Beurteilungsgespräche in der Schule
Eine gesprächsanalytische Studie zur Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern
0522
2017
978-3-7720-5610-9
978-3-7720-8610-6
A. Francke Verlag
Vera Mundwiler
10.2357/9783772056109
CC BY-NC-ND 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de
Schulische Beurteilungsgespräche sind inzwischen vielerorts fester Bestandteil der inter-institutionellen Kommunikation zwischen Schule und Familie. Dennoch ist bis heute noch wenig bekannt über die kommunikativen Anforderungen und Aufgaben, welche von den beteiligten Lehrpersonen, Eltern und den mitanwesenden Schülerinnen und Schülern in der Interaktion bewältigt werden müssen. Dieser Band beschä igt sich mit Praktiken der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, mit Positionierungsaktivitäten und Beteiligungsstrukturen im Gespräch und fokussiert dabei insbesondere die Rolle der Kinder bzw. Jugendlichen. Hierfür wurden authentische Gespräche an Deutschschweizer Schulen aufgenommen, transkribiert und mit Methoden der gesprächslinguistischen Sequenzanalyse und der Positionierungsanalyse untersucht.
Der Band richtet sich an Studierende, Forschende und Lehrende in den Fachrichtungen Linguistik, Pädagogik und Sozialwissenscha en sowie an (angehende) Lehrpersonen und Fachleute im Bildungsbereich.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-7720-8610-6 www.francke.de Schulische Beurteilungsgespräche sind inzwischen vielerorts fester Bestandteil der inter-institutionellen Kommunikation zwischen Schule und Familie. Dennoch ist bis heute noch wenig bekannt über die kommunikativen Anforderungen und Aufgaben, welche von den beteiligten Lehrpersonen, Eltern und den o mit anwesenden Schülerinnen und Schülern in der Interaktion bewältigt werden müssen. Dieser Band beschäigt sich mit Praktiken der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, mit Positionierungsaktivitäten und Beteiligungsstrukturen im Gespräch und fokussiert dabei insbesondere die Rolle der Kinder bzw. Jugendlichen. Hierfür wurden authentische Gespräche an Deutschschweizer Schulen aufgenommen, transkribiert und mit Methoden der gesprächslinguistischen Sequenzanalyse und der Positionierungsanalyse untersucht. Der Band richtet sich an Studierende, Forschende und Lehrende in den Fachrichtungen Linguistik, Pädagogik und Sozialwissenschaen sowie an (angehende) Lehrpersonen und Fachleute im Bildungsbereich. Vera Mundwiler Beurteilungsgespräche in der Schule Beurteilungsgespräche in der Schule Eine gesprächsanalytische Studie zur Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern Vera Mundwiler N° 98 N° 98 N° 98 <?page no="1"?> Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur Herausgegeben von Heike Behrens, Nicola Gess, Alexander Honold, Gert Hübner (†), Martin Luginbühl und Ralf Simon Band 98 <?page no="3"?> Vera Mundwiler Beurteilungsgespräche in der Schule Eine gesprächsanalytische Studie zur Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern <?page no="4"?> Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung. Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung-Nicht kommerziell 3.0 Schweiz Lizenz. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb. de abrufbar. © 2017 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Printed in Germany ISBN 978-3-7720-9610-5 <?page no="5"?> Vorwort und Danksagung Es handelt sich bei der vorliegenden Arbeit um eine leicht angepasste Druckfassung meiner Dissertationsschrift, welche ich im Dezember 2015 im Fach Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Basel eingereicht und im Juni 2016 verteidigt habe. Die Dissertation entstand im Rahmen des internationalen Doktoratsprogramms Hermann Paul School of Linguistics (HPSL) Basel - Freiburg i. Br. und wurde von Prof. em. Dr. Annelies Häcki Buhofer (Universität Basel) und Prof. Dr. Helga Kotthoff (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) betreut und begutachtet. Eine Dissertation ist zunächst eine individuelle Leistung und zeitenweise ein einsames Unterfangen. Doch es gibt viele Menschen, die in irgendeiner Weise - sei dies durch wissenschaftliche Inspiration, durch Hilfe bei der Datenerhebung oder durch moralische Unterstützung - zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Ich bedanke mich herzlich bei meiner Erstbetreuerin Annelies Häcki Buhofer, die mir bei der Themeneingrenzung, der Methodenwahl und der gesamten Konzeption der Arbeit jegliche Freiheiten liess und mir stets mit Wohlwollen und Vertrauen begegnete. Danken möchte ich ebenso Helga Kotthoff, die mich als Zweitbetreuerin fachlich begleitete und mir die Teilnahme an ihren Forschungskolloquien ermöglichte. Bei Fabienne Strässle, Gabriela Giallombardo und Sandra Hanselmann bedanke ich mich für einzelne Grobtranskriptionen, die mir den Einstieg in die Analysen erleichtert haben. Ein spezieller Dank gilt ausserdem allen Kolleginnen und Kollegen, die mich durch zahlreiche (wissenschaftliche) Diskussionen weitergebracht und ermutigt haben, sei dies in Forschungskolloquien in Basel oder Freiburg i. Br., an Tagungen, in Arbeitsgruppen oder in täglichen Mittags- und Kaffeepausen. Während meiner Anstellung am Deutschen Seminar der Universität Basel waren dies insbesondere Annina Niederberger, Felix Michel, Karin Madlener, Mirjam Weder, Rebekka Studler, Stefanie Meier und Steffen Siebenhüner, die sich teilweise auch Zeit nahmen, um kleinere oder grössere Textausschnitte und / oder Vorträge, die im Rahmen dieses Projekts entstanden sind, kritisch zu kommentieren. Für die Durchführung der Studie war ich zudem in höchstem Masse auf die Kooperation von Schulen und Familien angewiesen, um überhaupt an Gesprächsdaten zu gelangen. Ich möchte von Herzen allen hier anonym bleibenden Lehrerinnen und Lehrern, Eltern bzw. Erziehungsberechtigten sowie Schülerinnen und Schülern für ihre Teilnahme am Projekt danken. Durch ihre Bereitschaft, sich in den Gesprächen aufnehmen zu lassen, gewährten sie mir Einblick in die schulische Praxis des Beurteilungsgesprächs und ermöglichten mir die Analyse eines bisher wenig erforschten Gesprächstyps. Ich danke auch <?page no="6"?> 6 Vorwort und Danksagung allen Schulleitungen dafür, dass sie sich mit Aufnahmen an ihren Schulen einverstanden zeigten und mich teilweise sogar tatkräftig bei der Rekrutierung von Lehrpersonen unterstützten. Und schliesslich gebührt mein Dank auch Freundinnen und Freunden sowie Familienangehörigen, die mir abseits von der (Sprach-)Wissenschaft eine wichtige Unterstützung waren und mich auf meinem Weg stärkend begleiteten. All ihnen sei herzlich gedankt für das Vertrauen in mein Projekt, das Verständnis für chronische Zeitknappheit, die anregenden Gespräche, das geduldige Zuhören, das solidarische Mitdenken, das gelegentliche Ablenken oder auch schlichtweg das gemeinsame Lachen und Beisammensein. Mein allumfassender Dank gilt Christian Specker, der mich in jeglicher Hinsicht unermüdlich unterstützt und bestärkt. Basel, im Mai 2017 Vera Mundwiler <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis 7 Inhaltsverzeichnis Vorwort und Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand . . . . . . 14 1.1.1 Ergebnisse aus Interview- und Fragebogenstudien . . . . . . . . . . . . 15 1.1.2 Gesprächsanalytische Forschungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.2 Forschungsinteressen und Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.3 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.1 Gesprächsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2.1.1 Prämissen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1.2 Prinzipien der Gesprächsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.1.3 Gesprächsanalyse und institutionelle Kontexte . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten . . . . . . . 39 2.2.1 Recipient Design, Common Ground und Positionierung . . . . . . 41 2.2.2 Lokale Ausrichtung am Gegenüber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.3 Aufgaben und Herausforderungen in der Mehrparteieninteraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.3.1 Beteiligungsrollen in der Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.2 Gesprächsorganisatorische und thematische Steuerung . . . . . . . 60 2.4 Identität und Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.4.1 Konstruktion von Identität(en) im Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2.4.2 Soziale Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.4.3 Selbst- und Fremdpositionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.4.4 Selbst- und Fremdbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3 Methodenreflexion und Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3.1.1 Datenerhebung und Zugang zum Forschungsfeld . . . . . . . . . . . . . 72 3.1.2 Datenaufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 <?page no="8"?> 8 Inhaltsverzeichnis 3.1.3 Analysevorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.2 Datenmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.2.1 Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 3.2.2 Metakommentare zu den Gesprächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1 Gesprächseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.1 Initiierung einer fokussierten Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 4.1.2 Verhandlung von Wissensbeständen und Beteiligungsrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.2 Gesprächsbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.2.1 Initiierung und Vollendung der Gesprächsbeendigung . . . . . . . 121 4.2.2 Überleitung zu Fragen und Anliegen der Eltern . . . . . . . . . . . . . . 127 4.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.1 Beurteilungshandlungen im Kontext Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.1.2 Lernberatung und Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5.1.3 Eltern als Ko-Lehrpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 5.2 Positionierung als Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5.2.1 Erziehungskompetenz der Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 5.2.2 Lehrpersonen in ihrer Rolle als Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.3.1 Eltern als ehemalige Lernende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 5.3.2 Lehrpersonen als fehlbare Lernende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern . . . . . 207 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung . . . . . 221 6.1.1 Schülerinnen und Schüler in der Rolle als Gesprächsteilnehmende oder als Gesprächsobjekt . . . . . . . . . . . 222 6.1.2 Interaktive Steuerung durch die Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 6.2.1 Rasche Wechsel der Referenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 6.2.2 Unspezifische Referenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 6.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 <?page no="9"?> Inhaltsverzeichnis 9 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung . . . . . . . . . . . . . 309 7.1.1 Fremdpositionierung und Bewertung durch Imaginierung vermuteter Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 7.1.2 Delegierte Fremdpositionierung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . 321 7.1.3 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung nicht vorhandener Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 7.2.1 Veranschaulichung von zukünftigen Handlungen . . . . . . . . . . . . 330 7.2.2 Überzeugungsarbeit mithilfe von Szenarios . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 7.2.3 Imaginierung erwünschter Einstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 7.2.4 Empfehlung zukünftiger Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 7.3.1 Aushandlung von Verantwortung durch Imaginierung möglicher Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 7.3.2 Interaktive und dynamische Entwicklung von Szenarios . . . . . 357 7.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 8.1 Stellenwert der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 8.1.1 Selbstbeurteilung als zentraler Bestandteil des Gesprächs . . . . 365 8.1.2 Selbstbeurteilung als Nebensächlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 8.2 Gesprächsorganisatorische Steuerungsfunktion der schriftlichen Selbstbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 8.3.1 Aufzeigen von Entwicklungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 8.3.2 Angleichen an die Fremdbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 8.3.3 Beurteilen der Selbstbeurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 8.3.4 Umgang mit dem (Miss-)Verstehen von Beurteilungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 8.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 9 Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 9.2 Ausblick I: Forschungsdesiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 9.3 Ausblick II : Praktische Relevanz für (angehende) Lehrpersonen . . . 398 <?page no="10"?> 10 Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I Transkriptionskonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I.a GAT 2-Transkriptionskonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I.b Transkription von schweizerdeutschen Dialekten . . . . . . . . . . . . . . 425 II Übersicht der verwendeten Sequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 II.a Transkriptverzeichnis (sortiert nach Erscheinen im Text) . . . . . . 427 II.b Transkriptverzeichnis (sortiert nach Gesprächen) . . . . . . . . . . . . . 429 <?page no="11"?> Vorwort und Danksagung 11 1 Einleitung „[W]ithin educational folklore, teacher-parent meetings […] are taken to be essentially a public relations exercise where nothing much is accomplished.“ (Baker & Keogh 1995: 264) In schulischen Beurteilungsgesprächen treffen sich Lehrpersonen, Eltern sowie häufig auch die SchülerInnen zu einem Dialog über die erzielten oder erwünschten Leistungen und Verhaltensweisen der Lernenden in der Schule. Dabei werden jedoch nicht nur Beurteilungen verhandelt, sondern es findet ebenfalls ein Austausch über soziale Rollen und Identitäten statt. Auf diese ‚inoffiziellen’ Aufgaben der schulischen Beurteilungsgespräche ist in der vorliegenden Arbeit ein besonderes Augenmerk gerichtet. Der Gesprächstyp des schulischen Beurteilungsgesprächs wurde basierend auf Vorstellungen einer Erziehungspartnerschaft 1 zwischen den Institutionen Schule und Familie etabliert und institutionalisiert (vgl. z. B. Epstein 1995; Epstein & Sanders 2002; Keck & Kirk 2001; Sacher 2014; Textor 2009) und ist demnach als inter-institutionelle Kommunikation zu verstehen (vgl. z. B. Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a). Textor (2009: 22) bezeichnet dabei das Beurteilungsgespräch bzw. Elterngespräch, wie es in der Praxis auch genannt wird, als „Kernstück der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft“ und nennt die folgenden Gesprächsziele und -inhalte: Hier sollte nicht nur über Kompetenzen und Leistungen geredet werden - vielmehr soll das ‚ganze’ Kind im Mittelpunkt stehen , mit seinen Stärken und Schwächen, Interessen und Hobbys, Verhaltensweisen und Angewohnheiten, Freundschaften und Feindschaften, Freuden und Problemen. Weitere Themen können die Auswirkungen der der [sic! ] Schule auf das Familienleben und die Familiensituation sein (z. B. bevorstehende Trennung / Scheidung, Erkrankung eines Elternteils, Arbeitslosigkeit). Erziehungs- und Bildungspartnerschaft bedeutet aber nicht nur den Austausch von Informationen über Verhalten, Entwicklung und Erziehung des Kindes im jeweiligen 1 In der pädagogischen Fachliteratur taucht häufig auch der Begriff Elternarbeit auf, der allerdings eine einseitige Arbeit suggeriert und weniger eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe verspricht. So wird zunehmend von einer Partnerschaft gesprochen (vgl. Sacher 2014: 24 f.; Textor 2009: 20). <?page no="12"?> 12 1 Einleitung System, sondern geht einen entscheidenden Schritt weiter: Familie und Schule versuchen, ihre Erziehungsbzw. Bildungsziele, -methoden und -bemühungen aufeinander abzustimmen, den Erziehungs- und Bildungsprozess gemeinsam zu gestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen . Durch Erziehungs- und Bildungspartnerschaft kann Kontinuität zwischen den Lebensbereichen gewährleistet werden. Das Kind wird nicht nur so gesehen, wie es sich in allen Systemen verhält, sondern es kommt auch ein ganzheitliches Erziehungs- und Bildungsprogramm zustande. Je älter das Kind ist, umso mehr kann es in diesen Austausch einbezogen werden. (Textor 2009: 22, Hervorhebung im Original) Die Partnerschaft zwischen der Schule und der Familie soll damit nicht nur einen offenen Informationsfluss in Bezug auf die jeweiligen Lebensbereiche gewährleisten, sondern auch eine effektive Zusammenarbeit fördern und wechselseitige Unterstützungen ermöglichen. Denn gemäss Epstein (1987) sind die Familie, die Schule sowie die Gesellschaft overlapping spheres und Ziel des Austausches zwischen Lehrpersonen und Eltern ist es, gemeinsam zur Sozialisation der Kinder beizutragen, indem allgemeine Werte in Bezug auf die Schule, die Bildung, das Lernen aufeinander abgestimmt werden. Dass die Eltern bzw. das Elternhaus massgeblich am Lernerfolg des Kindes beteiligt sind, zeigen verschiedene Studien (vgl. z. B. Hattie 2009: 61 ff.) und führen Helmke (2012: 80) zum Schluss: „Auch die beste schulische Förderung ist zum Scheitern verurteilt, wenn die Eltern gar kein Interesse an der Bildung und dem Schulerfolg ihrer Kinder haben“. Die Involvierung der Eltern in den Bildungsdiskurs muss daher als notwendige Aufgabe für die Schule und die Lehrpersonen aufgefasst werden. 2 Die tatsächlichen Begegnungen und individuellen Kontakte zwischen Lehrpersonen und Eltern können aus unterschiedlichen Anlässen entstehen und dementsprechend finden sich in der Praxis verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Sacher (2014: 61 ff.) unterscheidet dabei Elternsprechstunden , Elternsprechtage , 3 spontane Gespräche , Telefongespräche und Hausbesuche . Gegenstand 2 Es bleibt allerdings umstritten, in welchem Ausmasse eine gute Partnerschaft auf die Schulleistungen des Kindes einwirken kann. Denn trotz Studienergebnissen, die eine Korrelation zwischen den Bemühungen vonseiten der Familie und den Leistungen der Kinder zeigen, bleibt häufig unklar, inwiefern die Elternarbeit bzw. der Kontakt zwischen Lehrpersonen und Eltern tatsächlich am Schulerfolg der Kinder beteiligt ist oder welche weiteren Einflussfaktoren zusätzlich beachtet werden müssten (vgl. die kritische Darstellung von Sacher 2014: 13 ff.). 3 Elternsprechtagsgespräche sind geprägt durch die systeminhärente Zeitknappheit, da die einzelnen Interaktionen zwischen den Lehrpersonen und Familienangehörigen nur ca. fünf bis zehn Minuten dauern. Es werden in der Regel aber viele vergleichbare Themen und Probleme verhandelt wie in den längeren Beurteilungsgesprächen (vgl. zu diesem <?page no="13"?> 1 Einleitung 13 dieser Arbeit sind ausschliesslich die ersteren, welche als Elternsprechstundengespräche oder allgemeiner als Elterngespräche benannt werden. Diese lassen sich gemäss Sacher (2014: 61 ff.) weiter unterteilen in Willkommens - und Begrüssungsgespräche , anlassungebundene Gespräche ( Lern - und Entwicklungsgespräche ), Beratungsgespräche sowie Kritik -, Beschwerde - und Konfliktgespräche . Diese Kategorien zeigen eine Vielfalt von Gesprächsanlässen, sollen jedoch nicht dazu verleiten, die vorliegenden Gesprächsdaten vorschnell zuzuordnen. Gerade die Kategorie Beratungsgespräch erscheint als Bezeichnung des Gesprächstyps nicht passend für das Korpus, da sich bei den Gesprächen nicht die für Beratungsgespräche als konstitutiv herausgearbeiteten Abläufe finden (vgl. dazu z. B. Nothdurft, Reitemeier & Schröder 1994). Dennoch lassen sich - neben anderen - auch beratende Sequenzen ausmachen. Ebenso ist die Kategorie Kritik-, Beschwerde- und Konfliktgespräche problematisch, wenn davon ausgegangen wird, dass der Anlass sowie das Gespräch konfliktgeladen sind (vgl. Sacher 2014: 65 ff.). Auch wenn dem Gespräch ein Konflikt vorausgeht, muss das Gespräch dadurch nicht konfliktgeladen sein, sondern kann konstruktiv geführt werden und beispielsweise wiederum auch beratende Sequenzen aufweisen. Der Kontext bestimmt also nicht den Gesprächsmodus und diese Kategorien vermögen den Gesprächstyp nur unzulänglich einzuordnen. Eine Kategorie, nämlich die der Willkommensgespräche , kann ausgeklammert werden, da sie sich im Korpus nicht findet. Am zutreffendsten für einen grossen Teil der Gesprächsdaten ist die Kategorie der anlassungebundenen Gespräche. Damit wird betont, dass diese Gespräche nicht aufgrund eines Problems stattfinden, sondern, wie im Falle der untersuchten Gespräche des ersten bis fünften sowie des achten Schuljahres, regelmässig mit allen Eltern einer Klasse geführt werden. In der Praxis wird diese Gesprächsform wie bei Sacher (2014: 62) als Lern- und Entwicklungsgespräche bezeichnet, oder beispielsweise als Standortgespräche , Standortbestimmungsgespräche , Beurteilungsgespräche oder Lernberichtsgespräche . Diese Begriffe variieren von Schule zu Schule. Im Allgemeinen findet der Oberbegriff Elterngespräch eine breite Verwendung. Jedoch wird bei dieser Bezeichnung vernachlässigt, dass es in den Gesprächen noch weitere Beteiligte gibt. So müsste präziser von Eltern-Lehrperson-Gesprächen oder dann von Eltern-Lehrperson-SchülerIn-Gesprächen gesprochen werden. Nun sind aber unter Umständen noch andere Personen an diesen Gesprächen beteiligt, so beispielsweise SchulsozialarbeiterInnen, HeilpädagogInnen, Schulleitungen oder DolmetscherInnen. Auch aufseiten der Familienangehörigen ist der Begriff Eltern problematisch, da generell Er- Gesprächstyp Bennewitz & Wegner 2015; Grigorieva 2015; Meer & Wegner 2015; Wegner 2016). <?page no="14"?> 14 1 Einleitung ziehungsberechtigte oder aber auch andere Bezugspersonen mitgemeint sein können. 4 Da also die Beteiligungsstruktur auf unterschiedliche Art variieren kann, scheint es mir wenig sinnvoll, diesen Begriff auf nur eine Beteiligtengruppe oder auf eine prototypische Beteiligungskonstellation zu reduzieren. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit spreche ich daher von Beurteilungsgesprächen und verwende damit einen in der schweizerischen Bildungslandschaft vermehrt verankerten Begriff (vgl. z. B. AVS 2005: Kap. 5; Vögeli-Mantovani 2011), der den Fokus nicht auf die Beteiligten, sondern auf die Kernaktivität der Gespräche setzt. Im Folgenden wird das Forschungsfeld genauer betrachtet (Kap. 1.1), um dann die eigenen Forschungsinteressen und Fragestellungen (Kap. 1.2) sowie den Aufbau der vorliegenden Arbeit vorzustellen (Kap. 1.3). 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand Die gesprächsanalytische und ethnografische Erforschung von Schul- und Unterrichtskommunikation hat in der Linguistik, der Soziologie und der Pädagogik eine längere Tradition und wurde ab den 1970er Jahren u. a. durch Arbeiten von Ehlich und Rehbein (1983; 1986), Kalthoff (1995), Mehan (1979), McHoul (1978; 1990) und neuere Beiträge von Becker-Mrotzek und Vogt (2009) sowie Vogt (2002) geprägt. Auch zur Nebenkommunikation innerhalb und ausserhalb des Unterrichts gibt es einige empirische, mehrheitlich ethnografische, Forschungsarbeiten (vgl. z. B. Baurmann, Cherubim & Rehbock 1981; Breidenstein & Kelle 1998; Breidenstein 2006), jedoch bleibt die Kommunikation an der Schnittstelle von Schule und Familie zunächst unerforscht. So stellt Sucharowski (2001) in einem Handbuchartikel zu Gesprächen in der Schule zwar verschiedene Gesprächskontexte inner- und ausserhalb des Unterrichtsgeschehens vor, erwähnt Beurteilungsgespräche aber nur kurz im Rahmen von Beratungsgesprächen. Bis vor Kurzem gab es erst vereinzelte Fallstudien aus dem angelsächsischen Raum sowie aus Schweden, weshalb auch die empirische Zuwendung zur Thematik des schulischen Beurteilungsgesprächs als Forschungsdesideratum erklärt wird (vgl. auch Kotthoff 2012a: 292). In der Zwischenzeit gibt es verschiedene laufende Projekte zu Beurteilungsgesprächen, die einen dezidiert empirischen Zugang 4 Trotz der benannten Problematik, verwende ich aber aufgrund des allgemeinen Sprachgebrauchs den Begriff Eltern und verweise damit auf biologische sowie soziale Eltern und auch andere Bezugspersonen aus dem familiären Umfeld, die an den Gesprächen teilnehmen. <?page no="15"?> 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand 15 verfolgen und so ist zu hoffen, dass in den kommenden Jahren neue Erkenntnisse über den Gesprächstyp erlangt werden können. Während die Erforschung des Beurteilungsgesprächs also noch eine relativ junge Disziplin darstellt, ist der Gesprächstyp aber im Bereich der Ratgeberliteratur mit regelmässigen Neuerscheinungen dominant vertreten (vgl. aus den letzten Jahren z. B. Beier 2012; Richter 2011; Roggenkamp, Rother & Schneider 2014). Jedoch verfolgen ratgebende Texte grundlegend andere Interessen als gesprächsanalytische Studien. In Ratgebern wird in der Regel eine problemorientierte Perspektive eingenommen und es werden Lösungen und praktische Tipps vermittelt. Das bedeutet auch, dass gewisse Normvorstellungen darüber existieren, was ‚gute’ oder ‚gelungene’ Gespräche sind (vgl. auch Hauser & Mundwiler 2015a: 10). In der gesprächsanalytischen Forschungsrichtung hingegen wird ein Gesprächsereignis nicht normativ bewertet, sondern das Erkenntnisinteresse liegt auf der Frage nach den tatsächlich vorkommenden Praktiken in authentischen Gesprächssituationen: „Es geht also nicht darum, danach zu fragen, wie gut die Interagierenden ihre kommunikative Aufgabe lösen, sondern wie sie sie lösen“ (Hauser & Mundwiler 2015a: 12, Hervorhebung im Original). Im Folgenden werden Ergebnisse aus den neuesten empirischen Forschungsarbeiten vorgestellt. Dabei geht es einerseits um Studienergebnisse aus der pädagogischen Forschungsliteratur (Kap. 1.1.1) und andererseits sollen erste Ergebnisse aus gesprächsanalytischen Studien diskutiert werden (Kap. 1.1.2), um den derzeitigen Forschungsstand abzubilden. 1.1.1 Ergebnisse aus Interview- und Fragebogenstudien Walker (1998) berichtet in einer Interviewstudie aus England über grundsätzlich widersprüchliche Erwartungen an die Gespräche: Eltern möchten sich selbst einbringen können und sind frustriert über die fehlenden Fragen nach ihrer (Experten-)Sicht sowie über das monologische Abarbeiten von Themen vonseiten der Lehrpersonen. Diese hingegen betrachten die Gespräche als „public relations exercise to fulfil schools’ obligations of accountability“ (Walker 1998: 175) und sind demnach an einer möglichst raschen Informationsvermittlung zum aktuellen Stand in der Schule interessiert. Insbesondere bei den kürzer angelegten Gesprächen an Elternsprechtagen werden dann auch die knappen Zeitressourcen bemängelt und gleichzeitig die Sinnhaftigkeit solcher Interaktionen infrage gestellt (vgl. Lemmer 2012: 90 f.; Walker 1998: 171). In einer weiteren Studie von Walker (2002), die auch kleinere Ausschnitte aus Gesprächsaufnahmen diskutiert, wird die Rolle der SchülerInnen diskutiert. Die Befragungen zeigen sehr unterschiedliche Sichtweisen der Beteiligten zu Sinn und Notwendigkeit der Anwesenheit von SchülerInnen bei diesen Gesprächen, <?page no="16"?> 16 1 Einleitung wobei Letztere durchaus teilnehmen wollen. Insgesamt kommt Walker (2002: 477) zum Schluss, dass die SchülerInnen zu wenig einbezogen werden und wenn sie anwesend sind, dann doch nur minimal beteiligt sind. In einer grösser angelegten Fragebogenstudie in Deutschland wurden Schulleitungen, Lehrpersonen und Eltern zu Beratungsangeboten befragt und die Autorinnen kommen zum Schluss, dass die Beratungsangebote zwar als gut eingestuft werden, jedoch Eltern mit Migrationshintergrund sowie Eltern aus bildungsfernen Schichten weniger erreicht werden (vgl. Hertel et al. 2013). Die Schwierigkeit eines erfolgreichen Kontaktes zwischen Schulen und Familien mit Migrationshintergrund wird in zwei kanadischen Studien bestätigt (vgl. Bernhard et al. 1998; Peterson & Ladky 2007). Interview- und Fragebogenstudien geben wichtige Einblicke in die Kontexte der Gesprächssituation und die Einstellungen der AkteurInnen. Aus gesprächsanalytischer Sicht ist jedoch die spezifische Interaktion als eigene sinnschaffende Aktivität im Zentrum des Interesses und eine Charakterisierung von Beurteilungsgesprächen als „a public relations exercise where nothing much is accomplished“ (Baker & Keogh 1995: 264; vgl. auch Walker 1998: 175) lädt geradezu ein, die tatsächlichen Ereignisse zu betrachten und zu analysieren (vgl. auch Baker & Keogh 1995: 265). Hierfür bietet die Gesprächsanalyse eine optimale Möglichkeit, mit dem Blick auf die kleinsten Details auch verborgene Aktivitäten zum Vorschein zu bringen. So zeigen dann auch bereits durchgeführte Studien, dass in diesen Interaktionen keineswegs ‚nichts erreicht wird’. 1.1.2 Gesprächsanalytische Forschungsergebnisse Die gesprächsanalytische Erforschung schulischer Beurteilungsgespräche bildet insbesondere im deutschsprachigen Raum ein Forschungsdesideratum, welches erst seit wenigen Jahren erkannt wurde und seither vermehrt Beachtung findet. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht beschäftigt sich Kotthoff (2012a; 2012b; 2014; 2015a; 2015b) mit dem Gesprächstyp und es sind inzwischen mehrere Studien dazu entstanden. Sie fokussiert insbesondere interkulturelle Aspekte, Fragen zu Kategorisierungen von SchülerInnen und die Aushandlung von Konsens und Dissens. Aus soziologischer Sicht untersucht Zwengel (2010; 2015) Gespräche zwischen Lehrpersonen und Eltern mit Migrationshintergrund, die teilweise von den anwesenden SchülerInnen selbst übersetzt werden. Weiter wurden Ergebnisse aus studentischen Abschlussarbeiten publiziert: Ackermann (2014) konzentriert sich auf lehrpersonenseitige Positionierungen und Zorbach- Korn (2015; vgl. auch Korn 2013; 2014) beschäftigt sich mit (A-)Symmetrien in interkulturellen Beurteilungsgesprächen. Nebst der hier vorliegenden Studie sind zudem eine Reihe weiterer Dissertationen in Vorbereitung oder inzwischen <?page no="17"?> 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand 17 erschienen, 5 wovon einige der Ergebnisse in Hauser und Mundwiler (2015b) versammelt werden. Diese Häufung von beinahe zeitgleich erarbeiteten (Dissertations-)Projekten bezeugt die Aktualität der Thematik sowie die Wichtigkeit des Forschungszweiges. Weitere gesprächsanalytische Studien zur Interaktion zwischen Lehrpersonen und Eltern wurden in Australien (Baker & Keogh 1995; Silverman, Baker & Keogh 1998), England (Allistone 2003; MacLure & Walker 2000; Walker 2002), Nordamerika (Cheatham & Ostrosky 2011; Cheatham & Ro 2011a; 2011b; Howard & Lipinoga 2010; Mehan 1983; 1991; Pillet-Shore 2003; 2012; 2015) und Schweden (Adelswärd & Nilholm 1998) durchgeführt und befassen sich jeweils mit unterschiedlichen Schulstufen vom Vorschulalter bis zur Sekundarstufe II und es sind sowohl ‚Regel’als auch Sonderschulen vertreten, die jeweils in den länderspezifischen Bildungslandschaften zu verorten sind. Im Folgenden wird der aktuelle Forschungskontext nach bearbeiteten Themen angeordnet vorgestellt. 5 Bei den derzeitigen Promotionsarbeiten in Vorbereitung handelt es sich mehrheitlich um gesprächsanalytische (konversationsanalytische sowie funktional-pragmatische Ansätze der Gesprächsforschung) Arbeiten aus den Fachbereichen der germanistischen Linguistik, der Pädagogik und der Soziologie und nach aktuellem Wissensstand sind dies die folgenden Studien: Marina Bonanati (Universität Koblenz-Landau) untersucht Lernentwicklungsgespräche mit einem Fokus auf der Partizipation der SchülerInnen (vgl. Bonanati 2014; 2015); Julia Fischbach (Universität zu Köln) bearbeitet ein Korpus von Rückmeldegesprächen (Gespräche zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen sowie optional mit den Eltern) und stellt u. a. die Frage nach gesprächstypischen Kompetenzen (vgl. Fischbach 2015); Rosalie Förster (Universität Gent) setzt den Fokus auf Repräsentationen und Referenzen in Elterngesprächen (vgl. Förster 2015); Ioulia Grigorieva (Universität Hildesheim) arbeitet zu sprachlichen Strategien in deutsch-russischen Elternsprechtagsgesprächen (vgl. Grigorieva 2015); Claudia Knapp (Universität Frankfurt) untersucht Elterngespräche, die teilweise nur wenige Wochen nach Schulanfang stattfinden und nähert sich dem Gegenstand mithilfe der Inhaltsanalyse (vgl. Knapp 2015); Lars Wegner (Westfälische Wilhelms-Universität Münster) kombiniert die Gattungsanalyse mit der Gesprächsanalyse und erarbeitet so Gattungsmerkmale von Elternsprechtagsgesprächen (vgl. Bennewitz & Wegner 2015; Meer & Wegner 2015); die inzwischen publizierte Dissertation konnte leider im Rahmen der vorliegenden Studie nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. Wegner 2016); und Lucia Weiger (Universität Mannheim) schliesslich untersucht Interviews mit Lehrpersonen zum Thema der Interkulturalität in Beurteilungsgesprächen (vgl. Weiger 2015). Unabhängig von einer Qualifikationsarbeit arbeitet zudem Stefan Hauser (Pädagogische Hochschule Zug) zu einer besonderen Form der Partizipation in Elterngesprächen, nämlich wenn die SchülerInnen die Gespräche selbst moderieren (vgl. Hauser 2015). <?page no="18"?> 18 1 Einleitung Kategorisieren und Positionieren Die ersten Studien zur Interaktion zwischen Lehrpersonen und Eltern stammen aus den 1980er und 1990er Jahren und wurden von Mehan (1983; 1991; 1996) an nordamerikanischen Grundschulen durchgeführt. In den Gesprächen geht es um Entscheidungsprozesse in Bezug auf die Beförderung von SchülerInnen in die jeweils nächste Regelklasse beziehungsweise die Versetzung in eine Sonderschule. Diese Entscheidungen werden von „committees of educators“ (Mehan 1983: 187) getroffen, welche aus Psychologen, medizinischem Pflegepersonal, administrativem Personal, Lehrpersonen und Eltern bestehen. Mehan stellt fest, dass eine allgegenwärtige Aufgabe von Lehrpersonen darin besteht, ihre SchülerInnen zu bewerten und kategorisieren, sei dies ad hoc im Unterricht oder dann in den Besprechungen zu Beförderungsentscheiden, in denen die SchülerInnen der Kategorie ‚normal’ oder ‚handicapped’ zugeordnet werden (vgl. z. B. Mehan 1991: 81 ff.). Seine Untersuchungen zeigen auch, dass von den Eltern nur noch ergänzende Informationen eingeholt werden, sie aber wenig an den Kategorisierungen und den Entscheidungsprozessen beteiligt sind (vgl. Mehan 1983: 205). Ebenfalls mit Kategorisierungen von SchülerInnen beschäftigen sich Berenst und Mazeland (Berenst & Mazeland 2008; Mazeland & Berenst 2008) im Rahmen ihrer Studien zu Lehrpersonenkonferenzen an niederländischen Schulen sowie Cedersund und Svensson (1996) in ihrer Studie zu ‚Klassenkonferenzen’ in Schweden. Zwar geht es in diesen Studien nicht um die Übermittlung dieser Bewertungen an Eltern oder SchülerInnen, aber es finden sich sehr ähnliche Praktiken der Typisierung und Kategorisierung wie in Beurteilungsgesprächen. So zeigen Mazeland und Berenst (2008: 58) beispielsweise, wie Lehrpersonen ihre SchülerInnen durch vielfältige Praktiken charakterisieren, indem sie berichten, beurteilen, analysieren, erklären und kategorisieren. Im Anschluss an diese Kategorisierungen stellt Kotthoff (2012a: 315; 2015a) für Elternsprechstundengespräche fest, dass sich ebenfalls eine Vielzahl schulbezogener Kategorisierungen finden und sie unterscheidet grob Typenzuordnungen (z. B. GymnasialschülerIn ), Fähigkeitszuschreibungen , Attitüdenzuordnungen , skalare Bewertungen von Aktivitäten sowie Erzählungen unterschiedlichen Typs (vgl. dazu Kotthoff 2015b). Einige Studien diskutieren Positionierungsaktivitäten von Lehrpersonen und Eltern und zeigen, wie die AkteurInnen idealisierte Identitäten ihrer jeweiligen Institution - Schule oder Familie - vorführen (vgl. Adelswärd & Nilholm 1998; Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a). Dies kann sich beispielsweise dadurch äussern, dass sich die Eltern als Hilfslehrpersonen bzw. Ko-Lehrpersonen präsentieren, die sich gemeinsam mit dem Kind zu Hause um ein optimales Lernumfeld bemühen (vgl. Baker & Keogh 1995: 279; Kotthoff 2012a: 304). Die Aus- <?page no="19"?> 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand 19 handlung der idealisierten Identitäten verläuft gemäss Adelswärd und Nilholm (1998: 96) überwiegend konsensorientiert und auch Kotthoff (2012a: 299 ff.) kommt zu einem ähnlichen Schluss und zeigt, dass Dissens nur in modalisierter Form angezeigt wird. In einer Studie von MacLure und Walker (2000) wird insbesondere die institutionelle Asymmetrie herausgearbeitet, die u. a. darin gesehen wird, dass Lehrpersonen extensives Rederecht eingeräumt wird und Eltern sowie SchülerInnen v. a. während den Eröffnungssequenzen die Beurteilungen eher passiv entgegennehmen (vgl. z. B. MacLure & Walker 2000: 8 ff.). In einer unveröffentlichten Dissertation der University of London beschäftigt sich Allistone mit Eröffnungssequenzen in Beurteilungsgesprächen und bestätigt die vorherrschende Asymmetrie, die u. a. durch den einseitigen Zugriff auf schriftliche Unterlagen noch verstärkt wird (vgl. Allistone 2003: 151). Ackermann (2014) zeigt in ihrer Studie, wie Lehrpersonen durch Positionierungen auf die Gesprächsorganisation einwirken und für sich und die Beteiligten verschiedene Handlungsspielräume schaffen und mitgestalten. Sie fokussiert dabei u. a. auch Positionierungshandlungen, welche inkludierend auf die Gesprächsbeteiligung wirken und kommt zum Schluss, dass ein Ungleichgewicht zwischen der geglückten Inklusion der Eltern und derjenigen der anwesenden Kinder besteht. So kommt es in ihren Daten im Zusammenhang mit an Kinder gerichteten Inklusionshandlungen nur selten zu einem Sprecherwechsel, sondern eher nur zu kürzeren Ratifikationen (vgl. Ackermann 2014: 63 ff.). Beurteilen und Bewerten Gemäss Kotthoff (2012a: 294) sind Bewertungsaktivitäten in Beurteilungsgesprächen allgegenwärtig und werden gemeinsam ausgeführt, sodass die „Ko- Konstruktion von Bewertung“ gewissermassen „als Leitmotiv“ für diese Gespräche verstanden werden kann. Allerdings zeigen ihre Daten von Sonderschulen auch, dass sich Eltern mit Migrationshintergrund weniger an den Bewertungen und Einschätzungen beteiligen können und diese fast ausschliesslich von den Lehrpersonen ausgeführt werden (vgl. Kotthoff 2012a: 315, 317 f.). Pillet-Shore (2003) untersucht am Beispiel von der Äusserung okay die unterschiedlichen Bewertungsimplikationen, die je nach sequenzieller Einbettung von okay positiver oder negativer verstanden werden können. Einerseits funktioniert okay als bessere Variante von zwei möglichen Beurteilungen ( binary metric ), nämlich okay versus not okay , wobei letztere Beurteilung weitere Interventionen und Unterstützungsmassnahmen ins Spiel bringen würde. Diese Funktion taucht meist im Kontext von abschliessenden Beurteilungen auf (vgl. Pillet-Shore 2003: 287 ff.). Andererseits kann okay auch als eine von vielen Beurteilungen funktionieren ( gradated metric ) und wird im Kontext weiterer Beur- <?page no="20"?> 20 1 Einleitung teilungsaktivitäten jeweils als upgrading oder auch als downgrading verstanden. Dadurch erhält okay zusätzlich die Funktion einer negativen Beurteilung (vgl. Pillet-Shore 2003: 300 ff.). Diese Studie zeigt, dass der lokale Kontext einer Äusserung und die Orientierung der Teilnehmenden auf das Gesagte eine Beurteilung in ihrer Bedeutung mitgestalten können. In späteren Studien untersucht Pillet-Shore (2012; 2015) den Umgang mit Lob und Kritik in Gesprächen zwischen Lehrpersonen und Eltern. Aufgrund der zurückhaltenden Reaktionen von Eltern auf Äusserungen, in denen Lehrpersonen die abwesenden SchülerInnen loben, rekonstruiert Pillet-Shore (2012), dass die Eltern in ihrer Rolle als Verantwortliche über ihr Kind das Lob als Kompliment für sich selbst auffassen und dementsprechend höflich und zurückhaltend bearbeiten. Weiter zeigen ihre Daten, dass die Eltern zwar teilweise lobend über ihr Kind berichten, jedoch ähnliche Dispräferenzmarker verwenden, wie wenn es sich um Selbstlob handelte (vgl. Kap. 2.1.2 zur (Dis-)Präferiertheit). So kommt Pillet-Shore zum Schluss, dass sich Eltern in der problematischen Situation wiederfinden, auf Komplimente eingehen zu müssen: Although the action of praising students would seem to, a priori, afford a mutually enjoyable moment of celebration transparently supportive of social solidarity, this research has revealed that conference participants treat this action as interactionally problematic precisely because utterances that praise students implicate praise of parents. (Pillet-Shore 2012: 200, Hervorhebung im Original) Während also die Mitteilung von positiven Bewertungen und Lob aus Sicht der Lehrpersonen in der Regel als unproblematisch bearbeitet wird (vgl. Pillet-Shore 2012: 183), scheint aus Sicht der Eltern die Rezeption wie auch Produktion von Lob problematisch zu sein, da das zu stark selbstlobende Auftreten vermieden werden möchte. In ihrer jüngsten Studie konzentriert sich Pillet-Shore (2015) schliesslich primär auf die elternseitige Bearbeitung von Kritik und die damit einhergehenden Positionierungsaktivitäten. Ähnlich wie auch Kotthoff (2014) zeigt sie, wie Eltern sich als gute und kompetente Personen vorführen, indem sie einerseits kritische Beurteilungen über das Kind äussern und sich dadurch als wissend positionieren. Und andererseits präsentieren sich Eltern als involviert in Lernaktivitäten, die eine Verbesserung der Schwächen zum Ziel haben. Beraten Cheatham und Ostrosky (2011) untersuchen Beurteilungsgespräche auf der Vorschulstufe (‚Early Childhood Education’) und zeigen, wie Lehrpersonen als Ratgebende und dadurch als ExpertInnen konstruiert werden, während Eltern durchgehend die Rolle der Ratsuchenden übernehmen. Allerdings wird nur <?page no="21"?> 1.1 Schulische Beurteilungsgespräche als Forschungsgegenstand 21 selten direkt nach Rat gefragt oder direkt Rat gegeben, sondern es lässt sich vielmehr beobachten, dass Lehrpersonen häufig im Anschluss an kritische Darstellungen zu SchülerInnen (selbst geäusserte oder solche vonseiten der Eltern) indirekt Ratschläge erteilen, indem sie beispielsweise über erfolgreiche Schulpraktiken berichten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 31). Dadurch wird eine Asymmetrie interaktiv gefestigt, die Lehrpersonen als diejenigen mit Zugang zum Expertenwissen über das Kind konstruiert, während Eltern mehrheitlich als Ratsuchende auftreten (vgl. Cheatham & Ostrosky 2011: 40). Silverman, Baker und Keogh (1998) untersuchen Beratungssequenzen in schulischen Beurteilungsgesprächen und pädiatrischen Sprechstunden, gehen dabei aber insbesondere auf die Rolle des häufig schweigenden Kindes ein. In ihren Daten zeigt sich einerseits, dass die fehlenden Reaktionen auf Ratschläge von Lehrpersonen mit einer Unklarheit in der Adressierung zu tun haben (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998: 228 ff.). Vor dem Hintergrund, dass Lehrpersonen und Eltern in diesen Gesprächen sich selbst als kompetente und moralische Instanzen vorführen, muss das Schweigen von Kindern in diesen Gesprächen kein Anzeichen von Inkompetenz sein, sondern kann auch als „form of interactive work in relation to the design of the talk between parent and professional“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 239) verstanden werden. Denn „silence (or at least lack of verbal response) allows children to avoid implication in the collaboratively accomplished adult moral universe“ (Silverman, Baker & Keogh 1998: 220). So betrachtet, handelt es sich beim Schweigen von Kindern in derartigen Mehrparteieninteraktionen nicht um ein kommunikatives Defizit, sondern um eine interaktive Entscheidung, sich nicht aktiv positionieren zu müssen. Walker (2002: 468) versteht hingegen das Schweigen von SchülerInnen eher als Machtlosigkeit und damit als Ausdruck institutioneller Asymmetrie. Der Frage nach der Positionierung von Kindern und Jugendlichen wird insbesondere ab Kapitel 6 weiter nachgegangen. Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in Beurteilungsgesprächen Bei der Mehrsprachigkeit und Interkulturalität handelt es sich um einen Themenkomplex, der für die vorliegende Arbeit aufgrund der Datenlage nicht bearbeitet wird, jedoch gesellschaftlich höchst relevant ist. Einige Studien befassen sich mit Fragen der interkulturellen Kommunikation und untersuchen Interaktionen mit Eltern, die keine oder limitierte Kenntnisse der Schulsprache haben. Kotthoff (2012a: 298) spricht von einer „Verschränkung von spezifischem Kultur- und Sprachwissen“ und führt den Begriff der kulturellen Mitspielkompetenz ein, um zu beschreiben, wie sich Eltern mit Migrationshintergrund nicht in demselben Mass positionieren können wie Eltern mit Deutsch als Muttersprache. Dies zeigt sich in ihren Daten beispielsweise darin, dass sich Eltern mit <?page no="22"?> 22 1 Einleitung Deutsch als Fremdsprache weniger bei den Bewertungsaktivitäten einbringen (vgl. Kotthoff 2012a: 317 f.). Korn (2014: 92 f.) stellt in ihrem Korpus zudem fest, dass sich die mangelhafte Mitspielkompetenz von Eltern mit Deutsch als Fremdsprache vor allem im Bereich des institutionell-fachlichen Wissens manifestiert. Cheatham und Ro (2011a; 2011b) zeigen in Gesprächsdaten mit Eltern, die Englisch als Zweitsprache sprechen, welche zusätzlichen kommunikativen Herausforderungen entstehen, wenn - im Sinne von Kotthoff - nicht nur die kulturelle, sondern auch die sprachliche Mitspielkompetenz fehlt. So stellen sie fest, dass sich die Eltern nur äusserst minimal und meist nur mit Rezeptionssignalen in die Gespräche einbringen, sodass häufig nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Eltern das Gesagte auch verstanden haben. Und schliesslich gibt es Studien zu Beurteilungsgesprächen, die wegen sprachlichen Defiziten gedolmetscht werden müssen. In diesen Interaktionen kommen durch die Teilnahme einer weiteren Person, die allerdings nicht die eigentlich adressierte Person ist, zusätzliche kommunikative Schwierigkeiten hinzu und die Involvierung der Eltern wird oftmals vernachlässigt (vgl. Howard & Lipinoga 2010; Zwengel 2010; 2015). Auch verschärft sich das Problem, wenn es sich bei den DolmetscherInnen gleichzeitig um die SchülerInnen selbst oder um ihre Geschwister handelt (vgl. Zwengel 2010; 2015). 1.2 Forschungsinteressen und Fragestellungen In dem erhobenen Korpus überwiegen die Gespräche mit anwesenden Kindern bzw. Jugendlichen und nur zwei Gespräche finden ausschliesslich zwischen den Lehrpersonen und den Eltern statt. Dass die SchülerInnen bei den Beurteilungsgesprächen mitanwesend sind, entspricht einem beobachtbaren Trend an Schweizer Schulen und deckt sich auch mit Empfehlungen in pädagogischer Fachliteratur (vgl. Sacher 2014; Vögeli-Mantovani 2011). Wie sich die Anwesenheit der Kinder bzw. der Jugendlichen auf die Interaktionen auswirkt und welche Rolle sie dabei einnehmen, wurde hingegen bisher noch kaum untersucht (vgl. aber Silverman, Baker & Keogh 1998; Walker 2002) und wird allenfalls am Rande erwähnt (vgl. Ackermann 2014: 71 ff.; Baker & Keogh 1995: 270 ff.; Korn 2013: 81 f.; MacLure & Walker 2000: 22). Wie Schwabe (2006: 17) betont, lag der Fokus in der gesprächsanalytischen Forschung im Bereich der institutionellen Kommunikation generell meist auf Gesprächen zwischen Erwachsenen oder dann auf der Unterrichtskommunikation. Die Kind-Erwachsenen-Interaktion sowie spezifisch im schulischen Kontext die Aussenkommunikation zwischen Schule und Familie, steht erst seit jüngerer Zeit im Fokus der empirischen Gesprächsforschung. Dadurch <?page no="23"?> 1.2 Forschungsinteressen und Fragestellungen 23 dass die SchülerInnen oftmals in den Gesprächen anwesend sind, entsteht eine anspruchsvolle Gesprächssituation: Einerseits handelt es sich bei der Mehrparteieninteraktion aus Sicht der Gesprächsorganisation um komplexere Konstellationen, da Rederecht und Sprecherwechsel interaktiv ausgehandelt werden müssen. Andererseits wird in verschiedenen Publikationen zu institutionellen, aber auch alltäglichen Gesprächen zwischen Erwachsenen und Kindern darauf hingewiesen, dass Kinder in der Interaktion nicht dieselben Rechte besitzen und häufig als „less-than-full members“ (Shakespeare 1998: 23 f.) konstruiert werden (vgl. auch Butler & Wilkinson 2013; Hutchby & O’Reilly 2010). Dies äussert sich durch Rederechtsübernahmen durch die Erwachsenen an Stellen, an denen eigentlich ein Kind hätte antworten sollen. Wenn also beispielsweise in einem Beurteilungsgespräch eine Frage an das Kind gerichtet wird und ein Elternteil anstelle des adressierten Kindes antwortet, wird dem Kind das Rederecht abgesprochen und die erwachsene Person präsentieret sich selbst als kompetentere Teilnehmende, die oder der über das Befinden und Denken des Kindes Bescheid weiss und dementsprechend urteilen kann. Im Rahmen der Erforschung schulischer Beurteilungsgespräche besteht also ein besonderes Interesse darin, die Beteiligungsstrukturen im Hinblick auf die Interaktionsmöglichkeiten der mitanwesenden SchülerInnen zu untersuchen. Aufgrund der Datenlage und der bisherigen Forschung sind die folgenden Forschungsinteressen zentral für die vorliegende Arbeit: Insgesamt herrscht im Bereich der Kommunikation zwischen Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen ein Mangel an (gesprächsanalytischen) Studien, die sich auf authentische Gesprächsdaten stützen. Wenn auch in den letzten Jahren ein steigendes Interesse an dem Gesprächstyp zu verzeichnen ist, bleiben viele Fragen noch unbearbeitet. Insbesondere die Anwesenheit von SchülerInnen in Beurteilungsgesprächen sowie deren Einfluss auf die Interaktion wurde noch nicht hinreichend betrachtet. Ziel und Anspruch dieser Forschungsarbeit ist es, am Beispiel von Beurteilungsgesprächen neue Erkenntnisse zu Beteiligungsstrukturen und Positionierungsaktivitäten in der Kind-Erwachsenen-Interaktion zu erarbeiten. Dabei interessieren insbesondere die spezifischen Design-Aktivitäten (vgl. Schmitt & Knöbl 2014) vonseiten der Erwachsenen, welche einerseits eine Orientierung am anwesenden Kind oder Jugendlichen aufzeigen oder aber eine Involvierung ebendieser begünstigen. Es interessiert dabei die Frage, welche Interaktionsmöglichkeiten den anwesenden SchülerInnen geboten werden und wie diese von denen genutzt werden können. Im Folgenden lege ich dar, welche spezifischen Bereiche in der vorliegenden Arbeit fokussiert werden. <?page no="24"?> 24 1 Einleitung 1.3 Aufbau der Arbeit Nachdem in Kapitel 1 der Forschungsbereich des schulischen Beurteilungsgesprächs abgesteckt wurde und Begriffsbestimmungen, bisherige Forschungsergebnisse sowie die eigenen Forschungsinteressen dargelegt wurden, geht es in Kapitel 2 um die theoretische Einbettung der Forschungsarbeit. Zuerst wird die Gesprächsanalyse als methodischen und theoretischen Bezugsrahmen vorgestellt (Kap. 2.1). Dann geht es um interaktive und kooperative Grundprinzipien der mündlichen Interaktion und in diesem Zusammenhang um das konversationsanalytische Konzept Recipient Design (Kap. 2.2). Daraufhin werden Aspekte der interaktiven Beteiligung diskutiert (Kap. 2.3). Beteiligungsrollen können nach Goffman (1981) sowohl aufseiten der Rezipierenden als auch aufseiten der Produzierenden einer Äusserung weiter ausdifferenziert werden. So muss beispielsweise zwischen adressierten und nicht-adressierten Rezipierenden unterschieden werden. Und bei der Produktion einer Äusserung gibt es verschiedene Situationen, in denen eine weitere Differenzierung des Begriffs SprecherIn nötig wird, beispielsweise wenn eine Person durch direkte Redewiedergabe das Gesagte einer anderen Person wiedergibt. Zudem geht es um Steuerungsaktivitäten, welche die Beteiligung einzelner Personen beeinflussen können. Und schliesslich werden theoretische Überlegungen zur Identitätskonstruktion und zur Positionierung vorgestellt (Kap. 2.4). Es geht dabei zuerst allgemein um die Konstruktion von Identität(en), dann um Konzepte der sozialen Kategorisierung, schliesslich um die Selbst- und Fremdpositionierung und damit verbunden auch um die Selbst- und Fremdbeurteilung. In Kapitel 3 wird das methodische Vorgehen, welches sich an den Grundprinzipien der ethnomethodologischen Konversationsanalyse orientiert, detailliert dargelegt und reflektiert (Kap. 3.1). Zudem wird das erhobene Korpus vorgestellt (Kap. 3.2). Es handelt sich dabei um Audioaufnahmen von authentischen Beurteilungsgesprächen auf unterschiedlichen Schulstufen. Alle Gespräche werden zur Orientierung kurz inhaltlich zusammengefasst und mithilfe weiterer Kontextinformationen beschrieben. Nun folgen die fünf Analyseteile zu ausgewählten Aspekten. In Kapitel 4 werden die Eröffnungs- und Beendigungssequenzen der Gespräche analysiert. Dadurch gewinnen wir einen Einblick in den Aufbau und die Ziele der Gespräche. Gleichzeitig zeigt die Analyse der Gesprächsränder, wie die Gesprächsbeteiligten sich in dieser Interaktion gleich zu Beginn gewisse (Beteiligungs-) Rollen zuweisen. Diese Themenkomplexe werden in eigenen Teilen weiter ausgearbeitet. In Kapitel 5 folgen erste Analysen zu Positionierungsaktivitäten und sozialen Rollen. Es geht dort insbesondere um die Positionierung von Lehrpersonen und <?page no="25"?> 1.3 Aufbau der Arbeit 25 Eltern als (Ko-)Lehrpersonen (Kap. 5.1), als Eltern und Erziehende (Kap. 5.2) sowie als (ehemalige) Lernende (Kap. 5.3). Die Positionierungen machen ein allgemeines Streben nach Symmetrien in der Interaktion sichtbar, was sich gerade auch bei den Positionierungen bei elternseitiger Kritik zeigen lässt (Kap. 5.4). Durch die beobachteten Positionierungen lässt sich zeigen, wie die Beteiligten darum bemüht sind, das schulische Beurteilungsgespräch gemeinsam als interinstitutionelle Kommunikation zu etablieren. Der Fokus der Analysen in Kapitel 6 liegt auf der interaktiven Herstellung von Beteiligung in der Interaktion. Es kann an Gesprächsdaten gezeigt werden, wie die Beteiligung von allen Anwesenden aktiv mitgestaltet wird und das Zusammenspiel verschiedener Steuerungsaktivitäten und Design-Aktivitäten (vgl. Schmitt & Knöbl 2014) die Inklusion und Beteiligung der Kinder bzw. Jugendlichen beeinflusst. Zuerst werden Beteiligungsstrukturen bei expliziter Adressierung diskutiert (Kap. 6.1) und schliesslich werden die häufig verwendeten Verfahren der wechselnden und ambigen Referenzen genauer auf die Implikationen hin untersucht (Kap. 6.2). In Bezug auf die Beteiligungsstrukturen sowie die Positionierungs- und Beurteilungsaktivitäten zeigt sich die animierte Rede (vgl. Ehmer 2011) als besonders funktional in Beurteilungsgesprächen mit anwesenden SchülerInnen. Ich verstehe die animierte als spezifische Design-Aktivität und bespreche die Funktionen und Kontexte gesondert in Kapitel 7, um vertieft darauf eingehen zu können. Es geht dabei im Wesentlichen um Selbst- und Fremdpositionierungen und indirekte sowie implizite Bewertungen am Beispiel von imaginierten Identitätsmerkmalen. Zuletzt wird in Kapitel 8 die Praxis der Selbstbeurteilung kritisch diskutiert. In einigen Schulen füllen die SchülerInnen vor den Beurteilungsgesprächen schriftliche Selbstbeurteilungsbögen aus und bringen diese zu dem Gespräch mit. Diese Selbstbeurteilungen werden in den Gesprächen sehr unterschiedlich gewichtet und es wird der Frage nachgegangen, wie die teilweise divergierenden Selbst- und die Fremdbeurteilungen von den Beteiligten ausgehandelt werden. In Kapitel 9 werden schliesslich die Ergebnisse resümiert und es folgt ein Ausblick auf zukünftige Forschungstätigkeiten im Bereich von Beurteilungsgesprächen in der Schule. Dabei werden einerseits Forschungsdesiderata formuliert, die sich auf die (gesprächsanalytische) Erforschung von Beurteilungsgesprächen bezieht. Andererseits werden erste Überlegungen zur Relevanz der Forschungsergebnisse für (angehende) Lehrpersonen gemacht. Dabei geht es noch nicht um die Ausarbeitung von Schulungsangeboten, da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, aber es werden Möglichkeiten der Angewandten Gesprächsforschung angedacht. <?page no="26"?> 26 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus „A speaker should, on producing the talk he does, orient to his recipient.“ (Sacks 1995: II : 438 [Fall 1971, lecture 4]) Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit mündlichen Gesprächsaufnahmen und lässt sich grundsätzlich der Forschungstradition der ethnomethodologischen Konversationsanalyse und damit der qualitativen Sozialforschung zuordnen (vgl. Deppermann 2008a: 10). Meine Studie orientiert sich hauptsächlich an der Konversationsanalyse, richtet sich jedoch in einigen Punkten nach den Anpassungen von Deppermann (2008a), der durch den Begriff Gesprächsanalyse seine methodischen Anpassungen in Abgrenzung zur ursprünglichen Konversationsanalyse anzeigt. 6 Beispielsweise spricht sich Deppermann (2000; 2008a: 10) entgegen dem konversationsanalytischen Forschungsinteresse für den Einbezug von ethnografischem Datenmaterial aus (vgl. dazu Kap. 3.1). Im Folgenden werden zuerst die Vorgehensweisen der Gesprächsanalyse sowie grundlegende Erkenntnisse der Gesprächsforschung vorgestellt (Kap. 2.1). In den weiteren Teilen werden theoretische und methodische Ansätze diskutiert, die sich als besonders zentral und fruchtbar für die Analyse zeigen. Es handelt sich dabei um die grundlegende Interaktivität und Ausrichtung an den Rezipierenden (Kap. 2.2), um Beteiligungsstrukturen in der Interaktion (Kap. 2.3) sowie um Theorien zu Identität(en) und Positionierungen im Gespräch (Kap. 2.4). 2.1 Gesprächsanalyse Der theoretische und methodische Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird durch die ethnomethodologische Konversationsanalyse gegeben, wie sie in den 1960er Jahren entwickelt und massgeblich durch die Soziologen Sacks, 6 Mit dem Begriff der Gesprächsanalyse wird eher der Gesprächsgegenstand bezeichnet, ohne aber eindeutige Rückschlüsse auf die verwendete Methode zu ziehen. So finden sich unter diesem Terminus auch Arbeiten aus der interaktionalen Soziolinguistik, der Gesprochene-Sprache-Forschung, der funktionalen Pragmatik und der Diskursanalyse, die teilweise unterschiedliche Forschungsinteressen verfolgen. <?page no="27"?> 2.1 Gesprächsanalyse 27 Schegloff und Jefferson geprägt wurde (vgl. einführend in die Konversationsanalyse bspw. Auer et al. im Druck; Brinker & Sager 2010; Deppermann 2008a; Gülich & Mondada 2008; Henne & Rehbock 2001; Hutchby & Wooffitt 2008; Psathas 1995; Schegloff 1995; Schwitalla 2012; Sidnell 2011; Sidnell & Stivers 2013; ten Have 2007). Der Begriff Ethnomethodologie 7 geht dabei auf Garfinkel (1967) zurück und wird allgemein definiert als „open-ended reference to any kind of sense-making procedure“ (Heritage 1984a: 5). Es sind dabei im Wesentlichen Methoden und Praktiken gemeint, die in einer sozialen Gemeinschaft verwendet werden, um Bedeutung herzustellen. Diese Praktiken werden als Ressourcen verstanden, die den Mitgliedern einer Gesellschaft für ihr Handeln zur Verfügung stehen und Forschende können wiederum durch Analysen der Praktiken Einblick in Handlungsweisen erlangen. Die Methoden und Praktiken sind gemäss Garfinkel accountable , was von ihm beschrieben wird als „observable-and-reportable, i. e. available to members as situated practices of looking-and-telling“ (Garfinkel 1967: 1). Damit wird davon ausgegangen, dass in einer sozialen Gruppe zumindest implizites Wissen über soziale Praktiken vorherrscht und dieses Wissen durch die AkteurInnen selbst in der situierten Praktik hervorgebracht wird. Während es in der breiter soziologisch ausgerichteten Ethnomethodologie um jegliche soziale Prozesse geht und methodisch mehrheitlich mit teilnehmender Beobachtung oder Garfinkels berühmten breaching experiments 8 gearbeitet wurde (vgl. Hutchby & Wooffitt 2008: 28 f.), liegt der Fokus der Konversationsanalyse im Speziellen auf der sprachlichen Interaktion. Um genaues Hinhören und mehrfaches Abspielen zu ermöglichen, wurde seit den Anfängen der Konversationsanalyse mit Audio- und später dann auch Videodaten gearbeitet (vgl. z. B. Hutchby & Wooffitt 2008: 69 ff.). Was die Interessen der Gesprächsanalyse 7 Der Begriff Ethnomethodologie setzt sich folgendermassen zusammen: Das Präfix ethnoverweist auf das soziologische Interesse der Forschungsrichtung und zeigt, dass Gesellschaft und soziale Gruppen im Fokus der Untersuchung stehen. Der Begriff Methodologie bezieht sich nicht auf die Forschungsmethode, sondern meint die Methoden, die von Menschen für die Sinnkonstitution angewendet werden (vgl. Gülich & Mondada 2008: 13). 8 Als Paradebeispiel eines solchen Experiments soll am folgenden Ausschnitt gezeigt werden, wie Normverletzungen in routinierten Gesprächssituationen Irritationen provozieren und dadurch die soziale Ordnung aufzeigen können. Das Beispiel stammt von Garfinkel (1967: 44) und zeigt eine typische Reaktion einer Gesprächsteilnehmenden auf die gemäss Erwartungen abweichende Antwort auf die alltägliche Frage Wie geht es dir? : S: How are you? E: How am I in regard to what? My health, my finances, my school work, my peace of mind, my… S: ((Red in the face and suddenly out of control)) Look! I was just trying to be polite. Frankly, I don’t give a damn how you are. <?page no="28"?> 28 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus sind, wird sehr treffend bei Deppermann (2008a: 9, Hervorhebung im Original) erläutert: [Die Gesprächsanalyse] will wissen, wie Menschen Gespräche führen. Sie untersucht, nach welchen Prinzipien und mit welchen sprachlichen und anderen kommunikativen Ressourcen Menschen ihren Austausch gestalten und dabei die Wirklichkeit, in der sie leben, herstellen. Diese Gesprächswirklichkeit wird von den Gesprächsteilnehmern konstituiert , d. h. sie benutzen systematische und meist routinisierte Gesprächspraktiken , mit denen sie im Gespräch Sinn herstellen und seinen Verlauf organisieren. Das Ziel der Gesprächsanalyse ist es also, die verschiedenen kommunikativen Ressourcen und Gesprächspraktiken von Gesprächsteilnehmenden zu untersuchen, um besser zu verstehen, wie Gespräche verlaufen. Wie auch bei der Ethnomethodologie liegt das Erkenntnisinteresse darin nachzuvollziehen, wie Bedeutung und Sinn im Gespräch hergestellt werden und folglich wie die Gesprächsteilnehmenden diese bedeutungsvolle Gesprächswirklichkeit konstituieren und interaktiv aushandeln. Diese gemeinsame Herstellung oder Hervorbringung der Gesprächsrealität, welche Garfinkel (1967: 11) als accomplishment oder achievement bezeichnet, gilt als zentraler Grundgedanke der ethnomethodologischen Konversationsanalyse (vgl. z. B. Gülich & Mondada 2008: 13; Stukenbrock 2013: 222). Der hergestellte Sinn wiederum kann in der Analyse nachvollzogen werden, indem beobachtet wird, wie die Teilnehmenden interaktiv auf das Gesagte reagieren und Bezug nehmen und dadurch den weiteren Verlauf prägen. Die Gesprächsbeteiligten orientieren sich dabei an der grundlegenden Sequenzialität (vgl. Stukenbrock 2013: 231) bzw. Prozessualität (vgl. Deppermann 2008a: 8) von Gesprächen, d. h. an zeitlich nacheinander realisierten Gesprächsbeiträgen. Ausgehend von der sequenziellen Organisation von Gesprächen versteht sich die konversationsanalytische Methode auch als Sequenzanalyse (vgl. Kap. 3.1.3). Wichtig ist bei der Analyse von Gesprächen, dass nicht die Frage im Zentrum stehen soll, welche Beweggründe eine Person zur einen Sprachhandlung und nicht zur anderen motivieren, sondern die Frage nach den verwendeten Ressourcen und Praktiken, die zur Ausgestaltung von Sinn und Bedeutung beitragen. So hält Sidnell (2011: 18) fest: „Rather than asking what is going on in the speaker’s head (or mind, or brain) we should be asking […] what is being accomplished in interaction by speaking in just this way“. Deppermann (2013a: 35) spricht in diesem Zusammenhang auch vom mentalen Agnostizismus und bringt so dezidiert zum Ausdruck, dass in der Gesprächsanalyse nur die beobachtbare Interaktion im Fokus des Interesses steht und alle Erklärungen und Interpretationen in der Interaktion selbst verankert sein müssen. <?page no="29"?> 2.1 Gesprächsanalyse 29 Welche Prämissen der Gesprächsanalyse zugrunde liegen und das analytische Vorgehen massgebend beeinflussen, soll in Kapitel 2.1.1 dargestellt werden. In Kapitel 2.1.2 werden einige grundlegende Prinzipien der Gesprächsorganisation vorgestellt, die sich auf Erkenntnisse aus Studien stützen und die in späteren Analysen vorausgesetzt und nicht mehr speziell eingeführt werden. 2.1.1 Prämissen der ethnomethodologischen Konversationsanalyse Eine Grundannahme der ethnomethodologisch ausgerichteten Gesprächsanalyse betrifft die Ordnung im Gespräch, die als Ausspruch „order at all points“ (Sacks 1995: I: 484 [Spring 1966, lecture 33]; Sacks 1984: 22) bekannt ist und besagt, dass jedes Detail in der Interaktion seine Bedeutung hat. So erklärt Heritage (1984a: 241) „no order of detail can be dismissed, a priori , as disorderly, accidental or irrelevant“. Pausen und Stimmveränderungen haben also denselben Stellenwert wie semantisch reiche Wörter. Die Prämisse bedeutet, dass Menschen im Gespräch Sinn und Bedeutung aus dem Gesagten machen und deshalb eine grundlegende Ordnung vorhanden sein muss. Gerade Phänomene wie Reparaturen zeigen auf, wie die erwartete, ‚normale’ Ordnung wäre, indem durch den Fokus auf ‚fehlerhafte’ Bestandteile eine Abweichung von der Norm gekennzeichnet wird (vgl. Sidnell 2013: 87). Wenn man davon ausgeht, dass kein Detail in der Analyse ausser Acht gelassen werden darf, da es vielleicht bedeutungstragend ist und Aufschluss über die tatsächlichen Praktiken zulässt, wird klar, dass die Analyse von Gesprächen unersättlich weitergeführt werden kann. Es ist also wichtig, zwar einerseits offen an die Daten heranzutreten und möglichst alle Interpretationswege zu bedenken, andererseits jedoch auch klare Fokussierungen von Einzelphänomenen anzustreben, um nicht in der Fülle der Details die Grundstrukturen der Gespräche zu vernachlässigen. In direktem Zusammenhang mit der Prämisse order at all points kann auch die induktive, materialgestützte Vorgehensweise verstanden werden. Wenn nämlich alle Details im Gespräch potenziell bedeutungskonstitutiv sind, so müssen all diese Details in den Daten selbst betrachtet werden. Es ist demnach bezeichnend, dass in der Gesprächsanalyse die Fragestellungen am Material selbst entwickelt werden und nicht von Hypothesen ausgehend die Daten analysiert werden (vgl. z. B. Deppermann 2008a: 21; Sidnell 2011: 28 f.). Allerdings muss die Ansicht der rein induktiven Methode m. E. ein wenig relativiert werden. Wenn Heritage (1984a: 238) sagt, „original data are neither idealized nor constrained by a specific research design or by reference to some particular theory or hypothesis“, so kann dieser strikten Forderung kaum nachgekommen werden. Zwar wird hier deutlich gemacht, dass grundsätzlich nicht <?page no="30"?> 30 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Theorien und Hypothesen als Ausgangspunkt der Analyse genommen werden, sondern die Daten jederzeit als primären Bezugspunkt betrachtet werden sollen. Damit setzt sich die Gesprächsanalyse methodisch gegen andere Ansätze der Linguistik ab, in denen zu Beginn klare Hypothesen eingefordert werden. Allerdings wird es kaum möglich sein, die Augen vor bereits existierenden Studien zu verschliessen und ein Projekt ohne Forschungsdesign zu planen. Auch das mehrfach postulierte „unmotivated looking“ (Psathas 1995: 45; vgl. auch Hutchby & Wooffitt 2008: 89) ist problematisch, wenn man bedenkt, dass alleine die Wahl, welche Daten aufgenommen werden oder wie die Aufnahmegeräte positioniert werden, eine gewisse Motivation für die Fokussierung von bestimmten Kontexten und Phänomenen zeigen. So behaupte ich, dass sich bei der Mehrheit der gesprächsanalytischen Projekte eine gewisse Erwartungshaltung nicht komplett vermeiden lässt. Beispielsweise wurde das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit durch die Annahme motiviert, dass es sich beim spezifischen Kontext des schulischen Beurteilungsgesprächs um einen interessanten und potenziell emotional geladenen Gesprächstyp handelt, bei dem also die Beziehungsebene und die Rollenaushandlung von Interesse sein könnte. Trotzdem wurden keine konkreten Hypothesen aufgestellt, die es zu prüfen galt, sondern die weitere Arbeit war zunächst ganz im Sinne der Gesprächsanalyse so organisiert, dass die Daten für sich betrachtet wurden. Die am Ende tatsächlich analysierten Phänomene sind also durchaus materialbasiert zum Fokus geworden und so war beispielsweise eine Vertiefung der Adressierungsmechanismen vor Sichtung der Daten nicht vorgesehen. Jedoch müssen diese induktiv gewonnenen Erkenntnisse mit Resultaten aus früherer Forschung abgeglichen und komplettiert werden, um nachhaltige Forschung zu betreiben. Es kann nicht das Ziel sein, dass jede Studie in sich geschlossen durchgeführt wird, denn jede Erkenntnis trägt zur Theoriebildung bei. Es handelt sich also m. E. um ein mehrheitlich induktives Vorgehen, jedoch mit dem Ziel, sich trotz vielleicht bestehender Erwartungen von den Daten leiten zu lassen und nach den ersten materialgestützten Beobachtungen, die eigenen Erkenntnisse mit den theoretischen Annahmen zu verknüpfen. So trägt jede einzelne Studie zu einem vollständigeren Konzept zur sprachlichen Interaktion bei. Ein wichtiger Grundsatz in der Gesprächsanalyse ist die Beschäftigung mit realen, ‚natürlichen’ Gesprächsdaten. Darunter sind jene Kontexte zu verstehen, die auch ohne Forschende ihre Existenz haben und nicht speziell für ein Forschungsprojekt arrangiert wurden. Arrangierte Gesprächskontexte wären beispielsweise Befragungen, Rollenspiele oder fiktive Gespräche aus literarischen Werken. Da es jedoch bei der Gesprächsanalyse im Wesentlichen darum geht, Aspekte der sozialen Ordnung in realen Gesprächen aufzudecken und zu ver- <?page no="31"?> 2.1 Gesprächsanalyse 31 stehen, können nur reale Gesprächsdaten als Datengrundlage dienen. Dies wird bei Mondada (2013: 33) deutlich: CA insists on the study of naturally occurring activities as they ordinarily unfold in social settings, and, consequently, on the necessity of recordings of actual situated activities for a detailed analysis of their relevant endogenous order. Wichtig ist also, dass untersuchte Gesprächssituationen authentisch sind und auch normalerweise in denselben Kontexten auftreten. Dass dabei mit Aufnahmen gearbeitet werden soll, scheint eine logische Konsequenz zu sein. So besteht dann bei einer Aufnahme auch das Ziel darin, möglichst die reale Situation in ihrer Ganzheit zu bewahren und für Detailanalysen aufzuzeichnen. Erst bei der wiederholten Analyse der Daten können die relevanten Mikrophänomene der Gesprächsordnung im entsprechenden sozialen Kontext herausgearbeitet werden und es ist daher notwendig, die Daten für mehrfache Analysezugänge aufzunehmen. Durch die Aufnahme der Daten entsteht jedoch das wohlbekannte observer’s paradox , das erstmals von Labov (1972: 113) besprochen wurde und von ihm folgendermassen beschrieben wird: To obtain the data most important for linguistic theory, we have to observe how people speak when they are not being observed. Er geht also davon aus, dass die Forschenden durch ihre blosse Anwesenheit Einfluss auf das Geschehen nehmen können und folglich muss die Natürlichkeit der Daten wiederum infrage gestellt werden. 9 Durch ein entsprechendes For- 9 Sicherlich kann nie ausgeschlossen werden, dass Studienteilnehmende sich durch das Bewusstsein über die Forschungssituation anders verhalten (vgl. z. B. ten Have 2007: 69), jedoch nimmt diese eventuelle Störung m. E. nicht bei allen Forschungsfragen dieselbe Wichtigkeit ein. Labovs Forschungsinteressen unterscheiden sich in einigen Punkten von der gesprächsanalytischen Tradition und es ergeben sich andere Fragestellungen und Störfaktoren. So interessiert sich Labov (1968) u. a. für sprachliche Varietäten, soziales Prestige und bewegt sich damit im Gebiet kultureller Norm- und Wertevorstellungen, das sehr anfällig auf äussere Einflüsse ist, bekannt unter dem Begriff der sozialen Erwünschtheit oder social desirability (vgl. z. B. Bortz & Döring 2006: 232 f.; Crowne & Marlowe 1960; Edwards 1957). Die Konversationsanalyse interessiert sich hingegen für ganz grundlegende Mechanismen der Gesprächsführung in unterschiedlichen Kontexten und mit unterschiedlichen Funktionen und ist nach meiner Einschätzung dadurch weniger anfällig für Anpassungsverhalten vonseiten der Studienteilnehmenden. Frühe Analysen zum Sprecherwechsel (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974) zeigen, dass sich Sprechende in einer gewissen Systematik Turn für Turn abwechseln. Es erscheint dabei eher unwahrscheinlich, dass Studienteilnehmende ihr Verhalten bei diesen Wechseln merklich ändern sollten und beispielsweise nicht mehr einatmen, bevor sie einen Turn übernehmen oder keinerlei Bestätigungspartikeln mehr liefern. Es scheint also m. E. Forschungsfragen zu <?page no="32"?> 32 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus schungsdesign kann der mögliche negative Einfluss ansatzweise eingegrenzt und kontrolliert werden. Mondada (2013: 34) betont, dass einerseits die technologischen Entwicklungen so fortgeschritten sind, dass kleine und unauffällige Geräte eingesetzt werden können. Andererseits könne man die Forschungssituation derart in die Analyse einbeziehen, dass Ausschnitte diskutiert werden, in denen sich Teilnehmende in irgendeiner Weise der Kamera oder dem Aufnahmegerät zuwenden. Dadurch wird das Beobachterparadoxon akzeptiert, indem diejenigen Momente, in denen die anwesenden Forschenden offensichtlich Einfluss auf das beobachtete Geschehen nehmen, selbst zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden. Wie gross der Einfluss der Forschungssituation tatsächlich ist, lässt sich schwer abschätzen und auch ten Have (2007: 69) hält fest, dass das Beobachterparadoxon wohl immer einwirkt, dass aber das Ausmass durch das Verhalten der Forschenden und das Arrangement der Aufnahme klein gehalten werden kann. Während also Konsens darüber besteht, dass Aufnahmen von natürlichen Daten verwendet werden, herrscht noch Uneinigkeit darüber, ob zusätzlich zu den Gesprächsdaten auch ethnografische Daten erhoben werden sollen. Es gibt dazu längere Debatten, die sich mit der Frage des nötigen Kontextes in der Gesprächsanalyse beschäftigen (vgl. ten Have 2007: 73; Mondada 2013: 37). Nach Vorgaben der klassischen Konversationsanalyse werden grundsätzlich keine zusätzlichen Daten zu den Aufnahmen erhoben und miteinbezogen, da es sich bei ethnografischen Daten um Kontextfaktoren handelt, die im Gespräch nicht zwingend relevant gesetzt werden und so auch nicht unbedingt die soziale Aktivität mitstrukturieren, die wir zu analysieren versuchen. Diese Forderung wird beispielsweise von Schegloff (1991: 52) vertreten, der mit dem Ausdruck procedural consequentiality betont, dass der Kontext nur insofern relevant ist, wenn er im Gespräch einen direkten Einfluss auf die Sequenz hat. Nur wenn die Gesprächsteilnehmenden in irgendeiner Weise eine Orientierung am Kontext zeigen, soll dieser spezifische Aspekt des Kontextes oder Settings in die Analyse einbezogen werden. Demnach ist es nicht zulässig und der Analyse von Gesprächen nicht dienlich, weitere Kontextinformationen zu erheben. Die Analysen sind einzig auf die Gesprächsdaten zu stützen und Kontext wird nur dann relevant, wenn die Gesprächsteilnehmenden dies im Gespräch anzeigen. Wenn also in der Konversationsanalyse von Kontext gesprochen wird, ist in der Regel der unmittelbare Kontext im Gespräch gemeint und nicht etwa das Setting oder Informationen zu den Teilnehmenden. Zentral im Zusammenhang dieser Diskussion ist das Begriffspaar context-shaped und context-renewing geben, die mehr oder weniger anfällig für negative Einflüsse durch die anwesenden Forschenden sind. <?page no="33"?> 2.1 Gesprächsanalyse 33 und die damit verstandene doppelte Kontextleistung jeder Äusserung (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 18 f.; Heritage 1984a: 242; Heritage & Clayman 2010: 21 f.). Eine Äusserung wird in einem lokalen Kontext produziert und rezipiert und ist demnach direkt beeinflusst von den vorgängigen Handlungen. Gleichzeitig konstruiert jede neue Äusserung einen wiederum veränderten Kontext, welcher die Folgehandlungen beeinflussen kann. Der Kontext wird also durch die indexikalische Leistung sprachlicher Praktiken gebildet und laufend reflexiv von den Gesprächsteilnehmenden aktualisiert und verändert (vgl. Garfinkel & Sacks 1970 zur Indexikalität und Reflexivität; vgl. auch Auer 1999: 127 ff.; Stukenbrock 2013: 221 f.). 10 Obschon dieser ausschliessliche Fokus auf die Gesprächsdaten bei Untersuchungen zur grundlegenden Organisation von Gesprächen seine Berechtigung hat, gibt es dennoch Forschungsinteressen, für die der Einbezug weiterer Daten wünschenswert ist. Insbesondere in institutionellen Kontexten wird vermehrt empfohlen, zusätzliche ethnografische Daten zu erheben, um dadurch ein besseres Verständnis der Gespräche in ihrer sozialen Umgebung zu gewährleisten (vgl. Kap. 2.1.3 zu ethnografischen Daten in institutioneller Kommunikation sowie Kap. 3.1 zum konkreten Vorgehen in dieser Studie). 2.1.2 Prinzipien der Gesprächsorganisation Gespräche verlaufen nach bestimmten Ordnungsprinzipien, die eine wechselseitige Interaktion überhaupt erst ermöglichen und verhindern, dass mehrere Beteiligte unkoordiniert durcheinander sprechen. Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) definieren in ihrem zum Klassikertext avancierten Artikel A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation die grundlegende Organisation des sogenannten Sprecherwechsels ( turn-taking ). Es geht dabei zum einen um die Struktur von Redebeiträgen ( turn-constructional component ) und zum anderen um die Regelhaftigkeit der Verteilung von Rederechten und Redegelegenheiten ( turn-allocation component ). Ein Redezug ( turn ) ist in Bezug auf die Länge nicht vordefiniert und kann ein einzelnes Wort, eine Phrase, einen Satz oder gar ein längeres konversationelles Projekt wie eine Erzählung umfassen (vgl. Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 702; Stukenbrock 2013: 230). Redezüge können aus mehreren kleineren Turnkonstruktionseinheiten ( turn constructional units, TCU ) bestehen, welche jeweils von den Gesprächsbeteiligten als redeübergaberelevante Stellen ( transiti- 10 Die Konversationsanalyse setzt sich hiermit auch klar von der als bucket theory bezeichneten Diskursanalyse ab, die Kontext als gegeben annimmt und den Gesprächsteilnehmenden innerhalb dieser Einschränkungen weniger Spielraum zuspricht (vgl. Drew & Heritage 1992a: 19). <?page no="34"?> 34 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus on relevance place, TRP ) interpretiert und für Sprecherwechsel genutzt werden können (vgl. Gülich & Mondada 2008: 39; Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 703). Durch die syntaktische, prosodische und nonverbale Realisierung zeigen Gesprächsbeteiligte an, wann sie einerseits einen Turn beginnen möchten und andererseits ihn als (vorläufig) beendet betrachten (vgl. Gülich & Mondada 2008: 40; Stukenbrock 2013: 237). Diese Anzeigeleistung bezeichnet man als Projektion (vgl. Auer 2005: 8). Es kommt dabei an übergaberelevanten Stellen immer wieder zu Überlappungen, die aber wiederum bezeugen, dass sich Gesprächsbeteiligte an Turnkonstruktionseinheiten orientieren und basierend auf ihrer ständigen Verarbeitung der laufenden Interaktion Erwartungen bezüglich der Fortsetzung bilden und den Fortgang antizipieren (vgl. Gülich & Mondada 2008: 40 f.). Grundsätzlich gilt aber die Regel „one party talks at a time“ (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 700), die auch im interkulturellen Vergleich von Stivers et al. (2009) getestet wurde und die sich in einer generellen Vermeidung von Überlappungen sowie zu langen Pausen zwischen Redebeiträgen manifestiert. In Bezug auf die Verteilung von Rederechten formulieren Sacks, Schegloff und Jefferson (1974: 704) die folgenden Regeln: An redeübergaberelevanten Stellen kann eine aktuelle Sprecherin durch Fremdwahl einen nächsten Sprecher auswählen ( current speaker selects next ), welcher sodann das Recht und die Pflicht hat, das Rederecht zu übernehmen. Wählt die aktuelle Sprecherin keinen nächsten Sprecher aus, können Gesprächsbeteiligte durch Selbstwahl einen Sprecherwechsel herbeiführen, wobei in der Regel der bzw. die Schnellere ( first starter ) das Rederecht erlangt. Falls es zu keiner Selbstwahl kommt, kann die aktuelle Sprecherin das Rederecht behalten. Diese Regeln kommen bei jeder redeübergaberelevanten Stelle erneut zum Tragen. Die Funktionalität der Gesprächsorganisation zeigt sich insbesondere bei Paarsequenzen ( adjacency pairs ) wie Frage-Antwort, Gruss-Gegengruss etc., welche dadurch charakterisiert sind, dass der erste Teil der Paarsequenz ( first pair part ) einen zweiten Teil ( second pair part ) erwartbar macht und so konditionell relevant setzt (vgl. Schegloff 1968: 1083; Schegloff & Sacks 1973: 296). Diese Erwartbarkeit von Folgebeiträgen kann auch als Zugzwang beschrieben werden: Aus den konditionellen Relevanzen ergeben sich für die Beteiligten Zugzwänge, die im Verlauf des Gespräches eingesetzt, bedient, aber auch außer Kraft gesetzt werden können. (Hausendorf & Quasthoff 2005: 115) Es bedeutet also nicht, dass ein Zugzwang notwendigerweise eingehalten werden muss, jedoch zeigt sich beispielsweise beim Ausbleiben einer Antwort, dass ein Nichterfüllen der konditionellen Relevanz erklärt oder anderweitig (z. B. durch Nachfragen) weiter bearbeitet werden muss (vgl. Gülich & Mondada 2008: 51 f.; Hausendorf & Quasthoff 2005: 115). Solche Abweichungen vom System <?page no="35"?> 2.1 Gesprächsanalyse 35 zeigen wiederum, dass eine Regelhaftigkeit zugrunde liegt und Gesprächsbeteiligte sich an konditionellen Relevanzen orientieren. Ebenfalls im Zusammenhang mit Paarsequenzen wurde das Konzept der Präferenzstrukturen in der Interaktion herausgearbeitet: In der konversationsanalytischen Forschungstradition besagt die Präferiertheit , dass bei Paarsequenzen eine Reaktion rasch und direkt erfolgt und demnach unmarkiert ist. Hingegen zeigen sich bei der dispräferierten Form einer Antwort diverse Verzögerungselemente, Abschwächungen etc. (vgl. Gülich & Mondada 2008: 52 f.; Pomerantz 1984; Pomerantz & Heritage 2013). Es handelt sich also nicht um psychologische Präferenzstrukturen, sondern darum, ob eine Reaktion rasch und knapp auf die Frage folgt, oder ob ein kommunikativer Mehraufwand betrieben wird (vgl. auch Kotthoff 2015a). Typischerweise werden Übereinstimmungen, Bestätigungen und beispielsweise die Annahme einer Einladung in präferierter Form realisiert, während Dissens, Widerlegungen und Ablehnungen in dispräferierter Form, d. h. nach Verzögerungen, mit Abschwächungen, zusätzlichen Erklärsequenzen o. ä. hervorgebracht werden (vgl. zusammenfassend Pomerantz & Heritage 2013). Nun kommt es in Gesprächen auch immer wieder zu Störungen, die u. a. mit der Organisation des Sprecherwechsels zu tun haben. Beispielsweise kann in der Mehrparteieninteraktion die Adressierung bei getätigter Fremdwahl unklar sein, sodass vor der eigentlichen Antwort ausgehandelt werden muss, wer gemeint ist. Andere Störquellen sind z. B. Artikulationsschwierigkeiten, akustische und inhaltliche Verständnisprobleme o. ä. und die setzen ähnliche Korrekturmechanismen in Gang. Man spricht bei solchen korrigierenden Handlungen von Reparaturen ( repair ), die einerseits selbst- oder fremdinitiiert und andererseits in Form von Selbst- oder Fremdreparatur bearbeitet werden können (vgl. Gülich & Mondada 2008: 59 ff.; Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 723 ff.; Schegloff, Jefferson & Sacks 1977; Selting 1987). 2.1.3 Gesprächsanalyse und institutionelle Kontexte Die Kommunikation in Institutionen wie Schulen, Arztpraxen, Medienunternehmen, Gerichtshöfen etc. ist in der konversationsanalytischen Forschung dominant vertreten und wurde entsprechend in ausführlichen Darstellungen zum Thema gemacht (vgl. z. B. Arminen 2005; Boden & Zimmerman 1991; Drew & Heritage 1992b; Drew & Sorjonen 1997; Heritage 2004; Heritage & Clayman 2010; McHoul & Rapley 2001). Institutionen werden typischerweise als Orte des zweck- und zielorientierten Handelns beschrieben (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 22 f.; Ehlich & Rehbein 1980: 338). Jedoch gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, wie institutionelle von alltäglicher Kommunikation abge- <?page no="36"?> 36 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus grenzt werden kann und inwiefern Asymmetrien typisch für institutionelle Interaktionen sind. Diese Aspekte werden im Folgenden beleuchtet. Zudem wird abschliessend gezeigt, wann der Einbezug von Kontextinformationen für die Analyse institutioneller Gespräche sinnvoll sein kann. Grundsätzlich schlagen Drew und Heritage (1992a: 19) eine komparativ angelegte Untersuchung von institutioneller und alltäglicher Kommunikation vor und gehen dabei davon aus, dass Alltagsgespräche sozusagen als Standard angenommen werden können, während Gespräche in Institutionen typischerweise Einschränkungen auf die Möglichkeiten der Ausgestaltung der Gespräche erfahren. 11 Jedoch lässt sich eine häufig als ‚Dichotomie von Alltag und Institution’ bezeichnete Aufteilung nicht ohne Weiteres vollziehen, denn einerseits gibt es eine Vielzahl alltäglicher Institutionen (z. B. Familie, Schule) (vgl. Koerfer 2013: 23) und andererseits lassen sich typische institutionelle Praktiken auch in nichtinstitutionellen Kontexten beobachten (z. B. schulische Belehrungsmuster am Mittagstisch) (vgl. Birkner 2011: 2). Um der Auflösung dieser Dichotomie Nachdruck zu verleihen, veröffentlichten Birkner und Meer (2011) unter dem Titel Institutionalisierter Alltag einen Sammelband zur Thematik und Meer (2011: 35) zeigt durch ihr Verständnis von Alltag als „praktiken- und positionsspezifisch graduell unterschiedlich institutionalisiert“ ihre Ablehnung einer generalisierenden Sicht auf vermeintliche Oppositionen Alltag versus Institution . In Bezug auf schulische Beurteilungsgespräche haben wir es mit der Kommunikation zwischen den zwei alltäglichen Institutionen Schule und Familie zu tun. Als ‚alltäglich’ bezeichnet Koerfer (2013: 23) Institutionen dann, wenn sie für alle Zugehörigen einer Kulturgemeinschaft mindestens temporär zum Alltag gehören. Schulische Beurteilungsgespräche werden demnach als interinstitutionelle Kommunikation beschrieben und Studien konnten zeigen, wie sich die Vertretenden dieser alltäglichen Institutionen in ihren entsprechenden Rollen als Lehrpersonen bzw. als Eltern begegnen (vgl. z. B. Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a; Zorbach-Korn 2015). Eng verbunden mit der problematischen Aufteilung in alltägliche und institutionelle Kommunikation ist der Begriff Asymmetrie , denn nicht selten wird allgemein von einer symmetrischen Alltagskommunikation und einer asymmetrischen Kommunikation in Institutionen ausgegangen (vgl. kritisch dazu 11 Drew und Heritage (1992a: 29 ff.) führen Einschränkungen auf bezüglich Lexik (z. B. Gebrauch des institutionellen Wir anstelle von Ich ), Turn Design (z. B. neutrale Ausgestaltung ohne Wertung), sequenzielle Organisation (z. B. ungleiche Verteilung der Rederechte) und allgemeine Strukturen (z. B. typische institutionelle Muster, standardisierte Abläufe o. ä., die tendenziell ungleich verteilt von den Institutionsvertretenden beherrscht werden). <?page no="37"?> 2.1 Gesprächsanalyse 37 Meer 2011: 32 f.). Allerdings sind Asymmetrien und Ungleichheiten auf unterschiedlichen Ebenen grundlegend für jegliche Art der Kommunikation: [I]f there were no asymmetries at all between people, i. e. if communicatively relevant inequalities of knowledge were non-existing, there would be little or no need for most kinds of communication! (Linell & Luckmann 1991: 4) Auch Drew und Heritage (1992a: 48) argumentieren, dass es in dem Sinne in Gesprächen gar keine Symmetrie gebe, da sich auch in Alltagsgesprächen jeweils lokale Unterschiede, z. B. themenbezogene Unterschiede von Wissensständen, finden, die sich ständig wieder verschieben. Zudem ist alleine die lokale Unterscheidung der Beteiligungsrollen SprecherIn und HörerIn auf der Ebene einzelner Sprecherbeiträge asymmetrisch strukturiert (vgl. Linell & Luckmann 1991: 7). Mit Linell und Luckmann (1991: 4 f.) gehe ich daher davon aus, dass Symmetrie auf lokaler Ebene eines einzelnen Sprecherbeitrags nicht sinnvoll beschrieben werden kann, sondern nur in Bezug auf längere Sequenzen untersucht werden soll. Von globalen Asymmetrien bezogen auf ein gesamtes Gespräch oder bezogen auf den Gesprächstyp kann allerdings erst gesprochen werden, wenn sich in institutionellen Kontexten lokale Asymmetrien an wichtigen Positionen im Gespräch (z. B. Eröffnung oder Beendigung) zugunsten der Institutionsvertretenden häufen (vgl. Brock & Meer 2004: 194). Es muss daher stets differenziert werden, ob es sich um lokale oder globale Ungleichheiten handelt und auf welcher Ebene sich die Asymmetrien manifestieren (z. B. Beteiligungsstrukturen, Wissensbestände). Brock und Meer (2004: 203) schlagen dann auch vor, Asymmetrien nicht voreilig mit globaler ausgerichteten Begriffen wie Macht , Dominanz oder Hierarchie gleichzusetzen, sondern neutral und lokal als „kommunikative Ungleichheit in Bezug auf ein spezifisches Kriterium oder Phänomen“ zu definieren. Im Zusammenhang mit institutioneller Kommunikation und Asymmetrien wird auch häufig von der Experten-Laien-Kommunikation gesprochen. Gemäss Brünner und Gülich (2002: 20) verfügen dabei die ExpertInnen über professionelles, wissenschaftliches Wissen und die LaiInnen über nicht-professionelles Alltagswissen oder „subjektive Theorien“. Auch findet im Rahmen der Experten-Laien-Kommunikation typischerweise ein Wissenstransfer statt. In Bezug auf die inter-institutionelle Kommunikation zwischen Lehrpersonen und Eltern kann argumentiert werden, dass die subjektiven Theorien der Eltern ebenfalls strukturierter und professioneller Natur sein können, wenn es um erzieherische Fragen oder um Beobachtungen ihres Kindes geht, da sie sich dort auf ihr familiäres Expertenwissen stützen können. Ebenso können SchülerInnen als ExpertInnen für ihr eigenes Lernen betrachtet werden. <?page no="38"?> 38 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Wie in Kapitel 2.1.1 dargelegt wurde, versteht man in der klassischen Konversationsanalyse Kontext nur dann als relevant, wenn im Gespräch selbst darauf referiert wird. Hingegen wird davon abgesehen, weitere gesprächsexterne Informationen in die Analyse einzubeziehen, da die Gefahr besteht, dass Kontextfaktoren deterministisch für das Gesprächsverhalten betrachtet werden und so Erwartungen bezüglich typischer institutioneller Rollen und Abläufe mitbewertet werden. Trotz diesen Grundsätzen werden in Studien zur institutionellen Kommunikation häufig ergänzend zu den reinen Gesprächsdaten noch ethnografische Daten erhoben, um durch diese zusätzlichen Kontextinformationen ein ganzheitlicheres Verständnis der Institution zu erzielen. Diese methodische Erweiterung findet in der neueren Forschung zu institutionellen Bereichen vermehrt Zuspruch und wird im Rahmen dieser Arbeit ebenfalls als wichtig und nötig erachtet. Es muss allerdings jederzeit transparent sein, welchen Stellenwert den zusätzlich erhobenen Daten beigemessen wird. So zeigt beispielsweise Maynard (2003: 65), dass unter Umständen ethnografische Analysen die Hauptanalyse ergänzen können, jedoch keineswegs als gleichwertige Daten zu betrachten seien. Denn das Hauptinteresse der Analyse bleibt die Aktivität des Gesprächs selbst und nicht das Setting. Dabei sieht Maynard insbesondere bei den folgenden ethnografischen Daten das Potenzial für die ergänzende Analyse: (1) die Beschreibung von Setting und Teilnehmenden; (2) Erklärungen zu spezifischen Abläufen und Termini, die LeserInnen nicht unbedingt geläufig sind (beispielsweise fachspezifisches oder institutionelles Wissen); (3) Erklärungen von ‚seltsamen’ Mustern in den Daten anhand von Zusatzwissen aus Interviews oder teilnehmender Beobachtung (Maynard 2003: 73 ff.). Maynard begründet diese Wahl ethnografischer Daten folgendermassen: Wenn wir die Möglichkeit haben, anhand von ethnografischen Informationen das Setting und die Teilnehmenden minimal und im Hintergrund zu beschreiben, erleichtert das den Forschenden die Entscheidungen zu treffen, welche Phänomene für das Setting relevant sind und im Vordergrund diskutiert werden sollen. Ohne diese Hilfe müssen bei der Analyse theoretisch vorerst alle Aktivitäten - alle ‚doings’ - als relevant erachtet werden (vgl. Maynard 2003: 74). Weiter sei ein gewisses Fachvokabular nötig, um die Prozesse im Gespräch verstehen und analysieren zu können. Auch gibt es spezifische Muster oder Abläufe, die nicht alleine aus der Sequenzanalyse erschliessbar sind, sondern erst anhand von Zusatzwissen zu Abläufen in diesem Setting verstanden werden können (vgl. Maynard 2003: 74 f.). Wichtig sei hier aber zu erwähnen, dass es sich um ein nachträglich vertieftes Verstehen der Analyse handelt, wenn die Sequenzanalyse an ihre Grenzen kommt. Keinesfalls sollen jedoch ethnografische Daten als Basis der Analyse genommen werden (vgl. Maynard 2003: 75 f.). Auch Arminen (2005: 1) betont, dass ethnografisches Wissen insbesondere in institutionellen <?page no="39"?> 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten 39 Settings notwendig sei, um die Besonderheiten der Interaktionen zu verstehen und die Relevanz einer spezifischen kommunikativen Praxis richtig einordnen zu können. Insgesamt kann festgehalten werden, dass es sich bei der Gesprächsanalyse primär um eine detailgetreue Analyse der Gespräche handelt und der Fokus auf dem lokalen Kontext liegt. Da die vorliegende Arbeit einen spezifischen institutionellen Gesprächstyp untersucht, werden ethnografische Daten in ergänzender Art und Weise einfliessen, wo dies zu einem vertieften Verständnis führt. Zu diesem Zweck sowie um einen umfassenderen Eindruck der Gesprächssettings zu ermöglichen, werden im Rahmen der Methodenreflexion und Datenpräsentation ergänzende ethnografische Daten diskutiert (vgl. Kap. 3). In konversationsanalytischen Studien zu institutionellen Kontexten liegt der Fokus also auf den Praktiken, die als konstitutiv für eine spezifische Institution oder einen spezifischen institutionellen Gesprächstyp gelten (vgl. Arminen 2005: XV ; Boettcher et al. 2005: 5). In diesem Kontext ist auch die von Heritage (1984a: 290) geprägte Beschreibung von Institutionen als ‚talked into being’ zu verstehen, wozu er weiter ausführt: It is thus through the specific, detailed and local design of turns and sequences that ‚institutional’ contexts are observably and reportably - i. e. accountably - brought into being. Heritage betont dabei das grundlegende Erkenntnisinteresse der ethnomethodologischen Konversationsanalyse, das darin liegt, die soziale Ordnung aufzudecken. Wenn Praktiken einer spezifischen Institution untersucht werden sollen, so muss beobachtet werden, wie die institutionellen AkteurInnen handeln und interagieren. In den institutionellen Interaktionen wird also aktiv mitgestaltet, was eine Institution ausmacht. 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten Gespräche sind per definitionem interaktiv gestaltet und bedingen daher, dass in irgendeinem Masse ein Austausch zwischen Gesprächsteilnehmenden zustande kommt. Es geht bei sprachlicher Kommunikation allerdings keineswegs um das reine Kodieren und Dekodieren von Informationen, sondern um die gemeinsame, interaktive Konstruktion von Sinn und Bedeutung. So besteht auch eine der Grundannahmen der Gesprächsanalyse darin, dass die Rollen von Sprechenden und Hörenden nicht klar getrennt werden können, sondern alle Gesprächsteilnehmenden jeweils durch ihre Anwesenheit das Gesagte mitprägen (vgl. z. B. Gülich & Mondada 2008: 43 f.; Hitzler 2013: 111; Stukenbrock <?page no="40"?> 40 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus 2013: 240). Dieses grundlegende Prinzip der Interaktion wird mit dem Begriff recipient design 12 beschrieben und geht auf Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) zurück. Seither taucht der Begriff häufig in der Forschungsliteratur auf, doch meist beschränkt sich die Diskussion auf eine Anerkennung der Wichtigkeit und der grundlegenden Bedeutung des Konzeptes für die Interaktion, jedoch ohne weitere Charakterisierung oder Problematisierung des Begriffs. So kritisieren Deppermann und Blühdorn (2013: 7), dass Recipient Design „zu den Konzepten der Konversationsanalyse [gehört], die häufig benutzt, doch nur selten zum ausdrücklichen Forschungsgegenstand geworden sind“ und Hitzler (2013: 112) spricht von einer vielfach „unreflektierte[n] Verwendung des Begriffs“. Offensichtlich wurde dieses Desideratum nun in der Forschungsgemeinschaft erkannt und so beschäftigen sich einige aktuelle, empirisch angelegte Studien mit Fragen zum Recipient Design (z. B. Deppermann & Blühdorn 2013; Hitzler 2013; Schmitt & Knöbl 2013; 2014). 13 Neben dem konversationsanalytisch basierten Konzept des Recipient Designs wurden in anderen Disziplinen noch weitere verwandte Konzepte entwickelt, die sich ebenfalls mit der wechselseitigen Beeinflussung von Sprechenden und Hörenden beschäftigen und entsprechend die Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsteilnehmenden fokussieren. So hat etwa Grice (1975) mit seinen Theorien zu Maximen und Kooperationsprinzipien im Gespräch erste - wenn auch nicht empirisch basierte - Aspekte der interaktiven Kooperation formuliert. Brown und Levinson (1987) haben dann ausgehend von den Grice’schen Maximen und vom face -Begriff nach Goffman (1955; 1967; 1972) Theorien zur Höflichkeit entwickelt. Aus der Sozialpsychologie stammt die accommodation theory (z. B. Giles & Powesland 1975; Giles, Coupland & Coupland 1991), in der es v. a. um die sprachliche Anpassung an das Gegenüber geht und damit also um den Einfluss von Hörenden auf die Ausgestaltung der Äusserungen des / der Sprechenden (bezogen auf soziolinguistische Variablen wie Register, Stil, Varietät etc.). In eine ähnliche Richtung geht die Konzeption von audience design. Der Begriff geht auf Bell (1984; 2001) zurück, der allerdings seinerseits auf das konversationsanalytische Konzept des Recipient Designs verweist (vgl. 12 Der englische Terminus recipient design wird in der deutschsprachigen Forschung meist direkt übernommen oder durch die Grossschreibung - wie auch im Folgenden - minimal für die fachsprachliche Verwendung im Deutschen angepasst. Es finden sich zum Teil auch deutsche Übersetzungen, wie beispielsweise rezipientenspezifischer Zuschnitt (Bergmann 1981: 30; 1988: III: 39) oder Adressatenzuschnitt (Deppermann & Blühdorn 2013: 7), die sich aber in der Literatur nicht so breit etabliert haben. 13 Auch wurde für die 18. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung am Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim (26.-28. März 2014) das Rahmenthema ‚ recipient design / Adressatenzuschnitt’ gewählt, um so das zwar wohl bekannte, jedoch erst spärlich erforschte Konzept in den Fokus der Betrachtungen zu stellen. <?page no="41"?> 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten 41 Bell 2001: 141). Die ersten Untersuchungen von Bell (1984) sind v. a. quantitativ ausgerichtet und untersuchen die Variation von Stil in Relation zu unterschiedlichen Rezipierenden in medialen Kontexten. So wird dann auch typischerweise im Bereich der Massenmedien auf dieses Konzept verwiesen (vgl. Burger & Luginbühl 2014: 12). Burger und Luginbühl (2014: 23 ff.) sprechen in diesem Zusammenhang auch von unterschiedlichen Kommunikationskreisen , um die für Massenmedien typischen Formen der Doppel- und Mehrfachadressierung adäquat zu beschreiben. Aus den Kognitionswissenschaften und der Psychologie werden zudem die Begriffe joint action und interactive alignment (z. B. Garrod & Pickering 2009) verwendet, wenn es in der Interaktion zu einer Angleichung der mentalen Repräsentationen bei den Gesprächsteilnehmenden kommt. Und das Konzept theory of mind (Premack & Woodruff 1978; vgl. auch Beiträge in Förstl 2012a) untersucht und beschreibt „die Fähigkeit bzw. den Versuch eines Individuums, sich in andere hineinzuversetzen, um deren Wahrnehmungen, Gedanken und Absichten zu verstehen“ (Förstl 2012b: 4). Auch hier geht es also um die intersubjektive Kooperation in der Interaktion. Und schliesslich spielen geteilte Wissensbestände, wie dies den kognitionswissenschaftlichen und psycholinguistischen Konzeptionen von common ground (z. B. Clark 1996) zugrunde liegt, ebenfalls eine wichtige Rolle bei gesprächslinguistischen Überlegungen zur Interaktion und Kooperation. Im Folgenden wird Recipient Design zunächst aus konversationsanalytischer Perspektive betrachtet und dann in den Zusammenhang mit den Theorien des Common Grounds und der Positionierung gestellt, welche als konstitutive Merkmale des Konzepts gelten (Kap. 2.2.1). In einem weiteren Teil werden die Praktiken des Recipient Designs unter Einbezug aktueller Untersuchungen dargestellt (Kap. 2.2.2) und abschliessend werden im Hinblick auf das untersuchte Datenmaterial die Spezifika der Mehrparteieninteraktion diskutiert (Kap. 2.2.3). 2.2.1 Recipient Design, Common Ground und Positionierung Schon in den 1970er Jahren tauchen in den Vorlesungen von Sacks Hinweise auf die Konzeption des Recipient Designs auf, beispielsweise wenn er von der ständigen Fokussierung auf das Gegenüber als „orientation to co-participants“ (Sacks 1995: II : 564 [Spring 1972, lecture 5]) spricht. Später wird der noch heute verwendete Begriff von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974: 727) eingeführt und folgendermassen definiert: <?page no="42"?> 42 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus By ‚recipient design’ we refer to a multitude of respects in which the talk by a party in a conversation is constructed or designed in ways which display an orientation and sensitivity to the particular other(s) who are the co-participants. Recipient Design verweist also auf eine Vielzahl an Ressourcen und Praktiken, die im Gespräch eine Orientierung an den Gesprächsteilnehmenden aufzeigen. Es bleibt bei dieser Definition jedoch weitgehend unklar, was unter einer Orientierung an den Gesprächsteilnehmenden („orientation and sensitivity to the particular other(s)“) genau zu verstehen ist und wie sie untersucht werden kann. Eine Orientierung an den Gesprächsteilnehmenden bedingt, dass Sprechende einschätzen können, in Bezug auf welche Aspekte der Redebeitrag auf eine Person zugeschnitten werden muss. Diese Einschätzungen können je nach Bekanntheitsgrad ad hoc oder erfahrungsbasiert gebildet werden. Jedoch kann eine Orientierung an den Anwesenden nur auf mehr oder weniger zutreffenden Annahmen basieren, die von Sprechenden über die Rezipierenden getroffen werden (vgl. Bergmann 1988: 41 f.; Deppermann & Blühdorn 2013: 8 f.; Hitzler 2013: 112 f.). Bei der weiteren Ausdifferenzierung des Begriffs müssen gemäss Deppermann und Blühdorn (2013: 8 f.) sprachlich-interaktive , kognitive und ontologische Aspekte betrachtet werden. Recipient Design bezeichnet sprachlich-interaktive Praktiken, die von Sprechenden verwendet werden, um sich an erwartbaren Merkmalen der Gesprächsteilnehmenden zu orientieren. Diese Merkmale sind nur erwartbar, denn sie stützen sich auf Annahmen über „Wissen, Motive, Emotionen, Einstellungen, Erwartungen, wahrscheinliche Reaktionen etc.“ (Deppermann & Blühdorn 2013: 8) der Gesprächsteilnehmenden. Die interaktive Zuschreibung von Eigenschaften steht in engem Zusammenhang mit dem Konzept der Positionierung und wird insbesondere unter dem Aspekt der Fremdpositionierung betrachtet (vgl. z. B. Deppermann & Blühdorn 2013: 8; Hitzler 2013). Schmitt und Knöbl (2013: 267 f.) weisen jedoch auf die „strukturelle Reflexivität“ von Positionierungsaktivitäten hin: Der eine Interaktionsbeteiligte repräsentiert durch sein recipient design nicht nur sein Gegenüber in der Interaktion in der Weise, dass er ihn / sie in interaktiv und sozial relevanter Weise positioniert. Der ‚Designer’ positioniert sich selbst in unmittelbar vergleichbarer Weise und macht auch sich selbst - vielleicht sogar in erster Linie - als spezifischen Teilnehmer mit bestimmten sozialen, kulturellen und interaktiven Besonderheiten sichtbar. <?page no="43"?> 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten 43 Aufgrund der Eigenschaft dieser doppelten Positionierungsleistung 14 schlagen die Autoren dann auch vor, den Begriff participant design 15 einzuführen und jeweils in der Analyse zu spezifizieren, welche Aspekte als fremdbezogen oder selbstbezogen betrachtet werden. Auch wenn diese begriffliche Neubestimmung durchaus überzeugend ist, soll in dieser Arbeit dennoch der Kontinuität zuliebe der in der Forschungsliteratur verankerte Begriff des Recipient Designs beibehalten werden. Die Konzeption der strukturellen Reflexivität von Positionierung und demnach von Recipient Design wird aber im Rahmen der Analysen weiterverfolgt (vgl. Kap. 2.4 zur Positionierung). Weiter muss beachtet werden, dass es sich bei getroffenen Annahmen über das Gegenüber um kognitive Entscheidungen handelt, die durch ein entsprechendes Recipient Design erst sichtbar werden. Deppermann und Blühdorn (2013: 9) erfassen diesen Aspekt des Recipient Designs unter dem Begriff Partnermodell , da es sich um gegenseitige Partnerannahmen handelt, die sich auf die Ausgestaltung der Gesprächsbeiträge auswirken (können). Die Autoren betonen, dass nicht alle Annahmen, die über die Gesprächsteilnehmenden getroffen werden, auch in der Interaktion ersichtlich werden. Bei der Analyse ist also nur der Blick auf die tatsächlichen Praktiken des Recipient Designs möglich, die durch ihre indexikalische Funktion auf die Annahmen verweisen. Unter dem ontologischen Aspekt diskutieren Deppermann und Blühdorn (2013: 9) schliesslich die Problematik der Perspektivität des Partnermodells. So handelt es sich bei den Annahmen immer um subjektive Zuschreibungen vonseiten der Sprechenden, die sich im besten Fall mit den Selbstzuschreibungen von Rezipierenden decken. So kommen Deppermann und Blühdorn (2013: 9) zum folgenden Schluss: Ob das Partnermodell korrekt ist bzw. vom Partner akzeptiert wird, kann oft nur im Zuge interaktiver Aushandlung geklärt werden. Das Partnermodell ist nicht statisch, sondern wird im Lauf der Interaktion permanent aktualisiert. Für Analysen des Recipient Designs bedeutet das also, dass wir sprachliche Praktiken untersuchen können, die Interpretationen der Annahmen und Zuschreibungen von Sprechenden über Rezipierende zulassen. Da die Annahmen interaktiv ausgehandelt werden und von den Gesprächsteilnehmenden gegebenenfalls akzeptiert oder abgelehnt werden, muss von ständig wechselnden Zuschreibungen ausgegangen werden. Schmitt und Knöbl (2013: 248) sprechen im Zusammenhang mit der interaktiven Aushandlung des Recipient Designs auch 14 Vgl. Kap. 2.4.3 zur Konzeption von Selbst- und Fremdpositionierung, die in ähnlicher Weise von einer grundlegend reflexiven Positionierung ausgeht. 15 Vgl. allerdings den schon früher von Selting (1987: 129) verwendeten Begriff des Partnerdesigns als Entsprechung von Recipient Design. <?page no="44"?> 44 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus von der „sequenzielle[n] Intersubjektivierung“ und beobachten, dass sich das Recipient Design in gemeinsam ausgehandelten Sequenzen über drei Phasen hinweg manifestiert, nämlich über Angebot, Reaktion und Ratifikation. Wenn davon ausgegangen wird, dass Gesprächsbeiträge jeweils ausgehend von eigenen Annahmen über das Gegenüber gestaltet werden, so geht es beim Recipient Design in anderen Worten darum, Annahmen zum gemeinsamen Wissen zu bilden und laufend zu aktualisieren. Dieses gemeinsame Wissen ist auch unter dem Konzept common ground oder grounding bekannt (vgl. Clark 1996; Clark & Brennan 1991; Clark & Schaefer 1989; Stalnaker 2002) und lässt sich mit der Konzeption des Recipient Designs vergleichen (vgl. zum Zusammenhang von Recipient Design und Common Ground auch Deppermann & Blühdorn 2013: 9 f.). Auch Clark (1996: 92) erkennt die Problematik des tatsächlichen und des nur vorausgesetzten Wissens: Everything we do is rooted in information we have about our surroundings, activities, perceptions, emotions, plans, interests. Everything we do jointly with others is also rooted in this information, but only in that part we think they share with us. The notion needed here is common ground. Aus dieser Einführung zum Common Ground geht deutlich hervor, dass wir uns bei Interaktionen (als Form einer gemeinsamen Aktivität) grundsätzlich auf das als geteilt angenommene Wissen verlassen und dabei keine Aussage über tatsächlich vorhandene Wissensbestände beim Gegenüber machen können. Gemäss Jucker und Smith (1996: 2) umfasst Common Ground einerseits das vermutete gemeinsame Wissen und andererseits auch die lokalen Entscheidungen bei der sprachlichen Ausführung, wie z. B. die Einschätzung, welche Referenzen im gegebenen Kontext für die Rezipierenden klar und unmissverständlich sind. Beispielsweise reicht in einer denkbaren Situation in einem Beurteilungsgespräch die Namenreferenz Frau Schütz aus, wenn allen Anwesenden bekannt ist, wer Frau Schütz ist. Sollte dieses Wissen jedoch nicht allen bekannt sein, müsste weiter präzisiert werden, dass es sich bei Frau Schütz z. B. um die Klassenlehrerin der Parallelklasse handelt. Ist dieses Wissen im Gespräch etabliert und ratifiziert, kann im späteren Verlauf des Gesprächs eine unkommentierte Namenreferenz ausreichen. Jede Äusserung in der Interaktion ergänzt und bestätigt die Annahmen über vorhandene Wissensbestände beim Gegenüber. Deppermann und Blühdorn (2013: 10) sprechen zur weiteren Differenzierung von individual ground , um die vermuteten Wissensbestände bei Adressierten zu bezeichnen. Demnach ist es eine der Hauptaufgaben des Recipient Designs, die Inhalte der individuellen Wissensbestände von Sprechenden und Rezipierenden als Common Ground zu etablieren und auszuhandeln. <?page no="45"?> 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten 45 Wie die Definitionen zeigen, umfasst Recipient Design als Konzept sowohl die Aushandlung von Wissensbeständen als auch die Zuschreibung von Identitäts- und Beziehungsmerkmalen. Dadurch steht das Konzept des Recipient Designs den Theorien des Common Grounds und der Positionierung sehr nahe. Es stellt sich hier abschliessend die Frage, ob es sich beim Recipient Design um eine grundsätzliche Charaktereigenschaft eines jeden Gesprächsbeitrags handelt oder ob eine Äusserung auch ‚nicht recipient designed’ sein kann. In der ursprünglichen Konzeption des Begriffs wird diese Frage offen gelassen, allerdings wird in derselben Publikation vermerkt, dass Recipient Design „perhaps the most general principle which particularizes conversational interactions“ (Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 727) sei. Auch Deppermann (2008a: 81) bezeichnet Recipient Design als nicht vermeidbare Aufgabe bei jedem Gesprächsbeitrag. Diesen Feststellungen sowie den Überlegungen von Schmitt und Knöbl (2013) schliesse ich mich an und verstehe Recipient Design als grundlegendes Prinzip mündlicher Kommunikation. Demnach sind Gesprächsbeiträge „nichthintergehbar recipient designed“ (Schmitt & Knöbl 2013: 247), 16 da sie in der Interaktion entstehen und dadurch immer an jemanden gerichtet sind. Es sollte also nicht in erster Linie um die Frage gehen, ob ein Gesprächsbeitrag ‚recipient designed’ ist oder nicht, sondern es handelt sich beim Recipient Design um eine mögliche Analyseperspektive 17 auf ein Phänomen, welches theoretisch in jedem Gespräch untersuchbar wäre. 2.2.2 Lokale Ausrichtung am Gegenüber Im Folgenden gilt es zu klären, welche Praktiken des Recipient Designs bzw. welche Design-Aktivitäten (Schmitt & Knöbl 2014: 95 ff.) von den Gesprächsteilnehmenden eingesetzt werden. Schmitt und Knöbl (2014: 96) führen den Begriff der Design-Aktivitäten ein, um zwischen den „einzelnen lokalen, im Zweifelsfall gut isolierbaren Aktivitäten mit Design-Relevanz“ und dem „Recipient Design als kohärentes und konsistentes Gesamt einzelner lokaler Design-Aktivitäten“ 16 Gemäss Reinhold Schmitt (am 26. 03. 2014 im Rahmen seines Vortrages mit Ralf Knöbl zum Thema Multimodales ‚recipient design’, Mehrpersonenkonstellationen und Aktivitätssensitivität , 18. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung, IDS Mannheim) liesse sich zugespitzt formulieren: „Man kann nicht nicht recipient designen! “ (in Anlehnung an Watzlawick, Beavin & Jackson 1969). 17 Obwohl diese Ansicht an anderen Stellen bereits impliziert wird, geht diese Formulierung auf Elisabeth Gülich zurück, die in einer Diskussionsrunde im Anschluss an einen Vortrag (26.-28. 03. 2014, 18. Arbeitstagung zur Gesprächsforschung, IDS Mannheim) pointiert darauf hinwies, dass Recipient Design eine unter vielen möglichen Analyseperspektiven sei, die man einnehmen könne, aber nicht müsse. Und dadurch wird die Frage hinfällig, ob etwas ,recipient designed‘ oder ‚nicht recipient designed‘ sei. <?page no="46"?> 46 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus zu differenzieren. Demnach sind es die konkreten Design-Aktivitäten, die sich in der Interaktion im spezifischen Kontext untersuchen lassen. Das Recipient Design hingegen ist u. a. das Ergebnis dieser dynamischen, situierten Aktivitäten und umfasst eine „ganzheitliche Konzeption des Anderen mit unterschiedlichen sozial-kategorialen Facetten und Implikationen“ (Schmitt & Knöbl 2014: 96). Die Ausprägung des Recipient Designs lässt sich somit erst auf einer Makroebene, und dies jeweils fallbezogen, beantworten. In der ursprünglichen Konzeption des Recipient Designs von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974: 727) bleiben die Ausführungen in Bezug auf die relevanten Praktiken mit der Formulierung „a multitude of respects“ noch sehr allgemein. In den weiteren Ausführungen wird - allerdings erst unspezifisch - darauf verwiesen, dass sich die Hinwendung zu den Rezipierenden auf verschiedenen Ebenen der Ausgestaltung des Turns aufzeigen lässt, wie beispielsweise bei der Wortwahl, der Abfolge von Äusserungen sowie der Art und Weise der Gesprächseröffnung und -beendigung. Welche spezifischen Praktiken hierbei eine Rolle spielen, zeigen die im Folgenden vorgestellten Forschungsarbeiten, die sich mit Aspekten des Recipient Designs beschäftigt haben. Frühe Untersuchungen zum Recipient Design beschäftigen sich insbesondere mit Personenreferenzen (vgl. z. B. Goodwin 1981; Lerner 1996a; Malone 1997; Sacks & Schegloff 1979; Schegloff 1996a). So kann je nach Verwendung der Referenzen angezeigt werden, wer aktuell mit einer Äusserung erreicht werden möchte, in welchem Verhältnis Personen zueinander stehen und wem welche Beteiligungsrollen zugestanden werden (vgl. z. B. Malone 1997: 42 ff.). Weiter zeigt Maynard (1991a; 1991b; 1992; 1996; 2003) in seinen Studien zur Übermittlung guter und schlechter Nachrichten im medizinischen Bereich, wie ÄrztInnen in mehrschrittigen Verfahren die Perspektive der Rezipierenden bearbeiten. Durch diese Perspektivenübernahmen oder sogenannten perspective display series beziehen sie die Sicht der Rezipierenden im Design ihrer nachfolgenden Nachricht mit ein. Ebenfalls im Zusammenhang mit verzögertem Überbringen von Nachrichten und dadurch starker Ausrichtung am Gegenüber, lassen sich schliesslich Schegloffs (1980) frühe Untersuchungen zu preliminaries to preliminaries betrachten. Und Pomerantz (1984) untersucht in ihrem vielrezipierten Aufsatz, dies jedoch ohne Bezugnahme auf das Konzept des Recipient Designs, die interaktive Herstellung und Bearbeitung von Bewertungen. An diese Studien knüpft Malone (1995; 1997) an und schlägt vor, das Identitätskonzept altercasting (vgl. Weinstein & Deutschberger 1963) als Form des Recipient Designs zu betrachten. Mit altercasting werden Selbst- und Fremd- <?page no="47"?> 2.2 Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten 47 positionierungen projiziert und dadurch intersubjektiv hergestellt. 18 Malone (1997: 106 ff.) beobachtet dabei Mechanismen der perspective display series , die es ermöglichen, eigene Positionierungen erst nach gemeinsam etablierten Perspektiven anzubringen. Damit zeigt Malone erstmals die Verbindung zwischen Positionierung und Recipient Design auf. Grundsätzlich sind all diejenigen Praktiken in den Zusammenhang mit dem Recipient Design zu setzen, die dazu dienen, gemeinsames Verstehen auszuhandeln und sicherzustellen, dass das Gesagte als Teil des Common Grounds gelten kann (vgl. Deppermann & Blühdorn 2013: 10; vgl. auch Deppermann 2008b; Hitzler 2012: 131 ff.). Dazu gehören Rückmeldeverhalten, Reparaturen 19 und Reformulierungen, die vielfach in der konversationsanalytischen Forschung thematisiert werden, wenn auch häufig keine explizite Verbindung zu dem Konzept des Recipient Designs hergestellt wird. Deppermann und Blühdorn (2013) zeigen beispielsweise in ihrer Studie, dass Negation als verstehenssteuerndes Verfahren und damit als spezifische Design-Aktivität betrachtet werden kann. So können durch Negationen mögliche Interpretationen des Gesagten, die jedoch nicht intendiert sind, bei den Gesprächsteilnehmenden ausgeschlossen werden. Schmitt und Knöbl (2013; 2014) stellen schliesslich erste Überlegungen zum multimodalen Recipient Design an und zeigen, dass zusätzlich zur Verbalität weitere Ressourcen wie Blickverhalten, Körperausrichtung und Gestik das Recipient Design beeinflussen. Für die multimodale Interaktionsforschung muss daher auch die bisherige Konzeption überdacht und erweitert werden. Schmitt und Knöbl nehmen Präzisierungen des Konzepts vor, die auch für die folgenden Überlegungen wichtig sind, obschon die vorliegenden Daten keine multimodale Analyse zulassen. Die Ausführungen zu Design-Aktivitäten können nicht als abschliessende Zusammenschau verstanden werden, sondern es soll damit aufgezeigt werden, welche Breite das Konzept des Recipient Designs abdeckt und welche Aspekte als für das Konzept konstitutiv betrachtet werden. In der empirischen Analyse der vorliegenden Studie sollen Praktiken der Adressierung und des Gebrauchs von Referenzen in den Zusammenhang gebracht und auf ihre Funktionen hin 18 Vgl. die Definition von Weinstein und Deutschberger (1963: 454): „Altercasting is defined as projecting an identity, to be assumed by other(s) with whom one is in interaction, which is congruent with one’s own goals.