auf der „Habitation Gaschette“ - um ein altes Sklavenverlies handeln muss. Diese Spur der Vergangenheit treibt ihn dazu, für dieses Mädchen Geschichten aus der Zeit der Sklaverei zu fabulieren, in denen etwa die rebellische Sklavin „L’Oubliée“ vorkommt, aber er spricht genauso über Faulkner oder Saint-John Perse. Er lässt sich tragen von der Vorstellung des „guerrier de l’imaginaire“, und im Erzählen verschwimmen seine verschiedenen Rollen wie die des Schriftstellers oder Erziehers wie die seiner fiktiven Gestalten (2007, 282, 316 f.). Der von Raphaël Confiant entwickelte literarische Gestus scheidet sich immer deutlicher von Patrick Chamoiseau, wenngleich beide Autoren durch die im Éloge de la créolité gemeinsam formulierten Ziele verbunden sind (1989). Dies trifft bereits für Confiants Roman L’Allée des Soupirs (1994b) zu. Während Texaco bei aller historischen Präzision epische Züge besitzt und der Humor oft versöhnlich ist, dringen in Confiants Roman sich hastig überschlagende Ereignisse einer Revolte ein, und das Lachen des Autors gerät mitunter zum Sarkasmus. Schon vor dem Erscheinungsdatum hatte der Autor die Handlung skizziert: L’Allée des Soupirs a pour arrière-fond une révolte populaire qui éclata en Martinique en décembre 1959 en commençant par embraser un quartier qui s’appelait Les Terres Sainvilles pour s’étendre ensuite à toute la ville de Fort-de-France. C’était en quelque sorte un soubresaut de toute cette population chassée des campagnes par la ruine de l’industrie sucrière, qui s’est installée de manière sauvage autour de Fort-de-France mais qui n’y a pas trouvé des conditions d’accueil, d’habitat <?page no="157"?> Die Créolité 157 acceptables et a donc dû faire preuve d’un génie propre pour s’y adapter. Mais le contenu même de l’ouvrage est, comme d’habitude, multiforme. Il s’agit en fait pour moi d’évoquer toute une tranche de vie de la société martiniquaise au tournant des années soixante. Et L’Allée des Soupirs est un titre symbolique, dans la mesure où il est question d’une allée qu’il y avait au centre de La Savane - la place centrale de Fort-de-France -, allée où les jeunes gens déambulaient tout en se faisant une espèce de cour muette et discrète. Cette allée a pour moi une résonance très profonde en ce sens qu’on pouvait observer, sur La Savane, toutes les stratifications sociales de la société martiniquaise. Il y avait les bancs réservés aux sénateurs entre guillemets, c’est-à-dire les mulâtres, les riches bourgeois. Il y avait le banc des Syriens, le banc des voyous etc. Donc, cette Savane, située au cœur de la ville, a reproduit, dans leur disposition même, les différentes stratifications, et j’essaie de la faire vivre, de la faire palpiter, et de montrer comment, dans un si petit espace, se trouvait exprimée la quintessence de la société créole martiniquaise. (Confiant, in Chamoiseau & Confiant 1992, 16). In der Tat ist der Roman kontrapunktisch von zwei verschiedenen Ebenen bestimmt. Die erste Schicht liegt in der Statik der althergebrachten rituellen Ordnung, wie sie die Allée des Soupirs inkarniert: En ce temps-là, La Savane et son kiosque à musique arboraient, sur les quatre heures de l’après-midi, moment où toute la ville s’habillait pour la promenade, un étrange et immuable ordre de préséance. Le premier banc était réservé aux « Sénateurs », vieux messieurs aux cheveux vaselinés, qui défaisaient le monde à coups de sentences ampoulées dans un français si-tellement extraordinaire qu’il infligeait des vertiges aux marchandes de pistaches grillées. [...] Nul n’aurait osé s’installer sur ce banc, même quand il demeurait vide à cause des réunions mensuelles des Loges maçonniques. Bec-en-Or, tout chef en vagabondagerie qu’il se targuait d’être, ce qui signifiait donc unanimement respecté par la négraille, obéissait à cette loi non écrite. (Confiant 1994b, 13 f.). Dem steht