Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0008
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/31
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Gnutzmann Küster SchrammMelanie COOKE, Rob PEUTRELL (eds.): Brokering Britain, Educating Citizens. Exploring ESOL and Citizenship. Bristol: Multilingual Matters 2019, 264 Seiten [109,95€]
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Britta Viebrock
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DOI 10.2357/ FLuL-2021-0008 50 (2021) • Heft 1 Melanie C OOKE , Rob P EUTRELL (eds.): Brokering Britain, Educating Citizens. Exploring ESOL and Citizenship. Bristol: Multilingual Matters 2019, 264 Seiten [109,95€] Brokering Britain, Educating Citizens thematisiert das Lernen des Englischen als Zweitsprache im Kontext von Einbürgerungsbestrebungen. Es ist ein höchst politisches Buch, das die Zusammenhänge von Sprache, nationaler Identität, der Integration von Migrant*innen und dem Konzept der citizenship fokussiert, welches als kritische Ressource für das Sprachenlehren und -lernen betrachtet wird. Der Sammelband ist eine ethnographisch fundierte Kritik einer Lehrpraxis, welche die Vermittlung eines offiziellen nationalen britischen Narrativs unter Zurückdrängung von Minderheitenperspektiven betreibt. Es finden sich Beiträge zu den zentralen Konzepten citizenship und ESOL (English Speakers of Other Languages), Beiträge zu den Fragen, welches Bild von Großbritannien im Zweitsprachenunterricht vermittelt bzw. hergestellt wird und welche Aspekte von citizenship im Leben von Migrant*innen eine Rolle spielen. Das Nachwort der Bandherausgeber*innen hebt abschließend die Professionalität von Zweitsprachenlehrkräften hervor, die in ihrem Unterricht entscheidend zu einer gleichermaßen kritischen wie verantwortlichen Vermittlung zwischen Sprachen, Kulturen, (bildungs-)politischen Leitlinien und Ideologien beitragen. In seinem Beitrag „Policy and Migrant Language Education in the UK“ diskutiert James S IMPSON mit Blick auf erwachsene Sprachenlerner*innen der ersten Einwander*innengeneration die allgegenwärtige monolinguale Ideologie, die (bildungs-)politischen Überlegungen unterliegt. Er zeigt, wie sich diese Ideologie auch in der Rhetorik der Medien findet und in populistischen einwanderungskritischen Diskursen spiegelt. Auf der Basis einer Analyse der offiziellen sprachlichen Anforderungen an Immigrant*innen in Großbritannien zeigt er eine fehlende Anerkennung der mehrsprachigen Realität der Gesellschaft und verweist auf bildungspolitische Stellungnahmen der UN und des Europarats, die sich seiner Ansicht nach sehr viel besser für inklusive Gesellschaftsmodelle eignen. Rob P EUTRELLS Beitrag „Thinking about Citizenship and ESOL“ fokussiert die positiven und negativen Aspekte des Sprachenlernens zur Erlangung des citizenship-Status: Neuen Identitätsfacetten sowie erweiterten sprachlichen und kulturellen Kompetenzen stehen Identitäts- und Statusverluste, die Einbuße kulturellen Kapitals sowie Erfahrungen mit othering gegenüber. Statusunterschiede manifestieren sich beispielsweise durch die Abbildung kosmopolitischer Weltbürger in Unterrichtswerken für den globalen Markt, während Materialien für Migrant*innen durch eine Überrepräsentation wenig prestigeträchtiger sozialer Rollen gekennzeichnet sind. P EUTRELL diskutiert die zentrale Rolle von Lehrkräften im Hinblick auf curriculare Anforderungen von citizenship-Bildung und fordert eine substanzielle Auseinandersetzung mit den eigenen Einstellungen und Haltungen (beliefs) in den entsprechenden gesellschaftlichen Debatten. Melanie C OOKE untersucht die Rolle von Zweitsprachenlehrkräften des Englischen im Kontext von Einbürgerungstests. Ihr Beitrag „ESOL Teachers as Mediators of the Citizenship Testing Regime“ präsentiert die Fallstudie einer Lehrkraft eines Sprachkurses mit citizenship- Fokus und deren Strategien, zwischen den offiziellen Leitlinien und britischen Werten, ihrer persönlichen Position und den internationalen Perspektiven der Kursteilnehmer*innen zu vermitteln. C OOKE hebt insbesondere hervor, wie die Lehrkraft potenziell konfliktträchtige The- B