“ 19 Selting (1987: 129) nennt im Zusammenhang von Reparaturen explizit ein „unzutreffendes Partnerdesign“ als Auslöser von Verständigungsproblemen: „Reparaturen bearbeiten damit ganz allgemein Störungen der Interaktion, die durch verschiedene Typen von Verstehens- oder Verständigungsproblemen, u. a. ein unzutreffendes Partnerdesign (‚recipient design’), ausgelöst wurden.“ <?page no="48"?> 48 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus untersucht werden. Weiter soll es darum gehen, die für schulische Beurteilungsgespräche typischen Positionierungsaktivitäten zu spezifizieren. 2.2.3 Aufgaben und Herausforderungen in der Mehrparteieninteraktion Im Vergleich zu dyadischen Gesprächen sehen sich Gesprächsteilnehmende in Mehrparteieninteraktionen mit zusätzlichen Aufgaben und Herausforderungen konfrontiert, die massgeblich mit dem Recipient Design und der Gesprächsorganisation in Verbindung stehen (vgl. z. B. Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 712 ff.; Schegloff 1996b: 19 ff.). Zum einen müssen sich Gesprächsteilnehmende jeweils gleichzeitig an mehreren Rezipierenden orientieren und ihre Äusserungen so gestalten, dass möglichst alle Beteiligten in Bezug auf ihre Wissensbestände, Rollen etc. optimal berücksichtigt werden (vgl. Hitzler 2012: 117 ff.; 2013: 113 ff.). Zum anderen kann in Gruppengesprächen im Prinzip jede anwesende Person den nächsten Turn übernehmen und so muss angezeigt werden, wer beispielsweise auf eine Frage antworten soll. Die Zuweisung des Rederechts gewinnt dadurch an zusätzlicher Bedeutung und kann durch spezifisches Turn Design und durch die Verwendung von Adressierungsformen und Referenzen verdeutlicht werden (vgl. z. B. Malone 1997: 42 ff.; Schegloff 1996b: 20). Da in Mehrparteieninteraktionen davon ausgegangen werden muss, dass die einzelnen Beteiligten über verschiedene Wissensbestände verfügen, zeigt sich eine Komplexität des Recipient Designs bei der Konstruktion von Common Ground. Wenn nicht alle Gesprächsbeteiligten über das in der Interaktion relevante Wissen verfügen, kann es zur Situation kommen, dass an verschiedenen Stellen Wissen für das Gespräch aufbereitet wird, über das mindestens eine rezipierende Person bereits verfügt und für den / die das Gesagte nur eine Wiederholung ist. Sacks beurteilt eine derartige Wiederholung vor denselben Rezipierenden als Missachtung der Maxime des Recipient Designs, welches bei ihm lautet: „A speaker should, on producing the talk he does, orient to his recipient“ (Hervorhebung im Original entfernt) und woraus er die logische Konsequenz zieht, dass „if you’ve already told something to someone then you shouldn’t tell it to them again, or if you know in other ways that they know it then you shouldn’t tell it to them at all“ (Sacks 1995: II : 438 [Fall 1971, lecture 4]). So formuliert mag die Maxime auf dyadische Interaktionen zutreffen, wo die Orientierung am Gegenüber implizieren kann, dass Wissen nicht wiederholt für diese Person aufbereitet wird. In der Mehrparteieninteraktion scheint es jedoch fast unmöglich zu sein, dieser Maxime gerecht zu werden, da unterschiedliche Rezipierende nicht denselben Wissensstand aufweisen. Die Maxime macht insofern nur dann Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass eine Äusserung einen <?page no="49"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 49 Neuigkeitswert für mindestens eine anwesende Person aufweist. M. E. lässt Sacks’ Formulierung diese Lesart offen, im Gegensatz dazu geht jedoch Hitzler (2013: 113) davon aus, dass gemäss Sacks „nicht problemlos eine Erzählung wiedergegeben werden [kann], wenn unter den anwesenden Empfängern eine Person ist, die diese Erzählung bereits kennt“. Folgt man dieser Interpretation, so hat die Maxime in vielen Mehrparteieninteraktionen keine Geltung. In den folgenden Analysen soll aber weniger von einer Missachtung der Maxime ausgegangen werden, sondern die Maxime soll als Ausgangspunkt der Betrachtung genommen werden. Interessant ist etwa, diejenigen Kontexte zu untersuchen, in denen Wissen aufbereitet wird, welches mindestens einer anwesenden Person schon bekannt ist. In Bezug auf die Adressierung drängt sich in Mehrparteieninteraktionen eine begriffliche Differenzierung auf, um zwischen gemeinten und tatsächlichen Rezipierenden zu unterscheiden. In den unterschiedlichen Untersuchungen und Konzeptionen des Recipient Designs tauchen die Begriffe AdressatInnen , RezipientInnen und Gesprächsteilnehmende mit teilweise anderen Implikationen auf. In Anlehnung an Levinson (1988: 171 ff.) werden als Adressierte diejenigen Rezipierenden verstanden, die direkt adressiert werden. Die Adressierung kann auf drei Ebenen erfolgen: durch sprachliche Adressierungsformen, durch ein spezifisches Recipient Design sowie durch die Körperorientierung (Gesten, Blickverhalten) bzw. durch eine Kombination der verschiedenen Verfahren (vgl. Hartung 2001: 1348 ff.; Levinson 1988: 174), wobei allerdings in den vorliegenden Audiodaten nur erstere Verfahren untersucht werden können. Als sprachliche Adressierungsformen zählen Personalpronomen, Eigennamen, Titel oder auch Code-Switching (vgl. Hartung 2001: 1351; Levinson 1988: 179). Der Begriff der Rezipierenden gilt für all diejenigen, die mit dem Gesagten erreicht werden wollen, für die also eine Äusserung gestaltet wird (vgl. Konzeption des Recipient Designs). Gesprächsteilnehmende schliesslich sind ratifizierte Beteiligte der Interaktion. Die weitere Ausdifferenzierung der Beteiligungsrollen ist Bestandteil der folgenden Überlegungen (vgl. v. a. Kap. 2.3.1). 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung Mit dem Recipient Design hängt auch unmittelbar die Ausgestaltung und Organisation interaktiver Beteiligung zusammen, denn bei der gemeinsamen Aushandlung der jeweiligen Beteiligungsrolle ist die Ausrichtung am Gegenüber unumgänglich. Grundsätzlich lässt sich für die Beteiligungsrollen festhalten, „dass Sprecher - in ihrer Sprecherrolle - auch hören und dass Hörer, während sie zuhören, auch sprechen“ (Schwitalla 1993: 69). Im Folgenden werden die <?page no="50"?> 50 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Beteiligungsrollen zuerst isoliert auf Rezeptions- und Produktionsseite betrachtet, um schliesslich das Zusammenwirken der Gesprächsteilnehmenden in der Interaktion zu diskutieren. 2.3.1 Beteiligungsrollen in der Interaktion Von Goffman (1981), und später ausführlicher von Levinson (1988), wird eine begriffliche Ausdifferenzierung der Kategorien HörerIn und SprecherIn vorgeschlagen, die der Komplexität der möglichen Aktivitäten gerecht werden soll. Seine Überlegungen zu den verschiedenen Rollen der Beteiligten beginnt Goffman (1979; 1981) 20 mit der Einführung des Begriffs footing , was soviel bedeutet wie „the alignment we take up to ourselves and the others present as expressed in the way we manage the production or reception of an utterance“ (Goffman 1981: 128). Levinson (1988: 163) ersetzt footing durch den Begriff participant role , welcher hier mit Beteiligungsrolle übersetzt wird. Während die Ausführungen von Goffman theoretischer Natur sind, versucht Levinson (1988: 164 f.) empirische Evidenzen für die vorgeschlagenen Konzeptionen zu liefern und präsentiert weitere Einteilungen, die auf seinen Analysen zu grammatischen Kategorien in verschiedenen Sprachen und zum tatsächlichen Sprachgebrauch basieren. Im Folgenden werden zuerst die Beteiligungsrollen aufseiten der Rezipierenden dargestellt. Dabei geht es im Wesentlichen darum, dass in der Mehrparteieninteraktion die Anwesenden unterschiedliche Rollen einnehmen. Die Beteiligungsrollen aufseiten der Sprechenden sind im ersten Moment hingegen nicht so klar ersichtlich wie diejenigen aufseiten der Rezipierenden. Gemeint ist unter anderem, dass Sprechende nicht nur ihre eigenen Positionen vertreten, sondern auch Redeanteile von anderen Figuren in die eigene Rede einbetten. Es geht in dieser Diskussion also u. a. um verschiedene Arten der Redewiedergabe. Beteiligungsrollen der Rezipierenden Rezipierende können auf ganz unterschiedliche Art in einer Interaktion beteiligt sein, weshalb Goffman (1981: 131 ff.) den Beteiligungsrahmen ( participation framework ) entwickelt und unterschiedliche Beteiligungsrollen unterscheidet. Dadurch wird erstmals eine Differenzierung der Gesprächsbeteiligten vorgenommen, die eine Untersuchung dessen erlaubt, welche Rezipierenden die hauptsächlich gemeinten und welche eher zufällige Mithörende einer Äus- 20 Die Seitenzahlen beziehen sich im Folgenden auf Goffmans Kapitel Footing in Forms of talk (1981), welches zuvor als Zeitschriftenartikel in Semiotica erschienen ist (Goffman 1979). <?page no="51"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 51 serung sind. Grundsätzlich nimmt er eine Unterteilung in ratifizierte und nichtratifizierte Beteiligte vor, wobei erstere einen ‚offiziellen’ Teilnahmestatus haben und letztere eher zufällige Rezipierende einer Aussage werden. Bei den ratifizierten Beteiligten unterscheidet Goffman (1981: 133) im Falle von Mehrparteieninteraktionen die adressierten und die nicht-adressierten Rezipierenden . Adressierte Rezipierende sind oriented to by the speaker in a manner to suggest that his words are particularly for them, and that some answer is therefore anticipated from them, more so than from the other ratified participants (Goffman 1976: 260). Sie zeichnen sich also einerseits dadurch aus, dass von ihnen gelegentlich die Turnübernahme erwartet wird. Andererseits sind die adressierten Rezipierenden auch diejenigen, für die eine optimale Ausgestaltung des Recipient Designs vorliegt ( „oriented to by the speaker in a manner to suggest that his words are particularly for them“). Diese Verbindung von Beteiligungsrollen und Recipient Design wird von Goffman nicht hergestellt, jedoch ist die Nähe der beiden Konzeptionen kaum zu übersehen. Was Goffman hier unter Adressierung versteht, kann m. E. als Design-Aktivitäten verstanden werden (vgl. Kap. 2.2). Während die Adressierung zwar teilweise sprachlich realisiert wird, spielen Blickverhalten und Körperzuwendung eine wichtige Rolle und so muss bei einer umfassenden Analyse der Adressierung die multimodale Umsetzung mitbeachtet werden (vgl. Goffman 1981: 133; Lerner 2003: 178). Vor diesem Hintergrund werden für die Analysen zu den Beteiligungsrollen (vgl. Kap. 6) insbesondere Sequenzen gewählt, die beispielsweise aufgrund ihrer expliziten verbalen Adressierung eine Aussage zulassen. Als explizite Adressierung werden die namentliche Adressierung sowie die Anredepronomen gezählt (vgl. Lerner 2003: 178, 182 ff.), welche im Falle des Deutschen eine eindeutige Referenz sein können, wenn beispielsweise eine Lehrperson zu einem Kind (Verwendung von du ) oder zu einer anderen erwachsenen Person (Verwendung von Sie ) spricht. 21 Die Kategorie der nicht-ratifizierten Beteiligten nennt Goffman (1981: 132) bystanders und gliedert sie in zufällig Mithörende ( overhearers ) und absichtlich Lauschende ( eavesdroppers ). Bei beiden Untergruppen betont er den nicht-offiziellen Status der Teilnehmenden. Allerdings können Sprechende die nicht-ratifizierten Beteiligten unter Umständen auch wahrnehmen, beispielsweise wenn sich Personen in Hörweite befinden, sie aber dennoch nicht zu den ratifizierten Beteiligten der fokussierten Interaktion gehören. So ist bei 21 Während im Deutschen die Anredepronomen sprachlich ausdifferenziert sind in du , Sie und ihr , zeigt sich in Lerners (2003: 182 ff.) Untersuchung eine weitere Problematik bzgl. der nicht eindeutigen englischen Referenz you . <?page no="52"?> 52 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus vielen Gesprächen im öffentlichen Raum die Anwesenheit von nicht-ratifizierten Beteiligten durchaus die Regel (vgl. Goffman 1981: 132). Hingegen kann bei den vorliegenden Daten von schulischen Beurteilungsgesprächen in jedem Fall von offiziellen Gesprächsteilnehmenden gesprochen werden, da die Gespräche in geschlossenen Räumen stattfinden und alle Teilnehmenden auch ratifizierte Beteiligte des Gesprächssettings sind. Levinson (1988) hat in Bezug auf Goffmans Beteiligungsrahmen eine wichtige Ergänzung angebracht. So zeigt er, dass die Beteiligungsrollen aufseiten der Rezipierenden ( participant roles ) in ein sehr viel komplexeres Gefüge einbezogen werden können, nämlich beispielsweise wenn nicht-adressierte Rezipierende der Interaktion die eigentlich gemeinten Adressierten sind ( indirect target ) (vgl. Levinson 1988: 173, 210 ff.). In Beispielen zeigt Levinson (1988: 211 f.), dass typischerweise indirekt adressierte Rezipierende unmittelbar auf Äusserungen, die an eine andere Person gerichtet, aber für sie gemeint sind, antworten. Dies wiederum bestätige, dass die Adressierung gelegentlich eine Turnübergabe an die adressierte Person bewirkt. Die Schwierigkeit, die sich bei der Analyse (aber v. a. auch für die Interagierenden selbst) ergibt, ist es, die gemeinten Beteiligungsrollen in der Interaktion zu erkennen. Levinson (1988: 212 f.) nennt als Indikatoren u. a. die sequenzielle Umgebung der Äusserung, das Turn Design, Referenzen der dritten Person auf die indirekt adressierte Person oder Blickzuwendungen nach der Äusserung. Hier wird deutlich, dass die Kategorie der ratifizierten Adressierten ungenügend definiert ist, wenn nicht auch die indirekt adressierten Rezipierenden beachtet werden. Beteiligungsrollen beim Produzieren von Äusserungen Goffman (1981: 145) kritisiert, dass beim Gebrauch des Begriffs SprecherIn meist nicht unterschieden wird, ob beim Sprechen bloss die eigene Stimme geliehen wird oder ob es sich auch um die eigenen Worte und / oder die eigene Position handelt. Vielmehr werden alle drei Rollen in einem Begriff impliziert - eine Vereinfachung, die jedoch nicht grundsätzlich überrasche, da sie häufig auch zutreffe. 22 Für einige Fälle des Sprechens sei jedoch eine Differenzierung nötig und so führt Goffman (1981: 144 ff.) in der Kategorie des Produktionsformats ( production format ) die Begriffe AnimatorIn ( animator ), AutorIn ( author ) und Auf- 22 Dass im Normalfall alle drei Rollen von einem / einer SprecherIn eingenommen werden, zeige sich darin, dass der Terminus SprecherIn kaum zu umgehen sei: „When one uses the term ‚speaker’, one often implies that the individual who animates is formulating his own text and staking out his own position through it: animator, author, and principal are one. What could be more natural? So natural indeed that I cannot avoid continuing to use the term ‚speaker’ in this sense, let alone the masculine pronoun as the unmarked singular form.“ (Goffman 1981: 145) <?page no="53"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 53 traggeberIn (principal ) ein. Der bzw. die AnimatorIn übernimmt die physische Produktion einer Äusserung und ist in Goffmans Worten eine sounding box oder talking machine (Goffman 1981: 144). 23 In Fällen, in denen die geäusserten Worte jedoch inhaltlich und formell von einer weiteren Person zu verantworten sind, trifft die Rolle des Autors bzw. der Autorin zu. Und schliesslich nennt Goffman Situationen, in denen die soziale Verantwortung weder bei der sprechenden, noch bei der formulierenden Person liegt, sondern bei dem bzw. der AuftraggeberIn: „someone whose position is established by the words that are spoken, someone whose beliefs have been told, someone who is committed to what the words say“ (Goffman 1981: 144). Diese Rolle äussere sich beispielsweise dadurch, dass Personen von wir anstatt ich sprechen und dadurch nur als Vertretende einer grösseren Gemeinschaft auftreten, was gerade in institutioneller Kommunikation typisch ist (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 30 f.; Levinson 1988: 203). Diese drei Beteiligungsrollen auf der Produktionsseite können dahingehend verändert werden, dass Sprechende sich selbst oder andere Personen als Figuren in der Rede einbetten können: [A]s speaker, we represent ourselves through the offices of a personal pronoun, typically ‚I’, and it is thus a figure - a figure in a statement - that serves as the agent, a protagonist in a described scene, a ‚character’ in an anecdote, someone, after all, who belongs to the world that is spoken about, not the world in which the speaking occurs. (Goffman 1981: 147, Hervorhebung im Original) Sprechende können sich selbst in die Rede einbeziehen und dadurch eine eingebettete Figur animieren, was durch Redewiedergabe oder durch metakommunikative Äusserungen (z. B. Ich wollte damit ausdrücken, dass… ) erreicht werden kann. Die Figur entspricht in diesem Fall dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn, weshalb auch von zwei AnimatorInnen gesprochen werden kann: [T]wo animators can be said to be involved: the one who is physically animating the sounds that are heard, and an embedded animator, a figure in a statement who is present only in a world that is being told about, not in the world in which the current telling takes place. (Goffman 1981: 149) Es geht Goffman in dieser ersten Darstellung erst um das Einbetten der eigenen Figur, wenn wir nämlich beim Sprechen auf uns selbst verweisen. Dabei macht er den Unterschied zwischen dem beschriebenen Setting und dem tatsächlichen 23 AnimatorInnen und RezipientInnen können strukturell auf derselben Abstraktionsstufe betrachtet werden (vgl. Goffman 1981: 144): Erstere sind die hörbaren SprecherInnen und Letztere die wahrnehmbaren HörerInnen. <?page no="54"?> 54 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Setting der Äusserung. Jedoch zeigt Goffman an späterer Stelle, dass der Begriff der eingebetteten Figur nicht nur auf die sprechende Person zutrifft und also eine Figur nicht unbedingt dem bzw. der eingebetteten AnimatorIn entsprechen muss, sondern auch eingebettete AutorInnen und AuftraggeberInnen möglich sind: Following the same argument, one can see that by using second or third person in place of first person we can tell of something someone else said, someone present or absent, someone human or mythical. We can embed an entirely different speaker into our utterance. (Goffman 1981: 149, Hervorhebung im Original) Goffman (1981: 128, 151) spricht also von einem Wechsel der Beteiligungsrollen ( change in footing ), wenn Sprechende durch die Wiedergabe fremder oder eigener Rede (oder Gedanken) Figuren einbetten. Dieser Wechsel zeigt sich insbesondere darin, dass die drei vorgestellten Rollen (AnimatorIn, AutorIn und AuftraggeberIn) nicht mehr durch dieselbe Person ausgeführt werden, sondern teilweise an die Figur übergehen. Wie aus den zitierten Stellen hervorgeht, kann es sich bei der eingebetteten Figur um die eigene Person handeln, um eine andere - anwesende oder abwesende - Person, oder gar um eine fiktive Person. Für Levinsons leicht abweichende Aufgliederung der Beteiligungsrollen auf der Produktionsseite - bei ihm production roles genannt - sei auf seine Darstellungen verwiesen (Levinson 1988: 170 ff.). Hier möchte ich v. a. auf einen Punkt eingehen, nämlich auf seinen Hinweis, dass sich bei der indirekten Redewiedergabe auch die übermittelnde Person (AnimatorIn bzw. transmitter bei Levinson) an der Ausgestaltung des Gesagten beteiligt und eine Trennung der Rollen folglich schwierig ist. So lässt sich nicht genau unterscheiden, bei wem die inhaltliche (AutorIn bzw. composer bei Levinson) und soziale Verantwortung (AuftraggeberIn bzw. motivator bei Levinson) 24 liegt und folglich ist die eingebettete Figur nicht ohne Weiteres als Verantwortende für Form und Inhalt anzusehen (vgl. Levinson 1988: 177). Eine begriffliche Bestimmung kann in solchen Fällen kaum zufriedenstellend vollzogen werden. Levinson bezieht seinen Hinweis auf die indirekte Redewiedergabe und vollzieht damit eine gängige Trennung zwischen direkter Redewiedergabe, welche eine wörtliche Übernahme der Originaläusserung meint, und der indirekten Redewiedergabe, welche nur den Inhalt, jedoch nicht die Form des tatsächlich Geäusserten wiedergibt. Dass sich jedoch auch bei der direkten Redewiedergabe keine klare Trennung der Beteiligungsrollen ziehen lässt und Sprechende bei der Realisierung einer direkten Redewiedergabe ebenfalls die Form und 24 Die Begriffe composer und motivator werden zudem unter dem Begriff source zusammengefasst (vgl. Levinson 1988: 170 ff.). <?page no="55"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 55 auch den Inhalt mitgestalten können, zeigt die jüngere Forschung zur Redewiedergabe (vgl. z. B. Brünner 1991; Ehmer 2011; 2013; Günthner 1997; 1999; 2000a; 2002; 2009; Imo 2009; König 2013; Kotthoff 2005; 2008; Mayes 1990). So bezweifelt beispielsweise Günthner (1997: 229), ob die exakte, wortwörtliche Redewiedergabe überhaupt möglich sei (man bedenke dabei auch die Prosodie, Stimmqualität, Pausen etc.) und betont, dass Faktoren wie Intention, Kontext und lokale Interpretation der Redewiedergabe die Äusserung beeinflussen: [D]ie Darstellungsweise der zitierten Rede orientiert sich an den interaktiven Absichten, dem kommunikativen Kontext und der gemeinsamen Interpretationsaushandlung der Interagierenden. (Günthner 1997: 229) Die interaktiven Absichten beim Gebrauch der Redewiedergabe können vielfältig sein und finden v. a. in den Arbeiten von Günthner Beachtung. Als eine der wichtigsten Funktionen hebt Günthner (1997; 1999; 2000a; 2002; 2009), aber auch andere AutorInnen (z. B. Bublitz & Bednarek 2006; Ehmer 2011; Kotthoff 2005), die Bewertungsleistung der Redewiedergabe hervor. Die Bewertung kann sich dabei sowohl auf die Person beziehen, die für das Gesagte ursprünglich verantwortlich war, als auch auf die Form oder den Inhalt des Gesagten: Evaluation is the central pragmatic function of reported speech. It can be related to its three main components: the source (who is responsible for the reported proposition), the reporting expression (referring to the source’s saying), and the reported proposition(s) (what is reported). (Bublitz & Bednarek 2006: 550) Neben der Intention spielt der Kontext eine wichtige Rolle. So spricht Günthner (1997: 229) bei der Redewiedergabe grundsätzlich von einer De- und Rekontextualisierung , da eine zitierte Äusserung jeweils aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgegriffen und in einen neuen Kontext integriert wird, was unweigerlich eine Veränderung des Gesagten mit sich bringt. Und schliesslich erfährt die neu eingebettete Rede auch eine neue Bedeutung durch die Interagierenden, die sich interaktiv dazu positionieren. In Bezug auf die Beteiligungsrollen heisst das, dass der bzw. die AnimatorIn immer auch das Geäusserte mitverantwortet, sowohl inhaltlich als auch wertend. Um die verschiedenen Beteiligungsrollen innerhalb des Geäusserten zu markieren, verwenden Sprechende u. a. prosodische Verfahren, weshalb auch von einer „Stimmenvielfalt“ oder „Polyphonie“ gesprochen werden kann (Günthner 2002; vgl. auch Kotthoff 2008; Tannen 2007). In den aufgenommenen Beurteilungsgesprächen sind nicht nur direkte Redewiedergaben interessant, sondern es weisen sich im Besonderen diejenigen Formen der Redewiedergabe als funktional aus, die sich nicht auf tatsächlich Geäussertes, sondern auf imaginierte Aussagen oder Gedanken beziehen. Diese <?page no="56"?> 56 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Form der Redewiedergabe wird von Ehmer (2011) erstmals im Detail untersucht und mit dem Begriff animierte Rede eingeführt. 25 Es handelt sich dabei um die „Einbettung einer Figur in die eigene Äusserung“ (Ehmer 2011: 63), wobei es sich nicht um reale Vorkommnisse, sondern um mögliche Szenarios oder Zuschreibungen handelt. Es werden also fiktive Dialoge, Monologe oder Gedanken meist fremder Figuren (aber auch der eigenen Figur) von den Sprechenden bzw. AnimatorInnen in der Form direkter Redewiedergabe dargestellt. Diese Äusserungen, Handlungen oder Verhaltensweisen sind fiktiv, da ihnen keine Originaläusserung vorausgeht. Unter einem Szenario verstehe ich gemäss Brünner (2005: 313) „einen verbalen Entwurf einer kontrafaktischen Situation“, wobei sie sich dabei nicht explizit auf die Redewiedergabe bezieht, jedoch die wörtliche Rede als häufiges sprachliches Mittel erwähnt (vgl. Brünner 2005: 323). Szenarios werden von Brünner und Gülich (2002: 81) als eine Form der Veranschaulichung herausgearbeitet, die insbesondere einen verbesserten Adressatenbezug herstellen und somit in direktem Zusammenhang mit dem Recipient Design zu verstehen sind. Veranschaulichung wird als Verfahren verstanden, welches „auf der Annahme bestimmter Schwierigkeiten in der Verständigung [operiert]“ (Brünner & Gülich 2002: 22) und die Hauptfunktion besitzt, dass sich die Gesprächsbeteiligten das Dargestellte besser vorstellen können (vgl. Brünner & Gülich 2002: 78; vgl. auch Beiträge in Birkner & Ehmer 2013). Eine wichtige Leistung der Redewiedergabe, die auch für die animierte Rede gilt, ist die Involvierung der Beteiligten in das dargestellte Geschehen (vgl. z. B. Brünner 1991: 6; Ehmer 2011: 160). Brünner (1991: 2) spricht metaphorisch von der direkten Redewiedergabe als Fenstertechnik , da eine „kommunikative Handlung in Inhalt und Form vorgeführt, demonstriert“ wird und die Beteiligten am Ereignis teilhaben lässt. Ehmer (2011: 63) spricht von einer „Übernahme der Perspektive der Figur“ (vgl. aber auch Brünner 1991: 2), die sich im Falle animierter Rede in einem mentalen Raum befindet. Da es sich bei der animierten Rede um nicht real geäusserte Rede handelt, öffnen wir also keine „Fenster in die Vergangenheit“, sondern werfen vielmehr einen Blick durch die „Fenster in die Zukunft und in mögliche Welten“ (Brünner 1991: 3). Auch Ehmer (2011: 77) betont, dass man „prinzipiell jedes Ereignis - sei es ein reales vergangenes, ein in der Zukunft antizipiertes oder ein generisches - demonstrieren und dadurch 25 Einzelne Funktionen der animierten Rede werden u. a. auch bei Brünner (1991), Günthner (1997), Mayes (1990) und Tannen (2007) besprochen, wobei die verwendeten Termini variieren. Günthner (1997: 236) verwendet beispielsweise für die „Inszenierung der fiktiven Gedankenwelt einer Figur“ den Begriff fingierte Rede , fügt aber in Klammer die Begriffe prospektive , hypothetische , kontrafaktische , fiktive Rede an. Vgl. auch die Arbeiten zu humorvollen Fiktionalisierungen und Stilisierungen in Alltagsgesprächen von Kotthoff (1999; 2005; 2007a; 2007b; 2009). <?page no="57"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 57 Aspekte des Ereignisses vorführen“ könne. 26 Ehmers (2011: 77) Verständnis der animierten Rede als die „Demonstration eines Sprechereignisses bzw. einer Sprechhandlung“, die sich auf eine „Figur in einem mentalen Raum“ bezieht, soll auch im Folgenden als grundlegende Definition verwendet werden. Es wird sich dann bei den Analysen allerdings die Frage stellen, ob diese Definition hinsichtlich der identifizierten Formen nicht zu eng gefasst ist. Zu den bisher in der Forschung dargelegten Formen der animierten Rede fasst Brünner (1991: 3) folgendermassen zusammen: „Imaginierte Äusserungen können als zukünftige, mögliche, gewünschte oder nicht gemachte wiedergegeben werden.“ Und Ehmer (2011: 432) identifiziert in seinen Analysen die Möglichkeit von Sprechenden, „Szenen [zu] imaginieren, die sie für die Zukunft planen, die fiktiv, generisch oder auch negiert sind“. Zu den Funktionen der animierten Rede liegen insbesondere die Ergebnisse von Ehmer (2011) vor, die sich aber, dies im Gegensatz zu den hier besprochenen institutionellen Beurteilungsgesprächen, auf alltagssprachliche Interaktionen beziehen. Er stellt fest, dass die animierte Rede für die Vermittlung von Gefühlen, für Identitätszuschreibungen (auch karikierend und dadurch bewertend) sowie für die Verständnissicherung genutzt wird und dies geschieht in seinem Korpus beispielsweise in humorvollen Sequenzen mit besonders hoher Expressivität (vgl. Ehmer 2011: 434 f.). In den folgenden Analysen (vgl. Kap. 7) wird es darum gehen, die Anwendungsbereiche und die Funktionen anhand des Korpus institutioneller Gespräche weiter auszudifferenzieren. Bislang wurde differenziert, bei wem die Verantwortung einer Äusserung liegen kann und welche Beteiligungsrollen beim zitierenden Sprechen evoziert werden. Eine weitere Differenzierung wird nötig, wenn mehrere Anwesende gemeinsam an Formulierungen oder an Erzählungen beteiligt sind und sich dadurch als kollektive Autorschaft präsentieren. Levinson (1988: 203) spricht in diesem Fall von joint authorship . Wenn vom gemeinsamen Sprechen die Rede ist, lässt sich die ‚Gemeinsamkeit’ unterschiedlich weit oder eng verstehen (vgl. Schwitalla 1993: 72 ff.). Geht man von einem sehr weiten Begriff aus, ist jede fokussierte Interaktion charakterisiert durch das gemeinsame Zusammenwirken. Diese allgemeine Definition liegt auch Goodwins (2007: 24 f.) Verständnis von Beteiligung und Kooperation zugrunde, wenn er participation definiert als 26 Ehmer (2011: 71 ff.) verwendet den Begriff Demonstrieren im Sinne von Clark und Gerrig (1990), die in ihrem Aufsatz Quotations as demonstrations die Theorie entwickeln, dass es sich bei der Redewiedergabe um die prototypische Form des Demonstrierens handelt und damit um eine von drei grundlegenden sprachlichen Modi: „When people communicate, they have three fundamentally different devices at their disposal. They can describe. They can indicate, or point. And they can demonstrate. […] Demonstrations differ from descriptions and indications in two main ways. They are nonserious actions. And they depict their referents, though only selectively.“ (Clark & Gerrig 1990: 802) <?page no="58"?> 58 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus temporally unfolding process through which separate parties demonstrate to each other their ongoing understanding of the events they are engaged in by building actions that contribute to the further progression of these very same events. Damit betont er einerseits die prozesshafte Komponente von Beteiligung in der Interaktion. Andererseits wird hier auch schon angetönt, wie grundlegend die gemeinsame Beteiligung ist. Später wird dies noch deutlicher, wenn er schlussfolgert, dass die Analyse von Beteiligungsrollen dadurch vertieft werden kann, wenn wir betrachten „how separate parties build meaning and action in concert with each other through their mutual participation“ (Goodwin 2007: 46). Gemäss Schwitalla (1993: 74) soll hingegen nur dann von gemeinsamem Sprechen die Rede sein, wenn durch die sprachlichen Aktivitäten Kooperation, Konsens sowie eine positive Einstellung zu Gesprächsteilnehmenden ausgedrückt wird. Dies ist der Fall bei der Ko-Konstruktion von Erzählungen, bei der demonstrativen, redebegleitenden Äusserung von Identifikation mit einer anderen Person sowie beim kollektiven Sprechen (vgl. Schwitalla 1993: 72 ff.). Das gemeinsame Sprechen wird dem blossem Miteinandersprechen gegenübergestellt, welches beispielsweise bei kooperativen Sprachhandlungen wie helfenden Formulierungsaktivitäten auftritt, die zwar die Involvierung der Gesprächsteilnehmenden demonstrieren, jedoch nicht eine geteilte Einstellung ausdrücken müssen (vgl. Schwitalla 1993: 74). Der Ausdruck von Kooperation in der Interaktion wird durch Begriffe wie Ko-Konstruktion und alignment gefasst und ist v. a. in Bezug auf Erzählungen schon vielfach in der Forschung hervorgehoben worden (vgl. z. B. Goodwin 1986; Lerner 1992; Mandelbaum 2013; Stivers 2008). Die redebegleitende Demonstration von Gemeinsamkeit kann sich durch wörtliche Wiederholungen, Vervollständigungen, Ergänzungen, Paraphrasen, prosodische Angleichungen sowie bestätigende Rezeptionssignale äussern (vgl. Kangasharju 1996: 292; Schwitalla 1993: 75 ff.). Insbesondere in Mehrparteieninteraktionen können Gesprächsteilnehmende zu kleineren Gruppen und Koalitionen zusammenfinden und dies auf unterschiedliche Weise sprachlich aufzeigen. 27 Bei der Diskussion von Koalitionen ist insbesondere die kollektive Beteiligung (oder das kollektive Sprechen bei Schwitalla) von Interesse, worunter Schwitalla (1993: 83) Gesprächssequenzen fasst, 27 Für derartige interaktive Gruppierungen wurden in durchgeführten Studien unterschiedliche Bezeichnungen verwendet wie Team, Allianz, Koalition, Assoziation, Ensemble und es wird u. a. von gemeinsamem Sprechen, kollektivem Sprechen und kollaborativer Beteiligung gesprochen (vgl. z. B. Bauer 2009; Goffman 1959; Hügel 2013; Kangasharju 1996; Lerner 1993; Schmitt 2012; Schwitalla 1993). Im Weiteren werden die Begriffe der kollektiven Beteiligung und der entsprechend entstandenen Koalitionen verwendet. <?page no="59"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 59 in denen zwei oder mehr Sprecher ungefähr gleich verteilt, simultan oder nacheinander dieselben Sprechakte (sprachliche Aktivitäten) hervorbringen, die die gleiche Überzeugung, ein gutes Einvernehmen oder gleiche Einstellung und gleiches Gefühl ausdrücken. Kollektive Beteiligung ist demnach charakterisiert durch eine enge Verschränkung der Rollen auf Rezeptions- und Produktionsseite, da mehrere Sprechende gemeinsam die Produktion einer sprachlichen Aktivität verantworten. Einzelne Personen beteiligen sich gemeinsam an sprachlichen Projekten und positionieren sich als Koalition. Schwitalla (1993: 83 ff.; 2001: 1358) unterscheidet weiter zwei Formen des kollektiven Sprechens, das fugale und das chorische Sprechen. Das fugale Sprechen bezieht sich dabei auf kurz nacheinander folgende, konsensuelle Redeanteile von verschiedenen Personen, die „thematische Teile wiederholen, weiterführen oder variieren“ (Schwitalla 1993: 83). Das chorische Sprechen meint das simultane Hervorbringen derselben sprachlichen Äusserung durch unterschiedliche Personen (vgl. Levinson 1988: 203; Schwitalla 1993: 89 ff.). Kollektives Sprechen erfordert von den Gesprächsteilnehmenden eine aktive Involvierung im Gesprächsprozess und die Fähigkeit des Antizipierens. Aus Sicht der Positionierungsanalyse lässt kollektives Sprechen Interpretationen zur Realisation von Konsens in Gruppen zu. Wechselnde Beteiligung in der Interaktion Mit der Bezeichnung change in footing zeigt Goffman (1981: 128), wie Gesprächsteilnehmende sich und andere im Kontext der Gesprächssituation laufend in den unterschiedlichen Rollen auf Rezeptions- und Produktionsseite positionieren. Er geht bei seiner Konzeption also keineswegs von einer statischen Verteilung von Rollen aus, sondern zeigt, wie sowohl aufseiten der Sprechenden als auch aufseiten der Rezipierenden ständige Wechsel üblich sind. Als Beispiel nennt er eine für Trainingszwecke aufgezeichnete pädiatrische Sprechstunde aus Tannen und Wallat (1987), in der eine Ärztin ihre Ausrichtung laufend neu aktualisiert und mal mit dem Kind, mal mit der Mutter und mal mit der Kamera spricht und zieht das folgende Fazit (Goffman 1981: 156): Here one deals with the capacity of different classes of participants to by-stand the current stream of communication whilst ‚on hold’ for the attention of the pivotal person to reengage them. And one deals with the capacity of a dexterous speaker to jump back and forth, keeping different circles in play. Während die Beobachtung zentral ist, dass Sprechende und Hörende durch wechselnde Beteiligungsrollen unterschiedlich angesprochen werden, scheint mir der Begriff ‚on hold’ nicht treffend zu sein, um zu beschreiben, welche <?page no="60"?> 60 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Rolle(n) die gerade nicht adressierten Rezipierenden einnehmen. Da sie immer noch ratifizierte Teilnehmende des Gesprächs sind und das Gesagte mithören, sind auch sie aktiv beteiligt. ‚On hold’ hingegen impliziert, dass sich nicht adressierte Teilnehmende kurzzeitig aus der Interaktion ausklinken. Wechselnde Beteiligungsrollen und indirekte Adressierungen erfordern auch gemäss Levinson (1988: 221) zusätzliche kommunikative Flexibilität bei den Beteiligten: [U]tterances are constantly monitored by participants for the participant roles that they project, and that deft footwork may be required to make mid-stream adjustments consequent to signs that the projections have been misunderstood. So müssen Rezipierende konstant ihren Beteiligungsstatus überprüfen und laufend die Beteiligungsrollen aushandeln, um erfolgreich an der Interaktion teilzunehmen und Missverständnisse zu verhindern. Diese wechselnden Beteiligungsrollen können demnach als kommunikative Herausforderung für die Gesprächsteilnehmenden gesehen werden. 2.3.2 Gesprächsorganisatorische und thematische Steuerung Die Rollen der Sprechenden und Hörenden sind, wie gezeigt wurde, nicht klar trennbar und grundsätzlich in ihren Doppelfunktionen zu verstehen. So kann auch die Steuerung des Gesprächs nicht nur als Aufgabe von Sprechenden gesehen werden, da beispielsweise das Anzeigen von Verstehen oder Nichtverstehen aufseiten der Rezipierenden ebenfalls steuernd auf das Gespräch einwirkt und Sprechende zu weiteren Erklärungen ausholen lässt (vgl. z. B. Tiittula 2001: 1363 f.). Zudem sollen die Ausführungen zur Gesprächssteuerung vor dem Hintergrund der Diskussion der Beteiligungsrollen betrachtet werden, die gezeigt hat, dass Beteiligung von den Beteiligten aktiv hergestellt und nicht einseitig zugewiesen wird: Clearly a participant role is, from the point of view of participants, not something that is unilaterally assigned, but rather jointly negotiated. (Levinson 1988: 176) Wenn wir nun also die Gesprächssteuerung untersuchen, interessieren dabei die unterschiedlichen sprachlichen Handlungen, welche gesprächsorganisatorisch und thematisch den Verlauf des Gesprächs lenken können. Solche lenkenden Handlungen können mit Kontrolle, Macht und (Wissens-) Asymmetrien in Verbindung gebracht werden (vgl. z. B. Boettcher et al. 2005: 6; Tiittula 2001: 1361 f.). Die gesprächsorganisatorische Steuerung umfasst grundsätzlich die „Verteilung der Redegelegenheiten“ (Tiittula 2001: 1364), die von Sacks, Schegloff und Jefferson (1974) unter dem Begriff des turn-taking ausführlich untersucht <?page no="61"?> 2.3 Organisation interaktiver Beteiligung 61 wurden (vgl. Kap. 2.1.2). Schwitalla (1979: 70 f.) nennt die gesprächsorganisatorischen Steuerungsaktivitäten dialogaufrechterhaltende Steuerungen und zählt dazu neben der Organisation des Sprecherwechsels auch Rezeptionssignale sowie Aktivitäten aufseiten der Sprechenden, die prüfen, ob und wie das Gesagte verstanden wird. In Untersuchungen zur institutionellen Kommunikation wurde in Bezug auf die gesprächsorganisatorische Steuerung gezeigt, dass Fragen ungleich oft von den VertreterInnen der Organisation gestellt werden und KlientInnen tendenziell die Antwortgebenden sind (vgl. zusammenfassend z. B. Drew & Heritage 1992a: 39 f. und 49 f.). Fragen sind deshalb ein einflussreiches Steuerungsmittel, da durch die Projektionsleistung von Paarsequenzen eine Antwort konditionell relevant gesetzt und somit eingefordert wird (vgl. Kap. 2.1.2). Stivers und Rossano (2010) argumentieren, dass es je nach Ausgestaltung eines Turns mehr oder weniger starke konditionelle Relevanzen gibt. Sie sprechen dabei nicht von Fragen als Auslöser von Folgehandlungen, da diese vielmehr als Sammelbegriff für verschiedene Praktiken stehen, welche im weiteren sequenziellen Verlauf eine Antwort auslösen bzw. relevant setzen (vgl. Stivers & Rossano 2010: 29). Diese Aspekte des Turn Designs, welche die konditionelle Relevanz einer Antwort begünstigen, sind fragende lexikalische und morpho-syntaktische Aspekte ( interrogative lexico-morphosyntax ), fragende Prosodie ( interrogative prosody ), Bezüge zu Wissensbeständen, über welche nur die adressierte Person verfügt ( recipient-tilted epistemic asymmetry ) und Zuwendung des Blicks in Richtung der / des Rezipierenden ( recipient directed speaker gaze ) (vgl. Stivers & Rossano 2010: 4). Das Zusammenspiel mehrerer Aspekte erhöht demnach den Zugzwang bzw. verstärkt die konditionelle Relevanz. Bei Fragen spielt aber nicht nur der Aspekt der konditionellen Relevanz einer Antwort eine Rolle, nämlich ob eine Antwort relevant gesetzt wird, sondern auch die inhaltlich steuernde Funktion bestimmter Fragen, nämlich was in der Antwort zu erwarten ist. Denn Fragen können unterschiedlich stark einschränkend formuliert werden (offene versus geschlossene Fragetypen), 28 sodass die Antwortgebenden durch diese Steuerungsmechanismen mehr oder weniger grosse Handlungsspielräume erhalten (vgl. Rost-Roth 2003; 2006). Die thematische Steuerung schliesslich meint diejenigen Aktivitäten, die den Gesprächsverlauf inhaltlich lenken und prägen. Diese Einflussnahme äussert sich dadurch, dass Beteiligte eigene Themen und Fokusse einführen oder aktuelle Themen beenden oder verändern können (vgl. Tiittula 2001: 1368). 29 28 Gemäss Spranz-Fogasy (2010: 78) wird in ärztlichen Leitfäden zur Gesprächsführung tendenziell von geschlossenen Fragen abgeraten, da darauf naturgemäss eher knappe Antworten folgen. 29 Vgl. auch Vogt (2002: 170 ff.), der für thematische Steuerungsaktivitäten in der Unterrichtskommunikation den Begriff Strukturierung verwendet. <?page no="62"?> 62 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus Diese Fragen werden bei den Analysen insbesondere im Zusammenhang mit der Rolle der SchülerInnen aufgegriffen, da in Studien immer wieder auf die eingeschränkten Interaktionsrechte von Kindern und Jugendlichen verwiesen wird (vgl. Kap. 1.2) und dies daher in den eigenen Daten kritisch betrachtet werden muss. Wenn von gesprächssteuernden Praktiken gesprochen wird, dann muss auch das Schweigen, also das Ausbleiben einer verbalen Antwort, betrachtet werden (vgl. z. B. Tiittula 2001: 1366). Allerdings muss Schweigen besonders vorsichtig interpretiert werden, wenn ausschliesslich mit Audiodaten gearbeitet wird, da nur das Ausbleiben einer verbalen Reaktion, nicht jedoch die nonverbalen Aktivitäten erfasst werden können. Heidtmann und Föh (2007: 263) bezeichnen das Schweigen als verbale Abstinenz und verstehen darunter eine Form der Beteiligung. Auch Schmitt (2012: 78 ff.; 2013: 171 ff.) greift das Konzept der verbalen Abstinenz auf und untersucht, wie verbal abstinente Beteiligte durch ihre multimodale Ausrichtung anzeigen, dass sie Teil der Interaktion bzw. des Interaktionsensembles sind. Insofern kann auch Schweigen bzw. verbale Abstinenz als Beteiligungsform betrachtet werden, die jedoch ohne Rückgriff auf Videodaten nur bedingt analysiert werden kann. In den Beurteilungsgesprächen gibt es immer wieder Schweigesequenzen, gerade auch wenn eine Antwort vonseiten des Kindes bzw. der jugendlichen Person erwartbar wäre. Aufgrund der Audiodaten können an diesen Stellen keine vollständigen Analysen präsentiert werden. 2.4 Identität und Positionierung In der Interaktion geht es unweigerlich um die Ausgestaltung von Identitäten und Beziehungen. Bei der Diskussion des Recipient Designs wurde bereits auf die damit verbundene Positionierungsleistung hingewiesen und wenn auch bei der Besprechung von Beteiligungsrollen nicht der Begriff der Positionierung verwendet wurde, so ist doch die Nähe der beiden Analyseperspektiven deutlich. Hier soll nun das Konzept der Positionierung vertieft werden. Dabei wird zuerst allgemein auf Identität und Identitätskonstruktion eingegangen, dann werden Fragen der Kategorisierung diskutiert und schliesslich werden Aspekte der Selbst- und Fremdpositionierung vorgestellt. <?page no="63"?> 2.4 Identität und Positionierung 63 2.4.1 Konstruktion von Identität(en) im Gespräch Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Identität hat eine lange und interdisziplinäre Forschungstradition (vgl. z. B. Bucholtz & Hall 2005: 586; Spencer- Oatey 2007: 640 ff.), wobei hier insbesondere die sprachliche und interaktive Konstruktion von Identität(en) interessiert. Denn erst durch die alltägliche sprachliche Interaktion werden Identitäten ausgehandelt: „It is in these routines of ‚just talking’ that selves are created, maintained, negotiated, and changed“ (Malone 1997: 149). Schon Goffmans (1955; 1956; 1959) frühe Arbeiten zu facework und zur Selbstdarstellung ( presentation of self ) untersuchen Identität als interaktives Phänomen. So beschreibt Goffman (1955) line als die Herstellung von Identität in der Interaktion und face als positiv attribuiertes Selbstkonzept: In each of these contacts, he [every person] tends to act out […] a line - that is, a pattern of verbal and nonverbal acts by which he expresses his view of the situation and through this his evaluation of the participants, especially himself. Regardless of whether a person intends to take a line, he will find that he has done so in effect. The other participants will assume that he has more or less willfully taken a stand, so that if he is to deal with their response to him he must take into consideration the impression they have possibly formed of him. (Goffman 1955: 213) Goffman versteht line als unvermeidbare Aspekte eines Selbst, die bei jeder Interaktion mitkonstruiert und damit durch die Beteiligten interpretierbar werden. Jede weitere Äusserung steht dann in Relation zu den Selbstdarstellungen, wie sie - intendiert oder nicht - den Beteiligten gegenseitig angezeigt werden. In diesem Zusammenhang führt Goffman (1955: 213) das face -Konzept 30 ein und definiert es als „the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact“. Damit betont Goffman einerseits die (zu schützende) positive Selbstdarstellung und andererseits die lokale und interaktive Herstellung von Identität. Face bezeichnet nicht die selbstbezogene Wahrnehmung der eigenen Person, sondern das erwünschte und zu schützende Selbstbild aus der Perspektive der Anderen und beinhaltet damit eine interaktive, relationale Komponente (vgl. auch Lim 1994: 210). Während Goffman in seinen Arbeiten den Begriff der Identität nicht verwendet, ist dennoch die Beschäftigung mit interaktiv hervorgebrachten Aspekten von Persönlichkeitsmerkmalen deutlich vorhanden und es zeigen sich Be- 30 Der Begriff face wurde von Brown und Levinson (1987) im Rahmen ihrer einflussreichen Höflichkeitstheorie weiter entwickelt und u. a. differenziert in positive face und negative face. Vgl. zudem die kurze Darstellung und die Literaturhinweise in Locher (2012) zu face , Höflichkeit und relational work . <?page no="64"?> 64 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus züge zu Identitätskonzepten. So kommt Spencer-Oatey (2007: 644) zum Schluss, dass die Konzeptionen von face und Identität sehr ähnlich sind, da sich beide auf das individuell, relational und kollektiv konstruierte Selbstbild ( self-image ) beziehen. Allerdings wird Goffmans face -Begriff aus konversationsanalytischer Tradition kritisiert, da die Konzeption rituelle Einflüsse und Einschränkungen auf das Selbst beinhaltet, während aus Sicht der Konversationsanalyse vielmehr interessiert, wie Menschen in realen Interaktionen anzeigen, wer sie jeweils in Bezug auf die anderen sind (vgl. Maynard 2013: 17; Sidnell 2011: 14 f.). 31 Die wohl umfassendste Synthese der Identitätsforschung bildet der Ansatz von Bucholtz und Hall (2005), in welchem sie fünf Prinzipien vorschlagen, die für die Identitätsanalyse als konstitutiv angesehen werden können. Diese Prinzipien werden im Folgenden vorgestellt. Das erste Prinzip nennen Bucholtz und Hall (2005: 587 ff.) emergence und weisen damit darauf hin, dass Identität in der Interaktion von den Beteiligten hervorgebracht und manifestiert wird. Diese Sicht der emergenten Identitätskonstruktion stellt sich gegen statische Konzeptionen, die Identität als festen Bestandteil eines Selbst ansehen. In der jüngeren Identitätsforschung gilt diese Ansicht inzwischen als etabliert (vgl. z. B. Antaki & Widdicombe 1998; Marra & Angouri 2011) und wird teilweise durch den Terminus identity-in-interaction noch verdeutlicht (vgl. Aronsson 1998: 75). Das zweite Prinzip, positionality , zeigt, dass Identität nicht nur die globalen Kategorien wie Alter, Gender etc. beinhaltet, sondern auch lokal entstandene Kategorien und temporäre Rollen in der Interaktion. Damit lässt sich Identität nicht als singuläre Einheit verstehen, sondern vielmehr muss von multiplen Identitäten gesprochen werden, die in vielschichtigen Facetten in der Interaktion hervorgebracht werden (vgl. Bucholtz & Hall 2005: 591 ff.). Beim dritten Prinzip, indexicality , geht es um die Art und Weise, wie Identität sprachlich angezeigt wird. Bucholtz und Hall (2005: 593 ff.) verstehen unter indexikalischen Prozessen beispielsweise die explizite Benennung von Kategorienzugehörigkeiten, die impliziten Hinweise bezüglich der eigenen Position oder der des Gegenübers, die bewertende oder epistemische Orientierung an der aktuellen Interaktion und den Beteiligungsrollen oder die Verwendung von sprachlichen Strukturen, die ideologisch mit spezifischen Personen und Gruppen in Verbindung gebracht werden. Das indexikalische Prinzip ermöglicht demnach durch diese Anzeigeleistung den Beteiligten (und auch den Forschenden), die Identitätszuweisungen zu erkennen und im weiteren Verlauf der Interaktion auszuhandeln. Die genannten indexikalischen Prozesse zeigen, dass 31 Vgl. auch die Schegloffs (1988) kritische Auseinandersetzung mit Goffmans Arbeiten in Bezug auf die Konversationsanalyse. <?page no="65"?> 2.4 Identität und Positionierung 65 Identität auf verschiedenen Ebenen hergestellt werden kann und nicht auf eine sprachliche Aktivität begrenzt ist. Das vierte Prinzip wird relationality genannt und verweist auf die Intersubjektivität von Identitätskonstruktionen. So stehen Identitätszuschreibungen immer in Relation zu komplementären Positionen und situieren die charakterisierte Person in einem sozialen Umfeld (vgl. Bucholtz & Hall 2005: 598 ff.). Das fünfte Prinzip schliesslich nennen Bucholtz und Hall (2005: 605 ff.) partialness und heben damit die kontextuelle Situierung von Identitäten hervor, die nur partielle Identitätskonstruktionen ermöglichen und grundlegend dynamisch zu verstehen sind: Any given construction of identity may be in part deliberate and intentional, in part habitual and hence often less than fully conscious, in part an outcome of interactional negotiation and contestation, in part an outcome of others’ perceptions and representations, and in part an effect of larger ideological processes and material structures that may become relevant to interaction. It is therefore constantly shifting both as interaction unfolds and across discourse contexts. (Bucholtz & Hall 2005: 606) Hier wird nochmals deutlich, dass mehrere Aspekte der Identität gleichzeitig wirksam sind. Zusätzlich betonen die Autorinnen, dass Identität von den Interagierenden gemeinsam ausgehandelt wird. Die fünf Prinzipien zeigen Identität in ihrer Komplexität und es wird wohl deutlich geworden sein, dass nicht alle Ebenen in einer Analyse abgedeckt werden können. Auch lassen sich in dem vorgestellten Ansatz Aspekte des face -Konzeptes wiederfinden, wie beispielsweise die interaktive Herstellung von Identität. Abschliessend stellt sich die Frage, wie sich Identität bei all ihrer Vielschichtigkeit definieren lässt. Bucholtz und Hall (2005: 586) präsentieren mit der Formulierung „Identity is the social positioning of self and other“ eine absichtlich offen gehaltene Definition und zeigen gleichzeitig den teilweise nur impliziten Bezug von Identität und Positionierung: Identität wird durch soziale, interaktive Selbst- und Fremdpositionierung hergestellt. Bevor die Positionierungstheorie genauer vorgestellt wird, soll noch der Aspekt der sozialen Kategorisierung, wie sie in konversationsanalytischen Arbeiten eine lange Tradition hat, diskutiert werden. 2.4.2 Soziale Kategorisierung Bei der interaktiven Identitätskonstruktion werden u. a. Kategorienzugehörigkeiten ausgehandelt (vgl. Kap. 2.4.1), was implizit oder auch durch explizite Benennung erreicht werden kann. Die Analyse von Mitgliedschaftskategori- <?page no="66"?> 66 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus sierungen geht in der Gesprächsanalyse auf Sacks zurück und findet bereits ab 1964 in seinen Lectures Beachtung (vgl. Sacks 1995: I: 40 ff.). Obwohl die Verbindung von Identität, Positionierung und Mitgliedschaftskategorisierung im Sinne von Sacks (1972; 1995) offensichtlich vorhanden ist, werden die Begriffe in der Forschungsliteratur, mit Ausnahme von Deppermanns (2013b) Gegenüberstellung, überraschenderweise jeweils getrennt und meist ohne Querverweise abgehandelt. 32 Sacks (1995: I: 246, 248) führt in den Vorlesungen von 1966 die Begriffe membership categorization device ( MCD ) und category-bound activities (übersetzt als kategoriengebundene Aktivitäten ) ein. Während er diese als Teilkonzepte innerhalb der Konversationsanalyse betrachtet, wird membership categorization analysis ( MCA ) später teilweise als eigene Methode verstanden (vgl. Fitzgerald 2012; Stokoe 2012; ten Have 2007: 45 ff.). Diese Trennung in zwei Methoden mit unterschiedlichen Interessen wird von Schegloff (2007: 476 f.) allerdings kritisiert und auch hier wird die Ansicht vertreten, dass die soziale Kategorisierung mit der sequenzanalytischen Gesprächsanalyse vereinbar ist. Unter MCD versteht Sacks (1972; 1995) verschiedene Gruppen von Kategorien, wie beispielsweise ‚Alter’, ‚Gender’ oder ‚Beruf ’. Kategoriengebundene Aktivitäten sind Handlungen oder auch Beschreibungen von Aktivitäten (vgl. Schegloff 2007: 470), die mit einer solchen Kategorie assoziiert werden und die demnach eine Kategorienzugehörigkeit anzeigen (vgl. auch die Übersicht in Stokoe 2012: 281). 33 Insgesamt gewinnen wir durch die Analyse von Mitgliedschaftskategorisierungen Einblick in Rollenzuschreibungen und Erwartungshaltungen von Interagierenden oder wie ten Have (2007: 45) treffend resümiert: „ Membership Categorization Analysis (MCA) offers a useful entrée to start analysing the social knowledge which people use, expect, and rely on in doing the accountable work of living together.“ Durch die Aktivierung von Kategorien und Aushandlung von Kategorienzugehörigkeiten wird Alltagswissen der Beteiligten über soziale Gruppen und Identitäten angezeigt (vgl. auch Schegloff 2007: 469). Die Schwie- 32 Davies und Harré (1999: 36) verwenden im Rahmen der Positionierungsanalyse zwar ebenfalls den Begriff category membership , jedoch ohne Verweise auf die Verankerung des Begriffs in der Konversationsanalyse. 33 Sacks (z. B. 1995: I: 246 ff.) demonstriert diese kategoriengebundenen Aktivitäten in seinen Vorlesungen mehrfach am Beispiel „The baby cried, the mommy picked it up“: Das Beispiel werde typischerweise so verstanden, dass es sich bei mommy um die Mutter des Babys handelt. Dies kann dadurch erklärt werden, dass Mutter und Baby einerseits zu demselben MCD ‚Familienmitglieder’ gehören und dadurch bei dem Hören oder Lesen des Satzes inferiert wird, dass es sich um Mitglieder derselben Familie handeln muss. Und andererseits wird ‚weinen’ als kategoriengebundene Aktivität von Babys verstanden und das Aufnehmen von Babys als typische Aktivität von Müttern. <?page no="67"?> 2.4 Identität und Positionierung 67 rigkeit bei der Analyse liegt darin, nicht das eigene Alltagswissen dominieren zu lassen, sondern jeweils sequenzanalytisch zu prüfen, welche Kategorien und kategoriengebundenen Aktivitäten tatsächlich lokal von den Gesprächsteilnehmenden aktiviert werden (vgl. Deppermann 2013b: 66; Schegloff 2007: 475 ff.; Stokoe 2012: 282). 34 Mit Deppermann (2013b: 63, 66 ff.) gehe ich davon aus, dass die Analyse von Mitgliedschaftskategorisierungen nicht ausreicht, um Identitätskonstruktionen im Gespräch umfassend zu betrachten. Im Folgenden wird das Konzept und Vorgehen der Positionierungsanalyse vorgestellt, die Aspekte der hier diskutierten Kategorisierungen beinhalten, aber darüber hinaus weitere Aspekte der Identitätsanalyse einzubeziehen vermögen. 2.4.3 Selbst- und Fremdpositionierung Der Begriff positioning wird mit Hollway (1984) in Verbindung gebracht, während die Konzeption(en) der Positionierungstheorie auf Davies und Harré (1990) 35 zurück geht und sich ursprünglich in der sozialkonstruktivistischen, diskursiven Psychologie verorten lässt (vgl. Harré & van Langenhove 1999b: 2 ff.). Das Konzept der Positionierung wurde insbesondere im Rahmen der gesprächsanalytischen Erzählforschung (vgl. v. a. Bamberg 1997; Bamberg & Georgakopoulou 2008; Lucius-Hoene & Deppermann 2002; 2004) sowie beispielsweise für die Gesprächsrhetorik (vgl. Wolf 1999) weiterentwickelt. Davies und Harré (1999: 37) definieren Positionierung als „discursive process whereby people are located in conversations as observably and subjectively coherent participants in jointly produced story lines“. Mit Positionierung werden also die sprachlichen Praktiken bezeichnet, mit denen die Beteiligten im Gespräch gegenseitig ihre Identitäten aushandeln, indem sie sich und anderen gewisse Eigenschaften und Rollen zuschreiben (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 196; 2004: 168; Wolf 1999: 69 f.). Positionierung wird dabei als grundlegend dynamischer Prozess verstanden: 34 Hester und Eglin (1997: 22) betonen die indexikalische Wirkungsweise von kategoriengebundenen Aktivitäten, da sie lokal ihre kontextuell eingebettete Bedeutung erzielen. Im Gegensatz zu diesen kontextsensitiven Aktivitäten verstehen sie die MCD allerdings als kontextunabhängige Kategorien und gehen davon aus, dass Sacks den Begriff der Kategorisierung auf diese unterschiedlichen Arten konzeptualisiert. Vgl. dazu auch Deppermanns (2013b: 66) Hinweise auf die teils widersprüchlichen Konzeptionen von Mitgliedschaftskategorien von Sacks, die mal statisch, strukturalistisch und an anderen Stellen interaktiv und dynamisch verstanden werden. 35 Der Artikel von 1990 wurde 1999 in unveränderter Form im Rahmen des Sammelbandes von Harré und van Langenhove (1999a) neu herausgebracht. Die Zitate und Seitenverweise in dieser Arbeit beziehen sich auf diese neuere Version. <?page no="68"?> 68 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus With positioning, the focus is on the way in which the discursive practices constitute the speakers and hearers in certain ways and yet at the same time they are a resource through which speakers and hearers can negotiate new positions. (Davies & Harré 1999: 52) So werden sprachliche Praktiken für die Selbst- und Fremdpositionierung von Beteiligten verwendet, die jedoch nicht als fix zugewiesene Positionen erhalten bleiben, sondern wiederum von den Interagierenden ausgehandelt werden können. 36 Die Begriffe Selbstpositionierung und Fremdpositionierung sind dabei nicht als eigenständige Aktivitäten zu verstehen, sondern als jeweils gleichzeitig vollzogene Handlungen: Indem ich mich selbst beschreibend oder handelnd positioniere, weise ich mir, ebenso aber auch dem Anderen in Relation zu meiner eigenen Position, die ich ihm gegenüber beanspruche, eine Identität zu. (Lucius-Hoene & Deppermann 2002: 196) Eine Positionierung leistet demnach jeweils eine doppelte Identitätskonstruktion, indem zugleich die eigene sowie die interagierende Person bestimmt werden (vgl. auch van Langenhove & Harré 1999a: 22). Diese Aspekte der Identität können von den Beteiligten weiter ausgehandelt und in den Folgesequenzen entsprechend ratifiziert oder abgelehnt werden. Beteiligte können dabei sowohl Aspekte der Selbstpositionierung als auch der Fremdpositionierung annehmen bzw. zurückweisen (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 170). Positionierungen können auf vielfältige Weise sprachlich realisiert werden und dabei unterschiedlich explizit oder implizit sowie direkt oder indirekt ausfallen (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 171). Wolf (1999: 73) nennt darunter explizite Kategorisierungen , Schilderungen von Situationen und Befindlichkeiten , biografische Selbst- und Fremdthematisierungen sowie Erzählungen von Ereignissen . Sie betont aber, dass die Positionierungen noch impliziter vorgenommen werden können, wie beispielsweise durch auffällige sprachliche Ausdrucksformen oder durch bestimmte Beteiligungsweisen. Es spielt dabei 36 Der dynamische Aspekt der Positionierung wird von Davies und Harré (1999: 32, 52) als wichtiger Unterschied zu Goffmans (1959; 1974; 1981) sozialen Rollen verstanden, welche als tendenziell statische, ritualisierte Identitäten konzeptualisiert seien. Goffman (1959: 16) definiert social role als „enactment of rights and duties attached to a given status“. In seinen späteren Arbeiten verwendet er weniger den Begriff der sozialen Rolle, sondern entwickelt neue Terminologien wie frames (Goffman 1974) und footing (Goffman 1979; 1981). M. E. wird jedoch der Rollenbegriff in gesprächsanalytischer Forschungsliteratur nicht unweigerlich statisch verstanden und gerade mit dem häufig verwendeten Begriff der Rollenaushandlung wird dem dynamischen Aspekt der Konstitution einer Rolle Rechnung getragen. <?page no="69"?> 2.4 Identität und Positionierung 69 jeweils der lokale Kontext der realisierten Positionierung eine wichtige Rolle (vgl. z. B. Lucius-Hoene & Deppermann 2004: 172). Lucius-Hoene und Deppermann (2004: 171) beschreiben weiter, welche Aspekte einer Identität durch die Positionierung aktiviert werden können und nennen persönliche Merkmale bzw. psychologische Eigenschaften (z. B. Kreativität), soziale Identitäten (z. B. Lehrperson) und damit verbundene rollenbedingte Rechte (z. B. Kompetenz) sowie moralische Attribute und Ansprüche (z. B. Ehrlichkeit) (vgl. auch van Langenhove & Harré 1999a: 21 f.). Ferner gilt zu beachten, dass die alltagssprachliche Verwendung von Positionierung zwar tendenziell auf aktive, bewusste Entscheidungen verweist, jedoch beim theoretischen Konzept der Positionierung nicht grundsätzlich von einer intendierten Handlung ausgegangen wird (vgl. Davies & Harré 1999: 37; van Langenhove & Harré 1999a: 22). Lucius-Hoene und Deppermann (2004: 171) sprechen auch von einem „ständige[n] Mitlaufen von Positionierungen en passent “ bei sprachlichen Aktivitäten, die nicht primär auf eine explizite Positionierung ausgerichtet sind. Es kann also nicht das Ziel der Analyse sein, nur direkte und explizite Charakterisierungen in den Blick zu nehmen, sondern es soll im Detail untersucht werden, durch welche sprachlichen Aktivitäten gleichzeitig eine Positionierung vorgenommen wird. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass die Analyse sich auf Gesprächsdaten verlässt und damit grundsätzlich keine Aussagen zu psychologischen Fragen treffen kann (z. B. ob es sich um bewusste oder unbewusste Positionierungen handelt). Es interessiert bei der Gesprächsanalyse grundsätzlich nur Wissen, das sich aus den Daten heraus erschliessen lässt. So wird nicht untersucht, welche Erwartungen oder welches Rollenwissen Gesprächsteilnehmende beispielsweise an sich bzw. an das Gegenüber als Lehrperson haben, sondern nur welches Wissen davon in der Interaktion relevant gesetzt wird. Wenn auch davon ausgegangen werden kann, dass soziale Rollen durch Erfahrung und vergangene Interaktionen verfestigt werden (vgl. Davies & Harré 1999: 41 f.; vgl. auch van Langenhove & Harré 1999b zur Stereotypisierung), so kann dennoch nur der tatsächliche, aktuelle Akt der Positionierung analysiert werden. 2.4.4 Selbst- und Fremdbeurteilung Im Kontext der Beurteilungsgespräche zeigt sich, dass das Positionieren und das Beurteilen nah verwandte Konzepte sind. Denn, wie auch Kotthoff (2012a: 294) feststellt, „gerät [alles] in einen Einschätzungsrahmen“, so auch Beschreibungen, Kategorisierungen oder Erzählungen. Im Sinne von Sacks (1972; 1995) kann das Beurteilen als für Lehrpersonen typische und daher kategoriengebundene Aktivität verstanden werden (vgl. Kap. <?page no="70"?> 70 2 Konversationsanalyse und darüber hinaus 2.4.2). Zunächst drängt sich eine Abgrenzung von Bewerten und Beurteilen auf, da sich dazu in der Forschungsliteratur unterschiedliche Definitionen finden. Mit Becker-Mrotzek und Böttcher (2012: 123) verstehe ich das Bewerten als einen der Beurteilung zugrundeliegenden „mentale[n] Prozess des Einschätzens“ und schliesslich das Beurteilen als eine „verbal geäusserte Bewertung“. Eine Bewertung kann also verbal als Beurteilung geäussert werden, oder dann in einer im Kontext der Schule typischen Note münden, welche sich als „zusammenfassende Bewertung einer Leistung“ definieren lässt (Becker-Mrotzek & Böttcher 2012: 124). Bewertungen finden sich jedoch nicht ausschliesslich in schulischen Kontexten, sondern gelten vielmehr als ständige Bestandteile alltäglicher Interaktion (vgl. Fiehler 2001a: 1429; Hrncal & Gerwinski 2015: 46; Pomerantz 1984: 57). Denn sobald „Akteure Personen, Dinge, Verhaltensweisen, Ereignisse, Orte und vieles mehr hinsichtlich spezifischer oder vager Bewertungsmassstäbe einer Beurteilung unterziehen (im einfachsten Falle gut vs. schlecht) “ (Hrncal & Gerwinski 2015: 46), liegt ein Bewertungsdiskurs vor. Das Bewerten findet demnach in vielen Kontexten statt und kommt immer dann zum Zuge, wenn über die Sachverhalte hinaus eine Bewertung oder Beurteilung zustande kommt. Fiehler (2001a: 1429) versteht dann auch Kommunikation als eine „Verständigung über Sachverhalte“ und eine „Verständigung über Bewertungen“, denn „[b]eim Austausch über ein Thema werden immer auch Bewertungen kommuniziert“. Nach dieser Auffassung kann also das Bewerten als stets mitkommunizierte Aktivität gelten. Während in Alltagsgesprächen auch vage Bewertungsmassstäbe hinzugezogen werden, liegen der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung in der Regel schulbezogene Kriterien zugrunde. Es gelten demnach institutionelle Massstäbe, an denen sich die Beurteilungen in Form von Noten oder (standardisierten) Beschreibungen orientieren (vgl. z. B. Mazeland & Berenst 2008, siehe Kap. 1.1.2). In den vorliegenden Gesprächsdaten müssen sich die SchülerInnen gelegentlich auch selbst beurteilen. Selbstbeurteilung kann definiert werden als „das Bemühen der Lernenden, ihr eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu reflektieren, einzuschätzen und gegebenenfalls zu bewerten“ (Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 43). Hierbei können - wie auch generell bei Beurteilungen - verschiedene Bezugsnormen relevant sein. Es werden in der Regel die Sozialnorm , die Lernzielnorm und die Individualnorm unterschieden, wobei teilweise andere Begriffe verwendet werden (vgl. Lötscher & Roos 2005: 14; Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 50; Winter 2004: 61 ff.). Die Sozialnorm kommt dann zum Tragen, wenn die Leistung eines Kindes an der Leistung anderer gemessen wird. Diese Beurteilung erfüllt die Funktion der Selektion. Bei der Lernzielnorm geht es um die Standortbestimmung eines Kindes und gemessen wird der Erfolg im <?page no="71"?> 2.5 Zusammenfassung 71 Hinblick auf die vereinbarten Lernziele. Und bei der Individualnorm werden die Fortschritte eines Kindes bewertet, was einer Förderung oder Bestärkung gleichkommt. Aus förderorientierter Perspektive sind gemäss Lötscher und Roos (2005: 16) insbesondere die beiden letztgenannten Normen zu beachten und die Sozialnorm eigne sich hingegen nicht für die Selbstbeurteilung von Leistungen. Demnach kann das Instrument der Selbstbeurteilung vor allem dann sinnvoll angewendet werden, wenn SchülerInnen sich selbst in Bezug auf Lernziele und Lernfortschritte beurteilen. Vögeli-Mantovani (2011: 254) versteht „Selbstbeurteilungen als Voraussetzung für partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ und weist damit SchülerInnen eine anerkannte, gleichberechtigte Rolle zu. Weiter kommt er zum Schluss: Selbstbeurteilung ist eine Voraussetzung für aktive Beteiligung der Schülerinnen und Schüler unterschiedlichen Alters am Beurteilungsgespräch. Umgekehrt gilt auch, dass ein Beurteilungsgespräch ohne Anteile von Selbstbeurteilung die Hauptperson nicht ernsthaft einbeziehen kann. (Vögeli-Mantovani 2011: 261) In welchem Masse es sich um „partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ handelt und wie die Selbstbeurteilungen von SchülerInnen in den Gesprächen eingebettet werden, zeigt sich dann in den Analysen in Kapitel 8. 2.5 Zusammenfassung Die vorliegende Untersuchung orientiert sich theoretisch und methodisch an der konversationsanalytischen Gesprächsanalyse und fokussiert insbesondere Fragen der interaktiven Kooperation, der Gesprächsbeteiligung und der Positionierung. Unter Kooperation ist die grundsätzlich wechselseitige, interaktive Ausgestaltung von mündlichen Gesprächen zu verstehen und es geht dabei im Wesentlichen um das Recipient Design. Damit hängt auch die Organisation von Gesprächsbeteiligung zusammen, wo es spezifischer um die Formen der Inklusion und Exklusion in der Interaktion geht. Und bei der Positionierungsanalyse schliesslich geht es um die Aushandlungen von Identität(en) im Gespräch. Dabei interessieren insbesondere Positionierungen, die im Rahmen der untersuchten Gespräche als Beurteilungen fungieren. <?page no="72"?> 72 3 Methodenreflexion und Datenmaterial 3 Methodenreflexion und Datenmaterial „What sorts of animals are to be found in the interactional zoo? What plants in this particular garden? “ (Goffman 1983: 6) Ziel dieses Kapitels ist es, zum einen das analytische Vorgehen transparent zu machen und zum anderen einen vertieften Einblick in das verwendete Korpus zu gewähren. Zwar wurden Theorien und Methoden in den vorangegangenen Kapiteln vorgestellt, jedoch soll hier ergänzend und konkretisierend aufgezeigt werden, welche Vorgehen gewählt wurden und welche Implikationen die methodischen und analytischen Entscheidungen für die Ergebnisse haben. Bei der Präsentation des Datenmaterials werden erste allgemeine und strukturelle Beobachtungen zu den Gesprächen diskutiert. 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen Für die vorliegende Analyse wird mit natürlichen Gesprächsdaten gearbeitet, die für dieses Projekt an Schulen aufgenommen und transkribiert wurden. Da bei der Gesprächsanalyse die einzelnen Schritte der Erhebung, Aufbereitung und Analyse von Daten theoretisch und methodologisch geprägt sind, soll das konkrete Vorgehen im Folgenden diskutiert und reflektiert werden. 3.1.1 Datenerhebung und Zugang zum Forschungsfeld Wie in Kapitel 2.1.1 dargelegt wurde, gibt es in der Gesprächsforschung unterschiedliche Positionen zum Einbezug von zusätzlichen Informationen bezüglich Untersuchungsfeld und Gesprächssituation. Während in der klassischen Konversationsanalyse ausschliesslich die Gesprächsaufnahmen als Datenmaterial verwendet werden, wird inzwischen jedoch vermehrt auf ergänzende Daten und Beobachtungen zurückgegriffen, um noch tiefere Einblicke in die ‚Kultur’ des untersuchten Gesprächssettings zu erhalten (vgl. Deppermann 2000; Deppermann 2008a: 22 ff.). Festzuhalten sind dabei nicht nur allgemeine Beobachtungen zum Feld oder zu ergänzenden Gesprächen mit den Studienteil- <?page no="73"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 73 nehmenden, sondern auch zum gesamten Ablauf der Datenerhebung. So empfiehlt Deppermann (2008a: 24) auch Kontaktversuche und Vorbesprechungen zu protokollieren, denn [d]ie Bedenken, Widerstände und Ängste, die sich einer Untersuchung entgegenstellen, sind oft ebenso aufschlußreich für das, was wir erforschen wollen, wie die Gespräche, die wir schließlich aufnehmen können. Diese Daten können zusätzliche Eindrücke gewähren und eine schärfere und umfassendere Analyse der situationstypischen Eigenheiten ermöglichen. Ganz in diesem Sinne ist die folgende Darstellung zu verstehen, in der beschrieben wird, wie die Kontakte mit den Schulen zustande kamen und mit welchen Reaktionen von Schulleitungen, Lehrpersonen, Eltern sowie SchülerInnen ich mich konfrontiert sah. Zugang zum Forschungsfeld Die Datenerhebung fand von 2011-2013 statt und war von Anfang an durchzogen von Absagen und Verzögerungen, sodass im längsten Fall über ein Jahr zwischen Kontaktaufnahme und tatsächlicher Aufzeichnung eines Gesprächs verstrich. Insgesamt lassen sich allerdings stufenspezifische Unterschiede vermerken. So wurde vonseiten der angefragten Lehrpersonen an Primarschulen sofortiges Interesse bekundet und die Schulleitungen zeigten ebenfalls wenig Bedenken. Das Einverständnis der Eltern wurde von den Lehrpersonen eingeholt und die Bereitschaft sei ebenfalls gross gewesen. Die einzige Skepsis betraf die allfällige Anwesenheit der Forscherin. So wurde die teilnehmende Beobachtung als weitere Erhebungsmethode sehr früh ausgeschlossen. Anders sieht es jedoch auf den Sekundarstufen I und II aus, wo ich mit der Datenerhebung aus Gründen des ursprünglichen Forschungsinteresses begann. Durch die eigene Ausbildung zur Lehrerin auf gymnasialer Oberstufe sind Kontakte zu Schulen und Lehrpersonen vorhanden, die nun zum Forschungszweck reaktiviert wurden. Auch wurden Lehrpersonen und Mitglieder der Schulleitungen aus dem persönlichen Bekanntenkreis kontaktiert, um so an Gespräche zu kommen. Ich sah mich von Beginn weg konfrontiert mit starker Ablehnung vonseiten vieler Schulleitungen und es war insgesamt eine grosse Herausforderung, die Einverständnisse aller beteiligter Personen zu erhalten. Verschiedene Gründe führten schliesslich zu teilweise sehr kurzfristigen Absagen: In einigen Fällen lag das Einverständnis der Schulleitung vor, jedoch fehlte die Bereitschaft von Lehrpersonen; oder die Schulleitung und eine Lehrperson waren einverstanden, nicht aber die angefragten Eltern sowie in einem Fall der angefragte mitanwesende Schüler; oder schliesslich kam es auch in einigen Fällen zu Absagen, da nach erfolgreicher Anfrage von Lehrpersonen die <?page no="74"?> 74 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Schulleitungen ihre Bedenken äusserten und die Aufnahmen verunmöglichten. So waren insgesamt unter den angefragten Personen deutlich mehr potenzielle Teilnehmende, die jedoch aufgrund einer weiteren, fehlenden Einwilligung nicht Teil der Untersuchung werden konnten. Die Beweggründe, die zu einer Absage oder zu einer zurückhaltenden Einstellung führten, sind sehr unterschiedlicher Natur und sollen mit den folgenden (anonymisierten) Auszügen aus den entsprechenden E-Mails demonstriert werden. Der erste Auszug stammt aus einer Absage auf die schriftliche Kontaktaufnahme mit einem Gymnasium, zu dem keine persönlichen Kontakte bestehen. Es handelt sich folglich nicht um eine blosse Einwilligung, sondern gleichzeitig um eine Anfrage, die Datenerhebung durch das Herstellen von Kontakten zu Lehrpersonen aktiv mitzugestalten. Die Absage gründet auf drei unterschiedlichen Ebenen: 1. Die Schulen stecken mitten in einem Reformprozess, der die Lehrerschaft enorm belastet. Wir müssen mit unseren Kräften haushälterisch umgehen. 2. Wir bekommen fast täglich Anfragen für Studien, Umfragen und Evaluationen, die wir an den Schulen durchführen sollten. Wir müssen uns davor schützen, zu einem Versuchslabor zu werden. 3. Elterngespräche sind etwas enorm Wichtiges und höchst Vertrauliches. Auch wenn alles anonymisiert wird, stört jede Aufnahme und Auswertung den Ablauf der Gespräche sehr. Der Gewinn scheint uns geringer als der Preis. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012) Wie hier deutlich wird, geht es bei den ersten beiden Punkten nicht in erster Linie um das aktuelle Forschungsvorhaben, sondern um eine generelle Positionierung der Schule als Institution, die verschiedenen Anforderungen gerecht werden muss. Das regelrechte Überhäufen von Anfragen aus Forschungsprojekten wurde von anderen Schulleitungen in Unterhaltungen bestätigt bzw. ähnlich dezidiert formuliert. So wurde teilweise grosses Interesse am vorliegenden Projekt kundgetan und dennoch keine Einwilligung gegeben, da die Schulen grundsätzlich vor Studien geschützt werden sollten und die Teilnahme nur noch bei erhöhtem Druck ‚von oben’ zugelassen würden, nämlich bei grösseren kantonalen oder nationalen Forschungsprojekten. Im Rahmen dieser Argumentation lassen sich wohl auch die teilweise komplett ausbleibenden Antworten von Schulleitungen interpretieren. Beim dritten Punkt geht es hingegen um die konkrete Anfrage und die abschlägige Antwort bezieht sich v. a. auf die als Störung empfundene Aufnahme der als vertraulich eingestuften Beurteilungsgespräche. Dass die anschliessende Anonymisierung der Daten die Vertraulichkeit der Gesprächssituation dennoch ermöglicht, wird hier implizit ausgeschlossen. So wird nicht nur die Aufnah- <?page no="75"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 75 me als Störung empfunden, sondern auch die anschliessende Auswertung der Daten. Es wird hier impliziert, dass alleine das Wissen um die zukünftige Auswertung den aktuellen Gesprächsverlauf zu beeinflussen vermag. Ein weiterer Aspekt wird in diesem dritten Punkt angesprochen, nämlich der ‚Gewinn’ oder Nutzen für die Schulen. In erster Linie wurde bei der Anfrage jeweils kommuniziert, dass die Analysen dazu genutzt werden können, die angehenden Lehrpersonen in Bezug auf die Gesprächskompetenz zu schulen, was folglich den Schulen zugute käme. In den Folgegesprächen mit Schulleitungen bot ich zudem an, zu einem späteren Zeitpunkt vor Ort über die Studienergebnisse zu berichten. Überraschenderweise wurde nur vereinzelt der Wunsch einer dementsprechenden Präsentation signalisiert. Im folgenden Auszug kommt ebenfalls die befürchtete Störung zur Geltung. Vor der Kontaktaufnahme mit der Schulleitung eines Gymnasiums fand bereits ein Austausch mit einer Lehrperson statt, die ihre Bereitschaft zur Teilnahme ankündigte. Mit der Anfrage an die Schulleitung sollte demnach nur noch eine grundsätzliche Einwilligung eingeholt werden, dass an dieser Schule ein Gespräch aufgenommen werden darf: Lernberichtsgespräche sind aus unserer Sicht zentrale Bestandteile der qualitätsorientierten Kommunikation zwischen Schule und den Familien. Diese Kommunikation soll in keiner Weise durch zusätzliche Erhebungen tangiert werden. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2013) Auch hier wird die Wichtigkeit der Gespräche hervorgehoben und die Störung zu Forschungszwecken abgelehnt. Interessant bei dieser Aussage ist die Formulierung, dass die Gespräche zur „qualitätsorientierten Kommunikation zwischen Schule und den Familien“ gehören. Vor dem Hintergrund, dass (aus Erfahrung insbesondere auf der Sekundarstufe II ) die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen in Bezug auf die Gesprächskompetenz im Kontakt mit Eltern vernachlässigt wird (vgl. z. B. Gartmeier et al. 2011; Lemmer 2011; 2012; Minke & Anderson 2003), stellt sich die Frage, wie denn die Qualitätsorientierung gewährleistet werden kann. Da es zurzeit noch an entsprechender Grundlagenforschung mangelt, scheint kein Weg an dem Dilemma vorbeizuführen, dass mit dem Wunsch nach fundiertem Wissen über die Gespräche eine gewisse ‚Störung’ einhergeht. Die nächsten Zitate beziehen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Stellenwert von Beurteilungsgesprächen mit anwesenden Eltern auf der Sekundarstufe II . Die ersten beiden Auszüge stammen von Mitgliedern der Schulleitungen an zwei unterschiedlichen Gymnasien, die mir persönlich bekannt sind. Beide haben sich zunächst für das Projekt interessiert, jedoch nach Absprachen in der gesamten Schulleitung eine Absage erteilen müssen: <?page no="76"?> 76 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Aus Datenschutzgründen lehnt sie [die Schulleitung, VM ] die Anfrage ab. Sie erachtet es als nicht zulässig, eine Drittperson in die Gesprächsrunde beizusetzen. Wir wissen auch nicht, wer überhaupt an die Elterngespräche kommt, d. h. man kann die Einwilligung bei den Eltern nicht vorher einholen. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2013) Wir haben relativ wenig Elterngespräche und viele Kolleginnen und Kollegen sehen bei den Lernberichtsgesprächen die Eltern das erste Mal. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012) Im ersten Ausschnitt wird einerseits der Datenschutz hervorgehoben. Dies war durchgehend eine grosse Sorge der angefragten Schulleitungen und es konnte nicht immer erfolgreich versichert werden, dass die Daten vertraulich behandelt und durchgehend anonymisiert werden. Ebenfalls wurde bei der Datenerhebung schon nach den ersten ablehnenden Äusserungen auf die Möglichkeit der teilnehmenden Beobachtung verzichtet und nur ein Aufnahmegerät mitgegeben. Der zweite Punkt in diesem ersten Ausschnitt thematisiert die ethischen Bedingungen einer solchen Untersuchung und zeigt ein Problem auf, das bezeichnend für die Organisation von Kontakten zu Eltern auf der Sekundarstufe II ist. Meist sind keine klassendeckenden Beurteilungsgespräche mehr vorgesehen, sondern es finden Sprechstunden statt, die regelmässig von den Schulen angeboten werden. Die Handhabe ist teilweise so, dass sich die Eltern in eine Liste eintragen und auf diesem Weg anmelden. Im Falle dieser Schule scheint dies jedoch nicht nötig zu sein. Das Problem, welches daraus für die Forschungssituation entsteht, ist nachvollziehbar. Wenn die Gesprächsteilnehmenden in wenigen Sekunden entscheiden müssen, ob sie mit einer Aufnahme einverstanden sind oder nicht, kann dies als unethisch empfunden werden. Im zweiten Ausschnitt wird zudem darauf verwiesen, dass am Gymnasium kein regelmässiger Austausch zwischen der Schule und den Eltern mehr stattfindet. Die Aussage, dass Lehrpersonen die Eltern bei diesen Gesprächen das erste Mal sehen, impliziert eine Unsicherheit auf der Beziehungsebene oder zumindest eine fehlende Routine in dieser Gesprächskonstellation. Und schliesslich wird die Schwierigkeit, alle nötigen Einwilligungen auf der Sekundarstufe II zu erhalten auch damit erklärt, dass Beurteilungsgespräche an einigen Schulen nur noch in Problemfällen stattfinden. Dies wird in den letzten beiden Auszügen gezeigt. Im ersten Fall handelt es sich um eine Lehrerin auf Gymnasialstufe, die selber keine Gespräche aufnehmen konnte, da sie zum Zeitpunkt der Anfrage kurz vor der beruflichen Abwendung von der Schule stand. Es ging in ihrem Schreiben um mögliche Kontakte. Im zweiten Fall findet sich eine Erklärung eines Schulleiters, der mit Aufnahmen einverstanden war, sofern sich Lehrpersonen, Eltern und Lernende bereit erklären: <?page no="77"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 77 [ J]e älter und ‚mündiger’ unsere Schülerinnen und Schüler werden, desto mehr reden wir fast ausschliesslich direkt miteinander, Eltern dürfen ja dann im Normalfall nur noch dabei sein, wenn ihre Söhne und Töchter das erlauben. Im Nicht-Normalfall ist Gross-Krise, vermutlich ohne Tonband… (Lehrerin, persönliche E-Mail, 2012) [A]us meiner Optik dünkt mich die Sache recht heikel, da der Anlass solcher Gespräche nicht immer erfreulich ist und mit der Anwesenheit einer Drittperson die Situation eine andere wird. […] Zudem finden immer seltener Elterngespräche statt, da bei Volljährigkeit die Lernenden unsere direkten Ansprechpartner sind. (Mitglied der Schulleitung, persönliche E-Mail, 2012) In beiden Auszügen wird betont, dass die SchülerInnen selbst als primäre Ansprechpartner gelten und es nur in Krisenfällen zu Elternkontakten kommt. Folglich sind diese Gespräche auch „nicht immer erfreulich“ oder „heikel“ und somit als sensibel einzustufen. Es überrascht nicht und deckt sich auch mit mündlichen Aussagen von anderen Schulleitungen und Lehrpersonen, dass gerade in diesen Fällen, die für eine Untersuchung interessant wären, die Einwilligungen für eine Aufnahme eher nicht zustande kämen. Dass es auch bei Gesprächen auf der Primarstufe zu heikleren Settings und Krisengesprächen kommen kann, ist zwar nicht auszuschliessen. Was aber insbesondere die Gespräche auf der Sekundarstufe II problematischer erscheinen lässt, ist einerseits der Umstand, dass erst bei vorhandenen Schwierigkeiten überhaupt ein Gespräch veranlasst wird. Andererseits ist die Gesprächssituation ungewohnter, wenn es zwischen den Beteiligten nicht zu einem regelmässigen Austausch kommt. Dies widerspiegelt sich in der zitierten Aussage, dass die Lehrpersonen häufig bei diesen Gesprächen das erste Mal den Eltern gegenüberstehen. Auch wenn es sich bei den Ausführungen um allgemeinere Eindrücke und Einzelbetrachtungen von schriftlichen Aussagen handelt, die nicht systematisch eingeholt wurden, sind sie in Bezug auf die soziale Praxis des Beurteilungsgesprächs aufschlussreich. Die Beobachtungen zur Kooperation respektive Zurückhaltung von angefragten AkteurInnen zeigen ein allgemeines Unbehagen der Beteiligten mit der Gesprächssituation. Gleichwohl wird diesem Umstand in Ausbildungsgängen nicht genügend Rechnung getragen. Gerade wenn im Bereich der Sekundarstufe II die Beurteilungsgespräche in der Häufigkeit abnehmen und nur in Problemfällen geführt werden, bestärkt dies m. E. die Notwendigkeit einer Untersuchung genau solcher Gespräche, um eine entsprechende Vorbereitung von angehenden Lehrpersonen gewährleisten zu können. Abschliessend stellt sich noch die Frage, inwiefern die Gespräche heikel sind und weshalb in vielen Fällen nur sehr zögerlich auf das Forschungsvorhaben reagiert wurde. Besonders im Hinblick auf die inzwischen lange Forschungstradition der Arzt-Patienten-Kommunikation erscheinen die potenziell <?page no="78"?> 78 3 Methodenreflexion und Datenmaterial heiklen Themen in einem schulischen Beurteilungsgespräch verschwindend klein und die Datenschutzfrage bei gewährleisteter Anonymisierung geklärt zu sein. Spekulativ lässt sich die Vermutung anstellen, dass es nicht so sehr um sensible Informationen zum Kind oder weiteren Beteiligten geht, sondern dass die am Gespräch Beteiligten in Bezug auf die Gesprächspraktiken und die Beziehungsebene unsicher sind. Gerade deswegen ist es wichtig, die Forschungsfragen dieser Arbeit anzugehen: Was geschieht in diesen Gesprächen? Welche Praktiken und Ressourcen werden von den Gesprächsteilnehmenden verwendet? Welche Ziele werden von den einzelnen Beteiligten verfolgt und auf welche Weise? Und wie positionieren sich die Beteiligten in den Gesprächen, wie handeln sie ihre Rollen aus? Die Reflexion des Erhebungsprozesses zeigt einerseits, in welchem Umfeld die Studie angesetzt ist und welche AkteurInnen involviert sind, andererseits lassen sich durch den Einbezug dieses Kontextes erste Fragen an das Datenmaterial entwickeln. Erhebung der Gesprächsdaten Das Erteilen der Informationen an die beteiligten Parteien sowie das Einholen der entsprechenden Einwilligungen waren je nach Schule und persönlichen Kontakten unterschiedlich organisiert. In der Regel bestand ein Kontakt zwischen Forscherin und Schulleitung sowie Lehrperson. Die Eltern wurden dann brieflich, oder in Einzelfällen telefonisch, direkt von der Lehrperson angefragt. In einigen wenigen Fällen liefen alle Kontakte zu den Gesprächsteilnehmenden via Schulleitung und sind somit der Forscherin nicht bekannt. Nur in einem Fall sind der Forscherin die Eltern bekannt, da es sich um einen persönlichen Kontakt handelt. Dass es in den meisten Fällen nicht zu einer Begegnung zwischen Forscherin und Eltern kam, wurde teils implizit, häufig aber explizit gewünscht und so wurde auch die Übergabe des Aufnahmegeräts sowie die Aufnahme selbst entsprechend organisiert (vgl. auch ten Have 2007: 84). Mondada (2013: 38) nennt das Setting, die Vertraulichkeit sowie die Bereitschaft der Teilnehmenden als wichtige Einflussfaktoren, welche die Entscheidung zur Gestaltung des Aufnahmeprozesses mitgestalten: „The decision depends on the setting, the intimacy of the action recorded and the degree of collaboration from the participants“. Im vorliegenden Projekt wurden von den Teilnehmenden mehrheitlich Vorbehalte bezüglich Datenschutz sowie Störung des natürlichen Gesprächs geäussert und insofern wurde von der Anwesenheit der Forscherin (und dadurch auch von der teilnehmenden Beobachtung als zusätzliche Erhebungsmethode) abgesehen. Mit der Abgabe der Kontrolle über den Aufnahmeprozess an Gesprächsbeteiligte geht ein gewisses Risiko einher, welches sich auch auf die vorliegenden Daten auswirkt. So wurden zwar die Lehrpersonen jeweils instruiert, das Auf- <?page no="79"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 79 nahmegerät so früh wie möglich ein- und so spät wie möglich auszuschalten, damit auf der Aufnahme möglichst die Gesprächsränder für die Analyse zugänglich sind. Teilweise wurde jedoch das Gerät erst nach der Begrüssung und informellen Vorphase des Gesprächs eingeschaltet oder schon vor der Verabschiedung ausgeschaltet und so sind die für Vor- und Nachphasen typischen Praktiken nicht in allen Fällen vollständig vorhanden. Ebenfalls aufgrund der Besorgnis um Datenschutz und Störung der Gespräche vonseiten der Schulen, war es im gegebenen Kontext nicht möglich, die Interaktionen auf Video aufzuzeichnen, 37 obwohl dadurch das Interaktionsgeschehen detailgetreuer hätte analysiert werden können. Je ganzheitlicher die fokussierte soziale Praxis aufgenommen wird, desto eher kann gewährleistet werden, dass die soziale Wirklichkeit annähernd in ihrer Gesamtheit abgebildet wird - obwohl dieser Anspruch wohl nie ganz erfüllt werden kann (vgl. Mondada 2013: 55). Seit die technischen Möglichkeiten bestehen, werden daher Videodaten in der Gesprächsforschung bevorzugt, da die Körperlichkeit bei der Kommunikation eine grosse Rolle spielt und so auch mit registriert werden kann (vgl. Mondada 2013: 39). Ten Have (2007: 72) fügt an, dass auch dann grundsätzlich Videodaten empfohlen werden, wenn in der Analyse nicht spezifisch auf visuelle Aspekte der Kommunikation eingegangen wird, da diese Daten bei der Transkription (z. B. bei der teilweise unklaren Zuordnung von Sprecherbeiträgen in Mehrparteieninteraktionen), aber auch bei der Detailanalyse helfen können. Auch lassen sich Pausen mit Videodaten klarer interpretieren, da Schweigen oder fehlende Antworten nicht unbedingt bedeuten, dass keine Interaktion stattfindet. Eine Beschränkung auf Audiodaten birgt also die Gefahr, dass an gewissen Stellen keine abschliessenden Aussagen zur lokalen Bedeutung der interaktiven Praktiken gemacht werden können. Neben den genannten Vorzügen von Videoaufnahmen besteht jedoch auch die Gefahr, durch die Installation von Videokameras die Aufnahmesituation stärker zu beeinflussen oder gar zu stören (vgl. auch Kotthoff 2012b: 5). Audioaufnahmen können hingegen mit inzwischen sehr kleinen und unauffälligen Geräten in hoher Qualität erzielt werden und es wurde mir von Lehrpersonen bestätigt, dass die Aufnahmesituation dadurch schon nach wenigen Minuten in Vergessenheit geraten sei. 37 Es war schon schwierig, überhaupt die Bewilligung für Aufzeichnungen zu erhalten, weshalb die Einschränkung auf Audioaufnahmen in Kauf genommen werden musste (vgl. ähnliche Berichte bei Korn 2013: 20 ff.; Kotthoff 2012b: 5; Zwengel 2015: 130). <?page no="80"?> 80 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Erhebung ethnografischer Daten Für die weitere Einbettung der Daten im Kontext dienen einerseits die Vor- und Nachbesprechungen mit den Mitgliedern der Schulleitungen (vgl. auch die Diskussion zu dem Feldzugang), den Lehrpersonen sowie vereinzelt den Eltern. Andererseits diente ein kurzer Fragebogen dazu, weitere Eckdaten zu den Gesprächsteilnehmenden zu erhalten sowie Angaben zur Gesprächssituation einzuholen. Es wurde dabei nach dem Gesprächsanlass gefragt und weiter interessierte, welche eigenen Anliegen oder Erwartungen die Gesprächsteilnehmenden an das Gespräch hatten und wie sie mit dem Verlauf des Gesprächs zufrieden waren. Die Rücklaufquote der Fragebögen war leider gering und da teilweise aus Gründen des Datenschutzes die Studienteilnehmenden weder mit Namen bekannt sind, noch je von mir gesehen wurden, war eine erneute Nachfrage meinerseits nicht in jedem Fall möglich. Die Fragebögen werden aufgrund der schmalen Datengrundlage nicht systematisch ausgewertet, sondern dienen bei der Präsentation des Datenmaterials zu einer detaillierteren Beschreibung. So fliessen bei der Besprechung des Korpus ergänzende Hinweise zu den Gesprächen ein (Kap. 3.2.1) und in einem weiteren Teil werden ausgewählte Metakommentare aus den Fragebögen diskutiert (Kap. 3.2.2). 3.1.2 Datenaufbereitung Bei der Aufbereitung der Daten ist gemäss Deppermann (2008a: 32 ff.) so vorgegangen worden, dass zuerst von jedem Gespräch ein Inventar erstellt wurde. Jedes Gesprächsinventar enthält einerseits Informationen zur Aufnahmesituation sowie zum Bearbeitungsstand des Gesprächs und andererseits dokumentiert es den Ablauf des Gesprächs. Unter den allgemeinen Angaben wird festgehalten, an welcher Schule sowie wann und mit wem das Gespräch geführt wurde und wie lange es gedauert hat. Weiter werden die Sprechersiglen eingeführt, die für die Zuordnung im Gespräch verwendet werden und anonymisiert sein müssen. Für die vorliegenden Daten wurde entschieden, gesprächsübergreifend die institutionellen Rollenbezeichnungen zu verwenden, also L für Lehrperson , M für Mutter , V für Vater (bzw. in einem Fall P für Partner ), S für SchülerIn sowie in einem Fall H für Heilpädagogin . Häufig reicht jedoch die blosse Einführung von Sprechersiglen nicht, da die Namen der Gesprächsteilnehmenden sowie teilweise weitere sensible Daten wie Personennamen, Schulnamen, Ortsnamen, Datumsangaben etc. in den Gesprächen explizit genannt werden und aus Datenschutzgründen anonymisiert werden müssen. Bei den Decknamen, den sogenannten Maskierungen , wurde jeweils darauf geachtet, dass die Silbenstruktur sowie beispielswiese die <?page no="81"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 81 ethnische oder regionale Zugehörigkeit mit den entsprechenden Merkmalen der originalen Benennungen übereinstimmen (vgl. Deppermann 2008a: 31). Der zweite Teil des Gesprächsinventars dokumentiert den Gesprächsablauf und erfasst hierfür die groben thematischen und strukturellen Entwicklungen im Gespräch. Dadurch dient das Gesprächsinventar dem vereinfachten Auffinden von Phänomenen und Gesprächsphasen. Weiter wird jeweils angegeben, wer wann spricht und in welchen Sequenzen es Auffälligkeiten gibt (z. B. in Bezug auf Geräusche, Veränderungen in der Teilnehmendenkonstellation etc.). In einer letzten Spalte werden Hinweise und Notizen für mögliche Forschungsfragen angebracht. Diese Informationen werden häufig erst nach genaueren Analysen ergänzt oder aber verändert und präzisiert. Die Gesprächsinventare ermöglichen einen raschen Überblick über die Einzelgespräche und dienen der Identifizierung von spezifischen Phänomenen und Sequenzen, die für die Analyse transkribiert werden. Ausserdem lassen sich davon ausgehend die makroskopischen Entwicklungen nachzeichnen (vgl. Deppermann 2008a: 32). Die nächsten Schritte können unterschiedlich organisiert sein: Entweder erstellt man vollständige Transkripte aller Gespräche und beginnt dann mit der Selektion von Analysesequenzen (so beispielsweise empfohlen bei Hutchby & Wooffitt 2008: 69 ff.), oder man wählt ausgehend von den Inventaren die für die Analyse relevanten Passagen und transkribiert entsprechend nur diese Auswahl. Deppermann (2008a: 37) schlägt Letzteres vor, um „zeitintensive Transkriptionen [zu sparen], die nicht ausgewertet werden“. In der vorliegenden Arbeit wurde ein gemischtes Vorgehen gewählt: Etwa von der Hälfte des Korpus wurden mithilfe der FOLKER -Transkriptionssoftware (Schmidt & Schütte 2010; 2011) 38 komplette Minimaltranskripte nach GAT 2 (Selting et al. 2009) erstellt. Vor allem zu Beginn schien es wichtig, in die detailreiche Tiefe der Gespräche einzutauchen und beim mehrfachen Anhören, was für eine Transkription unabdingbar ist, die Spezifika der Gespräche besser zu erkennen. Nach den ersten Analysen wurde jedoch aus Zeitgründen auf komplette Transkriptionen verzichtet. Die Transkriptionen wurden bei den restlichen Gesprächen nur für die ausgewählten Phänomene angefertigt. Für diejenigen Auszüge, die für die Detailanalyse ausgewählt wurden, wurden detaillierte GAT 2-Basistranskripte ausgearbeitet. Da es sich bei den vorliegenden Daten um Gespräche in schweizerdeutschen Dialekten handelt, die nicht als Schriftsprachen existieren, wurden die Transkriptionskonventionen zudem in Anlehnung an die Dieth-Schrift erweitert 38 FOLKER wurde vom Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim für die Transkription von Audiodateien entwickelt und steht kostenlos für die Forschungsgemeinde zur Verfügung: http: / / agd.ids-mannheim.de/ folker.shtml (08. 02. 2015). <?page no="82"?> 82 3 Methodenreflexion und Datenmaterial (Dieth 1986; vgl. auch Burger et al. 1998). Die wichtigsten Änderungen betreffen die Notation von Langvokalen: Während im Standarddeutschen verschiedene Varianten wie ‚ie’, Dehnungs-‚h’ oder auch Doppelvokal für die Anzeige eines Langvokals zur Verfügung stehen, wird im Schweizerdeutschen nur auf die letztgenannte Variante zurückgegriffen. D. h. Langvokale werden systematisch durch Doppelvokal dargestellt. Die zusammengestellten Transkriptionskonventionen finden sich in einer Übersicht im Anhang. Die Transkripte wurden zur besseren Verständlichkeit jeweils interlinear in das Standarddeutsche übersetzt. 39 In einigen Gesprächen sprechen einzelne Personen (umgangssprachliches) Standarddeutsch, was dementsprechend gemäss orthografischen Regeln transkribiert wird. Es sind dies die Mutter von Sarah ( SJ 1_L1A_ LMV ), der Vater von Zoe ( SJ 1_L2A_ LMV ), die Heilpädagogin von Jonas ( SJ 6_L6A_ LHMS ) und teilweise der Schüler Ben ( SJ 4_L3B_ LMVS ), der sich damit an der Norm, dass Standarddeutsch die Schulsprache ist, orientiert. In allen Fällen gilt, dass nicht die Transkriptionen als Primärdaten behandelt werden, sondern immer die Aufnahmen selbst. Transkriptionen haben damit nur den Stand eines Hilfsmittels, um die flüchtige Sprache für die genaue Betrachtung zu fixieren. Jedoch gehört das wiederholte Anhören der Aufnahmen zu einem wichtigen Prozess während den Analysen (vgl. z. B. Hutchby & Wooffitt 2008: 69 ff.). Zwar wird der Anspruch erhoben, mit einer Transkription möglichst detailgetreu aufzuzeichnen, was in einer Aufnahme zu hören ist, es ist aber beinahe unmöglich, alle Facetten mündlicher Kommunikation in schriftlicher Form festzuhalten. Und es lässt sich auch kaum verhindern, dass nicht auch die eigene Interpretation oder ein spezifischer Analysefokus die Transkription beeinflusst. Beispielsweise werden Pausen oder Lachen unterschiedlich fokussiert und dementsprechend unterschiedlich detailliert transkribiert. Jefferson (1985: 25) kommt daher zum Schluss, dass unsere Aufmerksamkeit auf einzelne Phänomene die Transkription beeinflusst: „It depends a great deal on what we are paying attention to“ (vgl. auch Sidnell 2011: 25). Damit also keine fehlgeleiteten Analysen auf Basis der Transkriptionen entstehen können, ist der ständige Rückgriff auf die Primärdaten notwendig. 39 Für die Übersetzungen wurde in Zweifelsfällen das Schweizerische Idiotikon konsultiert: https: / / www.idiotikon.ch/ (05. 09. 2016). <?page no="83"?> 3.1 Reflexion zum methodischen Vorgehen 83 3.1.3 Analysevorgehen Der analytische Zugang basiert auf den vorgestellten Prämissen und Konzeptionen der Gesprächsanalyse (vgl. Kap. 2.1.1) und der Positionierungsanalyse (vgl. Kap. 2.4.3). Als Grundsatz gilt, trotz der Forschungsperspektive von aussen auf das Gespräch, jeweils die Perspektive der Interagierenden einzunehmen und für die Analyse fruchtbar zu machen. Die analytische Aufgabe besteht also darin nachzuvollziehen, wie die Gesprächsteilnehmenden interaktiv Sinn herstellen und einander anzeigen, wie sie das Gesagte verstehen (vgl. Deppermann 2008a: 50; Sacks, Schegloff & Jefferson 1974: 729). Um bei der Analyse diesen Perspektivenwechsel zu vollziehen, wird nach dem Prinzip des next-turn proof procedure vorgegangen (vgl. z. B. Sidnell 2013: 79), d. h. es wird der jeweilig nächste Turn in die Sequenzanalyse einbezogen. Der erste Analysezugang beginnt aber nicht erst mit der konkreten Sequenzanalyse, sondern schon bei der Erstellung von Gesprächsinventaren als Teil der Datenaufbereitung (vgl. Kap. 3.1.2). Nach der Datenerhebung habe ich jeweils zeitnah für jedes Gespräch ein Inventar erstellt (vgl. Deppermann 2008a: 32 ff.). Darin wurden Angaben zu Inhalt und Ablauf sowie erste Beobachtungen und Hinweise für allfällige Forschungsfragen notiert. Diese Inventare dienen einerseits dazu, die Gespräche als Gesamtereignisse zu erfassen und so die Makrostruktur des Gesprächstyps zu identifizieren. Andererseits lassen sich anhand dieser Gesprächsübersicht und den Notizen zu interessanten Phänomenen auch die relevanten Stellen für die mikroskopische Analyse einfacher wiederfinden. Es wurden dann erste Transkripte erstellt, die ebenfalls den Status einer Erstanalyse einnehmen. Denn durch das mehrfache Anhören der gleichen Stellen entwickelt sich ein Verständnis für auffällige Muster in den Daten. Von den identifizierten Phänomenen wurden Datenkollektionen erstellt, da jedes weitere Datum in spezifischem Kontext neue Facetten desselben Einzelphänomens zutage führen kann (vgl. z. B. Gülich & Mondada 2008: 18; Sidnell 2011: 31). Dabei geht es nicht um erschöpfende Datenkollektionen, die alle Fälle eines Einzelphänomens enthalten, sondern es handelt sich um eine spiralförmige Theoriebildung im Sinne des theoretical sampling in der Grounded Theory (Glaser & Strauss 1967; vgl. auch Charmaz 1995; Mey & Mruck 2011): Nach der Gegenstandskonstitution , welche basierend auf ersten Sequenzanalysen gebildet wird, werden so lange vergleichende Fälle gesammelt ( sampling ) und nach den Prinzipien der Sequenzanalyse analysiert ( Gegenstandsanalyse ), bis eine theoretische Sättigung erreicht wird, d. h. bis bei neuen Daten keine weiteren Aspekte mehr auftreten, die die Analyse noch ergänzen (vgl. Deppermann 2008a: 94 ff.). Dabei kommt es immer wieder zu Anpassungen und Neudefinitionen der Gegenstandskonstitution und somit zu neuen Strukturierungen der Datenkollektionen. <?page no="84"?> 84 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Bei der Auswahl von analyserelevanten Passagen für die Datenpräsentation geht es schliesslich darum, besonders klare Fälle zu identifizieren, die prototypisch für den Gesprächstyp oder für ein bestimmtes Phänomen sind (vgl. Deppermann 2008a: 52). Dadurch dass die Gesprächsanalyse mit der Positionierungsanalyse kombiniert wird, ist allerdings häufig die Präsentation längerer Transkriptausschnitte notwendig, als dies in der klassischen Konversationsanalyse gängig ist. Da nämlich die verschiedenen Positionierungen jeweils im gegebenen Kontext eingebettet sind und die Dynamik der Folgeaktivitäten mitbestimmen, sind die Analysen nur nachvollziehbar, wenn diese Kontexte verfügbar gemacht werden. So werden teilweise mehrseitige Transkriptausschnitte dargeboten, obwohl die fokussierten konversationellen Aktivitäten (vordergründig) nur wenige Äusserungen umfassen. Eine Frage, die im Diskurs zur Gesprächsanalyse immer wieder auftaucht, ist die der Verallgemeinerung und Quantifizierung gesprächsanalytischer Ergebnisse (vgl. dazu die dezidierte Stellungnahme im Postscript von Schegloff 1996b: 22 ff.). In der Gesprächsanalyse liegt der Fokus grundsätzlich nicht auf der Frage, wie oft ein Phänomen vorkommt, sondern wie in einem konkreten Kontext Ordnung hergestellt wird (vgl. z. B. Hutchby & Wooffitt 2008: 108 ff.; Psathas 1995: 2 f.; ten Have 2007: 39). Auch besteht die Gefahr, dass die Quantifizierung von Phänomenen zu voreiligen Kategorisierungen führt, die bei Detailanalysen in den spezifischen Kontexten eine weniger klare oder andere ‚Ordnung’ aufzeigen würden (vgl. Hutchby & Wooffitt 2008: 110); ein Problem, das Deppermann (2008a: 37) ebenfalls im Rahmen der in der Gesprächsanalyse typischen Datenkollektionen nennt. Da also häufig die spezifischen Kontexte das Interaktionsereignis beeinflussen und sich kaum verlässliche Verallgemeinerungen und Voraussagen machen lassen, spricht Peräkylä (2004: 297) eher von einer Verallgemeinerung der sprachlichen Möglichkeiten („ social practices that are possible , i. e. possibilities of language use “). Demnach wird zwar keine Aussage über die tatsächlichen Ausprägungen sprachlicher Aktivitäten in anderen Settings getroffen, jedoch zeigt die Analyse der Bearbeitung einer spezifischen kommunikativen Aufgabe in einem Kontext die konkreten Möglichkeiten auf, wie diese kommunikative Aufgabe gelöst werden kann und wie sie demnach potenziell auch in anderen Kontexten gelöst wird. 3.2 Datenmaterial Das Datenmaterial stammt aus sechs unterschiedlichen Schulen in drei verschiedenen deutschschweizerischen Kantonen. Es sind Primarschulen, Sekundarschulen, Gymnasien sowie eine Wirtschaftsmittelschule vertreten und so <?page no="85"?> 3.2 Datenmaterial 85 finden sich unter den Aufnahmen Gespräche aus dem ersten bis zum zwölften Schuljahr. Das untersuchte Korpus besteht aus vierzehn Audioaufnahmen von schulischen Beurteilungsgesprächen. Durchschnittlich dauern die Gespräche etwa 45 Minuten, wobei es Schwankungen zwischen acht und 64 Minuten gibt. Insgesamt umfasst das Korpus 487 Minuten mündliche Gesprächsdaten, was etwa acht Stunden entspricht. In Bezug auf die anwesenden Gesprächsteilnehmenden gibt es ebenfalls Unterschiede. Zuerst gilt anzumerken, dass von einigen Lehrpersonen zwei oder in einem Fall drei Gespräche aufgenommen wurden und so befinden sich im Korpus Gespräche von neun unterschiedlichen Lehrpersonen. In zwei Gesprächen sind die Schülerinnen nicht mitanwesend, von den Müttern ist nur eine Mutter beim Gespräch nicht dabei und die Väter (bzw. in einem Fall der im gemeinsamen Haushalt lebende Partner der Mutter) nehmen in zehn von vierzehn Gesprächen teil. In einem Gespräch ist zusätzlich zur Lehrerin noch eine Heilpädagogin dabei, die den betroffenen Schüler im Unterricht begleitet. Insgesamt resultiert dies in 45 unterschiedlichen Gesprächsteilnehmenden in vierzehn Interaktionen und es sind dies: fünf Lehrerinnen, vier Lehrer, dreizehn Mütter, neun Väter, ein Partner einer Mutter, vier Schülerinnen, acht Schüler sowie eine Heilpädagogin. Die Ausgangslage variiert in den Gesprächen teilweise erheblich. In einigen Fällen werden die Beurteilungsgespräche flächendeckend mit allen Eltern geführt, unabhängig von den Leistungen oder dem Verhalten der SchülerInnen. In einem dieser Gespräche geht es zudem um den Übertritt in weiterführende Schulen und es werden im Gespräch Empfehlungen ausgesprochen und Entscheidungen ausgehandelt. Im Gegensatz zu diesen Beurteilungsgesprächen finden sich aber auch sogenannte Elternsprechstundengespräche im Korpus, die sich merklich unterscheiden. Elternsprechstunden werden an einigen Schulen, insbesondere ab der Oberstufe, in regelmässigen Abständen angeboten und Eltern können sich bei Bedarf anmelden. In der Regel melden sich zu diesen Sprechstunden nur diejenigen Eltern an, die bei ihrer Tochter oder ihrem Sohn schulische Schwierigkeiten feststellen. Demnach unterscheidet sich die Ausgangslage von jener in Routinegesprächen. Und schliesslich findet sich ein Gespräch im Korpus, welches ausserordentlich von der Lehrerin einberufen wurde, da es beim betroffenen Schüler zu mehreren Verwarnungen kam und nun der Schulabschluss gefährdet ist. Die Mehrzahl der Gespräche findet an Wochentagen ab spätem Nachmittag statt, zwei Gespräche werden am Mittag geführt. Die Gespräche werden in Räumlichkeiten der jeweiligen Schulen, meistens in den Klassenzimmern, geführt. In diesen Räumen befinden sich jeweils nur die Gesprächsteilnehmenden. <?page no="86"?> 86 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Im Folgenden wird zuerst das entstandene Korpus vorgestellt. Dann werden ergänzende Kommentare aus den Fragebögen präsentiert, die eine weitere Perspektive auf die Gesprächssituation ermöglichen. Es geht dabei insbesondere um formulierte Anliegen und Erwartungen sowie um die allgemeine Zufriedenheit mit der Gesprächssituation. 40 3.2.1 Korpus Zur Orientierung werden die vierzehn Gespräche in der Tabelle 1 im Überblick dargestellt. Der Gesprächsname enthält jeweils Informationen zum Schuljahr (abgekürzt durch SJ + entsprechende Zahl), zur Lehrperson ( L steht für Lehrperson , die Zahl bezieht sich auf die Reihenfolge der aufgenommenen Gespräche, die Buchstaben A, B, C verweisen auf die Anzahl der aufgenommenen Gespräche pro Lehrperson) und zu den anwesenden Gesprächsteilnehmenden (Lehrperson L , Mutter M , Vater V bzw. Partner der Mutter P , SchülerIn S sowie in einem Fall Heilpädagogin H ). In der Übersicht finden sich neben diesen gesprächsidentifizierenden Namen Angaben zu den verwendeten Pseudonymen der SchülerInnen, zu den besuchten Schulstufen sowie entsprechenden Schuljahren, zu den Gesprächsteilnehmenden, den Gesprächsanlässen und zur Dauer der Gespräche. Im Anschluss werden die Gespräche einzeln vorgestellt. Zum einen geht es darum, die Gesprächsteilnehmenden, die Schule sowie das Zustandekommen des Gesprächs kurz zu charakterisieren. Dabei fliessen ethnografische Informationen aus den Ad-hoc-Vor- oder Nachbesprechungen sowie aus den Fragebögen ein. Da nicht überall ein direkter Kontakt zwischen Forscherin und Lehrpersonen bestand sowie nicht alle Fragebögen retourniert wurden, finden sich nicht in allen Besprechungen dieselben Eckdaten. Zum anderen wird zu jedem Gespräch eine kurze Inhaltsangabe präsentiert, um spätere Kontextualisierungen der Beispiele durch Rückgriff auf die hier gemachten Ausführungen zu erleichtern. 40 Um die Anonymität zu gewährleisten und eine Rückverfolgung der Aussagen zu den entsprechenden Gesprächsteilnehmenden zu verhindern, werden die Angaben losgelöst von den Besprechungen der einzelnen Gespräche diskutiert. <?page no="87"?> 3.2 Datenmaterial 87 Tabelle 1: Gesprächsdaten im Überblick Gesprächsname Schüler / Schülerin Schule Gesprächsteilnehmende Gesprächsanlass Dauer des Gesprächs SJ1_L1A_ LMV Sarah Primarstufe, 1. Schuljahr Lehrer (L1) Mutter (M) Vater (V) Beurteilungsgespräch mit allen Eltern des Jahrgangs (ohne Schülerin) 00: 30: 40 SJ1_L2A_ LMV Zoe Primarstufe, 1. Schuljahr Lehrerin (L2) Mutter (M) Vater (V) Beurteilungsgespräch mit allen Eltern des Jahrgangs (ohne Schülerin) 00: 38: 00 SJ4_L3A_ LMS Emma Primarstufe, 4. Schuljahr Lehrer (L3) Mutter (M) Schülerin (S) Beurteilungsgespräch mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 31: 29 SJ4_L3B_ LMVS Ben Primarstufe, 4. Schuljahr Lehrer (L3) Mutter (M) Vater (V) Schüler (S) Beurteilungsgespräch mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 49: 40 SJ5_L7A_ LMVS Chiara Primarstufe, 5. Schuljahr Lehrerin (L7) Mutter (M) Vater (V) Schülerin (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 21: 46 SJ5_L7B_ LMVS Tatjana Primarstufe, 5. Schuljahr Lehrerin (L7) Mutter (M) Vater (V) Schülerin (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 29: 51 SJ5_L7C_ LMVS Timo Primarstufe, 5. Schuljahr Lehrerin (L7) Mutter (M) Vater (V) Schüler (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 15: 45 SJ6_L6A_ LHMS Jonas Sekundarstufe I, 6. Schuljahr Lehrerin (L6) Heilpädagogin (H) Mutter (M) Schüler (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 38: 24 <?page no="88"?> 88 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Gesprächsname Schüler / Schülerin Schule Gesprächsteilnehmende Gesprächsanlass Dauer des Gesprächs SJ6_L6B_ LMVS Flavio Sekundarstufe I, 6. Schuljahr Lehrerin (L6) Mutter (M) Vater (V) Schüler (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 50: 15 SJ7_L9A_ LMS Alex Sekundarstufe I, 7. Schuljahr Lehrerin (L9) Mutter (M) Schüler (S) Sprechstundengespräch auf Initiative der Eltern (quartalsweises Angebot der Schule) 00: 22: 47 SJ7_L9B_ LMPS Marc Sekundarstufe I, 7. Schuljahr Lehrerin (L9) Mutter (M) Partner von M (P) Schüler (S) Sprechstundengespräch auf Initiative der Eltern (quartalsweises Angebot der Schule) 01: 04: 08 SJ8_L8A_ LMVS Philipp Sekundarstufe I, 8. Schuljahr Lehrer (L8) Mutter (M) Vater (V) Schüler (S) Standortbestimmung mit allen Eltern des Jahrgangs 00: 23: 48 SJ9_L4A_ LMS Selina Sekundarstufe I, 9. Schuljahr Lehrer (L4) Mutter (M) Schülerin (S) Sprechstundengespräch auf Initiative der Eltern (quartalsweises Angebot der Schule) 00: 08: 00 SJ12_L5A_ LVS David Sekundarstufe II, 12. Schuljahr Lehrerin (L5) Vater (V) Schüler (S) Gespräch auf Initiative der Klassenlehrperson; Anlass ist eine schriftliche Verwarnung 01: 03: 06 <?page no="89"?> 3.2 Datenmaterial 89 Sarah, SJ1_L1A_LMV: „°h und sie hat Irgendwie so dieses ähm: beSTREben, immer so (-) fAst ! Ü! berkorrekt zu sein; =oder? “ 41 Die Schülerin mit dem Pseudonym Sarah ist sieben Jahre alt und besucht die erste Klasse einer städtischen Primarschule. Die Klasse wird von einem Klassenlehrer und einer Klassenlehrerin gemeinsam geführt, beim Gespräch ist jedoch nur der Klassenlehrer anwesend. Das Beurteilungsgespräch findet nach den ersten neun Monaten statt und es handelt sich um das erste Gespräch zwischen dem Lehrer und den Eltern. In diesem Jahrgang ersetzt das Beurteilungsgespräch das sonst übliche Zeugnis und als Vorbereitung auf das Gespräch hat der Lehrer einen Beurteilungsbogen ausgefüllt, den er mit den Eltern bespricht. Beide Elternteile sind beim Gespräch anwesend, die Tochter aber nicht. Die Beteiligten sind unterschiedlich vertraut mit dem Gesprächstyp: Für die Mutter ist es das erste schulische Beurteilungsgespräch, der Vater hat schon im Zusammenhang mit weiteren Kindern Beurteilungsgespräche geführt. Der Lehrer blickt auf vier Jahre Berufserfahrung zurück und hat dementsprechend Erfahrung mit dem Gesprächstyp. Beide Elternteile sind berufstätig. Das Gespräch dauert ca. 30 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Der Lehrer (L1) zeigt als Einstieg ein Bild, auf dem sich die Schülerin einzeichnen und entsprechend in einer Gruppe positionieren musste. Danach gehen sie die verschiedenen Fächer durch, besprechen die Leistungen von Sarah und schauen gemeinsam Tests an. Bei den Fächern handelt es sich um Sprache (Deutsch), Mathematik, Singen, Zeichnen, Handarbeit, Werken und Turnen. Anschliessend leitet der Lehrer zum Lern- und Sozialverhalten über. In den letzten paar Minuten stellen die Eltern ergänzende Fragen zum Verhalten ihrer Tochter. 41 Diese Äusserung stammt von der Mutter (Min. 08: 42-08: 48), die damit auf die Einschätzung des Lehrers reagiert, dass Sarah eine schöne und korrekte Schrift habe, jedoch manchmal durch das sehr genaue Arbeiten sehr langsam sei. <?page no="90"?> 90 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Zoe, SJ1_L2A_LMV: „sii isch e seer e interesSIERti (.) schielerin, (---) e stilli SCHAFferin (.) isch sii au, hehehe °h und e seer e verANTwortigsbewUssti; “ 42 Zoe ist in derselben Klasse wie Sarah, das Gespräch wird hier aber von der Ko- Klassenlehrerin geführt. Anwesend sind auch bei diesem Gespräch neben der Lehrerin die Mutter und der Vater. Bei diesem Gespräch handelt es sich zwar ebenfalls um das erste Gespräch über Zoe, allerdings kennen sich die Eltern und die Lehrerin schon, da ein älteres Geschwisterkind ebenfalls bei dieser Lehrerin zur Schule ging. Dies wird dann auch gleich zu Beginn des Gesprächs relevant gesetzt, als die Lehrerin die Eltern als ‚alte Hasen’ in Bezug auf den Gesprächstyp anspricht (vgl. Diskussion zu Beispiel # 2 in Kap. 4.1.2). Die Lehrerin kennt auch die Perspektive als Mutter, da eines ihrer Kinder selbst im Schulalter ist (vgl. Beispiel # 27 in Kap. 5.2). Als Primarlehrerin arbeitet sie seit acht Jahren. Das Gespräch dauert 38 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Die Lehrerin (L2) steigt - ähnlich wie ihr Ko-Klassenlehrer im Gespräch über Sarah - mit einem Bild ein, auf dem sich Zoe positionieren musste. Sie schliesst diese Phase mit einer kurzen Beschreibung von Zoes Charakter ab. Die Lehrerin leitet über zu den Fächern: Sprache (Deutsch), Mathematik, Handarbeit, Werken und Zeichnen. Zum Lern- und Sozialverhalten erfragt die Lehrerin jeweils die Sicht der Eltern. In den letzten zehn Minuten tauschen sich die Beteiligten noch über Erfahrungen als Eltern aus, da die Lehrerin ebenfalls Kinder hat. Es werden sowohl von der Lehrerin als auch von den Eltern mehrfach Vergleiche zu den beiden älteren Brüdern von Zoe gezogen. 42 Das Zitat stammt von der Lehrerin, als sie ziemlich zu Beginn des Gesprächs in wenigen Wörtern die Charaktereigenschaften von Zoe beschreibt (übersetzt: „sie ist eine sehr interessierte Schülerin, eine stille Arbeiterin ist sie auch, hehehe, und eine sehr Verantwortungsbewusste“, Min. 01: 15-01: 24). <?page no="91"?> 3.2 Datenmaterial 91 Emma, SJ4_L3A_LMS: „mir sin Äfach nur STOLZ, ((…)) mer chöne schlicht nüt drFÜR; (-) hehehe °h sii het alles elLÄI gmacht.“ 43 Emma ist zehn Jahre alt und besucht dieselbe städtische Primarschule wie Sarah und Zoe, ist allerdings im vierten Schuljahr und bei einer anderen Lehrperson. Das Gespräch findet zwei Monate vor dem Schulabschluss an dieser Primarschule statt, danach wechselt das Kind ohne Einschränkung bezüglich Leistungsniveaus auf die Sekundarstufe I. Es handelt sich um die Besprechung eines Lernberichts und mit diesem Kind wurden zuvor schon vier Beurteilungsgespräche geführt. Das Gespräch wird nach Leitfaden geführt und dauert ca. 31 Minuten. Beim Gespräch sind der Klassenlehrer, die Mutter und die Schülerin anwesend. Alle Gesprächsbeteiligten haben schon mehrere ähnliche Gespräche geführt: Für Emma ist es das fünfte Gespräch und die Mutter hat sowohl die Gespräche mit Emma sowie weitere Gespräche mit deren Geschwistern im Schulalter geführt. Und der Lehrer schliesslich blickt auf achtzehn Jahre Berufserfahrung zurück und kennt auch die andere Perspektive als Vater von eigenen (teilweise schulpflichtigen) Kindern. Inhalt des Gesprächs: Der Lehrer (L3) kündigt an, dass die Beteiligten gemeinsam Tests und den Lernbericht anschauen werden und fragt zuerst Emma, was sie zum Lernbericht sagen möchte. Sie gehen dann die verschiedenen Tests in den Fächern Deutsch und Mathematik durch und besprechen danach die Fächer Musik, Zeichnen, Werken und Sport. Begleitend befragt der Lehrer Emma jeweils über ihr Lernverhalten sowie ihre Einstellung zu den Lerninhalten. Es wird sowohl bei den Fächern als auch beim danach folgenden Sozialverhalten viel Lob geäussert. In den letzten sechs Minuten wird vorausblickend über die kommende Schulstufe gesprochen. Die Mutter äussert sich besorgt in Bezug auf die neue Schule, da sie durch einen älteren Bruder von Emma schon einiges miterlebt habe. Der Lehrer beruhigt sie und verweist auf baldige Informationen zu Schulhaus und Klassenzuweisung. 