eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 48/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2019-0024
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/81
2019
482 Gnutzmann Küster Schramm

Russischdidaktik – State of the Art

81
2019
Grit Mehlhorn
flul4820115
48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 G RIT M EHLHORN * Russischdidaktik - State of the Art Forschungsüberblick 2008 - 2018 Abstract. It is the purpose of this paper to review the research literature on Russian language learning and teaching published in Germany between 2008 and 2018. These studies include research in multilingualism, teacher education, subjective theories and aspects of heritage language education. The review shows that research in Russian language teaching rests on the shoulders of only a few researchers. As a natural consequence, many interesting research topics in the field such as intercultural learning, teaching of literature and content and language integrated learning, remain unexplored. In addition to sketching avenues for future research, the paper recommends closer cooperation with researchers working on different target languages and from neighbouring fields of research. 1. Einleitung Dieser Beitrag gibt einen Überblick zu wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich der Russischdidaktik im deutschsprachigen Raum in den letzten zehn Jahren. Die Fachdidaktik Russisch ist die Wissenschaft vom Lehren und Lernen der russischen Sprache sowie der Literaturen und Kulturen russischsprachiger Länder. Russisch gilt - in Bezug auf die Zahl der Lernenden - als sog. kleine Sprache: Im Schuljahr 2017/ 18 lernten 106.028 Schülerinnen und Schüler (SuS) an allgemeinbildenden Schulen und 11.447 SuS an beruflichen Schulen Russisch (S TATISTISCHES B UNDESAMT 2018). Damit liegt die Sprache an fünfter Stelle nach Englisch, Französisch, Latein und Spanisch. Die Russischdidaktik in Deutschland ist auf wenige Personen konzentriert, davon nur drei Professuren (an der Humboldt-Universität zu Berlin eine Professur für Fachdidaktik Russisch, an der Universität Leipzig eine Professur für Didaktik der slawi- * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Grit M EHLHORN , Universität Leipzig, Institut für Slavistik, Beethovenstr. 15, 04107 L EIPZIG . E-Mail: mehlhorn@rz.uni-leipzig.de Arbeitsbereiche: Methodik und Didaktik der slawischen Sprachen, Mehrsprachigkeit, Erwerb von Herkunftssprachen. N i c h t t h e m a t i s c h e r T e i l 116 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 schen Sprachen, beide besetzt seit 2007, sowie eine Juniorprofessur für Fachdidaktik Russisch an der Ruhr-Universität Bochum seit 2016). Neue Tendenzen in der Russischdidaktik liegen v.a. in der Positionierung des Russischen im Rahmen von Mehrsprachigkeitsansätzen sowie in Konzepten für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen, um den speziellen Bedürfnissen von Lernenden mit russischsprachigem Hintergrund im Unterricht des Russischen als Fremdsprache gerecht zu werden. Im Beitrag wird zudem auf die Russischlehrerbildung und subjektive Theorien angehender Russischlehrkräfte eingegangen. 2. Mehrsprachigkeit Russisch wird zumeist als zweite (v.a. in den neuen Bundesländern) bzw. dritte Schulfremdsprache (in den alten Bundesländern) gelernt und stellt somit eine typische Tertiärsprache (L3) dar (vgl. Z AWADZKA 2011). Wegweisend für die Mehrsprachigkeitsdidaktik der letzten zehn Jahre im Bereich des Russischen war die empirische Arbeit von B EHR (2007) zum sprachenübergreifenden Lehren und Lehren in der Sekundarstufe I, in der die Autorin ein Kooperationsprojekt der drei Phasen der Lehrerbildung vorstellt. Ergebnisse dieser Arbeit fanden Eingang in die Lehrwerkgeneration ab 2008 1 , in der sich systematische Vergleiche mit anderen Sprachen und Anregungen zum entdeckenden Lernen finden (vgl. M EHLHORN / W APENHANS 2011). Die