Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2019-0017
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/81
2019
482
Gnutzmann Küster SchrammSprachmittlung revisited
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2019
Ralf Weskamp
flul4820010
DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 A NDREA R ÖSSLER , B IRGIT S CHÄDLICH * Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen in Zeiten des Companion Volume zum GER Abstract. Since the publication of the CEFR (2001), foreign language research has attempted to theorize the concept of mediation and to develop teaching materials and evaluation instruments on an empirical basis. The first part of this article presents the central results and open questions of this research work. The second part will examine whether and how the new concept of mediation as developed by the Companion Volume to the CEFR (2018) addresses the questions raised by this research, and explore the new perspectives this text offers. The main elements of the Companion Volume’s concept of mediation will be presented (mediating a text, mediating concepts, mediating communication, mediation strategies); these will be critically discussed with regard to issues such as the degree to which mediation can be distinguished from other communicative activities, especially in reception and interaction, the conception of otherness for (inter-)cultural learning, and the challenge of inclusion. 1. Einleitung Wer sich im fremdsprachendidaktischen Kontext derzeit mit dem Thema Sprachmittlung beschäftigt, wird unweigerlich mit der Frage konfrontiert, ob die Förderung dieser Kompetenz in Zeiten von DeepL und google translator nicht ohnehin obsolet geworden sei. Die digitale Translation hat durch die neuronalen maschinellen Übersetzungstechnologien gleichsam einen Quantensprung gemacht. Selbstlernende Systeme, die über künstliche Intelligenz verfügen und die ähnlich wie neuronale Netze funktionieren, haben die phrasenbasierte maschinelle Übersetzung ersetzt. Damit wurden die digitalen Übersetzungsprodukte so fundamental verbessert, dass sie nicht nur das Aufgabenformat Sprachmittlung, sondern auch andere Elemente fremd- * Korrespondenzadressen: Prof. Dr. Andrea Rössler, Philosophische Fakultät, Romanisches Seminar, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 H ANNOVER E-Mail: roessler@romanistik.phil.uni-hannover.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik, Wortschatzdidaktik, Sprachmittlung, Fremdsprachenpolitik. Prof. Dr. Birgit Schädlich, Seminar für Romanische Philologie/ Didaktik der Romanischen Sprachen, Georg-August-Universität Göttingen, Humboldtallee 19, 37073 G ÖTTINGEN E-Mail: birgit.schaedlich@phil.uni-goettingen.de Arbeitsbereiche: Literaturdidaktik/ Lesekompetenz, Sprachmittlung, Mehrsprachigkeit, Lehrerbildungsforschung. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 11 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 sprachlicher Lehr- und Lernprozesse, wie sie typisch für den schulischen Fremdsprachenunterricht sind, tangieren und prinzipiell in Frage stellen könnten. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, in Unterrichtsentwürfen bereits Sätze zu finden wie „C’est google-translator qui fera le travail pour nous! “. Damit wird Schülerinnen und Schülern als Scaffolding für die inhaltliche Auseinandersetzung mit einem anspruchsvollen französischen Text die Arbeit mit Übersetzungstools nahegelegt und gleichzeitig augenzwinkernd darauf hingewiesen, dass das Übersetzungsprogramm eben doch nur einen Teil der Aufgaben übernehmen kann, weil es u.a. nicht in der Lage ist, selektive, bewertende und restrukturierende Handlungen bei der Texterzeugung und -bearbeitung durchzuführen. Hier stellt der Fremdsprachenunterricht eine Möglichkeit dar, Textproduktionen, die im digitalen Raum unter Rückgriff auf künstliche Intelligenz mit gesteigerter Geschwindigkeit bereitgestellt werden können, zu entschleunigen und mehrperspektivischen Betrachtungen und Bewertungen, Reorganisationen und Detailanalysen zu unterziehen. Während über künstliche Intelligenz verfügende Programme wie DeepL für menschliche Intelligenz nicht bewältigbare Menge an Daten in kürzester Zeit analysieren und verarbeiten können, dürften sie bei bestimmten Operationen im Umgang mit Texten den menschlichen Fähigkeiten nach wie vor unterlegen sein: etwa bei kontext- und adressatenspezifischen Auswahlprozessen, Erklärungen und interpretierenden Bewertungen. Ebensolche Prozesse sind indes gerade für die Sprachmittlungskompetenz relevant, so wie sie derzeit noch im fremdsprachendidaktischen Diskurs definiert und modelliert wird. Reduktion, Selektion und Expansion sind also auch dann noch zu leisten und zudem kultur- und diversitätssensibel und adressaten- und situationsspezifisch auszurichten, wenn der google-translator eine weitaus bessere (Roh-)Übersetzung liefert als die mittlerweile überholten phrasenbasierten Programme. Die Verfeinerung und Perfektionierung des Hilfsmittels macht sprachmittelnde Aktivitäten (insbesondere in der mündlichen face-to-face-Kommunikation) nicht unentbehrlich. Denn hier wie auch in anderen Sprachlernkontexten gilt: Die Lernenden müssen sich auf die didaktischen Szenarien einlassen und ihre Fingiertheit akzeptieren und für die Aufgabenlösung auf ggf. verfügbare Hilfsmittel verzichten, wenn sie den eigenen Sprachlernprozess so effektiv und nachhaltig wie möglich gestalten wollen. Unreflektiertes Abschreiben, was im Prinzip immer möglich ist und auch ohne technologische Hilfsmittel schon früher stets möglich war (z.B. bei einem leistungsstarken Mitschüler), war und ist keine Option für den guten Fremdsprachenlerner. Wohl aber kann es in bestimmten Unterrichtsphasen, die in besonderer Weise Sprachbewusstheit und Sprachlernbewusstheit fokussieren, eine Option für Lehrende und Lernende gleichermaßen sein, die Produkte der neuen neuronalen Übersetzungsprogramme aus der Perspektive eines kultursensiblen Sprachmittlers und für einen bestimmten pragmatischen Kontext, also adressaten- und situationsorientiert, einer kritischen Revision zu unterziehen. Die größere Herausforderung für die Modellierung der Sprachmittlungskompetenz und den Einsatz von Sprachmittlungsaufgaben im Fremdsprachenunterricht stellt unseres Erachtens das Companion Volume with New Descriptors dar, das 2018 als 12 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Ergänzung zum GER von 2001 erschienen ist. 1 Wie wir im Folgenden zeigen werden, weist das Companion Volume (CV) der Aktivität Sprachmittlung eine weitaus exponiertere Stellung zu als bisher und modelliert sie zudem noch einmal neu. Welche Veränderungen und Erweiterungen das Sprachmittlungskonzept dabei konkret erfährt und ob bzw. inwiefern diese für den schulischen Fremdsprachenunterricht im bundesdeutschen Bildungssystem relevant sein oder gar neue Impulse