Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2020-0004
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
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Gnutzmann Küster SchrammFormen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht
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Bernd Tesch
flul4910051
49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 B ERND T ESCH * Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht Abstract. The focus of this article is on the development of writing as part of literacy in the foreign language, i.e. process and product knowledge derived from specific writing forms and formats. This goal is especially dealt with in different parts of the Common European Framework of Reference for Languages and the Standards of Education (Bildungsstandards) current in all types of German secondary education. The Standards of Education also reference canonized forms of writing in foreign language teaching: heuristic forms of writing to develop process and product knowledge, as well as evaluative forms. Other central forms of writing in foreign language teaching feature different forms of cooperation (individual, cooperative and collaborative) and different forms of knowledge (process and product knowledge), and thus mark the intersection with teaching methodology. Diagnostic multilingual writing complements the writing forms mentioned above. The article will finish by taking a look at culturally shaped forms of writing in France and English-speaking countries. 1. Die Funktion des Schreibens zum Aufbau fremdsprachlicher literaler Kompetenz Das Schreiben in der Fremdsprache ist alles andere als eine Fertigkeit, die gut trainierbar und leicht messbar wäre. Diese Feststellung bestätigt sich bei jedem Blick auf Lernertexte: Dem geschulten Auge des Unterrichtenden fallen Kohärenz- und Kohäsionsprobleme neben sprachunangemessenen Formulierungen auf, Eins-zu-Eins- Übertragungen aus der Erstsprache sowie Vermeidungs- und Reduktionsphänomene. Schon die Bezeichnung ,Fertigkeit‘ erscheint angesichts der Komplexität des Schreibens in der Fremdsprache als unangemessen bzw. verkürzend. Das Schreiben generell und natürlich auch das Schreiben in einer Fremdsprache wurden in den letzten zwanzig Jahren fachdidaktisch zunehmend als Komponente von Literalität bzw. von literaler Kompetenz wahrgenommen und modelliert. Der aus dem Englischen (literacy) übernommene Begriff bedeutet im didaktischen Diskurs weit mehr als nur die Fähigkeit, Texte lesen und schreiben zu können; ihn kennzeichnet vielmehr eine multiple Aspektstruktur. Besonders in der DaF-DaZ-Didaktik wurde * Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Bernd T ESCH , Romanisches Seminar Universität Tübingen, Wilhelmstraße 50, 72074 T ÜBINGEN E-Mail: bernd.tesch@uni-tuebingen.de Arbeitsbereiche: Romanistische Fachdidaktik. Forschungsschwerpunkte: Rekonstruktive Methodik und Methodologie, Normen und Praktiken des fremdsprachlichen Klassenzimmers, Literaturdidaktik 52 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 daher frühzeitig das umfassendere Konzept der Textkompetenz stark gemacht (vgl. P ORTMANN -T SELIKAS 2002; S CHMÖLZER -E IBINGER 2008). Der Linguist und Deutschdidaktiker Helmuth F EILKE (2011) unterscheidet bezogen auf literale Kompetenz einen Kulturaspekt, einen Handlungsaspekt und einen Strukturaspekt. F EILKE s Ansatz interessiert an dieser Stelle insofern, als die von ihm entworfene Aspektstruktur auch eine gute Passung zu den Formen und Funktionen des Schreibens in einer Fremdsprache aufweist, wobei heuristische Schreibformen, die dem Aufbau und der Entwicklung bestimmter Aspekte des fremdsprachlichen Schreibens dienen, von evaluativen Schreibformen, die der Diagnose und Überprüfung des Schreibens dienen, unterschieden werden können. Es ist hier nicht der Ort, die Relation von muttersprachlicher oder verkehrssprachlicher konzeptioneller Schriftlichkeit (vgl. K OCH / O ESTERREICHER 1985, 1994; F EILKE 2007) und der konzeptionellen Schriftlichkeit allgemein in Fremdsprachen zu bestimmen. Ebenso wenig ist es an dieser Stelle aus Platzgründen möglich, die von F EILKE aufgezählten Teilaspekte im Hinblick auf das fremdsprachliche Schreiben zu besprechen. Beispielhaft für den Kulturaspekt sei darauf hingewiesen, dass es eine literale Praktik des Schreibens im und für den Fremdsprachenunterricht gibt, die sich aus der kanonisierten Form der Abituraufgabe ableitet und meist zuerst eine Zusammenfassung (sum up ..., faites un résumé de ...), dann eine Analyse (analyse the attitude of, analysez le comportement) und zuletzt einen Kommentar (give your opinion, pesez le pour et le contre) oder einen kreativen Schreibauftrag beinhaltet. Diese Praktik hat im institutionalisierten deutschen Fremdsprachenunterricht eine mittlerweile fast fünfzigjährige Tradition. Komplementär dazu genießt das Schreiben im Fremdsprachenunterricht generell einen hohen Stellenwert für die Notenvergabe. Noch heute überwiegt die Schriftlichkeit im Abitur klar gegenüber mündlichen Prüfungsteilen. Ein bedeutsamer Handlungsaspekt des fremdsprachlichen Schreibens liegt in den Praktiken der sozialen Konstruktion von