Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2020-0001
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2020
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Gnutzmann Küster SchrammZur Einführung in den Themenschwerpunkt
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2020
Hans P. Krings
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49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 H ANS P. K RINGS * Zur Einführung in den Themenschwerpunkt Wo steht die Forschung und was folgt aus ihr für die Vermittlung fremdsprachlicher Schreibkompetenz? Abstract. After a brief introduction to the topic, the paper outlines the current research situation in the field of foreign-language writing. It highlights the dynamic development that this field of research has taken over the last two decades and gives a concise overview of the most important aspects dealt with so far, including research methods. The paper also identifies some obvious problems involved in this dynamic development. In the second part, the author presents some selected research findings and discusses possible consequences for the practice of teaching writing competence. The main focus is on the relationship between writing and foreign-language learning and in particular the question of how the classical perspective of learning to write can be supplemented by the more recent perspective of writing to learn. 1. Einleitung und Gegenstand „Writing is easy. All you have to do is cross out the wrong words“. Dieser Aphorismus, der Mark Twain zugeschrieben wird, verweist auf eine altbekannte Alltagserfahrung: Die meisten Menschen erleben das Verfassen von Texten als einen mühevollen und beschwerlichen Prozess, als harte Arbeit, oft als den sprichwörtlichen „Kampf mit dem leeren Blatt“ bzw., wie man heute wohl eher sagen müsste, mit dem leeren Bildschirm oder der leeren Datei. Die Gründe dafür sind vielfältig. Sie haben ihren Ursprung aber zu einem beachtlichen Teil in den Besonderheiten der Kommunikationsform Schreiben selbst, die sich zumindest in ihren anspruchsvolleren Ausprägungen in vielfacher Weise von mündlicher Alltagskommunikation unterscheidet. Das Schreiben in Form der Produktion selbst verfasster, an den Normen der konzeptuellen Schriftlichkeit orientierter Texte fällt schon deshalb schwerer, weil die Kommunikation zeitversetzt erfolgt, weil die Reaktionen der Kommunikationspartner(innen) nicht unmittelbar beobachtbar sind, * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Hans P. K RINGS , Universität Bremen, Fachbereich 10, Universitäts-Boulevard 13, 28359 B REMEN E-Mail: krings@uni-bremen.de Arbeitsbereiche: Sprachlehr- und -lernforschung, Schreibwissenschaft, Übersetzungswissenschaft Fr e m d s pr a c h li c h e s S c hr e i b e n 4 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 weil paraverbale Mittel wie Mimik und Gestik zur Unterstützung der Kommunikation fehlen, weil keine spontane Bedeutungsaushandlung stattfinden kann, weil die Adressat(inn)en häufig heterogen, unbekannt oder sogar undefiniert sind, weil man sich in den meisten Textsorten von der vertrauten Umgangssprache lösen und diese durch gewählte Schriftsprache ersetzen muss, weil an Geschriebenes häufig höhere Qualitätsansprüche gestellt werden als an Gesprochenes und vor allem, weil Schreiben wesentlich später erworben und im Alltag wesentlich weniger umfassend praktiziert wird als das Sprechen oder Hören. Wenn das aber schon für das Schreiben in der Erstsprache gilt, dann gilt dies sicherlich a fortiori für das Schreiben in einer Fremd- oder Zweitsprache (zu den sprachbezogenen Begrifflichkeiten s.u.). Umso erstaunlicher ist es, dass das fremdsprachliche Schreiben viele Jahre lang ein eher vernachlässigtes Thema der Sprachlehr- und -lernforschung war. Darin spiegelte sich der eher geringe Stellenwert, der dieser „vierten Fertigkeit“ in den verschiedenen fremdsprachendidaktischen Methodenkonzeptionen früherer Jahre beigemessen wurde. Entsprechend gering war die Zahl wissenschaftlicher Arbeiten, die das fremdsprachliche Schreiben nicht einfach nur methodisch-konzeptionell modellierten, sondern empirisch fundiert erforschten (für einen frühen Forschungsüberblick vgl. K RINGS 1994). Doch dies hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend geändert. Insbesondere im angelsächsischen Sprachraum ist mittlerweile ein eigenes wissenschaftliches Forschungsgebiet entstanden, in dem das fremd- und zweitsprachliche Schreiben in seiner ganzen Vielgestaltigkeit mit einem breiten Spektrum an quantitativen und qualitativen Methoden differenziert erforscht und theoriebildend bearbeitet wird. Die Zahl der Publikationen geht mittlerweile in die Tausende (s.u.). Doch diese „everincreasing proliferation and eclectic diversity of empirical research“ (M ANCHÓN 2016: 531) bringt auch ein massives Orientierungsproblem mit sich. Schon für die im Feld arbeitenden Wissenschaftler(innen) wird es immer schwieriger, sich einen Überblick über das Forschungsfeld in all seinen Verästelungen zu verschaffen und diesen dann jeweils auf dem neuesten Stand zu halten. Ganz und gar unmöglich erscheint es für unterrichtspraktisch Lehrende oder Beratende, ganz gleich ob an Schulen, Hochschulen oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung, aus der Fülle der vorliegenden Forschungsarbeiten entsprechend begründete Konsequenzen für das eigene schreibdidaktische Handeln zu ziehen. Hier sehe ich deshalb eine Bringschuld der Wissenschaftler(innen), Forschungsergebnisse zu sichten, zu bewerten, zu synthetisieren und sie für alle, die lehrend oder beratend fremd- oder zweitsprachliche Schreibkompetenz fördern wollen, plausibel aufzubereiten - wohl wissend, dass sich solche Konsequenzen selten linear aus Forschungsergebnissen ableiten lassen, sondern didaktisch und methodisch weitergedacht werden müssen, bevor sie in tragfähige Vermittlungskonzepte münden. Zu dieser mehrstufigen Transferaufgabe möchten die einzelnen Artikel des vorliegenden Themenheftes und auch dieser einführende Artikel einen Beitrag leisten. Daher werde ich im Folgenden zunächst kurz die Entwicklung und den Stand des Forschungsfeldes skizzieren und anschließend einige wenige, aber besonders wich- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 5 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 tige, übergreifende Forschungsbefunde vorstellen und Vorschläge für daraus zu ziehende schreibdidaktische Konsequenzen machen. Die nachfolgenden Beiträge behandeln vertiefend einige weitere, besonders einschlägige Aspekte des Themas. Insgesamt ist uns als Autor(inn)en bewusst, dass wir im gegebenen Rahmen nur einen kleinen Teil