die alle ergreifende Erschütterung des Volksaufstands entgegen: der Béké Henri Salin du Bercy wird beinahe von der aufgebrachten Menge gelyncht und kann sich auf Kreolisch gerade noch aus der Affaire ziehen (1994b, 77). Der riesenhafte Afro-Inder Malaba, der in mancher Hinsicht an die Gestalt des Mackandal aus Carpentiers El reino de este mundo (1986, zuerst 1949) denken lässt, führt die Aufständischen, bis er verletzt in seinem Blut liegt (205 f.). Die schöne Mulattin Ancinelle schließt sich emphatisch der Bewegung an und wirft ihrem ältlichen Liebhaber seine Passivität vor (371 ff.), usw. Letztlich schlägt der Aufstand fehl: seine ideologischen Leitvorstellungen gehen im Wirbel der Gewalt unter, und seine geistigen Führer geben sich geschlagen: der Camarade Angel, ein gebildeter und vom kubanischen Vorbild begeisterter Mulatte, nimmt sich das Leben (1994b: 367). In diesem Roman geht die Skepsis um die gesellschaftliche Zukunft Martiniques mit der Reflexion über die ästhetische Gestalt des antillanischen Romans parallel. Wie Glissant verwendet Confiant die Technik des retour des personnages; anders als Glissant aber sind Confiants Gestalten psycho-physisch überdimensionierte Wesen, die oft an Balzacs Comédie Humaine erinnern. Gleichwohl trennt <?page no="158"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 158 Confiant zweierlei vom französischen Realismus. Dies sind zunächst seine permanenten Anleihen beim réalisme merveilleux, z.B. wenn sich die dame Cécilia in einen Baum verwandelt (1994b, 35 f.) oder der Herumtreiber Fils-du-Diable-en- Personne sich der Hilfe eines Hundertjährigen mit seherischen Gaben versichert (1994b, 289 ff.). Außerdem wird der Realismus ständig durch eine zum Prinzip gewendete Form der Maßlosigkeit gebrochen, die Confiant, schätzungsweise im Rückgriff auf Rabelais und Bakhtine, als grotesque bezeichnet. Das Groteske, wie Confiant es versteht, haftet zunächst der Wirklichkeit selbst an: Césaire n’avait pas su percevoir le baroque de Fort-de-France, l’extrême puissance de son grotesque [...] (Confiant 1994b, 234). Da die Wirklichkeit eine Wahrnehmung verbietet, die ausschließlich von der ausgewogenen Ratio der Schriftgesellschaft europäischen Musters bestimmt wird, muss das Groteske, die Maßlosigkeit zum romanesken Darstellungsprinzip der antillanischen Wirklichkeit werden. Es heißt in einer Debatte um den Begriff des Grotesken und die literarische Form: «- Cacophonie, c’est là le mot exact. Décidément, Chartier, rien ne vaut un œil extérieur ... - Oui, monsieur. Le roman créole sera cacophonique ou il ne sera pas ! » [...] «- Assez, Chartier ! s’énerva le Martiniquais. Vous n’avez aucune leçon à nous donner ! ... excusez-moi, cher ami, j’ai les nerfs à vif depuis toutes ces émeutes. A votre santé ! ... au fait, pourquoi pas „polyphonique” au lieu de ce „cacophonique” qui résonne un peu péjorativement ? - Non ! Le terme qui convient est bel et bien cacophonique car dans polyphonique, il y a de l’ordre, de l’harmonie. La polyphonie n’est qu’une juxtaposition de voix ou alors un entremêlement fixé à l’avance. On est toujours dans le cartésianisme, il n’y a pas de dérapage possible, de folie, de démesure.» (Confiant 1994b, 334) Später wagt Confiant einen Schritt, der dem modernen und militanten Autor der Créolité schwerfallen muss. Mit dem (bereits o. in 2.2.3 erwähnten) Werk L’archet du colonel (1998) nähert er sich dem historischen Roman und zudem einem klassischen Helden der Négritude, einem Vorkämpfer für die Befreiung des schwarzen Menschen an: Louis Delgrès, ein farbiger, auf Martinique geborener Offizier, hatte in Guadeloupe 1802 gegen die Wiedereinführung der Sklaverei aufbegehrt und sich mit seinen letzten Getreuen im Kampf von Matouba zusammen mit den Angreifern in die Luft gesprengt (vergl. o., 2.2.3). Diese historische Ebene wird im Roman als Schreibakt von