eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 48/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2019-0016
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/81
2019
482 Gnutzmann Küster Schramm

Zur Einführung in den Themenschwerpunkt

81
2019
Andrea Rössler
Birgit Schädlich
flul4820005
48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Translatorische Aktivitäten haben eine lange Tradition im Unterricht auch der modernen Fremdsprachen. Dabei begleitet die Frage nach der Sinnhaftigkeit und Berechtigung den Einsatz übersetzender und dolmetschender Praktiken quasi von Anfang an. Trotz der Skepsis gegenüber Übersetzungen und der Sorge, diese würden eine einsprachig orientierte kommunikative Didaktik durch zweisprachige unterrichtliche Fortführungen der Grammatik-Übersetzungsmethode unterwandern (vgl. R EIMANN / R ÖSSLER 2013: 13), haben sich Fremdsprachenforscherinnen und -forscher immer wieder auch für den didaktischen Wert von Übersetzungen interessiert (vgl. beispielhaft B AUSCH / W ELLER 1979; H ALLET 1995; H OUSE 1977; K ÖNIGS 1986 und 1989; M EYER 1991) und damit Sprachmittlung gleichsam avant la lettre modelliert und unterrichtspraktisch fruchtbar gemacht. Die Entwicklung des Konzepts Sprachmittlung, so wie es heute im fremdsprachendidaktischen Diskurs im deutschsprachigen Raum verstanden wird, beginnt mit dem Erscheinen des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen des Europarates im Jahr 2001. Seither wird der so genannten „sechsten Fertigkeit“ (R ÖSSLER 2008) im Fremdsprachenunterricht besonderes Interesse entgegengebracht. Die Verankerung des Konzepts in diesem einflussreichen europäischen Referenztext hat erneut die Frage aufgeworfen und normativ zugespitzt, ob und in welcher Form Übersetzungen für fremdsprachliche Lehr-/ Lernprozesse eine Rolle spielen können und sollen. Die Etablierung der Sprachmittlungskompetenz im schulischen Fremdsprachenunterricht in Deutschland war in der Folge ein top-down-Prozess par excellence. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (vgl. den Überblick bei K OLB 2016: 73f.) haben die nationalen Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz sowie die Curricula der Bundesländer das Konzept schnell integriert und auf diese Weise für den Fremdsprachenunterricht neue Verbindlichkeiten hergestellt (vgl. S CHÄDLICH 2012). * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Andrea Rössler, Philosophische Fakultät, Romanisches Seminar, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 H ANNOVER E-Mail: roessler@romanistik.phil.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Wortschatzdidaktik, Sprachmittlung, Fremdsprachenpolitik. Prof. Dr. Birgit Schädlich, Seminar für Romanische Philologie/ Didaktik der Romanischen Sprachen, Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik/ Lesekompetenz, Sprachmittlung, Mehrsprachigkeit, Lehrerbildungsforschung. S pr a c h mittl u n g 6 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 48 (2019) • Heft 2 Die von oben vorgeschriebene Implementierung krankte indes von Anfang an daran, dass eine neue Kompetenz in Curricula eingeführt und deren Erwerb in zumeist zentralen Prüfungsformaten evaluiert wurde, lange bevor diese klar definiert und umfassend theoretisch modelliert, geschweige denn im Hinblick auf ihr tatsächliches fremdsprachendidaktisches Potenzial empirisch erforscht war. Dies hat zu erheblichen Kollateralschäden geführt: u.a. zu voneinander abweichenden