dieser vielgestaltigen Thematik abdecken können. Der Begriff „Fremdsprache“ ist in jüngerer Zeit zunehmend in die Diskussion geraten, weil er implizit von einem „monolingualen Paradigma“ ausgeht, bei dem eine „Muttersprache“ sowohl mit der „Familiensprache“ als auch mit der „Sprache der institutionellen Bildung“ und insbesondere der Sprache der „Erstliteralisierung“ zusammenfällt. Als Folge von Internationalisierung und jahrzehntelanger Migration hat sich mittlerweile jedoch auch im deutschen Sprachraum die Sprachensituation für viele Menschen deutlich in Richtung auf eine lebensweltliche Mehrsprachigkeit verändert. Dieser Entwicklung ist selbstverständlich auch in der Schreibforschung durch entsprechende Differenzierungen Rechnung zu tragen (vgl. D ENGSCHERZ 2019: 487; s. R EICHERT / M ARX in diesem Heft). Mit Blick auf den angestrebten Schwerpunkt dieses Heftes und die zumindest quantitativ immer noch weit verbreitete Situation des Schreibenlernens in einer rein institutionell erworbenen Sprache, die weder Familiennoch Herkunftssprache ist, wird im Folgenden weiter auf den Begriff des fremdsprachlichen Schreibens zurückgegriffen, dieser jedoch, wo immer es notwendig erscheint, von Formen des zweitsprachlichen Schreibens abgehoben, wohl wissend, dass auch dieser Begriff sehr verschiedene Mehrsprachigkeitskonstellationen umfassen kann. Wo übergreifende Aussagen im Vordergrund stehen, werden beide Begriffe genannt oder die übergreifende Bezeichnung L2 verwendet. 2. Entwicklung und Stand des Forschungsfeldes Der US-amerikanische Schreibwissenschaftler Tony S ILVA führt an der Purdue University seit vielen Jahren eine Datenbank, in der er Publikationen zum Thema L2- Schreiben erfasst. Seine Zahlen belegen eindrucksvoll das Wachstum des Forschungsfeldes. Während er in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts nur acht Publikationen zum Thema gezählt hat, sind es in den 60er Jahren 53, in den 70er Jahren 239, aber im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends bereits 1696. Insgesamt erfasst er für den Zeitraum bis 2010 5083 Titel (S ILVA 2016: 22). Die dynamische Entwicklung des Forschungsfeldes ist aber nicht nur an Publikationsstatistiken ablesbar. Meilensteine der Entwicklung waren auch die Gründung einer ausschließlich dem L2-Schreiben gewidmeten Fachzeitschrift, nämlich des Journal of Second Language Writing im Jahr 1992, der Einrichtung eines eigenen internationalen Tagungsformats in Form des Symposium of Second Language Writing (SSLW) 1 im Jahr 1998, das zunächst in jedem zweiten Jahr, seit 2008 jedoch jährlich stattfindet und das seitdem die im Feld tätigen Forscher(innen) an verschiedenen 1 http: / / sslw.asu.edu/ 6 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 Orten der Welt zum unmittelbaren wissenschaftlichen Austausch zusammenführt, sowie die zunehmende Berücksichtigung des Forschungsgebietes in der Arbeit von Verbänden wie der TESOL International Association, der International Writing Centers Association (IWCA) oder der European Association of Teachers of Academic Writing (EATAW). Entsprechend dem quantitativen Wachstum des Forschungsgebietes haben sich auch Art und Umfang der untersuchten Fragestellungen immer weiter ausdifferenziert. Grob strukturierend kann man sagen, dass die L2-Schreibforschung sich bisher um vier große Epizentren herum bewegt hat und dass zu allen vieren mittlerweile umfangreiche Erkenntnisse vorliegen. Diese vier Epizentren sind: der Text, der Schreibprozess, die Schreibenden und der Kontext. In der Forschung zum akademischen Schreiben im Bereich Englisch (English for Academic Purposes) als L2 z.B. stehen häufig der Text und insbesondere die Genre-spezifischen textuellen Erfordernisse im Vordergrund. In der Schreibprozessforschung liegt der Fokus auf den prozessualen Abläufen mit den darin auftretenden Problemen und Strategien und den jeweiligen Einflussfaktoren. In der soziokulturellen Schreibforschung sind es die Schreibenden mit ihren jeweiligen individuellen Merkmalen, aber auch ihren soziokulturellen Backgrounds, die im Zentrum stehen. Und die Forschung zum berufsbezogenen L2-Schreiben fokussiert häufig die kontextuellen Bedingungen der professionellen Textproduktion. Dass es dennoch zahlreiche Schnittmengen zwischen diesen vier Hauptperspektiven gibt, versteht sich dabei von selbst. Um eine annähernde Vorstellung von der Vielfalt der forschungsleitenden Fragestellungen zu vermitteln, seien hier zumindest die wichtigsten aufgelistet: • Art, Umfang und Zusammenspiel der am Schreiben beteiligten Subprozesse (Generierungsprozesse, Planungsprozesse, Strukturierungsprozesse, Formulierungsprozesse, Revisionsprozesse usw.); • Rolle der L1 und deren Zusammenspiel mit weiteren Sprachen mit unterschiedlichem Erwerbsstatus (L2, L3, … Ln) im Schreibprozess und in der Schreibentwicklung; • Art und Umfang der beim Schreiben auftretenden L2-spezifischen Probleme einschließlich ihrer Verteilung auf verschiedene sprachliche Deskriptionsebenen (orthografisch-schriftsystematische Ebene, lexikosemantische Ebene, morphosyntaktische Ebene, mikro- und makrotextuelle Ebene, textpragmatischkommunikative Ebene); • Strategien, mit denen Lernende auf L2-spezifische Probleme reagieren; • Zusammenhang zwischen gedanklichen Inhalten und sprachlicher Form (einschließlich der Frage nach der „epistemischen Funktion“ des Schreibens); • strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede schriftlicher und mündlicher Sprachproduktion in L2; • Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen schriftlich-rezeptiver und schriftlich-produktiver Sprachverwendung, insbesondere mit Blick auf vorlagegebundene Textproduktionsformen (wie z.B. Zusammenfassungen, Kommentare, Rezensionen usw.); Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 7 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 • Rolle von Nachschlagewerken und Hilfsmitteln aller Art (Wörterbücher, Redemittelsammlungen, Mustertextsammlungen, elektronischen Hilfsmitteln, Internetquellen usw.); • Einfluss des Schreibmediums auf Schreibprozesse und Schreibprodukte; • Einfluss der Schreibaufgabe (insbesondere des Texttyps) auf Schreibverhalten und Schreibprodukt; • Zusammenhänge zwischen Merkmalen des Schreibprozesses und dem Schreibprodukt, insbesondere der Produktqualität; • individuelle Unterschiede in der Ausführung von Schreibaufgaben einschließlich ihrer Ursachen und Folgen (z.B. Unterschiede hinsichtlich schreibbiografischer Erfahrungen, Persönlichkeitsmerkmale, affektiver Einstellungen); • Auswirkungen kollaborativer Schreibformen auf Schreibprozesse und -produkte; • Verlaufsformen des L2-Schreibkompetenzerwerbs und Möglichkeiten