Sprache. Schreiben wird ebenso wie das Sprechen sozial gelernt (vgl. V YGOTSKY 1934/ 1970), insbesondere durch Problemlöseverhalten (vgl. F LOWER / H AYES 1977; B ERKENKOTTER 1982; C OE / R YCROFT / E RNEST 1983; F EILKE 2011). Zunächst dient die Lehrperson als Vorbild, zunehmend kommen dann - v.a. beim kollaborativen Schreiben (vgl. S TORCH 2011, 2013 W IGGLESWORTH / S TORCH 2012; L EHNEN 2014) - die Mitschüler hinzu. Die geschriebenen Texte, die den Lernenden in den schulischen Medien (v.a. Lehrwerk) und den außerschulischen Medien (v.a. Internet) begegnen, dienen als Modell. Die Rekonstruktion dieser Modelltexte bestimmt nun den Prozess des eigenen schriftlichen Kompetenzaufbaus ganz entscheidend und ist ein dauerhafter und langwieriger Vorgang, der insbesondere für die im Vergleich zum Englischen spät gelernten und mit kürzeren Lernstrecken ausgestatteten romanischen Schulsprachen eine Herausforderung darstellt. Hier versagt die relative Leichtigkeit des erstsprachlichen Schreibens zunächst völlig; die neuen Routinen müssen vor dem Hintergrund ständiger Fehleranfälligkeit und Ambiguitätskonflikte erst mühsam aufgebaut werden. Diese Beobachtung führt zu strukturellen Aspekten der konzeptionellen fremdsprachlichen Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 53 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 Schriftlichkeit, d.h. der angemessenen „Konstruktion der sprachlichen Explizitform“ (F EILKE 2011: 13). 1 Auf die genannten Aspekte ist weiter unten bei den Ausführungen zu den Bildungsstandards näher einzugehen. Festzuhalten ist bereits hier, dass der Aufbau und die Entwicklung einer fremdsprachlichen literalen Kompetenz viel mehr impliziert als nur das Einüben von fremdsprachigen Schreibmustern und -konventionen. Sie umfasst eine bewusste Auseinandersetzung mit allen Aspekten des Schreibens, auch des Sprechens über das Schreiben, sowie die besonderen Eigenschaften und Qualitäten schriftlicher Texte. K ERN (2000) diskutiert breit die Implikationen des literacy- Begriffs für den Fremdsprachenunterricht und resümiert: „literacy is not seen as a uniform and universal construct, but rather as a dynamic set of linguistic, social, and cognitive processes that are culturally-motivated“ (ebd.: 39). Diese mehrdimensionale Sicht auf das Lesen und Schreiben wurde durch die Verwendung des literacy-Begriffs seit PISA 2000 im Sinne von funktionaler Grundbildung 2 befördert und umfasst die beiden Aspekte der Anwendbarkeit und Anschlussfähigkeit. Anwendbarkeit meint die gesellschaftliche Teilhabe, Anschlussfähigkeit das kontinuierliche und lebenslange Weiterlernen. Diesen sehr weiten Blick gilt es im Folgenden auf die schriftliche fremdsprachliche literale Kompetenz zu fokussieren, ohne die beiden Aspekte der Anwendbarkeit und Anschlussfähigkeit dabei aus dem Auge zu verlieren. Sie haben erhebliche Auswirkungen auf die künftige Gestaltung der Formen und Formate des Schreibens im Fremdsprachenunterricht, ist es doch eine nicht unumstrittene Frage, welche schulischen Schreibformate als in der Lebenswirklichkeit anwendbar bzw. an die Lebenswirklichkeit anschlussfähig betrachtet werden können. Wie anschlussfähig ist beispielsweise die traditionelle Abituraufgabe, und welche Rolle spielen Internetformate wie Blogs und Foreneinträge in der fremdsprachlichen Schreibdidaktik? Die an dieser Stelle erforderliche Fokussierung wird teilweise durch die normativen Bezugsdokumente des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen (forthin GeR) und der Bildungsstandards angebahnt, was Gegenstand des nächsten Abschnitts ist. Die Bildungsstandards orientieren sich explizit am GeR (E UROPARAT 2001) und spiegeln in ihren beiden Etappen 2003/ 2004 und 2012/ 2014 eine Entwicklung, in der Politik und Fachdidaktik zusammenwirkten. 1 Dazu F EILKE (ebd.): „Bei literaler Sprachbewusstheit geht es um Sprachbewusstheit unter den Vorzeichen der Explizitformenerwartung. Nicht Spracherfahrung und Sprachaufmerksamkeit schlechthin ist hier die Ressource für Erfolg im Schriftspracherwerb, sondern Schriftspracherfahrung und Schriftsprachaufmerksamkeit“. 2 https: / / www.pisa.tum.de/ kompetenzbereiche/ 54 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 2. Funktionen des fremdsprachigen Schreibens im Rahmen normativer Kompetenzmodelle 2.1 Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen Die Bildungsstandards von 2003/ 2004 entstanden im Anschluss an die sog. K LIEME - Expertise (K LIEME et al. 2003), in der die allgemeine Ausrichtung des Unterrichts an dem Aufbau und der Weiterentwicklung von Kompetenzen sowie der Ausrichtung an überprüfbaren Ergebnissen gefordert wurde. Bereits die K LIEME -Expertise empfahl, das Kompetenzmodell und die Stufungen des GeR als Grundlage für die Bildungsstandards zu wählen, was angesichts des Anspruchs des GeR, Grundlagen für eine europaweite Vergleichbarkeit des Sprachenlehrens und -lernens zu legen, plausibel erschien. Doch bietet der GeR auch die gesuchten Konkretisierungen im Hinblick auf Formen, Funktionen und Formate des Schreibens? Der GeR bietet eine Deskriptorenmatrix aus Teilkompetenzen und darauf bezogenen Niveaus an. Die Teilkompetenzen des Schreibens umfassen neben