Definitionen und Modellierungen der Sprachmittlungskompetenz in den Lehrplänen der Bundesländer und den Bildungsstandards (2004 und 2012), zur unreflektierten und ahistorischen Abgrenzung von anderen translatorischen Aktivitäten in- und außerhalb des Fremdsprachenunterrichts und nicht zuletzt zum Mangel an einer systematischen Aufgabentypologie einerseits und an einem überzeugenden Konzept für die Progression und Evaluation schriftlicher und mündlicher Sprachmittlungskompetenz andererseits. In den letzten Jahren hat sich die Fremdsprachendidaktik unter Einbeziehung relevanter Bezugswissenschaften intensiv darum bemüht, diese Defizite zu beheben. Einschlägige wissenschaftliche Sammelbände haben in einem facettenreichen interdisziplinären Diskurs das Potenzial der Sprachmittlungskompetenz herausgearbeitet und definitorische Grenzziehungen zu anderen translatorischen Aktivitäten vorangebracht (z.B. F REUDENFELD / G ROSS -D INTER / S CHICKHAUS 2016; N IED C URCIO / K ATEL - HÖN 2015; R EIMANN / R ÖSSLER 2013; W ITTE / H ARDEN / R AMOS DE O LIVEIRA 2009). Viele Zeitschriften, die unterrichtspraktische Handreichungen bzw. konkrete Unterrichtsvorschläge für den Fremdsprachenunterricht veröffentlichen, haben - mitunter sogar mehrmals - die Sprachmittlung als Schwerpunktthema gewählt (u.a. Der fremdsprachliche Unterricht Englisch, Französisch und Spanisch, Praxis Fremdsprachenunterricht, französisch heute und Hispanorama). Zusätzlich haben diverse Schulbuchverlage Aufgaben- und Materialsammlungen für den Fremdsprachenunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen auf den Markt gebracht (z.B. K ATEL - HÖN / N IED C URCIO 2012; S CHÖPP 2013; K ROGMEIER / P ANZER 2018). Auch wenn diese unterrichtspraktischen Materialien im Detail nicht immer gleichermaßen überzeugen können, zeigen sie doch in der Zusammenschau das große methodisch-didaktische Potenzial, das diese Makrokompetenz aufweist: z.B. für das integrierte Fertigkeitentraining, für die Vermittlung von Lernstrategien und das (inter-)kulturelle Lernen (vgl. K ÖNIG / M ÜLLER erscheint). In den letzten Jahren haben zudem mehrsprachigkeitsdidaktische Aspekte - wie etwa die Einbeziehung von Herkunftssprachen - den Diskurs um die Sprachmittlungskompetenz bereichert. Die bislang einzige Monographie zum Thema im deutschsprachigen Raum von K OLB (2016) bringt die verschiedenen Stränge des Diskurses zusammen und trägt zudem durch definitorische Präzisierungen und komplexe theoretische Modellierungen zu erhöhter konzeptioneller Klarheit bei. Die beobachtbare Konsolidierung der Sprachmittlungskompetenz in Theorie und Praxis gibt Raum dafür, neue Impulse zu setzen und innovative Perspektiven zu eröffnen. 2018 hat der Europarat einen ergänzenden Text zum GER herausgegeben, das Companion Volume with New Descriptors (C OUNCIL OF E UROPE 2018). Obgleich noch offen ist, ob und in welcher Form dieser Text fremdsprachendidaktische For- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 schungs- und Praxisfragen in Europa beeinflussen oder verändern wird, zeichnet sich bereits - auch in den Beiträgen in diesem Heft - ab, dass dessen Neubewertung der Sprachmittlungskompetenz wahrgenommen und kontrovers diskutiert wird. Das Companion Volume erklärt die Sprachmittlung (dort mediation) zu einem seiner Schlüsselkonzepte und unterzieht es gleichzeitig einer umfassenden Neumodellierung. Dabei werden der Begriff und das Konzept, um dessen Eingrenzung und Präzisierung die deutschsprachige