ihrer methodisch-didaktischen Beeinflussung; • Rolle von Evaluation und Feedback; • Methoden der zuverlässigen Diagnose und differenzierten Beurteilung von L2- Schreibkompetenz; • Zusammenhang zwischen dem L2-Schreiben und dem L2-Erwerb als Ganzem. Versuche, den immer differenzierter werdenden Forschungsstand zusammenfassend aufzubereiten, haben bisher P OLIO (2003), L EKI / C UMMING / S ILVA (2008), H YLAND ( 3 2016) und in jüngster Zeit vor allem M ANCHÓN / M ATSUDA (2016) mit der Herausgabe des Handbook of Second and Foreign Language Writing unternommen. Insgesamt kann allerdings keines der genannten Werke für sich in Anspruch nehmen, den Forschungsstand zu allen vorausgehend genannten Aspekten des L2-Schreibens gleichermaßen umfassend wie aussagekräftig zu dokumentieren. Die dezidiert empirische Ausrichtung der neueren L2-Schreibforschung hat auch zu einem markanten Zuwachs der Anforderungen an die methodische Qualität der einzelnen Studien geführt (für methodische Kritik an früheren Studien vgl. R EICHELT 2016: 184f.; s. auch R EICHERT / M ARX in diesem Heft). Mittlerweile kommt ein breites Spektrum von Verfahren der Datenerhebung, der Datendokumentation und der Datenanalyse zum Einsatz. Insbesondere stehen heute solide technische Verfahren zur Verfügung, die eine kontinuierliche, periaktionale Dokumentation von Schreibprozessen ermöglichen (keystroke-logging, screen-recording, eye-tracking). Gerade auch in Kombination mit den schon seit langem in der kognitiv ausgerichteten Schreibwissenschaft praktizierten introspektiven Verfahren (insbesondere dem Lauten Denken sowie retrospektiven Verfahren wie dem stimulated recall) ermöglichen sie tiefe Einblicke in die Struktur individueller Schreibprozesse und damit in die Genese der Schreibprodukte. Insgesamt ist ein wachsender Trend zu mixed methods-Studien und zu multiple-data collection procedures zu beobachten. Auch wenn die Zahl experimenteller Interventionsstudien an identischen Versuchspersonengruppen nach wie vor gering ist, haben die zahlreichen quasiexperimentellen Querschnittuntersuchun- 8 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 gen an verschiedenen Versuchsgruppen zu vielen detaillierten Einsichten geführt. Allerdings besteht nach wie vor ein Mangel an Longitudinalstudien, die den Langzeit- Effekt von Lehrinterventionen erkunden (für einen Überblick über Forschungsmethoden vgl. P OLIO 2012; M ANCHÓN 2016; C ASANAVE 2016; S CHRAMM 2018). Mit der beschriebenen Ausdifferenzierung des Forschungsfeldes gehen allerdings neben der bereits eingangs skizzierten Überblicksproblematik noch einige andere kritische Entwicklungen einher. Dies ist zum einen die absolute Dominanz des Englischen, nicht nur als Medium der wissenschaftlichen Kommunikation, sondern auch als Gegenstand der Forschung. Zum einen werden wissenschaftliche Publikationen, die in einer anderen Sprache als Englisch verfasst werden, international so gut wie gar nicht wahrgenommen (Quod non est in lingua anglica non est in mundo). Als Beispiel lässt sich der Umstand anführen, dass sich unter den rund 2600 Literaturtiteln in den Literaturverzeichnissen der 28 Artikel im Handbook of Second and Foreign Language Writing von M ANCHÓN / M ATSUDA nur zwei deutschsprachige Literaturtitel finden. Während man die Dominanz des Englischen als Medium der Kommunikation für den internationalen wissenschaftlichen Austausch durchaus positiv sehen kann, ist die Tatsache, dass das Englische als Forschungsgegenstand dominiert und die Ergebnisse dann implizit oder explizit als sprachübergreifend gültig betrachtet werden, kritisch zu sehen, wie auch englischsprachige Forscher(innen) zunehmend erkennen: „until recently, discussion of non-English L2 writing did not become a significant part of the conversations about L2 writing, which have tended to focus on writing in English as an L2“ (R EICHELT 2016: 181). Hinzu kommt, dass Englisch in empirischen Untersuchungen manchmal die einzige „shared language“ von Forscher(inne)n und Informant(inn)en ist, und zwar auch dann noch, wenn es gar nicht um Englisch als Zielsprache geht, ein Umstand, den z.B. auch C ASANAVE als „potential weakness of qualitative inquiry in L2 scholarship“ einstuft (C ASANAVE 2016: 503). Ein wichtiges Desideratum für die zukünftige Forschung ist deshalb eine stärkere Berücksichtigung von nicht auf Englisch als Zielsprache bezogener Forschung in Verbindung mit einer stärkeren Vernetzung und einem intensiveren Austausch der verschiedenen nationalen Forschungsgruppen über Landes- und Sprachgrenzen hinweg. Ein weiteres Problem der aktuellen Forschungslage sehe ich in einer zunehmenden Entfernung von Fragen der vermittlungspraktischen Anwendung. So begrüßenswert die Verwissenschaftlichung des Forschungsfeldes und die damit einhergehende Verbesserung der wissenschaftlichen Standards v.a. auch in methodischer Hinsicht ist, so bedenklich wäre es, wenn damit eine „Abwendung von der Anwendung“ einherginge. Dass dies teilweise durchaus der Fall ist, wird manchmal gerade in den vorliegenden Forschungsüberblicken offenkundig, so z.B., wenn P OLIO und P ARK ausgerechnet in einem Forschungsüberblick über „Language development in second language writing“ feststellen: „[…] much of the research discussed above has no clear pedagogical implications“ (P OLIO / P ARK 2016: 301). Insofern ist M ANCHÓN (2016: 532) zuzustimmen, wenn sie fordert, dass die Forschung die Balance zwischen „rigor“ und „relevance“, also letztlich zwischen wissenschaftlicher Solidität und Praxisrelevanz im Auge behalten muss. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 9 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 Gerade angesichts der Gefahr, dass die Anwendungsperspektive zu sehr in den Hintergrund gerät, möchte ich im verbleibenden Teil dieses Beitrags einen zentralen Befund der bisherigen Forschung zusammenfassend darstellen und mögliche schreibdidaktische Konsequenzen daraus skizzieren. 