Amédée Mauville, jenem bereits seit Le nègre et l’amiral bekannten aufsässigen Notarssohn, aufgerollt, und im Haus von Amédée Mauville setzt die Fiktion ein: Il y avait beau temps qu’Amédée Mauville n’accourait plus à sa fenêtre, le cœur en chamade, le plat des mains enfiévré par une soudaine et délicieuse rousinée de sueur, chaque fois qu’irruptionnait le chant des vidangeuses. Celles-ci devenaient les maîtresses des rues du beau mitan de Fort-de-France dans ce bref empan de songe qui séparait la chute du jour de la nuit close. « Une miette de temps, oui ... », pestait Da Ernestine qui, armée d’un balai en feuilles de coco, sarabandait d’une pièce à l’autre, du rez-de-chaussée au second et dernier étage d’où l’on apercevait <?page no="159"?> Die Créolité 159 à ce moment-là, par une lucarne, une mer étrangement immobile. (Confiant 1998, 13) In diesem Passus zeigt sich auch die Confiant eigene Verwendung des Kreolischen, die etwas anders als bei Chamoiseau mehr mit den virtuellen Mustern dieser Sprache spielt (s. dazu auch Lewis 2006, 116 ff., sowie zur folgenden Textanalyse genauer Ludwig & Poullet 2003, 172 ff.). Die ersten Worte dieses Zitats - „il y avait beau temps“ können für den Frankophonen als Kontamination von „il y avait bien longtemps“ und „il y avait belle lurette“ verständlich sein; der Kreolophone erkennt darin gleichwohl den Ausdruck „té ni bon enpé tan“ (was wörtlich auf Französisch „il y avait un bon peu de temps“ ergibt). Die von Confiant gewählte Formulierung entspricht also weder ganz dem Französischen noch völlig dem Kreol. Im selben Satz findet sich „rousinée de sueur“, was eine Abwandlung von „rousinée de pluie“ ist und auf kreolisch „on rouziné lapli“ zurückgeht. Der Frankophone wird hier das Wort „une rosée“ erkennen. Derart erzielt Confiant hier ein ähnliches lexikalisch-semantisches Spannungsverhältnis wie Roumain im Titel von Les gouverneurs de la rosée (was kreolisch eigentlich soukélawouzé, „les gouverneurs de l’arrosée“ entspricht, s.o., 3.2), auf welches haitianische Werk damit gleichzeitig intertextuell referiert wird. „Maîtresses des rues“ ist eine feminine Abwandlung von kreolisch „mèt-pyès“ oder „mètsavann“, womit die „majors“ der Vorortviertel gemeint sind, jene „fiers-à-bras“, die keiner tätlichen Auseinandersetzung ausweichen. Der Ausdruck „au beau mitan“ ist direkt dem Kreolischen entnommen (Confiant 2007, 984), existiert aber auch im älteren populären Französischen bzw. Regionalfranzösischen. Confiants Wendung „la chute du jour“ lässt sich aus dem Französischen heraus analog zu „la tombée de la nuit“ verstehen, ist aber eine direkte Transposition von kreolisch „laba di jou“, was etymologisch schätzungsweise aus französisch „abattre“ abgeleitet ist und den auf den Antillen besonders schnellen Wechsel von Tag und Nacht ausdrückt. Amédée Mauville, Abkömmling einer wohlhabenden Mulattenfamilie (bes. 1998, 16), hatte in Paris ein Gemälde erworben, das einen farbigen napoleonischen Offizier beim Geigenspiel darstellt und sich schließlich als das Portrait von Delgrès erweist. Er unternimmt es dann, das Leben des Helden von Matouba romanesk zu rekonstruieren; derart begibt er sich in die innere Emigration gegenüber den Festlichkeiten zum „Tricentenaire“ der Kolonisierung Martiniques (1935, s. dazu o., 2.2.5), in denen sich sein Vater Maximilien Mauville engagiert. Die kontrapunktische Verflechtung beider historischer Ebenen erreicht zum Ende des Romans eine besondere Dichte: La mulâtresse Solitude fut très belle lorsqu’elle fondit, telle une harpie, sur l’armée des esclavagistes et qu’elle se mit à les insulter, à leur cracher au visage, à lacérer de ses dents leur peau rougie par le soleil. Le président du conseil des ministres, Albert Sarraut, donna l’accolade à Maximilien Mauville après que ce dernier eut déclamé son discours d’inauguration de la statue du comte Beslain