eJournals Fremdsprachen Lehren und Lernen 48/2

Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2019-0032
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/81
2019
482 Gnutzmann Küster Schramm

Lars RÜßMANN: Schreibförderung durch Sprachförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirk- samkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I. Münster: Waxmann 2018, 254 Seiten [34,90 €]

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2019
Afra Sturm
flul4820140
140 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0032 48 (2019) • Heft 2 sprachenunterricht jeweils beigemessen wird und welche Zielsetzungen und Methoden in den Blick genommen werden. Im letzten Beitrag verbindet Markus R AITH literarisches, sprachliches und medienästhetisches Lernen und stellt dabei auf der Basis von anschaulichen Pressetext- Analysen die Bedeutung der Literaturvermittlung auch für die Arbeit mit nicht-literarischen Texten heraus. Durch die bei der Literaturarbeit erworbenen Kompetenzen könnten Lernende bei der Lektüre von Sachtexten über eine bloße Informationsentnahme hinauskommen und auch deren mitunter komplexe Ästhetik im Rezeptions- und Verstehensprozess berücksichtigen, so die Hauptthese des Autors. Insgesamt trägt der Band maßgeblich zur von Laurenz V OLKMANN formulierten „Positivperspektive auf die Verwendung von literarischen Texten im fremdsprachlichen Unterricht“ (S. 206) bei. Ich habe jedenfalls schon länger keinen für literatur- und kulturdidaktische Forschungs-, Lehr- und Unterrichtszusammenhänge so anregenden Sammelband mehr gelesen. Neben Kolleg(inn)en aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache sei er insbesondere auch Vertreter(innen) der anderen Fremdsprachendidaktiken wärmstens zur Lektüre empfohlen. Viele der im Band zu verfolgenden Diskussionen über die (Neu)Konturierung einer kulturwissenschaftlichen Literaturdidaktik (oder einer literaturwissenschaftlichen Kulturdidaktik) werden jedenfalls so bislang in der Englisch-, Französisch- oder Spanischdidaktik (noch? ) nicht geführt. Göttingen C AROLA S URKAMP Lars R ÜßMANN : Schreibförderung durch Sprachförderung. Eine Interventionsstudie zur Wirksamkeit sprachlich profilierter Schreibarrangements in der mehrsprachigen Sekundarstufe I. Münster: Waxmann 2018, 254 Seiten [34,90 €] Gegenstand der vorliegenden Rezension ist die Dissertation von Lars B ENDER (geb. R ÜßMANN ), die Teil des vom BMBF geförderten Verbundprojekts S IMO (Schreibförderung in der multilingualen Orientierungsstufe) ist. In seiner Arbeit untersucht B ENDER , inwiefern Textprozeduren - integriert in Schreibarrangements - ein schreiblernwirksames Hilfsmittel darstellen und inwiefern multilinguale Schüler(innen) sowie solche mit geringen literalen Erfahrungen besonders davon profitieren. Dazu legt er in einem ersten Teil die theoretischen Grundlagen dar, bevor er im zweiten Teil die Interventionsstudie mit ihren Ergebnissen vorstellt. Im Wesentlichen werden Textprozeduren von B ENDER - aufbauend auf den Arbeiten von Helmuth F EILKE - als prozedural wiederkehrende Handlungsmuster in Texten verstanden, die sowohl textkonstituierend als auch prozessstrukturierend sind und in diesem Sinne auch eine handlungsleitende Funktion im Textproduktionsprozess übernehmen können. Die Intervention variiert die sprachliche Profilierung und unterscheidet vier Experimentalgruppen: E1 Basisprofil: ohne textprozedurale Hilfestellungen E2 Schemaprofil: nur Handlungsschema wie bspw. Vergleichen: Vergleiche [Figur X] mit Dingen und Personen). E3 Ausdrucksprofil: nur Ausdruck wie bspw. …erinnert an … oder … sieht aus wie … E4 Prozedurprofil: E2 und E3 werden kombiniert angeboten. Das Schreibarrangement bestand aus einer Aufgabe, bei der die Schüler(innen) nicht einen eigenständigen Text verfassen, sondern einen nicht gelungenen Ausgangstext zu einer abgebildeten Figur