3. Ausgewählte Befunde und schreibdidaktische Konsequenzen Lange Zeit wurde das Schreiben in der Fremdsprachendidaktik primär als eine Teilkompetenz verstanden, die separat definiert, separat vermittelt und separat getestet werden muss. Der kompetenzorientierte Ansatz und insbesondere auch der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) mit seiner differenzierenden Betrachtung von Teilkompetenzen hat zu dieser Sichtweise naturgemäß weiter beigetragen. Der vielleicht wichtigste Befund der neueren L2-bezogenen Schreibforschung lässt sich demgegenüber wie folgt zusammenfassen: Das L2-Schreiben ist nicht nur eine wichtige Teilkompetenz im L2-Erwerbsprozess, die es durch entsprechende Lehr- und Lernverfahren zu erwerben gilt (learning-to-write-Perspektive), sondern es birgt auch ein großes Potential für den L2-Erwerbsprozess als ganzen (writing-tolearn-Perspektive). Bei richtiger Nutzung dieses Potentials wirkt es sich auch förderlich auf den Erwerb anderer Teilkompetenzen aus, selbst auf das Sprechen (vgl. exemplarisch die Beiträge in M ANCHÓN 2011a, insbesondere M ANCHÓN 2011b und M ANCHÓN / R OCA DE L ARIOS 2011; H IRVELA / H YLAND / M ANCHÓN 2016). Oder pointiert formuliert: L2-Schreibkompetenz ist nicht nur eine Folge von L2-Erwerb, sondern in gewissem Sinne auch eine Voraussetzung für diesen. Das besondere Potential des Schreibens wird dabei zunächst an einer Reihe seiner typischen Merkmale als Kommunikationsform festgemacht. Zum einen ist es der banale Umstand, dass beim Schreiben im Vergleich zum Sprechen in der Regel deutlich mehr Zeit für die inhaltliche Planung, aber eben auch für das Monitoring der sprachlichen Realisierung zur Verfügung steht. Ferner besteht meist kein Zwang, sofort kommunikativ zu funktionieren, dafür jedoch ein höherer Anspruch hinsichtlich der sprachlichen Explizitheit, da kein Rückgriff auf paraverbale und situativ-kontextuelle Hilfen möglich ist. Auch der mit schriftlichen Produkten meist verbundene höhere Anspruch an die Qualität des Outputs verstärkt den Fokus auf sprachliche Angemessenheit. Und schließlich ist es die materielle Repräsentation des Textes und die damit gegebene dauerhafte visuelle Verfügbarkeit, egal ob in handschriftlicher oder maschineller Form, die eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der sprachlichen Realisierung aller bereits fixierten Textteile ermöglicht, weil sie durch erneutes Lesen ins Arbeitsgedächtnis zurückgerufen werden können und dort für Revisionen zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass die materielle Repräsentation auch Voraussetzung für externes Feedback ist. Obwohl einzelne dieser Merkmale prinzipiell auch für andere Kommunikationsformen verfügbar gemacht werden können (z.B. durch Audiodokumentation gesprochener Sprache), führen sie doch in ihrem regelmäßigen 10 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 Zusammenwirken dazu, dass beim Schreiben insgesamt ein besonderer Mix von L2spezifischen Sprachverarbeitungsformen auftritt. Eine besondere Rolle kommt dabei den beim L2-Schreiben regelmäßig auftretenden, über die rein inhaltliche Planung hinausgehenden L2-spezifischen Realisierungsproblemen zu, die jeweils auf konkrete, subjektiv von den Lernenden wahrgenommene L2-Kompetenz-Defizite verweisen (vgl. M URPHY / R OCA DE L ARIOS 2010; S CHNELL i.D.) und die den Lernenden aufgrund der o.g. Merkmale schriftlicher Kommunikation bewusster werden als bei anderen Sprachverwendungsaktivitäten. Jedes dieser Realisierungsprobleme ist unmittelbarer Ausdruck des spezifischen L2-Sprachstandes der jeweiligen Lernenden zum Zeitpunkt der Textproduktion. Die Lernenden müssen also erkennen, welche Versprachlichungsmuster noch nicht Bestandteil ihrer L2-Kompetenz sind. Diesem „noticing-the-gap-Effekt“ wird eine entscheidende Rolle in der Begründung des writing-to-learn-Potentials beigemessen (vgl. S WAIN 1998; U GGEN 2012). Denn anders als beim Sprechen, bei dem der kommunikative Druck häufig zu einfachen Kompensations-, oft aber auch zu Reduktions- oder gar Vermeidungsstrategien führt (vgl. E LLIS 2008: 357), wird das Schreiben von Lernenden eher als eine problem-solving activity erlebt. Das hat zur Folge, dass die subjektiv wahrgenommenen L2-Probleme zu spezifischen Problemlösungsschleifen führen (sog. language-related episodes, LREs, im Sinne von Swains Output-Hypothese, vgl. S WAIN 2000; S TORCH 2016: 387), in deren Mittelpunkt Hypothesen über das richtige form-function-mapping (vgl. K RINGS 2015: 46-48) in der L2 stehen. Die Lernenden werden somit zum Einsatz eines Spektrums von Strategien zum Testen dieser Hypothesen veranlasst. Die Forschungsbefunde zeigen zudem, dass beim Schreiben mehr „deliberate retrieval“ von explizitem metalinguistischen L2-Wissen stattfindet als bei anderen Sprechverwendungsformen, insbesondere auch dem Sprechen (vgl. M ANCHÓN / W ILLIAMS 2016: 575). Dadurch wird explizites Wissen teilweise in implizites überführt. Gleichzeitig wird implizites Wissen stärker auf seine Richtigkeit überprüft und wiederum in explizites überführt. Insgesamt werden somit die Querverbindungen zwischen beiden Wissensquellen gestärkt (vgl. ebd. 570). Auch sind beide Prozesse insgesamt stärker auf die „leading edge“ des L2-Erwerbsstandes der jeweiligen Lernenden bezogen, also auf jene Bereiche, in denen die meisten Unsicherheiten in der Anwendung der L2 bestehen (vgl. ebd. 575). Schließlich führt die visuelle Verfügbarkeit des sprachlichen Outputs und die damit verbundene leichtere Revidierbarkeit aller bereits schriftlich fixierten Textpassagen zu einem intensiveren Bemühen um die L2-Realisierung der jeweiligen kommunikativen Intentionen (focus-on-form- Effekt, vgl. E LLIS 2008: 111f.; K RINGS 2015: 45). Dass dem L2-Schreiben aufgrund des Zusammenwirkens der vorausgehend genannten Faktoren ein besonderes Lernpotential zukommt, bedeutet naturgemäß nicht, dass dieses Potential automatisch immer in bestmöglicher Weise zur Wirkung kommt. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche schreibdidaktischen Konsequenzen zu ziehen sind, damit das Potential optimal genutzt wird. Zentrale Elemente in der Beantwortung dieser Frage können an den drei Konzepten des noticing, des Hypothesentestens und des Feedbacks festgemacht werden. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 11 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 Für ein writing-to-learn-relevantes noticing müssen in der Praxis mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst müssen Lernende dazu gebracht werden, die richtige Grundeinstellung zu den wahrgenommenen L2-Kompetenzdefiziten zu entwickeln. Diese dürfen nicht einfach nur als Hindernisse für erfolgreiche Kommunikation, die sich einem in den Weg stellen und die man so gut wie möglich umgehen sollte, sondern als Lernanlässe wahrgenommen werden. Zum zweiten muss Lernenden ein möglichst umfassender Begriff von L2-Problemen vermittelt werden. Es geht keineswegs nur um Wortschatz- und Grammatik-Probleme, die in den subjektiven Theorien von Lernenden meist eine zentrale Stellung einnehmen, sondern es geht um jede Art von Lücken und Unsicherheiten im Gebrauch der L2, vom einfachen Orthografie-Problem über die Frage, ob eine bestimmte Wortverbindung kollokativ üblich ist, bis hin zur Frage der kommunikativen Angemessenheit einer Formulierung für eine bestimmte Zielgruppe. Es geht also nicht einfach