d’Esnambuc, exterminateur des Sauvages caraïbes en l’an 1635. (Confiant 1998, 337) <?page no="160"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 160 Louis Delgrès, au moment de l’explosion, jouait une sonate de Haendel pour Marthe Rose, assise à ses pieds, le regard perdu dans le néant. Peu de temps auparavant, il prononçait ces paroles qui demeurèrent gravées à jamais dans l’air du temps : « Nous n’avons plus qu’à mourir bravement. Sachons accomplir ce devoir suprême. Notre mort nous fera illustres, nous ne mourrons pas entièrement. Nos noms survivront sur l’océan des âges et nous léguerons nos exemples à suivre à ceux qui viendront après nous et qui, plus heureux, conquerront, eux, cette liberté que nous n’avons fait qu’entrevoir. » (Confiant 1998, 338) Der beschriebene Roman ist bezeichnend für die weitere literarische Entwicklung von Raphaël Confiant. Er wird mehr und mehr zum literarischen Chronisten, zu dem Autor, der die zentralen historischen Achsen, Schauplätze und Rückbindungen der Antillengesellschaft fiktiv erfasst, sich dabei eben auch auf genaue Sachverhaltsanalysen stützt. In mehreren nachfolgenden Romanen greift er historische Vorgänge und Fakten auf, die eine zentrale Rolle im kulturellen Gedächtnis der Antillen spielen oder - aus der Sicht des Autors - spielen sollten, um sie dann fast unmerklich in die Fiktion zu überführen. Dies gilt für Nuée ardente (2002), wo er die gesellschaftliche und auch kulturelle Blütezeit von Saint-Pierre bis zum Untergang, bis zum fatalen Ausbruch der Montagne Pelée am 8. Mai 1902 darstellt (s.o., 2.5). In La panse du chacal (2004) zeichnet er die indische Migration auf die Antillen nach (s. dazu schon ausführlicher o., 2.2.4). In Adèle et la pacotilleuse (2005) inszeniert er Adèle Hugo, die in wahnhafter Liebe einem englischen Offizier (namens Albert Pinson) nach Amerika folgt; schließlich wird sie im Zustand körperlicher Verwahrlosung und geistiger Verwirrung von einer kreolischen pacotilleuse, einer Kleinwarenhändlerin, die zwischen den karibischen Inseln pendelt, in Bridgetown - der Hauptstadt von Barbados - aufgegriffen und gepflegt. Diese Céline Alvarez Bàà bringt Adèle zunächst nach Saint-Pierre auf Martinique, was Confiant einmal mehr Gelegenheit gibt, die Gesellschaft dieser Stadt vor dem Vulkanausbruch ironisch, ja mitunter sarkastisch zu porträtieren, indem er sie aus der Perspektive von Céline Alvarez Bàà und ihrer Schutzbefohlenen Adèle in Augenschein nimmt. Getreu der historischen Wirklichkeit begleitet die pacotilleuse in Confiants Roman dann Adèle über den Ozean zu ihrem Vater Victor Hugo zurück. Sie besucht später sogar Hugo und Adèle ein zweites Mal in Frankreich, und sie wird dessen Geliebte. Am Ende des Romans werden die wechselseitigen Perzeptionen der farbigen pacotilleuse aus der jeweiligen Ich-Perspektive dargestellt. In diesem Werk offenbart sich das Meer als positiver Korrespondenz- und Kommunikationsraum; schon die polyglotte Mutter der Protagonistin hat die ganze Karibik zum Lebensraum gewählt: C’est que Carmen éprouvait une manière d’adoration pour la mer et ne supportait pas d’être privée de sa vue. Elle crut ainsi perdre la raison quand elle fut emprisonnée pendant deux mois dans l’île de Saba, propriété du seul peuple de l’Archipel dont elle ne connaissait pas la langue, les Danois. (Confiant 2005, 64) <?page no="161"?