geben können, wird Gegenstand der folgenden Abschnitte sein. Dazu werden wir zunächst die wesentlichen Charakteristika der Aktivität Sprachmittlung, so wie sie im GER von 2001 konzeptualisiert ist, in Erinnerung rufen (s. Abschnitt 2), um vor dieser Kontrastfolie die Merkmale ihrer Neukonzeptualisierung im CV stärker hervortreten zu lassen (s. Abschnitte 2.1 und 2.2). Der 3. Abschnitt beleuchtet zentrale Aspekte dieser Neuausrichtung kritisch und lotet ihr Potenzial für eine Weiterentwicklung der Sprachmittlung im Kontext des schulischen Fremdsprachenunterrichts aus (s. Abschnitt 3.1). Dabei geht es insbesondere um die Rolle, die Sprachmittlungsaktivitäten in einem diversitätssensiblen und inklusiven Unterricht spielen können, und um das Alteritätskonzept, das dem CV konzeptionell unterliegt und geeignet erscheint, dichotomisierende Kulturbegriffe zu problematisieren und zu überwinden (s. Abschnitte 3.2 und 3.3). Im Fazit (s. Abschnitt 4) positionieren wir uns abschließend zum Innovationspotenzial und zu den Defiziten des CV und formulieren die dringendsten Desiderata, die sich für uns daraus ergeben. 2. Vom GER (2001) zum Companion Volume (2018) Der GER modelliert die Sprachmittlung als mündliche oder schriftliche sprachliche Aktivität, bei der es darum geht, „Mittler zwischen Gesprächspartnern zu sein, die einander nicht direkt verstehen können, weil sie Sprecher verschiedener Sprachen sind (was der häufigste, aber nicht der einzige Fall ist)“ (E UROPARAT 2001: 89). Interlinguale Sprachmittlung in einer triadischen Kommunikationssituation ist somit der Regelfall, von dem ausgehend Sprachmittlungsaktivitäten im GER beschrieben und typologisiert werden; intralinguale Sprachmittlungsaktivitäten dagegen spielen dort eher eine untergeordnete Rolle, sind aber ausdrücklich miteingeschlossen (E UROPARAT 2001: 90). Die im GER präsentierten Formen der mündlichen und schriftlichen Sprachmittlung reichen vom Simultan-Dolmetschen und literarischen Übersetzen bis zum informellen Dolmetschen und schriftlichen Paraphrasieren oder Zusammenfassen der Kernaussagen von Texten (ebd.). Für alle Formen gilt, dass es dem Sprachmittler bzw. der Sprachmittlerin nicht darum gehen darf, seine/ ihre eigenen kommunikativen Absichten zum Ausdruck zu bringen, sondern darum, möglichst 1 Die Texte finden sich auf den Seiten des Europarates unter folgenden URLs: Die englischsprachige Version unter: https: / / rm.coe.int/ cefr-companion-volume-with-new-descriptors- 2018/ 1680787989 (07.06.2019). Die französischsprachige Version unter: https: / / rm.coe.int/ cecr-volumecomplementaire-avec-de-nouveaux-descripteurs/ 16807875d5 (07.06.2019). Eine Übersetzung ins Deutsche ist für 2020 angekündigt. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 13 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 neutral zwischen zwei Parteien zu mitteln, die sich nicht direkt verständigen können (oder zwischen einem Text und einem Gesprächspartner oder einer Gesprächspartnerin). Während in Deutschland die Aktivität Sprachmittlung in den überregionalen Bildungsstandards und den Curricula aller Bundesländer eine große Wirkkraft entfalten konnte, haben die anderen europäischen Länder bis auf wenige Ausnahmen 2 auf eine Integration dieser Aktivität in den schulischen Fremdsprachenunterricht bisher weitgehend verzichtet. In den letzten ca. fünf Jahren ist es im deutschsprachigen fremdsprachendidaktischen Diskurs insbesondere in Auseinandersetzung mit translationswissenschaftlichen Theorien gelungen, den Sprachmittlungsbegriff für den schulischen Kontext in überzeugender Weise einzugrenzen und zu definieren und Sprachmittlungskompetenz heruntergebrochen für den Fremdsprachenunterricht zu modellieren. Dabei liegt ein klarer Fokus auf der interlingualen Sprachmittlung einerseits und der informellen, inhaltsbearbeitenden Übertragung eines Ausgangstextes aus einer L1 in eine L2 (und vice versa) andererseits (vgl. R ÖSSLER / R EIMANN 2013: 12). Professionelle translatorische Aktivitäten, wie sie der GER inkludiert, sind im schulischen Fremdsprachenunterricht nicht gefordert. Stattdessen ist informelles Sprachmitteln gefragt, das nach den Prinzipien der adressatenspezifischen Inhaltsreduktion (Zusammenfassung und Paraphrasierung, situationsspezifische selektive Auswahl von Inhalten) und Expansion (ggf. notwendige Erläuterung von kulturspezifischen Konzepten und Begriffen) funktioniert. Dieses Verständnis von Sprachmittlung hat sich mittlerweile weitgehend etabliert und die Sprachmittlungskompetenz wurde nicht zuletzt durch die Integration entsprechender Aufgabenformate im schriftlichen Zentralabitur nahezu aller Bundesländer fest im deutschen Bildungssystem und im Fremdsprachenunterricht verankert. 2.1 Paradigmenwechsel im Companion Volume Schon ein kurzer Blick auf das Inhaltsverzeichnis des Companion Volume verdeutlicht, dass die Aktivität Sprachmittlung hier offensichtlich eine zentrale Rolle einnimmt, insofern sie neben der plurilingualen Kompetenz als „key aspect of the CEFR for teaching and learning“ ausgewiesen wird (vgl. C OUNCIL OF EUROPE 2018: 5). Ein zweiter, genauerer Blick offenbart, dass das Sprachmittlungsmodell aus dem GER sowohl in konzeptionell-theoretischer Hinsicht grundlegend revidiert als auch durch eine Vielzahl neuer Skalen und Deskriptoren konkretisiert wird. Dabei bezieht sich das CV ausdrücklich auf zwei zentrale Referenztexte zu Konzeption und Operationalisierung des Konzepts (C OSTE / C AVALLI 2015 und N ORTH / P ICCARDO 2016). Die fehlenden Skalen und Deskriptoren für die Sprachmittlung im GER von 2001, die das CV nun erstmals formuliert, dürfen als Ausgangspunkt für diese Entwicklung gelten: „One important aim of the current update, therefore, was to, finally, provide such 2 Einen besonderen Fall stellt Griechenland dar, wo vor allem die Entwicklung von Prüfungsaufgaben für nationale Sprachenzertifikate vorangetrieben und Sprachmittlung prioritär unter dieser Perspektive erforscht wurde (vgl. D ENDRINOS 2006; K OLB 2016: 74). 