nur um die Dichotomie „in L2 richtig oder falsch“, sondern in starkem Maße auch um gebrauchsnormative Fragen. Und natürlich sind darüber hinaus Genre-spezifische Aspekte wie Textsortenkonventionen oder Fragen der Genre-angemessenen Stilwahl zu berücksichtigen. Die dritte und in gewissem Sinne wichtigste Voraussetzung ist die explizite Bewusstmachung des Problems. Eine Möglichkeit, diese gerade auch in früheren Lernstadien und bei jüngeren Lernenden zu erreichen, besteht darin, die während des Schreibens auftretenden Probleme nicht nur gedanklich, sondern wo immer möglich auch schriftlich fixieren zu lassen, am besten genau da, wo sie auftreten, nämlich an der jeweiligen Stelle im Text. Möglicherweise reicht in vielen Fällen ein Fragezeichen über, neben oder unter dem fraglichen Wort oder der fraglichen Passage des Textes. Oft wird es aber eher sinnvoll sein, das Problem stichwortartig als Gedächtnisstütze in Frageform festzuhalten („Satzstellung korrekt? “, „Indikativ oder Konjunktiv? “, „richtig konjugiert? “, „richtige Stilebene? “, „angemessene Wortwahl? “, „Gibt es diese Wendung? “, „höflich genug formuliert? “, „Klingt das zu deutsch? “ usw.). Auch wenn Lernende beim Schreiben Alternativformulierungen erwägen, sie letztlich aber wieder verwerfen, kann es sinnvoll sein, diese im ersten Textentwurf stehen zu lassen, vor allem dann, wenn sie nur in Folge von sprachlichen Unsicherheiten verworfen wurden. Denn dann können auch sie zum Ausgangspunkt einer Überprüfung im Sinne des Hypothesentestens werden. Geschieht dies nicht, wird u.U. ohne Not ein Potential vergeben, schon einfach deshalb, weil damit auch die Feedbackmöglichkeiten eingeschränkt werden. Schließlich sollten die Lernenden ermutigt werden, auf Reduktions- und Vermeidungsstrategien zu verzichten und sich stattdessen um eine vollständige Realisierung ihrer jeweiligen kommunikativen Absichten zu bemühen. Die bloße bewusste Wahrnehmung des L2-Problems führt natürlich noch zu keinem Lernen, sondern erst einmal nur zu Hypothesen darüber, wie es in der L2 gelöst werden könnte. Diese Hypothesen müssen nun im nächsten Schritt mithilfe geeigneter Strategien überprüft werden. Dafür kommen grundsätzlich zwei Ansätze in Betracht: die Benutzung von Nachschlagewerken oder anderen Informationsquellen in eigener Regie oder das Einholen und die Nutzung eines Feedbacks von Lehrenden oder anderen kompetenten Informant(inn)en. 12 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 Aus der erstgenannten Möglichkeit ergibt sich als vermittlungsdidaktische Konsequenz, dass L2-Schreibende mit einem möglichst breiten Inventar an Hilfsmittelbenutzungs-Strategien ausgestattet werden sollten. Erfahrungsgemäß setzen viele Lernende nur ein sehr begrenztes Inventar an Hilfsmitteltypen ein, klassischerweise nur das einsprachige und das zweisprachige Wörterbuch. Ein wichtiges Vermittlungs- und Beratungsziel besteht deshalb nach wie vor darin, Lernende mit mehr Hilfsmitteltypen bekannt zu machen und sie in ihre planvolle Nutzung einzuweisen. Dabei ist z.B. an Synonym-Wörterbücher, Thesauri und Kollokationswörterbücher zu denken. Gerade dieser letzte Wörterbuchtyp kann beim L2-Schreiben sehr hilfreich sein, weil Unsicherheiten im Gebrauch sprachtypischer Wortverbindungen einen großen Anteil an den ohnehin meist quantitativ dominierenden lexikosemantischen und phraseologischen L2-Problemen haben. Natürlich müssen des Weiteren die neuen sprachlichen Recherche-Möglichkeiten des Internets genutzt werden. Dazu gehört auf der einen Seite die zielgerichtete, aber auch kritische Nutzung von Online-Wörterbüchern, aber mehr noch die Nutzung von Sprachcorpora, die sich oft sehr gut eignen, um sprachliche Akzeptanz von erwogenen L2-Formulierungen zu überprüfen oder überhaupt erst Formulierungen aufzuspüren. Dabei ist z.B. an die mittlerweile bereits sehr bekannte Plattform linguee (www. linguee.de) zu denken, aber ebenso an linguistisch systematischer konzipierte Corpora wie z.B. für das Französische das „portail lexical“, das vom Centre National de Ressources Textuelles et Lexicales (CNRTL) betrieben wird (www.cnrtl.fr/ portail/ ). In diesem Zusammenhang könnte man sich dann auch einmal kritisch auseinandersetzen mit der bei den Lernenden immer beliebter werdenden Nutzung von Übersetzungsdiensten im Internet wie Google Translate oder DeepL, die durchaus hilfreich sein können, auch beim L2-Schreiben, aber nur, wenn man über das entsprechende Problembewusstsein verfügt, um ihre Möglichkeiten und Grenzen richtig einzuschätzen. Die dritte zentrale Dimension für die Nutzung des writing-to-learn-Potentials ist das Feedback. Entsprechend intensiv hat sich die Forschung mit diesem Thema auseinandergesetzt. Vor allem das written corrective feedback (WCF) und seine Auswirkungen auf den L2-Erwerbsprozess standen immer wieder im Fokus zahlreicher experimenteller und quasi-experimenteller Untersuchungen (vgl. H YLAND / N ICOLÁS - C OMESA / C EREZO 2016: 434-435.; G OLDSTEIN 2016: 407f.). Auch wenn längst noch nicht alle Forschungsfragen befriedigend beantwortet sind (so z.B. die Frage, ob generell eher explizit-direktes oder implizit-indirektes Feedback wirksamer ist, vgl. H YLAND / N ICOLÁS -C OMESA / C EREZO 2016: 438) und einzelne von ihnen sogar zu harten Kontroversen geführt haben (z.B. die Kontroverse zwischen T RUSCOTT und F ERRIS über die Frage, ob die Korrektur grammatischer Fehler überhaupt einen Lerneffekt haben kann oder nicht, vgl. R EICHELT 2016: 191), so legt der Forschungsstand doch zumindest folgende Schlussfolgerungen nahe: Feedback hat vor allem dann gute Chancen, lernwirksam zu sein, wenn es 1. möglichst zeitnah erfolgt, wenn es 2. nicht erst auf das fertige Produkt reagiert, sondern möglichst auch prozessbezogen ist, wenn es 3. nicht rein korrektiv, sondern in einem umfassenden Sinne auf die textuelle Versprachlichung der kommunikativen Intentionen als Ganzes Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 13 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 abhebt (d.h. auf das form-function-mapping bezogen ist), wenn es 4. individualisiert und 5. bei Bedarf auch iterativ erfolgt, also in Form mehrerer Feedback-Schleifen. Und natürlich kommt als sechste und zweifellos wichtigste Voraussetzung hinzu, dass es von den Lernenden aufgenommen, verstanden und verarbeitet wird, wobei aber gerade zwischen dieser letzten Bedingung und den vorausgehend genannten klare Querverbindungen bestehen: Je weniger Bedingungen für gutes Feedback erfüllt sind, desto geringer ist auch die Bereitschaft der Lernenden, es aufzunehmen und weiterzuverarbeiten (vgl. G OLDSTEIN 2016: 418). Vieles spricht dafür, dass die genannten