> Die Créolité 161 Deutlich lehnt er sich hier an den Archipel-Gedanken und das Tout-monde-Konzept von Glissant an, worauf er gleich in den ersten Zeilen des Romans verweist (2005, 13). Mit dem im Jahr 2007 erschienenen Roman Case à Chine wendet sich Confiant der Migration der Chinesen nach Martinique zu, jener zahlenmäßig geringsten, aber doch markanten ethnischen Gruppe, mit der der Autor selbst über eine Großmutter verwandt ist (Gendrey 2007). Die Chinesen gelangten in Martinique schnell zu dem Ruf, arbeitsunwillig und aufrührerisch zu sein; sogar Fälle von Mord und neuem marronnage sind bekannt. So wurden im 19. Jahrhundert nur drei Gruppen angelandet; die erste traf 1853 mit dem mythisch gewordenen Segler „Galilée“ ein, der auf der langen Reise bei einem Zwischenhalt in Pondichéry noch indische engagés an Bord genommen hatte. Unter der Passagieren der Galilée sind - in Confiants Fiktion - auch manche Protagonisten von Case à Chine, wie der vor dem Hunger geflohene junge buddhistische Mönch Chen-Sang. Nach der Ankunft in Martinique lehnt er sich zunächst gewaltsam auf gegen die Lebensbedingungen der habitation, in die er hineingepresst wird. Schließlich aber, nach einer Zeit des Verstecks und des marronnage, heiratet er die „négresse créole“ Man Fidéline, die kaum ein Verbrechen darin sieht, dass ihr Lebensgefährte den „commandeur“ Audibert auf dem Gewissen hat (2007, 336 f.), um sich mit ihr in „L’En-Ville“, im Viertel Terres-Sainville - jenem Armenviertel von Fort-de- France, das Confiant als Bühne so mancher Romanepisoden dient - niederzulassen und dort ein kleines Ladengeschäft, eben die Case à Chine, zu eröffnen (2007, 326 f.). Chen-Sangs Enkel Fang-Li heiratet dann „Poupée-Porcelaine“, mit amtlichem Namen Mâ, die schöne Tochter von Maï Wang, die auf See, auf dem zweiten Migrantenschiff, das Licht der Welt erblickt hatte (2007, 167 ff.) und ebenfalls ein Geschäft besitzt (338 ff.). Dieser Roman baut sich in „Kreisen“, „cercles“, auf, womit Confiant wieder eine in seinen früheren Romanen verwendete Strukturtechnik aufgreift; dazu gehören ein nicht-linearer Handlungsaufbau und zahlreiche Perspektivenwechsel in der Narration. Den Kapitelüberschriften sind zusammenfassende Kommentare beigegeben, eine Technik, die von großen narrativen, noch Oralitäts-geprägten Werken des 16. und 17. Jahrhunderts bekannt ist, so von Rabelais‘ „livres“ von Gargantua und Pantagruel (hier zit. nach der Ausg. Rabelais 1973/ 1980), Cervantes‘ Don Quijote oder dem französischen burlesken Roman von Scarron (Le romant comique, zuerst 1651 und 1657, hier Scarron 1958) und Sorel (Histoire comique de Francion, zuerst 1622, hier Sorel 1958). Auf der sprachlichen Mikroebene bedient sich Confiant erneut eines oft stark kreolisch geprägten Stils, in dem manche Konstruktionen besonders auffallen, wie die Satzeröffnung mit dem Intensivierungsmarker „si tellement“, der Alternativ-Ausdruck „qui - qui“ (entsprechend dem Standardfranzösischen „soit - soit“, wobei ein distributiver Gebrauch „qui - qui“ im stilisierten Schriftfranzösischen erhalten ist, hier aber als Verweis auf eine häufige kreolische Konstruktion eingesetzt ist) oder der Reflexiv mit „tuer son corps“ (standardfranzösisch „se tuer“): Ainsi donc, les djobeurs étaient rémunérés à la tâche par les petits commerçants qui s’approvisionnaient chez De Lavarande et se foutaient pas mal de ce dernier, <?page no="162"?> Perspektiven der Literatur von Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana 162 fût-il blanc créole, et de son contrôleur chinois de merde avec ses yeux d’hypocrite-né. Si-tellement que profitant de la moindre inattention de la part de ce dernier, ils chapardaient qui une boîte de beurre de Bretagne, qui une caisse de pommes-France, qui deux-trois bouteilles de Martini, qu’ils revendraient plus tard sur la place de La Savane où la gueusaille s’assemblait à la chute du jour (Confiant 2007, 82 f.) On apprit, deux semaines plus tard, que le corps de Vaïdomestry avait été repêché non loin du bassin de radoub. On en déduisit qu’il avait tué son corps. Par déception. (Confiant 2007, 217) 7.3 Kontinuitäten und Diskontinuitäten Als Beispiel für die Wirkung der Créolité und im selben Zuge für die Konvergenz und Transformation verschiedener literarischer Strömungen mag jetzt Gisèle Pineau zunächst mit ihrem Roman L’âme prêtée aux oiseaux gelten (1998; zu