Obersorbisch
Aus der Perspektive der slavischen Interkomprehension
1123
2020
978-3-8233-8440-3
Gunter Narr Verlag
Tanja Anstatt
Christina Clasmeier
Sonja Wölke
10.2357/9783823384403
CC BY-SA 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de
Das Obersorbische ist eine autochthone Minderheitensprache, die seit dem frühen Mittelalter in der Oberlausitz gesprochen wird. Das Buch bietet einen linguistisch fundierten Überblick über die wichtigsten Strukturen der obersorbischen Standardsprache. Es ist primär für den Erwerb von rezeptiven Kenntnissen des Obersorbischen bestimmt. Die Bereiche Wortschatz, Lautentsprechungen, Morphologie, Syntax und Wortbildung werden jeweils besonders im Hinblick auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit den anderen slavischen Sprachen präsentiert.
Das Buch richtet sich insbesondere an Personen, die das Obersorbische auf der Grundlage von Kenntnissen einer anderen slavischen Sprache erschließen möchten. Es kann auch umgekehrt verwendet werden, um vom Obersorbischen ausgehend andere slavische Sprachen zu verstehen. Das Buch ist parallel zu dem Titel von Karin Tafel et al. "Slavische Interkomprehension" (Tübingen: Narr 2009) aufgebaut. Gemeinsam mit diesem eingesetzt wird der direkte Vergleich des Obersorbischen mit anderen slavischen Sprachen möglich.
<?page no="0"?> Obersorbisch Tanja Anstatt / Christina Clasmeier / Sonja Wölke Aus der Perspektive der slavischen Interkomprehension <?page no="1"?> Obersorbisch <?page no="2"?> Prof. Dr. Tanja Anstatt ist Inhaberin des Lehrstuhls für slavistische Linguistik an der Ruhr-Universität Bochum. Dr. Christina Clasmeier ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für slavistische Linguistik der Ruhr-Universität Bochum. Dr. habil. Sonja Wölke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Sorbischen Institut in Bautzen, Abteilung Sprachwissenschaft. <?page no="3"?> Tanja Anstatt / Christina Clasmeier / Sonja Wölke Obersorbisch Aus der Perspektive der slavischen Interkomprehension <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Tanja Anstatt Christina Clasmeier ORCID: 0000-0003-3231-5560 ORCID: 0000-0002-1202-3045 Seminar für Slavistik / Lotman-Institut Seminar für Slavistik / Lotman-Institut Ruhr-Universität Bochum Ruhr-Universität Bochum Bochum, Deutschland Bochum, Deutschland Sonja Wölke ORCID: 0000-0002-1907-4574 Sorbisches Institut e. V. Bautzen, Deutschland DOI: https: / / doi.org/ 10.2357/ 9783823384403 © 2020 · Tanja Anstatt / Christina Clasmeier / Sonja Wölke Das Werk ist eine Open Access-Publikation. Es wird unter der Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen | CC BY-SA 4.0 (https: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 4.0/ ) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, solange Sie die/ den ursprünglichen Autor/ innen und die Quelle ordentlich nennen, einen Link zur Creative Commons-Lizenz anfügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der am Material vermerkten Legende nichts anderes ergibt. In diesen Fällen ist für die oben genannten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Redaktion: Tanja Anstatt Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de ISBN 978-3-8233-8440-3 (ePDF) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> v Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................ v Vorwort........................................................................... viii Abkürzungen .................................................................... x Hinweise zur Nutzung ..................................................... xi I Interkomprehension ................................................ 1 II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache....................................................... 4 1 Kurzcharakteristik ...............................................................4 2 Alphabet ...............................................................................6 3 Aussprache ..........................................................................7 III Zum Einstieg .......................................................... 14 IV Wortschatz ............................................................. 15 1 Panslavischer Wortschatz................................................15 2 Kulturwortschatz ...............................................................17 3 Internationalismen.............................................................19 4 Falsche Freunde ................................................................22 5 Grundwortschatz ...............................................................24 V Lautentsprechungen ............................................. 53 1 Liquidametathese ..............................................................53 2 *or-/ *ol-Verbindungen vor Konsonanten im Anlaut .......54 3 Jerwandel ...........................................................................55 4 Flüchtige und bewegliche Vokale....................................56 5 Entwicklung der urslavischen Nasalvokale....................58 6 Silbische Liquide ...............................................................58 7 Vokalisierung der l-Lautung.............................................59 8 (Tschechisches) i / í aus u / ú...........................................59 9 Ukrainisches i ....................................................................60 <?page no="6"?> Inhaltsverzeichnis vi 10 [i] und [ ] .............................................................................60 11 Der westslavische Umlaut der vorderen Vokale ............61 12 Die 1. und 2. Palatalisation ...............................................62 13 Epenthetisches l ................................................................64 14 Vereinfachung von Konsonantengruppen .....................65 15 Reflex von urslav. *tj und *dj............................................65 16 g versus h...........................................................................66 17 rz - - r...............................................................................66 18 Anlaut je- > ostslav. o- ......................................................67 19 j- und v-Prothese ...............................................................68 20 Abweichungen und Ausnahmen......................................68 21 Vergleich ausgewählter Wörter........................................69 22 Weitere Konsonantenalternationen in der Formen- und Wortbildung .......................................................................72 23 Besondere Lautentwicklungen des Obersorbischen ....78 VI Morphologie ........................................................... 82 1 Wortarten............................................................................82 2 Die grammatischen Kategorien .......................................84 3 Die Kasus ...........................................................................86 4 Kasusfunktionen ...............................................................87 5 Numerus .............................................................................89 6 Genus- und Sexusmarkierung beim Substantiv ............89 7 Belebtheit und Virilität ......................................................92 8 Indeklinabilia......................................................................93 9 Dubletten und Formenreichtum in der Deklination .......94 10 Deklinationsmuster ausgewählter Substantive .............95 11 Die Konjugation der Verben ...........................................108 12 Weitere Tempora, Aspekt und Modus ...........................113 13 Genus verbi......................................................................133 14 Partizipien ........................................................................136 15 Verben der Fortbewegung..............................................138 16 Adjektive...........................................................................142 <?page no="7"?> Inhaltsverzeichnis vii 17 Adverbien .........................................................................147 18 Pronomen.........................................................................148 VII Syntax ................................................................... 158 1 Wortfolge im einfachen Satz ..........................................158 2 Verwendung der Personalpronomen ............................162 3 Verwendung einer Kopula ..............................................162 4 Ausdruck des Passivs ....................................................163 5 Fragen...............................................................................164 6 Negation ...........................................................................165 7 Unpersönliche / subjektlose Sätze ................................168 8 Konstruktionen für ‚haben, sein, es gibt‘ usw. ............172 9 Ausdrücke für ‚müssen / sollen, können, dürfen‘ ........175 10 Satzverkürzung durch Partizipien .................................177 11 Zusammengesetzte Sätze...............................................178 VIII Wortbildung.......................................................... 180 1 Wortbildungsverfahren ...................................................180 2 Suffigierung .....................................................................181 4 Präfigierung .....................................................................187 5 Interfigierung und Postfigierung ...................................189 IX Texte und Übungen ............................................. 190 1 Aschenputtel....................................................................190 2 Das Manifest der kommunistischen Partei...................192 3 Der Rabe und der Fuchs.................................................194 X Zum Schluss......................................................... 195 Literatur......................................................................... 198 1 Empfohlene Hilfsmittel ...................................................198 2 Bibliographie....................................................................200 <?page no="8"?> viii Vorwort Das Obersorbische als eine slavische Minderheitensprache in Deutschland sollte gerade in der deutschsprachigen Slavistik möglichst häufig Gegenstand sein. Dies war unsere Motivation für die Erarbeitung des vorliegenden Buches. Auf der Grundlage anderer slavischer Sprachen, also dem Konzept der sogenannten Interkomprehension folgend, ist es gut möglich, sich mit überschaubarem Aufwand Lesekenntnisse dieser Sprache anzueignen. Ziel unseres Buches ist es daher, allen denjenigen, die bereits Kenntnisse in einer slavischen Sprache haben, ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, mit dem diese Lesekenntnisse des Obersorbischen erarbeitet werden können. Unsere primäre Zielgruppe sind Studierende der Slavistik. Insbesondere hoffen wir, dass sich Lehrende der Slavistik durch unser Buch ermutigt fühlen, einen Lesekurs Obersorbisch durchzuführen, auch wenn sie dabei gemeinsam mit den Studierenden lernen. Ausgangspunkt unseres Buches war ein Kurs, den wir beiden Bochumer Autorinnen im Sommersemester 2019 an der Ruhr-Universität Bochum nach dem sogenannten Modell der Bochumer Lesekurse durchgeführt haben. Speziell für diese Lesekurse verfasste die Bochumer Slavistin Karin Tafel gemeinsam mit den damaligen Lektorinnen und Lektoren des Seminars für Slavistik / Lotman-Instituts das Lehrbuch „Slavische Interkomprehension. Eine Einführung“, das 2009 beim Narr Francke Attempto Verlag Tübingen erschien. In diesem Lehrbuch wird das Prinzip der Interkomprehension für fünf slavische Sprachen umgesetzt: Das Buch von Tafel und Kolleg*innen ermöglicht es, bei Kenntnissen in einer der fünf Sprachen eine andere Sprache aus diesem Set kontrastiv zu erarbeiten. Unser Ziel war es, das bislang aus den Sprachen Bosnisch / Kroatisch / Serbisch, Polnisch, Russisch, Tschechisch und Ukrainisch bestehende Set um das Obersorbische zu erweitern. Entsprechend ist das Lehrbuch „Slavische Interkomprehension“ der durchgehende Bezugspunkt unseres Buches: Wo irgend möglich, wahren wir die Parallelität zu diesem. So tragen alle Kapitel dieselben Nummern, und es wurden in der Regel analoge Beispiele verwendet. Daher können unser Buch und die „Slavische Interkomprehension“ nebeneinander verwendet werden und es lassen sich Obersorbisch und Ukrainisch, Obersorbisch und Polnisch usw. einfach gegenüberstellen. Für die Erschließung des Obersorbischen existieren verschiedene Hilfsmittel, die bei der Erarbeitung von Lesekenntnissen verwendet werden können; <?page no="9"?> Vorwort ix eine Auswahl findet sich in unserer Bibliographie. Neben den als Buch erschienenen Materialien gibt es sehr gute und stetig wachsende Hilfsmittel als Online-Tools (vieles findet sich auf den Seiten des Sorbischen Instituts unter http: / / www.serbski-institut.de/ ). Insbesondere möchten wir auf das Online- Wörterbuch soblex (https: / / soblex.de/ ) hinweisen, in dem sowohl Bedeutungen als auch umfangreiche grammatische Informationen abgerufen werden können. Sehr hilfreich ist auch, dass Flexionsformen direkt eingegeben und aufgefunden werden können. Wir beiden Bochumer Autorinnen bedanken uns sehr herzlich bei allen, die uns in der ersten Phase der Erstellung der Materialien mit Hinweisen und Rückmeldungen unterstützt haben: bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unseres Lesekurses Obersorbisch an der Ruhr-Universität Bochum im Sommersemester 2019 sowie bei Thomas Menzel, Jana Schulz und Sonja Wölke vom Sorbischen Institut Bautzen. Wir freuen uns sehr, dass wir Sonja Wölke als versierte Sorabistin für die Erstellung der Druckversion als Mitautorin gewinnen konnten! Ein herzlicher Dank für wertvolle Kommentare zu einzelnen Abschnitten gilt Volkmar Lehmann (Hamburg) und Lenka Scholze (Konstanz / Zürich). Für die aufmerksame und gründliche Bearbeitung der Formatierung und Endkorrektur des Bandes bedanken wir uns sehr herzlich bei unserem Mitarbeiter Dominik Pokall. Ein besonderer Dank gilt der Za (Stiftung für das Sorbische Volk), die die Veröffentlichung dieses Buches finanziell gefördert hat. Unser ganz großer Dank schließlich gilt dem Narr-Verlag und insbesondere Tillmann Bub für die großartige Unterstützung unseres Vorhabens, das kreative Finden eines geeigneten Formates und die Aufnahme ins Verlagsprogramm. Wir freuen uns sehr darüber, dass wir unser Buch als e-Book allen Interessierten unkompliziert zur Verfügung stellen können und wünschen uns, dass es viele weitere Lesekurse Obersorbisch anregt. <?page no="10"?> x Abkürzungen Adj. Adjektiv m.-np. maskulin-nichtpersonal Adv. Adverb m.-p. maskulin-personal Akk. Akkusativ n. neutrum aksl. altkirchenslavisch nm.-p. nichtmaskulin-personal Aor. Aorist Nom. Nominativ bel. belebt oso. obersorbisch best. bestimmt Perf. Perfekt BKS Bosnisch, Kroatisch, Pers. Person Serbisch pf. perfektiv Dat. Dativ Pl. Plural dial. dialektal Plt. Pluraletantum Dim. Diminutiv poln. polnisch dt. deutsch Präs. Präsens Du. Dual Prät. Präteritum f. feminin russ. russisch Fut. Futur s.v. sub verbo (unter dem genannten Stichwort) geh. gehoben Sg. Singular Gen. Genitiv tsch. tschechisch Imper. Imperativ ugs. umgangssprachlich Impf. Imperfekt ukr. ukrainisch Inf. Infinitiv unbel. unbelebt Instr. Instrumental unbest. unbestimmt ipf. imperfektiv ursl. urslavisch kaschub. kaschubisch V Vokal Komp. Komparativ veraltd. Veraltend Lok. Lokativ Vok. Vokativ m. maskulin <?page no="11"?> xi Hinweise zur Nutzung Ziel dieses Buches ist es, rezeptive Kenntnisse des Obersorbischen zu vermitteln. Mit seiner Hilfe können sich die Nutzer*innen obersorbische Texte selbstständig erschließen, wobei sie als Grundlage von Kenntnissen einer anderen slavischen Sprache ausgehen. Dafür gibt das Buch einen sprachwissenschaftlich fundierten Überblick über die wichtigsten strukturellen Eigenschaften der obersorbischen Standardsprache im direkten Vergleich mit anderen slavischen Sprachen. „Obersorbisch - aus der Perspektive der slavischen Interkomprehension“ ist als Erweiterung zum Titel „Slavische Interkomprehension. Eine Einführung“ von Karin Tafel et al. (2009) konzipiert, in dem die analogen Informationen zu den slavischen Sprachen Bosnisch / Kroatisch / Serbisch, Polnisch, Russisch, Tschechisch und Ukrainisch dargestellt sind. Unser Werk kann allerdings auch als selbstständige Darstellung der obersorbischen Sprachstrukturen verwendet werden. Den Nutzen der direkten Gegenüberstellung des Obersorbischen mit fünf anderen slavischen Sprachen entfaltet es aber am besten, wenn es neben Tafel et al. (2009) verwendet wird. Auf diese Weise wird auch die umgekehrte Verwendung möglich: die Erschließung einer der slavischen Sprachen bei Tafel et al. auf der Basis des Obersorbischen als Brückensprache. Diese direkte Anknüpfung bringt mit sich, dass wir uns in Strukturierung und Aufbau so eng wie möglich und sinnvoll an Tafel et al. (2009) orientieren; die Kapitelüberschriften entsprechen daher denen im Bezugsbuch. Auch haben wir die Beispiele stets so gewählt, dass sie direkt denjenigen bei Tafel et al. entsprechen. Es gibt allerdings regelmäßig Fälle, in denen die obersorbische Entsprechung nicht passt, weil sie das jeweils relevante Phänomen nicht aufweist, einen für das Obersorbische untypischen Fall darstellt oder Ähnliches. In diesen Fällen führen wir ein zusätzliches Beispiel an, das das Obersorbische besser repräsentiert. Die direkte obersorbische Entsprechung zu Tafel et al. fügen wir für den selbstständigen Vergleich jedoch trotzdem stets hinzu, in Tabellen wird sie in Klammern gesetzt. Im Text gehen wir auf Ähnlichkeiten und Unterschiede des Obersorbischen zu anderen slavischen Sprachen ein und greifen dabei häufig auch auf sprachhistorische Erklärungen zurück, um die Entwicklungen nachvollziehbar zu machen. Wenn wir beim Sprachvergleich Formulierungen wie „in den anderen <?page no="12"?> Hinweise zur Nutzung xii slavischen Sprachen“ verwenden, so meinen wir mit diesen die bei Tafel et al. (2009) vorgestellten Sprachen Bosnisch / Kroatisch / Serbisch, Polnisch, Russisch, Tschechisch und Ukrainisch. Für die weiteren slavischen Sprachen müssen nicht alle Aussagen zutreffen; insbesondere das Bulgarische und das Makedonische verhalten sich in vieler Hinsicht anders. Wo wir Beispiele zur Erläuterung innerslavischer Vergleiche anführen, beschränken wir uns der Übersichtlichkeit zuliebe auf das Polnische und das Russische als die in Deutschland am häufigsten gesprochenen und erlernten slavischen Sprachen. Zahlreiche der besprochenen obersorbischen Phänomene werden durch Beispielsätze veranschaulicht. Für diese wird die Quelle jeweils im Anschluss an den obersorbischen Satz angegeben. Beispielsätze ohne Quellenangabe wurden von Sonja Wölke erstellt. Mit (hotko) gekennzeichnete Beispiele - dies ist der größte Teil - sind dem obersorbischen Korpus kurz (https: / / kontext.korpus.cz/ first_form? corpname=hotko) entnommen. Das genaue Textdokument wird nicht angegeben, kann aber im Korpus einfach ermittelt werden. Insgesamt haben wir Beispiele aus der obersorbischen Tageszeitung gegenüber anderen Texten (insbesondere älterer Literatur) bevorzugt. Alle Beispielwörter und -sätze sind grundsätzlich ins Deutsche übersetzt; wo es für das bessere Verständnis notwendig ist, wurden die grammatischen Kategorien mit tiefgestellten Kapitälchen direkt an der betreffenden obersorbischen Wortform angegeben. <?page no="13"?> 1 I Interkomprehension Das vorliegende Buch fußt - wie auch das Bezugswerk von Tafel et al. (2009) - auf dem Interkomprehensionsansatz. Dieser geht davon aus, dass wir beim Verarbeiten von unbekannten Sprachen versuchen, mit vorhandenem Wissen aus anderen Sprachen Teile des gehörten oder gelesenen Sprachstroms zu erschließen. Besonders hilfreich ist dabei Wissen aus verwandten Sprachen, weil zwischen diesen viele Ähnlichkeiten erkennbar sind. Zentrale Impulse gingen von dem Projekt EuroCom 1 aus, das die Mehrsprachigkeit in Europa fördern und dessen sprachlichen Reichtum schützen soll. Aus diesem Ansatz heraus entstand zunächst der Zweig EuroComRom, der die Interkomprehension innerhalb der romanischen Sprachen zum Gegenstand hat. Später wurden mit EuroComGerm und EuroComSlav 2 weitere Zweige mit dem Ziel entwickelt, die Prinzipien auf weitere Sprachfamilien zu übertragen. Für die slavischen Sprachen liegen zwei Lehrbücher vor - neben das Buch von Tafel et al. trat 2013 das Lehrwerk „Slawischer Sprachvergleich für die Praxis“ von Christof Heinz und Holger Kuße (2. Aufl. 2015), das die Sprachen Bosnisch / Kroatisch / Serbisch, Bulgarisch, Polnisch, Russisch und Tschechisch zum Gegenstand hat. Beide Lehrwerke, Tafel et al. (2009) sowie Heinz / Kuße (2015), haben zum Ziel, auf der Grundlage vorhandener Kenntnisse einer oder mehrerer slavischer Sprachen das schnelle Erlernen einer weiteren slavischen Sprache zu ermöglichen. Zu diesem Zweck werden einerseits Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten zwischen den Sprachen verdeutlicht. Andererseits wird der Umgang mit Unterschieden erleichtert, indem systematische Regeln (und in unterschiedlichem Umfang auch ihre historischen Hintergründe) transparent gemacht werden, sodass sie von den Lernenden bewusst eingesetzt werden können. Ein interessantes angewandtes Format zur slavischen Interkomprehension für Schulen, das auch das Obersorbische einbezieht, ist die an der Universität 1 Weitere Informationen und Literaturangaben finden sich bei Tafel et al. (2009: 7ff.). 2 Maßgeblich waren hier die Arbeiten von Lew Zybatow; einen Überblick über sie und auf diesen basierende weitere Publikationen gibt die von Pöckl et al. (2011) herausgegebene Festschrift zum Anlass von Zybatows 60. Geburtstag. <?page no="14"?> I Interkomprehension 2 Leip / Mehlhorn 2018; Mehlhorn 2019b, c). 3 Für Minderheitensprachen wie das Ober- und Niedersorbische spielt die Interkomprehension noch unter einem anderen Aspekt eine wichtige Rolle: Sie fördert die Motivation zu deren Weitergabe und Erhalt. Im sorbischen Sprachraum wird dieses Argument bewusst eingesetzt; beispielsweise wird gern der Nutzen für das Verständnis anderer slavischer Sprachen hervorgehoben, um Eltern für die Beteiligung ihrer Kinder an sorbischen Programmen zu gewinnen, und allgemein wird das Bewusstsein für die Ähnlichkeiten der slavischen Sprachen untereinander im sorbischen Sprachraum gezielt gefördert. Umgekehrt stellt die Interkomprehension ein hervorragendes Instrument dar, das Studierenden slavischer Sprachen (und natürlich auch allen anderen Interessierten mit slavischen Vorkenntnissen) den zügigen und erfolgreichen Erwerb rezeptiver Kenntnisse des Sorbischen erlaubt. So kann ein slavistisch bereichernder Einblick in die Besonderheiten der beiden sorbischen Sprachen, Bewusstsein für ihren Status und Zugang zu ihrer Kultur ermöglicht werden. Jedoch gibt es bislang noch keine Darstellungen, die das Ober- oder Niedersorbische systematisch und mit sprachdidaktischer Absicht aus der Perspektive der slavischen Interkomprehension präsentieren. 4 Diesem Desiderat begegnet unser Buch für das Obersorbische. Kern der Interkomprehensionsmethode ist es, eine systematische Vorgehensweise zu erarbeiten, mit denen Texte in einer bislang unbekannten Sprache Schritt für Schritt erschlossen werden können. Im Rahmen des - 3 Weiteres zur Konzeption der Interkomprehension s. Tafel et al. (2009: 5ff.). Die aktuelle Situation präsentiert der jüngst im Narr-Verlag erschienene Sammelband von Fäcke / Meißner (2019) zur Mehrsprachigkeitsdidaktik; für die hier vorliegende Thematik relevant sind insbesondere die Beiträge von Keller / (2019) zum Sorbischen und von Olfert / Schmitz (2019) zu autochthonen Mehrsprachigkeiten in Deutschland sowie mehrere Artikel von Mehlhorn zu Didaktik der slavischen Interkomprehension (2019a, b) und dem Erwerb slavischer Sprachen (2019c). 4 Selbstverständlich gibt es vergleichend bzw. typologisch orientierte sprachwissenschaftliche Darstellungen zu den beiden sorbischen Sprachen, zum Obersorbischen z.B. Panzer (1991), Schuster-Šewc (2000), Lewaszkiewicz (2002), Schaarschmidt (2002) oder Stone (2002, 2012). Sie haben jedoch eine andere Zielsetzung als den Erwerb von Sprachkompetenzen, und der größte Teil beschränkt sich auf die Beschreibung des Obersorbischen in einer Reihe gleichartig aufgebauter Darstellungen verschiedener Sprachen. <?page no="15"?> I Interkomprehension 3 Projekts wurde dafür die Methode der entwickelt, die auch bei Tafel et al. (2009: 9f.) dargestellt wird. Eine leicht variierte Methodik präsentieren Heinz / Kuße (2015), die wir Ihnen hier als mögliches Vorgehen bei der Beschäftigung mit obersorbischen Texten vorstellen möchten. Heinz und Kuße unterscheiden - und . Als Lernstrategien empfehlen wir mit den beiden Autoren das Einprägen von 1. Regelmäßigkeiten in Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen bekannter Sprache und dem Obersorbischen, 2. grundlegenden historischen Zusammenhängen zwischen den Sprachen, 3. wichtigen Bedeutungsunterschieden gleicher oder ähnlicher Formen. Haben Sie nun einen konkreten Text im Obersorbischen als einer Ihnen nochweitgehend unbekannten Sprache vor sich, so raten Heinz / Kuße (2015: 18ff.) generell dazu, hierarchisch zu lesen: Bevor Sie zu den Details kommen, ermitteln Sie zunächst allgemeine Eigenschaften des Textes wie Textsorte, zentrale Informationen der Textstruktur wie Gliederung, Überschriften, Hervorhebungen usw. Dies wird Ihnen helfen, die konkreten Inhalte besser einordnen zu können. Um dann die Details des Inhalts zu erschließen, empfehlen die Autoren die folgenden Strategien: 1. Suchen Sie Bekanntes (internationaler und panslavischer Wortschatz). 2. Ermitteln Sie weitere bekannte Wörter, indem Sie orthographische und lautliche Entsprechungen in Betracht ziehen. 3. Suchen Sie nach bekannten Wortteilen (Morphemen). 4. In dem so entstandenen Gerüst können Sie viele offene Lücken aus dem Kontext durch Weltwissen erschließen. 5. Um Wörter nachzuschlagen, müssen Sie zunächst die Grundformen (Infinitiv, Nominativ Singular usw.) ermitteln. Dafür sollten Sie strukturelles Wissen anwenden, das Sie wiederum auch zu Teilen interkomprehensiv erarbeiten können (z.B.: wie sehen Infinitivendungen aus? ). 6. Die so ermittelten Grundformen können Sie bei Bedarf nachschlagen. 7. Abschließend sollten Sie überprüfen, ob die erschlossenen oder nachgeschlagenen Bedeutungen in den Kontext passen. <?page no="16"?> 4 II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 1 Kurzcharakteristik 1 Anzahl der Sprecherinnen und Sprecher Ca. 20.000-25.000 2 Die genaue Zahl ist jedoch schwer zu bestimmen, u.a. da die Definition von nicht einheitlich geregelt ist. Ein beträchtlicher Anteil der Personen versteht das Obersorbische, spricht es aber nicht. Lewaszkiewicz schätzte 2002 die Zahl der Personen, die das Obersorbische produktiv verwenden, auf 12.000-15.000, hinzu kommen seiner Schätzung nach weitere 10.000-15.000 Personen, die Obersorbisch verstehen, aber nicht selbst sprechen. Die Zahl der Personen, die sich selbst als Sorb*in begreifen, ist jedoch deutlich höher. Geografische Verbreitung Bundesrepublik Deutschland, Bundesland Sachsen, Region Oberlausitz Klassifikation Westslavisch Dialekte und Umgangssprache Neben dem Obersorbischen gibt es das nördlich davon angesiedelte Niedersorbische; es steht zum Obersorbischen in einem dialektalen Verhältnis, sondern gilt als eigene Standardsprache. 1 Eine informative linguistische Kurzeinführung in das Obersorbische bieten Lewaszkiewicz (2002) und Stone (2012). 2 Nach Schön / Scholze (2014: 291). Scholze (2008) nimmt max. 20.000 an, davon ca. 15.000 Katholiken. <?page no="17"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 5 Die Dialekte des Obersorbischen lassen sich in verschiedene Dialekte des protestantischen Gebiets einerseits und des katholischen Gebiets andererseits untergliedern. Im geografischen Raum zwischen dem Ober- und Niedersorbischen gibt es einen Streifen mit Übergangsdialekten. Die 3 basiert historisch gesehen auf den südlichen evangelischen Bautzener Dialekten. Sie wird schriftlich und für offiziellere Situationen (Rundfunk, Theater, Schule, Kirche) mündlich 4 verwendet und in der Schule unterrichtet. In nichtoffiziellen Situationen (auch in der Öffentlichkeit) und im privaten Bereich wird die 5 verwendet; sie basiert auf der Standardsprache und ist vom Bautzener und katholischen Dialekt beeinflusst. Im katholischen Siedlungsgebiet (s.u.) wird im mündlichen Gebrauch eine Variante des Obersorbischen verwendet, die besonders stark vom katholischen Dialekt beeinflusst ist: die . 6 Die im vorliegenden Buch verwendete Terminologie (Standardsprache - Umgangssprache - katholische Umgangssprache) richtet sich nach dieser Einteilung, wobei wir als Oberbegriff für die mündliche Sprache nichtoffizieller Situationen verwenden. 7 Status Standardsprache Besonderheiten Obersorbisch gehört zu den offiziell anerkannten Minderheitensprachen in Deutschland. 8 Die Sprache wird im Alltag heute v.a. noch im katholischen 3 Auf oso. oder . 4 Diese mündliche Form der Standardsprache nennt Faska (1998: 140f.) „ertna forma spisowneje serbš iny“. 5 Bei Faska (1998: 141) „wobchadna serbš ina“. 6 Scholze (2008: 32 und passim analysiert sie in ihrer Monografie ausführlich. Unsere Beschreibung der Sprachsituation in diesem Absatz orientiert sich an dem Überblick in Scholze (2008: 31f.). 7 In den verschiedenen Beschreibungen des Obersorbischen werden diese Termini allerdings oft leicht unterschiedlich und nicht immer klar definiert verwendet. 