Sicht von Lehrenden auf sprachenübergreifendes Lernen im Unterricht der Folgefremdsprachen Russisch und Spanisch war Gegenstand eines Forschungsprojekts von M EHLHORN / N EVELING (2012), bei dem bundesweit Russisch- und Spanischlehrende schriftlich befragt und in Sachsen Experteninterviews mit Lehrkräften durchgeführt wurden. Dabei überwogen positive Einstellungen zu sprachenübergreifenden Vermittlungsansätzen und es wurde deutlich, dass Lehrende, die selbst gezielt Sprachen vergleichen, auch eher Transfer bei ihren Schülerinnen und Schülern (in der Folge: SuS) beobachten. Bei mehreren befragten Russischlehrenden konnte die subjektive Überzeugung, dass man Sprachvergleiche nur anstellen könne, wenn man die betreffenden Fächer unterrichte und die Sprachen sehr gut beherrsche, rekonstruiert werden (vgl. M EHLHORN / W AHLICHT 2011). Im Rahmen dieses Forschungsprojekts wurde zudem ein Experiment zur sprachfamilienübergreifenden Interkomprehension mit 123 SuS durchgeführt, die Russisch als dritte Schulfremdsprache ab Klasse 8 lernten. Die SuS hatten zu diesem Zeitpunkt nur wenige Wochen Russischunterricht hinter sich und bis auf das gerade erlernte kyrillische Alphabet keine Vorkenntnisse in der Zielsprache. Dennoch konnte etwa die Hälfte der getesteten SuS den Inhalt des russischen Originaltextes grob zusammenfassen sowie Fremdwörter und Internationalismen auf Russisch durch die kyrillische Schrift erschließen. Der Vergleich mit den zuvor ausgefüllten Fragebögen der SuS ergab, dass eine große wahrgenommene 1 Dialog und Konečno für Russisch als zweite Fremdsprache, Privet für Russisch als dritte Fremdsprache sowie Vmeste und Dal’še für die Oberstufe. Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 117 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 typologische Distanz zwischen den zuvor gelernten Sprachen und dem Russischen positiven Transfer beim Erschließen verhindert (M EHLHORN 2014: 157). Aufbauend auf diesen Ergebnissen und den Überlegungen von B EHR / W APEN - HANS (2016) wurde das Konzept der Slawiniade entwickelt - ein seit 2014 regelmäßig stattfindendes Schülerseminar zum sprachenübergreifenden Lernen, bei dem Polnisch-, Sorbisch-, Tschechisch- und Russischlernende in gemischten Teams Aufgaben in zuvor noch nicht gelernten slawischen Sprachen lösen (vgl. M EHLHORN 2016). Die teilnehmenden SuS erkennen dabei, wie ähnlich sich die Sprachen sind, dass bereits ihre eine gelernte slawische Schulfremdsprache ein Potenzial darstellt, um weitere Slawinen zu verstehen, und erfahren einen Anwendungsbezug für ihre Sprachkenntnisse an einem außerschulischen Lernort. 3. Russisch als Herkunftssprache 3.1 Charakteristika der Herkunftssprache Russisch Mit derzeit 4,5 Mio. Russischsprachigen gilt Russisch als die meistgesprochene Migrantensprache in Deutschland (A NSTATT 2011: 103). In der deutschen Russistik erfreut sich das Thema Russisch als Herkunftssprache in den letzten Jahren daher großer Beliebtheit. Zurzeit dominieren drei unterschiedliche Forschungsstränge die Diskussion (vgl. auch B REHMER / M EHLHORN 2015: 87f. sowie die Beiträge in W ITZ - LACK -M AKAREVICH / W ULFF 2017): (1) soziolinguistische Studien zu Sprachlernbiografien, Spracheneinstellungen, Identitätskonstruktionen der Zugewanderten und außersprachlichen Faktoren für den Spracherhalt der mitgebrachten Sprache Russisch (z.B. M ENG / P RO - TASSOVA 2016; R IES 2013), (2) psycholinguistische Studien, die den simultanen oder sukzessiven Erwerb der Sprachen Russisch und Deutsch sowie den Verlust sprachlicher Kompetenzen im Russischen bei Kindern aus zweisprachigen Familien in den Blick nehmen (z.B. A NSTATT 2011), (3) kontaktlinguistische Studien, die die wechselseitige Beeinflussung von Russisch und Deutsch sowie Abweichungen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen im Vergleich zu monolingualen Sprechern behandeln (z.B. K ARL 2012; B RÜGGEMANN 2018). Die