den allgemeinen Skalen für die schriftliche Produktion und die schriftliche Interaktion das kreative Schreiben, das Schreiben von Berichten und Aufsätzen, Korrespondenz sowie Notizen, Mitteilungen und Formularen. Im sog. Companion to the CEFR kamen 2018 online conversation and discussion sowie goal-oriented online transactions and collaboration hinzu. Werfen wir bezüglich der Formen und Funktionen des Schreibens beispielhaft einen Blick auf das Niveau B1. Zitiert wird an dieser Stelle die Aktualisierung von 2018 (C OUNCIL OF E UROPE ). Folgende Schreibaktivitäten werden genannt: Kreatives Schreiben, Berichte und Aufsätze schreiben, Korrespondenz, Notizen, Mitteilungen und Formulare, Online-Konversation und Online-Diskussion. Diese Aufzählung verrät freilich noch wenig über die didaktische Funktion des Schreibens. Wir erfahren also nichts darüber, warum eine bestimmte Aktivität ausgewählt wurde oder von einem Sprachenlehrer für seinen Unterricht ausgewählt werden sollte. Auch die Deskriptoren geben keine zusätzlichen fachdidaktischen Informationen: „Can clearly signal chronological sequence in narrative text“ (ebd. 76). Der Deskriptor beinhaltet einen Handlungsaspekt (Can clearly signal) und zwei Strukturaspekte („chronological sequence in narrative text“), aber keinen Kulturaspekt. Andere Deskriptoren sind noch informationsärmer (Can narrate a story.). Die Selektivität der Strukturaspekte und insbesondere das völlige Fehlen der Kulturaspekte machen mithin den GeR zu einem eher unbrauchbaren Instrument zur fachdidaktischen Bestimmung des Schreibens in seinen Formen und Funktionen. Lediglich der Handlungsaspekt wird insbesondere durch die separat aufgeführten Strategieskalen einigermaßen abgedeckt. Was der GeR dagegen leistet, ist eine Inventarisierung von relevant erachteten Textsorten. Die Deskriptoren wurden für die aktualisierte Fassung von 2018 substantiell ergänzt (z.B. „online exchanges with more than one participant, recognising the communicative intentions of each contributor“). Didaktisch sind die neuen Skalen insofern interessant, als sie mit den in den Bildungsstandards und weitergehend in den Lehrwerken und in der Prüfungspraxis anzutreffenden Textsorten Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 55 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 abgeglichen werden könnten, um daraus wiederum Schlüsse auf die derzeitige Unterrichtspraxis zu ziehen und gegebenenfalls Impulse für die Weiterentwicklung des Unterrichts zu geben. 2.2 Bildungsstandards Die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss und den Mittleren Schulabschluss von 2003/ 2004 gehen einen ähnlichen Weg wie der GeR, d.h. sie modellieren und stufen Kompetenzen und Teilkompetenzen, beinhalten allerdings zusätzlich illustrierende Aufgabenbeispiele. Die Schreibstandards für den Mittleren Schulabschluss umfassen u.a.: • eine Nachricht notieren, wenn jemand nach Informationen fragt oder ein Problem erläutert (B1+), • in persönlichen Briefen Mitteilungen, einfache Informationen und Gedanken darlegen (B1), • einfache standardisierte Briefe und E-Mails adressatengerecht formulieren, z.B. Anfragen, Bewerbungen (B1), • unkomplizierte, detaillierte Texte zu einer Reihe verschiedener Themen aus ihren Interessengebieten verfassen, z.B. Erfahrungsberichte, Geschichten, Beschreibungen (B1), • kurze einfache Aufsätze zu Themen von allgemeinem Interesse schreiben (B1), • kurze Berichte zu vertrauten Themen schreiben, darin Informationen weitergeben, Gründe für Handlungen angeben und Stellung nehmen (B 1+). Die Liste erscheint im Vergleich zu den Skalen des Companion to the CEFR rudimentär, was allerdings in erster Linie auf die Einbeziehung der schriftlichen Interaktion und insbesondere der Online-Kommunikation im Companion to the CEFR zurückzuführen ist. Interessanterweise wird die Interaktion 2003/ 04 noch ganz im mündlichen Bereich modelliert (vgl. ebd.: 17); strukturell und kulturell könnte man durch die seitdem sich rasend verbreitende Online-Kommunikation von einer Revolution der schriftlichen Interaktion sprechen. Die Interaktion wird 2003/ 04 übrigens als eine methodische Kompetenz bezeichnet (vgl. ebd.). Auch die Textproduktion wird neben der Textrezeption als methodische Kompetenz modelliert. Hier werden basale fremdsprachliche Schreibfunktionen wie das Notizenanfertigen „zur Vorbereitung eigener Texte oder Präsentationen“ sowie Schreibformen zum Aufbau eines Prozesswissens erwähnt. Die illustrierende Lernaufgabensammlung, die den Bildungsstandards 2003/ 2004 angehängt wurde, umfasst allerdings lediglich Prüfungsformate, weshalb daraus keine weitergehenden Schlüsse auf Formen und Funktionen des fremdsprachlichen Schreibens gezogen werden können. Dieses Desiderat wurde erkannt, so dass die Einbeziehung komplexer Lernaufgaben in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife 2012 endlich eine breite Operationalisierung von Schreibfunktionen und Schreibformen erlaubt. Die basalen Funktionen der Schreibstandards von 56 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 2003/ 04 werden in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife 2012/ 2014 substantiell erweitert. Diese Erweiterung