43 Hier gibt die Mutter abschliessend ihrem Stolz Ausdruck (übersetzt: „wir sind einfach nur stolz, wir können schlicht nichts dafür, sie hat alles alleine gemacht“, Min. 27: 19-27: 29), nachdem der Lehrer nach viel Lob das Gesprächsende einleitet und sich noch nach offenen Fragen erkundigt. Interessant ist dabei, dass die Mutter explizit auf die kindliche Eigenleistung verweist und dadurch ausschliesst, dass die Äusserung als Selbstlob verstanden werden könnte (vgl. Pillet-Shore 2012: 182 zur Dispräferiertheit von Selbstlob). <?page no="92"?> 92 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Ben, SJ4_L3B_LMVS: „GMÄINschaftssinn- (1.76) s isch ! SEER! wichtig dass du bi uns in dr klAss bisch; “ 44 Ben ist elf Jahre alt und besucht dieselbe Schule und dieselbe Klasse wie Emma und wird somit auch von demselben Klassenlehrer unterrichtet - es gelten diesbezüglich dieselben Eckdaten. Dieses Gespräch dauert ca. 49 Minuten. Beteiligte sind der Klassenlehrer, die Mutter, der Vater sowie der Schüler. Auch mit diesem Schüler ist es schon das fünfte Beurteilungsgespräch. Ben hat ebenfalls Geschwister im Schulalter, was also darauf hindeutet, dass die Eltern bereits mit dem Gesprächstyp vertraut sind. Inhalt des Gesprächs: Der Lehrer (L3) beginnt das Gespräch vom Ablauf her ähnlich wie das Gespräch mit Emma und kündigt an, den Lernbericht und Tests gemeinsam zu besprechen sowie auch vorauszublicken. Bei den Tests schauen sie sich vor allem die Rechtschreibung an und der Lehrer stellt jeweils in kleinen Lehr-Lernsequenzen sicher, dass Ben seine Fehler versteht und dementsprechend ein Wissenszuwachs zu verzeichnen ist. Sie unterhalten sich lange auch über das Leseverhalten von Ben, schauen dann noch Mathematiktests durch, sprechen über die Fächer Musik, Werken und Sport und kommen schliesslich zum Sozialverhalten. Nach einer vorausblickenden Phase auf die neue Schule, fragt der Lehrer nach elternseitigen Anliegen, worauf diese als ‚Feedback’ bezeichnete Kritik in Bezug auf die häufigen Abwesenheiten des Lehrers äussern. Chiara, SJ5_L7A_LMVS: „°h mÄngisch: (.) mängisch bisch ou chli ne SCHWAUderi; “ 45 Chiara ist elf Jahre alt und besucht die fünfte von sechs Klassen einer ländlichen Primarschule. Sie musste das fünfte Schuljahr wiederholen und ist somit neu in der Klasse. Nach der ersten Hälfte des fünften Schuljahres findet mit allen Eltern des Jahrgangs ein Standortgespräch statt. Beim Gespräch sind neben der Klassenlehrerin die Mutter, der Vater und die Schülerin anwesend. Mit dieser Schülerin gab es zuvor noch kein Beurteilungsgespräch. Die Gesprächsteilnehmenden sind dennoch mit vergleichbaren Settings vertraut: Die Lehrerin verfügt über sechs Jahre Lehrerfahrung und die Eltern haben noch weitere Kinder, von denen eines ebenfalls im Schulalter ist. Zudem ist die Mutter selber ebenfalls (teilzeiterwerbend) Lehrerin und kennt dadurch die andere Perspektive. Das Gespräch mit Chiara dauert ca. 21 Minuten. 44 Das Lob stammt von dem Lehrer (übersetzt: „Gemeinschaftssinn - es ist sehr wichtig, dass du bei uns in der Klasse bist“, Min. 28: 02-28: 07), als er die verschiedenen Aspekte des Sozialverhaltens durchgeht. 45 Die Lehrerin bezeichnet Chiara hier als Schwauderi (Min. 18: 04-18: 07), was auf Berndeutsch soviel heisst wie ‚Plauderin’, ‚Plaudertasche’, ‚Schwätzerin’ o. ä. Die Aussage lautet übersetzt also: „manchmal, manchmal bist du auch bisschen eine Plaudertasche“. <?page no="93"?> 3.2 Datenmaterial 93 Inhalt des Gesprächs: Nach einem kleinen Einstieg leitet die Lehrerin (L7) zur Besprechung der Selbstbeurteilung sowie des Zeugnisses über. Sie lässt jeweils Chiara ihre schriftlich verfasste Selbstbeurteilung vorlesen und fügt dann ihre eigenen Einschätzungen an. Es geht dabei zuerst um die Fächer Mathematik, Sachunterricht, Deutsch, Turnen, Werken, Zeichnen und dann um das Arbeitsverhalten und die Sozialkompetenz. Am Ende drücken die Eltern ihre Zufriedenheit aus, da es Chiara nun schulisch deutlich besser gehe, seit sie die Klasse gewechselt hat. Tatjana, SJ5_L7B_LMVS: „wie so s mÜÜsli in dr RUNdi; “ 46 Tatjana ist zwölf Jahre alt und besucht dieselbe Klasse an derselben Schule wie Chiara. Auch in diesem Fall gab es zuvor noch keine Beurteilungsgespräche mit diesem Kind, da die Lehrerin nur die Jahrgänge fünf und sechs unterrichtet. Dieses Gespräch dauert ca. 29 Minuten und anwesend sind neben der Klassenlehrerin die Mutter, der Vater und die Schülerin. Die Eltern leben getrennt, was gegen Gesprächsende von der Lehrerin relevant gesetzt wird, indem sie sich positiv dazu äussert, dass trotz getrennter Ehe beide Elternteile zum Gespräch erscheinen. Tatjana hat noch ein Geschwister im Schulalter, weshalb von einer gewissen Vertrautheit der Eltern in Bezug auf den Gesprächstyp ausgegangen werden kann. Inhalt des Gesprächs: Die Lehrerin (L7) organisiert hier den Ablauf ebenfalls so, dass Tatjana nach einem kleinen Einstieg jeweils ihre Selbstbeurteilung zu den Fächern Mathematik, Sachunterricht und Deutsch vorlesen muss und daraufhin die Beurteilung der Lehrerin erfolgt. Sie verweilen dabei sehr lange beim Fach Deutsch, welches Tatjana die grössten Schwierigkeiten bereitet. Die Fächer Turnen, Werken, Musik und Französisch werden nur kurz besprochen. Insgesamt liegt der Fokus stärker auf den Schwächen von Tatjana. Beim Arbeits- und Sozialverhalten tadelt die Lehrerin einerseits die von Tatjana zu schwache Selbsteinschätzung und lobt damit indirekt ihr Verhalten. Andererseits bemängelt sie aber auch das zurückhaltende Meldeverhalten. Abschliessend sprechen sie über Lernstrategien und der Vater lobt seine Tochter für die erzielten Fortschritte. Tatjana beteiligt sich kaum am Gespräch. 46 Das Zitat stammt von der Mutter (übersetzt: „wie so das Mäuschen in der Runde“, Min. 19: 59-20: 01) und ist in eine Sequenz zu Tatjanas Meldeverhalten eingebettet. Die Lehrerin redet Tatjana gut zu, dass sie sich auch einmal trauen solle, sich in der Klasse zu melden und dass sie nicht aufgrund ihrer schwachen Leistungen auch noch so zurückhaltend und still sein solle. Die Mutter orientiert sich an dieser Einschätzung, indem sie überlappend ihre Tochter als ‚Mäuschen in der Runde’ charakterisiert. <?page no="94"?> 94 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Timo, SJ5_L7C_LMVS: „und was mIr au (.) speziell GFAUe het bim tImo, er het (.) EI oder zwöimal mou i WUcheplan inegschriibe, är freu sich uf e TESCHT? “ 47 Auch Timo besucht dieselbe Klasse wie Chiara und Tatjana. Er ist elf Jahre alt und hat ein Geschwister im Schulalter. Es ist das erste Beurteilungsgespräch in dieser Beteiligtenkonstellation, welche aus der Klassenlehrerin, der Mutter, dem Vater und dem Schüler besteht. Das Gespräch dauert ca. 15 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Auch in diesem dritten Gespräch der Lehrerin (L7) liest Timo aus seiner Selbstbeurteilung vor und die Lehrerin ergänzt durch ihre Einschätzungen. Die Lehrerin befragt Timo an mehreren Stellen zu seinem Lernverhalten oder zu seinen Vorlieben in einem gewissen Fach. Besonders bei den Selbstbeurteilungen zeigt sich durch die Nachfragen, dass sich Timo an den von der Lehrerin gesetzten Noten orientiert und entsprechend sein Können einschätzt. Insgesamt fallen die Antworten von Timo eher knapp aus. Die Lehrerin fragt am Ende der Reihe nach alle Anwesenden, ob sie noch Fragen oder Ergänzungen haben, was alle verneinen. Jonas, SJ6_L6A_LHMS: „du bisch wennd käini flAUse im kopf hesch (-) ZUEverlässig? “ 48 Jonas besucht die erste Klasse (sechstes Schuljahr) einer ländlichen Sekundarschule mit mittleren Leistungsanforderungen. Nach dem ersten halben Jahr an dieser Schule wird mit allen Eltern ein Beurteilungsgespräch geführt. Es handelt sich um das erste Beurteilungsgespräch mit diesem Schüler. Bei diesem Gespräch sind neben der Klassenlehrerin eine Heilpädagogin als zusätzliche institutionelle Vertreterin sowie die Mutter und der Schüler anwesend. Der Schüler musste das sechste Schuljahr aufgrund mangelnder Leistungen wiederholen. Seither arbeitet er mit einer Heilpädagogin zusammen und hat gemäss Aussagen im Gespräch inzwischen grosse Fortschritte erzielen können. Die Lehrerin kennt den Schüler schon aus dem vorigen Jahr aus dem Fachunterricht. Das Gespräch dauert insgesamt ca. 38 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Zu Beginn des Gesprächs legt die Lehrerin (L6) Zettel auf dem Tisch aus, auf denen jeweils ein Begriff steht und fordert Jonas auf, zwei bis vier Begriffe auszuwählen, zu denen er etwas sagen möchte. Jonas beginnt mit Stärken und Schwächen und erhält von der Lehrerin, der Mutter 47 Die Äusserung stammt von der Lehrerin (übersetzt: „und was mir auch speziell gefallen hat bei Timo, er hat ein- oder zweimal in den Wochenplan geschrieben, er freue sich auf den Test“, Min. 06: 26-06: 32). 48 Hier charakterisiert die Mutter ihren Sohn (übersetzt: „du bist, wenn du keine Flausen im Kopf hast, zuverlässig“, Min. 03: 16-03: 20), nachdem Jonas selbst nur bedingt Aussagen über seine Fähigkeiten formulieren konnte. Die Charaktereigenschaft Zuverlässigkeit wird allerdings von der Mutter eingeschränkt, indem sie auf zeitweilige Flausen verweist. <?page no="95"?> 3.2 Datenmaterial 95 und der Heilpädagogin immer wieder Hilfestellungen, wenn er lange Zeit nicht antwortet. Die weiteren Gesprächsinhalte sind die erzielten Fortschritte in Bezug auf Selbstständigkeit bei Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitung, Wohlbefinden in der Klasse, sauberes Arbeiten und dann die Geschwätzigkeit sowie das teilweise laut bekundete Desinteresse von Jonas. Es folgt darauf eine längere Sequenz, in der die Beteiligten zu ergründen versuchen, ob die mangelhafte Motivation von Jonas allenfalls mit einer Unter- oder Überforderung zu tun haben könnte und sie sprechen über mögliche Trainingsprogramme. Flavio, SJ6_L6B_LMVS: „Är isch glaub schO e TIIMpleier; “ 49 Flavio besucht dieselbe Klasse wie Jonas. An dem Beurteilungsgespräch nehmen neben der Klassenlehrerin die Mutter, der Vater und der Schüler teil. Es ist das erste Beurteilungsgespräch mit diesem Schüler. Das Gespräch dauert ca. 50 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Auch hier steigt die Lehrerin (L6) mit den Begriffen ein, zu denen sich Flavio positionieren soll. Flavio tritt selbstsicher auf und schätzt sich bereitwillig ein. Sie sprechen lobend über die Selbstständigkeit, die Zuverlässigkeit und Disziplin sowie das gute Sozialverhalten. Die Lehrerin leitet zur Schwatzhaftigkeit von Jonas über, die vom Vater ironisch als „Usgeprägts kommunikaTIONSbedürfnis“ (übersetzt: „ausgeprägtes Kommunikationsbedürfnis“, Min. 11: 18) bezeichnet wird. Nach weiteren Punkten, die das Arbeitsverhalten betreffen, schliesst die Lehrerin mit einem kurzen Einbezug der durch Flavio ausgefüllten Selbstbeurteilung. Der Vater hat abschliessend zwei allgemeine Rückfragen bzw. Rückmeldungen bezogen auf die zeitenweise Häufung von Prüfungen und demnach nicht zufriedenstellende Koordination unter den Lehrpersonen sowie bezogen auf einen Fachunterrichtslehrer. Alex, SJ7_L9A_LMS: „i interpretier das eher mit FUULheit.“ 50 Alex ist dreizehn Jahre alt und besucht das siebte Schuljahr in der progymnasialen Abteilung eines ländlichen Langzeitgymnasiums. 51 Das Gespräch findet im Rahmen einer Elternsprechstunde statt, die quartalsweise von der Schule 49 Im Zitat bezeichnet die Mutter ihren Sohn als Teamplayer (übersetzt: „er ist, glaub ich, schon ein Teamplayer“, Min. 08: 44-08: 45), nachdem sich schon die Lehrerin und der Vater positiv zu Flavios Sozialkompetenz geäussert haben. 50 Die Lehrerin legt hier ziemlich zu Beginn des Gesprächs (Min. 03: 36-03: 38) fest, dass sie die schwachen Leistungen von Alex auf Faulheit zurückführe und nicht etwa von einer erreichten Leistungsgrenze ausgehe (übersetzt: „ich interpretiere das eher mit Faulheit“). Diese Einschätzung wird von der Mutter und von Alex als geteilte Sicht ratifiziert. 51 In einigen Schweizer Kantonen gibt es zum Zeitpunkt der Erhebung das Langzeitgymnasium, welches direkt an die Primarschule anschliesst und die Sekundarstufen I und II umfasst. Für die entsprechenden Schuljahre auf Sekundarstufe I (bis 9. Schuljahr) gibt es <?page no="96"?> 96 3 Methodenreflexion und Datenmaterial angeboten und auf Wunsch der Eltern wahrgenommen wird. Das Gespräch findet etwa ein Monat vor Notenabschluss des siebten Schuljahres statt und anwesend sind neben der Lehrerin die Mutter und der Schüler. Mit diesem Kind haben schon drei vergangene Beurteilungsgespräche stattgefunden. Die Mutter ist dadurch, wie auch durch das weitere Kind im Schulalter, mit dem Gesprächstyp vertraut. Die Lehrerin blickt auf zwanzig Jahre Lehrerfahrung zurück. Die Dauer des Gesprächs liegt bei ca. 22 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Die Lehrerin (L9) beginnt das Gespräch, indem sie die aktuelle Notenübersicht von Alex präsentiert und die Schwierigkeit herausstreicht, die aktuell ungenügenden Noten noch aufzuholen. Im Gespräch geht es dann v. a. um Lernstrategien und um den erforderten Einsatz bei den Hausaufgaben und im Unterricht (Meldeverhalten). Marc, SJ7_L9B_LMPS: „°h i wött äfach so MITtel sii,“ 52 Der vierzehnjährige Marc besucht dieselbe Klasse wie Alex und es handelt sich ebenfalls um ein Sprechstundengespräch, welches auf Wunsch der Eltern stattfindet. Mit Marc haben schon fünf vergangene Beurteilungsgespräche stattgefunden. Beim Gespräch sind neben der Lehrerin die Mutter, der Partner der Mutter, welcher ebenfalls als Lehrer tätig ist, sowie der Schüler anwesend. Die aufgenommene Sprechstunde dauert ca. 64 Minuten. Inhalt des Gesprächs: Ähnlich wie im Gespräch mit Alex beginnt die Lehrerin (L9) damit, die prekäre Notenlage von Marc zu präsentieren. Der Hauptfokus des Gesprächs ist ein möglicher Schulwechsel mit der damit verbundenen Organisation eines Schnuppertags für Marc und die alternative Lösung des Wiederholens einer Klasse in gleicher Niveau-Ausrichtung der Schule. Dabei geht es u. a. auch um Berufswünsche von Marc, da die Schultypen jeweils andere Anschlussmöglichkeiten bieten. Die Mutter dominiert das Gespräch über lange Strecken und schweift immer wieder vom Fokus ab. in einigen Kantonen die Bezeichnung Progymnasium (vgl. http: / / bildungssystem.educa. ch/ de/ gymnasiale-maturitaetsschule-gymnasium, 03.06.2014). 52 Marc formuliert hier sein Ziel, in der Schule nur durchschnittliche Leistungen zu erzielen (übersetzt: „ich will einfach so mittel sein“, Min. 35: 05-35: 07) und bestätigt damit die Aussage der Mutter, dass er bei einem allfälligen Schulwechsel in eine niedrigere Niveau- Stufe befürchte, plötzlich als Streber aufzufallen. <?page no="97"?> 3.2 Datenmaterial 97 Philipp, SJ8_L8A_LMVS: „KLASsische nivoo PEE schüeler; aso sprich (.) klAssische gymnaschü gymnaSIASCHT, klAssische stuDÄNT; “ 53 Philipp besucht das achte Schuljahr an einer ländlichen Sekundarschule in der Abteilung für gymnasiale Vorbildung (Niveau P). Es handelt sich beim Gespräch um ein Standortgespräch zur schulischen bzw. beruflichen Orientierung nach den neun obligatorischen Schuljahren und diese Gespräche werden mit allen Eltern der achten Klassen geführt. Typischerweise wechseln SchülerInnen dieser Abteilung nach dem neunten Schuljahr auf ein dreibis vierjähriges Gymnasium und so geht es in den Gesprächen darum einzuschätzen, ob die Leistungen und Anforderungen erreicht werden oder welche weiteren Optionen infrage kämen. Das Gespräch dauert ca. 23 Minuten und neben dem Klassenlehrer sind die Mutter, der Vater sowie der Schüler anwesend. Inhalt des Gesprächs: Der Lehrer (L8) präsentiert zu Beginn kurz die Beurteilungsbögen der Lehrpersonen sowie des Schülers und zeigt sich sehr zufrieden mit Philipps Leistungen. Aus seiner Sicht steht der gymnasialen Schullaufbahn nichts im Wege. Jedoch zeigt sich im Gespräch, dass Philipp eher eine berufliche Laufbahn, kombiniert mit der Berufsmaturität 54 , einschlagen möchte. Im Weiteren geht es dann darum zu klären, ob und in welchem Ausmass Philipp Hilfestellungen für die Berufswahl benötigt. Selina, SJ9_L4A_LMS: „aso me cha nit äfacht äh: °hh uf die fuuli hUt: SITzen; =oder,“ 55 Selina ist fünfzehn Jahre alt und besucht das neunte Schuljahr desselben ländlichen Langzeitgymnasiums wie Alex und Marc. Die Mutter hat sich für die von der Schule angebotene Elternsprechstunde angemeldet, welche etwa ein Monat nach Beginn des neunten Schuljahres stattfindet. Es sind der Klassenlehrer, die Mutter und die Schülerin anwesend. Mit dieser Schülerin gab es in der Vergangenheit schon ein weiteres Gespräch. Der Lehrer unterrichtet seit zweiunddreissig Jahren und kennt auch die ältere Schwester von Selina aus dem Unterricht. Dies wird im Gespräch relevant gesetzt, als auf die Lernaktivitäten der 53 Der Lehrer ordnet Philipp hier der Kategorie ‚klassischer Niveau P-Schüler’ zu und ergänzt entsprechend der typischen Schullaufbahn nach erfolgreicher Sekundarstufe im Niveau P die perspektivisch angelegte Kategorisierung als ‚klassischer Gymnasiast’ und ‚klassischer Student’ (Min. 08: 30-08: 35). 54 Die Berufsmaturität (bzw. Berufsmatur oder Berufsmatura) kann ergänzend neben der beruflichen Grundbildung erworben werden und entspricht einer fachlich eingeschränkten Variante der allgemeinen gymnasialen Maturität (äquivalent zum Abitur). Die Berufsmaturität ermöglicht den Zugang zu Fachhochschulen. 55 Die Äusserung stammt von dem Lehrer, als er am Beispiel von Selinas Schwester aufzeigt, dass man für die gymnasiale Laufbahn arbeiten müsse (übersetzt: „also man kann nicht einfach äh auf die faule Haut sitzen, oder“, Min. 04: 03-04: 07). <?page no="98"?> 98 3 Methodenreflexion und Datenmaterial Schwester verwiesen wird. Die Aufnahme des Gesprächs dauert acht Minuten. Aus technischen Gründen kam es jedoch zu einem frühzeitigen Abbruch der Aufnahme und so fehlen ein paar Minuten des Gesprächs. 56 Inhalt des Gesprächs: Der Lehrer (L4) erfragt gleich zu Beginn, was die Gründe für den Sprechstundenbesuch sind. Die Mutter wünscht eine Einschätzung zu Selinas Leistungen und der Lehrer delegiert vorerst an Selina, die sich nun selbst einschätzen soll. Im Gespräch geht es dann hauptsächlich um die gesunkenen Leistungen von Selina, die auf mangelnde Aufmerksamkeit und Schwatzhaftigkeit zurückgeführt werden. David, SJ12_L5A_LVS: „aso sini: SÄLBSCHTorganisation isch äfach: äh oberlAUsig; “ 57 David ist achtzehn Jahre alt und besucht eine ländliche, weiterführende Schule im kaufmännischen Bereich, Sekundarstufe II . Das Gespräch findet auf Initiative der Lehrerin statt und dem ging schon ein Verwarnungsbrief voraus. Dem Schüler wird vorgeworfen, dass er seine Pflichten nicht wahrnehme. Es geht dabei um Absenzen, um eine Anmeldung für ein offizielles Sprachdiplom sowie um seine allgemeine Einstellung zum Unterricht, zur Schule und zur Zukunft. Das Gespräch findet etwas mehr als ein halbes Jahr vor Schulabschluss statt und neben der Klassenlehrerin sind der Vater sowie der Schüler selbst anwesend. Es handelt sich um das zweite Gespräch mit diesem Schüler und es dauert ca. 63 Minuten. Die Lehrerin unterrichtet seit sechzehn Jahren und Davids Vater arbeitet als Sozialarbeiter. Inhalt des Gesprächs: Die Lehrerin (L5) beginnt das Gespräch, indem sie die Verwarnung an David, seine vielen Absenzen und Verspätungen sowie die fehlende Leistungsbereitschaft als Ausgangspunkt aufführt. Im Gespräch versuchen die Lehrerin und der Vater gemeinsam mit David die Probleme zu bestimmen und Lösungsansätze zu finden. Aus Sicht des Vaters haben Davids Probleme mit seiner generellen Einstellung zu tun und die könne nur er selbst ändern. Sie besprechen Davids Zukunftsperspektiven und Bewerbungsverfahren und verhandeln die unterschiedlichen Sichtweisen zu den nötigen Kontrollmecha- 56 Es konnte zum Zeitpunkt des entdeckten Mangels der Aufnahme nicht mehr rekonstruiert werden, wie lange das Gespräch tatsächlich dauerte. In der Regel liegen die Sprechstunden bei zehn bis zwanzig Minuten. 57 Schon sehr früh im Gespräch definiert der Vater die Selbstorganisation seines Sohnes als Hauptproblem (übersetzt: „also seine Selbstorganisation ist einfach äh oberlausig“, Min. 04: 48-04: 52). Das Gespräch dreht sich später immer wieder um diesen Problembereich. Die Adressierung in diesem Beispielsatz ist allerdings eher untypisch. Sowohl der Vater als auch die Lehrerin adressieren fast durchgehend David und nur in Ausnahmefällen die jeweils andere erwachsene Person. <?page no="99"?> 3.2 Datenmaterial 99 nismen und Hilfestellungen vonseiten der Schule oder der Familie. Zum Ende hin werden Ziele für die verbleibenden Schulmonate vereinbart. 3.2.2 Metakommentare zu den Gesprächen Im Folgenden zeige ich, welche Anliegen die Gesprächsteilnehmenden behandelt haben wollten und welche Erwartungen an die Gespräche gestellt wurden. Daraufhin werden einzelne Aussagen von den Studienteilnehmenden zur Zufriedenheit mit dem Verlauf des Gesprächs fokussiert, die eine Sicht aus unterschiedlichen Perspektiven auf dasselbe Gespräch ermöglichen. Auf die Frage, welche Anliegen die Gesprächsteilnehmenden behandelt haben wollten, kamen hauptsächlich Antworten zur Standortbestimmung des Kindes in Bezug auf schulische Leistungen, Leistungsbereitschaft, Sozial- und Arbeitsverhalten, Integration in der Klasse, eventuelle Probleme der SchülerInnen und Verbesserungspotenzial. Zusätzlich wurden spezifische Anliegen formuliert, wie beispielsweise von einem Vater, der etwas über die Ziele des Lehrplans erfahren wollte. Ein anderer Vater hatte zudem das eigene Anliegen, die offenbar häufige Abwesenheit von Lehrpersonen zu besprechen. In den meisten Fällen waren die Anliegen so formuliert, dass ein Informationsfluss von der Lehrperson an die Eltern impliziert wurde. Beispielsweise gibt eine Lehrperson an, einen „Überblick über die schulischen Leistungen geben“ zu wollen und eine Mutter wünscht sich eine „Beurteilung des Schülers aus den Augen der Lehrerin“. Eine Mutter möchte zudem - wenn auch nur implizit - Beratung einholen, wenn sie fragt: „Wie kann man gewisse Sachen verbessern“. Und in einem Fall möchte eine Lehrperson explizit herausfinden, ob der Schüler an seinen Grenzen ist und was er braucht, um bessere Leistungen zu erzielen. Es bleibt indes unklar, ob diese Information von dem Schüler selbst oder von den Eltern geliefert werden soll. Interessant ist, dass bei der Frage nach den Erwartungen an das Gespräch auch der Austausch von Informationen und Wahrnehmungen betont wird, was also weniger einen klaren Informationsfluss von einer Partei zu einer anderen Partei meint. So werden von Lehrpersonen Erwartungen formuliert wie „Offene Runde und Mitbeteiligung vom Kind“ oder „dass mir zugehört wird und ein Gespräch stattfindet, an dem nicht nur ich spreche“. Auch vonseiten der Eltern findet sich die Erwartung der Mitbeteiligung des Kindes: „Offenes Aussprechen aller wichtigen Belange; Aktives Gespräch mit Sohn, nicht über ihn“ (Hervorhebung im Original). Dies zeigt von einzelnen eine Sensibilität bezüglich der Gesprächskonstellation. Die nicht oder nur teilweise erfüllte Erwartung zeigt sich in der Aussage einer Mutter: „Es war weniger Dialog als Rückmeldung (war als solches auch vorgesehen)“. Darin zeigt sich einerseits das vorhandene Wissen <?page no="100"?> 100 3 Methodenreflexion und Datenmaterial über den typischen Informationsfluss in solchen Gesprächen, andererseits aber auch die implizite Erwartung einer alternativen, dialogorientierten Form. Abschliessend wurden die Gesprächsteilnehmenden in den Fragebögen nach ihrer Zufriedenheit mit dem Verlauf des Gesprächs gefragt. Es finden sich unter den Anmerkungen positive Rückmeldungen wie beispielsweise „Es war ein schönes, verständliches Gespräch“. Jedoch finden sich auch kritische Stimmen, die sehr widersprüchlich sind, wenn sie mit Aussagen aus demselben Gespräch verglichen werden. So konstatiert eine Lehrperson, dass es sich um ein „angenehmes Gespräch mit viel Wertschätzung“ gehandelt habe, während von den Eltern die folgenden Mängel angebracht wurden: „Verlief sachlich, für mich zu sachlich. Erwarte von LP auch etwas Wärme, Emotionalität.“ Und weiter: „Das Gespräch verlief zackig und schnell, die gefühlsvolle Seite kam ein wenig zu kurz! “ Hier zeigt sich die unterschiedliche Wahrnehmung der Lehrperson und der Eltern auf dieselbe Gesprächssituation und verdeutlicht, dass eine Begegnung, in der es um das eigene Kind bzw. um eine Schülerin oder einen Schüler geht, jeweils von unterschiedlichen Erwartungen und Perspektiven geprägt wird. Unterschiede zeigen sich auch in der Einstellung zur verfügbaren Zeit. So wünscht sich eine Lehrperson, dass man schneller auf den Punkt kommen sollte, damit das Gespräch nicht immer „mindestens 1 Stunde“ dauere. Die Eltern hingegen erwähnen die aufgewendete Zeit lobend: „Die Klassenlehrperson nahm sich genügend Zeit.“ Dieser Konflikt lässt sich sehr gut anhand der unterschiedlichen Rollen der Beteiligten erklären (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 44 f.): Für die Lehrperson handelt es sich um ein Gespräch von vielen weiteren und so spielt die Effizienz eine grosse Rolle. Für die Eltern ist jedoch auch bei mehreren Geschwistern jedes Gespräch ein Einzelfall und es geht dabei um ihr Kind. Es ist also aus ihrer Sicht löblich, dass ein so ausführliches Gespräch stattfinden kann. Speziell zur Beteiligung der Gesprächsteilnehmenden finden sich zwei Einschätzungen von Lehrpersonen. Im einen Fall wird die mangelnde Beteiligung der Eltern erwähnt („Sehr zurückhaltende Eltern“), im anderen Fall zeigt sich die Lehrperson nur teilweise zufrieden mit dem Gespräch, „weil nur Mutter spricht und Schüler kaum bis gar nicht (auch im Unterricht) und wenn, dann sehr langsam, so dass ich selber immer das Gefühl habe, ich müsse reden; ja dann ist mir oft nicht so wohl und mir wäre es recht, wenn das Gespräch bald vorbei wär“. Die Anmerkung zeigt mehrere Dilemmata auf: Einerseits spricht die Mutter anstelle des Kindes, andererseits spricht die Lehrperson mehr als ihr in diesem Setting recht wäre. Die Gründe dafür nennt sie gleich selber: Der Schüler spreche sehr langsam, sodass sie selber gerne das Wort übernehme. Insgesamt zeigt sich in diesen kurzen Befragungen häufig eine Übereinstimmung von Anliegen und Erwartungen der Lehrpersonen und Eltern. In Einzel- <?page no="101"?> 3.3 Zusammenfassung 101 fällen geht die Wahrnehmung der Gesprächssituation auseinander und gibt dadurch Einblick in unterschiedliche Sichtweisen der entsprechenden Beteiligten. Die Zusammenschau der einzelnen Kommentare aus den Fragebögen erhebt keineswegs den Anspruch einer umfassenden Darstellung von Einstellungen und Erwartungen bezüglich schulischer Beurteilungsgespräche, sondern gibt einen kleinen Einblick in das Forschungsfeld. Abschliessend sei noch ein letzter Kommentar eines Vaters zitiert, der mit dem Gespräch zufrieden war und anmerkt: „Es wäre sinnvoll, ein solches Gespräch mit allen Eltern 1x pro Schuljahr durchzuführen (inkl. Kind).“ Es handelt sich um ein Gespräch auf der Sekundarstufe, wo nicht routinemässig mit allen Eltern Gespräche geführt werden. Dies wäre in dem Sinne ein Aufruf an Schulen, diese Praxis zu überdenken. 3.3 Zusammenfassung In diesem Kapitel wurden das konkrete Vorgehen bei der Erhebung, Aufbereitung und Analyse der Daten diskutiert sowie das Datenmaterial detailliert präsentiert. Insgesamt liegt den Untersuchungen ein sehr heterogenes Datenmaterial zugrunde. Ein Vorteil liegt darin, dass die soziale Praxis des schulischen Beurteilungsgesprächs in ihrer Breite betrachtet werden kann. Die Heterogenität stellt jedoch gleichzeitig eine Herausforderung dar, da Muster und Grundzüge spezifischer Phänomene aufgrund variantenreicher Ausprägungen schwierig zu identifizieren sind. Dies hat Auswirkungen auf die Forschungsfragen, die sich beantworten lassen. So sind Verallgemeinerungen in Bezug auf Gesprächsstrukturen und -abläufe oder altersspezifische Unterschiede bei der vorliegenden Datenlage wenig sinnvoll. Jedoch spielen Fragen der Beteiligung und Positionierung in allen Gesprächen eine wichtige Rolle und da ist es auch ein Vorteil, verschiedene Lehrpersonen und Schulstufen abzudecken. <?page no="102"?> 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs „jo, (1.68) °hh denn fÖmmer doch AA,“ (Gesprächseröffnung in Beispiel # 1) In diesem ersten Analyseteil wird untersucht, wie die Gesprächsbeteiligten gemeinsam die institutionelle Realität des Beurteilungsgesprächs konstituieren. Hierfür werden die Gesprächsränder - Eröffnung und Beendigung - analysiert, die gerade in institutionellen Gesprächen in Bezug auf Rollen, Aufgaben und Ziele aufschlussreich sind. Die Gesprächseröffnung und -beendigung werden auf der Makroebene als Gesprächsphasen bezeichnet (vgl. Spiegel & Spranz-Fogasy 2001). 58 In der englischsprachigen Tradition wird von der „overall structural organization“ (vgl. z. B. Robinson 2013) gesprochen, welche sich durch die Aktivitäten der Eröffnung, der Beendigung und ‚etwas dazwischen’ auszeichnet. 59 In dieser undefinierten Gesprächsmitte geht es um die „Entfaltung des Hauptthemas und der Subthemen“ (Henne & Rehbock 2001: 14), was eine weitere Unterteilung der Mitte in Teilphasen suggeriert. Solche Phasierungen lassen sich jedoch nicht immer deutlich vornehmen und selbst bei den einigermassen klar identifizierbaren, routinierten Phasen der Eröffnung und Beendigung von Gesprächen zeigen sich Probleme der Abgrenzung. So ist im Einzelnen nicht immer klar, wann eine Phase beginnt und wann sie endet. Zusätzlich zur problematischen Abgrenzung von Phasen nennen Spiegel und Spranz-Fogasy (2001: 1242) die suggerierte Linearität im Gespräch sowie die Zuordnung von Aktivitäten zu jeweils einer Phase als schwierige Implikationen des Phasenbegriffs. Im Folgenden werden nur die einigermassen klar definierten Gesprächsränder am Anfang und Ende der Gespräche fokussiert und ansonsten wird keine weitere Phasierung vorgenommen. In Kapitel 4.1 wird die Gesprächseröffnung behandelt, in Kapitel 58 Für die Erfassung der Makrostruktur eines Gesprächs werden uneinheitliche Begriffe verwendet und in unterschiedlichen Forschungsansätzen handlungs- und themenorientierte Phasenmodelle entwickelt (vgl. die Übersicht bei Spiegel & Spranz-Fogasy 2001). 59 Vgl. dazu die klassischen Arbeiten von Schegloff (1986) zur Eröffnung sowie Schegloff und Sacks (1973) zur Beendigung von Telefongesprächen. <?page no="103"?> 4.1 Gesprächseröffnung 103 4.2 folgen Ausführungen zur Gesprächsbeendigung und schliesslich werden die Ergebnisse resümiert (4.3). 4.1 Gesprächseröffnung Bei der Eröffnung eines Gesprächs interessiert die Art und Weise, wie eine fokussierte Situation eingeleitet wird und wie „die Gesprächspartner eine wechselseitig akzeptierte Situationsdefinition hinsichtlich ihrer sozialen Beziehungen als Gesprächspartner erreichen“ (Henne & Rehbock 2001: 15). 60 Das bedeutet, dass einerseits ausgehandelt wird, zu welchen Zwecken gerade diese Personen zu einem Gespräch zusammenfinden und was also die zu bearbeitenden Aufgaben sind. Und andererseits werden die Rollen und Beziehungen definiert und gegenseitig abgeglichen. Im Folgenden interessiert die Frage, welche Aufgaben von den Beteiligten in den Eröffnungssequenzen bearbeitet werden. Positionierungsaktivitäten und das gemeinsame Definieren einer fokussierten Interaktion gehören zu jeder Eröffnung dazu, andere Aufgaben sind fakultativ und finden sich demnach nicht in allen Eröffnungssequenzen. 4.1.1 Initiierung einer fokussierten Interaktion Kaum ein Gespräch beginnt unmittelbar im Modus des Beurteilungsgesprächs, sondern die fokussierte Interaktion bzw. das ‚offizielle’ Gespräch muss aktiv von den Gesprächsteilnehmenden hergestellt und von Begrüssungen sowie Vorphasen abgegrenzt werden. In den Vorphasen wird gelegentlich die Aufnahmesituation in Erinnerung gerufen (vgl. Gespräche Sarah, SJ 1_L1A_ LMV ; Zoe, SJ 1_L2A_ LMV ; Ben, SJ 6_L6B_ LMVS ; David, SJ 12_L5A_ LVS ), was alleine der Teilnahme am Forschungsprojekt geschuldet ist und weniger als typische Gesprächsphase gelten kann. In einem Fall (Sarah, SJ 1_L1A_ LMV ) wird in der Vorphase der lokale Dialekt als sprachliche Varietät für das Gespräch festgelegt, da ein Elternteil Standarddeutsch spricht und die Lehrperson offenbar noch keine Kenntnis darüber hat, ob alle Anwesenden Dialekt verstehen. Im Übrigen wird in allen anderen Gesprächen von Beginn weg unkommentiert Dialekt 60 Selbstverständlich spielen auch multimodale Aspekte eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Ausgestaltung der Eröffnung, jedoch werden im Folgenden aufgrund der Datenlage nur die verbalen Praktiken untersucht, die an der Herstellung einer fokussierten Situation beteiligt sind. <?page no="104"?> 104 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs gesprochen und wechselseitig als akzeptierte sprachliche Varietät verankert. 61 Weiter gehören zu den Inhalten der identifizierten Vorphasen die Kleidung und die Frisur eines Schülers (Ben, SJ 6_L6B_ LMVS ), die klemmende Türe, die Höhenregulierung der Stühle und die Sitzordnung (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS ). Diese Vorphasen finden in alltagssprachlichem Stil statt und können auch zu längeren Nebensequenzen ausgebaut werden. Nach Begrüssungen und Vorphasen wird die fokussierte Interaktion eingeleitet. Diese Initiierung wird in der Regel durch die Lehrperson geleistet (vgl. aber Bsp. # 7) und mithilfe von Gesprächspartikeln und Metakommentaren strukturiert. In fast allen Gesprächen wird der Übergang von der Vorphase oder der Begrüssung mit Varianten der strukturierenden Gesprächspartikeln ja, ja also, also, gut, gut also (bzw. mit dialektalen Entsprechungen davon) gegliedert, häufig begleitet von stark hörbarem Einatmen. Bei diesen initiierenden Partikeln handelt es sich um typische Gesprächspartikeln, welche zur „Gliederung von thematischen und interaktiven Gesprächsteilen“ (Schwitalla 2012: 157) verwendet werden (vgl. auch Meier 1997: 118). Sie haben also die Funktion, das Folgende vom Vorigen abzusetzen und damit den Beginn des ‚offiziellen’ Gesprächs anzuzeigen. 62 Unterstützt wird die Markierung des Übergangs auch durch Metakommentare, wie die folgenden Auszüge zeigen: • jo, (1.68) °hh denn fÖmmer doch AA, (übersetzt: „ja, dann fangen wir doch an“; Emma, SJ 4_L3A_ LMS , 00: 02, vgl. Bsp. # 1) • °hh (.) Ähm: (--) JÄ (.) zum beURtäiligsgsprööch, (übersetzt: „ähm ja zum Beurteilungsgespräch“; Sarah, SJ 1_L1A_ LMV , 00: 18) • ((Rascheln von Unterlagen)) i sött d UNterlage zerscht (-) füüre kchraame, (übersetzt: „ich sollte die Unterlagen zuerst hervorkramen“; Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 00: 02) 61 In einem Gespräch spricht der Schüler (Ben, SJ4_L3B_LMVS) jeweils Standarddeutsch, obwohl die anderen Anwesenden den Dialekt als akzeptierte sprachliche Varietät durchgehend bestätigen. Dies kann daran liegen, dass der Schüler in der Institution Schule und gerade auch im Kontakt zu seinem Lehrer nur die dort verlangte Sprachvarietät verwendet, da er im Sinne der Norm ‚In der Schule spricht man Standarddeutsch’ sozialisiert wurde. Dass in der diglossischen Schweiz der Gebrauch von Standarddeutsch und Dialekt im Alltag komplexer ist und u. a. die Verwendung des Dialekts in einem (institutionellen) Beurteilungsgespräch völlig angemessen ist, scheint hier noch nicht zum Erfahrungswissen des Schülers zu gehören (vgl. z. B. Werlen 2004 zur diglossischen Sprachsituation der Schweiz). 62 Diese Praktik ist vergleichbar mit der von Jefferson (1978: 220) beschriebenen Verwendung von disjunct markers , die in einer laufenden Interaktion die Einleitung einer Erzählung markieren. <?page no="105"?> 4.1 Gesprächseröffnung 105 Im ersten Fall wird nach der initiierenden Gesprächspartikel ja zudem metakommunikativ versprachlicht, dass das offizielle Gespräch nun beginnen soll (vgl. mehr dazu bei der Diskussion zu Bsp. # 1). Im zweiten Fall wird der Übergang zum offiziellen Teil des Gesprächs dadurch verstärkt, dass das Beurteilungsgespräch beim Namen genannt wird und dadurch die Funktion und die Gründe des Zusammentreffens ausgesprochen werden. Und im dritten Fall zeigt die Lehrperson den offiziellen Charakter des in Kürze beginnenden Gesprächs dadurch an, dass sie die für institutionelle Zwecke typischen Unterlagen ‚hervorkramt’ und dies sprachlich kommentiert. Sobald die Fokussierung auf die offizielle Interaktion bewerkstelligt worden ist, kann das Gespräch eingeleitet werden. In der einleitenden Phase geht es in den Gesprächen grundlegend um die Verhandlung von Wissensbeständen und Beteiligungsrollen, wie im Folgenden gezeigt wird. 4.1.2 Verhandlung von Wissensbeständen und Beteiligungsrollen Nach der gemeinsamen Fokussierung auf die Interaktion kommt es zur eigentlichen Einleitung des Gesprächs. Dies wird erreicht durch das Formulieren von Inhalten und Zielen des Gesprächs, durch einen direkten Einstieg, oder durch das Darlegen der Ausgangslage. Während beim direkten Einstieg auf metakommunikative Gesprächsstrukturierung weitgehend verzichtet wird, liefern die Lehrpersonen beim Ankündigen von Zielen oder beim Rückblick auf die Ausgangslage Gründe für das Zusammentreffen. Das Formulieren von Themen, Aufgaben und Zielen lässt sich bei der Gesprächseröffnung einordnen, sie markieren gleichzeitig aber auch den Übergang zur Gesprächsmitte (vgl. Gülich & Mondada 2008: 75; Spiegel & Spranz-Fogasy 2001: 1247). Von Schegloff (1986: 116) wurde diese Sequenz im Rahmen von Telefongesprächen als anchor position benannt. Denn typischerweise werden Gründe für das Zustandekommen einer Interaktion nach einer einleitenden Begrüssung und einem Austausch zu Befindlichkeiten sowie vor der Bearbeitung des ersten Themas genannt. 63 Es geht in dieser Phase im Wesentlichen um das Etablieren und / oder Aktualisieren von Wissensbeständen (Common Ground) und um erste Rollenaushandlungen. So sind bereits die ersten Gesprächssekunden und -minuten ausreichend, um Ausprägungen des Recipient Designs, Bearbeitungen des Common Grounds sowie Positionierungsaktivitäten analysieren zu können. 63 Schegloff (1986: 133 ff.) konnte an seinen Daten zeigen, dass Abweichungen von diesem Ablauf, wie beispielsweise eine verfrühte Einführung des Themas, entsprechend von den Teilnehmenden sanktioniert werden. Diese Ankerposition wird demnach von den Gesprächsbeteiligten aktiv hergestellt. <?page no="106"?> 106 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs Ankündigung von Inhalten und Zielen des Gesprächs In der Mehrzahl der Gespräche wird zu Beginn der Ablauf offengelegt oder es werden Gesprächsziele kommuniziert. Dadurch werden Wissensbestände verhandelt und bei den Gesprächsteilnehmenden abgeglichen, sodass die Strukturierung des Gesprächs nicht nur der Lehrperson bekannt ist. Im ersten Beispiel etabliert der Lehrer Common Ground, indem er Gesprächsinhalte ankündigt, die für die Eltern und die Schülerin noch nicht zu den individuellen Wissensbeständen gehören. Zudem weist er für das Gespräch vorläufig geltende Beteiligungsrollen zu: # 1 Lernbericht (Emma, SJ4_L3A_LMS, 00: 02-00: 43) 001 L jo, ja 002 (1.68) 003 °hh denn fÖmmer doch AA, dann fangen wir doch an 004 (.) °hh (.) ich wOtt gärn äh (---) mit DIR Emma, ich will gerne äh mit dir Emma 005 °h über di LERNbricht (.) rEde, über deinen Lernbericht reden 006 °hh und (.) natÜrlig wärde mir säbst DRITT ins gsprÖÖch ko- und natürlich werden wir zu dritt ins Gespräch kommen 007 °h Über gwüssi PÜNKT; über gewisse Punkte 008 °h ähm ich wOtt mit dir (.) ((Blättern in Unterlagen)) und mit dinere mUetter TESCHTS dureluege, ähm ich will mit dir und mit deiner Mutter Tests durchsehen 009 (-) wo du GMACHT hesch in däm schUeljoor; wo / die du gemacht hast in diesem Schuljahr 010 °h und so wÄrde mir e bitz GSEE, und so werden wir ein bisschen sehen 011 wien Ich: (.) au uf die beURteilig do ko bi; wie ich auch auf diese Beurteilung da gekommen bin 012 im im LERNbricht? im im Lernbericht 013 (1.26) 014 S mh_hm, mhm <?page no="107"?> 4.1 Gesprächseröffnung 107 015 L mh_hm (.) aber ZERSCHT wott ich di frOOge; mhm aber zuerst will ich dich fragen 016 ähm (.) du hesch dr lErnbricht jo GSEE? ähm du hast den Lernbericht ja gesehen 017 (.) und dr und AAgluegt ka mit dine Eltere; und ihn und angeschaut gehabt mit deinen Eltern 018 (--) was SÄISCH drzue. was sagst du dazu Das Gespräch wird durch die Gesprächspartikel jo sowie den metasprachlichen Zusatz denn fÖmmer doch AA, (Z. 001-003) eingeleitet. Dieser Kommentar dient als Steuerungsmittel (vgl. Tiittula 2001) und ist insofern interessant, als dadurch der Beginn des offiziellen Gesprächsteils noch verstärkter abgegrenzt wird. 64 Daran anschliessend führt der Lehrer nun aus, wie er den Ablauf des Gesprächs strukturieren will und stellt damit Common Ground für alle Anwesenden her: Er möchte den Lernbericht besprechen und gemeinsam Tests anschauen. Allerdings gleicht er nicht nur den Wissensstand bezüglich des zu erwartenden Gesprächsablaufs ab, sondern er weist auch Beteiligungsrollen zu. L macht S zur adressierten Rezipientin und zeigt an, dass die Besprechung des Lernberichts mit ihr geführt werden soll (Z. 004). Diese Adressierung und Zuwendung zu S findet auf mehreren Ebenen sehr deutlich statt: Der Lehrer spricht Emma beim Namen an, er duzt sie, er bildet einfache Sätze und spricht langsam. Seine Design-Aktivitäten zeigen also, dass er das Gesagte auf das anwesende Kind zuschneidet. Kurzzeitig wird dadurch der Mutter die Rolle der Zuhörerin zugewiesen, die aber mit dem Nachtrag °hh und (.) natÜrlig wärde mir säbst DRITT ins gsprÖÖch ko- °h Über gwüssi PÜNKT; (Z. 006 f.) dahin verändert, dass M Mitadressatin ist. Hiermit orientiert sich L an allen Gesprächsteilnehmenden und zeigt durch die Präzisierung säbst DRITT , dass es sich um ein inklusives wir handelt, dass also sowohl der Sprecher als auch die beiden Anwesenden, M und S, damit gemeint sind. Nach diesem Einbezug der anwesenden Mutter richtet sich L wieder an S und referiert nur noch in dritter Person auf M: °h ähm ich wOtt mit dir (.) ((Blättern in Unterlagen)) und mit dinere mUetter TESCHTS dureluege, (-) wo du GMACHT hesch in däm schUeljoor; (Z. 008 f.). Dadurch dass M ebenfalls als Akteurin bei der Tätigkeit 64 Die Aufnahme des Gesprächs beginnt beim zitierten Ausschnitt # 1 und so lässt sich keine Begrüssung oder Vorphase mitanalysieren. Da die Gesprächsteilnehmenden aber den Raum schon betreten und Platz genommen haben, kann zumindest von einer Begrüssungssequenz ausgegangen werden. Insofern lässt sich der Metakommentar nicht nur als Verstärkung des Beginns lesen, sondern auch als verstärkte Abgrenzung zwischen der Begrüssung (und einer eventuellen Vorphase) und dem offiziellen Gesprächsteil. <?page no="108"?> 108 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs des Durchsehens von Tests genannt wird, wird in dieser Ankündigung von L trotz sprachlicher Adressierung von S auch M als mitgemeinte Adressatin konstruiert. Auch wird M in den Zeilen 010-012 durch das wir erneut einbezogen ( °h und so wÄrde mir e bitz GSEE, wien Ich: (.) au uf die beURteilig do ko bi; im im LERNbricht? ). In Bezug auf Common Ground geht aus dieser letzten Formulierung des Gesprächsziels hervor, dass L über Wissensbestände zum Hergang seiner Beurteilung verfügt, die M und S noch nicht teilen und es im folgenden Gespräch um die gemeinsame Etablierung dieses Wissens geht. Während es sich nämlich bei den zuvor genannten Inhalten für M und S zwar in dem Sinne um neues Wissen handelt, dass sie nun Kenntnis über den von L intendierten Ablauf des Gesprächs haben, sind die zu verhandelnden Inhalte für sie nicht unbekannt. Denn sie besprechen einen Lernbericht, den sowohl S als auch M (und V) schon gesehen haben (Z. 016 f.) und sie schauen Tests an, die S selber geschrieben hat (Z. 008 f.) und die sie somit auch kennt. Bei der Zielformulierung hingegen wird angesagt, dass M und S erfahren werden, wie L auf die Beurteilungen im Lernbericht gekommen ist. Die Ankündigung zeigt also auf, dass am Ende des Gesprächs die lehrerseitigen Wissensbestände zum Common Ground aller Beteiligten gehören werden. Die Ratifikation von S (Z. 014) zeigt, dass sie die Rolle als Adressatin akzeptiert und mit dem geplanten Ablauf einverstanden ist. Ab Zeile 015 leitet L über zum ersten Thema, nämlich zu Emmas Einschätzung des Lernberichts. Durch seine metakommunikativ gerahmte, explizite Fremdwahl in Zeile 015 adressiert er S erneut sehr eindeutig und wählt sie als nächste Sprecherin. Gerade dieses deutliche Recipient Design in diesem Ausschnitt zeigt an, dass noch eine weitere Rezipientin (M) anwesend ist, die aber als potenzielle nächste Sprecherin abgewählt wird. Die Frage an S markiert hier die Überleitung zum ersten Thema und damit zur Gesprächsmitte. In Beispiel # 1 ist auffallend, dass L durchgehend die Besprechung von Unterlagen ins Zentrum stellt und nicht die Beurteilung von S, wie es ebenso denkbar wäre. So geht es um die Besprechung des Lernberichts (Z. 005) und der Tests (Z. 008) mit dem Ziel, dass die Beurteilungen im Lernbericht nachvollzogen werden können (Z. 010 f.). Dadurch dass über Unterlagen gesprochen wird, lässt sich die Struktur Sprechen über das Kind vermeiden, was sich positiv auf die Involvierung des Kindes auswirken kann (vgl. Kap. 6). Die Beteiligung von S wird zudem durch die direkte Adressierung begünstigt, welche durch die Nennung des Namens (Z. 004) noch verstärkt wird. Insgesamt lässt sich an Beispiel # 1 zeigen, dass sich L in der Eröffnungssequenz an den Gesprächsbeteiligten orientiert, indem er offenlegt, welche Wissensbestände verhandelt werden sollen und indem er durch Positionierungsaktivitäten aufzeigt, welche Rollen die einzelnen im Gespräch einnehmen. Er positioniert sich als denjenigen mit dem Wissensvorsprung und zeigt damit eine <?page no="109"?> 4.1 Gesprächseröffnung 109 gewisse Asymmetrie auf. Diese wird aber ausgeglichen, indem L die Gesprächsinhalte für alle transparent macht. Die Mutter wird durch Fremdpositionierung als Mithörerin sowie als Gesprächspartnerin Über gwüssi PÜNKT (Z. 007) konstruiert und der Schülerin wird die Rolle als direkte Gesprächspartnerin zugewiesen, die sie durch Ratifikation (Z. 014) sowie späteres Beantworten ab Zeile 019 (hier nicht abgedruckt) annimmt. Die Asymmetrie zwischen den Beteiligten variiert je nach gegenseitigem Bekanntheitsgrad sowie je nach Vertrautheit der Eltern mit dem Gesprächssetting. Im nächsten Beispiel kann daher weniger von einer Etablierung von Wissen gesprochen werden, sondern hier ist die Eröffnungssequenz charakterisiert durch die Aktualisierung von bereits vorhandenem Common Ground: # 2 Alte Hasen (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 00: 06-00: 23) 001 L jO si kenne das jo Au scho BITZli? ja Sie kennen das ja auch schon bisschen 002 M hh° hehehe hehehe 003 L (si) sin jo scho langsam (.) alti HAse i dem,=oder? (Sie) sind ja schon langsam alte Hasen in dem oder 004 [hahahahaha °h hehe hahahahaha hehe 005 M [hehe (xxxxxx) hehe (xxxxxx) 006 L °hh °h jo ((räuspert sich)) aso ich verzell Au wider zerscht (.) über d FÄcher öppis; = ja also ich erzähle auch wieder zuerst über die Fächer etwas 007 =und am schluss no über (.) lErn Arbets und soZIAL (.) verhAlte. und am Schluss noch über Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten 008 M [mh_HM? mhm 009 [((Rascheln von Unterlagen)) Die Lehrerin positioniert die Eltern als Mitwissende, die durch ihre Erfahrung mit dem Gesprächstyp bereits den Ablauf kennen und dadurch gewissermassen als ExpertInnen bzw. als ‚alte Hasen’ gelten können: jO si kenne das jo Au scho BITZli? (si) sin jo scho langsam (.) alti HAse i dem,=oder? (Z. <?page no="110"?> 110 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs 001, 003). 65 Dadurch orientiert sich die Lehrerin am geteilten Wissen zwischen ihr und den Eltern und aktiviert diesen Common Ground für die folgende Interaktion. Gleichzeitig wird durch das gemeinsame Lachen eine lockere Stimmung etabliert, was Einblick in die Beziehungsgestaltung ermöglicht. Nach diesem Einschub setzt L erneut mit hörbarem Einatmen und der Gesprächspartikel ja an, räuspert sich und beginnt dann mit der Gesprächspartikel also ihre Ankündigung des Ablaufs. Die Verwendung von auch wieder (Z. 006) weist erneut darauf hin, dass L dieses Wissen als bekannt voraussetzt und das Gesagte demnach nur als Aktualisierung des Common Grounds aufzufassen ist. Damit rahmt sie das Gespräch auch als routinierte Interaktion, die nach gewissen Regeln abläuft. In Bezug auf Beteiligungsrollen ist hier interessant, dass L ihre zukünftigen Handlungen als Bericht ankündigt und dadurch die Eltern als Zuhörerende positioniert: aso ich verzell Au wider zerscht (.) über d FÄcher öppis; = =und am schluss no über (.) lErn Arbets und soZIAL (.) verhAlte. (Z. 006 f.). Das Gespräch wird hier nicht als Gespräch konzeptualisiert, sondern als ‚Erzählung’ oder Bericht der Lehrerin über die Fächer, das Lern-, Arbeits- und Sozialverhalten von S. Dadurch wird den Eltern signalisiert, dass L für längere Zeit das Rederecht in Anspruch nehmen wird, was sich von Beispiel # 1 absetzt, in welchem L ein gemeinsames Gespräch ankündigt. Die beiden besprochenen Sequenzen stammen aus Beurteilungsgesprächen, die mit allen Eltern einer Klasse geführt werden und sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Lehrperson jeweils das Gespräch eröffnet und ihre bzw. seine Ziele bekannt gibt. Bei Sprechstundengesprächen, die auf Wunsch der Eltern stattfinden, werden die Gesprächseröffnungen abweichend gestaltet, da von der Lehrperson nicht zwingend Ziele formuliert werden (können). Das folgende Beispiel zeigt, wie die Lehrperson durch andere Praktiken das Gespräch einleitet: 65 Aus den ethnografischen Daten geht hervor, dass zwar Zoe, die aktuelle Schülerin von L, erst in der ersten Klasse ist und mit ihr bzw. über sie noch kein Gespräch stattgefunden hat, dass aber ein älteres Geschwister von ihr zur gleichen Klassenlehrerin zur Schule ging. Die Lehrerin kennt also die Eltern aus den Beurteilungsgesprächen zum älteren Geschwister und durch ihre Aktualisierung dieses Common Grounds zeigt sie, dass es sich bei diesen Gesprächen um routinierte Interaktionen handelt. Dieses zusätzliche Wissen aus den ethnografischen Daten ermöglicht hier eine genauere Erfassung des Bezugsrahmens, jedoch sind diese Informationen nicht dringend notwendig um feststellen zu können, dass es sich um eine Aktualisierung des Common Grounds handelt und L Bezug auf vorhandene Wissensbestände nimmt. Der Common Ground wird im Gespräch relevant gesetzt und für die Analyse sichtbar gemacht. Dennoch zeigt dieses Beispiel, dass ein situationsangepasster Einbezug von ethnografischem Wissen hilfreich sein kann, um die genaueren Umstände besser einschätzen zu können. <?page no="111"?> 4.1 Gesprächseröffnung 111 # 3 Progymnasium (Selina, SJ9_L4A_LMS, 00: 01-00: 21) 001 L A: lso (.) i begrüess sii zu däm EltreGSPRÖÖCH, also ich begrüsse Sie zu diesem Elterngespräch 002 M jo dAnke [GLICHfalls, he heh ja danke gleichfalls he heh 003 L [und äh: (.) heh °hhh wAs (.) FÜERT sii zu mir? hh° und äh heh was führt Sie zu mir 004 M ich wÖtt äigentlich mol (.) ALLgemäin wüsse, ich will eigentlich mal allgemein wissen 005 L jä- ja 006 M ÄH: : m (.) wies mit dr selIna GOOT,= ähm wie’s mit der Selina geht 007 =will sii het jo GWÄCHSlet, weil sie hat ja gewechselt 008 vom (-) vo dr SEK i: ns (.) gYmi, (.) °h vom von der Sek(undarschule) ins Gym(nasium) 009 L jä- ja 010 M (-) °h aso s PROgymnasium, also das Progymnasium 011 (--) 012 M jo. ja 013 (--) 014 ? hm- hm 015 M obs LAUFT <<p> oder nit so lauft [(im momÄnt)? > ob’s läuft oder nicht so läuft (im Moment) 016 L [JÄ jä, ja ja In Beispiel # 3 gibt der Lehrer nach einer kurzen Begrüssung 66 die Steuerung an die Mutter ab, indem er sie nach ihren Anliegen fragt (Z. 003). Durch die Frage 66 Das Lachen der Adressatin und des Sprechers nach der ungewohnt formellen Begrüssung muss im Rahmen der Aufnahmesituation interpretiert werden. Da die Begrüssung gleich nach dem Einschalten des Aufnahmegeräts geäussert wird, gehe ich davon aus, dass erstens davor schon eine informelle Begrüssung stattgefunden hat und diese zweite formelle Begrüssung das offizielle Gespräch von der Vorphase abgrenzt (vgl. Spiegel & <?page no="112"?> 112 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs wAs (.) FÜERT sii zu mir? (Z. 003) zeigt L sich in einer passiven Rolle und etabliert das Gespräch als offene Sprechstunde. Dabei legt er keine eigenen Ziele für das Gespräch offen, sondern zeigt, dass er von M erwartet, eigene Fragen und Ziele bereit zu haben. Auch wenn in dieser Initiierung von L keine eigenen Ziele kommuniziert werden, wird in dieser Eröffnung dennoch eine für institutionelle Gespräche grundlegende Zielorientierung impliziert, die in diesem Fall der Mutter zugeschrieben wird. In der Formulierung von M zeigt sich der ungleiche Wissensstand von L und M, den M in diesem Gespräch gerne ausgleichen möchte. Sie will ALLgemäin wüsse ((…)) wies mit dr selIna GOOT, (Z. 004, 006) und fordert damit Informationen bzw. Einschätzungen des Lehrers ein. In dieser Eröffnung wird also ebenfalls auf Wissensbestände referiert, die erst zum Common Ground werden sollen. Der Lehrer kennt seinerseits die Anliegen und somit den Ablauf des Gesprächs nicht und muss dieses Wissen erfragen und durch M etablieren lassen. Und vonseiten der Mutter herrscht ein Ungleichgewicht in Bezug auf das Wissen über die schulischen Leistungen ihrer Tochter, die sie von dem Lehrer einfordern möchte. Die anwesende Schülerin formuliert selber keine Wünsche für das Gespräch, auch beteiligt sie sich noch nicht (verbal). Von der Mutter wird sie als Objekt konstruiert, indem über sie etwas in Erfahrung gebracht werden soll. In den gezeigten Beispielen geht es jeweils darum, Wissensbestände zu verhandeln, indem über Gesprächsinhalte gesprochen wird. Gleichzeitig werden Beteiligungsrollen zugeschrieben. Direkter Einstieg und lokale Strukturierung Das Gespräch kann auch direkt ohne Ankündigung der Gesprächsinhalte begonnen werden, wie das nächste Beispiel zeigt: # 4 Begriffe (Ben, SJ6_L6B_LMVS, 00: 45-01: 06) 001 L GUET Also; gut also 002 ((schnalzt)) WÄISCH du scho was du muesch mAche; weisst du schon was du machen musst Spranz-Fogasy 2001: 1248). Zweitens scheint diese eher ungewohnte Form der Begrüssung der Mehrfachadressierung geschuldet zu sein, die hier nicht nur eine Orientierung an den Anwesenden, sondern auch am Aufnahmegerät (und somit an mir als Forscherin) offenlegt. Da das Installieren bzw. Einschalten des Aufnahmegeräts zu Beginn des Gesprächs stattfindet, ist die Aufnahmesituation zu diesem Zeitpunkt bei allen Anwesenden präsent. <?page no="113"?> 4.1 Gesprächseröffnung 113 003 mit dene beGRIFF; mit diesen Begriffen 004 S äh: : m NÄʔäh? h° ähm nein 005 L du muesch se (.) °h zerscht nochär denn mol DUrelääse? du musst sie zuerst nachher dann mal durchlesen 006 und wennd se DUreglääse hEsch; und wenn du sie durchgelesen hast 007 °hh chasch du drEi vIer USwääle? kannst du drei vier auswählen 008 wo du GÄRN öppis wü (.) drzue würdsch sÄÄge; wo du gerne etwas wü dazu sagen würdest 009 wo dir grad WICHtig isch, wo / das dir gerade wichtig ist 010 (--) du chasch au sache zämme kombiNIEre? du kannst auch Sachen zusammen kombinieren 011 (-) °h wo du findsch das PASST grad zämme. wo du findest das passt gerade zusammen 012 S Oke; okay Die Lehrerin lenkt in diesem Gespräch nach einer Vorphase zu Bens Kleidung und Frisur die Aufmerksamkeit auf Begriffskarten, anhand derer sie den Einstieg in das Beurteilungsgespräch strukturiert. Die Fokussierung gelingt ihr zum einen durch die Verwendung der Diskurspartikeln gut also (Z. 001) und zum anderen durch die Frage an Flavio, ob er schon wisse, was er mit den Begriffen tun solle (Z. 002 f.). Diese Frage klärt den Wissensbedarf und orientiert sich an der Möglichkeit, dass Flavio bereits von seinen MitschülerInnen etwas zum standardisierten Gesprächseinstieg erfahren hat, was dieser aber verneint (Z. 004). Nach dieser kurzen Vorsequenz, welche die Funktion hat, die Erläuterungen möglichst optimal am Wissensstand des Rezipienten anzupassen, setzt L mit der Ankündigung der Aufgabe ein. Im Gegensatz zu den vorigen Beispielen handelt es sich hier jedoch nicht um eine Ankündigung der globaleren Gesprächsinhalte, sondern L informiert über die lokalen nächsten Schritte. Auch im weiteren Verlauf des Gesprächs wird den Rezipierenden eher lokal angezeigt, was als nächstes besprochen wird. Sie erfahren jedoch nichts über die gesamte ‚Agenda’ der Lehrerin und sind daher im Ungewissen, welche Inhalte noch zu erwarten sind. Aus Sicht der Gesprächsteilnehmenden (und Forschenden) können also primär lokale Strukturierungen wahrgenommen werden. Jedoch sagt uns dies noch nichts über die Strukturierung des Gesprächs aus <?page no="114"?> 114 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs Sicht der Lehrperson. Denn diese kann sich auch an einem strengen Ablauf orientieren, der jedoch nur für sie ersichtlich ist und für die Gesprächsteilnehmenden nicht transparent gemacht wird. Fokus auf die Ausgangslage Bei Sprechstundengesprächen und ausserordentlich stattfindenden Gesprächen werden die Einstiege weniger ziel- und ablauforientiert, sondern eher rückblickend gestaltet. So nutzen Lehrpersonen eher die Strategie, die Ausgangslage oder gewissermassen den Status Quo darzulegen, um dann von da ausgehend das Gespräch zu gestalten. Ich illustriere dies an drei Fällen. Im ersten Beispiel kommt das Gespräch auf Wunsch der Lehrperson zustande und sie beginnt damit, dieses Zusammentreffen zu begründen, indem sie die Ausgangslage schildert: # 5 Verwarnung (David, SJ12_L5A_LVS, 00: 10-00: 44) 001 L °hh gUet so Usgangslaag isch jo (-) die verWARnig, gut so Ausgangslage ist ja diese Verwarnung 002 de hIdrospiid wo so (.) de lEtschti: ((Rascheln von Unterlagen)) TROPfe gsI isch; der Hydrospeed wo / der so der letzte Tropfen gewesen ist 003 uf e (.) häissi STÄI? auf den heissen Stein 004 MEE oder wEniger; mehr oder weniger 005 °hh Äh: : m (--) °hh U: nd (.) won ich iine denn AU gsäit ha; ähm und wo ich Ihnen dann auch gesagt habe 006 dass- dass 007 ? verSPÖtige. Verspätungen 008 L (-) d verSPÖtige; die Verspätungen 009 und und halt dass sii scho im LETSCHte (.) semEschter, und und halt dass Sie schon im letzten Semester 010 ja Immer wider öppe mal nid im TURne °hh erschIne sind; ja immer wieder öfter mal nicht im Turnen erschienen sind 011 aso (.) wie SII scho gschribe hend; =oder, also wie Sie schon geschrieben haben oder <?page no="115"?> 4.1 Gesprächseröffnung 115 012 °hh das äh: bitz sElektive (---) FÄÄLe, das äh bisschen selektive Fehlen 013 det wo mes nid WICHtig findt. dort wo man’s nicht wichtig findet Die Lehrerin schafft durch die Gesprächspartikel guet (Z. 001) eine Fokussierung auf die gemeinsame Interaktion und beginnt dann mit der Darlegung der Ausgangslage. Sie nimmt dabei Bezug auf eine Verwarnung (Z. 001), auf einen Hydrospeedanlass 67 (Z. 002-004), auf Verspätungen 68 sowie Absenzen (Z. 005-013). In Zeile 011 verweist sie auf eine bereits schriftlich vorhandene Fixierung der Absenzenthematik 69 , was darauf schliessen lässt, dass der Einstieg in das Gespräch hier weniger ein Etablieren, als ein Aktualisieren von Wissen bzw. Common Ground leistet. Diese Interpretation wird durch zusätzliches Datenmaterial gestützt: Es liegen Kopien der schriftlichen Verwarnung an David sowie des Briefes an Davids Eltern vor. Darin werden die auch im Gespräch genannten Punkte aufgeführt: ein versäumter Sportanlass (Hydrospeed) und dabei entstandene Kosten, Absenzen sowie Verspätungen. In diesem Zusammenhang bittet die Lehrerin die Eltern zu einem Gespräch. Das bedeutet also, dass alle Anwesenden bereits wissen, worum es im Gespräch gehen wird und ein diesbezüglicher Wissensausgleich demnach nicht nötig wäre. Dennoch wird dieses allgemein bekannte Wissen hier verhandelt. Diese Beobachtung zeigt, dass Interaktionen in jedem Fall aktiv von den Teilnehmenden hergestellt werden müssen und auch bei bekannten Zielen oder Inhalten nicht unmittelbar beginnen können. Hier wird also, um das Gespräch einzuleiten, die Ausgangslage wiederholt ausformuliert, was hier aber den Zweck erfüllt, die versammelten Leute aktiv im Hier und Jetzt auf den gemeinsamen Gesprächsgegenstand zu fokussieren. Der nächste Ausschnitt stammt aus einem Sprechstundengespräch mit anwesender Lehrerin, Mutter und dem betroffenen Schüler Alex. Diese Sprechstunde findet auf Wunsch der Eltern (bzw. der Mutter) statt und steht im Zusammenhang mit den aktuell kommunizierten Zwischennoten: 67 Hydrospeed ist eine Wildwassersportart. 68 Auch nach mehrmaligem Anhören kann nicht eindeutig identifiziert werden, ob in Zeile 007 der Schüler oder sein Vater das Stichwort zu dem Thema Verspätungen liefert. 69 Da die Lehrperson sowohl den erwachsenen David als auch den Vater siezt, lässt sich nicht eindeutig festlegen, an wen sie sich in Zeile 011 mit der Adressierung Sie wendet. Ich stelle die Vermutung an, dass sie den Vater anspricht, da sie zuvor David adressiert und nun in Zeile 011 den Fokusakzent auf Sie legt. Demnach würde es sich um ein Schreiben des Vaters handeln. <?page no="116"?> 116 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs # 6 Die Noten studiert (Alex, SJ7_L9A_LMS, 00: 00-00: 33) 001 L °h GRÜESsech mitenAng; grüezi miteinander 002 M GRÜEzi frau [hermann; ] grüezi Frau Hermann 003 S [GRÜEzi; ] grüezi 004 L HOI Alex; hallo Alex 005 S (hallo) (hallo) 006 L GRÜESsech frau kunz; grüezi Frau Kunz 007 M grüezi frau HERmann; grüezi Frau Hermann 008 L nÄme sii PLATZ? nehmen Sie Platz 009 M jä MERci, ja danke 010 ((Schritte und Stühlerücken, ca. 9.6 Sek.)) 011 L °h Alex hesch scho: mit em mAmi zäme (.) d schUelnetz AAgluegt; Alex hast du schon mit der Mama zusammen die Schulnetze angeschaut 012 d nOte mitenander gstu[DIERT; die Noten miteinander studiert 013 S [jä h° (.) aso ÄINGlech mit mim gÖtti; ja also eigentlich mit meinem Patenonkel 014 L mitem GÖTti zÄme [ja; mit dem Patenonkel zusammen ja 015 S [jä- h° ja 016 L °h hesch gsEE dass es äh zimlich RO: ti farb het, hast du gesehen dass es äh ziemlich rote Farbe hat 017 und wEniger SCHWARZ; =gäll? und weniger schwarz gell 018 S jä- ja <?page no="117"?> 4.1 Gesprächseröffnung 117 019 L das GSEET me; das sieht man 020 i has USdruckt, ich habe es ausgedruckt 021 das wird jetz do e chli Orangsch °hh derhÄr cho, das wird jetzt da ein wenig orange daherkommen 022 un: d (.) äh ich ha denn dO näbeDRAA, und äh ich habe dann da daneben 023 °h äifach äh d de wÄrt de RUNdigswärt, einfach äh d den Wert den Rundungswert Die Lehrerin (Frau Hermann) befindet sich schon im Raum, den nun die Mutter (Frau Kunz) und der Schüler (Alex) betreten. Nach der Begrüssung 70 , die zuerst aus der Distanz (Z. 001-003) und dann nochmals im direkten Kontakt (Z. 004-007) stattfindet, bittet die Lehrerin Platz zu nehmen (Z. 008). Obwohl das Gespräch auf Initiative der Eltern stattfindet, übernimmt die Lehrerin die Steuerung in dieser Gesprächseröffnung. Sie fragt in Zeile 011 den Schüler, ob er die Noten schon mit der Mutter studiert habe, was dieser zuerst ratifiziert, dann aber um den Zusatz aso ÄINGlech mit mim gÖtti; (Z. 13) ergänzt. Mit der Frage von L wird der aktuelle Wissensstand von S und M eingeholt, nämlich darüber, ob sie die Noten schon kennen. Die Frage ist an den Schüler adressiert, es wird aber explizit auch der Wissensstand der Mutter erfragt, indem sowohl auf sie referiert wird ( mit em mAmi zäme , Z. 011) als auch das gemeinsame Studieren der Noten verbalisiert wird ( zäme , Z. 011; mitenander , Z. 012). Dass nun der Schüler nach seiner Ratifikation eine präzisierende Reparatur anbringt, hat zweierlei Implikationen. Zum einen macht er dadurch deutlich, dass er seine Noten zwar kennt, die aber nur mit seinem Patenonkel angeschaut hat und daher die beim Gespräch anwesende Mutter noch keine Kenntnis über den aktuellen Stand hat. Zum anderen bestimmt S die Beziehung zwischen sich und seiner Mutter, die in diesem Fall nicht als Vertrauensperson oder Lernbegleiterin positioniert wird, sondern der Patenonkel diese Rolle zu übernehmen scheint. 71 Dadurch dass die Mutter sich in dieser Eröffnungssequenz nicht verbal beteiligt, zeigt sie sich in der Rolle der stillen Zuhörerin, die dem Gespräch zwischen L und S schweigend folgt und die Rollenzuweisung akzeptiert. L orientiert sich 70 „Grüezi“ (bzw. die Variante „Grüessech“) ist eine gebräuchliche schweizerdeutsche Begrüssungsform, die ursprünglich mit ‚Gott grüsst Euch’, inzwischen aber auch mit ‚guten Tag’ o. ä. übersetzt werden kann. 71 Dass diese (Fremd-)Positionierung der Mutter für sie gesichtsbedrohend sein kann, zeigt sich dann insbesondere in einer späteren Sequenz dieses Gesprächs (vgl. Beispiel # 51, Kap. 6.1.2). <?page no="118"?> 118 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs trotz des Wissens, dass M die Noten noch nicht gesehen habe, im Weiteren an S und präzisiert in ihrer Frage °h hesch gsEE dass es äh zimlich RO: ti farb het, und wEniger SCHWARZ; =gäll? (Z. 016 f.) den Common Ground dahin, dass dem Schüler (und der mithörenden Mutter) bereits klar ist, dass es viele ungenügende Noten gibt. So lässt sich bei # 6 zwar zeigen, dass L den Common Ground aller Gesprächsbeteiligten relevant setzt, indem sie den Wissensstand bei S und M abfragt. Allerdings zeigt L keine (verbale) Neuausrichtung an M, nachdem sie nun erfährt, dass sie die Noten noch nicht gesehen hat, sondern sie wendet sich weiterhin an S und verstärkt dadurch die Rolle von M als stille Zuhörerin. Im weiteren Verlauf wechselt L zuerst zum Pronomen man (Z. 019) und adressiert danach aber wieder S und erklärt anhand einer Notenübersicht das Verhältnis von genügenden und ungenügenden Noten. Geht man davon aus, dass S diese Übersicht - wie er sagt - schon mit seinem Patenonkel studiert hat, so ist die Information für ihn nicht mehr neu. Die Aktivierung des Common Grounds scheint also hier bei dem Gesprächsbeginn insbesondere die Funktion zu haben, eine gemeinsame fokussierte Situation zu gestalten. In dieser Sequenz ist auffällig, dass die Fokussierung auf die Noten von S unmittelbar nach der Begrüssung und der Platzierung von L vorgenommen wird und das Gespräch dadurch eine sehr zielgerichtete, institutionelle Rahmung erhält. Das Gesprächsthema, nämlich die schulischen Leistungen von S, wird schon in den ersten Sekunden festgelegt und eingeleitet. Ebenfalls gleich zu Beginn zeigt L eine Orientierung an den Gesprächsbeteiligten, indem sie den Wissensstand abfragt und die Beteiligtenrollen bestimmt. In allen bisher besprochenen Eröffnungen findet nach knapperen oder längeren Vorphasen eine rasche Fokussierung auf die Gesprächsziele statt. Auch initiiert in der Regel die Lehrperson die fokussierte Situation (vgl. auch Ackermann 2014: 21). Eine Ausnahme bildet das Gespräch mit Marc, in welchem die Mutter nach einer relativ langen Vorphase die Fokussierung einleitet. Die Art und Weise, wie die Lehrerin diesen Redebeitrag der Mutter bearbeitet, bestätigt allerdings die Norm, dass die Gesprächseröffnung im Grunde der Institutionsvertretenden obliegt. 72 Vor dem gewählten Ausschnitt wird durch die ausgeprägte Vorphase u. a. Beziehungsarbeit geleistet. Die Anwesenden sprechen über die Tür, die klemmt, über einen nichtverstellbaren Stuhl, über die Sitzordnung bzw. die Beobachtung, dass Leute sich in Sitzungsräumen immer an denselben Platz setzen etc. Dabei wird viel gelacht, wodurch sich die Gesprächsteilnehmenden 72 In der Konversationsanalyse werden zwar regelhafte Muster gesucht, jedoch geben häufig auch (vermeintliche) Ausnahmefälle Aufschluss über geltende Normen. Daher kann die sogenannte deviant case analysis (vgl. z. B. ten Have 2007: 37) ein wichtiger Bestandteil der Analysen sein. <?page no="119"?> 4.1 Gesprächseröffnung 119 als wohlwollende Interagierende positionieren. 73 Nun wird mit dem Redebeitrag der Mutter erstmals der Fokus auf das Beurteilungsgespräch gelenkt: 74 # 7 Ich als Lehrperson (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 01: 33-02: 08) 001 M ((Rascheln von Unterlagen)) etz hei mer da NO- jetzt haben wir da noch 002 aber vilech mÜesse mer ja NÜT schriibe; [((lacht kurz)) aber vielleicht müssen wir ja nichts schreiben 003 L [ja eh heh ja eh heh 004 M i ha drum da no öppis usDRUCKT vom internEt? =aber, ich habe darum da noch etwas ausgedruckt aus dem Internet aber 005 L JAwoll. jawohl 006 M (-) wötsch DUs AAluege oder wÄr? willst du’s anschauen oder wer 007 (.) du? du 008 ((Rascheln von Unterlagen)) 009 M du hesch [es scho GSEE? =gäu, du hast es schon gesehen gell 010 P [(xxx xxx) 011 M mir heis scho mitenAng mau [AAgluegt,] wir haben’s schon miteinander mal angeschaut 012 L [mh_HM? ] mhm 013 M es isch vilech no ANGers züg [dezUe cho. ] es ist vielleicht noch anderes Zeug dazugekommen 014 P [isch da nöd] s GLIICH wie bim zwÜschezüg[nis. ] ist das nicht das Gleiche wie beim Zwischenzeugnis 015 M [DOCH? ] doch 73 Vor dem Hintergrund des gesamten Gesprächs überrascht es nicht, dass hier ein Mehraufwand zugunsten einer guten Beziehung betrieben wird, denn es geht im Gespräch v. a. um schwache Leistungen des Schülers. 74 Allerdings lässt sich ohne Videodaten nicht eindeutig bestimmen, ob tatsächlich nur die Mutter an der Einleitung der fokussierten Situation beteiligt ist, denn allenfalls hat die Lehrerin durch ihr Blickverhalten oder durch Zuwendung zu schriftlichen Unterlagen bereits eine Fokussierung initiiert. <?page no="120"?> 120 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs 016 das wo mer hei AAgluegt [zäme; das wo / welches wir angeschaut haben zusammen 017 L [JAwoll. °hh jawohl 018 M Efach as mers drBII hei. einfach dass wir’s dabei haben 019 L i ha mir ! OU! en Usdruck gmAcht- ich hab mir auch einen Ausdruck gemacht 020 °hh das isch Äh: m wien Ich äh wien I d AAsicht ha as as LEERperson druf; das ist ähm wie ich äh wie ich die Ansicht habe als als Lehrperson darauf 021 °hh wo me de nÄchere immer grad GSEET, wo man dann nachher immer gerade sieht 022 M [MH_hm. mhm 023 L [wenn: dr SCHNITT nid äh: (.) es vier komma nUll erräicht; wenn der Schnitt nicht äh eine Vier Komma null (=4.0) erreicht Die Mutter initiiert das fokussierte Beurteilungsgespräch, indem sie eine Kopie der aktuellen Schulnoten hervorholt und thematisiert. Sie führt sich als informierte Person vor, die einerseits vorbereitet mit Unterlagen erscheint und andererseits die Kompetenz hat, das Gespräch einzuleiten, da sie weiss, worum es im Gespräch geht. Während M organisiert, wer die Unterlagen anschauen möchte und mit P klärt, worum es sich handelt, sind zuerst von L nur Rezeptionssignale hörbar: Sie lacht (Z. 003) und bestätigt (Z. 005, 012, 017). In Zeile 017 kündigt sie durch das Einatmen einen Redebeitrag an, der ab Zeile 019 dann auch folgt: L übernimmt den von M initiierten Fokus und bringt nun ihre eigenen Unterlagen ins Spiel, die sich dadurch von der Kopie der Mutter unterscheiden, dass sie die Ansicht der Lehrperson aufzeigen. Zentral scheint mir hier die Äusserung in Zeile 020: °hh das isch Äh: m wien Ich äh wien I d AAsicht ha as as LEERperson druf; . Der Fokusakzent liegt auf dem Wort Lehrperson und weitere Nebenakzente liegen u. a. auf den beiden Tokens von ich , womit sich die Lehrerin abgrenzt und sehr deutlich auf ihre institutionelle Rolle beruft. Sie übernimmt an dieser Stelle nun auch die Gesprächsführung <?page no="121"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 121 und erklärt im Detail die Sachlage 75 aus ihrer professionellen Sicht (hier im Ausschnitt nur ansatzweise abgedruckt). In diesem Gespräch leitet zwar die Mutter die fokussierte Interaktion ein. Durch die deutliche Positionierung und Berufung auf ihre Rolle zeigt aber die Lehrerin, dass sie für die Gesprächsführung zuständig ist. Es handelt sich also bei diesem Fall nur scheinbar um einen Ausnahmefall, denn die lehrerinseitige Reaktion und Positionierung bestätigt die Norm, dass die Gesprächsführung Aufgabe der institutionenvertretenden Person ist. In allen Gesprächen ist in der Eröffnungsphase das Verhandeln von Wissensbeständen dominant. Entweder wird das Gespräch eröffnet, indem nach der Fokussierung ein Common Ground etabliert wird, oder indem ein bereits vorhandener Common Ground in Anwesenheit aller aktualisiert wird. Zudem zeigt sich gleich zu Beginn, wie die Beteiligten die Situation und die Rollen definieren. 4.2 Gesprächsbeendigung Die Beendigung eines Gesprächs bedeutet gleichzeitig die Auflösung einer fokussierten Handlung. In Anlehnung an Schegloff und Sacks (1973: 294 f.) formulieren Gülich und Mondada (2008: 82) sehr treffend, welche Aufgaben am Ende eines Gesprächs zu bearbeiten sind: Wie lösen sie [die Gesprächsteilnehmenden, VM ] das praktische Problem, gemeinsam an einen Punkt in der Interaktion zu gelangen, an dem a) keine neuen Themen mehr eingeführt werden und b) der Mechanismus des Sprecherwechsels ausser Kraft gesetzt ist, ohne dass dies als einseitiges Schweigen oder Abbruch der Interaktion verstanden wird? Wir interessieren uns also für die Praktiken, die anzeigen, dass die Gesprächsteilnehmenden das Gespräch nicht mehr weiterführen möchten, ohne dabei unkooperativ zu sein. 4.2.1 Initiierung und Vollendung der Gesprächsbeendigung Schegloff und Sacks (1973: 303 ff.) zeigen verschiedene Beendigungsinitiativen auf, die das Ende einleiten können (im Englischen beispielsweise okay , so, well mit sinkender Intonation). Sie betonen dabei, dass es sich häufig nur um po- 75 Die Lehrerin verweist in dem Gesprächsausschnitt in Zeile 023 auf die Note 4, welche in der Schweiz einer genügenden Beurteilung entspricht. Das Notensystem reicht von 1-6, dabei ist 1 die schlechteste Note, ab 4 ist genügend und 6 ist die beste Note. <?page no="122"?> 122 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs tenzielle Beendigungsinitiativen ( possible pre-closings ) handelt, da erst die sequenzielle Organisation aufzeigt, ob daraufhin auch wirklich ein Gesprächsende folgt, oder ob die Beteiligten das Gespräch erneut fortsetzen. Was in den Gesprächen auffällt, sind die mehrfachen Initiierungen eines Gesprächsendes. Häufig wird also das Gesprächsende von einer Person (typischerweise von der Lehrperson) eingeleitet, jedoch führt dann eine andere oder auch dieselbe Person wieder ein Thema ein oder greift bereits diskutierte Aspekte erneut auf. Die Gesprächsbeendigung ist also, genauso wie die Gesprächseröffnung, eine gemeinsame Herstellungsleistung der Beteiligten. Im Folgenden sehen wir am Beispiel des Gesprächs mit Alex, wie das Gespräch schrittweise zu einem Ende gebracht wird. Die erste Initiierung des Gesprächsendes findet sich ab Minute 14: 57, insgesamt dauert das Gespräch ca. 22 Minuten: # 8 Bisschen ins Gewissen geredet (Alex, SJ7_L9A_LMS, 14: 57-22: 02, mit Auslassungen) [Teilausschnitt 1] 001 (2.2) 002 L JO, ja 003 (2.9) 004 L vo minere site WÄRS dAs? von meiner Seite wär’s das 005 (1.27) 006 L bitzli is GWÜSse gredet? =hä, bisschen ins Gewissen geredet hä 007 S mh_mh, mh 008 L hehe hehe 009 (2.33) 010 L JA? ja 011 (3.15) 012 L vo EUere site? von eurer Seite 013 S (--) äigenlech AU, eigentlich auch 014 L mh_HM, mhm <?page no="123"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 123 015 S und i will das etz äfacht MAche; und ich will das jetzt einfach machen 016 L [ja; ja 017 S [so wien is GSÄIT ha; so wie ich’s gesagt habe 018 L ja; ja 019 ((S kommentiert im Anschluss seine vom Werkunterricht beanspruchten Hände und leitet dadurch eine Passage zum handwerklichen Arbeiten ein.)) Nach einer längeren Pause von über 2 Sekunden (Z. 001) folgt von der Lehrerin die strukturierende Gesprächspartikel ja (Z. 002) und nach einer weiteren Pause markiert sie metakommunikativ das Ende des Gesprächs, indem sie auf keine weiteren Anliegen ihrerseits verweist ( vo minere site WÄRS dAs? , Z. 004). Sie fasst dann scherzhaft die Funktion des Gesprächs zusammen als ‚Ins-Gewissen- Reden’ und markiert durch die Verwendung der Vergangenheitsform (hier verkürzt in der Form des Partizip II : geredet ), dass das Gespräch abgeschlossen ist. Nach weiteren Pausen erfragt sie offene Anliegen vonseiten des Schülers und der Mutter. Obwohl typischerweise an dieser Stelle die Eltern ins Spiel kommen, beantwortet hier der Schüler die Frage, indem er das Gespräch ebenfalls als abgeschlossen betrachtet. Ab Zeile 015 hält er nochmals fest, dass er die vereinbarten Ziele erreichen möchte, was von L ratifiziert wird. An dieser Stelle könnte das Gespräch eigentlich ein Ende nehmen, denn es wurde wechselseitig bestätigt, dass es keinen Diskussionsbedarf mehr gibt. Nun kommentiert S in leiser Stimme seine beanspruchten Hände und nennt auf Nachfrage die Bohrmaschine aus dem Werkunterricht als Grund dafür. Dadurch kommt das Gespräch erneut in die Gänge, da die Lehrerin nachfragt, ob ihm das handwerkliche Arbeiten Spass bereite und was die aktuellen Projekte sind. Nach etwa 3.5 Minuten lässt sich eine erneute Initiierung der Gesprächsbeendigung ausmachen: [Teilausschnitt 2, nach Auslassung von ca. 3.5 Min.] 001 (1.06) 002 L JO: ? ja 003 (1.14) 004 L mou, ja / doch <?page no="124"?> 124 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs 005 (1.91) 006 L und wIe GSÄIT, und wie gesagt 007 eifach was du vo mir BRUUCHSCH? einfach was du von mir brauchst 008 (-) das beCHUNSCH du? das bekommst du 009 (---) won i di cha ungerSTÜtze, wo ich dich unterstützen kann 010 aber (.) do muesch ! DU! proaktiv uf mi ZUEcho; aber da musst du proaktiv auf mich zukommen 011 ((L führt aus, um welche Art der Hilfestellung es sich handelt und welche Möglichkeiten es in einzelnen Fächern gibt.)) Ähnlich wie im ersten Teilausschnitt folgt hier ebenfalls nach einer Pause (Z. 001) die in steigender Intonation geäusserte Gesprächspartikel ja (Z. 002) und nach einer erneuten Pause der berndeutsche Ausdruck mou , was soviel bedeutet wie ‚ja’ oder ‚doch’ und hier gesprächsstrukturierend verwendet wird (Z. 004). Nach einer weiteren Pause hält nun die Lehrerin nochmals fest, dass S proaktiv auf sie zukommen müsse, wenn er etwas brauche (Z. 006-011). Dass es sich dabei um eine Wiederholung oder Präzisierung eines bereits besprochenen Gesprächsinhaltes handelt, zeigt L durch die Einleitung und wIe GSÄIT, (Z. 006) an. Auch wenn L hier ähnlich wie zuvor eine mögliche Beendigung einleitet, tritt das Ende noch nicht ein, da sie nun zum Thema ‚selbstständiges Organisieren von Zusatzaufgaben’ weiter ausholt und auch M und S sich an dieser Themenbearbeitung beteiligen. Nach ca. 2.5 Minuten folgt nun die dritte Initiierung des Gesprächsendes: [Teilausschnitt 3, nach Auslassung von ca. 2.5 Min.] 001 (4.02) 002 L oKEE, okay 003 (1.01) 004 S jä, ja 005 L JO? ja 006 (-) de dAnk i fürs CHO? dann danke ich fürs Kommen <?page no="125"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 125 007 S (--) MER[ci, danke 008 L [und [de: würd i und dann würde ich 009 M [mh_hm MERci, mhm danke 010 L gÄrn no (-) ((schnalzt)) euch dörfe äh für d frou MUNDwiler, gerne noch euch dürfen äh für die Frau Mundwiler 011 °h wo jo ähm: (-) üüs do AAgfroget het; wo / die ja ähm uns da angefragt hat 012 öb mer das GSPRÄÄCH dörfen ufzeichne; ob wir das Gespräch aufzeichnen dürfen 013 sii hend jo GSEE, Sie haben ja gesehen 014 das [°hh äh tOnband isch do am LOUfe, das äh Tonband ist da am Laufen 015 M [mh_hm; mhm 016 L °hh ähm: es: formuLAR mitgää zum Usfüue; ähm ein Formular mitgeben zum Ausfüllen 017 ((Die Lehrerin erläutert noch den Aufbau des Fragebogens und schaltet dann das Gerät vor der Verabschiedung aus.)) Auffällig ist wiederum die Pause (hier über 4 Sekunden, Z. 001) und die in steigender Intonation geäusserte Gesprächspartikel okay (Z. 002). S versteht dieses Okay als Frage, die er bejahend beantwortet (Z. 004) und womit also wechselseitig die Abgeschlossenheit des Gesprächs markiert wird. Die Lehrerin bedankt sich für das Kommen (Z. 006), worauf sich auch S und M nacheinander bedanken (Z. 007 und 009). Und abschliessend verweist L noch auf den Fragebogen, der mit der Forschungssituation in Verbindung steht, und beendet damit die inhaltliche Fokussierung. Wir sehen in diesem Beispiel, dass die Gesprächsbeendigung schrittweise und durch mehrere Praktiken vollführt und jeweils wechselseitig von den Beteiligten bestätigt und hergestellt wird. Die mehrfache Initiierung nach längeren Pausen durch Gesprächspartikeln wie ja, also, gut, okay findet sich fast durchgehend im Korpus. Auch lassen sich in den Daten mehrfach Praktiken ausmachen wie Zusammenfassungen oder Präzisierungen von Zielen und Gesprächsinhalten (vgl. Jonas, SJ 6_L6A_ LMSZ ; Marc, SJ 7_L9B_ LMPS ; Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS ) oder Dankesäusserungen (vgl. Ben, SJ 4_L3B_ LMVS ; Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS ; <?page no="126"?> 126 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs Marc, SJ 7_L9B_ LMPS ; Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS ; David, SJ 12_L5A_ LVS ), welche generell als typische Bestandteile von Gesprächsbeendigungen gelten (vgl. z. B. Spiegel & Spranz-Fogasy 2001: 1248). Die gezeigte metasprachliche Markierung des Gesprächs als vollständig (vgl. Teilausschnitt 1, Z. 004: vo minere site WÄRS dAs? ) findet sich in ähnlicher Form ebenfalls in anderen Gesprächen (vgl. Sarah, SJ 1_L1A_ LMV ; Emma, SJ 4_L3A_ LMS ; Ben, SJ 4_L3B_ LMVS ; Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS ; Jonas, SJ 6_L6A_ LMSZ ; Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS ). Auch das Referieren auf das Gespräch in der Vergangenheitsform (vgl. Teilausschnitt 1, Z. 006: bitzli is GWÜSse gredet? =hä, ) taucht noch in anderen Gesprächen als eine Praktik auf, das Gespräch implizit als abgeschlossen zu bezeichnen. Als Beispiel sei hier das folgende aus dem Gespräch mit Tatjana aufgeführt: # 9 Schlimmes Gespräch (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 27: 04-27: 07) 001 (--) 002 L ischs schlImm gsch SCHLIMMS gsprÄÄch gsi; ist es schlimm gsch schlimmes Gespräch gewesen 003 S näʔä; nein Durch die Frage an Tatjana, ob sie das Gespräch als schlimm empfunden habe, teilt die Lehrerin hier implizit mit, dass das Gespräch nun vorüber ist. Das Gesprächsende wird also markiert, indem das Gespräch sprachlich in die Vergangenheit versetzt wird. Vereinzelt werden abschliessend Wünsche bezogen auf die weitere gute Zusammenarbeit geäussert (vgl. Emma, SJ4_L3A_LMS; Timo, SJ5_L7C_LMVS; Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS ) und institutionell bedingt werden in einigen Gesprächen am Ende Unterlagen unterzeichnet (vgl. Ben, SJ 4_L3B_ LMVS ; Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS ; Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS ), was ebenfalls als Praktik genutzt wird, interaktiv das Gespräch als beendet zu markieren. Die für Gesprächsbeendigungen typischen Verabschiedungen sind meistens nicht mehr auf der Aufnahme drauf (vgl. aber Marc, SJ 7_L9B_ LMPS ). Ein Bestandteil der meisten Beurteilungsgespräche ist die lehrpersonenseitige Frage nach offenen Fragen oder Anliegen der Eltern und teilweise auch der SchülerInnen. Wenn auch die Überleitung zu diesen Fragen durchaus als Bestandteil des Gesprächs betrachtet werden kann, sind doch die entsprechenden Sequenzen in den konkreten Daten teilweise so markiert, dass sie als Einleitung des Gesprächsendes zu verstehen sind. Die verschiedenen Überleitungspraktiken werden im Folgenden diskutiert. <?page no="127"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 127 4.2.2 Überleitung zu Fragen und Anliegen der Eltern Bei der Überleitung zu Fragen und Anliegen der Eltern können in den Gesprächen verschiedene Praktiken unterschieden werden: die direkte Überleitung, die Überleitung nach Abschlussmarkierung der lehrpersonenseitigen Anliegen, die Überleitung mit negierter Konditionalphrase ( wenn Sie keine Fragen mehr haben ) und schliesslich die nach Initiierung der Gesprächsbeendigung nachgeordnete Überleitung zu allfälligen Fragen. Während die direkte Überleitung noch nicht explizit mit dem Gesprächsende in Verbindung gebracht wird, steht am anderen Ende des Kontinuums das Einräumen von Fragen, nachdem schon die Gesprächsbeendigung initiiert wurde. Die direkte Überleitung zu offenen Fragen und Anliegen ist in dem Sinne direkt, dass sie losgelöst eingeführt wird und nicht metasprachlich gerahmt ist. Ein solches Beispiel zeigt der folgende Ausschnitt: 76 # 10 Irgendeine Frage (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 13: 52-15: 11, mit Auslassung) 001 (2.01) 002 L hei DIR no irgende frOOg; haben Sie noch irgendeine Frage 003 oder es AAligge; oder ein Anliegen 004 oder irgendöppis won ech UFgfauen isch; oder irgendetwas wo / das Ihnen aufgefallen ist 005 oder öppis wo deHEIM würkch gAnz Angers isch; oder etwas wo / das daheim wirklich ganz anders ist 006 (3.6) 007 ? ((jemand lacht leise, wahrscheinlich L)) 008 V ((lacht leise)) 009 L tImo hesch DU Öppis; Timo hast du etwas 010 S (-) mhʔmh, mh mh 011 (2.01) 012 L frau HUNziker? Frau Hunziker 013 (1.48) 014 M wüsst jetz grad nÜt beSTIMMTS; =näi, wüsste jetzt gerade nichts Bestimmtes nein 76 Vergleichbare Kontexte finden sich in den Gesprächen mit Emma (SJ4_L3A_LMS, ab Min. 27: 05) und Chiara (SJ5_L7A_LMVS, ab Min. 19: 10). <?page no="128"?> 128 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs 015 (2.53) 016 L nie ne KCHAMPF mit em dehEIm; nie ein Kampf mit ihm daheim 017 wenns um d SCHUEL geit, wenns um die Schule geht 018 °hhh (--) oder HUSufgabe (züüg) sAche, oder Hausaufgaben (Zeug) Sachen 019 M nei näʔä [überHOUPT- nein nein überhaupt 020 S [mit em BRUEder abe; mit dem Bruder manchmal 021 ((Auslassung im Transkript, ca. 40 Sek.: Nebensequenz zu Timos Bruder.)) 022 L °hh JO; ja 023 (-) vo EUCHre site (.) herr HUNziker, von Ihrer Seite Herr Hunziker 024 V (-) WÜSST ä nüt, wüsste auch nichts Nach einer Pause wendet sich L mit einer Aneinanderreihung von möglichen Fragekontexten an die Eltern (Z. 002-005), eine Antwort bleibt jedoch aus und es ist nur leises Lachen hörbar (Z. 006-008). Nun richtet L ihre Frage an Timo ( tImo hesch DU Öppis; , Z. 009), der aber verneint. Die Lehrerin bietet hier also auch dem Schüler die Möglichkeit, sich mit einem Anliegen einzubringen. Interessant ist nun, dass L trotz ausbleibenden Antworten nach erstmaligen Fragen (Schweigen und Lachen in Z. 006-008) zuerst die Mutter (Z. 012) und dann den Vater (Z. 023) explizit mit Namen anspricht und so erneut Redemöglichkeiten anbietet. Beide Elternteile verzichten auf Fragen oder Anmerkungen. Im Anschluss verkündet L, dass sie sich erhoffe, dass es weiterhin so gut laufe und leitet so das Gesprächsende ein. Bei der direkten Überleitung zur Gesprächsphase der offenen Fragen kann argumentiert werden, dass es sich um einen integrativen Teil des Gesprächs handelt. Dennoch wird implizit mitkommuniziert, dass vonseiten der Lehrperson kein Diskussionsbedarf mehr herrscht. Expliziter wird dies bei der Überleitung zu den Fragen, nachdem die Lehrperson ihre eigenen Anliegen als bearbeitet markiert: 77 77 Ähnliche Kontexte finden sich in den Gesprächen mit Ben (SJ4_L3B_LMVS, ab Min. 31: 18, vgl. Beispiel # 48), Tatjana (SJ5_L7B_LMVS, ab Min. 25: 23), Jonas (SJ6_L6A_LHMS, <?page no="129"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 129 # 11 Alles gesagt ( Jonas, SJ6_L6A_LMSZ, 33: 42-34: 00) 001 (3.4) 002 L JO? ja 003 (---) ((schnalzt)) aso (.) vo MInere site us; also von meiner Seite aus 004 (--) han ich äigenlich (.) s MÄISCHte jetz; habe ich eigentlich das Meiste jetzt 005 (-) oder Alles hehe [°hh chönne SÄÄge, oder alles hehe sagen können 006 M [mh_hm, mhm 007 (1.83) 008 L ich wäiss nit obs (.) [vo IIne no öppis git,=oder; ich weiss nicht ob’s von Ihnen noch etwas gibt oder 009 M [du hesch seer vil LOB kriegt,= du hast sehr viel Lob gekriegt 010 =hesch GMERKT? hast du gemerkt 011 (1.31) Nach einer längeren Pause von 3.4 Sekunden setzt die Lehrerin mit einem fragenden JO? (Z. 002) ein und nach weiteren Verzögerungsmarkern (Pausen, Schnalzen) zeigt L an, dass sie von ihrer Seite her keine Anliegen mehr hat. Während sie zuerst angibt, das Meiste angemerkt zu haben (Z. 004), repariert sie lachend zur Aussage, alles gesagt zu haben (Z. 005). Es gibt aus Sicht der Lehrerin also keine abzuarbeitende Agenda mehr. L leitet sprachlich indirekt zu Fragen oder Anliegen der Eltern über, indem sie ihr Unwissen über allfällige Fragen kundtut: ich wäiss nit obs (.) vo IIne no öppis git,=oder; (Z. 008). Die Überleitung gelingt nicht auf Anhieb, denn es kommt zu einer Überlappung in den Zeilen 008 und 009. Die Mutter reagiert also vorerst nicht responsiv auf die Frage nach eigenen Anliegen, sondern spricht ermutigend zu Jonas über das erhaltene Lob im Gespräch. Nach ca. 17 Sekunden fragt die Heilpädagogin erneut präzisierend nach: haben SIE noch thEmen wÜnsche (1.72) beObachtungen, (Min. 34: 17-34: 21), worauf die Mutter dann von ihrer Seite das Gespräch als abgeschlossen markiert. ab Min. 33: 45), Flavio (SJ6_L6B_LMVS, ab Min. 28: 58) und Alex (SJ7_L9A_LMS, ab Min. 14: 57, vgl. Beispiel # 8). <?page no="130"?> 130 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs Das explizite Anzeigen durch Lehrpersonen, dass alle gewünschten Anliegen eingebracht wurden, ist als erste Initiierung der Gesprächsbeendigung zu verstehen. Durch weitere wechselseitige Bearbeitung - hier in Beispiel # 11 z. B. initiiert durch die entsprechenden Rückfragen an M - wird schrittweise das Gesprächsende herbeigeführt. Dass diese Phase der Bearbeitung von offenen Fragen und Anliegen bereits zur Beendigungsphase gehören kann, zeigt das nächste Beispiel, in welchem die Initiierung der Gesprächsbeendigung an die negiert geäusserte Konditionalphrase wenn sii käi: FROOge me händ, (Z. 002) gekoppelt wird: # 12 Wenn Sie keine Fragen mehr haben (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 26: 14-26: 26 & 28: 38) 001 L JO? ja 002 (äh) wenn sii käi: FROOge me händ, (äh) wenn Sie keine Fragen mehr haben 003 (-) 004 M (dann) (dann) 005 (-) 006 L denn wÄrs [das scho GSI? dann wär’s das schon gewesen 007 M [können wir wEIterhin zuFRIEden sein; können wir weiterhin zufrieden sein 008 (-) 009 L SEER zfriide jä, sehr zufrieden ja 010 M °h dann SIND wir doch das EInfach- ((räuspert sich)) dann sind wir doch das einfach 011 (-) 012 L schön, schön 013 V ja, ja 014 (--) 015 V usser äins ausser eines 016 was WÄR jetz no gsi ähm- was wäre jetzt noch gewesen ähm <?page no="131"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 131 017 ((Auslassung von ca. 2.25 Minuten: Sie bearbeiten die Frage von V zu einem Unterrichtsfach, welches S offenbar nicht mag. Im Anschluss daran äussert M ab Min. 28: 38 eine weitere Frage.)) 018 M dOch ich hab AUCH noch ne frage; °h doch ich habe auch noch ne Frage L initiiert hier die Gesprächsbeendigung durch die Äusserung denn wÄrs das scho GSI? (Z. 006), welche nach der negierten Konditionalphrase nach allfälligen offenen Fragen hervorgebracht wird (Z. 002). Durch die Kopplung dieser beiden Äusserungen zeigt L an, dass aus seiner Sicht das Beenden des Gesprächs ab dieser Stelle möglich ist und nun nur noch durch die Eltern ratifiziert werden muss. M orientiert sich vorerst in teilweiser Überlappung zu L an der projizierten Gesprächsbeendigung und resümiert das Gespräch in Bezug auf die grösstenteils zufriedenstellend ausgefallenen Beurteilungen von Sarahs Leistungen und Verhalten (Z. 007, 010), was von L in Zeile 009 einerseits bestätigt und andererseits auch noch mit einer Aufwertung von zufrieden zu sehr zufrieden (mit Fokusakzent auf sehr ) versehen wird. Es handelt sich dabei nach Auer und Uhmann (1982: 4) um eine „Eskalierung“, wodurch die Intensität der Bewertung gesteigert wird. Trotz der wechselseitig realisierten Orientierung an einem Gesprächsende setzt nun dennoch V in Zeile 015 f. mit einer Frage an: usser ÄINS; was WÄR jetz no gsi ähm- . Dadurch dass er sich mit der Konjunktion ausser auf die Konditionalphrase in den Zeilen 002 und 006 ( wenn sii käi: FROOge me händ, denn wÄrs das scho GSI? ) bezieht, orientiert er sich ebenfalls an der Abgeschlossenheit und bringt sein Anliegen entsprechend als nachträglichen Zusatz hervor. Ähnlich schliesst auch M an, als sie verzögert nach ein paar Gesprächsminuten in Zeile 018 mit dem Adverb doch der negierten Äusserung von L bezüglich offener Fragen in den Zeilen 002 und 006 widerspricht und ein weiteres Anliegen anmeldet. Wir sehen hier, dass im gegebenen Kontext die Eltern über kommunikative Praktiken wie das Markieren von Widerspruch und das Einbringen nachträglicher Ergänzungen verfügen müssen, um ihre Anliegen vor dem schon initiierten Gesprächsende noch platzieren zu können. Dies kann insbesondere in interkulturellen Gesprächskontexten relevant werden, wenn einzelne Beteiligte in der Zielsprache nur über Grundkenntnisse verfügen und entsprechend nur bedingt erfolgreich Widerspruch im Kontext einbinden können (vgl. z. B. Grigorieva 2015). Nun gibt es auch noch den folgenden Fall, dass L zuerst die Gesprächsbeendigung initiiert und sich erst nachträglich bezüglich Fragen und Anliegen an die Eltern wendet: <?page no="132"?> 132 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs # 13 Gespräch nicht in die Länge ziehen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 17: 19-17: 52) 001 L (-) °h aso bisch du (--) GLÜCKlich und ZFRII[de.] also bist du glücklich und zufrieden 002 S [jä; ] ja 003 (4.08) 004 M MIR au, [hh° HAHAhahaha wir auch hahahahaha 005 L [denn: müemer au s gsprÖÖch nit in d LÄNgi zIe? = dann müssen wir auch das Gespräch nicht in die Länge ziehen 006 =aso Ebe wie gsäit; also eben wie gesagt 007 vo ii vo IIrer site här no irgende WUNSCH, von I von Ihrer Seite her noch irgendein Wunsch 008 oder oder oder Öppis wo sii (1.76) scho lAng hän wölle SAAge, oder oder oder etwas wo / das Sie schon lange haben sagen wollen 009 (2.26) 010 M NÄI? nein 011 (--) 012 M ÄIgentlech; eigentlich 013 (1.13) 014 M wenn wär dr SPÖtischti AAmäldetermin jetz für Ebe; wann wäre der späteste Anmeldetermin jetzt für eben 015 wenn müen sii sich (-) DEfinitiv entschiide ha; wann müssen sie sich definitiv entschieden haben 016 für °hh AAmäldig vo dene wIterfüerende SCHUEle und esO; für Anmeldung von diesen weiterführenden Schulen und so L verpackt den zuvor gewonnenen Eindruck, dass es Philipp in der Klasse gut geht und er keine weitere Hilfe braucht, in einer an S adressierten, resümierenden Frage nach Glücklichsein und Zufriedenheit (Z. 001), die S bestätigt (Z. 002). Nach einer längeren Pause von über 4 Sekunden initiiert L die Gesprächsbeendigung durch die Äusserung, man müsse das Gespräch nicht in die Länge ziehen (Z. 005). Kurz vor dieser Initiierung äussert sich allerdings noch die Mutter mit ebenfalls einer bestätigenden Antwort auf die Frage nach der Zufriedenheit ( MIR <?page no="133"?> 4.2 Gesprächsbeendigung 133 au, , Z. 004), obwohl L hier, wie auch meistens im Gespräch, Philipp als primären Adressaten behandelt. In direktem, schnellen Anschluss fügt er nun die Frage an die Eltern an, ob es von ihnen Wünsche oder Anliegen gebe (Z. 006 f.). 78 Durch die Schnelligkeit des Anschlusses wird die Interpretation nahegelegt, dass es sich um ein Reparaturverhalten handelt, welches dadurch initiiert wird, dass M sich ungefragt einbringt und dadurch die Aufmerksamkeit auf sich als Gesprächsbeteiligte lenkt. Interessant ist nun, dass M die Frage nach einer Pause verneinend beantwortet (Z. 010), diese Antwort nach einer weiteren Pause durch die Modalisierung eigentlich abschwächt (Z. 012) und schliesslich nach einer weiteren Pause doch eine Frage zu Anmeldefristen anbringt (Z. 014-016). Dieses Verhalten von M lässt sich mithilfe des Konzepts der Präferenzstrukturen erklären (vgl. Kap. 2.1.2): L hat bereits das Gesprächsende initiiert und dann erst nachträglich - im Sinne einer durch M fremdinitiierten Selbstreparatur von L - den Eltern Raum für Fragen und Anliegen gewährt. M orientiert sich nun vorerst an dem initiierten Gesprächsende und zeigt also Übereinstimmung, indem sie die nachträgliche Frage nach Anliegen verneint. Erst nach weiteren Verzögerungsmerkmalen (Pausen, Abschwächung durch eigentlich ) folgt ihre Frage, die somit als dispräferierte Form der Reaktion verstanden werden kann und die mit einem kommunikativen Mehraufwand bewerkstelligt werden muss. In den meisten Gesprächen werden am Ende offene Fragen und Anliegen der Eltern bearbeitet, jedoch variieren die Praktiken für die Überleitung in diese Phase. Wie gezeigt werden konnte, beeinflusst die Art der Überleitung den Stellenwert dieser Fragen im Gespräch. Entweder wird die Phase als eigenständiger Teil des Gesprächs bearbeitet, oder sie ist bereits Teil der Gesprächsbeendigung. In jedem Fall wird aber durch die Überleitung in diese Phase vonseiten der Lehrperson (implizit oder explizit) angezeigt, dass ihre Anliegen vollständig bearbeitet wurden und das Gesprächsende näherrückt. Wann das Gespräch tatsächlich beendet wird, ist allerdings Aushandlungssache und muss jeweils wechselseitig bestätigt werden. 78 L referiert in Zeile 006 mit Ebe wie gsäit; wahrscheinlich auf seine zuvor in Min. 15: 35-15: 53 geäusserten Fragen: gits: : (-) SUNSCHT no Irgendöppis won ich: (--) cha hÄlfe, in: dere BRUEFSentschäidig, wobii Ebe aso s isch jo äigentlich (--) hehehe <<lachend> äigentlich entSCHIIde,> °h oder irgendöppis won i wo wo wod no (.) d HILF brÜÜchtisch, oder SUNSCHT irgendöppis vÖllig jetz wo nüt mit dÄm z due het; (übersetzt: „gibt es sonst noch irgendetwas wo ich helfen kann in dieser Berufsentscheidung, wobei eben also es ist ja eigentlich hehehe eigentlich entschieden, oder irgendetwas wo ich wo wo wo du noch die Hilfe bräuchtest, oder sonst irgendetwas völlig jetzt wo / das nichts mit dem zu tun hat“). Allerdings adressiert L durch die duzende Anrede primär S, welcher im Anschluss auch verneinend darauf antwortet. <?page no="134"?> 134 4 Interaktive Konstituierung des Beurteilungsgesprächs 4.3 Zusammenfassung Ziel dieses Kapitels war es herauszuarbeiten, wie die Gesprächsbeteiligten in das Gespräch ein- und aussteigen. Die Gesprächseröffnung dient vor allem dazu Wissensbestände zu verhandeln, d. h. durch Vorankünden der Gesprächsinhalte oder durch Darlegen der Ausgangslage Wissen zu etablieren oder zu aktivieren. Zudem werden Beteiligungsrollen ausgehandelt. Das Gesprächsende lässt sich - mehr noch wie die Eröffnung - als gemeinsame Handlung charakterisieren. Während zwar in der Regel die Lehrperson die Beendigung initiiert, ist sie in der Folge darauf angewiesen, dass die Beteiligten wechselseitig den Abschluss der Aktivität mitgestalten und ratifizieren. Typischerweise werden am Ende des Gesprächs allfällige Fragen und Anliegen der Eltern bearbeitet. <?page no="135"?> 4.3 Zusammenfassung 135 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen „und LÜT wie ! SII! und ! ICH! , ! MIR! münd drfür KCHÄMPfe; “ (Lehrerin an Schüler in Beispiel # 30) Gesprächsteilnehmende weisen sich selbst und anderen im Gespräch soziale Rollen zu. Wie in Kapitel 2.4.3 einführend erläutert wurde, können Positionierungen explizit oder implizit sowie direkt oder indirekt vorgenommen werden. Konkret zeigen sich Positionierungen beispielsweise in expliziten Kategorisierungen, aber auch in Situationsbeschreibungen, Erzählungen oder Schilderungen von Aktivitäten und Einstellungen. Im Folgenden geht es nun zunächst um die sozialen Rollen der Lehrpersonen und Eltern. Grundsätzlich lassen sich die sozialen Rollen hinsichtlich ihrer asymmetrischen und symmetrischen Wirkung in der Interaktion unterteilen: Wenn beispielsweise auf Wissen referiert wird, welches andere nicht besitzen, so wird eine für institutionelle Gespräche typische Experten-Laien-Kommunikation (vgl. z. B. Brünner & Gülich 2002: 20) geführt, welche Asymmetrien widerspiegelt und gleichzeitig verstärkt. Werden jedoch Bemühungen unternommen, diese asymmetrisch angelegten Rollen aufzubrechen und auf Gemeinsamkeiten der Beteiligten hinzuweisen, so gleichen die Rollen denjenigen in einem Alltagsgespräch und entsprechen auf einer globalen Ebene eher symmetrischen Rollen. Die Analysen zeigen, wie sich durch unterschiedliche Positionierungen von Lehrpersonen und Eltern ein wechselseitiges Streben nach symmetrisch angelegten Rollen nachzeichnen lässt. In den folgenden Darstellungen steht die Frage nach den lokalen Aushandlungsprozessen zwischen Lehrpersonen und Eltern im Zentrum und es interessiert demnach insbesondere das prozesshafte Herausbilden von Identitäten in der Interaktion. Im Spezifischen wird die Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen (Kap. 5.1), als Eltern (Kap. 5.2) sowie als (ehemalige) Lernende (Kap. 5.3) untersucht und abschliessend werden an einem Fallbeispiel die interaktiven Positionierungen bei elternseitigen Kritikäusserungen betrachtet (Kap. 5.4). <?page no="136"?> 136 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen Wenn wir die Positionierung als Lehrperson oder dann im erweiterten Sinne als Ko-Lehrperson betrachten, so interessieren uns einerseits Praktiken, die das fachliche und didaktische Wissen der Lehrperson als Vertretung ihrer Institution sprachlich hervorheben (vgl. Kap. 2.1.3 zu institutionellen Rollen) und andererseits kategoriengebundene Aktivitäten im Sinne von Mitgliedschaftskategorien (vgl. Kap. 2.4.2), die also typischerweise mit dem schulischen Berufsalltag in Verbindung gebracht werden. Solche kategoriengebundene Aktivitäten sind insbesondere beurteilende und beratende Sprachhandlungen, die bewirken, dass die institutionelle Rolle der Lehrperson jeweils etabliert und aktualisiert wird. In den folgenden Analysen geht es zuerst um die gemeinsame Konstruktion von Beurteilungsaktivitäten (Kap. 5.1.1). Dann stehen Lernberatungssequenzen im Fokus, in denen ebenfalls fachliches und fachdidaktisches Wissen verhandelt wird (Kap. 5.1.2). Und schliesslich wird die Tatsache näher beleuchtet, dass es vielfach zur interaktiven Positionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen kommt. Dabei geht es sowohl um Selbstals auch Fremdpositionierungen als kooperierende Eltern (Kap. 5.1.3). 5.1.1 Beurteilungshandlungen im Kontext Schule Beurteilen ist eine für Lehrpersonen relevante und typische Aktivität (vgl. Kap. 2.4.4). Auffällig ist nun, dass diese Aktivität in den Gesprächen keineswegs nur den Lehrpersonen vorenthalten ist, sondern auch die anderen Beteiligten diese Rolle der Beurteilenden einnehmen können. Zum einen bringen sich die SchülerInnen bewertend ein - dies allerdings meist initiiert durch Lehrpersonen - und zum anderen beteiligen sich die Eltern in hohem Masse an den Beurteilungsaktivitäten. Das erste Beispiel stammt aus dem Gespräch über die Schülerin Sarah, die dem Gespräch selber nicht beiwohnt. Der Lehrer und die Eltern schauen gemeinsam verschiedene Arbeiten von Sarah an und sind nun bei dem Thema ‚Schreiben’ angelangt. Anhand des folgenden Ausschnitts kann gezeigt werden, wie die Beteiligten interaktiv ihre Expertenrollen etablieren und verteidigen. Damit der Sinnzusammenhang sowie die Positionierungsaktivitäten voll verständlich sind, wird im Folgenden ein etwas längerer Gesprächsausschnitt präsentiert: # 14 Gross- und Kleinschreibung (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 04: 14-07: 08) [Teilausschnitt 1] 001 L wo d frau pedrini ZRUGG cho isch, wo / als die Frau Pedrini zurückgekommen ist <?page no="137"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 137 002 hän si iire miesse (.) e BRIEF ! SCHRIIBE! ? haben sie ihr einen Brief schreiben müssen 003 M hihihihihihihihi[hi °h hihihihihihihihihi 004 L [und das äh das am aafang hän si vo dr (.) TAfele abgschriibe, und das äh das am Anfang haben sie von der Tafel abgeschrieben 005 (1.3) 006 V mh_HM, mhm 007 L (--) und das in dr mitti het jetz (.) d sarah alLÄI gschriibe? und das in der Mitte hat jetzt die Sarah alleine geschrieben 008 M EIN fehler ka me nüt [sage.=he? ein Fehler kann man nichts sagen he 009 V [MH_mh. mhm 010 (---) 011 M he[hehe hehehe 012 L [jo °h jo und (.) jo das duet me halt GÄRN verwächsele. ja ja und ja das tut man halt gerne verwechseln 013 M (--) °h jaja (.) aber das isch ja oKEI (.) in [dem stadium; [=oder? ja ja aber das ist ja okay in dem Stadium oder 014 L [s groosse, das grosse 015 V [JÄwoll. jawohl 016 L jä SEER [guet jä seer [guet. ja sehr gut ja sehr gut 017 V [(grüsse jä), (Grüsse ja) 018 M [ha haha °h liebe gü: sse hehe ha haha liebe Güsse hehe 019 L jä gü: sse °h jä und ähm (.) vom vom lUtgetreue isch SEER guet, ja Güsse ja und ähm vom vom Lautgetreuen ist sehr gut <?page no="138"?> 138 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 020 ebe bis uf uf uf uf uf das DEE und äh: - eben bis auf auf auf auf auf das ‚D’ und äh 021 und grooss klÄIschriibig das chunt jo denn in dr ZWÄI[te. und Gross-/ Kleinschreibung das kommt ja dann in der Zweiten 022 M [JAja. ja ja 023 V (-) [! E! be das ISCH nonig. eben das ist noch nicht 024 L [((unverständlich, ca. 1.1 Sek.)) Nachdem der Lehrer den geschriebenen Text von Sarah im Entstehungskontext verortet hat, beginnt die Mutter 79 mit einer Beurteilungshandlung: EIN fehler ka me nüt sage.=he? (Z. 008). M identifiziert und beurteilt hier einen Fehler und zeigt sich dadurch einerseits als Expertin in Bezug auf den beurteilten Lerngegenstand - die Rechtschreibung - und andererseits als vertraut mit den schulischen Beurteilungsmassstäben, denn sie vermag über die Akzeptabilität des einen Fehlers zu urteilen. Sie initiiert dadurch den Beurteilungsdiskurs, der sodann von den anderen Beteiligten weitergeführt wird. L schwächt den von M identifizierten Fehler in der Folge insofern ab, dass er ihn als typischen Verwechslungsfehler bezeichnet und dadurch implizit seine Rolle als Lehrer mit dem entsprechenden Erfahrungswissen ins Feld führt ( jo das duet me halt GÄRN verwächsele. , Z. 012). Auch M führt sich erneut als Expertin vor, indem sie den Fehler nun in Bezug zur normalen und erwartbaren Erwerbsphase 80 setzt: °h jaja (.) aber das isch ja oKEI (.) in dem stadium; =oder? (Z. 013). Die Beurteilung oKEI fungiert hier als Aufwertung und in diesem Sinne auch als Rückversicherung vonseiten der Mutter, dass dieser Fehler für eine Schülerin der ersten Klasse okay und demnach nicht beunruhigend sei (vgl. auch Pillet-Shore 2003), was V sofort mit JÄwoll. (Z. 015) bestätigt und L mit jä SEER guet jä seer guet. (Z. 016) zweimal ratifiziert. Als Begründung nimmt L Bezug auf sein Expertenwissen zu der entsprechenden Erwerbsphase ( vom vom lUtgetreue isch SEER guet, , Z. 019) und verweist auf die fachlich-didaktische Instanz des Lehrplans ( und grooss klÄIschriibig das chunt jo denn in 79 Die Mutter ist Deutsche und spricht umgangssprachliches Standarddeutsch mit einem leicht dialektalen Einschlag, was hier in Anlehnung an die orthografischen Regeln transkribiert wird. 80 In Bezug auf den normaltypischen Erwerb der Orthografie können grundlegend drei Entwicklungsphasen unterschieden werden: die voralphabetische bzw. protoalphabetischphonetische Phase, die alphabetische Phase und die orthografische Phase (vgl. z. B. Siekmann & Thomé 2012: 108 ff.; Thomé 2006). <?page no="139"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 139 dr ZWÄIte. , Z. 021). 81 Wir sehen hier also in den ersten Zeilen, wie sich sowohl die Eltern als auch der Lehrer als Fachleute mit Beurteilungskompetenz sowie fachdidaktischem Wissen präsentieren. Im Folgenden kommt es zur Relevantsetzung verschiedener Bezugsnormen und zu teilweise widersprüchlichen Positionierungen des Lehrers als Reaktion auf die Argumentation der Eltern: [Teilausschnitt 2] 025 L [das isch s denn in dr ZWÄIte s thema; °hh das ist das dann in der Zweiten das Thema 026 V [jäjä (.) si hän jo HÜT au en ufgoob ghA, ja ja sie haben ja heute auch eine Aufgabe gehabt 027 und de het si ebe AU Alli wörter grooss gschriibe; und dann hat sie eben auch alle Wörter gross geschrieben 028 und no han i gsäit ähm- °h und dann habe ich gesagt ähm 029 dass es WÖRter git wo grooss und kläi (xxx), dass es Wörter gibt wo / die gross und klein (xxx) 030 diend er NOnig (.) beachte; tut ihr noch nicht beachten 031 het si gsäit <<f> NÄI.> hat sie gesagt nein 032 [aso DENN isch es in ornig,=hahaha also dann ist es in Ordnung hahaha 033 M [hehe hehe 034 L jä aso [(--) mir sages SCHO, ja also wir sagen es schon 035 V [ha °h ha ha ha 036 V JÄ, ja 037 L [ich has ä scho GSÄIT. ich habe es auch schon gesagt 038 M [JAja. ja ja 81 Gemäss fachdidaktischen Empfehlungen für die kantonalen Lehrpläne der Schweiz werden in der 1. Klasse erst grundlegende Laut-Buchstaben-Regeln gelehrt, in der 2. Klasse folgen dann u. a. die Grossschreibung am Satzanfang, bei Namen und konkreten Nomen und ab der 3. Klasse differenzierte Regeln in Bezug auf die Gross- und Kleinschreibung (vgl. z. B. Lindauer, Schmellentin & Sturm 2006: 43 ff.). <?page no="140"?> 140 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 039 L aber jetz WIRKlich, aber jetzt wirklich 040 [das chunt denn wirklich in dr ZWÄIte; das kommt dann wirklich in der Zweiten 041 V [mh_hm si het äfach ! JE! des wort bim dr erscht buechstabe GROOSS gschriibe; = mhm sie hat einfach jedes Wort beim den ersten Buchstaben gross geschrieben 042 =und no han i [dänkt jo aber ebe das ISCH gar nonig; und dann habe ich gedacht ja aber eben das ist noch gar nicht 043 L [das macht si do AU; das macht sie da / hier auch 044 V (.) vilicht so (.) MUESS me gar nonig. vielleicht so muss man noch gar nicht 045 L (-) [jo: jo mir häns scho PAARmol [gsäit. ja ja wir haben es schon paarmal gesagt 046 M [hehe hehe 047 V [mh_HM? mhm 048 L aso wa (.) was mir jetz WIRKlich druf luege isch; also wa was wir jetzt wirklich drauf schauen ist 049 am aafang GROOSS und am schluss e PUNKT. am Anfang gross und am Schluss ein Punkt 050 V JÄwoll. jawohl 051 M JÄ [ähä, ja ähä 052 V [geNAU. genau 053 L und das [((blättert in Unterlagen)) (goot; ) und das (geht) 054 V [das: mh_HM, das mhm 055 L <<in Unterlagen blätternd, leise> jetz wo han i (3.6) dr (VORderi/ VORigi) zettel,> jetzt wo habe ich den (vorderen / vorigen) Zettel <?page no="141"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 141 056 (.) ah DO; °h ((blättert weiter, ca. 1.5 Sek.)) ah da 057 das isch äh s dikTAT gsi vo vorletschter wuche, das ist äh das Diktat gewesen von vorletzter Woche 058 M (-) <<flüsternd> die blume das haus der diener die laune der raum [der (xxx)-> die Blume das Haus der Diener die Laune der Raum der (xxx) 059 V [MH_hm. mhm 060 L aber das fallt WIRKlich uf, aber das fällt wirklich auf 061 dorum han i jetzt do AU nomol welle- darum habe ich jetzt da auch nochmals gewollt 062 M hehehe [(süss) hehehe (süss) 063 L [AH näi ! DO! het sis kläi gschriibe.= ah nein da hat sie es klein geschrieben 064 M =das ist [klein geSCHRIEben ja (.) ähä (.) ähä,] das ist klein geschrieben ja ähä ähä 065 V [jä jäjä aber SCHUNSCH duet si jEdes, ] ja ja ja aber sonst tut sie jedes 066 [(.) jäjä, ja ja 067 M [°h und das haben sie komplEtt frei geschrieben nur dikTIERT? und das haben sie komplett frei geschrieben nur diktiert 068 also (.) sie haben das NIRgendwo abgeschrieben? also sie haben das nirgendwo abgeschrieben 069 L näi. nein 070 V jä (.) dasch scho [SUper (.) mh_hm, ja das ist schon super mhm 071 M [do si jo gar kein FEHler drin, da sind ja gar keine Fehler drin 072 (-) ausser dass [sie gross und KLEIN (schreib), ausser dass sie gross und klein (schreib) 073 V [! U! sser ebe grooss und KLÄIschriibig.=jä_ä, ausser eben Gross- und Kleinschreibung ja <?page no="142"?> 142 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 074 L jo isch (.) SUper jä. ja ist super ja 075 M [jaja nee damit kann man gut LEben; [=denk ich. ja ja nee damit kann man gut leben denk ich 076 V [JÄ mh_hm, [mh_HM, ja mhm mhm 077 L hehehehe hehehehe 078 M ah jo °hh sie macht doch viel so SPIELchen mit (--) mit so sachen.=hehehe ah ja sie macht doch viel so Spielchen mit mit so Sachen hehehe 079 V jäjä si het au nach äh WEnige wuche (.) wo d schuel AAgfange het; ja ja sie hat auch nach äh wenigen Wochen wo / als die Schule angefangen hat 080 het si gsäit, hat sie gesagt 081 (.) jetz gang ich doch scho SO lang in d schUel? jetzt gehe ich doch schon so lange in die Schule 082 (.) ka jo gAr noni LÄÄse. kann ja noch gar nicht lesen 083 [also het (sich s) (.) beANstandet.=hehe also hat (sich s) beanstandet hehe 084 M [hehehehe °h hehe hehehehe hehe 085 L jä- ja 086 V [haha haha 087 M [hehe hehe 088 V [(denn) han i gsäit jetzt WART doch emol? (dann) habe ich gesagt jetzt warte doch einmal 089 L [jo denne; ja dann 090 V [<<: -)> händ jo noni mol alli> BUECHstabe duure gno? habt ja noch nicht mal alle Buchstaben durchgenommen 091 M [hehehe °h eben da da kommts DIcke; =hihihi °hh hehehe eben da da kommt’s dicke hihihi <?page no="143"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 143 092 ((Auslassung im Transkript, ca. 13.5 Sek.: Sie lesen abwechselnd einzelne Sätze aus einer Schreibaufgabe von S.)) 093 L aso wirklich ähm: : (.) SEER guet scho (.) im schriibe. also wirklich ähm sehr gut schon im Schreiben 094 (1.62) 095 M hehehe °h so LUSCHtig ja,=hehe hehehe so lustig ja hehe 096 L (--) °h ah jo und do het sis jo BESser gmacht mit de kläine; ah ja und da hat sie es ja besser gemacht mit den kleinen 097 (--) 098 V [mh_HM, mhm 099 M [mh_HM mh_HM. mhm mhm 100 L [ah guet das hän mIr [vilicht korriGIERT? = ah gut das haben wir vielleicht korrigiert 101 V [stimmt? [°hh ah: ? stimmt ah 102 L =i WÄISS nid. ich weiss nicht 103 V jä, ja 104 (--) 105 L aber [DO: (.) gseets nid eso us. aber da sieht es nicht so aus 106 V [das (.) wär jo- das wär ja 107 M ja. ja 108 ((Rascheln von Unterlagen, ca. 1.6 Sek.)) 109 L jo_o. ja 110 M oKEI? okay 111 ((Blättern in Unterlagen, 0.8 Sek.)) <?page no="144"?> 144 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 112 L und das wird (.) s thEma in dr ZWÄIte sii, und das wird das Thema in der Zweiten sein 113 und JETZT (.) für JETZT isch si scho seer wit, und jetzt für jetzt ist sie schon sehr weit 114 un: d d lernziel KLAR erräicht in dr sprooch, und die Lernziele klar erreicht in der Sprache Der Vater holt in den Zeilen 026-032 zu einer kleinen Erzählung aus (vgl. auch Kotthoff 2015b), die teilweise in direkter Redewiedergabe darlegt, wie er seine Tochter auf die korrekte, kodifizierte Norm der Orthografie hinweist. Dadurch präsentiert er sich als Ko-Lehrer, der zu Hause das Lernen der Tochter aktiv unterstützt. Später finden sich weitere Stellen, an denen sich V (Z. 041, 073) und M (Z. 072) an der kodifizierten Norm orientieren und dadurch ihr Wissen über diesbezügliche Fehler anzeigen. Beide Elternteile relativieren stellenweise diese Fehlerorientierung, die sich durch den Bezug auf die kodifizierte Norm ergibt, indem sie in kleinen Erklärsequenzen entsprechend auf die Erwerbsphasen und den allfälligen Lehrplan referieren (M: Z. 013, 071, 075; V: Z. 027-032, 042, 079-083, 088, 090). Wenn wir nun schauen, wie sich der Lehrer zu diesen Positionierungen verhält, dann finden wir widersprüchliche Sprachhandlungen: Nachdem L - wie bei Teilausschnitt 1 gezeigt - in den Zeilen 019 und 021 den Bezug zu dem Lehrplan und zu den Erwerbsphasen herstellt, verweist er auch später wiederholt auf diese Instanzen: das isch s denn in dr ZWÄIte s thema °hh (Z. 025); aber jetz WIRKlich, das chunt denn wirklich in dr ZWÄIte; (Z. 039 f.); aso wa (.) was mir jetz WIRKlich druf luege isch; am aafang GROOSS und am schluss e PUNKT. (Z. 048 f.); und das wird (.) s thEma in dr ZWÄIte sii, und JETZT (.) für JETZT isch si scho seer wit, un: d d lernziel KLAR erräicht in dr sprooch, (Z. 112 ff.). Auffällig sind in diesen Auszügen die Wiederholungen und Emphasen von WIRKlich und JETZT , die einerseits auf die aktuelle Erwerbsphase verweisen. Und andererseits zeigen die Wiederholungen und Betonungen von wirklich eine Orientierung an der wiederholten Fokussierung der orthografischen Fehler durch die Eltern. Interessant sind nun die widersprüchlichen Verweise von L auf sein Lehrerhandeln: Nachdem sich V in direkter Rede als korrigierenden und beurteilenden Ko-Lehrer präsentiert (Z. 028-032), orientiert sich daraufhin als Reaktion auch L an der kodifizierten Norm und bezeugt, dass er die Schülerin ebenfalls auf die Fehler hinweise: jä aso mir sages SCHO, (Z. 034); ich has ä scho GSÄIT. (Z. 037); jo: jo mir häns scho PAARmol gsäit. (Z. 045). 82 Zudem orientiert er 82 Die Referenz auf wir ist höchstwahrscheinlich so zu deuten, dass L damit auf die Ko- Klassenlehrerin verweist, die mit ihm zusammen im Team die Klasse unterrichtet. <?page no="145"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 145 sich in der Folge ebenfalls an den Fehlern, wenn er sagt das macht si do AU; (Z. 043), oder wenn er in den Zeilen 053 ff. ein weiteres Textbeispiel von S hervorsucht, um den identifizierten Fehler nochmals zu zeigen, dann aber schlussfolgert: °h ah jo und do het sis jo BESser gmacht mit de kläine; (Z. 096). Dadurch legt er ein widersprüchliches Verhalten an den Tag, da er gemäss Lehrplan und Erwerbsphasen die Fehler in der Gross- und Kleinschreibung eben gerade noch nicht als Fehler behandeln müsste und S offenbar eine normaltypische Entwicklung aufzeigt. Insgesamt zeigt diese Sequenz, wie der Lehrer mehrmals sein fachdidaktisches Wissen einbringt und damit den Eltern entgegenhält, dass es sich bei den Fehlern um keine aktuell relevanten Fehler handelt. Dennoch verfällt er in ein Rechtfertigungshandeln und führt sich - wie zuvor schon der Vater - als Fachexperte in Bezug auf die Orthografie vor. Damit reagiert er direkt auf die Positionierung von V als Orthografie-Experte und etabliert sich als ebensolchen. Er tut dies wiederholt, obwohl theoretisch auch seine fachliche Expertise in Bezug auf den Lehrplan und die Erwerbsphasen relevant sein dürfte. Jedoch gelingt es ihm vorerst nicht, dadurch die thematische Sequenz abzuschliessen, da es jeweils zu weiteren Aushandlungen vonseiten der Eltern kommt. Erst ab Zeile 112, als L erneut auf die erreichten Lernziele verweist, kommt die Sequenz zu einem Ende. Wir sehen hier also wechselhafte Positionierungen, die teilweise zu widersprüchlichen Aussagen führen, die sich aber dadurch erklären lassen, dass L jeweils auf das von M und V etablierte Fachwissen reagiert und sich dadurch selbst als Fachexperte re-etabliert. Dadurch kommt es nicht zu einer Umkehrung der Rollen, sondern zu einem Gespräch zwischen mehreren Expertinnen und Experten. 