14 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 descriptor scales for mediation, given the increasing relevance of this area in education. In the consideration of mediation, descriptors for building on plurilingual and pluricultural repertoires were also added“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 47). Offensichtlich hat die Erkenntnis der wachsenden lebensweltlichen Bedeutung der Sprachmittlung aber darüber hinaus maßgeblich zu einer fundamentalen Revision des bisherigen Konzepts beigetragen. Diese Revision beinhaltet eine weitreichende Expansion des Sprachmittlungsbegriffs. In mediation, the user/ learner acts as a social agent who creates bridges and helps to construct or convey meaning, sometimes within the same language, sometimes from one language to another (cross-linguistic mediation). The focus is on the role of language in processes like creating the space and conditions for communicating and/ or learning, collaborating to construct new meaning, encouraging others to construct or understand new meaning, and passing on new informations in an appropriate form. The context can be social, pedagogic, cultural, linguistic or professional (ebd.: 103). Die Mittlung von Informationen in einer triadischen, in der Regel interlingualen Konstellation, wie sie kennzeichnend war für das Verständnis von Sprachmittlung im GER, tritt zurück zugunsten eines Konzepts, das die Weitergabe von Informationen an eine dritte Person, die nicht selbst direkten Zugang zu diesen hat (sei es aufgrund einer kulturellen oder einer sprachlichen Barriere), zwar inkludiert, aber nicht mehr als prioritär betrachtet. Ins Zentrum des Interesses tritt die gemeinsame Aushandlung von Bedeutung im Sinne von „Colloborating to construct meaning“ (ebd.: 106), auch zwischen Partnern, die kein Informations- oder Kompetenzgefälle und nicht unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten zum jeweiligen Text oder Sachverhalt aufweisen. Der bildungstheoretische Rahmen, der in der Einleitung zum CV abgesteckt wird (vgl. ebd.: 23f.), favorisiert ein Unterrichtskonzept, das Bildungsprozesse als plurilingual, interkulturell und inklusiv versteht. Eine besondere Aufgabe und Rolle der mittelnden Person als „social agent“ besteht so auch darin, zum Gelingen einer diversitätssensiblen und inklusiven Bildung beizutragen. Bildung und Erziehung werden damit generell als Mediationsprozess verstanden. Mehr noch: Mittelnde als „social agents“ spielen eine wichtige Rolle für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft, indem sie dazu beitragen können, allen einen möglichst gleichberechtigten Zugang zu Informationen und Teilhabe an der Konstruktion von Wissen und Bedeutung zu eröffnen. Mit diesem Paradigmenwechsel in der Konzeptualisierung der Sprachmittlungskompetenz geht zudem die Priorisierung der mündlichen Sprachmittlung einerseits und der intralingualen andererseits einher. Mehrfach wird explizit darauf hingewiesen, dass „[f]or all the descriptors in the scales in this section, Language A and Language B may be two different languages, two varieties of the same language, two registers of the same variety, or any combination of the above. However, they may also be identical: the CEFR is clear that mediation may be in one language“ (ebd.: 107). Das negotiation of meaning, das für den soziokonstruktivistischen Ansatz grundlegend ist, zieht sich entsprechend als roter Faden deutlich erkennbar auch durch die neuen Skalen und Deskriptoren, die Sprachmittlung weniger als Frage von Sprachwechseln modellieren als vielmehr als Ermöglichung von Bedeutungsaushandlungen Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 15 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 in verschiedenen Modalitäten, die auch Sprachwechsel umfassen können, aber nicht zwingend müssen. Wie sich im folgenden Kapitel zeigen wird, sind zudem weit mehr als die Hälfte der vorgestellten Sprachmittlungstypen mündlichen Kommunikationssituationen zuordenbar. 2.2 Kategorien und Typen der Sprachmittlung im Companion Volume Das CV unterscheidet drei Typen von Sprachmittlung, die unter dem Oberbegriff „Mediation activities“ gefasst werden: „Mediating a text“, „Mediating concepts“ und „Mediating communication“. Den drei Typen, die ihrerseits eine Vielzahl von Unterkategorien aufweisen, wird ein breites Strategienrepertoire an die Seite gestellt, das sich unterteilt in „Strategies to explain a new concept“ und „Strategies to simplify a text“ und je nach Bedarf in allen drei zuvor ausdifferenzierten Sprachmittlungstypen bzw. -situationen zum Einsatz kommen kann. ( Abb. 1, S. 16) Der Bereich „Mediating a text“ entspricht am ehesten der Konzeption von Sprachmittlung im GER von 2001, insofern es hier zentral um interlinguale Sprachmittlungsaktivitäten geht (vgl. ebd. 107-117) und um die Wiedergabe und die Erläuterung von Informationen, die für einen Dritten nicht direkt zugänglich bzw. verständlich sind, sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Kommunikation („Relaying specific information in speech/ in writing“ und „Explaining data“). Hierunter werden u.a. die Paraphrase und die Inhaltsangabe gefasst, aber auch die zusammenfassende Reorganisation und Erläuterung von Inhalten aus verschiedenen Textquellen (vgl. ebd.: 110), so auch Operationen wie die Ausweitung ‚dichter‘ Texte einerseits (durch erklärende Hinzufügungen) und die Straffung von Texten (wie etwa Kürzung von Redundanzen oder Fokussierungen). Dabei wird wie im GER ein breites Spektrum an Textsorten berücksichtigt, das auch visuelle und diskontinuierliche Texte umfasst. Den Sprachmittlungsaufgaben am ähnlichsten, die derzeit in nahezu allen Bundesländern im schriftlichen Zentralabitur eingesetzt werden (vgl. dazu K ROGMEIER in diesem Heftschwerpunkt und 2017), ist die Aktivität Processing text, „[which] involves understanding the information and/ or arguments included in the source text and then transferring these to another text, usually in a more condensed form, in a way that is appropiate to the context of situation“ (ebd.: 110). Strukturell wenig überzeugend, auch wenn man der Neukonzeptualisierung der Spachmittlungskompetenz im CV im Prinzip folgt, ist die Berücksichtigung der Aktivität „Note taking“ in diesem ersten Teilbereich der „Mediating activities“. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Abgrenzung von „activities“ zu „strategies“ plausibel trennscharf ist. Interessanter Weise wird mit der Kategorie „Translating a written text in speech/ in writing“ erneut das Übersetzen bzw. Dolmetschen berücksichtigt. Das wiederholte Insistieren darauf, dass hierbei keinesfalls „activities of professional translators“ (vgl. ebd.) gemeint sind, ist auch als Reaktion darauf zu lesen, wie die Modellierung der Sprachmittlungskompetenz im GER nach 2001 in verschiedenen europäischen Bil- 16 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Abb.1: Skalenkategorien zur Mediation im Companion Volume (C OUNCIL OF EUROPE 2018: 104) Collaborating to construct meaning managing interaction Encouraging conceptual talk Leading group work Collaborating in a group Facilitating collaborative interaction with peers Processing text in speech/ in writing Translating a written text in speech/ in writing Note taking (lectures, seminars, meetings, etc.) Expressing a personal response to creative texts (including literature) Analysis and criticism of creative texts (including literature) Mediating concepts Mediating communication Relaying specific information in speech/ in writing Explaining data (e.g. in graphs, diagrams, charts etc.) in speech/ in writing Mediation Activities Mediating a text Acting as an intermediary in informal situations Facilitating communication