wird allerdings nicht aus den Schreibstandards selbst, sondern erst aus dem neuen Kompetenzstrukturmodell verständlich. Hier wird die sog. funktionale kommunikative Kompetenz (Hör-/ Hörsehverstehen, Leseverstehen, Schreiben, Sprechen, Sprachmittlung) zentral gesetzt und von mehreren integrativen bzw. transversalen Kompetenzen gerahmt: der interkulturellen kommunikativen Kompetenz, der Text- und Medienkompetenz, der Sprachbewusstheit und der Sprachlernkompetenz. Unterbrochene Linien deuten an, dass diese in ihrer Interaktion mit den funktionalen Kompetenzen zu sehen sind. Das bedeutet für das Schreiben, dass nunmehr auch die interkulturelle, textual-mediale, sprachreflexive und sprachlernbezogene Funktion mitgedacht werden muss, was weiter unten an einem Beispiel verdeutlicht werden soll. Die Schreibstandards der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (2014) umfassen auf grundlegendem Niveau • Schreibprozesse selbstständig planen, umsetzen und reflektieren, • Texte in formeller oder persönlich-informeller Sprache verfassen und dabei wesentliche Konventionen der jeweiligen Textsorten beachten, • Informationen strukturiert und kohärent vermitteln, • sich argumentativ mit unterschiedlichen Positionen auseinandersetzen, • Texte zu literarischen und nicht-literarischen Textvorlagen verfassen, • eigene kreative Texte verfassen, ggf. in Anbindung an eine Textvorlage, • Textsorten zielorientiert in eigenen Textproduktionen situationsangemessen verwenden, • diskontinuierliche Vorlagen in kontinuierliche Texte umschreiben und auf erhöhtem Niveau • aus einem breiten Spektrum eine Textsorte auswählen, in eigenen Textproduktionen situationsangemessen und adressatengerecht umsetzen und dabei die Konventionen der jeweiligen Textsorte beachten, • bei der Textgestaltung funktionale Gesichtspunkte, z.B. Leserlenkung und Fokussierung, beachten, • literarische und nicht-literarische Textvorlagen transformieren, z.B. einen historischen Text in einen modernen Text umwandeln, einen Text mit fachsprachlichen Elementen für eine andere Zielgruppe adaptieren. Die Bildungsstandards werden für das Französische u.a. durch die komplexe Lernaufgabe La Madeleine de Proust illustriert, die einen älteren Werbeclip zum Verzehr einer bestimmten Gebäck-Sorte enthält. Diese optionale Aufgabe mündet über eine vorbereitende Aufgabe zum Textverstehen in folgende Schreibaufgaben: Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 57 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 3b Décrivez de façon détaillée l’effet des madeleines « Jeannette » sur le personnage du clip. Expliquez sur quoi reposait la compréhension du clip auprès du public français. Créativité : production écrite Dans le roman de Proust, la madeleine a déclenché une forte sensation chez le narrateur. Inventez maintenant une publicité pour un produit alimentaire de votre choix qui serait susceptible d’évoquer une sensation semblable. Travaillez en groupes de quatre ... 3c Composez un script avec un texte d’introduction, des dialogues ou un monologue pour cette publicité. (KMK 2014: 279). Auf der interkulturellen Ebene setzen diese Aufgaben z.B. Kenntnisse über die literarischen Referenzen Proust und la madeleine de Proust voraus, über die Rolle, die die madeleines kulinarisch in Frankreich spielen und über die mögliche Werbewirksamkeit solcher Produkte in französischen Videoclips. Auf der textual-medialen Ebene wird ein script verlangt, ein Drehbuch für einen selbst zu produzierenden Werbeclip für ein ähnliches Produkt. Auf der Ebene der Sprachbewusstheit wird eine Analyse der kommunikativen Mittel und Wirkungen von Werbeclips erwartet und auf der Ebene der Sprachlernkompetenz eine hohe selbstevaluative Leistung in Bezug auf die eigene Sprachbeherrschung, um den zu schreibenden Text tatsächlich zu planen, zu verfassen, zu reflektieren und zu überarbeiten. Das Beispiel verdeutlicht, wie in komplexen Lernaufgaben mehrere Funktionen des Schreibens gleichzeitig abgerufen werden können und bei geschickter Aufgabenstellung auch der kulturelle Aspekt des Schreibens bearbeitet werden kann. Bei der o.g. Aufgabe etwa wird im zweiten Aufgabenteil an Hand eines Textauszugs aus Prousts A la recherche du temps perdu das literarische Schreiben als Domäne allgemein und als spezifische Schreibpraktik eines Schriftstellers an der Schwelle zum zwanzigsten Jahrhundert thematisiert und reflektiert. Die in den illustrierenden Beispielen der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife verwendeten Schreibaktivitäten unterscheiden sich insofern von den Textsorten des Companion to the CEFR, als in ihnen erwartungsgemäß eine klare Hinführung zur Abiturprüfung erkennbar wird. Diese Engführung spiegelt sich in den Textsorten (z.B. engl.: e-mail, article, frz. le manuscrit, une lettre, un compte-rendu, ...), aber vor allem in den Operatoren, die auf die drei dem Abitur zu Grunde gelegten Textsorten abzielen (engl.: explain, write, sum up, outline, analyse, assess, describe, frz.: dégagez, discutez, rédigez, présentez, comparez, ...). 58 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 Die Analyse der Bildungsstandards leitet über zu den Schreibformen des Fremdsprachenunterrichts. 