ihrem Verhältnis zur créolité und autobiographischen Elementen in ihrem Schreiben äußert sie sich im Interview von Ndagano 2002). Die sprachliche Ästhetik der Guadelouper Autorin trägt unverkennbar die Spuren von Chamoiseau und Confiant. Darüber hinaus setzt sie explizit die Linie femininen Schreibens fort, die in Guadeloupe von Maryse Condé und Simone Schwarz-Bart über die moderne kreolische Erzählerin Sylviane Telchid bis zu Audrey Pulvart mit ihrem hoffnungsvollen Roman L’enfant-bois (2004, s. dazu o., 2.5) reicht. Primärer Handlungszeitraum von L’âme prêtée aux oiseaux ist das Jetzt, die Handlungsachsen werden - charakteristisch für die Communauté antillaise in der heutigen Diaspora - zwischen den Antillen, Paris und New York gespannt (zur Exil-Problematik im früheren erzählerischen Werk von Gisèle Pineau s. Proulx 2004). Die (von Gisèle Pineau mit einzelnen autobiographischen Federstrichen skizzierte) junge Krankenschwester Billy verlässt Guadeloupe und erzieht ihren Sohn in Paris, wo sie eine enge Freundschaft mit der alten, nach etlichen Männerbeziehungen zu Wohlstand gekommenen Französin Lila eingeht. Mit Lilas Pariser Geschichten und Billys antillanischer Genealogie wird ein fiktives, weites Netz ausgeworfen, das der Intention nach sowohl an Glissants Tout-monde wie an Maryse Condés Vernetzungsversuche erinnert. Im Roman Pineaus erscheinen die Vögel als Sinnbild der gefangenen und befreiten Seele und Liebe (s. bes. 1998, 137-139). Die Verquickung von erotischem Wunsch, sexueller Wirklichkeit und Tod spiegeln die Oszillation der Frau zwischen Opferrolle und dominanter, selbstbestimmter Kulturträgerschaft wider. So findet die alte Zauberin Néhémie, eine entfernte Vorfahrin von Billy, erst im Tod ihre Erfüllung: Cette heure ultime fut un enchantement, une apothéose, un avant-goût du paradis. Et son souffle final ne fut pas le râle d’une pécheresse vaincue par la mort, mais le cri d’abandon d’une femme comblée. Aucun des voisins accourus n’oublia jamais le visage transfiguré de Néhémie. <?page no="163"?> Kontinuitäten und Diskontinuitäten 163 C’est ainsi qu’expira Néhémie, non pas comme elle avait vécu, solitaire et rêveuse, mais semblable à ces femmes qui, chaque jour sur la terre, approchent la mort dans l’union des corps, et puis renaissent, avec sur la langue un zeste d’éternité. Son seul compagnon, un maigre oiseau sans âge qu’elle tenait en cage depuis l’aube de ses premières révélations, dépérit de chagrin. (Pineau 1998, 62 f.) Gisèle Pineau erzeugt manche Passus von stilistisch sensibler Intensität; gleichzeitig zeugt ihr Werk aber auch von den Gefahren der Ausdünnung gesellschaftlich-philosophischer Konzepte und einer Mechanisierung des Schreibens. Gleichwohl gelingt es ihr in ihren aktuellen Werken - dem Roman Fleur de Barbarie (2005) und dem „récit“ Mes quatre femmes (2007) - ihr Schreiben zu verdichten und thematisch auszuweiten. Fleur de Barbarie zeigt den identitären Konflikt eines zur Schriftstellerin heranreifenden kreolischen Mädchens, das auf den Antillen geboren, aber in Frankreich in einer Pflegefamilie aufgewachsen ist. Mehrfach schwankt die junge Autorin zwischen dem europäischen Frankreich und Guadeloupe bzw. der vorgelagerten kleinen Insel Marie-Galante als affektivem und geistigem Ankerpunkt. Derart kann Pineau die diasporische Zerrissenheit vieler Frankoantillaner ausformulieren: die Suche nach der Identität wird nicht mehr ausschließlich von den Antillen bestimmt, und in diesem Roman stellt sie sich den Fragen und Herausforderungen der Gegenwart. Mit dem „récit“ Mes quatre femmes knüft sie wieder deutlich an die erwähnte Guadelouper Autorinnen-Tradition und die Problematik der antillanischen Frau an. Gegenstand dieses Buches mit der Darstellung von vier Gisèle Pineau nahestehenden Frauengestalten ist eine Erinnerungsarbeit, die in erster Linie persönlicher Natur und (erst) im