überarbeiten sollten; dazu wurde ihnen ein kurzer Lehrfilm gezeigt. Ziel der Über- Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 141 48 (2019) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2019-0032 arbeitung war, dass sie sich die Figur besser vorstellen können. Der Ausgangstext enthielt alle Textprozeduren, die im Rahmen von E2-E4 gefördert wurden, wenn auch nur rudimentär. Je nach Experimentalgruppe erhielten die Schüler(innen) entsprechend unterschiedliche Unterstützungsmaterialien. Auf diese Weise kann genauer geprüft werden, welchen Beitrag E2-E4 leisten. Insgesamt umfasst die Intervention vier Sequenzen. Die dabei überarbeiteten Ausgangstexte flossen in die Auswertung ein: Zusammen mit dem Prätest und den beiden Posttests liegen damit pro Schüler(in) sieben überarbeitete Ausgangstexte vor. Zusätzlich wurden der Frankfurter Leseverständnistest 5-6 (FLVT) sowie ein Fragebogen eingesetzt, der in erster Linie personenbezogene Daten wie sprachlichen Hintergrund oder literale Praktiken erfasst. Die Operationalisierung der Literalitätserfahrung erfolgt über Fragen zu Büchern im Haushalt, zur elterlichen Literalitätspraxis, zur eigenen Lese- und Schreibpraxis, wird jedoch nicht theoretisch hergeleitet. Die Datenauswertung und -aufbereitung wird von B ENDER ausführlich und nachvollziehbar beschrieben (inkl. Ausschluss von Daten oder auch Imputation fehlender Daten). Die überarbeiteten Ausgangstexte werden kriterial ausgewertet: Jede der acht Prozeduren kann maximal vier Punkte erhalten, die mit Blick auf inhaltliche und grammatische Korrektheit, Textkohärenz sowie Leserorientiertheit zu vergeben sind. Dabei sollten die Rater(innen) immer vom Ganztext ausgehen und eine Prozedur erst anschließend bewerten. Zusätzlich wurden die Texte analytisch nach dem NAIV-Verfahren bewertet, das stärker globale Aspekte in den Blick nimmt. Zur Bestimmung der Textqualität wurden die Werte aus dem kriterialen, dem NAIV-Rating sowie der Textlänge aggregiert und z-standardisiert. Die Interrater-Reliabilität wird von B ENDER mit zwei Werten angegeben: Während Cohens Kappa für das NAIV-Rating mit κ=.45 deutlich unter dem akzeptablen Wert liegt, ergibt sich mit Kendalls Konkordanzkoeffizienten ein sehr guter Wert von W=.84 (für die kriteriale Auswertung liegen die Werte bei κ=.7 bzw. W=.94). Wünschenswert wäre, dass die Interrater- Reliabilität nicht mit dem günstigeren, sondern mit dem passenden Maß berechnet wird. Im Wesentlichen zeigt sich unabhängig vom Messzeitpunkt kein Überlegenheitseffekt für eine der Experimentalgruppen, wohl aber abhängig vom Messzeitpunkt. Dabei kann B ENDER für E2 (nur Schema) und besonders E4 (Schema mit Ausdruck) eine signifikant höhere Textqualität ausweisen. Das führt er darauf zurück, dass E2 und vor allem E4 einen klaren Bezug zum sprachlichen Handeln herstellen. Besonders relevant ist der Befund, dass sich die signifikanten Unterschiede im Rahmen der 1., 2. und 4. Sequenz zeigen, was von B ENDER in seiner Dissertation wie folgt interpretiert wird: Eine mehrfache Teilnahme an sprachlich profilierten Schreibarrangements führt nur dann zur Produktion besserer Texte, wenn die textprozeduralen Artefakte den Schülerinnen und Schülern während des Schreibens als Material zur Verfügung stehen (R ÜßMANN 2018: 192). Wenn Textprozeduren nicht nur textkonstituierend, sondern auch prozessstrukturierend und damit handlungsleitend sind, ist zu fragen, was es braucht, damit Textprozeduren im Textproduktionsprozess tatsächlich handlungsleitend werden, und zwar auch dann, wenn sie den Schülern und Schülerinnen nicht (mehr) als Unterstützungsmaterial zur Verfügung stehen. Da im ersten Teil des Bandes die theoretische Fundierung von Textprozeduren ausgesprochen knapp ausfällt - v.a. im Vergleich etwa zur Darstellung verschiedenster Schreibprozessmodelle oder der Schreibentwicklung, ohne dass dabei deutlich