Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0027
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
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Gnutzmann Küster SchrammEva REID: English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness. Berlin: Lang 2020, 174 Seiten [42,20 €]
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Jules Bündgens-Kosten
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Besprechungen 145 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0027 Eva R EID : English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness. Berlin: Lang 2020, 174 Seiten [42,20 €] Ein sich als inklusiv verstehender Fremdsprachenunterricht muss von den jeweiligen Lernendenvoraussetzungen ausgehen. Während der enge Inklusionsbegriff dabei insbesondere diagnostizierte Sonderförderbedarfe in den Blick nimmt, weitet der breite Inklusionsbegriff dies auf alle den Unterricht und die Schulkultur berührenden Aspekte von Heterogenität aus. Eine solche Lernendenvoraussetzung ist intellektuelle Hochbegabung. Hierbei handelt es sich um eine intellektuelle Leistungsfähigkeit, die deutlich vom Mittelwert abweicht und (in der häufigsten Lesart) die oberen beiden Perzentile in der Begabungsverteilung abdeckt. Hochbegabten Kindern fallen manche Aufgaben besonders leicht; ihre Begabung erlaubt ihnen, manche Kompetenzen schneller oder früher zu erwerben. Einige hochbegabte Schüler*innen erleben dabei Unterricht als wenig fordernd oder gar als langweilig. Hochbegabung als solche beschreibt ein Potenzial und ist damit erst einmal wertfrei. Sie führt weder automatisch zu besonderen Problemen in der Schule, noch zu automatischer Höchstleitung - beides ist aber, selbstverständlich, möglich. Bei etwa 160.000 hochbegabten Schüler*innen in Deutschland (23.000 in Österreich, 26.000 in der Schweiz) ist die Frage, wie hochbegabte Schüler*innen optimal gefördert werden können, eine hochrelevante Frage. Gerade für den Englischunterricht gibt es hier aber kaum empirische Befunde. Eva R EID (Philosoph Konstantin-Universität Nitra/ Univerzita Konštantína Filozofa v Nitre) nimmt sich dieses wichtigen Themas in ihrer Monographie English Language Education to Pupils with General Intellectual Giftedness an. Ihre Arbeit konzentriert sich auf einen Kontext, der sich von dem üblicherweise in D-A-CH vorzufindenden deutlich unterscheidet: das slowakische System separater Klassen ausschließlich für hochbegabte Schüler*innen. R EID präsentiert neben der theoretischen Einbettung sowie einiger konzeptioneller Überlegungen insgesamt vier Studien, die sich allesamt auf den Grundschulkontext beziehen. Im ersten Kapitel präsentiert die Autorin eine ganze Reihe bekannter Erwerbstheorien, ohne sich jedoch selbst theoretisch festzulegen oder für fachdidaktisch grundlegend vorgebildete Personen viel Neues zu bieten. In Kapitel 2, „Defining terms of giftedness and talent“, definiert sie ihre Kernbegriffe und geht auf die Geschichte der schulischen Hochbegabtenförderung sowie die Praxis schulischer Hochbegabtenförderung in mehreren Ländern ein. Dieses Kapitel bietet relevanten Kontext, hat aber zuweilen Längen. Kapitel 3 („Teaching English to gifted learners“) ist das konzeptionelle Herz der Arbeit. R EID geht hierbei von fünf „principles of educating gifted pupils with regard to English language education“ aus: „Developing creativity“, „Developing divergent thinking“, „Developing high level thinking skills“, „Facilitating learning study skils“ sowie „Attending to personal qualities, attitudes, values and feelings“. Die Begründung der fünf Prinzipien fällt leider sehr kurz aus. Warum z.B. die Entwicklung von Kreativität oder divergentem Denken ganz speziell für den Englischunterricht mit hochbegabten Lerner*innen leitend sein soll, wird nicht ausreichend expliziert. Auf der Basis dieser Prinzipien benennt R EID eine ganze Reihe von „Teaching techniques in teaching English to gifted pupils“. Die verschiedenen Techniken werden kurz angerissen und machen durchaus Lust auf mehr. Die oben benannten Defizite werden hier jedoch auch nicht ausgeglichen. Die Durchführung von Projekten, das Erstellen von Mindmaps oder Total Physical Response etwa sind sicherlich nicht nur für hochbegabte