Dissertationsschrift von Jule B ÖHMER (2015) zur Beherrschung literaler Strukturen bei russisch-deutschen Bilingualen ist eine der ersten Arbeiten, die beide Sprachen von Herkunftssprechern in den Blick nimmt. Sie kann durch den Vergleich der Daten mit monolingualen Kontrollgruppen aufzeigen, welche sprachlichen Kategorien durch den deutsch-russischen Sprachkontakt beeinflusst werden. Zudem identifiziert sie mithilfe einer Clusteranalyse unterschiedliche bilinguale Sprechertypen und bestätigt die Annahme von Cummins’ Interdepenzhypothese: Gute sprachliche Kom- 118 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 petenzen der Herkunftssprecher im Deutschen fallen mit guten sprachlichen Fähigkeiten im Russischen zusammen, sofern die Jugendlichen im Russischen alphabetisiert wurden. Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines gesteuerten Schriftspracherwerbs in der Herkunftssprache für die Entwicklung einer kompetenten Mehrsprachigkeit der SuS. In einer insgesamt vier Jahre umfassenden Längsschnittstudie (2014-2018) untersuchten B REHMER / M EHLHORN (2015, 2018a) jugendliche Herkunftssprecher des Polnischen und Russischen in drei deutschen Großstädten in Bezug auf ihre sprachlichen Kompetenzen in der Herkunftssprache und der Umgebungssprache Deutsch. In dieser Studie wurden mehrere Sprachstandserhebungsinstrumente erstmalig für slawische Sprachen adaptiert bzw. neu entwickelt. Die Rolle des Inputs und des Unterrichts auf die Entwicklung der Herkunftssprache konnte durch Einbeziehung von Sprachstandsdaten der Eltern und die Triangulation mit longitudinal erhobenen Interviewdaten zum Sprachgebrauch in der Familie und im schulischen Kontext, zu Spracheinstellungen und Unterricht in der Herkunftssprache nachvollzogen werden. 3.2 Entwicklung einer Herkunftssprachendidaktik Die Ergebnisse der Herkunftssprachenforschung der letzten Jahre zeigen deutlich Lernbedürfnisse von Herkunftssprechern im schriftsprachlichen Bereich, im bildungssprachlichen Wortschatz sowie bei konkreten grammatischen Phänomenen, der Orthografie und Registerkompetenz (für einen Überblick vgl. B REHMER / M EHLHORN 2018b: Kap. 3). Sowohl für den herkunftssprachlichen Unterricht als auch den Fremdsprachenunterricht mit heterogenen Lerngruppen aus fremd- und herkunftssprachlichen Lernenden, wie er für den Russischunterricht typisch ist (vgl. T ICHOMIROWA 2011, M EHLHORN 2013), erweist sich die Entwicklung einer Herkunftssprachendidaktik als unabdingbar. B ÖHMER (2016) diskutiert die Übertragbarkeit didaktischer Prinzipien aus der USamerikanischen Forschung für den Kontext an deutschen Schulen, wobei sie auf Lehrwerke für den herkunftssprachlichen Russischunterricht in verschiedenen Ländern sowie auf aktuelle bildungspolitische Dokumente und Curricula in Deutschland Bezug nimmt und die Relevanz der Bereiche „Reflexion über Sprache“ und „Sprachmittlung“ betont. Ein weiteres wichtiges Prinzip für den Unterricht mit Herkunftssprechern stellt die Binnendifferenzierung dar (vgl. B REHMER / M EHLHORN 2018b: Kap. 5.4.1). Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite Fremdsprache Dialog (2016ff.) bietet bereits systematisch Differenzierungsangebote für Herkunftssprecher an. Für eine empirisch fundierte Herkunftssprachendidaktik muss jedoch auch der Russischunterricht selbst gezielter untersucht werden. Die Studie von K REß (2014) mit einem diskursanalytischen Zugriff auf videografierten herkunftssprachlichen Unterricht bietet einen denkbaren Ansatz. Die Machbarkeit von Differenzierungsmaßnahmen kann mithilfe von Aktionsforschung untersucht werden. Vielversprechend erscheint hierbei eine enge Zusammenarbeit von Praxisvertretern der Schule und Fachdidaktikern weiterer Sprachen, die Interesse an der Entwicklung Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 119 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 konkreter Materialien und Handreichungen für den Unterricht mit Herkunftssprechern haben. 