wird, inwiefern diese für die Fragestellung relevant sind -, kann B ENDER Fragen dieser Art auch nicht aufgreifen, sondern belässt es bei der zitierten Feststellung. Ein weiterer Befund ist, dass weder multilinguale Schüler(innen) noch solche mit geringen 142 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2019-0033 48 (2019) • Heft 2 literalen Erfahrungen von E2-E4 besonders profitieren. B ENDER selbst geht darauf ebenfalls nicht weiter ein. Bedauerlich ist, dass er im theoretischen Teil Schreiben in der Erst-, Zweit- und Fremdsprache nicht thematisiert. Zu fragen wäre mit Blick auf die Befunde, wie sich Textprozeduren auf den Schreibprozess in der Erst-, Zweit- und Fremdsprache auswirken, wie sie den Textproduktionsprozess genauer beeinflussen - Fragen, die hinsichtlich des sprachlichen Wissens sowie des Abrufens von Sprachwissen im Textproduktionsprozess in anderen Studien untersucht wurden, mit dem Ergebnis, dass weniger das sprachliche Wissen, sondern vielmehr das Abrufen von Sprachwissen zwischen den Gruppen differenziert. B ENDER betont im Sinne eines Fazits, dass man Schreiben ‹nur› durch Schreiben lerne, dass alle Arrangements (inkl. E1) im Verlauf der Studie mit η 2 =.229 - umgerechnet entspricht dies d=1.09 - einen großen Zuwachs in der Textqualität verzeichnen können. Angemerkt sei, dass jedoch zumindest E2-E4 mit einer (materialbasierten) Vermittlung einhergehen. Zudem ist bei einer Erhöhung der täglichen Schreibzeit um etwa 15 Minuten - ohne dass damit eine Instruktion verbunden wäre - nur ein kleiner Effekt von d=.24 auf die Textqualität erwartbar, wie sich über verschiedene Studien hinweg nachweisen lässt. 1 Mit Blick auf eine genauere Klärung von Textprozeduren ist des Weiteren der Befund von Interesse, dass für das NAIV-Rating und für die Textlänge isoliert betrachtet keine signifikanten Unterschiede nachzuweisen sind, dass mit den Schreibarrangements E2-E4 die Textqualität bezogen auf globale Aspekte also nicht zunimmt. Das könnte so interpretiert werden, dass die Textprozeduren eher lokale Aspekte fokussieren. Zu fragen wäre in diesem Sinne aber auch, inwiefern die Annahme, dass Textprozeduren textkonstituierend sind, aufrechterhalten werden kann. Anders formuliert: Es wäre erst noch empirisch zu prüfen, welchen Beitrag Textprozeduren zur Textqualität leisten. Zu fragen wäre als Letztes auch danach, ob die Ergebnisse widerspiegeln, dass es sich beim Schreibarrangement genau genommen um eine sprachliche Überarbeitung handelt: Damit kann zwar überprüft werden, inwiefern es den Schülern und Schülerinnen gelingt, die angebotenen sprachlichen Werkzeuge beim Überarbeiten aufzunehmen, nicht aber, wie sie diese im Rahmen einer eigentlichen Textproduktion aufgreifen. Insgesamt kann die Dissertation von B ENDER als ein höchst aktueller empirischer Beitrag mit bemerkenswerten Ergebnissen zu Textprozeduren aufgefasst werden: Trotz der Relevanz und trotz des überzeugenden Designs gelingt es dem Verfasser jedoch nicht, dem Diskurs über Textprozeduren eine eigene Prägung zu geben bzw. ihn mit weiterführenden Fragen, die sich aus seiner Arbeit durchaus ergeben, anzureichern. Brugg-Windisch A FRA S TURM Beate B AUMANN : Sprach- und kulturreflexives Lernen in Deutsch als Fremdsprache. Berlin: Frank & Timme 2018, 269 Seiten [34,80 €] Die Literaturdidaktik in Deutsch als Fremd- und Zweitsprache wurde in den letzten Jahren in mehrfacher Hinsicht weiterentwickelt: durch eine (Re-)Fokussierung auf die formalen und ästhetischen Aspekte literarischer Texte, durch eine intensive Diskussion zu den literatur- und kulturtheoretischen Grundlagen und durch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie sich 1 Steve G RAHAM , Karen R. H ARRIS , Tanya S ANTANGELO : „Research-Based Writing Practices and the Common Core: Meta-Analysis and Meta-Synthesis“. In: The Elementary School Journal 115/ 4 (2015), 498-522.