zweiten Schritt ein Schlüssel zur kreolischen mémoire collective ist. Das Schreiben verschafft Zugang zu den vier Frauen, für die die Erinnerung die Gefangenschaft in einer „geôle noire“ bedeutet: Elles sont quatre. Angélique, Gisèle, Julia, Daisy. Quatre femmes enfermées entre les quatre murs d’une geôle noire. Elles se consolent l’une l’autre, pansent leurs plaies. (Pineau 2007, 10) Un jour, vous croyez les avoir oubliées. Elles font silence et votre mémoire n’est plus encombrée de leur âpre présence. Le lendemain, fébrile, vous les cherchez, fouillant vos souvenirs. Et il apparaît que chacune incarne la saison d’une histoire qui, s’accolant à celles des autres, rassemble et ordonne les morceaux de votre être. (Pineau 2007, 12) Einmal mehr stellt die frankokaribische Literatur also die - jetzt sehr persönlich gewordene - Frage der Beziehung des Individuums zur Geschichte, zur Erinnerung, zu seiner Sprache. <?page no="165"?> 8 Schlussbemerkung Eingangs wurde die Frage nach der Einheit oder Vielheit der antillanischen Kultur(en) und Literatur(en) gestellt. Lässt sich an dieser Stelle eine Antwort formulieren? Die Verfolgung der kulturellen und identitären Wege der karibischen Gesellschaft - im zweiten Kapitel - hat gezeigt, dass die gemeinsame Kolonialgeschichte und Wahrnehmung der tropischen insulären Alltagswelt (das Leben in Guayana hat ja in gewisser Weise ebenso insulären Charakter) ein starkes gemeinsames Flechtwerk bilden, auch wenn sich Haiti politisch eigenständig entwickelt. Gleichwohl: die Sklaverei und ihre Überwindung, die Dominanz und zunehmende Relativierung europäischer Leitbilder, das nahe Verhältnis zu Natur und oraler Kommunikation sowie manches mehr verbindet die disparate „Frankokaribik“. Derart sind Felder einer mémoire collective entstanden, die von verschiedenen Bereichen der Karibik geteilt werden. Nur so konnte ja sinnvoll von „karibischer Literatur“ und „karibischen Autoren“ die Rede sein, wenn man nicht trivialerweise die geographisch-politische Herkunft eines Schriftstellers zum maßgeblichen Kriterium machen will (s.o., 1.3). Jedoch ist unübersehbar, dass sich vom 20. Jahrhundert an der Abstand zwischen Haiti einerseits und Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana andererseits vergrößert. Während die steigende Mobilität und Dynamisierung der diasporischen Gruppen in Haiti eine immer manifestere Orientierung nach Nordamerika und Kanada schafft, verbleiben Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana in einem Wechselverhältnis mit Frankreich, obschon dieses von vielen Intellektuellen und Schriftstellern kritisiert und im Einzelfall durchbrochen wird; die Bedeutung des Zusammenhangs von Diaspora und identitärer Selbstsuche in der Literatur ist in dieser Studie deutlich zu Tage getreten. So finden sich besonders im 20. und beginnenden 21. Jahrhundert zunehmend Argumente, nun in der Mehrzahl von frankokaribischen Gesellschaften und Kulturen zu sprechen, wie ja auch das Verhältnis der drei heutigen Départements d’Outre- Mer untereinander nicht ohne gegenseitige identitäre Abgrenzungssignale ist. Entsprechend zeigen literarische Prozesse, dass kulturell diese letzteren Zonen - unbesehen ihres gemeinsamen spezifischen politischen Status - nicht als undifferenzierte Einheit gesehen werden können. Wenn man, wie im letzten Satz angeklungen, die Literatur als kulturellen Orientierungsfaden nimmt, dann verkompliziert sich ohnehin das Bild. Denn auch innerhalb der einzelnen frankokaribischen Gebiete verläuft die literarische Entwicklung keinesfalls wie ein gradlinig uniformer Fluss. Vielmehr haben wir es mit verschiedenen Strömungen zu tun, von denen einzelne weit über ein besonderes Territorium hinausreichen, wie andere eher nationalen Charakter haben können. Beispielsweise lassen sich die Botschaft von Négritude und haitianischem <?page no="166"?