8 Basierend auf der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, s. Deutscher Bundestag - wissenschaftlicher Dienst (2019). <?page no="18"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 6 Teilgebiet der Oberlausitz verwendet, dem sog. mit den Zentren Ralbitz-Rosenthal (Ralbicyden protestantischen Regionen und auch in Bautzen, oft als obersorbische „Hauptstadt“ bezeichnet, wird die Sprache hingegen nur noch sehr wenig gesprochen. Es gibt praktisch keine einsprachig obersorbischen Personen mehr; alle sorbischen Muttersprachler*innen beherrschen spätestens ab dem Schuleintritt auch das Deutsche. Der Erhalt der obersorbischen Sprache muss als gefährdet eingestuft werden. 9 2 Alphabet Das obersorbische Alphabet umfasst 37 Buchstaben (Grapheme). Spezifisch 10 kommt nur in Kombination mit den , vor. Die Orthographie basiert im Wesentlichen auf der tschechischen, darüber Polnischen teilt das Obersorbische außerdem die Grapheme < die sich aber in der Aussprache von den polnischen Entsprechungen unterscheiden. Die , -8 Vokalphonemen und 31-32 Konsonantenphonemen ausgegangen. 11 Die G 9 Vgl. die Angaben des . Der Sprachenkatalog weist dem Obersorbischen allerdings einen Vitalitätsgrad (das sog. ) von 4 (‚educational‘) auf einer Skala von 0 (‚international‘) bis 10 (‚extinct‘) zu. Das Niedersorbische ist demgegenüber als 8a (‚moribund‘) eingestuft. 10 In diesem Kapitel werden die Ebenen im laufenden Text durch unterschiedliche Klammern verdeutlicht; in Tabellen und Auflistungen, wo die Zuordnung eindeutig ist, wird auf sie verphonetische Ebene eckige ([a]). Die phonetischen Angaben folgen den Konventionen des (IPA), zum Obersorbischen vgl. Howson (2017). 11 Vgl. Šewc-Schuster (1984). Howson (2017) setzt nur 29 Konsonantenphoneme an. <?page no="19"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 7 Alphabet , 12 wie etwa noch in älteren Wörterbüchern zu finden. In neueren Werken wird < hinter < aufgeführt; darüber hinaus wird dort < <ó 13 A a (Q q) W w B b F f L l R r (X x) C c G g M m Y y H h N n S s Z z Ch ch Š š D d I i O o T t J j Ó ó U u E e K k P p (V v) Tab. II.1: Das obersorbische Alphabet 3 Aussprache Akzent Der Wortakzent ist dynamisch, d.h. der betreffende Vokal wird mit höherem Atemdruck produziert und erhält dadurch größere Lautstärke, einen erhöhten Grundton und ist etwas länger. Die Position des Wortakzents in nativen Wörtern ist fest und unbeweglich: Er fällt in aller Regel auf die erste Silbe des Wortes. 14 Präpositionalphrasen bilden meist ein phonetisches Wort, also eine Ausspracheeinheit, in der der Akzent auf die Präposition fällt: nas] können Abweichungen von der initialen Akzentposition auftreten ( 12 Der Laut, den das Graphem < darstellt, entwickelte sich historisch aus einem palatalisierten / t’/ , vgl. russ. , oso. ‚sein’. 13 So z.B. im etymologischen Wörterbuch von Schuster-Šewc (2010) und im Wörterbuch von Völkel ab der 5. Auflage (bearb. v. Meškank, 2005). 14 Regelmäßige Ausnahmen hierzu sind die Superlativformen (z.B. ] ‚zu alt‘) von Adjektiven. <?page no="20"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 8 die Position des Wortakzentes entspricht hier oft dem Deutschen (aber nicht immer: Vokale 15 Das Obersorbische verfügt über (7-)8 Vokalphoneme, 16 die durch die folgenden Grapheme repräsentiert werden: a e i y o u ó Besonderheiten: aber auch geschlossen: schlossen: als : [m j - e], v.a. bei besonderem Nachdruck: [nj e] ‚nein‘, - in seltenen Fällen als [i]: [njixtu] oder [nj , - in anderen, ebenfalls seltenen Fällen als [ ]: [ ] ‚Sprache‘, - in unbetonten Endungsmorphemen in der Regel als [e]: [ w stwe] ‚im Zimmer‘. [u]: l] ‚Schmerz‘. russisches Gegenstück und auch noch weiter vorne als das polnische. 17 15 Ausführliche Darstellungen des obersorbischen phonetischen und phonologischen Systems bieten Schuster-Šewc (1996) und Howson (2017) sowie zur obersorbischen katholischen Umgangssprache Jocz (2011, 2015). 16 unterschiedliche Phoneme repräsentieren oder nur als Positionsvarianten desselben Phonems aufzufassen sind. Jocz (2011) sieht für die obersorbische katholische Umgangssprache die Be- <?page no="21"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 9 Die phonetischen Realisationen des oso. Vokalsystems in betonter Position lassen sich wie in Tab. II.2 darstellen: vordere mittlere hintere geschlossen halbgeschlossen halboffen offen Tab. II.2: Das obersorbische Vokalsystem in betonter Position (dargestellt anhand der Vokalgrapheme) 18 Konsonanten Das Oso. unterscheidet stimmhafte und stimmlose Konsonanten. Wie in vielen anderen slavischen Sprachen spielt daneben auch im Oso. die Unterscheidung in palatalisierte (‚weiche‘) und nicht-palatalisierte (‚harte‘) Konsonanten eine Rolle; eine Palatalisierungsopposition tritt bei den Konsonanten <p, b, m, n, r, ift wird die Palatalisierung nach diesen Konsonanten und ‚Name‘, ‚Fleisch‘, ‚Zeichen‘ ‚Heide‘, w ‚Gesundheit D AT .,L OK . S G . ‘. talisiert: ‚Buch‘, ‚Lied‘. 19 Die Konsonanten werden in der Graphie folgendermaßen dargestellt: 17 Diese Unterschiede lassen sich mit der phonetischen Umschrift jedoch kaum abbilden, da so., poln., russ.). 18 19 Näheres s. Howson (2017) und Jocz (2015). Letzterer kommt zu dem Ergebnis, die Palatalisierungsopposition sei in der obersorbischen katholischen Umgangssprache irrelevant. <?page no="22"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 10 stimmhaft b d g (v) z stimmlos p t k f s c š hart m n r c ch h weich vor m n r w (historisch) ‚weich‘ 20 š l j Besonderheiten: ‚Pfarrer‘, . ‚abscheulich‘, [wowa] ‚Kopf‘, [wul ‚Kohle‘; dies gilt meist auch für nach Konsonanten: ‚helfen‘. chen: ‚Haus‘, ‚Osten‘. ‚Wasser‘, ‚Elbe‘ wird - - häufig nicht gesprochen, besonders am Wortanfang vor Konsonanten: ‚zurück‘, [ ] ‚alles‘, [nuk] ‚Enkel‘ [jac ] ‚mehr‘ oder [sjat ] ‚heilig‘. < - anders als im Polnischen - im Obersorbischen nicht palatalisiert gesprochen. 20 Die tatsächliche Realisierung ist heute meist nicht mehr palatalisiert; auf jeden Fall ist die Aussprache deutlich ‚härter‘ als im Russischen oder Polnischen; Jocz (2015: 195) führt dies auf deutschen Einfluss zurück. Bei <d e nicht mit den entsprechenden polnischen Graphemen identifiziert werden: deutlich anders als poln. <?page no="23"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 11 en-r realisiert: riert. s ‚drei G EN . ‘ usw.). sichtigt. Dubletten Eine übereinstimmende lautliche Realisierung zeigen die folgenden Graphempaare: Positionsbedingte Besonderheiten Stimmhafte Konsonanten werden stimmlos - im Wortauslaut: [dup] ‚Eiche‘, - vor stimmlosen Konsonanten : aus: [ju] ‚Süden‘, [w j et] ‚führen P RÄT .S G . M . ‘. -vorderen Vokalen ein [ ] eingeschoben: n] ‚Pferd‘, [sta n] ,steh auf‘, [be <?page no="24"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 12 Lautwerte der einzelnen Grapheme Oso. Graphem Phonetische Umschrift 21 (IPA) Beispiel Deutsche Grapheme mit ähnlichem Lautwert A a [a] atlas [atlas] Atlas B b [b] Ball C c Zucker k] Kutsche D d [d] ] danke en] Dschungel E e derje [d ], zemja netto, schwer e ] ra] wir F f [f] farar [fa Fenster G g grat [g at] Gold H h [h] hat [hat] hat Ch ch mucha [muxa], p] Da arakter I i [i] list [l ist] Igel J j jejo [jej ] jung K k [k] en] kaum [w] i a] Western (engl.) L l [l] s], lampa [lampa] Lampe M m [m] ] Mai N n [n] nan [nan] Natur n], in ] Cognac O o ] Trott, Thron Ó ó , [u o ]. dwór [dw herum P p [p] ] Post (Q q) Qualle R r Rast 21 Für das jeweilige Phonem in starker Position. <?page no="25"?> II Das Obersorbische: Zahlen und Fakten, Alphabet und Aussprache 13 , , grapschen, Rikscha, Platz, Tratsch S s [s] sotra [s nass Š š špihel [ schön T t [t] tam [tam] Tisch Kutsche U u [u] Suche V v [v] [w] [f] vogtlandski [fokt- Volt Varieté Vogtland W w [w] Western (engl.) (X x) [ s] Mexiko [ ] Mexiko Y y sydom [s d m] Schimmer Z z [z] znaty [znat ] Suppe na] Journal Tab. II.3: Lautwerte der obersorbischen Grapheme <?page no="26"?> 14 III Zum Einstieg An einigen kurzen Textstücken können Sie vor der intensiveren Beschäftigung mit der obersorbischen Lexik und Grammatik Ihre schon vorhandenen Interkomprehensionskenntnisse ausprobieren. Was kann man am Wochenende unternehmen? - eine Veranstaltungsankündigung pjatk, 24. januara 2020 Ra ludo Welchen Zeitungsartikel würden Sie gern lesen? Jazzowa poezija, lubos Pólska: PiS we Wo mje šinach w Europje Afery politikarjow pozabyte 1 1 Alle Titel sind der elektronischen Version der obersorbischen Tageszeitung (https: / / www.serbske-nowiny.de/ ) entnommen. <?page no="27"?> 15 IV Wortschatz Der Wortschatz des Obersorbischen speist sich aus denselben Quellen wie derjenige der anderen slavischen Sprachen: Einen großen Teil bildet slavischer Erbwortschatz, der sich teilweise bis in das Indoeuropäische zurückverfolgen lässt. Ein anderer Teil ist Lehngut aus verschiedenen Sprachen, für das Obersorbische spielt hier das Deutsche als die über Jahrhunderte dominierende Kontaktsprache eine zentrale Rolle. Im 19. Jahrhundert wurden im Zuge des Purismus viele Germanismen durch Wörter slavischer Herkunft ersetzt, wobei besonders auf das Tschechische zurückgegriffen wurde. Diese konnten sich allerdings in der gesprochenen Sprache nicht immer durchsetzen, wo häufig die alten Germanismen weiter existierten und stetig neue hinzukamen. Bei den gegenwärtigen Übernahmen handelt es sich meist um sog. sowie Anglizismen, die häufig über das Deutsche ins Obersorbische gelangen. Besonders in die Umgangssprache werden daneben kontinuierlich neue deutsche Wörter aufgenommen, die allerdings in der Standardsprache vermieden werden. In den Dialekten 1 und in der Umgangssprache existieren aufgrund dieser beiden Entwicklungen viel mehr Germanismen als in der normierten bzw. schriftlichen Version der Standardsprache. 2 1 Panslavischer Wortschatz Den panslavischen Wortschatz bilden diejenigen Wörter, die in der Mehrheit der slavischen Sprachen vorhanden sind; Tafel et al. (2009) schlagen vor, hier solche Wörter einzubeziehen, die in mindestens fünf slavischen Sprachen vorhanden sind. Diese Wörter können gemeinsam aus dem Indoeuropäischen ererbt sein, sich in urslavischer Zeit entwickelt haben oder frühe Entlehnungen darstellen, die noch in einer Zeit der geringen Auffächerung der slavischen Sprachen übernommen wurden. In diesen Bereich fallen typischerweise Wör- 1 Für die verschiedenen obersorbischen Dialekte ermittelte Michalk (1989) Quoten von deutschen Lehnwörtern zwischen 15 und 20%. 2 S. hierzu Jentsch (1999) und die ausführliche Analyse von Scholze (2008) zu Germanismen in der obersorbischen katholischen Umgangsprache. <?page no="28"?> IV Wortschatz 16 ter des Grundwortschatzes, die hochfrequent sind und zentrale Konzepte des Alltagslebens bezeichnen: Menschen und ihre sozialen Beziehungen zueinander, Körperteile und Elemente der Umwelt. Deutsch Obersorbisch Gott bóh Bruder bratr Mensch Tochter Stimme h ós Kopf h kaufen Mutter Fuß / Bein noha Nase nós Vater nan Fluss Hand / Arm ruka Schwester sotra Enkel wnuk Tab. IV.1: Beispielwörter panslavisch Tab. IV.1 gibt die obersorbischen Entsprechungen zu den Beispielen des panslavischen Wortschatzes, den Tafel et al. (2009: 45f.) anführen. Wie verhalten sich diese zu den Entsprechungen der dort genannten fünf slavischen Sprachen? Zunächst ist eine Reihe von lautlichen Unterschieden offensichtlich; diese gehen meist auf regelmäßige Lautentwicklungen zurück, die später thematisiert werden (s. Kap. V). Davon abgesehen stimmt die lexikalische Substanz des Obersorbischen in den Beispielen jedoch fast völlig mit den anderen Sprachen überein. Nur zwei Fälle finden sich in Tab. IV.1, in denen im Oso. ein anderer Wortstamm als in den anderen genannten slavischen Sprachen auftritt, nämlich und . 3 3 Zu s. Kap. IV.4. geht auf ein sog. aus der Kindersprache zurück (vgl. z.B. auch russ. <?page no="29"?> IV Wortschatz 17 Entlehnungen aus dem Deutschen kommen zwar in den Beispielen nicht vor, sind im Grundwortschatz allerdings durchaus anzutreffen, z.B. oso. ‚Baum‘ aus dt. Ein Beispiel für das Divergieren von Umgangssprache und Standardsprache ist umgangssprachlich ‚Luft‘ vs. standardsprachlich 4 2 Kulturwortschatz Im Kulturwortschatz 5 zeigt sich sehr häufig das Phänomen, dass in den verschiedenen slavischen Sprachen zwar unterschiedliche Wörter auftreten, diese aber durchaus auf gemeinsames slavisches Material, sozusagen panslavische Wurzeln, zurückgehen. Diese haben dann jedoch unterschiedliche Entwicklungen in Bezug auf Semantik und Wortbildung eingeschlagen. Ein Beispiel hierfür ist ‚Kindergarten‘, das vom Verb abgeleitet ist. Ähnliche Verben finden sich in vielen slavischen Sprachen (russ. ‚ein Kind pflegen‘ u.a.), aber die davon abgeleitete Nominalisierung kennt nur das Obersorbische. 6 Darüber hinaus fallen im Oso. die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit dem Tschechischen bei Unterschieden zu den anderen vier bei Tafel et al. (2009) genannten slavischen Sprachen auf, die überwiegend auf Entlehnungen des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Beispiele sind etwa , , oder . Deutsch Obersorbisch Arzt Bahnhof dwórniš Bleistift Entscheidung, Entschluss rozsud Errungenschaft 4 S. zu diesem Phänomen und speziell auch zu diesen Beispielen Bayer (2006: 76ff.). 5 ist kein wirklich scharf abgrenzbarer Begriff. Mit ihm wird üblicherweise der Teil des Wortschatzes bezeichnet, der einerseits nicht zum hochfrequenten Grundwortschatz gehört, andererseits aber auch nicht zu Fachwortschätzen. Das betrifft besonders häufig Wörter für komplexere kulturelle administrative und technische Konzepte. 6 Vgl. Schuster-Šewc (2010: s.v.). <?page no="30"?> IV Wortschatz 18 Erzählung Fabel , fabula, fabla Fabrik fabrika Flugzeug Gebäude, Bau twarjenje Gedicht base Gefängnis jastwo Gesetz zako Inhalt wobsah Kellner Kindergarten Märchen bajka Maschine mašina modern moderny Musik hud (selten auch muzika) Nachricht natürlich (Adj.) Papier papjera Regierung Richtung Satz (Grammatik) sada Schauspieler / -in d d nica Schuh(e) Staat stat Stunde suchen pyta Suppe poliwka Theater (Zusammen-)Treffen zetkanje übersetzen Urlaub dowol Vergangenheit verhaften Woche Wohnung bydlenje <?page no="31"?> IV Wortschatz 19 Zeitung nowiny Zug Tab. IV.2: Beispielwörter Kulturwortschatz Im Obersorbischen finden sich im Kulturwortschatz besonders häufig Entlehnungen aus dem Deutschen, etwa im Bereich von Handwerk und Technik ( ‚abschrauben‘, ‚Farbe‘, ‚Feile‘) oder im Bereich der Berufsbezeichnungen ( ‚Bauer‘, ‚Maurer‘). 7 3 Internationalismen Internationalismen als Wörter, die in verschiedenen (indo-)europäischen Sprachen formal und semantisch sehr ähnlich sind, gehen in der Regel auf gemeinsames Lehngut zurück, das oft aus dem Lateinischen, Griechischen oder Englischen stammt und sich - meist zusammen mit dem entsprechenden Konzept - im gemeinsamen Kulturraum verbreitete. Natürlich nehmen nicht immer alle Sprachen an denselben Internationalismen teil. Im Obersorbischen wurden manche Internationalismen im Zuge des Purismus im 19. Jahrhundert durch slavische Bildungen ersetzt. Dies konnten slavische Lehnwörter oder Bildungen mit sorbischem Material sein. Ein reiner Sorabismus ist etwa ‚Geschichte‘. 8 Oso. (zu ‚Heilmittel, Arznei‘, ein Panslavismus) findet sich dagegen auch in einer Reihe anderer slavischer Sprachen. In Tab. IV.3 sind diejenigen der Beispielwörter aus der Tabelle von Tafel et al. (2009: 50), die im Obersorbischen keine Internationalismen sind, kursiv gesetzt. Ein interessanter Punkt ist das Genus der Internationalismen, das sich zwischen den slavischen Sprachen unterscheiden kann, vgl. z.B. oso. (f.) gegenüber poln. , russ. (m.) oder oso. , poln. tschech. (m.) gegenüber russ. (f.). In Bezug auf die Betonung verhalten sich Lehnwörter oft anders als einheimische: Während im 7 Besonders häufig treten Entlehnungen aus dem Deutschen in den Dialekten und der Umgangssprache auf. Ausführlich hierzu s. Bayer (2006: 67). 8 Das Wort wurde als Lehnübersetzung zu dt. zum oso. Verb / ‚geschehen‘ gebildet. Es ersetzte im 19. Jahrhundert das frühere Wort (Schuster- Šewc 2010: s.v.). <?page no="32"?> IV Wortschatz 20 Obersorbischen generell auf der ersten Silbe betont wird, folgen die Internationalismen hier häufig dem deutschen Vorbild. 9 In der folgenden Tabelle sind die Betonungen daher durch Fettdruck hervorgehoben, wenn sie von der Erstsilbenbetonung abweichen. Deutsch Obersorbisch Anwalt (Rechtsanwalt) Aggression agresija Analyse analyza Apotheke apoteka, Computer kompjuter Demokratie demokratija Film film Geschichte (Geschichtswissenschaft) Grammatik gramatika Internet internet Krise kriza Minute minuta, Mode moda Mythos mytos Problem problem Programm program Roman roman Symbol symbol Theorie teorija Tab. IV.3: Beispielwörter Internationalismen 9 Vgl. den Abschnitt zur Aussprache in Kap. II. <?page no="33"?> IV Wortschatz 21 Im obersorbischen Sprachgebiet Internationale Präfixe / „Eurofixe“ Bei den internationalen Präfixen ist nicht immer eindeutig zu ermitteln, ob sie selbstständig produktiv funktionieren oder nur im Rahmen von vollständig übernommenen Wörtern auftreten. Einige der in der folgenden Tabelle genannten Präfixe kommen nur in vollständig entlehnten Wörtern vor (diese sind mit einem Stern * gekennzeichnet). Produktiv über die genannten Beispiele hinaus sind gegenwärtig z.B. ( ‚Bioabfälle‘) und ( ‚Öko-Bauer‘). Zu einer ganzen Reihe von internationalen Präfixen gibt es obersorbische Entsprechungen, die folgende Tabelle nennt nur einige Beispiele. Deutsch Obersorbisch Beispiel Obersorbisch Bedeutung antianti- Antikörper dededenacifikacija Entnazifizierung diadiadialektiski* dialektisch exekseksminister Exminister hyperhyperhyperkritiski hyperkritisch hypohypohypotaksa* Hypotaxe interinter-, mjez(y)interameriski mjezyba kowy interamerikanisch interzellular megamegamegakoncert Megakonzert <?page no="34"?> IV Wortschatz 22 multimulti-, wjacemultikulturny multikulturell Mehrsprachigkeit paraparaparawojerski paramilitärisch polypolypolyfunkcionalny* polyfunktional proproproeuropski proeuropäisch supersupersuperlochki superleicht teleteletelearbeitstranstrans-, nadtransnacionalny, nadnacionalny transnational, übernational Tab. IV.4: Beispiele internationale Präfixe 4 Falsche Freunde Falsche internationale Freunde In Abschnitt 3 hatten wir bereits Beispiele dafür gesehen, dass Internationalismen nicht für alle Sprachen gelten müssen; so wird im Obersorbischen nicht der Internationalismus verwendet, sondern die sorbische Bildung (wie auch im Deutschen - kein Zufall: ist eine Lehnübersetzung von dt. s. Tab. IV.3). Derartige Fälle, wo also viele andere slavische Sprachen einen Internationalismus verwenden, das Obersorbische aber nicht, sind relativ häufig, vgl. z.B. ‚Restaurant‘ (neben viel seltenerem ‚Toilette‘ (neben seltenem ) oder ‚Musik‘ (neben seltenerem . Dies sind keine , sondern einfach Fälle, wo sich das Obersorbische in Bezug auf Internationalismen anders verhält als die anderen slavischen Beispielsprachen. Um falsche internationale Freunde im eigentlichen Sinne handelt es sich dagegen bei den folgenden Beispielen: oso. ‚Partie‘ vs. poln. russ. ‚Partei‘; oso. russ. ‚Granaten-‘ (in Zusammensetzungen) vs. poln. ‚dunkelblau‘; oso. ‚Mappe‘ vs. poln. ‚Landkarte‘. Falsche slavische Freunde In den bisherigen Abschnitten hatten wir bereits gesehen, dass die slavischen Sprachen sehr häufig gemeinsam ererbtes Material unterschiedlich weiterent- <?page no="35"?> IV Wortschatz 23 wickeln. Darin liegt die Hauptquelle für falsche Freunde. Bei einer genaueren semantischen Betrachtung wird meist deutlich, wo die Zusammenhänge bestehen. Dies soll an einigen Beispielen aus den oben genannten Tabellen illustriert werden: Oso. ‚Tochter‘ weist große formale Ähnlichkeit mit russ. poln. tschech. auf, die meist ‚Mädchen‘, aber auch ‚Magd‘ u.ä. bedeuten. Alle Wörter lassen sich auf urslavisch * ‚Mädchen‘ zurückführen. Im Oso. hat sich das Wort auf eine bestimmte Unterkategorie von jungen Mädchen beschränkt und für ‚Mädchen‘ allgemein ein neues Wort entwickelt, nämlich . Oso. ‚suchen‘ lädt zur Verwechslung mit poln. ukrain. ‚fragen‘ oder mit russ. ‚foltern, ausfragen‘ ein. Alle diese Bedeutungen sind semantische Spezialisierungen des urslav. ‚fragen, suchen, erbitten‘. 10 Weitere Beispiele für falsche Freunde sind (wir beschränken uns hier auf den Vergleich Obersorbisch - Polnisch - Russisch): oso. ‚arbeiten‘ - poln. ‚handeln, wirken, funktionieren‘ - russ. ‚machen‘ oso. ‚Mund‘, poln. ‚Mund, Maul (ugs.)‘ - russ. ‚Lippe‘ oso. ‚Herr, Frau‘ - poln. ‚Priester, Äbtissin‘ - russ. , ‚Fürst, Fürstin‘ oso. ‚Jahr‘ - poln. russ. ‚Sommer‘ oso. ‚Wange‘ - poln. (buchsprachl.), russ. ‚Gesicht‘ oso. , poln. ‚Sonntag‘ - russ. ‚Woche‘ oso. ‚bunt‘ - poln. ‚geschrieben‘ - russ. ‚handgeschrieben; bemalt‘ oso. ‚Herz‘ - poln. ‚Leber‘ - russ. ‚Eingeweide‘ oso. ‚Frau, Mann‘ - poln. , russ. ‚Ehefrau, Ehemann‘ oso. ‚Wetter‘ - poln. , russ. ‚Eimer‘ Die semantischen Prozesse - Verschiebungen oft metonymischer Art zwischen benachbarten Konzepten - dürften in diesen Fällen auf der Hand liegen. Nur 10 Schuster-Šewc (2010: s.v.). <?page no="36"?> IV Wortschatz 24 beim letzten Beispiel vs. poln. russ. liegen zwei historisch ganz unterschiedliche Wörter vor. 11 5 Grundwortschatz Hier folgen die obersorbischen Entsprechungen zu den bei Tafel et al. (2009) ausgewählten Einheiten des Grundwortschatzes, die wir empfehlen, einmal durchzulesen und mit einer der anderen slavischen Sprachen zu vergleichen. Am Ende dieses Abschnittes folgt darüber hinaus eine Übersicht über die besonders häufigen Funktionswörter des Obersorbischen in obersorbischer alphabetischer Anordnung, sodass diese Übersicht zum Nachschlagen verwendet werden kann. Auswahl aus dem Grundwortschatz (20 Einheiten) Deutsch Obersorbisch Arbeit Brief list Brot chl b Buch kniha Fenster wokno Feuer Gebäude twarjenje Geld pjenjezy Geschäft (Laden) wobchod Glück zbo o Haus dom, ch a Kraft móc Land kraj Leben Luft Musik 11 Oso. geht auf ursl. * ‚schönes Wetter‘ zurück und analoge Wörter kommen auch in anderen slavischen Sprachen vor, z.B. russ. dial. (Schuster-Šewc 2010: s.v.). <?page no="37"?> IV Wortschatz 25 Ort Staat stat Stadt Tür durje P L . Verkehr wobchad Weg Wort Zeit Tab. IV.5: Auswahl aus dem Grundwortschatz Verwandtschafts- und Personenbezeichnungen Deutsch Obersorbisch Mensch Familie swójba Mutter; Mama Vater; Papa nan; papa Eltern staršej Tochter Sohn syn Kind Schwester sotra Bruder bratr Geschwister / Brüder und Schwestern sotry Großmutter; Oma wowka Großvater; Opa d Enkelin Enkel wnuk Tante Onkel - Bruder der Mutter wuj Onkel - Bruder des Vaters wuj Nichte - Tochter der Schwester Nichte - Tochter des Bruders Neffe - Sohn der Schwester sotrowc Neffe - Sohn des Bruders bratrowc <?page no="38"?> IV Wortschatz 26 Cousine kuzina Cousin kuzenk Ehefrau Ehemann Schwiegermutter Schwiegervater Schwiegereltern Schwiegertochter Schwiegersohn Patenonkel kmótr Patentante kmótra Schwägerin swakowa Schwager swak Junge (bis ca. 14 Jahre) hólc Junge (ab ca. 14 Jahre) hólc Mädchen (bis ca. 14 Jahre) holca Mädchen (ab ca. 14 Jahre) Freund p Freundin p Freund (Lebenspartner) p Freundin (Lebenspartner) p Braut njewjesta Bräutigam nawo enja M . Nachbar susod Nachbarin susodka, susod Volk, Nation lud, narod Mann Frau Tab. IV.6: Verwandtschafts- und Personenbezeichnungen Körperteile Deutsch Obersorbisch Arm ruka Auge wó ko <?page no="39"?> IV Wortschatz 27 Bart broda Bauch brjuch Bein noha Brust Finger porst Fuß stopa, noha Gesicht wobli o Haare Hals šija Hand ruka Kinn broda Kopf Lippen hubje Mund huba Nase nós Ohr wucho Rücken chribjet Schulter ramjo Stirn Wangen lico S G . , licy D U . , lica P L . Zahn zub Zeh palc Tab. IV.7: Körperteile Wochentage Deutsch Obersorbisch Montag Dienstag wutora Mittwoch srjeda Donnerstag štwórtk Freitag pjatk Samstag sobota Sonntag Tab. IV.8: Wochentage <?page no="40"?> IV Wortschatz 28 Monatsnamen Deutsch Obersorbisch Januar Februar März April apryl, jutrownik, haperleja F . Mai meja F . Juni Juli August September Oktober oktober, winowc November nowember, nazymnik Dezember december, hodownik Tab. IV.9: Monatsnamen Jahreszeiten Deutsch Obersorbisch Frühling nal Sommer Herbst nazyma Winter zyma Tab. IV.10: Jahreszeiten Himmelsrichtungen Deutsch Obersorbisch Norden Süden Osten wuchod, ranje Westen Tab. IV.11: Himmelsrichtungen <?page no="41"?> IV Wortschatz 29 Feiertage Deutsch Obersorbisch Weihnachten hody Neujahr Ostern jutry Pfingsten swjatki 1. Mai Karneval póstnicy, karnewal Tab. IV.12: Feiertage Verben In der folgenden Liste werden für das Obersorbische zuerst die imperfektive, dann die perfektive Form genannt. Bei den Verben der Bewegung ( ‚gehen‘ usw.) sind wie im Poln., Russ. usw. beide Formen imperfektiv (s. hierzu Kap. VI.15). Deutsch Obersorbisch anfangen zapo zapo arbeiten z aufhören p p beenden kón zakón bekommen, erhalten dóstawa denken, sich ~ (sebi) (sebi) einführen erreichen, erlangen <?page no="42"?> IV Wortschatz 30 essen z fragen fürchten, sich ~ geben gehen IPF ., UNBEST . IPF ., BEST . 12 gewinnen (Spiel) dob dob haben m kaufen kommen, ankommen ; können móc IPF . zamóc PF ./ IPF . kosten lieben machen, tun müssen nehmen reinigen 12 Zum Aspekt bei Verben der Bewegung s. Kap. VI.15. <?page no="43"?> IV Wortschatz 31 sagen IPF ./ PF . rjec PF . PF . sehen IPF . PF . ; IPF . sein ( ) spielen (Spiel) stehen trinken werden (entstehen) wissen wollen Tab. IV.13: Verben Adjektive Deutsch Obersorbisch gut dobry schlecht hubjeny, špatny böse groß (Wuchs, hoch) wulki klein alt stary jung fröhlich traurig zrudny dumm schlau mudry weise mudry schön rjany <?page no="44"?> IV Wortschatz 32 hübsch šikwany hässlich hrozny dick dünn suchi reich bohaty arm chudy bekannt znaty groß (big) wulki groß (great) wuznamny lang kurz krótki früh spät pózdni langweilig interessant zajimawy Tab. IV.14: Adjektive Farbadjektive Deutsch Obersorbisch rot orange gelb grün zeleny blau módry blau (hell) blau (dunkel) violett weiß schwarz rosa braun bruny grau ry Tab. IV.15: Farbadjektive <?page no="45"?> IV Wortschatz 33 Adverbien, Prädikative und Partikeln Deutsch Obersorbisch am besten najl pje anders hinak auch te (auch) nicht ani außerdem nimo toho, wyše toho bald bórze besonders wosebje danach po tym dann potom einmal erst hakle; najprjedy ,zuerst, an erster fast nimale, skoro ganz cyle genug gerne rady gewiss, sicherlich hauptsächlich immer p eco jedenfalls langsam leider manchmal druhdy, hdys a hdys mehr wjace möglich möglichst bald prawje bórze niemals noch hiš noch einmal nötig trjeba nur plötzlich nadobo, naraz <?page no="46"?> IV Wortschatz 34 schade škoda schnell schon sehr jara so tak, takle sogar samo sonst hewak überhaupt übrigens nimo toho, wyše toho ungefähr vielleicht völlig wahrscheinlich najskerje weniger mjenje wieder zaso wirklich wohl, vermutlich drje, snano ziemlich zuerst najprjedy zusammen Tab. IV.16: Adverbien, Prädikative und Partikeln Konjunktionen 13 Deutsch Obersorbisch aber ale als jako als (im Vergleich) also anstatt 13 In einigen Fällen sind hier auch Pronomina angegeben; dies betrifft (1.) Fälle, in denen das deutsche Äquivalent sowohl Konjunktion als auch Pronomen sein kann (z.B. damít, dámit), und (2.) Fälle, in denen die Konjunktion gleichzeitig ein Interrogativ- und im Deutschen auch ein Relativpronomen darstellt. Eine systematische Übersicht über die umfangreiche Klasse der Pronomina findet sich in Kap. VI.18. <?page no="47"?> IV Wortschatz 35 auch nicht ani außer bald bórze bevor bis dagegen porno tomu damít zo by dámit (Pronomen) z tym dank d dass zo denn (kausal) deshalb tohodla entweder … oder pak … pak falls jeli, jelizo fast nimale, skoro gerade runje je … desto 14 kaum nachdem po tym zo weder … noch ani … ani ob -li (angefügt an finite Verbformen) obwohl oder abo seitdem z / sobald solange do solange, bis sonst hewak soviel 14 Der orthographische Unterschied zwischen den beiden Elementen dieser Zweiwort- Konjunktion erklärt sich historisch: geht auf ursl. zurück, auf (vgl. poln. - russ. - <?page no="48"?> IV Wortschatz 36 soweit stattdessen statt dass trotzdem um zu zo (+ Konjunktiv des Verbs) und a während mjeztym zo was što (Interrogativpronomen), š (Relativpronomen) was für ein kajki weder … noch ani … ani weil welcher kotry (Interrogativpronomen), wenn wenngleich wer štó (Interrogativpronomen), š (Relativpronomen) weshalb wessen (Relativpronomen) wie kak (Relativpronomen) wie (im Vergleich) wieviel kelko wo (Relativpronomen) woher zwotkel (Interrogativpronomen), Tab. IV.17: Konjunktionen und Pronomina <?page no="49"?> IV Wortschatz 37 Zahlen Kardinalzahlen Das Zahlwort für ‚eins‘ wird im Obersorbischen wie in den anderen slavischen Sprachen wie ein Pronomen flektiert, es verfügt über Genus- und Numerusformen. Das Zahlwort für ‚zwei‘ verfügt über zwei Genusformen: wird mit femininen und neutralen Substantiven verwendet ( ‚zwei Bücher‘, ‚zwei Fenster‘), mit maskulinen ( ‚zwei Lehrer‘, ‚zwei Bäume‘). Da die Zweiheit aber auch durch den Numerus Dual per se ausgedrückt wird ( ‚Bäume DU. ‘ = ‚zwei Bäume‘), wird das Zahlwort für ‚zwei‘ im Obersorbischen etwas seltener als in den anderen slavischen Sprachen gebraucht, vgl. z.B.: (hotko) ‚die beiden tschechischen Gäste amüsierten sich über die beiden sorbischen Bücher‘. Die Zahlwörter für ‚drei‘ bzw. ‚vier‘ lauten / / Die zweite Form, die Form, wird mit maskulin-personalen Substantiven verwendet, die erste mit allen übrigen: Auch die Zahlwörter von 5-99 (außer ‚50‘) weisen analoge Formen auf auf. Sie sind ursprünglich ebenfalls mit dem maskulinpersonalen Genus zu verbinden und insofern historisch mit den maskulinpersonalen Numeralia des Polnischen zu vergleichen. Heute werden die Formen auch genusübergreifend v.a. in nominalisierter Funktion verwendet und treten somit als Kollektiva auf, z.B.: (hotko) ‚Drei sind Stipendiaten der Stiftung, fünf aus der Niederlausitz und sieben aus der Oberlausitz, unter ihnen Anja Schön‘. Da diese Formen durchaus häufig auftreten und nicht immer ganz regelmäßig sind, werden sie in Tab. IV.18 in einer eigenen Spalte genannt. In Bezug auf die zusammengesetzten Kardinalia fällt auf, dass sie in der Reihenfolge Einer - Zehner wie im Deutschen und somit anders als in den slavischen Vergleichssprachen gebildet werden: 15 ‚einundzwanzig‘, ‚1735‘. 