Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2020-0024
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/101
2020
492
Gnutzmann Küster SchrammLeo WILL: Authenticity in English Language Teaching. An analysis of academic discourse. Münster/New York: Waxmann 2018, 266 Seiten [34,90 €]
101
2020
Barbara Schmenk
flul4920132
DOI 10.2357/ FLuL-2020-0024 49 (2020) • Heft 2 Leo W ILL : Authenticity in English Language Teaching. An analysis of academic discourse. Münster/ New York: Waxmann 2018, 266 Seiten [34,90 €] „Authentizität“ gehört zu denjenigen Begriffen, die im Rahmen der Fremdsprachendidaktik seit den 1970er Jahren besondere Beliebtheit genießen. Diese Beliebtheit ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass die Forderung nach Authentizität im Rahmen des Lernens und Lehrens von Sprachen inzwischen sehr verbreitet und weitgehend unumstritten ist, sondern der Begriff der Authentizität ist auch im Alltag grundsätzlich positiv konnotiert. Wer würde sich schon für Inauthentizität, für inauthentisches Lernen oder die Verwendung inauthentischer Materialien aussprechen? „Authentizität“ reiht sich insofern in einen fremdsprachendidaktischen Kanon von meist fraglos als positiv bewerteten Begriffen ein - Ähnliches gilt für die Begriffe „Ganzheitlichkeit“ oder „Autonomie“. Dergleichen Idealisierungen von Begriffen, zumal wenn diese sowohl im Alltag als auch im Fachdiskurs verbreitet sind und als erstrebenswert gelten, weisen allerdings immer auch eine gewisse Anfälligkeit für konzeptuelle Ungenauigkeiten auf. Anders gesagt: Die Verwendung des Etiketts „authentisch“ oder „Authentizität“ (im Sinne von signifiant) garantiert keinesfalls eine konzeptuelle Konsistenz dessen, was jeweils mit diesem Etikett bezeichnet wird (signifié). Der einheitlichen Bezeichnung „authentisch“ oder „Authentizität“ steht also eine konzeptuelle Vielfalt gegenüber, die sich nicht nur in unterschiedlichen Bedeutungsauffassungen zeigt, sondern auch mitunter zu Ungereimtheiten und Widersprüchen im fachdidaktischen Diskurs führt. Leo W ILL widmet sich in seiner Schrift eben diesem Befund und legt eine umfassende und systematische Analyse des fremdsprachendidaktischen Diskurses (mit Fokus Englisch als Fremdsprache) zur Authentizität im englisch- und deutschsprachigen Raum vor. Um es vorweg zu sagen: W ILL s Studie ist eine überaus detailreiche und durchdachte Diskursanalyse, die zu einer Reihe von durchweg aufschlussreichen Befunden kommt und neue Standards setzt, sowohl was den Umgang mit dem Begriff der Authentizität im fachdidaktischen Diskurs, als auch was methodologische Überlegungen und Herangehensweisen im Bereich von Analysen fachwissenschaftlicher Diskurse betrifft. Ausgehend vom gegenwärtigen Forschungsstand zur „Authentizität“ und der verschiedentlich dokumentierten Beobachtung, dass sich der Authentizitätsbegriff im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zwar im Wissenschaftsdiskurs etablieren konnte (was etwa an der Tatsache ablesbar ist, dass sich in Handbüchern und anderen Übersichtspublikationen zur Fremdsprachendidaktik spätestens seit der Jahrtausendwende durchweg Einträge zum Stichwort „Authentitizität“ finden), jedoch häufig wenig trennscharf definiert und konzeptuell reflektiert wird, formuliert der Autor sein Anliegen: „Although authors have offered insightful synopses of the different meanings of authenticity, a systematic and extensive discourse analysis has not yet been conducted. With the study at hand I endeavour to fill this void. This work scrutinizes and categorizes the precise concepts that are referred to as authentic in the academic EFL discourse“ (S. 9). Die bereits vorliegenden Synopsen zum Authentizitätsbegriff nimmt W ILL zur Grundlage für die Entwicklung einer eigenen Taxonomie von insgesamt sechs Authentizitätskonzepten (S. 62): 1. textual authenticity, 2. authenticity of text reception, 3. real-world authenticity (typical activities of native speakers; typical activities of the learners in the future), 4. classroom authenticity, 5. authenticity of individual behaviour, 6. cultural authenticity