3. Schreibformen des Fremdsprachenunterrichts Aus der in den beiden ersten Abschnitten erläuterten zentralen Funktion des Aufbaus einer literalen fremdsprachlichen Kompetenz leiten sich die Schreibformen des Fremdsprachenunterrichts ab. Sie können didaktisch als heuristische Schreibformen (Formen der Prozess- und Produktorientierung, diagnostisches mehrsprachiges Schreiben) und als Formen bzw. Stufen der Kooperation (Einzelarbeit, kooperatives Schreiben mit Blick auf individuelle Texte und kollaboratives Schreiben mit dem Ziel eines gemeinsamen Textes) modelliert werden. Die wesentlichen Schreibformate des Fremdsprachenunterrichts hingegen, die operative Teilaufgabe, die komplexe Lernaufgabe und die Prüfungsaufgabe, können beiden Hauptschreibformen zugeordnet werden. 3.1 Heuristische Schreibformen Das Schreiben mit dem Ziel, Wissen über das Schreiben selbst zu erwerben, wird hier als heuristisches Schreiben bezeichnet. Es referiert auf die hohe Relevanz des Schreibens für den allgemeinen Wissenserwerb und die Wissensverarbeitung in modernen Informationsgesellschaften sowie auf die symbiotische Beziehung zwischen Lesen und Schreiben: Schreiber sind die ersten Leser ihrer eigenen Texte. Zu den schreibbezogenen Wissenszielen im engeren Sinne zählt das Wissen über den Schreibprozess und über das Schreibprodukt. Eine genuin fremdsprachliche heuristische Schreibform stellt dagegen das diagnostische mehrsprachige Schreiben dar. Die beiden Aspekte Wissen über den Schreibprozess und Wissen über das Schreibprodukt sind pragmatisch untrennbar miteinander verbunden: Die Planung eines Schreibvorhabens setzt Wissen über die beabsichtigte Textart (fiktionale Texte, Sachtexte) und Textsorte (Notiz, E-Mail, Bericht, Kommentar, Essay etc.) voraus. K ERN (2000: 171) spricht von writing as design, wenn er das Prozess- und Produktwissen aufzählt, das für ein bestimmtes Schreibprodukt erforderlich ist (available design, ebd.), z.B. eine simple graphische Vorstellung vom Schreibprodukt bei einer Einkaufsliste oder eine offene, auf Umstrukturierung und Neuschaffung hin organisierte Vorstellung beim Verfassen eines kreativen fiktionalen Textes. Seit H AYES / F LOWER (1980) hat sich ein Phasenmodell etabliert, das den Prozess in den Vordergrund stellt. Dieses Modell löste ältere schreibdidaktische Ansätze ab: die „direktiven Ansätze“, die das Schreiben anhand vorgegebener Muster steuernd (direktiv) einüben wollten, sowie textlinguistische Ansätze, die den Text mit allen seinen Merkmalen (Textsorte, Textfunktion, Textadressat, Textbausteine, Verfasserperspektive) betonen. Die prozessorientierten Ansätze stellen nun das schreibende Subjekt und seinen Arbeitsprozess ins Zentrum (vgl. B ÖRNER / V OGEL 1992), und ihr Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 59 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 Aufkommen im Fremdsprachenunterricht fällt nicht zufällig mit dem sog. kreativen Schreiben zusammen. 3 In den letzten Jahren wird wiederum eine Verbindung textlinguistischer mit prozessorientierten Ansätzen (process genre approach, B ADGER / W HITE 2000) angestrebt. Beim prozessorientierten Schreiben werden die einzelnen Phasen des Schreibens nacheinander in Aufgaben operationalisiert und dabei wird das Ziel verfolgt, die Aufmerksamkeit auf die Funktion jeder einzelnen Phase zu legen sowie auf Strategien einer gelingenden Realisierung. Die Herausforderung des Schreibens soll durch eine Zerlegung in sukzessive Teilhandlungen gemeistert werden. Im Unterschied dazu fokussiert das diagnostische mehrsprachige Schreiben nach M EISSNER (2010) auf die Herausforderung, Texte in einer Fremdsprache zu produzieren und dabei u.U. bereits über ein ausreichendes Prozesswissen zu verfügen. M EISSNER betont das bereits vorhandene mehrsprachige Wissen von L2-Schreibenden: „Die mentalen Lexika der Lerner romanischer Sprachen sind zumeist mehrsprachig. Erfahrene Sprachenlerner wissen in der Regel zwischen den ihnen bekannten Sprachen zielführende bzw. transfergenerierende Vergleiche durchzuführen“ (ebd.: 4). Zwar hebt er damit explizit auf „erfahrene Sprachenlerner“ ab, lenkt jedoch die Aufmerksamkeit zu Recht generell auf das Transfer- und Vergleichspotential des mehrsprachigen Schreibens, d.h. das „plurilinguale und didaktische Wissen“ (ebd.) der Schreibenden. Dieses kann seiner Auffassung nach durch Vergleiche der eigenen mit typologisch verwandten Sprachen bereits im Vor- und Grundschulalter mit dem Ziel gefördert werden, eine diagnostische Haltung bezogen auf das mehrsprachige Schreiben zu entwickeln. Es impliziert, Fragen zu entwickeln und festzuhalten, bewusste Hypothesen zu ihrer Beantwortung aufzustellen und an Hand von Hilfsmitteln (z.B. Wörterbücher, Experten) zu verifizieren. Zum tentativen Transfer bestimmter Satzelemente von einer Sprache in die andere auf der kognitiven Ebene tritt das „Lernverhaltensprotokoll“ (ebd.: 7) auf der metakognitiven Ebene hinzu. Letzteres integriert das L2-Schreiben in einen metakognitiven und reflexiven Lernplan, der als ständiger Begleiter fungiert und damit die Selbststeuerungskompetenz fördert. Das mehrsprachige diagnostische Schreiben sollte konzeptionell mit geeigneten Kooperationsstufen verbunden werden: • Kollaboratives mehrsprachiges Schreiben: Zwei oder mehr Schülerinnen und Schüler einer Klasse oder Lerngruppe schreiben gleichzeitig an einem gemeinsamen Text und reflektieren dabei ihre Vorschläge und Hypothesen. • Kooperatives mehrsprachiges Schreiben: Zwei oder mehr Schülerinnen und Schüler einer Klasse oder Lerngruppe schreiben an einem gemeinsamen Text, teilen sich jedoch die Arbeit auf, so dass es individuelle oder kollaborative Teillösungen gibt, die anschließend in der Gruppe reflektiert werden. 