15 Diese Abweichung von der sonst in der Slavia verbreiteten Reihenfolge Zehner - Einer ist typisch für slavische Sprachen im Kontakt mit dem Detuschen; so systematisch wie im Obersorbischen tritt sie auch im Slovenischen auf (s. dazu Bayer 2006: 90ff.). <?page no="50"?> IV Wortschatz 38 Syntaktisch steht das Numerale / ‚zwei‘ stets mit dem Dual des Substantivs und des Prädikats; / und / werden mit dem Nominativ Plural des Substantivs und dem Plural des Prädikats verwendet: (hotko) ‚Vier Jahre waren seit jener Zeit vergangen‘. Die Kardinalia von ‚fünf‘ bis ‚hundert‘ verlangen den Genitiv Plural des gezählten Substantivs, das Prädikat steht in der 3.Pers.Sg.n.: (hotko) ‚Fünf Familien im Dorf sind rein sorbisch‘. 16 Bei Numeralia über 100 entscheidet das letzte Glied: (hotko) ,einhundertzwanzig Jahre‘; . (hotko) ,Schon einhundertvier Jahre wurde hier niemand mehr begraben.‘ Anders als in den anderen slavischen Sprachen werden die Kardinalia im Obersorbischen meistens nicht flektiert: (hotko) ‚CDU und FDP liegen im Moment mit sieben Prozentpunkten vor SPD und Grünen‘. Deutsch Obersorbisch Obersorbisch o-Form 0 nul (‚kein‘), nula (‚die Null‘) 1 jedyn (m.) jedna (f.) jedne (n.) 2 dwaj (m.) ., n.) 3 t i (m.-np., f., n.) 4 štyri (m.-np., f., n.) štyrjo 5 pje 6 7 sydom sedmjo 8 wosom wosmjo 9 10 11 j 16 Unter Einfluss des Deutschen tritt daneben auch die 3. Person Plural auf: D ‚zehn Interessenten sind gekommen‘ (Schuster-Šewc 1996: 135). <?page no="51"?> IV Wortschatz 39 12 o 13 t t o 14 o 15 o 16 š š o 17 o 18 o 19 o 20 o 21 o 22 o 23 t t o 24 o 30 t t o 40 o 50 / pje pje 60 š š 70 80 90 100 sto 200 dw 300 t ista 400 štyrista, štyri sta 500 1000 tysac Tab. IV.18: Zahlen <?page no="52"?> IV Wortschatz 40 Ordinalzahlen Deutsch Obersorbisch erster (m., f., n.) pr ni, zweiter (m., f., n.) druhi, druha, druhe dritter (m., f., n.) t , t a, t e vierter (m., f., n.) štwórty, štwórta, štwórte fünfter (m., f., n.) pjaty, pjata, pjate Tab. IV.19: Ordinalzahlen Sonstige Zahlwörter Deutsch Obersorbisch beide wobaj (m.) (f., n.) einmal zweimal dwójce dreimal zweifach (Adj.) dwoji zweifach, doppelt (Adj.) dwójny dreifach (Adj.) trójny zu zweit podwu zu dritt erstens spr nja zweitens zdruha drittens Tab. IV.20: Sonstige Zahlwörter Mengenangaben Deutsch Obersorbisch viel wjele, mnoho wenig wie viel kelko so viel tak wjele, telko sehr viel jara wjele zu viel <?page no="53"?> IV Wortschatz 41 ziemlich ein bisschen kusk, tróšku, trochu zu (groß, klein, teuer, …) e- …) Tab. IV.21: Mengenangaben Ortsangaben Deutsch Obersorbisch hier tu dort tam in Bochum w Bochumje in Berlin w Berlinje nach Bochum do Berlina nach Berlin do Bochuma oben horjeka nach oben horje unten deleka nach unten dele links (links von) nach links von links rechts (rechts von) naprawo nach rechts naprawo von rechts wotprawa neben pódla nebenan pódla vor hinter za, zady hinten zady nach hinten dozady auf na unter pod unterhalb über nad (lokal); wo (Inhaltsangabe) oberhalb wyše <?page no="54"?> IV Wortschatz 42 zwischen mjez überall wšud hierher sem Tab. IV.22: Ortsangaben Zeitangaben Deutsch Obersorbisch jetzt n tko heute gestern w era morgen damals tehdom, tehdy am 7. April 2007 am 7.4.2007 7. apryla 2007 7.4.2007 am siebten April zweitausendsieben sedmeho apryla dwaj tysac a sydom am siebten Mai sedmeje meje (f.! ) Jahr l to Monat Woche Tag Stunde Minute Sekunde sekunda Zeit(dauer) Morgen ranje Mittag Abend wje or Nacht nóc morgens rano mittags abends wje or nachts w nocy um 9 Uhr um 21.45 Uhr jedyna aš Jahrhundert w <?page no="55"?> IV Wortschatz 43 im 20. Jahrhundert dwacetym im 21. Jahrhundert w jedynadwacetym Jahrtausend immer , stajnje immer noch in diesem Moment seitdem z / wot toho oft selten sofort hnydom Tab. IV.23: Zeitangaben Anreden Deutsch Obersorbisch Frau [Müller] Guten Tag, Frau [Müller] Herr [Müller] Guten Tag, Herr [Müller] knjez [ ] ] Veraltet: Fräulein [Müller] Guten Tag, Fräulein [Müller] k k Herr Professor! Herr Doktor! Knjez doktor! Frau Professor! Frau Doktor Knjeni profesor! Knjeni doktor! Tab. IV.24: Anreden <?page no="56"?> IV Wortschatz 44 Das obersorbische Anredesystem ähnelt dem des Deutschen sehr stark. Die Familiennamen variieren jedoch und bilden insgesamt drei Typen, die unten dargestellt werden. Beim Siezen gilt: Männer: + Familienname vom Typ 1 Frauen: + Familienname vom Typ 2 Unverheiratete erwachsene Frauen: + Familienname vom Typ 3 17 Die drei Typen der Familiennamen sind: 1. Die maskulinen Formen lauten auf Konsonanten ( , a ( ), ( oder / ( aus. Während die Ersteren wie Substantive flektieren, verhalten die Namen auf / sich wie Adjektive. 2. Die weiblichen Formen der Familiennamen werden meist mit abgeleitet ( ), bei Familiennamen auf a oder / wird das Suffix / verwendet ( , ). 3. Darüber hinaus tritt das Suffix bzw. (bei Namen auf a) auf. Mit diesem werden zum einen Familiennamen für Mädchen und unverheiratete Frauen gebildet ( - - ). Außerdem wird dieses Suffix in der Pluralform / für die Bezeichnung von Familien verwendet (M ‚die M ynks / die Müllers‘). Eine Besonderheit im obersorbischen Sprachraum ist, dass die Familiennamen meist in einer obersorbischen und in einer deutschen Version existieren. Manchmal werden sogar beide als Doppelname verwendet (z.B. / ). Daher nennen wir an dieser Stelle einige Beispiele für obersorbische Familiennamen mit ihren deutschen Entsprechungen. Die deutschen Entsprechungen sind manchmal quasi Übersetzungen, manchmal einfach dem Deutschen lautlich angepasste Formen. Hin und wieder existieren auch beide Möglichkeiten. 17 Diese Form ist im Obersorbischen häufiger als im Deutschen, wird aber auch dort zunehmend durch + Familienname Typ 2 ersetzt. <?page no="57"?> IV Wortschatz 45 Typ 1 (m.) Typ 2 (f.) Typ 3 (unver- Kinder) Deutsche Entsprechung Bresan, Brösan Faska Fascyna Faskec Fasske Krawc Krawcowa Krawcec Schneider, Krauz Lorenc Lorencowa Lorencec Lorenz Müller Nawka Nawcyna Nawkec Nauke Nowak Nowakowa Nowakec Neumann, Noack Schierack Šewc Šewcowa Šewcec Schuster Smoler Smolerjowa Smolerjec Schmaler Schulz, -e, Scholz, -e Wi Lehmann, Witschas Tab. IV.25: Einige obersorbische Familiennamen Routineformeln Deutsch Obersorbisch ja haj nein bitte prošu danke so / Ja so d Guten Tag! Guten Morgen! Dobre ranje! Guten Abend! Gute Nacht! Dobru nóc! Auf Wiedersehen! Hallo! Halo! Tschüß Bo emje! Wie geht es dir? Wie geht es Ihnen? Wieviel kostet das? ? Wo ist der Bahnhof? Hd ? <?page no="58"?> IV Wortschatz 46 Wie spät ist es? Ich hätte gerne einen Kaffee. Entschuldige bitte. Wodaj prošu! Entschuldigen Sie bitte. Können Sie mir sagen, …? Vielen Dank! Wutrobny d ! Keine Ursache! Gerne! Macht nichts! Kein Problem. Guten Appetit! Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! k narodninam! Natürlich! Auf jeden Fall! Auf keinen Fall! Sehr gern! Radlubje! Lubjerad! Das tut mir Leid. leider Prost! Zum Wohl! Ja ! Gesundheit! In Ordnung. W porjadku. Das freut mich. To mje wjeseli. Tab. IV.26: Routineformeln Frequente Abkürzungen Deutsch Obersorbisch d.h. das heißt t. r. ebd. ebenda s. siehe hl. hlej S. 23 Seite 23 s., str. 23 strona 23 <?page no="59"?> IV Wortschatz 47 sog. so genannt t. mj. tak mjenowany u.a. unter anderem mj. dr. mjez druhim u.Ä. und Ähnliches a pod. a podobne usw., etc. und so weiter, et cetera atd. a tak dale vgl. vergleiche z.B. zum Beispiel unter dem Titel pod titlom Tab. IV.27: Frequente Abkürzungen Funktionswörter und einige Adverbien obersorbischalphabetisch Aus praktischen Gründen fügen wir hier noch eine Liste ein, in der häufige Funktionswörter und Adverbien nach dem obersorbischen Alphabet sortiert sind, sodass diese Liste beim Lesen von obersorbischen Texten zum Nachschlagen verwendet werden kann. Obersorbisch Deutsch a und abo oder ale aber ani auch nicht, nicht einmal ani … ani weder … noch leider bórze bald obgleich, obwohl, wenngleich oft weshalb, warum wessen ziemlich <?page no="60"?> IV Wortschatz 48 je … desto cyle völlig, ganz soweit dele nach unten deleka unten überhaupt weil, denn do solange solange, bis genug dozady nach hinten drje wohl, vermutlich druhdy manchmal d dank heute als; bis; ob bis außer obgleich, obwohl, wenngleich obgleich, obwohl, wenngleich hakle erst hdy wann; mit Konjunktiv: wenn, falls hdys a hdys manchmal wenn, falls wo hewak sonst hinak anders hiš noch noch einmal schon je hauptsächlich hnydom sofort, gleich horje nach oben, hoch horjeka oben zusammen <?page no="61"?> IV Wortschatz 49 husto oft jako als jara sehr jedyn einmal jeli, jelizo falls, wenn nur einmal morgen kajki was für ein kak wie wie, als ob kelko wie viel kotry welcher welcher (Relativpronomen) Mal, -mal kusk ein bisschen kaum -li (angefügt an eine finite Verbform) ob wenig anstatt stattdessen mjenje weniger mjez zwischen mjeztym inzwischen mjeztym zo während mnoho viel möglich na auf auf jeden Fall, jedenfalls nad über nadobo plötzlich najl pje am besten najprjedy zuerst najskerje wahrscheinlich links (links von); nach links <?page no="62"?> IV Wortschatz 50 naprawo rechts (rechts von), nach rechts naraz plötzlich ungefähr n tko jetzt nihdy niemals nimale fast nimo toho außerdem; übrigens unterhalb nuzny nötig (Adj.) pak … pak entweder … oder möglichst bald pod unter pódla neben; nebenan pola bei langsam langsam (Adj.) porno neben porno tomu dagegen, hingegen potom dann, danach po tym zo nachdem prjedy vor, früher ; bevor zu (groß, klein, teuer, …) immer weshalb, warum vor weil, denn hauptsächlich zu viel ungefähr trotzdem rady gerne raz Mal, -mal selten selten <?page no="63"?> IV Wortschatz 51 sobald runje gerade obgleich, obwohl, wenngleich samo sogar überhaupt sem hierher skoro fast vielleicht schnell spr nja erstens škoda schade što was štó wer drittens tak so tak wjele so viel tam dort tehdom damals tehdy damals telko so viel te auch tohodla deshalb nötig trjeba nötig tróšku, trochu ein bisschen tu hier also w era gestern wjace mehr wjele viel soviel wirklich wosebje besonders wospjet noch einmal von links <?page no="64"?> IV Wortschatz 52 wotprawa von rechts seitdem wšud überall wyše oberhalb wyše toho außerdem seitdem za hinter; für zady hinten, hinter (Präposition) zaso wieder sicherlich (natürlich) zdruha zweitens zo dass zo by damit; um zu zwotkel woher (Interrogativpronomen) woher (Relativpronomen) selten (Adj.) niemals Tab. IV.28: Funktionswörter und einige Adverbien obersorbisch-alphabetisch <?page no="65"?> 53 V Lautentsprechungen Wie in der Übersicht zum panslavischen Wortschatz bereits deutlich wurde, gibt es systematische Lautentwicklungen, die für einen großen Teil der Unterschiede zwischen den Wörtern der slavischen Sprachen verantwortlich sind. Die Kenntnis der wichtigsten historischen Lautentwicklungen erleichtert es daher enorm, Wortentsprechungen zu erkennen. Wir geben im Folgenden einen Überblick über die obersorbischen Ausprägungen der bei Tafel et al. (2009) genannten Lautentsprechungen. Am Ende folgt eine Übersicht über Lautentwicklungen, die nur das Obersorbische charakterisieren. 1 1 Liquidametathese Urslavisch Obersorbisch Deutsch hród Umzäunung, oso. Schloss, Burg *golva h Kopf brjóh Ufer *melko mloko Milch *berza Birke Tab. V.1: Ergebnisse der Liquidametathese im Obersorbischen - Beispiele Urslavisch 2 Obersorbisch *t-or-t -ro- / -ró- *t-ol-t -lo- / -ló- *t-er-t -ro- / -ró- / - - / -rje- *t-el-t -lo- / -ló- / -l - / -le- Tab. V.2: Ergebnisse der Liquidametathese im Obersorbischen - vereinfachte Regel 1 Für vertiefende Informationen zu den hier besprochenen Lautentwicklungen verweisen wir auf Schaarschmidt (2012). 2 In dieser Darstellung steht das t für einen beliebigen Konsonanten. <?page no="66"?> V Lautentsprechungen 54 Das Obersorbische verhält sich in Bezug auf diesen Lautwandel analog zum Polnischen und hat damit den normalen Weg der westslavischen Sprachen eingeschlagen (von dem Tschechisch und Slowakisch abweichen). Die umgestellten Vokale wurden oft gelängt, woraus sich dann entwickelte. vor hartem Konsonanten wurde zu ) wie in bzw. 2 *or-/ *ol-Verbindungen vor Konsonanten im Anlaut Urslavisch Obersorbisch Deutsch *órdlo rad 3 Pflug [jelenica] 4 Hirschkuh gierig róst Wuchs Ellbogen Kahn, oso. Schiff Tab. V.3: Die Veränderung von im Anlaut im Obersorbischen - Beispiele Auch in Bezug auf diese Lautentwicklung verhält sich das Obersorbische im Wesentlichen wie das Polnische. Urslavisch Obersorbisch *ór-tra-t *ól-t- -t *òr-tro-t / ró-t *òl-t- -t / -t Tab. V.4: Die Veränderung von im Anlaut im Obersorbischen - vereinfachte Regel 3 Oso. . 4 Ein Nachfolgewort von ist im Oso. nicht bewahrt, das Wort für ‚Hirschkuh‘ lautet Ein Beispiel für das Ergebnis a ist ‚lauern‘ < * . <?page no="67"?> V Lautentsprechungen 55 3 Jerwandel Urslavisch Obersorbisch Deutsch són Schlaf, Traum woš Laus d Tag pos 5 Hund wótc Vater; oso. Ahne 6 Tab. V.5: Die Ergebnisse des Jerwandels im Obersorbischen - Beispiele Das Urslavische verfügte über kurze Vokale, sog. , die in der Slavistik als (Plural: ) bezeichnet werden. Dabei handelte es sich um Murmelvokale (linguistisch ), die in zwei Versionen auftraten: als etwas weiter hinten artikuliertes „hinteres Jer“, in der frühen kyrillischen Schrift und e veränderten sich in gemeinslavischer Zeit in bestimmten Stellungen, den sog. , zu Vollvokalen, wobei diese Veränderungen in den einzelnen slavischen Sprachen unterschiedlich ausfielen. Für das Obersorbische gelten die in Tab. V.6 dargestellten Regeln. Urslavisch Obersorbisch ‚Regen‘ < * ) Ausnahme: Tab. V.6: Die Ergebnisse des Jerwandels im Obersorbischen - vereinfachte Regel 5 Die Veränderung stellt hier eine spätere Entwicklung dar. Ein Beispiel für ein Wort, in dem erhalten geblieben ist, ist v ‚Dorf‘. 6 ‚Vater‘ nur veraltet bzw. gehoben. <?page no="68"?> V Lautentsprechungen 56 4 Flüchtige und bewegliche Vokale Urslavisch Obersorbisch Deutsch Nom.Sg. Gen.Sg. són sona Traum, Schlaf Nom.Sg. Gen.Sg. wótc wótca Vater; oso. Ahne Nom.Sg. Gen.Sg. dnja Tag Nom.Sg. Gen.Sg. pos psa Hund Tab. V.7: Flüchtige und bewegliche Vokale im Obersorbischen - Beispiele In bestimmten anderen Positionen, den sog. , wurden die Jers nicht zu Vollvokalen, sondern verschwanden ersatzlos. Da die Position durch die Silbenstruktur bedingt war, konnte es innerhalb eines Paradigmas dadurch zu Unterschieden im Wortstamm kommen (z.B. oso. - ), die aus heutiger Sicht Unregelmäßigkeiten darstellen. Dieses Phänomen ist etwa im Russischen oder Polnischen außerordentlich häufig: russ. - bzw. poln. - . Im Obersorbischen gibt es dagegen eine starke Tendenz zur Analogiebildung, also dazu, Unterschiede innerhalb eines Paradigmas zu beseitigen; daher sind flüchtige Vokale im Obersorbischen seltener als in den anderen slavischen Sprachen, wie das Beispiel - in Tab. V.7 zeigt. 7 Weitere Beispiele sind: N OM .S G . ‚Bote‘ vs. veraltet G EN .S G . , jetzt G EN .S G . , analog dazu N OM .S G . - G EN .S G . / G EN .S G . ‚Esel‘, aber N OM .S G . ‚Dorf‘, G EN .S G . , wo der flüchtige Vokal stets ausfällt. 8 Dieselbe Tendenz, die Formen innerhalb eines Paradigmas gleich zu bilden, führte auch dazu, dass die Suffixe / (historisch ) und (historisch ), in denen sich historisch gesehen ebenfalls Jers fanden, zu bzw. wurden, womit sich das Obersorbische von den slavischen Vergleichs- 7 Der Unterschied zwischen und blieb hier gleichzeitig bestehen. Die Lokativform mit Jerschwund blieb in der als Adverb univerbierten Präpositionalphrase halten. 8 Weiteres s. Schuster-Šewc (1996: 73) und Faßke (1981: 490). <?page no="69"?> V Lautentsprechungen 57 sprachen unterscheidet. 9 Tab. V.8 gibt einige Beispiele und nennt dazu auch die russischen und polnischen Entsprechungen. Urslavisch Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch kusok kusk Stück kupec kupiec kupc Kaufmann konec koniec kónc Ende Tab. V.8: Die Entwicklung der Suffixe und im Obersorbischen - Beispiele Urslav. Russ. Poln. Oso. Dt. Nom.Sg. Nom.Pl. Gen.Pl. *sestra *sestry sestra sestry sestër siostra siostry sióstr sotra sotry sotrow Schwester Nom.Sg. Nom.Pl. Gen.Pl. pis’mo pis’ma pisem pismo pisma pism pismo pisma pismow Brief; Schrift Nom.Sg. Nom.Pl. Gen.Pl. okno okna okon okno okna okien wokno wokna woknow Fenster Tab. V.9: Eingeschobene Vokale im russischen und polnischen endungslosen Genitiv Plural gegenüber neuer Endung im Obersorbischen Besonders im Genitiv Plural treten in den anderen slavischen Sprachen auch eingeschobene Vokale auf (s. Tafel et al. 2009: 97f.); dies kann meist historisch erklärt werden. 10 Im Obersorbischen verbreitete sich allerdings die Genitiv Plural-Endung auf alle Genera, sodass die Konstellation, in der in den 9 Das Kaschubische verhält sich in dieser Hinsicht jedoch wie das Obersorbische, vgl. kaschub. ‚Haus (Dim.)‘ ‚Ende‘ (Stone 2002: 765). 10 Diese Kasusform wurde oft mit einem Jer gebildet; dadurch gelangte das Jer in der vorausgehenden Silbe in eine starke Position und wurde zu einem Vollvokal. So hieß es im Nom.Sg. urslav. * , im Gen.Pl. * . Hieraus wurde russ N OM .S G . , G EN .P L . ‚Fenster‘ lautete im Urslav. im Nom.Sg. * , im Gen.Pl. * im Russ. wurde daraus N OM .S G . , G EN .P L . im Poln. N OM .S G . , G EN .P L . . <?page no="70"?> V Lautentsprechungen 58 anderen slavischen Sprachen der eingeschobene Vokal auftritt, im Obersorbischen komplett entfällt, wie Tab. V.9. illustriert. 5 Entwicklung der urslavischen Nasalvokale Urslavisch Obersorbisch Deutsch zub Zahn ruka Hand, Arm mjaso Fleisch jazyk Sprache, Zunge *dev 11 neun Kind Tab. V.10: Entwicklung der urslavischen Nasalvokale im Obersorbischen - Beispiele Wie in allen heutigen slavischen Sprachen außer dem Polnischen wurden auch im Obersorbischen die Nasalvokale durch Oralvokale ersetzt. Der vordere e/ und dann weiter zu / o/ wie im Beispiel ‚Kind‘ oder im Reflexivpronomen * Urslavisch Obersorbisch * u * Tab. V.11: Entwicklung der urslavischen Nasalvokale im Obersorbischen - vereinfachte Regel 6 Silbische Liquide Die silbenbildenden / r/ und / l/ des Urslavischen wurden im Obersorbischen zu 11 Vgl. poln. , russ. . <?page no="71"?> V Lautentsprechungen 59 Urslavisch Obersorbisch Deutsch wjelk Wolf gelb po voll porst Finger [wutroba] Herz Fingerring Tab. V.12: Die Entwicklung der silbischen Liquide im Obersorbischen - Beispiele 7 Vokalisierung der l-Lautung Polnisch Russisch Obersorbisch Deutsch da dal je da gab M .S G . dala je gab F .S G . byl war M .S G . byla war F .S G . Tab. V.13: Die Vokalisierung der -Lautung im Obersorbischen - Beispiele Wie im Polnischen oder Ukrainischen entwickelte sich das nicht-palatalisierte / l/ im Obersorbischen zum bilabilalen Approximanten [w], der dem englischen sodass hier wie im Ukrainischen faktisch nur ein Phonem / w/ übrigbleibt. 8 (Tschechisches) i / í aus u / ú Im Tschechischen wurden / u/ bzw. / ú/ zu / i/ bzw. / í/ , wenn sie auf palatalen Konsonanten folgten. Diese Regel wirkte in einigen wenigen Fällen auch im Obersorbischen, hier ist v.a. oso. ‚Tisch‘ aus urslav. zu nennen (vgl. Schuster-Šewc 2010: s.v.). <?page no="72"?> V Lautentsprechungen 60 9 Ukrainisches i Im Ukrainischen entwickelten sich bestimmte Vokale zu / i/ ; im Obersorbisteht / y/ . Tab. V.14 gibt hierzu einige Beispiele. Genauere Informationen zum / finden sich in Abschnitt V.23 zu besonderen Lautentwicklungen des Obersorbischen. Urslavisch Ukrainisch Obersorbisch Deutsch stina s Wand slipyj slepy blind viter Wind chlib Brot šist’ sechs did Großvater lis Wald sino syno Heu cilyj c ganz, heil Tab. V.14: Ukrainisches und die entsprechenden Wörter im Obersorbischen 10 [i] und [ ] Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch pivo piwo piwo [i] Bier myš’ mysz myš Maus ryba ryba ryba Fisch byt’ by sein bit’ bi [i] schlagen -Laut im Obersorbischen - Beispiele Das Obersorbische bewahrt, wie etwa das Russische und Polnische, zwei Arten von Lauten, nämlich das vordere, geschlossene [i] neben dem etwas weinischen, wo diese Laute zusammengefallen sind). Allerdings wird das <?page no="73"?> V Lautentsprechungen 61 anders als das polnische Pendant. 11 Der westslavische Umlaut der vorderen Vokale Urslavisch Polnisch Obersorbisch Deutsch weiß miara m Maß kwiat Blume Frau, Ehefrau bjeru ich nehme *sestra siostra sotra Schwester *vesna wiosna ] Frühling binden Tab. V.16: Obersorbische Entsprechungen der Beispiele zum polnischen Umlaut Im westslavischen Bereich wurden die urslavischen vorderen Vokale und zu zu bzw. umgelautet, wenn sie nach palatalem Konsonanten und vor einem sog. Vorderzungenkonsonanten auftraten. Im Polnischen fand diese Entwicklung sehr systematisch statt, das Obersorbische wurde davon jedoch nur unsystematisch und in geringem Umfang erfasst. 12 Die Beispiele in Tab. V.16 zeigen entsprechend, dass sich diese Entwicklung im heutigen Obersorbischen nur sporadisch niedergeschlagen hat: Einen zum Polnischen analogen Umlaut weisen unter den Beispielen nur und auf. Ein Wandel von zu trat allerdings darüber hinaus im Obersorbischen - anders als im Polnischen - auch am Wortende auf (s. hierzu Tab. V.49). 12 Sie schlug sich v.a. in den Dialekten nieder, vgl. Schaarschmidt (1997: 84f.). <?page no="74"?> V Lautentsprechungen 62 12 Die 1. und 2. Palatalisation Die 1. Palatalisation Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch bog - Bóg - bóh N OM .S G . - Vok.Sg. Gott oko - oko - woko N OM .S G . - N OM .P L . Auge ucho - uši ucho - uszy wucho N OM .S G . - wuši N OM .P L . Ohr Tab. V.17: Ergebnisse der 1. Palatalisation im Obersorbischen - Beispiele Die sog. 1. fand bereits in urslavischer Zeit statt, die Ergebnisse sind deswegen in allen slavischen Sprachen übereinstimmend. Die 2. Palatalisation Die 2. Palatalisation ist in gemeinslavischer Zeit anzusiedeln, in der die slavischen Sprachen bereits begannen, sich auseinanderzuentwickeln. Es gibt darum Unterschiede insbesondere zwischen den großen Gruppen der west-, ost- und südslavischen Sprachen. Die Resultate der 2. Palatalisation im Obersorbischen entsprechen daher den Resultaten der anderen westslavischen Sprachen, besonders ähnlich ist das Obersorbische dem Tschechischen. Urslavisch Polnisch Obersorbisch Deutsch *cho rszary grau *cho d- [siwy] grau (Haare) *ko cena [ ] Preis *ka lganz, unversehrt Tab. V.18: Ergebnisse der 2. Palatalisation im Obersorbischen - Beispiele zum Wortstamm <?page no="75"?> V Lautentsprechungen 63 Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch ruka - ruke - ruka N OM .S G . - ruce D AT ./ L OK .S G . Hand noga - noge noga - nodze noha N OM .S G . - noze D AT ./ L OK .S G . Bein mucha - muche mucha - musze mucha N OM .S G . - muše D AT ./ L OK .S G . Fliege Tab. V.19: Ergebnisse der 2. Palatalisation im Obersorbischen - Beispiele aus den Flexionsparadigmen Urslavisch Obersorbisch *g z *k c *ch š Tab. V.20: Ergebnisse der 2. Palatalisation im Obersorbischen - vereinfachte Regel In Bezug auf * ist anzumerken, dass sich dies im Obersorbischen zu weiterentwickelte, sodass das Ergebnis der 2. Palatalisation die Alternation - wie in - (vgl. Tab. V.19) ist. Urslavisch Obersorbisch Deutsch hw Stern Blume Tab. V.21: Ergebnisse der 2. Palatalisation im Obersorbischen bei den Verbindungen und - Beispiele Urslavisch Obersorbisch *gv vor oder hw (< gw) *kv vor oder kw Tab. V.22: Ergebnisse der 2. Palatalisation im Obersorbischen bei den Verbindungen und - vereinfachte Regel Auch bei dem in Tab. V.21 und V.22 dargestellten Spezialfall der 2. Palatalisation verhält sich das Obersorbische wie die anderen westslavischen Sprachen: <?page no="76"?> V Lautentsprechungen 64 Die 2. Palatalisation trat in diesem Gebiet nicht ein, wenn ein v folgte. Hier ist das Obersorbische dem Tschechischen besonders ähnlich, da beide die Entwicklung teilen und das Tschechische zumindest auf orthographischer 13 Epenthetisches l Urslavisch Obersorbisch Deutsch *zemja zemja Erde *kapja [kapka] Tropfen *kupiti - kupi - kupjeny kaufen - gekauft *l’ubiti - lubi - lubju lieben, oso. versprechen - ich liebe, oso. ich verspreche *loviti - - 13 fangen - ich fange Tab. V.23: Beispiele für das Fehlen des epenthetischen im Obersorbischen U.a. im Russischen tritt nach palatalisierten Labialen ( ) sehr regelmäßig ein -Einschub das sog. , auf. Im Westslavischen findet sich dieses Phänomen nur in Einzelfällen. Dies gilt auch für das Obersorbische, wo ein epenthetisches nur im Wortanlaut auftritt, vgl. ‚Tisch‘ < urslav. . Wie die Beispiele in Tab. V.23 zeigen, kommt es jedoch nicht im Wortinneren vor. 13 Aus älterem ; Wandel . <?page no="77"?> V Lautentsprechungen 65 14 Vereinfachung von Konsonantengruppen Urslavisch Obersorbisch Deutsch Kehle, oso. Kropf *vedli su wjedli sie führten wjadny welken sydom sieben *plet-lje plet plet er flocht, sie flocht Tab. V.24: Beispiele für das Fehlen der Vereinfachung von Konsonantengruppen im Obersorbischen Die Konsonantengruppen und * wurden im Obersorbischen, wie auch sonst im Westslavischen, in aller Regel nicht vereinfacht. Nur in wenigen Einzelfällen trat dieser Prozess auf, wie das Beispiel (neben älterem ) zeigt. Die Vereinfachung von kommt demgegenüber häufiger vor, vgl. ‚vielleicht‘ < Manchmal treten Doubletten mit und ohne Vereinfachung auf: ‚erster‘ und ‚vorderer‘, beide zu ursl. * ‚vorderer, erster‘. Häufig wird die Vereinfachung zwar nicht in der Schrift sichtbar, aber phonetisch realisiert, etwa in [k 15 Reflex von urslav. *tj und *dj Urslavisch Obersorbisch Deutsch *medja mjeza Grenze, Hain Kerze, Licht Tab. V.25: Reflex von urslav. und im Obersorbischen - Beispiele Urslavisch Obersorbisch Deutsch nóc Nacht móc können Tab. V.26: Reflex wie bei urslav. und bei weiteren Konsonantenverbindungen wie vor im Obersorbischen - Beispiele <?page no="78"?> V Lautentsprechungen 66 Obersorbisch verhält sich hier wie Tschechisch und ähnlich wie Polnisch (der einzige Unterschied besteht in der Entwicklung von zu im Polnischen, aber zu im Obersorbischen und im Tschechischen). 16 g versus h Urslavisch Obersorbisch Deutsch Stimme hra Spiel wohe Feuer Tab. V.27: im Obersorbischen - Beispiele Das Obersorbische gehört zu den slavischen Sprachen, in denen der Plosiv / g/ zum Frikativ / h/ wurde. Dieses Merkmal teilt das Obersorbische mit dem Tschechischen und dem Ukrainischen. 14 17 rz - - r Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch berëza brzoza Birke reka rzeka Fluss rzecz Wort; Ding krik krzyk Schrei tri trzy drei lekar’ lekarz Arzt rjad rjad Reihe, Ordnung Tab. V.28: Die Entwicklung im Obersorbischen - Vergleichsbeispiele Das Obersorbische, Polnische und Tschechische teilen die Entwicklung des / r’/ , also des palatalisierten / r/ , das in bestimmten Positionen zu einem Zischlaut wurde. Die genauen phonetischen Resultate unterscheiden sich allerdings zwischen den drei Sprachen deutlich. Im Obersorbischen waren die Bedingun- 14 Das Niedersorbische hat diesen Lautwandel dagegen nicht vollzogen. <?page no="79"?> V Lautentsprechungen 67 gen für diese Entwicklung zudem anders als im Polnischen und Tschechischen, denn hier trat die Veränderung nur nach den stimmlosen Plosiven / p/ , / t/ und / k/ ein, sonst nicht dem des Tschechischen identisch, hat aber einen ganz anderen Lautwert. Tab. V.29 gibt ergänzende Beispiele, die die Entwicklungen des Obersorbischen illustrieren. Russisch Polnisch Tschechisch Obersorbisch Deutsch pr pri przy bei tr vnutri innen kr krylo Flügel br brjucho brzuch b brjuch Bauch, Wanst Vr mor’e morze mo morjo Meer Tab. V.29: Die Entwicklung im Obersorbischen im Vergleich zum Russischen, Tschechischen und Polnischen - ergänzende Beispiele 18 Anlaut je- > ostslav. o- Urslavisch Obersorbisch Deutsch *jezero See *jedin jedyn eins *jesen [nazyma] Herbst jele Hirsch Tab. V.30: Obersorbische Entsprechungen der Beispielliste zum ostslavischen Anlautwandel Der ostslavische Wandel von im Anlaut zu fand im Obersorbischen als westslavischer Sprache nicht statt. <?page no="80"?> V Lautentsprechungen 68 19 j- und v-Prothese Das Auftreten von prothetischen Konsonanten ist im Obersorbischen sehr stark ausgeprägt, wie die Beispiele in Tab. V.31 und V32 illustrieren: Neben und v tritt auch als prothetischer Konsonant auf, z.B. in ‚anderer‘, ‚April‘ oder ‚bis, als; ob‘. Wörter, die auf Vokal anlauten, gibt es im Obersorbischen nur wenige, wobei es sich bei diesen durchweg um jüngere Entlehnungen handelt: usw. Zu den ganz wenigen slavischen Wörtern mit anlautendem Vokal gehören einige Konjunktionen wie , die bezeichnenderweise dialektal auch mit prothetischem Konsonant auftreten: . Urslavisch Obersorbisch Deutsch jawor Ahorn *edla Fichte, oso. Tanne ich esse hinaši anderer jazyk Sprache, oso. nur Zunge Tab. V.31: -Prothese im Obersorbischen - Beispiele Urslavisch Obersorbisch Deutsch nuhel Winkel wuhlo Kohle wokno Fenster *ucho wucho Ohr wosom acht Lehrer Tab. V.32: v-Prothese im Obersorbischen - Beispiele 20 Abweichungen und Ausnahmen Abweichungen und Ausnahmen zu den genannten Lautentwicklungen treten im Obersorbischen wie auch in den anderen slavischen Sprachen vor allem im Zusammenhang mit Entlehnungen auf, mit denen dann gleichzeitig untypische <?page no="81"?> V Lautentsprechungen 69 Lautformen übernommen werden. So weist das aus dem Tschechischen entlehnte oso. Wort ‚König‘ die tschechische Form der Vokallängung bei Liquidametathese auf. Wörter, die mit Vokal beginnen, sind wie eben erwähnt meist Lehnwörter, aber auch diese können in der Umgangssprache noch an der Prothetisierung teilnehmen. Der Laut tritt ebenfalls fast nur in Lehnwörtern auf, z.B. ‚Gemeinde‘ aus dem Deutschen, ‚gratulieren‘ oder ‚Grieche, griechisch‘ aus dem Lateinischen (direkt oder über das Polnische 15 ). In einigen Fällen ist er auch lautmalerisch bedingt wie in ‚schnattern (Gänse)‘. 