Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0023
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
2021
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Gnutzmann Küster SchrammPro - Der Fremdsprachendidaktik fehlt derzeit eine Streitkultur
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2021
Barbara Schmenk
flul5020136
DOI 10.2357/ FLuL-2021-0023 50 (2021) • Heft 2 Ein Fuchs, wer bereits beim Lesen des Themas dieser Kolumne feststellt, dass da etwas nicht so recht zusammenpassen will. Im Rahmen einer Pro- & Contra-Diskussion zu behaupten, dass es der Fremdsprachendidaktik (FSD) derzeit an einer Streitkultur mangle, droht diese Aussage unmittelbar ad absurdum zu führen. Pro & Contra stehen doch geradezu paradigmatisch für Streit und zeugen damit auch vom Vorhandensein einer Streitkultur. Jein. Denn das hängt davon ab, was man unter Streit und auch Streitkultur versteht. Das Gegenüberstellen von Pro und Contra innerhalb eines gegebenen Streitraums zeugt (noch) nicht vom Vorhandensein einer Streitkultur. Streit klingt zunächst negativ. Wer sich streitet, entzweit sich, wird mitunter zu erbitterten Gegnern. Nicht nur in der Geschichte der FSD gibt es einige Beispiele für solche Verfeindungen unter zerstrittenen Streithähnen. Sie haben Formen des Streits etabliert oder perpetuiert, die wenig zur Errichtung oder Ermöglichung eines produktiven kritischen Diskurses beigetragen haben. Bei manchen Beteiligten und Augenzeugen dürfte das zweifellos ein erhöhtes Harmoniebedürfnis ausgelöst haben, so dass sie sich zumindest zeitweilig vor dem Streiten hüten. Es gibt aber auch Beispiele dafür, dass es in der FSD durchaus Streitkulturen gegeben hat. Man denke nur an die Auseinandersetzungen zum Sinn und Unsinn des interkulturellen Lernens oder des Referenzrahmens. Derzeit ist allerdings eine erstaunlich geringe Bereitschaft zum Streiten auszumachen. Man streitet zu wenig, um eine Streitkultur zu etablieren oder wiederzubeleben. Woran liegt das? Hierzu drei Hypothesen: 1. Die häufig enge Anbindung an Schule und damit eine institutionelle Einschränkung, die sich auf die Wahrnehmung der zentralen Aufgaben und Gegenstandsbereiche der FSD verengend niederschlägt. Dabei droht das Fach zum Handlanger bildungspolitischer und institutioneller Vorgaben zu werden. Dabei ließe sich hier über vieles trefflich streiten! 2. Empirische Forschung als methodisches Paradigma (ver)führt dazu, von Daten statt von Positionen und der Positionierung von datengenerierenden Forschungsprojekten und Fragestellungen im weiteren institutionellen, theoretischen, epistemologischen, konzeptuellen, sozialen, historischen und politischen Kontext zu reden. Empirie bietet eine Insel der empirisch abgesicherten Unstrittigkeit, wenn man diese Kontexte nur bruchstückhaft berücksichtigt. 3. Verführbarkeit durch attraktive Bildungsrhetorik. Kommunikativ, authentisch, autonom klingen unbestreitbar besser als unkommunikativ, unauthentisch oder fremdgesteuert. Unter dem Deckmantel vermeintlich klarer und attraktiver Begriffe wird übersehen, dass man mit modischen Wellen schwimmt, die selbstverständlich und unstrittig - nicht frag-würdig - erscheinen. Streitbare Positionen sind in einer Forschungsgemeinschaft zweifellos notwendig. Sie anzufechten, sich damit kritisch zu befassen, erfordert ebenso wie das Verfechten solcher Positionen eine Streitkultur, die die Trennung von Person und Position garantiert. Kontroverse Diskussionen muss man nicht nur aushalten, sondern man muss sie kultivieren. Streiten ist wichtig. Vermeintliche oder auch intentionale Harmonie und Streitvermeidung drohen ansonsten zu intellektueller Entropie und damit dem Ende einer lebendigen Wissenschaft zu führen. Waterloo (CDN) B ARBARA S CHMENK Der Fremdsprachendidaktik fehlt derzeit eine Streitkultur