in delicate situations and disagreements Facilitating pluricultural space Linking to previous knowledge Breaking down complicated information Streamlining a text Amplifying a dense text Mediation Strategies Strategies to explain a new concept Strategies to simplify a text Adapting language Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 17 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 dungssystemen interpretiert wurde. So macht K OLB (2016: 78) darauf aufmerksam, dass in Frankreich Sprachmittlung keinen Eingang in die Lehrpläne gefunden hat und die lange Zeit dort übliche Übersetzungsaufgabe im Abitur zwar ab 2012 gestrichen, aber nicht durch eine Sprachmittlungsaufgabe ersetzt wurde. Als möglichen Grund für derlei zurückhaltende Reaktionen auf das Konzept führt sie aus, dass „unter dem Deckmantel der Einführung von Sprachmittlung die alte Praktik der Übersetzung als Prüfungsform wiederaufleben könnte“ (K OLB 2016: 78). Interessanterweise hat nun die jüngste Überarbeitung der französischen Lehrpläne für den Fremdsprachenunterricht „médiation“ doch als Kompetenz und Aufgabenformat integriert und differenziert die Kann-Deskriptoren in sehr enger - streckenweise sogar wörtlicher - Anlehnung an das CV (vgl. M INISTÈRE DE L ’E DUCATION N ATIONALE 2019). Die herausforderndste Kategorie des CV im Bereich der Neumodellierung der Sprachmittlung stellt ohne Frage „Mediating concepts“ dar. Auch wenn dies nicht explizit gemacht wird, dürften sich die hier subsumierten Aktivitäten in erster Linie auf mündliche und intralinguale Kommunikationssituationen beziehen. Sie werden unterteilt in „relational mediation“ auf der einen und „cognitive mediation“ auf der anderen Seite. In beiden Teilgebieten geht es um kooperatives Aushandeln von Bedeutung und die gemeinsame Entwicklung von Ideen und Lösungsstrategien in Partner- oder Gruppenarbeit und deren Zusammenführung und Diskussion in Plenumsphasen. Die „relational mediation“ schafft für diese Aushandlungs- und Problemlösungsprozesse den sozialen und atmosphärischen Rahmen. Dem Mediator bzw. der Mediatorin kommt in diesem Kontext die Aufgabe zu, entweder als gleichwertiges Gruppenmitglied („Facilitating collaborative interaction with peers“) oder als verantwortlich Steuernde („Managing interaction“) Diskussionsprozesse zu ermöglichen, zu gestalten und in problematischen Phasen sensibel und multiperspektivisch die Kommunikation aufrechtzuerhalten und Missverständnissen oder anderen Kommunikationsproblemen vorzubeugen bzw. konstruktiv zu begegnen. Es geht hier also um weit mehr als um sprachliche Mittlungsprozesse bzw. Wissens- oder Informationstransfer. Exemplarisch angeführt seien Aktivitäten wie „collaborate on a shared task, for example formulating and responding to suggestions, asking whether people agree, and proposing alternative approaches or show sensitivity to different perspectives within a group, acknowledging contributions and formulating any reservations, disagreement or criticisms in such a way as to avoid or minimize any offence“ (ebd.: 119). Sie verdeutlichen, dass bereits in dieser zweiten Kategorie Sprachmittlungsaktivitäten zumindest auch als konstruktiver Umgang mit unterschiedlichen Perspektiven, Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Streitschlichtung, also im Sinne von Mediation im deutschsprachigen Kontext, verstanden werden. Das Anforderungsprofil aus dem Bereich „Managing interaction“, bei dem der Mittler/ die Mittlerin nicht als Mitglied einer Gruppe agiert, sondern als deren Leiter/ in, legt überdies nahe, Mediationsprozesse auch als Lehr- und Lernszenarien zu denken: „Can organise a varied and balanced sequence of plenary, group and individual work, ensuring smooth transitions between the phases“ (vgl. ebd.: 121). Somit sind sowohl kollaboratives Lernen in der (Klein-)Gruppe als auch die Steuerung des Lernprozesses durch eine übergeordnete 18 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Person, die individuelle, kolloborative und kollektive Arbeitsphasen miteinander verzahnt und koordiniert, als Mediationsprozess zu verstehen. Nach diesem Verständnis können Lernende wie Lehrende in die Rolle des Mediators bzw. der Mediatorin schlüpfen. „Cognitive mediation“ referiert im Unterschied zu „relational mediation“ auf den inhaltlichen Aushandlungsprozess. Hier steht primär das Ziel „developing ideas together“ im Fokus, zu dessen Erreichen der Mediator oder die Mediatorin etwa durch zielführendes Zusammenfassen, Hervorheben argumentativer Unstimmigkeiten oder Weiterentwickeln von Konzepten beitragen kann. Mithin sind hier weniger soziale Intelligenz und Kommunikationsstrategien denn analytische und kognitive Fähigkeiten gefragt, mit denen der Diskussions- und Problemlösungsprozess inhaltlich vorangebracht werden kann. Der oder die Mittelnde wird als kompetenter und argumentationsstarker Initiator und Motor von Prozessen verstanden, in denen kollaborativ neues Wissen generiert wird. „Mediating communication“ dagegen, der dritte Teilbereich, knüpft an ein Verständnis an, das zumindest im deutschsprachigen Raum schon seit Mitte der 1980er Jahre im Kontext der Theorie interkultureller Kommunikation diskutiert und am klarsten von K NAPP und K NAPP - POTTHOFF (1985) vorgetragen wurde. Die beiden Autoren verstehen unter Sprachmittlung eine nicht-professionelle, alltagspraktische Tätigkeit, bei welcher der Sprachmittler bzw. die Sprachmittlerin als Kulturmittelnde in einer interlingualen Kommunikationssituation (ggf. mit eigenen Mittlungsintentionen z.B. zur Klärung und Vermeidung von Missverständnissen) agiert. Der Sprachmittlungsbegriff bleibt dabei auf die face-to-face-Kommunikation in mündlichen mehrsprachigen Kontexten begrenzt. Dieses Begriffsverständnis entspricht den in dieser Kategorie angeführten Teilbereichen „Acting as an intermediary in informal situations“ und „Facilitating communication in delicate situations and disagreements“ (ebd. 124f.). So integriert das CV explizit Aspekte von Mittlung, die bei der Rezeption des GER von 2001 noch konträr diskutiert wurden. Sie betreffen die Frage, ob der Sprachmittlungsbegriff auch Mediation im Sinne von Vermittlung oder gar Streitschlichtung beinhalten soll. K ÖNIGS beispielsweise plädiert dafür, im deutschsprachigen Diskurs auf den Terminus Mediation ganz zu verzichten, denn dieser „bezeichnet eigentlich die Konfliktvermeidung bzw. -behebung; er sollte daher im Zusammenhang mit dem Sprachmitteln keine Verwendung finden“ (K ÖNIGS 2010: 86). S CHÄDLICH (2016: 85) dagegen sieht Überschneidungen zwischen beiden Konzepten und formuliert grundsätzliche Zweifel daran, dass der Mittelnde überhaupt eine neutrale Position zwischen den beiden in Rede stehenden Parteien einnehmen könne. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 19 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 3. Ausweitung des Sprachmittlungskonzepts: problematische Expansion oder innovativer Impuls? Während das weite Sprachmittlungskonzept aus dem GER von 2001 in seiner Interpretation durch die fremdsprachendidaktische Theorie und die Material- und Aufgabenentwicklung für die unterrichtliche Praxis stark eingegrenzt und heruntergebrochen wurde, vollzieht das CV nun die entgegengesetzte Bewegung und expandiert, wie wir unter 2.1 und 2.2 bereits gesehen haben, das Begriffsverständnis in fundamentalerer Weise als zuvor. Dazu wollen wir im Folgenden einige grundsätzliche Überlegungen anstellen, die Chancen und Grenzen dieser Neuausrichtung des Sprachmittlungsbegriffs in den Blick nehmen. 3.1 Bedenkenswertes und Bedenkliches Eine prominente Position nehmen im CV die Sprachmittlungsstrategien ein (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 126-129). Hier wird eine Vielzahl sprachlicher Praktiken und Techniken modelliert und in Kann-Deskriptoren konkretisiert, die sich auf die interaktionale Ebene des Unterrichts beziehen. Damit wird die Ebene der Unterrichtshandlungen einbezogen und zudem ein Problem behandelt, das im Kontext des engeren Begriffsverständnisses des GER von 2001 kaum berücksichtigt wurde, die Tatsache nämlich, dass mittelnde und translatorische Tätigkeiten permanent und natürlicherweise im Fremdsprachenunterricht auftreten: in Erklärungen, bei der Wortschatzarbeit, in Bedeutung aushandelnden Phasen von Gruppenarbeiten etc. Dementsprechend hat sich beispielsweise N ICOLAS (2012 und in diesem Heft) bereits früh für „spontane Übersetzungen“ im Fremdsprachenunterricht interessiert, die sie mit konversationsanalytischen Methoden beschreibt und deren typische Muster sie abstrahiert. Mit Blick auf Sprachmittlungsaufgaben in neueren Lehrwerken und Unterrichtsmaterialien für den Fremdsprachenunterricht wurde zudem immer wieder darauf hingewiesen, dass diese häufig schwer verständlich seien und der Authentizität entbehrten. Damit sind sie nicht zuletzt gerade für sprachlich heterogene Gruppen insofern problematisch, als dass dort nicht alle Schülerinnen und Schüler über gleiche oder auch nur ähnliche Kompetenzen in den beteiligten Sprachen verfügen und bereits zum Verstehen eines deutschsprachigen Ausgangstextes oder bei der Vorbereitung von Rollenspielen zu trialogischen Kommunikationssituationen umfangreiche Mittlungsprozesse initiieren, die ihrerseits aber nicht Teil der Aufgabe sind. Das erweiterte Mittlungskonzept des CV, so wie es sich in den „Mediation strategies“ und vor allem in der Kategorie „Mediating concepts“ manifestiert, setzt genau dort an und integriert auch diese ‚natürlichen‘ Mittlungsprozesse und zwar unabhängig davon, ob sie in pluri- oder monolingualen Kontexten erfolgen. Die Opposition, die bei der Implementierung der Sprachmittlung in Folge ihrer Modellierung im GER von 2001 zwischen ‚natürlichen‘ Mittlungen einerseits und stark gesteuerten, häufig als hochgradig artifiziell wahrgenommenen Sprachmittlungsaufgaben andererseits entstanden ist, wird 20 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 so insofern überwunden, als Mittlung auch als inhaltsbezogenes sprachliches Handeln und Aushandeln von Bedeutung konzeptualisiert und in Deskriptoren konkretisiert wird. Aus unserer Sicht problematisch ist das neue Begriffsverständnis indes dort, wo es eine triadische Konstellation (sei es zwischen zwei Personen und einem/ r Sprachmittler/ in oder zwischen einer Person, einem Text/ Artefakt und einem Sprachmittler oder einer Sprachmittlerin) nicht mehr als konstitutiv für das Konzept betrachtet: Mediating a text involves passing on to another person the content of a text to which they do not have access, often because of linguistic, cultural, semantic or technical barriers. This is the main sense in which the CEFR uses the term mediation. The first set of descriptor scales offered are for this, usually cross-linguistic, interpretation which is increasingly being incorporated into language curricula (in e.g. Switzerland, Germany, Austria, Italy, Greece and Spain). However, the notion has been further developed to include mediating a text for oneself (for example in taking notes during a lecture) or in expressing reactions to texts, particularly creative and literary ones (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 106) [Herv. A.R./ B.S.]. Hier wird ausdrücklich auch das „für sich selbst mitteln“, also einen schriftlichen oder mündlichen Text zum besseren eigenen Verständnis zusammenfassen, reduzieren oder vereinfachen als Sprachmittlungsprozess bezeichnet. Wenn wir jedoch bereits individuelle Rezeptionsprozesse, mithin die Interaktion zwischen Text und einem/ r Leser/ in oder Hörer/ in mit dem Ziel des Textverstehens, als „mediation activity“ kategorisieren, dann ist im Zusammenspiel mit den anderen Mediationstypen („mediating text (for others)“, „mediating communication“ und „mediating concepts“) im Prinzip jede Form sprachlichen Handelns bzw. jedwede Kommunikation als Sprachmittlung zu fassen und keine Eingrenzungsmöglichkeit mehr gegeben. Das wirft die Frage auf, was der Begriff „Mediation activity“ überhaupt noch Spezifisches meinen kann, wenn er im Grunde alle Teilbereiche kommunikativen Handelns inkludiert. Ebenso problematisch erscheint uns, dass auch die Rezeption literarischer Texte im CV unter der Kategorie „Mediating a text“ gefasst wird. Zunächst mag eine Zuordnung zu den mittelnden Aktivitäten insofern plausibel sein, als auf diese Weise das dialogisierende Moment der literarischen Rezeption akzentuiert wird. Schulische Kontexte oder Lesezirkel haben gemeinsam, dass sie einen Rahmen darstellen, in dem über Literatur gesprochen oder geschrieben wird: Die Rezeption des Textes wird dabei in neuen Texten expliziert und damit als Interaktion zwischen Text und Leser sichtbar (vgl. S CHÄDLICH , erscheint). Trotz dieser grundsätzlichen Plausibilität erscheint die Zuordnung letztlich aber doch problematisch, weil die Trennschärfe zu anderen Bereichen nicht gegeben ist. So lassen sich beispielsweise Überschneidungen zu den Skalen „Creative writing“ und „Written reports and essays“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 76f.) feststellen. Hier könnte man fragen, ob nicht die Trennschärfe nur gegeben wäre, wenn der Aushandlungsprozess ausdrücklich an eine dritte Person gebunden und damit eine typisch triadische Mittlungssituation modelliert würde. Dies ist zwar implizit durch den Verweis darauf, dass Literatur Reaktionen hervorruft, gegeben; der Einleitungstext zu den Literaturskalen erläutert: „However, literature tends to evoke a reaction, and this is often promoted in language education. This Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 21 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 response may be expressed in a classroom or in one of the amateur literacy circles often associated with