Fremdsprachendidaktik in den letzten Jahren durchaus erfolgreich gerungen hat, wieder stark ausgeweitet und bis zur Unkenntlichkeit entgrenzt. Dieser erneuten Herausforderung für die Modellierung der Aktivität Sprachmittlung stellen sich A NDREA R ÖSSLER und B IRGIT S CHÄDLICH in ihrem den Heftschwerpunkt eröffnenden Beitrag. Sie zeigen zum einen das Innovationspotenzial auf, das diese Neuausrichtung beinhaltet, machen zum anderen aber auch deutlich, wo das Companion Volume ihrer Ansicht nach unnötiger Weise erneut definitorische Unschärfen und konzeptuelle Verunsicherungen erzeugt. R ALF W ESKAMP greift eine grundsätzliche Fragestellung auf, die in den letzten Jahren etwas aus dem Blick geraten ist. Er fragt aus spracherwerbstheoretischer Perspektive danach, welches Sprachlernpotenzial Sprachmittlungsaufgaben zugesprochen werden kann, und zeigt im Rahmen einer theoretischen Analyse, dass diese einen positiven Einfluss auf den Fremdsprachenlernprozess haben können. Von Anfang an hat man das besondere Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben für das interkulturelle Lernen herausgestellt. Auch deswegen dürfte dieser Aufgabentypus sich so schnell in den Curricula der Bundesländer und im schriftlichen Zentralabitur etabliert haben. L ENA K ROGMEIER untersucht in ihrer empirischen Studie u.a., ob sich die Erwartung, mit schriftlichen Sprachmittlungsaufgaben, interkulturelle Kompetenzen evaluieren zu können, erfüllt hat. M ARTINA L IEDKE -G ÖBEL eröffnet mit ihrem Beitrag die Perspektive lebensweltlicher Mehrsprachigkeit und setzt sich mit translatorischer Bewusstheit als möglicher Facette von Sprachmittlung auseinander. Sie diskutiert die Frage, ob das in erster Linie als sprachreflexives Handeln begriffene Konzept auch im Deutschunterricht gefördert werden kann und sollte. In ausdrücklicher Anbindung an das weite Sprachmittlungskonzept des Companion Volume stellt A LMUT K ÜPPERS ein Konzept für den Türkischunterricht vor, das für die Deutsche Schule in Istanbul entwickelt wurde, ihrer Einschätzung nach aber durchaus auch Potenzial für Schulen im bundesdeutschen Bildungssystem bereithalten könnte. Sie plädiert dabei für Mediation als Unterrichtsprinzip und bindet ihre Überlegungen an Zielsetzungen durchgängiger Sprachbildung und die Förderung sozialer Lernerautonomie an. D AGMAR A BENDROTH -T IMMER und K ATHARINA W IELAND untersuchen das Potenzial von Sprachmittlung für den bilingualen Sachfachunterricht Französisch. Der im Companion Volume neu integrierte Bereich der „Konzeptmittlung“ (mediating concepts) 8 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 48 (2019) • Heft 2 spielt dabei eine zentrale Rolle. Ihre Überlegungen gleichen sie mit den Ergebnissen einer Fragebogenerhebung unter Fremdsprachenlehrkräften ab, die in bilingualen Zügen tätig sind. Das Heft schließt mit dem Beitrag von L AURA N ICOLAS , die sich mit sprachmittelnden Prozessen im hic et nunc des Fremdsprachenunterrichts Französisch (als Fremdsprache) beschäftigt. Transkripte von videographierten Unterrichtseinheiten analysiert sie unter der Fragestellung, welche mittelnden Interaktionen in den Praktiken der Lehrenden und Lernenden beobachtbar werden und wie sich diese zu konstruierten Sprachmittlungsaufgaben verhalten. Die Aktivität Sprachmittlung weniger als komplex fabriziertes Aufgabenformat wahrzunehmen, das um Realitätsnähe nur mehr oder minder geglückt bemüht ist, und mehr als reale soziale Praktik im mehrsprachigen