4. Russischlehrerbildung Die bundesweite Befragung von Russisch- und Spanischlehrkräften (M EHLHORN / N EVELING 2012) hatte u.a. ergeben, dass erstere durchschnittlich 21 Jahre und letztere 8 Jahre im Schuldienst tätig waren, wobei die Unterschiede in den neuen Bundesländern noch größer ausfielen. Das Fach Russisch befindet sich derzeit in einer Umbruchphase, die dadurch gekennzeichnet ist, dass ein Großteil der bisher tätigen Russischlehrkräfte gerade aus dem Schuldienst ausscheidet und - nachdem nach der Wende über 20 Jahre lang kaum Russischlehrkräfte eingestellt wurden - nun v.a. neu ausgebildete Lehrkräfte mit russischsprachigem Hintergrund an die Schulen und in den Russischunterricht kommen. Die Erforschung der Besonderheiten dieser Zielgruppe ist für die Russischdidaktik von besonderer Relevanz (vgl. S AVCHUK 2011). Natalia K URZ (2015) untersucht in ihrer Dissertationsschrift mit dem Titel „Muttersprachler ist kein Beruf! “ anhand von qualitativen Interviews das berufliche Selbstverständnis von Lehramtsstudierenden, Referendaren und bereits tätigen Russischlehrkräften mit russischer Zuwanderungsgeschichte. Neben der Offenlegung von Berufswahlmotiven konnten durch die Befragung von (angehenden) Lehrenden in verschiedenen Phasen der Ausbildung und die retrospektive Sicht der Interviewten Entwicklungstendenzen sichtbar gemacht werden, z.B. die Veränderungen von Einstellungen zur persönlichen Relevanz sprachpraktischer Lehrveranstaltungen, sowie die Neubewertung der Vorzüge und Nachteile ihres russischsprachigen Hintergrunds. K URZ (ebd.) hatte in ihrer Studie herausgearbeitet, dass Herkunftssprecher zu Studienbeginn ihre sprachlichen Kompetenzen oft überschätzen und vertane Lernchancen bzgl. der Weiterentwicklung ihrer Russischkenntnisse mehrfach erst zum Studienende oder in der zweiten Phase der Lehrerausbildung erkennen. Ausgehend von diesem Ergebnis wurde nach Möglichkeiten gesucht, wie die heterogenen Sprachkompetenzen von Studierenden zu einem früheren Zeitpunkt ihres Lehramtsstudiums gezielt diagnostiziert, bewusstgemacht und differenziert gefördert werden können. Im Rahmen des Projekts Russian HQ (high quality) wurde ein Konzept zur Individualisierung und Förderung der Lernerautonomie von Lehramtsstudierenden entwickelt und in einem Modul zu russischen Fachtexten als Blended Learning-Szenario mit selbstständiger Arbeit an einer webbasierten Studienplattform und begleitender Präsenzveranstaltung in zwei Durchläufen (2012-2013) pilotiert (M EHLHORN / W ASCHIK 2015). Die teilnehmenden Studierenden - Fremdsprachenlernende, Herkunftssprecher und russische Muttersprachler - erhielten auf ihr Niveau zugeschnittene Aufgaben und individuelles Feedback und lernten im Verlaufe des Semesters, ihre sprachlichen Kompetenzen selbst besser einzuschätzen und Kommilitonen Feedback zu geben. Zum Ende des Moduls verzeichneten die Studierenden nicht nur sprachliche Zuwächse, sondern auch Fortschritte in ihren Diagnose- und Medienkompetenzen. 120 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 Gleichzeitig wurde deutlich, dass diese Ergebnisse nur mit einem hohen individuellen Beratungsaufwand vonseiten der Modulverantwortlichen zu erreichen sind. 5. Weitere Forschungsbereiche Für den Russischunterricht gelten ähnliche Kompetenzziele wie für andere moderne Schulfremdsprachen. Christine H EYER (2016) gibt mit Blick auf die anderen Schulfremdsprachen wertvolle Anstöße für Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung im Russischunterricht. Aufgabenorientierung und das Testen sprachlicher Kompetenzen sind Forschungsschwerpunkte von Anastasia D RACKERT . Sie hat mit quantitativen statistischen Methoden die intrinsische Motivation von 120 erwachsenen Russischlernenden auf A1-Niveau in Bedingungen mit verschiedenen Wahlmöglichkeiten erforscht und konnte - entgegen der self determination