83 Dass die Eltern die Beurteilungssequenz initiieren, wie dies in Beispiel # 14 der Fall ist, ist in den Gesprächen nicht die Norm. Typischerweise beteiligen sie sich aber häufig im Anschluss an von der Lehrperson geäusserte negative Beurteilungen und bewirken dadurch weitere Aushandlungssequenzen. Bei positiven lehrpersonenseitigen Beurteilungen bestehen die Reaktionen der Eltern hingegen meistens nur aus Rezeptionssignalen oder kurzem Bekunden von Stolz und Zufriedenheit über die guten Leistungen der Tochter bzw. des Sohnes. Auch Pillet-Shore (2015: 385) kommt zu dem Schluss, dass Eltern auf Lob bezüglich des Kindes eher sequenzabschliessend reagieren und aber bei Kritik weitere sequenzverlängernde Aushandlungen auslösen. Im Folgenden werden nun zwei 83 Es ist dabei noch anzumerken, dass es sich zwar in dieser Sequenz um schulisches Fachwissen handelt, allerdings die Orthografie ein Fachgebiet darstellt, welches nicht exklusiv der Lehrperson vorbehalten bleibt, sondern welches von einer breiteren Bevölkerung beherrscht wird. Insofern ist eine ähnliche Diskussion zu einem biologischen oder physikalischen Phänomen kaum denkbar und kommt in den Daten auch nicht vor. <?page no="146"?> 146 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen Kontexte präsentiert, in denen die Eltern durch ihre sprachlichen Reaktionen einmal die negative Beurteilung verringern und einmal sogar noch verstärken. Im nächsten Beispiel bereitet die Lehrerin schrittweise eine Kritik in Bezug auf Zoes Einsatz im Unterricht vor, nachdem sie aber schon sehr viel Lob geäussert hat. Um die wechselseitige Aushandlung der Beurteilung nachvollziehen zu können, wird auch hier eine längere Sequenz präsentiert: 84 # 15 Häufiger melden (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 12: 27-14: 35) 001 L sii bim IIsatz äh sii isch eher e STILli. sie beim Einsatz äh sie ist eher eine Stille 002 isch sii das dähÄi AU (.) e RUhigi. ist sie das daheim auch eine Ruhige 003 im Unterricht bi UNS isch sii jetz Eher, im Unterricht bei uns ist sie jetzt eher 004 ich ka mir vOrstelle dass sii dähäi GAR nit so isch; ich kann mir vorstellen dass sie daheim gar nicht so ist 005 aber DO isch sii eher e ruhigi zrUgghaltendi; aber da / hier ist sie eher eine Ruhige Zurückhaltende 006 V (-) mh eine MIschung. mh eine Mischung 007 M [jä, ja 008 L [e MIschig. eine Mischung 009 [jä (.) oKEE, ja okay 010 V [ja (-) eine MIschung- ja eine Mischung 011 L (-) DO isch jetz Isch- da / hier ist jetzt ist 012 sii döfti jetzt zum bispiil (.) no bitz mee UFstrecke; sie dürfte jetzt zum Beispiel noch bisschen mehr aufstrecken / sich melden 013 will sii wäiss (.) MEE als dass sii Ufstreckt; weil sie weiss mehr als dass sie aufstreckt/ sich meldet 014 V [mh- mh 015 L [sii duet sich eher bitz ZRUGGnää, sie tut sich eher bisschen zurücknehmen 84 Zoes Vater spricht umgangssprachliches Standarddeutsch mit ausländischem Akzent. <?page no="147"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 147 016 und das isch °h vÖllig in ORnig; und das ist völlig in Ordnung 017 das DÖF sii au. das darf sie auch 018 aber ich WÄISS äfach- aber ich weiss einfach 019 V [mh- mh 020 M [jä- ja 021 L (-) sii kÖnnt no MEE ufstrecke; sie könnte noch mehr aufstrecken / sich melden 022 das isch (--) irgendwie- das ist irgendwie 023 ich ha nit s gfüül dass sii: jetzt sich nit geTRAUe würd, ich habe nicht das Gefühl dass sie jetzt sich nicht getrauen würde 024 sondern: (---) äh ich ka nit genau sAAge an was es LIGGT; sondern äh ich kann nicht genau sagen an was es liegt 025 das isch glaub Äfach- das ist glaub ich einfach 026 Ebe sii isch eher e STILli do bi uns; eben sie ist eher eine Stille da / hier bei uns 027 (-) und sii DUET [denn: - und sie tut dann 028 M [mh_mh, mhm 029 L (--) aber sii isch drBII, aber sie ist dabei 030 aso s isch [nit so dass sii (.) nit konzenTRIERT wär. also es ist nicht so dass sie nicht konzentriert wäre 031 M [mh_hm, mhm 032 M (-) jä- ja 033 L [well au wemmen öppis NEUS, weil auch wenn man etwas Neues 034 V [ich glaub (.) ich glaub Eher, ich glaub ich glaub eher <?page no="148"?> 148 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 035 L jä, ja 036 V sie hat das gefÜhl (-) sie MUSS (.) NICHT; sie hat das Gefühl sie muss nicht 037 M heh heh 038 L Okee; okay 039 V die [arme auf (.) IMmer AUFstrecken; die Arme auf immer aufstrecken 040 L [jä- ja 041 L oKEE (.) jä; okay ja 042 M so (-) [ich (WÄISS), so ich (weiss) 043 V [(aber) man hört sie (.) man also hört sie ZU? (aber) man hört sie man also hört sie zu 044 wenn sie etw zu etw also etwas äh- wenn sie etw zu etw also etwas äh 045 L jä (-) [jä (-) jä- ja ja ja 046 V [zu SAgen hat? zu sagen hat 047 (-) so: (-) JA? so ja 048 L (.) jä (-) [okee (-) jä (-) Okee; ja okay ja okay 049 V [DESwegen (-) chhehehehe; °h deswegen chhehehehe 050 L ich han ere äfach scho GSÄIT, ich habe ihr einfach schon gesagt 051 sii (-) sii CHÖNnti no; sie sie könnte noch 052 wo mer (.) wo mer mol GLUEGT hän; wo wir wo wir mal geschaut haben 053 LERNziil, Lernziele 054 und sii cha (.) scho so viles so GUET,=oder, und sie kann schon so Vieles so gut oder <?page no="149"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 149 055 V [mh_hm, mhm 056 L [°h denn hämmer gsäit WO du jetzt no ! MEE! chönntsch mache wÄr; dann haben wir gesagt wo du jetzt noch mehr machen könntest wäre 057 (.) di no mee MÄLde; dich noch mehr melden 058 V mh_hm, mhm 059 L wenn irgendwie FROOge- wenn irgendwie Fragen 060 (-) [e RÄCHnig; eine Rechnung 061 M [mh_hm; mhm 062 L oder irgend äfach (.) querbEEt jetzt äfach im UNterricht. oder irgend einfach Querbeet jetzt einfach im Unterricht 063 M das HET sii mir verzEllt; das hat sie mir erzählt 064 dass sii mit dr frau pedrIni GREdet heg. dass sie mit der Frau Pedrini geredet habe 065 L (---) wäge DEM; wegen dem 066 M jä (-) dAss sii sich no chli mee MÄLde chönnt, ja dass sie sich noch bisschen mehr melden könnte 067 aber sii het n: üt MEE gsäit, aber sie hat nicht mehr gesagt 068 L jäjä, ja ja 069 M aso überhaupt [nit sondern äfach (so), also überhaupt nicht sondern einfach (so) 070 L [sii het das denn sii het das denn au GMACHT? sie hat das dann sie hat das dann auch gemacht 071 aso sii CHA das; also sie kann das 072 aber ich ha s gfüül es (--) sii WILL nit unbedingt; aber ich hab das Gefühl es sie will nicht unbedingt <?page no="150"?> 150 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 073 [es isch jo au oKEE, es ist ja auch okay 074 M [jä sii WÄISS (es), ja sie weiss (es) 075 L sii MUESS jo au nit; sie muss ja auch nicht 076 [ich (red jo alli aa) hehe °h hehe °h h° ich (rede ja alle an) hehe hehe 077 M [jo ich WÄISS es mh jo ich WÄISS es hehehe ja ich weiss es mh ja ich weiss es hehehe 078 L °hh well au wemmen öppis neus IIFüert; weil auch wenn man etwas Neues einführt 079 also sii verstoot IMmer grad wemme öppis neus- also sie versteht immer gerade / sofort wenn man etwas Neues 080 het do (.) NIT müe; hat da nicht Mühe 081 nEUi sAche die fallen iire äigentlich [ÄIfach, neue Sachen die fallen ihr eigentlich einfach / leicht 082 M [mh_hm, mhm 083 L sii chas denn au AAwände am platz; sie kann es dann auch anwenden am Platz 084 oder übertrage uf NEUi situatIone, oder übertragen auf neue Situationen 085 (1.71) 086 L jo und sii isch wiklich exTREM konzentriert im Unterricht; ja und sie ist wirklich extrem konzentriert im Unterricht 087 aso sii isch wiklich sii wäiss ! IM! mer was sii muess MAche; also sie ist wirklich sie weiss immer was sie machen muss 088 V mh_hm, mhm 089 L ((schnalzt)) sii cha au sEEr guet über lEngeri zit an öppisem BLIIbe? sie kann auch sehr gut über längere Zeit an etwas bleiben 090 (.) aso het e USduur, also hat eine Ausdauer <?page no="151"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 151 091 M jä <<p> das cha sii [(guet).> ja das kann sie (gut) 092 L [und (.) e ! SEER! e grossi SÄLBständigkäit, und eine sehr grosse Selbstständigkeit In den ersten Zeilen beschreibt L Zoe als stille, ruhige und zurückhaltende Schülerin im Unterricht. Wie Bennewitz und Wegner (2015: 92) am Beispiel von Elternsprechtagsgesprächen feststellen, ist die Beschreibung von Lernenden als ‚still’ im Kontext dieser Gespräche typischerweise als negative Beurteilung zu verstehen, die sie im Sinne einer gesichtsschonenden Handlung (nach Brown & Levinson 1987; Goffman 1967) erklären. L grenzt bei ihrer Darstellung betont den Wirkungsbereich der Schule von dem Zuhause ab, indem sie den Fokusakzent auf uns ( im Unterricht bi UNS , Z. 003) und da / hier ( aber DO isch sii eher e ruhigi zrUgghaltendi; , Z. 005) setzt und explizit nach Zoes Verhalten im familiären Umfeld fragt (Z. 002, 004). Durch die Verwendung deiktischer Mittel wird gemäss Zorbach-Korn (2015: 159) implizit auf die institutionellen Rollen verwiesen, da die entsprechenden Handlungsräume aktiviert werden. Die Eltern legen sich durch die Charakterisierung von Zoe als Mischung (in Bezug auf die Frage, ob sie zu Hause auch ruhig und zurückhaltend sei) nicht fest (Z. 006, 007, 010) und so hat L keinen weiteren Anhaltspunkt für die Einbettung ihrer Kritik, die sie nach einem unvollständigen Satz dann schliesslich in Zeile 012 realisiert: sii döfti jetzt zum bispiil (.) no bitz mee UFstrecke; . L wendet hier eine Strategie der Perspektivierung im Sinne von Maynard (1991a; 1991b; 1992; 1996; 2003) an, um die negative Kritik erst dann anzubringen, wenn die Perspektiven abgeglichen sind (vgl. Kap. 2.2.2). Allerdings erhält L durch die vagen Antworten keinen Anhaltspunkt, ob M und V ihre Tochter ebenfalls als ruhig wahrnehmen und demnach die Kritik, sie dürfe sich mehr im Unterricht melden, verstehend aufnehmen werden. L fängt ihre Kritik zu dem Meldeverhalten sofort auf durch das implizite Lob, dass S mehr wisse und sich aber zurücknehme (Z. 013, 015). Nach nur minimalen Rezeptionssignalen von V schwächt nun L ihre Kritik wieder ab, indem sie Zoes Verhalten als völlig in Ordnung einstuft (Z. 016) und das erwünschte Meldeverhalten eher als Option darlegt, welche im Verhältnis zu den vorhandenen Wissensbeständen als angemessen eingestuft wird. L äussert dann ihre Unsicherheit bezüglich der Gründe für das zurückhaltende Meldeverhalten, da sie S einerseits nicht als schüchtern einstuft (Z. 023) und sie andererseits als konzentriert wahrnimmt (Z. 029 f.). Von den Eltern sind bis dahin minimale Rezeptionssignale hörbar (Z. 014, 019, 020, 028, 031, 032). <?page no="152"?> 152 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen Ab Zeile 034 bietet V nun eine alternative Erklärung an: ich glaub (.) ich glaub Eher, sie hat das gefÜhl (-) sie MUSS (.) NICHT; die arme auf (.) IMmer AUFstrecken; (Z. 034, 036, 039). V legt in der Erklärung weniger den Fokus auf Zoe als (zu) ruhige Person, sondern darauf, dass die Forderung des Sich-Meldens für Zoe intransparent sei und sie diese womöglich nicht als notwendige Aufgabe verstehe. Er stützt seine These (ersichtlich durch sein schliessendes DESwegen in Z. 049), indem er L nach Zoes Aufmerksamkeit fragt (Z. 043 f., 046 f.). L ratifiziert dies, fügt allerdings an, dass sie das Meldeverhalten explizit mit Zoe besprochen und als Lernziel festgehalten habe (Z. 050-053, 056 f., 059 f., 062). Durch die direkte Redewiedergabe aus dem Gespräch zwischen L und S ( WO du jetzt no ! MEE! chönntsch mache wÄr; (.) di no mee MÄLde; wenn irgendwie FROOge- e RÄCHnig; oder irgend äfach (.) querbEEt jetzt äfach im UNterricht. , Z. 056 f., 059 f., 062) liefert sie den Beleg zu ihrer Interpretation, dass S (im Unterricht) eine ruhige Person sei, die sich nicht unbedingt melden will (Z. 072). Wie schon an früherer Stelle (Z. 016) schwächt L die Forderung wieder ab, indem sie das seltene Melden als okay einstuft (Z. 073) und betont, dass S sich nicht melden müsse (Z. 075). 85 Abschliessend führt sie ab Zeile 078 eine Reihe positiver Eigenschaften auf (rasche Auffassungsgabe, selbstständiges Anwenden und Übertragen auf neue Situationen, extreme Konzentriertheit, Informiertheit, Ausdauer sowie Selbstständigkeit). Von den Eltern sind Rezeptionssignale hörbar (Z. 082, 088) und M zeigt sich als schulorientiert, als sie Zoes Eigenschaft der Ausdauer ebenfalls beurteilt (Z. 091). Insgesamt sehen wir hier, wie L die Beurteilung sehr vorsichtig anbringt, indem sie mit einer vorerst neutralen Beschreibung beginnt, dann jeweils perspektivisch die Sicht der Eltern einbezieht und im Anschluss an die Forderung nach mehr Beteiligung im Unterricht verschiedene Abschwächungen vornimmt sowie schliesslich überleitet zu einer Reihe positiver Beurteilungen. Sie reagiert dabei unmittelbar auf die alternative Erklärung von V für Zoes Verhalten und schwächt ihre kritische Beurteilung ab, indem sie wiederholt die Freiwilligkeit des Sich-Meldens erwähnt und am Ende die Sequenz mit überaus positiven Beurteilungen schliesst. Die Eltern geben sich aber nicht nur kritisch in Bezug auf negative Beurteilungen durch die Lehrperson, sondern auch in Bezug auf ihr eigenes Kind (vgl. auch Kotthoff 2012a; 2014; Pillet-Shore 2012; 2015). So verstärken Eltern bisweilen die lehrpersonenseitige Kritik durch weitere Aushandlungen der 85 Schon in Zeile 042 und nun in Zeile 077 äussert sich M mit dem Teilsatz ich WÄISS es , den sie intonatorisch jeweils so absetzt, dass nahegelegt wird, dass es sich dabei um die animierte Rede von Zoes (imaginierten) Gedanken handelt. Dadurch würde M die Interpretation von V stützen, dass nämlich S keine Notwendigkeit sieht, sich im Unterricht zu melden. Diese Interpretation muss aber vorsichtig geäussert werden, da durch die abgebrochenen Sätze zu wenig Kontext für die Analyse verfügbar ist und Vieles implizit bleibt. <?page no="153"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 153 Beurteilung. Einen solchen Fall sehen wir im Gespräch mit Flavio. Vor der ausgewählten Sequenz rügt die Lehrerin Flavios Schwatzhaftigkeit und nun kritisiert sie in direktem Anschluss, dass S mitten im Unterricht gelegentlich seinen Sitzplatz verlässt und zu seinen Klassenkameraden gehe: # 16 Wenn das alle machen würden (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 11: 23-13: 52) 001 L °hh ähm (-) was (.) mit däm gAnze mit HÄR chunnt, ähm was mit dem Ganzen einhergeht 002 (--) isch dass er ame au gärn äfach UFstoot; ist dass er manchmal auch gerne einfach aufsteht 003 <<lachend> und denn zu sine fründe an TISCH goot; > und dann zu seinen Freunden an den Tisch geht 004 ich wÄiss ame nit was du denn döt [MACHSCH, ich weiss manchmal nicht was du dann dort machst 005 S [jo ja 006 [ich ich SAG iine denn eben öppis; ich ich sage ihnen dann eben etwas 007 M [EERlich. ehrlich 008 S oder erKLÄR iinen öppis; oder erkläre ihnen etwas 009 wenn: sii mi mänggmol RÜEfe; = wenn sie mich manchmal rufen 010 M =jä [WÄÄrend em Unterricht.] ja während dem Unterricht 011 V [WÄÄrend em Unterricht.] während dem Unterricht 012 L <<lachend> jo, hh°> ja 013 S JO? ja 014 M wÄÄrenddäm sii vorne irgendöppis [SÄIT? währenddem sie vorne irgendetwas sagt 015 S [nÄi DAS schO nit wenn sii am reden isch [vorne; nein das schon nicht wenn sie am Reden ist vorne 016 M [aber wäärend iir am SCHAFfe sin; aber während ihr am Arbeiten seid 017 stoosch Uf und goosch an andere <<lachend> TISCH,> stehst du auf und gehst an einen anderen Tisch <?page no="154"?> 154 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 018 S (-) jo? °h ja 019 (1.38) 020 L aso es hets au scho gEE won ich ich ha wöllen e fasen ABbräche, also es hat’s auch schon gegeben wo / als ich eine Phase abbrechen wollte 021 und denne (.) plötzlich gmerkt (.) dr flavio isch NIEne me, und dann plötzich gemerkt der Flavio ist nirgends mehr 022 S [((lacht)) 023 L [denn isch er (ame irgendwie) bimene andere CHIND oder so,= dann ist er (manchmal irgendwie) bei einem anderen Kind oder so 024 M =mh_hm,= mhm 025 L =und denn (.) GSEEN en ame gAr nit, und dann sehe ich ihn manchmal gar nicht 026 (--) und- und 027 M dasch WEniger [guet, das ist weniger gut 028 L [es ISCH denn ame so chli- es ist dann manchmal so bisschen 029 ich bi denn ame so im ne ZWIIspalt; = ich bin dann manchmal so in einem Zwiespalt 030 M =jo noTÜErlig; ja natürlich 031 L isch jetzt (.) goot er jetz go HÄLfe? ist jetzt geht er jetzt (gehen) helfen 032 M [mh_mh, mhm 033 L [oder äh ebe (.) was MACHT er jetzt [genau dÖrt, oder äh eben was macht er jetzt genau dort 034 M [mh_hm, mhm 035 (1.16) 036 L oder ame NÄRVTS mi würklich au, oder manchmal nervt’s mich wirklich auch <?page no="155"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 155 037 M [jo das GLAUB i, ] ja das glaube ich 038 L [wills halt ! ZIT! ] bruucht, weil es halt Zeit braucht 039 M [mh_hm,] mhm 040 L [bis är] denn wider am PLATZ isch? bis er dann wieder am Platz ist 041 L (--) und (.) ich mErk denn immer es isch dir äigentlich nIt so RÄCHT, und ich merke dann immer es ist dir eigentlich nicht so recht 042 so <<flüsternd> ou u> und denn denn [entSCHULdigsch di Immer, so oh uh und dann dann entschuldigst du dich immer 043 S [jä- ja 044 L s isch [dir nit RÄCHT und (-) und ich dÄnk denn immer- es ist dir nicht recht und und ich denke dann immer 045 S [jo wäil ichs verGISS denne; ja weil ich es vergesse dann 046 L °h dass du das nit <<lachend> ME: : RKSCH,> dass du das nicht merkst 047 aso ich wäiss ame nit ob dus würkch (--) nit MERKSCH? also ich weiss manchmal nicht ob du’s wirklich nicht merkst 048 S mh jo DOCH aso °h jo well ich grad ähm- mh ja doch also ja weil ich gerade ähm 049 °h ich ha halt dr drAng wenn ich öppis öpperem will SAAge; ich habe halt den Drang wenn ich etwas jemandem sagen will 050 [<<lachend> denne denne °h jo (-) denn MUESS es au go> jo; dann dann ja dann muss es auch gehen ja 051 M [((lacht)) 052 S [°hh 053 L [mh_hm, mhm 054 das MERK ich jo ame AU; das merke ich ja manchmal auch <?page no="156"?> 156 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 055 aso mir dün ame au gÄrn mit em flavio bitz ABschwäife in dr schuel; also wir tun manchmal auch gerne mit dem Flavio bisschen abschweifen in der Schule 056 wenns um irgend es [thema goot- wenns um irgendein Thema geht 057 M [mh_mh; mhm 058 L ume HUND <<lachend> oder [so, °hh> um einen Hund oder so 059 M [är holt US jä; er holt aus ja 060 L ge[NAU. genau 061 S [jä- ja 062 L was notüerlich (.) das vertrÄits ame AU, was natürlich das verträgt es manchmal auch 063 das isch gar käis proBLEM, das ist gar kein Problem 064 aber me cha jo denn au SÄÄge; aber man kann ja dann auch sagen 065 [GUET (-) jetz schwäif mer ab, gut jetzt schweifen wir ab 066 M [(xxxxxx) 067 L jetz gömmer [wider zrugg zum THEma, jetzt gehen wir wieder zurück zum Thema 068 V [mh_hm; mhm 069 L °h (---) aber Äfach dass es halt ÄIgentlich e reglen isch (.) bi mir, aber einfach dass es halt eigentlich eine Regel ist bei mir 070 (-) wenn du FROGSCH? wenn du fragst 071 döf ich UFstoo; darf ich aufstehen 072 (--) irgendwie öppis go TRINke; irgendwie etwas trinken gehen 073 oder (.) ebe schnäll IIM öppis- oder eben schnell ihm etwas <?page no="157"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 157 074 (--) 075 V <<p> erKLÄre; > erklären 076 (--) 077 L aso (.) priVATgsprööch go sääge; also Privatgespräche sagen 078 S [((lacht)) 079 L [denn würd i notüerlich säge NÄI; dann würde ich natürlich sagen nein 080 S [jo; ] ja 081 L [will] das chönnt iir in dr PAUse mache. weil das könnt ihr in der Pause machen 082 S jo (-) oKEE, ja okay 083 L das isch dir jo beWUSST; =oder; das ist dir ja bewusst oder 084 S JO das isch [(so); ja das ist (so) 085 L [aber WENN jetzt öppis isch, aber wenn jetzt etwas ist 086 är bruucht jetzt DIni hilf, er braucht jetzt deine Hilfe 087 und si bAnknochber chan em NIT hälfe, und sein Banknachbar kann ihm nicht helfen 088 und är WÄISS genau, und er weiss genau 089 dr flavi isch mi [dr flavio isch mi MAA, der Flavi ist mein der Flavio ist mein Mann 090 S [((lacht)) 091 L dä BRUUCH i jetz, den brauch ich jetzt 092 °hh denne find i isch das wider öppis ANders, dann finde ich ist das wieder etwas anderes 093 und denn (.) würd ich äfach GÄRN informIert [sii; und dann würde ich einfach gerne informiert sein 094 S [mh Okee; mh okay 095 M <<flüsternd> du chasch nit äfach UFstoo; > du kannst nicht einfach aufstehen <?page no="158"?> 158 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 096 S <<lachend> jo; > ja 097 L [((lacht)) 098 M [<<: -)> nÄi> und wenn de ! NO! son e drAng hesch? nein und wenn du noch so einen Drang hast 099 das chasch [NIT, das kannst du nicht 100 S [jo; ja 101 L [((lacht)) (-) jo; ja 102 M gäll? gell 103 (-) das döfsch WIKlich nit; das darfst du wirklich nicht 104 (1.15) 105 L geNAU; genau 106 V (.) stell dir vor das machen ALli? stell dir vor das machen alle 107 (.) wär e riise [GLOIF; wäre eine riesige Herumrennerei 108 S [((lacht)) 109 L [°h das han i mir denn das han i mir EERlich gsäit au scho (-) überlÄit, das habe ich mir dann das habe ich mir ehrlich gesagt auch schon überlegt 110 (--) was wär wenn das <<lachend> ALli [würde mache,> °hh was wäre wenn das alle machen würden 111 V [jo_o ich fänd das (.) (klar); ja ich fände das (klar) L wendet sich mit ihrer Kritik über Flavios Verhalten zuerst an die Eltern (Z. 001-003) und fragt dann in leicht erstauntem Ton Flavio indirekt nach den Gründen ( ich wÄiss ame nit was du denn döt MACHSCH, , Z. 004). Flavio schildert in einer Selbstverständlichkeit, dass er zu seinen Freunden gehe, um ihnen etwas zu erklären (Z. 005 f., 008 f.). Schon in Zeile 007 zeigt sich M durch ihre Nachfrage ( EERlich. ) über das Verhalten von S erstaunt und richtet sich damit an der Kritik von L aus. In den Zeilen 010 und 011 wird dieses Erstaunen <?page no="159"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 159 vonseiten M und V noch unterstrichen, indem beide im Chor die Frage WÄÄrend em Unterricht. äussern und damit diesen Umstand als problematisch thematisieren. Durch das chorische Sprechen agieren die Eltern als interaktiv konstituierte Einheit (vgl. Kap. 2.3.1 zur kollektiven Beteiligung) und bilden damit gleichzeitig eine Koalition mit L, die ihre Kritik in Bezug auf das Aufstehen im Unterricht zuvor angebracht hat. Durch die weiteren Fragen an S bringt M teilweise lachend ihr Erstaunen über das unangebrachte Verhalten ihres Sohnes zum Ausdruck (Z. 014, 016 f.). Ausgehend von dem nun erreichten Common Ground ergänzt L die Kritik durch eine fragmentarische Erzählung oder small story (vgl. z. B. Deppermann 2015; Kotthoff 2015b; Mandelbaum 2013), welche eine konkrete Unterrichtssituation beschreibt und die Unpässlichkeit des Schülerverhaltens verdeutlicht (Z. 020 f., 023, 025). M verfolgt die Schilderungen durch mehrfache Rezeptionssignale und pflichtet L auch explizit bei durch die Bestätigung des Fehlverhaltens ( dasch WEniger guet, , Z. 027) sowie durch Verständnisbekundung für das Unbehagen und die Irritation von L bezüglich Flavios Verhalten ( jo noTÜErlig; , Z. 030; jo das GLAUB i, , Z. 037). Dadurch bestärkt sie L in ihrer kritischen Darstellung von S. In den Zeilen 041-068 perspektiviert L die Problematik, indem sie ihre Wahrnehmung dazu äussert, dass S einerseits sein eigenes Verhalten wohl nicht recht bewusst sei und S andererseits ein allgemein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis habe, was gelegentlich im Unterricht zu Abschweifungen führe. In den Zeilen 069-093 führt L zurück zu dem kritisierten Punkt und stellt die Regel auf, dass S sie durch Sich-Melden informieren müsse, wenn er aufstehen möchte, um jemandem etwas zu erklären. S ratifiziert diese Handlungsanweisung mehrfach (Z. 080, 082, 084, 094). Interessant ist nun, dass sich beide Elternteile durch sprachliche Aktivitäten der Lehrerinnenrolle angleichen: M rügt das Verhalten von S ( <<flüsternd> du chasch nit äfach UFstoo; > , Z. 095; <<: -)> nÄi> und wenn de ! NO! son e drAng hesch? das chasch NIT, , Z. 098 f.; gäll? (-) das döfsch WIKlich nit; , Z. 102 f.) und V fordert S zur Perspektivierung auf, indem er eine Situation imaginiert, in der alle so handeln wie S ( stell dir vor das machen ALli? (.) wär e riise GLOIF; , Z. 106 f.). L verdeutlicht die erreichte Einheit und den Konsens mit den Eltern noch einmal dadurch, dass sie durch Reformulierung die Vorstellung von V übernimmt: °h das han i mir denn das han i mir EERlich gsäit au scho (-) überlÄit, (--) was wär wenn das <<lachend> ALli würde mache,> °hh (Z. 109 f.). Dadurch treten die Erwachsenen gemeinsam als Ensemble auf, die dieselben Ziele verfolgen und dieselben Ansichten und Werte über gutes Verhalten im Unterricht vertreten. Gleichzeitig wird aber in dieser Sequenz die Koalition gegen den Schüler an vielen Stellen abgeschwächt, indem viel gelacht wird und durch Perspektivenübernahmen dem Schülerverhalten Verständnis entgegengebracht wird. Durch <?page no="160"?> 160 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen das gemeinsame Lachen sowie die gegenseitigen Verständnisbekundungen wird eine wohlwollende Atmosphäre gestaltet. Auch Kotthoff (2012a: 311) kommt in ihren Untersuchungen von deutschen Sprechstundengesprächen zu diesem Schluss: Durch gemeinsames Lachen im Rahmen von Geschichten über das Kind signalisieren sich die beiden Parteien gegenseitig ihre tolerante Orientierung und eine geteilte, fördernd kritische Perspektive auf das Kind. Die „geteilte, fördernd kritische Perspektive auf das Kind“ wird auch dadurch bekräftigt, dass alle Erwachsenen bei den Beurteilungsaktivitäten beteiligt sind und einerseits darum bemüht sind, die Schülersicht einzubeziehen und zu verstehen sowie andererseits dem Schüler die Möglichkeit geben, sein Verhalten aus der Erwachsenenperspektive zu verstehen. Insgesamt zeigt diese Sequenz, wie auf kritische Beurteilungen interaktive Aushandlungen folgen. In diesem Fall bestärken die Eltern die Kritik der Lehrerin und orientieren sich damit einerseits an schulischen Normen und andererseits positionieren sie sich dabei als kompetente Eltern (vgl. auch Pillet-Shore 2015: 391). In allen Beispielen ist deutlich ersichtlich, dass Beurteilungen nicht isoliert hervorgebracht werden, sondern durch wechselseitige Bearbeitung verstärkt, geschwächt oder modifiziert werden können. Zudem sehen wir, dass alle Gesprächsteilnehmenden auf die Beurteilung Einfluss nehmen und auch aktiv die Position der Beurteilenden übernehmen können. Da es zu einer institutionellen Aufgabe von Lehrpersonen gehört, ihre SchülerInnen zu beurteilen, positionieren sie sich durch diese kategoriengebundene Aktivität als Fachperson. Dadurch dass auch Eltern in den Beurteilungsdiskurs einsteigen und ihr Kind nach schulischen Kriterien bewerten, positionieren sie sich als Ko-Lehrpersonen. 5.1.2 Lernberatung und Positionierung Fachliches und fachdidaktisches Wissen wird auch dann relevant gesetzt, wenn Lehrpersonen Ratschläge zum Lernen erteilen oder nach ebensolchen gefragt werden. Gemäss Nothdurft, Reitemeier und Schröder (1994: 7) sind Asymmetrien wie beispielsweise „Differenzen im Fachwissen“ konstitutiv für Beratungsinteraktionen, was durch die komplementären Rollen Ratsuchende versus Ratgebende verdeutlicht wird. In den untersuchten Beurteilungsgesprächen fällt auf, dass es beinahe unmöglich ist, diese prototypischen Rollen zuzuordnen. Vielmehr werden asymmetrische Rollengefüge durch verschiedene Aushandlungsprozesse aufgelöst. <?page no="161"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 161 Beispiel # 17 zeigt eine Sequenz, in der die Lehrerin dem Schüler Marc einen Rat für optimiertes Lernen zu Hause erteilt und dabei interessiert insbesondere die Art und Weise, wie dieser Ratschlag interaktiv bearbeitet wird. Vor dieser Sequenz spricht L an, dass MitschülerInnen in Marcs Klasse allgemein eher selten Fragen stellen, woraufhin zuerst M und dann auch S über das Frage- und Lernverhalten zu Hause berichten. Das Beispiel setzt dort ein, wo S sagt, dass er bei Unsicherheiten lieber zu Hause nachfrage: # 17 Erklären anstatt fragen (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 50: 24-50: 58) 001 S (--) ähm wenn is de Immer so (--) SICH: : - ähm wenn ich’s dann immer so sich 002 aso nid ganz sicher aber so MITtu so bi, also nicht ganz sicher aber so mittel so bin 003 L [mh_hm, mhm 004 S [°h de: frag i lieber MAU, dann frage ich lieber mal 005 (-) eifach nomal deHEIM [(-) nAche so, einfach nochmal daheim nach so 006 M [mh_hm; mhm 007 L [ja (.) das find i GUET, ja das finde ich gut 008 °h was du ou CHASCH isch äh, was du auch kannst ist äh 009 öppis wo du di sIcher ! FÜELSCH! ; etwas wo / worin du dich sicher fühlst 010 (--) go erKLÄre? erklären gehen 011 (---) 012 M [mh_hm; mhm 013 L [°h und (-) ! DENN! merkt me nächär, und dann merkt man nachher 014 (-) öb das nur e ! GFÜEL! isch, ob das nur ein Gefühl ist 015 oder öb würklech SIcher [bIsch, oder ob du wirklich sicher bist 016 M [mh_hm, mhm <?page no="162"?> 162 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 017 (--) 018 M mh_hm anstatt frAAge duesch DU [am bEni säge wies geit. mhm anstatt zu fragen tust du dem Beni sagen wie’s geht 019 S [((lacht leise)) 020 M [chasch [ÜEbe; kannst üben 021 L [! GANZ! [genau; ganz genau 022 P [guet das mach i SOwisoo Immer; gut das mache ich sowieso immer 023 L [ja- ja 024 P [i FRÖG iin Immer was äh, ich frage ihn immer was äh 025 L [ja- ja 026 M [aHA ja; aha ja 027 (-) 028 P jo [und wo das (xxx xxx) ja und wo das (xxx xxx) 029 L [de umgekeert WÄÄG; den umgekehrten Weg 030 P [und (xxx) und (xxx) 031 L [dasch optiMAL. das ist optimal L ratifiziert die Aussage von S zum Lernverhalten mit einem Lob (Z. 007) und gibt aber gleich im Anschluss daran einen Tipp für eine andere Lernmethode, nämlich dass er sich nicht nur bei Fragen an die Eltern wenden soll, sondern auch bereits vorhandenes Wissen durch Erklären üben kann: °h was du ou CHASCH isch äh, öppis wo du di sIcher ! FÜELSCH! ; (--) go erKLÄre? (Z. 008-010). M zeigt ihre Übereinstimmung mit L durch bestätigende Rezeptionssignale und indem sie den Ratschlag reformulierend und konkretisierend wiedergibt: mh_hm anstatt frAAge duesch DU am bEni säge wies geit. (Z. 018). Dadurch dass sie diesen Ratschlag der Lehrerin nun erneut an S gewandt ausspricht, agiert sie in Übereinstimmung mit L ebenfalls als Ratgebende und dadurch als Expertin. Auch der Partner der Mutter (P bzw. Beni) weist sich selbst Expertenstatus zu, indem er die vorgeschlagene Lernmethode nicht als <?page no="163"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 163 Unwissender aufnimmt, sondern darauf hinweist, dass er SOwisoo Immer (Z. 022) das erwähnte Verfahren zu Hause anwende. 86 Dieses Verhalten vonseiten P wird von L positiv bewertet ( dasch optiMAL , Z. 031). S reagiert nach dem Ratschlag der Mutter nicht bzw. nur minimal durch das leise Lachen, was gemäss Silverman, Baker und Keogh (1998: 232) einerseits dadurch erklärt werden kann, dass durch die vielen Adressierungswechsel im Gespräch eine Ambiguität entsteht und niemand direkt in die Pflicht genommen wird, als adressierte Person zu reagieren. Andererseits kann es eine kindseitige Strategie sein, sich nicht zu einer zukünftigen Handlung verpflichten zu müssen und so weder Zustimmung noch Ablehnung zu äussern (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998: 238). In dieser Sequenz findet sich also keine typische Beratungssituation, in der auf der einen Seite L als Expertin agiert und auf der anderen Seite die Eltern und / oder der Schüler als Laien reagieren. Vielmehr sehen wir, wie die Mutter ebenfalls als Ratgebende auftritt, indem sie den Ratschlag reformuliert. Dadurch gibt sie Einblick in ihr Situations- und Rollenverständnis: Die Erwachsenen sind demnach ExpertInnen und das Kind ist Laie. Die reaktive Positionierung von P zeigt zudem, dass er dem Ratschlag an S eine implizite Positionierung seiner selbst sowie von M abgewinnt. Denn auch wenn der Ratschlag an S gerichtet ist, sind P und M doch diejenigen, die in der vorgeschlagenen Lernsituation mit S interagieren werden und dies also weniger als Antwortgebende, sondern künftig als Rezipierende von Marcs Erklärungen tun sollen. Dabei handelt es sich gemäss L um eine Verbesserung der Lernsituation, was impliziert, dass die bisherigen Lerninteraktionen zwischen S und P bzw. M suboptimal waren. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Reaktion von P verstehen, der betont, dass er dieses Verfahren sowieso schon umsetze. Er positioniert sich damit als Experte des Lernens - so wie die Lehrerin auch - und zeigt an, dass bei ihm in Bezug auf fachdidaktische Aspekte kein Bedarf an Beratung herrscht. Während das gezeigte Beispiel einen Fall des ungefragten Ratgebens illustriert, kommt es, wenn auch in meinen Daten selten, überdies zur aktiven Positionierung von Eltern als Ratsuchende. Im folgenden Beispiel sehen wir eine solche Beratungsinteraktion, die durch das mutterseitige Erfragen eines Ratschlags initiiert wird. Nothdurft, Reitemeier und Schröder (1994: 10 ff.) identifizieren in Beratungsgesprächen die typische Abfolge von fünf Aktivitäten: Situationseröffnung mit Instanzeinsetzung , Problempräsentation , Entwickeln einer Problemsicht , Lösungsentwicklung und Lösungsverarbeitung und Situationsauf- 86 An dieser Stelle spielt sicherlich die Tatsache eine Rolle, dass P ebenfalls als Lehrperson tätig ist und dadurch noch zusätzlich auf einer anderen Ebene Fachwissen verhandelt wird. Dieses ethnografische Wissen stammt aus der Fragebogenerhebung. <?page no="164"?> 164 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen lösung . Im folgenden Beispiel wird auf diese beratungstypischen Aktivitäten Bezug genommen. Vor dem Ausschnitt bemängelt L die häufig fehlende Aufmerksamkeit von Selina im Unterricht und betont wiederholt die Notwendigkeit einer gewissen Arbeitshaltung: # 18 Aufpassen (Selina, SJ9_L4A_LMS, 04: 03-04: 50 & 07: 14-07: 37) 001 L aso me cha nit äfacht äh: °hh uf die fuuli hUt: SIT[zen; =oder, also man kann nicht einfach äh auf die faule Haut sitzen oder 002 M [mh: ; mh 003 (-) 004 M mh_hm nÄi [muesch scho SCHAFfe genAu; mhm nein du musst schon arbeiten genau 005 L [me muess schO e bitz öppis SCHAFfen; =oder, man muss schon ein bisschen etwas arbeiten oder 006 M mh_hm- mhm 007 (-) 008 L OOni das goots NIT,=oder, ohne das geht’s nicht oder 009 M jä; ja 010 (1.69) 011 M mi hets äfach dunkt bim A: em het sii, mich hat’s einfach gedünkt beim AM (=Angewandte Mathematik) hat sie 012 aso sch scho s LETSCHte halbe jOOr; also sch schon das letzte halbe Jahr 013 L mh[_mh, mhm 014 M [het sii scho MÜE kaa; hat sie schon Mühe gehabt 015 L [jä, ja 016 M [mer hän überLEGT ka öbs e mÖglichkeit git, wir haben überlegt gehabt ob es eine Möglichkeit gibt <?page no="165"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 165 017 irgendÖppis wo me do bitz cha MEE drA schAffe oder [so; irgendetwas wo / an dem man da bisschen mehr dran arbeiten kann oder so 018 L [jä; ja 019 M °hh jetz häi si hüt glaub wider e TESCHT kaa; jetzt haben sie heute glaub ich wieder einen Test gehabt 020 un [sii het GSÄIT- und sie hat gesagt 021 L [jä- ja 022 M JO s isch nit [so °h guet GLOF[fe.= ja es ist nicht so gut gelaufen 023 S [mh_hm- mhm 024 L [jä- ja 025 [jä- ja 026 M =[het sii GMÄINT; =aber,= hat sie gemeint aber 027 L =jo s das isch halt AU so; =oder, ja s das ist halt auch so oder 028 m mit UFpasse, m mit aufpassen 029 M [mh- mh 030 L [i ha do °h grad do USse, ich habe da gerade da draussen 031 do han ne paar sAche zäigt zu SCHATte; =oder, da habe ich ihnen paar Sachen gezeigt zu Schatten oder 032 M [jä- ja 033 L [°hh no han i gsäit jo die (.) die vom LETSCHte mol hän nit so Ufpasst,=oder, dann habe ich gesagt ja die die vom letzten Mal haben nicht so aufgepasst oder 034 drfür chömme sii nächer cho FROOge; dafür kommen sie nachher fragen 035 M [jä; ja 036 L [die hän sich mee a dr HITZ °hh irgendwI: e gstÖrt, die haben sich mehr an der Hitze irgendwie gestört <?page no="166"?> 166 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 037 dass as sii hän müessen [UFpassen; =oder, als dass sie haben aufpassen müssen oder 038 M [mh_hm (.) jä- mhm ja 039 L ((schnalzt)) °h und i dänk do AU aso; und ich denke da auch also 040 me hätt schon e bitz mee ufmerksamkchÄit chönne HAA; man hätte schon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit haben können 041 ((Auslassung im Transkript, ca. 2.5 Min.: L schliesst aus, dass S allenfalls benachteiligt sein könnte, da sie wegen einem Schulwechsel erst später mit der Angewandten Mathematik begann. Auch beurteilt er ihre schwachen Leistungen nicht als Anzeichen einer Überforderung, sondern vielmehr als Resultat ihrer mangelnden Aufmerksamkeit. Er betont, wie wichtig das Aufpassen bei den Erklärungen zu Beginn der Unterrichtsstunde sei und sieht dort das Hauptproblem von S.)) 042 L jO jetz jetz LUEGSCH mOl, ja jetzt jetzt schaust du mal 043 ((räuspert sich)) und wenn de MÜE hesch; und wenn du Mühe hast 044 (1.09) chunnsch halt cho FROOge, kommst du halt fragen 045 (-) °h und [wenns denn IMmer nOni gOOt; und wenns dann immer noch nicht geht 046 S [jä- ja 047 L un wenn fIndsch du muesch no ZUEsätzlich öppis ha; und wenn du findest du muss noch zusätzlich etwas haben 048 no (.) cha me schO LUEge. dann kann man schon schauen 049 °hh aber i dÄnk °h äh s het kchä wÄrt dass sii GÄLD usgÄn- aber ich denke äh es hat keinen Wert dass Sie Geld ausgeben 050 °h wenn sii nit UFpa[sst; =oder, wenn sie nicht aufpasst, oder 051 M [mh_hm jo (jä / nä). mhm ja (ja / nein) <?page no="167"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 167 052 (--) geNAU, genau 053 L (---) hehe[he hehehe 054 M [jo we wenn das problEm jetz denn: das wurd UFhebe; ja we wenn das Problem jetzt dann das aufheben würde 055 no wär das schO nit SCHLÄCHT,=oder, dann wäre das schon nicht schlecht oder 056 L jä, ja 057 M (wenns besser) WIRD nochÄr, (wenns besser) wird nachher Das Beispiel beginnt in den Zeilen 001-009 mit der geteilten Sicht von L und M auf die Tatsache, dass man für die Schule arbeiten müsse. Diese Alignierung zeigt sich insbesondere in den Zeilen 004 und 005 durch das chorische Sprechen von L und M (vgl. Kap. 2.3.1). Nach einer Pause in Zeile 010 beginnt nun die Mutter aber mit einer Differenzierung der Situation, indem sie fachliche Schwierigkeiten von S im Fach Angewandte Mathematik (AM) anführt. Mit dem Zusatz, dass diese Schwierigkeiten schon im letzten halben Jahr aufgetaucht seien, begründet sie die fachliche Schwäche als unabhängig von den erst neu beobachteten Aufmerksamkeitsschwierigkeiten von S. Wie dies für Beratungsgespräche typisch ist, präsentiert M das Problem in den Zeilen 011-026, indem sie die Situation anhand von konkreten Vorkommnissen verdeutlicht und szenisch vorführt (vgl. Nothdurft, Reitemeier & Schröder 1994: 11). Dabei positioniert sich M nur implizit als Ratsuchende, indem sie nicht direkt nach Rat fragt oder ein konkretes Anliegen formuliert, sondern ihre sowie Selinas Problemlösungssuche thematisiert: mer hän überLEGT ka öbs e mÖglichkeit git, irgendÖppis wo me do bitz cha MEE drA schAffe oder so; (Z. 016 f.). Es kommt also in dieser Sequenz nicht zu einer deutlichen Instanzsetzung, also einer Rollenzuweisung von Ratgebenden und Ratsuchenden. Dass diese Darstellung in der Folge von L dennoch als „Aufforderung zur Lösungsbeteiligung“ und damit als typische Aktivität einer ratsuchenden Person (Nothdurft, Reitemeier & Schröder 1994: 11) verstanden wird, zeigt L durch seine Bearbeitung des Problems ab Zeile 027. Zwar reagiert er vorerst nicht auf das indirekt formulierte Anliegen, Zusatzaufgaben oder andere Möglichkeiten für S zu finden, aber er beginnt mit dem <?page no="168"?> 168 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen für Beratungsgespräche typischen Entwickeln einer Problemsicht. Seine Problemdefinition sieht ganz grundsätzlich die fehlende Aufmerksamkeit von S im Unterricht als Ursache der schwachen Leistungen, womit er von der Darstellung der Mutter abweicht. Er begründet diese Sicht mit einer aktuellen Anekdote aus dem Unterricht (Z. 030-040) und führt weiter aus, dass das Aufpassen bei Erklärungen zu Beginn der Unterrichtsstunden unabdingbar für den eigenen Lernerfolg sei (Auslassung im Transkript, vgl. Z. 041). Er zeigt dadurch seine Expertensicht auf das dargestellte Problem, welches er aus professioneller Sicht beobachten und beurteilen kann, während M nur indirekten Zugang zu diesem Wissen hat. Nach den ausschweifenden Ausführungen zur Notwendigkeit der Aufmerksamkeit im Unterricht, die als Begründung seiner Problemdefinition verstanden werden können, richtet sich L an S und kommt zur Lösungsentwicklung. Diese beginnt vorerst sehr vage: jO jetz jetz LUEGSCH mOl, (Z. 042) und bezieht sich wohl auf die Anforderung, im Unterricht gut aufzupassen. L führt dann weiter aus, dass S bei Schwierigkeiten Fragen stellen soll und sollte es dann immer noch nicht besser gehen, cha me schO LUEge. (Z. 048; vgl. auch Beispiel # 63). Wer mit dieser man -Referenz gemeint ist, lässt sich zwar nicht endgültig auflösen, interessant und aufschlussreich ist jedoch die sequenzielle Einbettung: Zuvor adressiert L die Schülerin. Nach der man -Referenz adressiert er die Mutter, die sich ursprünglich als (implizit) Ratsuchende präsentiert hat. So fungiert das Pronomen man als Übergangsbereich und als Markierung des Adressierungswechsels. Nun folgt die eigentliche Antwort auf das von M vorgebrachte Anliegen: °hh aber i dÄnk °h äh s het kchä wÄrt dass sii GÄLD usgÄn- °h wenn sii nit UFpasst; =oder, (Z. 049 f.). L zeigt damit auch seine Interpretation des Anliegens, nämlich dass M mit den erfragten Möglichkeiten an Nachhilfeunterricht gedacht haben muss. M ratifiziert dies im Sinne einer Lösungsverarbeitung (Z. 051 f.) und löst die Beratungssituation auf, indem sie ihr Hoffen auf eine Besserung der Leistungen äussert (Z. 054 f., 057). Insgesamt können wir in diesem Ausschnitt eine klassische Beratungssituation nachzeichnen, die nach einer zwar nur impliziten Anliegensformulierung vonseiten der Mutter die wichtigen Bearbeitungsschritte des Problems enthält. Interessant ist jedoch zu sehen, dass L relativ lange nicht direkt auf das Anliegen Bezug nimmt, nämlich auf allfällige Möglichkeiten von Zusatzaufgaben oder Nachhilfeunterricht, wie es am Ende durch die Thematisierung des Geldes zur Sprache kommt. Dadurch entstehen zwei Diskurse, die nicht passungsfähig sind: Auf der einen Seite steht die Mutter, die sich Sorgen um ihre Tochter macht und sie als Schülerin darstellt, die offenbar bereit wäre, durch das Bearbeiten zusätzlicher Aufgaben ihre Defizite im Fach zu beheben. Und auf der anderen Seite steht der Lehrer, der die Schuld bei der fehlenden Aufmerksamkeit von S im Unterricht sieht und ihr damit die nötige Bereitschaft für das Lernen ab- <?page no="169"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 169 spricht. Dies schlägt sich in indirekten Formulierungen und Adressierungen nieder, die einer Vermeidungsstruktur gleichkommen. L berichtet über die fehlende Aufmerksamkeit in der Klasse, ohne M oder S direkt zu adressieren oder gar S direkt als gemeinte Akteurin zu benennen (Z. 030-040). In dem hier nicht abgedruckten Fortgang des Gesprächs (Z. 041) fokussiert L bei der Darlegung seiner Problemsicht dann allerdings deutlich die Schülerin selbst. Aber erst nachdem seine Problemdefinition ausführlich durch Beispielserzählungen und Ausführungen belegt ist, adressiert er wieder die Mutter und reagiert auf ihr Anliegen. Es kommt also zu einer umständlichen Darlegung der Lehrersicht, die mit den unterschiedlichen Problemdefinitionen zu tun hat. Ob die Beratung hier die Erwartung von M erfüllt, ist allerdings fraglich. So werden Zusatzaufgaben oder Nachhilfeunterricht, wie M und S es sich vorstellen, als unnütz abgetan und die gesamte Verantwortung wird an S delegiert. Es findet demnach weniger eine Beratung statt, als dass der Lehrer der Schülerin eine Rüge erteilt. Dennoch wird das vorgeschlagene Vorgehen (dass nämlich S im Unterricht besser aufpassen soll) von M als mögliche Lösung akzeptiert, wenn auch durch den verwendeten Konjunktiv eine eher zögerliche Ratifizierung ausfällt: jo we wenn das problEm jetz denn: das wurd UFhebe; no wär das schO nit SCHLÄCHT,=oder, (Z. 054 f.). Im gezeigten Beispiel werden die Rollen des Ratgebenden und der Ratsuchenden dadurch etabliert und ratifiziert, dass die durch den Lehrer vorgebrachte Problemdefinition als Expertensicht behandelt wird und die Mutter nicht weiter nach Zusatzaufgaben fragt, sondern diese neue Perspektive übernimmt. Diese komplementären Rollen des Experten und der Laiin entsprechen einer typischen institutionellen Gesprächssituation und decken sich auch mit den von einigen Kantonen beschriebenen Berufsprofilen, wonach die Beratung von Eltern eine der Aufgaben von Lehrpersonen ist (vgl. Berufsauftrag- LP Schweiz 2007, v. a. Kantone BL, GL, LU, OW; Berufsauftrag-LP Kanton BE 2015). Umgekehrt wird in ebendiesen Berufsprofilen sowie in pädagogischer Literatur oder in Ratgebern häufig von der Zusammenarbeit mit Eltern (vgl. Berufsauftrag- LP Schweiz 2007, v. a. Kantone AG , AR , BE , BS , FR , NW , OW , SG , SH , SO , SZ , TG , UR , VS , ZG , ZH ), oder von einer Erziehungspartnerschaft (vgl. z. B. Keck & Kirk 2001; Sacher 2014), oder gar von Gesprächen auf Augenhöhe (vgl. z. B. Beier 2012) gesprochen, was weniger institutionellen Asymmetrien, sondern gleichberechtigten Symmetrien entspricht. Diese Zusammenarbeit etabliert sich durch ein gegenseitiges Zuschreiben von Kompetenzen, was einerseits im Folgenden bei der Positionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen ersichtlich wird und andererseits durch die Positionierung der Eltern als ExpertInnen bezüglich Erziehungsfragen verfestigt wird (vgl. Kap. 5.2). <?page no="170"?> 170 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 5.1.3 Eltern als Ko-Lehrpersonen Dass Eltern sich als ‚gute’ Eltern (vgl. auch Pillet-Shore 2015) präsentieren und darum bemüht sind, sich als unterstützende, schulorientierte Personen mit einer optimalen Lernumgebung zu Hause zu zeigen, wurde insbesondere von Kotthoff (2012a; 2012b; 2014; 2015b) dargelegt und auch in den vorangehenden Analysen stellenweise hervorgehoben. Im folgenden Beispiel kommt diese Selbstpositionierung als gute Eltern sehr deutlich zum Vorschein. Die Anwesenden unterzeichnen am Ende des Gesprächs abschliessend die Gesprächsunterlagen, während die Lehrerin eine Seitensequenz einleitet und betont, wie toll sie es finde, dass beide Elternteile zu dem Gespräch gekommen sind: # 19 Vaterrolle (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 28: 07-29: 11, mit Auslassung) 001 L i finges übrigens tOll dass dir gad BEIdi as gsprääch cho sit? ich finde es übrigens toll dass Sie gerade beide ans Gespräch gekommen sind 002 M jo [i ha: won i [s formuLAR übercho- ja ich habe wo / als ich das Formular bekommen 003 L [das- das 004 V [jo für MI isch das: : - ja für mich ist das 005 [eigentlich no rÄcht WICHtig; eigentlich noch recht wichtig 006 M [han is IIM: : (-) GFÖtelet? habe ich es ihm fotografiert 007 V [dass i ou GNOU weiss was goot; dass ich auch genau weiss was geht 008 L [jo i FINge dAs: : - ja ich finde das 009 jo i fInge das SUper, ja ich finde das super 010 V un grad (.) u i wott sii OU: wenn sii bi MIR isch, und gerade und ich will sie auch wenn sie bei mir ist 011 chönnen irgendwie chli ungerSTÜT[ze, irgendwie bisschen unterstützen können 012 L [jo, ja 013 V vilich wenns GOOT; °h vielleicht wenns geht <?page no="171"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 171 014 L jO isch glaub [nid wÜrkch SÄUBverstÄndlich; ja ist glaub ich nicht wirklich selbstverständlich 015 V [jo, ja 016 L aso [(-) JO? also ja 017 M [jo ÄR isch dr pApi [und [äh: : : - ja er ist der Papa und äh 018 V [jo, ja 019 L [jo (.) i finge das SEER guet? ja ich finde das sehr gut 020 ((Auslassung im Transkript, ca. 10 Sek.: M berichtet, dass sie auch bei einem Halbgeschwister von S jeweils deren Vater informiere.)) 021 L jO (.) i finge das SEER [(guet); ja ich finde das sehr (gut) 022 M [mi dünkt das isch no WICHtig au? mich dünkt das ist noch wichtig auch 023 L ou dass beidi chli DRII gsee; auch dass beide bisschen hinein sehen 024 V mh_HM; mhm 025 L (.) nid immer [nume s EINte oder s An[gere, nicht immer nur die Eine oder die Andere 026 V [°hh [jo, ja 027 und ebe de chan i ebe o öbbe mou deHEIme- und eben dann kann ich eben auch hie und da mal daheim 028 jetz het sii zwar über s wucheänd kchäni UFgabe mee? jetzt hat sie zwar übers Wochenende keine Aufgaben mehr 029 °hh vorhär hesch (aues) no über s WUchenänd kchA? vorher hast du (alles) noch übers Wochenende gehabt 030 (-) 031 L ah jo (do hämmer) dr wucheplan irgend am (.) bis am MÄÄNdi müesse ha; ah ja (da haben wir) den Wochenplan irgend am bis am Montag haben müssen <?page no="172"?> 172 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 032 bis am ZIISCHdi gäu bir [frou (xxxxxx) ja, bis am Dienstag gell bei Frau (xxxxxx) ja 033 M [jo irgendwie SO öppis,=genau; ja irgendwie so etwas genau 034 L ge[NAU; genau 035 V [do han i (eifach) fasch no MEE chöne hÄufe, da habe ich (einfach) fast noch mehr helfen können 036 S [((hustet)) 037 V aber JETZ °hh [i ha denn o GLIICH immer e chli, aber jetzt ich habe dann auch gleich immer ein wenig 038 L [guet du chönntsch jo jetz eifach ame s MÄPpli mitnää oder so? gut du könntest ja jetzt einfach manchmal das Mäppchen mitnehmen oder so 039 [hehehe hehehe 040 S [hehehe hehehe 041 V [nä sii hets gloub OU, nein sie hat’s glaub ich auch 042 du heschs OU scho MITgnoo; du hast es auch schon mitgenommen 043 hesch OU scho [mitgnoo, du hast auch schon mitgenommen 044 M [mh_hm, mhm 045 V [und de hÄI mer ou scho GÜEBT; =jo, und dann haben wir auch schon geübt ja 046 M [het OU scho öppis mitgnoo ka; hat auch schon etwas mitgenommen gehabt 047 L ah AU[so? ah also 048 V [un_d FRÜNdin isch jo ou lEErere; und die Freundin ist ja auch Lehrerin 049 L jo (.) ah [Okee, ja ah okay 050 V [un de hiuft das mängisch ou e chli, und dann hilft das manchmal auch ein wenig <?page no="173"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 173 051 L ah AUso, ah also 052 V chehehehe °h chehehehe 053 L guet GUET? gut gut Was hier zunächst implizit bleibt, aber als Common Ground mitkommuniziert wird, ist der getrennte Wohnort der Eltern, die inzwischen beide in einer neuen Partnerschaft leben (dieses Wissen ergibt sich dann aus dem weiteren Verlauf des Gesprächs). Indem L wiederholt das Dasein beider Elternteile positiv hervorhebt (Z. 001, 008 f., 014, 019, 021, 023, 025), aktualisiert sie im Umkehrschluss die soziale Wirklichkeit, dass dies bei getrennten Eltern häufig nicht der Fall ist. Diese Positionierung als gute (getrennte) Eltern wird nun interaktiv durch die Teilnehmenden weiter verfestigt. M und V bestätigen zunächst die Wichtigkeit einer Teilnahme beider Elternteile. Wenn auch die Formulierung von L keine Aussage darüber zulässt, ob sie nun positiv erstaunt über die Mitanwesenheit von M oder V ist, so wird die Positionierung dennoch in der Folge so bearbeitet, dass M als primäre Bezugsperson zu verstehen ist und ihre Anwesenheit somit zu erwarten war. Denn dadurch dass Tatjana bei der Mutter lebt und diese offenbar die Einladung zu dem Beurteilungsgespräch erhalten und sie an V weitergeleitet hat, wird V nicht direkt mit dem Zuhause des Kindes assoziiert. Interessant ist nun, dass V genau diese implizite Abstufung korrigiert, indem er an mehreren Stellen aufwändig darstellt, dass auch er für S eine optimale Lernumgebung bereitstellen und somit ebenfalls als Ko-Lehrer agieren kann. Er tut dies durch die Bekundung eines generellen Interesses an der schulischen Entwicklung von S (Z. 004 f., 007) und an Unterstützungsleistungen seinerseits bei schulischen Schwierigkeiten (Z. 010 f.). Weiter stellt er ausführlich dar, dass er schon in der Vergangenheit an Wochenenden bei den Hausaufgaben helfen konnte (Z. 027-029, 035, 037, 041-043, 045). Und schliesslich führt er neben seiner eigenen Ko-Lehrerschaft noch seine Partnerin, die beruflich als Lehrerin tätig ist, quasi als prototypische Ko-Lehrerin vor (Z. 048, 050). Durch diese Teilhandlungen, die von L jeweils positiv bewertet werden, etabliert V sich als guten Vater und guten Ko-Lehrer, der seine Tochter schulisch unterstützen kann. Die Positionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen ist aber keineswegs nur als Selbstinszenierung oder Selbstpositionierung von den Eltern zu verstehen, wie das etwa im vorigen Beispiel gezeigt wird, sondern durchaus auch als Zuschreibung von Aufgaben im Sinne einer gewünschten Partnerschaft. So lässt <?page no="174"?> 174 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen sich in einigen Gesprächen eine gewisse Selbstverständlichkeit oder auch eine Erwartungshaltung in Bezug auf Ressourcen der Eltern für die Hausaufgabenhilfe aufzeigen. Diese Erwartungshaltung kann explizit formuliert werden, wie dies im nächsten Beispiel der Fall ist. Die Lehrerin erteilt hier den Eltern explizit den Auftrag, zu Hause als Ko-Lehrpersonen zu agieren, um das gewünschte Lernverhalten der Schülerin Zoe positiv zu beeinflussen: # 20 Auch mal zu Hause erwähnen (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 04: 14-04: 53) 001 L ich gAng jetz grad do über no zum SCHRIIbe? ich gehe jetzt gerade da über noch zum Schreiben 002 ebe sii (het) sii schribt SCHÖN? eben sie (hat) sie schreibt schön 003 °hh wirklich au schön in d LInie, wirklich auch schön in die Linie 004 git sich au MÜE? gibt sich auch Mühe 005 me ka IIre no, man kann ihr noch 006 (.) wenn sii jetzt dehÄi mol GSEEN, wenn Sie jetzt daheim mal sehen 007 no SAge, noch sagen 008 sii duet amigs fascht e bItzli z FESCHT drucke- sie tut manchmal fast ein bisschen zu fest drücken 009 M mh[_HM, mhm 010 L [das SAG ich iiren Amigs; das sage ich ihr manchmal 011 dass sii vor lUter woorschinlich (.) s geNAU welle <<leicht lachend> mache und schÖn mache,> dass sie vor lauter wahrscheinlich es genau machen wollen und schön machen 012 °h dass sii amigs gAr nit sO fescht muess DRUcke,= dass sie manchmal gar nicht so fest drücken muss 013 =! UND! °h s HA: ? und das ‚H’ 014 das isch aber wirklich s dr ÄInzig buechstabe- das ist aber wirklich s der einzige Buchstabe 015 GSEEN sii dAs; sehen Sie das <?page no="175"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 175 016 dä isch IMmer- der ist immer 017 (-) 018 M AH [jä; ah ja 019 L [dä müessti jo ÄIgentlich bis [an d LInie ufe; der müsste ja eigentlich bis an die Linie hoch 020 M [mh_HM, mhm 021 L °h das han ere lEtschthin zwÄI drEI mol GSÄIT, das habe ich ihr letzthin zwei-/ dreimal gesagt 022 irgend[wie het sii sich das glaub so chli AAgwöönt, irgendwie hat sie sich das glaub ich so bisschen angewöhnt 023 M [jä- ja 024 L (--) s HA immer e chli, [hehehe das ‚H’ immer so bisschen hehehe 025 M [reduZIERT. reduziert 026 L aso isch nIt (.) SCHLIMM- also ist nicht schlimm 027 aber wenns iinen emol UFfallt; aber wenns Ihnen einmal auffällt 028 KÖNne sii das jo; können Sie das ja 029 M jä- ja 030 L au mol deHÄI erwääne; auch mal daheim erwähnen 031 M jä- ja Die Lehrerin beginnt zuerst mit einer positiven Beurteilung von Zoes Schrift und formuliert dann eine Handlungsanweisung an die Eltern. Diese Handlungsanweisung leitet sie mit dem Pronomen man ein: me ka IIre no ((…)) SAge (Z. 005, 007). Die zunächst indirekte Adressierung durch man wird dann in einem eingeschobenen Satz disambiguiert, indem L die Eltern direkt adressiert: wenn sii jetzt dehÄi mol GSEEN (Z. 006). Die tatsächliche Anweisung vermischt sich nun mit einer negativen Beurteilung, nämlich dass Zoe mit dem Stift zu fest drückt und den Buchstaben ‚h’ nicht deutlich nach oben zieht. Die Beurteilung <?page no="176"?> 176 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen wird abgeschwächt, indem L eine Begründung für das feste Drücken heranzieht (Z. 011) und dadurch Zoe wieder als gute und genau schaffende Schülerin darstellt. L verweist auf ihre selbst geäusserten Korrekturen (Z. 010, 021), schwächt dann erneut die angebrachte Kritik ab ( aso isch nIt (.) SCHLIMM- , Z. 026), um dann aber schliesslich die explizite Handlungsanweisung auszuformulieren: wenns iinen emol UFfallt; KÖNne sii das jo; au mol deHÄI erwääne; (Z. 027 f., 030). Hier werden also die Eltern explizit angeleitet, ihre Rollen als Ko- Lehrpersonen wahrzunehmen und die von L identifizierten Schwachstellen zu Hause im Sinne der Lehrerin zu korrigieren. Die Mutter ratifiziert das Gesagte und zeigt sich mit der Rollenzuschreibung einverstanden; von dem Vater ist keine Reaktion hörbar. Durch die gezeigten Positionierungen wird das Konzept der Partnerschaft zwischen Schule und Familie sehr ausgeprägt etabliert, wodurch annähernd symmetrische Beteiligungsstrukturen entstehen. Allerdings bleibt die Lehrerin die Person mit dem Fachwissen, welches sie in dem Gespräch offenlegt, sodass die Eltern ebenfalls fähig sind, nach ihren Kriterien das Kind zu Hause zu fördern. Dass die Fremdzuweisung als Ko-Lehrperson durchaus auch gesichtsbedrohend sein kann und entsprechend indirekter und modalisierter hervorgebracht werden kann, zeigt der nächste Ausschnitt. Vor der gewählten Passage fragt der Lehrer den Schüler nach dem Stand einer aktuellen Gruppenarbeit und es zeigt sich in dieser Diskussion, dass Ben zu Hause insbesondere von seinem Vater bei der Erstellung der PowerPoint-Präsentation unterstützt wurde. Der Lehrer wendet sich abschliessend an die Eltern: # 21 PowerPoint (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 27: 16-27: 40) 001 L (isch) SEER intressAnt; (ist) sehr interessant 002 (.) d kinder hän (---) ! GANZ! unterschiidlig gschAfft; die Kinder haben ganz unterschiedlich gearbeitet 003 (--) aso wirklich au mit em AAspruch an sich sÄlber; also wirklich auch mit dem Anspruch an sich selber 004 (--) PAUerpoint? = PowerPoint 005 =ha gsäit (---) lUeget öb das funktioNIERT? habe gesagt schaut ob das funktioniert 006 (---) lueget öb iir Eltere hän wo <<lachend> euch HÄLfe; > schaut ob ihr Eltern habt wo / die euch helfen 007 (--) <?page no="177"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 177 008 V jo guet du heschs jo (.) SÄLber heschs nit chÖne; ja gut du hast es ja selber hast du’s nicht gekonnt 009 will s pro[GRAMM nit kEnnsch a[ber äh- weil du das Programm nicht kennst aber äh 010 L [(näi) [jä jä; (nein) ja ja 011 S [mh_mh; mhm 012 L näi KLAR, nein klar 013 (2.12) 014 S sÖtt jetzt äiglech GO; sollte jetzt eigentlich gehen 015 (1.03) 016 L guet, gut Nachdem L zusammenfassend festhält, dass die Kinder sehr unterschiedlich arbeiteten (Z. 001-003), greift er als Beispiel das Arbeiten mit der PowerPoint- Software heraus und macht einerseits deutlich, dass dies keine Pflicht war (Z. 004-005). Andererseits zeigt er, dass die Mithilfe der Eltern im Falle einer Verwendung der Software vermutlich notwendig ist: lueget öb iir Eltere hän wo <<lachend> euch HÄLfe; > (Z. 006). Indem er also in seinem Selbstzitat, welches im ursprünglichen Kontext an die Klasse gerichtet war, eine Fremdpositionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen vornimmt, hat das redebegleitende Lachen eine abschwächende Wirkung und zeigt, dass diese Fremdpositionierung einer (gesichtsbedrohenden) Forderung an die Eltern gleichkommen könnte. Interessant ist an dieser Stelle, dass der Vater, welcher sich zuvor (der Ausschnitt ist hier nicht abgedruckt) deutlich bezüglich der PowerPoint-Frage als Ko-Lehrer etabliert hat, hier seine Rolle wieder schmälert bzw. die Schülerrolle aufwertet: Er wendet sich in den Zeilen 008 f. an Ben und betont, dass er die Aufgabe nur deswegen nicht alleine habe machen können, weil er das Programm gar nicht kannte. Durch die prosodische Markierung und das anschliessende aber erhält sein Beitrag eine argumentative Wirkung. So ratifiziert er zwar seine Rolle als helfenden Ko-Lehrer, zeigt aber gleichzeitig, dass sein Sohn nicht grundsätzlich unterstützungsbedürftig wäre, jedoch in diesem Fall mindestens eine Einführung in die Software brauchte. L ratifiziert dies (Z. 010, 012) und Ben bringt sich dazu auch noch selber ein, indem er sich als nun fähig positioniert, mit der Software umgehen zu können (Z. 014). <?page no="178"?> 178 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen Wir sehen hier also, wie einerseits L die Fremdpositionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen modalisiert, um die Notwendigkeit etwaiger Unterstützungsleistungen abzuschwächen. Dass aber gerade die Handhabung einer neuen Computer-Software durchaus Unterstützung notwendig macht, zeigt die Reaktion von V, die aber andererseits impliziert, dass seine Unterstützung die Leistung von S dennoch nicht schmälert. Eine Positionierung von Eltern als Ko-Lehrpersonen kann also durchaus die gleichzeitige Positionierung von S als hilfebedürftig beinhalten. Da es in Beurteilungsgesprächen in erster Linie um die Beurteilung von SchülerInnen geht, löst V hier diesen Konflikt, indem er seine Hilfe als selbstverständlich und nötig erklärt und den Fokus auf die Eigenleistung von S dadurch wieder möglich macht. Bei den gezeigten Fremdpositionierungen von Eltern als Ko-Lehrpersonen zeigt sich eine gewisse Selbstverständlichkeit, die dieser Rollenzuweisung zugrunde liegt. So werden die Positionierungen nicht abgewiesen oder kontrovers ausgehandelt. Einzig im obigen Beispiel # 21 sehen wir, dass mit der Positionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen allenfalls eine Positionierung der SchülerInnen als unselbstständige oder unterstützungsbedürftige Lernende einhergehen kann. Dass es sich bei dem Partnermodell Schule (Lehrperson) und Familie (Ko-Lehrpersonen) also um eine implizit anerkannte Realität handelt, wird insbesondere in den folgenden Beispielen deutlich, in denen Eltern Erklärungen für ihre fehlenden Ressourcen oder ihre zurückhaltenden Hilfestellungen anbringen. Im folgenden Beispiel wendet sich die Lehrerin explizit (mit namentlicher Adressierung) an die Mutter, nachdem sie zuvor Jonas in Bezug auf seine Hausaufgaben gelobt hat. Von der Mutter will sie nun erfahren, ob Jonas zu Hause Unterstützung brauche: # 22 Zwei ältere Brüder ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 06: 12-06: 46) 001 L un wie GSEEN sii das? und wie sehen Sie das 002 macht er das dähäi alles SÄLBständig mit de hUsufgoobe, macht er das daheim alles selbstständig mit den Hausaufgaben 003 M [jä, ja 004 L [isch do (okee) (xxxxxx) (-) unterstÜtze frau KELler? ist da (okay) (xxxxxx) unterstützen Frau Keller 005 M (-) °hh aso GUET, also gut <?page no="179"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 179 006 bi dr mAthe do het er mÄnggmol: : (-) FROOge: ,= bei der Mathe(matik) da hat er manchmal Fragen 007 =oder verstOOts nid ! GANZ! oder eso; oder versteht’s nicht ganz oder so 008 ? ((Räuspern)) 009 M aber do schick en zue sine BRÜEDre; aber da schicke ich ihn zu seinen Brüdern 010 L [mh- mh 011 M [ähm ähm pf: : was SII do dUUre nämed; ähm ähm pf was sie / Sie da durchnehmen 012 das sin SAche vo- [°h heheheh °h heh °h das sind Sachen von heheheh heh 013 L [°h h° heh heh 014 M <<lachend> do mag mi NÜMM> dra erInnere; da mag / kann ich mich nicht mehr daran erinnern 015 und irgendwie (-) han i au dr CHOPF nid drzUE; und irgendwie habe ich auch den Kopf nicht dazu 016 [dass i mi DO nomol wider IInedänke due. dass ich mich da nochmals wieder hineindenken tue 017 L [mh_HM; mhm 018 M oder no find i JO? oder dann finde ich ja 019 °hh die zwäi eltere brÜEder sin jo grad FRÜSCH vo däm, die zwei älteren Brüder sind ja gerade frisch von dem 020 [heheh heheh 021 L [mh_HM. mhm 022 ah jO das isch notüerlich PRAKtisch. ah ja das ist natürlich praktisch Dadurch dass die Frage nach Unterstützungsleistungen zu Hause explizit an die Mutter gerichtet ist, wird ihr die Rolle als potenzielle Ko-Lehrerin zugewiesen. Dass sich auch M an dieser Rolle orientiert, zeigt sich durch ihr Lachen und die aufwändigen Erklärungen. Die Rolle der Ko-Lehrperson delegiert sie an die zwei älteren Brüder von Jonas (Z. 009, 019) und begründet ihre Passung als Ersatz- Ko-Lehrpersonen, indem sie betont, dass sie den Schulstoff noch frisch aktiviert hätten. Die Begründungen ihrer eigenen fehlenden Ressourcen oder Kompeten- <?page no="180"?> 180 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen zen sind durchzogen mit Lachen, was dadurch erklärt werden kann, dass ihr die Abweichung von der Norm - nämlich dass sie eigentlich als Ko-Lehrerin agieren müsste - durchaus bewusst ist und ihr die Positionierung als ‚schlechte’ Mutter unangenehm ist. In einem anderen Gespräch (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , v. a. ab 03: 25) findet sich eine ähnliche Bearbeitung durch die Mutter: L stellt ebenfalls die Frage nach nötigen Unterstützungsleistungen vonseiten der Eltern, worauf die Mutter über ein spezifisches Mathematikproblem berichtet, welches sie selbst überhaupt nicht verstanden habe und dann den Onkel von Tatjana als Ersatz-Ko-Lehrer hinzuziehen musste. Auch sie trägt ihre eigene Unfähigkeit bezüglich des Problems unter viel Lachen hervor und bestätigt dadurch die Normalform, dass sie eigentlich als gute Ko-Lehrerin auftreten sollte. Auch im nächsten Beispiel wird implizit die Erwartungshaltung an die Eltern als Ko-Lehrpersonen bestätigt, indem M die ausbleibenden Unterstützungsleistungen begründet. Vor dem gewählten Ausschnitt äussert die Lehrerin die Vermutung, dass Alex noch nicht seine Leistungsgrenze erreicht habe und die schlechten Noten daher eher auf Faulheit basieren. Sie adressiert dabei den Schüler selbst und dieser bestätigt die Einschätzung der Lehrerin. Daraufhin bringt sich die Mutter ein: # 23 Extra nichts gesagt (Alex, SJ7_L9A_LMS, 03: 42-04: 03) 001 M JO und ich han en jetz Au; ja und ich habe ihn jetzt auch 002 aso lEtscht joor han ich en °h (-) scho no mee (-) PUSCHT, also letztes Jahr habe ich ihn schon noch mehr gepushed 003 und ha gsäit du MUESCH jetz,= und habe gesagt du musst jetzt 004 =und JETZ han i au gfunde; und jetzt habe ich auch gefunden 005 °h (-) etz muess er SÄLber? jetzt muss er selber 006 L (.) mh_HM? mhm 007 M und han en Äfach mol lo MAche, und habe ihn einfach mal machen lassen 008 damit ers- damit er’s 009 will ÄR het immer gsäit; weil er hat immer gesagt <?page no="181"?> 5.1 Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen 181 010 jÄ s gOOt und [i CHAS? °h ja es geht und ich kann’s 011 L [jä jä- ja ja 012 M Und i ha GNUE gmAcht? und ich habe genug gemacht 013 und denn han i JO etz han i Äxtra NÜT gsÄIt, und dann habe ich ja jetzt habe ich extra nichts gesagt 014 damit er °h (-) s ergÄbnis SÄLber sEEt; damit er das Ergebnis selber sieht 015 L mh_HM; mhm Im Anschluss an die Fremdpositionierung von Alex als faulen Schüler führt hier die Mutter an, weshalb sie ihre Unterstützungsleistungen reduziert hat. Einerseits zeigt sie, dass sie durchaus schulaffin agieren kann und im letzten Jahr ihren Sohn noch mehr gepushed habe, was sie auch in direkter Rede vorführt (Z. 003). Andererseits begründet sie, weshalb sie die Verantwortung nun dem Sohn selbst überlassen habe. Die Begründung wird durch die direkte Rede gestützt, sodass ersichtlich wird, dass Alex sich offenbar tendenziell überschätzt oder eben aus Faulheit nicht mehr leisten möchte ( will ÄR het immer gsäit; jÄ s gOOt und i CHAS? °h Und i ha GNUE gmAcht? , Z. 009 f., 012). Diese Haltung bringt die Mutter dazu, sich als Ko-Lehrerin zurückzunehmen und die Verantwortung an S zu übergeben: und denn han i JO etz han i Äxtra NÜT gsÄIt, damit er °h (-) s ergÄbnis SÄLber sEEt; (Z. 013 f.). Dass sich die Mutter an dieser Stelle im Gespräch mit diesem Einschub einbringt hat die folgenden Implikationen: Durch die negative Beurteilung von Alex sieht sie sich dazu veranlasst, ihre fehlenden Hilfestellungen zu erklären. Sie zeigt, dass sie absichtlich nicht geholfen hat, damit Alex die Konsequenzen seiner schwachen Leistungen und fehlenden Bemühungen selber erfahren kann. Sie präsentiert ihr Agieren also als bewusstes Erziehungshandeln und setzt dadurch wiederum die Erwartung relevant, dass Eltern als Ko-Lehrpersonen handeln sollten. Dass sie dies nicht erfüllt, erklärt sie durch pädagogisch motivierte Überlegungen. Zudem weist sie die Verantwortung von vornherein ab, indem sie sich als informierte Mutter präsentiert und das Scheitern alleine beim Sohn verortet. Auch in diesem Beispiel sehen wir also, dass es eine implizit akzeptierte Norm gibt, dass Eltern als Ko-Lehrpersonen agieren sollen. Die Orientierung an dieser Norm wird hier relevant gesetzt, indem die Mutter ihre fehlenden Hilfestellungen durch Rückgriff auf pädagogische Überlegungen erklärt und rechtfertigt. <?page no="182"?> 182 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Positionierung als (Ko-)Lehrpersonen ein Mittel ist, um sich und anderen Kompetenzen zuzuschreiben. Im Kontext der inter-institutionellen Beurteilungsgespräche ist dies von besonderer Bedeutung und schafft Symmetrien. Die Zuschreibung der Eltern als Ko-Lehrpersonen wird dabei sowohl vonseiten der Eltern selbst als auch vonseiten der Lehrpersonen aktiv vollzogen. Dabei lässt sich die Selbstverständlichkeit dieser Rollenzuschreibung gerade auch dann zeigen, wenn es zu keiner Passung der Zuschreibung kommt und die Eltern ausschweifend erklären, weshalb sie die Rolle nicht erfüllen können oder wollen. So verweist die Mutter im letzten Beispiel # 23 auf eine bewusste Entscheidung basierend auf erzieherischen Überlegungen. Im Folgenden geht es nun spezifischer um die Positionierung als Eltern bzw. Erziehende. 5.2 Positionierung als Eltern Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analysen, die zeigen, dass das Zuschreiben von (Lehr-)Kompetenzen sowohl von Lehrpersonen als auch Eltern wechselseitig vorgenommen wird, stellt sich für die folgenden Analysen die Frage nach den erzieherischen Kompetenzen. Erziehung kann primär als Aufgabe der Eltern betrachtet werden und ausgehend von dem Verständnis einer Experten-Laien-Kommunikation in institutionellen Kontexten liesse sich demnach die ExpertInnenrolle in Erziehungsfragen den Eltern zuordnen. Ähnlich wie bei der Positionierung als Ko-Lehrpersonen zeigt sich, dass Eltern und Lehrpersonen gemeinsam an den Positionierungen beteiligt sind. 5.2.1 Erziehungskompetenz der Eltern Eltern können sich entweder durch das Referieren auf erzieherisches Handeln als Eltern positionieren, oder sie können auch das erzieherische Handeln direkt in der Interaktion vorführen. 87 Auch können die Positionierungen wechselseitig oder dann mehrheitlich durch eine Partei vollzogen werden. Einen solchen Fall der wechselseitigen Positionierung sehen wir im nächsten Beispiel. In dem Gespräch geht es gerade um die schülerseitige Entscheidung bezüglich der weiterführenden Schule (mehrheitlich als Gespräch mit dem Schüler geführt). Beide Elternteile betonen nun, dass sie dem Sohn alle Freiheiten in dieser Entscheidung überlassen haben: 87 Vgl. etwa Beispiel # 52 in Kap. 6.1.2, wo ein Elternteil den Sohn mit lauter werdender Stimme für ein Versäumnis rügt und so das elterliche Handeln direkt vorgeführt. <?page no="183"?> 5.2 Positionierung als Eltern 183 # 24 Hat mit der Erziehung zu tun (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 10: 49-14: 22, mit Auslassungen) 001 V ich mäin mir hän iim wIklich (-) probiert so wEnig wie MÖGlich, ich meine wir haben ihm wirklich probiert so wenig wie möglich 002 irgendwie °h scho dr WÄG ufzÄige; irgendwie schon den Weg aufzuzeigen 003 oder DRUCK oder irgendwie SÄÄge oder empFEEle; oder Druck oder irgendwie sagen oder empfehlen 004 ((Auslassung im Transkript, ca. 45 Sek.: V und M erzählen von Philipps frühem Interesse, im eigenen Familienbetrieb mitzuhelfen und M betont, dass sie auch stets sein selbstständiges schulisches Lernen beobachteten.)) 005 M do gsEEt me notüerlich au d SÄLBständigkäit; da sieht man natürlich auch die Selbstständigkeit 006 jetz [au für für äh: (---) wEle wÄg au IMmer; jetzt auch für für äh welchen Weg auch immer 007 L [RICHtig; hh° richtig 008 L [mh_hm; mhm 009 M [die het Är SIcher die ÄIgeständigkäit; die hat er sicher diese Eigenständigkeit 010 L °h und das hEt notüerlich au sEEr vil mit mit mit mit dr erZIEhig z dUE. und das hat natürlich auch sehr viel mit mit mit mit der Erziehung zu tun 011 vo vo dÄm hÄr oder dass sii iim ebe die freihäite GÄÄ händ; = von von dem her oder dass Sie ihm eben diese Freiheiten gegeben haben 012 =und und und und wo notüerlich ÄR sich au het chöne, und und und und wo natürlich er sich auch hat können 013 °hh äh äh SO entwickle dass er äfach jetz genau sÄIt, äh äh so entwickeln dass er einfach jetzt genau sagt 014 ich wäiss ganz genAU dass das nüt für mi ISCH, ich weiss ganz genau dass das nichts für mich ist 015 M [jo, ja 016 L [witerhin (-) °h witerhin in dr SCHUEL z sII; weiterhin weiterhin in der Schule zu sein <?page no="184"?> 184 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 017 ((Auslassung im Transkript, ca. 2 Min.: Es geht u. a. um die guten schulischen Leistungen und Philipps Entscheidung, dennoch nicht an das Gymnasium zu wechseln.)) 018 M jO und suscht ebe bi dr GANze entschäidig-= ja und sonst eben bei der ganzen Entscheidung 019 =MIR sin notÜerlich mir ähm- wir sind natürlich wir ähm 020 (1.6) mir lön mAch em überHAUPT kä drUck; wir lassen machen ihm überhaupt keinen Druck 021 öb är jetz die maTUR macht oder BRUEFSmatur, ob er jetzt diese Matur macht oder Berufsmatur 022 oder WAS au Immer, oder was auch immer 023 (2.79) 024 M [für UNS ischs okEE. für uns ist’s okay 025 L [das isch SCHÖN aso jo; das ist schön also ja 026 (1.02) 027 L s isch SEER schön das z hÖÖre im nivoo pEE, es ist sehr schön das zu hören im Niveau P 028 wills Oft eben au ANdersch isch; =oder, weil’s oft eben auch anders ist oder Sowohl V (Z. 001-003) als auch M (v. a. Z. 018-024) betonen in diesen Auszügen mehrfach, dass sie möglichst keinen Druck aufsetzen und die Entscheidung in Bezug auf die schulische Karriere natürlich Philipp selbst überlassen wollten ( jO und suscht ebe bi dr GANze entschäidig-=MIR sin notÜerlich mir ähm- (1.6) mir lön mAch em überHAUPT kä drUck; , Z. 018-020). Durch die Verwendung von natürlich zeigt die Mutter dabei auch eine Selbstverständlichkeit ihrer Haltung und unterstützt zusätzlich das etablierte Bild von idealtypischen Eltern, die sich nicht zu sehr einmischen möchten. M und V verkörpern diese Rolle der zurückhaltenden Eltern, die das Kind selbst entscheiden lassen und diese Entscheidung dann auch unterstützen ( öb är jetz die maTUR macht oder BRUEFSmatur, oder WAS au Immer, (2.79) für UNS ischs okEE. , Z. 021-024). Während sich die Eltern eher implizit zu ihren Erziehungsidealen äussern und dabei auch die Selbstständigkeit von S lobend hervorheben (Z. 004, 005, 009), reagiert L nun mit explizit geäussertem Lob zur Erziehung. Zuerst bestätigt er die Einschätzung der Mutter in Bezug auf Philipps Selbstbzw. Eigenständig- <?page no="185"?> 5.2 Positionierung als Eltern 185 keit (Z. 007, 008) und setzt dann die Leistungen des Schülers in direkten Bezug mit dem Erziehungshandeln der Eltern: °h und das hEt notüerlich au sEEr vil mit mit mit mit dr erZIEhig z dUE. vo vo dÄm hÄr oder dass sii iim ebe die freihäite GÄÄ händ; (Z. 010 f.). Dadurch dass diese Äusserung eingebettet ist in positive Beurteilungen des Schülers, lässt sie sich als Lob an die Eltern verstehen, da sie für die Eigenständigkeit des Sohnes (in positivem Sinne) verantwortlich gemacht werden. Auch nachdem die Mutter nach einer Zwischensequenz (Z. 017) erneut betont, dass sie als Eltern einverstanden sind mit jeglichen Entscheidungen des Sohnes, zeigt L wiederum seine Anerkennung dieses Erziehungshandelns: das isch SCHÖN aso jo; (1.02) s isch SEER schön das z hÖÖre im nivoo pEE, wills Oft eben au ANdersch isch; =oder, (Z. 025-028). Indem L hier zudem einen gegensätzlichen Typ von druckaufsetzenden Eltern konstruiert, zeigt er, dass die Haltung der Eltern eben doch nicht so natürlich sei, sondern besonders positiv heraussticht. Der Lehrer spricht den Eltern explizit ExpertInnenstatus zu, indem er ihr Handeln und ihre erzieherischen Werte positiv hervorhebt und sie für die guten Eigenschaften von Philipp (mit-)verantwortlich macht. Pillet-Shore (2012: 192) stellt fest, dass Lehrpersonen den Eltern nur selten explizit Verantwortung für die Leistungen des Kindes zuweisen, denn die Gefahr bestehe, dass bei explizitem Lob im Sinne elternseitiger Mitverantwortung gleichzeitig auch eine Mitschuld bei schlechten Leistungen impliziert werde. Dadurch erklärt sich Pillet-Shore (2012: 190 ff.) auch das in ihren Daten häufig beobachtbare Lachen, welches jeweils von den Lehrpersonen selbst auf das geäusserte Lob folgt und womit die heikle Situation teilweise entschärft wird. In Beispiel # 24 wird die Sequenz jedoch weder von L noch von den Eltern oder von Philipp als heiklen Moment bearbeitet. Vielmehr scheint hier im Vordergrund zu stehen, dass durch die Anerkennung von L an die Eltern ein Gespräch unter ExpertInnen (vgl. auch Zorbach-Korn 2015: 170 ff.) und damit ein symmetrisches Gespräch unter Gleichen aktiviert wird. Es kann aber auch argumentiert werden, dass die Handlung des Beurteilens und Lobens eine Asymmetrie herstellt (vgl. Zorbach-Korn 2015: 162), denn wenn L eine Aussage über gutes und richtiges Erziehungshandeln machen kann, bedingt dies seinerseits ein Expertenwissen über Erziehung. Es gibt anhand der Reaktionen der Eltern allerdings keine Hinweise dafür, dass das Lob als degradierend behandelt würde (Ratifikation in Z. 015 und nach Z. 028 wieder Fokus auf guten Leistungen von S). Auf der Beziehungsebene überwiegt hier m. E. die harmoniestiftende Wirkung des Lobens (vgl. Pillet-Shore 2012: 181). <?page no="186"?> 186 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen Die Positionierung als Fachperson in Erziehungsfragen kann auch von den Eltern selbst initiiert werden. Das folgende Beispiel entstammt dem Ende des Gesprächs mit Flavio, nachdem von der Lehrerin bereits signalisiert wurde, dass von ihrer Seite her alles gesagt sei. Direkt vor dem Ausschnitt äussert sich die Mutter dazu, dass Flavio gerne zur Schule gehe und leitet dann im Folgenden eine Art Beratungsangebot zu Erziehungsfragen ein: # 25 Jederzeit melden (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 44: 28-45: 39) 001 M und wenn Irgendöppis ISCH? und wenn irgendetwas ist 002 au vo IIrer sIte, auch von Ihrer Seite 003 (so wenn IIr) denn emol irgendwie nüm z SCHLAG kömme; = (so wenn Sie) dann einmal irgendwie nicht mehr zu Schlag / zurande kommen 004 =oder s gfüül hän Irgendwie isch er KOmisch oder sO: ? °h oder das Gefühl haben irgendwie ist er komisch oder so 005 S hehe hehe 006 M (-) und (.) sii mÖchten iin vilicht nid grad diRÄKT druf AAspräche; und Sie möchten ihn vielleicht nicht gerade direkt darauf ansprechen 007 oder (.) wie au IMmer, oder wie auch immer 008 (.) denn jEderzit [MÄLde; dann jederzeit melden 009 L [jä jä do han i jetzt, ja ja da habe ich jetzt 010 M °h ich mUEss vilicht emol no SAAge,= ich muss vielleicht einmal noch sagen 011 L =das isch [KLAR; das ist klar 012 M [ich bi am BESCHte Immer z erräiche uf em nAtel, ich bin am besten immer zu erreichen auf dem Handy 013 ((Auslassung im Transkript, ca. 35 Sek.: L sagt, dass sie gerade kürzlich schon auf das Handy angerufen habe, worauf M erzählt, wie sie zu diesem Zeitpunkt gerade die Hausaufgaben gelöst hätten.)) <?page no="187"?> 5.2 Positionierung als Eltern 187 014 M näi Äfach dass sii wÜsse dass sii AU jederzit chönnen [AAlüte- nein einfach dass Sie wissen dass Sie auch jederzeit anrufen können 015 L [jO do bin ich FROO; ja da bin ich froh 016 M (-) wenn er vilicht emol KOmisch wär oder [eso- wenn er vielleicht einmal komisch wäre oder so 017 L [jä; ja 018 (---) aber ebe MÄISCHtens wenn i öppis säg oder Aso (.) Ebe; aber eben meistens wenn ich etwas sage oder also eben 019 M jä jä; ja ja 020 L (--) denn säit er GRAD,= dann sagt er gerade 021 =isch GUET; ist gut 022 und sÜnsch würd i mi sicher MÄLde; = und sonst würde ich mich sicher melden 023 =aber dEnn würd i glaub MERke, aber dann würde ich glaub ich merken 024 (-) dass <<: -)> Irgendöppis nid STIMMT; > dass irgendetwas nicht stimmt In dieser Sequenz finden wir noch keine Beratungssituation vor, aber die Mutter bietet der Lehrerin die Möglichkeit einer zukünftigen Beratung an, falls sie mit Flavio nicht mehr zurechtkomme (Z. 003), sollte er einmal komisch sein (Z. 004, 016). Dadurch spricht sie der Lehrerin die Kompetenz ab, Flavio auch in einer schwierigen Situation im Griff zu haben und positioniert sich selbst aber als potenzielle Beraterin und Expertin. Der Lehrerin weist die Mutter dadurch die Rolle der Ratsuchenden zu, ohne dass diese sich selbst als ratlos positioniert hätte. Dass sie diese Fremdpositionierung nicht ohne Weiteres annimmt, zeigen ihre Reaktionen: Zuerst äussert sie sich erst redebegleitend und wegen abgebrochenen Sätzen nur teilweise verständlich (Z. 009, 011). Dann ratifiziert die Lehrerin das Angebot ( jO do bin ich FROO; , Z. 015), distanziert sich jedoch sogleich von der Notwendigkeit einer Beratung, indem sie ihre eigene Kompetenz, durch aber als Widerspruch eingeleitet, hervorhebt: aber ebe MÄISCHtens wenn i öppis säg oder Aso (.) Ebe; (--) denn säit er GRAD,=isch GUET; (Z. 018, 020 f.). Im gegebenen Kontext dient diese Äusserung als Aufwertung der zuvor <?page no="188"?> 188 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen erfolgten Positionierung als potenzielle Ratsuchende und damit als Laiin in Bezug auf die Disziplinierung von Flavio. Dass die hier erfolgten Positionierungen gegenseitig gesichtsbedrohend sind und sich dadurch negativ auf die Beziehung ausüben können, zeigt sich an den wechselnden Positionierungen der Lehrerin: Nachdem sie durch den etablierten Widerspruch indirekt auch das Angebot der Mutter ausschlägt, lässt sie erneut die Möglichkeit offen, sich doch zu melden (Z. 022), was sie aber wieder durch die Nachbemerkung abschwächt (Z. 023 f.). Die Zuweisung von Rollen und Kompetenzen ist in der gegebenen Konstellation heikel und führt, wie gezeigt wurde, zu weiteren Aushandlungen. Wenn auch das mutterseitige Angebot von Grund auf gut gemeint sein kann, so gefährdet es dennoch die Rolle der Lehrerin, die in der Reaktion darauf also zuerst wieder Identitätsarbeit betreiben muss. Während zuerst von umgekehrten Rollen im asymmetrischen Gefüge gesprochen werden kann, zeigt sich durch die Aushandlung wiederum ein Ausgleich in Richtung Symmetrie. Es ist aber nicht so, dass sich Eltern nur als gute Erziehende positionieren, sondern es gibt auch Sequenzen, in denen sie ihr eigenes Handeln infrage stellen und dadurch eher eine Asymmetrie verfestigen. Auch diese Positionierung kann zu interaktiven Problemen führen. Im nächsten Gesprächsausschnitt erkundigt sich die Mutter zunächst, ob Sarah beim Klettern mutiger geworden sei und sich inzwischen im Sport mehr traue: # 26 Im Weg stehen (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 17: 32-18: 46) 001 M und des: SCHAFFT sie dann auch wenn man dazu n bisschen mUt braucht? =weil- und das schafft sie dann auch wenn man dazu ein bisschen Mut braucht weil 002 (---) 003 L JÄ, ja 004 M jä; ja 005 L jÄ sie geTRAUT sich jÄ; ja sie getraut sich ja 006 M Ah das isch GUET. ah das ist gut 007 [dAs isch nämlich GUET jA jA jA- das ist nämlich gut ja ja ja 008 V [jä (.) do het sii sich AU: entWICKlet; = ja da hat sie sich auch entwickelt <?page no="189"?> 5.2 Positionierung als Eltern 189 009 =ich ha immer gfunde so uf em SPIILplatz- ich habe immer gefunden so auf dem Spielplatz 010 [aso no (.) wo sii KLÄIner gsi isch, also noch wo / als sie kleiner gewesen ist 011 M [pf: : : pf 012 V °h han i han i immer s gfüül gha; habe ich habe ich immer das Gefühl gehabt 013 (.) GLIICHaltrigi schUnsch die °h klÄttere do im nU (.) problEmlos druf, Gleichaltrige sonst die klettern da im Nu problemlos darauf 014 und sii isch sEEr ! ÄNGSCHT! lich äigentlich gsi als- und sie ist sehr ängstlich eigentlich gewesen als 015 L mh_hm, mhm 016 V öh klÄIners KIND; öh kleineres Kind 017 im ver! GLIICH! zu [glIIchaltrige; im Vergleich zu Gleichaltrigen 018 M [mh_hm, mhm 019 M jA das STIMMT. ja das stimmt 020 ? °hh 021 L [jä sii isch au jEtz scho no ZRUGGhaltend; ja sie ist auch jetzt schon noch zurückhaltend 022 V [so nöime GANZ ufe, so irgendwo ganz hoch 023 L [aber (.) sii mAcht; aber sie macht 024 V [jä jä aber sii klÄt[teret in dr zwüschezit uf d sache Ufe- ja ja aber sie klettert in der Zwischenzeit auf die Sachen hoch 025 M [aber Ich glaub n TEIL haben wir auch da drAn; aber ich glaube einen Teil haben wir auch da dran <?page no="190"?> 190 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 026 wir haben auch immer wied[er gesacht, wir haben auch immer wieder gesagt 027 V [jo_o, ja 028 M <<flüsternd> hEE pass AUF fall nicht rUnter,> he pass auf fall nicht runter 029 V [jo_o, ja 030 M [°h und was sie hatte sie hat sich (.) ganz lange NIE gut fEstgehalten; und was sie hatte sie hat sich ganz lange nie gut festgehalten 031 sie hat sich auch als bEibi nie FESTgehalten; sie hat sich auch als Baby nie festgehalten 032 das war °h ANdere kinder <<: -)> halten> sich fEst? das war andere Kinder halten sich fest 033 L [mh_mh, mh 034 M [sie hat sich nIcht FESTgehalten; sie hat sich nicht festgehalten 035 [das war AUCH immer so n teil- °h das war auch immer so ein Teil 036 V [jÄ (.) genau (.) das geKLAMmere [((unverständlich, ca. 1.2 Sek.)) ja genau das Geklammere 037 M [Ich hAtte <<: -)> manchmal> Angst die (se) hockt auf der SCHAUkel,= ich hatte manchmal Angst die (se) hockt auf der Schaukel 038 =und vergIsst <<: -)> irgendwann dass sie da sitzt> und sich FESThalten muss. und vergisst irgendwann dass sie da sitzt und sich festhalten muss 039 [°h 040 V [haha haha 041 M Also das war [wIrklich i (.) WÄISCH no? also das war wirklich i weisst du noch 042 V [das STIMMT jä stimmt schO, das stimmt ja stimmt schon 043 M sie hat GANZ schnell lOsgelassen irgendwie; sie hat ganz schnell losgelassen irgendwie <?page no="191"?> 5.2 Positionierung als Eltern 191 044 (.) °h und das war au immer so <<: -)> TEIL der beFÜRCHtung; > und das war auch immer so Teil der Befürchtung 045 HALT dich gut [fEst? =oder? halt dich gut fest oder 046 L [jä- ja 047 M °h also (.) aber ich [glaub n STÜCK? also aber ich glaub ein Stück 048 V [jä jä dasch scho WOOR; ja ja das ist schon wahr 049 M ich hab mAnchmal mich geFRAGT, ich hab manchmal mich gefragt 050 ob wir ihr damit nicht au n stück weit im WEG stehen; =oder? ob wir ihr damit nicht auch ein Stück weit im Weg stehen oder 051 statt sie einfach mal LASsen. statt sie einfach mal lassen 052 L mh- mh 053 M also (-) aber [das mit dem FESThalten [war schon immer so ne sAche; also aber das mit dem Festhalten war schon immer so ne Sache 054 V [mh_mh; [mh_hm mh_hm, mh mhm mhm 055 M so ↑UH, so uh 056 V mh; mh 057 (1.48) 058 L °hh JO, ja 059 M gut, gut 060 L dEnne: (--) gits do vier SPARte, dann gibt’s da vier Sparten Beide Elternteile zeigen sich erfreut über die positive Entwicklung der Tochter und betonen, wie Sarah als kleineres Kind ängstlicher gewesen sei. Sie nehmen <?page no="192"?> 192 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen bei der Beurteilung der Entwicklung Bezug auf die Vergleichsrahmen ‚heute versus früher’ sowie ‚Sarah versus andere Kinder’ und stützen dadurch ihre Urteilskraft. Interessant sind nun diese Stellen, an denen die Mutter sich als mitverantwortlich für die kindliche Ängstlichkeit beschreibt und ihr eigenes pädagogisches Verhalten infrage stellt: In Zeile 025 äussert sie sich in Überlappung mit V zur möglichen Beeinflussung ihrerseits ( aber Ich glaub n TEIL haben wir auch da drAn; ), worauf sie dann u. a. mit direkter Rede (Z. 028, 044) veranschaulichend vorführt, wie sie als ängstliche Mutter auf Sarah eingewirkt hat. Sie schwächt dabei allerdings ihre Rolle wieder ab, indem sie durch mehrfache Wiederholung das mangelhafte Festhalten der Tochter fokussiert (Z. 030, 031, 032, 034, 037 f., 043). Schliesslich kommt sie zum Schluss: °h also (.) aber ich glaub n STÜCK? ich hab mAnchmal mich geFRAGT, ob wir ihr damit nicht au n stück weit im WEG stehen; =oder? statt sie einfach mal LASsen. (Z. 047, 049-051). Dadurch äussert sie öffentlich Zweifel über das erzieherische Handeln und die möglichen Folgen für die Tochter. Der Vater pflichtet ihr bei (Z. 048), vom Lehrer ist allerdings nur ein minimales Rezeptionssignal hörbar (Z. 052). Wenn wir uns die Frage stellen, welcher Zugzwang durch die Äusserung der Mutter entsteht, zeigt sich, dass ein Anschluss schwierig ist: Sie bewertet sich und den durch das inklusive wir mit einbezogenen Vater als zu ängstliche Eltern und zeigt sich als Person, die ihr eigenes Handeln hinterfragt. Dabei lässt sie offen, ob sie diese Thematik offen verhandeln möchte, indem sie die Zweifel als Frage an sich selbst formuliert und dadurch keine direkte Antwort fordert, obwohl die Formulierung als vorsichtiges Ratsuchen verstanden werden kann. Die minimale Reaktion des Lehrers zeigt, dass jegliche Bearbeitung problematisch wäre. Eine Bestätigung ihrer Einschätzung hätte eine negative Positionierung der Eltern zur Folge, würde jedoch oberflächlich Übereinstimmung ermöglichen. Ein Widerspruch hingegen könnte eine Aufwertung bewirken, würde jedoch gleichzeitig die mutterseitige Einschätzung zur Situation ablehnen. M reagiert auf diese problematische Stelle damit, dass sie den Fokus wieder auf die Tochter und ihre Schwäche lenkt und so die Thematik zum Abschluss bringt (Z. 053, 055). Es folgt nach der Ratifikation von V eine längere Pause von 1.48 Sekunden. Nun beginnt der Lehrer mit °hh JO, (Z. 058), M zeigt ihre Bereitschaft, das Thema abzuschliessen ( gut, , Z. 059) und L leitet daraufhin ab Zeile 060 zum nächsten Teil über. In der gezeigten Sequenz präsentiert M sich selbstkritisch und legt allfällige Mängel des erzieherischen Handels offen. Hier könnte L diese dargelegte Asymmetrie noch verfestigen, wenn er die Selbstkritik oder Frage aufgreifen und seine pädagogischen Kenntnisse einbringen würde. Er unterlässt dies aber und vermeidet so eine Bearbeitung der Asymmetrie. Durch diese Vermeidungsstra- <?page no="193"?> 5.2 Positionierung als Eltern 193 tegie wird wiederum das schon mehrfach betonte Streben nach symmetrischen Verhältnissen in diesen Beurteilungsgesprächen bestätigt. 5.2.2 Lehrpersonen in ihrer Rolle als Eltern Symmetrien werden auch dann relevant, wenn Lehrpersonen sich selbst in der Rolle als Eltern vorführen und damit nicht ihr Lehrpersonendasein in den Vordergrund stellen. Gemäss Goffman (1959), der für die Beschreibung von alltäglicher Interaktion das Vokabular aus der Theaterwelt entleiht, gibt die Lehrperson Einblicke in die Hinterbühne oder backstage (vgl. Goffman 1959: 111 ff.). Auf der Hauptbühne agiert die Lehrperson in dem institutionellen Gespräch als Lehrperson. Kurzzeitig und mit funktionellen Implikationen tritt sie aber auf die Hinterbühne und zeigt sich in ihrer Rolle als Mutter bzw. Vater von eigenen Kindern. Der folgende Fall stammt aus dem Gespräch über die abwesende Schülerin Zoe. Der Ausschnitt beginnt damit, dass die Lehrerin nach einer abschliessenden positiven Gesamtbeurteilung die Eltern fragt, ob Zoe denn auch gerne zur Schule komme: # 27 Ich kenne das von meiner Tochter (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 25: 27-27: 10) 001 L chunt sii au GÄRN in d schUel? kommmt sie auch gerne in die Schule 002 V (--) mhmh 003 L jä, ja 004 ((Rascheln von Unterlagen)) 005 L schön; schön 006 ((Rascheln von Unterlagen)) 007 V ich frage rEgelmässig (.) und (--) ist Alles in ORDnung; ich frage regelmässig und ist alles in Ordnung 008 L jä [jä schÖn; ja ja schön 009 M [jä, ja 010 (---) 011 M zOObe gits FAAsene wo sii seer seer MÜED isch vom dAAg? abends gibt’s Phasen wo sie sehr sehr müde ist vom Tag <?page no="194"?> 194 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 012 L jä; ja 013 M und denne nocher verZELLT sii, und dann nachher erzählt sie 014 denn aber allwäg Eher au gegenüber ! MIR! , dann aber wahrscheinlich eher auch gegenüber mir 015 wo erscht zoobe spoot [HÄI chunt, wo / die erst abends spät heim kommt 016 L [jä, ja 017 M °hh sii heg CHOPFwee- sie habe Kopfweh 018 sii heg BUUCHwee- sie habe Bauchweh 019 und sii brUUch e PAUse- und sie brauche eine Pause 020 sii (.) m: ög jetzt äigenlich morn NID in d schUel. sie möge jetzt eigentlich morgen nicht in die Schule 021 L [jä; ja 022 M [°h und denne nocher (-) versuech ich d situation eSO umzgOO, und dann nachher versuche ich die Situation so zu umgehen 023 lueg jetz hesch en AAsträngende DAAG hinter [dir gha, schau jetzt hast du einen anstrengenden Tag hinter dir gehabt 024 L [mh; mh 025 M du hesch sEEr vil GSCHAFFT drzue- du hast sehr viel gearbeitet dazu 026 und (xxx) Äfach mol lOs loo und SCHLOOfe. und (xxx) einfach mal loslassen und schlafen 027 L mh_hm; mhm 028 M und denn duesch MORN nomol luege [wies dir gOOt; und dann tust du morgen nochmals schauen wie’s dir geht 029 L [mh (.) mh_hm mh_hm; mh mhm mhm 030 (1.4) <?page no="195"?> 5.2 Positionierung als Eltern 195 031 L °hh i ich dÄnk (.) aso das han i hüt zoobe scho mol (-) gs ähm: ANderne Eltere gsÄit? i ich denke also das habe ich heute Abend schon mal gs ähm anderen Eltern gesagt 032 ich find me döfs au nid unterSCHETze was das hÄisst, ich finde man darf es auch nicht unterschätzen was das heisst 033 M [jäja 034 L [in e Erschti KLASS ko, in eine erste Klasse zu kommen 035 was sII was sII LÄISCHte? was sie was sie leisten 036 und d zoe isch au äini wo °h SEER Ufmerksam isch, und die Zoe ist auch eine wo / die sehr aufmerksam ist 037 ich mäin das isch AAsträngend, ich meine das ist anstrengend 038 M [jä, ja 039 L [das wÜsse mir AU? das wissen wir auch 040 aso ich (bi) wemme nöimed isch- also ich (bin) wenn man irgendwo ist 041 es isch ÄIfacher sich mol e chli ZRUGGzleene- es ist einfacher sich mal ein bisschen zurückzulehnen 042 und hahaha °h nid so ganz drBII [z sii- und hahaha nicht so ganz dabei zu sein 043 M [jäja 044 L und sii °h durch dass sii so GWÜSsehaft isch- und sie durch dass sie so gewissenhaft ist 045 und so pflIchtbewu: sst und °hh wiklich en UFmerksami schÜelerin; und so pflichtbewusst und wirklich eine aufmerksame Schülerin 046 (.) isch dänk ich ischs (.) stück wit au norMAL, ist denk ich ist es ein Stück weit auch normal 047 L dass sii [halt äfach au chli MÜED isch; dass sie halt einfach auch bisschen müde ist 048 M [jä- ja <?page no="196"?> 196 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 049 V mhmh 050 M jä [jä jä (.) jä; ja ja ja ja 051 L [oder ZOObe; oder abends 052 jo? ja 053 (1.12) 054 M [jä- ja 055 L [und das das das (.) aso ich kenn das jetz vo MIner tochter dähÄi; und das das das also ich kenne das jetzt von meiner Tochter daheim 056 so chli buuchwee und so; so bisschen Bauchweh und so 057 ich glAub das isch denn halt scho OFT, ich glaub das ist dann halt schon oft 058 V mh_mh, mh 059 L das Alles verDAUe, das alles verdauen 060 was me [hüt dr ganz daag GSEE het und: : - was man heute den ganzen Tag gesehen hat und 061 M [mh_hm, mhm 062 (-) 063 M [mh_hm, mhm 064 L [was sii was sii alles WOORnäme; was sie was sie alles wahrnehmen 065 aso ich mErk das au wenn si dähäi verZELLT; also ich merke das auch wenn sie daheim erzählt 066 dä het hüt DAS, der hat heute das 067 und die isch DÖRT gsi, und die ist dort gewesen 068 und °h dä het DAS mItbrocht, und der hat das mitgebracht <?page no="197"?> 5.2 Positionierung als Eltern 197 069 aso °h was do ABlauft oder ähm- also was da abläuft oder ähm 070 V mh_mh, mh 071 L an sA[che wo d kinder UFnäme; an Sachen wo / die die Kinder aufnehmen 072 M [jä- ja 073 L (.) das DÄNK i das döf men Au nit, das denke ich das darf man auch nicht 074 M jä- ja 075 L es isch VIIL, es ist viel 076 V [mh- mh 077 M [jä- ja Nachdem die Frage der Lehrerin von V bereits beantwortet wurde (Z. 007), berichtet M ergänzend über Zoes müde Phasen. In indirekter Rede zählt sie die kleinen Leiden der Tochter auf (Z. 017-020) und führt dann in direkter Rede ihr pädagogisches Handeln vor (Z. 023, 025 f., 028). L bestätigt M in ihrer Beobachtung und positioniert sich vorerst als Lehrerin, die diese Rückmeldung auch anderen Eltern gibt (Z. 031) und die als Institutionsvertretende die Sicht auf die Anforderungen in der Institution kennt sowie eine Einschätzung über normaltypische Ermüdung geben kann (Z. 032, 034 f., 037, 046, 047). Interessant ist nun aber, dass sie diese Einschätzung aus ihrer Sicht als Lehrerin durch eine weitere Perspektive stützt und ihre Sicht als Mutter einbringt (ab Z. 055). Ähnlich wie die Mutter zuvor, berichtet auch die Lehrerin nun in direkter Rede, was ihre Tochter zu Hause erzählt und was sie erlebt. Dadurch veranschaulicht sie die vergleichbare Situation und stützt ihre These, dass die Kinder viele Eindrücke aus dem Alltag verarbeiten müssen. Diese Expansion hat also einerseits veranschaulichenden Charakter und trägt aber andererseits dazu bei, ein Gespräch unter Gleichen zu aktivieren. Abschliessend kann festgehalten werden, dass die Erziehung nicht ausschliesslich in den Kompetenzbereich der Eltern fällt, sondern auch das pädagogische Wissen der Lehrpersonen relevant gesetzt wird. Die analysierten Sequenzen zeigen, wie das Zu- und Absprechen von Kompetenzen vorsichtig <?page no="198"?> 198 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen verhandelt wird, sodass insgesamt wiederum das Streben nach Symmetrie massgebend ist. 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende Nicht nur die Rollen der Lehrpersonen und der Eltern, sondern auch die der Lernenden werden interaktiv von den Gesprächsteilnehmenden genutzt, um Symmetrien zu schaffen. Denn sowohl die Eltern als auch die Lehrpersonen vergleichen gelegentlich die Leistungen und das Verhalten der SchülerInnen mit dem eigenen Lernen und der eigenen Schulzeit. Dadurch werden auch in Bezug auf die Lernenden Symmetrien verstärkt. 5.3.1 Eltern als ehemalige Lernende In mehreren Gesprächen vergleichen sich die Eltern mit ihren Kindern und etablieren dadurch einen Referenzrahmen, der für die Bewertung von Leistungen oder Charaktereigenschaften dienen kann. So werden Erfahrungen oder Erinnerungen an die eigene Schulzeit hinzugezogen, um die aktuellen Leistungen oder Charaktereigenschaften des Kindes zu erklären oder einzuordnen. Wie das folgende Beispiel zeigt, kann dieser vergleichende Rahmen dazu dienen, die Leistung des Schülers aufzuwerten: # 28 Ich in diesem Alter (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 06: 43-07: 19) 001 V mh: (.) aso ((schnalzt)) für MI isch beIIdruckend, mh also für mich ist beeindruckend 002 är het ähm (.) ((schnalzt)) sit er do bi IInen isch, er hat ähm seit er da bei Ihnen ist 003 für mi jetz e RIIse sprung gmacht in pUnkto; für mich jetzt einen riesen Sprung gemacht in puncto 004 (-) °h ÄRNSCHThaftigkeit isch vilicht e bitzli übertriibe; = Ernsthaftigkeit ist vielleicht ein bisschen übertrieben 005 =ZUEverlässigkäit. Zuverlässigkeit 006 L mh_hm, mhm 007 V aso wenn i jetz VORhärt lueg ähm; also wenn ich jetzt vorher schaue ähm <?page no="199"?> 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende 199 008 °h mit wellem BISS er drhInter isch, mit welchem Biss er dahinter ist 009 mit weller äh: jo au disziPLIN er drhInter isch, mit welcher äh ja auch Disziplin er dahinter ist 010 er schafft ähm (.) SEER vill, er arbeitet ähm sehr viel 011 L mh_hm; mhm 012 V wiklich SEER vill, wirklich sehr viel 013 L mh- mh 014 V das ähm (.) beIIdruckt mi, das ähm beeindruckt mich 015 (-) muess i SAAge, muss ich sagen 016 wenn i SÄLber bitzli zrUggdänk, wenn ich selber bisschen zurückdenke 017 wien ICH gsi bi in däm Alter, wie ich gewesen bin in diesem Alter 018 ? ((leises Lachen)) 019 M mh[_hm, mhm 020 V [jO döf me so SAAge; ja darf man so sagen 021 aso dO ähm: find i ähm: (--) isch er isch beWUNdernswärt; also da ähm finde ich ähm ist er ist bewundernswert Der Vater lobt hier ausführlich die Zuverlässigkeit und Disziplin seines Sohnes (Z. 001-005, 007-010, 014) und - wie um dem Verdacht entgegenzuwirken, er würde dies als seine eigene Leistung betrachten (vgl. zur Problematik von Lob und Selbstlob Pillet-Shore 2012) - vergleicht er diese Eigenschaften mit sich selbst: wenn i SÄLber bitzli zrUgg dänk, wien ICH gsi bi in däm Alter, (Z. 016 f.). Er streicht dadurch hervor, dass diese Leistung gerade vor dem Hintergrund beeindruckend sei, dass er selbst in diesem Alter nicht so war (was allerdings nur angedeutet und nicht weiter ausgeführt wird). Pillet-Shore (2012: 200) interpretiert derartige elternseitige Ergänzungen und Erklärungen nach geäussertem Lob des eigenen Kindes als selbst-initiierte Selbstkorrekturen, die bezwecken, dass das Lob durch L nicht als subjektiv und voreingenommen verstanden wird, sondern die Eltern (hier V) als glaubwürdige Beurteilende <?page no="200"?> 200 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen anerkannt werden. Gerade dadurch, dass V sich selbst schlechter als seinen Sohn positioniert, verstärkt er seine Glaubwürdigkeit in Bezug auf eine faire Einschätzung seines Sohnes. Auf das leise Lachen (Z. 018) und die Ratifikation der Mutter (Z. 019) reagiert er mit einer Rechtfertigung seiner Aussage und bringt erneut seine Bewunderung für seinen Sohn zum Ausdruck. In demselben Gespräch verweist auch die Mutter auf ihr Dasein als Schülerin, jedoch erklärt sie dadurch eine Schwäche von Flavio: # 29 Geprägt von mir (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 23: 30-23: 59) 001 M ich dÄnk das empfinde mir au dähÄim ame SO, ich denke das empfinden wir auch daheim manchmal so 002 °h ähm: s KONzentrierte schAffe (-) isch wiglich Öppis, ähm das konzentrierte Arbeiten ist wirklich etwas 003 °h aber ich dÄnk das isch er e chli prÄgt vo MI: R, aber ich denke das ist er ein bisschen geprägt von mir 004 ha das eben AU gha in dr schUel; habe das eben auch gehabt in der Schule 005 ich ha wIglich (.) <<f> aso HÜT no,> ich habe wirklich also heute noch 006 (-) aso ich bi wiglich ÖPper wo- also ich bin wirklich jemand wo / die 007 ich chA mi nIt °h vOll und gAnz zu hUndert prozänt uf öppis konzenTRIEre,[=aso, ich kann mich nicht voll und ganz zu hundert Prozent auf etwas konzentrieren also 008 L [sondern mEE au no chli uf ANderi sache [denne; sondern mehr auch noch bisschen auf andere Sachen dann 009 M [jO: , ja 010 ich bi Äini vo dene wo überall immer alles hÖrt und <<lachend> GSEET,> ich bin eine von denen wo / die überall immer alles hört und sieht 011 das isch zwar au <<lachend> GUET,> °h das ist zwar auch gut <?page no="201"?> 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende 201 012 [aber ähm- aber ähm 013 L [jO: isch sicher au: [guet (.) (genau); ja ist sicher auch gut (genau) 014 M [jo jo das schO aber wemme fOkussiert muess SCHAFfe; ja ja das schon aber wenn man fokussiert arbeiten muss 015 °h und das MÜESsti sicher au no bitz sii; und das müsste sicher auch noch bisschen sein Die Mutter ergreift hier durch Selbstwahl das Rederecht, während alle die Selbsteinschätzung von Flavio anschauen. Sie äussert sich damit zum Punkt „Ich bin bei der Sache“ (wie sie später aus der Selbsteinschätzung zitiert), welcher auch von Flavio selbstkritisch in dr mItti zwüsche mInus und PLUS; (Min. 24: 18) beurteilt wird. Die Mutter beginnt hier, indem sie sich (und V) als beobachtende Eltern positioniert, die das (mangelhafte) konzentrierte Arbeiten von Flavio zu Hause wahrnehmen. Sie bricht dann den angefangenen Satz in Zeile 002 ab und erklärt diese Schwäche durch ihren eigenen Einfluss, indem sie sich als ehemalige Schülerin vorführt: °h aber ich dÄnk das isch er e chli prÄgt vo MI: R, ha das eben AU gha in dr schUel; (Z. 003 f.). Dadurch dass M ihre Schwäche nun nicht nur in der Vergangenheit ansiedelt, sondern als aktuelle Charaktereigenschaft beschreibt, eröffnet sie einen neuen Handlungsraum: In der folgenden Sequenz wird nun nämlich nicht mehr Flavio bewertet, sondern die Mutter. Dies wird ersichtlich durch die Art und Weise, wie die Lehrerin auf die Mutter reagiert und den Beitrag weiter bearbeitet. Auf die negative Selbstbeurteilung von M in den Zeilen 005-007 reagiert L neutralisierend, indem sie nicht das Negative der fehlenden Konzentration auf eine Sache betont, sondern den Blick auf ANderi sache (Z. 008) lenkt, die dann dafür im Wahrnehmungsfeld von M liegen. M ratifiziert (Z. 009) und übernimmt diesen Fokus (Z. 010) und wertet nun selber ihre Schwäche auf: das isch zwar au <<lachend> GUET,> °h (Z. 011), was sofort wieder von L ratifiziert wird: jO: isch sicher au: guet (.) (genau); (Z. 013). Wir sehen hier, dass die Thematisierung einer Schwäche neue Probleme aufwirft: Für L ist es nicht unproblematisch, eine Schwäche von M als solche anzuerkennen und zu bearbeiten, sondern im Sinne der Gesichtswahrung und der an vielen Stellen beobachtbaren Symmetriewahrung ist sie vielmehr darum bemüht, das Negative abzuschwächen und die Beurteilung der Mutter dadurch wieder aufzuwerten. M ratifiziert die Aufwertung durch die Phrase ja aber nur teilweise (Z. 014) und wechselt daraufhin den Fokus wieder auf die fehlende Konzentrationsfähigkeit von Flavio (hier <?page no="202"?> 202 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen nicht mehr abgedruckt). Ihr Vergleich dient also hauptsächlich dazu, Flavios Schwäche durch die eigene Schwäche zu erklären oder gar zu entschuldigen. Da es durch die Bearbeitung ihrer Darlegungshandlungen zu einer Aufwertung der mangelnden Konzentrationsfähigkeit kommt, entsteht hier allgemein die Wirkung einer Abschwächung der kritischen Beurteilung. In beiden Beispielen sehen wir, dass die Eltern eine für sich selbst nachteilige Positionierung vornehmen, indem sie ihr eigenes Dasein als weniger disziplinierten Schüler oder als weniger konzentrierte Schülerin reflektieren. Im ersten Fall wird die Positionierung dafür genutzt, dass der Vater seinen Sohn loben kann, ohne die Gefahr zu laufen, sich dabei selbst zu loben. Im zweiten Fall erklärt die Mutter die Schwäche des Sohnes durch ihre eigene Schwäche und bewirkt dadurch ebenfalls eine Aufwertung des Sohnes. 5.3.2 Lehrpersonen als fehlbare Lernende Einen eher ungewöhnlichen Fall stellt die nachteilige Positionierung von Lehrpersonen als selbst noch Lernende dar. Ungewöhnlich ist dieser Fall deshalb, da die institutionell übergeordnete Funktion der Lehrperson geschwächt wird und entgegen der sonst idealisierten Identitäten eine fehlerhafte Eigenschaft präsentiert wird. Ausserdem tritt dieser Fall in den Daten kaum auf. Im Kontext der vorhin besprochenen Positionierungen überrascht diese Koalitionsbildung dennoch nicht, da - wie auch in den anderen Fällen - ebenfalls eine symmetrieschaffende Wirkung entsteht. Jedoch handelt es sich hier nun um eine Symmetrie zwischen Lehrerin und Schüler. Im Gespräch mit David geht es vor dem nächsten Ausschnitt um die allgemeine Problembestimmung und insbesondere um Davids mangelnde Selbstorganisation. Die Lehrerin schlägt ihm vor, wichtige Unterlagen jeweils zu scannen, da dies bei ihrer eigenen Organisation helfe. In diesem Kontext holt sie länger aus und positioniert sich selbst als ebenso schlecht organisierte Person: # 30 Leute wie Sie und ich (David, SJ12_L5A_LVS, 07: 35-08: 35) 001 L well (.) aso (.) ich mäine (.) sii (.) sii wÜsset ich chrAnk au uf dem geBIET; weil also ich meine Sie Sie wissen ich kranke auch auf diesem Gebiet 002 (.) aso: °h drum, also darum 003 ? (.) h° h° 004 L ähm und (.) me chunnts (.) zum täil (.) es isch en EEwige kchampf, ähm und man bekommt’s zum Teil es ist ein ewiger Kampf <?page no="203"?> 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende 203 005 (.) und es isch aber e KCHAMPF, und es ist aber ein Kampf 006 (.) das säg ich jetz AU, das sage ich jetzt auch 007 °h dä mUess mer FÜEre, den muss man führen 008 °hh will (.) ich chas mir SCHLICHT, weil ich kann’s mir schlicht 009 aso ich mäine mir gaat jo no gnUe SAchen immer schIef; also ich meine mir gehen ja noch genug Sachen immer schief 010 sobald (.) sobald Ich im STRESS bi; =oder, sobald sobald ich im Stress bin oder 011 V [mh_mh; mh 012 L [(.) bricht bi mir (.) das syschtEm (.) KCHONschtant zäme; bricht bei mir das System konstant zusammen 013 das WÜSsed sii, das wissen Sie 014 °hh das bechömmed sii lÄider MIT über, das bekommen Sie leider mit 015 °hh äh: m (.) und trotzdem (.) es isch ! NIT! gUet; ähm und trotzdem es ist nicht gut 016 aso das [das mErkched sii au es isch nit GUET, also das das merken Sie auch es ist nicht gut 017 V [mh, mh 018 L und wenn ich mir nit eso wAAnsinnig MÜE würd gÄÄ; und wenn ich mir nicht so wahnsinnig Mühe geben würde 019 wÄrs e kchataSCHTROfe. wär’s eine Katastrophe 020 (1.0) 021 L oder (.) sO han is (-) würd i säge i Achzg prozÄnt vo de fäll han is im GRIFF, oder so habe ich es würde ich sagen in achtzig Prozent von den Fällen habe ich es im Griff 022 und so (.) zwÄnzg prozÄnt (.) ischs denn halt (-) chaOtisch; = und so zwanzig Prozent ist es dann halt chaotisch <?page no="204"?> 204 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 023 =und es wird (iir) (.) s wird es lÄbestheema BLIIbe; =david- und es wird (ihr) es wird ein Lebensthema bleiben David 024 das gsend sii a MIR, das sehen Sie an mir 025 °hhh und me muss (.) me muss Immer wider neui WÄÄG finde; und man muss man muss immer wieder neue Wege finden 026 aso WEMme säit; also wenn man sagt 027 jO s KCHLAPPT äifach nit; ja es klappt einfach nicht 028 es wird NIE kchlAppe. es wird nie klappen 029 (.) aso (.) das das wird es [THEEma; also das das wird ein Thema 030 V [mh_mh; mh 031 L das ISCH es thEEma; = das ist ein Thema 032 =oder für für lÜt wo die Ordentlichkchäit äfach so HENT, oder für für Leute wo / die diese Ordentlichkeit einfach so haben 033 °hhh (.) ähm- ähm 034 (1.52) 035 L die HENT das und die chÖnnt das so mache; die haben das und die können das so machen 036 und LÜT wie ! SII! und ! ICH! , und Leute wie Sie und ich 037 ! MIR! münd drfür KCHÄMPfe; wir müssen dafür kämpfen Die Lehrerin gibt hier überraschend ausführlich Einblick in ihre Unordnung. Da eine derartige Positionierung als Chaotin, bei der das System in Stresssituationen jeweils zusammenbricht (Z. 009 f., 012), für eine Institutionsvertreterin untypisch ist, drängt sich geradezu die konversationsanalytische Grundfrage Why that now? (vgl. Schegloff & Sacks 1973: 299) auf. Wieso positioniert sich die Lehrerin an dieser Stelle auf diese Art und Weise? Was bezweckt sie damit? Vorerst geht es in der Darstellung der Lehrerin ausschliesslich um ihre eigene Person. Dass es sich um eine negative Selbstbeurteilung der Lehrerin handelt, zeigt sich an unterschiedlichen Stellen. So wählt sie die Formulierung <?page no="205"?> 5.3 Positionierung als (ehemalige) Lernende 205 ich chrAnk au uf dem geBIET (Z. 001), spricht von Dingen, die schief gehen (Z. 009) und von einem System, welches unter Stress zusammenbricht (Z. 012). Schliesslich bewertet sie diese mangelhafte Selbstorganisation mit es isch ! NIT! gUet (Z. 015) und bezeichnet den ewigen Kampf (Z. 004) gegen das noch immer in zwanzig Prozent der Fälle vorhandene Chaos (Z. 022) als ihr Lebensthema (Z. 023). Sie beschreibt also nicht nur ihre mangelhafte Organisation, sondern nimmt auch eine Bewertung der dargestellten Schwächen vor und zeigt sich als ewig Lernende auf dem Gebiet der Selbstorganisation. Von dieser Selbstdarstellung kommt es ab Zeile 023 nun zu einem Perspektivenwechsel, indem die Lehrerin den Fokus, unterstützt durch die namentliche Adressierung, wieder auf den Schüler legt: =und es wird (iir) (.) s wird es lÄbestheema BLIIbe; =david- das gsend sii a MIR, (Z. 023 f.). Hier zeigt die Lehrerin insbesondere durch den Nachsatz, dass ihre Selbstdarstellung eine veranschaulichende Wirkung für David haben sollte. Sie leitet dann auch über zu einer Handlungsanleitung ( °hhh und me muss (.) me muss Immer wider neui WÄÄG finde; , Z. 025), welche durch die generische Verwendung von man nicht nur prospektive Bedeutung für David tragen muss, sondern auch retrospektiv verdeutlicht, wie die Lehrerin selbst als Lernende agieren muss. In Zeile 026 bleibt L vorläufig bei der Verwendung von man , jedoch verweist sie mit der direkten Rede in Zeile 027 auf eine frühere Äusserung von David, was bedeutet, dass man die zweite Person Singular ersetzt und nicht mehr generisch gemeint sein kann. Nach einer kategorialen Gegenüberstellung von ‚ordentlichen versus unordentlichen Leuten’ positioniert nun L sich und den Schüler explizit als Koalition im Kampf gegen die Unordnung: und LÜT wie ! SII! und ! ICH! , ! MIR! münd drfür KCHÄMPfe; (Z. 036 f.). Diese Koalition wird mehrfach verfestigt, indem einerseits eine Gruppenzugehörigkeit ( Leute wie Sie und ich ) und damit eine wir -Identität kreiert wird und andererseits ein gemeinsamer (oder vergleichbarer) Kampf beschrieben wird. Da zuvor auch die Positionierung als ewig Lernende etabliert wird, kann hier von mehrfachen Bemühungen in Richtung einer Symmetrie zwischen Lehrerin und Schüler gesprochen werden. Interessant ist, dass diese aufwändig hervorgebrachte Koalitionsbildung weder ratifiziert noch angefochten wird. An diversen redeübergaberelevanten Stellen im gezeigten Beispiel nimmt der anwesende und angesprochene Schüler keine Stellung zu den Positionierungen. Vom Vater sind ein paar Rezeptionssignale hörbar (Z. 011, 017, 030), die jedoch keinerlei Aufschluss darüber geben, wie er die Darstellung wertet. Im direkten Anschluss an den gezeigten Ausschnitt betont L die Wichtigkeit der Selbstorganisation und erklärt, wie sie bei sich durch das Digitalisieren Ordnung schaffen kann. V setzt nach einer Pause mit aber ein und projiziert damit einen Widerspruch zur Darstellung von L. Er nimmt dann zuerst unabhängig davon eine Problembestimmung vor und leitet <?page no="206"?> 206 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen schliesslich über zum angekündigten Widerspruch, den er darin sieht, dass es sich bei David grundsätzlich um eine Frage der Einstellung handle und damit nicht dasselbe Problem wie bei der Lehrerin vorliege. Auch dort nimmt David erst Stellung dazu, als er explizit danach gefragt wird. Dass sich ein direkter Anschluss an die Positionierungen der Lehrerin als schwierig erweist, kann daran liegen, dass in jedem Fall - also bei Übereistimmung mit L als auch bei Widerspruch - eine Fremdpositionierung der Lehrerin einhergehen würde. Da sie sich selbst negativ positioniert hat und als Institutionsvertretende qua Position gewisse Erwartungen erfüllen muss, ist die Bearbeitung ihrer Positionierungen höchst gesichtsbedrohend und zeigt sich hier als problematisch. So kann hier zwar nachgezeichnet werden, dass die Positionierungen in Bezug auf die Beurteilung des Schülers veranschaulichend wirken und symmetriestiftend sind, jedoch gibt es wenig Möglichkeiten für die Gesprächsbeteiligten, sich im Anschluss in irgendeiner Weise einzubringen. Das Rederecht bleibt dadurch relativ lange bei der Lehrerin, die nach redeübergaberelevanten Stellen und / oder Pausen immer wieder erneut durch Selbstwahl das Wort ergreift. Es handelt sich bei diesem Beispiel, wie angekündigt, um einen Einzelfall und die Analyse zeigt auch, dass eine derartige Koalitionsbildung zur Stiftung von Symmetrien zwischen Lehrperson und Schüler nicht erfolgreich in den Diskurs eingebettet werden kann und die Aufnahme und Bearbeitung der Positionierung weitgehend ausbleibt. Die Etablierung von Symmetrien zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen zeigt, wie Lehrpersonen und Eltern nicht nur idealisierte Identitäten ihrer jeweiligen Institutionen präsentieren, sondern im Beisein der Lernenden auch Selbstpositionierungen vornehmen, die sie selbst als fehlbare Personen darstellen. Diese Positionierungen sind im Zusammenhang mit den Fremdpositionierungen der SchülerInnen und den Beurteilungsaktivitäten zu verstehen. Durch den Bezugsrahmen zum eigenen Lernen wird eine kritische Aussage als glaubwürdig gerahmt oder eine negative Beurteilung wird gemildert, indem die Schwäche durch das Bilden von Koalitionen als eine gängige Eigenschaft dargestellt wird. Im letzten Fall geht die Lehrperson damit sogar das Risiko ein, ihre Rolle als Professionelle durch die negative Selbstbeurteilung zu gefährden. <?page no="207"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 207 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern Kritik an Schule oder Lehrpersonen werden vonseiten der Eltern im vorliegenden Korpus nur selten geäussert - ein Befund, der grundsätzlich zur tendenziell konsensorientierten Grundstruktur der Gespräche passt (vgl. Adelswärd & Nilholm 1998; Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a; 2012b; 2015a). 88 Die drei im Korpus identifizierten Stellen aus den Gesprächen mit Ben ( SJ 4_L3B_ LMVS , ab Minute 35: 11) und mit Flavio ( SJ 6_L6B_ LMVS , zwei Kritikpunkte ab Minute 29: 18 und ab Minute 33: 30) stammen allesamt aus der Phase, in der sich die Lehrpersonen explizit an die Eltern wenden und sich nach offenen Anliegen oder Anmerkungen erkunden. Dabei lassen sich in Bezug auf das Hervorbringen der Kritik sowie die dadurch ausgelösten Positionierungen vergleichbare Strategien erkennen. Diese sollen im Folgenden am Beispiel einer Kritikäusserung im Gespräch mit Flavio illustriert werden: # 31 Koordination unter euch Lehrern (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 29: 18-33: 29) 001 V mII nämti wUnder wie (-) d kOmmunikation und vilicht au d kOOrdination unter euch LEErer isch. mich würde Wunder nehmen / mich würde interessieren wie die Kommunikation und vielleicht auch die Koordination unter euch Lehrern ist 002 in bezUg uf: (.) würd jetz mol sage dr INhalt, in Bezug auf würde jetzt mal sagen den Inhalt 003 und sone bezug uf ABsprooch vo prÜefige. und so ein Bezug auf Absprache von Prüfungen 004 L (-) °h mh_HM, mhm 005 V macht do jEde für sIch individuEll äfacht sis PROgramm, macht da jeder für sich individuell einfach sein Programm 006 nach sim: sim GUSto sag i jetzt emol, nach seinem seinem Gusto sag ich jetzt einmal 007 oder lUegt LUEGT me do bitzli ufenAnder? oder schaut schaut man da bisschen aufeinander 008 °h ha numen e bitzli (.) d erFAArig gmacht dass es; habe nur ein bisschen die Erfahrung gemacht dass es 88 Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch die Forschungssituation im Korpus nur solche Gespräche enthalten sind, bei denen keine gröberen Unstimmigkeiten unter den Gesprächsteilnehmenden zu erwarten waren. Denn durch die notwendige Einwilligung aller Beteiligten kann diesbezüglich eine Verzerrung der Realität entstehen. <?page no="208"?