B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 133 49 (2020) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2020-0024 (behavioral cultural authenticity; ethnographic cultural authenticity). Diese Taxonomie dient ihm als Basis für seine darauffolgenden Analysen des Fachdiskurses. Methodisch folgt W ILL zunächst Überlegungen zu historischen und wissenssoziologischen Diskursanalysen, die sich auf Foucaults frühe Schriften berufen. Er leitet daraus Kriterien zur Analyse von fachdidaktischen Publikationen ab, die sowohl Inhalte (Konzeptualisierung von Authentizität) als auch die Signifikanz des entsprechenden Beitrags im Fachdiskurs betreffen (z.B. Status der Autorin/ des Autors, bibliometrische Analysen). Zur Abgrenzung des Authentizitätsdiskurses von anderen Fachdiskursen der Fremdsprachendidaktik greift W ILL zudem auf Kategorien zur Bestimmung und Abgrenzung von Diskursformationen (basierend auf H ALLI - DAY s systemic functional linguistics) zurück. Diese bilden die Parameter für die Auswahl von Publikationen, die er in seiner Studie untersucht: Er stellt ein Korpus von insgesamt 130 Titeln zusammen, die in den Jahren 1971-2014 in deutscher und englischer Sprache publiziert wurden und die sich mit konzeptuellen Fragen zum Authentizitätsbegriff beschäftigen (letzteres ist das Ausschlusskriterium für zahlreiche Publikationen, die zwar den Authentizitätsbegriff behandeln, dies jedoch nicht in konzeptueller Hinsicht tun). W ILL untergliedert dieses Korpus chronologisch (nach Jahrzehnt) und unterzieht die so ermittelten vier Korpora einer sehr detaillierten Analyse (1971-79: 8 Titel, 1980-89: 33 Titel, 1990-99: 31 Titel, 2000-2009: 34 Titel, 2010-2014: 24 Titel). Die Analysen stellen das Herzstück der Studie dar und fördern zahlreiche Ergebnisse zutage, die nachweisen, wie der Begriff der Authentizität im Laufe der ersten Jahrzehnte zunächst konzeptuell aufgefächert und erweitert wurde und wie seit der Jahrtausendwende die bestehenden sechs Konzepte (s.o.) zwar weiter diversifiziert, jedoch konzeptuell nicht mehr wesentlich verändert wurden. Selbst technologische Entwicklungen wie die Digitalisierung und damit die Verfügbarkeit umfangreicher Textkorpora haben zwar zu einer erhöhten Anzahl von fachdidaktischen Publikationen geführt, die die „Authentizität“ der Korpora häufig in den Vordergrund stellen; der Authentizitätsbegriff selbst ist dabei aber nicht konzeptuell verändert worden: Meist wird hier auf das tradierte Konzept der textual authenticity zurückgegriffen (S. 188-192). Im Rahmen seiner Analysen identifiziert W ILL spezifische Schwerpunktthemen und Konzeptualisierungen, die in den jeweiligen Zeiträumen besonderes Interesse fanden; er arbeitet konzeptuelle Ungereimtheiten und Widersprüche heraus; er stellt Querverbindungen zwischen Einzeltiteln her; er verfolgt die Entwicklung einzelner Authentizitätskonzeptionen innerhalb des Diskurses und innerhalb des Werks einzelner Autor(inn)en; er zeigt die Kanonisierung bestimmter Konzepte anhand von Zitationsmustern auf; kurz: Er demonstriert in eindrucksvollen, auf close-reading Sequenzen basierenden Analysen, wie sich der Authentizitätsdiskurs entwickelt hat und wie unterschiedlich der Authentizitätsbegriff gefüllt und im Rahmen der fachdidaktischen Diskussion verwendet und bisweilen instrumentalisiert wird. Um an dieser Stelle nur ein Beispiel zu nennen: W ILL arbeitet systematisch heraus, welchen Einfluss die Arbeiten von Henry W IDDOWSON auf die konzeptuelle Entwicklung des Authentizitätsbegriffs (nicht nur) in der Englischdidaktik hatten und weiterhin haben. Dieser Befund ergibt sich erstens aus den konzeptuellen Beiträgen von W IDDOWSON und seiner Weiterentwicklung des eigenen Authentizitätsbegriffs der 1970er Jahre (authenticity of text reception); zweitens verfolgt W ILL die Rezeption von W IDDOWSON s Arbeiten in der Englischdidaktik und weist ihren Einfluss auf nachfolgende Schriften aus (sowohl durch konzeptuelle Übernahme und Diskussion als auch durch Zitationsfrequenz). Daneben unterzieht W ILL die Rezeption von W IDDOWSON s Schriften aber auch einer kritischen Analyse und zeigt