foreign language learning“ (ebd.: 115). In den Skalen selbst bleibt das dialogische Moment jedoch unausgeführt: Weder in der ersten noch in der zweiten Kategorie geht es explizit um einen interpretatorischen Aushandlungsprozess über den jeweiligen literarischen Text mit einer dritten Person. Auch hier liegt also keine triadische Situation vor und es wird kein Adressat genannt für die jeweiligen Deutungen des literarischen Textes. Die Skalen differenzieren zwischen „Expressing a personal response to creative texts (including literature)“ und „Analysis and criticism of creative texts (including literature)“. Aus den jeweiligen Deskriptoren wird ersichtlich, dass zum einen persönliche Reaktionen auf literarische Texte gemeint sind wie etwa Emotionen oder Erinnerungen, die die Lektüre hervorgerufen hat, und subjektive Deutungen, die den Text stark auf die eigene Erfahrungswelt beziehen. Zum anderen sind analytische und interpretatorische Fähigkeiten beim Umgang mit literarischen Texten gefordert; diese reichen von Analysen der Figuren über das Erkennen und Deuten rhetorischer Mittel und uneigentlicher Sprache bis hin zu genre- oder gattungsspezifischen und literaturhistorischen Interpretationen. Mit beiden Kategorien ist das Spektrum an Teilkompetenzen abgedeckt, das heute im deutschsprachigen fachdidaktischen Diskurs in der Regel unter dem Terminus „Literarische Kompetenz“ gefasst wird. Dass auch die Aktivität „mediation concepts“ nicht unproblematisch ist, zeigt sich spätestens bei einem Blick auf die unmittelbar vor den „mediation activities“ verhandelte Kategorie „interaction activities“ (ebd.: 83-102). Unter der Kategorie „Goal oriented co-operation“ werden Aktivitäten subsumiert, die sich als schwer unterscheidbar erweisen von Aktivitäten, die, wie wir oben bereits gesehen haben, in die Subkategorie „managing interaction“ eingeordnet werden. So heißt es für das Niveau C1 in der Kategorie „Goal oriented co-operation“ beispielsweise „Can frame a discussion to decide a course of action with a partner or group, reporting on what others have said, summarising, elaborating and weighing to multiple points of view“. Das offenbart ein grundsätzliches Abgrenzungsproblem zwischen Interaktion und Mediation immer dann, wenn es um dialogische Aushandlungs- und Lösungsprozesse geht und keine dritte Instanz, sei es ein Text oder eine Person, mit der nicht direkt kommuniziert werden kann, involviert ist. Wir betrachten die triadische Grundkonstellation deswegen als konstitutiv für den Sprachmittlungsprozess und fassen somit kooperative Bedeutungsaushandlungsprozesse und kollaborative Wissenskonstruktion („mediating concepts“) nur dann als Sprachmittlung (inter- und intralingual), wenn mindestens eine der daran beteiligten Personen keinen direkten bzw. barrierefreien Zugang zu einem Text bzw. mündlichen Äußerungen hat und einer mittelnden Instanz bedarf. Nur so kann Mediation von Interaktion einerseits und individuellen Verstehensprozessen („mediating a text for oneself“) andererseits abgegrenzt werden. 22 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 3.2 Mit Alterität umgehen statt zwischen „Fremdem“ und „Eigenem“ vermitteln Das Kulturverständnis, das vielen (wenn nicht allen) Sprachmittlungsaufgaben zugrunde liegt, die im Fremdsprachenunterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland eingesetzt werden, lehnt sich zumeist unausgesprochen an das Herdersche Kugelmodell an (vgl. A BENDROTH -T IMMER / P LIKAT 2017: 11). Damit werden Kulturen als nach innen homogen und nach außen abgrenzbar modelliert. Die Aufgaben sind so konzipiert, dass in der Regel zwischen Kultur A und Kultur B vermittelt und davon ausgegangen wird, dass die Sprecherinnen und Sprecher repräsentative Vertreter der in der jeweiligen Kultur (vermeintlich vorherrschenden) Kulturstandards sind. Zudem wird Kultur in vielen Aufgabenstellungen mit Kulturnation gleichgesetzt. Trotzdem erheben Sprachmittlungsaufgaben den Anspruch, für das inter- und transkulturelle Lernen eine besondere Relevanz entfalten zu können. Durch ihre Kulturen dichotomisierende Anlage, die Mittlung zwischen einer als homogenisierend gedachten Ausgangssprache und -kultur in eine ebenso verstandene Zielsprache und -kultur notwendig macht, tragen sie aber paradoxerweise gerade zur Zementierung eines Kulturverständnisses bei, das Eigenes und Fremdes als binäres kulturelles Oppositionspaar betrachtet. Das CV und einer seiner wichtigsten Bezugstexte, Education, mobilité, altérité. Les fonctions de médiation de l‘école (C OSTE / C AVALLI 2015) können hier durch den Rückgriff auf das Konzept der Alterität zu einer Überwindung dieses dichotomisierenden Kulturmittlungsprozesses beitragen. C OSTE / C AVALLI widmen ausgedehnte Teile ihres Textes der Auseinandersetzung mit dem Begriff der Alterität. Alterität ist ihrem Verständnis nach keine einem Gegenüber innewohnende Eigenschaft, sondern die Konstruktion eines/ einer Wahrnehmenden: „une différence pour moi ou pour nous, une différence relative à un sujet percevant, pensant, agissant“ (C OSTE / C AVALLI 2015: 19). Schulisches Lernen stellen sie als einen Prozess dar, der über Mediation die Annäherung an und Aneignung von Alterität ermöglicht: „Et c’est bien là que la médiation va trouver à s’exercer comme moyen de réduire la distance ou de faciliter l’approche entre l’acteur mobile et l’altérité“ (C OSTE / C AVALLI 2015: 20). Statt von Ausgangs- und Zielkultur sprechen die beiden Autoren von „groupe d’appartenance“ und „groupe de réference“ und vermeiden so den Eindruck, Gruppenzugehörigkeiten seien (allein) nationalsprachlich und -kulturell geprägt. (Sprach-)gemeinschaften werden neutral als „communautés de pratiques“ (im Sinne von L AVE / W ENGER 1991) definiert und als grundlegend plural verstanden: Jedes Individuum ist Teil verschiedener Gruppen („groupes d’appartenance“) und „communautés de pratique“, die ihrerseits durch bestimmte Sprachen gekennzeichnet sind (vgl. C OSTE / C AVALLI 2015: 23). Davon ausgehend kommentieren C OSTE / C AVALLI (2015: 31) auch die Begriffe intra- und interkulturelle Kompetenz (vgl. Abschnitt 3.2: „Compétences et cultures“) und schlagen als Alternative den Neologismus der „compétence alterculturelle“ („altercultural competence“) vor. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Alterität wahrzunehmen, anzuerkennen und in einen offenen und konstruktiven Austausch mir ihr einzutreten. Auch wenn in der Einlei- Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 23 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 tung zum CV noch von „intercultural education“ (vgl. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 23) und in den Deskriptoren der neuen Skalen gelegentlich von „intercultural encounters“ oder „intercultural exchange“ die Rede ist (vgl. ebd.: 123), so ist doch deutlich die Tendenz erkennbar, den häufig verengt interpretierten Begriff des Interkulturellen durch plurale Bezugspunkte auszuweiten und dadurch stärker an die Förderung einer plurilingualen und plurikulturellen Kompetenz als „capacity to deal with ‚otherness‘“ (vgl. ebd.: 157) zu koppeln. Hierin liegt eine große Chance, auch andere curriculare Texte hinsichtlich unterliegender Kulturkonzepte zu befragen und gegebenenfalls zu erweitern bzw. zu korrigieren. 3.3 Sprachmittlung als Beitrag zur barrierefreien Kommunikation auch im Fremdsprachenunterricht Im Mai 2008 sind die UN-Behindertenrechtskonvention und damit Inklusion als Ziel des Bildungswesens in Deutschland (2010 auch in der gesamten EU und mittlerweile in mehr als 170 Staaten) in Kraft getreten. Das stellt den Unterricht an allgemein- und berufsbildenden Schulen vor große Herausforderungen. Die Inklusion sichert allen Kindern und Jugendlichen, auch denen mit diagnostiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf, den freien und gleichberechtigten Zugang zu allen allgemeinbildenden Schulformen in der Bundesrepublik Deutschland zu. Auch wenn das deutsche Schulsystem dieses Angebot derzeit noch nicht flächendeckend sicherstellen und umsetzen kann (vgl. S CHLAAK 2015: 10), ist doch der Anteil inklusiver Bildungsformen und Bildungseinrichtungen in den letzten 10 Jahren stark gestiegen. Auch inklusiver Fremdsprachenunterricht ist keine Seltenheit mehr. So nimmt es nicht wunder, dass schon in der Einleitung zum CV an exponierter Stelle die Bedeutung der inklusiven Bildung auch für das Fremdsprachenlernen unterstrichen wird (vgl. z.B. C OUNCIL OF E UROPE 2018: 25). 3 Damit soll eine möglichst barrierefreie Partizipation und Förderung aller Lernenden im Fremdsprachenunterricht sichergestellt werden. Dies dürfte ein weiterer Grund dafür sein, warum den „mediation activities“ ein so hoher Stellenwert im CV zugesprochen wird. So können Sprachmittlungsaktivitäten in inklusiven Bildungskontexten eine bedeutende Rolle erhalten, gerade wenn man wie das CV den Mittler als „social agent“ versteht, der allen Aktanten im Unterricht, unabhängig von sprachlichen, kulturellen oder sonstigen Barrieren, Zugang verschaffen soll zu Inhalten und Informationen und Teilhabe an Bedeutungsaushandlungs- und Lösungsprozessen ermöglicht. Zwar wird noch zu diskutieren und auszuhandeln sein, wie die Fremdsprachendidaktik und der Fremdsprachenunterricht in der BRD mit diesem expandierten Sprachmittlungskonzept in Zukunft konkret umgehen und wie sie es auf ihre spezifischen Anforderungen und Lernziele herunterbrechen können. Doch das 3 Der Text des CV verwendet einen weiten Begriff von Inklusion und geht nicht explizit auf spezifische Beeinträchtigungen ein. Dennoch mag die Integration von Skalen zur Gebärdensprache als eine wesentliche Neuerung des CV erwähnt werden, die sprachliche Diversität auch jenseits von Lautsprachen mitdenkt (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 145f.) und auf diese Weise Zuschreibungen von ‚Behinderung‘ selbst zur Diskussion stellt. 24 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 Potenzial, das der erweiterte Sprachmittlungsbegriff, den das CV stark macht, für einen inklusiven Fremdsprachenunterricht eröffnet, dürfte davon unabhängig erkannt und genutzt werden. Dafür möchten wir im Folgenden Perspektiven aufzeigen. Zumindest im bundesdeutschen Kontext ist bisher die intralinguale Sprachmittlung als Aufgabenformat im Fremdsprachenunterricht nahezu unberücksichtigt geblieben. Im GER von 2001 wird sie zwar erwähnt (s.o.), aber eher am Rande verhandelt. Im CV dagegen kommt ihr eine bedeutsame Rolle zu. Dies gilt insbesondere für die Teilbereiche „mediating concepts“ und „mediating a text“. In einem inklusiven Fremdsprachenunterricht können intralinguale Sprachmittlungsaktivitäten z.B. dafür genutzt werden, Schülerinnen und Schülern mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen im Sprach- und Leseverstehen den Zugang zu authentischen fremdsprachlichen Texten zu erleichtern. Auch für die barrierefreie Teilhabe an gemeinsamen Bedeutungsaushandlungsprozessen im Sinne von „mediating concepts“ können so bessere Voraussetzungen geschaffen werden. Je nach dem Grad der Lernschwierigkeit oder Lernbehinderung kann neben der Reduktion sprachlicher und inhaltlicher Komplexität auch die Expansion notwendig sein, etwa zur Erläuterung (nicht nur) kulturspezifischer Begriffe und Sachverhalte, die den Erfahrungs- und Wissenshorizont des jeweiligen Adressaten mit besonderem Förderbedarf übersteigen. Damit wird ein intralinguales Sprachmittlungsszenario geschaffen, das einen authentischen Mittlungsanlass im Sinne eines handlungsorientierten Fremdsprachenunterrichts nutzt. Dieses Szenario ist sowohl in eher mündlichen Kontexten („mediating concepts“) als auch in schriftlichen Kommunikationssituationen („mediating a text“) vorstellbar. In schriftlichen Szenarien im fremdsprachlichen Unterricht könnte überdies das Konzept der Leichten Sprache, das bisher im schulischen Kontext prioritär im (zieldifferenten) inklusiven Fachunterricht eingesetzt wird, zum Tragen kommen. 4 „Leichte Sprache ist eine sogenannte ‚Vermittlungsvarietät‘, die darauf abzielt, mit zahlreichen syntaktischen, lexikalischen und typographischen Mitteln möglichst verständliche Texte zu erzeugen“ (B OCK 2015: 11; zitiert nach C HRISTMANN 2017: 35). „Im Vordergrund steht dabei eine spezielle Adressatengruppe, nämlich Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. Aber auch andere Personenkreise, denen das Lesen Schwierigkeiten bereitet, werden angesprochen, wie etwa Migranten, funktionale Analphabeten oder gering literalisierte Personen“ (C HRISTMANN 2017: 35f.). Leichte Sprache ist somit ein Beispiel für barrierefreie Kommunikation par excellence und wird heute in der Linguistik in der Regel als eine „funktionale“ oder „regulierte Varietät“ (vgl. B OCK / F IX / L ANGE 2017a: 12) betrachtet, die „primär auf (medial) schriftliche Ausgangstexte bezogen“ (ebd.) wird. In neuester Zeit gibt es indes auch immer mehr mündliche Texte in Leichter Sprache, etwa Nachrichten der großen Hörfunksender. Das Phänomen ist in der Praxis entstanden (vgl. M AAß 2015: 26), Regeln 4 Außerhalb des schulischen Kontextes wird Leichte Sprache vor allem in juristischen und administrativen Verlautbarungen und Regelwerken verwendet, aber zunehmend auch in den Medien (z.B. bei Nachrichten und Informationssendungen) eingesetzt, um eine barrierefreie Kommunikation zu ermöglichen. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 25 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 für das Verfassen von Texten in Leichter Sprache wurden im Nachhinein von verschiedener Seite in unterschiedlicher Detailliertheit aufgestellt und veröffentlicht (vgl. ebd.). Je nach Verwendungskontext ist das Regelwerk sehr umfangreich und präzise (z.B. für juristische Kontexte, Webauftritte des Bundes und der Länder, Wahlinformationen und -programme). Von besonderer Bedeutung sind die Regeln zur Leichten Sprache in der Barriere-Informations-Verordnung (BITV 2.0) 5 , die als Ergänzung zum Behindertengleichstellungsgesetz verabschiedet worden ist (ebd.: 28). Sie normiert in nur 13 Regeln die „barrierefreie[n] Gestaltung von Webauftritten und Intranetangeboten von Bundesbehörden“ (ebd.). Damit sind sie das erste offizielle Instrument zur Normierung des Leichte-Sprache-Konzepts. M AAß betont, dass sie als solches maßgeblich dazu beigetragen haben, das Konzept bekannt zu machen und zu etablieren (vgl. ebd.). Gleichzeitig stellt sie jedoch fest, dass dieses Regelwerk linguistischen Ansprüchen nur bedingt genügen kann. Das ist aus wissenschaftlicher Perspektive und mit Blick auf professionell Übersetzende bzw. Sprachmittelnde sicher richtig, für den hier in Rede stehenden schulischen Kontext ist jedoch gerade die quantitative Reduktion des Regelwerks und seine Konzentration auf eine überschaubare und auch Laien verständliche Anzahl linguistischer Besonderheiten von Interesse. Das Regelwerk und auf seiner Grundlage entstandene Texte könnten, das wäre in Theorie und Praxis zu prüfen, einen Leitfaden darstellen bzw. Modellcharakter erlangen sowohl für die intralinguale als auch für die interlinguale Mittlung komplexer zielsprachlicher Lese- oder Hörverstehenstexte für Mitschülerinnen und Mitschüler mit Lernschwierigkeiten oder Lernbehinderungen im inklusiven Fremdsprachenunterricht. 4. Fazit Das Sprachmittlungskonzept des GER von 2001 erfährt im Companion Volume with New Descriptors nicht nur erneut eine Ausweitung, sondern auch eine grundlegende Neuausrichtung. Professionelles Dolmetschen und Übersetzen werden nunmehr explizit ausgenommen, stattdessen wird jede Form der Bedeutungsaushandlung zwischen Kommunikationspartnern und -partnerinnen in Bildungskontexten - in welcher Sprache und Varietät auch immer - als mediation verstanden. Hierzu zählen nicht nur mündliche und schriftliche Interaktionen zwischen zwei oder mehreren Personen, sondern auch individuelle Textverstehensprozesse, also Interaktionen zwischen einem Text und einem Rezipienten. Das hebt aus unserer Sicht die triadische Grundkonstellation der Sprachmittlung auf und macht das Besondere dieser Aktivität unkenntlich. Nichtsdestotrotz sehen wir an anderen Stellen dieses expandierten Konzeptes auch Ansatzpunkte und Potenzial für die Weiterentwicklung und Neuakzentuierung des bis dato im schulischen Kontext etablierten Sprachmittlungsbegriffs. Die Begründung, 5 Sie finden sich frei zugänglich im Internet unter: https: / / www.gesetze-im-internet.de/ bitv_2_0/ BITV _2.0.pdf 26 Andrea Rössler, Birgit Schädlich DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 48 (2019) • Heft 2 die das CV für dessen Erweiterung anführt, zeigt noch einmal explizit auf die zentrale Argumentationslinie: „This wider approach has been taken because of its relevance in increasingly diverse classrooms, in relation to the spread of CLIL, (Content and Language Integrated Learning), and because mediation is increasingly seen as a part of all learning, but especially of all language learning“ (C OUNCIL OF E UROPE 2018: 33). Diese Argumentationslinie betont die besondere Relevanz der Sprachmittlung in Zeiten wachsender Heterogenität von Lerngruppen und setzt einen wichtigen Impuls für die Entwicklung von diversitätssensiblen Lehr- und Lernszenarien. Wir haben diese Linie aufgenommen und unter Rückgriff auf das Konzept der Leichten Sprache weitergeführt. Die in diesem Zusammenhang skizzierten kooperativen Lernverfahren in heterogenen Kleingruppen oder Tandems sind auch in anderen Lernkontexten denkbar, etwa in Sprachlernklassen oder in bilingualen Modulen (vgl. den Beitrag von A BENDROTH - TIMMER / W IELAND in diesem Heft), wo die Lernenden über unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen und/ oder sachfachliche Kenntnisse und abweichendes Weltwissen verfügen. All diesen Szenarien ist gemein, dass der Einsatz von Sprachmittlungsaktivitäten auf mehr Kooperation und „soziale Lernerautonomie“ (vgl. S CHMENK 2012) im Klassenraum abzielt, auf mehr gemeinsame Verantwortlichkeit für das Gelingen des (Sprach-)Lernprozesses, ein Anliegen, das auch K ÜPPERS in ihrem Beitrag im vorliegenden Heftschwerpunkt verfolgt. W ESKAMP (in diesem Heft) greift den Aspekt der Relevanz von Sprachmittlungsaufgaben für den Sprachlernprozess an sich auf, der im fremdsprachendidaktischen Diskurs zu dieser Aktivität in den letzten Jahren eher am Rande verhandelt worden ist und den das CV (s.o.) zu Recht wieder stärker ins Bewusstsein hebt. Bedenkenswert erscheint uns auch die hohe Priorität, die das CV der mündlichen (intrawie interlingualen) Sprachmittlung aufgrund ihrer besonderen Relevanz in realen Kommunikationssituationen beimisst. Sie mahnt ein Nachdenken an über die bisherige Praxis, Sprachmittlung im Zentralabitur ausschließlich schriftlich abzuprüfen. Diese Praxis hat sich mittlerweile in nahezu allen Bundesländern durchgesetzt und ist auch im länderübergreifenden Zentralabitur übernommen worden, ohne hinterfragt zu werden. Einmal mehr und nicht zuletzt erinnert das CV die Fremdsprachendidaktik daran, das Kulturverständnis, das Sprachmittlungsaufgaben in ihrer bisherigen Form zugrunde liegt, in Frage zu stellen, und regt an mit dem Begriff der Alterität zu arbeiten. Alterität als relationales, nicht ontologisches Konzept stellt einen bemerkenswerten Schritt in die Richtung dar, der immer wieder kritisierten verengenden Lesart von „Interkulturalität“ entgegenzutreten und damit „komplexen, hybriden kulturellen Identitäten“ (vgl. A BENDROTH - TIMMER / P LIKAT 2017: 11) auch und gerade in Sprachmittlungskontexten gerechter zu werden. Dennoch bleibt nach wie vor die ungelöste Frage, wie mit Alterität konkret umgegangen werden kann im fremdsprachlichen Unterricht im Allgemeinen und im Rahmen von Sprachmittlungsaufgaben im Besonderen. Eines indes dürfte - so hoffen wir - in diesem Beitrag klargeworden sein: Auch in Zeiten von DeepL und google translator hält die Aktivität Sprachmittlung noch genügend Herausforderungen und Chancen für das Lehren und Lernen von Fremdsprachen bereit. Sprachmittlung revisited - Neue Perspektiven und Herausforderungen 27 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0017 Literatur A BENDROTH -T IMMER , Dagmar / P LIKAT , Jochen (2017): „Sprachmittlung - Warum gute Praxis gute Theorie braucht“. In: Hispanorama 155, 10-16. B OCK , Bettina M. (2015): „Anschluss ermöglichen und die Vermittlungsaufgabe ernst nehmen - 5 Thesen zur Leichten Sprache“. In: Didaktik Deutsch 38, 9-17. B OCK , Bettina M. / F IX , Ulla / L ANGE , Daisy (Hrsg.) (2017): “Leichte Sprache” im Spiegel theoretischer und angewandter Forschung. Berlin: Frank & Timme. 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