21 Vergleich ausgewählter Wörter Russ. Poln. Tsch. Oso. Dt. vsë wszystko vše wšitko, wšo alles jabloko jablko Apfel gotovyj gotowy hotový hotowy bereit, fertig javor jawor javor jawor Ahorn gor’kij gorzki hórki bitter krov’ krew krev krej Blut lodka / lod'ka / Boot, Schiff tvoemu twemu tvému twojemu deinem D AT . tebe tobie tebi dir D AT . lëd lód led lód Eis soroka sroka straka sroka Elster uzkij úzký wuski eng on, ona, ono on, ona, ono on, ona, ono wón, wona, wono / wone er, sie, es em jem jím ich esse mjaso maso mjaso Fleisch moroz mróz mráz mróz Frost vël ved(l) er führte gelb 15 S. Schuster-Šewc (2010: s.v.). <?page no="82"?> V Lautentsprechungen 70 seryj szary šerý grau veralt. halten mëd miód med Honig golod hlad Hunger Igel kupjat koupí kupja sie kaufen korol’ król král kral König zerno ziarno zrno zorno Korn vorona wrona vrána wróna Krähe korova krowa kráva kruwa Kuh dolgij dlouhý lang torg targ trh wiki, Markt (Markt)platz more morze morjo Meer muká mouka muka Mehl mesjac Monat utro jutro (Adv.); ranek jitro (ugs.); rano jutro, ranje Morgen 16 mel’nica mlýn Mühle igla jehla Nadel jeszcze noch mesto miasto Stadt miejsce Ort Stadt Stadt Ort Stadt, Ort múka muka Qual müde tvorog twaróg tvaroh twaroh Quark voron kruk krkavec rapak, hawron Rabe deszcz déšt’ Regen sol’ sól sól, sel Salz solënyj slaný salzig 16 hat im Oso. nur die Bedeutung ‚Morgen‘ als Flächenmaß. <?page no="83"?> V Lautentsprechungen 71 sobirat’ sbírati sammeln ostryj ostry ostrý wótry scharf schon dolg dluh Schuld czarny schwarz videt’ sehen vidjat vidí sie sehen mylo mýdlo Seife solnce slunce Sonne verch wierzch vrch wjerch Spitze, oso. Zimmerdecke; Gipfel, Fürst jazyk jazyk jazyk Sprache, Zunge, oso. nur Zunge mesto miasto Stadt Stadt Stadt Stadt soloma sláma Stroh sladkij sladký süß smert’ smrt Tod nës nes(l) je njes er trug sleza slza sylza Träne razum rozum rozum rozum Verstand razdat’ rozdat verteilen pered przed vor les las les Wald vdova wdowa vdova wudowa Witwe vdovec wdowiec vdovec wudowc Witwer Tab. V.33: Ausgewählte Vergleichswörter <?page no="84"?> V Lautentsprechungen 72 22 Weitere Konsonantenalternationen in der Formen- und Wortbildung Auch im Obersorbischen tritt sowohl in der Bildung von Flexionsformen als auch in der Wortbildung eine Reihe von konsonantischen Alternationen im Wortstamm auf, die historisch gesehen auf Lautgesetze zurückgehen, nämlich die Palatalisationen. Sie müssen aus heutiger Sicht als Unregelmäßigkeiten gelernt werden, ähneln sich zwischen den slavischen Sprachen aber stark und können leicht erschlossen werden, wenn die entsprechenden Lautgesetze bekannt sind (s. Abschnitt V.12). Obersorbisch c h (g) k ch š d t c s š sk st z zk zd 17 Tab. V.34: Historisch bedingte Konsonantenalternationen - Übersicht Wie oben bereits bemerkt, neigt das Obersorbische relativ stark zur Regularisierung, sodass manche historischen Alternationen nicht mehr in den Flexionsparadigmen repräsentiert sind, vgl. hierzu oso. - gegenüber poln. - oso. - vs. poln. - - vs. poln. - usw. Eine gewisse Tendenz, Stammalternatio- 17 Wir führen diese Alternation aus Gründen der Analogie zu Tafel et al. (2009) an; im Oso. unterscheidet sich / d/ aber nicht von / dz/ , vgl. N OM .S G . - D AT ./ L OK .S G . ‚Bart‘ und N OM .S G . - D AT ./ L OK .S G . ‚Furche‘. <?page no="85"?> V Lautentsprechungen 73 nen zu vermeiden, lässt sich auch in der Wortbildung beobachten, vgl. - / gegenüber poln. - . Alternationen des / h/ (historisch aus / g/ entstanden) Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch drug druz’ja d druh druhi N OM .S G . M . druzy N OM .P L . M .- P . N OM .S G . F . zweiter die anderen Brautjungfer noga noga - nodze noha N OM .S G . - noze D AT .S G . N OM .S G . Bein Beinchen mogu - - P RÄT .S G . M . - 1.P ERS .S G .P RÄS . - 2. P ERS .S G .P RÄS . können dorogoj - drogi - drohi N OM .S G . M . drozy N OM .P L . M .- P . dróši N OM .S G . M .K OMP . 18 teuer pedagog - pedagodzy (pedagog N OM .S G . M . pedagogojo N OM .P L . M .- P . pedagogowka N OM .S G . F . ) Pädagoge Bóh N OM .S G . M . - V OK .S G . M . Gott N OM .S G . M . - w L OK .S G . M . N OM .S G . F . Schnee Schneeflocke Tab. V.35: Alternationen des / h/ (< / g/ ) - Beispiele Alternationen des / k/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch klikat’ vosklicat’ biblioteka bibliotece biblioteczny biblioteka N OM .S G . F . - bibliotece D AT ./ L OK .S G . (bibliotekowy) Bibliothek pekar’ piekarz pjekar N OM .S G . M . Bäcker 18 Aus . <?page no="86"?> V Lautentsprechungen 74 piec pieczywo N OM .S G . F . N OM .S G . N . Ofen Gebäck prorok prorok prorocy proroczy (profet N OM .S G . M . ) hórnik N OM .S G . M . - hórnicy N OM .P L . M .- P . Prophet Bergmann plakat’ - p - p I NF . - 1.P ERS .S G .P RÄS . 19 weinen otec’ - ojciec - ojcze! wótc N OM .S G . M . - V OK .S G . M . Ahne ruka v ruke ruka N OM .S G . F . ruce D AT ./ L OK .S G . F . N OM .S G . F . N OM .S G . M . Hand / Arm Händchen, Ärmchen Hand-, Arm- Tab. V.36: Alternationen des / k/ - Beispiele Alternationen des / ch/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch duch duša duch dusza duch N OM .S G . M . duša N OM .S G . F . Geist Seele tichij tiše cichy cisza N OM .S G . M . N OM .P L . M .- P . N OM .S G . F . ruhig Ruhe gluchoj glušit’ N OM .S G . M . N OM .P L . M .- P . I NF . taub betäuben Czech - Czesi N OM .S G . M . - N OM .P L . M .- P . Tscheche wucho N OM .S G . N . - wuši N OM .P L . N . Ohr Tab. V.37: Alternationen des / ch/ - Beispiele 19 Neben , usw. gibt es auch die Flexion ohne Alternation ( , ). <?page no="87"?> V Lautentsprechungen 75 Alternationen des / d/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch vodit’ dowódca I NF . - 1.P ERS .S G .P RÄS . nawodnik N OM .S G . M . führen Führer rodit’ ród ród N OM .S G . M . I NF . 1.P ERS .S G .P RÄS . I MPER .S G . Geschlecht gebären Szwed Szwedzi Šwed N OM .S G . M . Šwed L OK ./ V OK .S G . M . Schwede Tab. V.38: Alternationen des / d/ - Beispiele Alternationen des / t/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch chotet’ - - chc I NF . - chcu 1.P ERS .S G .P RÄS . wollen svet N OM .S G . N . N OM .S G . F . I NF . N OM .S G . M . Licht Licht, -quelle leuchten Kerzenständer student - studenci student N OM .S G . M . - studen a N OM .P L . M .- P . Student hat N OM .S G . M . - L OK ./ V OK .S G . M . Teich Tab. V.39: Alternationen des / t/ - Beispiele <?page no="88"?> V Lautentsprechungen 76 Alternationen des / s/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch pisat’ - pišu - pisz I NF . - pišu 1.P ERS .S G .P RÄS . , pisam 1.P ERS .S G .P RÄS schreiben prosit’ prošu pros’ba I NF . - prošu 1.P ERS .S G .P RÄS . - proš! I MPER .S G . próstwa N OM .S G . F . bitten Bitte wczesny jasny N OM .S G . M . - jasniši N OM .S G . M .K OMP . klar Tab. V.40: Alternationen des / s/ - Beispiele Alternationen von / sk/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch pesok na peske piasek piasku piaszczysty p N OM .S G . M . - L OK .S G . M . N OM .S G . M . Sand sandig puskat’ - pustit’, I NF . N OM .S G . F . ,(Musik) spie- ‚Flöte‘ iskat’ pysk pyszczek N OM .S G . M . - N OM .S G . F . tschechisch (Adj. - Adv.) die tschechische Sprache Tab. V.41: Alternationen von / sk/ - Beispiele <?page no="89"?> V Lautentsprechungen 77 Alternationen von / st/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch prostoj prosty - prosty N OM .S G . M . - N OM .P L . M .- P . - N OM .S G . M .K OMP . steif, starr mesto miasto - mieszczanin N OM .S G . N . - L OK .S G . N . N OM .S G . M . Ort Städter slawista - slawi slawist N OM .S G . M . slawis N OM .P L . M .- P . Slavist Tab. V.42: Alternationen von / st/ - Beispiele Alternationen des / z/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch skazat’ - - I NF . - 1.P ERS .S G .P RÄS . 20 befehlen vozit’ - wóz - I NF . - 1.P ERS .S G .P RÄS . N OM .S G . N . wóznik N OM .S G . M . fahren Fahren, Transport Fuhrmann Tab. V.43: Alternationen des / z/ - Beispiele 20 Neben usw. tritt das Verb auch mit Paradigma ohne Stammalternation ( usw.) auf. <?page no="90"?> V Lautentsprechungen 78 Alternationen von / zk/ 21 Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch blizkij bliski bliski N OM .S G . M . - bliši N OM .S G . M .K OMP . 22 - K OMP . nah (Adj. - Adv.) Tab. V.44: Alternationen von / zk/ - Beispiele Alternationen von / zd/ Russisch Polnisch Obersorbisch Deutsch ezdit’ - jezdnia N OM .S G . F . I NF . Fahrbahn fahren bruzda brózda N OM .S G . F . - L OK .S G . F . Furche Tab. V.45: Alternationen von / zd/ - Beispiele 23 Besondere Lautentwicklungen des Obersorbischen Ersatzdehnung der Vokale Urslav. Russ. Poln. Oso. Dt. Nom.Sg. Gen.Sg. *medu mëd mëdu miód miodu mjedu Honig Nom.Sg. Gen.Sg. *nokti ’ noc nocy nóc nocy Nacht Tab. V.47: Ersatzdehnung der Vokale - Beispiele 21 Eigentlich geht es hier um Alternationen von / z/ , die Prozesse unterscheiden sich nicht prinzipiell von den in Tab. V.43 genannten. 22 Im Obersorbischen entfiel durch einen zusätzlichen Schritt, nämlich durch Assimilation, das in . <?page no="91"?> V Lautentsprechungen 79 Die Kurzvokale ( ) verschwanden in den slavischen Sprachen. Bei diesem Prozess wurden Vokale in Silben, die ursprünglich einem Jer vorangingen, immer dann gedehnt, wenn die Silbe mit dem Jer schwand. Dabei wurde im Obersorbischen / / zu / und / / zu einem längeren / / , das sich dann seinerseits später zu einem geschlosseneren Vokal entwickelte. Ein sehr ähnliches Phänomen trat im Polnischen auf. Urslav. Russ. Ukr. Poln. Oso. Dt. ded (bzw. deduška) did dziad (bzw. dziadek) Großvater mera mira miara Maß chleb chlib chleb Brot seno sino siano syno Heu celyj ca cy ganzer devka divka dziewka Mädchen, Magd, oso. Tochter Tab. V.48: Entwicklung des - Beispiele Im Urslavischen gab es einen weiteren Laut der - Sprachen fiel dieser Laut häufig mit benachbarten Vokalen zusammen, etwa im Russischen mit / e/ , im Ukrainischen mit / i/ (s. Tab. V.48 und auch Abin den entsprechenden Positionen bewahrt, allerdings mit verändertem Lautwert (s. dazu Kap. II). In einigen Positionen 23 wurde / zu / y/ , vor / w/ wurde es zu / o/ (s. die Beispiele in Tab. V.48). 24 entstanden: . 23 Nach depalatalisierten Frikativen und Affrikaten. 24 Vgl. Schaarschmidt (1998: 81ff. und 149f.). <?page no="92"?> V Lautentsprechungen 80 Obersorbisch e > o Urslav. Russ. Poln. Oso. Dt. *s n ce solnce s Sonne *pole pole pole polo Feld (telënok < *telja) Kalb Tab. V.49: Oso. - Beispiele Oben hatten wir bereits den Lautwandel gesehen, der im Obersorbischen eher sporadisch vorkam. Allerdings trat ein Wandel im Obersorbischen relativ systematisch am Wortende auf, weshalb viele Neutra, die ursprünglich auf endeten, nun auf auslauten (s. Tab. V.49). Auch ehemaliges nasales das zu geworden war, machte diese Entwicklung mit; hingegen nicht. Systematisch erfasst wurden darüber hinaus Substantive mit den produktiven Suffixen * und * wie ‚Burgwall‘ und ‚Glück‘. 25 Auch die Komparativsuffixe der Adverbien wurden umgelautet: ‚später‘. 26 Obersorbisch o > e Auch die umgekehrte Entwicklung, nämlich die Veränderung von zu , tritt regelmäßig auf und schlägt sich etwa bei den folgenden häufigen Formen nieder: * oso. ‚gut (Adv.)‘, * oso. ‚so viele‘, * ‚Salz‘. Auch die ungewöhnliche Kasusendung der maskulinen Substantive im Dativ Singular ( N OM .S G . - D AT .S G . ‚Vater‘) ist auf diesem Wege zu erklären: die historische Endung wurde zunächst zu diese dann zum heutigen - . 27 25 Nicht aber die Verbalsubstantive wie ‚Schreiben‘. 26 Vgl. Schaarschmidt (1998: 84ff.). 27 Vgl. Schaarschmidt (1998: 101f.). <?page no="93"?> V Lautentsprechungen 81 Obersorbisch y > u Urslav. Russ. Poln. Oso. Dt. *vydati vydat’ wyda herausgeben *vyti vyt’ wy heulen Tab. V.50: Oso. - Beispiele Die Entwicklung von zu trat im Obersorbischen dialektal sehr systematisch auf, in der Standardsprache ist sie nicht ganz so häufig. Auffällig sind aber bestimmte einzelne Wörter und besonders das Präfix -, das dem Präfix in anderen slavischen Sprachen entspricht. Im Obersorbischen sind auf diese Weise die aus und die aus * entstandenen Präfixe zusammengefallen. Obersorbisch w’ > j Urslav. Russ. Poln. Oso. Dt. *k v krov’ krew krej Blut (*c ky) *c k v cerkov’ cerkiew cyrkej Kirche *praviti pravit’ prawi praji richten, lenken; oso. sagen Tab. V.51: Oso. - Beispiele Palatalisiertes wurde im Obersorbischen in den meisten Positionen zu . In manchen Fällen fand dieser Wandel jedoch nicht statt, sodass das alte in den obliquen Kasus teilweise noch auftritt, vgl. N OM .S G . - G EN .S G . ‚Blut‘, N OM .S G - G EN .S G . ‚Kirche‘. Die Entwicklung macht sich auch in der Flexion bemerkbar, und zwar in der bereits erwähnten Endung maskuliner Substantive im Dativ: - . Besonders prägnant ist sie auch im Nom.Pl. maskulin-personaler Substantive, z.B. ‚Söhne‘. Hier liegt die Entwicklung zugrunde. 28 28 Vgl. Schaarschmidt (1998: 133). <?page no="94"?> 82 VI Morphologie Wie die anderen slavischen Sprachen weist das Obersorbische eine reiche Flexionsmorphologie auf. In diesem Kapitel stehen nach einem Überblick über die Wortarten und die grammatischen Kategorien insgesamt die Deklination der Substantive und Adjektive sowie die Konjugation der Verben und die Ableitung von Adverbien im Fokus. Der letzte Abschnitt ist dem großen Repertoire an obersorbischen Pronomen gewidmet. Für ausführlichere Erläuterungen verweisen wir insbesondere auf Schuster-Šewc (1996). 1 Wortarten Im Hinblick auf den Bestand an Wortarten unterscheidet sich das Obersorbische nicht von den anderen slavischen Sprachen, auch die uneinheitlich behandelten Kategorien (z.B. Prädikativ und Partikel) und Zuordnungen entsprechen im Wesentlichen den bei Tafel et al. (2009: 123) angesprochenen. Faßkes (1981: 53) Einteilung enthält über die üblichen Wortarten hinaus die Kategorien der Possessive (z.B. ‚des Vaters‘) und der Modalwörter (z.B. ‚vielleicht‘). Dessen ungeachtet gilt auch für das Obersorbische, dass die Wortarten keine Herausforderung für die Interkomprehension darstellen. Häufig verwendete Partikeln, Prädikative und ggf. unregelmäßig gebildete Adverbien sollten auswendig gelernt werden (vgl. die Listen am Ende des Kapitels IV zum Wortschatz), die anderen Wortarten sind in der Regel leicht von einer slavischen Sprache in die andere zu transferieren. Wortart Obersorbisch Substantiv tekst sotra s morjo Verb móc pas <?page no="95"?> VI Morphologie 83 Adjektiv dobry dobra dobre Adverb derje Pronomen ja ty wón tón ta te nichtó Numerale Konjunktion a abo hdy / / Präposition na wo z(e) Interjektion ach! ow jej! Prädikativ trjeba mó Partikel d (li) nje- Tab. VI.1: Beispiele für die Wortarten des Obersorbischen <?page no="96"?> VI Morphologie 84 2 Die grammatischen Kategorien Nominale Kategorien Die nominalen Kategorien des Obersorbischen entsprechen weitgehend denen der anderen slavischen Sprachen. Auf der Ebene der Numerus-Grammeme zeichnet sich das Obersorbische allerdings durch die Existenz des Duals aus, der in den meisten slavischen Sprachen nicht (mehr) vorhanden ist. Im Bereich des Kasus kennt das Obersorbische sieben Subkategorien. Wie in vielen anderen slavischen Sprachen gibt es im Obersorbischen auch einen Vokativ, der allerdings kein echter Kasus ist (Weiteres zum Vokativ s. Abschnitt VI.3.). Im Bereich des Genus kennt das Obersorbische wie die anderen slavischen Sprachen die Grammeme Maskulinum, Femininum und Neutrum. Ambigene Substantive, d.h. Substantive, die unterschiedlichen Genera aufweisen können, gibt es allerdings nicht (s. auch VI.6.). Es verfügt ebenfalls über die Kategorie der Belebtheit. Sie gilt im Obersorbischen - wie im Polnischen - im Singular für maskuline Substantive, die Menschen oder Tiere bezeichnen und wird durch den Zusammenfall der Akkusativ- und Genitivendungen markiert: ‚Mann‘: G EN .S G . , A KK .S G . ‚Pferd‘: G EN .S G . , A KK .S G . Im Plural und Dual wird im Obersorbischen die sog. Kategorie der Virilität, d.h. maskulin-personal vs. nichtmaskulin-personal grammatisch markiert. Dies geschieht - wiederum weitgehend analog zum Polnischen - einerseits durch den Zusammenfall von Akkusativ und Genitiv, andererseits durch spezielle Endungen im Nominativ Plura, die beide nur bei maskulinen Bezeichnungen für Menschen autreten: ‚Mann‘: N OM .P L . , G EN .S G . , A KK .S G . ‚Pferd‘: N OM .P L . , / G EN .P L . , aber: A KK .P L . <?page no="97"?> VI Morphologie 85 Kategorie Grammeme Numerus Singular, Plural, Dual Kasus Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumental, Lokativ, Vokativ Genus maskulin, feminin, neutral Belebtheit maskulin-belebt, nicht-maskulin-belebt Virilität maskulin-personal, nicht-maskulin-personal Tab. VI.2: Nominale Kategorien des Obersorbischen Verbale Kategorien Der größte Unterschied zwischen dem Obersorbischen und den bei Tafel et al. (2009) behandelten slavischen Sprachen besteht in der hohen Zahl der Tempusgrammeme: Das Obersorbische hat einen sehr viel größeren Bestand der ursprünglichen urslavischen Tempora bewahrt. Kategorie Grammeme Person 1., 2., 3. Tempus Vergangenheit: Perfekt, Aorist, Imperfekt, Plusquamperfekt; Gegenwart: Präsens; Zukunft: einfaches und zusammengesetztes Futur Aspekt imperfektiv, perfektiv Modus Indikativ, Konjunktiv, Imperativ Genus verbi Aktiv, Passiv Numerus Singular, Plural, Dual Genus maskulin, feminin, neutral (im Perfekt und Plusquamperfekt) Belebtheit Virilität maskulin-belebt, nicht-maskulin-belebt (nur bei Partizipien im Akk.Sg.), maskulin-personal, nicht-maskulin-personal (im Plural und Dual) 1 Tab. VI.3: Verbale Kategorien des Obersorbischen 1 Im Plural der Verben gilt die Unterscheidung nach der Kategorie maskulin-personal nur beim -Partizip, sie ist jedoch kaum noch gebräuchlich. <?page no="98"?> VI Morphologie 86 Kategorien des Adjektivs Kategorie Grammeme Komparation Positiv, Komparativ, Superlativ Numerus Kongruenzkategorien; s.o. unter Substantiv Kasus Genus Belebtheit Virilität Tab. VI.4: Kategorien des Adjektivs im Obersorbischen 3 Die Kasus In der sorabistischen Tradition wird von den folgenden Kasus für das Obersorbische ausgegangen: Nominativ Genitiv Dativ Akkusativ Instrumental Lokativ Vokativ Wie in den Traditionen der meisten slavischen Sprachen wird also auch hier der Ausdruck verwendet (und nicht ). Sowohl der Instrumental als auch der Lokativ treten stets mit Präposition auf. Vokativ Auch das Obersorbische kennt einen Vokativ, und wie in den anderen slavischen Vokativsprachen existieren eigene Formen nur für Substantive im Singular, also nicht für andere Wortarten und nicht für Plural und Dual. Im Obersorbischen ist der Vokativ allerdings auf maskuline Substantive beschränkt; nur ein einziges Femininum verfügt über einen Vokativ, nämlich das Substantiv ‚Mutter‘ mit dem Vokativ An dieser Stelle ist anzumerken, dass <?page no="99"?> VI Morphologie 87 der Status des Vokativs als Kasus umstritten ist, da er eine völlig andere Funktion aufweist als die anderen Kasus: Während letztere eine syntaktische Funktion haben, ist die des Vokativs eine pragmatische. Dies wird auch deutlich, wenn wir in Betracht ziehen, dass der Vokativ nur bei einem sehr kleinen Teil der kasusfähigen Wortarten auftritt. Die Situation im Obersorbischen, wo nur maskuline Substantive vokativfähig sind, unterstreicht diesen grundsätzlich anderen Status noch stärker. 4 Kasusfunktionen Die wesentlichen Kasusfunktionen stimmen im Obersorbischen mit denjenigen der anderen slavischen Sprachen überein. Die folgende Tabelle nennt einige wichtige Besonderheiten und Gemeinsamkeiten. Kasus Funktion Beispiel Nominativ Satzsubjekt Prädikatsnomen ‚Jurak war Lehrer für Mathematik‘ Genitiv Genitivattribut ‚Meinung einer Einzelperson‘ Nach bestimmten Verben des Fürchtens, Entfernens und Berührens ‚Prüfungen fürchten‘ Negation (möglich, aber seltener als im Russ. oder Poln.) G EN . ‚sieht keinen Ausweg‘ 2 , aber auch A KK . ‚sieht keine andere Möglichkeit‘ 3 Partitiver Genitiv ‚genug Kaffee trinken‘, 4 trochu barby ‚etwas Farbe‘ 2 Wörtlich: ‚nicht-sieht Ausweg GEN. ‘ 3 Wörtlich: ‚nicht-sieht andere AKK. Möglichkeit AKK. ‘ 4 Wörtlich: ‚satt-trinken sich Kaffee GEN. ‘ <?page no="100"?> VI Morphologie 88 In Passivkonstruktionen: Ausdruck des Agens durch + Gen. ‚der Kuchen wurde von der Großmutter gebacken‘ Dativ Indirektes Objekt ‚dem Freund ein Geschenk schicken‘ Experiencer in unpersönlichen Sätzen ‚ich möchte nicht schlafen‘ Akkusativ Direktes Objekt ‚ein Buch lesen‘ Orts- und Zeitangaben ‚den ganzen Abend lernen‘ Instrumental Stets mit Präposition Prädikatsnomen bei ‚sein‘, ‚werden‘ ‚Lehrerin sein‘ ‚Lehrer werden‘ Instrument, Mittel bzw. Werkzeug ‚mit dem Fahrrad fahren‘ Soziativ ,sich mit der Ärztin unterhal- Lokativ Inhaltsobjekt bei Verben des Sprechens, Denkens, Fühlens ‚über den Lehrer reden‘ Orts- und Zeitangaben ‚in der Stadt wohnen‘ Verwendung stets mit Präposition, am häufigsten: ‚bei / auf dem Ausflug‘ Vokativ Anrede ‚Vater, Mutter, seht in den Kalender! ‘, B ‚Gott! ‘ Tab. VI.5: Kasusfunktionen <?page no="101"?> VI Morphologie 89 5 Numerus In Bezug auf die grammatische Kategorie kennt das Obersorbische neben den in den anderen slavischen Sprachen üblichen Grammemen Singular und Plural auch den Dual. 5 Der Dual markiert eine Zweiheit der Referenten, z.B. zwei Personen, zwei Hände, zwei Häuser usw., und wird an allen kongruierenden Wortarten markiert: Studentaj N OM .D U . M . N OM .D U . M . 3.P ERS .P RÄS .D U . (hotko) ‚Die Studenten und Teilnehmer des Sorbischkurses lesen in den Serbske Nowiny‘ (bzw.: ‚Die zwei Studenten und Teilnehmer…‘). In Bezug auf die Numerusmarkierungen lässt sich im Obersorbischen wie in den anderen slavischen Sprachen auch ein größerer Formenreichtum insbesondere im Nominativ Plural der Substantive feststellen, vgl. die folgende abstrahierte Übersicht in Tab. VI.6. Nom. Pl. oso. maskulin -ojo, -jo, -’i, -’a (maskulin-personal); -y, -i, -e feminin -y, -i, -’e neutral -a, -’a (vereinzelt -i, -e) 6 Tab. VI.6: Pluralmarkierung bei den Substantiven Für maskulin-personale Substantive sind im Nominativ Plural häufig verschiedene Endungen möglich, was zu Varianten führt: / / ,Studenten‘. 6 Genus- und Sexusmarkierung beim Substantiv Die typischen obersorbischen Endungen der Substantive für die einzelnen Genera im Nominativ Singular sind denen der anderen slavischen Sprachen sehr ähnlich: 5 Unter den modernen slavischen Sprachen gibt es den Dual außer im Obersorbischen nur noch im Niedersorbischen und im Slovenischen. 6 Ein Beispiel für die Endung ist ‚Kinder‘, für ‚Schweine‘. <?page no="102"?> VI Morphologie 90 harter Konsonant maskulin -a / -ja feminin -o / -e neutral Auch die Abweichungen von diesen typischen Endungen sind im Obersorbischen ähnlich: Einige Bezeichnungen für männliche Personen enden auf a und sind maskulin: ‚Graf‘, ‚Ältester, Vorsitzender‘, Substantive, deren Stamm auf einen palatalisierten bzw. historisch palatalen Konsonanten endet, können auch feminin sein: ‚Maus‘, ‚Salz‘, ‚Einkauf‘, ‚Knochen‘ (vgl. ‚Gast M . ‘), Eine Reihe von männlichen Rufnamen endet auf und ist maskulin: Bei Personenbezeichnungen stimmen Genus und Sexus in aller Regel überein: F . ‚Frau ‘, F . ‚Tante‘, M . ‚Mann‘, M . ‚Onkel‘ usw. Hierzu gibt es jedoch Ausnahmen, z.B. N . ‚Mädchen‘ (neben F . ) sowie weitere, teilweise stilistisch markierte Ausdrücke, z.B. / N . ‚große, starke Frau‘. Bei Tierbezeichnungen gibt es wie auch in den anderen slavischen Sprachen jeweils eine übergeordnete Bezeichnung, die für beide Sexus gilt: Sie kann männlich ( ‚Pferd‘) oder weiblich ( a ‚Katze‘) sein. Für die Bezeichnung des jeweiligen anderen Sexus gibt es spezielle Ausdrücke: ‚Stute‘, ‚Kater‘. Bei Bezeichnungen für Gegenstände ist das Genus nicht von der Bedeutung abhängig, sondern im Wesentlichen zufällig. Anders als im Polnischen oder Russischen gibt es im Obersorbischen keine ambigenen Substantive. Entsprechend ist ‚Waise‘ im Obersorbischen stets feminin, auch wenn es sich auf einen Mann bezieht: […] F . F . (hotko) ‚Jurk […] war eine arme Waise‘. <?page no="103"?> VI Morphologie 91 Polnisch Russisch Obersorbisch maskulin tekst go slawista tata tekst gost’ kamen’ slavist papa tekst slawist papa feminin lampa ziemia pani krew lampa zemlja mysl’ krov’ kost’ ljubov’ radost’ lampa zemja knjeni 7 mysl krej neutral morze pokolenie radio telo more pokolenie radio taksi morjo [generacija F . ] radijo [taksi M . , taksa F . ] ambigen (m./ f.) sierota sirota - Tab. VI.7: Genusendungen im Obersorbischen - Beispielwörter 7 ist im obersorbischen Erbwortschatz das einzige Femininum, das im Nom.Sg. auf auslautet. Sonst kommt ein Nom.Sg.f. auf nur bei Fremdbzw. Lehnwörtern sowie fremden Personennamen vor: . <?page no="104"?> VI Morphologie 92 7 Belebtheit und Virilität Ähnlich wie im Polnischen gibt es auch im Obersorbischen zwei weitere Subkategorien der Genus, die speziell die Maskulina in weitere Unterklassen aufgliedern: und . Im Rahmen der Belebtheitskategorie werden Substantive, die Lebewesen bezeichnen, von solchen unterschieden, die sich auf Nichtlebewesen beziehen. Die Belebtheit wird nur bei Maskulina im Singular markiert, und zwar gilt für Maskulina, die sich auf Lebewesen beziehen, Akk. = Gen., für die übrigen Maskulina Akk. = Nom. 8 Bei der sog. Virilität werden Bezeichnungen für männliche Personen (maskulin-personale Substantive) von alle anderen maskulinen Substantiven (den maskulin-nichtpersonalen Substantiven) bzw. von überhaupt allen anderen Substantiven (den nichtmaskulin-personalen Substantiven) grammatisch unterschieden. Die unterschiedliche Markierung, die nur im Dual und Plural in Erscheinung tritt, erfolgt im Akkusativ Plural und Dual durch Akk. = Gen. für maskulinpersonale und Akk. = Nom. für maskulin-nichtpersonale, im Nominativ Plural durch unterschiedliche Formen für maskulinpersonale und nichtmaskulin-personale Substantive. Die Unterkategorie der Virilität bildet sich auch bei anderen Wortarten ab: Ähnlich wie im Polnischen und Tschechischen gibt es im Obersorbischen auch unterschiedliche adjektivische, pronominale und in einigen Tempora unterschiedliche Verbalformen für maskulin-personale und nichtmaskulin-personale Referenten, vgl. M .- NP ./ F ./ N . ‚sie haben gelesen‘ vs. M .- P . ‚sie haben gelesen‘. Bei den Verbalformen ist die Endung (anders als im Polnischen) jedoch im modernen Obersorbischen kaum noch gebräuchlich, üblicher ist der Typus M .- NP ./ F ./ N . . Virilität wird weiterhin in gewissem Umfang bei den Numeralia markiert, s. dazu Tab. IV.18 und die dazugehörigen Erläuterungen in Kap. IV. Auch dort gibt es eine Tendenz zur Ausweitung der ursprünglich maskulin-personalen Formen. 8 Dies gilt nicht für Maskulina auf a wie ‚Bürgermeister‘ ( G EN .S G . A KK .S G . ) <?page no="105"?> VI Morphologie 93 Belebte Maskulina Personale Maskulina Akk.Sg. = Gen.Sg. Akk.Pl./ Du. = Gen.Pl./ Du. Nom.Pl. = -(o)jo, (-owje), -’i, -’a Tab. VI.8: Übersicht zur Markierung von Belebtheit und Virilität im Obersorbischen 8 Indeklinabilia Die Anzahl der indeklinablen Substantive ist im Obersorbischen vergleichsweise gering: Zu dieser Gruppe gehören einige Kurzwörter wie F . oder F . , manche Lehnwörter auf Vokal wie M . sowie einige Eigennamen, etwa oder . Die meisten Formen bleiben jedoch nicht lange indeklinabel, denn insgesamt ist eine starke Tendenz zur morphologischen Adaption zu konstatieren: 9 Das Oso. integriert Lehnwörter noch stärker als das Polnische, das seinerseits schon als schnell integrierende Sprache gelten kann, wie die oder illustrieren. Polnisch Russisch Obersorbisch Nom.Sg. Gen.Sg. Nom.Pl. radio radia radia radio radio radio radijo radija radija Nom.Sg. Gen.Sg. Nom.Pl. kakao kakao kakao kakao kakao kakao kakaw kakawa kakawy Nom.Sg. Gen.Sg. Nom.Pl. lady lady lady ledi ledi ledi lady lady / ladyje ladyje Tab. VI.9: Flexion von Lehnwörtern im Vergleich 9 Hierauf weist auch Šewc-Schuster (1984: 86) hin; entsprechend veralten Angaben hierzu schnell. So nennt Šewc-Schuster selbst als Beispiele für indeklinable Wörter u.a. und die jedoch inzwischen im Online-Wörterbuch als flektierbar angegeben werden. Für Šewc-Schusters Beispiel werden in beide Varianten, deklinierbar (maskulinum: und indeklinabel (dann neutrum), nebeneinander genannt. <?page no="106"?> VI Morphologie 94 9 Dubletten und Formenreichtum in der Deklination Die obersorbische Deklination der Substantive weist - wie auch diejenige der anderen bei Tafel et al. (2009) genannten slavischen Sprachen - eine Reihe von Fällen auf, in denen mehrere Endungen nebeneinander bestehen, deren Auftreten nicht durch Regeln vorhergesagt werden kann. Ein Beispiel ist der Nominativ Plural bei maskulin-personalen Substantiven. Hier konkurrieren bei manchen Wörtern zwei Endungen, z.B. und in / ‚Diebe‘. In einigen Fällen existieren sogar drei Endungen nebeneinander, z.B. a / / ‚Tschechen‘ oder / / ‚Herren‘. Ein weiteres Beispiel ist der Genitiv Plural femininer Substantive: Hier ist die dominante Endung - , bei einigen hartstämmigen Substantiven tritt jedoch parallel noch die ältere endungslose Form auf, die derjenigen des Russischen oder Polnischen entspricht. Ein Beispiel ist das Substantiv ‚Zeitung‘, das den Genitiv Plural oder bilden kann. Manche Substantive weisen nur die (historisch gesehen ältere) endungslose Form auf, z.B. kann ‚Geld‘ nur den endungslosen Genitiv Plural bilden. Die bei Tafel et al. (2009) genannte Varianz von a vs. im Genitiv Singular der Maskulina, die z.B. im Polnischen oder Ukrainischen auftritt, gibt es auch im Obersorbischen. Sie ist hier aber anders ausgeprägt: Die übliche Endung ist a. Nur einige einsilbige Substantive können neben a auch die Endung haben: ‚Haus‘: / ‚Honig‘: / ‚Volk‘: / . <?page no="107"?