theory - zeigen, dass zu viel Wahlfreiheit bei Lernaufgaben kontraproduktiv sein kann (M OZGALINA 2015; D RACKERT 2018). In ihrer Dissertation (D RACKERT 2016) hat sie den elicited imitation test - ein Instrument zur Erhebung mündlicher Sprachkompetenzen - für das Russische adaptiert und erwachsene Russischlernende in Deutschland und den USA damit eingestuft. Mithilfe des Tests konnte sie zwischen verschiedenen Sprachniveaus differenzieren und ihre Ergebnisse durch die Triangulation mit weiteren Tests statistisch absichern. Im Rahmen einer Online-Fragebogenstudie haben D RACKERT / S TADLER (2017) die Beurteilungskompetenzen und Lernbedarfe im Bereich Testen von 198 Russischlehrenden in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol (DACHS) erhoben und konkreten Fortbildungsbedarf eruiert. Wolfgang S TADLER (2018) konnte belegen, dass sich die soziopragmatische Kompetenz von Studierenden nicht im selben Ausmaß wie ihre sprachliche Kompetenz entwickelt, und er konnte falsche sprachliche Register, mangelnde sprachliche Emotionalität und fehlende illokutive Kraft der Äußerungen in ihrer russischen Lernersprache nachweisen. Fachdidaktische Forschung wird v.a. auf den seit 2008 jährlich stattfindenden Konferenzen des Verbands Russisch und Mehrsprachigkeit, in der Didaktiksektion des zweijährlich stattfindenden Deutschen Slawistentages und der Russischsektion des GMF-Kongresses sowie im „Arbeitskreis slawische Sprachen“ (2016 Berlin, 2018 Innsbruck) präsentiert und in Sammelbänden (M EHLHORN / H EYER 2011; B ERGMANN 2016; B ERGMANN / C ASPERS / S TADLER 2018; D RACKERT / K ARL 2019) publiziert. Im Jahr 2014 erschien eine Einführung in die russische Fachdidaktik, herausgegeben von Anka B ERGMANN . Neue Impulse für die Lehrplanentwicklung und lehrwerkbegleitende Materialien für das Russische kommen seit vielen Jahren aus dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM), wo unter der Leitung von Ursula B EHR zahlreiche Materialien für den Russischunterricht entstanden sind (vgl. u.v.a. B EHR 2011; T H ILLM 2012). Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 121 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 6. Ausblick In einem kleinen Fach wie der Russischdidaktik geht Forschung in der Regel von Einzelpersonen aus. Gegenwärtig überwiegen Einzelforschungen gegenüber Verbundprojekten und qualitative gegenüber quantitativen und Mixed Methods-Ansätzen. Forschungsthemen, die in anderen Schulfremdsprachen eine wichtige Rolle spielen, wie der Fremdsprachenfrühbeginn und bilingualer Unterricht, wurden für Russisch bisher nicht bearbeitet. Aber auch der Bereich des inter-/ transkulturellen Lernens und der Literaturdidaktik erweist sich in der Rückschau der letzten zehn Jahre als unterbeleuchtet. Hilfreiche Best practice-Beispiele für die Vermittlung der verschiedenen Teilkompetenzen im Russischunterricht werden in der 6-mal jährlich erscheinenden Zeitschrift „Praxis Fremdsprachenunterricht Russisch“ publiziert, aber es gibt wenig Forschung dazu. Es erscheint sinnvoll, auch weiterhin Forschungsergebnisse der anderen Fremdsprachendidaktiken zu rezipieren und kritisch auf ihre Anwendbarkeit für die Russischdidaktik zu prüfen, die eigenen Spezifika im Auge zu behalten und - wo notwendig - eigene Forschungszugriffe zu entwickeln. Im Bereich der Herkunftssprachendidaktik kann Russisch durch die bisherigen Vorarbeiten eine Vorreiterrolle einnehmen, sollte jedoch eng mit den Didaktiken der anderen Schulfremdsprachen und Herkunftssprachen sowie mit Forschern verwandter Disziplinen (z.B. Sprach-, Literatur-, Kultur-, empirische Bildungswissenschaften) zusammenarbeiten. Dabei haben standortübergreifende Forschungsverbünde und Projekte mit Beteiligung weiterer Sprachen ein besonderes Potenzial. Literatur A NSTATT , Tanja (2011): „Russisch in der zweiten Generation. Zur Sprachsituation von Jugendlichen aus russischsprachigen