3 Das kreative Schreiben greift in den 1980er Jahren den Impuls der Rezeptionsästhetik (u.a. I SER 1972) auf, welche dem Leser das Wort erteilt, um auf kreative Art und Weise ,Leerstellen‘ zu füllen, die der Text selbst lässt oder die didaktisch geschaffen werden. 60 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 • Kollaboratives mehrsprachiges Schreiben in virtueller Kommunikation: Zwei oder mehr Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Ländern arbeiten simultan im Rahmen eines elektronischen Schreibprojekts. • Kooperatives mehrsprachiges Schreiben in virtueller Kommunikation: Zwei oder mehr Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Ländern realisieren arbeitsteilig ein elektronisches Schreibprojekt. 3.2 Kooperationsformen und -stufen des Schreibens Das Schreiben wurde noch vor wenigen Jahrzehnten als eine rein individuelle Tätigkeit betrachtet. Im Zuge der Einführung kooperativer Lernformen allgemein (vgl. W ÜRFFEL 2007; J UNKERJÜRGEN 2017) kam es jedoch auch in der Schreibdidaktik zu Neuerungen, deren wichtigste das kooperative und das kollaborative Schreiben darstellen. Beim kooperativen Schreiben (vgl. L EHNEN 2002, 2017; W ÜRFFEL 2007) arbeiten Lernende im Hinblick auf ein gemeinsam zu erreichendes Ziel zusammen. Dieses Ziel ist in der Regel ein bestimmtes Schreibprodukt, z.B. die gemeinschaftliche Realisierung einer Online-Zeitschrift; es kann jedoch auch in der gemeinschaftlichen Realisierung einer oder mehrerer Schreibphasen bestehen. Weitere Anwendungsmöglichkeiten für kooperatives Schreiben sind die Schreibwerkstatt, bei der Texte gemeinschaftlich überarbeitet, weiterentwickelt oder verbessert werden, und die Schreibkonferenz, bei der Texte in einem rotierenden Verfahren gemeinschaftlich begutachtet werden. Allen Verfahren gemeinsam ist eine potentielle Vervielfältigung des Feedbacks durch die Multiplikation der Leserschaft, wobei die Schreibenden immer noch einen individuellen Text produzieren. Hierin liegt der Unterschied zum kollaborativen Schreiben. Das kollaborative bzw. gemeinsame Schreiben wurde in den 1980er Jahren im Kontext der Orientierung hin zum Schreibprozess entwickelt. Der Schreibprozess wird hier in mehrfacher Hinsicht sichtbar und damit auch potentiell bewusstseinsfähig: Das gemeinsame Schreiben setzt voraus, dass sich die Schreibenden darüber austauschen, warum sie wie vorgehen. Damit ist eine verbale Kommunikation verbunden (Schreibgespräche), die zu Forschungszwecken aufgezeichnet und ausgewertet werden kann (vgl. S TORCH 2011, 2013). Der Gewinn liegt im Ideenreichtum durch den ständigen Austausch in allen drei Schreibphasen sowie in der unmittelbaren Co- Konstruktion von Sprache und Text und der damit verbundenen Erhöhung der Sprach-, Text- und Aufgabenbewusstheit. Allerdings ist die Motivation zum kollaborativen Schreiben stark von der Persönlichkeit abhängig bzw. von der Neigung und Fähigkeit, partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. G RAHAM et al. (2012) bescheinigen dem kollaborativen Schreiben hohe Effektstärken im Hinblick auf gelingendes Schreiben in der Muttersprache. Entsprechende Studien für das Schreiben in der Fremdsprache stehen noch aus. Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 61 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 3.3 Schreibformate 3.3.1 Lernaufgaben Beim gezielten unterrichtlichen Schreibtraining werden operative Teilaufgaben benötigt, die gezielt die einzelnen Phasen des Schreibprozesses (vgl. H AYES / F LOWER 1980, s.o.) ansteuern, z.B. in der vorbereitenden Phase das Sammeln von Ideen und das Anfertigen von Notizen, in der Phase des Verfassens dann das Strukturieren, Ausformulieren und Bearbeiten (editing) und in der Korrekturphase das Überarbeiten (reediting), das Formatieren und das Korrigieren. Operative Teilaufgaben werden aber auch bei (komplexen) Lernaufgaben benötigt, und zwar im Sinne von Zwischenschritten des task cycle (vgl. W ILLIS 1996). Ein Beispiel dafür wäre die oben erwähnte Schreibaufgabe des IQB, La Madeleine de Proust. Das Schreibformat beeinflusst selbstverständlich auch die Wahl der Schreibstrategien: Aufgaben mit hoher Komplexität erfordern ein umfangreiches Strategienwissen, sowohl auf der Makroebene des Planens, Formulierens und Überarbeitens als auch auf der Mikroebene der Wortwahl, der Kohäsionsherstellung und der orthographischen Korrektur. Das Nachdenken über das eigene Vorgehen beim Schreiben (z.B.: Wie plane ich meinen Text? Was ist meine Argumentation und welches spezifische Vokabular wird dafür benötigt? ) sowie Strategien zur Selbstmotivation (z.B.: Welche Blockaden treten bei mir beim Planen auf? Wie kann ich sie überwinden? Schreibe ich lieber alleine oder zu zweit? ) werden mittlerweile auch im Rahmen der Förderung von Sprachlernkompetenz in Teilaufgaben operationalisiert (KMK 2014: 22). 