Lerner*innen hilfreich - was, in inklusiven Kontexten, durchaus als Vorteil der benannten Techniken gesehen werden kann. Leider werden keine Überlegungen zur Differenzierung oder gezielten Unterstützung angestellt 146 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0027 50 (2021) • Heft 2 - obwohl die Autorin mehrfach betont, dass selbst segregierte Klassen von hochbegabten Schüler*innen durch Heterogenität geprägt sind. Die Autorin gibt im Verlaufe des Buchs teilweise Beispiele dafür, wie diese Techniken inhaltlich gefüllt werden können. Zusätzliche Details (z.B. konkrete Arbeitsmaterialien oder Lernendenprodukte aus der schulischen Praxis) hätten den Wert dieses Kapitels für Leser*innen deutlich erhöhen können. Storytelling und Tasks werden - abgesehen von einem Absatz zu „Task Based Learning Method“ in Kapitel 1.4 - leider nicht thematisiert. Kapitel 4, 5, 6 und 7 konzentrieren sich auf die durchgeführten empirischen Arbeiten. Die Fallstudie besteht aus Unterrichtsbeobachtung mit „Teaching intervention“, Interviews mit Lehrkräften sowie einem Strategiefragebogen für Schüler*innen. Die Autorin hat den Unterricht in einer vierten Klasse (8 Schüler, 5 Schülerinnen) über mehrere Monate (insgesamt 40 Unterrichtsstunden) beobachtet, und dabei erhoben, wie oft die Techniken, die sie für besonders geeignet für hochbegabte Schüler*innen hält, im Unterricht vorkamen. Außerdem dokumentierte sie die verwendeten Medien. In derselben Klasse unterrichtete sie vier Unterrichtsstunden (eine davon als spontane Vertretungsstunde), was sie als „Teaching intervention“ dokumentiert. Die Unterrichtsbeobachtung war zwar sehr umfangreich, aber der Bericht vermittelt kein wirkliches Bild davon, wie Unterricht für hochbegabte Schüler*innen aussehen kann, bzw. was die Gelingensbedingungen für solchen Unterricht sein könnten. Der Schluss „I believe that the majoritiy of activites during lessons should be carried out through the recommended teaching techniques“ (S. 111) wird nicht ausreichend an konkreten empirischen Beobachtungen festgemacht. Zu ihrer Intervention berichtet sie „it was observed by me and the teacher that the pupils enjoyed these types of activites, they were eager to work and practice such activities. The teacher was very inspired by the types of activities I used“ (S. 117f.). Hier wäre eine tiefere Betrachtung - und eine Befragung der Schüler*innen selbst - sehr wünschenswert gewesen. In Interviews mit neun Lehrkräften der Schule, die allesamt sowohl hochbegabte als auch nicht-hochbegabte Schüler*innen unterrichteten, erhob sie ihre Erfahrungen und Meinungen zur Lehrerbildung und den vorhandenen Materialien. Nur fünf der neun befragten Lehrkräfte hatten ein Weiterbildungsangebot zu Hochbegabung erhalten, nur vier fühlten sich ausreichend für die Arbeit mit hochbegabten Schüler*innen vorbereitet (vgl. S. 122). Alle Lehrkräfte gaben an, sich Ergänzungsmaterial zum Lehrbuch zu wünschen (vgl. S. 122), was mit der mehrfach im Buch gemachten Feststellung, dass hochbegabte Schüler*innen vorhandenes Material oft in kürzester Zeit bearbeiten, zusammenhängt. Außerdem wurden die Lehrkräfte zu ihrem subjektiven Eindruck zur Arbeit mit hochbegabten und nicht-hochbegabten Schüler*innen befragt (vgl. Tabelle, S. 125f.). Die letzte Teilstudie basiert auf einem Fragebogen zur Strategienutzung im Englischunterricht, der von insgesamt 13 hochbegabten Grundschüler*innen ausgefüllt worden war. Ein Vergleich, z.B. zu Schüler*innen von Regelklassen, wird nicht geleistet. Insgesamt bleibt der Gesamteindruck nach der Lektüre unbefriedigend. Die Kritik an mangelnden Lehrkräftebildungsangeboten sowie die Feststellung eines Mangels an auf die Zielgruppe (Gruppen hochbegabter Schüler*innen im Englischunterricht der Grundschule) zugeschnittener Lehrbücher sind für den konkreten Unterrichtskontext sicherlich relevant, können aber nur sehr eingeschränkt auf den D-A-CH Kontext übertragen werden. Bei der Beobachtungsstudie sowie der Intervention fehlt der Grad an Details und Tiefe, der notwendig wäre, um hieraus wirklich Schlüsse für den eigenen Unterricht ziehen zu können. Weitergehende Arbeiten zu diesem wichtigen Thema wären also sehr wünschenswert. Frankfurt/ M. J UDITH B ÜNDGENS -K OSTEN