Bedingungen für ein lernwirksames Feedback in der Vermittlungspraxis häufig nicht gegeben sind oder nicht beachtet werden (so schon Z AMEL 1985 in einer frühen, viel beachteten Studie oder aktuell G OLDSTEIN 2016: 415). Für den deutschen Sprachraum sei exemplarisch auf die Ergebnisse einer IQB- Umfrage unter 1125 Schüler(inne)n und 121 Englisch-Lehrenden in 14 Bundesländern mittels standardisierter Fragebögen verwiesen (P ORSCH 2010), die u.a. eine starke Produktfixierung auf Kosten des Schreibprozesses ergab. So kam die Autorin der Studie u.a. zu dem Schluss, „dass ein mehrschrittiger Schreibprozess nur von wenigen Lehrkräften initiiert wird“ (P ORSCH 2010: 71). Mehr noch: in vielen Fällen scheint es überhaupt kein Feedback zu den Textprodukten zu geben. So berichtet P ORSCH , „dass mehr als die Hälfte aller Schüler sich ihren Text nach dem Verfassen häufig bzw. fast immer durchlesen und gegebenenfalls Änderungen vornehmen, jedoch ohne eine Rückmeldung von anderen Personen zu erhalten“ (ebd. 65). Von besonderer Bedeutung ist der Aspekt der zeitlichen Nähe des Feedbacks zum Schreibprozess. Das Feedback erfolgt in der Regel zeitversetzt, oft im Abstand von mehreren Tagen zum Produktionsprozess, z.B. in Form einer korrigierten Haus- oder Klassenarbeit, und es kommt in den meisten Fällen schriftlich, basierend auf Kürzeln oder kurzen Anmerkungen am Textrand oder am Textende, die die Lernenden zunächst entschlüsseln müssen. M.a.W: Das Feedback hat häufig die Form einer Minimal-Kommunikation zwischen Schreibenden und Feedback-Gebenden. Schreibprozesse laufen jedoch wie andere problem-solving-Aktivitäten typischerweise im Arbeitsgedächtnis ab und werden nicht ins Langzeitgedächtnis übernommen. Schon kurz nach Abschluss der Textproduktion sind die meisten Prozesse, die beim Schreiben abgelaufen sind, nicht mehr präsent. Das Feedback, das die Lernenden nach einigen Tagen auf ihre L2-Texte bekommen, steht somit in keinem direkten Zusammenhang mehr zu den beim Schreiben ablaufenden Prozessen. Die Schreibenden erinnern sich vielleicht noch daran, dass sie an einer bestimmten Stelle ein Ausdrucksproblem hatten; aber wie es sich im Moment des Schreibens dargestellt hat, welche Wissenskomponenten im Einzelnen gefehlt haben, welche Ausdrucksalternativen man erwogen hat, warum man sich letztlich für die Lösung entschieden hat, die jetzt auf dem Papier steht, all das wird in der Regel nicht gespeichert und steht damit als Gegenstand für ein späteres Feedback auch nicht mehr zur Verfügung. Wenn man nun die Frage aufwirft, wie man die Bedingungen für ein lernrelevantes Feedback unter Praxisbedingungen besser herstellen kann, dann hängt die Antwort 14 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 natürlich stark vom jeweiligen Lernkontext ab. Der Idealfall eines hochgradig individualisierten, zeitnahen, sich auf die textuellen Ausdrucksabsichten eines jeden Lernenden einlassenden, prozessbezogenen Feedbacks wird dabei naturgemäß am ehesten in Einzelunterrichts- und Kleingruppen-Situationen möglich sein. Doch auch in größeren Lerngruppen ist zumindest eine Annäherung an die Erfordernisse eines wirksamen Feedbacks im Sinne der o.g. Bedingungen möglich. Wenn z.B. in einer Lerngruppe bei einer häuslichen Schreibaufgabe alle das Prinzip beachtet haben, dass die wichtigsten beim Schreiben auftretenden L2-Probleme stichwortartig festgehalten werden (s.o.), dann kann man diese Probleme im Unterricht zumindest in einer Auswahl vorstellen lassen und der/ die Lehrende kann dazu interaktives Feedback geben. Auch wenn dabei natürlich nicht jedes L2-Problem für jeden Lernenden relevant ist, wird es in einer einigermaßen homogenen Lerngruppe durchaus genug Überschneidungen geben, so dass auch die anderen Lernenden von diesem Feedback profitieren. Weitere Möglichkeiten tun sich auf, wenn man die unterrichtliche Dimension in Richtung autonomer Lernformate erweitert. Dann können Lehrende in ihrer Funktion als Lernberatende zum einen aufzeigen, welche sprachlichen Probleme die Lernenden auf welche Weise durch den Einsatz von Hilfsmitteln autonom lösen können, andererseits aber auch Strategien vermitteln, wie die Lernenden sich individualisiertes Feedback von Dritten holen, z.B. von einem Tandempartner oder einer Tandempartnerin. Gerade das Tandem ist ein ideales Feedback-Setting, denn es erfüllt potentiell alle vorhin genannten Voraussetzungen für ein lerneffizientes Feedback: Das Feedback kann zeitnah stattfinden, z.B., wenn kurz vor oder sogar während des Tandemtreffens geschrieben wird, es kann dadurch leicht auf die Schreibprozesse bezogen werden, es kann auf natürliche Weise interaktiv sein und so ein umfassendes meaning negotiation ermöglichen. Das heißt, der Tandempartner/ die Tandempartnerin kann immer wieder nachfragen, was die kommunikative Absicht des/ der Schreibenden war, um dann Vorschläge zu machen, wie man diese in der Zielsprache jeweils angemessen realisiert. Allerdings wenden Tandem-Lernende diese Techniken erfahrungsgemäß nicht automatisch an, sondern tendieren oft dazu, die Feedback-Arten, die sie selbst jahrelang im Fremdsprachenunterricht erfahren haben, in der Tandem-Situation zu reproduzieren. Auch sie benötigen also ein spezielles Strategietraining, um optimale Feedbackformen zu gewährleisten. Nicht zuletzt dieser letzte Aspekt weist auf eine grundsätzliche Bedingung hin: Lernende, Lehrende und Beratende müssen die Bedingungen für die Wirksamkeit von Feedback kennen und gemeinsam darauf hinwirken, dass diese so gut wie möglich erfüllt sind - ein Umstand, der oft nicht gegeben ist. Insbesondere in der Lehrenden- Ausbildung muss somit das Thema Feedback in der Schreibdidaktik stärker als bisher unter dem Gesichtspunkt der vorliegenden Forschungsergebnisse zu seiner Rolle für das writing-to-learn thematisiert werden. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 15 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 4. Ausblick auf die nachfolgenden Beiträge des Themenheftes Im Vorausgehenden konnten nur einige wenige Befunde aus der jüngeren L2-Schreibforschung und mögliche Konsequenzen daraus skizziert werden, festgemacht an der zentralen Frage der Nutzung des writing-to-learn-Potentials. 