3.3.2 Prüfungsaufgaben Die Prüfungsformate zum Schreiben variieren im deutschsprachigen Raum von sehr variablen Aufträgen auf unteren Lernstufen (gemäß GeR A1 bis B1) bis zur kanonisierten komplexen Leseschreibaufgabe im Abitur (B2 gemäß GeR). Tab. 1 62 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 Prüfungsaufgabe Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss (KMK 2003: 43f.) Prüfungsaufgabe Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (Englisch / Französisch) (KMK 2014: 32-38) Des Dalton’s Care Column You certainly know youth magazines and you probably read the letters to the editor where girls and boys ask for help and advice. (Bildimpuls) A: Make notes for a letter to Des Dalton. Imagine you are the eldest of three children, living in a small flat. Both your parents work full time. You always have to look after your brother and sister. Your parents ... B: Please write the letter to Des Dalton (editor). Describe your family situation, your problems and tell him what you want and what you need. Ask him for advice. College - A New Stage of Life? (Literarischer Textimpuls mit Leseaufgabe) 1 Charlotte experiences various emotions during her first day at college. Explain them in detail. Consider aspects such as - the different settings and characters - body language - use of language 2 Imagine that Beverly has a friend named Samantha with whom she regularly corresponds. After meeting her new roommate, Beverly feels a strong urge to share her experiences and her personal impressions of Charlotte with Samantha Write Beverly’s e-mail to Samantha in English. 3 Together with an American and a Polish partner school, your class is working on a project about sports. Some of your Polish partners express the desire to study sports either in the USA or in Germany. You have found the following information on the Internet. Using this information, write an article in English for your project’s website in which you inform your Polish partners how to get a sports scholarship. Compare the situation in the USA and Germany. Tab. 1: Schriftliche Prüfungsaufgaben der Bildungsstandards Die Schreibaufgabe für den Mittleren Schulabschluss umfasst zwar einen Bildimpuls, dieser wird jedoch zur erfolgreichen Bearbeitung der Aufgabenstellung nicht benötigt. Alle relevanten Informationen befinden sich in der Aufgabenstellung selbst, die zwei Schreibphasen einfordert, eine Planungsphase (make notes) und eine Schreibphase (write the letter). Zusätzlich wird mit Hilfe der Operatoren describe, tell him what ... und ask him for advice präzisiert, dass drei bestimmte inhaltliche Aspekte gefordert sind. Die komplexe Prüfungsaufgabe auf Abiturniveau verschränkt hingegen im verpflichtenden Prüfungsteil (Teilaufgaben 1 und 2) Leseverstehen und Schreiben, in Aufgabe 1 reproduktiv (explain them in detail), in Teilaufgabe 2 kreativ-expansiv Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 63 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 (imagine, write B.’s e-mail). Teilaufgabe 3 verlässt die literarische Textgrundlage und sieht die Bearbeitung einer Sprachmittlungsaufgabe auf Grundlage eines Zusatztextes vor. Prüfungsaufgaben von dieser Komplexität setzen halbjahresübergreifende Bezüge voraus, d.h. sowohl das Rahmenthema als auch die einzelnen Schreiboperationen werden über einen längeren Zeitraum thematisch und textstrukturell vorbereitet bzw. eingeübt. Die vom IQB in Berlin veröffentlichte Operatorenliste 4 verdeutlicht eine Verengung der Schreibformate, die teilweise auf die möglichst enge Passung zu den Anforderungsbereichen (prüfungsrechtlich kodifizierte und allen textbasierten Fächern gemeinsame kognitive Aktivitäten, vgl. KMK 2014: 23) zurückgeht, teilweise auf das Bestreben, zu einer stärkeren Harmonisierung unter den Ländern im Hinblick auf Aufgabenstellung und Korrektur zu gelangen. Offenere Operatoren (z.B. discutez la décision de ...) könnten dieses Ziel womöglich unterlaufen. Die Frage stellt sich, ob es sinnvoll wäre, die Abituraufgabe auch im Hinblick auf weniger formalisierte Schreibformen und Schreibformate des Internets zu aktualisieren. Die Diskussion dazu führt wieder zurück zur Aspektstruktur des fremdsprachlichen Schreibens (s.o.). Auf jeder Aspektebene, dem Kulturaspekt wie dem Handlungsaspekt und dem Strukturaspekt, lassen sich sicherlich Argumente für das Schreiben von Blogs, Posts und Foreneinträgen finden. Doch ist die Abituraufgabe der richtige Ort für dieses ephemere Schreiben? Auch in den Prüfungstraditionen der frankophonen und anglophonen Länder lässt sich eine Engführung auf relativ wenige kanonisierte Formate feststellen, von denen zwei im Folgenden kurz vorgestellt werden. 