> 208 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 009 °h guet das isch vilicht grad vor: NOtenab[schluss gut das ist vielleicht gerade vor Notenabschluss 010 L [mh_HM, mhm 011 V gsII [vermUetlich; gewesen vermutlich 012 L [ah jÄ das- ah ja das 013 V °h wo: [won ich jetzt find vo dr beLASCHTbarkäit hä: : r- wo wo ich jetzt finde von der Belastbarkeit her 014 S [JO (.) döt bin ich- ja dort bin ich 015 V äh: m die isch jetzt in däre faase äigentlich relativ gUet gsi bi IIM- ähm die ist jetzt in dieser Phase eigentlich relativ gut gewesen bei ihm 016 aber isch sEEr HOCH gsi; aber ist sehr hoch gewesen 017 L seer USgräizt [gsi; (-) han ich AU s gfüül gha [jä, sehr ausgereizt gewesen habe ich auch das Gefühl gehabt ja 018 V [! SEE: : R! usgräizt jÄ; sehr ausgereizt ja 019 V [denn je nachdÄm wemme notüerlich ähm jo s ZIIL het; denn je nachdem wenn man natürlich ähm ja das Ziel hat 020 äifach notüerlich gueti note z mAchen esO; einfach natürlich gute Noten zu machen so 021 L [jä- ja 022 V [°hh (-) äh leggsch denn irgendwie dr fOkus uf e FACH uf e bestImmts vilicht, äh legst du dann irgendwie den Fokus auf ein Fach auf ein bestimmtes vielleicht 023 äh: jA: aso das [wÄr würd mi jetzt no WUNder nää; äh ja also das wäre würde mich jetzt noch Wunder nehmen / würde mich jetzt noch interessieren 024 L [mh; mh <?page no="209"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 209 025 V wie wien iir euch do organiSIEret oder Absprächet; °hh wie wie ihr euch da organisiert oder absprecht 026 L aso mir hän Äigentlich (.) vor allem s KLASsebuech. also wir haben eigentlich vor allem das Klassenbuch 027 (-) 028 V mh[_mh, mh 029 L [wo oisi (.) Aso (-) bi PRÜEfige d absprooch isch. wo / das unsere also bei Prüfungen die Absprache ist 030 bi ANderne sAche gits notüerlich s lEErerzimmer; bei anderen Sachen gibt’s natürlich das Lehrerzimmer 031 wo mer sich [(.) immer wider mol UStusche, wo man / wir sich immer wieder mal austauschen 032 V [jä jä noTÜERlich jä; ja ja natürlich ja 033 L über s verHALte vo de schÜeler; über das Verhalten von den Schülern 034 V mh_HM, mhm 035 L aber bi de prüefige ischs äigentlich s KLASsebuech,= aber bei den Prüfungen ist es eigentlich das Klassenbuch 036 =und dEnne gits halt s proBLEM,= und dann gibt’s halt das Problem 037 =wenn ÄI leerer vergisst die prüefige iizschrIIbe; wenn ein Lehrer vergisst die Prüfungen einzuschreiben 038 (--) 039 S oder [wEnn: : öpper vergisst s KLASsebuech z mitnää; oder wenn jemand vergisst das Klassenbuch mitzunehmen 040 L [denn hämmer es proBLEM oder (xxx), dann haben wir ein Problem oder (xxx) 041 L jo (.) genAu (.) das hämmer (-) denne no GHA? ja genau das haben wir dann noch gehabt 042 (-) 043 L hämmers denne no gha: : : ? haben wir es dann noch gehabt 044 [mir häns glaub GWÄCHSlet denne nochhÄr; wir haben es glaub ich gewechselt dann nachher 045 S [Aso (.) das isch (.) (de)- also das ist (de) <?page no="210"?> 210 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 046 ÖPper het ähm hÜt im mathematIkunterricht; jemand hat ähm heute im Mathematikunterricht 047 müesse °h zum: däm kranke GO, zum dem Kranken gehen müssen 048 und: s KLASsebuech go hole; = und das Klassenbuch holen gehen 049 =wäil °h dr LUca wo s KLASsebuech jo bsitzt; weil der Luca wo / der das Klassenbuch ja besitzt 050 isch jo KRANK gsi; ist ja krank gewesen 051 °h und KÄIne hets ähm- und keiner hat’s ähm 052 °h und denn het dr herr narayan IRgend[öpper, und dann hat der Herr Narayan irgendjemand 053 L [mh_HM, mhm 054 °h das han ich ebe nid GWÜSST dass me das eso [mAcht, das habe ich eben nicht gewusst dass man das so macht 055 M [mh_mh, mh 056 L (-) das hätt ich mi jetzt nit getrAUt öpper HÄI z schicke; das hätte ich mich jetzt nicht getraut jemanden heimzuschicken 057 aber anschiinend- aber anscheinend 058 M °h s isch ebe DÖT, es ist eben dort 059 (.) das wo mIr mäine isch isch (.) isch wirklich grad e hEwi WUche gsi; das wo wir meinen ist ist ist wirklich gerade eine heavy Woche gewesen 060 wo grad ähm [(--) BUECHvortrag gsi isch und; °h wo gerade ähm Buchvortrag gewesen ist und 061 L [ich glaub ich wäiss welli sii MÄIne; =jä, ich glaub ich weiss welche Sie meinen ja 062 M döt ischs aber nit [Allne GLIICH gange will- dort ist es aber nicht allen gleich gegangen weil 063 L [AH: : : : : ; ah <?page no="211"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 211 064 L [(notüerlich) (natürlich) 065 S [well (.) es isch es- weil es ist es 066 M iir sin dÖf ich no saage iir [sin sii sin GLÖÖSlet worde. ihr seid darf ich noch sagen ihr seid sie sind ausgelost worden 067 L [heh (---) jä- heh ja 068 M °h und in dr glIIche wUche het er grad no dr BIOvortrag ghA, und in der gleichen Woche hat er gerade noch den Bio(logie)vortrag gehabt 069 in dr glIIche [wuche °h e gEograFIItescht, in der gleichen Woche ein Geografietest 070 L [jä- ja 071 M wo sii irgendwie (für) ! SÄCH! zää SIte; wo sie irgendwie (für) sechzehn Seiten 072 (.) hän müesse IIneBIIge; haben hinein beigen / aufhäufen / auswendig lernen müssen 073 (-) Innerhalb vonere WUche? innerhalb von einer Woche 074 [plus die bäide VORträg? plus die beiden Vorträge 075 S [Irgendwie (.) Irgendwie hämmer (.) äinezwanzig BÄÄRge? irgendwie irgendwie haben wir einundzwanzig Berge 076 [und sächzää PÄSS? ] und sechzehn Pässe 077 M [bÄÄrge und PÄSS, ] Berge und Pässe 078 und alli hÖhemeter müesse WÜSse- und alle Höhenmeter wissen müssen 079 °h e MAthe[tescht, ein Mathe(matik)test 080 L [aso- also 081 L [jä, ja 082 M [sch öppe fÜnf SAche in däre wUche gsi; ist etwa fünf Sachen in dieser Woche gewesen <?page no="212"?> 212 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 083 aber °h das isch jetz bi ! IIM! so [gsi, aber das ist jetzt bei ihm so gewesen 084 L [mh_hm, mhm 085 M wäil är (-) für bUechvortrag und bIovortrag äfach bäides [mol so GLÖÖSlet het; ] weil er für Buchvortrag und Bio(logie)vortrag einfach beide Male so gelost hat 086 S [well ich ha am MÄNtig] dr buechvortrag gha, weil ich habe am Montag den Buchvortrag gehabt 087 und am zischtig BIovortrag; = und am Dienstag Bio(logie)vortrag 088 L =[bim BIovortrag- beim Bio(logie)vortrag 089 S [und am MÄNtig han i no; und am Montag habe ich noch 090 L händ iir nIt chönne WEEle; habt ihr nicht wählen können 091 (-) 092 M mhʔmh, mh mh 093 (1.12) 094 L ich ha [das ich ich has eSO aso, ich habe das ich ich habe es so also 095 M [aso ich WÄISS es (nit/ jetz), also ich weiss es (nicht/ jetzt) 096 L °h (--) mIr het dr herr narayan gsäit sii hätte chön hän chönne WEEle, mir hat der Herr Narayan gesagt sie hätten könn haben wählen können 097 [und hÄn denn aber mini date scho GWÜSST [gha, und haben dann aber meine Daten schon gewusst gehabt 098 V [(ich wäiss es) (ich weiss es) 099 S [ich: - ich 100 (-) 101 M wobii das würd PASse dass sii äfach no so; = wobei das würde passen dass sie einfach noch so <?page no="213"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 213 102 L =dass ers vilicht nit [nüm gme GMERKT het, dass er’s vielleicht nicht nicht mehr ge gemerkt hat 103 M [jo: - ja 104 S [ich (-) (ha)ich (habe) 105 L [will bi ANderne schüeler han ich mi denn ebe gfrOgt, weil bei anderen Schülern habe ich mich dann eben gefragt 106 okee worum hän sii das denn eSO, okay warum haben sie das denn so 107 (--) 108 M mh (.) und das isch [HEF [tig (gsi); mh und das ist heftig (gewesen) 109 L [aso [es isch glaub also es ist glaub ich 110 S [Aso (ähm)- also (ähm) 111 L nämlich scho wirklich bi Anderne schüeler AU es problEm gsi; nämlich schon wirklich bei anderen Schülern auch ein Problem gewesen 112 M [döt isch er WIRKlich- dort ist er wirklich 113 S [aso Ich ka mi au <<lachend> (zimli) erINnere> [dass es, also ich kann mich auch (ziemlich) erinnern dass es 114 L [jä- ja 115 M (-) döt isch er am AA aso wirklich, dort ist er am A also wirklich 116 L jä; ja 117 V °h jO ich dänk äfach das wär vilicht irgendwie e gwüsses potenZIAL, ja ich denke einfach das wäre vielleicht irgendwie ein gewisses Potenzial 118 [wo me chönnt saage oKEE; wo man sagen könnte okay 119 L [jO: das stimmt noTÜERlich; ja das stimmt natürlich 120 V °h im sinn au vom vom LERNerfolg; im Sinne auch vom vom Lernerfolg <?page no="214"?> 214 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 121 und [vilicht au vom vom ähm (.) °h positiven erLÄBnis; und vielleicht auch vom vom ähm positiven Erlebnis 122 L [jä- ja 123 V [für für die CHINder. für für die Kinder 124 L [mh- mh 125 V dass es ähm (.) oder me vi! LICHT! wenn das mö- dass es ähm oder man vielleicht wenn das mö 126 L [JO, ja 127 V [wenn das überHAUPT; wenn das überhaupt 128 wenn das (-) dr LEERstoff und dr LEER[plan zuelosst notüerlich. wenn das der Lehrstoff und der Lehrplan zulässt natürlich 129 L [mh_mh, mh 130 L °h aso ich dänk so UNterem semeschter isch es mäischtens- also ich denke so unter dem Semester ist es meistens 131 (--) 132 M guet ver[TÄILT; gut verteilt 133 L [! SEER! guet mAch[bar; sehr gut machbar 134 M [mh- mh 135 L und ich bi do au immer wieder GWILLT prüe[fige (.) z verschIebe, und ich bin da auch immer wieder gewillt Prüfungen zu verschieben 136 V [jä, ja 137 L um e wUche: vor oder [mäischtens notüerlich denn NOCH, um eine Woche vor oder meistens natürlich dann nach 138 V [mh_mh, mh 139 L °hh aber bim NOtenabschluss ischs denn halt ebe scho so, aber beim Notenabschluss ist es dann halt eben schon so <?page no="215"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 215 140 han ich ebe (.) dAs isch vilicht au würklech chli MI bock gsi; habe ich eben das ist vielleicht auch wirklich bisschen mein Bock/ Fehler gewesen 141 muess i sääge; muss ich sagen 142 will letscht seMESCHter, weil letztes Semester 143 mir si ! LENG! semer vorwärts cho als ich [DÄNKT hätt, wir sind langsamer vorwärts gekommen als ich gedacht hätte 144 M [mh_mh, mh 145 L und denn han ich no müesse PRÜEfige ha, und dann habe ich noch Prüfungen haben müssen 146 M mh_hm; = mhm 147 L =NOten oder, Noten oder 148 [damit me überhaupt cha d note °h [fescht °h (.) [HALte. damit man überhaupt die Noten festhalten kann 149 V [so händ iirs müessen IInedrucke ah mh jäjä, so habt ihr es hineindrücken müssen ah mh ja ja 150 M [jäjä noTÜERlich, ja ja natürlich 151 S [wobii wobei 152 das isch äigentlich bi ALLne fächer gsi; °h das ist eigentlich bei allen Fächern gewesen 153 [denn sin bi ALLne <<lachend> fächer [alli; > dann sind bei allen Fächern alle 154 L [jo EBE; ja eben 155 M [hehe hehe hehe hehe 156 V [jä_ä; ja 157 L [aber wenn notüerlich denn ALli leerer prüefige mache; aber wenn natürlich dann alle Lehrer Prüfungen machen 158 V [es isch äfach dur s isch (-) jä_ä; es ist einfach dur es ist ja <?page no="216"?> 216 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen 159 L das kas [notüerlich denn nit SII, das kann’s natürlich dann nicht sein 160 V [es isch äfacht UFfällig gsi; es ist einfach auffällig gewesen 161 [sag mers mol eSO jetzt; sagen wir’s mal so jetzt 162 L [jä (-) °h und ich hätt MÜEsse; ja und ich hätte müssen 163 wenn ich MEE note zum bispiil gmacht hätt scho wäärend em semEschter; wenn ich mehr Noten zum Beispiel gemacht hätte schon während dem Semester 164 denn hätte mir die note gar nüm BRUUCHT; dann hätten wir diese Note gar nicht mehr gebraucht 165 M mh_mh; mh 166 L SO. so 167 und dasch jetzt äigentlich scho AU chli mis ZIIL, und das ist jetzt eigentlich schon auch bisschen mein Ziel 168 dass mer das jetzt (--) so chli AAstrebe fürs nöchschte semEschter. dass wir das jetzt so bisschen anstreben fürs nächste Semester 169 aso ich hoff dass das KLAPPT, also ich hoffe dass das klappt 170 aber s isch halt au SCHWIIrig, aber es ist halt auch schwierig 171 ebe wemmir [je nachdäm wie LANGsam dass me- eben wenn wir je nachdem wie langsam dass man 172 M [mh- mh 173 L oder SCHNÄLL dass me VORwärts [chunnt, oder schnell dass man vorwärts kommt 174 M [jo isch KLAR- ja ist klar 175 (-) 176 L denn PRÜEfig mache wemme fasch käi stOff het, dann Prüfung machen wenn man fast keinen Stoff hat <?page no="217"?> 5.4 Positionierungen bei Kritikäusserungen vonseiten der Eltern 217 177 das isch denn; das ist dann 178 (.) aso cha me scho au mache noTÜERlich (e kurztescht); also kann man schon auch machen natürlich (ein Kurztest) Die Sequenz wird vom Vater durch eine an die Lehrerin gerichtete Frage eröffnet, die mit dem Helvetismus mich würde Wunder nehmen wie (steht für mich würde interessieren wie… oder ich möchte wissen wie… ) in Zeile 001 eingeleitet und später in Zeile 023 leicht umformuliert erneut verwendet wird. Mit dieser wie- Frage verwendet der Vater zunächst ein Frageformat, welches mehrere Anschlussaktivitäten zulässt und auf der sprachlichen Oberfläche auf Informationen zu den erfragten Umständen abzielt. Wenn allerdings der weitere Verlauf betrachtet wird, zeigt sich, dass die Frage als Vorlaufelement einer Kritikäusserung dient. Nach Konkretisierungen in den Zeilen 005-007 begründet V nämlich seine Frage mit dem eigentlich zu kritisierenden Punkt: die zu hohe Belastung der SchülerInnen vor Notenabschluss. Der Wechsel von der informationserfragenden zur kritisierenden Sequenz ist geprägt von Verzögerungen, Abschwächungen (z. B. durch den Einschub °h guet das isch vilicht grad vor: NOtenabschluss gsII vermUetlich; , Z. 009, 011) und Heckenausdrücken (z. B. bisschen, vielleicht ). Im Zusammenhang ihrer Untersuchung von Vorwurfsaktivitäten konstatiert Günthner (2000b: 111 ff., 152), dass aufgrund des gesichtsbedrohenden Charakters von negativen Evaluierungen vielfach auf Indirektheitsstrategien zurückgegriffen wird. Dazu zählt sie auch Frageformate, die an der sprachlichen Oberfläche zunächst vom Gegenüber Informationen erfragen, die jedoch gleichzeitig im Sinne von Goffman (1972) als „Veranlassungshandlungen“ (Günthner 2000b: 111 f.) verstanden werden können. Denn die Frage ermöglicht dem Gegenüber, sich korrigierend zum erfragten Umstand zu positionieren, ohne dass dies offensichtlich als dispräferierte Fremdkorrektur ersichtlich wäre. Brown und Levinson (1978: 216) beschreiben solche indirekten Frageformate als „off-record“-Strategien, die nicht nur eine Interpretation zulassen und dadurch als Ressource zur Durchführung gesichtsbedrohender Handlungen betrachtet werden können. Indirekt sind Frageformate bei Vorwürfen nämlich auch deshalb, da sich die fragende Person nicht zu sehr als vorwerfende Person exponieren muss und im Zweifelsfall noch nachträglich eine allenfalls als Vorwurf verstandene Frage dementieren kann (vgl. Günthner 2000b: 112). Interessant ist nun die Bearbeitung des indirekten Vorwurfes durch die Lehrerin: Sie bearbeitet vorerst die Frage nicht als Vorwurf oder als rhetorische Frage, sondern nennt das Klassenbuch als Grundlage der Absprache bezüglich Prüfungstermine und liefert damit die Information, auf die die Frage von V <?page no="218"?> 218 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen abzielte (Z. 026-035). Dann räumt sie Mängel dieses Systems ein: Manchmal vergessen Lehrpersonen, die Termine einzutragen (Z. 036 f., 040). Flavio fügt in derselben wenn -Satzstruktur die Ergänzung an, dass auch SchülerInnen das Klassenbuch vergessen können (Z. 039) und baut in einer kleinen Erzählung weiter aus, dass das Klassenbuch an diesem Tag bei einem kranken Schüler zu Hause war und der Mathematiklehrer dann offenbar jemanden zu dem heimgeschickt habe, um das Klassenbuch zu holen (Z. 045-052). Diese Erzählung bewirkt eine kurzzeitige Fokusverschiebung, denn L zeigt sich über diese Praktik erstaunt und macht deutlich, dass ihr diese Lösungsstrategie nicht bekannt war (Z. 054, 056). Dass alleine die Organisation des Klassenbuchs nicht die Lösung des von V angesprochenen Problems ist, zeigt die Refokussierung durch M ab Zeile 058. Sie liefert nun weitere Details zur kritisierten Überbelastung von S, indem sie Prüfungen und Vorträge aufzählt und beschreibt (Z. 060, 066, 068-069, 071-074, 077-079, 082-085) und sie wird dabei teilweise von S redebegleitend unterstützt. Während V zwar die Frage zu Beginn der Sequenz als persönliche Frage in der ersten Person Singular formulierte, zeigt sich hier einerseits durch die Verwendung von wir ( das wo mIr mäine isch isch (.) isch wirklich grad e hEwi WUche gsi; , Z. 059) sowie andererseits durch die vielen gegenseitigen Ergänzungen von allen Familienmitgliedern, dass die Kritik von allen getragen und gemeinsam hervorgebracht wird. Die Familie als Einheit wird dabei auch durch kollektives Sprechen gestärkt (z. B. in Z. 075-077). M relativiert den nun durch das Aufzählen von Prüfungen stärker akzentuierten Vorwurf immer wieder, indem sie die Häufung von Prüfungen und Vorträgen bei S als ungünstigen Einzelfall darstellt, da er durch das Losverfahren ungleich mehr belastet gewesen sei (Z. 062, 066, 083, 085). Diese Relativierungen haben abschwächenden Charakter und dienen damit der Gesichtswahrung von L. Diese wiederum macht nun Gebrauch von der Strategie der Selbstkorrektur, als sie zuerst in Form einer Frage (Z. 090) und berichtigend anmerkt, dass S die Vortragstermine hätte frei wählen können (Z. 096 f.). Es folgt dann eine konsensuell geführte Aushandlung darüber, dass S vielleicht die Termine nicht mehr wusste und somit selbst die Überbelastung provoziert haben könnte. Alle sind sich darüber einig, dass die Belastung hoch war (Z. 108-116) und schliesslich resümiert V, dass er in Bezug auf Lernerfolg und positive Erlebnisse für die Kinder vilicht irgendwie e gwüsses potenZIAL (Z. 117) sieht. Er schwächt diesen Verbesserungsvorschlag umgehend durch perspektivierende Relativierungen ab: dass es ähm (.) oder me vi! LICHT! wenn das mö- wenn das überHAUPT; wenn das (-) dr LEERstoff und dr LEERplan zuelosst notüerlich. (Z. 125, 127 f.). L zeigt sich in Bezug auf die bessere Verteilung der Belastung unter dem Semester optimistisch (Z. 130, 133), problematisiert aller- <?page no="219"?> 5.5 Zusammenfassung 219 dings die Zeit vor Notenabschluss. Sie führt dann auch ihr eigenes mangelhaftes Zeitmanagement an (Z. 139-143, 145, 147 f., 162-164), was jedoch durch S (Z. 151-153) und V (Z. 160) als Mangel aufseiten aller Lehrpersonen identifiziert wird. L verspricht, sich die bessere Verteilung von Prüfungen zum Ziel zu setzen (Z. 167-169), führt aber gleich als Abschwächung unkontrollierbare Faktoren an (Z. 170 f., 173, 176-178) und übernimmt dadurch nur eine Teilverantwortung über die beanstandete Prüfungssituation. M bekundet ihr Verständnis für die nicht vollständig lösbare Problematik (Z. 174). Die sequenzielle Analyse zeigt, wie die Beteiligten gemeinsam durch verschiedene (abschwächende) Praktiken eine wohlwollende Situation gestalten, in der Kritik angebracht und bearbeitet werden kann. V beginnt mit einer Frage, die er dann begründet und wodurch er die eigentliche Kritik erst anbringt. M und S steigen mit weiteren Ausführungen über die problematische Situation ein und präzisieren sowie verstärken damit die Kritik. V beendet die Kritik durch das Aufzeigen von Potenzial und eines Verbesserungsvorschlags, den er abgeschwächt hervorbringt. L reagiert jeweils sachlich in Bezug auf die Fragen, zeigt Verständnis für die Kritik, macht Eingeständnisse bezüglich ihrer eigenen Fehlplanung und verweist aber auch einerseits auf Flavios verpasste Chance der Terminwahl bei Vorträgen sowie andererseits auf die teilweise unumgehbare Verdichtung von Prüfungen zum Semesterende. Auch die Eltern zeigen sich verständnisvoll für die Situation. Durch die gegenseitigen Empathiebekundungen wirken alle deeskalierend auf die Situation ein und die Kritik wird gesichtsschonend hervorgebracht und bearbeitet. 5.5 Zusammenfassung In den vorliegenden Daten kann tendenziell ein Streben nach Symmetrie ausgemacht werden, was mit der in der Forschungsliteratur identifizierten konsensorientierten Gesprächshaltung in Beurteilungsgesprächen (vgl. Adelswärd & Nilholm 1998; Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a; 2012b; 2015a) eng zusammenhängt. Konkret bedeutet dies, dass von Lehrpersonen Handlungen vollzogen werden, die eine Angleichung an die Identitäten der Eltern und SchülerInnen bewirken und umgekehrt finden sich von Eltern Positionierungen als Expertinnen und Experten für die Schule und für die Erziehung (vgl. auch Korn 2013: 80; Zorbach-Korn 2015: 171 zur „Nivellierung der Rollenhierarchie“). Dadurch wird das Beurteilungsgespräch als inter-institutionelles Gespräch etabliert (vgl. Baker & Keogh 1995; Kotthoff 2012a). Allerdings handelt es sich keineswegs um festgefahrene Rollen, sondern es lässt sich häufig ein interaktives Oszillieren zwischen einem asymmetrischen <?page no="220"?> 220 5 Positionierungsaktivitäten und soziale Rollen und symmetrischen Rollengefüge ausmachen. Das Handeln der Interagierenden lässt sich dadurch nicht komplementären Rollen zuweisen, sondern es finden sich widersprüchliche und wechselnde Positionierungen, die den unterschiedlichen Ansprüchen in diesem Gesprächstyp Ausdruck verleihen. Auch Ackermann (2014: 50 ff.) kommt in ihrer Studie zu lehrpersonenseitigen Positionierungen zum Ergebnis, dass zwar eine Unterscheidung zwischen Selbststilisierungen als ExpertIn und als empathische Lehrperson auszumachen sei, dass die Identitäten aber jeweils lokal entstehen und wechseln können. Die Analysen zeigen wie Selbst- und Fremdpositionierungen als (Ko-)Lehrpersonen oder als Eltern bzw. Erziehende das gegenseitige Zuschreiben von Kompetenzen ermöglichen und dadurch Symmetrien schaffen. Bei Selbstpositionierungen von Erwachsenen als noch Lernende oder als ehemalige Lernende zeigt sich zudem, wie Lehrpersonen und Eltern nicht nur idealisierte Identitäten ihrer jeweiligen Institutionen präsentieren, sondern im Beisein der Kinder auch gerade entgegengesetzte Positionierungen vornehmen können, die sie als fehlbare Personen darstellen. Dies lässt sich durch die Anwesenheit der SchülerInnen sowie die damit verbundenen Fremdpositionierungen und Beurteilungspraktiken erklären. So kann die Gegenüberstellung von Stärken oder Schwächen der SchülerInnen mit den eigenen (ehemaligen) Eigenschaften die Glaubwürdigkeit der Kritik bzw. des Lobes verstärken. Und schliesslich zeigt sich auch bei elternseitigen Kritikäusserung, dass die wechselseitigen Positionierungen zu einer konsensorientieren Gesprächsdefinition beitragen. <?page no="221"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 221 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung „du muesch o öppis drzue SÄge; MARC,“ (Mutter an Sohn in Beispiel # 43) Wenn sich Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen zu einem Beurteilungsgespräch zusammensetzen, hat die triadische Gesprächskonstellation einen nachweisbaren Einfluss auf die Gesprächsstrukturierung. Bei den zwölf Gesprächen, an denen die SchülerInnen teilnehmen, zeigt sich deren Anwesenheit in Bezug auf das Recipient Design für die Gesprächsbeteiligten als unmittelbar relevant, denn sie müssen ihre Äusserungen nicht nur auf eine Person zuschneiden, sondern sich gleichzeitig an verschiedenen Rezipierenden mit unterschiedlichem Wissensstand orientieren. Auch stellt sich für alle Anwesenden laufend die Frage nach dem aktuellen Beteiligungsstatus. Der Fokus liegt im Folgenden darauf, wie die Beteiligten in das Interaktionsgeschehen einbezogen werden. Dabei interessiert auch, wer steuernd auf die Gesprächsorganisation einwirkt und inwiefern die anwesenden SchülerInnen thematische Gestaltungsmöglichkeiten erhalten und auch nutzen können. Für dieses Kapitel werden diejenigen Gespräche beachtet, bei denen die SchülerInnen ebenfalls anwesend sind, was zwölf der vierzehn Gespräche aus dem Korpus betrifft. In einem ersten Teil (Kap. 6.1) geht es um Beteiligungsstrukturen bei expliziter Adressierung. Dann werden die auffälligen Formen der impliziten und wechselnden Adressierung thematisiert (Kap. 6.2) und es folgt abschliessend ein Resümee der Ergebnisse (Kap. 6.3). 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung Während in dyadischer Interaktion die Sprecherwechsel meist reibungslos verlaufen und das Gegenüber auch ohne explizite Adressierung als eindeutige Rezipientin bzw. als eindeutigen Rezipienten identifiziert werden kann, bedarf es in der Mehrparteieninteraktion zusätzlicher Hinweise. Hierbei kommt der Adressierung eine besondere Bedeutung zu, da dadurch die Rederechte mitorganisiert werden. Auf Basis der verbalen Daten lässt sich in der Regel anhand <?page no="222"?> 222 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung der Pronomen Sie und du die adressierte Person ausmachen und eine genaue Untersuchung der gewählten Pronomen gibt dadurch Aufschluss über Adressierungsverfahren. 89 Weiter nennen die Beteiligten die adressierten Personen teilweise beim Namen, womit explizit eine Anwesende als nächste Sprecherin oder zumindest als intendierte Rezipientin der Äusserung ausgewählt wird. Insbesondere wenn es sich um eine namentlich adressierte Frage handelt, wird eine hohe konditionelle Relevanz für eine Antwort der adressierten Person hergestellt (vgl. Lerner 2003). Im Folgenden werden nun solche Stellen betrachtet, die auf verbaler Ebene deutliche Hinweise in Bezug auf die Adressierung liefern. In Kapitel 6.1.1 gehe ich der Frage nach, wie SchülerInnen als Gesprächsteilnehmende oder als Gesprächsobjekt positioniert werden. In den Gesprächen werden die SchülerInnen überwiegend als primär Adressierte angesprochen. Dennoch kommt es in spezifischen Kontexten zu Redeübernahmen durch die Eltern. Dies steht im Fokus von Kapitel 6.1.2. 6.1.1 Schülerinnen und Schüler in der Rolle als Gesprächsteilnehmende oder als Gesprächsobjekt In diversen Studien zu pädiatrischen Sprechstunden und Familientherapien mit der Gesprächskonstellation Institutionsvertretende - Eltern - Kind wird die zurückhaltende Beteiligung des Kindes problematisiert (vgl. z. B. Aronsson 1991; 1998; Clemente 2009; Clemente, Lee & Heritage 2008; Hutchby 2012; Hutchby & O’Reilly 2010; Schwabe 2006; Stivers 2001; Stivers & Robinson 2006; Tates et al. 2002). Zum einen wird gezeigt, wie Eltern den Kindern das Rederecht absprechen und sie interaktiv als inkompetente Gesprächsbeteiligte positionieren. Zum anderen kann die Art und Weise der Rederechtszuweisung die Beteiligung der Kinder begünstigen oder eingrenzen, beispielsweise durch unterschiedliche Frageformate. Im Folgenden wird diskutiert, welche unterschiedlichen Ausprägungen von Beteiligungsstrukturen in den Gesprächen vorkommen und insbesondere welche Rolle dabei den anwesenden SchülerInnen zukommt. 89 Eine Ausnahme gibt es bei der Anrede im Gespräch mit David, der das zwölfte Schuljahr besucht und der von der Lehrerin zwar mit dem Vornamen angesprochen, aber gesiezt wird. Dies ist bei weiterführenden Schulen ab dem 10. Schuljahr so in der Schweiz üblich. <?page no="223"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 223 SchülerIn im Fokus interaktiver Ausrichtung Wenn SchülerInnen als primär Adressierte positioniert werden, bewirkt diese Ausrichtung in den verschiedenen Gesprächen und Gesprächskontexten eine unterschiedlich hohe Beteiligung der Adressierten. Teilweise mag dies mit dem Alter der Kinder und Jugendlichen zusammenhängen (vgl. auch Clemente 2009: 873; Stivers 2001: 266 ff.). So finden sich bei den jüngeren SchülerInnen Formulierungs- und Positionierungsschwierigkeiten, die bei Jugendlichen nicht in demselben Masse auftreten. Um jedoch den Einfluss des Alters systematisch zu untersuchen, wäre ein grösseres Korpus nötig. Abgesehen von dem potenziellen Einflussfaktor des Alters zeigt sich aber durchgängig die Gesprächskonstellation als Einwirkung auf die Beteiligung der SchülerInnen. Die Betrachtung der lokalen Kontexte ermöglicht dabei eine Analyse des Zustandekommens interaktiver Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Gesprächen mit den Eltern und den Lehrpersonen. Die folgenden beiden Beispiele # 32 und # 33 stammen aus zwei Gesprächen derselben Lehrerin und enthalten jeweils eine vergleichbar organisierte Einstiegssequenz. Die Lehrerin wendet sich an den Schüler (in # 32 an Flavio und in # 33 an Jonas) und fordert ihn auf, sich zu bestimmten Begriffen zu äussern. Die Adressierung erfolgt durch die Verwendung des Anredepronomens du , mit welchem die Lehrerin in diesem Gesprächssetting eindeutig auf den anwesenden Schüler referiert: # 32 Selbstständigkeit (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 00: 45-02: 48) 90 001 L GUET Also; gut also 002 ((schnalzt)) WÄISCH du scho was du muesch mAche; weisst du schon was du machen musst 003 mit dene beGRIFF; mit diesen Begriffen 004 S äh: : m NÄʔäh? h° ähm nein 005 L du muesch se (.) °h zerscht nochär denn mol DUrelääse? du musst sie zuerst nachher dann mal durchlesen 006 und wennd se DUreglääse hEsch; und wenn du sie durchgelesen hast 007 °hh chasch du drEi vIer USwääle? kannst du drei vier auswählen 90 Vgl. Bsp. # 4, wo die ersten 12 Zeilen bereits unter anderer Perspektive besprochen werden. <?page no="224"?> 224 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 008 wo du GÄRN no öppis wü (.) drzue würdsch sÄÄge; wo du gerne etwas wü dazu sagen würdest 009 wo dir grad WICHtig isch, wo / das dir gerade wichtig ist 010 (--) du chasch au sache zämme kombiNIEre? du kannst auch Sachen zusammen kombinieren 011 (-) °h wo du findsch das PASST grad zämme. wo du findest das passt gerade zusammen 012 S Oke; okay 013 oKEE also ähm; okay also ähm 014 (1.5) 015 L <<p> zerscht äfach mol LÄÄse,> zuerst einfach mal lesen 016 (7.84) 017 M °h <<p> has GWÜSST; > habe es gewusst 018 L <<lachend> hm hm hm hm hm hm> °h hm hm hm hm hm hm 019 S heh hh° heh 020 (--) 021 ? °h 022 ((teilweise raschelndes Papier, 12.53 Sek.)) 023 S °h Also ähm (.) ich ha jetz do also zwäi wo so ZÄMme ghÖre? also ähm ich habe jetzt da / hier also zwei wo / die so zusammen gehören 024 L mh_hm [(.) guet, mhm gut 025 S [also bi de HUSufgoobe? also bei den Hausaufgaben 026 s ÄInte isch dass mini eltre äifach immer WÜSse, das eine ist dass meine Eltern einfach immer wissen 027 dass ich HUSufgoobe mAch, dass ich Hausaufgaben mache 028 und ich das au SÄLBständig mAche dUe? und ich das auch selbstständig machen tue <?page no="225"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 225 029 °hh und dass sii mi gar nit FROOge müend- und dass sie mich gar nicht fragen müssen 030 h° aso besser gsäit SAAge müend, also besser gesagt sagen müssen 031 dass ich HUSufgoobe mache sÖtt? dass ich Hausaufgaben machen sollte 032 °hh und bi de HUSufgoobe, und bei den Hausaufgaben 033 das klingt jetz vi bitz NÖRDmässig,=aber, das klingt jetzt vi bisschen nerdmässig aber 034 [((Lachen im Hintergrund)) 035 S [Ich FIND aso (.) mir händ im gEgesatz zu de erschte bis fÜnfte klass, ich finde also wir haben im Gegensatz zu der ersten bis fünften Klasse 036 ! WE! niger husufgoobe ka. weniger Hausaufgaben gehabt 037 aso (.) JETZT hämmer wEniger hUsufgoobe als [in dr erschte bis fÜnfte klass; also jetzt haben wir weniger Hausaufgaben als in der ersten bis fünften Klasse 038 L [als DENN, als dann 039 S jä (.) find ICH (.) jä, ja finde ich ja 040 (-) 041 L jo GUET? ja gut 042 (.) <<: -)> de chan i dÄm fall no chli UFdrülle,>=nänäi. dann kann ich in dem Fall noch bisschen aufdrehen nein 043 S dEnne bi de st aso bi prüefig und STERke han ich zämme do, dann bei den St also bei Prüfung und Stärken habe ich zusammen getan 044 dass i ähm °h dass ich mi immer seer guet VOR, dass ich ähm dass ich mich immer sehr gut vor 045 dass es e STERki isch für mi; dass es eine Stärke ist für mich 046 dass ich mi immer seer guet VORberäit, °h dass ich mich immer sehr gut vorbereite <?page no="226"?> 226 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 047 L mh[_hm, mhm 048 S [für d PRÜEfige und (.) jo (.) so; für die Prüfungen und ja so 049 (1.23) 050 L han i AU s gfüül jä, habe ich auch das Gefühl ja 051 (.) 052 S mh- mh 053 (--) 054 L aso das HÄISST, also das heisst 055 (.) das chÖnnt me do äigentlich no drZUE due; =oder, das könnte man da eigentlich noch dazu tun oder 056 [d SÄLBständigkäit. die Selbstständigkeit 057 [((jemand räuspert sich)) 058 L du düsch SÄLB[ständig (.) hUsi mache, du tust selbstständig Hausaufgaben machen 059 S [ah jo (genau); ah ja (genau) 060 L und sÄlbständig dI VORbereite uf prÜefige, und selbstständig dich vorbereiten auf Prüfungen 061 (--) 062 L und dorum [funktioNIERT das au seer guet. und darum funktioniert das auch sehr gut 063 V [(xxxxxx) 064 S mh (.) oKEE. mh okay 065 (-) 066 L das glaub ich AU. das glaube ich auch L fragt in Zeile 002 nach eventuellen Wissensbeständen von S und formuliert dann ab Zeile 005 die Einstiegsaufgabe als neue Information. Sie richtet sich durch die Nachfrage zu Beginn im Sinne einer Design-Aktivität optimal an S aus und projiziert durch ihre Frage eine folgende Erklärung. Diese beinhaltet eine schrittweise Abfolge von Aufforderungen an S, der auf Basis vorgelegter Begriffsimpulse sagen soll, was ihm wichtig ist. L steuert hier grundsätzlich die <?page no="227"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 227 Gesprächsorganisation, indem sie S das Rederecht erteilt und von ihm eine Einschätzung zu Begriffen einfordert. Während zwar die impulsgebenden Begriffe thematisch einschränken, wird doch diese steuernde Wirkung durch die offene Formulierung der Redeaufforderung relativiert. So kann S einerseits selber die Begriffe auswählen, zu denen er etwas sagen möchte und andererseits kann er irgendetwas dazu sagen, was ihm gerade wichtig ist ( wo du GÄRN no öppis wü (.) drzue würdsch sÄÄge; wo dir grad WICHtig isch, , Z. 008 f.). Es wird also nach einer spontanen Äusserung bzw. Einschätzung gefragt. In Zeile 013 setzt S bereits antwortend an, wird dann jedoch von L auf den ersten Schritt, das Lesen der Begriffe, hingewiesen. Ihm wird in der Folge sehr viel Zeit für seine Überlegungen gelassen und zugestanden (insgesamt über 20 Sekunden, Z. 016-022). In Zeile 023 kündigt S an, dass er nun ein Begriffspaar habe und beginnt strukturiert dazu Stellung zu nehmen ( s ÄInte isch… , Z. 026). S führt detailliert aus, wie er zu Hause selbstständig Hausaufgaben erledigt und zeigt, dass er mit schulischen Kriterien vertraut ist. Interessant ist nun, wie S ab Zeile 032 eine Nebensequenz mit einer eigenen kritischen Bemerkung einführt. Er setzt die Kritik deutlich ab und markiert sie als eigene Einschätzung ( Ich FIND aso , Z. 035 und später: find ICH , Z. 039). Seine Einschätzung, nämlich dass sie in der Klasse nur wenige Hausaufgaben haben, lässt sich v. a. durch den Einschub das klingt jetz vi bitz NÖRDmässig (Z. 033) als indirekte Kritik lesen. Durch die Selbstdarstellung als Nerd positioniert sich S als fleissigen Schüler, der mehr leisten könnte. S nimmt in dieser Sequenz die offene Formulierung der Redeaufforderung ernst und bringt eigene Punkte ein, die ihm wichtig sind. So vermag er das Gespräch an dieser Stelle auf thematischer und gesprächsorganisatorischer Ebene zu steuern. Er liefert nicht nur eine Selbsteinschätzung, sondern beurteilt auch implizit die Entscheidung der Lehrerin bezüglich Hausaufgaben. Dies bewirkt eine Reaktion von L, die verständnissichernd nachfragt (Z. 038) und dann scherzhaft die Konsequenz formuliert, sie könne also noch mehr Hausaufgaben geben, was sie allerdings durch das nänäi als ironische Äusserung markiert (Z. 042). Dadurch rahmt sie die Anmerkung von S als nicht ernstzunehmende Kritik. Aufgrund der unernsten Bearbeitung der Kritik durch L werden asymmetrische Rollen etabliert, indem die Fremdbeurteilungskompetenz der Lehrperson zugeordnet wird und diese Rechte dem Schüler abgesprochen werden. Auffällig ist, wie S nach dieser Zwischensequenz ohne Verzögerung zurückführt und mit den nächsten Begriffen weiterfährt. Dadurch zeigt er, dass er noch immer das Rederecht hat, da er seine Ausführungen zu den gewählten Begriffen noch nicht zu Ende geführt hat. L teilt die Selbsteinschätzung von S (Z. 047, 050) und ergänzt noch zusammenfassend (Z. 054 ff.). Dabei reformuliert <?page no="228"?> 228 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung sie die Einschätzung von S so, dass sie nicht mehr als Meinung im Raum steht, sondern als Tatsache ( du düsch SÄLBständig (.) hUsi mache, und sÄlbständig dI VORbereite uf prÜefige, , Z. 058, 060) und ratifiziert damit die Einschätzung von S. In Beispiel # 32 sehen wir, wie S das zugesprochene Rederecht nutzen und durch eigene Steuerung seine Schwerpunkte setzen kann. Dass diese kompetent strukturierte Selbstbeurteilung von Schülerseite nicht selbstverständlich ist, zeigt die kontrastive Analyse des folgenden Beispiels. Der Schüler Jonas besucht dieselbe Klasse wie Flavio aus Beispiel # 32, wiederholt allerdings das sechste Schuljahr und wird von einer Heilpädagogin (H) begleitet, welche ebenfalls am Gespräch teilnimmt: # 33 Stärken und Schwächen ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 00: 10-01: 49) 001 L ((schnalzt)) als ERSCHTS (.) wäisch du was du (.) dÖrfsch muesch mAche, als Erstes weisst du was du machen darfst musst 002 S °h <<flüsternd> näi-> nein 003 (--) 004 L käi AAnig; keine Ahnung 005 (-) het dr nIemer verROOte, hat dir niemand verraten 006 oKEE; °hh h° [((lacht)) okay 007 M [((lacht)) 008 H wir haben GEStern schon bisschen darüber [gesprOchen. wir haben gestern schon bisschen darüber gesprochen 009 L [ah Ebe? ah eben 010 °hh (-) du gseesch do ganz vili beGRIFF (.) uf däm tIsch? du siehst da / hier ganz viele Begriffe auf diesem Tisch 011 °h un: : d wenn du die DUre glääse hesch; und wenn du die durchgelesen hast 012 (--) chasch du ZWÄI drei vier begrIff nEE? kannst du zwei drei vier Begriffe nehmen 013 °hh un: : d (.) zu dene wo du gÄrn öppis würdsch SÄÄge. und zu denen wo du gerne etwas sagen würdest 014 du chasch au begrIff UNterenander kombinIere? du kannst auch Begriffe untereinander kombinieren <?page no="229"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 229 015 (-) wenn du findsch die PASse jetz guet zÄmme. wenn du findest die passen jetzt gut zusammen 016 (---) und s mami döf notÜerlich (.) AU d begrIff dure lääse; und die Mama darf natürlich auch die Begriffe durchlesen 017 (13.64) 018 S <<pp> ich has GSEE? > ich habe es gesehen 019 (-) 020 ? (jä uff) (ja uff) 021 ((leises Lachen)) 022 M jä und [(JETZT / DENN)? ja und (jetzt/ dann) 023 L [jEtzt <<: -)> chasch USsueche; > jetzt kannst du aussuchen 024 S äh: : - äh 025 (1.96) 026 S ((Papier raschelt)) okEE DAS, okay das 027 L [((lacht)) 028 M [((lacht)) 029 S (1.04) DAS, das 030 (--) DAS; das 031 (--) hh° 032 (3.1) 033 S (fetig). (fertig) 034 ((Papier raschelt)) 035 L mh_hm und jetz was WÜRDSCH gärn zu dene begrIff sÄÄge? mhm und jetzt was würdest du gerne zu diesen Begriffen sagen 036 S (4.82) °h äh zu DEM bi- äh zu dem bin <?page no="230"?> 230 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 037 H zu den STÄR[ken. zu den Stärken 038 S [zu °h zu 039 L mh_MH, mh 040 S bin ich guet in: MAthe? bin ich gut in Mathe(matik) 041 (1.43) 042 S i: (2.45) und im TURne. i und im Turnen 043 (---) 044 L mh_HM? mhm 045 H und im TURnen; und im Turnen 046 (--) 047 H mh_HM, mhm 048 (-) 049 S und bi SCHWÄche isch so (.) mh bIo und gEo. und bei Schwächen ist so mh Bio(logie) und Geo(grafie) 050 (--) 051 S Und muSIK. und Musik 052 (1.75) 053 L mh_HM, mhm Ähnlich wie in Beispiel # 32 erfragt L zuerst eventuelle Wissensbestände von S und bemüht sich damit um ein optimales Recipient Design. Während L allerdings in Beispiel # 32 die Positionierung von S als Unwissenden akzeptiert und sofort mit der Einstiegsaufgabe beginnt, zeigt sich hier in Beispiel # 33 eine andere Situation. L fragt nach einer kurzen Pause erneut nach ( het dr nIemer verROOte, , Z. 005), gefolgt von Lachen, was sich durch die prosodische Markierung als Überraschung deuten lässt. H fügt im Folgenden an, dass S tatsächlich schon über die Aufgabe Bescheid weiss, da sie am Vortag darüber gesprochen haben ( wir haben GEStern schon bisschen darüber gesprOchen. , Z. 008). Bei dieser Ergänzung bleibt auf Basis der Audiodaten unklar, ob sich Z mit wir an S richtet und ihn damit an das gemeinsame Gespräch erinnert, oder ob sie sich <?page no="231"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 231 an L wendet und die Frage nach dem Common Ground berichtigt. L zeigt mit ihrer Reaktion ah Ebe? deutlich, dass dies der erwarteten Antwort entspricht. Interessant ist nun, dass sie in Zeile 010 die Aufgabe dennoch so erklärt, als handelte es sich um eine neue Information. Damit orientiert sie sich nicht am vermuteten Common Ground gemäss Aussage der Heilpädagogin, sondern an der Antwort von S in Zeile 004, mit welcher er vorhandenes Wissen verneint. Dadurch positioniert sie S als primären Adressaten. Die Erklärung der Einstiegsaufgabe verläuft fast identisch zu derjenigen im vorigen Beispiel. Einzig fällt hier auf, dass L im Anschluss an die Erklärung in dritter Person auf M referiert und damit weiterhin S adressiert, jedoch eine Information anfügt, die für M relevant ist ( und s mami döf notÜerlich (.) AU d begrIff dure lääse; , Z. 016). Durch diese Mehrfachadressierung verdeutlicht L, dass das Lesen der Begriffe zwar für die fokussierte Aktivität mit S wichtig ist, jedoch für das Verstehen und den Common Ground ebenfalls für M bedeutsam ist. Nach etwa dreizehn Sekunden beginnt S mit <<pp> ich has GSEE? > (Z. 018), braucht dann jedoch mehrere Aufforderungen von der Mutter, der Lehrerin und der Heilpädagogin, bis ihm klar ist, was er mit den Begriffen tun soll. Hier zeigt sich schon ein deutlicher Unterschied zum vorherigen Beispiel, in dem der Schüler Flavio sofort mit einer strukturierten Antwort beginnt. Jonas hingegen kündigt zuerst an, dass er die Begriffe gesehen hat, nach weiteren Aufforderungen wählt er seine Begriffe aus und erst nach erneuter Nachfrage der Heilpädagogin beginnt S mit der eigentlichen Aufgabe, nämlich etwas zu den Begriffen zu sagen. S muss also mehrfach aufgefordert und immer kleinschrittiger geführt werden, bis er seine eigenen Einschätzungen äussert. Es handelt sich dabei aber weniger um Reflexionen, sondern er beschränkt sich weitgehend auf Fächernennungen. Jonas interpretiert ‚Stärken’ als ‚starkes Fach’ und demzufolge nennt er die Fächer, in denen er gut ist. Im Anschluss an den hier präsentierten Ausschnitt erklären L sowie dann H und M ausgiebig, was unter Stärken zu verstehen ist, dass dies nämlich nicht nur gute Fächer sind, sondern vor allem auch gute Charaktereigenschaften. S scheint also mit den schulischen Beurteilungskategorien noch nicht so vertraut zu sein und muss im Gespräch stark geführt werden. Die Gegenüberstellung der beiden Beispiele zeigt, dass durch dieselben offenen Fragetechniken oder „non-focused questions“ (Clemente, Lee & Heritage 2008: 1420) nicht dieselbe Beteiligung von S erreicht wird. Die Beteiligung von S kann also nicht nur durch die Steuerung vonseiten L erreicht werden, sondern ist in hohem Masse von der Gesprächskompetenz von S abhängig. Auffällig ist trotz der gezeigten Unterschiede, dass beide Schüler in den Beispielen # 32 und # 33 die Formulierung der Einstiegsaufgabe als Aufforderung <?page no="232"?> 232 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung verstehen, eine Selbsteinschätzung zu liefern. Dies ist nicht selbstverständlich, da die Begriffe nicht explizit mit dem Schüler und seiner Positionierung in Verbindung gebracht werden. L fragt in der offenen Formulierung nur, dass S Begriffe wählen soll, zu denen er gerne etwas sagen würde ( °hh un: : d (.) zu dene wo du gÄrn öppis würdsch SÄÄge. , Beispiel # 33, Z. 013) und mit der Ergänzung in Beispiel # 32, dass es darum geht, was ihm gerade wichtig sei ( wo du GÄRN no öppis wü (.) drzue würdsch sÄÄge; wo dir grad WICHtig isch, , Z. 008 f.). Das Turn Design ist offen und wenig einschränkend gestaltet und macht dementsprechend nicht einzig eine Selbsteinschätzung erwartbar. Dennoch lösen beide Schüler die Aufgabe so, dass sie sich zu den Begriffen in Bezug setzen und Auskunft zu ihren Stärken und Schwächen geben. Dadurch zeigen sie, dass sie mit der Institution Schule soweit vertraut sind, dass sie die Beurteilungskriterien kennen und sich entsprechend verhalten können. Die beiden Beispiele zeigen, dass die Involvierung anhand derselben Stimuli unterschiedlich gut funktionieren kann und damit von Fähigkeiten der SchülerInnen abhängig ist. Im Folgenden wird gezeigt, wie die Involvierung der SchülerInnen durch spezifische Unterstützungsleistungen der Lehrpersonen und Eltern begünstigt werden kann. Verstärkte Involvierung von SchülerInnen durch Unterstützungsleistungen der Erwachsenen Lehrpersonen und andere erwachsene Beteiligte wenden spezifische Strategien an, um die erwünschten Antworten zu erhalten und eine Involvierung des adressierten Kindes zu bewirken. Es handelt sich dabei um spezifische Design- Aktivitäten, die von den Erwachsenen ausgeübt werden, um auf Verbalisierungsschwierigkeiten der Kinder zu reagieren. Das erste Beispiel stammt - wie auch schon Beispiel # 33 - aus dem Gespräch mit Jonas: # 34 Wohlbefinden ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 10: 40-12: 34) 91 001 L °hh ! DENN! hh° möcht ich di gärn frOOge, dann möchte ich dich gerne fragen 002 was du zu DÄM do (.) würdsch sÄÄge; was du zu dem da / hier sagen würdest 003 (--) zum WOHLbefinden. zum Wohlbefinden 004 (1.21) 005 L wäisch was das HÄISST; weisst du was das heisst 91 Vgl. auch Mundwiler (2015), wo der Anfang dieses Auszugs ebenfalls besprochen wird. <?page no="233"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 233 006 aso wie GOOTS dir in dr klAss. also wie geht’s dir in der Klasse 007 S (---) guet, gut 008 (2.08) 009 M (wäg) (weg) 010 L wiso gOOts dr GUET? wieso geht’s dir gut 011 ((Schweigen und teilweise hörbares Einatmen, ca. 4.8 Sek.)) 012 L hehe [<<lachend> s mAmi cha dir do nId HÄLfe> haha °h hehe die Mama kann dir da nicht helfen haha 013 M [ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha °h heh ha ha ha ha ha ha ha ha ha ha heh 014 ((jemand hustet, teilweise hörbares Einatmen, ca. 3.3 Sek.)) 015 M ich SCHWIG und loos zUE? ich schweige und höre zu 016 (3.48) 017 M wiso GOOTS dr gUet? wieso geht’s dir gut 018 S (--) WÄILS mir gUet goot, weil es mir gut geht 019 L (--) hh° [ha °hh [s het doch sicher GRÜND, ha es hat doch sicher Gründe 020 M [hm hm hm hm 021 H [und waRUM? und warum 022 L Oder dass es dir GUET goot. °h oder dass es dir gut geht 023 (3.03) 024 M was ISCH Andersch. was ist anders 025 (3.0) 026 S es isch BESser als lEtztes jOOr. es ist besser als letztes Jahr 027 M (-) mh_hm (-) woRUM? mhm warum 028 (4.74) <?page no="234"?> 234 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 029 S die isch NETT? die ist nett 030 ? hh° 031 M (--) die isch NÄTT; die ist nett 032 (-) (oKEE) (--) was NO? (okay) was noch 033 (--) 034 L WER isch nÄtt. wer ist nett 035 M (-) die KLASS isch [nÄtt. diese Klasse ist nett 036 L [ahA d KLASS [isch nätt. aha die Klasse ist nett 037 M [was NO? was noch 038 (15.18) 039 H wenn du nach den FErien in die schUle kOmmst; wenn du nach den Ferien in die Schule kommst 040 (-) FREUST dich wahrscheinlich nicht auf Alles; = freust du dich wahrscheinlich nicht auf alles 041 =und lÄnger ferien wär wahrscheinlich AUCH in ordnung für dich; und länger Ferien wär wahrscheinlich auch in Ordnung für dich 042 M mh_hm, mhm 043 H aber °hh ! WAS! ist doch dann gAnz erfrEUlich; aber was ist doch dann ganz erfreulich 044 wenn du mal überLEGST- wenn du mal überlegst 045 S meine FREUNde zu sehn. meine Freunde zu sehen 046 H (-) hm (.) deine KLASsenkameraden zu sehn. hm deine Klassenkameraden zu sehen 047 (1.6) 048 H und davon sind vIEle deine FREUNde; und davon sind viele deine Freunde 049 (1.53) <?page no="235"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 235 050 L das isch doch ämmel scho mol <<lachend> SEER toll,> das ist doch zumindest schon mal sehr toll 051 M <<lachend> ebe jo: : > heheh °h [dArum han ich gfrogt ! UN: D! ? eben ja heheh darum habe ich gefragt und 052 L [geNAU. genau 053 M hehehe [°h hehehe °h hehehe hehehe 054 L [das han ich jetz AU chli dr IIdruck ka- das habe ich jetzt auch bisschen den Eindruck gehabt 055 dass es an ! DÄM! lit, dass es an dem liegt 056 dass du di WOOL füülsch in dr klAss. dass du dich wohl fühlst in der Klasse 057 M mh_mh, mh Die Lehrerin fragt Jonas nach seinem Wohlbefinden, was dieser jedoch vorerst nicht beantworten kann. Nach der ersten Pause in Zeile 004 trifft L die Annahme, dass Jonas Verständnisschwierigkeiten in Bezug auf das Wort ‚Wohlbefinden’ hat und reagiert mit der Design-Aktivität des Reformulierens (Z. 006). Auf diese reformulierte Frage erfolgt eine minimale Schülerantwort ( guet, , Z. 007), die L jedoch als zu knappe Antwort bewertet, was sie durch ihre Nachfrage nach dem Grund anzeigt (Z. 010). Es folgt eine längere Pause von ca. 4.8 Sekunden und die nächste Sequenz liefert Hinweise dafür, dass Jonas während dieser Pause seinen Blick zur Mutter wendet. Denn mit der Äusserung s mAmi cha dir do nId HÄLfe in Zeile 012, orientiert sich L am nonverbalen Verhalten von S und interpretiert das Blickverhalten als Bitte um Unterstützung von der Mutter. Gleichzeitig finden zwei unterschiedliche Fremdpositionierungen statt: Die konditionelle Relevanz einer schülerseitigen Antwort wird verstärkt, indem mögliche Rederechtsübernahmen durch die Mutter abgesprochen werden. Gleichzeitig wird der Mutter signalisiert, dass sie die Rolle einer stillen Zuhörerin einnimmt und das Rederecht nicht übernehmen soll. Sowohl L als auch M lachen und zeigen dadurch eine geteilte Sicht auf die Situation (vgl. z. B. Haakana 2002: 209; Kotthoff 2012a: 313). Nach einer weiteren Pause übernimmt nun M trotz dieser Fremdpositionierung das Rederecht, allerdings bestätigt sie vorerst nur durch Selbstpositionierung ihre zuvor zugeteilte Rolle der stillen Zuhörerin ( ich SCHWIG und loos zUE? , Z. 015). Sie nimmt damit die etablierten <?page no="236"?> 236 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Beteiligungsrollen der Lehrerin an und verstärkt die konditionelle Relevanz einer Antwort von S. Da diese Antwort aber erneut ausbleibt, ergreift die Mutter nach einer ca. 3.5-sekündigen Pause das Rederecht und wiederholt in exakt demselben Wortlaut die Frage der Lehrerin: wiso GOOTS dr gUet? (Z. 017). Dadurch agiert sie als Ko-Lehrerin und bildet eine Koalition mit der Lehrerin, die nun beide gemeinsame Ziele verfolgen. Beide versuchen dann im Weiteren mit verschiedenen fokussierten Nachfragen die Gründe für das gute Wohlbefinden zu entlocken und nach jeweils mehrsekündigen Pausen gelingt es dem Schüler schliesslich, schrittweise die gewünschten (Teil-)Antworten zu liefern. Durch die Nachfrage was NO? (Z. 032, 037) zeigt die Mutter an, dass die Aussage die isch NETT? (Z. 029) nicht ausreicht, jedoch fällt es dem Schüler trotz kleinschrittigen Fragen schwer, weitere Gründe anzugeben. Es folgt eine Pause von über 15 Sekunden, ohne dass S sich weiter äussert. Auf diese Verbalisierungsschwierigkeiten reagiert nun die Heilpädagogin durch die Veranschaulichung einer konkreten Alltagssituation (vgl. zur Veranschaulichung Brünner & Gülich 2002). Sie beschreibt S als ferienliebenden und damit nicht unbedingt schulaffinen Schüler (Z. 039-041) und bewirkt schliesslich mithilfe dieser Orientierung an vermuteten Einstellungen des Schülers dessen Beteiligung: Jonas kann sich offenbar mit der gezeichneten Figur identifizieren, denn er beantwortet die Frage unmittelbar. Dies ist insbesondere mit Blick auf die sonst sehr langen Pausen in diesem Gespräch auffällig. Wir sehen in Beispiel # 34, wie die interaktive Ausrichtung aller Beteiligter beim Schüler liegt und auch trotz seiner Schwierigkeiten, den kommunikativen Anforderungen nachzukommen, keine erwachsene Person anstelle des adressierten Schülers die Antwort liefert. Die Mutter, die Lehrerin und die Heilpädagogin greifen auf verschiedene Strategien zurück, um dem Schüler Möglichkeiten zu bieten, in das Gespräch einzutreten. Mit Reformulierungen, konkreteren Nachfragen sowie der Veranschaulichung durch ein adressatenbezogenes Beispiel wird schliesslich bewirkt, dass der Schüler sich zur gestellten Frage äussern kann. Diese Verfahren sind als spezifische Design-Aktivitäten zu verstehen, da sie erst durch die Abwesenheit von schülerseitigen Antworten erwirkt werden und so in ihrer Summe den Schüler als Rezipienten mit bestimmten Eigenschaften konstruieren. Wenn auch die Involvierung hier durch Anwendung der verschiedenen Verfahren gelingt und S am Ende die Frage nach seinem Wohlbefinden beantworten kann, ist doch auch noch die Schlussstelle interessant in Bezug auf die Rolle des Schülers: Während die Frage nach dem Wohlbefinden von S als ‚echte’ Frage gemeint sein kann, die einen Wissensausgleich bewirken soll, und auch als solche verstanden werden kann, scheinen hier allerdings alle Beteiligten die Antwort des Schülers schon zu erahnen (vgl. v. a. ab Z. 051). Dadurch präsentieren sie <?page no="237"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 237 sich am Ende dieser Sequenz als epistemische Autoritäten (vgl. z. B. Heritage & Raymond 2005; Raymond & Heritage 2006; Stivers, Mondada & Steensig 2011), die besser über das Befinden von Jonas urteilen können und die Fragen an den Schüler lassen sich im Rückblick vielmehr als Anleitung zur Reflexion reinterpretieren, anstatt als reines Einholen von Informationen. Sollte dies eine Praxis sein, die schon aus vorherigen Interaktionen zwischen den Beteiligten etabliert ist, kann dies unter Umständen dafür mitverantwortlich sein, dass der Schüler sich nur zurückhaltend an der Befragung beteiligt, da sich die Notwendigkeit einer Antwort graduell verändern kann, wenn damit kein Wissensausgleich erreicht wird. In Beispiel # 35 wird von Flavio eine Einschätzung zu seinen Stärken eingefordert. Zuvor hat Flavio schon zwei Stärken genannt (Selbstständigkeit in Bezug auf Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitung, vgl. Beispiel # 32), ist dann zu den Schwächen übergegangen und wird nun nochmals explizit gebeten, sich über weitere Stärken Gedanken zu machen: # 35 Hilfsbereit (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 04: 17-05: 33) 001 L aso jetz v au vo dim: ((schnalzt)) WÄÄse här; also jetzt v auch von deinem Wesen her 002 vo dim chaRAKter här; von deinem Charakter her 003 was dÄnksch denn du sin dini STERkene; was denkst denn du sind deine Stärken 004 S (-) aso mini STERkene sind ähm; also meine Stärken sind ähm 005 °h (--) äh: : hh° °h isch no SCHWIIrig so ähm; äh ist noch schwierig so ähm 006 (2.23) aso (.) usserd äh, also ausser äh 007 (1.14) <<lachend> was sin no STERkene; > was sind noch Stärken 008 (1.3) ebe dass ich ähm (.) d SAche nit vergiss, eben dass ich ähm die Sachen nicht vergesse 009 au jetz nit mit ähm HUSufgoobe, auch jetzt nicht mit ähm Hausaufgaben 010 sondern au °h Etui und so [sAche, sondern auch Etui und so Sachen 011 L [mh_hm, mhm <?page no="238"?> 238 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 012 S (--) äh das ähm: ; äh das ähm 013 M <<flüsternd> wie finde di dini kolLEge; > wie finden dich deine Kollegen 014 S (-) WAS? = was 015 M =<<etwas lauter flüsternd> zum bispiil dini kolLEge,> zum Beispiel deine Kollegen 016 wie du AAchunnsch, wie du ankommst 017 S also °h sii s (.) mir hän doch ÄImol ähm; also sie s wir haben doch einmal ähm 018 °h so (.) müesse uf so nes BLATT, so müssen auf so ein Blatt 019 so ne ZÄICHnig mAche, so eine Zeichnung machen 020 wäärenddäm sii öppis VORglääse hän, währenddem Sie etwas vorgelesen haben 021 L [mh_hm, mhm 022 S [°h und uf dr RUCKsite hämmer ähm: het (.) me müesse immer Umelaufe, und auf der Rückseite haben wir ähm hat man immer herumlaufen / herumgehen müssen 023 °hh und denn het me zu däm: das SAAge döfe UFschriibe; und dann hat man zu dem das sagen dürfen aufschreiben 024 °h was me zu däm SÄIT, was man zu dem sagt 025 °h und bi mir isch HILFSberäit (.) gstande und so; und bei mir ist hilfsbereit gestanden und so 026 L mh_HM, mhm 027 [das isch e GUEti stErki; das ist eine gute Stärke 028 S [aso °h dass ich au seer HILFSberäit bi, °h also dass ich auch sehr hilfsbereit bin 029 (1.1) 030 S jo und- h° ja und 031 (1.05) <?page no="239"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 239 032 S jo so; ja so 033 (1.3) 034 S und ich chA glaub i so au d SAche guet erkläre und so; und ich kann glaub ich so auch die Sachen gut erklären und so 035 L mh_mh (.) chönnt ich mir AU no guet vorstElle; mh könnte ich mir auch noch gut vorstellen Flavio äussert Schwierigkeiten beim Beantworten der Frage nach Stärken (Z. 005), er wiederholt reformulierend die Frage der Lehrerin (Z. 007), was als Gedankenstütze oder Überbrückung der Pause dient, und geht dann nochmals darauf ein, dass er jeweils seine Hausaufgaben, aber auch Schulsachen etc. nicht vergesse (Z. 008-010). Die Ratifikation durch die Lehrerin hat keine abschliessende Intonation, sondern dient eher als Aufforderung an S, noch weitere Überlegungen anzubringen (vgl. dazu auch Bonanati 2015: 218 f.). S setzt dann in Zeile 012 erneut an, allerdings vorerst unfokussiert mit Verzögerungsmarkern. In Zeile 013 orientiert sich auch die Mutter an der noch unvollständigen Darlegung der Stärken und hilft dem Sohn auf die Sprünge. Durch eine Rückfrage, die flüsternd und damit ausschliesslich an S adressiert hervorgebracht wird, fragt sie nach der Sicht seiner Kollegen ( <<flüsternd> wie finde di dini kolLEge; > , Z. 013). S zeigt durch seine Nachfrage in Zeile 014 an, dass er entweder auf inhaltlicher Ebene nicht weiss, was M meint, oder dass er sie akustisch nicht verstanden hat. M reformuliert und präzisiert ihre Frage und hebt gleichzeitig ihre Stimme etwas an, bleibt aber im Flüsterton ( <<etwas lauter flüsternd> zum bispiil dini kolLEge,> wie du AAchunnsch, , Z. 015 f.). Dadurch bezieht sie sich auf beiden denkbaren Ebenen auf die Verstehensprobleme von S und sowohl die lautere Stimme als auch die Reformulierung zählen als spezifische Design-Aktivitäten. Durch diese Hilfestellung erreicht sie S in optimaler Weise, denn er beginnt in direktem Anschluss ohne weitere Pausen mit einer Beispielserzählung (vgl. zum Veranschaulichungsverfahren der Beispielserzählung auch Brünner & Gülich 2002), die darauf abzielt, seine Hilfsbereitschaft als Stärke hervorzuheben (Z. 017-020, 022-025, 028). Hier zeigt sich also die Mutter als Stichwortgeberin, die nicht selber die gewünschte Antwort liefert, sondern dem Sohn nur so weit eine Hilfestellung bietet, dass er selber eine Antwort finden kann. Auch im nächsten Beispiel ist es die Mutter, die darum bemüht ist, die interaktive Ausrichtung am Kind beizubehalten. Wie sie dies tut, unterscheidet sich jedoch von dem vorhin diskutierten Fall. Der Ausschnitt stammt aus den ersten <?page no="240"?> 240 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Minuten des Gesprächs mit Emma und der Lehrer beginnt mit der Durchsicht von geschriebenen Tests: # 36 Diktiert (Emma, SJ4_L3A_LMS, 01: 56-02: 38) 001 L dasch dr ERSCHti tEscht, das ist der erste Test 002 °hh wo mir gmacht hän im: (.) auGUSCHT. wo / den wir gemacht haben im August 003 (1.23) 004 L °h do hämmer in dr schuel GLEERT (.) mitnAnd; da haben wir in der Schule gelernt miteinander 005 und denn hän dr das als husufgoob HÄIM kriegt, und dann habt ihr das als Hausaufgabe heim gekriegt 006 (1.31) 007 L und do wOtt ich di jetzt FROOge; und da will ich dich jetzt fragen 008 °h ähm: (.) das WÄISCH bestimmt no; ähm das weisst du bestimmt noch 009 (.) hesch (.) für sO sache (.) VIIL miesse leere dähäi. hast du für so Sachen viel lernen müssen daheim 010 (--) 011 L od[er- oder 012 S [näi nit VIIL; = nein nicht viel 013 =ich has (.) zwäi (.) drei vier mol (.) DUUre glernt; ich habe es zwei drei viermal durch gelernt 014 (1.93) 015 L GLÄÄse? gelesen 016 (.) oder GSCHRIIbe? oder geschrieben 017 [oder (.) wie MACHSCH das? oder wie machst du das 018 S [(äfach) GLÄÄse, (einfach) gelesen 019 M han ichs dir nIt no äimol dikTIERT? habe ich es dir nicht noch einmal diktiert 020 S do: ch [ÄImol? doch einmal 021 M [((räuspert sich)) <?page no="241"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 241 022 (1.56) 023 S ich has (.) emol DUUre gler? ich habe es einmal durch geler 024 (.) äh duure GLÄÄse? äh durchgelesen 025 (-) und denn (1.2) dikTIEre (.) aso; und dann diktieren also 026 (-) 027 M ich glaub ÄImol han is diktiert [(glaub). ich glaube einmal habe ich es diktiert (glaub) 028 L [dikTIERT; diktiert 029 S jo; ja L beginnt noch ohne direkte Adressierung, allerdings mit einer Verwendung von Pronomen, die eine hauptsächliche Ausrichtung an S nahelegen: Das Pronomen wir in den Zeilen 002 und 004 kann aus dem Kontext heraus verstanden werden und bezieht sich auf den Sprecher (L) und S, ist also exklusiv M, was sie aber als Adressatin noch nicht ausschliesst. Erst ab Zeile 005 wird S adressiert, zuerst als Teil der ganzen Klasse durch das Pronomen ihr ( und denn hän dr das als husufgoob HÄIM kriegt, , Z. 005) und danach als direkte Adressatin im Gespräch ( und do wOtt ich di jetzt FROOge; , Z. 007). Der Lehrer rahmt hier die Sprecherauswahl durch die metakommunikativ ausgestaltete Frage in Zeile 007, womit sehr deutlich Emma und nicht ihre ebenfalls anwesende Mutter als nächste Sprecherin ausgewählt wird. Auch die Mutter weiss möglicherweise über die Lernaktivitäten ihrer Tochter Bescheid und in vergleichbaren Gesprächskontexten werden solche Fragen, die das Zuhause betreffen, auch von den Eltern (mit-) beantwortet (vgl. dazu auch Kap. 6.1.2). Hier erfolgt jedoch der Zuschnitt auf die Schülerin überaus deutlich, was auch damit zu tun haben kann, dass das Gespräch noch nicht sehr fortgeschritten ist und die Beteiligungsrollen erst noch etabliert werden müssen. S nimmt die Rollenzuweisung an und beantwortet in Zeile 012 f. die Frage. Dass ‚durchlernen’ zu wenig präzise ist, zeigt L durch seine Rückfragen GLÄÄse? (.) oder GSCHRIIbe? oder (.) wie MACHSCH das? (Z. 015-017), was S wiederum mit (äfach) GLÄÄse, beantwortet (Z. 018). Interessant ist nun die Rückfrage von M: Sie adressiert weiterhin die Tochter, gibt aber indirekt mit der (rhetorischen) Frage, ob sie es nicht auch einmal diktiert habe, diese Zusatzinformation gleichzeitig an L weiter. S bestätigt diesen Zusatz und repariert ihre Aussage zum Lernverhalten. In Zeile 027 wiederholt M in einer Reformulierung erneut ihre Annahme, dass sie als Test- <?page no="242"?> 242 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung vorbereitung noch diktiert habe, relativiert dies mit glaub , worauf L den Satz von S mit dikTIERT; (Z. 028) beendet und S den Zusatz erneut ratifiziert (Z. 029). Die Rückfrage von M dient also dazu, eine Aussage von S zu vervollständigen bzw. zu korrigieren, ohne die von L zugeteilten Beteiligungsrollen zu verändern. Obwohl sich M an S richtet, enthält ihre Rückfrage bereits die relevanten Zusatzinformationen für L, der jedoch erst nach der Reparatur von S diese Ergänzung verbal annimmt. Diese indirekte Adressierung ermöglicht hier, die Ausrichtung an S aufrechtzuerhalten und ihre Beteiligung nicht einzuschränken. Im nächsten Beispiel wendet sich L nach einer längeren Sequenz zu den schwachen Sprachkompetenzen von Tatjana mit der Bemerkung an sie, dass es schade sei, wenn ihr die Sprachenfächer komplett verleiden würden. Dort setzt die folgende Sequenz an: # 37 Fest weh (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 13: 10-13: 35) 001 L aso (.) i cha mir SCHO vorsteue; also ich kann mir schon vorstellen 002 s isch: für di äuä nid EIfach und- es ist für dich wahrscheinlich nicht einfach und 003 (--) oder wie ISCHs? oder wie ist’s 004 S (--) NID eifach. nicht einfach 005 L °h SCHO: ; =hä, schon hä 006 und wie ISCHs wenn e schlächti nOte zrügg be(chunnsch); und wie ist’s wenn du eine schlechte Note zurück be(kommst) 007 (1.29) 008 L weisch duet das FESCHT wee, weisst du tut das fest weh 009 oder °hh oder SEISCH de du; oder oder sagst dann du 010 jO (--) s nÖchschte mol de wider BESser, ja das nächste Mal dann wieder besser 011 wie MACHSCH das; wie machst du das 012 (2.15) 013 S s düt mer FESCHT wee; es tut mir fest weh <?page no="243"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 243 014 L (-) SCHO: ; schon 015 (--) 016 L duet sie deheim (.) ame GRÄNne oder nid; tut sie daheim manchmal weinen oder nicht 017 (1.23) 018 M j: _JEIN. jein Die Lehrerin versetzt sich hier in die Rolle von S und zeigt ihr Verständnis dafür, dass für S der Umgang mit schlechten Noten nicht einfach sei. Bevor sie weiterfährt, bricht sie ihren Satz in Zeile 002 ab und fragt mit der Formulierung oder wie ISCHs? (Z. 003) bei S nach. S übernimmt die bereits zuvor von L präsentierte Vorstellung darüber, wie es für sie sei, nämlich NID eifach. (Z. 004). L sieht sich bestätigt und schickt noch eine präzisierende Frage nach (Z. 006), die S zuerst nicht beantwortet. Nach einer Pause von 1.29 Sekunden ergreift L - gesteuert durch das Schweigen von S - erneut das Rederecht und veranschaulicht, wie die Frage gemeint ist, indem sie mit weisch duet das FESCHT wee, oder °hh oder SEISCH de du; jO (--) s nÖchschte mol de wider BESser, wie MACHSCH das; (Z. 008-011) zwei mögliche Antworten bzw. candidate answers (vgl. Pomerantz 1988) anbietet. Während Auswahlantworten ein sehr geschlossenes Frageformat zeigen, kann der letzte Nachsatz ( wie MACHSCH das; , Z. 011) als offene Frage verstanden werden. Dennoch greift S nach einer ca. 2-sekündigen Pause auf die vorformulierten Antworten zurück und gibt mit s düt mer FESCHT wee; (Z. 013) erneut das Gesagte von L wie ein Echo zurück. Dieser Ausschnitt zeigt also, wie die vorgegriffenen Aussagen in den Fragen von L die Antworten von S massgeblich mitprägen und dadurch einschränken. In den Antworten von S sind keine neuen Informationen enthalten, sondern es werden nur Phrasen zurückgespielt, die L schon als mögliche Antworten vorgesehen hat. Die Strategie von L, bei der zweiten Frage als Hilfestellung und Präzisierung schon mögliche Antworten zu präsentieren, resultiert hier in minimalen Antworten von S und führt dazu, dass L die erwünschten Antworten bei den Eltern einholt. Auffällig ist an dieser Stelle, dass L bei der Frage an die Eltern ebenfalls ein geschlossenes Frageformat verwendet, worauf M zuerst minimal mit j: _JEIN. (Z. 018) reagiert, jedoch in der Folge ausführlich von zu Hause berichtet (ist nicht Teil der hier abgebildeten Sequenz). Damit erhalten wir einen Hinweis dafür, dass sich zwar auch Erwachsene an den offenen oder geschlossenen Frageformaten orientieren, aber sich weniger dadurch einschränken lassen. Die zwölfjährige Tatjana hingegen vermag die Steuerung nicht selbst agierend zu übernehmen, sondern kann sich lediglich reagierend beteiligen. <?page no="244"?> 244 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung In diesem Beispiel klappt die Involvierung und Beteiligung von S nur bedingt. L richtet sich zwar in dieser Sequenz bis Zeile 014 durchgehend an S aus, wählt jedoch mit dem geschlossenen Frageformat eine Design-Aktivität, die für S einschränkende Wirkung hat. So versteht S die Auswahlantworten nicht als Hilfestellung bzw. mögliche Antworten, sondern bearbeitet sie so, als gäbe es nur die präsentierten Optionen. Zuletzt wählt also L die Strategie, die erwünschten Informationen von den Eltern einzuholen, was dann in einer längeren Sequenz mit S als Gesprächsobjekt mündet. Eine besondere Form der Involvierung von SchülerInnen finden wir bei der Verwendung der direkten Redewiedergabe. An früherer Stelle wurde dargelegt, dass der Terminus SprecherIn nicht hinreichend alle Rollen aufseiten der Produktion einer Äusserung miteinbezieht (vgl. Kap. 2.3.1). Denn in die eigene Rede können ‚fremde’ Stimmen integriert werden und dadurch wird die Verantwortung teilweise an diese Figuren abgegeben. In Bezug auf die Beteiligung am Gespräch kann auch von inszenierter Beteiligung gesprochen werden, wie im folgenden Beispiel gezeigt wird. Die Sequenz stammt aus dem Gespräch mit Chiara und die Lehrerin stellt eine Frage, die das Lernen zu Hause betrifft: # 38 Hausaufgabenhilfe (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 12: 20-13: 03) 001 L °hh ähm bi de HUSufgabe, ähm bei den Hausaufgaben 002 (-) bruuchsch VÜU hÜuf- brauchst du viel Hilfe 003 oder eifach zwüSCHIne mou hÜuf; oder einfach zwischendurch mal Hilfe 004 (1.03) 005 S äh eiglech nid wÜrklech [VIU; äh eigentlich nicht wirklich viel 006 L [nid jo hm- nicht ja hm 007 V (.) hm; hm 008 M [NEI; nein 009 L [guet auso macht i (.) MACHSCH sen ou säubscht- gut also macht i machst du sie auch selbst 010 [aso WEISCH de nimmsch se fÜre? also weisst du dann nimmst du sie hervor 011 S [i machs im zImmer obe eLÄI; ich mach’s im Zimmer oben alleine <?page no="245"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 245 012 M [mh_HM; mhm 013 L [jo dasch GUET; ja das ist gut 014 hesch für di rUig (.) es PLÄTZli; hast du für dich ruhig ein PLätzchen 015 M ((schmatzt)) näi es macht das SUper; nein es/ sie macht das super 016 [(.) aso; also 017 V [jä_ä; °hh ja 018 L [AUso, also 019 SEER guet, sehr gut 020 M es chunt vo SICH us und sÄIt-= es/ sie kommt von sich aus und sagt 021 =chasch mi Abfrooge, kannst du mich abfragen 022 oder [chasch mer [HÄUfe; oder kannst du mir helfen 023 V [jäjä; ja ja 024 L [hm- hm 025 M wenn äs nüt SEIT denn denn dÜemir au nid- wenn es/ sie nichts sagt dann dann tun wir auch nicht 026 (-) 027 L JO dasch gUEt- ja das ist gut 028 (-) 029 M nid do verANTwortig übernEE, nicht da Verantwortung übernehmen 030 äs nimmt WÜRKlech, es/ sie nimmt wirklich 031 übernimmt [d verANTwortig han i [s gfüül; = übernimmt die Verantwortung hab ich das Gefühl 032 L [ja- [AUso, ja also <?page no="246"?> 246 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 033 M =TOtal. total 034 L (-) dasch schÖn z GHÖre? das ist schön zu hören 035 tippTOPP, tipptopp 036 (.) °h GUET, gut 037 M oder Au wenn i mol SÄge- oder auch wenn ich mal sage 038 mach doch etz öppis für DII? mach doch jetzt etwas für dich 039 de SEIT äs, dann sagt es/ sie 040 NEI i mache zerscht d hUsi, nein ich mache zuerst die Hausaufgaben 041 [oder, oder 042 V [mh_hm; mhm 043 L ja- ja 044 M oder i mache die für am dUnschti OU grad, oder ich mache die für am Donnerstag auch gerade 045 L Oke (-) ja dasch GUET, okay ja das ist gut Die in Form eines Auswahlformats gestellte Frage von L, ob S viel oder nur gelegentlich Hilfe bei den Hausaufgaben brauche, beantwortet S mit eiglech nid wÜrklech VIU; (Z. 005). Diese Aussage wird in Minimalantworten von M und V bestätigt (Z. 007 f.). Dass L noch eine ausführlichere Antwort wünscht, zeigt sie durch ihre Nachfragen und Reformulierungen in den Zeilen 009 f. und 014, worauf S teilweise noch eine Antwort liefert (Z. 011). Die Antworten von S sind generell knapp und durch die Folgefragen kann jeweils die Erwartungshaltung von L aufgedeckt werden, dass hier eine kleine Erzählung von S zum Lösen der Hausaufgaben hätte realisiert werden sollen (vgl. v. a. den Erzählimpuls in Z. 010). Die Eltern leisten nun diesen Erwartungen Folge, indem sie (insbesondere M) in direkter Redewiedergabe Einblick in das Lernen zu Hause gewähren. Erst lobt M ihre Tochter explizit ( näi es macht das SUper; , Z. 015), was V (Z. 017) und L (Z. 019) bestätigen oder ratifizieren, und wechselt dann in <?page no="247"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 247 den Zeilen 021 f. die Beteiligungsrollen, indem sie in direkter Redewiedergabe das Gesagte ihrer Tochter wiedergibt ( chasch mi ABfrooge, oder chasch mer HÄUfe; ). Nachdem sie die Lernsituation in eigener Rede kommentiert (Z. 025, 029 ff.), ergänzt sie in ähnlicher Weise durch den Wechsel der Beteiligungsrollen die Darstellung einer kurzen Interaktion zu Hause. Diesmal animiert sie in Zeile 038 zuerst ihre eigene Figur - im Sinne von Goffman (1981) also die Rollen der Autorin, Animatorin und Auftraggeberin - und dann in den Zeilen 040 und 044 wieder die Figur ihrer Tochter - dies in der Rolle der Animatorin, während S Autorin und Auftraggeberin des Gesagten ist. In diesem lokalen Kontext, in welchem die Tochter gemäss den Erwartungen der Lehrerin (gezeigt anhand der Nachfragen) zu knappe Antworten liefert, kann die direkte Redewiedergabe als eine Strategie bzw. Design-Aktivität verwendet werden, um die Beteiligung von S indirekt zu verstärken. So äussert S zwar hier ihre Worte nicht selber, allerdings tritt sie als Autorin und Auftraggeberin in der porträtierten Interaktion auf. Dadurch ermöglicht M ihrer Tochter eine verbesserte Positionierung. Sie spitzt dies sogar noch zu, indem sie mit ihrer Äusserung oder Au wenn i mol SÄge- mach doch etz öppis für DII? (Z. 037 f.) sich selbst in einer Rolle zeigt, die das Arbeiten für die Schule nur in einem gewissen Masse verlangt und auch Freizeitaktivitäten fördert. Demgegenüber gewinnt nun die zitierte Aussage von S ( NEI i mache zerscht d hUsi, , Z. 040 und i mache die für am dUnschti OU grad, , Z. 044) noch mehr an Gewicht, da sie als schulorientierte und übereifrige Tochter dargestellt wird. Dass dies im Kontext der Schule als positiv bewertet wird, zeigt die Ratifikation von L ( Oke (-) ja dasch GUET, , Z. 045). Kotthoff (2015b) untersucht in ihrem Korpus von Sprechstundengesprächen in Deutschland ähnliche Erzählungen von Eltern, in denen diese die direkte Rede dazu verwenden, sich als unterstützende und korrigierende Eltern zu porträtieren. In diesen Daten sind die betroffenen SchülerInnen selbst nicht anwesend und wenn sie in den direkten Redewiedergaben einbezogen werden, dann eher als sich weigernde Kinder, die deshalb von den Eltern angespornt werden müssen. Im Wesentlichen positionieren sich die Eltern in diesen Darstellungen also als schulorientierte Ko-Lehrpersonen, die ihre Kinder zurechtweisen. Anders sieht es in den hier präsentierten Daten aus. Da häufig die Kinder bzw. Jugendlichen selbst mitanwesend sind, entsteht im Gespräch eine andere Dynamik. Nicht nur Eltern und Lehrpersonen müssen sich ständig positionieren, sondern auch das anwesende Kind. Im gezeigten Beispiel scheint ein starker Fokus nun auch darauf zu liegen, die Positionierung von S zu unterstützen. Die direkte Redewiedergabe wird von der Mutter also nicht dafür genutzt, sich selbst in einem besseren Licht zu präsentieren, sondern die Tochter als schulorientierte selbstständige Lernende darzustellen. Durch die direkte Redewiedergabe wird <?page no="248"?> 248 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung die eigene Rede der Tochter präsentiert, was dadurch ihre sonst eher geringe Beteiligung am Gespräch verstärkt. Während die Mutter zwar eine Fremdpositionierung vornimmt, lässt sie in der zitierten Rede die Tochter selber sprechen und ermöglicht dadurch eine indirekte Selbstpositionierung der Tochter, zu der diese - wahrscheinlich altersbedingt - noch nicht in demselben Masse fähig ist. Die direkte Redewiedergabe kann also die Beteiligungsstruktur verändern und wird hier von M als Design-Aktivität verwendet, um nicht primär über die Tochter zu sprechen, sondern sie selbst als Autorin sprechen zu lassen. Es wurden verschiedene Design-Aktivitäten identifiziert, die von den Erwachsenen verwendet werden, um trotz minimalen schülerseitigen Reaktionen eine Ausrichtung am Kind beizubehalten und deren weitere Involvierung zu begünstigen. Zu den erfolgreichen Design-Aktivitäten zählen Reformulierungen, Zuflüstern, Veranschaulichungen und konkrete Nachfragen. Das diskutierte Frageformat mit Auswahlantworten zeigt sich in den Daten als wenig erfolgreich, da von den Kindern tendenziell in entsprechenden Kontexten keine neuen Informationen hervorgebracht werden. Und schliesslich wurde die direkte Redewiedergabe von Äusserungen des Kindes als Strategie diskutiert, die Beteiligung des Kindes durch Inszenierung vergangener Interaktionen indirekt zu verstärken. SchülerIn als Gesprächsobjekt Wenn Lehrpersonen und Eltern über die anwesende Schülerin bzw. den anwesenden Schüler sprechen, lässt sich dies auf der sprachlichen Oberfläche durch eine Referenz in dritter Person erkennen. Durch eine solche Referenz wird der / die SchülerIn theoretisch als direkt adressierte Person ausgeschlossen und mit dem Sprechen über jemanden geht auch eine indirekte Sprecherauswahl einher (vgl. Malone 1997: 71 ff.; Schwabe 2006: 95). Jedoch kann eine Person auch jederzeit aus dem Objektstatus heraus weiter interagieren, allerdings gilt in der Regel die adressierte Person als ausgewählte und damit bevorzugte nächste Sprecherin. Schwabe (2006: 282, Hervorhebung im Original) spricht aufgrund der steuernden Funktion von einer „Rederechts verteilung “. In den Gesprächen mit anwesenden Kindern oder Jugendlichen werden diese jeweils mehr oder weniger dominant miteinbezogen und es gibt kein Gespräch, in dem die Erwachsenen durchgehend über das Kind sprechen. Es handelt sich demnach um lokale und kurzzeitige Objektifizierungen des Kindes im Gespräch. Denn häufig finden sich sehr rasche Adressierungswechsel zwischen den Beteiligungsformaten Sprechen mit und Sprechen über das Kind (vgl. dazu Kap. 6.2.1). Ein zu beobachtendes Phänomen ist der Wechsel der Ausrichtung hin zu den Eltern bei Informationen, die dem Kind bzw. Jugendlichen schon bekannt sind. Dies ist ganz im Sinne der von Sacks (1995: II : 438 [Fall 1971, lecture 4]) <?page no="249"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 249 formulierten Maxime, wonach mit dem Recipient Design einhergeht, dass eine Information nicht doppelt an die gleiche Person übermittelt werden soll. Besteht also bereits Common Ground zwischen der Lehrperson und dem oder der SchülerIn, so wird auch häufig von den Lehrpersonen die Information eindeutig auf die Eltern zugeschnitten. Das Beispiel # 39 zeigt einen solchen Fall. Zuvor im Gespräch richtet sich der Lehrer mehrheitlich an dem Schüler Ben aus und bespricht mit ihm die geschriebenen Prüfungen, die offenbar - was aus den Besprechungen hervorgeht - auch schon von den Eltern eingesehen wurden. Im vorliegenden Fall orientiert sich der Lehrer jedoch an der antizipierten Unkenntnis der Eltern bezüglich der genauen Umstände der vorliegenden Prüfungen. Er wendet sich entsprechend mit seinem Erklärstück direkt an die Eltern: # 39 Geeichte Sprachtests (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 04: 17-05: 28) 001 L °h dAs isch e tEscht wo sii NIT gsee hän, das ist ein Test wo / den Sie nicht gesehen haben 002 (---) 003 S ähm- ähm 004 L ähm dasch isch e tEscht vo de äh (-) vergliichende schwizer SPROCHtescht, ähm das ist ein Test von den äh vergleichenden Schweizer Sprachtests 005 °h das isch e GÄIchte tEscht; das ist ein geeichter Test 006 dä macht men innerhalb vo fünf bis sächs WUche, den macht man innerhalb von fünf bis sechs Wochen 007 V mh_hm, mhm 008 L °h ähm (.) damit mes verGLIIche ka; ähm damit man’s vergleichen kann 009 mit dr mit dr gliiche STUEfe, mit der mit der gleichen Stufe 010 °h (.) und zwar ka mes vergliiche mit klAssen im kanton und in dr SCHWIIZ, und zwar kann man’s vergleichen mit Klassen im Kanton und in der Schweiz 011 (.) °hh und (-) isch seer (--) UFschlussriich; und ist sehr aufschlussreich 012 will (.) s wärden alli fä fÄÄler wärden UFgschlüsslet, weil es werden alle Fe Fehler werden aufgeschlüsselt <?page no="250"?> 250 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 013 (--) °hhh ähm Ich als leerer ka das IItragen in e grOssi lischte; ähm ich als Lehrer kann das eintragen in eine grosse Liste 014 und han en Übersicht über °h über die ganz KLASS, und habe eine Übersicht über über die ganze Klasse 015 WO sin hüfigkeite vo fÄÄler; wo sind Häufigkeiten von Fehlern 016 °h und ka wigglich LUEge; und kann wirklich schauen 017 (--) ähm WAS d kinder no brUUche; ähm was die Kinder noch brauchen 018 <<p> und proGRAMM zämmestelle; > und Programme zusammenstellen 019 (---) 020 ? °h 021 (--) 022 ? hm (.) °h hm 023 L das sin äh (-) VIERzig sÄtz, das sind äh vierzig Sätze 024 °h (-) und är het in jedem satz äi WORT müesse schriibe, und er hat in jedem Satz ein Wort schreiben müssen 025 do han ich zersch s WORT diktIert; da habe ich zuerst das Wort diktiert 026 (--) denn dr ganz SATZ, dann den ganzen Satz 027 aso das hän sii GHÖRT; also das haben sie gehört 028 °hh und es het (.) sAche dinne wo (.) wigglich SCHWIIrig sin, und es hat Sachen drin wo / die wirklich schwierig sind 029 (-) do sin sii natürlich ! NIT! (.) °h vOrbereitet iine gange; da sind sie natürlich nicht vorbereitet hineingegangen 030 sondern (do) goots äifach drum °h (.) ABzruefe; sondern (da) geht’s einfach darum abzurufen 031 was KÖNne d kinder. was können die Kinder 032 (--) <?page no="251"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 251 033 L und do het er SIIbe fÄÄler gmacht, und da hat er sieben Fehler gemacht 034 (-) °h (-) ((schnalzt)) [öh vo VIERzig wörter; öh von vierzig Wörtern 035 ? [hm- hm 036 L und das isch SEER guet. und das ist sehr gut 037 (1.74) 038 S JÄ jä; ja ja L erklärt hier relativ ausführlich die genauen Umstände dieser spezifischen Prüfungssituation und gibt dadurch Einblick in die schulische Praxis und seine Unterrichtsplanung. Er streicht deutlich die Vorteile dieser vergleichenden Tests heraus und legitimiert damit sein Handeln. In dieser Sequenz wird über S gesprochen, jedoch nicht nur spezifisch über ihn als Schüler, der auch anwesend ist, sondern auch allgemein über ihn als Teil der Klasse. S ist dabei ratifizierter, aber nicht direkt adressierter Rezipient. Nachdem L die erreichte Punktzahl von S verkündet (Z. 033 f.), schliesst er mit einer Beurteilung ab (Z. 036) und ermöglicht so den Eltern (und dem Schüler), dieses Resultat richtig einzuschätzen. Interessant ist, dass S mit einem annehmenden JÄ jä; (Z. 038) diese Beurteilung ratifiziert, obwohl über und nicht mit ihm gesprochen wird. Einerseits deutet dies auf multimodale Strategien des Einbezugs hin und andererseits scheint es problematischere und unproblematischere Kontexte des Sprechens über eine anwesende Person zu geben. Auch wenn in dieser Sequenz die Eltern adressiert werden, sieht sich S selbst ebenfalls als Adressat. Mit Schmitt (2012: 49) liesse sich die Referenz er auch als thematische Relevantsetzung und dadurch als Mit- Adressierung des anwesenden Schülers verstehen. Für eine abschliessende Betrachtung wären hierfür allerdings Videoaufnahmen notwendig. Problematischer in Bezug auf den Status des anwesenden Kindes sind Kontexte, in denen von den Kindern eine Antwort eingefordert wird, diese jedoch von den Eltern gegeben werden. Wir sprechen hier von elternseitigen Steuerungsaktivitäten, welche im Fokus der Betrachtungen in Kapitel 6.1.2 stehen. Refokussierung und Involvierung der SchülerInnen durch namentliche Adressierung Die namentliche Adressierung gehört zu den Verfahren, eine oder mehrere Beteiligte explizit als Adressierte und allenfalls nächste Sprechende auszuwählen. Nach namentlich adressierten Fragen oder Redeaufforderungen an SchülerIn- <?page no="252"?> 252 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung nen, wird demnach eine Antwort von ihnen relevant gesetzt, die in den meisten Fällen auch erfolgt und also in aktiver Beteiligung der SchülerInnen resultiert. Die namentliche Adressierung bewirkt zusätzlich zur Involvierung in einigen Fällen eine Refokussierung der Ausrichtung an SchülerInnen. So kann nach Passagen, in denen über das Kind gesprochen wird, die namentliche Adressierung für eine Neuausrichtung des Beteiligungsrahmens verwendet werden (vgl. auch Aronsson & Rindstedt 2011: 130). Im Folgenden begründet M in einer längeren Sequenz den Entscheid von S, eine Berufslehre zu machen anstatt an das Gymnasium zu gehen. Ein Teil dieser Rede über S ist hier mit abgedruckt, um die Refokussierung zu verdeutlichen: # 40 Offene Optionen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 07: 55-08: 21) 001 M är muess äfach dAs won er sich entschÄIdet muess er GÄRN mache, er muss einfach das wo / wofür er sich entscheidet muss er gerne machen 002 °h (-) und MIESST denn eben au; und müsste dann eben auch 003 aso gwÄrbschuel elLÄI jetz, also Gewerbeschule / Berufsschule alleine jetzt 004 (-) wenns jetz ebe jetz als chOch oder METZger oder in dEren art; wenns jetzt eben jetzt als Koch oder Metzger oder in dieser Art 005 mIesst er no (--) vo UNS us gsee; müsste er noch von uns aus gesehen 006 L mh_hm; mhm 007 (--) 008 M [chli öppis näbedraa MAche; bisschen etwas nebenher machen 009 L [mh_hm (.) jä, mhm ja 010 (1.65) 011 M aso s wär äfach fascht SCHAD, also es wäre einfach fast schade 012 L °h e es isch we aso (.) wäisch phIlipp es isch jo au seer SCHÖN; e es ist we also weisst du Philipp es ist ja auch sehr schön <?page no="253"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 253 013 wemme jetz dO sitzt und z HÖre bechunnt; wenn man jetzt da / hier sitzt und zu hören bekommt 014 dass me SÄMTlichi optionen Offe het. dass man sämtliche Optionen offen hat M positioniert sich hier mit ihren Erwartungen, die sie wegen den guten Schulleistungen hat, nämlich dass S neben der Berufslehre noch die Berufsmaturität anstreben soll (Z. 001-005, 008, 011). L ratifiziert diesen Entscheid an mehreren Stellen (Z. 006, 009) und führt dann mit direkter Adressierung zurück zur Beteiligungsstruktur Sprechen mit S (Z. 012-014). Die namentliche Adressierung macht diese Refokussierung deutlich. In der Folge holt L zu einer längeren Bewertungssequenz aus, die an S adressiert ist. Es geht an dieser Stelle also (noch) nicht um eine Redeübergabe, sondern primär um eine Refokussierung des Schülers als adressierte Person. Im nächsten Beispiel soll untersucht werden, weshalb die Übergabe des Rederechts trotz expliziter, namentlicher Adressierung nicht glückt. Der Ausschnitt stammt vom Anfang des Gesprächs mit Marc. Die Lehrerin hat soeben eine Übersicht zu den aktuell ungenügenden Noten gezeigt und die Ausgangslage erklärt, nämlich dass wahrscheinlich die Promotion von S gefährdet sei: # 41 In die Tiefe (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 03: 43-05: 01) 001 L jEtze °h gömmer [eiglech (.) id TÖIfi mArc. jetzt gehen wir eigentlich in die Tiefe Marc 002 M [hesch du das OU (xxx) hast du das auch (xxx) 003 L °h was HESCH du z gfÜel; was hast du für ein Gefühl 004 (.) ähm wenn du etz eso bitz dini °h äh FÄcher AAluegsch, ähm wenn du jetzt so bisschen deine äh Fächer anschaust 005 das sii MAthe Änglisch franzÖsisch, das sind Mathe(matik) Englisch Französisch 006 ((Rascheln von Unterlagen)) 007 dÜtsch isch das es VIEri, Deutsch ist das eine Vier 008 und äh spOrt isch das jo OU es vIeri; und äh Sport ist das ja auch eine Vier 009 °hh ähm im (.) äh ÄNGlisch, ähm im äh Englisch 010 °hh do sImmer (.) e chli WIter unde, da sind wir ein bisschen weiter unten <?page no="254"?> 254 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 011 mit (.) drÜÜ kchomma ACHT drÜÜ, mit drei Komma acht drei (=3.83) 012 das isch Immer e so (--) KCHIPpi? =oder, das ist immer so Kippe oder 013 DO simmer bimene drÜÜ nÜÜn, da / hier sind wir bei einer drei neun (=3.9) 014 do han i NID Angscht dass das dÜtsch, da habe ich nicht Angst dass das Deutsch 015 °h äh zuneren UNgnüegende note fÜert, äh zu einer ungenügenden Note führt 016 °h äh ANGerersits simmer i de mAthi bimene drüü drÜÜ? äh andererseits sind wir in der Mathe(matik) bei einer Drei drei (=3.3) 017 (1.49) 018 L do wömmer etz ou nid dr tÜfu a d WANG mOOle? =gäu, da wollen wir jetzt auch nicht den Teufel an die Wand malen gell 019 aber es isch dOch nId es drüü SÄCHS bispiuswIIs, aber es ist doch nicht eine Drei sechs (=3.6) beispielsweise 020 [°hh wo mer jo [ähm eifach f drfÜr müesse SCHAFfe, wo wir ja ähm einfach f dafür arbeiten müssen 021 M [mh_mh, [mh_hm; mh mhm 022 L °h und s FRANzi, und das Franz(ösisch) 023 (-) do hemmer e LIECHTblick am horizont hoff i; da haben wir einen Lichtblick am Horizont hoffe ich 024 °hh mit em (-) lEErpersonewächsel (-) uf nach de SUMmerferie,= mit dem Lehrpersonenwechsel auf nach den Sommerferien 025 =do sind sii jo bereits inforMIERT [worde. da sind Sie ja bereits informiert worden 026 M [mh_HM (-) jä, mhm ja 027 (1.78) 028 P aber d NOte blibt halt gliich, aber die Note bleibt halt gleich <?page no="255"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 255 029 [((lacht)) jo JO die, ja ja die 030 L [die ISCH im momänt no (.) korräkt; die ist im Moment noch korrekt 031 M Aso [jo me muess O no drzue säge as eifach, also ja man muss auch noch dazu sagen dass einfach 032 L [korRÄKT; korrekt 033 M DAS het schO drzue gfüert, das hat schon dazu geführt 034 dass är so UNmotiviert isch gsi. dass er so unmotiviert gewesen ist 035 L jä, ja 036 M das han i auso GMERKT, das habe ich also gemerkt 037 L ja; ja Nach Erklärung der Ausgangslage kündigt L nun an, dass sie in die Tiefe gehen werden und diese Ankündigung adressiert sie explizit an S: jEtze °h gömmer eiglech (.) id TÖIfi mArc. (Z. 001). Darauf folgt die Frage °h was HESCH du z gfÜel; (.) ähm wenn du etz eso bitz dini °h äh FÄcher AAluegsch, (Z. 003 f.), an die L jedoch direkt mit einer Aufzählung von Fächern anschliesst. Die Gestaltung des Sprecherwechsels ist damit unklar, da an der redeübergaberelevanten Stelle nach der Frage keine Pause gelassen wird und L ihr Rederecht weiter beansprucht. Durch die sich über mehrere Zeilen erstreckende Darlegung der Noten in den unterschiedlichen Fächern, rückt die Frage weiter in den Hintergrund. Wenn auch zu Beginn eine explizit adressierte Frage an S vorliegt, wird die Beteiligung von S jedoch im Verlauf nicht zwingend erfordert. Ab Zeile 010 wechselt die Adressierung und L referiert zunehmend auf wir , obschon die Rede von den Noten von S ist und S an einer Verbesserung arbeiten muss. L involviert sich hier, verweist allerdings auf Dinge, die in der Verantwortung von S liegen. In diesem Kontext kann die Verwendung von wir auch auf eine Involvierung der nicht adressierten Eltern verstanden werden (vgl. dazu auch Kap. 6.2.2). Schliesslich wendet L sich mit dem Einschub zur Information betreffend des Lehrpersonenwechsels an die Eltern (Z. 025) und spätestens hier ist die ursprüngliche Involvierung von S nicht mehr präsent. An dieser Stelle schalten sich dann auch die Eltern ein: P schwächt den ‚Lichtblick’ ab, da sich <?page no="256"?> 256 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung die aktuellen Noten in dem Fach Französisch nicht mehr verändern liessen und M bringt sich ein, indem sie betont, wie sehr die Situation in diesem Fach mit der verschlechterten Motivation von S zu tun habe. Es folgt im Anschluss eine längere Sequenz über S ohne jegliche Beteiligung von S selbst. In diesem Beispiel zeigt sich eine Unklarheit bezüglich der Rederechtsübergabe, da sie einerseits explizit erfolgt und andererseits L durch erneute Selbstwahl das Rederecht weiter behält. Dadurch ist für S unklar, wie bzw. vor allem wo er sich einbringen soll und so schweigt er. Die namentliche Adressierung kann auch bei bereits bestehender Ausrichtung an dem Kind als Refokussierung mit dem Ziel der Involvierung verwendet werden. Im folgenden Beispiel ist vonseiten der Mutter bereits eine Ausrichtung an dem Schüler vorhanden, als L mit der namentlichen Adressierung einsetzt. Vor dieser Sequenz hat M soeben länger den Werdegang der Schwester von S erzählt und steuert nun in diesem Ausschnitt das Gespräch wieder zurück zu dem Thema des eventuell bevorstehenden Schulwechsels von S. Es geht hier nun insbesondere um einen Besuchstag an einer anderen Schule: # 42 Gute Idee (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 33: 06-33: 30) 001 M °h und de (.) äh wenn du itzt (.) äbe das mal geisch go LUEge für dII; und dann äh wenn du jetzt eben das mal schauen gehst für dich 002 (-) wie gseit du bisch o elLEI ufe ne pauseplatz z sOlothurn, wie gesagt du bist auch alleine auf einen Pausenplatz in Solothurn 003 M hie sit er o elLEI i bus u sit AAcho, hier seid ihr auch alleine in den Bus und seid angekommen 004 (1.2) 005 L mh_hm, mhm 006 (-) 007 S <<flüsternd> ja-> ja 008 M in e leer geisch o elLEI? in eine Lehre gehst du auch alleine 009 de nimmsch dini kolLEge o nid mit; dann nimmst du deine Kollegen auch nicht mit 010 S h° 011 (--) <?page no="257"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 257 012 L °h de söll i [das organiSIEre. dann soll ich das organisieren 013 M [du muesch no GAR nid, du musst noch gar nicht 014 du muesch ja no [gAr nid WÄCHSle; du musst ja noch gar nicht wechseln 015 L [MARC; Marc 016 M aber [ga luege wär vilech GUET; =oder, aber schauen gehen wäre vielleicht gut oder 017 L [HM? hm 018 S [ja; ja 019 (-) 020 M fingsch OO (.) bEni; findest du auch Beni 021 P find i e [GUEti idEE ja, finde ich eine gute Idee ja 022 M [SCHO gäu; schon gell M nimmt zwar mit der Ausrichtung an S wieder das Thema des Schulwechsels auf, jedoch nicht in einer Art und Weise, die S direkt involviert. Stattdessen führt sie eventuelle Gegenargumente von S an, um diese gleich wieder zu entkräften. In Zeile 012 beginnt L mit ihrer Frage an S: °h de söll i das organiSIEre. , wird überlappend aber von M unterbrochen, die S beschwichtigt, er müsse sich noch nicht für den Wechsel entscheiden. Ebenfalls überlappend fügt L nun den Zusatz MARC; an (Z. 015), M führt aber ihre begonnene Rede unbeirrt weiter. Durch namentliche Adressierung lässt sie ihren Partner zu Wort kommen und holt von ihm ein Urteil zum diskutierten Schulbesuch ein, der diesen gutheisst (Z. 020, 021). Die einzige Antwort von S auf die Frage von L in Zeile 012 besteht aus einem bestätigenden ja; (Z. 018), bei dem allerdings nicht klar ist, ob es sich auf die explizit adressierte Frage von L bezieht, oder auf die beschwichtigenden Worte von M. M fokussiert in diesem Ausschnitt zwar S, zielt jedoch nicht auf seine Beteiligung ab, sondern bringt Gründe an, weshalb er diesen Schulbesuch machen soll. Die Entscheidungsfrage von L fordert hingegen eine Antwort ein und dies wird durch die nachgeschobene namentliche Adressierung in Überlappung mit M deutlich. Die Adressierung fungiert hier im Sinne einer Refokussierung mit dem Ziel der Involvierung von S. <?page no="258"?> 258 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Dass die namentliche Adressierung die Involvierung der adressierten Person verstärken kann, zeigt das nächste Beispiel, welches ebenfalls aus dem Gespräch mit Marc stammt. In dieser Sequenz geht es um die Diskussion des allfälligen Schulwechsels von S, die bisher im Gespräch mehrheitlich über seinen Kopf hinweg geführt wurde. Nun weist M dem Schüler explizit das Rederecht zu, um es dann aber trotz erfolgter Involvierung von S wieder abzusprechen: # 43 Nicht jetzt (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 15: 36-15: 49) 92 001 M i WEISS es nId, ich weiss es nicht 002 aber du muesch o öppis drzue SÄge; aber du muss auch etwas dazu sagen 003 [MARC, Marc 004 S [ja- ja 005 M ha[haha du SEISCH ja nÜt? <<lachend> h°> hahaha du sagst ja nichts 006 L [hm; hm 007 S ja i [wEIss es halt OU nid so. ja ich weiss es halt auch nicht so 008 M [muesch nid JETZ gad? =aber; musst nicht jetzt gerade aber 009 i ha EIfach vor zwöi WUche scho mit [iim ha gseit w- ich habe einfach vor zwei Wochen schon mit ihm habe gesagt w 010 L [ja; ja 011 M (---) i cha jo nid IMmer sÄge; ich kann ja nicht immer sagen 012 MARC hesch gmAcht; Marc hast du gemacht Die Mutter fordert hier ihren Sohn auf, sich zur besprochenen Sache zu äussern und unterstreicht die Aufforderung mit der expliziten namentlichen Adressierung: du muesch o öppis drzue SÄge; MARC, (Z. 002 f.). Von S ist bereits in Überschneidung mit der Namennennung die Antwort oder Redeaufnahme ja- 92 Dieses Beispiel wird in Mundwiler (2015: 250 ff.) in Bezug auf elternseitige Steuerungsaktivitäten diskutiert. <?page no="259"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 259 (Z. 004) hörbar. M lacht und wirft S vor, sich nicht zu äussern (Z. 005), worauf S mit einer Antwort beginnt. Jedoch wird ihm an dieser Stelle bereits wieder das Wort abgeschnitten: muesch nid JETZ gad? (Z. 008), womit M eine generelle, nicht aber sofortige Beteiligung von S als wünschenswert äussert. In der Folge inszeniert sich M mit einer möglichen, aber nicht passenden Verhaltensweise in der Rolle einer kontrollierenden Mutter (vgl. Beispiel # 76 für eine Diskussion der Fortführung dieser Sequenz). In den beiden Ansätzen von S, das Rederecht zu übernehmen, sind die Antworten entweder minimal (Z. 004) oder durch Unsicherheit geprägt (Z. 007). Dennoch äussert sich M in Überschneidung mit dem Redebeitrag von S und so kann sie noch nicht wissen, wie der Redebeitrag ausfallen mag. Auch wäre zu diesem Zeitpunkt eine mögliche Handlung, im Sinne des Recipient Designs, bei S nachzuhaken oder bei der Meinungsfindung nachzuhelfen, da er in Bezug auf das Besprochene offenbar noch unsicher ist. Dieser Raum wird ihm jedoch nicht zugesprochen und seine Beteiligung wird nach der namentlichen Refokussierung wieder abgesprochen. Dieses Beispiel zeigt das Potenzial der expliziten Adressierung, da S umgehend eine Bereitschaft zur Beteiligung zeigt. Allerdings wird diese Beteiligung erschwert, da M durch ihre widersprüchliche Äusserung in Zeile 008 explizit das zuvor zugesprochene Rederecht wieder entzieht. Ausgehend von der Beobachtung an dem Datenmaterial, dass grundsätzlich die namentliche Adressierung eine Refokussierung bewirkt und eine Involvierung der adressierten Person begünstigt, wurden hier Kontexte diskutiert, die aus verschiedenen Gründen nicht in dem typisch erwartbaren Sprecherwechsel münden. Verhindert werden die Redeübergaben hauptsächlich dadurch, dass an der redeübergaberelevanten Stelle entweder der / die SprecherIn oder eine andere Person das Rederecht beansprucht und dadurch keine klare Übergabe markiert wird. Involvierung der Eltern Dass die interaktive Ausrichtung am Kind bzw. Jugendlichen bisweilen von den Lehrpersonen gleichzeitig als Vernachlässigung der Involvierung der Eltern wahrgenommen wird, zeigt sich in entsprechenden Thematisierungen oder Anspielungen. Im Folgenden wird durch die indirekte Adressierung der Eltern und die anschliessende Aushandlung deutlich, wie dieses Ausbalancieren der Beteiligung aller Anwesenden herausfordernd sein kann. Vor dem gewählten Ausschnitt hat S sich mithilfe von Begriffen selbst eingeschätzt und die Adressierung war weitgehend von der Lehrerin gesteuert und an dem Schüler ausgerichtet: <?page no="260"?> 260 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung # 44 Was denken die Eltern (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 05: 33-05: 47) 001 L °h jetz was dänked d ELtre denn no? jetzt was denken die Eltern denn noch 002 <<lachend> ich ha s gfüül die (.) die würde eben au no GÄRN öppis [(saage); > °h ich habe das Gefühl die die würden eben auch noch gerne etwas (sagen) 003 M [hahahaha hahahaha 004 V <<: -)> hm hm mir loose GÄRN [zue,> hm hm wir hören gerne zu 005 L [haha haha 006 [haha °h heh haha heh 007 M [<<lachend> (stArtlöcher) [zum öppis [SAAge; > (Startlöcher) um etwas zu sagen 008 V [heh hehe °h heh °h heh hehe heh 009 S [heh °h hehehe heh hehehe 010 V <<lachend> mir schwätze sUnsch jo relativ [VIIL; > hehehe °h wir reden sonst ja relativ viel hehehe 011 L [hehehehe hehehehe 012 [°hh 013 V [aso isch das oKEE; also ist das okay L wechselt von der Ausrichtung an S hin zu den Eltern, indem sie vorerst die Eltern mit der Frage °h jetz was dänked d ELtre denn no? (Z. 001) als Objekt ins Gespräch holt und dadurch indirekt adressiert. Dass die Beteiligungsstruktur Sprechen über die Eltern nicht der Norm entspricht, zeigt sich durch das allgemeine Gelächter (vgl. auch Schwabe 2006: 102). Nach ein paar Scherzen nimmt dann aber M die indirekte Aufforderung ernst und beurteilt S aus ihrer Sicht. Dass ein solcher Fokuswechsel für alle Beteiligten und insbesondere für das zuvor im Fokus stehende Kind eine kommunikative Herausforderung darstellen kann, zeigt die Verwirrung bei dem nächsten Sprecherwechsel in diesem Gespräch. M beurteilt im Anschluss an das gezeigte Beispiel # 44 den Schüler, <?page no="261"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 261 indem sie auf ihn in dritter Person referiert. Nach etwa einer Minute initiiert sie eine Redeübergabe: # 45 Was meinst du (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 06: 33-06: 42) 001 (3.02) 002 M was mÄinsch DU? was meinst du 003 S aso jo-= also ja 004 M =näi PApi; nein Papa 005 S aHA; aha 006 M [hehehe °h hehehe 007 L [hehehehe hehehehe 008 V <<: -)> isch oKEE? > [hehe ist okay hehe 009 S [JÄ; h° ja Nach einer 3-sekündigen Pause stellt M hier nun die Frage was mÄinsch DU? (Z. 002), was rein verbal sowohl auf V als auch S referieren kann. S übernimmt den Turn dann auch sofort, wird aber durch M mit der direkt anschliessenden Reparatur näi PApi; (Z. 004) unterbrochen, womit M nun die zuvor ambige Referenz verdeutlicht. S versteht sich im Fokus der Interaktion, was bis vor dem Beispiel # 44 die durchgängige Beteiligungsstruktur war. Hier missversteht er die Steuerung vonseiten der Mutter, die nämlich auf die Frage von L °h jetz was dänked d ELtre denn no? (Z. 001, Beispiel # 44) anknüpft und nach der eigens präsentierten Bewertung nun an V übergeben möchte. V fragt noch scherzhaft um Erlaubnis, das Rederecht anzunehmen (Z. 008), was S ihm gewährt (Z. 009). Hier zeigt sich also eine Schwierigkeit der Beteiligung in Mehrparteieninteraktionen, da die Beteiligten die Wechsel in der Adressierung wachsam verfolgen müssen (vgl. mehr dazu in Kap. 6.2.1). Eine kurzzeitige Ausrichtung an den Eltern kann auch durch eine Rückfrage erzielt werden. Im folgenden Gespräch unterhält sich L während etwa fünf Minuten fast ausschliesslich mit S und erkundigt sich über das Leseverhalten (wie viel, wo und wann liest S, welche Bücher liest S, interessiert sich S auch für Hörbücher etc.). L schliesst die Sequenz mit °h oKEE (.) gUet, (Z. 001) ab, <?page no="262"?> 262 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung blättert dann in den Unterlagen (was typischerweise ein Hinweis für die Überleitung zu einem nächsten Thema ist) und fragt dann aber noch M, ob sie eine Frage dazu habe (Z. 003): # 46 Lesen (Emma, SJ4_L3A_LMS, 12: 47-13: 23) 001 L °h oKEE (.) gUet, okay gut 002 ((Rascheln von Unterlagen, ca. 15.2 Sek.)) 003 L hän sii no ne FROOG drzue. haben Sie noch eine Frage dazu 004 M nÄi aber s isch SPANnend. nein aber es ist spannend 005 (-) 006 L mh_hm, mhm 007 [han ich AU gfUnde. habe ich auch gefunden 008 M [well das sache sin wo sii nIe verZELLT; hehehehe weil das Sachen sind wo / die sie nie erzählt hehehehe 009 (4.04) 010 L aso DO goots jo au drum Usezfinde; also da geht’s ja auch darum herauszufinden 011 was MACHT me denn äigentlich mit eme tÄxscht, was macht man denn eigentlich mit einem Text 012 (.) wenn i iin nid verSTAND; wenn ich ihn nicht verstehe 013 oder °h RED i drüüber; oder rede ich darüber 014 (.) über dAs won i GLÄÄse ha; über das wo / was ich gelesen habe M hat keine Frage und ratifiziert dadurch weiter die Beteiligungsrolle als stille Zuhörerin. Sie bewertet die Unterhaltung ( s isch SPANnend. , Z. 004) und positioniert sich und die anderen, indem sie anmerkt, dass S ihr diese ‚Sachen’ nicht erzähle. Sie positioniert sich dadurch selbst als Mutter, die nicht über alle Belange ihrer Tochter Bescheid weiss und sie daher die präsentierten Wissensbestände als neue Information aufnimmt. Dass dies für ihre Identität gefährdend sein kann, könnte ihr Lachen (Z. 008) sowie die 4-sekündige Pause nach ihrem Redebeitrag (Z. 009) anzeigen. Interessant ist auch, wie L sich nach der Pause erklärt. Die Positionierung von M als Nichtwissende und Nichtinvolvierte ver- <?page no="263"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 263 anlasst L dazu, der Mutter Einblick in die pädagogischen Überlegungen zur vorangegangenen Unterhaltung zu gewähren (Z. 010-014). Im folgenden Auszug findet sich eine beiläufige Pseudo-Involvierung der Eltern, durch die L die Beteiligungsstruktur Sprechen mit S als bevorzugte markiert: # 47 Gegen den Strich (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 05: 45-05: 48) 001 L sii MÄLde sich,= Sie melden sich 002 =wenn (.) iine öppis gege (.) gegen [e STRICH gOOt. wenn Ihnen etwas gegen gegen den Strich geht 003 M [mh_hm; mhm L spricht mit S über einen Berufseignungstest und fragt, ob S den auch gerne machen möchte. L unterbricht seine Frage und wendet sich mit dem hier zitierten Zwischensatz an die Eltern, um seinen Satz dann gleich wieder weiterzuführen. Er weist dadurch den Eltern sehr deutlich die Rolle der Mithörenden zu, die sich dann melden sollen, wenn ihnen etwas nicht passt. Gleichzeitig wird der Schüler als primär Adressierter in diesem Gespräch etabliert. Diese Rollenzuweisung wird von M akzeptiert. Es handelt sich hier also nicht in dem Sinne um eine Involvierung, die mit einer Redeübergabe verbunden wäre, sondern um eine Anerkennung der Anwesenheit der Eltern sowie um eine Rollenzuschreibung als Mithörende der Gespräche zwischen L und S. Wenn die Eltern sich ebenfalls beteiligen möchten, so muss das, gemäss dieser Ansage, durch Selbstwahl erfolgen. Zusätzlich zu diesen Einschüben während der Gespräche, finden sich fast durchgängig jeweils gegen Ende an die Eltern gerichtete Nachfragen zu offenen Anliegen und Anmerkungen. Dieser Adressierungswechsel hin zu den Eltern kann als erste Initiierung der Gesprächsbeendigung betrachtet werden, da damit (manchmal auch explizit) angezeigt wird, dass vonseiten der Lehrperson alles gesagt wurde (vgl. zur Gesprächsbeendigung auch 4.2). Dass dieser Wechsel der Beteiligungsstruktur hin zu einer gezielten Involvierung der Eltern wiederum durch alle Beteiligten mitgestaltet wird, zeigt das nächste Beispiel: # 48 Ich nicht (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 31: 21-35: 12, mit Auslassung) 001 L das isch ALles vo minere site; das ist alles von meiner Seite 002 hän sii no FROOge; haben Sie noch Fragen <?page no="264"?> 264 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 003 oder (1.09) [AAmerkige. oder Anmerkungen 004 S [(aso) ICH nit ICH nit ICH nit. (also) ich nicht ich nicht ich nicht 005 M °hh <<auflachend> hehm> hehm 006 S nä NÄI ich ha wIrklich nÜt; ne nein ich habe wirklich nichts 007 ((Rascheln von Unterlagen, ca. 3 Sek.)) 008 V hesch kchä FROOge wäg dr sek äins; hast du keine Fragen wegen der Sek(undarschule) eins 009 wo JETZT denn [chunt. wo / die jetzt dann kommt 010 S [näi äigentlich NIT; h° nein eigentlich nicht 011 V he wotsch NÜT wÜsse. he willst du nichts wissen 012 wenn das (.) [är isch dr FACHmaa. wenn das er ist der Fachmann 013 S [näi, nein 014 ((Auslassung im Transkript, ca. 3.5 Min.)) 015 L °h hän SII no frooge. haben Sie noch Fragen Trotz der Ausrichtung von L an den Eltern (Z. 002 f.), antwortet S ausdrücklich verneinend auf die Frage (Z. 004). Dadurch ergreift er durch Selbstwahl das Rederecht und spricht anstelle der adressierten Eltern. Dass dieses Verhalten nicht den erwarteten Normen entspricht, wird durch das Lachen von M angezeigt (Z. 005). V bleibt bei der Ausrichtung an S und versucht ihm doch noch eine Frage zu entlocken. In den ausgelassenen 3.5 Minuten sprechen die Beteiligten über die neue Schule, die neuen Fächer etc., bis L seine Frage an die Eltern - dieses Mal mit Betonung des Anredepronomens Sie - noch einmal stellt (Z. 015). Dadurch bestätigt sich die Annahme, dass schon die erste Formulierung an die Eltern gerichtet war. Auffällig ist hier die Leistung von S, steuernd auf den Gesprächsverlauf einzuwirken. Es zeigt sich hier also, dass einerseits die Steuerung von allen Gesprächsteilnehmenden ausgehen kann und dadurch Asymmetrien lokal ausgehandelt werden. Und andererseits wird hier deutlich, dass alleine die Adressierung und die Vergabe des Rederechts die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen nicht einschränken. <?page no="265"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 265 Dennoch handelt es sich bei dieser Selbstwahl um ein eher seltenes Phänomen in den Daten. Nur sehr vereinzelt kommt es zu Situationen, in denen SchülerInnen anstelle von Erwachsenen sprechen und wenn, dann wird dies dispräferiert, d. h. mit kommunikativem Mehraufwand, bearbeitet. Es konnte gezeigt werden, wie die Beteiligten in dieser Mehrparteieninteraktion verschiedene Strategien anwenden, um sich und die anderen in dem Gespräch einzubeziehen. Die Involvierung des Kindes wird durch die explizite (namentliche) Adressierung sowie verschiedene Design-Aktivitäten begünstigt, die einerseits darauf ausgelegt sind, Redemöglichkeiten für das Kind zu schaffen und andererseits den Eltern die Rolle der Zuhörenden zuzuweisen. Lokal kommt es auch zu Objektifizierungen der SchülerInnen, v. a. wenn es um die Verhandlung von Wissensbeständen geht, die nur für die Eltern Neuigkeitswert haben. 6.1.2 Interaktive Steuerung durch die Eltern Die bisherigen Analysen haben dargelegt, wie die sprachliche Ausrichtung in den meisten Gesprächen stark auf die anwesende Schülerin bzw. den anwesenden Schüler gerichtet ist und die Eltern dabei über längere Strecken die Rolle der stillen Zuhörenden einnehmen. In einem Aufsatz habe ich mich mit der Frage beschäftigt, in welchen Kontexten Eltern trotz dieser Fremdpositionierung das Rederecht ergreifen und die Gesprächssteuerung kurzfristig mitgestalten oder phasenweise übernehmen (vgl. Mundwiler 2015). 93 Es wurden dabei in den Daten drei Kontexte identifiziert, in denen Eltern trotz primärer Adressierung der SchülerInnen in das Gespräch einsteigen: (1) In den Gesprächen werden immer wieder Fragen verhandelt, die das Zuhause betreffen und die theoretisch auch von den Eltern beantwortet werden können. In diesen Zusammenhängen kommt es zu einer Verhandlung der epistemischen Autorität (vgl. Bsp. # 49 und # 50). (2) Eltern sind darum bemüht, sich in einem positiven Licht vorzuführen. Wenn es durch andere Personen oder auch durch eigene Aussagen zu unvorteilhaften Positionierungen kommt, kann es zu der Verteidigung der erzieherischen Rolle kommen (vgl. Bsp. # 51 und # 52). (3) Und ebenfalls im Zusammenhang mit der Selbstpositionierung der Eltern steht auch deren Beurteilung der Angemessenheit von Schülerbeiträgen (vgl. Bsp. # 53 und # 54). Diese Redeübernahmen stehen in engem Zusammenhang mit der Positionierung als kritische und kompetente Eltern. 93 Die folgenden Beispiele und Analysen, die im Rahmen des Teilkapitels Interaktive Steuerung durch die Eltern präsentiert werden, wurden auch in Mundwiler (2015) besprochen. <?page no="266"?> 266 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Verhandlung der epistemischen Autorität Der erste Kontext tritt dann auf, wenn in irgendeinem Zusammenhang über das Zuhause gesprochen wird. Dies kommt häufig dann vor, wenn es um die zeitlichen und räumlichen Ressourcen für das Erledigen der Hausaufgaben geht oder auch um die Frage nach der Selbstständigkeit von SchülerInnen. Wenn eine derartige Frage an die anwesende Schülerin bzw. an den anwesenden Schüler gerichtet ist, so ist diese bzw. dieser aber dennoch nicht die einzig anwesende Person, die theoretisch darüber Auskunft geben kann, da die Eltern in der Regel ebenfalls über dieses Wissen verfügen. Dadurch sind sowohl der / die SchülerIn als auch die Eltern epistemische Autoritäten (vgl. z. B. Heritage & Raymond 2005; Raymond & Heritage 2006; Stivers, Mondada & Steensig 2011). In den folgenden beiden Beispielen kommt es in einem solchen Kontext zu einer elternseitigen Rederechtsübernahme. Beispiel # 49 stammt aus dem Gespräch mit Tatjana und vor dem gewählten Ausschnitt geht die Lehrerin ausführlich auf die Schwächen im Fach Deutsch ein. Während sie insbesondere die schwachen Leistungen in der Rechtschreibung, dem Lesen und dem Hörverständnis hervorhebt, will sie nun von Tatjana wissen, ob sie zu Hause lese und betritt damit den epistemischen Bereich der Familie: # 49 Tipptopp (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 10: 52-11: 08) 001 L LÄse duesch dehEime; lesen tust du daheim 002 M mh_HM, mhm 003 L °hh gUEt (.) AUso das isch scho mol [tippTOPP; gut also das ist schon mal tipptopp 004 V [das isch das ist 005 L [de müesst (mer)- dann müsste (man) 006 V [jetz im lEtschte hAlb jOOr isch das rÄcht (.) BESser worde; = jetzt im letzten halben Jahr ist das recht besser geworden 007 =macht sis wÜrkch [ou GÄRN. macht sie’s wirklich auch gerne 008 L [jo, ja <?page no="267"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 267 009 L (-) AUso; also 010 M [jo- ja 011 V [vorhär het sis nid so GÄRN [gmacht un jetz- vorher hat sie’s nicht so gerne gemacht und jetzt 012 M [plötzlech isch sii im ZIMmer, plötzlich ist sie im Zimmer 013 und wemme [goot go LUEge, und wenn man schauen geht 014 V [ja- ja 015 M hockt sii [Entweder uf em BETT oder uf em SACK und (.) ((plosives Schmatzgeräusch)) heheh hockt sie entweder auf dem Bett oder auf dem Sack und heheh 016 V [das mAcht sii jetz würkch GÄRN; das macht sie jetzt wirklich gerne 017 L jO aso [dasch tippTOPP; = ja also das ist tipptopp 018 V [ja- ja 019 L =[das muesch gad [BIIbhaute; = das musst du gerade beibehalten 020 V [ja; ja 021 M [jo; ja 022 L =UNbedingt, unbedingt In diesem Ausschnitt etabliert sich M als epistemische Autorität, indem sie - ohne eine allfällige Antwort von S abzuwarten - direkt die Frage selbst beantwortet (Z. 002). Von S bleibt in der Folge eine Antwort aus, was mit der bereits getätigten Antwort von M zusammenhängt, aber auch mit der daran anschliessenden Ratifikation von L in Form eines Lobes ( °hh gUEt (.) AUso das isch scho mol tippTOPP; , Z. 003), womit L die Frage als beantwortet akzeptiert. Diese Rederechtsübernahme lässt sich durch das elternseitige Wissen über die Leseaktivitäten von S erklären. Da die Eltern ihre Tochter zu Hause erleben und beobachten, können sie diese auch entsprechend beurteilen. Und in <?page no="268"?> 268 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung diesem Kontext gelingt es ihnen nun in der Folgesequenz, nicht nur die Frage an die Tochter, ob sie lese, zu beantworten, sondern gleichzeitig durch detaillierte Beschreibungen und kleine Erzählungen die Tochter vorteilhafter zu positionieren. Denn - wie eingangs erwähnt - hat bisher die negative Beurteilung der Deutschkenntnisse von S überwogen, weshalb die nun vorgebrachten Erzählungen als korrigierte Fremdpositionierung interpretiert werden kann. Dass die Eltern hier nicht einfach grundsätzlich ihr Kind loben, sondern sich als kritische Eltern (vgl. auch Kotthoff 2014; Pillet-Shore 2012; 2015) präsentieren, zeigt sich in der Art und Weise, wie sie die Beurteilung vornehmen: Der Vater registriert durch seine Beobachtungen Verbesserungen (Z. 004, 006), er betont wiederholt, dass S gerne lese (Z. 007, 011, 016) und die Mutter erzählt in den Zeilen 012 f. und 015 ausführlich vom Leseverhalten der Tochter (zur Funktion von Erzählungen vgl. Kotthoff 2015b). Daraufhin steigt L mit lobenden Worten ein (Z. 017, 019, 022) und positioniert sich als Team mit den Eltern, die dies wiederum durch ihre Ratifikationen (Z. 018, 020, 021) bestätigen. Wenn die Eltern hier anstelle des Kindes sprechen, hat das also zwar einerseits eine beteiligungshemmende Wirkung für S, aber andererseits erreichen die Eltern eine am Ende kollektiv produzierte Aufwertung der Beurteilung - was somit wiederum positiv auf S wirkt. Wenn die Eltern anstelle der adressierten Kinder bzw. Jugendlichen sprechen, kann von einer „Rederechts übernahme “ gesprochen werden (Schwabe 2006: 282, Hervorhebung im Original). Das Sprechen für jemanden oder anstelle einer anderen Person bedeutet in Bezug auf die Beteiligungsrollen nach Goffman (1981), dass eine Person zwar AnimatorIn einer Äusserung ist, nicht jedoch die moralische Verantwortung der ‚auftraggebenden’ Person trägt (vgl. auch Schiffrin 1993; 1994: 106 ff.). Schwabe (2006: 149 ff.) zeigt in ihren Analysen, dass sich das häufige Vorkommen von Rederechtsübernahmen durch die Eltern hemmend auf die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen auswirken kann. Sie erklärt dies durch eine gewisse interaktive Verfestigung der Beteiligungsrollen. Jedoch müssen die Rederechtübernahmen durch die Eltern keineswegs nur negative Auswirkungen haben, wie die verbesserte Beurteilung von S in Beispiel # 49 gezeigt hat. Auch Schwabe (2006: 149 ff.) verweist auf kooperative Ziele, die mit der Rederechtsübernahme verbunden sind und zeigt, wie in ihren Daten Eltern durch unterstützende, ergänzende und korrigierende Äusserungen in einem kooperativen Sinne handeln. Neben diesen unterstützenden Funktionen kann die Rederechtsübernahme durch die Eltern auch aus einem Interesse entstehen, das Gespräch voranzutreiben. Stivers und Robinson (2006) sprechen in diesem Kontext von einer Kollision von Ansprüchen in Mehrparteieninteraktionen: Einerseits gilt der Anspruch der Gesprächsprogression und andererseits der Anspruch, dass Fragen von der jeweils adressierten Person beantwortet werden. <?page no="269"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 269 Diese Ansprüche können dann nicht mehr erfüllt werden, wenn eine adressierte Person über einen längeren Zeitraum keine Antwort liefert. Stivers und Robinson (2006: 380 ff.) konnten zeigen, dass Eltern in solchen Fällen anstelle des Kindes antworten, um den Fortgang des Gesprächs zu sichern. Insofern folgern sie, dass die Präferenz der Gesprächsprogression von den Gesprächsbeteiligten als wichtiger eingestuft wird als der Anspruch, dass die adressierte Person selbst eine Antwort liefert. Dies kann also erklären, weshalb nach länger auftretenden Pausen die Eltern anstelle des Kindes eine Frage beantworten. Bei dem folgenden Beispiel handelt es sich um einen Ausschnitt aus einem Gespräch, welches stark durch längere Pausen geprägt ist. Der Schüler Jonas steht im Fokus des Gesprächs und er wird fast durchgängig direkt adressiert. Längere Pausen werden häufig zugelassen und allenfalls mithilfe von Unterstützungsaktivitäten (Reformulierungen o. ä.) verkürzt, jedoch jeweils mit dem Ziel einer schülerseitigen Antwort (vgl. auch Beispiele # 33 und # 34). In dem folgenden Ausschnitt kommt es jedoch zu einer Rederechtsübernahme durch die Mutter, als es um die Frage nach Erklärungen für seine Lernschwierigkeiten geht: # 50 Lernfächer ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 30: 05-31: 09) 001 L was mi Äfach no würd WUNder nEE, was mich einfach noch Wunder nehmen / interessieren würde 002 (.) das wägem ! GEO! wo du grad AAgsproche hEsch; das wegen Geo(grafie) wo / das du gerade angesprochen hast 003 du hesch scho (.) LETscht joor bim herr dEgen geo [gha. du hast schon letztes Jahr beim Herr Degen Geo(grafie) gehabt 004 S [mh_hm, mhm 005 L (1.66) hesch döt ! AU! e bitzli das gha mit dem: : tExschte lÄÄse schwirigkÄIte, hast du dort auch ein bisschen das gehabt mit diesem Texte lesen Schwierigkeiten 006 oder di nit so: : : verTIEFT- oder dich nicht so vertieft 007 S (-) jä- ja 008 L (-) hEsch es au scho GHA. hast es auch schon gehabt 009 (--) °h wie ! CHUNT! das denn aber; wie kommt das denn aber <?page no="270"?