plurikulturellen und inklusiven (Schul-)Alltag, ist ein wesentliches Anliegen, das die Herausgeberinnen mit diesem Heftschwerpunkt verfolgen. Wir widmen diesen Heftschwerpunkt F RANK G. K ÖNIGS , dessen Arbeiten zur Sprachmittlung viele bis in die jüngste Zeit inspiriert haben, auch uns. Literatur B AUSCH , Karl-Richard / W ELLER , Franz-Rudolf (1979): Übersetzen und Fremdsprachenunterricht. Frankfurt: Diesterweg. C OUNCIL OF E UROPE (2018): Common European Framework of Reference for Languages: Learning, Teaching, Assessment. Companion volume with new descriptors. Strasbourg: Council of Europe. E UROPARAT (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt. F REUDENFELD , Regina / G ROSS -D INTER , Ursula / S CHICKHAUS , Tobias (Hrsg.) (2016): In Sprachwelten über-setzen. Beiträge zur Wirtschaftskommunikation in DaF und DaZ. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. H ALLET , Wolfgang (1995): „Interkulturelle Kommunikation durch kommunikatives Übersetzen. Lernziele des Übersetzens im schulischen Englischunterricht“. In: B EYER , Manfred / D ILLER , Hans-Jürgen / K ORNELIUS , Joachim / O TTO , Erwin / S TRATMANN , Gerd (Hrsg.): Realities of Translating. Heidelberg: Universitätsverlag C. Winter, 277-312. H OUSE , Juliane (1977): A Model for Translation Quality Assessment. Tübingen: Narr. K ATELHÖN , Peggy / N IED C URCIO , Martina (2012): Hand- und Übungsbuch zur Sprachmittlung Italienisch-Deutsch. Berlin: Frank & Timme. K OLB , Elisabeth (2016): Sprachmittlung. Studien zur Modellierung einer komplexen Kompetenz. Münster: Waxmann. K ÖNIG , Lotta / M ÜLLER , Jule Inken (erscheint): „Cultural Mediation. Die kulturelle Dimension von Sprachmittlung ausbauen (Basisartikel)“. In: Der fremdsprachliche Unterricht Englisch. 53/ 161. K ÖNIGS , Frank G. (1986): „Der Vorgang des Übersetzens. Theoretische Modelle und praktischer Vollzug“. In: Lebende Sprachen 1, 5-12. K ÖNIGS , Frank G. (1989): Übersetzungswissenschaft und Fremdsprachenunterricht. Neue Beiträge zu einem alten Thema. München: Goethe-Institut. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0016 K ROGMEIER , Lena / P ANZER , Dominique (2018): Sprachmittlung Spanisch. Vorbereiten, Anwenden, Verbessern. Stuttgart: Klett. M EYER , Meinert A. (1991): „Developing Transcultural Competence: Case Studies of Advanced Foreign Language Learners“. In: B UTTJES , Dieter / B YRAM , Michael (Hrsg.): Mediating Languages and Cultures. Clevedon: Multilingual Matters, 136-158. N IED C URCIO , Martina / K ATELHÖN , Peggy / B ASIČ , Ivana (Hrsg.) (2015): Sprachmittlung - Mediation - Mediazione linguistica. Ein deutsch-italienischer Dialog. Berlin: Frank & Timme. R EIMANN , Daniel / R ÖSSLER , Andrea (Hrsg.) (2013): Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht. Tübingen: Narr. R ÖSSLER , Andrea (2008): „Die sechste Fertigkeit? Zum didaktischen Potenzial von Sprachmittlungsaufgaben im Französischunterricht“. In: Zeitschrift für romanische Sprachen und ihre Didaktik 2.1, 53-77. S CHÄDLICH , Birgit (2012): „La mise en œuvre de la médiation linguistique dans l’enseignement des langues vivantes en Allemagne. Instructions officielles, manuels, pratiques de classe“. In: Etudes de linguistique appliquée, 167, 325-339. S CHÖPP , Frank (2013): Sprachmittlung Französisch. 44 Aufgaben A1-B2. Stuttgart: Klett. W ITTE , Arnd / H ARDEN , Theo / R AMOS DE O LIVEIRA , Alessandra (2009) (Hrsg.): Translation in Second Language Learning and Teaching. Bern: Lang.