> Schlu ss bemerkung 166 Indigenismus vergleichen, aber die Geschichte der Unabhängigkeit Haitis hat zur Folge, dass der Indigenismus einen sehr viel nationaleren Charakter besitzt (s. auch Laroche 1987a, 109). Die literarische Vielheit kann mithin eventuell im Einzelfall, aber keineswegs insgesamt mit nationalen oder einzelkulturellen Etiketten - in einer gesellschaftlich-politischen Eins-zu-Eins-Zuordnung - versehen werden. Die haitianische Literatur, die martinikanische Literatur etc. lässt sich allenfalls im Sinne einer historischen Menge, aber nicht eines semantisch kohärenten Ganzen begreifen. In den Termini des logischen Empiristen Rudolf Carnap: wir haben es hier möglicherweise mit extensional, aber kaum mit intensional fassbaren Ganzen zu tun. Zudem können die literarischen Artikulationswege der Frankokaribik am besten als eine oft dialektischen Mechanismen folgende Suche verstanden werden. Diese literaturgeschichtliche Dialektik offenbart sich insbesondere im Verhältnis von Négritude und Antillanité. Dazu stimmt die Sichtweise, dass literarische Antithesen häufig eigentlich Synthesen sind. Entsprechend kann man in der Créolité eine Fortführung sowohl der Négritude wie der Antillanité sehen, also eine Bewegung, die das Erbe beider vorangegangenen, in Opposition zueinander stehenden Konzepte konkretisiert; weiter besitzt die Créolité in mancher Hinsicht eine kulturelle Affinität zum magischen Realismus. Am Ende stellen sich die verschiedenen Elemente der frankokaribischen Literaturen als Steine eines Mosaiks dar, hinter dessen Teilen das einheitliche Ganze - wenn derzeit auch nur schemenhaft - sichtbar wird, welches in sich wiewohl nicht uniform ist und oft unscharfe Ränder hat. Lassen wir abschließend noch einmal die Entwicklung der frankoantillanischen Literatur vom frühen 19. Jahrhundert bis heute Revue passieren, so zeichnet sich eine immer stärkere Vernetzung mit der Literatur und dem Geschehen außerhalb des Archipels und die gleichzeitige Inanspruchnahme einer höheren gesellschaftlichen und auch ästhetischen Relevanzebene ab: ausgehend vom kolonialen Schreiben der békés entwickelt sich die frankokaribische Literatur - getragen etwa von der poetisierten Reflexion über Erinnerung und Geschichte, Natur, Sprache und Identität - zu einer Auseinandersetzung mit dem „Toutmonde“, die nicht umsonst gleichzeitig als programmatisch für Entwicklung und Verständnis des „Tout-monde“ verstanden werden will. Daher ist Kathleen Gyssels (2000) perspektivisch recht zu geben, wenn sie nach der Rolle der antillanischen Literatur in der World Literature fragt. <?page no="167"?> 9 Zitierte Literatur 9.1 Literarische und kritische Werke karibischer Autoren Alexis, Jacques Stephen (1955/ 1988): Compère Général Soleil, zuerst 1955, zit. nach der Ausg. 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Francke Preisänderungen vorbehalten Jürgen Erfurt Frankophonie Sprache - Diskurs - Politik UTB 2645 M, 2005, XVI, 220 Seiten, 4 Abb., 12 Sprachkarten, 11 Tab., [D] 19,90/ SFr 34,90 UTB-ISBN 978-3-8252-2645-9 Was verbindet so weit entfernt liegende Länder wie Senegal, Rumänien, Vietnam und Mauritius? Der Hinweis, dass sie gemeinsam mit einigen Dutzend anderer Länder zur Frankophonie gehören, rückt unweigerlich die Frage in den Mittelpunkt, was Frankophonie bedeutet, was diese Länder mit Französischsprachigkeit und mit der Sprache Frankreichs zu tun haben. Doch ist Französisch die Sprache Frankreichs? Ist es nicht auch die Sprache von Millionen von Kanadiern? Ist es vielleicht sogar eine afrikanische Sprache? Der vorliegende Band zur Frankophonie versteht sich als eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Nation und Herrschaft, von Kolonialismus und Postkolonialismus, von multikultureller Identität, gesellschaftlicher Modernisierung und der Rolle von Sprache und Kultur im Prozess der Globalisierung. UTB Romanistik