> 270 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 010 dass das in GSCHICHT (.) sich (.) ! NIT! [(.) Üsseret. dass das in Geschichte sich nicht äussert 011 M [das cha psychoLOgisch sii; das kann psychologisch sein 012 L AH; ah 013 M WÄIL (.) är het jo lEtscht joor bim herr dEgen, weil er hat ja letztes Jahr beim Herr Degen 014 (-) GSCHICHT (.) [GEO und BIO (--) gha.= Geschichte Geo(grafie) und Bio(logie) gehabt 015 S [bim herr DEgen; beim Herr Degen 016 L =[un_das] sin Alles so die DÄNKfächer. und das sind alles so diese Denkfächer 017 S [nä: i- ] nein 018 L [aso die LERN]fächer würd i mäine; also diese Lernfächer würde ich meinen 019 S [bio und geo? ] Bio(logie) und Geo(grafie) 020 L [nit dÄnkfächer LERN]fächer; nicht Denkfächer Lernfächer 021 M [! LERN! fächer jä, ] Lernfächer ja 022 L geNAU. genau 023 M und äh: bi allne drEI isch er SCHLÄCHT gsi; und äh bei allen drei ist er schlecht gewesen 024 L (-) aha, aha 025 S nÄI bim herr dEgen han ich kÄIni GSCHICHT gha. nein beim Herr Degen habe ich keine Geschichte gehabt 026 (1.27) bim herr degen han ich MAthe gha. beim Herr Degen habe ich Mathe(matik) gehabt 027 M (1.37) bi WEM hesch denn? bei wem hast du denn <?page no="271"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 271 028 S (-) frau gen[TILe? Frau Gentile 029 M [nä: inein 030 (-) °h ah jo STIMMT [jo, ah ja stimmt ja 031 L [(xxx) 032 M (.) JO stimmt. ja stimmt 033 (-) aber wisoo °h (au)- aber wieso (auch) 034 aber worSCHINli het das öppis mit em: (--) LEErer? aber wahrscheinlich hat das etwas mit dem Lehrer 035 er isch si KLASseleerer gsi, er ist sein Klassenlehrer gewesen 036 und (--) äh: döt bi: (.) müesse widerHOOle, und äh dort bei müssen wiederholen 037 °h vilicht het das au e psycholOgischs DING; =oder, vielleicht hat das auch ein psychologisches Ding oder Wir sehen hier zu Beginn die Ausrichtung an Jonas, indem L ihn einerseits direkt adressiert und andererseits einen Bezug zu seinen früheren Äusserungen herstellt (Z. 001-010). Noch während sie ihre Frage zu einem Erfahrungsbereich von S - und immer noch adressiert an S - formuliert, wird diese schon von M beantwortet (Zeile 011). Diese Rederechtsübernahme erfolgt also nicht erst nach einer längeren Pause, sondern sogar in Überlappung zur Frage von L. Die neue Beteiligungsstruktur, die mit der Rolle der Mutter als auftretende epistemische Autorität einhergeht, wird von L sofort ratifiziert (vgl. auch Beispiel # 49). S allerdings versucht nun an mehreren Stellen mit einer inhaltlichen Korrektur in das Gespräch einzusteigen und seine eigene Rolle zu verteidigen, da die mutterseitige Interpretation auf falschen Annahmen fusst. Vorerst überlappen seine Einwürfe mit den Beiträgen von L und M (Z. 015, 017, 019) und es gibt bis Zeile 025 keine Anzeichen dafür, dass er gehört wird. Seine Korrektur wird dann von M zwar angenommen (Z. 030, 032) und so kann S kurzfristig seine epistemische Autorität etablieren. Allerdings müsste die neue Ausgangslage in Bezug auf die Lehrpersonen logischerweise auch eine Anpassung in ihrer Argumentation nach sich ziehen. Denn wenn es sich nun doch nicht um dieselbe Lehrperson handelt, ist es vielleicht auch nicht so sehr ein psychologisches Problem. Dennoch bleibt sie bei ihrer Interpretation (Z. 034-037) und hält somit an ihrer <?page no="272"?> 272 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung epistemischen Autorität fest. Auch reaktualisiert sie die Beteiligungsstruktur, indem sie sich nach der kurzen Sequenz mit S nun weiter an L ausrichtet. Die Rederechtsübernahme in Beispiel # 50 kann unterschiedlich interpretiert werden. Vor dem grösseren Kontext des Gesprächs kann sie - wenn auch hier lokal keine Pausen auftreten - mit dem grundsätzlichen Anspruch der Gesprächsprogression erklärt werden. Gerade wenn wir die Frage von L betrachten, lässt sich diese Annahme stützen: S wird aufgefordert, differenziert darüber zu reflektieren, weshalb er im Fach Geografie, nicht aber im Fach Geschichte, gewisse Lernschwierigkeiten hat (beide werden als Lernfächer bezeichnet). Dies kann für einen Schüler der 6. Klasse eine anspruchsvolle Frage sein und so kann die Rederechtsübernahme durch M auch als Design-Aktivität interpretiert werden: Dadurch dass sie ihren Sohn kennt, stellt sie die Vermutung an, dass er nicht fähig sein wird, diese komplexe Frage zu beantworten. Als Folge dieser Annahme unterstützt sie S und übernimmt die Antwort an seiner Stelle. Auch hier kann die Rederechtsübernahme also als eine kooperative Handlung betrachtet werden. Verteidigung der erzieherischen Rolle Was bisher noch nicht spezifisch hervorgehoben wurde, jedoch bei beiden gezeigten Beispielen ebenfalls relevant ist, sind die von den Eltern erzielten Selbstpositionierungen als gute und kompetente Eltern, die ihre Kinder beobachten, kennen und einschätzen können. Im Sinne von Baker und Keogh (1995: 273 ff.) kann diesbezüglich von konstruierten „moral versions“ der Eltern (respektive Lehrpersonen) gesprochen werden. So sind sowohl Eltern als auch Lehrpersonen darauf bedacht, idealisierte Identitäten ihrer Selbst darzustellen und aber gleichzeitig das Gegenüber nicht zu schwächen. Das Resultat sind stark konsensorientierte Gespräche, in denen die Praktiken der Lehrpersonen und Eltern kaum explizit bewertet oder angezweifelt werden (vgl. auch Adelswärd & Nilholm 1998: 96; Kotthoff 2015a). Auch in den vorliegenden Daten handelt es sich diesbezüglich meist um implizite Fremdpositionierungen. Im folgenden Gesprächsausschnitt kommt es zu einer solchen impliziten Fremdpositionierung, welche M dazu veranlasst, trotz Ausrichtung an S einzugreifen und ihre erzieherische Rolle zu verteidigen: # 51 Ehrenrunde (Alex, SJ7_L9A_LMS, 00: 18-02: 59) 94 001 L °h Alex hesch scho: mit em mAmi zäme (.) d schUelnetz AAgluegt; Alex hast du schon mit der Mama zusammen die Schulnetze angeschaut 94 Zeilen 001-008 werden bereits in Kap. 4.1.2 diskutiert (vgl. Beispiel # 6). <?page no="273"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 273 002 d nOte mitenander gstu[DIERT; die Noten miteinander studiert 003 S [jä h° (.) aso ÄINGlech mit mim gÖtti; ja also eigentlich mit meinem Patenonkel 004 L mitem GÖTti zÄme [ja; mit dem Patenonkel zusammen ja 005 S [jäh° ja 006 L °h hesch gsEE dass es äh zimlich RO: ti farb het, hast du gesehen dass es äh ziemlich rote Farbe hat 007 und wEniger SCHWARZ; =gäll? und weniger schwarz gell 008 S jäja 009 ((Auslassung von ca. 2 Min.: L erklärt das Punktesystem und die aktuelle Notensituation von S.)) 010 L es wird NÄcher ou nid EIfach (.) Alex- es wird nachher auch nicht einfach Alex 011 (-) we mir jEtzt nid_WEIche stEUe, wenn wir jetzt nicht die Weichen stellen 012 und dU GANZ klAr sEIsch- und du ganz klar sagst 013 dOch mOl das isch mini SCHUEL? doch ja das ist meine Schule 014 (.) die will i MAche? die will ich machen 015 S [mh_HM, mhm 016 L [°hhh äh: : m: (--) süsch DRÄISCH du bi ÜÜs en EErerUndi. ähm sonst drehst du bei uns eine Ehrenrunde 017 S (---) ds hEt mer dr gÖtti Ä gsäit,= das hat mir der Patenonkel auch gesagt 018 M =ICH au? ich auch 019 L das isch: - [°hh das ist 020 S [jo, ja <?page no="274"?> 274 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 021 M [das isch scho LANG (.) jo? das ist schon lange ja 022 L [das isch (.) jA das isch das wär de d QUINTessÄnz; =oder, das ist ja das ist das wäre dann die Quintessenz oder 023 us (.) dr gAnze °h sAch UUse. aus der ganzen Sache heraus In diesem Beispiel erfährt M sowohl in Bezug auf ihre Beteiligungsrolle als auch in Bezug auf ihre Rolle als Mutter und Erzieherin eine negative Fremdpositionierung. Durch die namentliche Adressierung an S (Z. 001, 010) sowie die Referenz auf M in dritter Person (Z. 001), wird ihr die Rolle als passive und stille Zuhörerin zugewiesen. Diese Beteiligungsstruktur bleibt auch dann erhalten, als durch die Schülerantwort in Zeile 003 deutlich wird, dass M über die aktuellen Noten noch nicht im Detail informiert ist, somit also den Common Ground nicht teilen kann. Die Wissensasymmetrie wird an dieser Stelle nicht bearbeitet, womit M nicht optimal in das Gespräch einbezogen wird. Die Positionierung als passive Erzieherin wird zweifach durch S vorgenommen (Z. 003, 017). Während L grundsätzlich von S und M als Team ausgeht, die zu Hause zusammen die Noten diskutieren (Z. 001 f.), wird diese Positionierung von S abgelehnt: mit em mAmi zäme (Z. 001) erfährt von S eine Reparatur zu mit mim gÖtti (Z. 003). Der Patenonkel wird dadurch als Bezugsperson oder gar (Ersatz-)Erzieher bzw. Ko-Lehrperson vorgestellt - eine Rolle, die typischerweise den Eltern zukommt (vgl. z. B. Kotthoff 2012a: 304 ff.) und hier aber der Mutter abgesprochen wird. Diese reagiert vorerst noch nicht auf diese gesichtsbedrohende Fremdpositionierung. Erst als S erneut auf den Patenonkel als erzieherische Bezugsperson verweist ( ds hEt mer dr gÖtti Ä gsäit,= , Z. 017), korrigiert M ihre Positionierung in direktem Anschluss: =ICH au? (Z. 018). Nach diesem Einwurf versucht M mit einem weiteren Beitrag auch in Bezug auf ihre Beteiligungsrolle eine Korrektur vorzunehmen und sich als aktiv Beteiligte zu positionieren (Z. 021). S ratifiziert die neue Rolle von M kurz (Z. 020), L bearbeitet jedoch den Einwurf nicht weiter. Dass L hier die Bearbeitung eines schülerseitigen Angriffs auf die idealisierte Identität von M vermeidet, bestätigt die grundsätzlich konsensorientierte Ausrichtung der Gespräche. Auch im nächsten Gesprächsausschnitt sieht sich ein Elternteil - hier ist es der Vater - kurzfristig in der Position, seine erzieherische Rolle verteidigen zu müssen. Anders als in Beispiel # 51 wird V jedoch nicht primär durch die Beteiligten fremdpositioniert, sondern er manövriert sich selbst in die Rolle des uninformierten Vaters. Der gewählte Ausschnitt findet sich gegen Ende des Gesprächs und ist Teil einer Sequenz, in der L zusammenfassend einige Forderungen an S stellt. Dabei geht es um Verbesserungen in Bezug auf Absenzen, <?page no="275"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 275 Verspätungen sowie mangelhafte Leistungen im Unterricht. Eine spezifische Forderung ist zudem, dass David, der sich in der 12. Klasse und damit im letzten Schuljahr befindet, aktiv um eine bis anhin verpasste Anmeldung zum Examen für das Cambridge Certificate in Advanced English ( CAE ) bemühen muss. Das folgende Beispiel # 52 setzt dort ein, wo V durch eine Nachfrage anzeigt, dass er nicht über alle entsprechenden Details informiert ist: # 52 Frist verpasst (David, SJ12_L5A_LVS, 54: 03-54: 55) 001 V °h aso s är muess sich bi WO genau aa[mÄlde. also s er muss sich bei wo genau anmelden 002 S [s: : i ei II, CAE 003 S (-) [ähm s ISCH- ähm es ist 004 V [hä? hä 005 (1.01) 006 L für für die si ei II prÜefig. für für die CAE-Prüfung 007 (---) bim: äh: Esol schweiz, beim äh ESOL Schweiz 008 ((Schreibgeräusche, ca. 14 Sek.)) 009 V und und äh (.) ähm muess er das SCHRIFTlich mache? und und äh ähm muss er das schriftlich machen 010 per per mEIl oder oder per for[muLAR oder per wAs? per per Mail oder oder per Formular oder per was 011 L [aso norMAlerwiis äh gitsalso normalerweise äh gibt’s 012 [macht me das ONläin, macht man das online 013 V [((hustet)) 014 L cha me sich [IIgää, kann man sich eingeben / eintragen 015 V [mh_hm, mhm 016 L nur dr dAvid het äh: (-) [d FRISCHT vrpasst.= nur der David hat äh die Frist verpasst 017 S [d frischtdie Frist <?page no="276"?> 276 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 018 V =jä_ä dasch KLAR jä. ja das ist klar ja 019 mir händs em hUndertmol [GSÄIT, wir haben’s ihm hundertmal gesagt 020 S? [hh° 021 V und äh: (--) und ÄR, und äh und er 022 (--) aso i will jetz NIT irgend, also ich will jetzt nicht irgend 023 (1.02) aso s_sch GANZ klAr Äfach- also es ist ganz klar einfach 024 (1.66) <<f> aso du ! WÄISCH! was de z dUe hesch.> also du weisst was du zu tun hast Durch die Nachfragen in den Zeilen 001 und 009 f. zeigt V an, dass er erstens nicht im Bild ist, um welches Examen es sich handelt und zweitens den genauen Ablauf des Anmeldeverfahrens nicht kennt. Dadurch positioniert er sich als teilweise uninformierten Vater. Von L und S werden die Nachfragen jedoch als grösseres Wissensdefizit gedeutet und sie verstärken in der Folge durch die detaillierten Ausführungen die Positionierung von V als uninformiertes Elternteil. Ab Zeile 18 korrigiert V diese zugeschriebene Rolle, indem er sich wieder als Wissender positioniert und seine erzieherische Rolle verteidigt. So zeigt er an, dass er über das Examen grundlegend Bescheid weiss ( dasch KLAR , Z. 018) und den Sohn (wohl gemeinsam mit M) entsprechend ermahnt hat ( mir händs em hUndertmol GSÄIT , Z. 019). Er verleiht dieser korrigierten Positionierung noch verstärkt Nachdruck, indem er die erzieherische Rolle auch dadurch verteidigt, dass er sich mit laut werdendem, disziplinierendem Ton an S wendet: <<f> aso du ! WÄISCH! was de z dUe hesch.> (Z. 024). So referiert er nicht nur auf seine Rolle, sondern führt sein erzieherisches Handeln direkt vor. Neben der Verteidigung seiner eigenen Rolle, unterstützt er auch durch eine Koalitionsbildung die disziplinierenden Massnahmen von L. Sowohl das Absprechen als auch das Verteidigen einer Rolle geschieht hier in beiden gezeigten Beispielen implizit. In beiden Fällen kommt es innerhalb einer Sequenz zwischen L und S zu einer kurzzeitigen Steuerung durch die Eltern, welche eine optimierte Positionierung bewirkt. Auch in den nächsten Beispielen geht es implizit um eine optimierte Selbstpositionierung der Eltern, jedoch in Kontexten, wo sie die Angemessenheit der Gesprächsbeiträge ihrer Kinder beurteilen. <?page no="277"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 277 Beurteilung der Angemessenheit von Schülerbeiträgen Eltern kontrollieren und beurteilen die Gesprächsbeiträge ihrer Kinder und zeigen an, wenn sie etwas als unangemessen beurteilen. Es werden im Folgenden zwei Beispiele herausgegriffen, die zeigen, wie Eltern die Formulierung und Positionierung ihrer Kinder überwachen (für eine weitere Differenzierung vgl. Mundwiler 2015: 246 ff.). In Beispiel # 53 weist L die Schülerin Chiara an, ihre Selbsteinschätzung zum Sachunterricht vorzulesen: # 53 Sachunterricht (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 03: 25-03: 36) 001 L (-) °h SACHungerricht chasch no vOrlääse? Sachunterricht kannst du noch vorlesen 002 S °h beim tEst vom sachunterricht ha hAtte ich eine [SECHS- beim Test vom Sachunterricht ha hatte ich eine Sechs 003 M [NÄI; nein 004 (.) dues nomel LÄÄse; tu’s nochmals lesen 005 S (-) OU °h beim tEst von schwEIzer kantonen hatte ich eine SECHS; oh beim Test von Schweizer Kantonen hatte ich eine Sechs In Zeile 002 liest Chiara ihre Selbsteinschätzung vor und tut dies offensichtlich ungenau, weshalb M bereits in Überlappung eine Reparatur einfordert: S übernimmt das Wort Sachunterricht aus der Redeaufforderung von L (Z. 001), obwohl auf ihrer Selbsteischätzung Schweizer Kantone zu lesen ist. Deshalb fordert M sie auf, den Satz noch einmal vorzulesen (Z. 003 f.), was diese nach dem change-ofstate token (vgl. Heritage 1984b) auch tut ( OU , Z. 005, steht für die Interjektion oh ). Durch diesen Einwurf positioniert sich M als Ko-Lehrerin und zeigt, dass sie einerseits Fehler und Unsorgfältigkeiten der Tochter wahrnimmt und andererseits auch entsprechend korrigierend eingreift. Dass L an dieser Stelle keine entsprechende Korrektur vornimmt, kann an dem bestehenden Sinnzusammenhang liegen. Denn die gewählten Wörter referieren vor und nach der Reparatur auf denselben Fachbereich und bezeichnen diesen einmal allgemeiner und das zweite Mal spezifischer. Im folgenden Beispiel bringt sich der Schüler Ben aktiv in das Gespräch ein, indem er einen Wunsch für den Sportunterricht äussert. Dies wird von V jedoch als unangemessen beurteilt. Vor der gewählten Sequenz in Beispiel # 54 lobt L Ben für seine guten Leistungen im Sportunterricht und hier setzt dieser nun mit seinem Wunsch an: <?page no="278"?> 278 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung # 54 Fussball (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 21: 47-22: 11) 001 S Ich ha no Öppis zum: °h zum: TURne; ich habe noch etwas zum zum Turnen 002 (.) FUESSball; Fussball 003 L [jä? ja 004 S [°hh Also (.) vilicht no e paar ECKball, also vielleicht noch ein paar Eckbälle 005 das fänd me no LUSCHtig; das fände man noch lustig 006 L hh° 007 S denn ka me au paar KOPFballgool iine mache vilIcht; dann kann man auch paar Kopfballtore hinein machen vielleicht 008 L °h [hh° jä- ja 009 M [viLICHT; vielleicht 010 S vilIcht (.) WEMme trifft; vielleicht wenn man trifft 011 V hesch ÄÄNlichi vorschläg au bezüglich schrIIben und [rÄchne. hast du ähnliche Vorschläge auch bezüglich Schreiben und Rechnen 012 M [heh heh 013 L heh [h° heh 014 S [NÄI; nein 015 L °h ha[hahahahaha hahahahahaha 016 V [nume FUESSball. nur Fussball 017 L ha[hahahaha °hh hahahahaha 018 V [<<lachend> isch GUET; > °hh ist gut <?page no="279"?> 6.1 Beteiligungsstrukturen bei expliziter (verbaler) Adressierung 279 019 L isch GUET. ist gut 020 M [hehehehe hehehehe 021 S [°hh 022 L jetzt WÄISS is. jetzt weiss ich’s 023 S jä; hh° ja S äussert einen spezifischen Wunsch für den Sportunterricht und bewertet diesen (und entsprechend seinen Lehrer) damit implizit. Er positioniert sich als kompetenten und gleichberechtigten Gesprächsteilnehmer, der zwar einerseits beurteilt wird, der aber andererseits auch die anderen beurteilen kann. Dieser Selbstpositionierung liegt das Verständnis einer weitgehend symmetrischen Gesprächsstruktur zugrunde. Von L sind kurze Rezeptionsbekundungen hörbar, die jedoch nicht eindeutig interpretierbar sind (Z. 003, 008). Unmissverständlich ist allerdings die Reaktion von V: hesch ÄÄNlichi vorschläg au bezüglich schrIIben und rÄchne. (Z. 011). Durch diese ironische Frage weist V seinen Sohn zurecht und zeigt an, dass sein Beitrag unangemessen ist. In anderen Worten: V korrigiert die soziale Ordnung und weist asymmetrische Rollen zu. L verfügt demnach über Expertenwissen zu den unterschiedlichen Fächern (Schreiben, Rechnen, aber auch Sport) und verfügt damit über die Hoheit über Inhalte etc. zu urteilen. Demgegenüber steht S als Laie da, der über keine didaktischen Entscheidungen Kenntnis hat und als alleiniger im Raum beurteilt werden soll. Sowohl M als auch L zeigen durch das Lachen, dass sie diese Sicht von V teilen. Indem V seinem Sohn zeigt, dass sein Beitrag im Rahmen des Beurteilungsgesprächs unangemessen ist, zeigt er gleichzeitig dem Lehrer an, dass er zumindest nicht an der Rolle und Expertise von L zweifelt. Er distanziert sich also vom Gesprächsbeitrag von S und etabliert wieder asymmetrische Beteiligungsrechte. Interessant ist, dass L durch seinen abschliessenden Kommentar jetzt WÄISS is. in Zeile 022 eine kleine Milderung der Zurechtweisung des Schülers ermöglicht. So zeigt er an, dass er den Vorschlag zur Kenntnis nimmt, ohne aber einerseits die (Un-)Angemessenheit zu beurteilen oder andererseits Einblick in sein diesbezüglich künftiges Handeln zu gewähren. Die vorgestellten Beispiele zeigen, wie Eltern in verschiedenen Kontexten trotz primärer Adressierung der SchülerInnen die Steuerung kurzzeitig übernehmen. Es konnte gezeigt werden, dass sowohl die Verhandlung der epistemischen Autorität, die Verteidigung der erzieherischen Rolle als auch die <?page no="280"?> 280 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Beurteilung der Angemessenheit von Schülerbeiträgen jeweils eng mit Positionierungsaktivitäten zusammenhängen. Auch geben die Beispiele Einblick in die interaktive und situative Aushandlung von Beteiligung: Nicht nur die aktuell primär Adressierten, sondern alle ratifizierten Beteiligten haben jederzeit die Möglichkeit in das Gespräch einzusteigen. Dass Rederechtsübernahmen nicht nur negativ und beteiligungshemmend gedeutet werden müssen, zeigt insbesondere Beispiel # 49, in welchem gut ersichtlich ist, welche positiven Auswirkungen in Bezug auf die Positionierung von S erlangt werden. 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen Die Mehrparteieninteraktion stellt die Anforderung an die Beteiligten, sich an mehr als einer Person auszurichten. Eine Strategie, die sich in den Gesprächen beobachten lässt, ist das häufige Wechseln der Adressierung. Dadurch wird kontinuierlich der Beteiligungsrahmen aktualisiert und verändert, was als Strategie der optimalen Involvierung aller Beteiligten interpretiert werden kann (vgl. auch Silverman, Baker & Keogh 1998: 226). Im Folgenden geht es allerdings nicht nur um die raschen Wechsel der Referenzen, die eine Involvierung aller Beteiligter ermöglichen, sondern auch um solche Referenzen, die durch ihre ambige Bedeutung potenziell alle Beteiligten involvieren. 95 Es geht dabei insbesondere um die Pronomen man und wir , welche je nach Kontext sowohl aufseiten der Sprechenden als auch aufseiten der Rezipierenden inklusiv oder exklusiv verwendet werden können und damit generell ambig sind. Malone (1997: 50) geht davon aus, dass eine bedeutende Leistung der Pronomen gerade durch ihre Ambiguität darin besteht, die Beteiligten in der Interaktion zu involvieren: „Instead of avoiding ambiguity, conversationalists thrive on it, to maintain active co-participation.“ Damit nimmt er Bezug auf Goffmans (1967: 114 ff.) Konzept der involvement obligations aller Beteiligter in einer Interaktion und kommt zum Schluss, dass Pronomen durch die indexikalische Funktion ihre Bedeutung im Kontext erst durch die Beteiligten erlangen. 96 Pronomen können also eine involvierende Funktion aufzeigen und sind demnach gleichzeitig relevant in Bezug auf das Recipient Design sowie 95 Vgl. Channell (1994: 35) zur Abgrenzung der Termini Ambiguität und Vagheit : „Ambiguity has traditionally been identified where a sentence has two or more competing but distinct meanings attached to it, whereas vagueness is seen where distinct meanings cannot be identified.“ 96 Vgl. z. B. Patzelt (1987: 61 ff., 160 ff.) zur Indexikalität. <?page no="281"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 281 die Positionierung in der Interaktion (vgl. Malone 1997: 53; vgl. auch diverse Fallstudien in Sacks 1995). 6.2.1 Rasche Wechsel der Referenzen Mit rasch wechselnden Referenzen wird eine Ressource genutzt, die in Mehrparteieninteraktionen eine ständige Ausrichtung an allen Beteiligten ermöglicht. Es liegen bereits eine Fallstudie zu Beurteilungsgesprächen (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998) sowie Forschungsergebnisse zu vergleichbaren Gesprächskonstellationen aus der Sozialen Arbeit vor (vgl. Hitzler 2012; 2013; Messmer & Hitzler 2011), die bekräftigen, dass es sich dabei um ein Phänomen handelt, welches insbesondere in institutionellen Mehrparteieninteraktionen verwendet wird, bei denen Erwachsene mit einem Kind oder Jugendlichen sprechen, die / der auch Gesprächsobjekt ist. Aber auch in Alltagsgesprächen lässt sich dieses Phänomen beobachten und zeigt, dass grundsätzlich durch die Wahl und Wechsel der Pronomen die Rollen laufend neu ausgehandelt werden (vgl. Malone 1997: 76). Während rasche Wechsel einerseits eine Optimierung des Recipient Designs in Mehrparteienkonstellationen ermöglichen, betont Hitzler (2013: 120) aber, dass andererseits eine Unsicherheit bezüglich des Sprecherwechsels entstehen kann. Denn wenn jederzeit alle angesprochen werden, sind alle auch potenzielle nächste Sprechende, jedoch ohne Klarheit darüber, welche Beteiligungsrolle ihnen gerade zusteht. Darin begründet sie auch das in ihrem Korpus eher seltene Auftreten stark gehäufter Adressierungswechsel. In den untersuchten Beurteilungsgesprächen taucht das Phänomen der raschen Adressierungswechsel unterschiedlich oft auf und diese Ressource wird tendenziell öfter bei jüngeren Kindern genutzt. Am nächsten Beispiel soll illustriert werden, wie sich rasche Wechsel der Adressierung auf die Beteiligung auswirken: # 55 Blackout (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 03: 08-03: 25) 001 L aso i wü dÄnke würklech MAthe, also ich wü denke wirklich Mathe(matik) 002 döt isch sii (.) i vilne sache rÄcht SATtelfescht. dort ist sie in vielen Sachen recht sattelfest 003 ZWÜschine (.) ZWÜschine het sii nöi, zwischendurch zwischendurch hat sie neu 004 (.) kchas GÄÄ as sii plötzlech, kann’s geben dass sie plötzlich <?page no="282"?> 282 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 005 M MH_hm [es BLÄCKaut het MH_hm; mhm ein Blackout hat mhm 006 L [äh wien es BLÄCKaut het, äh wie ein Blackout hat 007 wien es [GNUUSCH? wie ein Durcheinander 008 V [mh_HM, mhm 009 L °hh und de (-) zum teil ↑UPS (.) wisoo goots [jetze nüm, und dann zum Teil ups wieso geht’s jetzt nicht mehr 010 M [MH_hm. mhm 011 L aber (.) SII chunt nächer aumen eigentlech schO wider- aber sie kommt nachher jeweils eigentlich schon wieder 012 (.) chunsch nächer eigentlech schO [wider DRII. (du) kommst nachher eigentlich schon wieder rein 013 S [jä. ja L wendet sich mit ihrer Beurteilung an die Eltern, indem sie in Zeile 002 in der dritten Person auf S referiert und sie dadurch zum Objekt des Gesprächs macht. In Zeile 003 f. beginnt L eine Äusserung zu einem neu aufgetauchten Problem von S, welche nach dem Wort plötzlech (Z. 004) von M beendet wird ( MH_hm es BLÄCKaut het , Z. 005). Durch die Vollendung der projizierten Äusserung zeigt M einerseits eine hohe Involvierung in das Interaktionsgeschehen und andererseits drückt sie durch die Perspektivenübernahme ein Verständnis für die Problematik aus. Auch M referiert in der dritten Person auf S. L nimmt die Wortwahl von M zunächst auf und spricht ebenfalls von einem Blackout (Z. 006), reformuliert dann aber noch zu wien es GNUUSCH? (Z. 007). L veranschaulicht nun in einem Szenario diese beobachtete Problematik von S, indem sie die situativ vermuteten Gedanken von S imaginiert: ↑UPS (.) wisoo goots jetze nüm, (Z. 009). Dadurch übernimmt L die Perspektive von S und lässt sie mit ihren möglichen Gedanken als Beteiligte auftreten, was als Wechsel des Beteiligungsrahmens betrachtet werden kann. 97 Von M und V sind bis dahin an verschiedenen Stellen Rezeptionssignale hörbar (Z. 005, 008, 010). Abschliessend schwächt L die Problematik wieder ab, indem sie auf das nur kurzzeitige Auftreten hinweist. Sie adressiert dabei zuerst die Eltern ( aber (.) SII chunt nächer aumen eigentlech schO wider- , Z. 011), setzt dann kurz ab und beginnt 97 Szenarios und animierte Rede werden in Kap. 7 genauer besprochen. <?page no="283"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 283 mit aktualisiertem Beteiligungsrahmen an S adressiert: (.) chunsch nächer eigentlech schO wider DRII. (Z. 012). S ratifiziert diese Einschätzung in Überlappung mit L (Z. 013). Es ist sehr auffällig, wie sich die Rezipierenden je nach Ausrichtung von L beteiligen. Solange S den Objektstatus innehat, ist von ihr - zumindest verbal - keine Beteiligung vorhanden, was sich jedoch direkt nach dem Wechsel ändert. So hat der Wechsel hier eine zugunsten der Schülerin involvierende Wirkung. Selbstverständlich darf nie aus dem Blick gelassen werden, dass alle Beteiligten ratifizierte Rezipierende sind und sich grundsätzlich angesprochen fühlen können. Doch zeigt sich gerade bei Kindern und Jugendlichen eine zurückhaltende aktive Beteiligung, weswegen es wichtig ist, die Ressourcen zu identifizieren, die eine involvierende Wirkung haben. Am folgenden Gesprächsausschnitt kann zur involvierenden Funktion zudem gezeigt werden, wie sich durch die fliessenden Grenzen zwischen gemeinten und tatsächlichen Adressierten Informationen gesichtsschonend kommunizieren lassen: # 56 Mathematik (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 01: 32-02: 35) 001 L mathemaTIK? Mathematik 002 was hesch du [do (.) UFgschribe. was hast du da aufgeschrieben 003 S [mh °h mh 004 L [(bi di: r); (bei dir) 005 S [EIgentlich läuft es in mathe (.) überall gut, eigentlich läuft es in Mathe(matik) überall gut 006 °h ausser im (.) NEUen (.) thEma, ausser im neuen Thema 007 vergrÖssern und verKLEInern, vergrössern und verkleinern 008 GEHT es nicht so gut. [°h geht es nicht so gut 009 L [mh_HM, mhm 010 °h fÜusch du di in mathematik WO: U. fühlst du dich in Mathematik wohl 011 S mh_HM- mhm <?page no="284"?> 284 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 012 L duesch GÄRN rächne; tust du gerne rechnen 013 jo °h aso (.) mir fauts AU uf, ja also mir fällt’s auch auf 014 dass sii sicher (.) lieber duet RÄCHne, dass sie sicher lieber rechnen tut 015 M [MH_hm. mhm 016 L [as (.) irgendöppis i de SPROOCH mache. als irgendetwas in den Sprachen machen 017 M jo [das ISCH so. ja das ist so 018 L [°hh jetz hüt am morge hei mir AAgfange mit dr proportionaliTÄT, jetzt heute am Morgen haben wir angefangen mit der Proportionalität 019 aso hundert gramm schAmpinjo: choschte SÄCHS franke, also hundert Gramm Champignons kosten sechs Franken 020 wie tüür sii ZWOIhundert gramm DRÜÜhundert gramm VIERhundert gramm,= wie teuer sind 200 Gramm 300 Gramm 400 Gramm 021 =und do bisch jetzt würkch wider °hh rÄcht DIFfig ungerwägs gsi,= und da bist du jetzt wirklich wieder recht schnell unterwegs gewesen 022 =und vor auem au rÄcht SIcher. und vor allem auch recht sicher 023 (-) 024 M [mh_HM, mhm 025 L [aso DO isch sii jetz hüt am mOrge, also da ist sie jetzt heute am Morgen 026 het sii EIgentlech, hat sie eigentlich 027 °hh hesch fasch kchEni FÄÄler gmacht gha. hast du fast keine Fehler gemacht gehabt 028 [°hhh [und- und 029 S [°h 030 M [(guet), (gut) <?page no="285"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 285 Die Sequenz beginnt damit, dass sich L an S richtet und sie auffordert, ihre Selbstbeurteilung zum Fach Mathematik vorzulesen (Z. 001 f., 004). Nach der von S vorgelesenen Selbsteinschätzung (Z. 005-008) stellt L zwei Ergänzungsfragen ( °h fÜusch du di in mathematik WO: U. , Z. 010; duesch GÄRN rächne; , Z. 012), die von S mit mh_HM- minimal beantwortet werden (Z. 011 sowie nach Z. 012 vermutlich durch nonverbale Zustimmung). 98 Daraufhin richtet L ihre eigene Einschätzung ( jo °h aso (.) mir fauts AU uf, dass sii sicher (.) lieber duet RÄCHne, as (.) irgendöppis i de SPROOCH mache. , Z. 013 f., 016) an die Eltern, indem sie das Kind zum Objekt des Gesprächs macht. Dies lässt sich beim Wechsel der Referenz auf die Schülerin von du (Z. 002, 010, 012) zu sie (Z. 014) zeigen. Dass dieser Adressierungswechsel für den Verlauf des Gesprächs relevant ist, zeigt sich durch die einsetzenden Rezeptionssignale und Kommentare von M (Z. 015, 017, 024, 030) und die gleichzeitig fehlenden Rückmeldungen von S. Beide zeigen dadurch eine Orientierung an der neu aktivierten Beteiligungsstruktur, in der die Eltern adressiert werden und S zwar als ratifizierte Rezipientin mithört, jedoch durch den erhaltenen Objektstatus nicht Adressatin der Gesprächssequenz ist. Nun berichtet L in der folgenden Sequenz über die derzeitige Thematik im Fach Mathematik (Z. 018-020) und bewertet die Leistungen von S (Z. 021 f., 025-027). Die Art und Weise, wie die Lehrerin ihre Äusserungen hier gestaltet, ist in Bezug auf die Gesprächsorganisation höchst interessant. Sie beginnt damit, dass sie mit dem Pronomen wir auf sich und die Klasse referiert ( °hh jetz hüt am morge hei mir AAgfange mit dr proportionaliTÄT, , Z. 018) und damit S einbezieht, nicht aber die Eltern. Durch die inkludierende Funktion von wir wird die Beteiligungsstruktur aktualisiert und S wird vorerst indirekt in die Äusserung integriert. In Zeile 021 f. folgt dann die direkte Adressierung von S. Nach der Nennung des neuen Themas in Mathematik, der Proportionalität, fügt L Erläuterungen hinzu, die sie beinahe in der Art einer unterrichtssprachlichen Aufgabenstellung vorträgt ( aso hundert gramm schAmpinjo: choschte SÄCHS franke, wie tüür sii ZWOIhundert gramm DRÜÜhundert gramm VIERhundert gramm, , Z. 019 f.). Bei dieser kurzen Zwischensequenz stellt sich die Frage, für wen diese Ausführungen aufbereitet werden. Durch das inkludierende Pronomen wir ist S zumindest Mitadressatin. Allerdings handelt es sich hier um Wissen, das bei L und S vorhanden ist, nicht aber bei den Eltern, weshalb anzunehmen ist, dass diese Erklärungen zur Proportionalität in der Mathematik an die Eltern gerichtet sind. Nun kann es aber aus Sicht der Lehrerin problema- 98 Durch das auch in mir fauts AU uf von L in Z. 013 können wir annehmen, dass L sich einer bejahenden Aussage von S anschliesst, die in diesem Fall entweder nur leise verbalisiert wurde und auf der Aufnahme nicht hörbar ist, oder nur nonverbal durch Nicken angezeigt wurde. <?page no="286"?> 286 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung tisch sein, die Annahme zu treffen, dass die Eltern nicht über Grundthemen der Mathematik Bescheid wissen. Der Zuschnitt auf die Eltern wird strategisch so gelöst, dass L den erklärenden Einschub an S adressiert und dadurch den Eltern kein fehlendes Wissen unterstellen muss. Wir sehen also in dieser Sequenz, dass Wissen in einem Gruppengespräch auch so aufbereitet werden kann, dass die direkt adressierten Personen bereits über das Wissen verfügen und deshalb vermutlich nicht die gemeinten Rezipierenden sind. Nach dieser erklärenden Sequenz wendet sich L nun im direkten Anschluss mit =und do bisch jetzt würkch wider °hh rÄcht DIFfig ungerwägs gsi, =und vor auem au rÄcht SIcher. positiv wertend an S (Z. 021 f.). Interessant ist an dieser Stelle, dass sich M mit Rückmeldesignalen einbringt (Z. 024), obwohl S adressiert wird. Gleichzeitig wechselt L die Adressierung an die Eltern, indem sie mit sie auf das Kind referiert und das Gesagte ergänzt ( aso DO isch sii jetz hüt am mOrge, het sii EIgentlech, , Z. 025 f.). Nach einer gefüllten Pause kommt es zu einer selbstinitiierten Selbstreparatur und L beendet ihren Satz mit einem erneuten Adressierungswechsel an das Kind gerichtet ( °hh hesch fasch kchEni FÄÄler gmacht gha. , Z. 027). Von S ist deutliches Einatmen hörbar und M ratifiziert die an S adressierte Beurteilung mit einem (wegen Überlappung) nicht eindeutig identifizierbaren guet (Z. 030). Durch diese wechselnde Orientierung an unterschiedlichen Adressaten wird deutlich, dass die Beteiligungsstruktur laufend von allen Anwesenden mitgestaltet und aktualisiert wird und dass auch nicht adressierte Rezipierende jederzeit wieder aktiv in das Gespräch integriert werden können. Dieses Beispiel zeigt, wie die Konstitution der Gruppe Einfluss auf das Recipient Design nehmen kann. Die Orientierung an mehreren Rezipierenden führt hier zu häufig wechselnder Adressierung, zu implizit adressierten Äusserungen und zu unterschiedlichen Strategien, um Common Ground zu schaffen. Rasche Wechsel der Adressierung sind als spezifische Strategie in der Mehrparteieninteraktion zu verstehen, die eine Involvierung aller Beteiligter ermöglicht. 6.2.2 Unspezifische Referenzen Im deutschen Sprachsystem gibt es Pronomen, die eine eindeutige Referenz aufweisen, wie beispielsweise die zweite Person Singular du , und es gibt aber auch Pronomen, die grundlegend ambig sind und erst durch den lokalen Kontext aufgeschlüsselt werden können. Dazu zählen in erster Linie die Pronomen man und wir . Aber auch Konstruktionen im Infinitiv, Passiv oder mit es bzw. das lassen offen, wer AkteurIn ist und können als ‚depersonalisierte’ Formen die Referenz offen lassen (vgl. z. B. Hitzler 2013: 119; Schwitalla 2012: 139). <?page no="287"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 287 Das Pronomen man erweist sich als Problemfall, wenn eine eindeutige grammatikalische Zuordnung gesucht wird. Trotz ausgiebigen Recherchen und reichlichen Überlegungen zur Zuordnung von man als entweder Indefinit- oder Personalpronomen kommt Zifonun (2000: 249) zum Schluss, es bei einer ‚Zwischenlösung’ zu belassen und „zunächst von man als dem ‚generischen Pronomen’ zu sprechen“. Bredel (1999: 126 ff.) schlägt vor, man als ‚neutrales Personalpronomen’ zu kategorisieren und wendet sich damit gegen die vorwiegende Betrachtung unter dem Gesichtspunkt der ‚Depersonalisierung’. 99 Sie unterscheidet im Weiteren das generische, das attributive und das circumstantielle man . Beim ersten Typ referiert man auf (potenziell) alle Menschen und umfasst Äusserungen wie man kann nicht an alles denken (vgl. auch Zifonun 2000: 233). Mit dem generischen man scheint häufig eine Bewertungshandlung einherzugehen, die insbesondere durch die Inklusion aller Beteiligten begünstigt wird (vgl. Bredel 1999: 129). Das attributive man hingegen verweist mit Äusserungen wie man sieht den Berg von dort auf niemanden bzw. auf ‚wen auch immer’ 100 und hat laut Bredel (1999: 131) eine erläuternde Funktion. Das circumstantielle man bezieht sich auf diejenigen man -Konstruktionen, die eine spezifische Personenreferenz ersetzen und durch den lokalen Kontext rekonstruierbar sind. Bredel (1999: 132) beobachtet beim circumstantiellen man in Erzählungen besonders die Form des ichersetzenden man und sieht darin die Funktion der Distanzierung von einem problematischen Ereignis sowie die Inklusion der Rezipierenden. Auer (2000: 166 f.; vgl. auch König 2012) bezeichnet dasselbe Phänomen als ‚autoreferentiell’ und sieht darin eine „entpersönlichende Konnotation“ (Auer 2000: 166), welche die Zugehörigkeit zu einer Gruppe betont. Auch in den Beurteilungsgesprächen zeigt sich das circumstantielle man als funktional. Während Bredel für ihre Erzählstudie nur man -Verwendungsweisen beachtet, bei denen eine Inklusion der Sprechenden einhergeht, sind ebenso Kontexte möglich, in denen Rezipierende inkludiert werden, nicht aber die Sprechenden selbst (vgl. z. B. Dimova 1981: 39 ff.). Zifonun (2000: 242) spricht dabei ganz grundsätzlich vom Effekt der „Typisierung oder Anonymisierung“. Bei den inter-institutionellen Beurteilungsgesprächen sind gerade diejenigen Verwendungsweisen funktional, die nicht den / die SprecherIn, sondern anwesende Gesprächsbeteiligte inkludieren. Es interessieren also Fälle, in denen man die zweite Person Singular du oder Plural ihr ersetzt. 99 Bredel verweist dabei auf Weinrich (1993: 98), der die Bezeichnung des neutralen Personalpronomens erstmals einführt. 100 Zifonun (2000: 237) spricht hier von partikulärer Verwendung . <?page no="288"?> 288 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Das Pronomen wir kann ebenfalls inklusiv oder exklusiv verwendet werden und in der Interaktion zeigen sich teilweise überlappende Funktionen der wir- und man- Pronomen. 101 Typischerweise wird das Pronomen wir als ‚Sprechende plus andere’ charakterisiert, wobei aufseiten der Rezipierenden unterschieden wird, ob diese in der Referenz mitgemeint (inklusives wir ) oder nicht mitgemeint (exklusives wir ) sind (vgl. z. B. Green 1989: 20; Malone 1997: 64). Malone (1997: 75) geht davon aus, dass der Gebrauch des inklusiven wir die Positionierung von Sprechenden und Rezipierenden als „part of the same unit“ ermöglicht. Dadurch wird das Gemeinsame betont sowie eine Involvierung bewirkt. Allerdings zeigt sich in den vorliegenden Daten, dass das Pronomen wir auch dann eingesetzt wird, wenn eigentlich du gemeint ist - was sich in der Regel durch den unmittelbaren Kontext erschliessen lässt. In diesen Fällen ist der / die Sprechende selbst nicht mitgemeint und wir ersetzt die direkte Adressierung du . Dieser Gebrauch von wir ist insbesondere aus dem medizinischen Bereich bekannt und wird als Krankenschwester-Wir (Sachweh 1999: 179) bzw. Pflege-Wir (Sachweh 2006: 109 ff.) bezeichnet oder gar als „intrinsic part of a doctor’s voice“ (Aronsson & Rindstedt 2011: 132) betrachtet. Aronsson und Rindstedt (2011: 131) sprechen von der collaborative we-form und nehmen Bezug auf die Höflichkeitsforschung von Brown und Levinson (1987: 204). Während die direkte Adressierung einen potenziellen face threatening act darstellt, kann demnach der Gebrauch des kollaborativen wir eine Koalition zwischen Sprechenden und Rezipierenden bilden. Im Rahmen ihrer Untersuchung pädiatrischer Sprechstunden zeigen Aronsson und Rindstedt (2011: 131 f.), dass durch die unspezifische Referenz und Adressierung bisweilen auch Verwirrungen bei den Rezipierenden entstehen können, wenn das wir nicht als du verstanden wird. Im Folgenden werden die identifizierten Funktionen von unspezifischen Referenzen in ihren Kontexten diskutiert. Besonders aufschlussreich sind für die Analyse diejenigen Kontexte, die eine Reparatur von Referenzen enthalten. Dadurch erhalten wir Einblick in die Funktionalität der gewählten und abgewählten Varianten. Involvierung von nicht direkt adressierten Beteiligten Wir haben in Kapitel 6.2.1 gesehen, dass rasche Wechsel von (spezifischen) Referenzen im Gespräch die gleichzeitige Involvierung von allen Beteiligten ermöglichen. Ähnlich verhält es sich bei den beiden folgenden Beispielen, die einen solchen Wechsel von Referenzen aufweisen, allerdings handelt es sich hier jeweils um einen Wechsel von einer spezifischen zu einer unspezifischen Referenz. Diese Wechsel tauchen in den Daten oft dann auf, wenn Rezeptionssignale 101 Vgl. z. B. Malone (1997: 45 f., 69 ff.) zu den englischen Pronomen you und we . <?page no="289"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 289 von nicht direkt adressierten Beteiligten hörbar sind. Durch die Rezeptionssignale scheint der / die SprecherIn auf weitere Anwesende aufmerksam zu werden und als Folge davon den Wechsel zu unspezifischen Referenzen vorzunehmen. Das erste Beispiel stammt aus einer Gesprächsphase, in der die Lehrerin dem Schüler Marc die Optionen einer Versetzung in eine andere Schule mit niedrigerem Leistungsniveau 102 oder einer Wiederholung der Klassenstufe an der gleichen Schule (im Schweizer Schulsystem spricht man in diesem Fall von Repetition ) erläutert: # 57 Lehrerwechsel (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 09: 56-11: 09) 001 L du gisch ! SO! vüu vo DIR, du gibst so viel von dir 002 (-) und ou ! VÜU! vo diner FREIzit, und auch viel von deiner Freizeit 003 M [mh_mh, mh 004 L [und de chunt s erFOLGSerläbnis wo sich denn nid IIsteut; [=oder, und dann kommt das Erfolgserlebnis wo / das sich dann nicht einstellt oder 005 M [mh_mh, mh 006 L °hh und ähm: (-) d dAs hätsch natürlech a dr a dr sekunDARstuefe E: , und ähm d das hättest du natürlich an der an der Sekundarstufe E 007 °h erWEItert, erweitert 008 eh (---) dO wird jo dr ge! NAU! gliich stOff OU düregnoo; eh da wird ja der genau gleiche Stoff auch durchgenommen 009 M [mh_mh, mh 010 L [eifach (-) wEniger id TIEfi; einfach weniger in die Tiefe 011 (-) und natÜrlech (.) wEniger SCHNÄLL, und natürlich weniger schnell 102 Der Schüler besucht aktuell die Sekundarstufe P, welche auf das Gymnasium vorbereitet. Zur Diskussion steht nun ein Wechsel auf die Sekundarstufe E (erweiterte Kompetenzen), welche i. d. R. auf berufliche Grundausbildungen vorbereitet. <?page no="290"?> 290 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 012 M [mh_mh, mh 013 S [ja- ja 014 L oder (.) und ufGRUND vo dÄm: ; oder und aufgrund von dem 015 (---) äh (.) dänk i isch ! SI! cher isch das en überlegig WÄRT, äh denke ich i ist sicher ist das eine Überlegung wert 016 °hh ähm: : : will (.) OFT, ähm weil oft 017 oder es Isch jo denn OFT sO, oder es ist ja dann oft so 018 i ha vOri AAgsproche; ich habe vorhin angesprochen 019 °h d repetiTION. die Repetition 020 M [mh_hm, mhm 021 L [d repetitiOn °hh ähm (-) döf me ! NIE! (-) hundertprozÄntig (--) gsee als en repetition, die Repetition ähm darf man nie hundertprozentig sehen als eine Repetition 022 will mer jo ne lEErerwächsel HEI. weil wir ja einen Lehrerwechsel haben 023 und wemmes (.) wemme PÄCH het, und wenn man’s wenn man Pech hat 024 hemmer e lEErerwächsel (.) über ALli; haben wir einen Lehrerwechsel über alle 025 °hh [wemme GLÜCK het, wenn man Glück hat 026 M [mh_mh; mh 027 L het me ne LEErerwächsel; hat man einen Lehrerwechsel 028 wo °h wo per ! ZUE! fall (.) sÄchzig prozÄnt oder sIbzig prozÄnt me nomol die gliiche lEErer het; wo wo per Zufall sechzig Prozent oder siebzig Prozent man nochmals die gleichen Lehrer hat <?page no="291"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 291 029 oder das cha je nachdÄm cha das cha das eim PREIche; =oder, oder das kann je nachdem kann das kann das einen erwischen oder 030 M [mh_hm; mhm 031 L [°hh und das cha (-) POsitiv oder NEga[tiv sii (-) oder, und das kann positiv oder negativ sein oder 032 M [jo naTÜRlich isch klar (jo); ja natürlich ist klar (ja) In diesem Ausschnitt sehen wir, wie die Lehrerin zuerst durchgängig den Schüler adressiert. Dennoch sind vor allem Rezeptionssignale der Mutter hörbar. In Zeile 015 wechselt L nun zu einer unspezifischen Referenz, indem sie eine depersonalisierte Satzkonstruktion wählt ( ! SI! cher isch das en überlegig WÄRT, ). Ab Zeile 021 folgen Konstruktionen mit dem Pronomen man . Während es sich gemäss Bredel (1999: 131) zwar um attributive man -Verwendungen handelt, die eine erläuternde Funktion tragen, lassen sich diese im lokalen Kontext zugleich auch als circumstantielle man -Pronomen identifizieren: Da es um S und seine eventuelle Wiederholung der Klassenstufe geht, ist er potenziell im man eingeschlossen. Aber auch die Mutter, die über das Gespräch hinweg massgeblich die Entscheidungen mitbestimmt, kann als Adressatin dieser Überlegungen gelten. Durch den Wechsel zu ambigen Referenzen gelingt es der Lehrerin somit, auch die Mutter, die sich bereits durch Rezeptionssignale als Adressatin konstruiert, in die Überlegungen einzuschliessen und dadurch den Anforderungen der Mehrparteieninteraktion gerecht zu werden. Auch im nächsten Beispiel wechselt L von der direkten Adressierung zu einer ambigen Referenz und sie tut dies hier, indem sie Infinitivkonstruktionen wählt. Der gewählte Ausschnitt bildet den Abschluss einer Sequenz, in der L auf eine Schwäche von S hingewiesen hat. So sei zwar S ein sehr starker Schüler, aber er solle seine guten Noten nicht laut herausrufen, da dies andere allenfalls verunsichern und stören könnte. Dazu fasst L abschliessend zusammen: # 58 Sensibel sein (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 21: 57-22: 13) 001 L aso ebe Äinersits so bitz wi dini STERki, also eben einerseits so bisschen wie deine Stärke <?page no="292"?> 292 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 002 (--) das isch [GUET, das ist gut 003 M [mh_mh, mh 004 L und du ! WÄISCH! dass du (.) STARK bisch, und du weisst dass du stark bist 005 und dass du GUET bisch in dr schUel, und dass du gut bist in der Schule 006 und wie au (.) do e bitzli (.) senSIbel sii [denn- und wie auch da ein bisschen sensibel sein dann 007 M [mh_hm, mhm 008 S <<lachend> jo; > ja 009 L die andere nit [z überFAAre mit däm; die anderen nicht zu überfahren mit dem 010 M [mhmh 011 S (.) jä; ja 012 L wo vilicht chli mEE (.) MÜE [händ; wo / die vielleicht bisschen mehr Mühe haben 013 M [mh_hm; mhm L hebt in den Zeilen 001 f. und 004 f. nochmals die guten Leistungen von S als Stärke hervor und verwendet mit dem Pronomen du eine spezifisch an S gerichtete Referenz. Es erfolgt eine Ratifikation von M (erstmals in Z. 003), worauf L von der expliziten Adressierung zu einer ambigen Infinitivkonstruktion wechselt (ab Z. 006). Dass dadurch eine Mehrfachadressierung gelingt, zeigen die Ratifikationen von M und S. Auch hier sehen wir also, dass die Lehrperson ihre Ausrichtung flexibel den Gesprächsteilnehmenden anpasst und auf Rezeptionssignale dadurch reagiert, dass sie von einer konkreten Adressierung zu einer ambigen Adressierung wechselt. So werden sprachlich wieder alle Anwesenden involviert. Teilen von Verantwortung Durch die Verwendung der Pronomen wir und man kann die eigene Person abgeschwächt und als Teil einer Institution dargestellt werden. Dieser Gebrauch wird in gesprächsanalytischen Arbeiten auch als ‚institutionelles wir’ beschrie- <?page no="293"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 293 ben (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 31), wobei hier im folgenden Beispiel neu ist, dass auch das Pronomen man diese Funktion übernehmen kann: # 59 Haltung (Selina, SJ9_L4A_LMS, 03: 24-03: 41) 001 L wenn DU vo dr- wenn du von der 002 (--) vo dr SEK hesch gwÄchs[let; =gäll? von der Sek(undarschule) hast du gewechselt gell 003 S [mh_hm, mhm 004 L °h vo dr sek WÄCHSlisch °h do Ane; von der Sek(undarschule) wechselst da / hier hin 005 jo no (.) erWARte mer äigentlich dIe hAltig, ja dann erwarten wir eigentlich diese Haltung 006 wo du am AAfang ZÄIGT hesch? wo / die du am Anfang gezeigt hast 007 ? [mh_mh; mh 008 L [will das sii jo lÜt wo äigentlich öppis WÄNN,=oder, weil das sind ja Leute wo / die eigentlich etwas wollen oder 009 °h das hEt me am AAfang GSEE, das hat man am Anfang gesehen 010 °h und jEtzt gseet mes (.) lÄIder NÜMM,[=oder, und jetzt sieht man’s leider nicht mehr oder 011 M [mh_hm- mhm 012 S mh_mh; mh L adressiert hier, zumindest zu Beginn, eindeutig die Schülerin und stellt somit aufseiten der Rezeption verbal einen klaren Bezug her. Auf sich selbst allerdings referiert L mit dem inkludierenden wir und spricht somit nicht nur aus seiner Sicht, sondern bezieht die höhere Autorität der Institution Schule und der Lehrerschaft in die Produktion der Äusserung ein. Im Sinne von Goffman (vgl. Kap. 2.3.1) zeigt sich hier also eine Aufteilung der Rolle des Sprechers: L ist Animator und Autor der Äusserung, jedoch tritt er nicht als alleiniger Auftraggeber auf, sondern teilt diese Verantwortung mit anderen Vertretenden der Institution. Es sind also nicht ausschliesslich seine Erwartungen ( jo no (.) erWARte mer äigentlich dIe hAltig, wo du am AAfang ZÄIGT hesch? , Z. 005 f.) und seine bewertende Feststellung zur Entwicklung dieser Haltung ( °h das hEt me am AAfang GSEE, <?page no="294"?> 294 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung °h und jEtzt gseet mes (.) lÄIder NÜMM,=oder, , Z. 009 f.). Vielmehr handelt es sich um den sprecherinkludierenden wir - und man -Gebrauch, welcher für L die Funktion hat, sich als Vertreter einer Institution darstellen zu können und entsprechend seine Erwartungen und Bewertungen nicht als alleinige Einschätzungen präsentieren zu müssen. Dadurch ist er weniger angreifbar und gibt einen Teil seiner Verantwortung ab. Zifonun (2000: 243) spricht auch von strategischem oder manipulativem Sprachgebrauch, „wenn das, was nur der Sprecher zu verantworten hat, auf ein pauschales generisches man abgeschoben wird“. Auffällig ist auch die Verschleierung des Adressatenbezugs in Zeile 008: will das sii jo lÜt wo äigentlich öppis WÄNN,=oder, . Zuvor adressiert L die Schülerin noch direkt und setzt ihren Wechsel von der tieferen Niveauschule in die aktuelle Klasse relevant. Nun referiert er allerdings mit das sii jo lÜt in dritter Person auf S, die zu ‚diesen Leuten’ gezählt werden kann. Die Referenz ist daher nur indirekt versprachlicht und muss via das sind Leute, die X -Konstruktion (vgl. z. B. Birkner 2006; 2008: 399 ff.) aufgelöst werden. Durch diese Fremdpositionierung von S als Teil einer Gruppe Lernender, die einen Schulwechsel angehen, unterstreicht er nochmals die auch im Plural abgefederte Bewertung. Es handelt sich also bei S nicht um einen Einzelfall und so haben auch die Vertretenden der Institution Schule eine auf Erfahrung basierende, gemeinsame Perspektive. Im Folgenden zeigt sich, wie das Pronomen wir auch so genutzt wird, dass Anwesende als Koalition auftreten und dadurch die Verantwortung teilen. # 60 Tausend Sätze (David, SJ12_L5A_LVS, 31: 40-31: 54) 001 L °h da chöme mer nid WIter; da kommen wir nicht weiter 002 will dr ÄInzig (.) dr Aller Aller ÄINzig; weil der Einzige der Aller Allereinzige 003 wo DA ! IRGENDÖPPIS! cha ändere; wo / der da irgendetwas ändern kann 004 das sind SII. das sind Sie 005 [und wenn sii das nid WEND, und wenn Sie das nicht wollen 006 ? [((Räuspern)) 007 L °hhh m mir chönd hUndert (-) SÄTZ a sii äne rede; w wir können hundert Sätze auf Sie einreden 008 mir chönd (.) tUUsig SÄTZ a sii äne rede; wir können tausend Sätze auf Sie einreden 009 das NÜTZT nüt. das nützt nichts <?page no="295"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 295 Die drei wir -Verwendungen von L in dieser Sequenz (Z. 001, 007, 008) unterscheiden sich und es interessiert hier besonders die Funktion der beiden letzten Verwendungen. Die Referenz wir ist in allen drei Fällen insofern ambig, als aus dem Kontext nur bedingt erschlossen werden kann, wer gemeint ist. In einer ersten Lesart lässt sich das Pronomen wir im Rahmen der aktuell stattfindenden Interaktion verstehen. So verweist L mit °h da chöme mer nid WIter; (Z. 001) auf das laufende Gespräch und bezieht sich selbst als Sprecherin sowie beide Rezipienten in dieser Äusserung mit ein. Angesichts der Tatsache, dass die Beteiligten schon über eine halbe Stunde gemeinsam verbringen und die Einstellung von S als Hauptproblem bestimmt haben, kann diese Interpretation zutreffen. Allerdings lässt die Äusserung auch die Lesart zu, dass das Pronomen wir die zweite Person Singular (in diesem Fall Sie , da L und S sich siezen) ersetzt und so viel bedeutet wie Da kommen Sie nicht weiter . Gestützt wird diese Interpretation durch die ab der folgenden Zeile einsetzende Äusserung, die durch die Wiederholung und Betonungen eine sehr eindeutige Adressierung enthält und die Verantwortung alleine dem Schüler zuschreibt: will dr ÄInzig (.) dr Aller Aller ÄINzig; wo DA ! IRGENDÖPPIS! cha ändere; das sind SII. (Z. 002-004). In der Folge unterstreicht sie diese Äusserung nochmals, indem sie beschreibt, welche Handlungen nichts nützen: °hhh m mir chönd hUndert (-) SÄTZ a sii äne rede; mir chönd (.) tUUsig SÄTZ a sii äne rede; (Z. 007 f.). Dabei lassen sich die Pronomen wir wieder gesprächsintern auflösen oder in einen grösseren Bezugsrahmen setzen. In der bisher verstrichenen halben Stunde des Gesprächs haben L und V tatsächlich mehrheitlich auf S eingeredet und insofern lässt sich die Referenz als Bezug auf die Sprecherin und den beteiligten Vater lesen. Denkbar, allerdings von der Funktionalität her ähnlich, ist hier auch, dass sie sich auf vergangene Diskussionen bezieht, die S mit ihr und anderen Lehrpersonen geführt hat. Die Wirkung dieser wir -Referenzen ist die, dass L in dieser Opposition, die sie durch die klare Kritik und Zuschreibung der Verantwortung an S vorgenommen hat (Z. 002-004), ihre eigene Rolle abschwächen kann, indem sie als Koalition auftritt. Sie teilt also die eigene Verantwortung über das Gesagte mit weiteren Personen, sei dies der anwesende Vater oder weitere Vertretende der Institution. Ähnlich wie bei dem oberen Beispiel tritt so die Kritik äussernde Person als Teil einer wir -Einheit auf und macht sich dadurch weniger angreifbar. In der Gesprächsfortsetzung nach dieser Sequenz ergreift V das Wort und führt die Problembestimmung weiter. Auch Eltern machen vom institutionellen wir Gebrauch und positionieren sich so als geschlossene Familie, die geteilter Meinung ist. Der Vater hat vor diesem Ausschnitt eine kritische Frage angebracht (vgl. Beispiel # 31) und leitet nun zum zweiten Punkt über, den er diskutieren möchte. <?page no="296"?> 296 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung # 61 Situation in Mathe (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 33: 30-33: 37) 001 V und s ANdere won ich: - und das andere wo / was ich 002 oder wo MIR äigentlich au no gärn mit iine a besprOchen; =oder, oder wo / was wir eigentlich auch noch gerne mit Ihnen a besprochen oder 003 situation jetz im in MAthe. Situation jetzt im in Mathe(matik) Er beginnt seine Äusserung mit der Referenz auf die eigene Person, die er nach dem gedehnten Pronomen ich: - (Z. 001) zu einem betonten sprecherinklusiven Pronomen MIR (Z. 002) repariert. So situiert er sein Anliegen als gemeinsam hervorgebrachte Kritik und schliesst die anwesenden Familienangehörigen mit ein. Unklar bleibt an diesem Punkt, ob wir auf M und V oder auch S referiert. Der weitere Verlauf des Gesprächs zeigt allerdings, wie die Kritik durch Ergänzungen von allen, also den Eltern und S gemeinsam konstruiert wird und hier also tatsächlich von einem familieninkludierenden wir gesprochen werden kann. Durch die explizite Umdeutung der Verantwortung beim Anbringen der Kritik, schwächt V einerseits seine persönliche Verantwortung ab und zeigt sich damit nur als Überbringer der geteilten Kritik. Andererseits gewinnt die Kritik gleichzeitig an Gewicht, da es sich nicht nur um eine subjektive, sondern um eine geteilte Sicht handelt. Allen drei Beispielen ist gemein, dass die Verantwortung bei dem Formulieren von Kritik und Erwartungen geteilt und damit teilweise an eine höhere Autorität delegiert wird. Im ersten Fall wird dadurch eine Institution bzw. eine Lehrerschaft im Gespräch einbezogen. Im zweiten Fall inszeniert sich die Lehrerin als Koalition mit dem Vater und zeigt dadurch dem Schüler an, dass es sich um eine geteilte Meinung handelt. Und im dritten Fall werden die aktuell schweigenden, aber anwesenden Familienmitglieder in der Äusserung mit eingeschlossen und zu aktiven Beteiligten des Gesprächs gemacht, die die Kritik mitverantworten. Verschleierung von Zuständigkeit und Verbindlichkeit Das Pronomen man bewirkt durch den generischen Charakter häufig eine Unklarheit in Bezug auf die Zuständigkeiten oder die Verbindlichkeit, die aber in vielen Fällen unbemerkt bzw. unbearbeitet rezipiert wird. Die beiden Beispiele # 62 und # 63 zeigen solche man -Konstruktionen, die offen lassen, was die nächsten Schritte sind und wer dafür zuständig ist: <?page no="297"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 297 # 62 Müsste man sich erkundigen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 20: 04-20: 06) 001 L °hh aber dO (.) m mÜEsst me sich denn scho no erKUNdige. aber da m müsste man sich dann schon noch erkundigen # 63 Kann man schon schauen (Selina, SJ9_L4A_LMS, 07: 21-07: 24) 001 L un wenn fIndsch du muesch no ZUEsätzlich öppis ha; und wenn du findest du musst noch zusätzlich etwas haben 002 no (.) cha me schO LUEge. dann kann man schon schauen Im ersten Fall geht es um die Frage der Mutter zu den Aufnahmebedingungen für eine weiterführende Schule und der Lehrer zeigt an, dass er bei seiner Antwort nicht sicher ist. Er schliesst seine Information mit der unverbindlichen Konstruktion müsste man sich erkundigen ab und lässt dabei weitgehend offen, ob er sich um die Information bemühen wird oder ob er damit den Eltern rät, diese Information noch anderswo einzuholen. Die Beteiligten gehen nicht auf diese Unklarheit ein und so bleibt ungeklärt, wie und vor allem von wem die fehlenden Informationen zu beschaffen sind. Im zweiten Fall hat die Mutter die Frage aufgeworfen, ob allenfalls zusätzliche Nachhilfe in Mathematik für ihre Tochter sinnvoll wäre (vgl. Beispiel # 18). Nach einem längeren Exkurs zur Unaufmerksamkeit der Schülerin im Unterricht wendet L sich mit der Aufforderung an S, sie solle bei Unsicherheiten jeweils im Unterricht nachfragen. Und im Falle, dass sie dann noch etwas brauche, kann man schon schauen . 103 Dadurch bleibt unklar, ob er derjenige ist, der dann schauen wird, oder ob die Schülerin schauen muss oder ob die Mutter sich dann um eine Nachhilfe kümmern soll. Auch hier werden die inhärente Unverbindlichkeit und die unklare Zuständigkeit von den Beteiligten nicht geklärt. Anders sieht das aber aus, wenn aufseiten der SchülerInnen eine vergleichbare Verschleierung der Verbindlichkeit auftritt, wie das nächste Beispiel zeigt: # 64 Kann man schon machen (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 35: 44-36: 17) 001 L ja was MEINSCH, ja was meinst du 103 Ähnliche Konstruktionen nach dem Schema ‚mal schauen’, ‚mal gucken’ hat Lars Wegner in einem Vortrag zum Thema Formelhafte Sprache in Elternsprechtagsgesprächen im Kolloquium von Prof. Dr. Helga Kotthoff präsentiert (24. 05. 2012, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg). <?page no="298"?> 298 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 002 [chasch JETZ gad entschEIde sogAr. kannst du jetzt gerade entscheiden sogar 003 P [(xxx) 004 L oder wotsch no drüber SCHLOOfe. oder willst du noch darüber schlafen 005 S eh (-) heh °h (.) jo ähm (--) isch jo SCHO no schwirig irgendwie aber; eh heh ja ähm ist ja schon noch schwierig irgendwie aber 006 (1.47) 007 L [s goot ! NUR! um z SCHN[UPpere. es geht nur ums Schnuppern 008 S [ja: - [ähm- ja ähm 009 (2.52) 010 S JA das (.) cha me scho MAche so; ja das kann man schon machen so 011 (-) [ja- ja 012 L [jä CHA me oder MÖCHTSCH [du das mache. ja kann man oder möchtest du das machen 013 M [<<lachend> mh hmhmhm> mh hmhmhm 014 S (-) °h ähm- ähm 015 L i wotts ANGersch ghÖÖre. ich will’s anders hören 016 (--) dasch für mi OU ufwAnd, das ist für mich auch Aufwand 017 aber I mache das GÄRN für di. aber ich mache das gerne für dich 018 (1.22) 019 S jo aso i (.) i fänds O no guet. ja also ich ich fänd’s auch noch gut 020 L AUso (.) [du fÄndschs guet. also du fändest es gut 021 M [mh_HM. mhm 022 L de MAche mers. dann machen wir’s <?page no="299"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 299 L fragt S nach seiner Entscheidung zum besprochenen Schulbesuch. S zeigt bereits durch das Auflachen, das laute Ein- und Ausatmen, die Verzögerungspartikeln, Pausen sowie inhaltlich ausgedrückt seine Unsicherheit an (Z. 005). Nach inhaltlicher Abschwächung der Tragweite des Entscheids vonseiten L (Z. 007) und weiteren Verzögerungspartikeln von S (Z. 008), entscheidet S sich dann für eine Zustimmung: JA das (.) cha me scho MAche so; ( Z. 010). Durch das Pronomen man macht er sich selber allerdings nicht zum Agens dieser Entscheidung und zeigt mit der Konstruktion kann man schon machen ein unverbindliches Einverständnis. Die Lehrerin reagiert dann auch entsprechend auf die Ambiguität von man : jä CHA me oder MÖCHTSCH du das mache. (Z. 012). Diese Äusserung von L hier ist zentral. Sie verweist damit in diesem Kontext auf die unzulängliche Aussagekraft des Pronomens man , da es ihr ja eben darum geht zu erfahren, ob S sich entscheiden kann. Diese Entscheidung muss von S getragen werden und die zögerliche, unverbindliche Aussage wird von L zurückgewiesen. In Zeile 015 macht sie explizit, dass sie eine Reparatur von S erwartet, was dann in Zeile 019 erfolgt. Damit erreicht sie zumindest sprachlich eine Zustimmung von S und schliesst mit dem kollaborativen wir ab ( de MAche mers. , Z. 022). Dadurch zeigt sie, dass die Entscheidung und Planung einem gemeinsamen Interesse zugrunde liegt (vgl. auch die Beispiele zum Pronomen wir ). Dass in den zuvor gezeigten Beispielen die unklaren Zuständigkeiten ungeklärt bleiben und jedoch der Schüler im dritten Beispiel explizit dazu angehalten wird, seine Äusserung zu reparieren, ist Ausdruck einer institutionellen Asymmetrie. So sehen sich Eltern und SchülerInnen weniger in der Lage, die Lehrperson zu einer verbindlichen Aussage anzuhalten, während umgekehrt die Lehrperson in ihrer Rolle von diesem Recht Gebrauch macht. Zwar drücken bisweilen auch Eltern ihre Unsicherheit bezüglich der Zuständigkeit aus, jedoch nicht in dieser direkten Art und Weise. Dies wird in folgendem Beispiel ersichtlich, welches zudem die Auswirkungen auf die Adressierung aufzeigt: # 65 Müssen wir schauen (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 21: 22-21: 44) 001 L etz düemer de hüt am nomittag no PLATZ wächsle- jetzt tun wir dann heute am Nachmittag noch Platz wechseln 002 de hoffe mer [de as de °hh hh° dann hoffen wir dann dass dann 003 S [<<flüsternd> jä,> ja 004 V wohii GOOSCH? wohin gehst du <?page no="300"?> 300 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung 005 L °hh jä: : [: dr herr bader und i düe <<lachend> beSTIMme wie mers mache,> ja der Herr Bader und ich tun bestimmen wie wir’s machen 006 V [oder düe DIR das bestimme. (.) aha AH dasch guet. oder tut ihr das bestimmen aha ah das ist gut 007 L heh °h <<: -)> wül lEtscht mol heimer do jo fascht stundelangi diskusSIOne gha; > heh weil letztes Mal haben wir da ja fast stundenlange Diskussionen gehabt 008 sii hei scho GUEti idEEä gha. sie haben schon gute Ideen gehabt 009 <<p> me chönt SO me chönt SO me chönt DIse wäg und JEne wäg und-> man könnte so man könnte so man könnte diesen Weg und jenen Weg und 010 M [MH_hm, mhm 011 L [°hhh sii de nächer zimlech LANG drAnne gsi. sind dann nachher ziemlich lange dran gewesen 012 (--) 013 L ja: jetz müemer de lUege wie das GEIT. ja jetzt müssen wir dann schauen wie das geht L beginnt mit einem neuen Thema und kündigt mit dem Pronomen wir einen bevorstehen Wechsel der Sitzordnung an. Dass sich durch die Eigenschaft von wir als inklusives sowie exklusives Pronomen Verwirrungen bezüglich der Adressierung ergeben können, zeigt sich in der folgenden Bearbeitung der Äusserung. S versteht sich als im wir eingeschlossen oder zumindest damit adressiert, denn sie reagiert mit einer (leisen) Bestätigung (Z. 003). 104 Ob sie sich als aktiv handelnde Akteurin versteht, oder nur als Teil von wir (bei Referenz auf eine Gruppe von SchülerInnen), geht aus ihrer minimalen Beteiligung nicht hervor. Allerdings zeigt sich bei der Reaktion von V, dass er die Referenz wir so versteht, dass S aktiv einen neuen Platz wählen kann. Er geht also von einer Inklusion und Adressierung der Schülerin aus. So fragt er S, wohin sie wechseln werde ( wohii GOOSCH? , Z. 004). Bevor S darauf reagieren kann, sieht sich L dazu veranlasst, die Referenz wir deutlicher zu bestimmen und aufzuzeigen, wer Ak- 104 Anhand von Videodaten wäre hier zudem ersichtlich, wie sich L multimodal ausrichtet. Die Reaktion von S lässt eine deutliche Adressierung von L durch Blickrichtung etc. vermuten. <?page no="301"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 301 teurIn ist und wer nicht. So referiert sie nun explizit auf sich und Herrn Bader 105 als Entscheidungstragende. Bereits durch das Einatmen sowie das gedehnte °hh jä: : : (Z. 005) projiziert sie eine Reparatur der Referenz, denn überlappend löst sie dabei auch die Nachfrage von V aus, ob L die Platzänderungen selbst bestimmt. Das Lachen von L kann allenfalls als Andeuten einer dispräferierten Disambiguierung der Referenzen gedeutet werden. So bleibt zuvor S zumindest potenziell als Akteurin in der Handlung eingeschlossen, hingegen nimmt sie nach der Reparatur nur noch eine passive Rolle ein. Durch die unklare Referenz werden die Zuständigkeiten also verschleiert und initiiert durch das Missverständnis durch V kommt es zu einer klärenden Reparatur. Diese hat zur Folge, dass S nicht mehr als potenzielle Entscheidungsträgerin präsentiert wird, sondern dass die asymmetrischen Rollen verstärkt werden, da L über die neue Sitzordnung bestimmen wird. Das nächste Beispiel zeigt durch die Reparatur von wir zu du eine Bearbeitung und Auflösung der verschleiernden Funktion von wir : # 66 Das müssen wir noch lernen (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 22: 21-22: 23) 001 L dAs mümer no BITZli- das müssen wir noch bisschen 002 (aso) do muesch no bItzli LEEre; (also) da musst du noch bisschen lernen L beginnt hier ihren Beitrag mit einer wir -Konstruktion und führt ihn dann nach einer selbstinitiierten Reparatur direkt an S adressiert weiter. Dadurch löst sie genau diese Verschleierung der Zuständigkeit wieder auf und benennt S als für sein Lernen verantwortlich. Diese Reparatur zeigt also, dass bisweilen die Beteiligten sich über die Verschleierung bewusst werden und - dort wo nötig - Klarheit schaffen. Im Kontext dieses Beispiels geht es um ein störendes Sozialverhalten von S und so wird L sich selber im weiteren Lernprozess kaum beteiligen können, sondern die Verantwortung liegt klar bei S. Diese Realität wird in der Reparatur widerspiegelt. Es wurde vorhin einleitend festgehalten, dass zusätzlich zu den Pronomen man und wir u. a. auch das -Konstruktionen eine depersonalisierende Wirkung aufzeigen und damit ähnliche Funktionen übernehmen können. Dies lässt sich sehr gut am nächsten Beispiel illustrieren, welches eine ähnliche Struktur aufweist wie obiges Beispiel # 66: 105 Herr Bader ist Heilpädagoge und begleitet die Klasse, nimmt aber am Gespräch nicht teil. <?page no="302"?> 302 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung # 67 Gänsefussschrittchen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 13: 17-13: 26) 001 L das goot jetz haut nid äh (.) i GÄNsefuessschrittli; das geht jetzt halt nicht äh in Gänsefussschrittchen 002 das ISCH jetz haut- das ist jetzt halt 003 °hhh du muesch jetz LOSränne. du musst jetzt losrennen 004 (1.95) Wie im obigen Beispiel findet eine selbstinitiierte Selbstreparatur statt, allerdings hier von einer das zu einer du -Konstruktion. Die Wirkung ist dieselbe: L nennt in den Zeilen 001 f. noch keine agierende Person(en) und lässt damit offen, wer in ihrem entworfenen bildlichen Vergleich gemeint ist. Demnach kann sie selbst oder die Mutter ebenfalls mitgemeint sein, wenn es um gemeinsame Lernbemühungen geht. Den zweiten Satz bricht L ab, atmet dann etwas mehr als eine Sekunde lang ein und adressiert schliesslich S mit: du muesch jetz LOSränne. (Z. 003). Während L also zuerst eine Konstruktion wählt, die offen lässt, wer beteiligt ist, wechselt L nach einem abgebrochenen Satz und einer gefüllten Pause zur eindeutigen Referenz. Damit überträgt L Alex die Verantwortung für seine schulischen Leistungen. Durch das gewählte Bild der Gänsefussschrittchen und dem Losrennen deutet sie zudem veranschaulichend auf die Dringlichkeit seiner Anstrengungen hin. Kollaborative wir-Form Die involvierende Funktion des Pronomens wir wird in der Forschung - wie zu Beginn des Kapitels angeführt - mehrfach hervorgehoben. In den Daten sind zwei verschiedene Verwendungen mit derselben Funktion zu unterscheiden: Wir kann anstelle von du oder anstelle von ich verwendet werden und in bestimmten lokalen Kontexten dadurch die gemeinsamen Interessen der Beteiligten betonen. Im nächsten Beispiel leitet die Lehrerin das Gesprächsende ein, indem sie abschliessend festhält, alles Nötige gesagt zu haben: # 68 Wir müssen noch arbeiten (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 28: 58-29: 06) 001 L GUET; gut 002 äh: m vo mInere site här han ich äiglich Alles GSÄIT? ähm von meiner Seite her habe ich eigentlich alles gesagt 003 alles POsitive, alles Positive <?page no="303"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 303 004 wie au an allem wo mir (münd) no [bitzli müen SCHAFfe? wie auch an allem wo wir (müssen) noch bisschen arbeiten müssen 005 M [mh_mh, mh L resümiert, dass sie über positive als auch verbesserungswürdige Aspekte informiert habe (Z. 002) und betont durch die Verwendung von wir die gemeinsamen zukünftigen Bemühungen (Z. 004). Wie sich im Gespräch zeigt, ist Flavio ein sehr leistungsstarker Schüler und die angesprochenen Verbesserungen beziehen sich lediglich auf kleinere Aspekte im sozialen Umgang. Dadurch können eher Bemühungen aufseiten von S erwartet werden, aber dennoch positioniert L ihn nicht als alleine zuständig für die Verbesserungen und bildet durch die Verwendung von wir eine Interessensgemeinschaft mit ihm und potenziell mit den Eltern. Gleichzeitig muss die Lehrerin mit dieser Äusserung sprachlich keine Entscheidung bezüglich der Adressiertheit treffen, sondern kann inklusiv und ohne jemanden direkt aufzufordern die zukünftigen Bemühungen ankündigen. Dadurch können sich demnach alle angesprochen fühlen; hier in Zeile 005 ratifiziert beispielsweise die Mutter das Gesagte. Dass die Verwendung des kollaborativen wir im Gegensatz zur direkten Adressierung auch als gesichtsschonend beschrieben werden kann, zeigt sich durch die Reparatur im folgenden Beispiel. Die Lehrerin schliesst hier eine Sequenz ab, in der es um die identifizierten Lernschwierigkeiten sowie Prüfungsängste von Tatjana ging: # 69 Vielleicht finden wir noch etwas heraus (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 24: 39-24: 50) 001 L und (-) das mit em nerVÖS sii-= und das mit dem nervös sein 002 =vilich LEIT sich das: (.) plÖtzlech mol, vielleicht legt sich das plötzlich mal 003 vIlich fingsch ou irgendwie Ei zwÖi TRICKS Use, vielleicht findest du auch irgendwie ein zwei Tricks heraus 004 wie di vor eme tEsch: t (-) nid losch lo (.) nErvös MAche? wie du dich vor einem Test nicht nervös machen lässt 005 (---) 006 L vilich fInge mer do de no öppis Use; vielleicht finden wir da dann noch etwas heraus <?page no="304"?> 304 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung In Zeile 001 greift L abschliessend erneut das Thema der Prüfungsangst und der Nervosität auf und leitet zum Ausblick über: Vielleicht lege sich die Nervosität plötzlich einmal (Z. 002) oder vielleicht finde S irgendwelche Tricks, um nicht nervös zu werden (Z. 003 f.). Es folgt eine Pause und daraufhin ergreift L erneut das Wort und sie schliesst die Sequenz mit einer leichten Fokusverschiebung: vilich fInge mer do de no öppis Use; (Z. 006). Während L vorerst die zukünftigen Handlungen der Schülerin zuschreibt, ihr aber gleichzeitig keine konkreten Anweisungen geben kann, positioniert sie sich und S durch diesen Wechsel zu wir in Zeile 006 als kollaboratives Team, welches gemeinsam eine Lösung finden möchte. Die Pause sowie die darauffolgende Reparatur können als Hinweis dafür gedeutet werden, dass L ihre Positionierung von S als selbstverantwortlich über ihren Lernerfolg als nachträglich unangemessen beurteilt und sich hier als helfende Lehrperson positionieren möchte. Ihre Aussage ist hingegen sehr vorsichtig formuliert, sodass unklar bleibt, welche konkreten Bemühungen L und S in Angriff nehmen werden. Diese Unklarheit wird im Gespräch nicht aufgelöst. L schliesst an dieser Stelle die Sequenz ab und leitet zum nächsten Thema über. Nachfragen von S oder den Eltern bleiben aus. In den beiden gezeigten Beispielen hat die kollaborative wir -Form die Funktion, die gemeinsamen Interessen oder Bemühungen hervorzuheben, indem das Pronomen wir das direkt adressierte Pronomen du ersetzt. Im folgenden Beispiel steht ebenfalls die kollaborative Funktion im Zentrum, jedoch verbergen sich dahinter keine direkten Anreden, sondern das ich- Pronomen, welches auf die Sprecherin L verweist. Das Beispiel stammt aus dem Gespräch mit dem Schüler Marc, der eventuell die Schule wechseln oder eine Klassenstufe wiederholen soll. L und M sprechen schon eine längere Zeit über die Option eines Klassenbesuchs in einer anderen Schule mit dem Ziel, dass S sich ein Bild über den allfälligen Schulwechsel machen könnte. S beteiligt sich kaum an der Diskussion. In den gewählten Teilausschnitten kommt es nun vonseiten der Lehrerin zu mehreren wir -Verwendungen: # 70 Das können wir organisieren (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 18: 22-28: 19, mit Auslassungen) 001 L und was w MEINSCH, und was w meinst du 002 (--) wEtte mer (.) wEtte mer iniZIEre, wollen wir wollen wir initiieren 003 dass dU: (--) DÖte chöntsch id kchlAss, dass du dort könntest in die Klasse <?page no="305"?> 6.2 Wechselnde und ambige Referenzen als kommunikative Ressourcen 305 004 äh: sii emol äh: °h zwee lektione go BSUEche,=weisch? äh sie einmal äh zwei Lektionen besuchen gehen weisst du 005 ((Auslassung von ca. 1.5 Min.)) 006 L das chönte mer ! GÄRN: ! (.) organisIEre; = das könnten wir gerne organisieren 007 =ou um dIr ou bitz (1.08) d entschEIdig hüufe (.) z unger↑STÜTze. auch um dir auch bisschen die Entscheidung helfen zu unterstützen 008 ((Auslassung von ca. 8 Min.)) 009 L dorum eh dÄnk i (.) isch es: isch es no ne GUEti überlEgig- daum eh denke ich ist es ist es noch eine gute Überlegung 010 °hh wemmer ! JETZ! das mou wötten Ufgleise? wenn wir jetzt das mal aufgleisen wollen 011 M [MH_hm; mhm 012 L [dass mers dass mes (.) dass mer das hÄtte GSEE? dass wir’s dass man’s dass wir das gesehen hätten 013 M [dass dus WEISCH für di. dass du’s weisst für dich 014 L [dass dus im hi dass es [! WEISCH! [für di? dass du’s im hi dass du es weisst für dich 015 S [ja- ja 016 M [dasch am BESCHte; das ist am besten L adressiert S direkt und fragt mehrfach nach dessen Zustimmung zur Organisation des Schulbesuchs. Mit den Äusserungen wEtte mer (.) wEtte mer iniZIEre (Z. 002), das chönte mer ! GÄRN: ! (.) organisIEre; (Z. 006), °hh wemmer ! JETZ! das mou wötten Ufgleise? (Z. 010) und dass mer das hÄtte GSEE? (Z. 012) inszeniert L die Entscheidung als gemeinsamen Akt. Während die Entscheidung noch von S abhängt, sind aber die nächsten Handlungen (Organisation, Aufgleisen etc.) der Lehrperson zuzuschreiben. So werden hier mit den kollaborativen wir -Verwendungen keine klaren Zuständigkeiten bestimmt, sondern alle Beteiligten werden als Team positioniert, die gemeinsame Interessen verfolgen. Interessant ist die gleichzeitig stets vorhandene direkte Adressierung, die den Schüler in das Zentrum stellt. Auch die Fokussierung von S am Ende des Ausschnitts (Z. 013 f.) verstärkt die Notwendigkeit seiner Zustimmung, die dann in <?page no="306"?> 306 6 Gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung Zeile 015 auch erfolgt. Die Strategie der direkten Anrede und des kollaborativen wir bewirkt einerseits, dass der Schüler als alleiniger Entscheider dargestellt wird und dass aber andererseits die Entscheidung durch die Positionierung als gemeinsam handelnde Gruppe vorangetrieben wird (vgl. zudem die Analysen zu Beispiel # 80, Kap. 7.2, in welchem die hier Beteiligten zusätzlich die Strategie zukunftsgerichteter Szenarios anwenden, um eine Entscheidung zu bewirken). Durch die Verwendung unspezifischer Referenzen werden demnach die Beteiligungsstrukturen mitorganisiert: Es können dadurch auch nicht adressierte Gesprächsteilnehmende involviert werden, die Verantwortung kann mit an- oder abwesenden Personen geteilt und abgeschwächt werden, die Zuständigkeit und Verbindlichkeit kann verschleiert werden und schliesslich lassen sich durch die kollaborative wir -Form erwünschte Handlungen aufseiten der SchülerInnen als gemeinsame Bemühungen kommunizieren. 6.3 Zusammenfassung Wie die Analysen in diesem Kapitel gezeigt haben, wenden die Gesprächsteilnehmenden in schulischen Beurteilungsgesprächen verschiedene Strategien an, um mit den kommunikativen Herausforderungen in Bezug auf die Beteiligungsstrukturen in der Mehrpersoneninteraktion umzugehen. In einem ersten Teil wurde aufgezeigt, wie die Erwachsenen durch explizite Adressierungsverfahren sowie spezifische Design-Aktivitäten eine Fokussierung und Involvierung der mitanwesenden Kinder und Jugendlichen begünstigen. Den Eltern wird dabei häufig die Rolle der stillen Zuhörenden zugeschrieben. Während diese Rolle im Gespräch ratifiziert und interaktiv verfestigt wird, kommt es aber in spezifischen Kontexten zu elternseitigen Steuerungsaktivitäten. Auch wenn Rederechtsübernahmen an Stellen, wo eigentlich von dem Kind eine Antwort relevant gesetzt wird, theoretisch als beteiligungshemmend beschrieben werden, zeigt die Untersuchung der lokalen Kontexte, dass damit durchaus auch unterstützende Funktionen für das Kind einhergehen. So kommt es neben den Selbstpositionierungen der Eltern auch zu vorteilhafteren Fremdpositionierungen der SchülerInnen. In einem zweiten Teil wurden rasche Adressierungswechsel als Design-Aktivität identifiziert, da durch die ständige Neuausrichtung an Rezipierenden jeweils unmittelbar auf Rezeptionssignale oder Reaktionen der Beteiligten eingegangen wird. Gleichzeitig wird dadurch eine einseitige Ausrichtung an einer einzelnen Person vermieden und eine Involvierung aller Beteiligten ermöglicht. Zudem weist die Verwendung unspezifischer Referenzen in schulischen Beurteilungsgesprächen spezifische Funktionen auf, die sich auf die Beteiligungs- <?page no="307"?> 6.3 Zusammenfassung 307 strukturen auswirken. So kann einerseits durch die Verwendung von Pronomen wie wir oder man die direkte Adressierung von einzelnen Beteiligten vermieden werden, was wiederum eine Involvierung aller Anwesenden begünstigt. Andererseits zeigt sich insbesondere die kollaborative wir -Form als funktional in Bezug auf die Positionierung als Gruppe mit geteilten Interessen. <?page no="308"?> 308 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination „ich wEtt öppis beWEge, ich wEtt öppis MAche, ich wEtt öppis °hh erRÄIche, ich wEtt in konTAKT chO, ich wEtt (---) i ich wEtt i d WÄLT? “ (Animierte Rede in Beispiel # 84) Die Zusammenhänge zwischen Beteiligungsstrukturen, Positionierungssowie Beurteilungsaktivitäten zeigen sich besonders deutlich in Gesprächspassagen, in denen durch die animierte Rede, d. h. durch imaginierte oder fingierte Redeanteile, die so nie von jemandem real geäussert wurden, eine Positionierung oder Bewertung vorgenommen wird. Es sei an dieser Stelle auf das Kapitel 2.3.1 verwiesen, wo die direkte Redewiedergabe sowie die animierte Rede einführend besprochen und in der Forschungstradition verortet werden. Während die direkte Redewiedergabe schon breit erforscht wurde (vgl. z. B. Goffman 1981; Günthner 1997; Tannen 2007), handelt es sich bei der animierten Rede um eine Sonderform, die erstmals bei Ehmer (2011), und auch dort ausschliesslich bezogen auf Alltagsgespräche, vertieft untersucht wurde. Wie die folgenden Analysen zeigen, können Selbst- und Fremdpositionierungen durch die Imaginierung von Handlungen, Einstellungen und Gedanken erlangt werden, die unterschiedliche Funktionen erfüllen: Szenarios übernehmen eine Bewertungsfunktion und damit eine grundlegende Funktion von Selbst- und Fremdpositionierung (Kap. 7.1); durch Szenarios werden mögliche Handlungen und Gedanken veranschaulicht oder Handlungsanweisungen und erwünschte Einstellungen vermittelt (Kap. 7.2); und in ko-konstruierten Szenarios werden beispielsweise Verantwortungen ausgehandelt (Kap. 7.3). Gleichzeitig verändert sich durch die Verwendung der animierten Rede jeweils lokal die Beteiligungsstruktur. In einer deutlichen Überzahl der Fälle handelt es sich bei der entworfenen Figur um den / die SchülerIn und bei dem / der AnimatorIn um die Lehrperson. Aber auch die Eltern verwenden bei Positionierungen die animierte Rede, entweder um eigene imaginierte Äusserungen darzustellen, oder um die Figur <?page no="309"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 309 ihres Kindes, die der Lehrperson, die anderer Eltern oder in einer Sequenz gar die Figur eines fiktiven Lehrmeisters zu animieren. Ebenso entwerfen Lehrpersonen in Szenarios nicht nur Identitäten von SchülerInnen, sondern auch von sich selbst. Und in Einzelfällen wird die animierte Rede von den anwesenden SchülerInnen über sich selbst ausgeführt. 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung Durch die Entwicklung von Szenarios können die Beteiligten sich selbst oder anderen Identitätsmerkmale zuschreiben. Auf diese Weise werden Bewertungen ausgedrückt oder Rollenverständnisse durch Gegenentwürfe ausgehandelt. Im Folgenden wird zuerst die Bewertungsfunktion durch Imaginierung vermuteter Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen diskutiert (Kap. 7.1.1). Danach wird die Delegierungsfunktion von imaginierten Bewertungen Anderer gezeigt (Kap. 7.1.2) und zuletzt geht es um die Imaginierung nicht vorhandener Verhaltensweisen (Kap. 7.1.3). 7.1.1 Fremdpositionierung und Bewertung durch Imaginierung vermuteter Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen Eine wichtige Funktion der direkten Redewiedergabe ist - wie in der Forschung vielfach hervorgehoben wurde - das Bewerten (vgl. Kap. 2.3.1). Auch die animierte Rede wird für Bewertungsaktivitäten funktionalisiert. Es handelt sich dabei um ein indirektes Verfahren zur Übermittlung von Beurteilungen. In dem ersten Beispiel geht es um eine negative Beurteilung des Schülers David und es lässt sich daran illustrieren, wie die animierte Rede gleichzeitig eine Vermeidungsstrategie in Bezug auf die Adressiertheit der Rede darstellen kann. Die Sequenz stammt aus den ersten Minuten des Gesprächs zwischen der Lehrerin, dem Schüler David und seinem Vater. Die Lehrerin hat zuvor das Gespräch eröffnet und dargelegt, aufgrund welcher Probleme sie zusammentreffen. Hier geht es nun um die Problembestimmung: # 71 Leistungsbereitschaft (David, SJ12_L5A_LVS, 00: 48-02: 08) 001 L Ich gsees e bitz eSO: ; ich seh’s ein bisschen so 002 DAvid; David 003 (-) dass sii vo mir ! RÄCHT! rückedeckig gha hen; dass Sie von mir recht Rückendeckung gehabt haben <?page no="310"?> 310 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 004 so die (.) Erschte zwäi JAAR? so die ersten zwei Jahre 005 °hh Äfach will ich iires <<lachend> potenZIAL> immer gsEE ha- einfach weil ich Ihres Potenzial immer gesehen habe 006 will sii in mine fÄcher au GUET sind? weil Sie in meinen Fächern auch gut sind 007 (-) °hh Äh: m (1.52) AU (.) au will ich fInde sii sind e tOlle junge MAA? ähm auch auch weil ich finde Sie sind ein toller junger Mann 008 (-) °hh äh: m und glIIchzitig dänk ich ischs äfach au mol ZIT, ähm und gleichzeitig denke ich ist’s einfach auch mal Zeit 009 dass mer jetzt (.) WÜRKlech AAluege; = dass wir jetzt wirklich anschauen 010 =mir hend AU; wir haben auch 011 mir HEND ÄInigi gsprÖÖch gha; wir haben einige Gespräche gehabt 012 SII und ICH? Sie und ich 013 (--) über iiri (.) über iiri LÄISCHtigsberÄItschaft; über Ihre über Ihre Leistungsbereitschaft 014 ich glaub das isch ÄIgentlich näbem (.) °h äh: m; ich glaube das ist eigentlich neben ähm 015 (1.07) s THEma isch so chli; das Thema ist so bisschen 016 ich mAch e chli was ich WILL; =oder, ich mache ein bisschen was ich will oder 017 ich mach dette won ich LUSCHT ha; ich mache dort wo ich Lust habe 018 °h ich mach so VILL wien ich lUscht ha; ich mache so viel wie ich Lust habe 019 °hh UN: : d (--) ich MACH äh: m- und ich mache ähm 020 (-) und ich gang DETT won ich- und ich gehe dort wo ich 021 (-) won ich LUSCHT ha; wo ich Lust habe <?page no="311"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 311 022 so (--) verSUECH ichs emol uszteschte; so versuche ich’s mal auszutesten 023 wie vill lit DIN. wie viel liegt drin 024 (--) 025 ? jo- ja 026 L würdet sii das AU öppe so- würden Sie das auch etwa so 027 (1.27) 028 L isch das RICHtig [analysIert. ist das richtig analysiert 029 S [jä (.) chÖnnt öppe druf z s chÖnnt öppe ZUEträffe jä. ja könnte etwa darauf z es könnte etwa zutreffen ja 030 L (-) °hhh und ! DO: ! muess i jetz äfach SÄÄge; und da muss ich jetzt einfach sagen 031 jetzt fürs fürs LETSCHte jOOr; = jetzt fürs fürs letzte Jahr 032 =au wenn das rÄIchlich spöt (.) SPOT isch; auch wenn das reichlich spät spät ist 033 (-) muess ICH sÄÄge- muss ich sagen 034 °h näi ÄIgentlich isch da (.) die schuel käi (-) LUSCHTverAAstaltig; nein eigentlich ist da die Schule keine Lustveranstaltung 035 sondern es isch (.) e PFLICHT. sondern es ist eine Pflicht L adressiert S explizit mit Namen und beginnt mit positiven Beschreibungen, die sie dazu veranlasst hätten, einen milden Umgang mit ihm zu wählen. Diese positive Kritik ist allerdings durch die sequenzielle Einbettung bereits deutlich negativ gerahmt. Denn zuvor hat L die Problemlage (Absenzen etc.) geschildert und gleich im Anschluss an die positiven Attribuierungen mit einem Gegensatz angesetzt. Es kommt in den Zeilen 009 f. zu einem Satzabbruch, als L zu formulieren versucht, was nun das gemeinsame Ziel sein soll. Sie referiert dann auf ein vergangenes Gespräch über die Leistungsbereitschaft von S. Bis dahin adressiert L durchgehend S und positioniert V als stillen Zuhörer. Durch ihre Referenz auf ein vergangenes Gespräch aktiviert sie gemeinsame Wissensbestände von S und ihr selbst, die jedoch nicht als Wissensbestände von V erwartet werden können. <?page no="312"?> 312 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination Es könnte also hier ein Adressierungswechsel stattfinden, damit L adäquat die für V neue Information an ihn richten könnte. Sie könnte auch, wie das in anderen Gesprächen gezeigt wurde, den Beteiligungsrahmen so belassen und die für V gedachte Information weiter an S richten, für den das Geäusserte auch aktualisierenden Wert hat. Die Ausformulierung wird dispräferiert bearbeitet, es finden sich verschiedene Heckenausdrücke ( ein bisschen, ich glaube ) und Verzögerungen wie ähm sowie eine Pause, bevor sie mit der Problembestimmung beginnt. Mit dem nun folgenden Wechsel des Produktionsformats wird die Beteiligung von S bei der Problembestimmung gewissermassen inszeniert. L leitet diesen Wechsel ein mit s THEma isch so chli; (Z. 015). Damit referiert sie nicht mehr auf S als Objekt, sondern auf ein zu bestimmendes Thema, was durch die depersonalisierte Form keine direkte Adressierung verlangt. Und nun folgt eine längere Sequenz in animierter Rede: ich mAch e chli was ich WILL; =oder, ich mach dette won ich LUSCHT ha; °h ich mach so VILL wien ich lUscht ha; °hh UN: : d (--) ich MACH äh: m- (-) und ich gang DETT won ich- (-) won ich LUSCHT ha; so (--) verSUECH ichs emol uszteschte; wie vill lit DIN. (Z. 016-023). L versetzt sich hier in die Lage von S und imaginiert seine Einstellungen und Gedanken. Sie inszeniert dadurch die Beteiligung von S und lässt ihn im Szenario über sich selbst sprechen. Dadurch delegiert sie einerseits die Bewertung und Zuschreibung von negativ beurteilten Einstellungen und andererseits umgeht sie durch den Einbezug von S als fiktiven Sprecher die Entscheidung vom Produktionsformat Sprechen über S versus Sprechen mit S. Gleichzeitig lässt sich die so imaginierte Darstellung der vermuteten Einstellung von S als Problembestimmung lesen, die zutreffend oder nicht zutreffend sein mag, während eine Umformulierung derselben Sequenz in die Produktionsformate Sprechen über S an V oder Sprechen mit S deutlich stärker wie eine Anklage wirken können. 106 Im Anschluss lässt L die Imaginierung der Einstellung von S durch ihn selbst ratifizieren. 107 Interessant ist hierbei, dass L in ihrer ersten Frage in Zeile 026 von S wissen will, ob ihre Beschreibung ungefähr zutreffe ( würdet sii das AU öppe so- , Z. 026). Sie reformuliert dann zwar noch zu der verbindlichen Aus- 106 Vgl. die beiden alternativ denkbaren Varianten der Aussagen in Zeilen 016-023 (hier in der standardsprachlichen Entsprechung), einmal an V adressiert: er macht ein bisschen was er will oder, er macht dort wo er Lust hat, er macht so viel wie er Lust hat, und er macht ähm, und er geht dort wo er, wo er Lust hat, so versucht er’s einmal auszutesten, wie viel liegt drin ; und einmal an S adressiert: du machst ein bisschen wie du willst oder, du machst dort wo du Lust hast, du machst so viel wie du Lust hast, und du machst ähm, und du gehst dort wo du, wo du Lust hast, so versuchst du’s einmal auszutesten, wie viel liegt drin . 107 Bevor L ihre Darlegung von S ratifizieren lässt (Z. 026, 028), ist ein leises jo- (Z. 025) hörbar, welches von S oder V stammen könnte. Eine eindeutige Zuordnung ist an dieser Stelle jedoch nicht möglich. <?page no="313"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 313 sage isch das RICHtig analysIert. (Z. 028), jedoch bestätigt S in teilweiser Überlappung mit derselben Vagheitsmarkierung durch ungefähr : jä (.) chÖnnt öppe druf z s chÖnnt öppe ZUEträffe jä. (Z. 029). So wird von beiden Seiten kein Anspruch auf vollständiges Zutreffen gestellt, aber die Beteiligten scheinen mit dieser Annäherung an das Problem eine zufriedenstellende Bestimmung gefunden zu haben. Abschliessend beurteilt L die nun ratifizierte Einstellung von S als nicht erwünschte Einstellung in der Institution Schule. Die animierte Rede leistet hier also zweierlei. Sie ermöglicht in der triadischen Gesprächskonstellation die direkte Adressierung kurzzeitig zu vermeiden, indem aus der Perspektive von S gesprochen wird. Dadurch wird S als Autor, animiert durch L, einbezogen. Und sie ermöglicht eine abgeschwächte, delegierte Form der Beurteilung, indem L die Verantwortung des Gesagten an S abgibt und selbst gewissermassen nur als Animatorin auftritt, nicht aber als Autorin. Besonders funktional ist ein derartiges Delegieren der Verantwortung dann, wenn es, wie in diesem Fall, um eine negative Beurteilung geht, da die Bewertung entsprechend abgeschwächt wird. Im Folgenden soll an weiteren Sequenzen gezeigt werden, wie neben negativen Beurteilungen auch positive Einstellungen und Gedanken durch die animierte Rede bewertet werden können und wie die Szenarios interaktiv zustande kommen. Im folgenden Gesprächsausschnitt beurteilt der Lehrer die sportliche Leistung und das Spielverhalten des Schülers Ben: # 72 Schiedsrichterentscheid (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 20: 09-21: 02) 001 L °hh (.) tUrne spOrt (.) koOrdination und USduur. Turnen Sport Koordination und Ausdauer 002 (--) do [mErkt me dass de ne SPORTler bisch; da merkt man dass du ein Sportler bist 003 S [hmhm 004 (-) mh; mh 005 L (-) und du SPIILSCH guet; und du spielst gut 006 du bisch e seer e FLINke spiiler, du bist ein sehr flinker Spieler 007 (.) °h du bisch aber au seer e FEEre spiiler. du bist aber auch ein sehr fairer Spieler <?page no="314"?> 314 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 008 S (--) HOFfentlich; [(--) hehe hoffentlich hehe 009 L [(.) jä und das isch isch g_GANZ öppis wIchtigs, ja und das ist ist etwas ganz Wichtiges 010 °h ähm dass wemme DI in dr mannschaft het; ähm dass wenn man dich in der Mannschaft hat 011 denn WÄISS men äigentlig; dann weiss man eigentlich 012 (-) es döf emol e FAUL passiere; es darf einmal ein Foul passieren 013 °h aber dU bisch öpper wo (.) das grAd ! SO! fort kasch (.) ZUEgää, aber du bist jemand wo / der das gerade sofort zugeben kannst 014 °h (-) au HILFSCH wenn öppis passiert, auch hilfst wenn etwas passiert 015 und das find i [GANZ, und das finde ich ganz 016 S [(aso) jo; (also) ja 017 (1.09) 018 L [ich fInd das MACHSCH, ich finde das machst du 019 S [jo mÄngisch bin i bitzli Anderi MÄInig; =aber, ja manchmal bin ich bisschen anderer Meinung aber 020 (--) 021 ? h° 022 (-) 023 L i (.) das dÖf me SII; i das darf man sein 024 aber du bisch nid öpper wo reklaMIERT. aber du bist nicht jemand wo / der reklamiert 025 S (.) okee NÄI, okay nein 026 L wo wo umeMUULT, wo / der wo / der herummault 027 oder wo FINdet; oder wo / der findet 028 ↑HM: dasch jetzt NID guet; hm das ist jetzt nicht gut <?page no="315"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 315 029 °hh ich glaub du KASCH; ich glaube du kannst 030 °h ! WENNS! e schiidsrichterentschäid isch; wenns ein Schiedsrichterentscheid ist 031 au SAAge; auch sagen 032 S [hm- hm 033 L [dasch jetzt zwar vilicht nid ganz RICHtig gsi; das ist jetzt zwar vielleicht nicht ganz richtig gewesen 034 °h aber öh (-) es isch denn [TROTZdäm, aber öh es ist dann trotzdem 035 S [ISCH halt so. ist halt so 036 (-) 037 L geNAU es Isch halt so. genau es ist halt so L beurteilt S in dieser Sequenz positiv und nennt dabei sein flinkes wie auch faires Spiel. S zeigt mit dem Einwurf HOFfentlich; (Z. 008), dass er das faire Spielen als Selbstverständlichkeit erachtet. Diese Äusserung wird von L so verstanden, dass S damit die Notwendigkeit eines positiven Herausstreichens dieser Eigenschaft anzweifelt, denn er setzt zu einer erklärenden Einbettung der Beurteilung an. L betont, dass es sich um ein wichtiges Kriterium handelt und veranschaulicht dies in Zeile 010 durch eine Beschreibung aus Sicht der KlassenkameradInnen (mit der Referenz man ). Er charakterisiert S wiederum positiv und verwendet dazu eine Mensch -Konstruktion im Sinne von Birkner (2006; 2008: 399 ff.), d. h. eine Relativkonstruktion vom Typ Ich bin (k)ein Mensch / Typ / jemand, der / die X : °h aber dU bisch öpper wo (.) das grAd ! SO! fort kasch (.) ZUEgää, °h (-) au HILFSCH wenn öppis passiert, (Z. 013 f.) und setzt mit und das find i GANZ, (Z. 015) zu einer Beurteilung an. S fällt ihm ins Wort und zeigt sich immer noch skeptisch und selbstkritisch, indem er darauf hinweist, dass es aber auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen könne (Z. 016, 019). Durch diese Zurückweisung des Lobs stellt S einerseits sicher, dass er nicht durch allfällige Zustimmung als Selbstlobender dastehen könnte und verhält sich andererseits ganz im Sinne des für die Rezeption von Komplimenten typischen „doing ‚being modest / humble’“ (vgl. Pillet-Shore 2012: 186, wobei sich die Ausführungen allerdings auf das Verhalten der Eltern beziehen, da die untersuchten Gespräche ohne Kinder stattfinden). L zeigt nun durch seine Erwiderung, dass S hier nicht über dieselben Beurteilungskriterien verfügt und er <?page no="316"?> 316 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination veranschaulicht dies durch einen Gegenentwurf von S, indem er ihn einerseits wieder mit einer generischen Konstruktion du bist nicht einer, der X beschreibt und andererseits die Typenkonstruktion durch animierte Rede ergänzt: 108 aber du bisch nid öpper wo reklaMIERT. wo wo umeMUULT, oder wo FINdet; ↑HM: dasch jetzt NID guet; (Z. 024, 026-028), was S schliesslich akzeptiert (Z. 025). Die animierte Rede ↑HM: dasch jetzt NID guet; ist prosodisch markiert und L imitiert einen sich beklagenden Schüler, womit er die Verhaltensweise negativ bewertet. In seinem erneut positiven Entwurf von S beschreibt L dann eine Meinungsverschiedenheit von S mit dem Schiedsrichter und entwirft die Einstellung von S in animierter Rede: dasch jetzt zwar vilicht nid ganz RICHtig gsi; °h aber öh (-) es isch denn TROTZdäm, (Z. 033 f.). Interessant ist hier, dass S in die animierte Rede einsteigt und dadurch seine eigene, durch L animierte, Figur weiterführt. So vervollständigt er in Überschneidung mit L die (fiktive) Äusserung mit ISCH halt so. (Z. 035), was L im selben Wortlaut aufnimmt und wiederholt: geNAU es Isch halt so. (Z. 037). Was wir hier sehen, ist also eine Sequenz mit mehreren Anläufen von L mit positiver Beurteilung, die von S (selbst)kritisch aufgenommen wird. Erst durch die Imaginierung einer ebenfalls möglichen, aber nicht vorhandenen Einstellung von SchülerInnen, übernimmt S die Perspektive von L und grenzt sich von diesem Gegenentwurf ab. Durch die kollaborative Vervollständigung der animierten Rede zeigt er am Ende schliesslich eine Übereinstimmung mit den Beurteilungskriterien von L und ratifiziert die Fremdpositionierung, indem er sich selbst ergänzend positioniert. Die animierte Rede in dieser Sequenz taucht also einmal in negierter Form auf, womit eine mögliche, aber nicht vorhandene Einstellung in Abgrenzung zur tatsächlich vorgefundenen Haltung von S inszeniert wird. Diese negierte animierte Rede hat die veranschaulichende und verständnissichernde Funktion, S durch Kontrastierung aufzuzeigen, welche weiteren Verhaltensweisen möglich wären und welcher Vergleichsrahmen somit für die Beurteilung vorliegt (vgl. auch Ehmer 2011: 428). L richtet sich hier also in verstärktem Masse an S aus und die gewählten Veranschaulichungsverfahren können aus der Perspektive des Recipient Designs als Design-Aktivitäten verstanden werden. In der zweiten animierten Rede entwickelt L durch die Imaginierung seine Sicht auf die vermutete Einstellung von S, die dann von S selbst kollaborativ mitentwickelt wird. Dadurch übernimmt S die Verantwortung über seine eigenen Worte und bestätigt gleichzeitig die von L dargestellte Fremdpositionierung. Gemäss 108 Vgl. zur verwendeten generischen Konstruktion Du bist nicht jemand, der… auch die Analysen von Ehmer (2011: 409 ff.) zu den Konstruktionen Ich bin ein Mensch, der X und Es gibt Leute, die X , bei denen er an der Stelle X ebenfalls Vorkommen von animierter Rede ausmacht. <?page no="317"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 317 Lerner (1996b: 317) können Fremdpositionierungen so in die Interaktion eingebracht werden, dass im Sinne einer Verständigungssicherung eine darauffolgende ratifizierende (zustimmende oder ablehnende) Selbstpositionierung der dargestellten Person folgt. Durch die Vervollständigung des Satzes positioniert sich S als Autor und Auftraggeber: „Anticipatory completion can be used as a device to convert production of a turn’s talk by other-than-author / owner into production by self-as-author / owner“ (Lerner 1996b: 317 f.). Die ko-konstruierte Beurteilung widerspiegelt ebenfalls den erlangten Common Ground. Während in Beispiel # 72 die Ratifikation der in animierter Rede entworfenen Identitätszuschreibung implizit durch kollaboratives Sprechen geschieht, kann sie auch explizit eingeholt werden, wie das in Beispiel # 71 der Fall war. Im folgenden Beispiel wird ebenfalls die Ratifikation von S eingeholt, jedoch nicht explizit, sondern durch die Markierung von Unsicherheit bezüglich der Passung. Der folgenden Sequenz geht eine Schilderung von M voraus, in der es um ein Frusterlebnis von S geht, als er unerwartet eine schlechte Note in Mathematik erhielt. M berichtet, dass S nun viel arbeiten wolle, um sich wieder zu verbessern. Hier setzt die Sequenz an: # 73 Gute Einstellung (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 16: 20-16: 55) 001 L und TROTZdäm muess i jetz aber sÄÄge; und trotzdem muss ich jetzt aber sagen 002 find i das e seer e TOLli reaktiOn vo dir. finde ich das eine sehr tolle Reaktion von dir 003 (-) NID dass du säisch, nicht dass du sagst 004 ah es schisst mi AA, ah es scheisst mich an 005 jetz mach i erscht RÄCHT nüt, jetzt mache ich erst recht nichts 006 oder dä blödi herr NArayan, oder dieser blöde Herr Narayan 007 dä tEscht isch vil z SCHWER gsi, dieser Test ist viel zu schwer gewesen 008 M [ah näi (.) nänäi; ah nein nenein 009 L [aso ich WÄISS nid hesch vilich, also ich weiss nicht hast du vielleicht 010 ich WÄISS es [jetz nid, ich weiss es jetzt nicht 011 S [Aso, also <?page no="318"?> 318 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 012 °h näi ÄIgentlich isch dr tescht gar nid schwEr gsi, nein eigentlich ist der Test gar nicht schwer gewesen 013 sin äifach f won ich GLERNT ha; sind einfach f wo ich gelernt habe 014 han ich das alles no CHÖNne; habe ich das alles noch gekonnt 015 aber s isch (.) [wie irgenwie (.) wie WÄG gsi; aber es ist wie irgendwie wie weg gewesen 016 L [mh_HM, mhm 017 S [s isch- es ist 018 M [mh_mh, mh 019 (1.02) 020 M (genau) [mir häns- (genau) wir haben’s 021 L [ich glaub ebe me het d frOOge GANZ konzentriert müesse lääse, ich glaube eben man hat die Fragen ganz konzentriert lesen müssen 022 dass me DRUS chunnt (.) so; dass man drauskommt so 023 M ah: ; ah 024 L (--) aber (.) ebe (.) das find ich seer e GUEti IIstellig; aber eben das finde ich eine sehr gute Einstellung 025 wenn du SÄISCH, wenn du sagst 026 ich gang jetz HÄI, ich gehe jetzt heim 027 und jetz MACH i öppis drfür, und jetzt mache ich etwas dafür 028 dass ich das cha UFhoole; dass ich das aufholen kann 029 das isch (--) isch e GUEti qualitÄt. das ist ist eine gute Qualität 030 S mh_HM: , mhm <?page no="319"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 319 031 L (-) <<p> das isch SUper; > das ist super L nimmt die Schilderung von M zum Anlass, S in seiner positiven Einstellung zu loben und entwirft dabei zwei Szenarios, wie seine Reaktion in der Situation ebenfalls möglich wäre. In einem Szenario wirkt sich das schlechte Testergebnis negativ auf die Motivation aus (Z. 004 f.) und im anderen Szenario delegiert die Figur die Schuld an den Lehrer und die schwierigen Testverhältnisse (Z. 006 f.). Im Anschluss an die Szenarios drückt L allerdings ihre Unsicherheit darüber aus, ob die Szenarios tatsächlich kontrafaktisch sind, oder ob sich S auch in diesen Schilderungen beschrieben sieht: aso ich WÄISS nid hesch vilich, ich WÄISS es jetz nid, (Z. 009 f.). In Überschneidung wehrt sich aber bereits M gegen die möglichen Darlegungen und S erklärt dann ebenfalls, dass es nicht an zu schwierigen Testfragen lag, sondern an seinem Blackout. Hier zeigt sich wiederum die involvierende Wirkung von animierter Rede. Durch die Demonstration der möglichen Einstellung wird diese imaginierte Identität unmittelbar ins Gespräch geholt und die Beteiligten müssen Stellung beziehen. In einer zweiten animierten Rede präsentiert nun L die tatsächlich vermutete Einstellung (Z. 026-028), die sowohl wertend einals auch ausgeleitet wird: das find ich seer e GUEti IIstellig; wenn du SÄISCH, ((…)) das isch (--) isch e GUEti qualitÄt. ((…)) <<p> das isch SUper; > (Z. 024 f., 029, 031). Dadurch wird die Einstellung entsprechend gerahmt und positiv gewertet. In den bisher gezeigten Beispielen findet jeweils im Anschluss an die imaginierten Einstellungen und Gedanken eine Ratifikation durch S statt, entweder fremdinitiiert durch L oder selbstinitiiert durch S. Das folgende Beispiel zeigt eine weitere kontextuelle Einbettung der animierten Rede, die schon vor der Imaginierung die Involvierung und erwartete Ratifikation von S ankündigt. Vor dem zu zeigenden Ausschnitt kam zur Sprache, dass S trotz guten Schulleistungen nicht den empfohlenen Weg ans Gymnasium einschlagen will, sondern lieber eine Berufslehre machen möchte. M betont dann aber, dass er dennoch gerne zur Schule ginge und positioniert S dadurch wiederum als guten Schüler, wie dies auch von L formuliert wurde. # 74 Genau so (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 12: 11-12: 33) 001 M ich ha (.) dr PHIlipp het no; ich habe der Philipp hat noch 002 ich ha no NIE ghört wo du gsäit hesch; ich habe noch nie gehört wo du gesagt hast 003 ↓ou NÄI hüt in d schUel. oh nein heute in die Schule <?page no="320"?> 320 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 004 (---) 005 L °h aber das het jo au sEEr vil mit dr RIFfi z due; =oder, aber das hat ja auch sehr viel mit der Reife zu tun oder 006 dass dass (.) phIlipp oder wie SEESCHS du. dass dass Philipp oder wie siehst es du 007 dass dass du SÄISCH, dass dass du sagst 008 jo (.) ÄIgenlich gang i GÄRN in d schuel; ja eigentlich gehe ich gerne in die Schule 009 und äigenlich (.) GFALLTS mer, und eigentlich gefällt’s mir 010 füül mi WOOL, fühle mich wohl 011 °h (-) aber (--) i s isch au guet wenns mol FERtig isch; aber i es ist auch gut wenns mal fertig ist 012 hh° [heh hehe heh hehe 013 V [hahaha hmhm[hm hahaha hmhmhm 014 M [hmhmhm hmhmhm 015 S [jä [geNAU eso; ja genau so 016 L [oder <<p> (wie ischs); > oder (wie ist’s) 017 hehehehehe hehehehehe 018 V hmhmhm °h hmhmhm 019 L °h heh °h h° heh M beginnt mit einer imaginierten, schulablehnenden Aussage von S, die sie jedoch nie so gehört habe und die sie demnach als kontrafaktische Einstellung präsentiert. Interessant ist ihre Einleitung der animierten Rede auch in Bezug auf die Adressierung und Reparaturen. Sie beginnt zuerst einen Satz aus der Ich-Perspektive, wechselt dann zu einer Formulierung über S in dritter Person und beginnt schliesslich den Satz wieder aus ihrer Perspektive und leitet so die animierte Rede ein: ich ha (.) dr PHIlipp het no; ich ha no NIE ghört wo du gsäit hesch; (Z. 001 f.). Die Reparatur von einer Sprechen über -Konstruktion zur animierten Rede zeigt, dass letztere Variante bevorzugt wird. L beurteilt <?page no="321"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 321 diese Einstellung von S positiv, richtet sich dann mit namentlicher Adressierung an S aus und kündigt mit (.) phIlipp oder wie SEESCHS du. dass dass du SÄISCH, (Z. 006 f.) eine spätere Ratifikation an. Dadurch dass L keine Pause nach der Frage wie SEESCHS du lässt, sondern gleich die animierte Rede einleitet, zeigt er, dass es sich noch nicht um die Übergabe des Rederechts handelt (und damit nicht um eine übergaberelevante Stelle, TRP ), sondern er zuerst seine Version der Sicht vorstellen wird. Es folgt die Imaginierung der Einstellung von S, die einerseits als schulnahe und andererseits als schulkritische Haltung dargestellt wird (Z. 008-011). L beendet die letzte Äusserung mit einem lachenden Ausatmen und es folgt ein gemeinsames Lachen mit den Eltern. Dadurch entsteht eine lockere und wohlwollende Distanz zu sonst erwarteten Normen in der Institution Schule (vgl. auch Kotthoff 2012a: 311 ff.). S unterbricht nun das Lachen mit seiner (zuvor schon als erwartbar gezeigten) Ratifikation, indem er seine absolute Zustimmung zur animierten Rede ausdrückt: jä geNAU eso; (Z. 015). Anders als in Beispiel # 71, in dem sich L und S nur auf eine ungefähre Übereinstimmung der Figur mit den dargestellten Einstellungen von S einigen, zeigt sich S hier in diesem Beispiel also mit der eigenen Figur, dargestellt durch L, einverstanden. Diese absolute Zustimmung wird von L und (hörbar) auch von V wiederum mit Lachen aufgenommen, was diese wohlwollende Haltung von L und den Eltern in Bezug auf S erneut ausdrückt. In allen vier Beispielen zur Fremdpositionierung und Beurteilung von L über S zeigt sich, dass auf die Imaginierung von Einstellungen und Gedanken jeweils eine Ratifikation von S folgt, die entweder von L eingeholt oder bereits von S selbst geliefert wird. Der animierten Rede kann daher eine involvierende Funktion beigemessen werden, da die unmittelbare Konfrontation mit fingierten Aussagen offenbar eine Ratifikation und damit Selbstpositionierung durch S provoziert und begünstigt. In den Beispielen kommt es zu deutlichen oder weniger klaren Übereinstimmungen zwischen S und der dargestellten Figur von S. Auch muss die Ratifikation nicht explizit ausgedrückt werden, sondern kann durch schülerseitige Beteiligung an der Formulierung, wie dies in Beispiel # 72 gezeigt wurde, implizit bewerkstelligt werden. 7.1.2 Delegierte Fremdpositionierung und Beurteilung Die animierte Rede stellt auch ein Mittel dar, die Beurteilung an andere Personen zu delegieren. Dadurch wird die moralische Verantwortung an abwesende Personen abgetreten, was eine Strategie des vorsichtigen Überbringens einer Bewertung darstellt. Dies hat zur Folge, dass am Ende keine explizite Beurteilung und auch keine klare Ratifikation geäussert wird. <?page no="322"?> 322 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination Am folgenden Beispiel zeigt sich in einer etwas längeren Sequenz die schrittweise Entwicklung der Imaginierung möglicher Bewertungen anderer MitschülerInnen. Es geht in dem Ausschnitt um die soziale Integration von Chiara, die ein Schuljahr wiederholen musste und erst seit einem halben Jahr neu in der Klasse ist: # 75 Sonderstatus (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 16: 00-17: 20) 001 L °hh aber schÜsch han i würklech s GFÜEL ähm; aber sonst habe ich wirklich das Gefühl ähm 002 du bisch GUET ufghobe [i dere klAss, du bist gut aufgehoben in dieser Klasse 003 M [((räuspert sich)) 004 L aso i hoffe [es GFAUT der au? also ich hoffe es gefällt dir auch 005 M [ah SCHÖN; ah schön 006 L °h i de PAUse bisch eifach fasch nIe mit de angere [zÄme. in den Pausen bist du einfach fast nie mit den anderen zusammen 007 M [MH_hm; mhm 008 L [döt bisch MEISCHtens mit dr ähm mit dr mi- dort bist du meistens mit der ähm mit der mi 009 M [mh- mh 010 (--) 011 S (mia) (Mia) 012 M [MIa- Mia 013 L [mit dr MIa zäme, mit der Mia zusammen 014 °h aber ähm (-) es isch ou nid irgendwie es proBLEM, aber ähm es ist auch nicht irgendwie ein Problem 015 wo nächer teil DUUrend säge, wo nachher einige dauernd sagen 016 jo: wenn du immer i de pause mit DÄM meitschi zäme bisch, ja wenn du immer in den Pausen mit diesem Mädchen zusammen bist <?page no="323"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 323 017 de wOtt i jetzt mit [der i dr schuel OU nüt mache; dann will ich jetzt mit dir in der Schule auch nichts machen 018 M [mh_hm; mhm 019 L [s isch- °hh es ist 020 M [mh_hm, mhm 021 V jO chönt jo SCHO ou sII aso; ja könnte ja schon auch sein also 022 L Es chönt SIcher [mou; es könnte sicher mal 023 V [jä: , ja 024 Es chönt [sicher mou VORchoo; es könnte sicher mal vorkommen 025 M [i glaube sii akzeptIere fasch wie chli die ROUe; ich glaube sie akzeptieren fast wie bisschen diese Rolle 026 as [sii so chli e SONderstatus het, dass sie so bisschen einen Sonderstatus hat 027 L [jo; ja 028 M wüu du so vIer joor i dr angere KLASS gsi bisch; weil du so vier Jahre in der anderen Klasse gewesen bist 029 aso SONderstatus im sinn vo, also Sonderstatus im Sinne von 030 °h dass siis eben akzepTIEre, dass sie’s eben akzeptieren 031 dass sii no- dass sie noch 032 L öpper Angerscht [no ume WÄÄG isch jo; jemand anderes noch vorhanden ist ja 033 M [die angere GSPÄÄNDli het. die anderen Kameradinnen hat 034 L °h ähm cha vilech mou SII, ähm kann vielleicht mal sein 035 as irgend e SPRUCH chunt oder so; dass irgendein Spruch kommt oder so <?page no="324"?> 324 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 036 aber mi dünkts do Innerhaub finge der enang (.) IMmer irgendwie; aber mich dünkt’s da innerhalb findet ihr einander immer irgendwie 037 einisch bisch mit dr Aria zäme, einmal bist du mit der Aria zusammen 038 einisch bisch mit dr daNIEla [zäme, einmal bist du mit der Daniela zusammen 039 S [jä- ja 040 L °h sii sii RÄCHT unkomplizIert. sie sind recht unkompliziert 041 M [ah SCHÖN; ah schön 042 L [sii sii mEIschtens mit DÄM zäme, sie sind meistens mit dem zusammen 043 wo sii grad LUSCHT druf hei. wo sie gerade Lust darauf haben 044 M [mh_hm, mhm 045 V [ja dasch no SCHÖN [esO? ja das ist noch schön so 046 L [JO aso; ja also 047 (-) 048 L [aso s KLAPpet nid so schlächt. also es klappt nicht so schlecht 049 M [aber STIMMT scho, das han i DIR ou scho gseit; =gäu? aber stimmt schon, das habe ich dir auch schon gesagt gell 050 es chönt sii dass de [die MEITli dir ir klAss do, es könnte sein dass dann die Mädchen dir in der Klasse da 051 S [aso (--) eher dr PApi hh° het das [(xxx); also eher der Papa hat das (xxx) 052 V [jo i säge das öppe; =jo? ja ich sage das manchmal ja 053 L jo Es CHÖNT aso s chönt, ja es könnte also es könnte 054 WEISCH s chönt scho mou sii as_s heisst, weisst du es könnte schon mal sein dass es heisst <?page no="325"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 325 055 JO: jetz bisch i de pAUse immer mit [DEre zäme; ja jetzt bist du in den Pausen immer mit der zusammen 056 M [mh_hm, mhm 057 L de muesch jetz nid CHO: ,=oder, dann musst du jetzt nicht kommen oder 058 M [mh_mh, mh 059 L [°h das chönt natürlich SCHO sii, das könnte natürlich schon sein 060 as das vilech OU mol chUnt, dass das vielleicht auch mal kommt 061 °hh wüu sii s GFÜEL hei, weil sie das Gefühl haben 062 JO: (--) vilich chönt jo d chIara ou mol mit ÜS i dr pause zäme sii; ja vielleicht könnte ja die Chiara auch mal mit uns in der Pause zusammen sein 063 und de würi natürlech i de schuel au MIT dr; und dann würde ich natürlich in der Schule auch mit dir 064 und etz dUen i nid ! WÜU! . und jetzt tue ich nicht weil L beginnt zusammenfassend mit einer positiven Einschätzung, die von M mit ah SCHÖN; (Z. 005) aufgenommen wird. Die Bemerkung von L, dass S die Pausen immer mit einer ehemaligen Mitschülerin, aber nicht mit ihren derzeitigen SchulkameradInnen verbringe, zeigt eine kritische Orientierung bezüglich der sozialen Integration von S. Sie schwächt eine allfällige Kritik jedoch sofort ab mit der Anmerkung, dass es kein Problem sei (° h aber ähm (-) es isch ou nid irgendwie es proBLEM, , Z. 014) und präsentiert in animierter Rede mögliche, aber nicht gemachte Äusserungen von MitschülerInnen (Z. 016 f.). Dadurch wird eine kritische Haltung von MitschülerInnen präsentiert, die diese in Bezug auf die Freundschaften von S einnehmen könnten. Von M sind Rezeptionssignale hörbar und V bestätigt die kritische Sicht von L, indem er beipflichtet, dass diese (noch) nicht vorhandene Haltung von den MitschülerInnen plausibel wäre (Z. 021). Während L die Imaginierung negiert vorbringt, wechselt sie in Übereinstimmung mit V zu einer positiv formulierten Aussage, dass diese Haltung durchaus möglich sei (Z. 022). Der Einwand von M zeigt eine leicht dissente Sicht, indem sie den Sonderstatus von S als in der Klasse akzeptiert betrachtet (Z. 025 f., 028-031, 033). L bleibt noch bei der Möglichkeit, dass einmal ein <?page no="326"?> 326 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination Spruch von MitschülerInnen fallen könnte (Z. 034 f.), zeichnet dann aber ein positives Bild von der sozialen Integration im Klassenzimmer (Z. 036-038, 040, 042 f.), - was von M und V positiv rezipiert wird (Z. 041, 045) - um aber gleich wieder eine Abschwächung vorzunehmen ( aso s KLAPpet nid so schlächt. , Z. 048). M und V übernehmen nun die etwas kritischere Haltung von L und zeigen sich als wachsame und besorgte Eltern, die S ebenfalls schon auf die von L erwähnte Gefahr der Ausgrenzung innerhalb der Klasse hingewiesen haben (Z. 049-052). Nun bringt L die Imaginierung der Einstellung von MitschülerInnen erneut zur Vorführung, leitet sie aber deutlich bestimmter ein. So ist die animierte Rede nicht mehr negiert, sondern als reale Möglichkeit eingeleitet (Z. 053 f.) und schliesslich als derzeit vermutete Einstellung der MitschülerInnen: wüu sii s GFÜEL hei (Z. 061). In dieser Sequenz tastet sich L mit ihrer Kritik und ihren Szenarios schrittweise an die Sicht der Eltern heran, um möglichst im Einklang mit deren Perspektive die Kritik anzubringen. Zudem bewertet sie selber die soziale Integration von S nur sehr minimal, denn hauptsächlich lässt sie in animierter Rede die MitschülerInnen sprechen. Die Beurteilung wird also einerseits verzögert hervorgebracht, indem von einer negierten Imaginierung langsam im Abgleich mit der Perspektive der Eltern zur Imaginierung einer durchaus plausiblen zukünftigen Haltung der MitschülerInnen übergegangen wird. Und andererseits wird die Beurteilung an die MitschülerInnen delegiert, die als Figuren wertend auftreten. Wenn auch Maynard (vgl. z. B. 1991a; 1991b; 1992; 1996; 2003) nicht das Vorkommen animierter Rede analysiert hat, handelt es sich hier doch um eine sehr ähnliche Struktur wie die von ihm untersuchten perspective display series . So zeigt L einerseits die Perspektive von MitschülerInnen und nach Einbezug der elterlichen Perspektive lässt sie die im fiktiven Raum hervorgebrachte Wertung noch deutlicher ausfallen. 