> VI Morphologie 95 10 Deklinationsmuster ausgewählter Substantive Die Untergliederung der Deklinationsmuster folgt auch im Obersorbischen wie in den anderen in Tafel et al. (2009) genannten slavischen Sprachen der Aufgliederung in die drei Genera und hier weiter nach den Subgenera (nicht) maskulin-personal und belebt sowie nach harten und weichen Stämmen. Die obersorbischen Deklinationsmuster sind umfangreicher, da mit dem Dual ein zusätzlicher Numerus hinzutritt (vgl. Kap. VI.2). Insgesamt ist aber eben vom Dual abgesehen - der Bestand an Endungen im Wesentlichen derselbe wie in den anderen slavischen Sprachen, sodass sich die meisten Endungen ohne Problem entschlüsseln lassen. Allerdings sind auch einige Besonderheiten der oso. Substantivdeklinationen augenfällig: Zu ihnen gehört die Endung bzw. im Nominativ Plural der maskulin-personalen Substantive (z.B. ‚Mann‘: ), die aus slavistisch-vergleichender Sicht zunächst unbekannt erscheint. Sie geht jedoch auf zurück, es handelt sich also historisch gesehen um dieselbe Form wie in poln. oder russ. Ganz ähnlich verhält es sich mit der ebenfalls unbekannt wirkenden Endung des Dativ Singular Maskulinum (z.B. ‚Student‘: die auf die Kasusendung zurückgeht (vgl. poln. Eine weitere Besonderheit ist die konsequente Ausweitung der Endung im Genitiv Plural auf alle Genera und Deklinationsklassen: ‚Student‘: ‚Mann‘: ‚Frau‘: ‚Fenster‘: Der Vokativ (s. dazu auch Kap. VI.3) erhält nur im Singular und - anders als in anderen slavischen Vokativsprachen wie Polnisch oder Tschechisch - nur bei maskulinen Substantiven eine eigene Endung. Die einzige Ausnahme bildet das Femininum ‚Mutter‘ mit dem Vokativ Um die Vergleichbarkeit mit den anderen slavischen Sprachen zu gewährleisten, nennen wir im Folgenden stets dieselben Beispielwörter wie Tafel et al. (2009: 136ff.). Da diese in einigen Fällen für das Obersorbische jedoch nicht repräsentativ sind, geben wir gelegentlich noch ein zusätzliches Beispielparadigma an. <?page no="108"?> VI Morphologie 96 Maskulinum Maskulinum mit hartem Stammauslaut Singular Plural Dual Nom. student studentojo / stu- / studen 10 studentaj Gen. studenta studentow studentow Dat. studentej studentam studentomaj Akk. studenta studentow studentow Instr. studentom studentami studentomaj Lok. studentach studentomaj Vok. studento / - - Tab. VI.10: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum hart (maskulin-personal): ‚Student‘ Da das bei Tafel et al. genannte Vergleichsbeispiel im Oso. einige Varianzen aufweist, führen wir in Tab. VI.11 als weiteres Beispiel noch an. Singular Plural Dual Nom. nan nanojo nanaj Gen. nana nanow nanow Dat. nanej nanam nanomaj Akk. nana nanow nanow Instr. nanom nanami nanomaj Lok. nanje nanach nanomaj Vok. nano - - Tab. VI.11: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum hart (maskulin-personal): ‚Vater‘ 10 ist die häufigste Form. Die Endung ist nur noch bei einzelnen Wörtern möglich. <?page no="109"?> VI Morphologie 97 Singular Plural Dual Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Vok. - - Tab. VI.12: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum hart (unbelebt): ‚Stimme‘ Maskulinum mit weichem Stammauslaut Singular Plural Dual Nom. Gen. / 11 Dat. Akk. / Instr. Lok. Vok. - - Tab. VI.13: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum weich (maskulin-personal): ‚Lehrer‘ 11 Die Endung ist bei den weichstämmigen Maskulina im Genitiv (bzw. Akkusativ) deutlich seltener als - . <?page no="110"?> VI Morphologie 98 Singular Plural Dual Nom. konje konjej Gen. konja konjow / koni konjow Dat. konjej konjam / konjom konjomaj Akk. konja konje konjej Instr. konjom konjemi / konimi konjomaj Lok. konju konjach / konjoch konjomaj Vok. konjo - - Tab. VI.14: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum weich (belebt): ‚Pferd‘ Die obersorbische Entsprechung des bei Tafel et al. (2009) genannten Substantivs stellt einen Sonderfall mit erhaltenen archaischen Endungen dar. Als Beispiel für ein typisches Paradigma ist hier ‚Igel‘ (Tab. IV.14a) ergänzt. <?page no="111"?> VI Morphologie 99 Singular Plural Dual Nom. e ej Gen. a ow ow Dat. ej am omaj Akk. a e ej Instr. om emi omaj Lok. u ach omaj Vok. o - - Tab. VI.14a: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum weich (belebt): ‚Igel‘ Singular Plural Dual Nom. nastroj nastroje nastrojej Gen. nastroja nastrojow nastrojow Dat. nastrojej nastrojam nastrojomaj Akk. nastroj nastroje nastrojej Instr. nastrojom nastrojemi nastrojomaj Lok. nastroju nastrojach nastrojomaj Vok. nastrojo - - Tab. VI.15: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum weich (unbelebt): ‚Werkzeug, Gerät‘ Maskulinum auf -a Ergänzend wird hier das Paradigma für die bei Tafel et al. (2009) nicht genannten maskulin-personalen Substantive auf a angeführt. Sie verhalten sich im Obersorbischen im Singular analog zum Russischen und Polnischen und flektieren wie die Feminina auf a. Im Plural entspricht die Kasusformenbildung den anderen maskulinen Klassen, dieser Typ verhält sich hier somit wie im Polnischen und anders als im Russischen. <?page no="112"?> VI Morphologie 100 Sg. Obersorbisch Polnisch Russisch Nom. starosta starosta starosta Gen. starosty starosty starosty Dat. staros staro staroste Akk. starostu starostu Instr. starostu starostoj, -oju Lok. staroste Vok. - starosto - Pl. Obersorbisch Polnisch Russisch Nom. starostowie starosty Gen. starostow starostów starost Dat. starostam starostom starostam Akk. starostow starostów starost Instr. starostami starostami starostami Lok. starostach starostach starostach Vok. - - - Du. Obersorbisch Polnisch Russisch Nom. starostaj - - Gen. starostow - - Dat. starostomaj - - Akk. starostow - - Instr. starostomaj - - Lok. starostomaj - - Vok. - - - Tab. VI.16a-c: Deklination ausgewählter Substantive - Maskulinum auf a: ‚Bürgermeister; Landrat; Ältester‘ im Obersorbischen, Polnischen und Russischen im Singular, Plural und Dual <?page no="113"?> VI Morphologie 101 Femininum Femininum mit hartem Stammauslaut Singular Plural Dual Nom. sotra sotry Gen. sotry sotrow sotrow Dat. sotram sotromaj Akk. sotru sotry Instr. sotru sotrami sotromaj Lok. sotrach sotromaj Tab. VI.17: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum (hart): ‚Schwester‘ Singular Plural Dual Nom. noha nohi noze Gen. nohi nohow nohow Dat. noze noham nohomaj Akk. nohu nohi noze Instr. nohu nohami nohomaj Lok. noze nohach nohomaj Tab. VI.18: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum (hart): ‚Bein; Fuß‘ Femininum mit weichem Stammauslaut Da Tafels Beispielwort ‚Göttin‘ im Oso. lautet und einen harten Stamm aufweist, wird hier das Substantiv angeführt. Es ist jedoch das einzige oso. Femininum auf <?page no="114"?> VI Morphologie 102 Singular Plural Dual Nom. knjeni knjenje knjeni Gen. knjenje knjenjow knjenjow Dat. knjeni knjenjam knjenjomaj Akk. knjenju knjenje knjeni Instr. knjenju knjenjemi knjenjomaj Lok. knjeni knjenjach knjenjomaj Tab. VI.19: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum (weich): ‚Frau‘ 12 Singular Plural Dual Nom. zemja zemje zemi Gen. zemje zemjow zemjow Dat. zemi zemjam zemjomaj Akk. zemju zemje zemi Instr. zemju zemjemi zemjomaj Lok. zemi zemjach zemjomaj Tab. VI.20: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum (weich): ‚Erde‘ 12 Alleinstehend wird dekliniert, im Zusammenhang mit dem Familiennamen bleibt es im Singular indeklinabel. <?page no="115"?> VI Morphologie 103 Neutrum Neutrum mit hartem Stammauslaut Singular Plural Dual Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Tab. VI.21: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (hart): ‚Stadt‘ Neutrum mit weichem Stammauslaut Singular Plural Dual Nom. polo pola poli Gen. pola polow polow Dat. polu polam polomaj Akk. polo pola poli Instr. polom polemi polomaj Lok. polu polach polomaj Tab. VI.22: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (weich): ‚Feld‘ <?page no="116"?> VI Morphologie 104 Neutrum mit weichem Stammauslaut und dem Formans -nje Da das Beispielwort von Tafel et al. ‚Generation‘ im Oso. lautet, wird hier das Substantiv angeführt. Singular Plural Dual Nom. twarjenje twarjenja twarjeni Gen. twarjenja twarjenjow twarjenjow Dat. twarjenju twarjenjam twarjenjomaj Akk. twarjenje twarjenja twarjeni Instr. twarjenjom twarjenjemi twarjenjomaj Lok. twarjenju twarjenjach twarjenjomaj Tab. VI.23: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (weich auf - ): ‚Gebäude‘ Feminina auf Konsonant Singular Plural Dual Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Tab. VI.24: Deklination ausgewählter Substantive - Feminina auf Konsonant: ‚Knochen‘ Anders als im Russischen bilden Substantive dieses Typs im Obersorbischen kein eigenes Paradigma, sondern verhalten sich wie im Polnischen: Sie weisen abgesehen vom Nominativ und Akkusativ Singular die gleiche Deklination auf wie die anderen weichstämmigen Feminina. Alte konsonantische Stämme In allen bei Tafel et al. (2009) genannten slavischen Sprachen finden sich Reste eines alten Deklinationstyps, der sog. . Das Besondere bei den entsprechenden Wörtern war, dass sie eigene und unge- <?page no="117"?> VI Morphologie 105 wöhnliche Deklinationsendungen aufwiesen, z.B. aksl. N OM .S G . ‚Name‘: G EN .S G . D AT .S G . ; N OM .S G . ‚Mutter‘: G EN .S G . D AT .S G . ; N OM .S G . ‚Kalb‘: G EN .S G . ; N OM .S G . ‚Himmel‘: G EN .S G . ; N OM .S G . ‚Blut‘: G EN .S G . . Spuren dieser Endungen, die heute als Stammalternationen gelten, finden sich in den slavischen Sprachen sehr viele und zum Teil erstaunlich ähnliche. Historischer n-Stamm Da das Beispielwort von Tafel et al. ‚Name‘ im Oso. lautet und zu einem anderen Deklinatonstyp gehört, wird hier das Substantiv ‚Euter‘ angeführt, das Entsprechungen in russ. (Gen.Sg. und poln. (Gen.Sg. ) hat. Singular Plural Dual Nom. wumjo wumjenja wumjeni Gen. wumjenja wumjenjow wumjenjow Dat. wumjenju wumjenjam wumjenjomaj Akk. wumjo wumjenja wumjeni Instr. wumjenjom wumjenjemi wumjenjomaj Lok. wumjenju wumjenjach wumjenjomaj Tab. VI.25: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (historischer - Stamm): ‚Euter‘ Historischer r-Stamm Singular Plural Dual Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Nom. - - Tab. VI.26: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum (historischer -Stamm): ‚Mutter‘ <?page no="118"?> VI Morphologie 106 Auch im Obersorbischen ist - wie im BKS, Russischen und Ukrainischen - der alte Stamm an den Stammerweiterungen der obliquen Kasus noch gut zu erkennen. Das Substantiv wird synchron zur konsonantischen femininen Deklination gezählt. Es ist heute das einzige Wort dieser Klasse und hat daher einen Sonderstatus. Historischer t-Stamm Singular Plural Dual Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Tab. VI.27: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (historischer - Stamm): ‚Kalb‘ Im Obersorbischen werden wie in anderen slavischen Sprachen nach diesem Muster v.a. Substantive dekliniert, die junge Lebewesen bezeichnen. Diese Gruppe wurde sogar erweitert um Wörter, die historisch nicht zu diesem Deklinationstyp gehörten, z.B. N OM .S G . ‚junger Vogel‘: G EN .S G . . Historischer s-Stamm Singular Plural Dual Nom. njebjo njebja njebi Gen. njebja njebjow njebjow Dat. njebju njebjam njebjomaj Akk. njebjo njebja njebi Instr. njebjom njebjemi njebjomaj Lok. njebju njebjach njebjomaj Tab. VI.28: Deklination ausgewählter Substantive - Neutrum (historischer - Stamm): ‚Himmel‘ <?page no="119"?> VI Morphologie 107 Die frühere Stammerweiterung dieser Substantivgruppe ist im Obersorbischen in der Flexion nicht mehr zu erkennen. Mithilfe der alten Stammerweiterungen sind jedoch teilweise neue Wörter entstanden, so gibt es im Obersorbischen das eigene Wort ‚Himmel‘ (Plt.). Andere Beispiele, bei denen sich auch die Bedeutung deutlich auseinanderentwickelt hat, sind ‚Körper, Leib‘ vs. ‚Körper im technischen Sinne‘ (z.B. ‚Heizkörper‘) oder ‚Kreis, Runde, Fahrrad‘ vs. ‚Rad, Fahrrad‘. Zwischensprachliche Unterschiede Tafel et al. (2009) weisen darauf hin, dass es trotz großer innerslavischer Ähnlichkeiten in den Deklinationsmustern wenig Wörter gibt, in denen sich die Formenbildung tatsächlich vollständig deckt. Dies wird anhand des Beispielworts ‚Maus‘ illustriert, dessen obersorbische Entsprechung wir daher abschließend ebenfalls anführen. Myš ‚Maus‘ Singular Plural Dual Nom. myš myše myši Gen. myše myšow myšow Dat. myši myšam myšomaj Akk. myš myše myši Instr. myšu myšemi myšomaj Lok. myši myšach myšomaj Tab. VI.29: Deklination ausgewählter Substantive - Femininum: ‚Maus‘ M ist im Obersorbischen feminin und flektiert wie die weichstämmigen femininen Substantive bzw. die Feminina auf Konsonant (Typ Die alte Deklination, die etwa im Polnischen oder Russischen noch heute eine eigene Deklinationsklasse darstellt, gibt es im Obersorbischen nicht mehr. <?page no="120"?> VI Morphologie 108 11 Die Konjugation der Verben In Bezug auf die Konjugation werden in der Slavistik zwei Arten der Klassifikation unterschieden: Nach Konjugationsklassen, die auf dem Präsensstamm und den auftretenden Endungen für die einzelnen Personen basieren, nach Verbklassen, die auf dem Infinitivstamm basieren. Im Obersorbischen werden drei Konjugationsklassen unterschieden, auf die sich die zahlreichen Verbklassen aufteilen. 13 Der Formenbestand entspricht zwar weitgehend dem anderer slavischer Sprachen, die Produktivität der einzelnen Klassen und die Verteilung der Endungen auf die verschiedenen Verben unterscheiden sich jedoch teilweise deutlich. Die Endung für die 1. Person Singular tritt im Obersorbischen beispielsweise sehr häufig auf (ähnlich wie im Polnischen, aber anders als im Russischen). Singular Plural Dual 1. -(j)u -(j)emy -(j)emoj 2. -(j)eš -(j)e -(j)etaj 14 , -(j)etej 3. -(j)e -ja, -u -(j)etaj, -(j)etej Tab. VI.30: Die Endungen der - -Konjugation im Präsens Singular Plural Dual 1. -am -amy -amoj 2. -aš, -eš - -e -ataj, -atej 3. -a -aja, -eja 15 -ataj, -atej Tab. VI.31: Die Endungen der -a Konjugation im Präsens 16 13 Ein Überblick über die Details findet sich bei Faska (2012: 114ff.), dessen Konjugationsmodell wir hier folgen. 14 Die Endung kann, muss aber nicht, statt in Bezug auf maskulin-personale Substantive verwendet werden (vgl. Kap. VI.2). 15 Veraltet auch noch bzw. 16 Zwischen zwei palatalisierten Konsonanten tritt in der 2. Pers .Sg. sowie in der 2. und 3. Pers. Pl. statt a auf. <?page no="121"?> VI Morphologie 109 Singular Plural Dual 1. -(j)u -imy, -ymy -imoj, -ymoj 2. -iš, -yš 17 - - -itaj, -itej; -taj, -ytej 3. -i, -y -(j)a -itaj, -itej; -ytaj, -ytej Tab. VI.32: Die Endungen der - Konjugation im Präsens Neben die regelmäßigen tritt eine überschaubare Reihe von unregelmäßigen Verben, hier mit 1. und 2. Pers.Sg.: a. ‚sein‘: b. ‚wollen‘: c. ‚geben‘: d. ‚gehen‘: e. ‚fahren‘: f. ‚essen‘: g. ‚haben‘: h. ‚dürfen‘: i. ‚wissen‘: Beispielparadigmen für die Konjugationsklassen des Obersorbischen Im Folgenden führen wir die obersorbischen Entsprechungen zu den bei Tafel et al. (2009: 146ff.) angegebenen Beispielverben an. Hier werden nur die Paradigmen für das Präsens bzw. einfache Futur genannt. Die Paradigmen für die präteritalen Tempora finden sich im Abschnitt VI.12. Als Beispiel für ein Paradigma des perfektiven bzw. einfachen Futurs wird hier der Formensatz für PF . angeführt, da es formal wie das Präsens gebildet wird. 17 Bei Verben mit - , im Stammauslaut (z.B. , ) tritt statt - , in der 1. Pers. Sg. lautet die Endung dann - . In der 3. Pers. Pl. alterniert - , - mit ( , ; , ). <?page no="122"?> VI Morphologie 110 Singular Plural Dual 1. 2. ej 3. 18 ej IPF . ‚lesen‘ Singular Plural Dual 1. 2. š ej 3. 19 ej Tab. VI.34: PF . ‚lesen‘ Dieses Konjugationsmuster (wie in ist im Obersorbischen sehr produktiv und verdrängt gegenwärtig bei vielen Verben auf a 20 die ursprüngliche - Konjugation. Hierdurch kommt es zur Entstehung von Dubletten, sodass z.B. ‚schreiben‘ einerseits die Konjugation … aufweist, daneben aber auch nach der a Konjugation … konjugiert werden kann. Ähnliche Beispiele sind ‚weinen‘ ( vs. ) oder ‚treten, stampfen‘ ( vs. ). Singular Plural Dual 1. wod u wod imy wod imoj 2. wod iš wod wod itaj, ej 3. wod wod wod itaj, ej Tab. VI.35: IPF . ‚führen, geleiten‘ Singular Plural Dual 1. boju so bojimy so bojimoj so 2. bojiš so bojitaj, -ej so 3. boji so boja so bojitaj, -ej so Tab. VI.36: IPF . ‚sich fürchten‘ 18 Veraltet auch . 19 Veraltet auch . 20 Genauer bei Verben auf , , - , . <?page no="123"?> VI Morphologie 111 Singular Plural Dual 1. analyzuju analyzujemy analyzujemoj 2. analyzuješ analyzujetaj, -ej 3. analyzuje analyzuja analyzujetaj, -ej Tab. VI.37: IPF . ‚analysieren‘ Singular Plural Dual 1. njesu njesemy njesemoj 2. njeseš njesetaj, -ej 3. njese njesu njesetaj, -ej Tab. VI.38: IPF . ‚tragen‘ Singular Plural Dual 1. sym smy smój 2. sy staj / stej 3. je su staj / stej Tab. VI.39: IPF . ‚sein‘ Die Negation wird im Obersorbischen synthetisch ausgedrückt, indem dem Verb vorangestellt wird. Dies gilt nicht nur für sondern für alle Verben (vgl. Kap. VII.6). Das Paradigma von ‚nicht sein‘ wird hier als Beispiel genannt. Es ist allerdings insofern unregelmäßig, als hier vor den auf anlautenden Formen ein eingeschoben wird. Singular Plural Dual 1. njejsym njejsmy njejsmój 2. njejsy njej njejstaj / njejstej 3. njeje njejsu njejstaj / njejstej Tab. VI.40: IPF . ‚nicht sein‘ <?page no="124"?> VI Morphologie 112 Singular Plural Dual 1. budu 2. ej 3. bud budu bud / -tej Tab. VI.41: IPF . ‚sein‘ - Futurparadigma Singular Plural Dual 1. mam mamy mamoj 2. maš mataj / tej 3. ma maja mataj / tej Tab. VI.42: IPF . ‚haben‘ Singular Plural Dual 1. chcu chcemy chcemoj 2. chceš chcetaj, -ej 3. chce chcetaj, -ej Tab. VI.43: IPF . ‚wollen‘ Singular Plural Dual 1. 2. -ej 3. e a -ej Tab. VI.44: IPF . ‚können‘ Singular Plural Dual 1. du d emy d moj 2. d eš d d etaj, -ej 3. d du d etaj, -ej Tab. VI.45: IPF . ‚gehen‘ <?page no="125"?> VI Morphologie 113 Singular Plural Dual 1. dawam dawamy dawamoj 2. dawaš dawataj, -tej 3. dawa dawaja 21 dawataj, -tej Tab. VI.46: IPF . ‚geben‘ Singular Plural Dual 1. dam damy damoj 2. daš dataj, -tej 3. da dataj, -tej Tab. VI.47: PF . ‚geben‘ 12 Weitere Tempora, Aspekt und Modus Tempora - Kurzüberblick Das Obersorbische verfügt über ein umfangreiches System von Vergangenheitstempora, das aus dem Urslavischen ererbt und in den meisten anderen slavischen Sprachen geschwunden ist. Morphologisch weist das Obersorbische damit sieben Tempora auf: Präsens, zwei Futurformen, vier Vergangenheitstempora. Die beiden Vergangenheitstempora Tempora Aorist und Imperfekt werden dabei in der Regel als „Präteritum“ zusammengefasst, da sie sich hauptsächlich durch den Aspekt unterscheiden. In der Standardsprache funktioniert noch weitgehend das volle Tempussystem. In der Umgangssprache breitet sich jedoch zunehmend das Perfekt als alleiniges Vergangenheitstempus aus und übernimmt alle Funktionen der anderen Tempora; Aorist, Imperfekt und auch Plusquamperfekt gehen entsprechend zurück. Das Obersorbische hat damit die Entwicklung in dieselbe Richtung eingeschlagen, die die meisten anderen slavischen Sprachen schon durchlaufen haben. Für die Beschäftigung mit geschriebenen Texten ist das Verstehen der herkömmlichen Vergangenheitstempora aber unabdingbar. 21 Veraltet auch . <?page no="126"?> VI Morphologie 114 Tempus Beispiel Präsens Präteritum (s. Aorist und Imperfekt) 22 einfaches Futur (Präsens perfektiver Verben) 23 zusammengesetztes Futur wona bud Futurum exactum (s.u.) Perfekt won P L . M .- P . su P L . NM .- P . Plusquamperfekt Aorist Imperfekt Tab. VI.48: Der Bestand an Tempora im Obersorbischen am Beispiel von / a ‚lesen‘ Die Vergangenheitstempora Perfekt Das Perfekt ist ein analytisches Tempus. Es wird mit einer Präsensform von ‚sein‘ und einer Form des Vollverbs auf - (historisch ein Partizip) plus Genus- und Numerusendung gebildet. Es kann von Verben des imperfektiven 22 Der Ausdruck ist uneindeutig: Tafel et al. (2009) verwenden ihn im Sinne eines globalen Vergangenheitstempus, das es etwa im Russischen oder Polnischen gibt. In der Beschreibung des Obersorbischen wird dieser Terminus aber wie erwähnt als Oberbegriff für Aorist und Imperfekt verwendet, die in der Tabelle getrennt aufgeführt werden. 23 Ein synthetisches Futur des ukrainischen Typs ( usw.) kennt das Obersorbische nicht. <?page no="127"?> VI Morphologie 115 und des perfektiven Aspekts gebildet werden (s. die Beispiele zu (ipf.) und (pf.) in den Tabellen VI.49 und VI.50). Verben im Perfekt weisen in der Regel einen Bezug zum Sprechzeitpunkt auf, zu dem ein Ergebnis der benannten Handlung vorliegt: (hotko) ‚Ich habe erst gestern in der Zeitung gelesen, dass man irgendwo in Amerika ein Rad erfunden hat, das alleine einkaufen fährt.‘ In der Umgangssprache wird das Perfekt aber auch als allgemeines Vergangenheitstempus verwendet, in dieser Funktion verdrängt es alle anderen drei Vergangenheitstempora. Singular Plural Dual 1. sym smy li (- 24 ) smój 2. sy li (staj / stej 3. - su li (staj / stej Tab. VI.49: Die Formen des Perfekts am Beispiel von IPF . Singular Plural Dual 1. li (smój 2. li (staj / 3. je - li (staj / Tab. VI.50: Die Formen des Perfekts am Beispiel von PF . Imperfekt und Aorist (Präteritum) Aorist und Imperfekt sind synthetische Tempora, sie werden also mit einer Personalendung direkt am Verbstamm markiert. Beide werden dabei in der Regel als „Präteritum“ zusammengefasst, da sie sich hauptsächlich durch den Aspekt unterscheiden: der Aorist wird nur von aspektuell perfektiven Verben gebildet, das Imperfekt nur von aspektuell imperfektiven. 24 Die Pluralform auf kann für maskulin-personale und nichtmaskulin-personale Substantive verwendet werden. Für Letztere gibt es außerdem auch noch die fakultative Form auf die veraltend und nicht mehr obligatorisch ist (vgl. auch Kap. VI.2). <?page no="128"?> VI Morphologie 116 In Bezug auf die Formenbildung unterscheiden sich Imperfekt und Aorist oft nur in den Endungen für die 2. und 3. Person Singular: Im Imperfekt weisen beide die Endung auf, im Aorist sind sie endungslos. Die endungslosen Formen sind häufig mit dem perfektiven Futur identisch, z.B. und im zweiten Beispiel des nächsten Absatzes. Jedoch werden bei einem Teil der Verben der und der Konjugation Aorist- und Imperfektformen von unterschiedlichen Stämmen gebildet ( - IPF . , PF . ; - IPF . , PF . ). Beide Tempora werden für Ereignisse in der Vergangenheit verwendet, die keinen Bezug zum Sprechzeitpunkt haben; sie dienen also v.a. der narrativen Funktion. Mit dem Imperfekt werden Verläufe in der absoluten Vergangenheit markiert: (hotko) ‚In diesem Buch las ich oft an den Abenden bei(m Licht der) Petroleumlampe und morgens im Bett sah ich wieder heimlich hinein‘. Der Aorist markiert dagegen ganzheitlich aufgefasste Situationen (hier ist der Zusammenhang mit dem Aspekt also sehr deutlich): (hotko) ‚Das Mädchen las den Brief durch und legte ihn auf den Tisch‘. In der Standardsprache ist das Präteritum mit den beiden Ausprägungen Imperfekt und Aorist noch voll produktiv, in der Umgangssprache geht es zurück und wird durch das Perfekt verdrängt. 25 Singular Plural Dual 1. ach chmy chmoj 2. še š štaj, -ej 3. še chu štaj, -ej Tab. VI.51: Die Formen des Imperfekts am Beispiel von IPF . 25 In der Katholischen Umgangssprache gibt es Imperfekt und Aorist bis auf wenige Reste gar nicht mehr (s. Scholze 2008: 213f, 386ff.). <?page no="129"?> VI Morphologie 117 Singular Plural Dual 1. ach chmy chmoj 2. š štaj, -ej 3. chu štaj, -ej Tab. VI.52: Die Formen des Aorists am Beispiel von PF . Plusquamperfekt Das Plusquamperfekt ist ein analytisches Tempus; wie das Perfekt wird es mit einer Form des Hilfsverbs ‚sein‘ und dem sog. -Partizip plus Endung für Genus und Numerus gebildet. Anders als beim Perfekt tritt hier aber nicht die Präsensform von auf, sondern - historisch gesehen - die Aorist- oder Imperfektform. Das Plusquamperfekt ist ein sog. , das den zeitlichen Bezug zu einer anderen Situation markiert, wobei die im Plusquamperfekt stehende Situation zu dieser vorzeitig ist: (hotko) ‚Als er den Brief durchgelesen hatte, musste Jurij ihm alles vollständig und genau berichten‘. Dieses Tempus wird auch in der Standardsprache häufig durch das Perfekt ersetzt. Singular Plural Dual 1. li (oj 2. še) š li (štaj, -tej 3. še) - li (štaj, -tej Tab. VI.53: Die Formen des Plusquamperfekts am Beispiel von IPF . Singular Plural Dual 1. li (oj 2. še š li (štaj, - 3. - li (štaj, - Tab. VI.54: Die Formen des Plusquamperfekts am Beispiel von PF . <?page no="130"?> VI Morphologie 118 Perfekt und Präteritum (Imperfekt und Aorist): Beispielparadigmen An dieser Stelle geben wir einen ergänzenden Überblick über die Formenbildung der in Abschnitt VI.11 im Präsens genannten Verben im Perfekt und Präteritum (je nach Aspekt wird entweder Imperfekt oder Aorist angegeben). 26 Singular Plural Dual Perfekt 1. sym wod smy wod smój wod 2. sy wod - staj / stej wod 3. je wod - su wod staj / stej wod Präteritum 1. wod ach wod chmy wod achmoj 2. wod wod wod taj, -ej 3. wod wod achu wod taj, -ej Tab. VI.55: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚führen, geleiten‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. sym so boj smy so bojeli smój so boja 2. sy so boj eli staj / stej so boj 3. je so boj - su so boje staj / stej so boj Präteritum 1. bojach so bojachmy so bojachmoj so 2. boješe so boješ boještaj, -ej so 3. boješe so bojachu so boještaj, -ej so Tab. VI.56: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚sich fürchten‘ 26 Die Vergleichsformen der Verben im Präteritum in den anderen fünf slavischen Sprachen finden sich bei Tafel et al. (2009) auf S. 146ff. <?page no="131"?> VI Morphologie 119 Singular Plural Dual Perfekt 1. sym analyzow smy analyzowali (smój analyzowa 2. sy analyzow ali (staj / stej analyzowa 3. je analyzow - su analyzowali (staj / stej analyzowa Präteritum 1. analyzowach analyzowachmy analyzowachmoj 2. analyzowaše analyzowaš analyzowaštaj, -ej 3. analyzowaše analyzowachu analyzowaštaj, -ej Tab. VI.57: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚analysieren‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. sym njes smy njesli (smój njes 2. sy njes li (staj / stej njes 3. je njes - su njesli (staj / stej njes Präteritum 1. njesech njesechmy njesechmoj 2. njeseše njeseš njeseštaj, -ej 3. njeseše njesechu njeseštaj, -ej Tab. VI.58: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚tragen‘ <?page no="132"?> VI Morphologie 120 Singular Plural Dual Perfekt 1. smy byli (sm 2. - (staj / stej 3. - su byli (staj / stej Präteritum 1. 2. še) 27 š štaj, -ej 3. še) štaj, -ej Tab. VI.59: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚sein‘ Wie in Kap. VII.6 ausgeführt und bereits oben bei den Konjugationsmustern im Präsens erwähnt, wird die Negation im Obersorbischen synthetisch gebildet. Dies gilt nicht nur im Präsens, sondern in allen Tempora; hier als Beispiel die Formenbildung in den Vergangenheitstempora Perfekt und Imperfekt von ‚nicht sein‘. Singular Plural Dual Perfekt 1. njejsmy byli (njejsmój 2. - (njejstaj / njejstej 3. - njejsu byli (njejstaj / njejstej Präteritum 1. 2. še) š štaj, -ej 3. še) štaj, -ej Tab. VI.60: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚nicht sein‘ 27 Die Formen und sind gleichbedeutend. <?page no="133"?> VI Morphologie 121 Singular Plural Dual Perfekt 1. - (smój 2. - (staj / 3. - - (staj / Präteritum 1. 2. še š štaj, -ej 3. še štaj, -ej Tab. VI.61: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚haben‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. smy chcyli (smój chc 2. - (staj / stej chc 3. - su chcyli (staj / stej chc Präteritum 1. chcych chcychmy chcychmoj 2. chcyše chcyš chcyštaj, -ej 3. chcyše chcychu chcyštaj, -ej Tab. VI.62: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚wollen‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. smy móhli (smój móh 2. - (staj / stej móh 3. - su móhli (staj / stej móh Präteritum 1. 2. še š štaj, -ej 3. še štaj, -ej Tab. VI.63: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚können‘ <?page no="134"?> VI Morphologie 122 Singular Plural Dual Perfekt 1. sym šo š smy šli (š ) smój š 2. sy šo š šli (š ) staj / stej š 3. je šo š š su šli (š ) staj / stej š Präteritum 1. d d d 2. d še d š d štaj, -ej 3. d še d d štaj, -ej Tab. VI.64: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚gehen‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. smy dali (smój da 2. - (staj / stej da 3. - su dali (staj / stej da Präteritum 1. dach dachmy dachmoj 2. da daš daštaj, -ej 3. da dachu daštaj, -ej Tab. VI.65: Perfekt und Präteritum (hier: Aorist): PF . ‚geben‘ Singular Plural Dual Perfekt 1. smy dawali (smój dawa 2. - (staj / stej dawa 3. - su dawali (staj / stej dawa Präteritum 1. dawach dawachmy dawachmoj 2. dawaše dawaš dawaštaj, -ej 3. dawaše dawachu dawaštaj, -ej Tab. VI.66: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚geben‘ <?page no="135"?> VI Morphologie 123 Singular Plural Dual Perfekt 1. - (smój 2. - (staj / 3. - - (staj / Präteritum 1. ch chmy chmoj 2. še š štaj, -ej 3. še chu štaj, -ej Tab. VI.67: Perfekt und Präteritum (hier: Imperfekt): IPF . ‚essen‘ Sonstige Formen An dieser Stelle erwähnen wir einige speziellere Paradigmen mit temporaler Funktion, die jedoch nicht voll grammatikalisiert (im Sinne einer obligatorischen Verwendung) sind. Die resultative -Konstruktion Das Obersorbische verfügt über ein spezifisches Paradigma, das mit einer Tempusform von ‚haben‘ und dem Partizip Präteritum Passiv des Vollverbs gebildet wird, vgl.: ‚ich habe einen Brief geschrieben‘. Bemerkenswert im Hinblick auf die gesamte Konstruktion ist, dass das Partizip mit dem direkten Objekt kongruiert: A KK .S G . F . A KK .S G . F . ‚ich habe Suppe gekocht‘ (wörtlich: „ich habe gekochte Suppe“). Das Subjekt des Satzes muss nicht identisch mit dem Agens der Handlung sein, welche zu dem bezeichneten Zustand führte. 28 Diese Konstruktion weist eine resultative Funktion auf, d.h. sie drückt einen Nachzustand als Resultat einer vorausgegangenen Handlung aus, und steht an der Grenze von Tempus und Genus verbi. 