2 Wie im Laufe dieses Beitrags deutlich wurde, hat sich die L2-bezogene Schreibforschung jedoch inzwischen sehr differenziert entwickelt. Die nachfolgenden Beiträge in diesem Themenheft werden deshalb eine Reihe von zentralen Aspekten der Fachdiskussion herausgreifen und überblicksartig darstellen. Es folgt ein kurzer Ausblick auf die behandelten Inhalte. Im ersten der nachfolgenden Beiträge fragt E STHER O DILIA B REUER zunächst nach den Unterschieden zwischen Schreibprozessen in der Erst- und in der Fremdsprache. Es liegt auf der Hand, dass die Antworten auf diese inzwischen recht umfangreich bearbeitete Forschungsfrage eine entscheidende Voraussetzung für das Verständnis der strukturellen Besonderheiten fremdsprachlicher Schreibprozesse und damit eine Voraussetzung für ihre steuernde Beeinflussung von außen ist. Die Autorin stellt zahlreiche einschlägige Forschungsbefunde vor, differenziert nach den einzelnen Subprozessen des Schreibens (namentlich zu Generierungs-, Planungs-, Transformations-, Ausführungs- und Revisionsprozessen). Dabei wird u.a. deutlich, dass beim fremdsprachlichen Schreiben nicht einfach L1gesteuerte durch L2-gesteuerte Prozesse ersetzt werden, sondern dass diese sich auf komplexe Weise überlagern und miteinander interagieren. Viele der referierten Forschungsbefunde zum Einfluss von Schreibaufgaben und Schreibbedingungen auf Schreibprozesse liefern dabei Anhaltspunkte für die gewünschte didaktische Beeinflussung dieser Prozesse. Schließlich wird auch deutlich, wie wichtig ein kognitives Ressourcen-Management für die erfolgreiche Bewältigung der besonderen Anforderungen fremdsprachlichen Schreibens ist. Schreibkompetenzerwerb fand lange Zeit typischerweise zunächst im Rahmen einer Erstsprache statt, die auch Familiensprache, Sprache der Erstliteralisierung und Hauptbildungssprache war, und anschließend, deutlich zeitversetzt, im Rahmen des Fremdsprachenlernens in einem primär schulischen Umfeld. Angesichts eines breiten Spektrums von Formen lebensweltlicher Mehrsprachigkeit, die sich inzwischen herausgebildet haben, stellt sich auch der Schreibkompetenzerwerb heute wesentlich facettenreicher dar. Dies wirft zwangsläufig die Frage auf, wie Schreibkompetenz bei Mehrsprachigen strukturiert ist und insbesondere inwieweit Schreibkompetenz von einer Sprache auf eine andere übertragbar ist, z.B. von Deutsch als Zweitsprache auf eine Herkunftssprache, die zwar Familiensprache, aber nicht primäre Bildungssprache ist. Diesen Fragen widmen sich M ARIE -C HRISTIN R EICHERT und N ICOLE M ARX in ihrem Beitrag. Sie referieren zum einen die dazu vorliegenden Forschungsbefunde, weisen zum anderen aber auch auf einige grundlegende methodische Schwierigkeiten und z.T. auch Mängel hin, die in der bisherigen Forschung aufgetreten sind, z.B. die ver- 2 Für eine Zusammenstellung von praktischen Ratschlägen für autonom Lernende vgl. K RINGS (2016a: 520-569). 16 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 breitete Tendenz, Schlüsse aus dem Vergleich des Schreibverhaltens unterschiedlicher Proband(inn)engruppen zu ziehen, statt Vergleichsdaten von den gleichen Schreibenden zu erheben. Insgesamt zeigt sich dennoch, dass Schreibkompetenz einen deutlichen Anteil sprachübergreifender Komponenten enthält und dass es bei Mehrsprachigen positive Transfereffekte zwischen den Sprachen gibt, und zwar durchaus nicht nur in einer Sprachrichtung. Abschließend geben die Autorinnen erste vorsichtige Empfehlungen, wie diese Effekte didaktisch verstärkt werden können und fordern in diesem Zusammenhang insbesondere eine zwischen den einzelnen Sprachfächern besser koordinierte unterrichtliche Schreibkompetenzvermittlung. Ziel des Beitrags von B ERND T ESCH ist es, einen Überblick darüber zu geben, welche Formen und Funktionen für das Schreiben in den Rahmenbedingungen des derzeitigen institutionellen Fremdsprachenunterrichts vorgesehen und realisierbar sind. Dazu ordnet er Schreibkompetenz zunächst als Komponente einer umfassenden literalen Textkompetenz ein, die mehr umfasst als nur die Beherrschung fremdsprachiger Schreibmuster und Schreibkonventionen. Anschließend analysiert er die entsprechenden Vorgaben im GeR einschließlich des Companion von 2018 mit seiner stärkeren Betonung von interaktiven, online-basierten Schreibformen sowie in den Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss und in jenen für die Allgemeine Hochschulreife. Sodann stellt er verschiedene Schreibformen vor, gruppiert nach ihren jeweiligen Funktionen, beginnend mit heuristischen Schreibformen, bei denen primär Metawissen über Schreibprozesse und Schreibprodukte erworben wird, bis hin zu komplexen Lern- und Prüfungsformen des Schreibens, wie sie z.B. in den stark konventionalisierten Abitur-Schreibaufgaben vorkommen. Konkrete französisch- und englischsprachige Aufgabenbeispiele illustrieren die Ausführungen. Der Beitrag schließt mit einem Blick in den französischen und angloamerikanischen Raum und auf die dort jeweils verbreiteten Textformen der dissertation litteraire bzw. des essay mit ihren speziellen textstrukturellen Ausprägungen. So wird insgesamt noch einmal die Kulturgebundenheit bestimmter Schreibformen deutlich. Konkrete Fragen der Vermittlung von Schreibkompetenz fokussiert der Beitrag von R APHAELA P ORSCH . Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Sekundarstufe I. Die Autorin weist zunächst darauf hin, dass kaum empirisch fundierte Daten zum real stattfindenden Englischunterricht an Schulen und damit auch nicht zur Praxis der Schreibvermittlung vorliegen. Auf der Grundlage des GeR und der Bildungsstandards erarbeitet sie dann eine operationale und damit vermittlungsrelevante Definition von Schreibkompetenz. Auf dieser Grundlage diskutiert sie anschließend fünf Hauptdimensionen, für die entsprechende Vermittlungskonzepte erarbeitet werden müssen. Neben den grammatikalischen, lexikalischen und orthographischen Basiskomponenten und dem Wissen um Textsortenkonventionen geht es dabei auch um den Erwerb der Fähigkeit, eigene Schreibprozesse prozessual optimal zu phasieren. Anders als die Bildungsstandards betont sie des Weiteren die besondere Bedeutung kreativer Schreibformen, denen sie zusätzliche motivationale Effekte zuschreibt. Und schließlich rechnet sie zur Schreibkompetenzvermittlung auch die Fähigkeit, Schreibprodukte in unterschiedlichen medialen Kontexten präsentieren zu können. Aus der Viel- Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 17 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 zahl der aus diesen fünf Dimensionen resultierenden Aufgaben für die didaktische Umsetzung greift sie anschließend exemplarisch zwei heraus; zum einen die Frage des Umgangs mit heterogenen Lernvoraussetzungen und zum anderen die Realisierung von Prozessorientierung. Sie zeigt dabei u.a., dass gerade dieser letzte Aspekt eine Revision des tradierten Leistungsbegriffs und ein Überdenken der rein produktbezogenen Leistungsbeurteilung erfordert. Der Beitrag schließt mit einem Plädoyer für eine stärkere Berücksichtigung schreibdidaktischer Themen in der Lehrendenausbildung, eine Forderung, die