7.1.3 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung nicht vorhandener Verhaltensweisen Die animierte Rede wird nicht nur für die Fremdpositionierung und Beurteilung aktueller Einstellungen verwendet, sondern häufig werden Szenarios dafür genutzt, situativ mögliche, aber nicht vorhandene Handlungen, Verhaltensweisen, Gedanken oder Einstellungen zu demonstrieren, die nicht passend, nicht erwünscht oder nicht notwendig sind. Diese Szenarios werden weniger wie die zuvor aufgeführten Beispiele durch L als AnimatorIn und mit S als Figur demonstriert, sondern können auch von den anderen Beteiligten als Selbst- und Fremdpositionierung verwendet werden. <?page no="327"?> 7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung 327 Das folgende Beispiel zeigt einen von M vorgeführten Dialog zwischen den Figuren M und S, der als nicht passend gerahmt wird. Der Ausschnitt ist Teil einer längeren Sequenz, die von M dominiert wird und in der es um die zwar schlechten Leistungen, das aber ständige Bemühen von S geht. Es handelt sich um die Fortsetzung des an früherer Stelle besprochenen Beispiels # 43: # 76 Marc Marc Marc (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 15: 46-15: 58) 001 M (---) i cha jo nid IMmer sÄge; ich kann ja nicht immer sagen 002 MARC hesch gmAcht; Marc hast du gemacht 003 MARC mArc mArc. Marc Marc Marc 004 L [mh_hm, mhm 005 M [wo BISCH, wo bist du 006 was MUESCH, was musst du 007 und i wEIss es no NID, und ich weiss es noch nicht 008 heschs UFgschribe am uf- hast du’s aufgeschrieben am auf 009 JO: i has UFgschribe- ja ich hab’s aufgeschrieben 010 heschs FERtig, hast du’s fertig 011 JO: °h muess no FROOge steue; ja muss noch Fragen stellen 012 oder JO: i MAche; oder ja ich mache M führt hier eine erzieherische Rolle vor, die sie nicht einnehmen möchte. Interessant ist, dass M in diesem Szenario nicht nur ihre eigene Figur animiert, sondern dialogisch auch die entsprechend möglichen Antworten von S. Dadurch demonstriert sie sehr ausführlich, wie diese Kontrollfunktion aussehen könnte. Gleichzeitig schränkt sie S in seinen Beteiligungsmöglichkeiten ein, da durch ihre Übernahme der Figur des Schülers für ihn keine Notwendigkeit mehr besteht, in den bereits stattfindenden Dialog einzutreten. Der Wechsel der Beteiligungsstruktur wird eingeleitet durch i cha jo nid IMmer sÄge; (Z. 001), jedoch findet ausser dem und in Zeile 007 keine erneute Einleitung vor der <?page no="328"?> 328 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination animierten Rede statt. Prosodisch sind die schülerseitigen Antworten allerdings deutlich abgesetzt und insbesondere die responsiven JO: (Z. 009, 011, 012) der animierten Schüler-Figur markieren die Figurenwechsel im Dialog. Dass Lehrpersonen nicht nur ihre SchülerInnen bewerten, sondern auch sich selbst, zeigt das folgende Beispiel. Der vorangegangene Kontext hat gezeigt, dass S noch nicht weiss, welchen Beruf er lernen möchte und L schlägt hier vor, dass er möglichst viele Schnupperlehren machen solle: # 77 Paragraphenreiter (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 04: 40-05: 01) 001 L äfach ! MÖG! lichscht (.) ! MÖG! lichscht vill go SCHNUPpere; einfach möglichst möglichst viel schnuppern gehen 002 in in in die verSCHIIdenschte brIef ine luege; in in in die verschiedensten Berufe hineinschauen 003 (2.21) 004 L wiggli aso do bin i NIT paragrApheriter. wirklich also da bin ich nicht Paragraphenreiter 005 do do dUn i nit irgendwie ÄInzelni DÄÄG, da da tue ich nicht irgendwie einzelne Tage 006 (.) äh denn ZELle und sAAge; äh dann zählen und sagen 007 de hesch genau jetz no: null komma siibe fünf dÄÄg ZGUET. du hast genau jetzt noch null Komma sieben fünf Tage zugut 008 sondern °h MAche (-) MAche. sondern machen machen 009 ? mh; mh 010 (3.22) 011 S jä- ja L leitet in Zeile 004 die Selbstpositionierung ein, als er sich nicht als Paragraphenreiter bezeichnet und konkretisiert das Verhalten eines solchen Menschen, der nämlich die Absenzen in der Schule genau abrechnen würde. Dieses kontrafaktische Verhalten wird zuerst beschrieben (Z. 005 f.) und dann in animierter Rede inszeniert: de hesch genau jetz no: null komma siibe fünf dÄÄg ZGUET. (Z. 007). Dadurch distanziert sich L mehrfach von dem vorgeführten Verhalten und zeigt sich als kooperativen und kompromissbereiten Lehrer. Er greift nach der Imaginierung seines Gegenentwurfs wieder die beratende Tätigkeit auf und fordert S in verkürzter Form ( MAche (-) MAche. , Z. 008) auf, die Schnupperlehren in Angriff zu nehmen. Es ist ein Rezeptionssignal (wahr- <?page no="329"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 329 scheinlich von M) zu hören und nach einer längeren Pause nimmt S das Angebot bzw. den Ratschlag an. Ähnlich wie Lehrpersonen ihre SchülerInnen charakterisieren und durch positive und negierte Szenarios Identitäten zuschreiben und ausschliessen, tun sie dies - wenn auch deutlich weniger häufig - auch in Bezug auf sich selbst. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Szenarios Positionierungsimplikationen tragen, die bezogen auf andere eine (auch delegierende) Bewertungsfunktion haben und bezogen auf die eigene Person in Form kontrafaktischer Darstellungen als Selbstpositionierung genutzt werden können. Auffällig ist, dass es sich bei diesen Positionierungen häufig um Gegenentwürfe in negierter Form handelt. Deppermann und Blühdorn (2013: 15) sprechen von „Interpretationsrestriktionen durch Negation“ und zeigen, wie die Negation als spezifische Design-Aktivität genutzt wird, indem mögliche, aber nicht intendierte Interpretationen bei den Rezipierenden ausgeschlossen werden. Auch in den hier gezeigten Kontexten werden mögliche Handlungen, Verhaltensweisen und Einstellungen in Form von Szenarios negiert hervorgebracht und dadurch als unpassend abgetan. Die Negation verstärkt damit den Aspekt des Kontrafaktischen und basiert auf Annahmen über mögliche Wissensbestände oder Interpretationsleistungen aufseiten der Gesprächsteilnehmenden. 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios Wie in Kapitel 7.1 gezeigt wurde, können durch Szenarios aktuelle Einstellungen, Gedanken und Verhaltensweisen von sich selbst und anderen bewertet werden. In den Beurteilungsgesprächen geht es jedoch nicht nur um bereits vorhandene, sondern auch um zukünftig wünschenswerte Fähigkeiten, Einstellungen und Verhaltensweisen der SchülerInnen. Die folgenden Ergebnisse zeigen die Funktion der animierten Rede, zukünftige Gedanken, Äusserungen, Handlungen etc. im Hier und Jetzt veranschaulichend darzustellen. Dabei geht es bei den zukunftsgerichteten Szenarios erstens um die Veranschaulichung von zukünftigen Handlungen im Sinne des Informierens (Kap. 7.2.1), zweitens um die Funktion des Überzeugens (Kap. 7.2.2), drittens um die Vermittlung erwünschter Einstellungen (Kap. 7.2.3) und viertens um Handlungsempfehlungen bzw. indirekte Handlungsanweisungen (Kap. 7.2.4). <?page no="330"?> 330 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 7.2.1 Veranschaulichung von zukünftigen Handlungen Im Folgenden werden zwei Beispiele besprochen, in denen Szenarios entworfen werden, die durch die Imaginierung zukünftig möglicher Gedanken veranschaulichenden Charakter haben. Im ersten Beispiel entwirft L eine zukünftige Lernsituation in animierter Rede. Damit schliesst sie an die Besprechung der eher schwachen Leistungen von S im Sachunterricht an: # 78 Lernen (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 07: 49-08: 13) 001 L °h und DE luege mer EIfach, und dann schauen wir einfach 002 wemmer de dr NÖCHSCHT tEscht hei, wenn wir dann den nächsten Test haben 003 dass mer (.) FRÜEzitig, dass wir frühzeitig 004 aso do bisch (.) isch d tatjAna nId die EINzigi; also da bist du ist die Tatjana nicht die Einzige 005 °h het au [no zwöi drüü ANgeri, hat auch noch zwei drei andere 006 M [no es paar ANgeri, noch ein paar andere 007 [wo chli HARzet; wo / die bisschen harzen / es schwer haben 008 L [EIfach dass mer gschwind ZÄme sitzen und luege, einfach dass wir geschwind zusammen sitzen und schauen 009 °h WIE chan i jetz druf lEEre; wie kann ich jetzt darauf/ dafür lernen 010 was MACH i am gschiitschte, was mache ich am gescheitesten / besten 011 söll (.) no CHÄRTli mache oder kchEni chÄrtli; soll (ich) noch Kärtchen machen oder keine Kärtchen 012 oder es Üebigsblatt no einisch LÄÄse oder zämefasse, oder ein Übungsblatt noch einmal lesen oder zusammenfassen 013 °hh wüu (.) das müesse sii zum teil ou LEEre- weil das müssen sie zum Teil auch lernen 014 (-) WIE sii am beschte chöi lEEre; wie sie am besten lernen können <?page no="331"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 331 015 (-) irgend [ufene TESCHT; =oder, irgend auf einen Test oder 016 M [oKEE, okay Die Lehrerin kündigt an, dass sie sich vor dem nächsten Test Lernstrategien überlegen werden. Sie beginnt mit der Referenz wir , was hier im Kontext auf sich selbst und S referiert und wechselt mit einer Reparatur von der Adressierung an S zur Adressierung an die Eltern (Z. 004). Das Szenario in den Zeilen 009-012 stellt nun eine Veranschaulichung dieser angekündigten gemeinsamen Lernsituation dar und enthält konkrete Fragen, welche S (gemeinsam mit L) in dieser zukünftigen Situation angehen wird. Durch die beispielhaften Nennungen von Lernstrategien konkretisiert sie die möglichen Lerninhalte. Nach der animierten Rede erklärt L den Eltern, dass solche Lernstrategien auch selbst erst erlernt werden müssen. In Bezug auf die Adressierung ist der gesamte Ausschnitt durchzogen von raschen Wechseln mitten im Satz sowie unspezifischen Referenzen wie man und wir . Das Szenario kann dadurch als eine mehrfachadressierte Veranschaulichung mit jeweiligem Informationsgehalt für S und die Eltern gesehen werden. Die Mutter ist die einzige, die durch Rezeptionssignale und verständnisbekundende Äusserungen auftritt. Die Veranschaulichung kann aber auch so herum funktionieren, dass die Lehrperson ihre eigenen zukünftigen Gedanken imaginiert und in Bezug zu Schülerleistungen setzt, wie dies in der folgenden Sequenz getan wird. Im Gespräch mit Alex geht es um die ungenügenden Leistungen und vor der gewählten Sequenz wird S aufgefordert, Zielsetzungen zu formulieren. Er nennt u. a. sein Ziel, trotz voraussichtlich ungenügendem Zeugnis am Ende des laufenden Semesters noch die anstehenden Prüfungen zu bestehen. L setzt dort an und formuliert aus, was S nur angedeutet hat: # 79 Notenkonferenzen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 10: 59-12: 13) 001 L aso (.) dä Effoor wo du SCHOne mol hesch chöne zEIge; also dieser Effort wo / den du schon einmal hast zeigen können 002 °h dass a DÄM aachnüpfsch, dass du an dem anknüpfst 003 (--) dass jetz GAS gisch und (.) luegsch, dass du jetzt Gas gibst und schaust 004 (-) SÄMTlichi prüefige wo jetz no Offe sii, sämtliche Prüfungen wo / die jetzt noch offen sind 005 °hh mit ere GNÜEgende note Abzschliesse; mit einer genügenden Note abzuschliessen <?page no="332"?> 332 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 006 S [ja- ja 007 L [das: das zeigt denn ou JEdere lEErperson; das das zeigt dann auch jeder Lehrperson 008 woa: dä alex [het UFghout hä, wow dieser Alex hat aufgeholt hä 009 S [hh° 010 L °hh dasch OU immer guet; das ist auch immer gut 011 grad wenns denn gAnz KNAPP wird, gerade wenns dann ganz knapp wird 012 und ums RUNde geit, und ums Runden geht 013 °hh ähm oder das CHÖNT jo jetz (.) statt es drüü zwÖI fÖIf, ähm oder das könnte ja jetzt statt eine Drei zwei fünf (=3.25) 014 chönt jo das es drÜÜ zwÖI VIER sii, könnte ja das eine Drei zwei vier (=3.24) sein 015 °hh und ! SO! öppis denn z GSEE, und so etwas dann zu sehen 016 seit sich när o e LEERperson; sagt sich nachher auch eine Lehrperson 017 jä NEI aso; ja nein also 018 °h etz het dä eso GAS gää; jetzt hat der so Gas gegeben 019 aso (-) dä däm (kerl) gib ich jetz NID es drüü zwöi vier, also dieser diesem (Kerl) gebe ich jetzt nicht eine Drei zwei vier (=3.24) 020 (.) mach ich es DRÜÜ, mache ich eine Drei 021 ou wenn das mathemAtisch so °h GRUNdet wird,=oder, auch wenn das mathematisch so gerundet wird oder 022 mir hei jo für ! DAS! ou immer die nOtekonfeRÄNze; wir haben ja für das auch immer die Notenkonferenzen 023 °hh JE: di leerperson luegt denn ou entsprächend dr Effoor, jede Lehrperson schaut dann auch entsprechend den Effort 024 °h (.) vom: Individuum AA, vom Individuum an <?page no="333"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 333 025 und goot nid eifach nume matheMAtisch, und geht nicht einfach nur mathematisch 026 (.) dO isch dr schnitt und FERti, da ist der Schnitt und fertig 027 S dasch jo wie bi de HUSufgaab, das ist ja wie bei den Hausaufgaben 028 L ja, ja 029 (-) d husufgabe immer HAA, die Hausaufgaben immer haben 030 und när d STICHkontrolle chUnt vo de leerperson; und nachher die Stichkontrolle kommt von der Lehrperson 031 und sii seet dä alex HET die husufgabe, und sie sieht dieser Alex hat die Hausaufgaben 032 und sIIben ander hends NID, und sieben andere haben’s nicht 033 °hh jä wär STOOT denn bEsser do; ja wer steht dann besser da 034 dr Alex oder die ANdere. der Alex oder die anderen In den Zeilen 001-005 reformuliert L die Äusserungen des Schülers, die S auch nochmals bestätigt (Z. 006). L zeichnet durch das nun entworfene Szenario die Auswirkungen dieser geplanten Haltung von S nach. In Z. 007 leitet L die animierte Rede durch das zeigt denn ou JEdere lEErperson; ein und später durch seit sich när o e LEERperson; (Z. 016) und schliesst sich implizit als eine dieser Lehrpersonen als Figur in die Imaginierung mit ein. L entwirft zuerst die anerkennenden Gedanken von Lehrpersonen in Bezug auf die hypothetischen Fortschritte von S ( woa: dä alex het UFghout hä, , Z. 008). Sie veranschaulicht dies konkret an einem Notenbeispiel von S (Z. 011-026) und demonstriert punktuell in animierter Rede (Z. 017-021), wie Lehrpersonen an Notenkonferenzen die Spielräume für das entsprechende Auf- oder Abrunden nutzen und dabei Bemühungen und Fortschritte von S mit in die Beurteilung einbeziehen. Auch die Gegendarstellung von Lehrpersonen wird in animierter Rede präsentiert (Z. 026), womit ein Ausschluss von Verhaltensweisen erzielt wird. S zeigt, dass ihm dieses Verhalten von den Hausaufgabenkontrollen bekannt ist, worauf L erneut in animierter Rede aufzeigt, welche Überlegungen sich Lehrpersonen bei Hausaufgabenkontrollen machen (Z. 031-034). L veranschaulicht in dieser Sequenz mehrfach, welche Überlegungen und Reaktionen S durch verbesserte Leistungen bei Lehrpersonen auslösen kann. Da- <?page no="334"?> 334 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination durch bekräftigt sie S in seinen Zielsetzungen und zeigt konkret die möglichen Auswirkungen. In beiden Beispielen werden zukünftige Handlungen imaginiert, die gleichzeitig eine informative Funktion haben. In Beispiel # 78 informiert L die Eltern und die Schülerin über das zukünftige Lernsetting, indem sie die konkret zu bearbeitenden Fragen aus Sicht der Schülerin vorformuliert. Und in Beispiel # 79 bekräftigt L das Vorhaben des Schülers, sich trotz voraussichtlich ungenügendem Zeugnis nochmals bei allen verbleibenden Prüfungen überdurchschnittlich anzustrengen, und gewährt ihm durch die Szenarios Einblick in mögliche zukünftige Gedanken und Handlungen der Lehrpersonen als Reaktion auf seine Leistungsbereitschaft. Indem sie das Vorhaben von S in einen grösseren Handlungsraum stellt, gewinnen die Imaginierungen neben dem veranschaulichenden Charakter auch an bewertender Funktion. Implizit wird das geplante Verhalten von S durch die Szenarios positiv bewertet. 7.2.2 Überzeugungsarbeit mithilfe von Szenarios Die Veranschaulichung mithilfe von Szenarios kann auch die Funktion haben, eine Entscheidung voranzutreiben. Dabei geht es hier ebenfalls um die Imaginierung zukünftiger Ereignisse, jedoch mit dem spezifischen Ziel, eine Entscheidung herbeizuführen. Im folgenden Beispiel finden sich in der Mitte des Gesprächs zwischen Minute 19 und 45 (das Gespräch dauert insgesamt 64 Minuten) mehrere Einbettungen von Szenarios, die als Entscheidungshilfe fungieren. Es geht dabei um die zuvor von L entwickelte Idee, dass S an einem Tag eine tiefere Niveau-Klasse einer anderen Schule besuchen soll, um herauszufinden, ob er wegen dauernder Überforderung frühzeitig die Schule wechseln soll. Dass die Veranschaulichung nur teilweise reüssiert, zeigt sich insbesondere gegen Ende der Sequenz. Die Teilausschnitte 1-5 werden zuerst jeweils einzeln kontextualisiert und dann als Gesamtes betrachtet. # 80 Entscheidung (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 19: 21-44: 15, mit Auslassungen) [Teilausschnitt 1] 001 L es goot mer DRUM, es geht mir darum 002 °h dass mer dIr eifach ou mol e chli chönti dr BAMmel nää; dass wir dir einfach auch mal ein bisschen könnten den Bammel nehmen <?page no="335"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 335 003 du gsächtisch mou (--) wie das dööt LOUFT? du sähst mal wie das dort läuft 004 du [hätsch emou °h äh zwÖI intressAnti stunde chönne go AAluege? du hättest einmal äh zwei interessante Stunden anschauen gehen können 005 S [ja, ja 006 L vilech e so ne MATHstund go AAluege, vielleicht so eine Math(ematik)stunde anschauen gehen 007 und vilech no ne GSCHICHT, und vielleicht noch eine Geschichte 008 oder e BIOstu: nd, oder eine Bio(logie)stunde 009 oder °hh was es denn halt uf em taPEET het, oder was es dann halt auf dem Tapet hat 010 aber öppis wo (--) wo wo di würd WUNder nää; aber etwas wo / das wo / das wo / das dich Wunder nehmen / interessieren würde 011 wie LOUFT das dööt; wie läuft das dort 012 FRANzi vilecht; Franzi/ Französisch vielleicht 013 (-) ÄNGlisch? Englisch 014 M [mh_mh, mh 015 L [weisch DO wo [du °h vilicht gad so chli dini SCHWACHpünkt hesch? weisst du da wo du vielleicht gerade so bisschen deine Schwachpunkte hast 016 S [ja- ja 017 L (-) go LUEge (-) wie das dÖÖten Isch, schauen gehen wie das dort ist 018 und <<p> ah do chan i du (.) föifevierzg minUte und ha AUes ver↑STANde.> und ah da kann ich du fünfundvierzig Minuten und habe alles verstanden 019 (-) hätt i etz SPIIlend chöne mitmache (.) problEmlos, hätte ich jetzt spielend mitmachen können problemlos <?page no="336"?> 336 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 020 °h und bi ! MIR! (.) hock i IIne und CHNOORZ nume, und bei mir hocke / setze ich mich herein und knorze nur 021 und (-) WO simmer jetzt, und wo sind wir jetzt 022 und (--) MAG i noche, und mag / komme ich nach 023 °hh (--) das chönte mer ! GÄRN: ! (.) organisIEre; = das könnten wir gerne organisieren 024 =ou um dIr ou bitz (1.08) d entschEIdig hüufe (.) z unger↑STÜTze. auch um dir auch bisschen die Entscheidung helfen zu unterstützen Vor diesem Ausschnitt hat L konkrete Überlegungen angestellt, an welchem Wochentag S welche Klasse besuchen könnte. S zeigt sich unsicher, da es bei einem allfälligen Schulwechsel noch nicht sicher wäre, ob er dann auch in diese einmalig besuchte Klasse käme. Dort setzt L in Teilausschnitt 1 an. Sie erklärt die Absichten hinter einem solchen Schulbesuch und inszeniert in animierter Rede ein mögliches Interesse von S, wenn sie mit aber öppis wo (--) wo wo di würd WUNder nää; wie LOUFT das dööt; (Z. 010 f.) seine Perspektive entwirft. L nennt ein paar schwache Fächer von Marc und von S (Z. 016) sowie von M (Z. 014) sind bestätigende Rezeptionssignale hörbar. In den Zeilen 018-022 wechselt L dann erneut in die animierte Rede und imaginiert die zukünftig möglichen Gedanken von S während des geplanten Schulbesuchs: <<p> ah do chan i du (.) föifevierzg minUte und ha AUes ver↑STANde.> (-) hätt i etz SPIIlend chöne mitmache (.) problEmlos, °h und bi ! MIR! (.) hock i IIne und CHNOORZ nume, und (-) WO simmer jetzt, und (--) MAG i noche, . Eingeleitet und markiert wird diese Sequenz durch und (Z. 018), durch prosodische Markierung sowie durch wechselnde Referenzen. Diese imaginierten Gedanken werden von L nicht als entweder / oder-Gedanken präsentiert, sondern sind bereits in der Erwartung formuliert, dass die besuchte Schule für S eine passable Lösung wäre. Sie animiert also die möglichen zukünftigen Gedanken der Figur S, lässt aber als Auftraggeberin ihre eigene Überzeugung einfliessen. Dadurch veranschaulicht L den Schulbesuch so, dass das Resultat bereits als positives projiziert wird. Im Anschluss an Teilausschnitt 1 zeigt S sich immer noch skeptisch und er tendiert dazu, eher mal noch abzuwarten und erst zu handeln, wenn er wegen den ungenügenden Leistungen gehen muss. Da Schulwechsel in der Regel nicht so rasch planbar seien, spricht sich L, in Übereinstimmung mit M, dafür aus, <?page no="337"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 337 diesen Schulbesuch doch schon jetzt zu planen und sie beginnt, konkretere Überlegungen zu Zeitplan und Klasse anzustellen: [Teilausschnitt 2, nach Auslassung von ca. 2.75 Min.] 001 L das wär denn für DI en unter! STÜT! zig für d ent↑SCHEIdig. das wäre dann für dich eine Unterstützung für die Entscheidung 002 das isch NID, das ist nicht 003 M mh_hm; mhm 004 L dass du mIr jetzt [SEISCH; dass du mir jetzt sagst 005 S [ja- ja 006 L i i will i will WÄCHSle, ich ich will ich will wechseln 007 und nur wäge dÄm dörfsch du dööt go ↑SCHNUPpere; und nur wegen dem darfst du dort schnuppern gehen 008 M [mh_hm; mhm 009 L [°hh du dÖfsch denn dööt go SCHNUPpere; du darfst dann dort schnuppern gehen 010 °h ! ZUM! dir d entscheidig [entsprächend z erLIECHteren; =oder, um dir die Entscheidung entsprechend zu erleichtern oder 011 M [mh_hm; mhm Durch die kontrafaktische Aussage von S i will WÄCHSle (Z. 006) schwächt L die Entscheidungslast ab und orientiert sich so an der geäusserten Skepsis und Unsicherheit von S. Sie rahmt also die aktuelle Entscheidung (für oder gegen einen Schulbesuch) als Unterstützung für die dann folgende Entscheidung (Wechsel der Schule versus Wiederholung einer Klassenstufe an derselben Schule) und spricht von dürfen . Diese Wortwahl ist insofern interessant als der Schulbesuch von S seit Anfang skeptisch aufgenommen wird und die Idee hauptsächlich von L kommt, dies aber mit der zunehmenden Unterstützung von M und P. L leistet hier Überzeugungsarbeit und lässt durch Wortwahl und Szenarios die Überlegungen als von S gemachte und gewünschte aussehen. Vor dem Teilausschnitt 3 geht es um weitere Themen, u. a. um die generelle Frage nach dem passenden Schulabschluss, die gute soziale Anschlussfähigkeit <?page no="338"?> 338 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination von S und die sinkende Motivation von S aufgrund der schlechten Noten. L leitet hier gerade wieder über zur Idee des Schulbesuchs und betont, dass das gerade zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Möglichkeit für S wäre, die Schule einmal kennen zu lernen: [Teilausschnitt 3, nach Auslassung von ca. 5.5 Min.] 001 L °h (.) du bisch jetz in ere situaTION, du bist jetzt in einer Situation 002 wo das (.) Alles AAgnäämer isch, wo das alles angenehmer ist 003 weder vilech i dr situaTION, als vielleicht in der Situation 004 °h vom Ungnüegende ZÜGnis. vom ungenügenden Zeugnis 005 (-) döt stoosch jo de vilech e chli mEE unger STROM; dort stehst du ja dann vielleicht ein bisschen mehr unter Strom 006 und unger DRUCK. und unter Druck 007 das WEISCH jo jetz noni wie sich de das AAfüelt; das weisst du ja jetzt noch nicht wie sich dann das anfühlt 008 M [mh_hm; mhm 009 L [°h und ! DENN! nÄchene müesse GOO- und dann nachher gehen müssen 010 °hh (.) dööt go Ine sitze, dort hineinsitzen gehen 011 mit däm (.) im HINterchopf z ha, mit dem im Hinterkopf zu haben 012 i han es Ungnüegends ZÜGnis, ich habe ein ungenügendes Zeugnis 013 und das wenn i wenn is NID schaff; und das wenn ich wenn ich’s nicht schaffe 014 bin i EInewäg do; bin ich ohnehin da / hier 015 und einglech PASSTS mer nid, und eigentlich passt’s mir nicht 016 °hh aber JETZ chöne z goo; aber jetzt gehen zu können <?page no="339"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 339 017 °h ooni dass me muess ANGSCHT ha; ohne dass man Angst haben muss 018 dass es de NID längt; dass es dann nicht reicht 019 i ha jo när wider es halbs joor zIt zum [SCHAFfe, ich habe ja nachher wieder ein halbes Jahr Zeit zum Arbeiten 020 M [mh_hm, mhm 021 L [wenn i de GSEE, °hh wenn ich dann sehe 022 M [isch vilech (bald schläuer), ist vielleicht (bald schläuer) 023 L ui: ! DO! möcht i NID hii; ui da möchte ich nicht hin 024 (.) de cha ! DAS! ou gad <<: -)> e motiva[TIONSschub sii,> dann kann das auch gerade ein Motivationsschub sein 025 M [ja: das STIMMT, ja das stimmt 026 [mh_hm, mhm 027 L [°h für sich vilech O noMOL äh: : - für sich vielleicht auch noch mal äh 028 nÖIme no bitz bEsseri effiZIÄNZ anezbechoo; =oder? irgendwo noch bisschen bessere Effizienz hinzukriegen oder 029 (1.24) 030 M mh_hm; mhm L orientiert sich wiederum an der abwartenden Haltung von S und demonstriert hier nun mögliche Gedanken von S, wie sie zu einem späteren Zeitpunkt auftauchen könnten: i han es Ungnüegends ZÜGnis, und das wenn i wenn is NID schaff; bin i EInewäg do; und einglech PASSTS mer nid, (Z. 012-015). Der zukünftige Schulbesuch wird hier als von S unangenehm, da ausweglos, dargestellt, während im Anschluss daran die möglichen Gedanken bei einem frühzeitigen Schulbesuch deutlich motivierter ausfallen: i ha jo när wider es halbs joor zIt zum SCHAFfe, wenn i de GSEE, °hh ui: ! DO! möcht i NID hii; (Z. 019, 021, 023). Durch diese konträr aufgezeigten Szenarios gibt L Einblick in mögliche Auswirkungen je nach Zeitpunkt eines Schulbesuchs und die Veranschaulichung lässt den baldigen Schulbesuch positiver ausfallen, was <?page no="340"?> 340 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination somit die Entscheidung vereinfachen soll. L betont nach der Szenarioentwicklung auch die möglichen positiven Auswirkungen auf die Motivation, falls der Schulbesuch nicht überzeugend ausfällt. Die Veranschaulichung ist der Lehrerin insofern gelungen, als dass die Mutter von der Idee nun überzeugt ist. Von S ist allerdings noch keine eindeutige Zustimmung ersichtlich. Vor dem nächsten Teilausschnitt geht es um Schulfreundschaften, M erzählt aus ihrer eigenen Schulzeit und holt dann in einer längeren Sequenz aus über Schul- und Berufskarriere von der Schwester von S. Die Sequenz wird stark von M dominiert und schliesslich lenkt L wieder zur Entscheidung und fragt, ob sie die Organisation des Schulbesuchs nun in Angriff nehmen sollen. M zeigt deutliche Zustimmung: [Teilausschnitt 4, nach Auslassung von ca. 4.5 Min.] 001 L °h und OOni druck z goo, und ohne Druck zu gehen 002 M [mh_hm; mhm 003 L [°h isch doch AAgnäämer, ist doch angenehmer 004 me het denn vilech ou dene CHING gägenüberztrÄtte, man hat dann vielleicht auch diesen Kindern gegenüberzutreten 005 °h (.) me het nid im HINterchopf, man hat nicht im Hinterkopf 006 (-) bui: (--) i b chume jetzt do [HÄne, °h bui ich b komme jetz da / hier hin 007 M [mh_mh, mh 008 L wills mer nid so rund LOUFT i dr schUel? weil’s mir nicht so rund läuft in der Schule 009 sondern I chume jetz do HÄne,= sondern ich komme jetzt da / hier hin 010 =will i wott luege wie dirs HEIT. weil ich schauen will wie ihr’s habt 011 M [mh_mh, mh 012 L [isch en Anderi situa[TION; =oder, ist eine andere Situation oder 013 M [ja und du chaschs de o so SÄge, ja und du kannst dann auch so sagen <?page no="341"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 341 014 du sigsch am überlEge wüll du heigsch d WAAL. du seist am Überlegen weil du hättest die Wahl Das Szenario in Teilausschnitt 4 zeigt ein Abwägen von zwei möglichen Einstellungen, die je nach Zeitpunkt des Schulbesuchs eintreten können (Z. 006, 008 und 009 f.). Wieder wird die imaginierte Einstellung bei einem frühzeitigen Schulbesuch vorteilhaft präsentiert. Im Anschluss daran entlockt L bei S die Zustimmung, dass sie den Schulbesuch für ihn organisieren kann (vgl. Beispiel # 64). Das Gespräch wird danach weniger fokussiert, sie sprechen noch über die neue Französischlehrerin, dann allgemein über Schulentwicklungen, da P an einer anderen Schule ebenfalls als Lehrer tätig ist. M leitet nun in Teilausschnitt 5 abschliessend erneut zum Thema des Schulbesuchs über und zeigt sich überzeugt von der Idee: [Teilausschnitt 5, nach Auslassung von ca. 9.5 Min.] 001 M i finge jetz das ! GANZ! e gueti idEE mit dere SCHUELstund. ich finde jetzt das eine ganz gute Idee mit dieser Schulstunde 002 (--) 003 ? [ja- ja 004 M [und de gEIsch nämlech DU: ? und dann gehst nämlich du 005 und DU hocksch ja ir schUel; und du hockst ja in der Schule 006 nid MIR, nicht wir 007 L ja- ja 008 M (-) und DU chasch es lUege; und du kannst es sehen 009 und de chunsch wider HEI? und dann kommst du wieder heim 010 und de °h seisch ↑uh NEI a_a; und dann sagst du uh nein a 011 L ja, ja 012 M oder ↑JA: das fing i jetz no GUET; oder ja das finde ich jetzt noch gut <?page no="342"?> 342 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 013 L ja, ja 014 (1.24) 015 S jo zwar wenns de jetz vilech [när ! O! nid GUET, ja zwar wenns dann jetzt vielleicht nachher auch nicht gut 016 M [(gäll,) (gell) 017 S nid ! SO: ! gUet isch oder so; nicht so gut ist oder so 018 de de °h (--) weiss is jo när irgendwie OU nid, dann dann weiss ich’s ja nachher irgendwie auch nicht 019 wies [de (.) wenn i no würd BLIIbe (xxx); wie’s dann wenn ich noch würde bleiben (xxx) 020 L [°hh mh ↓JO aber mir chönted de vilech drfür umso Eher äh- mh ja aber wir könnten dann vielleicht dafür umso eher äh 021 AAsträngige träffe; Anstrengungen treffen Wie zuvor L, nutzt M ebenfalls die Form eines Szenarios, um die zukünftigen Äusserungen von S zu demonstrieren. Es geht jedoch nicht mehr um ein Abwägen oder um eine Entscheidung, denn der Schulbesuch wird nun von L organisiert. M zeigt, welche Erkenntnisse S aus diesem Schulbesuch erlangen wird, nämlich die Gewissheit, ob ein Schulwechsel infrage kommt ( ↑JA: das fing i jetz no GUET; , Z. 012) oder nicht ( ↑uh NEI a_a; , Z. 010). Obwohl die Entscheidung eigentlich schon feststeht, klinkt sich S nun in diese Darstellung wieder ein und zeigt erneut Skepsis. Er greift dabei die Worte seiner von M animierten Figur auf und stellt sich dagegen: jo zwar wenns de jetz vilech när ! O! nid GUET, nid ! SO: ! gUet isch oder so; de de °h (--) weiss is jo när irgendwie OU nid, wies de (.) wenn i no würd BLIIbe (xxx); (Z. 015, 017-019). Er stellt dadurch erneut die Sinnhaftigkeit des jetzigen Schulbesuchs infrage, da die tatsächliche Klasse dann dennoch unklar wäre etc. L unterbricht den Einwurf von S und schliesst die Sequenz (hier nur unvollständig abgedruckt) rasch ab, indem sie auf weitere Abklärungen an anderen Schulen verweist. In diesen Teilsequenzen zeigen sich von verschiedenen Seiten die Bemühen, eine Entscheidung von S herbeizuführen. Die animierte Rede ist dabei als spezifische Design-Aktivität zu verstehen, die in ständigem Abgleich mit <?page no="343"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 343 den erzielten schülerseitigen Reaktionen genutzt wird, um S von dem Schulwechsel zu überzeugen. Während L als Reaktion auf die Unsicherheiten von S konkretisierende Szenarios entwirft, die eine klare Tendenz zur Entscheidung für einen baldigen Schulbesuch zeigen, lässt sich M (und später auch P) von der Veranschaulichung überzeugen und auch von S wird zeitenweise Übereinstimmung erlangt. In dieser letzten Teilsequenz zeigt sich allerdings, dass S nach wie vor die Entscheidung nicht aus eigener Überzeugung trifft, sondern seine Zweifel noch immer vorhanden sind. Veranschaulichung kann also, muss aber nicht zwingend gelingen (vgl. auch Brünner 2013: 40) und sie gelingt hier, wie gezeigt, vor allem in Bezug auf M und P, jedoch nur bedingt in Bezug auf den eigentlichen Akteur, den Schüler. Auffallend ist in allen Teilsequenzen (wie auch allgemein in diesem Gespräch) die Passivität von Marc. So stehen die vielen Bemühungen von L (und zunehmend auch von M und P), S durch verschiedene sprachliche Mittel zu überzeugen (animierte Rede mit möglichen Gedanken von S, Wortwahl), in starkem Kontrast zur minimalen Beteiligung von S. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Idee eines Schulwechsels insbesondere von L und durch wachsende Zusprachen durch M Schritt für Schritt entwickelt wird, obwohl Marc sich im Gespräch (z. B. Min. 20: 57) sowie gemäss Aussage von M im Vorfeld des Gesprächs (z. B. Min. 05: 27) skeptisch bezüglich eines Schulwechsels geäussert hat. Eine andere Erklärung findet sich im sequenziellen Verlauf eines an früherer Stelle diskutierten Beispiels, in welchem Marcs aktivere Beteiligung von M zuerst explizit gefordert und jedoch gleich im Anschluss wieder verhindert wird ( muesch nid JETZ gad? , Z. 008, Beispiel # 43). Marc erhält dadurch widersprüchliche Anweisungen bezüglich des erwünschten Verhaltens im Gespräch und zeigt sich allenfalls auch deshalb im weiteren Verlauf zurückhaltend. Im Folgenden geht es ebenfalls um die überzeugende Funktion, jedoch im Sinne von konkreten Empfehlungen. Diese betreffen einerseits Einstellungen und Gedanken, andererseits Handlungen. 7.2.3 Imaginierung erwünschter Einstellungen In einigen der analysierten Gespräche geht es u. a. um die Frage nach den erwünschten Haltungen und Einstellungen der SchülerInnen zur Schule und zum Lernen. Dabei fungiert die animierte Rede als Veranschaulichung dieser von Erwachsenenseite her bestehenden Vorstellungen. Das nächste Beispiel steht im Kontext der Forderung an den Schüler David, sich aktiver und offener mit dem Thema Bewerbungen und Stellensuche zu beschäftigen. Während S die Ansicht vertritt, dass er sich nur dann bewerben möchte, wenn ihn die Stelle wirklich interessiert, vermitteln die Lehrerin und <?page no="344"?> 344 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination der Vater die erwünschte Einstellung, dass jede Stelle eine Chance birgt und eine erste Berufserfahrung ermöglicht. Im folgenden Ausschnitt spricht mehrheitlich der Vater, die gemeinsame Sicht der beiden Erwachsenen wird aber durch die vielen Beipflichtungen der Lehrerin unterstrichen: # 81 Berufserfahrung (David, SJ12_L5A_LVS, 45: 11-46: 07) 001 V es isch wiklich äfach e: °h (-) Inneri blockade sich z verCHAUfe. es ist wirklich einfach eine innere Blockade sich zu verkaufen 002 (1.06) 003 V das isch (.) ich so (-) isch für mi vo mIr usgsee äigentlich s HAUPTproblem; das ist ich so ist für mich von mir ausgesehen eigentlich das Hauptproblem 004 (.) °h sich z verCHAUfe, sich zu verkaufen 005 u: nd (--) vo Irgendemene: : ideAL, und von irgendeinem Ideal 006 V (--) chönen ABstand z nÄÄ und z sAge, Abstand nehmen zu können und zu sagen 007 °h es goot drum re! A! li erfAArige z mache; es geht darum reale Erfahrungen zu machen 008 imene beRIICH won i vilicht nächär ka sAge; in einem Bereich wo ich vielleicht nachher sagen kann 009 (---) i ha (1.15) ich ha BRUEFSerfaarig- ich habe ich habe Berufserfahrung 010 aso ich cha prAktis PRAKtischi erfAArig vorwIIse; also ich kann praktis praktische Erfahrung vorweisen 011 °h und i WÄISS au, und ich weiss auch 012 dass es: (.) dAs ! GANZ! sicher nid muess [sii. dass es das ganz sicher nicht sein muss 013 L [geNAU. genau 014 V (-) Oder (.) s goot n das SIN: D- oder es geht n das sind 015 me cha: imene POsitive sinn finde; man kann in einem positiven Sinn finden 016 jÄwoll do chan i WIter mache, jawohl da kann ich weiter machen <?page no="345"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 345 017 oder °h OU das ischs aber NID so gsi; oder oh das ist’s aber nicht so gewesen 018 und i cha sage i ha do dAs und dAs GMACHT, und ich kann sagen ich habe da das und das gemacht 019 und ich bechUmm atteschTIERT, und ich bekomme attestiert 020 dass ich mir °h äh: mi AAgschträngt ha; dass ich mir äh mich angestrengt habe 021 und interesSIERT zäigt ha; =oder, und interessiert gezeigt habe oder 022 L mh_mh; mh 023 V o es goot um di um DAS; o es geht um dich um das 024 es goot nid drum: °h dr Ideali TSCHOP z fInden; =oder, es geht nicht darum den idealen Job zu finden oder 025 wo die nächschte hundert joor ähm: äh: a dr glIIche stell BLIBSCH; wo du die nächsten hundert Jahre ähm äh an der gleichen Stelle bleibst 026 L geNAU; genau Der Vater nennt hier die beiden Hauptprobleme von S, nämlich sich zu verkaufen und sich von der Vorstellung eines perfekten oder idealen Jobs zu lösen (Z. 001-006). In Zeile 006 leitet er mit der Infinitivkonstruktion und zu sagen zur ersten animierten Rede über. V animiert in den Zeilen 007-012 und 016-021 die Figur von S mit einer zukünftig erwünschten Einstellung von S. Diese Imaginierung erstreckt sich über mehrere Äusserungseinheiten, wird von der Lehrerin kurz ratifiziert und nochmals mit weiteren Differenzierungen von V weitergeführt. Die Darlegungen ab Zeile 014 orientieren sich im Sinne einer Design-Aktivität an der von S gezeigten Zurückhaltung (vor dem hier präsentierten Ausschnitt) in Bezug auf Bewerbungen für Stellen, die ihn nicht gänzlich überzeugen. V imaginiert hier zwei verschiedene Möglichkeiten, wie S mit seinen ersten Berufserfahrungen umgehen kann: S kann die Einstellung entwickeln, dass ihm die Stelle gefällt ( jÄwoll do chan i WIter mache, , Z. 016) oder er kann - basierend auf den Erfahrungen - entscheiden, dass diese spezifische Berufsrichtung nichts für ihn ist ( OU das ischs aber NID so gsi; , Z. 017). Diese zweite Möglichkeit wird allerdings nur insofern als akzeptierte Einstellung gerahmt, als dass S auch bei der ablehnenden Haltung eine positive <?page no="346"?> 346 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination Grundeinstellung zur gemachten Erfahrung an den Tag legt: und i cha sage i ha do dAs und dAs GMACHT, und ich bechUmm atteschTIERT, dass ich mir °h äh: mi AAgschträngt ha; und interesSIERT zäigt ha; (Z. 018-021). In dieser Imaginierung sind zudem verschiedene erwünschte Einstellungen enthalten. V baut einerseits eine Erwartungshaltung auf, welche die Grundeinstellung zu Berufserfahrungen darlegt. Und andererseits zeigt er in diesem Szenario auch das gewünschte Verhalten von S bei einer Arbeitsstelle an: Er soll sich anstrengen und sich interessiert zeigen, damit dies am Ende auch attestiert werden kann. Hier wird ein mehrschrittiges Szenario aufgebaut und in animierter Rede jeweils die erwünschte Einstellung von S dargestellt. Diese zukunftsgerichteten Positionierungen basieren auf gegenwärtigen Einstellungen von S, die durch die Imaginierungen in ihrer erwünschten Form dargestellt werden. Dadurch werden die gegenwärtigen Einstellungen implizit als unerwünscht oder unpassend bewertet. 7.2.4 Empfehlung zukünftiger Handlungen Wenn auch in den meisten Imaginierungen die Schülerin bzw. der Schüler als Figur in animierter Rede dargestellt wird, zeigt sich im Folgenden ein Kontext, in welchem die Lehrerin die animierte Rede als Strategie einsetzt, der Mutter indirekt und gesichtsschonend eine Handlungsanweisung zu vermitteln. Damit die Entwicklung des Szenarios in dessen gesamtem Kontext betrachtet werden kann, wird hier etwa eine Minute Vorlauf präsentiert: # 82 Rahmenbedingungen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 05: 30-06: 59) 001 L °h s einzige was me äh was me bitz CHA dich unterstÜtze, das Einzige was man äh was man bisschen dich unterstützen kann 002 isch mit gwüssne RAAmebedingige; ist mit gewissen Rahmenbedingungen 003 aso dass me bIspiuswiis würklech mol AAnegeit und LUEGT, also dass man beispielsweise wirklich mal hingeht und schaut 004 °h wi: e isch mÄÄnti bis und mit SAMSCHti find Ich, wie ist Montag bis und mit Samstag finde ich 005 (.) de sAmschtig ghÖrt eigentlich us miner sicht OU drzue, der Samstag gehört eigentlich aus meiner Sicht auch dazu <?page no="347"?> 7.2 Zukunftsgerichtete Szenarios 347 006 °h nId dass mer jetze müesse (.) Acht STUNG go dra sitze, nicht dass wir jetzt acht Stunden dran sitzen müssen 007 dasch nid d iDEE, das ist nicht die Idee 008 °h aber DÖte chame, aber dort kann man 009 gad gwüssi sache wo LIge blibe sii, gerade gewisse Sachen wo / die liegen geblieben sind 010 (.) UFarbeite; aufarbeiten 011 °h me cha äh äh LERNsequänze drin ine due; man kann äh äh Lernsequenzen hinein tun 012 und dr sUnnti isch denn eifach würklech e frEIe DAAG; und der Sonntag ist dann einfach wirklich ein freier Tag 013 und °h das söll nur als ! NOTFALL! [dIene. und das soll nur als Notfall dienen 014 S [samschtig morge wie in d SCHUEL go; Samstagmorgen wie in die Schule gehen 015 L GANZ genau; ganz genau 016 S [und am nomidaag AU, (.) guet; und am Nachmittag auch, gut 017 L [wül früener wül FRÜEner isch jo; weil früher weil früher ist ja 018 früener isch jo da SÄCHSdagewuche gsi? früher ist ja da Sechstagewoche gewesen 019 und [da het me jetz uf fÜf daag °h reduZIERT, und da hat man jetzt auf fünf Tage reduziert 020 S [uff hh° uff 021 L aber i dr ANnaam, aber in der Annahme 022 dass halt eben am °h ne SAMSCHti am morge OU öppis, dass halt eben an einem Samstag am Morgen auch etwas 023 äh für d schUel für ds lErne für ds lÄbe °h (.) cha cha cha GMACHT wärden; =oder, äh für die Schule für das Lernen für das Leben kann kann kann gemacht werden oder <?page no="348"?> 348 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 024 °hh und dass EIfach d rAAmebedingige SO: sii, und dass einfach die Rahmenbedingungen so sind 025 dass s mAmi di dÖt cha ungerSTÜTze; dass die Mama dich dort unterstützen kann 026 °h wo wo: (.) wos denn eifach NOchefrogt; wo wo wo sie dann einfach nachfragt 027 hesch hüt (1.12) dä RAAme, hast du heute diesen Rahmen 028 (.) die säge mer drüü viertel STUN: D, die sagen wir Dreiviertelstunde 029 oder °h oder e STUN: D, oder oder eine Stunde 030 hesch du dir dä chönen IIhalte; hast du dir diesen einhalten können 031 °h äh: het das KLAPpet, äh hat das geklappt 032 dass dass EIfach (.) me sO im GSPRÄÄCH blibt; dass dass einfach man so im Gespräch bleibt 033 oder OU mou (.) seit; oder auch mal sagt 034 ↑so und jetzt °h hesch doch du: (.) dir VORgnoo, so und jetzt hast doch du dir vorgenommen 035 immer vom zwöi bis am DRÜÜ, immer von zwei bis um drei 036 am freie NOmidaag; am freien Nachmittag 037 °h etz isch scho FÜF ab zwöi; jetzt ist schon fünf nach zwei 038 du hocksch Immer no i dr CHUchi du hockst immer noch in der Küche 039 (.) bispiusWIIS; =oder, beispielsweise oder 040 dass me dI °h (.) vilecht esO efach e chli ungerSTÜTZT, dass man dich vielleicht so einfach ein bisschen unterstützt Der Einstieg in diese Sequenz ist durchzogen von Verzögerungsmerkmalen ( äh, bisschen , Z. 001) und den unspezifischen Referenzen man und wir (Z. 001, 003, 006, 008, 011). Diese Pronomen lassen sich teilweise auf dem Kontext basierend auflösen (z. B. wir oder man in der Bedeutung von du , wenn es um das tatsächliche Lernen geht; vgl. hier Ausführungen zur kollaborativen Funktion dieser <?page no="349"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 349 Pronomen in Kap. 6.2.2) und teilweise bleibt unklar, ob durch man oder wir nur der Schüler, der Schüler und die Lehrerin, die Lehrerin und / oder die Eltern gemeint sind. In Zeile 025 f. wird dann die Imaginierung von L eingeleitet. Dadurch dass M als Akteurin eingeführt wird, rahmt L das Szenario als eine mögliche Lernsituation zu Hause bzw. als eine Lernkontrolle durch die Eltern. Obwohl L also in Bezug auf die Rahmenbedingungen von man und wir spricht, lässt sich durch die eindeutige Referenz in dritter Person ( s mAmi , Z. 025) die Mutter als eigentliche Akteurin verstehen. Dadurch handelt es sich bei der Imaginierung um eine indirekt adressierte Handlungsempfehlung oder gar Handlungsanweisung an die Mutter. In animierter Rede führt L im Detail vor, wie sich diese Unterstützung der Mutter konkret äussern liesse (Z. 027-031, 034-038). Diese indirekte Handlungsanweisung kann mithilfe der animierten Rede sehr vorsichtig übermittelt werden. Dass es sich bei der Handlungsanweisung an die Mutter um eine dispräferierte Aktivität handelt, äussert sich besonders in den Ein- und Ausleitungen der animierten Rede, wo sich abschwächende Verzögerungsmerkmale, Vagheitsausdrücke sowie unspezifische Pronomen finden: äh, bisschen, beispielsweise, vielleicht, einfach, man . Mit der animierten Rede wird hier eine Strategie gewählt, die Fremdpositionierung der Mutter indirekt vorzunehmen. So wird von M im Anschluss an die Sequenz keine Reaktion relevant gesetzt, wie das etwa bei einer direkten Handlungsanweisung der Fall wäre, sondern es bleibt ihr überlassen, ob sie sich in Zukunft entsprechend der imaginierten Rolle verhalten wird. Für S, an den die Sequenz gerichtet ist (sowohl im realen Gespräch als auch in der inszenierten Lernsituation zu Hause), enthält die Sequenz die Information oder Ankündigung, wie sein Lernen in Zukunft organisiert sein könnte. Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Imaginierung zukünftiger Situationen informativen und bewertenden Charakter haben kann. Zukunftsgerichtete Szenarios können auch strategisch eingesetzt werden, um eine Entscheidung herbeizuführen und besitzen dann eine überzeugende Funktion. Weiter können Szenarios verwendet werden, um erwünsche Einstellungen zu imaginieren oder indirekte Handlungsanweisungen zu geben. 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios Im Folgenden geht es darum zu zeigen, dass Szenarios nicht zwingendermassen nur von einer Person als Einzelhandlung durchgeführt werden, sondern dass auch ko-konstruierte Szenarios entstehen können, an denen alle Anwesenden mitbeteiligt sind. Dadurch werden gemeinsam Zuständigkeiten ausgehandelt <?page no="350"?> 350 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination und Perspektiven abgeglichen (Kap. 7.3.1). Gleichzeitig werden dadurch Koalitionen gebildet (Kap. 7.3.2). 7.3.1 Aushandlung von Verantwortung durch Imaginierung möglicher Verhaltensweisen Im folgenden Beispiel wird die Imaginierung von möglichen Verhaltensweisen dafür verwendet, Verantwortung und Zuständigkeiten auszuhandeln. Die Positionierung hat also ebenfalls Implikationen für zukünftiges Handeln, jedoch weniger im Zusammenhang mit Empfehlungen oder Anweisungen, sondern dahingehend, dass keine Einstimmigkeit darüber herrscht, bei wem die Verantwortung für entsprechendes Handeln liegt. # 83 Kontrolle (David, SJ12_L5A_LVS, 38: 59-42: 55, mit Auslassungen) [Teilausschnitt 1] 001 V dAvid mir hän di immer wider [dra GMAANT, David wir haben dich immer wieder daran gemahnt 002 S [jä ! IIR! ? ja ihr 003 (.) IIr händ mi immer wider dra GMAANT, ihr habt mich immer wieder daran gemahnt 004 (.) Un: d (.) sII hän immer wider mol GFROGT, und Sie haben immer wieder mal gefragt 005 wär scho (alles) e STELL het; wer schon (alles) eine Stelle hat 006 und DAS ischs denn [äiglech gsi; und das ist’s dann eigentlich gewesen 007 V [okEE aber da das das das nImmsch du denn nid als konTROLle woor? okay aber da das das das nimmst du dann nicht als Kontrolle wahr 008 wells äfach z wenig mit DRUCK verbunden isch; weil’s einfach zu wenig mit Druck verbunden ist 009 und das isch äfach QUATSCH? und das ist einfach Quatsch 010 (-) °h oder (.) In ere In ere: , oder in einer in einer 011 °hh mit em AAspruch wo du hesch au ähm (1.63) SÄLBSCHTbestimmt z sii; mit dem Anspruch wo / den du hast auch ähm selbstbestimmt zu sein <?page no="351"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 351 012 (-) KASCH du nid äifach ähm (1.09) jO? kannst du nicht einfach ähm ja 013 °h d das widerSPRICHT sich, d das widerspricht sich 014 (do) ähm äh irgend e militÄ: rischs reschIIm ufzZIE? =oder, (da) ähm äh irgendein militärisches Regime aufzuziehen oder 015 denn muesch denn muesch das °hh au als (.) FORM vo kontrolle erlÄÄbe, dann musst dann musst du das auch als Form von Kontrolle erleben 016 dass d lüt äifach FROOge; dass die Leute einfach fragen 017 wo BISCH und wo sIn die bewÄrbige; wo bist du und wo sind die Bewerbungen 018 und s git dr OOni dass äh °h me säit; und es gibt dir ohne dass äh man sagt 019 wenn de die nid ABliiferisch äh denn äh- wenn du die nicht ablieferst äh dann äh 020 °h denn muesch zwÄI nomidaag go dr hOf WÜsche; dann musst du zwei Nachmittage den Hof wischen gehen 021 oder irgend so ÖPpis; =oder, oder irgend so etwas oder 022 (--) und i und au JETZT, und i und auch jetzt 023 °h aso was (.) we mir (.) MIR können en unterstÜtze wemmer wÜsse, also was wenn wir wir können ihn unterstützen wenn wir wissen 024 °hh (.) ähm (-) dEnn und dEnn müesst er äigenlich dAs und dAs [GMACHT ha; ähm dann und dann müsste er eigentlich das und das gemacht haben 025 L [mh_hm; mhm 026 V Oder? oder 027 und (.) dAs chunnt vo iim nId autoMAtisch; und das kommt von ihm nicht automatisch <?page no="352"?> 352 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 028 °h ähm ich und und (.) [zwar ÄIfach au wells halt; ähm ich und und zwar einfach auch weil’s halt 029 L [°h und das, und das 030 V (1.18) well ers äfach uf en art gÄrn sÄlber würd mache und autonom WÄR? weil er’s einfach auf eine Art gerne selber machen würde und autonom wäre 031 aber nid (.) wirklich (---) well das denn nid wirklich KLAPPT; aber nicht wirklich weil das dann nicht wirklich klappt 032 (--) 033 L °h guet [das: (.) CHUNNT vo üüs natüerlich AU nid, gut das kommt von uns natürlich auch nicht 034 S [Aso ich see; also ich sehe 035 L aso jetz bi [beWÄRbige finde mir, also jetzt bei Bewerbungen finden wir 036 V [mh_mh; mh 037 L da isch e so ne grOssi <<lachend> ÄIge> °hh motivation da; da ist eine so grosse Eigenmotivation da 038 dass es ÄIglech; dass es eigentlich 039 oder ! MÜESS! ti da sii; oder müsste da sein 040 V [mh_mh; mh 041 L [dass mir do natüerlich AU nid SÄÄge; dass wir da natürlich auch nicht sagen 042 so: und jetzt äh: (-) °hh bis DENN; = so und jetzt äh bis dann 043 =<<acc> aso jetz> grAd jetzt im (1.1) im hiiblick uf e SUMmer; =oder? also jetzt gerade jetzt im im Hinblick auf den Sommer oder 044 V mh_mh, mh 045 L (.) sääge mir ÄIglech ischs üsi Ufgaab z luege; sagen wir eigentlich ist’s unsere Aufgabe zu schauen <?page no="353"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 353 046 dass sii en gUeten ABschluss machet. dass sie einen guten Abschluss machen 047 (---) 048 V jo, ja 049 L °h aber vilicht (.) ! M: ÜESST! me das (.) bi IIne; aber vielleicht müsste man das bei Ihnen 050 vilicht (-) MÜESST ich da au mal sÄÄge; vielleicht müsste ich da auch mal sagen 051 sii münd Äfach (1.27) mir jEwiils (.) °h e LISCHte abgää; Sie müssen einfach mir jeweils eine Liste abgeben 052 und wenn die LISCHte nid chUnnt (.) [denn, und wenn diese Liste nicht kommt dann 053 V [°hh 054 L [(.) aber- aber 055 V [((räuspert sich)) °h aso uns [un- also uns un 056 L [Irgendwie wäiss ich NID äh, irgendwie weiss ich nicht äh 057 find ! ICH! das isch vilicht e bitz z VILL, finde ich das ist vielleicht ein bisschen zu viel 058 (2.48) wie söll i SÄÄge; hh° wie soll ich sagen 059 (-) s SIMmir würklich drfür DA: ? s sind wir wirklich dafür da 060 (2.17) 061 S ich ha NID s gfüül, ich habe nicht das Gefühl 062 ich hA: nid wikch s gfüül dass es IIri ufgoob isch. ich habe nicht wirklich das Gefühl dass es Ihre Aufgabe ist Die Ausgangssituation ist die, dass S vor diesem Ausschnitt darlegt, dass er wenig Kontrolle in Bezug auf den Stand seiner Bewerbungen erfahre. Darauf nimmt V hier Bezug und stellt sich und M (die hier wahrscheinlich mit der Referenz wir mitgemeint ist) als mahnende Eltern dar (Z. 001). V bezeichnet S als SÄLBSCHTbestimmt (Z. 011) und spricht ihm dabei eine gewisse Eigenverantwortung zu. Er entwirft ein Szenario von äusserer Kontrolle ( wenn de die nid <?page no="354"?> 354 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination ABliiferisch äh denn äh- °h denn muesch zwÄI nomidaag go dr hOf WÜsche; oder irgend so ÖPpis; , Z. 019-021), die durch die einleitende Referenz man unterbestimmt ist und sowohl auf die Eltern, als auch auf die Lehrpersonen referieren kann ( OOni dass äh °h me säit; , Z. 018). V demonstriert damit ein Kontrollverhalten vonseiten L oder V, das jedoch als nicht passend gerahmt wird. In der Folge setzt V mehrmals an und wechselt dann die Adressierung an die Lehrerin, indem er auf S in dritter Person Singular verweist (ab Z. 023). V positioniert sich und M einerseits als willig und fähig, S zu unterstützen, impliziert aber gleichzeitig eine Forderung an L, klare Erwartungen und Termine zu formulieren (Z. 023 f.). Diese implizite Zuschreibung von Verantwortung wird von L als solche verstanden, denn sie wehrt sich gegen diese Rolle: °h guet das: (.) CHUNNT vo üüs notüerlich AU nid, aso jetz bi beWÄRbige finde mir, da isch e so ne grOssi <<lachend> ÄIge> °hh motivation da; dass es ÄIglech; oder ! MÜESS! ti da sii; dass mir do natüerlich AU nid SÄÄge; so: und jetzt äh: (-) °hh bis DENN; =<<acc> aso jetz> grAd jetzt im (1.1) im hiiblick uf e SUMmer; =oder? (.) sääge mir ÄIglech ischs üsi Ufgaab z luege; dass sii en gUeten ABschluss machet. (Z. 033, 035, 037-039, 041-043, 045 f.). Auffällig ist dabei die durchgängige Verwendung von wir bzw. uns , wodurch L nicht als Einzelperson spricht, sondern sich als Vertreterin der Institution Schule bzw. als Teil des Lehrpersonenkollegiums positioniert (vgl. z. B. Drew & Heritage 1992a: 30 f.). L beginnt ein Szenario zu entwerfen, in dem sie als streng kontrollierende Figur agiert (Z. 042), leitet dies jedoch durch natürlich besonders stark negiert ein (Z. 041), sodass ihre Positionierung sich deutlich der entworfenen Figur gegenüberstellt. Diese den Erwartungen von V entgegengesetzte Positionierung wird in der Folge allerdings abgeschwächt, indem L nun ein neues Szenario entwirft, welches vielleicht im Falle von David nötig sei (Z. 049-052). Ihr imaginiertes Verhalten unterbricht sie dann selbst, um erneut zu hinterfragen, ob das wirklich ihre Aufgabe sei (Z. 054, 056-059). Interessant ist, dass S sich hier einbringt, indem er ihr beipflichtet und ebenfalls die Stellung einnimmt, dass dies nicht ihre Verantwortung sei (Z. 061 f.). Unklar ist an dieser Stelle, wie sich S denn selber positioniert. So besteht die Möglichkeit, dass er keine derartige Kontrolle von L wünscht und ihr deshalb die Verantwortung abspricht. Oder er sieht allenfalls die Verantwortung bei sich selbst und nicht bei L. Er äussert sich jedoch nicht weiter dazu. Deutlicher wird diese Aushandlung von Verantwortung in Teilausschnitt 2. Ausgelassen wird ca. eine halbe Minute, in der V dem Sohn erneut deutlich macht, dass er die Situation offenbar nicht alleine bewältige und er stützt seine Sicht, indem er an die schwierige Situation der Praktikumsorganisation erinnert. <?page no="355"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 355 [Teilausschnitt 2, nach Auslassung von ca. 30 Sek.] 001 V für ! MII! wär HILFriich; für mich wäre hilfreich 002 wemmer en Art (.) wie ne FAARplan hän; wenn wir eine Art wie einen Fahrplan haben 003 dass mer WÜSSte, dass wir wüssten 004 vo d SCHUEL erwartet vo iim dAs und dAs, von die Schule erwartet von ihm das und das 005 well dEnn: chan ich en (-) °h AU so wit ähm (--) °h äh unterSTÜTze, weil dann kann ich ihn auch so weit ähm äh unterstützen 006 S [(aber) (aber) 007 V [und und denn ka me SAAge; und und dann kann man sagen 008 hEE JETZT (.) jetz isch aber die frischt ABgloffe; he jetzt jetzt ist aber die Frist abgelaufen 009 jetz jetz äh; jetzt jetzt äh 010 (1.72) 011 S ICH see do; pf hhh° ich sehe da pf 012 ich see do äfach nid geNAU; ich sehe da einfach nicht genau 013 wie IIR mi do chön unterstÜtze; wie ihr mich da unterstützen könnt 014 abgesehe vo SAAge; abgesehen von sagen 015 jo jetz (.) isch die frischt ABgloffe; ja jetzt ist die Frist abgelaufen 016 aber s wird mir äiglech scho vo dr schUel au GSÄIT. aber es wird mir eigentlich schon von der Schule auch gesagt 017 (1.56) 018 S wenn e FRISCHT abgloffe isch oder so; wenn eine Frist abgelaufen ist oder so 019 [aso, also 020 V [DAvid (.) es es goot, David es es geht <?page no="356"?> 356 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 021 S do wird i au vo dr SCHUEL [dra erInneret; da werde ich auch von der Schule daran erinnert 022 V [s untersch s un s unterSTÜTze. das Unters das Un das Unterstützen 023 (-) 024 L ja schÖn wärs wenn ichs nid immer müesst SÄÄge; ja schön wär’s wenn ich’s nicht immer sagen müsste 025 jEtzt isch sii ABgloffe. jetzt ist sie abgelaufen 026 aso [ich MÄIne; h° °hh also ich meine 027 V [jo: , ja 028 V und unser unterSTÜTze bestoot jo au dO drin; und unser Unterstützen besteht ja auch darin 029 dass me sich UStuscht und säit; dass man sich austauscht und sagt 030 °h dAs und dAs han i GMACHT, das und das habe ich gemacht 031 dÖt und dÖt sin: dIe und dIe reakTIOne gsi; dort und dort sind die und die Reaktionen gewesen 032 und so witer und so FORT. und so weiter und so fort 033 Oder s isch jo: ; oder es ist ja 034 (1.65) 035 V wIe SÄLBständig du das machsch; wie selbstständig du das machst 036 das das isch absolut DIR überloo; das das ist absolut dir überlassen 037 i I ha GNUE z due; ich ich habe genug zu tun 038 ich MUESS das nid mache. ich muss das nicht machen 039 (--) Oder? oder 040 L °h aso ! ICH! würd jetz äfach mal SÄÄge; also ich würde jetzt einfach mal sagen 041 sii mÜesstet BIS im dEzämber; Sie müssten bis im Dezember <?page no="357"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 357 042 wenn sii WEND e stell im sUmmer haa; wenn Sie eine Stelle im Sommer haben wollen 043 ! MIN! dischtens zää bis zwänzg bewErbige gschribe haa; mindestens zehn bis zwanzig Bewerbungen geschrieben haben 044 °h und sii müsstet NOmol so vill; und Sie müssten nochmals so viele 045 (---) zwüsche: (.) JAnuar und (.) und FEBruar; zwischen Januar und Februar 046 nomol ! MIN! dischtens so und so vill gschribe haa. nochmals mindestens so und so viele geschrieben haben V betont, wie schon in Teilausschnitt 1 angetönt, dass er seine unterstützende Rolle nur einnehmen könne, wenn er den Fahrplan kenne. In animierter Rede gibt er Einblick in die unterstützende Rolle, die v. a. als mahnend demonstriert (Z. 008) und auch sogleich von S infrage gestellt wird (Z. 011-015). Nachdem S also L die Zuständigkeit abgesprochen hat (vgl. Teilausschnitt 1), zeigt er sich nun auch gegenüber der Hilfestellung von V skeptisch. V veranschaulicht die möglichen Unterstützungsaktivitäten durch Imaginierung und präsentiert, wie er seine Rolle wahrnehmen könnte ( und unser unterSTÜTze bestoot jo au dO drin; dass me sich UStuscht und säit; °h dAs und dAs han i GMACHT, dÖt und dÖt sin: dIe und dIe reakTIOne gsi; und so witer und so FORT. , Z. 028-032). Von S ist keine Reaktion mehr hörbar. Am Ende nimmt die Lehrerin die zugewiesene Rolle an und setzt Fristen, wie dies vom Vater gefordert, jedoch von David abgelehnt wird. Wer in welchem Masse zuständig und verantwortlich ist, wird also unter anderem mithilfe von Szenarios ausgehandelt. Rollen werden zugeschrieben, verbal in Szenarios ausgetestet und wieder abgewiesen. 7.3.2 Interaktive und dynamische Entwicklung von Szenarios In Bezug auf das Recipient Design zeigt sich das folgende Beispiel als besonders interessant durch die gemeinsame Entwicklung von Szenarios. David hat soeben auf Nachfragen der Lehrerin von seinen Erfahrungen im Praktikum berichtet, worauf sich sein Vater erstaunt zeigt über die geschilderte Unterforderung von S: # 84 Komfortzone (David, SJ12_L5A_LVS, 18: 48-21: 14) 001 V °hh (.) und und vo dere [SIte; und und von dieser Seite 002 S [(und) (und) <?page no="358"?> 358 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 003 V dass: dass d jetzt äh au (-) UNterbeschäftigt gsi bisch; dass dass du jetzt äh auch unterbeschäftigt gewesen bist 004 hesch uns nIe verZELLT; =oder, hast du uns nie erzählt oder 005 (.) das (---) [dasch- das das ist 006 S [jO: (.) ich mäin ich bi jetz halt au äfach e perSON; ja ich meine ich bin jetzt halt auch einfach eine Person 007 wo das nId so brutal STÖRT, wo / die das nicht so brutal stört 008 will ICH halt öpper bi wo sich ähm- weil ich halt jemand bin wo / der sich ähm 009 (---) (au) guet mit sich SÄLber ka beschÄftige; (auch) gut mit sich selber beschäftigen kann 010 (---) 011 V mh_mh, mh 012 S oder (--) jo (.) halt öppis für SICH cha mAche; oder ja halt etwas für sich machen kann 013 (-) isch jo bi MIR, ist ja bei mir 014 (2.3) für mi i (.) ich bi nid DO ghockt und ha dänkt; für mich i ich bin nicht da gesessen und habe gedacht 015 <<gedehnt, ca. 1.7 Sek.> OH[: : : : : > was MACH ich nume; = oh was mach ich nur 016 V [mh- mh 017 S =äh zwäi stund am STÜCK oder so; äh zwei Stunden am Stück oder so 018 V [jo aber au i [i dere situatiOn [(-) kasch SAAge; ja aber auch in in dieser Situation kannst du sagen 019 S [(xxxxxx) [hh° 020 L [(xxxxxxxxx) 021 V ich HEI: ich bi unterforderet ich will no MEE, ich hei ich bin unterfordert ich will noch mehr 022 (--) ähm (.) und wie chAn i mi: : (-) wie chAn i mi beSCHÄFtige, ähm und wie kann ich mich wie kann ich mich beschäftigen <?page no="359"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 359 023 oder du chasch SAAge; oder du kannst sagen 024 oKEE °hh es fOrderet mi jo NIEmerts; okay es fordert mich ja niemand 025 aso dueni: vor mi ane FLOUten; =oder? also tue ich vor mich hin floaten oder 026 (-) und ich dÄnk das isch au bezÜglich (1.15) ((hustet)) °h dinere ZUEkunft? =oder, und ich denke das ist auch bezüglich deiner Zukunft oder 027 ähm dr wich die wIchtigi FROOG; =oder, ähm der wich die wichtige Frage oder 028 (.) düsch du äifach in ere komfOrtzone witer vor di aneTRIIbe? tust du einfach in einer Komfortzone weiter vor dich hintreiben 029 (--) ooni dass den Irgendwie: dich wiklich (-) UFmachsch; ohne dass du irgendwie dich wirklich aufmachst 030 Usezfinde was du WILLSCH i dere wÄlt? =oder, herauszufinden was du willst in dieser Welt oder 031 duesch du dich um irgendwelchi ähm sAche KÜMmere? tust du dich um irgendwelche ähm Sachen kümmern 032 °h und (.) dich nach USsen orientiere und saage; und dich nach aussen orientieren und sagen 033 HEI (-) ich will mi drfür IIsetze, hei ich will mich dafür einsetzen 034 dass ich: irgendöppis us mi: r Usehol? dass ich irgendetwas aus mir heraushole 035 und dass ich irgend e ZIIL ha, und dass ich irgendein Ziel habe 036 wo wo mich (.) loonenswert DUNKT; =oder, wo / das wo / das das mich lohnenswert dünkt oder 037 °h (-) döt (.) döt (.) döt beWEGSCH di äifach z wEnig. dort dort dort bewegst du dich einfach zu wenig 038 (--) döt bisch z wEnig an däm PUNKT, dort bist du zu wenig an dem Punkt 039 wo du jetz äiglech vo diner entWICKlig här, wo du jetzt eigentlich von deiner Entwicklung her 040 und vo dr °h vo dr schUelsituation här (.) äiglech söttsch SII. und von deiner von deiner Schulsituation her eigentlich sein solltest <?page no="360"?> 360 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination 041 (1.42) 042 L °h s dunkt mich wie so ne (.) en AUto en en en ! FAL! schi autonomII. es dünkt mich wie so eine eine Auto eine eine eine falsche Autonomie 043 (--) aso wäiss jetz nid ob is rIchtig (.) FASS; also ich weiss jetzt nicht ob ich’s richtig fasse 044 aber so °hh (---) (so) SÄÄge, aber so (so) sagen 045 (.) ich bi (.) so alLÄI? ich bin so alleine 046 ich (.) mis universum dräit sich so um MI: CH? ich mein Universum dreht sich so um mich 047 ähm ich bi mir SÄLber gnUE, ähm ich bin mir selber genug 048 ähm (--) ((schnalzt)) °h (-) ich MACH halt äfach mal; ähm ich mach halt einfach mal 049 ich (.) DRIFT eso bitz (2.19) älOng, hh° °hhh ich drift so bisschen along 050 (1.2) aber so (.) so so (.) ! NID! , aber so so so nicht 051 wAs wott ! ICH! mit dr WÄLT? was will ich mit der Welt 052 was wott ICH mit andere MÄNsche, was will ich mit anderen Menschen 053 wAs wott ! ICH! (.) so; was will ich so 054 °h s dunkt mich wÜrklech all die die EXtärne m- es dünkt mich wirklich all die die externen m 055 JO (.) sii hends RICHtig gsäit; ja Sie haben’s richtig gesagt 056 die extärne motivAtore wo irgendwie (1.09) FÄÄlet? die externen Motivatoren wo / die irgendwie fehlen 057 (.) aso di (.) wo denn ! IN! tärn WÄRdet; =oder, also die wo / die dann intern werden oder 058 (---) 059 ich wEtt öppis beWEge, ich will etwas bewegen 060 ich wEtt öppis MAche, ich will etwas machen <?page no="361"?> 7.3 Ko-Konstruktion von Szenarios 361 061 ich wEtt öppis °hh erRÄIche, ich will etwas erreichen 062 ich wEtt in konTAKT chO, ich will in Kontakt kommen 063 ich wEtt (---) i ich wEtt i d WÄLT? ich will i ich will in die Welt 064 (4.54) Nach der Rückfrage von V bezüglich der Unterforderung positioniert sich S als jemanden, der sich gut alleine mit sich selbst beschäftigen kann (Z. 006-009, 012) und er demonstriert dies durch die Beschreibung nicht vorhandener Gedanken: <<gedehnt, ca. 1.7 Sek.> OH: : : : : > was MACH ich nume; (Z. 015). Während diese Selbstpositionierung aus Sicht von S positiv gemeint sein mag, nimmt V die porträtierte Haltung zum Anlass, S erneut zu kritisieren. Er leitet seine Dissenshaltung mit jo aber (Z. 018) 109 ein und entwirft zwei mögliche Verhaltensweisen in entsprechenden Unterforderungsmomenten: ich HEI: ich bi unterforderet ich will no MEE, (--) ähm (.) und wie chAn i mi: : (-) wie chAn i mi beSCHÄFtige, (Z. 021 f.); oder: oKEE °hh es fOrderet mi jo NIEmerts; aso dueni: vor mi ane FLOUten; =oder? (Z. 024 f.). Durch seine spätere Ausformulierung macht V deutlich, dass die erste Verhaltensweise die erwünschte wäre und die zweite die bei S vermutete Einstellung. Auch wird durch die Wortwahl vor mi ane FLOUten (Z. 025; es handelt sich wohl um einen Anglizismus: Engl. to float für ‚treiben’) und später mit düsch du äifach in ere komfOrtzone witer vor di aneTRIIbe? (Z. 028; hier verwendet er nun also die deutsche Entsprechung ‚hintreiben’) eine negative Bewertung angedeutet. V setzt dieses Verhalten von S in den grösseren Kontext und imaginiert eine weitere wünschenswerte Einstellung von S, wenn er zur animierten Rede wechselt mit: HEI (-) ich will mi drfür IIsetze, dass ich: irgendöppis us mi: r Usehol? und dass ich irgend e ZIIL ha, wo wo mich (.) loonenswert DUNKT; (Z. 033-036). V knüpft also direkt an das Szenario von S an und entwirft jedoch eine gegenteilige Bewertung, indem er die von S als positiv kontextualisierte Figur in eine passive, ziellose Figur umwertet. V stellt damit hohe Ansprüche an seinen Sohn und fordert, dass David seinen Werdegang selbstbestimmt gestaltet. 109 Grundler (2011: 371 f.) stellt in ihrer Studie zum Argumentieren fest, dass Dissens häufig durch ja aber -Konstruktionen eingeleitet wird, sie weist jedoch der Partikel ja primär eine Gliederungsfunktion zu (vgl. auch Schwitalla 2012: 143 f.). Koerfer (1979: 26) hingegen geht davon aus, dass die zustimmende Partikel ja auch als eine gesichtsschonende Form der Dissensäusserung interpretiert werden kann. <?page no="362"?> 362 7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination Nach einer kürzeren Pause übernimmt L den Turn und knüpft an die Schilderungen von V an. Auffällig ist der Kontrast der Schilderungen in Bezug auf die Adressierung: Während V zwar einige der Bewertungen in animierter Rede demonstriert, finden sich doch die weiteren Beiträge deutlich adressiert an S. L hingegen beginnt ohne Adressierung in einer Konstruktion mit dem Pronomen es : °h s dunkt mich wie so ne (.) en AUto en en en ! FAL! schi autonomII. (Z. 042), verzögert ihren Beitrag durch eine Pause und eine Unsicherheitsmarkierung ( (--) aso wäiss jetz nid ob is rIchtig (.) FASS; , Z. 043) und leitet schliesslich mit einer Infinitivkonstruktion aber so °hh (---) (so) SÄÄge, (Z. 044) zur animierten Rede über (Z. 045-049, 051-053, 059-063). Dadurch umgeht sie in ihrem gesamten Beitrag eine direkte Adressierung und macht dadurch auch nicht direkt eine Antwort von der einen oder anderen Person erwartbar. Auf ihren Beitrag folgt denn auch eine längere Pause von 4.5 Sekunden (Z. 064), was als Hinweis dafür dient, dass die verschiedenen Strategien der nicht adressierten Rede zu einer Verunsicherung bezüglich des Rederechts führen können. In der animierten Rede ist auffällig, wie L sich an dem vorangegangenen Beitrag von V orientiert. So übernimmt sie teilweise das Vokabular von V (V: vor mi ane FLOUten , Z. 025 und vor di aneTRIIbe , Z. 028 versus L: ich (.) DRIFT eso bitz (2.19) älOng, , Z. 049 (es handelt sich wohl ebenfalls um einen Anglizismus: Engl. to drift along für ‚ dahintreiben’); V: ooni dass den Irgendwie: dich wiklich (-) UFmachsch; Usezfinde was du WILLSCH i dere wÄlt? , Z. 029 f. versus L: wAs wott ! ICH! mit dr WÄLT? , Z. 051) und pflichtet in den Zeilen 055-057 auch explizit seinen Bemerkungen zur internen und externen Motivation (noch vor diesem Ausschnitt) bei. Dadurch bildet sie eine Koalition mit V und präsentiert ihre Einschätzung zum Verhalten von S in Abgleich mit V. In ihrem Szenario entwirft sie, wie auch V davor, sowohl die vermuteten (Z. 045-049) als auch die erwünschten (Z. 051-053, 059-063) Einstellungen von S. S schweigt während den Fremdpositionierungen und nimmt keine erneute Selbstpositionierung vor. Mit Silverman, Baker und Keogh (1998: 238) kann davon ausgegangen werden, dass Sprechen als „potentially morally implicative“ bewertet wird - was sich nach seiner Selbstpositionierung in den Zeilen 006-009, 012-015 und 017 zeigt - und S in der Folge auf weitere Selbsteinschätzungen verzichtet. Insgesamt zeigt dieses Beispiel, wie sich die drei Gesprächsteilnehmenden gemeinsam an der Entwicklung der Szenarios beteiligen und sich mit ihren Beiträgen in höchstem Masse aneinander orientieren und sich gegenseitig positionieren. Ausgehend von Davids Selbstpositionierung in animierter Rede, beteiligen sich die Erwachsenen interaktiv mit Ergänzungen und Kontrastie- <?page no="363"?> 7.4 Zusammenfassung 363 rungen, um ihre Bewertungen des Verhaltens zu vermitteln sowie erwünschte alternative Einstellungen von S darzulegen. 7.4 Zusammenfassung In den Beurteilungsgesprächen lassen sich die folgenden Funktionen der animierten Rede ausmachen: Szenarios leisten in den meisten Fällen eine Fremdpositionierung und in wenigen Fällen - und dort meist in Form von Gegenentwürfen - eine Selbstpositionierung. Mit der Positionierungsleistung geht in der Regel eine bewertende Funktion einher, welche aber beispielsweise durch das Delegieren an eine andere Figur im fiktiven Raum implizit bleiben kann. Die Imaginierungen beziehen sich auf Einstellungen, Verhaltensweisen, Handlungen, Äusserungen oder Gedanken in Gegenwart oder Zukunft. Dabei handelt es sich bei den gegenwartsbezogenen Szenarios um Vermutungen zu vorhandenen Eigenschaften der dargestellten Person (bzw. bei Negation um nicht passende Eigenschaften im Sinne eines Gegenentwurfs). Bei den zukunftsgerichteten Szenarios werden erwünschte Zustände imaginiert, was im Extremfall die Form einer indirekten Handlungsanweisung haben kann. In der Regel sind es die Erwachsenen, welche durch die animierte Rede Positionierungen des Kindes oder der / des Jugendlichen vornehmen und positive sowie negative Identitätsentwürfe zur Reflexion darbieten. Durch vielschichtiges Demonstrieren von möglichen Einstellungen, Handlungen und entsprechenden Auswirkungen wird den Kindern und Jugendlichen vorgeführt, wie sie Situationen bewältigen können, welche Erwartungen an sie gestellt werden und welche Konsequenzen ihr Handeln hat. Die Erwachsenen leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Sozialisation der Lernenden und gerade für diesen Zweck steckt in den Gesprächen mit anwesenden SchülerInnen ein grosses Potenzial. 110 Wenn auch die Gespräche in Bezug auf die Beteiligungsstruktur problematisch sein können und zusätzliche kommunikative Herausforderungen an die Gesprächsteilnehmenden stellen, so zeigen sich aber insbesondere mit Blick auf die diskutierten Sequenzen mit imaginierten und animierten Anteilen auch vielfältige Handlungsspielräume mit potenziellem Nutzen für die Beteiligten. Dieses Potenzial muss aber von den Beteiligten aktiv erkannt und ausgeschöpft werden. 110 Ich danke Helga Kotthoff für ihren bestärkenden Hinweis bezüglich des Sozialisierungspotenzials. <?page no="364"?> 364 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung „°h do hesch di EEner e chli (---) ! UN! terschätzt? “ (Lehrer an Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 01: 50) Die Beurteilung von SchülerInnen ist konstitutiv für die betrachteten Gespräche. Wie bei der Analyse der sozialen Rollen herausgearbeitet wurde, positionieren sich Lehrpersonen sowie Eltern als Beurteilende und schreiben sich damit Eigenschaften oder typische Aktivitäten von Lehrpersonen zu (vgl. Kap. 5.1.1). Durch die Fremdbeurteilungskompetenz zeigen sich die Lehrpersonen als Professionelle und Eltern präsentieren sich entsprechend als Ko-Lehrpersonen. Nun werden auch SchülerInnen immer wieder dazu angehalten, sich selbst zu beurteilen. Für Vögeli-Mantovani (2011: 254) ist diese Praxis massgebend für gelingende „partnerschaftliche Beurteilungsgespräche“ (vgl. Kap. 2.4.4). Solche Selbsteinschätzungen können ad hoc im Gespräch eingefordert werden, wie dies ausgeprägt in den beiden Beispielen # 32 und # 33 der Fall ist (vgl. Kap. 6.1.1). Oder die SchülerInnen können im Gespräch aufgefordert werden, sich mit Bezug auf ihre zuvor schriftlich abgefassten Selbsteinschätzungen zu beurteilen, was in den folgenden Analysen genauer betrachtet wird. Ein Blick in pädagogische und didaktische Publikationen sowie Handreichungen zeigt, dass es sich bei dem Konzept der Selbstbeurteilung durch Lernende um einen Trend in der schulischen Praxis handelt, der zwar bereits in den 1960er Jahren begonnen hat, aber erst ab den 1990er Jahren und in den letzten Jahren eine breitere Akzeptanz und Anwendung findet (vgl. Vögeli-Mantovani 2011: 252; vgl. auch Projekte und Umsetzungshilfen, z. B. AVS 2005; Nüesch, Bodenmann & Birri 2009). Winter (2004: 20 f.) versteht die Selbstbeurteilung sowie weitere Formen der schülerseitigen Leistungsbewertung als Teile einer überfälligen Demokratisierung innerhalb des Unterrichts. Es geht also bei dieser Forderung nicht nur um die Selbstbeurteilung, sondern auch um weitere Möglichkeiten der Partizipation im Unterricht und bei der Organisation des eigenen Lernens. Während in den Beurteilungsgesprächen mündliche und schriftliche Selbstbeurteilungen im Beisein der Lehrpersonen und Eltern verhandelt werden, können Selbstbeurteilungen grundsätzlich auch im Rahmen eines Einzelgesprächs zwischen der Lehrperson und der / dem Lernenden stattfinden oder auch als Gespräch unter Lernenden organisiert werden. Auch ist <?page no="365"?> 8.1 Stellenwert der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch 365 die schriftliche Form nicht beschränkt auf Selbsteinschätzungsbögen, wie sie in den vorliegenden Daten diskutiert werden, sondern kann beispielsweise auch Lerntagebücher, Portfolio oder das Arbeiten mit Symbolen umfassen (vgl. z. B. Nüesch, Bodenmann & Birri 2009: 45; Vögeli-Mantovani 2011: 254). Im Folgenden betrachten wir nun schriftliche Selbstbeurteilungen und deren Bearbeitung im Gespräch. Wenn schriftliche Dokumente vor einem Gesprächsereignis ausgefüllt werden, stehen den Gesprächsteilnehmenden unterschiedliche Möglichkeiten offen, wie diese Dokumente in das Gespräch einbezogen werden können. Gezeigt werden im Folgenden zuerst Gesprächssequenzen, die anzeigen, welchen Stellenwert die Selbstbeurteilungen im Gespräch einnehmen (Kap. 8.1). Dann wird gezeigt, wie schriftliche Selbstbeurteilungen die Funktion der gesprächsorganisatorischen Steuerung übernehmen können (Kap. 8.2). Und schliesslich wird an Daten gezeigt, welche Aufgaben die Beteiligten bei der Aushandlung der (teilweise divergierenden) Selbst- und Fremdbeurteilung bewältigen müssen (Kap. 8.3). Es interessiert dort insbesondere die Frage, in welchem Spannungsverhältnis dabei die Fremdbeurteilungen der Lehrpersonen (und der Eltern) und die Selbstbeurteilungen der Lernenden stehen. 8.1 Stellenwert der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch Die Bedeutung und Funktion der Selbstbeurteilungen variiert in den Gesprächen sehr stark und ist abhängig von Lehrpersonen und auch Schulhauskulturen. Denn ob überhaupt schriftliche Selbstbeurteilungen von den SchülerInnen ausgefüllt werden und wann welche Art von Beurteilungsgespräch stattfindet, hängt weitgehend von Entscheidungen der Schulleitungen ab. In den Gesprächen werden die schriftlichen Selbstbeurteilungen entweder als zentrale Gesprächsinhalte behandelt (Kap. 8.1.1) oder aber als Nebensächlichkeit abgetan (Kap. 8.1.2). Die folgenden Ausschnitte zeigen, welchen Stellenwert die Lehrpersonen den bereits ausgefüllten Selbstbeurteilungsbögen im Gespräch jeweils beimessen. 8.1.1 Selbstbeurteilung als zentraler Bestandteil des Gesprächs Einige Lehrpersonen zeigen entweder durch metakommunikative Aussagen oder durch eine entsprechende Strukturierung, dass die Selbstbeurteilung als zentrale Grundlage des Gesprächs verstanden wird. Das nächste Beispiel zeigt einen solchen Kontext. Es stammt aus der Eröffnungsphase des Gesprächs mit Timo: <?page no="366"?> 366 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung # 85 Selbstbeurteilungsbogen (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 00: 01-00: 18) 001 L AUso tImo damit du weisch was uf dI ZUEchunnt, also Timo damit du weisst was auf dich zukommt 002 zErsch mach mer zÄme e chline IIstig, zuerst machen wir zusammen einen kleinen Einstieg 003 L (--) nÄcher düe mer mitNANG (.) dr sÄlbschtbeurteiligsbogen AAluege, nachher tun wie miteinander den Selbstbeurteilungsbogen anschauen 004 wo dr (.) irgend (.) noch de WIEHnachtsferie Usgfüut [heit, wo / den ihr irgend nach den Weihnachtsferien ausgefüllt habt 005 M [mh, mh 006 L °h und de chunnt do au s ZÜGnis no chli dri Ine; und dann kommt da auch das Zeugnis noch bisschen hinein 007 °h und wies SCHÜSCH im momÄnt ou louft i dr schUel. und wie’s sonst im Moment auch läuft in der Schule Die Lehrerin nennt die Gesprächsinhalte, welche aus einem Einstieg, dem Anschauen des Selbstbeurteilungsbogens und des Zeugnisses sowie dem Besprechen des allgemeinen Stands in der Schule (hier in Zeile 007 vage angekündigt mit wies SCHÜSCH im momÄnt ou louft i dr schUel. ) bestehen. Damit etabliert sie hier eine frühe Fokussierung des Selbstbeurteilungsbogens im Gespräch und geht dann auch Schritt für Schritt durch diese Unterlagen - wie später noch detaillierter gezeigt wird (vgl. Beispiel # 88). 111 In anderen Gesprächen wird die Selbstbeurteilung eher nebenbei erwähnt oder in kürzeren Nebensequenzen in das Gespräch einbezogen. Zwei solche Kontexte werden im Folgenden besprochen. 8.1.2 Selbstbeurteilung als Nebensächlichkeit Die Selbstbeurteilung wird teilweise erst gegen Gesprächsende kurz besprochen. Im Gespräch mit Flavio lenkt die Lehrerin die Aufmerksamkeit abschliessend auf den Selbstbeurteilungsbogen, hier Selbstbestimmung genannt, bevor sie dann das Gesprächsende einleitet: 111 Im Korpus befinden sich insgesamt drei Gespräche mit dieser Lehrerin (L7), die alle vergleichbar strukturiert sind. <?page no="367"?> 8.1 Stellenwert der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch 367 # 86 Einblicke (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 22: 50-23: 17) 001 L ((schnalzt)) ähm: : - ((Rascheln von Unterlagen)) ähm 002 ich ha jo do no die (-) SÄLBSCHTbestimmig? ich habe ja da / hier noch die Selbstbestimmung 003 wo dr FLAvio Usgfüllt het; wo / die der Flavio ausgefüllt hat 004 ((Rascheln von Unterlagen)) 005 jetzt wäiss i gar nit ob sii se MITgnoo händ oder nit; jetzt weiss ich gar nicht ob Sie sie mitgenommen haben oder nicht 006 die han ich jo allne Eltere no häi gee mit em ELtrebrief, die habe ich ja allen Eltern noch heim gegeben mit dem Elternbrief 007 ((Rascheln von Unterlagen)) 008 M [(ah do) (ah da) 009 L [mir sin äiglich jetz (.) NIT würkch drzUe cho. wir sind eigentlich jetzt nicht wirklich dazu gekommen 010 die hesch du USgfüllt (-) am fUfzäänte nOvämber; die hast du ausgefüllt am fünfzehnten November 011 (-) und die chönne sii [jetz gärn mol chli AAluege, und die können Sie jetzt gerne mal bisschen anschauen 012 S [ah (jo / lueg) hehe ah (ja / schau) hehe 013 L [will s git iinen au en [IIblick- weil es gibt Ihnen auch einen Einblick 014 S [(xxx xxx xxx) 015 M [mh_hm, mhm 016 L wien är sich sälber IIschätzt? wie er sich selber einschätzt Durch die Aussage in Zeile 009, dass sie jetzt nicht dazu gekommen seien, zeigt L, dass es sich um einen ergänzenden, optionalen Bereich handelt. Dies zeigt sich dann auch in der Art und Weise, wie die Selbstbeurteilung bearbeitet werden soll: und die chönne sii jetz gärn mol chli AAluege, will s git iinen au en IIblick- wien är sich sälber IIschätzt? (Z. 011, 013, 016). Die Eltern dürfen also selbst die schriftlichen Unterlagen bisschen anschauen , um Einblicke in Flavios Sichtweise zu gewinnen. Dies ist eine grundlegend andere Haltung <?page no="368"?> 368 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung zur Selbstbeurteilung wie die zuvor vorgestellte in Beispiel # 85, in welchem die Selbstbeurteilung als zentraler Gesprächsinhalt konzeptualisiert wird. Ebenfalls als Nebensächlichkeit behandelt wird die Selbstbeurteilung im Gespräch mit Philipp. Hier wird der Stellenwert der Selbstbeurteilung jedoch gleich zu Beginn des Gesprächs ausgehandelt. Vor dem gewählten Ausschnitt eröffnet der Lehrer das Gespräch und erklärt kurz, dass die Selbstbeurteilung sowie die schriftliche Fremdbeurteilung der Lehrpersonen vorliegen. Er kommt dann auf die Selbstbeurteilung zu sprechen: # 87 Nicht lange darauf herumreiten (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 00: 44-01: 43) 001 L °h du hesch e sÄlbschtiischetzig GSCHRIIbe, du hast eine Selbsteinschätzung geschrieben 002 (.) hm (.) worschech nit ganz ÄIfach gsi, hm wahrscheinlich nicht ganz einfach gewesen 003 °h will sin wikli AAspruchsvolli pünkt; weil sind wirklich anspruchsvolle Punkte 004 °h ich (-) ich ich (-) RIT nit lang uf däm Ume, ich ich ich reite nicht lange auf dem herum 005 will mir goots EEner (.) drum äh; weil mit geht’s eher darum äh 006 was MACHT dr philipp in zUekunft; was macht der Philipp in Zukunft 007 dasch glaub in DIM fall °h (1.17) dänk ich emol; das ist glaub ich in deinem Fall denk ich einmal 008 vo ! MI! neren IIschetzig här; von meiner Einschätzung her 009 relativ KLAR? relativ klar 010 (--) au mit äh grüenem LIECHT verbunde, auch mit äh grünem Licht verbunden 011 °hh ähm (.) °h und und ich glaub s goot meer au (drum) äh: : - ähm und und ich glaube es geht mehr auch (darum) äh 012 SAche wo men emol (.) scho lang het wölle sAAge öh- Sachen wo / die man einmal schon lange hat sagen wollen öh 013 wo vilicht °hh problemAtisch oder seer gUet oder oder oder WÜNSCH, wo / die vielleicht problematisch oder sehr gut oder oder oder Wünsche <?page no="369"?> 8.1 Stellenwert der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch 369 014 äh sin zum täil in dene gsprööch au WÜNSCH use cho, äh sind zum Teil in diesen Gesprächen auch Wünsche herausgekommen 015 vo ÄINzelne schüeler schÜelerinne; von einzelnen Schülern Schülerinnen 016 °h won ich won ich (-) seer GUET find, wo / die ich wo / die ich sehr gut finde 017 und au versuech °h äh dene GRÄCHT z wärde; und auch versuche äh denen gerecht zu werden 018 aso s s goot mir nit DRUM; also es es geht mir nicht darum 019 dass mir jetz äh die pünkt alli äinzeln useNAND näme; dass wir jetzt äh diese Punkte alle einzeln auseinander nehmen 020 sondern s goot mir DRUM; sondern es geht mir darum 021 dass mer do °hh äfach irgendwie LUEge, dass wir da / hier einfach irgendwie schauen 022 dass (es) em PHIlipp; dass (es) dem Philipp 023 (.) dass dr philipp möglischscht gUet sini (--) °h FÄhigkäite; = dass der Philipp möglichst gut seine Fähigkeiten 024 =wo (.) scho SEER (.) vorhande sin; wo / die schon sehr vorhanden sind 025 (.) muess me do SAAge; muss man da sagen 026 °h ähm dass er dIe cha USnutze. ähm dass er die ausnutzen kann Wenn auch der Fokus nun sehr früh auf der Selbstbeurteilung liegt, schwächt L die Bedeutung für das Gespräch insbesondere in Zeile 004 ( °h ich (-) ich ich (-) RIT nit lang uf däm Ume, ) und in den Zeilen 018 f. ( aso s s goot mir nit DRUM; dass mir jetz äh die pünkt alli äinzeln useNAND näme; ) ab. Es soll also weder viel Zeit damit verbracht, noch sollen alle einzelnen Punkte besprochen werden. Vielmehr gibt L hier Einblicke in seine Zielsetzungen für das Gespräch. So soll es um Philipps Zukunft gehen (Z. 006), um problematische Aspekte oder auch Wünsche von Philipp (Z. 011-017) und darum, dass Philipp seine bereits guten Fähigkeiten optimal weiter ausbauen kann (Z. 020-026). Die Selbstbeurteilung, welche auf dieser Jahrgangsstufe zu den Pflichtübungen gehört, steht dabei für L nicht im Zentrum. Im Anschluss nach Zeile 026 über- <?page no="370"?> 370 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung reicht L den Selbsteinschätzungsbogen zwar den Eltern, es wird aber nur kurz darin geblättert und sehr rasch zu einem ersten Gesprächsthema übergeleitet. Wir sehen, dass das Instrument der schriftlichen Selbstbeurteilung in den Gesprächen sehr unterschiedlich als Ressource genutzt wird. In einigen Gesprächen dient die Selbstbeurteilung als Gesprächsgrundlage und strukturiert dadurch massgebend die Inhalte des Gesprächs. Andere Lehrpersonen strukturieren das Gespräch nach anderen Gewichtungen und bringen die Selbstbeurteilung eher ergänzend oder als nebensächliche Sichtweise ins Gespräch ein und dies beinahe unkommentiert. Im letzten gezeigten Fall wird die Selbstbeurteilung als Ausgangspunkt genommen, jedoch wird deutlich gemacht, dass sie im weiteren Verlauf nicht mehr detailliert besprochen werden soll. Wie sehr die schriftliche Selbstbeurteilung metakommunikativ als zentral herausgestellt wird, sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob grundsätzlich die Einschätzung von S im Gespräch seinen Platz hat. Einerseits kann jederzeit ad hoc eine Einschätzung von SchülerInnen eingeholt und besprochen werden. Und andererseits zeigt sich erst in der tatsächlichen Aushandlung der (schriftlichen) Selbstbeurteilung, inwiefern die verschiedenen Sichtweisen in die weiteren Überlegungen einbezogen werden. Dies steht im Fokus der folgenden Analysen. 8.2 Gesprächsorganisatorische Steuerungsfunktion der schriftlichen Selbstbeurteilung In einigen Gesprächen dienen die schriftlichen Selbstbeurteilungen als Ressource für die Gestaltung der Themenübergänge. So wird entweder durch die Fokussierung auf den nächsten Punkt in der Selbstbeurteilung das neue Thema eingeleitet, oder es wird hierfür aus dem Beurteilungsbogen vorgelesen. Ein solches Beispiel finden wir im folgenden Ausschnitt vor. Die Sequenz beginnt mit der Einführung eines neuen Themas, indem L den Schüler Timo auffordert, seine Selbstbeurteilung zum Fach Mathematik vorzulesen: # 88 Mathematik oder Sprache (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 01: 23-02: 32) 001 L mathemaTIK? Mathematik 002 was hEsch du dir do noTIERT. was hast du dir da notiert 003 S ich kann gut BRÜche erkennen- ich kann gut Brüche erkennen <?page no="371"?> 8.2 Gesprächsorganisatorische Steuerungsfunktion der schriftlichen Selbstbeurteilung 371 004 was ich WEniger gut kann, was ich weniger gut kann 005 ist brüche EINschreiben. ist Brüche einschreiben 006 L (-) mh_HM? mhm 007 °h wie laufts dr SCHÜSCH in mathematIk, wie läuft’s dir sonst in Mathematik 008 S (1.28) guet; gut 009 L (-) mh_HM, mhm 010 was machsch LIEber? was machst du lieber 011 mathematIk oder SPROOCH. Mathematik oder Sprache 012 S (--) sprooch- Sprache 013 L SPROOCH machsch lieber. Sprache machst du lieber 014 °h aber in MAthe (.) bisch gloub ou gUet ungerwÄgs; =oder? aber in Mathe(matik) bist du glaub ich auch gut unterwegs oder 015 S (---) jo es FÖIfi. ja eine Fünf 016 L (-) es FÖIfi.= eine Fünf 017 =jo wemmer s ZÜGnis aaluege, ja wenn wir das Zeugnis anschauen 018 hesch es FÜfi gha; =genau, hast du eine Fünf gehabt genau 019 °hh i ha ds GFÜEL, ich habe das Gefühl 020 dr tImo isch in mathematik ou rächt SIcher, der Timo ist in Mathematik auch recht sicher 021 °h ämu wenn er, jedenfalls wenn er 022 (.) es git au moMÄNte, es gibt auch Momente 023 wos vilicht nid grad KLAPpet bim erschte mol, wo’s vielleicht nicht gerade klappt beim ersten Mal <?page no="372"?> 372 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 024 är nimmt sich OU, er nimmt sich auch 025 (.) är nimmt sich ou ZIT [(-) in mathematik. er nimmt sich auch Zeit in Mathematik 026 M [mh_hm, mhm 027 L är duet sÄlte JUFle. er tut selten hetzen 028 (-) °h und d HUSufgabe grad im üebigshif (.) heft, und die Hausaufgaben gerade im Übungshif heft 029 die sii meischtens seer GUET erlediget. die sind meistens sehr gut erledigt 030 °h machsch die meischtens alLEIni? machst du die meistens alleine 031 oder duesch se Öppe die no öpperem ZEIge. oder tust du sie ab und zu noch jemandem zeigen 032 S (--) mh (1.21) °h em RAfi zeigi sii jo ame. mh dem Rafi zeige ich sie ja manchmal 033 L (-) mh_HM, mhm 034 (1.0) und wie ischs vo dr HÜUF här? und wie ist’s von der Hilfe her 035 bruchsch bruchsch ame HÜUF? brauchst brauchst du manchmal Hilfe 036 oder eigentlich fasch NIE. oder eigentlich fast nie 037 S (--) mh MÄNgisch bruchi hüuf. mh manchmal brauche ich Hilfe 038 L mh_HM, mhm 039 (-) und nÄchene KLAPpets aber. und nachher klappt’s aber 040 wenn die HÜUF bechUnnsch. wenn du die Hilfe bekommst 041 de chasch WIter rächne. dann kannst du weiter rechnen 042 S (--) mh_hm, mhm 043 L (-) mh_HM, mhm <?page no="373"?> 8.2 Gesprächsorganisatorische Steuerungsfunktion der schriftlichen Selbstbeurteilung 373 044 (--) GUET? gut 045 (.) AUso? also 046 i ha OU ds gfüel, ich habe auch das Gefühl 047 mathematik isch WÜRKlech, Mathematik ist wirklich 048 (--) jo (---) bisch guet bi de LÜT, ja bist gut bei den Leuten 049 auso (.) machsch würklech GUET. also machst du wirklich gut S liest seine Selbstbeurteilung vor, die knapp und auf ein Einzelphänomen fokussiert ist, weshalb L dann auch nachfragt, wie es sonst im Fach Mathematik läuft. Obwohl sie die Frage offen formuliert, antwortet S nur mit guet; (Z. 008). L ratifiziert diese Antwort und fragt nun in Form einer Entscheidungsfrage mit Auswahlantworten, ob S lieber Mathematik oder Sprachen möge. S wählt Sprachen. L fragt dann, anders formuliert als zuvor, noch einmal danach, wie es im Fach Mathematik läuft, was S mit seiner derzeitigen Note beantwortet. In diesen ersten Zeilen erfährt L keine weiteren Details von S und belässt es vorerst dabei, indem sie sich in Zeile 020 mit ihrer Beurteilung an die Eltern wendet und S nun zum Gesprächsobjekt macht. Bei dem Thema der Hausaufgaben wendet sich L erneut mit ein paar Fragen an S, die in einem ‚entweder / oder’-Format gestellt sind (Z. 030-043). Durch die Verwendung von auch in i ha OU ds gfüel, (Z. 046) in der abschliessenden Beurteilung betont L die Übereinstimmung der Selbst- und Fremdeinschätzung. Auffällig ist in diesem Beispiel, wie die vorgelesene Selbstbeurteilung im Weiteren unbeachtet bleibt und vor allem als Strukturierungshilfe bzw. Themenüberleitung verwendet wird. So präsentiert L ihre Beurteilung an die Eltern ohne Bezug auf die Äusserungen von S zu nehmen. Die mehrheitlich geschlossenen Fragen erwecken beinahe den Eindruck einer (konzeptionell schriftlichen) Beurteilungsskala, die S mit seinen Häkchen versieht. L ratifiziert jeweils die Schülerantworten, geht aber wenig darauf ein und fordert auch keine weiteren Ausführungen ein. So bleibt die Beteiligung von S losgelöst von der Beurteilungssequenz, die meist an die Eltern gerichtet ist. Insgesamt übernimmt L in dieser Sequenz eine starke Steuerung und wenn auch S das Thema durch seine Selbstbeurteilung einleiten darf, bleiben seine Äusserungen mehrheitlich unbearbeitet. Hier stellt sich also die Frage nach der Rolle des Schülers. Mit dem Vorlesen der Selbstbeurteilung scheint seine <?page no="374"?> 374 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung Aufgabe vorwiegend die des Stichwortgebers zu sein. Bei den weiteren Fragen bleibt der Informationsgehalt für alle Beteiligten gering, einerseits durch die knappen Antworten von S, aber andererseits durch das unbearbeitete Liegenlassen der Einzelthemen. S wird zwar involviert, jedoch auf eine Art und Weise, die keine bedeutsame Beteiligung ermöglicht. So bleibt der Nutzen dieser Pseudo-Inklusion dahingestellt und im besten Falle ist S durch die Zwischenfragen aktiviert, wenn er denn schon bei der inhaltlichen Steuerung nicht massgebend beteiligt sein kann. 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen Im Folgenden werden diejenigen Kontexte untersucht, die eine weitere Bearbeitung der Selbstbeurteilung durch die Lehrperson aufweisen. Es kann dabei unterschieden werden zwischen dem förderorientierten Aufzeigen von Entwicklungspotenzial (Kap. 8.3.1), dem Angleichen der Selbstbeurteilung an die Fremdbeurteilung (Kap. 8.3.2), dem Beurteilen der Selbstbeurteilung (Kap. 8.3.3) und dem Ausräumen von kindseitigen Missverständnissen bezüglich der Beurteilungskriterien (Kap. 8.3.4). 8.3.1 Aufzeigen von Entwicklungspotenzial Wie in Kapitel 2.4.4 dargelegt, steht die Selbstbeurteilung im Zusammenhang mit förderorientierten Beurteilungsformen, die sich gemäss Lötscher und Roos (2005: 14 ff.) an der Individualnorm und der Lernzielnorm orientieren sollen. Entsprechende Sequenzen der förderorientierten Beurteilung finden sich in den Gesprächen jedoch selten. Gezeigt wird ein Beispiel aus dem Gespräch mit Timo. In Minute 04: 16-04: 21, also eine knappe Minute vor dem gewählten Ausschnitt, hat Timo seine schriftlich vorverfasste Selbstbeurteilung vorgelesen und L greift hier einen von S erwähnten Schwachpunkt im Texteschreiben auf: # 89 Texte schreiben (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 05: 09-06: 16) 001 L °hh und im TEXTschriibe; und im Texteschreiben 002 (.) was hesch de DÖT für nes gfÜel; was hast du denn dort für ein Gefühl 003 S (---) mh: - h° mh 004 (2.91) <?page no="375"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 375 005 L du SEISCH vo dIr, du sagst von dir 006 du hesch s GFÜEL, du hast das Gefühl 007 du chöngsches nId SO guet; du könntest es nicht so gut 008 (1.54) 009 L wohÄr chunnt das GFÜEL? woher kommt das Gefühl 010 (1.67) 011 S hm vo dr NOte, hm von der Note 012 L (.) aha (.) GUET. aha gut 013 (.) Oke °hhh ähm- okay ähm 014 (1.8) weisch no was dÖrt hesch KCHA? weisst du noch was du dort gehabt hast 015 S (-) es VIER bis [fÖifi; eine Vier bis Fünf (4.5) 016 L [vIer bis FÜfi; vier bis fünf (4.5) 017 °hh ähm (.) dU hesch gueti AAsätz im tExtschriibe, ähm du hast gute Ansätze im Texteschreiben 018 mÄngisch han i ds GFÜEL, manchmal habe ich das Gefühl 019 du hesch eifach ! EI! iDEE, du hast einfach eine Idee 020 und nächer BLIBSCH bi deren idEE bis am schlUss, und nachher bleibst du bei dieser Idee bis am Schluss 021 und ZIESCH se eifach dÜre? und ziehst sie einfach durch 022 °h und vergissisch MÄNgisch vilicht, und vergisst manchmal vielleicht 023 no e chli rÄchts und no ne chli LINKS z lUege. noch ein bisschen rechts und noch ein bisschen links zu schauen 024 °hhh und de isch (.) de isch zum TEIL, und dann ist dann ist zum Teil <?page no="376"?> 376 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 025 isch de die gAnzi gschicht au vilicht fasch e chli CHURZ grOOte. ist dann die ganze Geschichte auch vielleicht fast ein bisschen kurz geraten 026 °h hingÄge bin i mir SIcher, hingegen bin ich mir sicher 027 wenn (.) wenn se nes ZWÖITS mol, wenn wenn du sie ein zweites Mal 028 (.) °h no einisch würsch überARbeite; noch einmal überarbeiten würdest 029 vilicht zwöi drüü ähm HÜLfestellige würsch bechOO; vielleicht zwei drei ähm Hilfestellungen bekommen würdest 030 dass du dIe no einisch VÜU, dass du die noch einmal viel 031 °hh i säge nId LÄNger wird; ich sage nicht länger wird 032 aber vilicht no ne chli intereSANter, aber vielleicht noch ein bisschen interessanter 033 und no ne chli VIUsitiger; und noch ein bisschen vielseitiger 034 °h aber weisch wenn EInisch es vIerehalbi hesch gha, aber weisst du wenn du einmal eine Viereinhalb gehabt hast 035 darfsch di vo däm aso jetz nid (.) °h lo DÜÜsche, darfst du dich von dem also jetzt nicht täuschen lassen 036 i chAs NID; ich kann’s nicht 037 (-) und dr nÖchscht (.) LIGT dr vilicht besser; und der nächste liegt dir vielleicht besser 038 und de GEITS ou bEsser; = und dann geht’s auch besser 039 =das isch bim SCHRIIbe mÄngisch no so chli, das ist beim Schreiben manchmal noch so bisschen 040 °h jo chli es Ufe und Abe. ja bisschen ein Auf und Ab L verweist auf die zuvor geäusserte Selbstbeurteilung von S und fragt ihn nach seinem Gefühl bzw. nach den Gründen seiner schwachen Selbstbeurteilung (Z. 001 f. sowie Reformulierung nach längeren Pausen in Z. 005-007, 009). Durch die Verwendung des Wortes Gefühl wird eine subjektive Einschätzung relevant gesetzt und so überrascht es (aus Sicht der Analytikerin als auch aus Sicht der <?page no="377"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 377 Lehrerin, erkennbar an ihrer Reaktion in Z. 012), dass S sich auf seine Note beruft (Z. 011). Er verlässt sich dadurch gerade nicht auf sein eigenes Gefühl, sondern orientiert sich an der Fremdbeurteilung in Form einer Note. Winter (2004: 52 f.) weist auf die Problematik hin, dass Noten wenig Aufschluss über die individuelle Leistungsfähigkeit geben und nur innerhalb einer Klasse aussagekräftig sind. Demnach ist der schülerseitige Bezug auf die Fremdbenotung für ihn nicht zielführend, da er sich dabei gerade nicht auf seine individuellen Fähigkeiten fokussiert, sondern sich an der Klasse und damit an der Sozialnorm orientiert. Dieser Problematik verschafft L nun Abhilfe, indem sie einerseits die Note in Worten ausführt und eine detailliertere Leistungseinschätzung liefert (Z. 017-025) sowie Entwicklungspotenzial bzw. Verbesserungsvorschläge formuliert (Z. 026-033). Andererseits schwächt sie die Beurteilungskraft von Noten in Bezug auf die individuelle Fähigkeit ab und verweist auf typische Schwankungen bei schriftlichen Leistungen (Z. 034-040). Die Thematisierung der Selbstbeurteilung in dieser Gesprächssequenz bietet für die Lehrperson die Gelegenheit, die eigene Beurteilung so auszuformulieren, dass nicht die Sozialnorm im Vordergrund steht, sondern die individuelle Leistung des Schülers im Sinne einer Standortbestimmung und im Hinblick auf nötige Entwicklungen und Lernziele. Der Schüler erhält dadurch ein differenzierteres Bild seiner Leistungen und konkrete Anhaltspunkte für zukünftige Arbeiten. Die Rolle der anwesenden Eltern ist die der stillen Zuhörenden. Was hier im Zentrum des Gesprächs steht, ist, wie in den meisten Bearbeitungen von Selbstbeurteilungen, allerdings die Fremdbeurteilung. Es wird durch keine Rückfragen o. ä. geklärt, ob S anhand dieser Fremdbeurteilung zu einer neuen Sicht über seine Leistungen gelangen konnte. Winter (2004: 240) nennt „metakognitive Fähigkeiten zur Überwachung, zur Prüfung und zur Bewertung der eigenen Handlungen“ als ein wichtiges Ziel der Selbstbeurteilung. Um zu prüfen, ob diese Besprechung für S eine Lernumgebung darstellt, müsste ein intersubjektiver Abgleich stattfinden, d. h. es müsste geklärt werden, ob S zu neuen Erkenntnissen gelangen konnte. Trotz dieser Problematik zeigt sich in dieser Sequenz grundsätzlich aber deutlich das Potenzial der Aushandlung von Fremd- und Selbstbeurteilung, da dadurch eine differenziertere und für S transparentere Beurteilung möglich wird. 8.3.2 Angleichen an die Fremdbeurteilung Ähnlich wie im vorigen Beispiel # 89 orientiert sich auch Chiara in Beispiel # 90 an der Fremdbeurteilung und gestaltet ihre Selbstbeurteilung dementsprechend aus der Fremdperspektive. Es soll hier aber zudem gezeigt werden, wie S zu einer Korrektur der Selbstbeurteilung aufgefordert wird. Vor dem folgenden <?page no="378"?> 378 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung Ausschnitt aus dem Gespräch mit Chiara geht es um die (Selbst-)Beurteilung der einzelnen Fächer und nun wechselt L zum Lern- und Sozialverhalten: # 90 Ist das dein Gefühl (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 07: 48-08: 52) 001 L °hh i wett eiglech nid uf jede PUNKT IIgoo; ich will eigentlich nicht auf jeden Punkt eingehen 002 u i ha do EIfach zwöi drüü, und ich habe da einfach zwei drei 003 °h zum bispiil ich beteilige mich AKtiv am unterricht; zum Beispiel ich beteilige mich aktiv am Unterricht 004 do HESCH du gseit, da hast du gesagt 005 jO trifft TEILweise zu; ja trifft teilweise zu 006 (-) das heisst für MI, das heisst für mich 007 du bhouptisch vo DIR, du behauptest von dir 008 °h jo i mÄlde mi eignlech i mÄlde mi eignlech fasch NÜT; ja ich melde mich eigentlich ich melde mich eigentlich fast nicht 009 ISCH das so. ist das so 010 (1.26) 011 L oder isch das dis GFÜEL. oder ist das dein Gefühl 012 S (-) äh h° °hh (1.41) i weiss NI, äh ich weiss nicht 013 aber das isch mängisch <<: -)> so im WUcheplan> gstange; aber das ist manchmal so im Wochenplan gestanden 014 M wäge DÄM,=gäll? wegen dem gell 015 L aHA wäg [DÄM? aha wegen dem 016 M [äHÄ, ähä 017 L (-) oKEE? okay 018 °hh aso I ha ds gfüel; also ich habe das Gefühl <?page no="379"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 379 019 (.) d chiara (.) sii MÄLdet sich scho. die Chiara sie meldet sich schon 020 M mh_hm; mhm 021 L und ähm (.) es isch nid dass du eifach deHINge hocksch, und ähm es ist nicht dass du einfach dahinten hockst 022 und di NID duesch mälde. und dich nicht melden tust 023 °h und es isch ou GANZ klar, und es ist auch ganz klar 024 dass je nach ! THE! ma wo chunt, dass je nach Thema wo / das kommt 025 was dr BESser ligt, was dir besser liegt 026 (.) mäldisch di MEE? meldest du dich mehr 027 °h und was dr WEniger ligt, und was dir weniger liegt 028 mäldisch di äuä WEniger, meldest du dich wohl weniger 029 °h und was sii derfür OU no macht, und was sie dafür auch noch macht 030 zwüschine ou no ähm irgend e zuesätzlichi FROOG steue; zwischendurch auch noch ähm irgendeine zusätzliche Frage stellen 031 [ZUM ! THE! ma; zum Thema 032 M [mh_hm; mhm 033 L [und das isch sicher OU guet; und das ist sicher auch gut 034 V [ja, ja 035 L wo du [vilech no öppis gnauers wotsch WÜSse, wo du vielleicht noch etwas genauer wissen willst 036 M [(no / ou) SCHÖN? (noch / auch) schön 037 L °h oder vilech öppis nid gAnz verSTANge hesch. oder vielleicht etwas nicht ganz verstanden hast 038 aso das fing i eigentlech °h das fing i Okee so. °hh also das finde ich eigentlich das finde ich okay so <?page no="380"?> 380 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 039 V jo de chöntsch EIS füüre,=hä? ja dann könntest du eines vor hä 040 L jo (.) DÜNKT mi etz aso EIgentlech ou; ja dünkt mich jetzt also eigentlich auch 041 im ZÜGnis ischs eigentlech OU so din. im Zeugnis ist’s eigentlich auch so drin L fokussiert die aktive Beteiligung am Unterricht und die von Chiara angekreuzte Option „trifft teilweise zu“ (Z. 005). L möchte dazu von S eine Rückbestätigung (Z. 009, 011) und nutzt hierfür die Ressource der Reformulierung (Z. 008). Interessant ist dabei, dass die Kategorie trifft teilweise zu umgedeutet wird zu eigentlich fast nicht (Z. 008), was sicherlich keine unumstrittene Reformulierung ist und für divergierende Interpretationen aufseiten von L und S mitverantwortlich sein kann. Diese Deutung soll nun von S ratifiziert werden. Nach einigen Verzögerungsmarkern zeigt S ihre Unsicherheit und verweist schliesslich auf eine entsprechende Notiz im Wochenplan (Z. 013). Dadurch wird deutlich, dass hier keine Selbstbeurteilung im engeren Sinne vorliegt, sondern dass sich auch Chiara - wie zuvor bei Timo gezeigt (vgl. Beispiel # 89, Z. 011 sowie # 88, Z. 014) - an einer zurückliegenden Fremdbeurteilung orientiert. L wendet sich nun mit ihrer Fremdbeurteilung an die Eltern und markiert die Differenz ihrer Wahrnehmung. Sie beschreibt das Verhalten von S und relativiert dann noch, dass das Melden auch von den Themen abhängig sei und schliesst die Beurteilung mit aso das fing i eigentlech °h das fing i Okee so. (Z. 038) ab. Die Partikel okay ist hier ganz im Sinne einer abschliessenden Beurteilung auf einer binären Skala ( okay versus nicht okay ) zu verstehen, wie dies Pillet-Shore (2003: 311 f.) in Sprechstundengesprächen an amerikanischen Schulen untersucht hat. Interessant ist nun die Reaktion des Vaters: Er fordert S auf, ihre Selbstbeurteilung an die Fremdbeurteilung anzupassen. Dies ist paradox, denn eine Selbstbeurteilung soll ja gerade die eigene Sicht widerspiegeln. So müsste zumindest deutlich werden, dass S eine Erkenntnis über die veränderte Sicht gewonnen hat, bevor sie die Selbstbeurteilung korrigieren soll. Dass es hier in erster Linie um die Fremdbeurteilung geht, zeigt dann insbesondere die letzte Äusserung von L: im ZÜGnis ischs eigentlech OU so din. (Z. 041). Das bedeutet, dass es weniger um die von Winter (2004: 20 ff.) propagierte Demokratisierung geht, sondern die Lehrperson bereits ein fertiges Zeugnis mit Noten erstellt hat und die Selbstbeurteilung an diesen ‚richtigen’ Beurteilungen gemessen wird. So wird hier zwar die Differenz zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung wahrgenommen und ergründet. Jedoch dominiert die Sicht von L die Bearbeitung der Selbstbeurteilung, sodass am Ende S aufgefordert wird, ihre Selbstbeurteilung an die Fremdbeurteilung anzupassen. Dass die Selbstbeurteilung keinerlei Ein- <?page no="381"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 381 fluss auf die tatsächliche Beurteilung nimmt, zeigt sich im Schlusssatz über den bereits erfolgten Eintrag in das Zeugnis. 8.3.3 Beurteilen der Selbstbeurteilung Im obigen Beispiel # 90 wurde gezeigt, wie S dazu bewegt wird, ihre Selbstbeurteilung an die Fremdbeurteilung anzugleichen. Es handelt sich dabei um eine implizite Beurteilung der Selbstbeurteilung, denn das Fazit ist, dass S sich unterschätzt hat. Auch in anderen Gesprächen werden Selbstbeurteilungen von der Lehrperson wiederum einer Beurteilung unterzogen, was sich beispielsweise in Aussagen widerspiegelt wie aso es isch au TOLL, dass sii sich ! RICH! tig iischätzt; (übersetzt: „also es ist auch toll, dass sie sich richtig einschätzt“; Sarah, SJ 1_L1A_ LMV , 25: 39), °h do hesch di EEner e chli (---) ! UN! terschätzt? (übersetzt: „da / hier hast du dich eher ein bisschen unterschätzt“; Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 01: 50) oder aber auch in Selbstkorrekturen von S wie beispielsweise han i e bitz FALSCH grad IIgschätzt (übersetzt: „habe ich ein bisschen falsch gerade eingeschätzt“; Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 23: 23), ausgelöst durch zuvor geäusserte Kritik von L. All diesen Zitaten ist gemein, dass von einer ‚richtigen’ Bewertung ausgegangen wird und die Fremdbeurteilung jeweils angibt, was richtig und was falsch ist. Wer sich also unter- oder überschätzt, tut dies in Bezug auf die Fremdbeurteilung. Dadurch gleicht das Ausfüllen einer Selbstbeurteilung für SchülerInnen bisweilen einer Testsituation, da die Resultate wiederum einer Bewertung unterzogen werden. Besonders deutlich wird dies im Gespräch mit Tatjana, die dafür gerügt wird, dass sie sich selbst zu schwach einschätzt: # 91 Nicht so zufrieden mit dir (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 17: 10-17: 55) 001 L ((schnalzt)) sO jetz chöme mir uf d RÜCKsite; so jetzt kommen wir auf die Rückseite 002 won i eigentlich NID so zfride bi mit dIr. wo ich eigentlich nicht so zufrieden bin mit dir 003 (-) und zwAr hei sii dO müesse IIschätze- und zwar haben sie da / hier einschätzen müssen 004 ds ARbeitsverhalte und ds soZIAlverhalte, das Arbeitsverhalten und das Sozialverhalten 005 und °hhh d tatJAna isch im momÄnt scho so, und die Tatjana ist im Moment schon so 006 dass sii sich TENdenziell äbe AUtomatisch, dass sie sich tendenziell eben automatisch <?page no="382"?> 382 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 007 (-) z TÖIF [foot afo IIstuefen; =oder, zu tief anfängt einzustufen oder 008 M [loot lo KEIe, fallen lässt 009 L (-) mit SÄLBSCHT[beurteile; mit Selbstbeurteilen 010 V [mh_hm, mhm 011 L [so: : jO: EIfach so, so ja einfach so 012 V [SÄLBSCHTbwusstsii nid eso gUet isch; =jO, Selbstbewusstsein nicht so gut ist ja 013 L °h JO: (.) won i muess säge, ja wo ich sagen muss 014 jo aso gad SO: : (.) gad so: [schlimm isch es jetz nid, ja also gerade so gerade so schlimm ist es jetzt nicht 015 M [jä het ÄÄS dAs Usgfüut. ja hat es / sie das ausgefüllt 016 L SII het das [Usgfüut; sie hat das ausgefüllt 017 M [AH sO; ah so 018 L zum bispiil dO won i die Orangsche gmacht ha, zum Beispiel da / hier wo ich diese orange gemacht habe 019 °hh ich erscheine (.) pÜnktlich und Ordnungsgemäss zum UNterricht. ich erscheine pünktlich und ordnungsgemäss zum Unterricht 020 aso (.) het sii iiri SAche drbii, also hat sie ihre Sachen dabei 021 isch s zÜg ungerschriibe d HUsi drbii, ist das Zeug unterschrieben die Hausaufgaben dabei 022 seit sii JO trifft TEILweise zu; sagt sie ja trifft teilweise zu 023 [<<leicht genervt> hesch du mol müesse cho IIne sItze.> hast du mal hinein sitzen kommen müssen 024 M [NÄ: : . nein 025 (1.01) 026 L <genervt> ! NEI! .> nein <?page no="383"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 383 027 gUet de hesch kche GRUND di do hinge IIzstuefe. gut dann hast du keinen Grund dich da hinten einzustufen 028 bispils[WIIS. °hhh beispielsweise 029 M [und z SPOOT bisch jo Ou nie? und zu spät bist du ja auch nie 030 (-) 031 L <<genervt> ! NE: I: ! .> nein 032 M NEI? nein 033 L NEI; nein 034 V ((kurzes Auflachen)) Die Lehrerin zeigt bereits in der Themenüberleitung an, dass sie unzufrieden mit Tatjanas Einschätzung ist. Sie wendet sich an die Eltern, um zu erläutern, dass es sich um den Teilbereich des Arbeits- und Sozialverhaltens handelt (Z. 003 f.), und um die mangelhafte Selbstbeurteilung von S hervorzuheben (Z. 005-007, 009). Die Eltern zeigen durch Satzergänzung einerseits (M in Z. 008) und Reformulierung andererseits (V in Z. 012), dass sie die Lehrpersonensicht verstehen. Nach gebildetem Common Ground schliesst L nun an mit ihrer Aufwertung der Beurteilung: Durch jo aso gad SO: : (.) gad so: schlimm isch es jetz nid, (Z. 014) zeigt L, dass sie zwar das Verhalten von S ebenfalls schwach beurteilt, aber nicht so schlimm , wie dies S selbst einschätzt. Was darauf ab Zeile 018 folgt, kommt einer strengen Zurechtweisung gleich. L geht einzelne konkrete Punkte durch und rügt S in genervtem Ton, sie habe keinen Grund, sich so weit hinten einzustufen (Z. 027). Paradox ist diese Form der Bearbeitung der Selbstbeurteilung insofern, dass S zwar offenbar in Bezug auf die genannten Punkte gut besteht und positiv bewertet wird und daher eigentlich gelobt werden müsste. Jedoch wird S dafür kritisiert, dass sie sich zu schwach einschätzt. Dadurch wird die Selbstbeurteilung zu einem Test, den S weniger gut oder besser bestehen kann. Im Gespräch hier wird also die ‚Leistung’ der Selbstbeurteilung negativ bewertet, während die eigentliche Leistung im Bereich des Arbeits- und Sozialverhaltens positiv bewertet wird. Es kommt zu einer Vermischung von verschiedenen Bezugspunkten und durch den Fokus auf die zu schwache Selbstbeurteilung gerät die positive Leistung aus dem Blickwinkel der Beteiligten. Es ist fraglich, ob die Schülerin bei dieser Form der Rückmeldung versteht, dass es sich indirekt um eine Anerkennung ihres Arbeits- und Sozialverhaltens handelt. <?page no="384"?> 384 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 8.3.4 Umgang mit dem (Miss-)Verstehen von Beurteilungskriterien Abschliessend möchte ich einer Frage nachgehen, die für die Praxis hochrelevant ist, nämlich: Wie lassen sich die Selbstbeurteilungsbögen altersgerecht ausformulieren? So zeigt es sich nämlich in einigen Gesprächen, dass die Fragen nicht überall richtig verstanden werden oder aber zu abstrakt sind und die aufgedeckten Differenzen von Selbst- und Fremdbeurteilung somit weniger mit der unterschiedlichen Sicht auf die Sache zu tun haben, sondern mit einem Missverständnis oder Nichtverstehen vonseiten der Lernenden. Im Beurteilungsgespräch mit Chiara wird eine solche problematische Stelle von den Beteiligten identifiziert und bearbeitet: # 92 Überrascht (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 13: 15-15: 37, mit Auslassung) 001 L ähm (.) do Unge (.) bim soZIAlverhalte, ähm da / hier unten beim Sozialverhalten 002 han i einglech nume EI punkt; habe ich eigentlich nur einen Punkt 003 und zwar dä PUNKT heisst, und zwar dieser Punkt heisst 004 wenn du mit Angerne ching STRIT hesch, wenn du mit anderen Kindern Streit hast 005 °h (---) obs dis ZIU isch, ob’s dein Ziel ist 006 möglichscht gli dä strit z l (.) ähm z beHEbe; möglichst bald diesen Streit zu l ähm zu beheben 007 (---) UFzlööse; aufzulösen 008 und DU hesch gschriibe, und du hast geschrieben 009 naJA, naja 010 (-) °hh EIgentlech machsch du das nId grad SOfort. eigentlich machst du das nicht gerade sofort 011 WEISCH es heisst; weisst du es heisst 012 ich bin beREIT, ich bin bereit 013 konFLIKte mit anderen kindern, Konflikte mit anderen Kindern <?page no="385"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 385 014 möglichst RASCH und GUT zu lÖsen. möglichst rasch und gut zu lösen 015 °h duesch du ame wennd STRIT hesch; tust du jeweils wenn du Streit hast 016 gärn no chli WIter strite. gerne noch bisschen weiter streiten 017 S (---) h° aso (1.22) einglech han i DEre klass; also eigentlich habe ich in dieser Klasse 018 einglech (.) no glaub no NIE strit gha; eigentlich noch glaub ich noch nie Streit gehabt 019 °h aber mit de (XXX xxx) un dene, aber mit den (xxx xxx) und denen 020 düemer ame eifach änang ignoRIEre. tun wir jeweils einfach einander ignorieren 021 (-) 022 L mh_HM, mhm 023 S fasch e WUche lang mängisch, fast eine Woche lang manchmal 024 V ah dasch WIter strite eigenlech; ah das ist weiter streiten eigentlich 025 M jo; ja 026 ? ((leises Lachen)) 027 L dasch WIter strite; heheheh °h das ist weiter streiten heheheh 028 <<: -)> het dr PApi recht; > hat der Papa recht 029 EIglech isch das WIter strite; eigentlich ist das weiter streiten 030 °h aso isch das jetz IMmer no so zum teil; also ist das jetzt immer noch so zum Teil 031 S änglech hämmer scho gAnz gAnz LANG nüm [strit gha. eigentlich haben wir schon ganz ganz lange nicht mehr Streit gehabt 032 L [scho gAnz LANG nüm. schon ganz lange nicht mehr 033 V [mh_mh; mh <?page no="386"?> 386 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 034 ((Auslassung im Transkript, ca. 30 Sek.: L berichtet von kleineren Streitereien in der Klasse, die sie aber als unproblematisch einschätzt.)) 035 L °h i bi eifach nume chli überRASCHT gsi, ich bin einfach nur bisschen überrascht gewesen 036 wüu dört (.) eigenlech (.) dr punkt rÄcht wit HINgen aakrüzlet hesch; = weil du dort eigentlich den Punkt recht weit hinten angekreuzt hast 037 =i hätt jetz o no nie chönne °hh FESCHTsteue,= ich hätte jetzt auch noch nie feststellen können 038 =dass irgendwie e riise STRIT hesch gha; = dass du irgendwie einen riesen Streit gehabt hast 039 =oder dass (--) dä strIt nid hesch wöue UFlöösen; =oder, oder dass du diesen Streit nicht hast auflösen wollen oder 040 dass irgend[wie nach ere LÖÖ[sig hesch wöue sueche. dass du irgendwie nach einer Lösung hast suchen wollen 041 M [mh- mh 042 V [aso isch d frOOg RÄCHT verstange worde.= also ist die Frage recht/ richtig verstanden worden 043 L =jo das isch äbe no s [ANgere; ja das ist eben noch das andere 044 V [(isch jo) chli, (ist ja) bisschen 045 L jo geNAU. ja genau 046 isch ou nid (.) es isch ou nid gad EIfach formuLIERT. ist auch nicht es ist auch nicht gerade einfach formuliert 047 °h aber AAgno du hesch jetz wider mol strIt mit öpperem, aber angenommen du hast jetzt wieder mal Streit mit jemandem 048 was hesch du für nes ZIU. was hast du für ein Ziel 049 °hhh weisch wotsch- weisst du willst du 050 (1.79) <?page no="387"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 387 051 L was [wÜrsch DU mache; = was würdest du machen 052 S [aso ZERSCH mol, also zuerst mal 053 L =aber etz GANZ EErlich. aber jetzt ganz ehrlich 054 S (.) würd i zersch mol ignoRIEre, würde ich zuerst mal ignorieren 055 und luege was sii MAche? und schauen was sie machen 056 L mh_HM, mhm 057 S und wenns nid °h (--) wenn sii ni chöme go REde; und wenns nicht wenn sie nicht reden kommen 058 (---) 059 L aso du du wa (.) du wetsch REde mit ne; also du du wa du willst reden mit ihnen 060 [oder dass [dass drüber GREDT wird. oder dass dass darüber geredet wird 061 S [ja; ja 062 M [aso däHEIM Ischs esO, also daheim ist’s so 063 L [ja; ja 064 M [o wenn MIR zwöi strIt hei- auch wenn wir zwei Streit haben 065 chasch du das nid lAng [erTRÄÄge; kannst du das nicht lange ertragen 066 S [hh° 067 (--) 068 L mAchts di (.) mAchts di so richtig CHRIbelig. macht’s dich macht’s dich so richtig kribbelig 069 M (.) jo aso [mi DUNKTS? ja also mich dünkt’s 070 L [mh_hm, mhm 071 (1.25) 072 L JO? ja <?page no="388"?