29 kann dabei in allen Tem- 28 S. Faska (2012: 97f.). Ausführlich zu den Details s. Wölke (2011a, 2015), von dort auch die Beispiele. 29 Faßke (1981: 228) bezeichnet diese Konstruktion als „Vollzugspassiv“. Scholze weist darauf hin, dass diese Konstruktion in der oso. Umgangssprache in einigen Fällen ohne Bedeutungsänderung durch ein normales -Präteritum ersetzt werden kann, sie ist aber auch dort nur möglich, wenn ein Resultat vorliegt. Die hier besprochene Form wird auch als „possessives Resul- <?page no="136"?> VI Morphologie 124 pus- und Modusformen auftreten: P RÄS . , F UT . , P RÄT . , / P ERF . usw. Die resultative Konstruktion wird fast ausschließlich mit transitiven Verben gebildet, die überwiegend im perfektiven Aspekt stehen. Etliche andere slavische Sprachen verfügen zumindest in der Umgangssprache über ähnliche Konstruktionen. 30 Futurum exactum (Futur II) Im Obersorbischen können anders als in den anderen slavischen Sprachen die präteritalen - -Formen perfektiver Verben (Typ sowie das Futur des o.g. Paradigmas (Typ ‚ich werde gelesen haben‘) in der Funktion eines Futurum exactum (bzw. Futur II) verwendet werden. 31 Das Paradigma ist im Obersorbischen bis auf wenige Ausnahmen nur von perfektiven transitiven Verben bildbar. 32 Iterativpräteritum Das Obersorbische verfügt über ein verbales Paradigma, das mit Konjunktivformen und der - -Form des Verbs gebildet wird und gewohnheitsmäßige Handlungen in der Vergangenheit bezeichnet: 33 Faßke betrachtet diese Konstruktion als eigenes Tempus, das „Iterativpräteritum“; eigentlich handelt es sich hier aber um eine Kombination von temporalen und aspektuellen Merkmalen. Es ist nie obligatorisch, sondern kann durch ein anderes Vergangenheitstempus ersetzt werden. 34 Das Iterativpräteritum gibt es unter den slavischen Sprachen in dieser Form nur im Obersorbischen, die Funktion ist aber vergleichbar mit russischen Iterativverben vom Typ ‚sie pflegte zu sagen‘. tativum“ bezeichnet, da sie einen Nachzustand in Verbindung mit einem possessiven Verhältnis ausdrückt (vgl. z.B. Giger 2009). 30 Vgl. z.B. russ. ‚ich habe Mittag gekocht‘ (Giger 2009: 272), poln. ‚mein Auto ist kaputtgegangen‘ (Wiemer / Giger 2005: 72). 31 Vgl. Breu (2012). 32 Vgl. Wiemer / Giger (2005). 33 Bemerkenswert ist hier die Ähnlichkeit zur englischen Form + Infinitiv, vgl. . 34 Vgl. Faßke (1981: 266f.) sowie Faska (2012: 171). <?page no="137"?> VI Morphologie 125 Aspekt Das Aspektsystem der obersorbischen Standardsprache funktioniert in den Grundzügen so wie im Russischen (und den anderen slavischen Vergleichssprachen): Verben treten in der Regel in zwei verschiedenen Ausprägungen auf, nämlich im (ipf.) und im (pf.) Aspekt. Die Analogien zu den anderen slavischen Sprachen betreffen sowohl die grundsätzlichen Prinzipien der Aspektpartnerbildung als auch die Funktionen im Satz und Text. In beiden Bereichen treten allerdings an einzelnen Stellen auch Unterschiede zu den anderen slavischen Sprachen auf, die das Textverständnis in aller Regel jedoch nicht erschweren. Für die Umgangssprache hingegen sind deutliche Entwicklungen weg vom traditionellen slavischen Aspektsystem zu vermerken. Aspektpartnerbildung durch Präfigierung Die Auffassungen dazu, welche Bildungen als Aspektpartner gelten können, gehen in der Slavistik und entsprechend auch in Bezug auf das Obersorbische stark auseinander. Wir vertreten hier eine breitere Auffassung. 35 Das bei Tafel et al. (2009: 160) genannte Beispielverbpaar für ‚lesen‘ lautet im Obersorbischen IPF . - PF . , wobei wir es im Obersorbischen wie auch in den anderen slavischen Sprachen als eindeutiges Aspektpaar verstehen. Den Unterschied zwischen lexikalischer und aspektueller Präfigierung zeigen die Ableitungen von ‚schreiben‘, die Tabelle VI.68 angibt. Der Vergleich der verschiedenen präfigierten Verben zeigt, dass die Verhältnisse im Obersorbischen denen z.B. des Russischen oder Polnischen stark ähneln: , und nehmen durch die Präfigierung neue lexikalische Bedeutungen an, das Präfix dient jedoch genau wie im Russischen und Polnischen de Aspektpartnerbildung. 36 35 Zur Diskussion in Bezug auf das Obersorbische s. Scholze (2008: 225). Wir schließen uns hier Scholzes Aspektpaar-Auffassung an und stützen uns stark auf ihre Beschreibung des obersorbischen standardsprachlichen Aspektsystems (2008: 225ff.). 36 Hier unterscheidet sich unsere Auffassung, wie erwähnt, von derjenigen von Tafel et al. (2009). <?page no="138"?> VI Morphologie 126 Obersorbisch Bedeutung im Obersorbischen Russisch Polnisch zu Ende schreiben dopisat’ pf. Partner zu napisat’ beschreiben opisat’ unterschreiben podpisat’ Tab. VI.68: Vergleich präfigierter perfektiver Verben am Beispiel von - Tafel et al. (2009: 161) nennen als Illustration für eine rein grammatische, aspektuelle Präfigierung das Verb mit der Bedeutung ‚analysieren‘. Für das Obersorbische eignet sich dieses Verb schlecht als Beispiel, da die perfektive From kaum gebräuchlich ist. Ein weiteres Beispiel für ein präfigiertes Verb des Obersorbischen, bei dem das Präfix eine rein grammatische (aspektuelle) Funktion hat, ist das in Tabelle VI.69 angeführte Verbpaar ‚essen‘. Imperfektiv Perfektiv Obersorbisch Russisch est’ s”est’ Polnisch Tab. VI.69: Das Aspektpaar - ‚essen‘ im Vergleich Aspektpartnerbildung durch Suffigierung Von (meist, aber nicht immer präfigierten) pf. Verben werden die ipf. Partner mit Hilfe der Suffixe / / a und a abgeleitet. Tabelle VI.70 führt Beispiele für präfigierte Verben mit diesem Verfahren an, Tabelle VI.71 nennt Beispiele für nicht präfigierte Verben. <?page no="139"?> VI Morphologie 127 Perfektiv Imperfektiv Bedeutung zapišu) aufzeichnen, notieren austrinken antworten woblec (wobleku) anziehen Tab. VI.70: Ableitung imperfektiver Partner durch Suffigierung von präfigierten Verben Perfektiv Imperfektiv Bedeutung kaufen geben treten fallen Tab. VI.71: Ableitung imperfektiver Partner durch Suffigierung von unpräfigierten Verben Das Suffix entspricht dem Suffix des Russischen oder des Polnischen: Es markiert sehr häufig eine einmalig ausgeführte Handlung im Gegensatz zu einer mehrmaligen, die dann mit einem anderen Suffix ausgedrückt wird: PF . ‚einmal winken‘ - IPF . ‚mehrmals winken‘ (vgl. russ. - poln. - ). Wie in den anderen Sprachen sind die Verben mit dem Suffix in diesen Kombinationen dann stets die perfektiven. Allerdings sind Verben mit nicht immer perfektiv; imperfektiv sind z.B. ‚ziehen‘ oder ‚welken‘ (vgl. poln. sowie russ. für die dasselbe gilt). Suppletive Aspektpartner Im Obersorbischen können Aspektpaare wie in den anderen slavischen Sprachen auch , d.h. von zwei ganz unterschiedlichen Stämmen gebildet sein. Viele Beispiele decken sich zwischen den Sprachen (z.B. - ‚nehmen‘), manche nicht: Das im Obersorbischen biaspektuelle Verb ‚sagen‘ fällt (anders als im Russischen und Polnischen) nicht in die Kategorie der Suppletiva. <?page no="140"?> VI Morphologie 128 Obersorbisch Russisch Polnisch Bedeutung IPF . PF . brat’ vzjat’ nehmen IPF . IPF ./ PF . 37 govorit’ skazat’ sprechen, sagen PF . IPF . (buchsprachlich) / IPF . (neutral) 38 otojti otchodit’ weggehen IPF . PF . klast’ legen Tab. VI.72: Vergleichsbeispiele für suppletive Aspektpaare Biaspektuelle Verben Biaspektuell sind Verben, bei denen sich die imperfektive und die perfektive Form nicht unterscheiden. Im Obersorbischen sind dies, wie auch z.B. im Russischen oder Polnischen, zwei Gruppen von Verben: Viele entlehnte Verben, die materiell übernommen wurden ( ‚organisieren‘, ‚kontrollieren‘) oder Lehnübersetzungen aus dem Deutschen sind 39 ( ‚übernachten‘, ,auseinander ‚bearbeiten‘); sie sind in der Regel mit dem Suffix gebildet. Einige einheimische Verben: ‚versprechen‘, ‚sagen‘. 40 Verben ohne Aspektpartner Eine ganze Reihe von Verben tritt nur im imperfektiven Aspekt auf; in erster Linie sind dies Zustandsverben auf wie ‚wohnen‘ oder ‚wissen‘. 37 Das Verhältnis von oso. IPF . und PF ./ IPF . ist dem von poln. IPF . / PF . , russ. ´ IPF . / ´ PF . vergleichbar, jedoch mit dem Unterschied, dass selbst auch imperfektiv sein kann. 38 Zu den Verben der Fortbewegung s. Abschnitt VI.15. 39 S. Scholze (2008: 225) sowie Breu (2012: 4). 40 Bei diesen Verben unterscheiden sich aber die Präteritumformen, vgl. zu ‚ich sagte‘ (1.Pers.Sg.Impf.) vs. ‚ich sagte‘ (1.Pers.Sg.Aor.). <?page no="141"?> VI Morphologie 129 Eine geringere Zahl von Verben verfügt nur über eine perfektive Form, z.B. die sog. v : so ,sich satt essen‘. Beides verhält sich etwa im Polnischen und Russischen genauso. Spezifisch für das Obersorbische ist demgegenüber, dass Lehnübersetzungen aus dem Deutschen entweder als biaspektuelle, häufig aber auch nur als imperfektive Verben auftreten; Letzteres gilt z.B. für ‚vorhersehen‘ oder ‚beherrschen‘. 41 Das Präfix ist hier allein dem deutschen Modell geschuldet und hat keine aspektuelle Funktion. Die Funktionen des Aspekts Das standardsprachliche Aspektsystem des Obersorbischen weist einerseits die grundlegenden Funktionen des Aspekts auf, die wir aus anderen slavischen Sprachen kennen: Der perfektive Aspekt markiert einphasige, ganzheitlich betrachtete Situationen. Dies wird z.B. in Kombinationen von mehreren Prädikaten deutlich, in denen mehrere perfektive Verben eine Abfolge von Situationen ausdrücken: (hotko) ‚Sie öffnete die Der imperfektive Aspekt markiert Situationen in ihrem Verlauf. Mehrere imperfektive Verben drücken daher die Parallelität der Situationen aus: (hotko) ‚Das begeisterte Publikum in der inzwischen vollen Halle tanzte, feierte und sang [gleichzeitig] mit‘. Andererseits gibt es aber auch einige Unterschiede zwischen dem obersorbischen und dem russischen und polnischen Aspektsystem: 42 Bei wiederholten Situationen (iterative Funktion) kann im Obersorbischen, anders als im Russischen, neben dem imperfektiven auch der perfektive Aspekt stehen: (hotko) ‚Ich antwortete oft, dass ich nicht unter- 41 Vgl. Schuster-Šewc (1996: 176, 180). 42 Dies sind allerdings Bereiche, in denen die slavischen Sprachen sich insgesamt nicht einheitlich verhalten: Im Polnischen ist der perfektive Aspekt bei Wiederholungen etwas weniger beschränkt als im Russischen, im Tschechischen ist er die Regel. <?page no="142"?> VI Morphologie 130 schreiben kann, was ich nicht gelesen habe‘ ( ‚oft‘ mit dem perfektiven Verb ‚antworten‘ im Aorist). Auch in der allgemein-faktischen und der stativen Funktion 43 kann im Obersorbischen der imperfektive oder der perfektive Aspekt verwendet werden: / (Faßke) ‚Ich habe mir ein Haus gebaut‘. Im Imperativ wird unabhängig vom Aspekt die einfachere Form bevorzugt, dies kann die perfektive ( ‚gib‘, ‚kaufe‘) oder die imperfektive ( ‚geh‘, ‚sitze‘) sein. Beim negierten Imperativ existiert kein Bedeutungsunterschied zwischen perfektiven und imperfektiven Formen. 44 Aspekt in der obersorbischen Umgangssprache Die Aspektverwendung in der Umgangssprache unterscheidet sich deutlich von der Standardsprache und befindet sich stark im Wandel; manche Erscheinungen dringen auch in die Standardsprache ein. Einige aus slavistischvergleichender Sicht bemerkenswerte Entwicklungen, die besonders in der obersorbischen katholischen Umgangssprache belegt wurden, sind: 45 Das analytische Futur kann mit perfektiven Verben gebildet werden: ‚wir werden feiern‘; 46 die Bevorzugung des perfektiven Aspekts bei wiederholten Situationen wächst; die Zahl der biaspektuellen Verben steigt; wenn eine zielgerichtete Handlung vorliegt, wird die perfektive Form bevorzugt - auch im Präsens; die Bildung einer speziellen imperfektiven Form von Verben der Bewegung nimmt zu (vgl. Abschnitt VI.15), z.B. PF . - IPF . 43 Die sog. tritt bei der Benennung eines überzeitlich gültigen Sachverhaltes auf; sind Situationen, die unveränderlich und ohne Phasen andauern. 44 Faßke (1981: 182). 45 S. Scholze (2008: 227ff.) mit einem Literaturüberblick und einer ausführlichen Analyse zum Aspekt in der katholischen Umgangssprache sowie Breu (2000). 46 In der Schriftsprache tritt dies ebenfalls auf, allerdings am ehesten bei hervorgehobenem negiertem Verb: (hotko) ‚So wird mich wohl niemand erkennen‘. <?page no="143"?> VI Morphologie 131 ‚hinaufkriechen‘. Dabei werden die alten imperfektiven Formen durch umschreibende Formen ersetzt, die nach deutschem Modell aus einer Partikel bzw. einem Adverb und dem determinierten Verb bestehen: PF . - IPF . ‚hinausgehen‘. 47 Dieses Modell geht auch auf andere Verben über, die keine Verben der Bewegung sind, z.B. - ‚aufschreiben‘. Interessanterweise kommen mehrere Untersuchungen aber zu dem Ergebnis, dass sich der Aspekt in den verschiedenen Varietäten des Obersorbischen zwar verändert, dabei aber als grammatische Kategorie nicht abgebaut, sondern umgebaut wird. Dies zeige sich insbesondere daran, dass auch deutsche Lehnverben in das Aspektsystem integriert werden, z.B. IPF . - PF . ‚föhnen‘. 48 Modus Das Obersorbische verfügt wie die slavischen Vergleichssprachen über drei Modi: Indikativ Imperativ Konditional (bzw. 49 oder ) Imperativ Es gibt im Obersorbischen synthetische Imperativformen für die 2. Person Singular sowie die 1. und 2. Person Dual und Plural. Für die 3. Person existieren im Singular und Dual synthetische und analytische Formen nebeneinander, im Plural gibt es nur analytische. Hier wird - wie im Polnischen - die Partikel verwendet. Zum Aspekt im Imperativ s.o. den Abschnitt . 47 Der alte ipf. Partner hat sich von weitgehend gelöst. 48 S. Scholze (2008: 239, 254f.), dort findet sich auch weitere Literatur. 49 Dies ist in der Sorabistik der bevorzugte Terminus. <?page no="144"?> VI Morphologie 132 2.Sg. 1.Du. 2.Du. -tej -tej -tej 1.Pl. 2.Pl. 3.Sg. / njech / / njech je 3.Du. -tej / -ej -tej / -ej -tej / njech staj / stej 3.Pl. njech / njech du njech su Tab. VI.73a: Die Imperativformen der Verben IPF . ‚lesen‘, IPF . ‚gehen‘, IPF . ‚sein‘ 2.Sg. bjer daj 1.Du. bjermoj dajmoj 2.Du. bjertaj, -tej dajtaj, -tej 1.Pl. bjermy dajmy 2.Pl. 3.Sg. bjer / njech bjerje daj / njech da 3.Du. bjertaj, -tej / njech bjerjetaj / -tej dajtaj, -tej / njech dataj, -tej 3.Pl. njech bjeru Tab. VI.73b: Die Imperativformen der Verben IPF . ‚nehmen‘, PF . ‚geben‘ Indikativ - Konjunktiv / Konditional Die Indikativformen der Verben wurden im Abschnitt zum Tempus dargestellt. Die Formen des Konjunktivs werden mit speziellen Personalformen des Hilfsverbs ‚sein‘ und dem -Partizip eines Vollverbs gebildet. Historisch gehen die speziellen Personalformen von auf den Aorist zurück, es handelt sich also um denselben Wandel , der auch in den anderen slavischen Sprachen vollzogen wurde. Anders als das Russische oder das Polnische (aber ähnlich wie das BKS oder das Tschechische) hat das Obersorbische den ganzen Satz an Personalformen bewahrt. Einen Konjunktiv II gibt <?page no="145"?> VI Morphologie 133 es im modernen Obersorbischen nicht. 50 Zum sog. , das mit einer Konjunktivform gebildet wird, s. Abschnitt VI.12. Obersorbisch Bedeutung Indikativ Perfekt sie hat gelesen Konjunktiv ich hätte gelesen / ich würde lesen / ich läse sie hätte gelesen / sie würde lesen / sie läse Tab. VI.74: Vergleichsformen des Konjunktivs am Beispiel von IPF . ‚lesen‘ Singular Plural Dual 1. - - 2. - byštaj, - 3. - - byštaj, - Tab. VI.75: Der volle Formensatz des Konjunktivs am Beispiel von IPF . ‚lesen‘ 13 Genus verbi Die Kategorie beinhaltet die Unterscheidung zwischen Aktiv und Passiv. Da sich die meisten Ausführungen zur Verbmorphologie in diesem Buch auf das sehr viel häufigere Aktiv beziehen, wird hier das Passiv in den Fokus gerückt. Auf morphologischer Ebene umfasst das Passiv formale Paradigmen, die mit bestimmten syntaktischen Konstruktionen einhergehen. Diese dienen dazu, das Patiens in den Vordergrund zu rücken, das in passiven Konstruktionen zum grammatischen Subjekt wird; zum Ausdruck des Agens s. Kap. VII.4. Neben dem Passiv gibt es weitere Strukturen, mit denen das Pati- 50 Das ältere Obersorbische kannte eine entsprechende Form, die mit einer Form des Futurstamms des Hilfsverbs gebildet wurde: 1.Pers.Sg. 2.Pers.Sg. 3.Pers.Sg. usw. Daneben gab es auch eine zum BKS und Tschechischen analoge Form usw. Beide sind in der Gegenwart nicht mehr üblich. <?page no="146"?> VI Morphologie 134 ens besonders hervorgehoben werden kann, nämlich die subjektlosen Sätze, s. dazu Kap. VII.7. Im Obersorbischen kann das Passiv mit Hilfe folgender Paradigmen ausgedrückt werden: 1. Durch die Verwendung von Verben mit dem Reflexivmorphem : ‚Die Bücher von Jurij Br zan werden gern gelesen‘. Die Konstruktion ist mit perfektiven und imperfektiven Verben und in allen Tempora möglich: ‚Die Exkursion wird sorgfältig vorbereitet werden‘. 2. Durch eine Bildung mit dem präteritalen Stamm des Hilfsverbs und dem Passivpartizip: ‚der Kuchen wurde gebacken‘. Dieser Typ tritt nur im Präteritum auf. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Formenbildung vom Stamm . Singular Plural Dual 1. buch (po)chwaleny, -a, -e buchmy (po)chwaleni, -e buchmoj (po)chwalenaj, -ej 2. bu (po)chwaleny, -a, -e buš (po)chwaleni, -e buštaj, -tej (po)chwalenaj, -ej 3. bu (po)chwaleny, -a, -e buchu (po)chwaleni, -e buštaj, -tej (po)chwalenaj, -ej Tab. VI.76: Formen des Passivstamms - 3. Eine dritte Struktur wird mit einer finiten Form von und dem Passivpartizip gebildet: ‚Das Buch ist durchgelesen (worden)‘. Das Passivpartizip ist meist perfektiv, kann aber auch imperfektiv sein. Diese Struktur kann in allen Tempora und Modi auftreten: (Faska 2012) ,Die Schule ist aus roten Zie- (Faska 2012) ,Paul (hotko) ,Jeder fürchtete sich, verspottet und be- Die und die Form (1. und 2.) rücken den Verlauf einer Situation in den Vordergrund, während mit dem Paradigma (3.) typischerweise das Ergebnis <?page no="147"?> VI Morphologie 135 einer Situation bezeichnet wird. 51 Die Unterscheidung ist funktional mit dem deutschen vs. vergleichbar. Weitere Beispiele mit dem Verb / ‚bauen‘ aus dem Korpus stellt die folgende Tabelle VI.77 dar. Obersorbisch Bedeutung We Wojerecach twari so nowa In Hoyerswerda wird eine neue Kirche gebaut, die wohl noch in diesem Jahr fertiggestellt und geweiht wird. bu kanalizacija twarjena. In dem Städtchen, aus dem ich komme, wurde die Kanalisation gebaut. wa natwarjena. Die Verkaufsstelle wurde neu aufgebaut. mora. Die Station ist aus weißem Marmor gebaut. Die Straße war gebaut worden, aber sie führte nirgends hin. Tab. VI.77: Beispiele zur Passivverwendung ( ) Neben den standardsprachlichen Formen ist umgangssprachlich noch eine weitere Struktur des Vorgangspassivs anzutreffen, nämlich die Bildung mit dem deutschen Lehnwort bzw. ‚werden‘: ‚in der Küche wird das Mittagessen gekocht‘. 52 Es wird in der Umgangssprache statt der oben vorgestellten schriftsprachlichen Formen verwendet, insbesondere die -Struktur ist rein schriftsprachlich. 53 51 Schuster-Šewc (1984: 198). Die dritte Struktur wird häufig als gesonderte Struktur betrachtet, da sie in erster Linie einen Nachzustand bzw. ein Resultat ausdrückt, vgl. Faska (2012: 98). Giger (2009) weist darauf hin, dass das Obersorbische zu den wenigen slavischen Sprachen gehört, die das normale Passiv (mit den Formen) und den Resultativ formal trennen. 52 S. dazu Schuster-Šewc (1984: 197) sowie Scholze (2008: 197ff.). 53 Meškank (2009: 107). <?page no="148"?> VI Morphologie 136 14 Partizipien Das Obersorbische kennt zwei Partizipien, ein Partizip der Gleichzeitigkeit Aktiv und ein Partizip der Vorzeitigkeit Passiv. Aktivpartizipien Das Aktivpartizip des Präsens (bzw. der Gleichzeitigkeit) wird vom nicht erweiterten Präsensstamm imperfektiver Verben mit Hilfe der Suffixe - / / oder - / / (-e-Konjugation) 54 , / / (-a- Konjugation) sowie / / (-i / -y-Konjugation) abgeleitet. Obersorbisches Beispiel Bedeutung Präsens IPF . zakliwacy IPF . ranjacy IPF . njesucy IPF . ein lesender ein fluchender ein verletzender ein tragender Präteritum - Tab. VI.78: Obersorbische Aktivpartizipien Passivpartizipien Die Passivpartizipien des Präteritums (bzw. der Vorzeitigkeit) werden vom Infinitivstamm perfektiver, manchmal aber auch imperfektiver Verben durch Anfügen von - / / / / / / oder abgeleitet. Obersorbisches Beispiel Bedeutung Präsens - Präteritum IPF . / PF . zaklaty PF . ranjeny IPF . / zranjeny PF . njeseny IPF . / donjeseny PF . (durch-)gelesener verfluchter verletzter getragener Tab. VI.79: Obersorbische Passivpartizipien 54 Bei den Verben auf wird der Infinitivstamm zugrunde gelegt, z.B. - . <?page no="149"?> VI Morphologie 137 Adverbialpartizipien In der sorabistischen Literatur wird das Adverbialpartizip in der Regel als bezeichnet. Auch bei diesem kennt das Obersorbische Formen der Gleichzeitigkeit und der Vorzeitigkeit. Wie in den anderen slavischen Sprachen wird das Adverbialpartizip bzw. Transgressiv der Gleichzeitigkeit meist von imperfektiven, dasjenige der Vorzeitigkeit meist von perfektiven Verben gebildet. Adverbialpartizipien werden hauptsächlich in der Schriftsprache verwendet, im mündlichen Gebrauch sind nur wenige Formen üblich: ‚hängend‘. Noch seltener ist in der mündlichen Rede das Adverbialpartizip der Vorzeitigkeit, es kommt hauptsächlich in festen Redewendungen vor: ,alles stehen und liegen lassend, Adverbialpartizipien sind in andere Wortarten übergegangen, z.B. (Adverbien), Obersorbisch Gleichzeitigkeit IPF . zakliwajo IPF .55 Vorzeitigkeit PF . zaklawši PF . Tab. VI.80: Obersorbische Adverbialpartizipien (Transgressive) 55 Einige Verben bilden diese Formen auf - ( - ; - ; - ). Bei anderen Verben werden solche Formen heute als veraltet empfunden: - neben ; - neben üblicherem . <?page no="150"?> VI Morphologie 138 15 Verben der Fortbewegung Das Obersorbische kennt wie das Polnische, Tschechische, Russische und Ukrainische eine systematische Unterscheidung zielgerichteter (determinierter) und nicht-zielgerichteter (indeterminierter) Verben der Fortbewegung. Die determinierten Formen drücken eine Bewegung in eine bestimmte Richtung aus, die indeterminierten eine mehrfach wiederholte Bewegung hin und zurück oder in unterschiedliche Richtungen, eine Gewohnheit oder eine Fähigkeit. Anders als etwa im Russischen kann im Obersorbischen in der Bedeutung ‚gewohnheitsmäßige Handlung‘ aber auch das determinierte Verb der Bewegung verwendet werden. 56 Für die einmalige Bewegung hin und zurück wird im Obersorbischen grundsätzlich - ebenfalls anders als etwa im Russischen - das einfache determinierte Verb verwendet, z.B. ,Bist du zur Groß- Deutsch Obersorbisch Sie geht auf den Hof. (Wo Sie geht auf dem Hof herum. (Wona) je. Tab. VI.81: Die Unterscheidung zielgerichteter und nicht-zielgerichteter Verben im Obersorbischen Die folgende Tabelle führt die obersorbischen paarigen Verben der Fortbewegung auf. In Grau gesetzt sind unpaarige Äquivalente für Verben, die in anderen bei Tafel et al. (2009) behandelten slavischen Sprachen paarig sind. Deutsch Obersorbisch fahren fahren (transportieren) fliegen 56 In der Standardsprache wird das indeterminierte Verb bevorzugt, in der Umgangssprache das determinierte (Scholze 2008: 274). <?page no="151"?> VI Morphologie 139 führen gehen jagen, treiben, hetzen, verfolgen / rennen / klettern, kriechen laufen schlendern schwimmen tragen, bringen ziehen, schleppen Tab. VI.82: Die Verben der Fortbewegung im Obersorbischen Präfigierung und Suffigierung (Aspekt- und Wortbildung) Im Hinblick auf die Präfigierung und sekundäre Suffigierung zur Bildung von Aspektkorrelationen der Verben der Fortbewegung verhält sich das Obersorbische wie die anderen slavischen Sprachen: Alle unpräfigierten Verben der Fortbewegung sind imperfektiv. Durch lexikalische Präfigierung des zielgerichteten Verbs entsteht ein perfektives Verb, das wiederum seinen Aspektpartner durch sekundäre Suffigierung bildet. Laut Schuster-Šewc (1996: 192ff.) können von indeterminierten Verben der Bewegung nur Aktionsartverben abgeleitet werden, z.B. ‚für eine Weile ziehen‘ oder ‚vom Laufen müde werden‘. Je nach Auffassung können diese teilweise auch als Aspektpartner verstanden werden. <?page no="152"?> VI Morphologie 140 Unpräfigiertes zielgerichtetes Verb (ipf.) Präfigiertes Verb (pf.) Präfigiertes sekundär suffigiertes Verb (ipf.) Übersetzung des präfigierten Verbs mit einem Gefährt wegbringen ankommen (per Flug) 57 ankommen (zu Fuß) herauskommen, -gehen Tab. VI.83: Beispiele für präfigierte Verben der Bewegung im Obersorbischen Verben der Fortbewegung und Aspektverwendung Wie im Tschechischen und im BKS kann im Obersorbischen zwar die Verwendung eines präfigierten zielgerichteten (perfektiven) Verbs die Bedeutung ‚vorliegendes Resultat‘ tragen, die entsprechende imperfektive Form kann aber anders als im Russischen oder Polnischen aber die Bedeutung ‚annuliertes Resultat‘ aufweisen. Deutsch Obersorbisch Sie ging aus dem Zimmer (und ist jetzt nicht mehr dort). (Wona) je ze jstwy . Sie ging aus dem Zimmer *) Tab. VI.84: Beispiele für die aspektuelle Bedeutung ‚vorliegendes Resultat‘ *) Die Bedeutung des Teilsatzes kann im Obersorbischen nur paraphrasierend ausgedrückt werden. Verwendung po-präfigierter Verben der Fortbewegung Die mit präfigierten Formen von determinierten Verben der Fortbewegung zeigen einen auffälligen Unterschied zum Russischen und Polnischen. Diese 57 Wie in den slavischen Vergleichssprachen auch bilden einige Verben der Bewegung suppletive Aspektpartner; die imperfektiven Formen ähneln dann oft den indeterminierten Formen, hier . <?page no="153"?> VI Morphologie 141 Formen haben im Obersorbischen futurische Bedeutung und sind die einzige Möglichkeit, bei diesen Verben ein Futur zu bilden, vgl. z.B. zum determinierten ‚gehen‘ ‚ich werde gehen‘. Infinitiv und Präteritum lassen sich zu diesen Formen nicht bilden. Wo im Russischen und Polnischen das perfektive Verb im Präteritum steht, wird im Obersorbischen das determinierte Simplex im Präteritum oder Perfekt verwendet: 58 Obersorbisch: Russisch: On poobedal i pošel domoj. Polnisch: Deutsch: ‚Er aß zu Mittag und ging dann nach Hause.‘ 58 Scholze (2008: 268). Nach Scholzes Auffassung ist das determinierte Bewegungsverb im Obersorbischen daher biaspektuell. <?page no="154"?> VI Morphologie 142 16 Adjektive Die obersorbischen Adjektive weisen im Singular nach Genus und grammatischer Belebtheit, im Plural sowie Dual nach Virilität differenzierte Formen auf (vgl. Kap. VI.7 zu den Substantiven). Sie verhalten sich somit analog zu den polnischen Adjektiven. Adjektivische Kurzformen wie im Russischen und Ukrainischen gibt es im Obersorbischen nicht. Die beiden Tabellen VI.85 und VI.86 geben die Adjektivendungen im Nominativ Singular einmal abstrahiert, einmal anhand von Beispielen wieder. Die Deklinationen der Adjektive gelten ebenso für adjektivisch deklinierte Pronomen, Ordinalzahlen und Partizipien. Endung im Nominativ Singular m. -y / -i f. -a / -ja n. -e / -je Tab. VI.85: Die obersorbischen Adjektivendungen im Nominativ Singular (abstrahiert) neu vorder- / vorderer groß m. nowy wulki f. nowa wulka n. nowe wulke Tab. VI.86: Die obersorbischen Adjektivendungen im Nominativ Singular anhand von Beispieladjektiven Wie in den anderen slavischen Sprachen gibt es auch im Obersorbischen eine harte und eine weiche Deklination für Adjektive mit hartem oder weichem Stammauslaut. Innerhalb der harten Deklination gelten gesonderte Regeln für Adjektive mit einem Stammauslaut auf - , - und - . Die Tabellen geben einen Überblick über alle drei Paradigmen. <?page no="155"?> VI Morphologie 143 Harte Deklination Singular m. n. f. Nom. nowy nowe nowa Gen. noweho noweho noweje Dat. nowemu nowemu nowej Akk. noweho (bel.) nowy (unbel.) nowe nowu Instr. nowym nowym nowej Lok. nowym nowym nowej Tab. VI.87a: Die harte Deklination der obersorbischen Adjektive (Singular) Plural Dual m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. Nom. nowi 59 nowe nowaj nowej Gen. nowych nowych noweju noweju Dat. nowym nowym nowymaj nowymaj Akk. nowych nowe noweju nowej Instr. nowymi nowymi nowymaj nowymaj Lok. nowych nowych nowymaj nowymaj Tab. VI.87b: Die harte Deklination der obersorbischen Adjektive (Plural und Dual) 59 Bei Adjektiven mit Stammauslaut deckt sich der Nom.Pl.m.-p. mit dem Nom.Sg.m. ( <?page no="156"?> VI Morphologie 144 Harte Deklination bei Stammauslaut auf -h, -ch, -k Singular m. n. f. Nom. wulki wulke wulka Gen. wulkeho wulkeho wulkeje Dat. wulkemu wulkemu wulkej Akk. wulkeho (bel.) wulki (unbel.) wulke wulku Instr. wulkim wulkim wulkej Lok. wulkim wulkim wulkej Tab. VI.88a: Die harte Deklination der obersorbischen Adjektive auf - (Singular) Plural Dual m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. Nom. wulcy 60 wulke wulkaj 61 wulkej Gen. wulkich wulkich wulkeju wulkeju Dat. wulkim wulkim wulkimaj wulkimaj Akk. wulkich wulke wulkeju wulkej Instr. wulkimi wulkimi wulkimaj wulkimaj Lok. wulkich wulkich wulkimaj wulkimaj Tab. VI.88b: Die harte Deklination der obersorbischen Adjektive auf - (Plural und Dual) 60 Der Stammauslaut alterniert mit ( - ), mit ( - ). 61 Nach dem Stammauslaut wird auch bei m.-p. meist die Endung verwendet ( . <?page no="157"?> VI Morphologie 145 Weiche Deklination Singular m. n. f. Nom. Gen. Dat. Akk. (bel.) (unbel.) Instr. Lok. Tab. VI.89a: Die weiche Deklination der obersorbischen Adjektive (Singular) Plural Dual m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. Nom. Gen. Dat. Akk. Instr. Lok. Tab. VI.89b: Die weiche Deklination der obersorbischen Adjektive (Plural und Dual) Steigerung der Adjektive Im Obersorbischen werden die Steigerungsformen der Adjektive mit Hilfe der Suffixe bzw. - / gebildet. Das Suffix erhalten die meisten Adjektive mit einsilbigem Wortstamm, der auf einen stimmhaften Konsonanten, einen Sonor oder auf auslautet, z.B. , , . Nur wenige dieser Adjektive haben eine Nebenform mit dem Suffix - . Die übrigen Adjektive bilden die Steigerungsformen in der Regel mit dem Suffix - / - , z.B. , , ,heiß‘ Dabei finden die üblichen Palatalisierungen statt (z.B. ). Beispiele zeigt die folgende Tabelle zu den Formen im Nominativ Singular Maskulinum. <?page no="158"?