auf, dass W IDDOWSON zwar häufig zitiert wird, seine konzeptuellen Überlegungen und Weiterentwicklungen jedoch oft auch nicht berücksichtigt werden. Das Phänomen des blackboxing, also das pauschale Verweisen auf Publikationen, ohne sich auf die konkreten Konzepte und Überlegungen der betref- 134 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2020-0025 49 (2020) • Heft 2 fenden Verfasser(innen) zu beziehen, macht W ILL mehrfach aus. So kann er etwa zeigen, dass sich der Fachdiskurs zum Authentizitätsbegriff im Bereich des Testens und Assessment als isolierter Paralleldiskurs entwickelt hat. Zwar werden dort einschlägige Titel aus der fachdidaktischen Authentizitätsdiskussion angeführt; doch das Authentizitätskonzept, mit dem z.B. im Bereich von authentic assessment gearbeitet wird, bleibt weitgehend intuitiv und ist nicht an die konzeptuellen Überlegungen aus der Fachdidaktik angebunden (vgl. S. 166, 180f., 193f., 208). Hier wird W IDDOWSON zwar wiederholt zitiert, doch auf seine Überlegungen zur Authentizität wird nicht eingegangen bzw. es finden sich dem widersprechende, meist intuitive Annahmen zur Authentizität. W ILL bezeichnet solche Verweispraktiken deshalb als „tokenistic, since the authors show no intention of incorporating Widdowson into their conceptualization“ (S. 181). Insgesamt ist W ILL s Schrift überaus lesenswert und man kann nur wünschen, dass das Interesse an konzeptuellen Fragen in der Fremdsprachenforschung groß genug ist, um diese kenntnis- und detailreiche Schrift gebührend zu würdigen. In jedem Fall stellt W ILL s Arbeit einen Meilenstein dar für den Authentizitätsdiskurs nicht nur in der Englisch-, sondern in der Fremdsprachendidaktik allgemein. Wer in Zukunft über Authentizität schreibt oder forscht, hat mit dieser Arbeit ein wertvolles kategoriales und konzeptuelles Repertoire für einen differenzierten und reflektierten Umgang mit dem Authentizitätsbegriff zur Hand. Es ist zu wünschen, dass diese Arbeit nicht geblackboxed, sondern wirklich gelesen und vielleicht auch zum Anlass für einen (selbst-)kritischeren Umgang mit nicht oder wenig hinterfragten Begriffen der Fremdsprachenforschung genommen wird. Waterloo (Kanada) B ARBARA S CHMENK Grit M EHLHORN , Bernhard B REMER (Hrsg.): Potenzial von Herkunftssprachen. Sprachliche und außersprachliche Einflussfaktoren. Tübingen: Stauffenburg 2018 (Forum Sprachlehrforschung, Band 14), 295 Seiten [€ 49,80] Der hier vorgestellte Band beinhaltet mehrheitlich Beiträge, die aus der gleichnamigen Konferenz im September 2016 hervorgegangen sind und Ergebnisse aus verschiedenen Projekten der Herkunftssprachenforschung präsentieren. Dabei handelt es sich einerseits um Artikel zu den Ergebnissen eines dreijährigen Verbundforschungsprojekts zu sprachlichen Potenzialen von russisch- und polnischsprachigen Jugendlichen, das an den Universitäten Leipzig und Greifswald realisiert und vom BMBF im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit“ gefördert wurde, und andererseits um Beiträge zu weiteren Projekten aus dem genannten Schwerpunktprogramm sowie aus ähnlichen Kontexten. Allen vierzehn Einzeltexten ist gemein, dass sie der Frage nachgehen, wie die Potenziale von mehrsprachigen Kindern und Jugendlichen adäquat erfasst, gefördert und in den familiären und schulischen Alltag eingebracht werden können. Die gesellschaftliche Relevanz dieser Ausrichtung resultiert aus der sprachlichen Diversität an deutschen Schulen und der damit einhergehenden Mehrsprachigkeit vieler Schüler/ innen, die neben Deutsch über eine Herkunftssprache (HS) verfügen, d.h. eine zusätzlich erworbene Familiensprache. Die einzelnen Beiträgen dieses Bandes zugrundeliegenden empirischen Untersuchungen berücksichtigen verschiedene HS - neben Russisch und Polnisch auch Griechisch, Italienisch, Portugiesisch, Slowenisch und Türkisch - und sind vorrangig auf bisherige Forschungsdesiderate ausgerichtet, die den Erwerb und Erhalt der HS sowie die Einstellungen zu HS und zum Herkunftssprachenunterricht (HSU) betreffen. Die fünf Abschnitte des Bandes bilden die damit verbundenen Schwerpunkte entsprechend ab.