> 388 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung 073 M wie DUNKTS di. wie dünkt’s dich 074 S nä de gon i LIEber is zimmer und wArte? nein dann gehe ich lieber ins Zimmer und warte 075 L de bruchsch ZERSCHT gschwing- dann brauchst du zuerst geschwind 076 M ja aber du chUnsch jo [OFT und seisch: : , °h ja aber du kommst ja oft und sagst 077 V [aber du REDSCH amel grad drÜber; aber du redest jeweils gerade darüber 078 [ämel MEISCHtens. jedenfalls meistens 079 M [chUm mir mache wider FRIIden [oder (.) so. komm wir machen wieder Frieden oder so 080 S [°h heheh heheh 081 M und mi dunkts dir ischs nid wOu mit STRIT? und mich dünkt’s dir ist’s nicht wohl mit Streit 082 (1.21) 083 S [jo däHÄI (xxx xxx), ja daheim (xxx xxx) 084 M [aber vilich ischs jo i dr schUel [ANgersch, aber vielleicht ist’s ja in der Schule anders 085 L [aHA? aha In den ersten Zeilen zeigt L durch die mehrfachen Reformulierungen, dass sie unsicher ist, ob S die Frage auf dem Beurteilungsbogen richtig verstanden hat (Z. 001-016). Die Reformulierung fungiert hier als spezifische Design-Aktivität, durch die L einen möglichst passgenauen Zuschnitt auf Chiara zu erreichen versucht, um auch eine treffende Antwort zu erwirken. Trotz den Reformulierungen kann S die Frage zwar nicht beantworten, aber sie reagiert, nach einigen Verzögerungen, auf die Fragestellung: Sie kann zur abstrakten Frage nach ihrem Konfliktlösungsverhalten kein konkretes Ereignis aus der Schulumgebung nennen und bewerten (Z. 016 f.). S schafft es dann dennoch, eine Situation zu nennen und das Ignorieren als ihre Strategie anzugeben (Z. 019 f., 023), was V als Weiterstreiten einordnet (Z. 024). Aber auch hier hat S Schwierigkeiten auf die Nachfrage von L (Z. 030) einzugehen und ihre konkrete Beschreibung einer Selbstbeurteilung zu unterziehen, da sie scho gAnz gAnz LANG nüm strit <?page no="389"?> 8.3 Bearbeitung und Aushandlung der schriftlichen Selbstbeurteilungen 389 (Z. 031) gehabt hat. Ab Zeile 035 drückt L ihre Überraschung bezogen auf die Differenz in der Selbst- und Fremdbeurteilung aus, worauf V einbringt, dass S doch die Frage vielleicht falsch verstanden habe (Z. 042). L setzt dort an, pflichtet bei, dass die Formulierung nicht einfach sei und ändert erneut durch eine Reformulierung die Design-Aktivität, indem sie nun nicht mehr rückblickend fragt, sondern Chiaras Einschätzung zu einer hypothetischen Situation in der Form Angenommen, du hast wieder mal Streit… einfordert (Z. 047 ff.). S hält zunächst an der genannten Strategie des Ignorierens fest (Z. 052, 054 f.), fügt dann aber in Zeile 057 eine unvollständige Äusserung hinzu, die von L in verstehenssichernden Reformulierungen als Wunsch nach Konfliktlösungen und Reden interpretiert wird (Z. 059 f.) und von S ratifiziert wird (Z. 061). M stützt diese Interpretation zudem durch ihre Sicht zu Hause (Z. 062, 064 f., 069), die von S allerdings auf direkte Nachfrage hin wieder abgelehnt wird: nä de gon i LIEber is zimmer und wArte? (Z. 074). Die Selbstwahrnehmung von S gleicht demnach der Haltung ‚Ignorieren und Abwarten’ und weniger den von L und M geäusserten Beobachtungen und Interpretationen einer Haltung ‚Reden und Problemlösen’. Die von S geäusserte Selbstwahrnehmung wird in der Folge von beiden Elternteilen zurückgewiesen, indem sie, jeweils durch ja aber und aber als Widerspruch markiert, Bezug auf konkrete Situationen nehmen und die Schilderungen u. a. durch die direkte Redewiedergabe stützen (Z. 079). Schliesslich ratifiziert S diese Darstellung, allerdings mit dem Verweis auf das Zuhause (Z. 083; die Äusserung ist nicht komplett verständlich), während M überlappend ebenfalls auf die unterschiedlichen Handlungsräume verweist: aber vilich ischs jo i dr schUel ANgersch, (Z. 084). Es kommt also zu keiner abschliessenden Übereinstimmung zwischen den Sichtweisen und die Lehrerin ergründet dies in der Folge nicht weiter. Was hier aber deutlich wird, ist die Schwierigkeit, Beurteilungskriterien kindgerecht zu formulieren und eine Balance zwischen Abstraktheit und Konkretheit zu finden. Chiara hatte nach eigenen Aussagen noch nie Streit in der Klasse und sieht sich daher nicht in der Lage, ihr Streitlösungsverhalten zu beurteilen. Der fehlende Bezug zu einer konkreten Situation führt in diesem Fall zu einer schwachen Selbstbeurteilung von S. Der Zuschnitt der schriftlichen Frage auf S funktioniert hier nicht optimal und kann nur durch entsprechende Design-Aktivitäten im Gespräch gelöst werden - wenn in diesem Fall auch nur ansatzweise. Zwar wird geklärt, wie es zur Selbstbeurteilung kam, wo also die Schwierigkeit bei S lag, die Frage zu beantworten. Auch helfen die Eltern durch ihre ergänzende Sicht aus dem Familienalltag, eine Teilantwort zu liefern. Jedoch wird am Ende infrage gestellt, ob sich die beschriebene Situation zu Hause auf die Situation in der Klasse übertragen lässt. <?page no="390"?> 390 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung Die Thematisierung der schriftlichen Selbstbeurteilung im Beurteilungsgespräch ist - wenn man dieses Beispiel betrachtet - zwingend notwendig, um eine gemeinsame Sicht zu erlangen bzw. um als Lehrperson überhaupt erst die schülerseitige Selbstbeurteilung kontextualisieren und verstehen zu können. Wenn die Fragen bei der Selbstbeurteilung abstrakt sind, scheint die Gefahr ohne entsprechende Nachbesprechung gross, dass Produzierende und Rezipierende der Selbstbeurteilung andere Bezugspunkte hinzuziehen und dadurch für das Gegenüber Leerstellen entstehen. Die Besprechung von schriftlichen Selbstbeurteilungen in Beurteilungsgesprächen hat demnach das Potenzial, Missverständnisse zu klären oder allenfalls unterschiedliche Grundannahmen aufzudecken. 8.4 Zusammenfassung Anhand metakommunikativer Äusserungen erfahren wir, welchen Stellenwert die Lehrpersonen den Selbstbeurteilungen im Gespräch beimessen. Jedoch zeigen die Analysen, dass auch bei starker Fokussierung der schriftlichen Selbstbeurteilungen noch nicht gewährleistet ist, dass die geäusserten Einschätzungen der SchülerInnen auch in weitere Überlegungen einbezogen werden. So zeigt sich, dass es gelegentlich bei einer Pseudo-Involvierung bleibt, wenn die Selbstbeurteilung lediglich dazu verwendet wird, die Themenübergänge zu strukturieren. Insgesamt zeigt sich bei den analysierten Gesprächen, in denen die Selbstbeurteilungsbögen dann auch tatsächlich bearbeitet werden, dass diese Praxis zwar Potenzial hat, jedoch auch einige Probleme aufweist. So sehen wir in Beispiel # 89, dass aufgrund der Selbstbeurteilung Einblick in die Beurteilungskriterien gewährt werden und S infolgedessen Lerntipps erhält. Der Fokus wird dadurch auf seine individuellen Leistungen und Lernziele gelenkt und weniger auf die von S zuvor relevant gesetzte Note. Die tatsächliche Sichtweise von S wird allerdings nicht erfragt und es dominiert die Fremdbeurteilung. Diese Problematik zeigt sich dann auch in den anderen Kontexten: In der Regel wird die Differenz zwischen der Selbst- und der Fremdbeurteilung konstatiert, worauf die ‚falsche’ Selbstbeurteilung in der weiteren Bearbeitung korrigiert und an die Fremdbeurteilung angeglichen wird. In Bezug auf das Bearbeiten von divergierenden Selbst- und Fremdbeurteilungen hält Vögeli-Mantovani (2011: 254) fest: <?page no="391"?> 8.4 Zusammenfassung 391 Selbst- und Fremdbeurteilung können übereinstimmen oder sie weichen voneinander ab, was für die Beteiligten heisst, dass sie die Differenz feststellen, diese untersuchen und dabei Subjektivität abbauen. Das bedeutet grundsätzlich, dass bei einer Differenz die individuellen Sichtweisen ergründet werden sollen und basierend auf mehreren individuellen Sichtweisen möglichst eine Objektivität erlangt werden kann. Impliziert wird, was Bohl (2009: 125) die „Angleichung von Fremd- und Selbstbewertung“ nennt. Eine Angleichung kann prinzipiell in beide Richtungen möglich sein und liegt auch dem Bild des partnerschaftlichen Gesprächs zugrunde. Jedoch zeigen die Analysen sowie ähnliche Forschungsergebnisse von Fischbach (2015: 66), dass Lehrpersonen in der Regel eine Angleichung der SchülerInnensicht an die eigene Sicht bewirken. Dies wird insbesondere durch den jeweils evaluierenden Abschluss markiert, wo deutlich wird, dass es aus Lehrpersonensicht eine richtige (Fremd-)Beurteilung und allenfalls eine zu korrigierende (Selbst-)Beurteilung gibt. Es zeigen sich zudem Probleme, die dem Spannungsverhältnis zwischen schulischer Förderung und Selektion geschuldet sind (vgl. auch Fischbach 2015: 68). Das Instrument der Selbstbeurteilung in der Schule wird daher aus pädagogischer Sicht auch kritisiert, besonders dezidiert beispielsweise von Menzel und Rademacher (2012). Sie untersuchen Selbsteinschätzungsbögen und kommen, basierend auf theoretischen Überlegungen zu Individuum , Kontrolle und Macht von Foucault (1977) sowie Bourdieu und Passeron (1973), zum Schluss, dass durch die Selbstbeurteilung weniger das Individuum und die Selbstbeurteilungskompetenz gestärkt wird, sondern pädagogische Macht und Kontrolle ausgeübt und gleichzeitig aber verschleiert wird: Pädagogische Orientierungen wie Individualisierung , Subjektorientierung und Kindzentrierung dienen einer ‚progressiven’ Erziehung nicht nur als Mittel der Verschleierung der schulischen Anpassungsforderungen, sondern zugleich als legitime Strategie der Unterwerfung der Schüler unter die schulischen Normen. Hinter der ‚sanften Tour’ verbirgt sich pädagogische Macht nicht lediglich, sondern dieses pädagogische Selbstverständnis ist der Unterwerfungsmechanismus, den es zugleich zu verschleiern und, in und mit dieser Verschleierung, durchzusetzen gilt. (Menzel & Rademacher 2012: 98, Hervorhebung im Original) Sie kritisieren also, dass durch die Selbstbeurteilung die Tatsache verschleiert wird, dass pädagogische Strukturen ein Abhängigkeits- und Kontrollverhältnis schaffen und Kinder sich zuletzt den schulischen Normen anpassen müssen. Was Selbsteinschätzungsbögen denn tatsächlich zeigen, seien lediglich „Selbst- <?page no="392"?> 392 8 Fremdbeurteilung versus Selbstbeurteilung auskünfte der Schüler hinsichtlich ihrer Positionierung zur schulischen Praxis“ (Menzel & Rademacher 2012: 96). Diese Tendenz lässt sich durch die Analysen bestätigen. SchülerInnen werden in ihrer Selbstbeurteilung korrigiert, sie müssen sich bei Abweichung von Selbst- und Fremdbeurteilung rechtfertigen und am Ende wird von ihnen verlangt, ihre Selbstbeurteilung an die Fremdbeurteilung anzugleichen. Eine solche Praxis hat zur Folge, dass SchülerInnen nicht nach ihrer eigentlichen Sichtweise fragen, sondern versuchen werden, die Fremdbeurteilung zu erraten und sich dementsprechend anzugleichen. Eine zusätzliche Problematik ergibt sich m. E. dadurch, dass die Selbstbeurteilungen im Rahmen der Beurteilungsgespräche mit anwesenden Eltern besprochen werden. So müssen sich die SchülerInnen gegenüber den Eltern und gegenüber der Lehrperson behaupten und ihre Selbstbeurteilung öffentlich rechtfertigen. Auf der anderen Seite müssen die Lehrpersonen gegenüber den Eltern als professionelle Beurteilungsinstanz bestehen und gleichzeitig die Selbstbeurteilung als eigene Sicht der Lernenden akzeptieren. Das scheint für Lehrpersonen ein unlösbarer Widerspruch zu sein. Wenn sie ihre eigene Beurteilungskompetenz vorführen und die Selbstbeurteilungen kritisch der eigenen Beurteilung angleichen, geht dies auf Kosten des eigenständigen Bestehens der Selbstbeurteilung. Und wenn sie die Selbstbeurteilung als solche akzeptieren und die eigene Beurteilung gegebenenfalls korrigieren, kann ihre Glaubwürdigkeit infrage gestellt werden. <?page no="393"?> 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 393 9 Schlussbetrachtungen „das isch ALles vo minere site; “ (Gesprächsbeendigung in Beispiel # 48) Beurteilungsgespräche in der Schule stellen insbesondere bei der Mitanwesenheit der SchülerInnen komplexe Anforderungen an die Beteiligten. In der vorliegenden Arbeit lag der Fokus auf den Beteiligungsstrukturen, auf der Aushandlung von Rollen und Identitäten sowie auf Beurteilungen. Im Folgenden werden abschliessend die Ergebnisse zusammengefasst und die zentralen Erkenntnisse diskutiert (Kap. 9.1). Darauf aufbauend werden Forschungsdesiderata für die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Gesprächstyp und den bearbeiteten Bereichen der Gesprächsforschung formuliert (Kap. 9.2). Und schliesslich runden Überlegungen zur Relevanz der Ergebnisse für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen die Schlussbetrachtungen ab (Kap. 9.3). 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse Diese Studie präsentiert gesprächsanalytische Ergebnisse zu Aspekten der interaktiven Aushandlung von Gesprächsbeteiligung und Positionierung am Beispiel von Beurteilungsgesprächen in der Schule. Bei der Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie SchülerInnen handelt es sich um einen noch wenig untersuchten Gesprächstyp. Zwar gibt es viel Ratgeberliteratur sowie einige Fragebogenstudien, jedoch war bis anhin noch nicht sehr viel über die tatsächlichen Gesprächsereignisse bekannt. Der induktive und qualitativ ausgerichtete Forschungszugang der Gesprächsanalyse eignet sich dabei besonders gut, um zu erfassen, wie die Beteiligten die soziale Wirklichkeit des Beurteilungsgesprächs gemeinsam herstellen. Nachdem in Kapitel 1 Einführungen zum Forschungsfeld im Fokus standen, wurden in Kapitel 2 zunächst die für die Forschungsarbeit relevanten theoretischen Konzepte vorgestellt. Den theoretischen und methodischen Rahmen bildet die ethnomethodologisch geprägte Gesprächsanalyse mit dem dezidiert empirischen Zugang. Die theoretischen Ausführungen umfassten Konzeptionen <?page no="394"?> 394 9 Schlussbetrachtungen der Interaktion und Kooperation zwischen Gesprächsbeteiligten, wobei es im Spezifischen um das konversationsanalytische Konzept des Recipient Designs ging. Weiter wurden theoretische Überlegungen zu Beteiligungsstrukturen und Steuerungsaktivitäten eingeführt. Und schliesslich wurden verschiedene Ansätze zur Identitätskonstruktion und zur Positionierung diskutiert. In Kapitel 3 wurden die methodischen Überlegungen reflektiert sowie das untersuchte Korpus präsentiert. Es liegen Audioaufnahmen von vierzehn Beurteilungsgesprächen vor, die insgesamt 487 Gesprächsminuten umfassen. Die Gespräche fanden in verschiedenen Schulen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus und Altersstufen statt, sodass ein heterogenes Datenmaterial mit Gesprächen zwischen dem ersten und zwölften Schuljahr zustande kam. Die Gespräche wurden sequenzanalytisch untersucht. Es folgte der empirische Teil mit den Analysekapiteln 4-8. In Kapitel 4 wurden die Eröffnungen und Beendigungen der Gespräche betrachtet, um erste Erkenntnisse zu Inhalten, Beteiligungsstrukturen und Positionierungen zu erlangen. In Kapitel 5 standen die sozialen Rollen von Lehrpersonen und Eltern im Fokus der Betrachtungen. Ab Kapitel 6 ging es spezifisch um die Rolle der SchülerInnen. Untersucht wurden die gemeinsame Herstellung interaktiver Beteiligung (vgl. Kap. 6), die sprachliche Praktik der animierten Rede, welche in Bezug auf Beteiligungsstrukturen, Positionierungsaktivitäten sowie Beurteilungspraktiken funktional ist (vgl. Kap. 7), und schliesslich die Selbstbeurteilungen von SchülerInnen, welche stets im Verhältnis zu den entsprechenden Fremdbeurteilungen verhandelt werden (vgl. Kap. 8). Während sich die detaillierteren Resümees jeweils direkt im Anschluss an die Analyseteile finden (vgl. Kap. 4.3, 5.5, 6.3, 7.4, 8.4), geht es in den folgenden Ausführungen nun darum, die Forschungsleistung in den einzelnen Teilbereichen aufzuzeigen. Zusammenfassend leistet diese Studie einen Beitrag zur Erforschung der folgenden Bereiche: Die Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern und oftmals auch SchülerInnen wurde bislang zu sehr der Ratgeberliteratur überlassen, ohne dass Erkenntnisse darüber bekannt waren, wie die Gespräche ausgestaltet sind. Es ist also für die Grundlagenforschung höchst relevant, sich genauer mit dem Gesprächstyp des Beurteilungsgesprächs zu befassen. Die vorliegende Arbeit leistet dabei einen wichtigen Beitrag und ermöglicht, dass in Zukunft im Sinne der Angewandten Gesprächsforschung ein Transfer der Erkenntnisse in die Praxis stattfinden kann. Die Erforschung des schulischen Beurteilungsgesprächs ermöglicht zudem, einen vertieften Blick auf Prinzipien der inter-institutionellen Kommunikation zu werfen. Denn während die institutionelle Kommunikation in der Gesprächsanalyse einen grossen Forschungsbereich einnimmt, handelt es sich <?page no="395"?> 9.1 Zusammenfassung der Ergebnisse 395 bei der inter-institutionellen Kommunikation um einen wenig untersuchten Spezialbereich. In dieser Studie konnte nun anhand der Analyse sozialer Rollen gezeigt werden, wie die Lehrpersonen und die Eltern Selbst- und Fremdpositionierungen vornehmen, die Symmetrien begünstigen und dadurch die Gespräche als inter-institutionelle Gespräche etablieren. Das konversationsanalytische Konzept Recipient Design gilt zwar schon lange als grundlegendes Prinzip sprachlicher Interaktion, wurde jedoch meistens eher beiläufig erwähnt und selten genauer untersucht. In dieser Studie wurden spezifische Design-Aktivitäten herausgearbeitet, die ihre Bedeutung jeweils im Zusammenhang mit Merkmalen der inter-institutionellen Mehrparteieninteraktion, der Kind-Erwachsenen-Interaktion oder des spezifischen Gesprächstyps erlangen. In Bezug auf die Beteiligtenkonstellation sind die verschiedenen Adressierungsverfahren als Design-Aktivitäten zu verstehen. Es wurde einerseits gezeigt, dass explizite Adressierungen wie die namentliche Adressierung oder die Verwendung von Anredepronomen verwendet werden, die zur Disambiguierung der Sprecherauswahl beitragen. Andererseits werden vielfach rasche Wechsel sowie unspezifische Referenzen verwendet, die wiederum die Ambiguität der Adressiertheit verstärken. Dieses Nebeneinander von widersprüchlichen Verfahren kann dadurch erklärt werden, dass die explizite Sprecherauswahl zwar im Hinblick auf eine zu erwartende Antwort förderlich ist, aber jeweils die Involvierung aller Beteiligten verunmöglicht. So dient der Gebrauch wechselnder und ambiger Referenzen als kommunikative Ressource, um in der Mehrparteieninteraktion alle Beteiligten im Gespräch einzubeziehen. Weiter wurden Design-Aktivitäten identifiziert, die der Konstellation der Kind-Erwachsenen-Interaktion geschuldet sind und insbesondere die Adressierung und die Redeübergabe an das Kind unterstützen. So kann ein Turn Design so ausgestaltet sein, dass metakommunikativ verdeutlicht wird, wer wen adressiert und durch die deutliche Markierung einerseits das Kind als nächste Sprecherin gewählt und andererseits die Eltern als direkt Adressierte abgewählt werden. Zudem kann das langsame und deutliche Sprechen oder das Zuflüstern den Zuschnitt auf das anwesende Kind unterstützen. Im Zusammenhang mit Schweigephasen an Stellen im Gespräch, an denen eine Antwort von dem anwesenden Kind relevant gesetzt wird und dadurch erwartbar wäre, reagieren die Erwachsenen häufig mit verschiedenen Design-Aktivitäten auf allfällige Verstehens- oder Formulierungsschwierigkeiten des Kindes. Es handelt sich bei diesen Design-Aktivitäten um Reformulierungen, Veranschaulichungen anhand konkreter Beispiele und Situationen, konkretisierende Nachfragen, variierende Frageformate sowie Rederechtsübernahmen. Mit variierenden Frageformaten sind diejenigen Kontexte gemeint, in denen die Lehrperson bei ausbleibenden Antworten vonseiten des adressierten Kindes zu geschlossenen Fragen mit teil- <?page no="396"?> 396 9 Schlussbetrachtungen weise vorformulierten Auswahlantworten wechselt. Während diese Strategie in der Regel tatsächlich dazu führt, dass die SchülerInnen eine Antwort liefern, zeigen die Analysen jedoch auch, dass es sich dabei mehrheitlich um das Wiedergeben einer vorformulierten Auswahlantwort der Lehrperson handelt und von SchülerInnen selten darüber hinaus neue Informationen kommuniziert werden. Je nachdem ob das Ziel die Involvierung oder aber auch das Erhalten neuer Information sein soll, müsste diese Praktik demnach überdacht werden. Und dass erwachsenenseitige Rederechtsübernahmen ebenfalls als Design-Aktivität zu verstehen sind, sehe ich darin bestätigt, dass Eltern davon einerseits Gebrauch machen, wenn sie ihr Kind im Folgenden optimaler positionieren oder andererseits, wenn sie dem Kind die Fähigkeit absprechen, die Antwort selber zu geben. In beiden Fällen verstehe ich Rederechtsübernahmen als Unterstützungsleistungen. Auch verschiedene Formen der Redewiedergabe wurden als Design-Aktivitäten betrachtet, die eine Veränderung der Beteiligungsstruktur bewirken. So kann die direkte Redewiedergabe dazu genutzt werden, bei Verbalisierungsschwierigkeiten vonseiten der SchülerInnen die Beteiligung des Kindes zu verstärken, indem es als AutorIn der wiedergegebenen Rede in dem aktuellen Dialog eingebunden wird. Zudem zeigt sich die animierte Rede in vieler Hinsicht funktional, was im Folgenden separat diskutiert wird. Die sprachliche Praktik der animierten Rede wurde bisher vor allem in Bezug auf Alltagsgespräche untersucht. In der vorliegenden Studie zeigt sich nun zudem, dass die animierte Rede als spezifische Design-Aktivität verstanden werden kann, die in schulischen Beurteilungsgesprächen mit anwesenden SchülerInnen besonders funktional ist. Im Rahmen der besprochenen Komplexität der Beteiligungskonstellation zeigt sich die animierte Rede als Möglichkeit, die Entscheidung zwischen Sprechen mit jemandem oder Sprechen über jemanden zu umgehen und aus der Sicht des Kindes bzw. des / der Jugendlichen selbst zu sprechen. So werden in imaginierten Szenarios Selbst- und Fremdpositionierungen vorgenommen, anhand derer Bewertungen von gegenwärtigen oder zukünftig erwünschten Einstellungen, Verhaltensweisen, Handlungen, Äusserungen oder Gedanken vermittelt werden. Die indirekte und oftmals implizite Bewertung geschieht durch mehrschrittige Kontrastierungen von vermuteten und unerwünschten sowie möglichen und erwünschten Identitätsentwürfen. Wie dies auch für die direkte Redewiedergabe typisch ist, geht mit der Verwendung der animierten Rede eine involvierende Funktion einher. So zeigt sich in den überwiegenden Fällen, dass sich die in animierter Rede dargestellten SchülerInnen jeweils entweder durch Ratifikation oder Widerspruch bzw. Reparatur zu dem Gesagten positionieren. <?page no="397"?> 9.2 Ausblick I: Forschungsdesiderate 397 Zudem wird die animierte Rede als Veranschaulichungsverfahren genutzt, um bei antizipierten Verstehensproblemen der SchülerInnen das Gesagte zu konkretisieren. Beispielsweise konnte gezeigt werden, wie sich v. a. die Lehrperson im Gespräch mit Marc an der schülerseitigen Zurückhaltung bezüglich der Entscheidung zu Schulbesuch bzw. Schulwechsel orientiert und die Veranschaulichung durch die animierte Rede dafür nutzt, ihn schrittweise von der Idee zu überzeugen (vgl. Beispiel # 80 in Kap. 7.2.2). Die Strategie der animierten Rede wird im vorliegenden Korpus nur in denjenigen Gesprächen genutzt, bei denen die SchülerInnen mitanwesend sind. Dies deutet darauf hin, dass die Beteiligtenkonstellation die Funktionalität beeinflusst und demnach die animierte Rede eine spezifische Design-Aktivität bei anwesenden Lehrpersonen, Eltern und SchülerInnen in Beurteilungsgesprächen darstellt. Und schliesslich wurde die schriftliche Selbstbeurteilung von SchülerInnen sowie deren Bearbeitung im Beurteilungsgespräch untersucht. Da es sich dabei um ein neueres Beurteilungsformat handelt, wurde diese Praktik in der Forschung noch wenig beachtet. Die Analysen zeigen, dass es sich bisweilen eher um eine Pseudo-Inklusion der SchülerInnen handelt. Und auch wenn es im Gespräch zu weiteren Bearbeitungen und Aushandlungen der Selbstbeurteilungen kommt, dominiert dabei meist die Sicht der Lehrperson und es kommt nicht selten zur Beurteilung der Selbstbeurteilung. Dennoch konnte in einigen Gesprächssequenzen auch ein grundlegendes Potenzial des Einbezugs schriftlicher Selbstbeurteilungen aufgezeigt werden. 9.2 Ausblick I: Forschungsdesiderate Ausgehend von den Analysen und den Ergebnissen möchte ich im Weiteren Forschungsdesiderate zu ausgewählten Bereichen formulieren. Die Erkenntnisse in dieser Studie basieren auf einem Korpus von Audioaufnahmen. Zwar geben diese Daten bereits viele Einblicke in die kommunikative Praxis des schulischen Beurteilungsgesprächs, jedoch wäre es beispielsweise in Bezug auf das Recipient Design und die entsprechenden Design-Aktivitäten aufschlussreich, die gesamten multimodal konstituierten Interaktionsereignisse zu betrachten. Zukünftige Forschungsprojekte, die sich mit dem Recipient Design in institutionellen, aber auch alltäglichen Kontexten befassen, sollten daher nach Möglichkeit auch Videoaufnahmen einbeziehen. Für die vorliegende Studie wurde ein heterogenes Korpus gewählt, was den Vorteil hatte, dass die soziale Wirklichkeit des untersuchten Gesprächstyps in der Breite abgebildet werden konnte. Gerade zu einem Zeitpunkt, als der Ge- <?page no="398"?> 398 9 Schlussbetrachtungen sprächstyp noch nahezu als unerforscht galt, war ein Weitblick sinnvoll. Jedoch würde es sich für zukünftige Forschungen zu Beurteilungsgesprächen anbieten, basierend auf bereits erlangten Ergebnissen einzelne Aspekte zu fokussieren und entsprechend homogene Gruppen zu untersuchen. So liessen sich Spezifika einzelner Gesprächstypen (z. B. reguläre Standortgespräche versus freiwillige Elternsprechstundengespräche, Gespräche mit / ohne Selbstbeurteilungsbögen etc.) gezielt erfassen und auch altersspezifische Faktoren könnten besser berücksichtigt werden. In dieser Studie lag der Fokus auf den tatsächlichen Interaktionen und hierfür bietet die Gesprächsanalyse mit dem mikroskopischen Blick auf die Gesprächsereignisse die passenden Analysewerkzeuge. Jedoch wären m. E. auch ergänzende Erhebungsmethoden denkbar, die das kommunikative Ereignis noch aus anderen Blickwinkeln zu erfassen vermögen. So wäre eine Methodentriangulation erfolgsversprechend, die auch die Auswertung von Interviews und / oder Fragebögen mit den verschiedenen Beteiligten zum Ziel hätte. Diese zusätzlichen Ergebnisse könnten neben den gesprächsanalytischen Analysen dafür genutzt werden, das nötige Berufswissen für (angehende) Lehrpersonen aufzubereiten. Um Fragen des Transfers in die Praxis geht es nun im abschliessenden Kapitel. 9.3 Ausblick II: Praktische Relevanz für (angehende) Lehrpersonen Ein dringendes Forschungsdesiderat besteht insbesondere darin, aufbauend auf der Grundlagenforschung Trainings für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen zu konzipieren. Denn in Umfragen liessen sich Unsicherheiten oder auch Unzufriedenheit in Bezug auf den Gesprächstyp feststellen und es wird immer wieder bemängelt und teilweise durch Befragungen bestätigt, dass die Schulungsangebote für (angehende) Lehrpersonen im Bereich der professionellen Gesprächsführung mit Eltern fehlend oder unzureichend sind (vgl. z. B. Gartmeier et al. 2011; Gartmeier et al. 2012; Hertel et al. 2013; Lemmer 2011; 2012; Minke & Anderson 2003; Walker 1998). Zugleich bringe ich den erschwerten Feldzugang, den ich wie auch andere in diesem Gebiet beschrieben haben, damit in Verbindung, dass es vielen Lehrpersonen an einem Selbstverständnis über ihre Gesprächskompetenzen mangelt. Das will nicht heissen, dass ihnen die notwendigen Kompetenzen fehlen, sondern dass keine Gewissheit oder keine Metaebene über das eigene Tun und Wirken in den Interaktionen vorhanden ist. Wenn das Agieren in dieser spezifischen Gesprächskonstellation nicht oder nicht genügend im Vorfeld reflektiert wird, kann eine Unsicherheit und damit verbunden ein Unwille entstehen, bei diesen Gesprächen beobachtet zu werden. <?page no="399"?> 9.3 Ausblick II: Praktische Relevanz für (angehende) Lehrpersonen 399 Da die Analysen in Bezug auf die Beteiligtenkonstellationen, die Positionierungen und die Beurteilungen diverse Problemstrukturen aufgezeigt haben, die nicht umgangen werden können (vgl. auch Bennewitz & Wegner 2015: 102), ist eine entsprechende Reflexion in der Aus- und Weiterbildung höchstrelevant. Für Schulungen können beispielsweise Gesprächsdaten von Drittpersonen oder aber von den zu schulenden Personen selbst verwendet werden (vgl. z. B. Finlay, Walton & Antaki 2011: 161). Ausserdem berichtet Seib (2009) vom erfolgreichen Einsatz transkribierter Rollenspiele in Ausbildungsseminaren. So hat sie aufgrund des Mangels an authentischen Gesprächsdaten in ihren Seminaren Beurteilungsgespräche als Rollenspiele durchgeführt und diese anschliessend von den Seminarteilnehmenden transkribieren und analysieren lassen. Trotz den fingierten Interaktionen seien durch die Analyse der Transkripte viele Problemstrukturen erfasst und für die Reflexion zugänglich gemacht worden (vgl. Seib 2009: 109 ff.). Die neben der vorliegenden Studie in jüngster Zeit entstandenen Forschungsprojekte zu Beurteilungsgesprächen werden in naher Zukunft die Arbeit an authentischen Transkriptausschnitten ermöglichen. Jedoch bedarf die Konzeption solcher Schulungsangebote gemäss Bendel (2004) einer gesonderten Gegenstandsanalyse, da die Frage nach Normen in der Gesprächsanalyse und der Angewandten Gesprächsanalyse unterschiedlich angegangen wird. Sie warnt dann auch vor einem unreflektierten „Wechsel von der grundlagenorientierten Deskription zur anwendungsorientierten Präskription von Gesprächen“ (Bendel 2004: 67, Hervorhebung im Original). Erste praxisnahe Überlegungen zu Beurteilungsgesprächen präsentieren Meer und Wegner (2015), indem sie basierend auf Problemstrukturen in Elternsprechtagsgesprächen das professionelle Handeln von Lehrpersonen analysieren. Es wäre wünschenswert, aufbauend auf der Grundlagenforschung zu Beurteilungsgesprächen sowie auf bisherigen Erkenntnissen der Angewandten Gesprächsforschung zu Kommunikationstrainings (vgl. z. B. die Aufsätze in Birkner & Stukenbrock 2009; Fiehler 1999; 2001b; 2012; Meer 2001) in zukünftigen Projekten konkrete Schulungsangebote zu konzipieren und dann schliesslich dafür zu sorgen, dass der Transfer in die Praxis möglichst breit umgesetzt wird. Das Ziel soll sein, dass alle Lehrpersonen im Rahmen ihrer Ausbildung die Möglichkeit erhalten, sich vertieft mit dem kommunikativen Handeln in Beurteilungsgesprächen auseinanderzusetzen. Die Analyse von authentischen Gesprächsdaten ist dabei besonders erfolgsversprechend. <?page no="401"?> Literaturverzeichnis 401 Literaturverzeichnis Ackermann, Ulrike (2014): Soziale Positionierungen von LehrerInnen in der Elternsprechstunde. Zur ‚Gesprächssteuerung’ im institutionellen Gesprächstyp ‚Elterngespräch’. Freiburger Arbeitspapiere zur germanistischen Linguistik ( FRAGL ) 21, 1-86. [http: / / portal.uni-freiburg.de/ sdd/ fragl/ copy_of_kotthoff2014.21; 26. 09. 2014]. Adelswärd, Viveka / Nilholm, Claes (1998): Discourse about children with mental disablement. An analysis of teacher-parent conferences in special education schools. Language & Education 12(2), 81-98. Allistone, Simon M. (2003): A conversation analytic study of parents’ evening. University of London. [http: / / ethos.bl.uk; 01. 03. 2013]. Antaki, Charles / Widdicombe, Sue (Hrsg.) (1998): Identities in talk . London: Sage Publications. Arminen, Ilkka (2005): Institutional interaction. Studies of talk at work . Aldershot: Ashgate Publishing Ltd. Aronsson, Karin (1991): Facework and control in multi-party talk. A pediatric case study. In: Marková, Ivana / Foppa, Klaus (Hrsg.): Asymmetries in dialogue . Oxford: Harvester Wheatsheaf, 49-74. Aronsson, Karin (1998): Identity-in-interaction and social choreography. Research on Language & Social Interaction 31(1), 75-89. Aronsson, Karin / Rindstedt, Camilla (2011): Alignments and facework in paediatric visits. Toward a social choreography of multiparty talk. In: Candlin, Christopher N. / Sarangi, Srikant (Hrsg.): Handbook of communication in organisations and professions . Berlin: de Gruyter, 121-142. Auer, Peter (1999): Sprachliche Interaktion. Eine Einführung anhand von 22 Klassikern . Tübingen: Niemeyer. Auer, Peter (2000): Was sich ändert und was bleibt. Vorläufiges zu stilistischen Konvergenzen Ost → West am Beispiel von Interviews. In: Auer, Peter / Hausendorf, Heiko (Hrsg.): Kommunikation in gesellschaftlichen Umbruchsituationen. Mikroanalytische Aspekte des sprachlichen und gesellschaftlichen Wandels . Tübingen: Niemeyer, 151-175. Auer, Peter (2005): Projection in interaction and projection in grammar. Text 25(1), 7-36. Auer, Peter / Bauer, Angelika / Birkner, Karin / Kotthoff, Helga (im Druck): Einführung in die Konversationsanalyse . Berlin: de Gruyter. Auer, Peter / Uhmann, Susanne (1982): Aspekte der konversationellen Organisation von Bewertungen. Deutsche Sprache 10, 1-32. AVS (Hrsg.) (2005): Ganzheitlich beurteilen und fördern. Umsetzungshilfe 1./ 2. Klasse ( CD ) . Luzern: Amt für Volksschulbildung. <?page no="402"?> 402 Literaturverzeichnis Baker, Carolyn / Keogh, Jayne (1995): Accounting for achievement in parent-teacher interviews. Human Studies 18(2), 263-300. Bamberg, Michael / Georgakopoulou, Alexandra (2008): Small stories as a new perspective in narrative and identity analysis. Text & Talk 28(3), 377-396. Bamberg, Michael (1997): Positioning between structure and performance. Journal of narrative and life history 7(1-4), 335-342. Bauer, Angelika (2009): Miteinander im Gespräch bleiben. Partizipation in aphasischen Alltagsgesprächen . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Baurmann, Jürgen / Cherubim, Dieter / Rehbock, Helmut (Hrsg.) (1981): Neben-Kommunikation. Beobachtungen und Analysen zum nichtoffiziellen Schülerverhalten innerhalb und ausserhalb des Unterrichts . Braunschweig: Westermann. Becker-Mrotzek, Michael / Böttcher, Ingrid (2012): Schreibkompetenz entwickeln und beurteilen . 4., überarb. Neuaufl. Berlin: Cornelsen. Becker-Mrotzek, Michael / Vogt, Rüdiger (2009): Unterrichtskommunikation. Linguistische Analysemethoden und Forschungsergebnisse . 2., bearb. und aktual. Aufl. Tübingen: Max Niemeyer. Beier, Irene M. (2012): Gespräche auf Augenhöhe. Ein Leitfaden für den Dialog zwischen Lehrern, Eltern und Schülern . Seelze: Kallmeyer. Bell, Allan (1984): Language style as audience design. Language in Society 13(2), 145-204. Bell, Allan (2001): Back in style. Reworking audience design. In: Eckert, Penelope / Rickford, John R. (Hrsg.): Style and sociolinguistic variation . Cambridge: Cambridge University Press, 139-169. Bendel, Sylvia (2004): Gesprächskompetenz vermitteln - Angewandte Forschung? In: Becker-Mrotzek, Michael / Brünner, Gisela (Hrsg.): Analyse und Vermittlung von Gesprächskompetenz . Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung, 67-85. Bennewitz, Hedda / Wegner, Lars (2015): „da hast du dich irgendwie gar nich gemeldet“. Die Aushandlung von Verantwortungsübernahme in Elternsprechtagsgesprächen. Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 35(1), 86-105. Berenst, Jan / Mazeland, Harrie (2008): Typifying and sorting. The construction of pupil-identity types in staff meetings. In: Deen, Jeanine / Hajer, Maaike / Koole, Tom (Hrsg.): Interaction in two multicultural mathematics classrooms. Mechanisms of inclusion and exclusion . Amsterdam: Aksant, 235-266. Bergmann, Jörg R. (1981): Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In: Schröder, Peter / Steger, Hugo (Hrsg.): Dialogforschung. Jahrbuch 1980 des Instituts für deutsche Sprache . Düsseldorf: Schwann, 9-51. Bergmann, Jörg R. (1988): Ethnomethodologie und Konversationsanalyse . Bd. I- III . Hagen: FernUniversität Hagen. Bernhard, Judith K. / Lefebvre, Marie Louise / Kilbride, Kenise Murphy / Chud, Gyda / Lange, Rika (1998): Troubled relationships in early childhood education. Parentteacher interactions in ethnoculturally diverse child care settings. Early Education & Development 9(1), 5-28. <?page no="403"?> Literaturverzeichnis 403 Berufsauftrag- LP Kanton BE (2015): Berufsauftrag Kindergarten & Volksschule. [http: / / www.erz.be.ch/ erz/ de/ index/ kindergarten_volksschule/ kindergarten_volksschule/ anstellungen_lehrpersonen/ Berufsauftrag.html; 19. 04. 2015]. Berufsauftrag- LP Schweiz (2007): Berufsauftrag Primar- und Sekundarstufe I. Zusammenstellung der kantonalen Gesetzessammlungen durch die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren ( EDK ). [http: / / edudoc.ch/ record/ 3784/ files/ Berufsauftrag.pdf; 19. 04. 2015]. Birkner, Karin (2006): (Relativ-)Konstruktionen zur Personenattribuierung: „ich bin n=mensch der…“. In: Günthner, Susanne / Imo, Wolfgang (Hrsg.): Konstruktionen in der Interaktion . Berlin: de Gruyter, 205-237. Birkner, Karin (2008): Relativ(satz)konstruktionen im gesprochenen Deutsch. Syntaktische, prosodische, semantische und pragmatische Aspekte . Berlin: de Gruyter. Birkner, Karin (2011): Vorwort. In: Birkner, Karin / Meer, Dorothee (Hrsg.): Institutionalisierter Alltag. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in unterschiedlichen Praxisfeldern . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 2-7. Birkner, Karin / Ehmer, Oliver (Hrsg.) (2013): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Birkner, Karin / Meer, Dorothee (Hrsg.) (2011): Institutionalisierter Alltag. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in unterschiedlichen Praxisfeldern . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Birkner, Karin / Stukenbrock, Anja (Hrsg.) (2009): Die Arbeit mit Transkripten in Fortbildung, Lehre und Forschung . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Boden, Deirdre / Zimmerman, Donald H. (Hrsg.) (1991): Talk and social structure. Studies in ethnomethodology and conversation analysis . Cambridge: Polity Press. Boettcher, Wolfgang / Limburg, Anika / Meer, Dorothee / Zegers, Vera (Hrsg.) (2005): „ich komm (0) weil ich wohl etwas das thema meiner hausarbeit etwas verfehlt habe,“ - Sprechstundengespräche an der Hochschule. Ein Transkriptband . Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. Bohl, Thorsten (2009): Prüfen und Bewerten im Offenen Unterricht . 4., neu ausgestattete Aufl. Weinheim: Beltz. Bonanati, Marina (2014): Lernentwicklungsgespräche. Gespräche über individuelle Lernprozesse? In: Kopp, Bärbel et al. (Hrsg.): Individuelle Förderung und Lernen in der Gemeinschaft . Wiesbaden: Springer, 138-141. Bonanati, Marina (2015): Steuerung der Schülerselbsteinschätzung in Lernentwicklungsgesprächen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 207-225. Bortz, Jürgen / Döring, Nicola (2006): Forschungsmethoden und Evaluation . 4., überarb. Aufl. Heidelberg: Springer. Bourdieu, Pierre / Passeron, Jean-Claude (1973): Grundlagen einer Theorie der symbolischen Gewalt . Frankfurt a. M.: Suhrkamp [franz. Original 1970, Editions de Minuit]. Bredel, Ursula (1999): Erzählen im Umbruch. Studie zur narrativen Verarbeitung der ‚Wende’ 1989 . Tübingen: Stauffenburg. <?page no="404"?> 404 Literaturverzeichnis Breidenstein, Georg (2006): Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schülerjob . Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Breidenstein, Georg / Kelle, Helga (1998): Geschlechteralltag in der Schulklasse. Ethnographische Studien zur Gleichaltrigenkultur . Weinheim: Juventa. Brinker, Klaus / Sager, Sven F. (2010): Linguistische Gesprächsanalyse. Eine Einführung . 5., neu bearb. Aufl. Berlin: Erich Schmidt. Brock, Alexander / Meer, Dorothee (2004): Macht-Hierarchie-Dominanz-A-/ Symmetrie. Begriffliche Überlegungen zur kommunikativen Ungleichheit in institutionellen Gesprächen. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 5, 184-209. Brown, Penelope / Levinson, Stephen C. (1978): Universals in language usage. Politeness phenomena. In: Goody, Esther N. (Hrsg.): Questions and politeness. Strategies in social interaction . Cambridge: Cambridge University Press, 56-311. Brown, Penelope / Levinson, Stephen C. (1987): Politeness. Some universals in language usage . Cambridge: Cambridge University Press. Brünner, Gisela (1991): Redewiedergabe in Gesprächen. Deutsche Sprache 19, 1-15. Brünner, Gisela (2005): Kommunikation in institutionellen Lehr-Lern-Prozessen. Diskursanalytische Untersuchungen zu Instruktionen in der betrieblichen Ausbildung . Online- Neuauflage [1. Aufl. 1987, Gunter Narr]. Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. Brünner, Gisela (2013): Vermittlungsstrategien in Gesundheitssendungen. Die Rolle von Metaphern, Vergleichen und anderen Verfahren der Veranschaulichung. In: Birkner, Karin / Ehmer, Oliver (Hrsg.): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 18-43. Brünner, Gisela / Gülich, Elisabeth (2002): Verfahren der Veranschaulichung in der Experten-Laien-Kommunikation. In: Brünner, Gisela / Gülich, Elisabeth (Hrsg.): Krankheit verstehen. Interdisziplinäre Beiträge zur Sprache in Krankheitsdarstellungen . Bielefeld: Aisthesis, 17-93. Bublitz, Wolfram / Bednarek, Monika (2006): Reported Speech. Pragmatic Aspects (Art, ID 0369). In: Brown, Keith (Hrsg.): Encyclopedia of language and linguistics . Oxford: Elsevier, 550-553. Bucholtz, Mary / Hall, Kira (2005): Identity and interaction. A sociocultural linguistic approach. Discourse Studies 7(4-5), 585-614. Burger, Harald / Günther, Ulla / Häcki Buhofer, Annelies / Rüegg, Regula / Schneider, Hansjakob (1998): Richtlinien zur Transkription von Texten. Intern verwendetes Manuskript. Deutsches Seminar der Universität Zürich. Burger, Harald / Luginbühl, Martin (2014): Mediensprache. Eine Einführung in Sprache und Kommunikationsformen der Massenmedien . 4., neu bearb. und erw. Aufl. Berlin: de Gruyter. Butler, Carly W. / Wilkinson, Ray (2013): Mobilising recipiency. Child participation and ‚rights to speak’ in multi-party family interaction. Journal of Pragmatics 50(1), 37-51. <?page no="405"?> Literaturverzeichnis 405 Cedersund, Elisabet / Svensson, Lennart G. (1996): A ‚good’ or a ‚bad’ student. A study of communication in class assessment meetings. Language & Education 10(2-3), 132-150. Channell, Joanna (1994): Vague language . Oxford: Oxford University Press. Charmaz, Kathy (1995): Grounded theory. In: Smith, Jonathan A. / Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.): Rethinking methods in psychology . London: Sage Publications, 27-49. Cheatham, Gregory A. / Ostrosky, Michaelene M. (2011): Whose expertise? An analysis of advice giving in early childhood parent-teacher conferences. Journal of Research in Childhood Education 25(1), 24-44. Cheatham, Gregory A. / Ro, Yeonsun Ellie (2011a): Communication between early educators and parents who speak English as a second language. A semantic and pragmatic perspective. Early Childhood Education Journal 39(4), 249-256. Cheatham, Gregory A. / Ro, Yeonsun Ellie (2011b): A linguistic perspective on communication with parents who speak English as a second language. Phonology, morphology and syntax. Early Child Development & Care 181(9), 1247-1260. Clark, Herbert H. (1996): Using language . Cambridge: Cambridge University Press. Clark, Herbert H. / Brennan, Susan E. (1991): Grounding in communication. In: Resnick, Lauren B. / Levine, John M. / Teasley, Stephanie D. (Hrsg.): Perspectives on socially shared cognition . Washington: APA Books, 127-149. Clark, Herbert H. / Gerrig, Richard J. (1990): Quotations as demonstrations. Language 66(4), 764-805. Clark, Herbert H. / Schaefer, Edward F. (1989): Contributing to discourse. Cognitive Science 13(2), 259-294. Clemente, Ignasi (2009): Progressivity and participation. Children’s management of parental assistance in paediatric chronic pain encounters. Sociology of Health & Illness 31(6), 872-888. Clemente, Ignasi / Lee, Seung-Hee / Heritage, John (2008): Children in chronic pain. Promoting pediatric patients’ symptom accounts in tertiary care. Social Science & Medicine 66, 1418-1428. Crowne, Douglas P. / Marlowe, David (1960): A new scale of social desirability independent of psychopathology. Journal of Consulting Psychology 24(4), 349-354. Davies, Bronwyn / Harré, Rom (1990): Positioning. The discursive production of selves. Journal for the Theory of Social Behaviour 20(1), 43-63. Davies, Bronwyn / Harré, Rom (1999): Positioning and personhood. In: Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.): Positioning theory. Moral contexts of intentional action . Oxford: Blackwell, 32-52. Deppermann, Arnulf (2000): Ethnographische Gesprächsanalyse. Zu Nutzen und Notwendigkeit von Ethnographie für die Konversationsanalyse. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 1, 96-124. Deppermann, Arnulf (2008a): Gespräche analysieren. Eine Einführung . 4. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. <?page no="406"?> 406 Literaturverzeichnis Deppermann, Arnulf (2008b): Verstehen im Gespräch. In: Kämper, Heidrun / Eichinger, Ludwig M. (Hrsg.): Sprache - Kognition - Kultur. Sprache zwischen mentaler Struktur und kultureller Prägung . Berlin: de Gruyter, 225-261. Deppermann, Arnulf (2013a): Analytikerwissen, Teilnehmerwissen und soziale Wirklichkeit in der ethnographischen Gesprächsanalyse. In: Hartung, Martin / Deppermann, Arnulf (Hrsg.): Gesprochenes und Geschriebenes im Wandel der Zeit . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 32-59. Deppermann, Arnulf (2013b): How to get a grip on identities-in-interaction. (What) Does ‚Positioning’ offer more than ‚Membership categorization’? Evidence from a mock story. Narrative Inquiry 23(1), 62-88. Deppermann, Arnulf (2015): Wissen im Gespräch. Voraussetzung und Produkt, Gegenstand und Ressource. Interaction & Linguistic Structures (InLiSt) 57, 1-31. [http: / / www.inlist.uni-bayreuth.de/ issues/ 57/ index.htm; 07. 12. 2015]. Deppermann, Arnulf / Blühdorn, Hardarik (2013): Negation als Verfahren des Adressatenzuschnitts. Verstehenssteuerung durch Interpretationsrestriktionen. Deutsche Sprache 41(1), 6-30. Dieth, Eugen (1986): Schwyzertütschi Dialäktschrift. Dieth-Schreibung . 2. Aufl. Aarau: Sauerländer. Dimova, Anna (1981): Die Polysemie des deutschen Pronomens ‚man’ unter Berücksichtigung seiner Äquivalente im Bulgarischen. Deutsch als Fremdsprache 18(1), 38-44. Drew, Paul / Heritage, John (1992a): Analyzing talk at work. An introduction. In: Drew, Paul / Heritage, John (Hrsg.): Talk at work. Interaction in institutional settings . Cambridge: Cambridge University Press, 3-65. Drew, Paul / Heritage, John (Hrsg.) (1992b): Talk at work. Interaction in institutional settings . Cambridge: Cambridge University Press. Drew, Paul / Sorjonen, Marja-Leena (1997): Institutional dialogue. In: van Dijk, Teun A. (Hrsg.): Discourse as social interaction . Bd. 2. London: Sage Publications, 92-118. Edwards, Allen L. (1957): The social desirability variable in personality assessment and research . Ft Worth: Dryden Press. Ehlich, Konrad / Rehbein, Jochen (1980): Sprache in Institutionen. In: Althaus, Hans Peter / Henne, Helmut / Wiegand, Herbert Ernst (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik . 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl. Tübingen: Niemeyer, 338-345. Ehlich, Konrad / Rehbein, Jochen (1983): Kommunikation in Schule und Hochschule. Linguistische und ethnomethodologische Analysen . Tübingen: Gunter Narr. Ehlich, Konrad / Rehbein, Jochen (1986): Muster und Institution. Untersuchungen zur schulischen Kommunikation . Tübingen: Gunter Narr. Ehmer, Oliver (2011): Imagination und Animation. Die Herstellung mentaler Räume durch animierte Rede . Berlin: de Gruyter. Ehmer, Oliver (2013): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch. In: Birkner, Karin / Ehmer, Oliver (Hrsg.): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 2-17. <?page no="407"?> Literaturverzeichnis 407 Epstein, Joyce L. (1987): Toward a theory of family-school connections. Teacher practices and parent involvement. In: Hurrelmann, Klaus / Kaufmann, Franz-Xaver / Lösel, Friedrich (Hrsg.): Social intervention. Potential and constraints . Oxford: de Gruyter, 121-136. Epstein, Joyce L. (1995): School / family / community partnerships. Caring for the children we share. Phi Delta Kappan 76(9), 701-712. Epstein, Joyce L. / Sanders, Mavis G. (2002): Family, school, and community partnerships. In: Bornstein, Marc H. (Hrsg.): Handbook of parenting . 2. Aufl. Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates, 407-437. Fiehler, Reinhard (1999): Kann man Kommunikation lehren? Zur Veränderbarkeit von Kommunikationsverhalten durch Kommunikationstraining. In: Brünner, Gisela / Fiehler, Reinhard / Kindt, Walther (Hrsg.): Angewandte Diskursforschung. Methoden und Anwendungsbereiche . Bd. 2. Opladen: Westdeutscher Verlag, 18-35. Fiehler, Reinhard (2001a): Emotionalität im Gespräch. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1425-1438. Fiehler, Reinhard (2001b): Gesprächsanalyse und Kommunikationstraining. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1697-1710. Fiehler, Reinhard (2012): Woher weiß der Kommunikationstrainer, wie man es besser macht? Bewertungen und Normen in berufsbezogenen Kommunikationstrainings. In: Günthner, Susanne / Imo, Wolfgang / Meer, Dorothee / Schneider, Jan Georg (Hrsg.): Kommunikation und Öffentlichkeit. Sprachwissenschaftliche Potenziale zwischen Empirie und Norm . Berlin: de Gruyter, 249-265. Finlay, W. M. L. / Walton, Chris / Antaki, Charles (2011): Giving feedback to care staff about offering choices to people with intellectual disabilities. In: Antaki, Charles (Hrsg.): Applied conversation analysis. Intervention and change in institutional talk . Basingstoke: Palgrave Macmillan, 161-183. Fischbach, Julia (2015): „Hast du denn ne Idee, wofür das gut sein kann? “. Aufgaben und Anforderungen von Lehrkräften in Rückmeldegesprächen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 54-71. Fitzgerald, Richard (2012): Membership categorization analysis. Wild and promiscuous or simply the joy of Sacks? Discourse Studies 14(3), 305-311. Förster, Rosalie (2015): „Also ich mein, sie komm_n ja vom Fach“. Referieren und Positionieren in Elterngesprächen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 181-206. Förstl, Hans (Hrsg.) (2012a): Theory of Mind. Neurobiologie und Psychologie sozialen Verhaltens . 2., überarb. u. aktual. Aufl. Berlin: Springer. <?page no="408"?> 408 Literaturverzeichnis Förstl, Hans (2012b): Theory of Mind. Anfänge und Ausläufer. In: Förstl, Hans (Hrsg.): Theory of Mind. Neurobiologie und Psychologie sozialen Verhaltens . 2., überarb. u. aktual. Aufl. Berlin: Springer, 3-11. Foucault, Michel (1977): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses . Frankfurt a. M.: Suhrkamp [franz. Original 1975, Gallimard]. Garfinkel, Harold (1967): Studies in ethnomethodology . Englewood Cliffs: Prentice Hall [Repr. 2004, Polity Press]. Garfinkel, Harold / Sacks, Harvey (1970): On formal structures of practical actions. In: McKinney, John C. / Tiryakian, Edward A. (Hrsg.): Theoretical sociology . New York: Appleton Century Crofts, 337-366. Garrod, Simon / Pickering, Martin J. (2009): Joint action, interactive alignment, and dialog. Topics in Cognitive Science 1(2), 292-304. Gartmeier, Martin / Bauer, Johannes / Fischer, Martin R. / Karsten, Gudrun / Prenzel, Manfred (2011): Modellierung und Assessment professioneller Gesprächsführungskompetenz von Lehrpersonen im Lehrer-Elterngespräch. In: Zlatkin-Troitschanskaia, Olga (Hrsg.): Stationen Empirischer Bildungsforschung. Traditionslinien und Perspektiven . Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Gartmeier, Martin / Bauer, Johannes / Noll, Anne / Prenzel, Manfred (2012): Welchen Problemen begegnen Lehrkräfte beim Führen von Elterngesprächen? Und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Vermittlung von Gesprächsführungskompetenz? DDS - Die Deutsche Schule 104(4), 374-382. Giles, Howard / Coupland, Nikolas / Coupland, Justine (1991): Accommodation theory. Communication, context, and consequence. In: Contexts of accommodation. Developments in applied sociolinguistics . Cambridge: Cambridge University Press, 1-68. Giles, Howard / Powesland, Peter F. (1975): Speech style and social evaluation . London: Academic Press. Glaser, Barney G. / Strauss, Anselm L. (1967): The discovery of grounded theory. Strategies for qualitative research . New York: Aldine de Gruyter. Goffman, Erving (1955): On face-work. An analysis of ritual elements in social interaction. Psychiatry - Journal for the Study of Interpersonal Processes 18(3), 213-231. Goffman, Erving (1956): The nature of deference and demeanor. American Anthropologist 58(3), 473-502. Goffman, Erving (1959): The presentation of self in everyday life . Garden City, N. Y.: Doubleday & Company. Goffman, Erving (1967): Interaction ritual. Essays on face-to-face behavior . Garden City, N. Y.: Doubleday. Goffman, Erving (1972): Relations in public. Microstudies of the public order . Harmondsworth: Penguin Books. Goffman, Erving (1974): Frame analysis. An essay on the organization of experience . New York: Harper and Row. Goffman, Erving (1976): Replies and responses. Language in Society 5(3), 257-313. Goffman, Erving (1979): Footing. Semiotica 25(1-2), 1-30. Goffman, Erving (1981): Forms of talk . Oxford: Basil Blackwell. <?page no="409"?> Literaturverzeichnis 409 Goffman, Erving (1983): The interaction order. American Sociological Review 48(1), 1-17. Goodwin, Charles (1981): Conversational organization. Interaction between speakers and hearers . New York: Academic Press. Goodwin, Charles (1986): Audience diversity, participation and interpretation. Text 6(3), 283-316. Goodwin, Charles (2007): Interactive footing. In: Holt, Elizabeth / Clift, Rebecca (Hrsg.): Reporting talk. Reported speech in interaction . Cambridge: Cambridge University Press, 16-46. Green, Georgia M. (1989): Pragmatics and natural language understanding . Hillsdale: Lawrence Erlbaum. Grice, H. Paul (1975): Logic and conversation. In: Cole, Peter / Morgan, Jerry L. (Hrsg.): Speech acts . New York: Academic Press, 41-58. Grigorieva, Ioulia (2015): Widerspruchskommunikation in mehrsprachig-interkulturellen Elternsprechtagsgesprächen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 99-124. Grundler, Elke (2011): Kompetent argumentieren. Ein gesprächsanalytisch fundiertes Modell . Tübingen: Stauffenburg. Gülich, Elisabeth / Mondada, Lorenza (2008): Konversationsanalyse. Eine Einführung am Beispiel des Französischen . Tübingen: Max Niemeyer. Günthner, Susanne (1997): Direkte und indirekte Rede in Alltagsgesprächen. Zur Interaktion von Syntax und Prosodie in der Redewiedergabe. In: Schlobinski, Peter (Hrsg.): Syntax des gesprochenen Deutsch . Opladen: Westdeutscher Verlag, 227-262. Günthner, Susanne (1999): Polyphony and the ‚layering of voices’ in reported dialogues. An analysis of the use of prosodic devices in everyday reported speech. Journal of Pragmatics 31(5), 685-708. Günthner, Susanne (2000a): Zwischen direkter und indirekter Rede. Formen der Redewiedergabe in Alltagsgesprächen. Zeitschrift für germanistische Linguistik 28(1), 1-22. Günthner, Susanne (2000b): Vorwurfsaktivitäten in der Alltagsinteraktion. Grammatische, prosodische, rhetorisch-stilistische und interaktive Verfahren bei der Konstitution kommunikativer Muster und Gattungen . Tübingen: Niemeyer. Günthner, Susanne (2002): Stimmenvielfalt im Diskurs. Formen der Stilisierung und Ästhetisierung in der Redewiedergabe. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 3, 59-80. Günthner, Susanne (2009): Eine Grammatik der Theatralität? Grammatische und prosodische Inszenierungsverfahren in Alltagserzählungen. In: Buss, Mareike / Habscheid, Stephan / Jautz, Sabine / Liedtke, Frank / Schneider, Jan-Georg (Hrsg.): Theatralität des sprachlichen Handelns. Eine Metaphorik zwischen Linguistik und Kulturwissenschaften . München: Fink, 293-317. Haakana, Markku (2002): Laughter in medical interaction. From quantification to analysis, and back. Journal of Sociolinguistics 6(2), 207-235. <?page no="410"?> 410 Literaturverzeichnis Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.) (1999a): Positioning theory. Moral contexts of intentional action . Oxford: Blackwell. Harré, Rom / van Langenhove, Luk (1999b): The dynamics of social episodes. In: Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.): Positioning theory. Moral contexts of intentional action . Oxford: Blackwell, 1-13. Hartung, Martin (2001): Formen der Adressiertheit der Rede. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1348-1355. Hattie, John (2009): Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement . Abingdon: Routledge. Hausendorf, Heiko / Quasthoff, Uta M. (2005): Sprachentwicklung und Interaktion. Eine linguistische Studie zum Erwerb von Diskursfähigkeiten . Radolfzell: Verlag für Gesprächsforschung. Hauser, Stefan (2015): Zur Ambivalenz vertauschter Beteiligungsrollen. Wenn Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Zuweisungsgespräche moderieren. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 257-285. Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (2015a): Schulische Elterngespräche. Einführende Anmerkungen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 9-17. Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.) (2015b): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep. Heidtmann, Daniela / Föh, Marie-Joan (2007): Verbale Abstinenz als Form interaktiver Beteiligung. In: Schmitt, Reinhold (Hrsg.): Koordination. Analysen zur multimodalen Interaktion . Tübingen: Gunter Narr, 263-292. Helmke, Andreas (2012): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts . 4. Aufl. Seelze-Velber: Klett-Kallmeyer. Henne, Helmut / Rehbock, Helmut (2001): Einführung in die Gesprächsanalyse . 4., durchges. und bibliogr. erg. Aufl. Berlin: de Gruyter. Heritage, John (1984a): Garfinkel and ethnomethodology . Cambridge: Polity Press. Heritage, John (1984b): A change-of-state token and aspects of its sequential placement. In: Atkinson, J. Maxwell / Heritage, John (Hrsg.): Structures of social action. Studies in conversation analysis . Cambridge: Cambridge University Press, 299-345. Heritage, John (2004): Conversation analysis and institutional talk. Analysing data. In: Silverman, David (Hrsg.): Qualitative research. Theory, method and practice . 2. Aufl. London: Sage Publications, 222-245. Heritage, John / Clayman, Steven (2010): Talk in action. Interactions, identities, and institutions . Malden: Wiley-Blackwell. Heritage, John / Raymond, Geoffrey (2005): The terms of agreement. Indexing epistemic authority and subordination in talk-in-interaction. Social Psychology Quarterly 68(1), 15-38. <?page no="411"?> Literaturverzeichnis 411 Hertel, Silke / Bruder, Simone / Jude, Nina / Steinert, Brigitte (2013): Elternberatung an Schulen im Sekundarbereich. Schulische Rahmenbedingungen, Beratungsangebote der Lehrkräfte und Nutzung von Beratung durch die Eltern. In: Jude, Nina / Klieme, Eckhard (Hrsg.): PISA 2009. Impulse für die Schul- und Unterrichtsforschung . Weinheim: Beltz, 40-62. Hester, Stephen / Eglin, Peter (1997): Membership categorization analysis. An introduction. In: Hester, Stephen / Eglin, Peter (Hrsg.): Culture in action. Studies in membership categorization analysis . Lanham: University Press of America, 1-23. Hitzler, Sarah (2012): Aushandlung ohne Dissens? Praktische Dilemmata der Gesprächsführung im Hilfeplangespräch . Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Hitzler, Sarah (2013): Recipient Design in institutioneller Mehrparteieninteraktion. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 14, 110-132. Hollway, Wendy (1984): Gender difference and the production of subjectivity. In: Henriques, Julian / Hollway, Wendy / Urwin, Cathy / Venn, Couze / Walkerdine, Valerie (Hrsg.): Changing the subject. Psychology, social regulation and subjectivity . London: Methuen, 227-263. Howard, Kathryn M. / Lipinoga, Sarah (2010): Closing down openings. Pretextuality and misunderstanding in parent-teacher conferences with Mexican immigrant families. Language & Communication 30(1), 33-47. Hrncal, Christine / Gerwinski, Jan (2015): Bewertungstransformationen in der Anschlusskommunikation im Theater. Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik (LiLi) 45(177), 46-65. Hügel, Michaela (2013): Wenn Familien sich und andere(n) Geschichten erzählen. Die narrative Konstitution von Familie durch gemeinsame Positionierungen in der Interaktion . Freiburg i. Br.: Nihin. [http: / / www.freidok.uni-freiburg.de/ volltexte/ 8942/ ; 22. 01. 2014]. Hutchby, Ian (2012): Participation and the institutional agenda in child counselling. Proffering as a means of topic management. In: Baraldi, Claudio / Iervese, Vittorio (Hrsg.): Participation, facilitation, and mediation. Children and young people in their social contexts . New York: Routledge, 87-104. Hutchby, Ian / O’Reilly, Michelle (2010): Children’s participation and the familial moral order in family therapy. Discourse Studies 12(1), 49-64. Hutchby, Ian / Wooffitt, Robin (2008): Conversation analysis . 2. Aufl. Cambridge: Polity Press. Imo, Wolfgang (2009): Inszenierungen eigener und fremder Rede durch Konstruktionen mit dem Verb ‚sagen’. In: Buss, Mareike / Habscheid, Stephan / Jautz, Sabine / Liedtke, Frank / Schneider, Jan-Georg (Hrsg.): Theatralität des sprachlichen Handelns. Eine Metaphorik zwischen Linguistik und Kulturwissenschaften . München: Fink, 319-335. Jefferson, Gail (1978): Sequential aspects of storytelling in conversation. In: Schenkein, Jim (Hrsg.): Studies in the organization of conversational interaction . New York: Academic Press, 219-248. Jefferson, Gail (1985): An exercise in the transcription and analysis of laughter. In: van Dijk, Teun A. (Hrsg.): Discourse and dialogue . London: Academic Press, 25-34. <?page no="412"?> 412 Literaturverzeichnis Jucker, Andreas H. / Smith, Sara W. (1996): Explicit and implicit ways of enhancing common ground in conversations. Pragmatics 6(1), 1-18. Kalthoff, Herbert (1995): Die Erzeugung von Wissen. Zur Fabrikation von Antworten im Schulunterricht. Zeitschrift für Pädagogik 41(6), 925-939. Kangasharju, Helena (1996): Aligning as a team in multiparty conversation. Journal of Pragmatics 26(3), 291-319. Keck, Rudolf W. / Kirk, Sabine (Hrsg.) (2001): Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule. Analysen - Erfahrungen - Perspektiven . Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Knapp, Claudia (2015): Verantwortungsaushandlungen in Eltern-Lehrer-Gesprächen. In: Blömer, Daniel / Lichtblau, Michael / Jüttner, Ann-Kathrin / Koch, Katja / Krüger, Michaela / Werning, Rolf (Hrsg.): Perspektiven auf inklusive Bildung . Wiesbaden: Springer, 150-155. Koerfer, Armin (1979): Zur konversationellen Funktion von ‚ja aber’. Am Beispiel universitärer Diskurse. In: Weydt, Harald (Hrsg.): Die Partikeln der deutschen Sprache . Berlin: de Gruyter, 14-29. Koerfer, Armin (2013): Institutionelle Kommunikation. Zur Methodologie und Empirie der Handlungsanalyse . Online-Neuauflage [1. Aufl. 1994, Westdeutscher Verlag]. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. König, Katharina (2012): Indirekte Formulierungen mit ‚man’ in narrativen Interviews. In: Kersten, Saskia / Ludwig, Christian / Meer, Dorothee / Rüschoff, Bernd (Hrsg.): Language learning and language use. Applied linguistics approaches. Papers selected from the Junior Research Meeting, Essen 2011 . Duisburg: Universitätsverlag Rhein- Ruhr, 57-71. König, Katharina (2013): Generalisieren, Moralisieren. Redewiedergabe in narrativen Interviews als Veranschaulichungsverfahren zur Wissensübermittlung. In: Birkner, Karin / Ehmer, Oliver (Hrsg.): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 201-223. Korn, Melina (2013): Interkulturelle Lehrer-Eltern-Gespräche. (A)Symmetrien und Rollenaushandlungen in der Interaktion zwischen deutschen Lehrkräften und ausländischen Eltern. Unpublizierte Masterarbeit. Universität Bayreuth. Korn, Melina (2014): (A)Symmetrien in der Interaktion zwischen deutschen Lehrkräften und ausländischen Eltern. In: Berg, Frieda / Mende, Yvonne (Hrsg.): Verstehen und Verständigung in der Interaktion . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 77-100. Kotthoff, Helga (1999): Coherent keying in conversational humour. Contextualising joint fictionalisation. In: Bublitz, Wolfram / Lenk, Uta / Ventola, Eija (Hrsg.): Coherence in spoken and written discourse. How to create it and how to describe it . Amsterdam: John Benjamins, 125-152. Kotthoff, Helga (2005): Konversationelle Karikaturen. Über Selbst- und Fremdstilisierungen in Alltagsgesprächen. In: Röcke, Werner / Velten, Hans Rudolf (Hrsg.): Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit . Berlin: de Gruyter, 331-351. <?page no="413"?> Literaturverzeichnis 413 Kotthoff, Helga (2007a): Gemeinsame Herstellung humoristischer Fiktionen im Gespräch. Eine namenlose Sprechaktivität in der spielerischen Modalität. In: Andresen, Helga / Januschek, Franz (Hrsg.): SpracheSpielen . Freiburg i. Br.: Fillibach, 187-213. Kotthoff, Helga (2007b): Oral genres of humor. On the dialectic of genre knowledge and creative authoring. Pragmatics 17(2), 263-296. Kotthoff, Helga (2008): Potentiale der Redewiedergabe im Spannungsfeld von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Spracherwerb, Jugendsprache und Sprachdidaktik. Muttersprache 118(1), 1-26. Kotthoff, Helga (2009): Joint construction of humorous fictions in conversation. An unnamed narrative activity in a playful keying. Journal of Literary Theory 3(2), 195-218. Kotthoff, Helga (2012a): Lehrer(inne)n und Eltern in Sprechstunden an Grund- und Förderschulen. Zur interaktionalen Soziolinguistik eines institutionellen Gesprächstyps. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 13, 290-321. Kotthoff, Helga (2012b): ‚(Un)common ground’ zwischen Lehrer(inne)n und Eltern in schulischen Sprechstunden. Kulturelles Zusammenspiel in interinstitutionellen Gesprächen. Freiburger Arbeitspapiere zur germanistischen Linguistik ( FRAGL ) 2, 2-35. [http: / / portal.uni-freiburg.de/ sdd/ fragl/ kotthoff2012.2/ files/ sprechstunden-2012fragl2.pdf; 24. 03. 2012]. Kotthoff, Helga (2014): Faul wie e Hund. Kritische Eltern in der schulischen Sprechstunde. Schulheft (Themenheft: Elternsprechtag) 155(3 / 14), 32-49. [www.schulheft. at]. Kotthoff, Helga (2015a): Konsensuelles Argumentieren in schulischen Sprechstunden. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 72-98. Kotthoff, Helga (2015b): Narrative constructions of school-oriented parenthood during parent-teacher-conferences. Language & Education 31, 286-303. Labov, William (1968): The reflection of social processes in linguistic structures. In: Fishman, Joshua A. (Hrsg.): Readings in the sociology of language . The Hague: Mouton, 240-251. Labov, William (1972): Some principles of linguistic methodology. Language in Society 1(1), 97-120.Lemmer, Eleanor M. (2011): Making it happen. A grounded theory study of inservice teacher training for parent involvement in schools. Education as Change 15(1), 95-106. Lemmer, Eleanor M. (2012): Who’s doing the talking? Teacher and parent experiences of parent-teacher conferences. South African Journal of Education 32(1), 83-96. Lerner, Gene H. (1992): Assisted storytelling. Deploying shared knowledge as a practical matter. Qualitative Sociology 15(3), 247-271. Lerner, Gene H. (1993): Collectivities in action. Establishing the relevance of conjoined participation in conversation. Text 13(2), 213-245. Lerner, Gene H. (1996a): On the place of linguistic resources in the organization of talk-in-interaction. ‚Second person’ reference in multi-party talk. Pragmatics 6(3), 281-294. <?page no="414"?> 414 Literaturverzeichnis Lerner, Gene H. (1996b): Finding ‚face’ in the preference structures of talk-in-interaction. Social Psychology Quarterly 59(4), 303-321. Lerner, Gene H. (2003): Selecting next speaker. The context-sensitive operation of a context-free organization. Language in Society 32(2), 177-201. Levinson, Stephen C. (1988): Putting linguistics on a proper footing. Explorations in Goffman’s concepts of participation. In: Drew, Paul / Wootton, Anthony (Hrsg.): Erving Goffman. Exploring the interaction order . Cambridge: Polity Press, 161-227. Lim, Tae-Seop (1994): Facework and interpersonal relationships. In: Ting-Toomey, Stella (Hrsg.): The challenge of facework. Cross-cultural and interpersonal issues . New York: SUNY , 209-229. Lindauer, Thomas / Schmellentin, Claudia / Sturm, Afra (2006): Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung. Ergänzt mit fachlichen Empfehlungen für die Vermittlung der Regeln im Unterricht . Aktual. und erw. Aufl. Bern: Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren. Linell, Per / Luckmann, Thomas (1991): Asymmetries in dialogue. Some conceptual preliminaries. In: Marková, Ivana / Foppa, Klaus (Hrsg.): Asymmetries in dialogue . Oxford: Harvester Wheatsheaf, 1-20. Locher, Miriam A. (2012): Politeness. In: Chapelle, Carol A. (Hrsg.): The Encyclopedia of Applied Linguistics . Oxford: Blackwell. Lötscher, Hanni / Roos, Markus (2005): „Ich übe nochmals in die Augen schauen“. Individuelle Lernziele und Selbstreflexion im Unterricht. In: AVS (Hrsg.): Ganzheitlich beurteilen und fördern. Umsetzungshilfe 1./ 2. Klasse ( CD ) . Luzern: Amt für Volksschulbildung, 1-22. Lucius-Hoene, Gabriele / Deppermann, Arnulf (2002): Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews . Opladen: Leske + Budrich. Lucius-Hoene, Gabriele / Deppermann, Arnulf (2004): Narrative Identität und Positionierung. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 5, 166-183. MacLure, Maggie / Walker, Barbara M. (2000): Disenchanted evenings. The social organization of talk in parent-teacher consultations in UK secondary schools. British Journal of Sociology of Education 21(1), 5-25. Malone, Martin J. (1995): How to do things with friends. Altercasting and recipient design. Research on Language & Social Interaction 28(2), 147-170. Malone, Martin J. (1997): Worlds of talk. The presentation of self in everyday conversation . Cambridge: Polity Press. Mandelbaum, Jenny (2013): Storytelling in conversation. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 492-507. Marra, Meredith / Angouri, Jo (2011): Investigating the negotiation of identity. A view from the field of workplace discourse. In: Angouri, Jo / Marra, Meredith (Hrsg.): Constructing identities at work . Basingstoke: Palgrave Macmillan, 1-14. Mayes, Patricia (1990): Quotation in spoken English. Studies in Language 14(2), 325-363. <?page no="415"?> Literaturverzeichnis 415 Maynard, Douglas W. (1991a): The perspective-display series and the delivery and receipt of diagnostic news. In: Boden, Deirdre / Zimmerman, Donald H. (Hrsg.): Talk and social structure. Studies in ethnomethodology and conversation analysis . Cambridge: Polity Press, 164-192. Maynard, Douglas W. (1991b): Interaction and asymmetry in clinical discourse. American Journal of Sociology 97(2), 448-495. Maynard, Douglas W. (1992): On clinicians co-implicating recipients’ perspective in the delivery of diagnostic news. In: Drew, Paul / Heritage, John (Hrsg.): Talk at work. Interaction in institutional settings . Cambridge: Cambridge University Press, 331-358. Maynard, Douglas W. (1996): On ‚realization’ in everyday life. The forecasting of bad news as a social relation. American Sociological Review 61(1), 109-131. Maynard, Douglas W. (2003): Bad news, good news. Conversational order in everyday talk and clinical settings . Chicago: University of Chicago Press. Maynard, Douglas W. (2013): Everyone and no one to turn to. Intellectual roots and contexts for conversation analysis. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 11-31. Mazeland, Harrie / Berenst, Jan (2008): Sorting pupils in a report-card meeting. Categorization in a situated activity system. Text & Talk 28(1), 55-78. McHoul, Alec (1978): The organization of turns at formal talk in the classroom. Language in Society 7(2), 183-213. McHoul, Alec (1990): The organization of repair in classroom talk. Language in Society 19(3), 349-377. McHoul, Alec / Rapley, Mark (Hrsg.) (2001): How to analyse talk in institutional settings. A casebook of methods . London: Continuum. Meer, Dorothee (2001): „So, das nimmt ja gar kein Ende heute, is ja furchbar“. Ein gesprächsanalytisch fundiertes Fortbildungskonzept zu Sprechstundengesprächen an der Hochschule. Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 2, 90-114. Meer, Dorothee (2011): Kommunikation im Alltag - Kommunikation in Institutionen. Überlegungen zur Ausdifferenzierung einer Opposition. In: Birkner, Karin / Meer, Dorothee (Hrsg.): Institutionalisierter Alltag. Mündlichkeit und Schriftlichkeit in unterschiedlichen Praxisfeldern . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 28-50. Meer, Dorothee / Wegner, Lars (2015): Professionelles Kommunikationshandeln von Lehrkräften in Elternsprechtagsgesprächen. Zur Analyse kommunikativer Probleme und ihrem Nutzen für praktisches Handeln. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 18-53. Mehan, Hugh (1979): Learning lessons. Social organization in the classroom . Cambridge: Harvard University Press. Mehan, Hugh (1983): The role of language and the language of role in institutional decision making. Language in Society 12(2), 187-211. Mehan, Hugh (1991): The school’s work of sorting students. In: Boden, Deirdre / Zimmerman, Donald H. (Hrsg.): Talk and social structure. Studies in ethnomethodology and conversation analysis . Cambridge: Polity Press, 71-90. <?page no="416"?> 416 Literaturverzeichnis Mehan, Hugh (1996): The construction of an LD student. A case study in the politics of representation. In: Silverstein, Michael / Urban, Greg (Hrsg.): Natural histories of discourse . Chicago: University of Chicago Press, 253-276. Meier, Christoph (1997): Arbeitsbesprechungen. Interaktionsstruktur, Interaktionsdynamik und Konsequenzen einer sozialen Form . Opladen: Westdeutscher Verlag. Menzel, Christin / Rademacher, Sandra (2012): Die ‚sanfte Tour’. Analysen von Schülerselbsteinschätzungen zum Zusammenhang von Individualisierung und Kontrolle. sozialersinn 79(1), 79-99. Messmer, Heinz / Hitzler, Sarah (2011): Interaktion und Kommunikation in der Sozialen Arbeit. Fallstudien zum Hilfeplangespräch. In: Oelerich, Gertrud / Otto, Hans-Uwe (Hrsg.): Empirische Forschung und Soziale Arbeit . Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 51-64. Mey, Günter / Mruck, Katja (Hrsg.) (2011): Grounded theory reader . 2., aktual. u. erw. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Minke, Kathleen M. / Anderson, Kellie J. (2003): Restructuring routine parent-teacher conferences. The family-school conference model. The Elementary School Journal 104(1), 49-69. Mondada, Lorenza (2013): The conversation analytic approach to data collection. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 32-56. Mundwiler, Vera (2015): Elternseitiger Einfluss auf die Beteiligungsstrukturen in schulischen Beurteilungsgesprächen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 226-256. Nothdurft, Werner / Reitemeier, Ulrich / Schröder, Peter (1994): Beratungsgespräche. Analyse asymmetrischer Dialoge . Tübingen: Gunter Narr. Nüesch, Helene / Bodenmann, Monika / Birri, Thomas (2009): Fördern und fordern. Schülerinnen- und Schülerbeurteilung in der Volksschule . Thurgau: Amt für Volksschule. [http: / / avk.formular.tg.ch/ online/ get.cfm? contentID=4248; 06. 11. 2014]. Patzelt, Werner J. (1987): Grundlagen der Ethnomethodologie. Theorie, Empirie und politikwissenschaftlicher Nutzen einer Soziologie des Alltags . München: Fink. Peräkylä, Anssi (2004): Reliability and validity in research based on naturally occurring social interaction. In: Silverman, David (Hrsg.): Qualitative research. Theory, method and practice . 2. Aufl. London: Sage Publications, 283-304. Peterson, Shelley Stagg / Ladky, Mary (2007): A survey of teachers’ and principals’ practices and challenges in fostering new immigrant parent involvement. Canadian Journal of Education 30(2), 881-910. Pillet-Shore, Danielle (2003): Doing ‚okay’. On the multiple metrics of an assessment. Research on Language & Social Interaction 36(3), 285-319. Pillet-Shore, Danielle (2012): The problems with praise in parent-teacher interaction. Communication Monographs 79(2), 181-204. Pillet-Shore, Danielle (2015): Being a ‚good parent’ in parent-teacher conferences. Journal of Communication 65(2), 373-395. <?page no="417"?> Literaturverzeichnis 417 Pomerantz, Anita (1984): Agreeing and disagreeing with assessments. Some features of preferred / dispreferred turn shapes. In: Atkinson, J. Maxwell / Heritage, John (Hrsg.): Structures of social action. Studies in conversation analysis . Cambridge: Cambridge University Press, 57-101. Pomerantz, Anita (1988): Offering a candidate answer. An information seeking strategy. Communication Monographs 55(4), 360-373. Pomerantz, Anita / Heritage, John (2013): Preference. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 210-228. Premack, David / Woodruff, Guy (1978): Does the chimpanzee have a theory of mind? Behavioral & Brain Sciences 1(4), 515-526. Psathas, George (1995): Conversation analysis. The study of talk-in-interaction . Thousand Oaks: Sage Publications. Raymond, Geoffrey / Heritage, John (2006): The epistemics of social relations. Owning grandchildren. Language in Society 35(5), 677-705. Richter, Bernd (2011): Wenn Eltern sich beschweren… und Lehrer auf die Palme gehen. Wegweiser für Eltern und Lehrkräfte zum professionellen Umgang mit Beschwerden . Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Robinson, Jeffrey D. (2013): Overall structural organization. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 257-280. Roggenkamp, Alexander / Rother, Torsten / Schneider, Jost (2014): Schwierige Elterngespräche erfolgreich meistern - Das Praxsisbuch. Profi-Tipps und Materialien aus der Lehrerfortbildung . Donauwörth: Auer. Rost-Roth, Martina (2003): Fragen - Nachfragen - Echofragen. Formen und Funktionen von Interrogationen im gesprochenen Deutsch. Linguistik Online 13(1), 325-378. Rost-Roth, Martina (2006): Nachfragen. Formen und Funktionen äusserungsbezogener Interrogationen . Berlin: de Gruyter. Sacher, Werner (2014): Elternarbeit als Erziehungs- und Bildungspartnerschaft. Grundlagen und Gestaltungsvorschläge für alle Schularten . 2., vollst. überarb. Aufl. Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Sachweh, Svenja (1999): Schätzle hinsitze! Kommunikation in der Altenpflege . Frankfurt a. M.: Lang. Sachweh, Svenja (2006): „Noch ein Löffelchen? “ Effektive Kommunikation in der Altenpflege . 2., vollst. überarb. und erw. Aufl. Bern: Huber. Sacks, Harvey (1972): On the analyzability of stories by children. In: Gumperz, John J. / Hymes, Dell (Hrsg.): Directions in sociolinguistics. The ethnography of communication . New York: Holt, Rinehart and Winston, 325-345. Sacks, Harvey (1984): Notes on methodology. In: Atkinson, J. Maxwell / Heritage, John (Hrsg.): Structures of social action. Studies in conversation analysis . Cambridge: Cambridge University Press, 21-27. Sacks, Harvey (1995): Lectures on conversation . Bd. I & II (hgg. von Gail Jefferson). Oxford: Blackwell. <?page no="418"?> 418 Literaturverzeichnis Sacks, Harvey / Schegloff, Emanuel A. (1979): Two preferences in the organization of reference to persons in conversation and their interaction. In: Psathas, George (Hrsg.): Everyday language. Studies in ethnomethodology . New York: Irvington, 15-21. Sacks, Harvey / Schegloff, Emanuel A. / Jefferson, Gail (1974): A simplest systematics for the organization of turn-taking for conversation. Language 50(4), 696-735. Schegloff, Emanuel A. (1968): Sequencing in conversational openings. American Anthropologist 70(6), 1075-1095. Schegloff, Emanuel A. (1980): Preliminaries to preliminaries. Can I ask you a question? Sociological Inquiry 50(3-4), 104-152. Schegloff, Emanuel A. (1986): The routine as achievement. Human Studies 9(2-3), 111-151. Schegloff, Emanuel A. (1988): Goffman and the analysis of conversation. In: Drew, Paul / Wootton, Anthony (Hrsg.): Erving Goffman. Exploring the interaction order . Cambridge: Polity Press, 89-135. Schegloff, Emanuel A. (1991): Reflections on talk and social structure. In: Boden, Deirdre / Zimmerman, Donald H. (Hrsg.): Talk and social structure. Studies in ethnomethodology and conversation analysis . Cambridge: Polity Press, 44-70. Schegloff, Emanuel A. (1995): Introduction. In: Jefferson, Gail (Hrsg.): Harvey Sacks. Lectures on conversation . Bd. 1. Oxford: Blackwell, ix-lxii. Schegloff, Emanuel A. (1996a): Some practices for referring to persons in talk-ininteraction. A partial sketch of a systematics. In: Fox, Barbara A. (Hrsg.): Studies in anaphora . Amsterdam: John Benjamins, 437-485. Schegloff, Emanuel A. (1996b): Issues of relevance for discourse analysis. Contingency in action, interaction and co-participant context. In: Hovy, Eduard H. / Scott, Donia R. (Hrsg.): Computational and conversational discourse . Berlin: Springer, 3-35. Schegloff, Emanuel A. (2007): A tutorial on membership categorization. Journal of Pragmatics 39(3), 462-482. Schegloff, Emanuel A. / Jefferson, Gail / Sacks, Harvey (1977): The preference for selfcorrection in the organization of repair in conversation. Language 53(2), 361-382. Schegloff, Emanuel A. / Sacks, Harvey (1973): Opening up closings. Semiotica 8(4), 289-327. Schiffrin, Deborah (1993): ‚Speaking for another’ in sociolinguistic interviews. Alignments, identities, and frames. In: Tannen, Deborah (Hrsg.): Framing in discourse . New York: Oxford University Press, 231-255. Schiffrin, Deborah (1994): Approaches to discourse . Oxford: Blackwell. Schmidt, Thomas / Schütte, Wilfried (2010): FOLKER . An annotation tool for efficient transcription of natural, multi-party interaction. Proceedings of the 7th international conference on language resources and evaluation ( LREC 2010) , 2091-2096. [http: / / www1.uni-hamburg.de/ exmaralda/ files/ LREC_Folker.pdf; 29. 12. 2014]. Schmidt, Thomas / Schütte, Wilfried (2011): FOLKER - Transkriptionseditor für das ‚Forschungs- und Lehrkorpus gesprochenes Deutsch’ ( FOLK ). Transkriptionshand- <?page no="419"?> Literaturverzeichnis 419 buch. [http: / / agd.ids-mannheim.de/ download/ FOLKER-Transkriptionshandbuch.pdf; 02. 08. 2015]. Schmitt, Reinhold (2012): Körperlich-räumliche Grundlagen interaktiver Beteiligung am Filmset. Das Konzept ‚Interaktionsensemble’. In: Hausendorf, Heiko / Mondada, Lorenza / Schmitt, Reinhold (Hrsg.): Raum als interaktive Ressource . Tübingen: Narr, 37-87. Schmitt, Reinhold (2013): Körperlich-räumliche Aspekte der Interaktion . Tübingen: Narr. Schmitt, Reinhold / Knöbl, Ralf (2013): ‚Recipient design’ aus multimodaler Sicht. Deutsche Sprache 41(3), 242-276. Schmitt, Reinhold / Knöbl, Ralf (2014): Recipient Design. Zur multimodalen Repräsentation des Anderen im eigenen Verhalten . Mannheim: Institut für Deutsche Sprache. [http: / / ids-pub.bsz-bw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 3239; 24. 11. 2014]. Schwabe, Meike (2006): Kinder und Jugendliche als Patienten. Eine gesprächsanalytische Studie zum subjektiven Krankheitserleben junger Anfallspatienten in pädiatrischen Sprechstunden . Göttingen: V&R unipress. Schwitalla, Johannes (1979): Dialogsteuerung in Interviews. Ansätze zu einer Theorie der Dialogsteuerung mit empirischen Untersuchungen von Politiker-, Experten- und Starinterviews in Rundfunk und Fernsehen . München: Hueber. Schwitalla, Johannes (1993): Über einige Weisen des gemeinsamen Sprechens. Ein Beitrag zur Theorie der Beteiligungsrollen im Gespräch. Zeitschrift für Sprachwissenschaft 11(1), 68-98. Schwitalla, Johannes (2001): Beteiligungsrollen im Gespräch. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1355-1361. Schwitalla, Johannes (2012): Gesprochenes Deutsch. Eine Einführung . 4., neu bearb. und erweiterte Aufl. Berlin: Erich Schmidt Verlag. Seib, Sibylle (2009): Einsatz von Rollenspielen im Hauptseminar zum Thema ‚Gespräche in der Schule’. In: Birkner, Karin / Stukenbrock, Anja (Hrsg.): Die Arbeit mit Transkripten in Fortbildung, Lehre und Forschung . Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung, 203-115. Selting, Margret (1987): Reparaturen und lokale Verstehensprobleme. Oder: Zur Binnenstruktur von Reparatursequenzen. Linguistische Berichte 108(9), 128-149. Selting, Margret et al. (2009): Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 ( GAT 2). Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 10, 353-402. Shakespeare, Pamela (1998): Aspects of confused speech. A study of verbal interaction between confused and normal speakers . Mahwah: Lawrence Erlbaum Associates. Sidnell, Jack (2011): Conversation analysis. An introduction . 2. Aufl. Malden: Wiley- Blackwell. Sidnell, Jack (2013): Basic conversation analytic methods. In: Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell, 77-99. <?page no="420"?> 420 Literaturverzeichnis Sidnell, Jack / Stivers, Tanya (Hrsg.) (2013): The handbook of conversation analysis . Malden: Wiley-Blackwell. Siekmann, Katja / Thomé, Günther (2012): Der orthographische Fehler. Grundzüge der orthographischen Fehlerforschung und aktuelle Entwicklung . Oldenburg: Isb, Institut für sprachliche Bildung Verlag. Silverman, David / Baker, Carolyn / Keogh, Jayne (1998): The case of the silent child. Advice-giving and advice-reception in parent-teacher interviews. In: Hutchby, Ian / Moran-Ellis, Jo (Hrsg.): Children and social competence. Arenas of action . London: Falmer Press, 220-240. Spencer-Oatey, Helen (2007): Theories of identity and the analysis of face. Journal of Pragmatics 39(4), 639-656. Spiegel, Carmen / Spranz-Fogasy, Thomas (2001): Aufbau und Abfolge von Gesprächsphasen. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1241-1251. Spranz-Fogasy, Thomas (2010): Verstehensdokumentation in der medizinischen Kommunikation. Fragen und Antworten im Arzt-Patient-Gespräch. In: Deppermann, Arnulf / Reitemeier, Ulrich / Schmitt, Reinhold / Spranz-Fogasy, Thomas (Hrsg.): Verstehen in professionellen Handlungsfeldern . Tübingen: Narr, 27-116. Stalnaker, Robert (2002): Common ground. Linguistics & Philosophy 25(5), 701-721. Stivers, Tanya (2001): Negotiating who presents the problem. Next speaker selection in pediatric encounters. Journal of Communication 51(2), 252-282. Stivers, Tanya (2008): Stance, alignment, and affiliation during storytelling. When nodding is a token of affiliation. Research on Language & Social Interaction 41(1), 31-57. Stivers, Tanya / Enfield, N. J. / Brown, Penelope / Englert, Christina / Hayashi, Makoto / Heinemann, Trine / Hoymann, Gertie / Rossano, Federico / de Ruiter, Jan P. / Yoon, Kyung-Eun / Levinson, Stephen C. (2009): Universals and cultural variation in turntaking in conversation. Proceedings of the National Academy of Sciences 106(26), 10 587-10 592. [http: / / www.pnas.org/ content/ 106/ 26/ 10587; 15. 08. 2013]. Stivers, Tanya / Mondada, Lorenza / Steensig, Jakob (2011): Knowledge, morality and affiliation in social interaction. In: Stivers, Tanya / Mondada, Lorenza / Steensig, Jakob (Hrsg.): The morality of knowledge in conversation . Cambridge: Cambridge University Press, 3-24. Stivers, Tanya / Robinson, Jeffrey D. (2006): A preference for progressivity in interaction. Language in Society 35(3), 367-392. Stivers, Tanya / Rossano, Federico (2010): Mobilizing response. Research on Language & Social Interaction 43(1), 3-31. Stokoe, Elizabeth (2012): Moving forward with membership categorization analysis. Methods for systematic analysis. Discourse Studies 14(3), 277-303. Stukenbrock, Anja (2013): Sprachliche Interaktion. In: Auer, Peter (Hrsg.): Sprachwissenschaft. Grammatik - Interaktion - Kognition . Stuttgart: Metzler, 217-259. <?page no="421"?> Literaturverzeichnis 421 Sucharowski, Wolfgang (2001): Gespräche in Schule, Hochschule und Ausbildung. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1566-1576. Tannen, Deborah (2007): Talking voices. Repetition, dialogue and imagery in conversational discourse . 2. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press. Tannen, Deborah / Wallat, Cynthia (1987): Interactive frames and knowledge schemas in interaction. Examples from a medical examination / interview. Social Psychology Quarterly 50(2), 205-216. Tates, Kiek / Meeuwesen, Ludwien / Elbers, Ed / Bensing, Jozien (2002): „I’ve come for his throat“. Roles and identities in doctor-parent-child communication. Child. Care, Health & Development 28(1), 109-116. ten Have, Paul (2007): Doing conversation analysis. A practical guide . 2. Aufl. London: Sage Publications. Textor, Martin (2009): Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in der Schule. Gründe, Ziele, Formen . Norderstedt: Books on Demand. Thomé, Günther (2006): Entwicklung der basalen Rechtschreibkenntnisse. In: Bredel, Ursula / Günther, Hartmut / Klotz, Peter / Ossner, Jakob / Siebert-Ott, Gesa (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache. Ein Handbuch . 2., durchges. Aufl. 2 Bde. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 369-379. Tiittula, Liisa (2001): Formen der Gesprächssteuerung. In: Brinker, Klaus / Antos, Gerd / Heinemann, Wolfgang / Sager, Sven F. (Hrsg.): Text- und Gesprächslinguistik. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung . Bd. 2. Berlin: de Gruyter, 1361-1374. van Langenhove, Luk / Harré, Rom (1999a): Introducing positioning theory. In: Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.): Positioning theory. Moral contexts of intentional action . Oxford: Blackwell, 14-31. van Langenhove, Luk / Harré, Rom (1999b): Positioning as the production and use of stereotypes. In: Harré, Rom / van Langenhove, Luk (Hrsg.): Positioning theory. Moral contexts of intentional action . Oxford: Blackwell, 127-137. Vögeli-Mantovani, Urs (2011): Selbstbeurteilung und Beurteilungsgespräche. Lernprozesse und Lernergebnisse eigenständig bewerten und kommunizieren. In: Sacher, Werner / Winter, Felix (Hrsg.): Diagnose und Beurteilung von Schülerleistungen. Grundlagen und Reformansätze . Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren, 251-262. Vogt, Rüdiger (2002): Im Deutschunterricht diskutieren. Zur Linguistik und Didaktik einer kommunikativen Praktik . Tübingen: Niemeyer. Walker, Barbara M. (1998): Meetings without communication. A study of parents’ evenings in secondary schools. British Educational Research Journal 24(2), 163-178. Walker, Barbara M. (2002): The missing person. Student roles in home-school interviews. European Educational Research Journal 1(3), 468-479. Watzlawick, Paul / Beavin, Janet H. / Jackson, Don D. (1969): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien . Bern: Hans Huber. <?page no="422"?> 422 Literaturverzeichnis Wegner, Lars (2016): Lehrkraft-Eltern-Interaktionen am Elternsprechtag. Eine gesprächs- und gattungsanalytische Untersuchung. Berlin: de Gruyter. Weiger, Lucia (2015): Unterschiedliche Vorstellungen über Erziehung und Bildung in interkulturellen Eltern-Lehrer-Gesprächen. Ergebnisse aus einer Interviewstudie. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 286-312. Weinrich, Harald (1993): Textgrammatik der deutschen Sprache . Mannheim: Dudenverlag. Weinstein, Eugene A. / Deutschberger, Paul (1963): Some dimensions of altercasting. Sociometry 26(4), 454-466. Werlen, Iwar (2004): Zur Sprachsituation der Schweiz mit besonderer Berücksichtigung der Diglossie in der Deutschschweiz. Bulletin VALS - ASLA 79, 1-30. Winter, Felix (2004): Leistungsbewertung. Eine neue Lernkultur braucht einen anderen Umgang mit den Schülerleistungen . Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren. Wolf, Ricarda (1999): Soziale Positionierung im Gespräch. Deutsche Sprache 27(1), 69-94. Zifonun, Gisela (2000): „Man lebt nur einmal“. Morphosyntax und Semantik des Pronomens ‚man’. Deutsche Sprache 28(3), 232-253. Zorbach-Korn, Melina (2015): Rollenaushandlungen in der Interaktion zwischen deutschen Lehrkräften und ausländischen Eltern. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 150-180. Zwengel, Almut (2010): Wer hat was zu sagen? Gespräche zwischen LehrerInnen und migrierten Müttern, die von Kindern gedolmetscht werden. Migration & Soziale Arbeit 3 / 4, 302-308. Zwengel, Almut (2015): Strategien der Interessenvertretung und der Verständnissicherung. Wenn Kinder Gespräche zwischen eingewanderten Müttern und Lehrpersonen dolmetschen. In: Hauser, Stefan / Mundwiler, Vera (Hrsg.): Sprachliche Interaktion in schulischen Elterngesprächen . Bern: hep, 125-149. <?page no="423"?> I Transkriptionskonventionen 423 Anhang I Transkriptionskonventionen Die Gesprächsdaten wurden grundsätzlich nach den Konventionen des Gesprächsanalytischen Transkriptionssystem 2 ( GAT 2) von Selting et al. (2009) transkribiert (vgl. Anhang I.a). Aufgrund der dialektalen Gesprächsdaten kamen zudem ergänzende Konventionen zur Anwendung. Es gelten entsprechende Bestimmungen nach den Empfehlungen von Dieth (1986) und Burger et al. (1998) (vgl. Anhang I.b). I.a GAT 2-Transkriptionskonventionen Sequenzielle Struktur / Verlaufsstruktur 001, 002… nummerierte Transkriptzeilen; pro Zeile jeweils eine Intonationsphrase (=Äusserungseinheit) [ ] [ ] Überlappungen und Simultansprechen = schneller, unmittelbarer Anschluss neuer Sprecherbeiträge oder Segmente ( latching ) Akzentuierung akZENT Fokusakzent akzEnt Nebenakzent ak! ZENT! extra starker Akzent Tonhöhenbewegung am Ende von Intonationsphrasen ? hoch steigend , mittel steigend - gleichbleibend ; mittel fallend . tief fallend <?page no="424"?> 424 Anhang Weitere prosodische Merkmale <<f> so> forte, laut <<ff> so> fortissimo, sehr laut <<p> so> piano, leise <<pp> so> pianissimo, sehr leise <<acc> so> accelerando, schneller werdend <<flüsternd> so> Veränderung der Stimmqualität, wie angegeben ↑ auffällige Tonhöhensprünge nach oben ↓ auffällige Tonhöhensprünge nach unten Ein- und Ausatmen °h / h° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer °hh / hh° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer °hhh / hhh° Einbzw. Ausatmen von ca. 0.8-1.0 Sek. Dauer Pausen (.) Mikropause bis 0.2 Sek. (-) kurze geschätzte Pause von ca. 0.2-0.5 Sek. Dauer (--) mittlere geschätzte Pause von ca. 0.5-0.8 Sek. Dauer (---) längere geschätzte Pause von ca. 0.8-1.0 Sek. Dauer (1.5) gemessene Pausen Sonstige Konventionen und_äh Verschleifungen innerhalb von Einheiten äh öh ähm Verzögerungssignale mh_hm, mh Rezeptionssignale mhʔmh Rezeptionssignale mit Glottalverschlüssen, meistens verneinend : , : : , : : : Dehnung, Längung, um ca. 0.2-0.5 Sek. bzw. 0.5-0.8 Sek. bzw. 0.8-1.0 Sek. <?page no="425"?> I Transkriptionskonventionen 425 ((lacht)) ((hustet)) para- und aussersprachliche Handlungen u. Ereignisse haha hehe hihi silbisches Lachen <<lachend> so> Lachpartikeln in der Rede, mit Reichweite <<: -)> so> „smile voice“ <<genervt> so> interpretierende Kommentare mit Reichweite (xxx), (xxx xxx) eine bzw. zwei unverständliche Silbe(n) (solche) vermuteter Wortlaut (solche / welche) mögliche Alternativen ((unverständlich, ca. 1.5 Sek.)) unverständliche Passage mit Angabe der Dauer ((…)) Auslassung im Transkript I.b Transkription von schweizerdeutschen Dialekten Vokallänge Kurzvokale werden mit einem einzelnen Vokal und Langvokale konsequent mit doppeltem Vokal verschriftet, d. h. keine Dehnung durch ‚h’ oder ‚ie’ wie im Standarddeutschen (‚ie’ wird im Dialekt für die Verschriftung des Diphthongs verwendet). • z. B. ‚leerperson’, ‚seer’, ‚sii’, ‚iir’, ‚lääse’, ‚schriibe’ etc. • ABER : Kommt es durch eine spezielle Betonung zu einem lang ausgesprochenen Vokal und nicht durch den Dialekt selbst, wird die Dehnung gemäss GAT 2 angegeben, d. h. Einzelvokal plus : , : : , : : : (je nach Länge, vgl. GAT 2). Vokalqualität Die Vokalqualität wird möglichst nach Gehörwert transkribiert und nicht in Anlehnung an das Standarddeutsche. • Diphthonge ‚ei’, ‚äi’, ‚ai’: Bei den Verschriftungen von ‚ei’, ‚äi’ und ‚ai’ wird der eigentliche Lautwert von z. B. ‚ä’ + ‚i’ verwendet, nicht in Anlehnung an das Standarddeutsche ‚ei’ für alle Varianten. • z. B. verschiedene schweizerdeutsche Varianten für nein sind: ‚näi’ in den meisten nördlich situierten Dialekten; ‚nai’ im Altbaseldeutschen; ‚nei’ bspw. im Berndeutschen. <?page no="426"?> 426 Anhang • ABER : Bei der Lautverbindung ‚eu’ (wie in ‚euch’, ‚neu’) belassen wir es aus Gründen der besseren Lesbarkeit bei dem Kompromiss der Verschriftung durch ‚eu’ (vgl. auch Burger et al. 1998). Konsonanten Konsonanten werden gemäss Aussprache und wenn passend in Anlehnung an das Standarddeutsche transkribiert, um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten. • z. B. ‚projäkt’ (nicht ‚brojäggd’) • z. B. ‚sp’ und ‚st’ im Wortanlaut (auch bei zusammengesetzten Wörtern) wie im Standarddeutschen, z. B. ‚Stuel’ (für Stuhl ), ‚bispiil’ (für Beispiel ) - ABER : im Wortinlaut als ‚schp’ und ‚scht’, da dies im Gegensatz zum Standarddeutschen absetzt, z. B. ‚luschtig’ (nicht: ‚lustig’). Wortgrenzen In schweizerdeutschen Dialekten kommt es sehr häufig zu Verschleifungen, sodass mehrere Wörter zusammenhängend ausgesprochen werden. Um eine bessere Lesbarkeit zu gewährleisten, werden bei der Transkription die Wortgrenzen bei Proklisen (Verschmelzung von bspw. Artikel und Nomen zu einem Wort) eingehalten: • z. B. ‚s’ für es, sie, das wie in ‚s isch e schöns buech’, ‚s projäkt’ • z. B. ‚d’ für der, das wie in ‚ich bi in d schuel gange’ • z. B. ‚z’ für zu wie in ‚z basel’ • ABER : Bei Enklisen (ein unbetontes Wort wird verkürzt und an das vorhergehende gehängt) wird das Klitikon direkt an das vorhergehende Wort angehängt, da solche Wörter tendenziell als ein phonetisches Wort gehört werden (vgl. auch Dieth 1987: 44). • z. B. ‚so han ichs verstande’ • ABER : Bei den häufigen Verschleifungen von Verb + ‚wir’ o. ä. werden die beiden Wörter zusammen geschrieben, wenn es zu einer Assimilation von ‚n’ und ‚m’ kommt: • z. B. ‚hämmer’, ‚simmer’, ‚müemer’… (eigentlich: ‚hän mer’, ‚sin mer’, ‚müen mer’ etc.) • ABER : Das häufige Verbindungs-‚n’/ ,m’ wird direkt dem vorangehenden Wort angehängt: • z. B. ‚won ich gsäit ha’; ‚bin i’; ‚am enen oobig’ <?page no="427"?> II Übersicht der verwendeten Sequenzen 427 # 1 Lernbericht (Emma, SJ4_L3A_LMS, 00: 02-00: 43) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 # 2 Alte Hasen (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 00: 06-00: 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 # 3 Progymnasium (Selina, SJ9_L4A_LMS, 00: 01-00: 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 # 4 Begriffe (Ben, SJ6_L6B_LMVS, 00: 45-01: 06) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 # 5 Verwarnung (David, SJ12_L5A_LVS, 00: 10-00: 44) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 # 6 Die Noten studiert (Alex, SJ7_L9A_LMS, 00: 00-00: 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 # 7 Ich als Lehrperson (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 01: 33-02: 08) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 # 8 Bisschen ins Gewissen geredet (Alex, SJ7_L9A_LMS, 14: 57-22: 02, mit Auslassungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 # 9 Schlimmes Gespräch (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 27: 04-27: 07) . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 # 10 Irgendeine Frage (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 13: 52-15: 11, mit Auslassung) . . . . . . 127 # 11 Alles gesagt ( Jonas, SJ6_L6A_LMSZ, 33: 42-34: 00) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 # 12 Wenn Sie keine Fragen mehr haben (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 26: 14-26: 26 & 28: 38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 # 13 Gespräch nicht in die Länge ziehen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 17: 19-17: 52) . . 132 # 14 Gross- und Kleinschreibung (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 04: 14-07: 08) . . . . . . . . . . . . 136 # 15 Häufiger melden (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 12: 27-14: 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 # 16 Wenn das alle machen würden (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 11: 23-13: 52) . . . . . . . . 153 # 17 Erklären anstatt fragen (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 50: 24-50: 58) . . . . . . . . . . . . . . . . 161 # 18 Aufpassen (Selina, SJ9_L4A_LMS, 04: 03-04: 50 & 07: 14-07: 37) . . . . . . . . . . . . . . 164 # 19 Vaterrolle (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 28: 07-29: 11, mit Auslassung) . . . . . . . . . . 170 # 20 Auch mal zu Hause erwähnen (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 04: 14-04: 53) . . . . . . . . . . . 174 # 21 PowerPoint (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 27: 16-27: 40) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 # 22 Zwei ältere Brüder ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 06: 12-06: 46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 # 23 Extra nichts gesagt (Alex, SJ7_L9A_LMS, 03: 42-04: 03) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 # 24 Hat mit der Erziehung zu tun (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 10: 49-14: 22, mit Auslassungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 # 25 Jederzeit melden (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 44: 28-45: 39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 # 26 Im Weg stehen (Sarah, SJ1_L1A_LMV, 17: 32-18: 46) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 # 27 Ich kenne das von meiner Tochter (Zoe, SJ1_L2A_LMV, 25: 27-27: 10) . . . . . . . . 193 # 28 Ich in diesem Alter (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 06: 43-07: 19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 # 29 Geprägt von mir (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 23: 30-23: 59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 # 30 Leute wie Sie und ich (David, SJ12_L5A_LVS, 07: 35-08: 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 # 31 Koordination unter euch Lehrern (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 29: 18-33: 29) . . . . . 207 # 32 Selbstständigkeit (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 00: 45-02: 48) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 # 33 Stärken und Schwächen ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 00: 10-01: 49) . . . . . . . . . . . . . . 228 II Übersicht der verwendeten Sequenzen II.a Transkriptverzeichnis (sortiert nach Erscheinen im Text) <?page no="428"?> 428 Anhang # 34 Wohlbefinden ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 10: 40-12: 34) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 # 35 Hilfsbereit (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 04: 17-05: 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 # 36 Diktiert (Emma, SJ4_L3A_LMS, 01: 56-02: 38) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 # 37 Fest weh (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 13: 10-13: 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 # 38 Hausaufgabenhilfe (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 12: 20-13: 03) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 # 39 Geeichte Sprachtests (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 04: 17-05: 28) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 # 40 Offene Optionen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 07: 55-08: 21) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 # 41 In die Tiefe (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 03: 43-05: 01) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 # 42 Gute Idee (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 33: 06-33: 30) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 # 43 Nicht jetzt (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 15: 36-15: 49) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 # 44 Was denken die Eltern (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 05: 33-05: 47) . . . . . . . . . . . . . . . 260 # 45 Was meinst du (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 06: 33-06: 42) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 # 46 Lesen (Emma, SJ4_L3A_LMS, 12: 47-13: 23) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 # 47 Gegen den Strich (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 05: 45-05: 48) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 # 48 Ich nicht (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 31: 21-35: 12, mit Auslassung) . . . . . . . . . . . . . . . 263 # 49 Tipptopp (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 10: 52-11: 08) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 # 50 Lernfächer ( Jonas, SJ6_L6A_LHMS, 30: 05-31: 09) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 # 51 Ehrenrunde (Alex, SJ7_L9A_LMS, 00: 18-02: 59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 # 52 Frist verpasst (David, SJ12_L5A_LVS, 54: 03-54: 55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 # 53 Sachunterricht (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 03: 25-03: 36) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 # 54 Fussball (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 21: 47-22: 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 # 55 Blackout (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 03: 08-03: 25) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 # 56 Mathematik (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 01: 32-02: 35) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 # 57 Lehrerwechsel (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 09: 56-11: 09) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 # 58 Sensibel sein (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 21: 57-22: 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 # 59 Haltung (Selina, SJ9_L4A_LMS, 03: 24-03: 41) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 # 60 Tausend Sätze (David, SJ12_L5A_LVS, 31: 40-31: 54) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 # 61 Situation in Mathe (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 33: 30-33: 37) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 # 62 Müsste man sich erkundigen (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 20: 04-20: 06) . . . . . . . . 297 # 63 Kann man schon schauen (Selina, SJ9_L4A_LMS, 07: 21-07: 24) . . . . . . . . . . . . . . 297 # 64 Kann man schon machen (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 35: 44-36: 17) . . . . . . . . . . . . . . 297 # 65 Müssen wir schauen (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 21: 22-21: 44) . . . . . . . . . . . . . . . . 299 # 66 Das müssen wir noch lernen (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 22: 21-22: 23) . . . . . . . . . . 301 # 67 Gänsefussschrittchen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 13: 17-13: 26) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 # 68 Wir müssen noch arbeiten (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 28: 58-29: 06) . . . . . . . . . . . . 302 # 69 Vielleicht finden wir noch etwas heraus (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 24: 39-24: 50) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 # 70 Das können wir organisieren (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 18: 22-28: 19, mit Auslassungen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 # 71 Leistungsbereitschaft (David, SJ12_L5A_LVS, 00: 48-02: 08) . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 <?page no="429"?> II Übersicht der verwendeten Sequenzen 429 # 72 Schiedsrichterentscheid (Ben, SJ4_L3B_LMVS, 20: 09-21: 02) . . . . . . . . . . . . . . . . 313 # 73 Gute Einstellung (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 16: 20-16: 55) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 # 74 Genau so (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 12: 11-12: 33) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 # 75 Sonderstatus (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 16: 00-17: 20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 # 76 Marc Marc Marc (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 15: 46-15: 58) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 # 77 Paragraphenreiter (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 04: 40-05: 01) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 # 78 Lernen (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 07: 49-08: 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 # 79 Notenkonferenzen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 10: 59-12: 13) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 # 80 Entscheidung (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 19: 21-44: 15, mit Auslassungen) . . . . . . . 334 # 81 Berufserfahrung (David, SJ12_L5A_LVS, 45: 11-46: 07) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 # 82 Rahmenbedingungen (Alex, SJ7_L9A_LMS, 05: 30-06: 59) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 # 83 Kontrolle (David, SJ12_L5A_LVS, 38: 59-42: 55, mit Auslassungen) . . . . . . . . . . . 350 # 84 Komfortzone (David, SJ12_L5A_LVS, 18: 48-21: 14) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 # 85 Selbstbeurteilungsbogen (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 00: 01-00: 18) . . . . . . . . . . . . . . 366 # 86 Einblicke (Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 22: 50-23: 17) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 # 87 Nicht lange darauf herumreiten (Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 00: 44-01: 43) . . . . . . 368 # 88 Mathematik oder Sprache (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 01: 23-02: 32) . . . . . . . . . . . . . 370 # 89 Texte schreiben (Timo, SJ5_L7C_LMVS, 05: 09-06: 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 # 90 Ist das dein Gefühl (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 07: 48-08: 52) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 # 91 Nicht so zufrieden mit dir (Tatjana, SJ5_L7B_LMVS, 17: 10-17: 55) . . . . . . . . . . . 381 # 92 Überrascht (Chiara, SJ5_L7A_LMVS, 13: 15-15: 37, mit Auslassung) . . . . . . . . . . 384 II.b Transkriptverzeichnis (sortiert nach Gesprächen) Sarah # 12 Wenn Sie keine Fragen mehr haben (Sarah, SJ 1_L1A_ LMV , 26: 14-26: 26 & 28: 38) # 14 Gross- und Kleinschreibung (Sarah, SJ 1_L1A_ LMV , 04: 14-07: 08) # 26 Im Weg stehen (Sarah, SJ 1_L1A_ LMV , 17: 32-18: 46) Zoe # 2 Alte Hasen (Zoe, SJ 1_L2A_ LMV , 00: 06-00: 23) # 15 Häufiger melden (Zoe, SJ 1_L2A_ LMV , 12: 27-14: 35) # 20 Auch mal zu Hause erwähnen (Zoe, SJ 1_L2A_ LMV , 04: 14-04: 53) # 27 Ich kenne das von meiner Tochter (Zoe, SJ 1_L2A_ LMV , 25: 27-27: 10) Emma # 1 Lernbericht (Emma, SJ 4_L3A_ LMS , 00: 02-00: 43) # 36 Diktiert (Emma, SJ 4_L3A_ LMS , 01: 56-02: 38) # 46 Lesen (Emma, SJ 4_L3A_ LMS , 12: 47-13: 23) <?page no="430"?> 430 Anhang Ben # 4 Begriffe (Ben, SJ 6_L6B_ LMVS , 00: 45-01: 06) # 21 PowerPoint (Ben, SJ 4_L3B_ LMVS , 27: 16-27: 40) # 39 Geeichte Sprachtests (Ben, SJ 4_L3B_ LMVS , 04: 17-05: 28) # 48 Ich nicht (Ben, SJ 4_L3B_ LMVS , 31: 21-35: 12, mit Auslassung) # 54 Fussball (Ben, SJ 4_L3B_ LMVS , 21: 47-22: 11) # 72 Schiedsrichterentscheid (Ben, SJ 4_L3B_ LMVS , 20: 09-21: 02) Chiara # 38 Hausaufgabenhilfe (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 12: 20-13: 03) # 53 Sachunterricht (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 03: 25-03: 36) # 55 Blackout (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 03: 08-03: 25) # 65 Müssen wir schauen (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 21: 22-21: 44) # 75 Sonderstatus (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 16: 00-17: 20) # 90 Ist das dein Gefühl (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 07: 48-08: 52) # 92 Überrascht (Chiara, SJ 5_L7A_ LMVS , 13: 15-15: 37, mit Auslassung) Tatjana # 9 Schlimmes Gespräch (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 27: 04-27: 07) # 19 Vaterrolle (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 28: 07-29: 11, mit Auslassung) # 37 Fest weh (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 13: 10-13: 35) # 49 Tipptopp (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 10: 52-11: 08) # 56 Mathematik (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 01: 32-02: 35) # 69 Vielleicht finden wir noch etwas heraus (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 24: 39-24: 50) # 78 Lernen (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 07: 49-08: 13) # 91 Nicht so zufrieden mit dir (Tatjana, SJ 5_L7B_ LMVS , 17: 10-17: 55) Timo # 10 Irgendeine Frage (Timo, SJ 5_L7C_ LMVS , 13: 52-15: 11, mit Auslassung) # 85 Selbstbeurteilungsbogen (Timo, SJ 5_L7C_ LMVS , 00: 01-00: 18) # 88 Mathematik oder Sprache (Timo, SJ 5_L7C_ LMVS , 01: 23-02: 32) # 89 Texte schreiben (Timo, SJ 5_L7C_ LMVS , 05: 09-06: 16) Jonas # 11 Alles gesagt ( Jonas, SJ 6_L6A_ LMSZ , 33: 42-34: 00) # 22 Zwei ältere Brüder ( Jonas, SJ 6_L6A_ LHMS , 06: 12-06: 46) # 33 Stärken und Schwächen ( Jonas, SJ 6_L6A_ LHMS , 00: 10-01: 49) <?page no="431"?> II Übersicht der verwendeten Sequenzen 431 # 34 Wohlbefinden ( Jonas, SJ 6_L6A_ LHMS , 10: 40-12: 34) # 50 Lernfächer ( Jonas, SJ 6_L6A_ LHMS , 30: 05-31: 09) Flavio # 16 Wenn das alle machen würden (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 11: 23-13: 52) # 25 Jederzeit melden (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 44: 28-45: 39) # 28 Ich in diesem Alter (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 06: 43-07: 19) # 29 Geprägt von mir (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 23: 30-23: 59) # 31 Koordination unter euch Lehrern (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 29: 18-33: 29) # 32 Selbstständigkeit (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 00: 45-02: 48) # 35 Hilfsbereit (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 04: 17-05: 33) # 44 Was denken die Eltern (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 05: 33-05: 47) # 45 Was meinst du (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 06: 33-06: 42) # 58 Sensibel sein (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 21: 57-22: 13) # 61 Situation in Mathe (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 33: 30-33: 37) # 66 Das müssen wir noch lernen (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 22: 21-22: 23) # 68 Wir müssen noch arbeiten (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 28: 58-29: 06) # 73 Gute Einstellung (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 16: 20-16: 55) # 86 Einblicke (Flavio, SJ 6_L6B_ LMVS , 22: 50-23: 17) Alex # 6 Die Noten studiert (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 00: 00-00: 33) # 8 Bisschen ins Gewissen geredet (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 14: 57-22: 02, mit Auslassungen) # 23 Extra nichts gesagt (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 03: 42-04: 03) # 51 Ehrenrunde (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 00: 18-02: 59) # 67 Gänsefussschrittchen (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 13: 17-13: 26) # 79 Notenkonferenzen (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 10: 59-12: 13) # 82 Rahmenbedingungen (Alex, SJ 7_L9A_ LMS , 05: 30-06: 59) Marc # 7 Ich als Lehrperson (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 01: 33-02: 08) # 17 Erklären anstatt fragen (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 50: 24-50: 58) # 41 In die Tiefe (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 03: 43-05: 01) # 42 Gute Idee (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 33: 06-33: 30) # 43 Nicht jetzt (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 15: 36-15: 49) # 57 Lehrerwechsel (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 09: 56-11: 09) # 64 Kann man schon machen (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 35: 44-36: 17) # 70 Das können wir organisieren (Marc, SJ7_L9B_LMPS, 18: 22-28: 19, mit Auslassungen) <?page no="432"?> 432 Anhang # 76 Marc Marc Marc (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 15: 46-15: 58) # 80 Entscheidung (Marc, SJ 7_L9B_ LMPS , 19: 21-44: 15, mit Auslassungen) Philipp # 13 Gespräch nicht in die Länge ziehen (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 17: 19-17: 52) # 24 Hat mit der Erziehung zu tun (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 10: 49-14: 22, mit Auslassungen) # 40 Offene Optionen (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 07: 55-08: 21) # 47 Gegen den Strich (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 05: 45-05: 48) # 62 Müsste man sich erkundigen (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 20: 04-20: 06) # 74 Genau so (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 12: 11-12: 33) # 77 Paragraphenreiter (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 04: 40-05: 01) # 87 Nicht lange darauf herumreiten (Philipp, SJ 8_L8A_ LMVS , 00: 44-01: 43) Selina # 3 Progymnasium (Selina, SJ 9_L4A_ LMS , 00: 01-00: 21) # 18 Aufpassen (Selina, SJ 9_L4A_ LMS , 04: 03-04: 50 & 07: 14-07: 37) # 59 Haltung (Selina, SJ 9_L4A_ LMS , 03: 24-03: 41) # 63 Kann man schon schauen (Selina, SJ 9_L4A_ LMS , 07: 21-07: 24) David # 5 Verwarnung (David, SJ 12_L5A_ LVS , 00: 10-00: 44) # 30 Leute wie Sie und ich (David, SJ 12_L5A_ LVS , 07: 35-08: 35) # 52 Frist verpasst (David, SJ 12_L5A_ LVS , 54: 03-54: 55) # 60 Tausend Sätze (David, SJ 12_L5A_ LVS , 31: 40-31: 54) # 71 Leistungsbereitschaft (David, SJ 12_L5A_ LVS , 00: 48-02: 08) # 81 Berufserfahrung (David, SJ 12_L5A_ LVS , 45: 11-46: 07) # 83 Kontrolle (David, SJ 12_L5A_ LVS , 38: 59-42: 55, mit Auslassungen) # 84 Komfortzone (David, SJ 12_L5A_ LVS , 18: 48-21: 14) <?page no="433"?> 4 Anhang ISBN 978-3-7720-8610-6 www.francke.de Schulische Beurteilungsgespräche sind inzwischen vielerorts fester Bestandteil der inter-institutionellen Kommunikation zwischen Schule und Familie. Dennoch ist bis heute noch wenig bekannt über die kommunikativen Anforderungen und Aufgaben, welche von den beteiligten Lehrpersonen, Eltern und den o mit anwesenden Schülerinnen und Schülern in der Interaktion bewältigt werden müssen. Dieser Band beschäigt sich mit Praktiken der Leistungs- und Verhaltensbeurteilung, mit Positionierungsaktivitäten und Beteiligungsstrukturen im Gespräch und fokussiert dabei insbesondere die Rolle der Kinder bzw. Jugendlichen. Hierfür wurden authentische Gespräche an Deutschschweizer Schulen aufgenommen, transkribiert und mit Methoden der gesprächslinguistischen Sequenzanalyse und der Positionierungsanalyse untersucht. Der Band richtet sich an Studierende, Forschende und Lehrende in den Fachrichtungen Linguistik, Pädagogik und Sozialwissenschaen sowie an (angehende) Lehrpersonen und Fachleute im Bildungsbereich. Vera Mundwiler Beurteilungsgespräche in der Schule Beurteilungsgespräche in der Schule Eine gesprächsanalytische Studie zur Interaktion zwischen Lehrpersonen, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern Vera Mundwiler N° 98 N° 98 N° 98