> VI Morphologie 146 Nominativ Singular maskulinum Positiv nowy zajimawy mudry Komparativ nowši (seltener: nowiši) zajimawši (seltener: zajimawiši) mudriši Superlativ najnowši (seltener: najnowiši) najzajimawiši (seltener: najzajimawiši) najmudriši Tab. VI.90: Die Steigerungsformen der obersorbischen Adjektive Wie im Russischen, Polnischen und Ukrainischen fällt das Suffix -( in den Komparativ- und Superlativformen aus, vgl. ‚tief‘ , ‚tief‘ , ‚glatt‘ , ‚kurz‘ . Unregelmäßig werden die folgenden (sehr häufigen) Adjektive gesteigert: Positiv Komparativ Superlativ dobry do rjany wulki wjetši najwjetši hórši najhórši Tab. VI.91: Unregelmäßig gesteigerte Adjektive <?page no="159"?> VI Morphologie 147 17 Adverbien Die große Klasse der Adverbien besteht aus zahlreichen heterogenen Formen, die zum Teil erstarrte Substantive oder andere intransparente Formen sind; eine Auswahl besonders häufiger derartiger Adverbien wurde in Tab. IV.16 in Kap. IV gegeben. Darüber hinaus werden Adverbien produktiv von Adjektiven gebildet. Die Hilfsformel „Adv. = Adj. - Endung + o oder e“ gilt dabei im Obersorbischen ebenso wie in den anderen slavischen Sprachen. Adjektiv Adverb Bedeutung kalt frisch rjany rjenje schön Tab. VI.92: Adjektive und Adverbien im Vergleich Dabei gelten die im Folgenden genannten Bildungsregeln. Adverbien auf werden gebildet: Von den meisten Adjektiven mit hartem Stamm, wobei der Stammauslaut alterniert: ‚stolz‘, ‚fröhlich‘, ‚klug‘, von manchen Adjektiven mit weichem Stamm: ‚unmittelbar‘, von manchen Adjektiven mit Stamm auf ‚groß‘. Adverbien auf werden gebildet: Von den meisten Adjektiven mit einem Stamm auf und teilweise auf - : ‚lang‘, ‚ruhig‘, ‚leicht‘, von manchen Adjektiven mit hartem Stamm: ‚warm‘, von Adjektiven mit weichem Stamm: ‚billig‘, Es gibt auch Adjektive, die beide Formen bilden, z.B. / . Häufige unregelmäßig gebildete Adverbien sind ‚gut‘ und ‚schlecht‘. <?page no="160"?> VI Morphologie 148 Zu den Adjektiven auf die insbesondere bei Bezeichnungen für Sprachen relevant sind, können Adverbien auf dreierlei Arten gebildet werden, wie Tab. VI.93 illustriert. Das Adverb 1 ist dabei die am häufigsten verwendete Form. Adjektiv Adverb 1 Adverb 2 Adverb 3 Bedeutung serbski serbsce serbski po serbsku sorbisch deutsch pólski pólsce pólski po pólsku polnisch ruski rusce ruski po rusku russisch englisch Tab. VI.93: Adverbien zu einigen sprachbezeichnenden Adjektiven auf - 18 Pronomen Der Bestand der obersorbischen Pronomen ist mit dem der anderen slavischen Sprachen vergleichbar. Unterschiede in den Deklinationsparadigmen gehen insbesondere auf die Kategorie der Virilität und den Dual als Grammeme zurück, die in den anderen Sprachen teilweise nicht bestehen. Personalpronomen Singular Plural Dual 1. ja my mój 2. ty wy wój 3. m. f. n. wón wona wono / wone m.-p. nm.-p. woni wone m.-p. nm.-p. (wonaj) wonej Tab. VI.94: Nominativformen der obersorbischen Personalpronomen Deklination der Personalpronomen Wie in den anderen slavischen Sprachen auch tritt beim Gebrauch der Personalpronomen der 3. Person nach einer Präposition ein auf. Darüber hinaus unterscheidet das Obersorbische wie das BKS, Polnische und Tschechische in einigen Kasus betonte und unbetonte Formen der Personalpronomen (zur Wortstellung s. auch Kap. VII.1). Im Obersorbischen treten <?page no="161"?> VI Morphologie 149 diese unbetonten Formen in der 1. und 2. Person Singular auf. In der 1. Person werden die unbetonten, mit - erweiterten Formen nur nach Präpositionen verwendet (obligatorisch nach einsilbigen, fakultativ nach mehrsilbigen Präpositionen): ,Sieh mich an - ,Hast du mich gesehen? ‘ In der 2. Person hingegen stehen die unbetonten (kurzen) Formen nicht nach Präpositionen und nicht am Satzanfang: ,Ich habe - , . Singular 1. Pers. 2. Pers. 3. Pers. m. f. n. Nom. ja ty wón wona wono / wone Gen. mje / mnje / tebje (n)jeho (n)jeje (n)jeho Dat. mi / mni / tebi (n)jemu (n)jej (n)jemu Akk. mje / mnje / tebje (n)jeho / (n)jón (n)ju (n)jo / (n)je Instr. ze mnu z tobu z nim z njej z nim Lok. na mni na tebi na nim na njej na nim Tab. VI.95a: Deklination der obersorbischen Personalpronomen im Singular Plural 1. Pers. 2. Pers. 3. Pers. m.-p. nm.-p. Nom. my wy woni wone Gen. nas was nich / jich Dat. nam wam nim / jim Akk. nas was nich / jich (n)je Instr. z nami z wami z nimi Lok. na nas 62 na was na nich Tab. VI.95b: Deklination der obersorbischen Personalpronomen im Plural 62 Im Lokativ der Pronomen und , seltener bei , treten auch mit dem Instrumental gleichlautende Formen auf: . <?page no="162"?> VI Morphologie 150 Dual 1. Pers. 2. Pers. 3. Pers. m.-p. nm.-p. Nom. mój wój wonej (wonaj 63 ) wonej Gen. naju waju (n)jeju Dat. namaj wamaj nimaj / jimaj Akk. naju waju (n)jeju 64 / (n)jej (n)jej Instr. z namaj z wamaj z nimaj Lok. na namaj na wamaj na nimaj Tab. VI.95c: Deklination der obersorbischen Personalpronomen im Dual Relativpronomen Relativpronomen werden im Obersorbischen durch Anfügen der Partikel an die Fragepronomen gebildet, z.B.: - , - , . Singular Plural Dual m. f. n. kotry 65 m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. Tab. VI.95: Relativpronomen im Nominativ 63 Die Nominativform kann, muss aber nicht verwendet werden, wenn Bezug auf eine Zweiergruppe mit mindestens einer männlichen Person genommen wird. 64 Die mit dem Genitiv übereinstimmende Akkusativform wird für Zweiergruppen mit mindestens einer männlichen Person verwendet. 65 Bei den deklinierbaren Relativpronomen wird die Partikel an die Flexionsformen der entsprechenden Fragepronomina angefügt: . <?page no="163"?> VI Morphologie 151 Possessivpronomen Singular Plural Dual mein, meine m. f. n. mój moja moje m.-p. nm.-p. moji moje m.-p. nm.-p. mojej dein, deine m. f. n. twój twoja twoje m.-p. nm.-p. twoji twoje m.-p. nm.-p. twojej sein (m. / n.) jeho 66 ihr (f.) jeje Tab. VI.96a: Possessivpronomen mit singularischem Possessor im Nominativ Singular Plural Dual unser, unsere m. f. n. naš naša naše m.-p. nm.-p. naši naše m.-p. nm.-p. našej euer, eure m. f. n. waš waša waše m.-p. nm.-p. waši waše m.-p. nm.-p. wašej ihr jich Tab. VI.96b: Possessivpronomen mit pluralischem Possessor im Nominativ Singular Plural Dual unser beider naju euer beider waju ihr beider jeju Tab. VI.96c: Possessivpronomen mit dualischem Possessor im Nominativ 66 Die Possessivpronomina der 3.Pers.Sg. und Pl. und alle Possessivpronomina im Dual entsprechenden Genitivformen der jeweiligen Personalpronomina; sie sind indeklinabel. <?page no="164"?> VI Morphologie 152 Reflexives Possessivpronomen: mein / dein… eigenes Singular Plural Dual m. f. n. swój swoja swoje m.-p. nm.-p. swoji swoje m.-p. nm.-p. swojej swojej Tab. VI.97: Reflexives Possessivpronomen im Nominativ Reflexivpronomen mich, dich, sich, uns, euch, sich Form für alle Genera und Numeri Gen. so / sebje Dat. sej / sebi Akk. so / sebje Instr. (ze) sobu Lok. (wo) sebi Tab. VI.98: Reflexivpronomen <?page no="165"?> VI Morphologie 153 Demonstrativpronomen Dieser, diese, dieses Singular Plural Dual dieser (1.) m. f. n. tón ta te (to) m.-p. nm.-p. te m.-p. nm.-p. taj tej dieser (2.) m. f. n. tutón tuta tute (tuto) m.-p. nm.-p. tute m.-p. nm.-p. tele dieser (3.) m. f. n. tónle 67 tale tele (tole) m.-p. nm.-p. tutaj tutej m.-p. nm.-p. tajle tejle Tab. VI.99: Die Demonstrativpronomen ‚dieser, diese, dieses‘ im Nominativ Die Demonstrativa des 1. Typs usw. können im Obersorbischen sowohl auf zeitlich und räumlich Naheliegendes ( ) als auch auf Entferntes ( ) verweisen. Der 2. Typ / und der 3. Typ / sind dagegen nur für den Verweis auf Naheliegendes geeignet. Weitere obersorbische Demonstrativpronomen mit -Deixis sind , , , , , , und . 67 Die Flexionsformen von werden durch Anfügen der Partikel an die Flexionsformen von gebildet ( ). <?page no="166"?> VI Morphologie 154 Jener, jene, jenes Singular Plural Dual jener (1.) m. f. n. wony 68 wona wone m.-p. nm.-p. woni wone m.-p. nm.-p. wonaj wonej jener (2.) m. f. n. tamny tamna tamne m.-p. nm.-p. tamni tamne m.-p. nm.-p. tamnaj tamnej Tab. VI.100: Die Demonstrativpronomen ‚jener, jene, jenes‘ im Nominativ Weitere obersorbische Demonstrativpronomen mit -Deixis sind . Sonstige Pronomen Totalitätspronomen: ganz…, all… Singular Plural m. f. n. wšón wša wšo / m.-p. nm.-p. - 69 Tab. VI.101: Totalitätspronomen im Nominativ 68 Deklination nach dem Muster der Adjektive mit hartem Stamm (s. Tab. VI.87): G EN .S G . , D AT .S G . ), nicht wie das Personalpronomen / (s. Tab. VI.95). 69 Dieses Pronomen kann sich im Nominativ Plural nicht auf maskulin-personale Substantive beziehen. Hier wird stattdessen die entsprechende Form des Pronomens verwendet: N OM .P L . M .- P . . <?page no="167"?> VI Morphologie 155 Identitätspronomen: selbst Singular Plural Dual m. f. n. sam 70 sama same (samo 71 ) m.-p. nm.-p. sami same m.-p. nm.-p. (samaj) samoj Tab. VI.102: Identitätspronomen im Nominativ Negativpronomen: niemand, nichts, kein… Deutsch Obersorbisch niemand nichtó nichts Singular Plural Dual kein m. f. n. m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. Tab. VI.103: Negativpronomen im Nominativ 70 Deklination wie bei Adjektiven mit hartem Stamm (s. Tab. VI.87), wobei im Genitiv und Dativ Singular Maskulinum / Neutrum die Endungen - , gelten. 71 Die Variante wird nur in subjektlosen Sätzen in der Wendung ‚von selbst‘, z.B. in ‚das versteht sich von selbst‘ verwendet. <?page no="168"?> VI Morphologie 156 Indefinitpronomen Deutsch Obersorbisch irgendein / / jeder -a, -e derselbe samsny, -a, -e / / tón samy … der andere druhi, -a, -e (nur attributiv); hinaši, -a, -e (attributiv und prädikativ) ein gewisser w , -a, -e jemand, irgendjemand etwas, irgendetwas što Tab. VI.104: Indefinitpronomen (Nominativ) Reziprokpronomen Deutsch Obersorbisch einander sej / so (Reflexivpronomen) Zur Hervorhebung möglich: mjez sobu jedyn druheho / druhemu / na druheho / na druhim Tab. VI.105: Reziprokpronomen (nur Zitierform) <?page no="169"?> VI Morphologie 157 Interrogativpronomen Überblick über einige Interrogativpronomen Bedeutung Obersorbisch wer? štó? was? što? wann? hdy? wo? hd e? wohin? hd e? / dokal? 72 wie? kak? warum? ? Singular Plural Dual wessen? m. f. n. m.-p. nm.-p. m.-p. nm.-p. was für ein? m. f. n. kajki kajka kajke m.-p. nm.-p. kajcy kajke m.-p. nm.-p. kajkej Tab. VI.106: Interrogativpronomen (ggf. im Nominativ) Deklination von štó ,wer‘ und što ,was‘ štó wer‘ što was‘ Nom. štó što Gen. koho Dat. komu Akk. koho št 73 Instr. (z) kim Lok. (wo) kim Tab. VI.107: Deklination von ,wer? ‘ und ,was? ‘ 72 Buchsprachlich. 73 Die Form steht nach Präpositionen. <?page no="170"?> 158 VII Syntax Viele grundsätzliche syntaktische Strukturen stimmen im Obersorbischen mit den anderen bei Tafel et al. (2009) genannten slavischen Sprachen überein; gleichzeitig lassen sich aber auch einige auffällige Besonderheiten beobachten. So teilt das Obersorbische beispielsweise mit dem Russischen oder Polnischen die relativ große Freiheit der Wortstellung. Gleichzeitig ist die Wortstellung des Obersorbischen aber deutlich vom Deutschen beeinflusst (insbesondere sichtbar an der dominierenden Verb-Endstellung und der sog. , s. dazu Abschnitt VII.1 und VII.11). Im Bereich von Kongruenz und Rektion lässt sich neben der Übereinstimmung der grundlegenden Prinzipien eine ganze Reihe von Besonderheiten nennen. So wird beispielsweise der Instrumental im Obersorbischen stets mit Präposition verwendet, auch bei prädikativ verwendeten Substantiven ( ‚Ärztin sein‘, vgl. VII.3). Eine Besonderheit in der Kongruenz tritt beispielsweise im Zusammenhang mit Possessivadjektiven auf: Adjektive oder Substantive, die das Possessivadjektiv modifizieren, stehen im Genitiv und kongruieren mit dem Genus des Substantivs, von dem das Possessivadjektiv abgeleitet ist ‚die Tochter meines Bruders‘, s. Kap. VI.16). 1 Wortfolge im einfachen Satz Die typische Wortfolge im Obersorbischen ist Subjekt - Objekt - Verb und damit eine andere als etwa im Russischen oder Polnischen. Diese Wortstellung ist vom Deutschen beeinflusst, jedoch weiterentwickelt, denn die satzfinale Position des finiten Verbs tritt im Obersorbischen systematischer auf als im Deutschen. 1 Die Wortfolge Subjekt - Verb - Objekt ist aber ebenfalls geläufig (in Tab. VII.1 sind daher bei einigen Beispielen zwei Varianten angegeben). Deutsch Obersorbisch Anna ist Studentin. Hana je studentka. 1 . Typologisch gesehen gilt Obersorbisch nach Schaarschmidt (2002: 57f.) als „inkonsistente“ SOV-Sprache. <?page no="171"?> VII Syntax 159 Anna ist nett. Anna liest ein Buch. Anna liebt das Leben. Anna schläft. Hana spi. Anna schläft im Büro. Anna liest ein Buch im Büro. Anna wendet sich an einen Kollegen. Anna gibt das Buch ihrem Kollegen. Hana koleze knihu da. (auch: Hana da knihu koleze.) Anna wendet sich an einen Kollegen im Büro. Anna wendet sich an einen Bürokollegen. Tab. VII.1: Vergleichsbeispiele zur Wortfolge im einfachen Satz Ebenfalls in Analogie zum Deutschen tritt im Obersorbischen die sog. auf: 2 Zusammengesetzte Prädikate können durch verschiedene Elemente getrennt werden, die finite Verbform steht nach einem thematischen Element am Anfang, die infinite Verbform am Ende, z.B. (hotko) ‚Sie hat mir klare Instruktionen gegeben.‘ Auch einige mit Adverb lexikalisierte Verben, die sich häufig analog zu deutschen trennbaren Verben verhalten, treten in dieser Konstruktion auf, etwa ‚gegenüberstehen‘: (hotko) ‚Im ersten Spiel standen sich beide Vertretungen aus Nebelschütz gegenüber‘. Die Satzklammer wird - anders als im Deutschen - aber auch in Nebensätzen verwendet: (hotko) ‚Im Koalitionsvertrag steht, dass Schüler jetzt auch nach der 6. Klasse aufs Gymnasium gehen können‘. 2 Sie ist im Obersorbischen häufig, aber anders als im Deutschen nicht obligatorisch (s. Micha 1956 sowie Sasahara 2014). <?page no="172"?> VII Syntax 160 Weitere Wortstellungen und Thema-Rhema-Gliederungen Mit den übrigen slavischen Sprachen teilt das Obersorbische die relativ große Freiheit der Wortstellung: je nach Kontext und Betonung sind grundsätzlich viele Wortstellungen möglich. 3 Die jeweils ersten Versionen der folgenden Sätze sind die unmarkierten, die folgenden markiert. Deutsch Obersorbisch Anna schreibt einen Brief. Hana pisa list. Hana list pisa. Den Brief schreibt Anna. List Hana pisa. Die Mutter gibt dem Sohn Geld. Dem Sohn gibt die Mutter Geld. Die Enten schwimmen auf dem See. Auf dem See schwimmen Enten. Peter hat Alena gestern einen Blumenstrauß gekauft. Peter hat gestern einen Blumenstrauß (für) Alena gekauft. Peter hat Alena den Blumenstrauß gestern gekauft. Tab. VII.2: Vergleichsbeispiele verschiedene Thema-Rhema-Gliederungen Enklitika Enklitika sind nach dem zugehörigen Inhaltswort auftretende Funktionswörter ohne eigene Wortbetonung. Zu ihnen gehören im Obersorbischen u.a. das reflexive und und die Kurzformen Personalpronomen der 1. und 2. Person im Genitiv und Akkusativ ( ) und im Dativ , vgl. auch Kap. VI.18). Für ihre Position gelten dieselben Regeln wie im BKS, Polnischen oder Tschechischen: Sie stehen in der Regel nach dem ersten voll betonten Wort bzw. der ersten voll betonten Wortgruppe des Satzes. Wenn mehrere dieser enklitischen Pronomina zusammen auftreten, steht das reflexive zuerst, die dativischen Enklitika stehen vor den Akkusativ-/ Genitiv-Enklitika. Im 3 Vgl. Šewc-Schuster (1976: 96ff.). <?page no="173"?> VII Syntax 161 Nebensatz steht das Enklitikon nach der Konjunktion bzw. dem Relativpronomen. Deutsch Obersorbisch Wir haben dich gesehen. / wid Ich werde mich mit ihm verständigen. Dorozumju so z nim. / Ja so z nim dorozumju. Ich M . könnte mich mit ihm verständigen. (Ja) bych so z nim d Tab. VII.3: Vergleichsbeispiele für die Stellung von Enklitika Attributive Adjektive Attributive Adjektive werden im Obersorbischen dem Bezugsnomen normalerweise vorangestellt: ‚schöner Gesang‘, ‚mein Haus‘. In stilistisch oder emotional markierten Kontexten, in poetischer und älterer Sprache sowie in religiösen Kontexten ist aber auch die Nachstellung möglich: ‚meine Hanka‘, ‚starke Eichen‘, ‚Heiliger Geist‘. Manche nachgestellten Attribute sind in festen Verbindungen lexikalisiert: Ma (Eigenname der sorbischen wissenschaftlichen Gesellschaft), ‚guten Tag‘. 4 Deutsch Obersorbisch die sorbische Sprache der Gegenwart ein großes (hohes) Haus wulki dom, wysoki dom Tab. VII.4: Vergleichsbeispiele für die Stellung von attributiven Adjektiven 4 Die Wortstellung ist allerdings die häufigere. <?page no="174"?> VII Syntax 162 2 Verwendung der Personalpronomen Personalpronomen in Subjektposition werden im Obersorbischen oft weggelassen. Sie werden v.a. dann gesetzt, wenn sie betont werden sollen, etwa im Kontrast zu einer anderen Person. Das Obersorbische ähnelt in diesem Punkt dem Polnischen. Deutsch Obersorbisch Ich schreibe einen Brief. Pisam list. ICH schreibe einen Brief. Ja pisam list. Tab. VII.5: Vergleichsbeispiele zur Verwendung der Personalpronomen 3 Verwendung einer Kopula Als Kopula werden in allen Tempora die Formen von verwendet. Dies sind im Präsens: - die Präsensformen von (Sg. Du. 2./ 3. M .- P . , 2./ 3. M .- NP . ; Pl. ; in den verschiedenen Vergangenheitstempora: - die Perfektformen von (Präsensform / a / ), - die Präteritalformen von (Sg. , 2. und 3. Pers. / ; Du. , , ; Pl. , , ), - die Aoristformen von (Sg. , , ; Du. , , ; Pl. , , ); im Futur: - die Futurformen von (Sg. , , ; Du. , , ; Pl. , , / ). Manchmal wird auch die Kopula PF . verwendet. Sie bedeutet im Vergleich zu , dass der vom Prädikatsnomen beschriebene Zustand gerade beginnt, vgl. Mit der Bedeutungskomponente der Fortführung einer bereits bestehenden Situation / Handlung (‚bleiben‘) kann schließlich die Kopula PF . verwendet werden, vgl. (hotko) ‚die Ausstellung bleibt noch bis November geöffnet‘. <?page no="175"?> VII Syntax 163 Deutsch Obersorbisch Er ist krank. (Wón) je chory. Jan ist Student. Jan je student. Wissen ist Macht. óc. Der Löwe ist ein Raubtier. Law je rubje Löwen sind Raubtiere. Lawy su rubje Paris ist immer noch Paris. Paris wostanje Paris. Kinder sind Kinder. Anna war Ingenieurin. / Anna (Präteritum) Anna wird glücklich sein. Anna bud Tab. VII.6: Vergleichsbeispiele für Kopulaverwendungen im Obersorbischen Das Prädikatsnomen steht meist im Nominativ, in der Schriftsprache kann es aber auch im Instrumental stehen. Dann wird es - anders als in den anderen slavischen Sprachen - immer zusammen mit der Präposition verwendet. Beispiel mit : (hotko) ‚Zurzeit bin (ich) Lehrer an der städtischen Schule‘, Beispiel mit : (hotko) ‚Damals träumte (sie) davon, Ärztin zu werden‘. Der Gebrauch des Instrumentals in diesem Kontext ist im Wesentlichen auf die geschriebene Sprache begrenzt, kommt aber auch in volkstümlicher Dichtung vor. Während die Konstruktionen mit Nominativ universell einsetzbar sind, wird der Instrumental eher eingeschränkt verwendet. 5 4 Ausdruck des Passivs Das Passiv wird im Obersorbischen durch die folgenden Strukturen ausgedrückt (zu den Formen s. ausführlicher Kap. VI.13 zum Genus verbi sowie VI.14 zu den Partizipien): 5 Vgl. Faßke (1981: 471), der darauf hinweist, dass der Instrumental auf tschechisches oder polnisches Vorbild zurückgehe. <?page no="176"?> VII Syntax 164 1. Mit einem reflexiven Verb mit dem Morphem so, 2. durch eine Bildung mit dem präteritalen Stamm busen‘ (nur im Präteritum), 3. ‚das Buch ist durchgelesen‘ (alle Tempora). Das Agens kann in Passivsätzen durch + Genitiv oder + Akkusativ ausgedrückt werden. Dies kommt im Obersorbischen allerdings selten vor. 6 Deutsch Obersorbisch Der Brief wird von Jan geschrieben. List so wot Jana pisa. Das Haus wurde von meinem Großvater erbaut. Ch u wot ( ) mojeho d natwarjena. Durch den Dauerregen wurde ein Großteil der Ernte vernichtet. Tab. VII.7: Vergleichsbeispiele für Passivsätze im Obersorbischen 5 Fragen Ergänzungsfragen Wie in den anderen slavischen Sprachen werden Ergänzungsfragen im Obersorbischen durch die entsprechenden Fragepronomen bzw. -adverbien eingeleitet. Eine Übersicht über die relevanten Wörter findet sich in Kap. VI.18 zu den Pronomen. Hinter dem Fragewort kann die Partikel oder stehen: ‚Wer bist (denn) du? ‘ Entscheidungsfragen In der Entscheidungsfrage wird im Vergleich zum Aussagesatz die Wortfolge so verändert, dass das Prädikat (sowohl Vollverb als auch Kopula) an erster Stelle steht: 6 <?page no="177"?> VII Syntax 165 ‚Der Vater kocht das Mittagessen.‘ ‚Kocht der Vater das Mittagessen? ‘ Wenn betont werden soll, dass nach einem ganz bestimmten Satzglied gefragt wird, steht dieses an erster Stelle im Satz, vgl. den Beispielsatz aus der untenstehenden Tabelle: S ‚Den Nachbarn suchst du? ‘ Auch die Intonation spielt hier eine Rolle, verstärkend kann außerdem die Partikel oder verwendet werden. Der Ausdruck der Entscheidungsfrage mit Hilfe der Partikel ist heute im Obersorbischen sehr selten. Wenn sie auftritt, steht die Partikel direkt nach dem Prädikat, d.h. dem finiten Verb, und wird mit diesem in der Schrift durch einen Bindestrich verbunden: - (hotko) ‚Nimmst du dieses Wort von mir, von Herzen gegeben, an? ‘ Deutsch Obersorbisch Sieht Slavko Olga? Wid ? Suchst du ihn? Pytaš jeho? Den Nachbarn suchst du? Susoda pytaš? / Pytaš susoda? Hast du (m./ f.) den neuen Harry Potter schon gelesen? / Ist sie Ukrainerin? Je wona Ukrainjanka? Ist das Jan? Je-li Jan? Spielen Sie Tennis? Hraje Wy tenis? Rauchen Sie? Kuri ? Tab. VII.8: Vergleichsbeispiele für Entscheidungsfragen im Obersorbischen 6 Negation Negationspartikel Die obersorbische Negationspartikel lautet - und erscheint als Präfix am finiten Verb, z.B. ‚sie hört‘ - ‚sie hört nicht‘. Wenn das negierte Verb ausgelassen wird, wird verwendet: <?page no="178"?> VII Syntax 166 ‚Anna ist hier, nicht dort‘ oder ‚Jurij hat heute die Tante besucht, Jan nicht.‘ 7 Beim Konjunktiv und den analytischen Tempora (Perfekt, Plusquamperfekt) steht die Negationspartikel beim Hilfsverb, in seltenen Fällen kann sie auch vor dem -Partizip stehen: ( / ‚er hat / hätte gehört‘ - ( / , seltener ( / ‚er hat / hätte nicht gehört‘. Im Hinblick auf die Form der Partikel gibt es folgende Ausnahmen: Am Verb ‚wollen‘ wird die Verneinung mit Hilfe von gebildet: ‚er / sie / es will‘ - ‚er / sie / es will nicht‘; ‚sie wollen‘ - ‚sie wollen nicht‘, Infinitiv ‚nicht wollen‘. Alternativ und in der Umgangssprache fast ausschließlich werden statt der negierten Formen von die Formen des Verbs ( … ‚nicht wollen‘ gebraucht (Ausnahme: analytische Formen mit Hilfsverb). Am Verb ‚haben‘ wird die Verneinung der Präsensformen mit Hilfe von gebildet: ‚er / sie / es hat‘ - ‚er / sie / es hat nicht‘; ‚sie haben‘ - ‚sie haben nicht‘. Der verneinte Infinitiv lautet aber , auch Futur und Präteritum bilden die Formen mit - ( Bei den mit anlautenden Präsensformen von enthält die verneinte Form ein zusätzliches zwischen Negationspartikel und Stamm: usw. (vgl. auch das Paradigma in Kap. VI.11). Weder - noch Die Konjunktion - wird im Obersorbischen durch - ausgedrückt, z.B. wörtlich ‚nicht-ich-will nicht 2 essen nicht 2 trinken‘, auf Deutsch ‚ich will weder essen noch trinken‘. Negation der Existenz / Anwesenheit Die Verneinung der Existenz bzw. der Anwesenheit wird im Obersorbischen durch die negierten Formen des Verbs ausgedrückt. Das Substantiv steht dabei im Nominativ oder im Genitiv der Negation, Letzteres ist insbesondere 7 Vgl. Faßke (1981: 542) und Schaarschmidt (2002: 55). <?page no="179"?> VII Syntax 167 mit der Partikel der Fall: Z N OM .P L . ,Dafür gibt es G EN .P L . ,Es gibt keine G EN .S G . ,Am Deutsch Obersorbisch ist nicht njeje war nicht njeje by / -a / -o (Perfekt); njeb / (Präteritum) wird nicht sein Tab. VII.9: Die Verneinung der Existenz bzw. Anwesenheit im Obersorbischen Einfache und doppelte Verneinung Statt Indefinitpronomen treten im verneinten Satz im Obersorbischen wie in den anderen slavischen Sprachen Negationspronomen mit dem Negationsmorphem auf, zum Beispiel ‚niemals‘ (auch ‚nirgends‘, ‚nichts‘, ‚niemand‘ sowie die Form ‚kein‘ (anstelle der nicht verneinten Formen . Die Negation mit präfigiertem wird dabei ebenfalls verwendet, wodurch die sog. entsteht: - ,Jemand hat mir etwas - Der Genitiv der Verneinung ist im Obersorbischen möglich, aber nicht obligatorisch und daher deutlich seltener als im Russischen oder Polnischen. 8 Die folgenden Tabellen geben Beispiele für einfache Negation, Verneinung der Existenz und doppelte Negation. Deutsch Obersorbisch Sie hat das Buch nicht gelesen. Sie ist keine Studentin. Njeje studentka. Tab. VII.10: Beispielsätze mit einfacher Verneinung 8 Vgl. Schuster-Šewc (1976: 16). <?page no="180"?> VII Syntax 168 Deutsch Obersorbisch Jan ist nicht im Büro. In dieser Stadt gibt es kein Museum. W muzej. 9 In unserer Stadt gibt es keinen Park. W naš Es ist kein Geld da. Njejsu pjenjezy. (Njeje pjenjez.) Es war kein Geld da. Njeb chu pjenjezy. pjenjez.) Tab. VII.11: Beispielsätze mit Verneinung der Existenz Deutsch Obersorbisch Niemand hat das jemals irgendwo gesehen. Niemand hat jemals irgendwo Blumen gestohlen. Niemand hat etwas gehört. Sie hat kein einziges Buch gelesen. knihu / Tab. VII.12: Beispielsätze mit doppelter Verneinung 7 Unpersönliche / subjektlose Sätze Wie die anderen slavischen Sprachen hält auch das Obersorbische eine ganze Reihe von Konstruktionen bereit, die ohne ein explizit genanntes syntaktisches Subjekt auskommen. Sie lassen sich nach ihrer Funktion in unpersönliche, unbestimmt-persönliche und allgemein-persönliche Strukturen untergliedern. In unpersönlichen Strukturen kann aus logischen oder sprachlichen Gründen kein Agens verwendet werden; unbestimmt-persönliche Strukturen gelten für Personen mit unbestimmter Identität und allgemein-persönliche Strukturen gelten für jede in Frage kommende Person. 10 9 Im Obersorbischen gehören die Sätze mit ‚kein‘ wie im Tschechischen und Ukrainischen, aber anders als im Polnischen oder Russischen auch zu den doppelt negierten. 10 S. Lehmann (2013: 342). Zu den entsprechenden obersorbischen Strukturen s. Šewc-Schuster (1976: 35-39 und 43-45), zur Katholischen Umgangssprache s. Scholze (2008: 314-320). <?page no="181"?> VII Syntax 169 „Willensunabhängiges Pseudo-Agens“ Mentale Zustände und modale Ausdrücke ( usw.) werden beispielsweise im Russischen vorwiegend mittels unpersönlicher Konstruktionen gebildet: Die Person, die den genannten Zustand erfährt (bei Tafel et al. 2009 das „Pseudo-Agens“), wird mit dem Dativ markiert. Diese Struktur existiert im Obersorbischen ebenfalls: ‚mir dreht es sich im Kopf‘, ‚ihm ist bange, er hat Angst‘. 11 Zum Teil tritt - wie in den anderen slavischen Sprachen auch - der Akkusativ auf: ‚mich ärgert, dass…‘. 12 Daneben wird aber häufig wie im Polnischen oder Tschechischen (und Deutschen) auch eine persönliche Struktur verwendet, wie die Vergleichsbeispiele in Tab. VII.13 zeigen. Teilweise sind beide Konstruktionen möglich: / ‚ich möchte trinken / ich habe Durst‘. Deutsch Obersorbisch Ich bin traurig. Sym zrudna / zrudny. Er langweilt sich. Ich kann nicht schlafen. Ich muss (weg)gehen. Ich habe keinen Ort zum Schlafen. Nimam Es tut mir leid. Je m Ich habe es eilig. Mam nuzne. Mir ist übel. Mi je hubjenje. Ich möchte… Chcu… / … / mi so chce … Ich mag / möchte nicht schlafen. Mi so nochce / Ich kann es kaum glauben, dass… Tab. VII.13: Vergleichsbeispiele für das „willensunabhängige Pseudo-Agens“ „Anonymes Agens“ In den sog. gibt es, anders als bei den unpersönlichen Sätzen, theoretisch ein Agens, es wird nur sprachlich nicht explizit gemacht. Die Identität bleibt offen, „anonym“, ist aber theoretisch bestimmbar; 11 S. Šewc-Schuster (1976: 36ff.), von dort auch die Beispiele. 12 S. Šewc-Schuster (1976: 35f.) sowie Meškank (2009: 62). <?page no="182"?> VII Syntax 170 im Deutschen wird hier häufig verwendet. Im Obersorbischen treten die folgenden Konstruktionen auf: Prädikat in der 3. Person Plural: (hotko) ‚Am Abend sah ich im Fernsehen, wie (sie) in Leipzig demonstrierten und wie (sie) Honecker zum Rücktritt gezwungen haben‘, Prädikat in der 3. Person Singular + : 13 (hotko) ‚an der Schule wird bilingual unterrichtet‘, darüber hinaus können auch Passivkonstruktionen den Zweck erfüllen, das Agens ungenannt zu lassen (vgl. Tab. VII.14). Deutsch Obersorbisch Es wurden tausende Menschen getötet. Er wurde getötet. (Wón) bu morjeny. Man sagt, … Praji so,… / Praja… Tab. VII.14: Vergleichsbeispiele für unbestimmt-persönliche Konstruktionen „Beliebiges Agens“ Ein „beliebiges Agens“, d.h. theoretisch jede beliebige Person, ist bei den sog. gemeint; im Deutschen wird hierfür ebenfalls oft verwendet. Im Obersorbischen kann diese Bedeutung folgendermaßen ausgedrückt werden: mit ‚Mensch‘: (hotko) ‚Wir brauchen eine nationale Konzeption. Man könnte das auch nationales Programm nennen‘, mit der 2. Person Singular: Potom sahnješ najskerje za (hotko) ‚Was ist aber, wenn du noch nicht ans Internet angeschlossen bist, vielleicht nicht einmal einen Computer besitzt? Dann greifst du wahrscheinlich zu allen möglichen Medien in gedruckter Form‘, 13 Die Konstruktion ist homonym zum Passiv. <?page no="183"?> VII Syntax 171 mit einem Prädikat in der 3. Person Singular + (wie auch beim „anonymen“ Agens): (hotko) ‚Ich möchte hier nicht über die Abstimmung berichten, das macht man nicht‘. Umgangssprachlich kann auch ‚einer‘ als Entsprechung zum deutschen auftreten: ‚für etwas ganz Normales muss man bei euch zahlen‘ (Scholze 2008: 318). Deutsch Obersorbisch Da kann man nichts machen To so n Der Müll muss weggebracht werden. Tab. VII.15: Vergleichsbeispiele für allgemein-persönliche Konstruktionen „Null-Agens“ Einen sehr häufigen Typus unpersönlicher Sätze, also solcher Strukturen, in denen aus logischen oder sprachlichen Gründen kein Agens verwendet werden kann, sind die Witterungsimpersonalia. Im Deutschen wird hier in der Regel als sog. , eine Art Pseudosubjekt, verwendet ( . Ihnen benachbart sind Beschreibungen von Zuständen der Wahrnehmung, die oft analog versprachlicht werden Im Obersorbischen wird hier meist eine Struktur ganz ohne Subjekt mit einem Verb in der 3. Person Singular verwendet, dabei kann auch die Struktur auftreten (s. Tab. VII.16). Daneben treten umgangssprachlich auch an das Deutsche angelehnte syntaktische Strukturen auf, etwa mit ‚das‘: ‚das (es) donnert‘, ‚das (es) riecht nach Fisch‘ 14 oder auch mit ‚es‘: ‚es regnet‘, ‚es ist kalt‘. 