gerade für die Sekundarstufe 1 nicht zuletzt wegen des hohen Anteils fachfremd Lehrender von großer Bedeutung erscheint. Die Internationalisierung des wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsbetriebs hat zur Etablierung des Englischen als akademischer lingua franca geführt und verlangt deshalb von immer mehr Studierenden, Lehrenden und Forschenden, die keine muttersprachlichen Sprecher(innen) des Englischen sind, akademische Texte in dieser international dominierenden Wissenschaftssprache zu verfassen. Vor diesem Hintergrund fragen J ULIA H ÜTTNER und A NGELIKA R IEDER -B ÜNEMANN in ihrem Beitrag, wie Studierende diese spezielle Form von Schreibkompetenz, die in der Schule praktisch nicht vorkommt, selbst konzeptualisieren, welche Herausforderungen für sie damit verbunden sind und welche Prozesse während des Erwerbs akademischer Schreibkompetenz im Laufe des Studiums bei ihnen ablaufen. Dazu erinnern die Autorinnen zunächst an die besondere Bedeutung der Beherrschung der gängigen primär schriftkonstituierten akademischen Genres, stellen diese aber auch in den Zusammenhang einer umfassenderen akademischen Literalität, die erst in ihrer Gesamtheit die vollwertige Teilhabe an den akademischen Diskursgemeinschaften möglich macht. Sie legen dar, dass der Erwerb einer fachspezifischen akademischen Schreibkompetenz im Englischen während eines Studiums nicht von selbst eintritt, sondern dass es der gezielten Förderung bedarf, unabhängig davon, welche Erstsprache Studierende sprechen. Im Kontrast zu den bisher stark dominierenden Forschungen aus dem angloamerikanischen Raum nehmen die Autorinnen dann v.a. die akademische Schreibausbildung an Universitäten in einem nicht englischsprachigen Umfeld ins Visier und berichten im Hauptteil ihres Beitrags von den Ergebnissen zweier eigener empirischer Studien, die mit Studierenden an der Universität Wien durchgeführt wurden, die erste Studie an Studierenden im zweiten Studienjahr ohne spezielles Training im Bereich des akademischen Schreibens, die zweite an Studierenden in einer fortgeschrittenen Studienphase, die bereits an einem Kurs English for academic purposes (EAP) teilgenommen hatten. Die mit Hilfe von Fragebögen, Interviews sowie schriftlichen Reflexionsberichten erzielten Ergebnisse, die die Autorinnen mit Zitaten ihrer Informant(inn)en veranschaulichen, zeigen zum einen die Wahrnehmung der verschiedenen mit dem akademischen Schreiben verbundenen kognitiven und affektiven Herausforderungen aus der subjektiven Sicht der Betroffenen auf, zum anderen aber auch die deutliche Entwicklung, die Studierende beim Erwerb akademischer Schreibkompetenz während des Studiums durchlaufen. Insgesamt liefern die Daten viele Belege für die Sinnhaftigkeit einer fachspezifischen akademischen Schreibausbildung, so wie sie durch die Schaffung von Schreibzentren heute an vielen Hochschulen bereits 18 Hans P. Krings DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 49 (2020) • Heft 1 angeboten wird, allerdings ohne dass ein klarer Trend zu einer festen curricularen Verankerung dieser Angebote in den einzelnen Studiengängen erkennbar wäre. Angesichts der Tatsache, dass die Kompetenzorientierung heute als eines der Grundprinzipien der Fremdsprachenvermittlung fest etabliert ist, liegt es auf der Hand, dass auch Schreibkompetenzen zuverlässig diagnostiziert und Lernende durch ein qualifiziertes Feedback zu ihrer Weiterentwicklung angeregt werden müssen. Diesem Thema ist der Beitrag von C LAUDIA H ARSCH gewidmet. Die Autorin stellt zunächst die grundlegenden Anforderungen dar, die an eine qualifizierte Beurteilung von Sprachleistungen im Allgemeinen und von Schreibleistungen im Besonderen zu stellen sind, so etwa die Festlegung des Beurteilungszwecks (Diagnose, Lernerfolgskontrolle oder individuelle bzw. allgemeine Kompetenzstandsfeststellung mit Blick auf ein Bildungsmonitoring), die genauere Bestimmung des Beurteilungsgegenstandes (z.B. verschiedene Teilaspekte von Schreibkompetenz), die Entwicklung valider und reliabler Beurteilungskriterien, die sorgfältige Dokumentation der Ergebnisse usw. Dabei wird deutlich, dass angesichts der Mehrdimensionalität des Konstrukts „Schreibkompetenz“ die Wahl geeigneter Beurteilungsinstrumente in engem Zusammenhang mit dem Beurteilungszweck zu sehen ist. Die Autorin geht auch auf die Frage ein, wie die Beurteilungsverfahren an die Niveaustufen des GeR rückgebunden werden können, der naturgemäß keine konkreten Vorgaben zur Entwicklung solcher Verfahren macht. Abschließend stellt die Autorin dar, wie die verschiedenen Verfahren der Fremd-, der Lehrenden-, der Selbst- und der Peerbeurteilung eingesetzt werden können, um den Lernenden Rückmeldung auf die jeweils fokussierten Teilaspekte von Schreibkompetenz zu geben. Dabei dient diese Rückmeldung nicht nur als Grundlage für die weitere Entwicklung der Schreibkompetenz selbst im Sinne eines positiven Washback-Effektes, sondern sie soll idealiter auch die Entwicklung einer Selbstbeurteilungskompetenz fördern und damit zur Lernenden-Autonomie beitragen (z.B. durch die Einbindung externer diagnostischer Selbsteinstufungs-Instrumente wie dem DIALANG-System). Ungeachtet der rasanten Entwicklung, die die L2-bezogene Schreibforschung in den letzten zwei Jahrzehnten genommen hat und in die die Autor(inn)en der Beiträge dieses Heftes thematisch fokussierte Einblicke geben, bestehen nach wie vor noch zahlreiche Forschungsdefizite, die damit gleichzeitig Ansatzpunkte für zukünftige Forschungen in Form von individuellen Qualifizierungsprojekten oder auch größeren Verbundprojekten darstellen. Sie betreffen z.B. die Auswirkungen des Schreibmediums und medienspezifischer Textformen (namentlich im Rahmen von sozialen Medien) oder die Stimulierung von schreibbezogenen Lernprozessen durch musterhaften textuellen Input. Doch auch die bereits vorliegenden Befunde der Forschung sind naturgemäß nie als letzte Weisheiten zu betrachten, sondern müssen immer wieder auf den Prüfstand. Denn schließlich gilt auch für die Schreibforschung das, was der Physiker und Nobelpreisträger Linus Pauling für seine Disziplin so treffend auf den Punkt brachte: „Wissenschaft ist Irrtum auf den neusten Stand gebracht“. Zur Einführung in den Themenschwerpunkt 19 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0001 Literatur C ASANAVE , Christine Person (2016): „Qualitative inquiry in L2 writing“. In: M ANCHÓN / M ATSUDA (Hrsg.), 497-517. D ENGSCHERZ , Sabine (2019): Professionelles Schreiben in mehreren Sprachen. Strategien, Routinen und Sprachen im Schreibprozess. Habilitationsschrift, Universität Wien. 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