Familien in Deutschland“. In: E ICHINGER , Ludwig M. / P LEWNIA , Albrecht / S TEINLE , Melanie (Hrsg.): Sprache und Integration. Über Mehrsprachigkeit und Migration. Tübingen: Narr, 101-128. B EHR , Ursula (2007): Sprachenübergreifendes Lernen und Lehren in der Sekundarstufe I. Ergebnisse eines Kooperationsprojekts der drei Phasen der Lehrerbildung. Tübingen: Narr. B EHR , Ursula (2011): Anregungen für die Sprachmittlung im Russischunterricht der Sekundarstufe II. Bad Berka: ThILLM. B EHR , Ursula / W APENHANS , Heike (2016): „Sprachenübergreifendes Lehren und Lernen im Russischunterricht der Sekundarstufe 1 - wie geht das? “ In: B ERGMANN (Hrsg.), 167-179. B ERGMANN , Anka (Hrsg.) (2014): Fachdidaktik Russisch: eine Einführung. Tübingen: Narr. B ERGMANN , Anka (2016) (Hrsg.): Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung im Russischunterricht. Frankfurt/ M.: Lang. B ERGMANN , Anka / C ASPERS , Olga / S TADLER , Wolfgang (Hrsg.) (2018): 1. Arbeitskreis „Didaktik der Slawischen Sprachen“ in Berlin (12.-14.9.2016). Innsbruck University Press. B ÖHMER , Jule (2015): Biliteralität. Eine Studie zu literaten Strukturen in Sprachproben von Jugendlichen im Deutschen und im Russischen. Münster, New York: Waxmann. B ÖHMER , Jule (2016): „Ausprägungen von Biliteralität bei deutsch-russisch bilingualen Schülern 122 Grit Mehlhorn DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 48 (2019) • Heft 2 und die daraus resultierenden Konsequenzen für den schulischen Russischunterricht“. In: R OSENBERG , Peter / S CHROEDER , Christoph (Hrsg.): Mehrsprachigkeit als Ressource in der Schriftlichkeit. Berlin: de Gruyter, 127-151. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2015): „Russisch als Herkunftssprache in Deutschland. Ein holistischer Ansatz zur Erforschung des Potenzials von Herkunftssprachen“. In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 26.1, 85-123. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2018a): „Unterricht in den Herkunftssprachen Russisch und Polnisch - Einstellungen und Effekte“. In: M EHLHORN , Grit / B REHMER , Bernhard (Hrsg.): Potenziale von Herkunftssprachen: Sprachliche und außersprachliche Faktoren. Tübingen: Stauffenburg, 259-292. B REHMER , Bernhard / M EHLHORN , Grit (2018b): Herkunftssprachen. Tübingen: Narr. B RÜGGEMANN , Natalia (2018): „SchreibanfängerInnen im herkunftssprachlichen Russischunterricht“. In: B ERGMANN et al. (Hrsg.), 177-192. D RACKERT , Anastasia (2016): Validating language proficiency assessments in second language acquisition research. Applying an argument-based approach. Frankfurt/ M.: Lang. D RACKERT , Anastasia (2018): „Autonomie, Motivation und Aufgabenerfüllung im Anfangsunterricht Russisch“. In: B ERGMANN et al. (Hrsg.), 33-56. D RACKERT , Anastasia / K ARL , Katrin Bente (Hrsg.) (2019): Beiträge zum 2. Arbeitskreis in Innsbruck (19.-20.2.2018). Innsbruck University Press (Innsbrucker Beiträge zur Fachdidaktik 5). D RACKERT , Anastasia / S TADLER , Wolfgang (2017): „Beurteilungskompetenz von Russischlehrkräften in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Südtirol (DACHS): Zwischen Status Quo und aktuellen Bedürfnissen“. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 28.2, 233-258. H EYER , Christine (2016): Kompetenzorientierung und Schüleraktivierung - zwei einander bedingende Seiten zeitgemäßen Unterrichtens. In: Bergmann (Hrsg.), 27-42. K ARL , Katrin Bente (2012): Bilinguale Lexik: Nicht materieller lexikalischer Transfer als Folge der aktuellen russisch-deutschen Zweisprachigkeit. München: Sagner. K REß , Beatrix (2014), „‛Was habt ihr Neues erfahren, wovon ihr vorher nichts wusstet? ’ Diskursive Formen der Wissensverarbeitung im russischen Sprachförderunterricht“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19.1, 169-182. K URZ , Natalia (2015): „Muttersprachler ist kein Beruf! “ Eine Interviewstudie zu subjektiven Sichtweisen von (angehenden) Russischlehrenden mit russischsprachiger Zuwanderungsgeschichte. Tübingen: Stauffenburg. M EHLHORN , Grit (2013): „Identitätsangebote und Bedrohung der Identität russischsprachiger Lernender durch den schulischen Russischunterricht“. In: B URWITZ -M ELZER , Eva / K ÖNIGS , Frank G. / R IEMER , Claudia (Hrsg.): Identität und Fremdsprachenlernen: Anmerkungen zu einer komplexen Beziehung. Tübingen: Narr, 183-193. M EHLHORN , Grit (2014): „Interkomprehension im schulischen Russischunterricht? Ein Experiment mit sächsischen Schülerinnen und Schülern der Klassenstufe 8“. In: Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 19.1, 148-168. M EHLHORN , Grit (2016): „Die Slawiniade - ein neues Format für sprachenübergreifendes Lernen im schulischen Kontext“. In: Die Neueren Sprachen 4, 89-100. M EHLHORN , Grit / H EYER , Christine (2011) (Hrsg.): Russisch und Mehrsprachigkeit. Lehren und Lernen von Russisch an deutschen Schulen in einem vereinten Europa. Tübingen: Stauffenburg. M EHLHORN , Grit / N EVELING , Christiane (2012): „Sprachenübergreifendes Lehren und Lernen in der Schule: Ergebnisse einer Befragung von Russisch- und Spanischlehrenden“. In: B ÄR , Marcus / B ONNET , Andreas / D ECKE -C ORNILL , Helene / G RÜNEWALD , Andreas / H U , Adelheid (Hrsg.): Globalisierung - Migration - Fremdsprachenunterricht. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren, 383-396. Russischdidaktik - State of the Art. Forschungsüberblick 2008 - 2018 123 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0024 M EHLHORN , Grit / W AHLICHT , Madlen (2011): „Mehrsprachigkeit im Russischunterricht aus der Sicht der Lehrenden“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 33-67. M EHLHORN , Grit / W APENHANS , Heike (2011): „Die neue Lehrwerkgeneration für Russisch als zweite und dritte Fremdsprache“. In: Fremdsprachen Lehren und Lernen 40.2, 49-63. M EHLHORN , Grit / W ASCHIK , Klaus (2015): „Möglichkeiten für den Umgang mit heterogenen Lerngruppen in der Sprachausbildung für angehende Russischlehrende am Beispiel der interaktiven Studienplattform RussianHQ“. In: B ÖCKER , Jessica / S TAUCH , Anette (Hrsg.): Konzepte aus der Sprachlehrforschung - Impulse für die Praxis. Frankfurt/ M.: Lang, 629-647. M ENG , Katharina / P ROTASSOVA , Ekaterina (2016): Deutsch und Russisch: Herkunftssprachen in russlanddeutschen Aussiedlerfamilien. Mannheim: Institut für deutsche Sprache. M OZGALINA , Anastasia (2015): „More choice or less choice? The influence of autonomy on task motivation and task engagement“. In: System 49, 120-132. R IES , Veronika (2013): „da kommt das so quer rein“ - Sprachgebrauch und Spracheinstellungen Russlanddeutscher in Deutschland. Münster: Waxmann. S AVCHUK , Natalia (2011): „Subjektive Sichtweisen von angehenden Russischlehrenden mit russischsprachigem Hintergrund“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 135-160. S TADLER , Wolfgang (2018): „ʻČto vy skažete v ėtoj situacii? ’ Die soziopragmatische Komponente kommunikativer Kompetenz im Russischunterricht - wie entwickeln, wie bewerten? “. In: B ERGMANN / C ASPERS / S TADLER (Hrsg.), 79-109. S TATISTISCHES B UNDESAMT (Hrsg.) (2018): „Schüler/ innen mit fremdsprachlichem Unterricht“. http: / / www.destatis.de (01.10.2018). T H ILLM (Hrsg.) (2012): Russisch. Über Sprache, Sprachverwendung und Sprachenlernen reflektieren. Impulsbeispiele für die Lehrplanimplementation. Bad Berka. T ICHOMIROWA , Anna (2011): „Schüler mit slawischsprachigem Hintergrund im Fremdsprachenunterricht Russisch“. In: M EHLHORN / H EYER (Hrsg.), 109-133. W ITZLACK -M AKAREVICH , Kai / W ULFF , Nadja (Hrsg.): Handbuch des Russischen in Deutschland. Migration - Mehrsprachigkeit - Spracherwerb. Berlin: Frank & Timme. Z AWADZKA , Agnieszka (2011): „Zur Spezifik des Russischunterrichts als dritte bzw. weitere Fremdsprache in der Schule“. 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