15 Bestimmte Wahrnehmungszustände werden in manchen slavischen Sprachen mit unpersönlichen Konstruktionen aus speziellen Verbformen (poln. 14 Scholze (2008: 315). 15 Šewc-Schuster (1976: 37), auch Schuster-Šewc (1974). Ihm zufolge kommt diese Struktur dialektal und in der älteren Literatur vor. <?page no="184"?> VII Syntax 172 russ. ‚es ist zu sehen, es ist zu hören‘) und direktem Objekt versprachlicht (poln. russ. ‚es ist Musik zu hören‘). Im Obersorbischen treten hier keine unpersönlichen Konstruktionen auf, sondern Infinitivkonstruktionen mit den gewöhnlichen Wahrnehmungsverben ( die wahrgenommene Erscheinung wird als syntaktisches Subjekt versprachlicht: N OM .S G . (hotko) ‚es ist Tanzmusik zu hören‘. Deutsch Obersorbisch Es wird hell. So Es regnet. Es donnert. Hrima so. Es zieht. Es ist still. Es ist windig. duje. Es ist zu hören (, dass…). Je (, zo…) Es ist zu sehen (, dass…) Je (, zo…) Es hat gefroren. Es ist kalt. Je zyma. Tab. VII.16: Vergleichsbeispiele für Konstruktionen mit Witterungs- und Wahrnehmungsverben 8 Konstruktionen für ‚haben, sein, es gibt‘ usw. Ausdrücke für ‚sein‘ Das obersorbische Verb ist wie das polnische multifunktional: Es kann als Vollverb mit der Bedeutung ‚existieren‘ und als Kopula eingesetzt werden. Zum Gebrauch als Kopula vgl. auch Abschnitt VII.3. <?page no="185"?> VII Syntax 173 Deutsch Obersorbisch Anna ist Studentin. Hana je studentka. Bist du Student? / Studierst du? Ich bin Student. Ja, bin ich. Sy student? / Studuješ? Sym student. Haj, sym. Wer ist das? Ist das Jan? Štó to je? Je to Jan? Wir sind zuhause. Smy doma. Ich denke, also bin ich. / Myslu, potajkim sym. Ich bin ich. Ja sym ja. Es ist Geld da! Pjenjezy mamy! / Pjenjez je / Pjenjezy tu su! Tab. VII.17: Vergleichsbeispiele für die Verwendung von als Kopula und Vollverb Ausdrücke für ‚haben‘ Das Obersorbische verfügt in der Bedeutung ‚haben, besitzen‘ über das Vollverb . Deutsch Obersorbisch Ich habe einen Sohn. Mam syna. Ich habe ein Haus. Mam dom / Ich hatte ein Haus. / Sie hat eine tolle Idee. (Wona) ma wulkotnu ideju. Das Zimmer hat ein Fenster. Stwa ma jedne wokno. Wir haben Geld. (My) mamy pjenjezy. Tab. VII.18: Vergleichsbeispiele für die ‚haben‘-Konstruktion <?page no="186"?> VII Syntax 174 Ausdrücke für ‚es gibt‘ Die obersorbische Entsprechung für das deutsche wird mit Hilfe der Kopula , des Verbs in der 3. Person Plural oder eines der Situation entsprechenden Verbs gebildet. Die Entsprechung für könnte lauten: oder . 16 Deutsch Obersorbisch In Bochum gibt es viele Museen. W Bochumje je wjele muzejow. Was gibt es Neues? Što je noweho? Was gab es Neues? Št ? Tab. VII.19: Vergleichsbeispiele für die ‚es gibt‘-Konstruktion In der obersorbischen Umgangssprache, manchmal sogar in der Belletristik (meist in direkter Rede), wird in Anlehnung an das Deutsche mit dem Verb ausgedrückt: ‚Es gibt Leute, die das einfach nicht einsehen‘. 17 16 Scholze (2008: 320). 17 Vgl. ebd. <?page no="187"?> VII Syntax 175 9 Ausdrücke für ‚müssen / sollen, können, dürfen‘ Ausdrücke für ‚müssen / sollen‘ Für diese Bedeutung weist das Obersorbische neben den Modalverben ‚müssen, sollen‘ und ‚sollen‘ das Prädikativ und reflexive unpersönliche Konstruktionen ( ) auf. Deutsch Obersorbisch man muss , dyrbi so, ma so man musste gehen / dyrbjachmy Ich muss (weg)gehen Dyrbju wote Ich musste (weg)gehen Ich muss lernen, aber ich habe keine Lust. Sie soll um acht Uhr nach Hause kommen. Wona ma / dyrbi we wosmich domoj Das Haus soll geputzt werden. Dom ma / Tab. VII.20: Vergleichsbeispiele für den Ausdruck von ‚müssen / sollen‘ Ausdrücke für ‚können‘ Anders als die bei Tafel et al. (2009) vorgestellten slavischen Sprachen unterscheidet das Obersorbische nicht zwischen verschiedenen Verben für die Bedeutungskomponenten ‚physisches Können‘ einerseits und ‚objektive Möglichkeit‘ und ‚Fähigkeit‘ andererseits. In beiden Bedeutungen wird verwendet. In der unpersönlichen Verwendung (‚man kann‘) werden reflexive Konstruktionen oder das Prädikativ eingesetzt. <?page no="188"?> VII Syntax 176 Deutsch Obersorbisch man kann je mó man kann nicht njeje mó Ich kann nicht schlafen. Ich kann schwimmen. Mó Ich kann Geige spielen. Mó Ich kann Bulgarisch. R / Tab. VII.21: Vergleichsbeispiele für den Ausdruck von ‚können‘ Ausdrücke für ‚dürfen‘ Wie das BKS, das Polnische und das Tschechische hat das Obersorbische ein spezielles Verb für den Audruck der „erlaubten Möglichkeit“, und zwar . Möglich ist aber auch die Partizipialkonstruktion mit (Partizip Passiv von ‚erlauben‘). Deutsch Obersorbisch man darf man darf nicht Wir dürfen nicht im Wohnzimmer spielen. / n (mehr als 2 Personen) . Darf ich mich setzen? ? Der Patient darf nur Suppe essen. Tab. VII.22: Vergleichsbeispiele für den Ausdruck von ‚dürfen‘ <?page no="189"?> VII Syntax 177 10 Satzverkürzung durch Partizipien Komplexe Sätze können im Obersorbischen wie in den anderen slavischen Sprachen durch den Einsatz von Partizipien und Adverbialpartizipien bzw. Transgressiven verkürzt werden. Die folgende Tabelle zeigt obersorbische Beispielsätze. Deutsch Obersorbisch Während sie die schwarzen Wolken betrachtete, dachte sie an ihn. na njeho mysleše. 1) Anna sitzt am Tisch und liest. 2) Am Tisch sitzend liest Anna. Nachdem sie den Film gesehen hatten, gingen sie (zwei Frauen) in eine Kneipe. kor Nachdem sie nach Hause gekommen war, schrieb sie einen Brief. Domoj došedši napisa list. Nachdem sie den Brief geschrieben hatte, ging sie im Park spazieren. Napisawši list parku. das von Anna gelesene Buch Tab. VII.23: Vergleichsbeispiele für die Satzverkürzung durch Partizipien und Adverbialpartizipien <?page no="190"?> VII Syntax 178 11 Zusammengesetzte Sätze Die grundsätzlichen Typen und Bildungsweisen zusammengesetzter Sätze unterscheiden sich im Obersorbischen nicht wesentlich von denen der anderen slavischen Sprachen. 18 Die wichtigsten Techniken zur Verkettung von Sätzen sind: nebenordnende Konjunktionen: (hotko) ‚(er) wollte gerade bezahlen, aber das Geld reichte nicht‘, unterordnende Konjunktionen: (hotko) ‚wir wollen das Bad wiederbeleben, weil viele sich gern daran erinnern‘, Relativpronomina (s. Tab. VII.24), Asyndese, d.h. ohne explizite verbindende Mittel: (hotko) ‚Zu diesen und weiteren Themen werden spezielle Veranstaltungen durchgeführt, werden verschiedene Publikationen herausgegeben, werden Protestaktionen und Projekte organisiert‘, kompletive Konstruktionen, d.h. der Nebensatz nimmt die Position eines Satzgliedes des Hauptsatzes ein: (hotko) ‚ich weiß, was ich zu tun habe‘. Die einzelnen Untertypen und ihre Funktionen lassen sich leicht durch Analogien zu anderen slavischen Sprachen bzw. auch zum Deutschen erschließen. 18 Einen ausführlichen Überblick gibt Šewc-Schuster (1976: 128-213). <?page no="191"?> VII Syntax 179 Deutsch Obersorbisch Der Zug, der nach Bochum fährt, kommt erst in zehn Minuten. Das Buch, das du (m.) mir (m.) gegeben hast, habe ich schon gelesen. sy Das Mädchen, das ich liebe, heißt Anna. Das sind die Freunde, mit denen wir im Urlaub waren. To su z kotrymi w dowolu. Tab. VII.24: Vergleichsbeispiele für Relativsätze Deutsch Obersorbisch Anna ist glücklich, wenn sie im Büro lesen kann. w Anna sagt, dass sie das Leben liebt. Anna glaubt, dass Peter morgen aufräumt. Hana mysli zrumuje. Tab. VII.25: Vergleichsbeispiele für Konjunktional- und Kompletivsätze . <?page no="192"?> 180 VIII Wortbildung 1 Wortbildungsverfahren Die häufigsten Wortbildungsverfahren des Obersorbischen sind die (auch ), also das Anfügen von Affixen an eine Wurzel, und die , das Zusammenfügen zweier Wurzeln; letztere ist im heutigen Obersorbischen unter dem Einfluss des Deutschen besonders produktiv. Hinsichtlich der Derivation ähnelt das Obersorbische den anderen slavischen Sprachen sowohl im Hinblick auf die Verfahren als auch auf das Inventar der verwendeten Affixe. 1 Beispiele für Affigierung Unter den Affigierungsverfahren sind Suffigierung und Präfigierung die wichtigsten, sie werden weiter unten ausführlicher vorgestellt. Die Bindestriche in der folgenden Überblickstabelle illustrieren die Morphemgrenze, die das jeweilige Suffix oder Präfix von der Ableitungsbasis trennt. Verfahren Deutsch Obersorbisch Suffigierung Lehrer Arbeiter Schöpfer Helfer -er stworipomoc-nik Präfigierung Uroma wegfahren, fahrend wegtransportieren pra-wowka wu- Präfigierung und Suffigierung Ohnmacht, Hilflosigkeit bjez-móc- Tab. VIII.1: Beispiele für Affigierung im Obersorbischen 1 Im Weiteren beziehen wir uns auf die Arbeiten von Pohontsch (2016) und Schuster-Šewc (1996). Auch die in diesem Kapitel im laufenden Text genannten Beispiele stammen überwiegend aus Pohontsch (2016). <?page no="193"?> VIII Wortbildung 181 Komposition Wie erwähnt spielt das Verfahren der Komposition im Obersorbischen eine relativ große Rolle. Nominalkomposita, d.h. Zusammensetzungen, deren zweites Glied ein Substantiv ist, sind laut Pohontsch (2016) gar eins der produktivsten Wortbildungsverfahren im gegenwärtigen Obersorbischen überhaupt. Komposita treten in Lehnübersetzungen (z.B. ‚Denkmalschutz‘) auf oder werden nach einheimischen analogen Modellen gebildet. Besonders in der Umgangssprache treten auch der Herkunft nach hybride Komposita wie ‚Babyjahr‘ auf. Den deutschen Komposita können aber auch Mehrwortlexeme wie Fügungen aus Adjektiv und Substantiv entsprechen: ‚Hochzeitssuppe‘. Als Besonderheit des Obersorbischen sind mit einem Verbalsubstantiv gebildete Substantivkomposita des Typs ‚Kartoffellesen‘, ‚Kaffeekochen‘ zu nennen. Eine weitere Klasse von Komposita, die in den anderen slavischen Sprachen sehr untypisch ist, bilden Verbalkomposita wie ‚gleichstellen‘. Sie sind insbesondere in der Umgangssprache verbreitet, wo sie häufig als hybride Komposita mit einem deutschen Element gebildet sind, etwa ‚kaputtgehen‘. 2 Deutsch Obersorbisch Halbfinale Wasserfall wodopad Studentenwohnheim studentski internat Bücherregal Tab. VIII.2: Vergleichsbeispiele für Komposition und Adjektiv-Substantiv- Verbindungen im Obersorbischen 2 Suffigierung Ein Suffix ist ein Affix, das zwischen Wurzel und Flexionsaffix steht. Wie in den anderen slavischen Sprachen sind auch im Obersorbischen viele Suffixe polysem, können also zur Ableitung von Wortbildungsprodukten verschiedener Typen verwendet werden, vgl. für Träger bestimmter Eigenschaften 2 Vgl. Pohontsch (2016: 2815ff.) sowie Scholze (2008: 306ff.). <?page no="194"?> VIII Wortbildung 182 ( ‚junger Mann‘), Ergebnisse einer Handlung ( ‚Schnaps‘) und Ortsbezeichnungen ( ‚Pferdestall‘). Suffixe im Nominalbereich Zur Ableitung von Substantiven von anderen Wortarten tritt eine große Zahl von Suffixen in verschiedenen Funktionen auf. Sehr häufige Suffixe sind und für Verbalsubstantive ( ‚das Freuen, Freude‘ zu , ‚das Lachen‘ zu oder für Produkte ‚Zugabe‘ zu ‚hinzufügen‘). Deutsch Suffix Obersorbisch Kommunikation -acija komunikacija Ausgabe wuda (Generation) Gebäude (-acija) -enje (generacija) twarjenje Reichtum Fischerei Verlag -stwo bohatstwo rybarstwo Alter Sorge -oba staroba Buddhismus -izm buddhizm Verantwortung -os Spielzeug -ka hrajka Jugend -ina 3 Labor -orij laboratorij Café -ownja kofejownja Schlaflosigkeit -os Ungerechtigkeit -os das Innere -os Tab. VIII.3: Vergleichsbeispiele für Suffigierung im Obersorbischen Um die Vergleichbarkeit mit den anderen slavischen Sprachen zu gewährleisten, führt Tabelle VIII.3 die gleichen Beispielwörter auf wie ihr Pendant in 3 Ein Pendant zum Suffix gibt es im Obersorbischen nicht. <?page no="195"?> VIII Wortbildung 183 Tafel et al. (2009: 223-224). Zum Teil verwendet das Obersorbische aber andere Suffixe als die anderen slavischen Sprachen. Personenbezeichnungen / Movierungssuffixe Eine wichtige Rolle spielt das Verfahren der Suffigierung im Zusammenhang mit Personenbezeichnungen. Maskuline Personenbezeichnungen werden insbesondere mit den Suffixen / und gebildet: ‚Historiker‘ (zu ‚Geschichte als Arbeitsfeld des Historikers‘), ‚Töpfer‘ (zu ‚Topf‘), ‚Arbeiter‘ (zu ‚arbeiten‘), ‚Gärtner‘ (zu ‚Garten‘). Daneben gibt es eine Reihe weiterer Suffixe, die - wie auch die genannten Beispiele - in der Regel anhand der anderen slavischen Sprachen erschlossen werden können (vgl. Tab. VIII.4). Feminine Personenbezeichnungen werden meist vom analogen maskulinen Substantiv abgeleitet. Dabei werden vorwiegend die Suffixe ‚Historikerin‘, ‚Töpferin‘, ‚Arbeiterin‘), - ‚Sorbin‘ zu ‚Sorbe‘) und a ‚Sportlerin‘ zu ‚Sportler‘) verwendet. Zu Maskulina auf werden Feminina auf gebildet ( ‚Gärtnerin‘). 4 Tabelle VIII.4 führt nach Möglichkeit die gleichen Suffixe auf wie ihr Pendant bei Tafel et al. (2009: 225-227). Dort, wo es im Obersorbischen kein den anderen Sprachen analoges Suffix gibt, ist dies entsprechend vermerkt. Deutsch Suffix Obersorbisch m. f. Schriftsteller Schriftstellerin - - -ka m. f. Praktikant Praktikantin -ant -ant-ka praktikant praktikantka 4 Im aktuellen Obersorbischen werden die weiblichen Personenbezeichnungen - unter dem Einfluss der Gender-Diskussion in Deutschland - häufiger verwendet als etwa im Russischen, vgl. z.B. (hotko: Serbske nowiny 2008) ‚Für Leserinnen und Leser im Alter von zehn bis zwölf Jahren haben sie eine besondere Neuerscheinung im Programm‘. <?page no="196"?> VIII Wortbildung 184 m. f. bärtiger Mann - 5 - m. f. Helfer Helferin -nik -nica pomocnik pomocnica m. f. Tourist Touristin -ist -ist-ka turist turistka m. f. Korrespondent Korrespondentin -ent -ent-ka korespondent korespondentka m. f. Sandmännchen - - 6 - m. f. Arzt Ärztin -ar (-er) 7 -ar-ka (-er-ka) m. f. Doktor Doktorin -or -or-ka doktor doktorka m. f. (Abgeordneter Abgeordnete) -anc 8 m. f. Sportler Sportlerin -c sportowc m. f. Mathematiker Mathematikerin -ar -ar-ka matematikar matematikarka m. f. Philologe Philologin -log -log-owka filolog filologowka 5 Das Suffix wird im Obersorbischen zur Ableitung von Substantiven verwendet, die sich durch bestimmte Eigenschaften auszeichnen; es ist relativ selten. Feminine Ableitungen von diesen Substantiven sind nicht gebräuchlich. 6 Das im Polnischen, Tschechischen, Russischen und Ukrainischen häufig auftretende Suffix - / í / / ist im Obersorbischen nicht sehr produktiv. Ein typisches Suffix ist dafür - , vgl. die Zeile ‚Abgeordneter, Abgeordnete‘. 7 Bei weichen Stämmen. 8 Die reguläre oso. Entsprechung zum Suffic ist - (vgl. ‚Schneider‘, ‚Schuster‘). Dieses Suffix alleine ist im Obersorbischen aber praktisch nicht mehr produktiv. Häufig kommt es dagegen in Kombination mit - als vor (vgl. die zusätzlich zu den Beispielen bei Tafel et al. eingefügte Zeile ‚Sportler, Sportlerin‘; weitere Beispiele sind ‚Experte, Spezialist‘ oder ‚Nationalist‘). ‚Bote / Botin‘ heißt auf Obersorbisch / . <?page no="197"?> VIII Wortbildung 185 m. f. Kandidat Kandidatin -at -at-ka kandidat kandidatka m. f. König Königin -Ø -owna kral kralowna m. f. Türke Türkin -Ø -owka Turk Turkowka m. f. Slave Slavin (-’an) (-’an)-ka m. f. Ukrainer Ukrainerin (-’an - ’ an-ka) 9 Ukrainjan Ukrainjanka m. f. Slovake Slovakin -ak - -ka S Tab. VIII.4: Vergleichsbeispiele für Personenbezeichnungen (m./ f.) Diminutive Auch das Obersorbische ist eine an Diminutivsuffixen reiche Sprache. Das grundlegende Diminutivsuffix ist (als für Maskulina, für Feminina und für Neutra). -k / -ka / -ko z.B. ‚Väterchen‘ zu ‚Vater‘, ,Mäuschen‘ zu ,Maus‘, ‚Kindchen‘ zu ‚Kind‘ -ik / -yk z.B. ‚Messerchen‘ -ušk z.B. ‚Steinchen‘ -atko z.B. ‚Kindchen‘ -eško / -iško z.B. ‚Fensterchen‘, ‚Kopf-, Halstuch‘ z.B. ‚kleines Häuschen‘, ‚Scheibchen Brot‘ z.B. ‚kleines Händchen‘ z.B. ‚kleines Bierchen‘ 9 S.o. zum oso. Äquivalent von . <?page no="198"?> VIII Wortbildung 186 Die letzten Formen und die ersten zwei Zeilen in Tabelle VIII.5 zeigen, dass es darüber hinaus zur doppelten Diminuierung kommen kann, bei der zwei Diminutivsuffixe (hier - und - -) auftreten. Deutsch Obersorbisch Haus dom - domk / Stern - - Mama mama - - maminka Tab. VIII.5: Beispiele für Diminutive im Obersorbischen Possessivadjektive Possessivadjektive spielen im Obersorbischen eine größere Rolle als etwa im Russischen oder Polnischen, weswegen hier gesondert auf sie eingegangen wird. Sie werden mit den Suffixen / und gebildet und flektieren wie die anderen Adjektive: N OM .S G . M . N OM .S G . M . , G EN .S G . M . G EN .S G . M . ‚der Mantel des Vaters‘; N OM .S G . M . N OM .S G . M . ,das Kleid der N OM .S G . F . N OM .S G . F . ‚die Schwester der Mutter‘. Die Possessivadjektive weisen eine syntaktische Besonderheit auf - Adjektive oder Substantive, die das Possessivadjektiv modifizieren, stehen im Genitiv: G EN .S G . M . N OM .S G . F . N OM .S G . F . ‚die Tochter meines Bruders‘, G EN .S G . F . N OM .S G . M . N OM .S G . M . ‚der Sohn meiner Schwester‘. Wie die Beispiele zeigen, kongruiert das modifizierende Adjektiv oder Pronomen mit dem Genus des Nomens, von dem das Possessivadjektiv abgeleitet ist. Die Funktion von Possessivadjektiven übernehmen darüber hinaus Bildungen mit dem Suffix / die unveränderlich sind: INDEKL . N OM .S G . F . ‚der Garten der Nachbarn‘ („der nachbarliche Garten“), IN- DEKL . G EN .S G . F . ; INDEKL . ‚der Sohn des Lehrers‘, INDEKL . G EN .S G . ; INDEKL . N OM .S G . F . INDEKL . G EN .S G . . 10 Historisch verwandt mit den Possessivadjektiven sind Ableitungen von Familiennamen, vgl. zum ersten Typ die Namensformen für Ehefrauen ( zum zweiten Namen von Töchtern ( (s. auch Kap. IV, Abschnitt ). 10 Vgl. Schuster-Šewc (1984: 103f. bzw. 1996: 104f.). <?page no="199"?> VIII Wortbildung 187 4 Präfigierung Bei Substantiven spielt Präfigierung eine geringere Rolle, hier tritt eine eher kleine Anzahl von Präfixen auf. Dies sind zum Teil einheimische: ‚ohne‘, ‚un-, nicht-‘, ,ur-‘, zum Teil entlehnte, besonders internationale: ‚anti-, gegen-, wider-‘, ‚ex-‘, ‚des-, un-‘ usw. Mit Verben kommt hingegen wie in den anderen slavischen Sprachen eine Fülle an Präfixen vor. Sie interagieren auch hier mit dem Aspekt, indem präfigierte Verben häufig dem perfektiven Aspekt angehören (aber insbesondere bei Entlehnungen und Lehnübersetzungen weniger systematisch als in den anderen slavischen Sprachen; diese können biaspektuell sein, s. Kap. VI.12). Dies führt zu einer weiteren Besonderheit des Obersorbischen: aus dem Deutschen lehnübersetzten präfigierten Verben, z.B. ‚beherrschen‘, ,unterliegen‘. Sie kommen besonders in der Umgangssprache häufig vor ( ‚aufnehmen‘, ‚weitermachen‘), auch als hybride Formen mit je einem materiellen deutschen und einem obersorbischen Bestandteil ‚pleite gehen‘, ‚losgehen‘). 11 Präfix Bedeutung 12 Beispiele dohinzu Ende dole ‚hinfliegen‘ ‚zu Ende singen‘ na- (so) viel, genug ‚sich satt essen‘ ‚erarbeiten‘ ‚genug arbeiten‘ nadan-, über- ‚angreifen, überfallen‘ pogrammatisch (Aspekt); auf-; eine Weile ‚aufspringen‘ pod ‚eine Zeitlang arbeiten‘ pod(e)unter-, ab- ‚unterliegen‘ 11 Scholze (2008: 307). Präfigierung und Komposition lassen sich hier nicht immer scharf trennen. 12 Wir nennen nur die wichtigsten der Bedeutungen der Präfixe. <?page no="200"?> VIII Wortbildung 188 p vor- ‚vorlesen‘ p über-, durch- ‚überqueren, überschreiten, durchschreiten‘ ‚nachdenken‘ p hin-, herbei-, hinzu- ‚kommen‘ ‚herbeispringen‘ roz- (so) auseinander-; mit : sehr stark rozpada ‚zerfallen‘ nen‘ wob(e)um- (herum); be- ‚begehen, umgehen, vermeiden‘ ‚beschließen‘ ‚sich umdrehen‘ z- / sgrammatisch (Aspekt); vollends, vollständig; verschiedene weitere Bedeutungen ‚verbrennen‘ ‚zugänglich machen‘ woüber-, aufwopisa ‚beschreiben‘ wo ‚aufmachen‘ wot(e)weg-, fortwugrammatisch (Aspekt); aus-, heraus-; weg-, Ende wubi ‚ausschlagen, herausschlagen‘ wubra ‚auswählen‘ (šulu) wuchod ‚(die Schule) beenden‘ za- Beginn; verschiedene weitere Bedeutungen zarejowa ‚lostanzen‘ zaspa ‚verschlafen‘ za ‚hinein- / hinaufkriechen‘ Tab. VIII.6: Verbale Präfixe im Obersorbischen <?page no="201"?> VIII Wortbildung 189 5 Interfigierung und Postfigierung Auch im Obersorbischen werden die Bestandteile eines Kompositums meist mit Hilfe des Interfixes miteinander verbunden, vgl. ‚Nashorn‘. Manche Komposita weisen kein Interfix auf, z.B. ‚Volkszählung‘. Obersorbische Postfixe finden sich im Bereich der Pronomina (vgl. Kap. VI.18): zur Bildung von Relativpronomen aus den entsprechenden Interrogativpronomen, z.B. ‚welcher‘ zu , zur Ableitung generalisierender Pronomina, z.B. ‚welcher auch immer‘ zu und zur Ableitung von Demonstrativpronomina, z.B. ‚dieser‘ zu . Diese Postfixe gehen auf Partikeln zurück und sind im modernen Obersorbischen nicht mehr produktiv. Das „klassische“ Postfix der slavischen Sprachen ist der russische bzw. ukrainische Reflexivmarker / Seine obersorbische Entsprechung ist wie im Polnischen oder Tschechischen beweglich, also nicht fest an das Verb gebunden. In Teilen der slavistischen Tradition werden auch diese beweglichen Reflexivmarker als Postfix betrachtet, meist werden sie jedoch als Klitika angesehen. <?page no="202"?> 190 IX Texte und Übungen An dieser Stelle finden Sie einige obersorbischen Beispieltexte. Es sind Entsprechungen zu den Texten, die Sie in anderen slavischen Sprachen bei Tafel et al. (2009: 233ff. und 218f.) finden. 1 Aschenputtel Popjelawka char kazaše jej - - Samo w trundlatej Jednoho dnja wuhotowa pro na bal, Popjelawka pak sydny so na zemju a hórko . Nadobo zjewi kom - myškow dót Na kóncu rjekny kmótra: - Nó, Popjelawka so? - - <?page no="203"?> IX Texte und Übungen 191 rohotnymi kamuškami. a womjelknychu princej pje na schodach zh Princowi posoljo z nadobneho rodu, tola podarmo. Naposledk bydleše Popjelawka ze swojimaj sotromaj. so a a dótkny so jeje trun dnjow kwas. <?page no="204"?> IX Texte und Übungen 192 Aufgaben 1. Lesen Sie den Text. Beschreiben Sie, was Sie auf welcher Grundlage verstehen können. 2. Versuchen Sie, die Antworten auf die folgenden Fragen zu geben. a. Welche Arbeiten muss im Haus verrichten? b. Wie kommt zu ihrem Namen? c. Wie reagieren die Schwestern die Einladung zum Ball? d.. Wer hilft e. Wer fährt die Kutsche? f. Was trägt zum Ball? g. Wie kommt zurück nach Hause? 3. Vergleichen Sie den ersten Satz mit demjenigen einer anderen slavischen Version Ihrer Wahl. 4. Bestimmen Sie die punktiert unterstrichenen Formen und Konstruktionen und nennen Sie die jeweiligen Grundformen. 5. Markieren Sie die panslavischen Wörter. 2 Das Manifest der kommunistischen Partei Manifest komunistiskeje strony - - ternich a Guizot, francoscy radikalni a móc. <?page no="205"?> IX Texte und Übungen 193 ma staja Manifest strony sameje. nos Aufgaben 1. Lesen Sie den Text. Wenden Sie die Erschließungsstrategien aus Kap. I an und dokumentieren Sie Ihre Schritte. 2. Übersetzen Sie den ersten Satz ins Deutsche. 3. Beantworten Sie die folgenden Fragen zum Inhalt: a. Wie gehen Oppositionelle und Regierende mit dem Begriff „Kommunismus“ um? b. Welche zwei Schlussfolgerungen ergeben sich daraus? c. In welchen Sprachen soll das Manifest veröffentlicht werden? 4. Markieren Sie alle Internationalismen. 5. Vergleichen Sie den obersorbischen Text mit der Version in einer bei Tafel et al. (2009: 241ff.) abgedruckten slavischen Sprache Ihrer Wahl. <?page no="206"?> IX Texte und Übungen 194 3 Der Rabe und der Fuchs Ä Rapak a liška Rapak sej . Sydny so na wysokim štomje na krakaše. To „Ow rapako, kajki sy ty krasny a nahladny ptak. Hdy by twój runje tak krala “ Wón zakraka, pysk a hordemu rapakej. Aufgaben 1. Lesen Sie den Text. Wenden Sie die Erschließungsstrategien aus Kap. I an und dokumentieren Sie Ihre Schritte. 2. Bestimmen Sie die punktiert unterstrichenen Formen. 3. Leiten Sie die durchgezogen unterstrichenen Wörter aus anderen Sprachen her. <?page no="207"?> 195 X Zum Schluss Zwischen dem Obersorbischen und den anderen slavischen Sprachen gibt es etliche falsche Freunde (vgl. Kapitel IV), die zu interkomprehensiven Missverständnissen führen können. Hierzu folgen einige obersorbisch-polnische und obersorbisch-tschechische Beispiele. Obersorbisch - Polnisch 1 Frisch oder altbacken? zo sym li. 2 Sauerkraut Jan: 3 Polnisch-sorbische Liebe to boli - u nas 4 1 Die Beispiele wurden von Sonja Wölke zusammengestellt. 2 Oso. ‚frisch‘, poln. ‚trocken, altbacken‘. 3 Oso. ‚Kohl‘, poln. ‚Kot‘. 4 In diesem Beispiel gibt es mehrere irreführende Ähnlichkeiten: oso. ‚Kuss‘ kann für das Gegenstück zu poln. ‚Schwamm‘ gehalten werden, was auf oso. wiederum heißt. Das oso. Verb bedeutet ‚küssen‘ und ist nicht zu verwechseln mit poln. kosi ‚mähen‘. <?page no="208"?> X Zum Schluss 196 Obersorbisch - Tschechisch Wie der interkomprehensive Alltag eines obersorbisch-tschechischen Ehepaares aussieht, illustrieren die folgenden amüsanten Schilderungen von Jana - hier ein Auszug aus ihrem Artikel von 2012. 5 abo - Schlank = schlecht? „hubený“ „hubený“ - - …“ 6 Eine Schande! - “ - „ “ - 7 Ein leckeres Thema? „ “ „Chutný“ - „ “ „ „ “, jeho to 5 Wir danken Lenka Scholze für den Hinweis auf diesen Text. 6 Oso. ‚schlecht, übel‘, tsch. ‚schlank‘. 7 Oso. ‚Langeweile‘, tsch. ‚Schande‘. <?page no="209"?> X Zum Schluss 197 - ‚wichtig‘, - ‚ernst‘ a - ‚lecker‘. Getötete Hausaufgaben Šulerjo husto praja, zo su „domácí úkol zabyli“. To pak je . 8 Wo geht es hier zum Eingang? wulkim wrotam - k serbskemu „zachodej“ - ale tam nje- „toaleta“, zo 9 Glückannahme napisom „P “ „ “ … 10 8 Oso. ‚vergessen‘, tsch. ‚töten‘. 9 Oso. ‚Eingang‘, tsch. ‚Toilette‘. 10 Oso. ‚Glück‘, tsch. ‚Ware‘. <?page no="210"?> 198 Literatur 1 Empfohlene Hilfsmittel Grundlegende Arbeitsmittel Tafel, Karin / d / Lemmen, Radka / Olshevska, Anna / Przyborowska-Stolz, Agata (2009). Slavische Interkomprehension: Eine Einführung. Tübingen: Narr. (auch als eBook unter https: / / www.narr.de/ slavischeinterkomprehension-16478-2/ , Stand: 16.07.2020). Soblex: Sorbian Bilingual Lexikon. Abrufbar unter: https: / / www.soblex.de/ (Stand: 16.07.2020) - - Für weitere Informationen zum Obersorbischen Faska (= Faßke), Helmut (2012). Pu : Gramatika. 2. Aufl. Bautzen: Domowina. Faßke, Helmut (1981). Grammatik der obersorbischen Schriftsprache der Gegenwart: Morphologie. Bautzen: Domowina. Ober - Bautzen: Domowina <?page no="211"?> Literatur 199 Lewaszkiewicz, Tadeusz (2002). Obersorbisch. In: Okuka, Miloš (Hrsg.) Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens 10). Klagenfurt: Wieser, 343-355. r Schaarschmidt, Gunter (2002). Upper Sorbian (= Languages of the world: Materials 160). München: Lincom. Scholze, Lenka (2008). Das grammatische System der obersorbischen Umgangssprache im Sprachkontakt (= Schriften des Sorbischen Instituts 45). Bautzen: Domowina. Schuster-Šewc, Heinz (1996). Grammar of the upper Sorbian language: Phonology and morphology (= Lincom studies in Slavic linguistics 03). Translated by Gary H. Toops. München: Lincom. : H. Schuster-Šewc, Heinz (2010). Historisch-etymologisches Wörterbuch der ober- und niedersorbischen Sprache. 3. unveränderte Aufl. Bautzen: Domowina. Budyšin: Domowina. SOL Sorbisch Online Lernen (Selbstlernprogramm). Abrufbar unter: https: / / sprachkurs.sorbischlernen.de/ (Stand: 16.07.2020) <?page no="212"?> Literatur 200 na (= Schulz, Jana) / Wornar, Edward (2012). Obersorbisch im Selbststudium: Ein Sprachkurs für Unerschrockene. 3. Aufl. Bautzen: Domowina. 2 Bibliographie 1 Bayer, Markus (2006). Sprachkontakt deutsch-slavisch: Eine kontrastive Interferenzstudie am Beispiel des Ober- und Niedersorbischen, Kärtnerslovenischen und Burgenlandkroatischen (= Berliner Slawistische Arbeiten 28). Frankfurt a.M.: Lang. Bielfeldt, Hans Holm (1968). Die deutschen Lehnwörter im Obersorbischen (= Veröffentlichungen des Slawistischen Instituts Berlin 8). Nendeln / Liechtenstein: Kraus Reprint. Breu, Walter / Scholze, Lenka (2006). Sprachkontakt und Syntax: Zur Position des Verbs im modernen Obersorbischen. In: Berger, Tilman / Raecke, Jochen / Reuther, Tilman (Hrsg.) Slavistische Linguistik 2004 / 2005 (= Slavistische Beiträge 453). München: Sagner, 41-88. Breu, Walter (2000). 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Abrufbar unter: https: / / www.ethnologue.com/ (Stand: 16.07.2020) 1 Die Bibliographie enthält die in diesem Buch zitierten Titel sowie weiterführende Angaben. <?page no="213"?> Literatur 201 Faßke, Helmut (1981). Grammatik der obersorbischen Schriftsprache der Gegenwart. Bautzen: Domowina. Faska (= Faßke), Helmut (Hrsg.) (1998) Serbš ina (= Najnowsze dzieje j . Opole: Uniwersytet Opolski. Gramatika. 2. Aufl. Bautzen: Domowina. Giger, Markus (2009). Der Resultativ in den slavischen Sprachen. In: Kempgen, Sebastian / Kosta, Peter / Berger, Tilman / Gutschmidt, Karl (Hrsg.) Die slavischen Sprachen. Ein internationales Handbuch zu ihrer Struktur, ihrer Geschichte und ihrer Erforschung, Bd. 1 (= Handbuch zur Sprach- und Kommunikationsforschung 32.1). Berlin / New York: Walter de Gruyter, 269-274. Heinz, Christof / Kuße, Holger (2015). Slawischer Sprachvergleich für die Praxis. Lern- und Erschließungsstrategien, Floskeln für den Alltag, Grammatik, Wörterverzeichnis, Hörmaterialien. 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Das Buch richtet sich insbesondere an Personen, die das Obersorbische auf der Grundlage von Kenntnissen einer anderen slavischen Sprache erschließen möchten. Es kann auch umgekehrt verwendet werden, um vom Obersorbischen ausgehend andere slavische Sprachen zu verstehen. Das Buch ist parallel zu dem Titel von Karin Tafel et al. „Slavische Interkomprehension“ (Tübingen: Narr 2009) aufgebaut. Gemeinsam mit diesem eingesetzt wird der direkte Vergleich des Obersorbischen mit anderen slavischen Sprachen möglich.