4. Ein Blick über die Grenzen Im französischen Sprachraum und insbesondere in Frankreich selbst wird eine Schreibform gepflegt, die unter der Bezeichnung dissertation littéraire seit Mitte der 1950er Jahre zum festen Bestand des muttersprachlichen Schreibunterrichts im Sekundarschulwesen gehört. Ihre Ursprünge gehen auf die mittelalterliche Tradition der Dissertation zurück, die auch in der deutschen gleichnamigen Qualifikationsarbeit fortlebt. Es handelt sich um eine formal streng festgelegte Argumentation, die stets von einer allgemeinen Fragestellung oder einem Zitat ausgeht; die Fragestellung muss schlüssig beantwortet, das Zitat zurückgewiesen oder bestätigt werden. Die dissertation littéraire muss zwingend eine Einleitung (introduction), einen zwei- oder dreiteiligen Hauptteil (développement) und einen Schlussteil (conclusion) aufweisen. Diese Form der schriftlichen Argumentation besitzt kulturell bzw. gesellschaftlich höchste Wertschätzung, spiegelt sie doch das sog. kartesianische Denken (l’esprit cartésien), d.h. eine Geisteshaltung, die auf den nüchternen, ja leidenschaftslosen, aber im Idealfall brillant dargelegten und logisch überzeugenden schriftlichen Diskurs abzielt. 4 Für Englisch: https: / / www.iqb.hu-berlin.de/ abitur/ dokumente/ englisch 64 Bernd Tesch DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 49 (2020) • Heft 1 Auch der im anglo-amerikanischen Bildungswesen beliebte essay bearbeitet eine Fragestellung oder ein Zitat und orientiert sich am oben beschriebenen klassischen Aufbau der dissertation littéraire. Darüber hinaus können strittige Thesen oder Problemstellungen als Aufgabenstellung für einen Essay dienen. Die Unterschiede zur dissertation littéraire liegen in der Länge - nicht mehr als fünf bis zehn Seiten, bei der dissertation littéraire dagegen auch deutlich darüber - und im Stil: Ein Essay hat größere Freiheiten in der Wahl der Stilmittel, die alle dem Zweck dienen, den Leser zu überzeugen. Während also bei der dissertation littéraire die Logik die alles beherrschende Stellung im Diskurs einnimmt, ist es beim Essay die Wirkung auf den Leser. Sie kann unter Umständen auch durch narrative Passagen erzielt werden. Auch im Kontext der Erarbeitung der Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (Englisch / Französisch) wurde der Essay als Alternative zum textgebundenen Kommentar bzw. der textgebundenen kreativen Schreibaufgabe in Erwägung gezogen, letztlich aber wieder verworfen. Die Gründe liegen neben der mangelnden Verankerung in der deutschen Abiturtradition vor allem in der fehlenden Textbasis. Ohne diese konnte das verpflichtende und für alle Länder verbindliche Leseverstehen im Abitur nicht überprüft werden, es sei denn, man hätte sich auf eine separate Überprüfung des Leseverstehens einigen können, was bekanntlich zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich war. 5. Fazit und Ausblick Die angedeuteten Überlegungen hinsichtlich der Gestaltung der Abiturprüfung zeigen, dass das Erreichen einer schriftlichen Literalität im Fremdsprachenunterricht zwei unterschiedlichen Ansprüchen genügen muss, einem heuristischen und einem evaluativen Anspruch. Dies mag zwar generell alle Kompetenzen betreffen, beim Schreiben führt die große Bedeutung im Abitur jedoch zu erhöhtem Druck, spätestens bei Beginn der gymnasialen Oberstufe einseitig die abiturrelevanten Formate zu privilegieren. Der Übergang zur Sekundarstufe II wird daher gerade beim Schreiben häufig als starker Bruch empfunden. Da sich zudem die Länder auf einen Konvergenzprozess in der Abiturprüfung geeignet haben und diese Vorgabe seit einigen Jahren im Rahmen der Schaffung eines ländergemeinsamen Aufgabenpools am IQB in Berlin realisieren, wird auch der Grad für innovative Formen und Formate schmaler. Es bleibt daher bei der Prognose, dass „riskante“ bzw. voraussetzungsreiche Textsorten wie die Lyrikanalyse oder die Filmkritik ihren Weg wohl kaum ins Abitur finden werden. Auch das wissenschaftliche Schreiben sowie das fachliche Schreiben gehören aus diesem Grund zu den Desiderata. Sie werden zwar in der Projektarbeit und im bilingualen Sachfachunterricht gefördert, nicht jedoch im Rahmen der fremdsprachlichen Abiturprüfung. Andererseits wurde mit dem Einzug der schriftlichen Sprachmittlung in den ländergemeinsamen Aufgabenpool ein Schreibanlass aufgewertet, der besondere Anforderungen an das adressatengerechte und interkulturell bewusste Schreiben stellt. Die Formen und Funktionen des Schreibens im Fremdsprachenunterricht 65 49 (2020) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0004 Schreibenden sind hier aufgefordert, vor dem Verfassen eines Textes eine genaue Analyse der Aufgabenstellung, des Wissensstandes auf der Seite des Adressaten sowie der zu Grunde liegenden Situation vorzunehmen und Wertungen zu vermeiden. Damit ist eine neuartige Lenkung des Schreibens hinzugekommen, wenn auch die Innovation durch die Begrenzung plausibler Mittlungsanlässe sehr rasch zur Schablone werden könnte. Die Freiheit, sich auch in der Fremdsprache schreibend in den unterschiedlichsten Textsorten zu erproben, besteht daher vor allem im Bereich der komplexen Lernaufgabe und insbesondere in den noch nicht durch die Abiturprüfung ,überschatteten‘ Lernjahren. Auf Grund seiner im Vergleich zu den anderen Schulfremdsprachen längeren Lernzeiten kann diese Freiheit in besonderem Maße der Englischunterricht ausschöpfen. 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