u c h b e s p r e c h u n g e n • R e z e n s i o n s a rti k e l Buchbesprechungen • Rezensionsartikel 125 50 (2021) • Heft 1 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0008 men (wie beispielsweise Nationalismus oder Terrorismus) glättet oder abschwächt und durch ein inklusives und liberales Gesellschaftsbild ersetzt. Zugleich macht die Autorin die Grundproblematik der citizenship-Kurse deutlich, deren Betonung britischer Werte eher Exklusivität hervorhebt, während sie dynamische gesellschaftspartizipatorische Aktivitäten der Teilnehmer*innen (im Sinne eines doing citizenship) unberücksichtigt lässt. Die Fallstudie eines Flüchtlings auf dem Weg zum citizenship-Status in Großbritannien ist Inhalt des Beitrags von John C ALLAGHAN , Tesfalem Y EMANE und Mike B AYNHEM . Der formale Akt, als Flüchtling anerkannt zu werden, stellt in ihrem Verständnis den ersten Schritt zur Integration dar. Ihre Untersuchung fokussiert die Arbeit einer Wohltätigkeitsorganisation und zeigt, wie deren Mitarbeiter*innen und Tutor*innen sich als Fürsprecher*innen der Flüchtlinge gegenüber dem Staat und anderen sozialen Akteuren positionieren und als Vermittler*innen in einem citizenship-Diskurs fungieren. Ihr performatives Verständnis des Konzepts setzt aktive gesellschaftliche und politische Partizipation auch in kleinem Maßstab voraus und strebt diese im Sinne einer Handlungsinitiative (agency) gleichermaßen an. Michael H EPWORTH betrachtet in seinem Beitrag „Argumentation, Citizenship and the Adult ESOL Classroom“ die enge Verbindung menschlicher Sprech- und Argumentationsfähigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe. Er zeigt auf, wie mithilfe kontroverser Unterrichtsinhalte citizenship und demokratische Teilhabe vorbereitet und entsprechende Verhaltensweisen geübt werden können. Empirische Daten (Unterrichtstranskripte) zeigen entsprechende Lehrpraktiken und verdeutlichen die politische Dimension des Zweitsprachenunterrichts, in dessen Kontext widersprüchliche Überlegungen, beispielsweise dazu, was eine gute Gesellschaft ausmacht, auszuhandeln sind. In diesem Sinne trägt der Zweitsprachenunterricht unmittelbar zur Integration und Stärkung des sozialen Zusammenhalts bei. Die Verwendung von Fotografien als Kommunikationsmittel zur Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe steht im Zentrum des Beitrags von Pauline M OON (unter Mitarbeit von Roseena H USSAIN ). Beschrieben wird ein Projekt, das im Rahmen eines Programms zur Behandlung psychischer Gesundheitsprobleme durchgeführt wurde und einen besonderen Fokus auf partizipative Elemente legt. Damit findet eine deutliche Machtverschiebung von der Lehrperson zu den Lernenden statt, welche die Deutungshoheit über ihre Lebensrealität behalten und diese somit sicht- und hörbar machen. Auf der Basis einer umfassenden Kommunikation weist das Projekt ein eingeschränktes Konzept von citizenship zurück, das Einzelne aufgrund ihrer psychischen Verfasstheit ausschließt, und betont die geteilte soziale Verantwortung. Der Beitrag von Melanie C OOKE , Dermot B RYERS und Becky W INSTANLEY beschäftigt sich mit den Erfahrungen mehrsprachiger Individuen, die sich negativen Einstellungen gegenüber ihren Herkunftssprachen oder ihrer Plurilingualität ausgesetzt sehen. Neben der Untersuchung alltäglicher sprachlicher Praktiken geht es vor allem um Diskriminierungserfahrungen, die sich aus der Verwendung von anderen Sprachen als Englisch im öffentlichen Leben ergeben. Die Autor*innen vertreten das Konzept einer soziolinguistischen citizenship, das gesellschaftliche Teilhabe in dynamischer und performativer Form beschreibt und den vorhandenen Status Quo z.B. hinsichtlich sprachlicher Normsetzungen und monolingualem Habitus kritisch hinterfragt. Eine positive Sicht zugunsten dynamischer sprachlicher Repertoires tritt hier an die Stelle wirkmächtiger Ideologien sprachlicher Standardvarianten. Stefan V OLLMER untersucht in seinem Beitrag „Digital Citizenship for Newly Arrived Syrian Refugees through Mobile Technologies“ mithilfe visueller linguistischer ethnographischer Verfahren die Zusammenhänge zwischen individuellen Inszenierungen als digitale Bürger*innen und analoger gesellschaftlicher Teilhabe. Seine Analysen einer Facebook-Gruppe der syrischen Gemeinschaft in Leeds weisen auf Binäroppositionen (z.B. national vs. transnational) überschreitende, digitale Praktiken hin, welche zum einen lokale Gemeinschaftsbil- 126 Buchbesprechungen • Rezensionsartikel DOI 10.2357/ FLuL-2021-0009 50 (2021) • Heft 1 dung unterstützen und zum anderen die Aufrechterhaltung der Verbindungen zum Herkunftsland erlauben. Des Weiteren zeigt der Autor auf, wie digitale Technologien zum Spracherwerb und zur Entwicklung von literacy beitragen. Die digitalen Räume bieten Sprache und Möglichkeiten zur Sprachanwendung in bedeutungsvollen Zusammenhängen und zeigen zugleich Praktiken des translanguaging. Eine Genderperspektive bringt der Beitrag „Migrant Women, Active Citizens“ von Sheila M ACDONALD ein, der beschreibt, in welchem Ausmaß neuen Einwanderinnen (vor allem aus Osteuropa) und britischen Staatsbürger*innen gesellschaftliche Partizipation ermöglicht wird und welche Faktoren die lokale Gemeinschaftsbildung beeinflussen. Ausgehend von einer Analyse des Aufwandes, den Migrantinnen mit Familienaufgaben in das Lernen der englischen Sprache investieren können, und der Ambivalenzen und Widersprüche, die sich aus dem Einleben in eine neue (Sprach-)Gemeinschaft ergeben, weist die Autorin auf Implikationen für den Zweitsprachenunterricht hin. Sie hebt das Konzept der ‚imaginierten Zukunft‘ hervor, das sich als ebenso einflussreich für die Motivation der Sprachlerner*innen erweist wie äußere Strukturbedingungen. Anhand von Fallstudien werden die Bereiche der zunehmenden gesellschaftlichen Teilhabe der Migrant*innen illustriert. Ebenfalls eine Genderperspektive liegt dem Beitrag „Queering ESOL: Sexual Citizenship in ESOL Classrooms“ von John G RAY und Melanie C OOKE zugrunde. Die Autor*innen untersuchen die Rolle von Zweitsprachenlehrkräften als Vermittler*innen offizieller bildungspolitischer Positionen und Interventionen - im vorliegenden Fall des Equality Act von 2010, der u.a. eine Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung verbietet und damit eine thematische Erweiterung bisheriger Unterrichtsinhalte verlangt. Mit dem Konzept der sexual citizenship wird ein heteronormatives Verständnis von citizenship in Frage gestellt und für eine umfassende Reflexion von Fragen der Repräsentation, Sichtbarmachung, Anerkennung und Teilhabe - auch in Verbindung mit anderen gesellschaftlichen Dimensionen wie soziale Schicht oder ethnische Zugehörigkeit - als Ausdruck sprachlicher Sozialisation plädiert. Celia R OBERTS analysiert in ihrem Beitrag die Zusammenhänge zwischen citizenship und dem Vorhandensein einer Erwerbstätigkeit. Sie diskutiert die sprachlichen und kulturellen Anforderungen sowie die ideologischen Voraussetzungen von Bewerbungsgesprächen und mögliche Interventionen, mit denen sich gerechtere Zugangsbedingungen schaffen lassen. Ihre Fallanalysen zeigen, wie Zielvorstellungen von Diversität und Chancengleichheit Lippenbekenntnisse bleiben und bestehende Differenzen in dem Maß verstärkt werden, in dem das Bewerbungsinterview einem linguistisch-kulturellen Zugehörigkeitstest gleichkommt und zur Auslöschung (erasure) gesellschaftlicher Vielstimmigkeit beiträgt. Alles in allem ist der vorliegende Band eine Inspiration für alle, die sich mit dem Lernen und Lehren von Sprachen beschäftigen, und zugleich ein Appell, sich über direkt unterrichtsbezogene, bisweilen eher kleinteilige didaktische und methodische Fragen hinaus mit der gesellschafts- und bildungspolitischen Bedeutung des Sprachenlernens auseinanderzusetzen. Der beispielhafte Fokus auf die Situation in Großbritannien bietet vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten, die gewonnenen Einsichten auch auf andere Kontexte zu übertragen. Frankfurt/ M. B RITTA V IEBROCK Simon F ALK : Mobile-Assisted Language Learning. Tübingen: Narr 2019, 222 Seiten [58,00 €] In dem auf seiner Dissertationsstudie basierenden Werk verbindet Simon F ALK die Bereiche der Schulpädagogik und des Fremdsprachenlernens mit Aspekten des E-Learnings. Der Autor
