Fremdsprachen Lehren und Lernen
flul
0932-6936
2941-0797
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FLuL-2021-0028
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/91
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Gnutzmann Küster SchrammSebastian MIEDE: Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Tübingen: Narr 2019 (Gießener Beiträge zur Fremdsprachenforschung), 318 Seiten [64,00 €]
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Petra Kirchhoff
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Besprechungen 147 50 (2021) • Heft 2 DOI 10.2357/ FLuL-2021-0028 Sebastian M IEDE : Förderung des Sprechens im kompetenzorientierten Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe. Tübingen: Narr 2019 (Gießener Beiträge zur Fremdsprachenforschung), 318 Seiten [64,00 €] Das Sprechen gewann in den vergangenen Jahrzehnten durch die Umsetzung von kompetenzorientierten Lehrplänen und die Etablierung mündlicher Prüfungsformen sowie den korrespondierenden Washback-Effekten zunehmend an Bedeutung. Insbesondere in den Abschlussklassen sollte die systematische und effektive Schulung der Sprechfertigkeit aufgrund der vielen mündlichen Abschlussprüfungen einen hohen Stellenwert einnehmen. Wie die Sprechkompetenz auch in der Oberstufe tatsächlich gefördert wird, wurde jedoch bislang noch wenig betrachtet. Insofern fehlt ein wichtiger Baustein der fremdsprachendidaktischen Unterrichtsforschung. Dieses Forschungsdesiderats nimmt sich die hier rezensierte Studie an, indem sie nicht weniger als den Ist-Stand der schulischen Praxis und deren Stärken und Schwächen abbilden sowie Impulse für Forschung und Lehrer*innenbildung liefern möchte. Kern der empirischqualitativen Arbeit sind sechs Fallstudien, für die zunächst einzelne Englischstunden mit jeweils einem Schwerpunkt auf interaktionalem oder transaktionalem Sprechen in der gymnasialen Oberstufe in den Bundesländern Hessen und Niedersachsen videografiert und in der Zusammenschau mit weiterem Datenmaterial aus der Befragung von Schüler*innen und Lehrer*innen ausgewertet wurden. In der weiteren Diskussion stellt der Autor mehrfach klar, dass er keinesfalls die Wirksamkeit von Lernaufgaben zum Sprechen untersuchen will, sondern dass sein Fokus auf einer Beschreibung einer „authentischen Unterrichtspraxis“ liegt. Eine Diskussion des Begriffs „Authentizität“ in diesem Kontext bleibt jedoch leider aus. Der Band gliedert sich insgesamt in sieben Kapitel. Das erste skizziert kurz die Zielsetzung, das Forschungsdesign und den Aufbau der Arbeit. Das zweite liefert einen Überblick zur Förderung der Sprechkompetenz im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe in Bildungspolitik und Forschung. Der bildungspolitische Rahmen wird ausführlich referiert. Bei der Aufarbeitung des Forschungsstands widmet Miede sich vor allem der Methodik des Fremdsprachenunterrichts und darunter insbesondere der Aufgabenorientierung sowie der Beurteilung von Sprechfertigkeit. Eher linguistisch oder empirisch-quantitativ geprägte Forschungsarbeiten werden leider nur am Rande rezipiert. Einer genauen Schilderung des Erkenntnisinteresses und des Untersuchungsdesigns (Kapitel 3) folgt eine Darlegung der Kodierungssysteme zur qualitativen Inhaltsanalyse der videografierten Unterrichtsstunden. Die Codes zur Bestimmung der Sprechleistung der Schüler*innen beim interaktiven und monologischen Sprechen werden anhand des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen entwickelt und sinnvoll ergänzt. Zur aufgabenbezogenen Interaktion sowie zum Handeln der Lehrkraft werden zudem gesonderte Listen an Codes auf der Basis normativer Setzungen erstellt. Eine genaue Herleitung aus den Ergebnissen bereits existierender theoretischer und empirischer Arbeiten wäre hier wünschenswert gewesen. Kriterien von Unterrichtsqualität, die aus bildungswissenschaftlicher Perspektive erforscht sind und für die es aus fremdsprachendidaktischer Perspektive erste Hinweise gibt, hätten zumindest in Teilen als evidenzbasierte Grundlage für die Festlegung der Codes zur Beurteilung des Lehrerhandelns sowie der Interaktion dienen können. Im Anschluss erfolgt eine erste, pilotierende Analyse von zwei Unterrichtsvideos sowie eine Interpretation der korrespondierenden Lehrer*innen- und Schüler*innenbeiträge. Alle Daten wurden vom Autor erhoben und untersucht, um die Komplexität der Vermittlung von Sprechkompetenz fallbezogen abzubilden. Damit auch die Perspektiven der beforschten Personen einbezogen werden können, werden die Videoaufnahmen mit retrospektiven Interviews der Schüler*innen und der Lehrer*innen sowie mit Notizen der Lernenden ergänzt. Diese Perspek- 148 Besprechungen DOI 10.2357/ FLuL-2021-0028 50 (2021) • Heft 2 tiventriangulierung liefert auch eine Chance zur Validierung der hochinferenten Ratings sprechfertigkeitsspezifischer Unterrichtsqualität. Ebenso hätte ein Augenmerk auf die Interrater-Reliabilität die Güte der Analysen sinnvoll untermauern können. Die Kapitel 5 und 6 beschäftigen sich, dem gleichen systematischen Aufbau folgend, eingehend mit der Analyse der weiteren Unterrichtsvideos und Daten aus einem Leistungskurs der 13. Klasse (Thema Südafrika) und einem Grundkurs der 12. Klasse (Thema Harlem Renaissance). Auf das Vorhandensein von systematischen Ansätzen zur Förderung von Sprechfertigkeit in der Oberstufe des Gymnasiums kann aus der Analyse der Oberflächenstrukturen der wenigen Unterrichtsstunden nicht geschlossen werden. Vielmehr noch scheint es in den analysierten Stunden nicht zu gelingen, den allgemeingültigen Kriterien guten Unterrichts, wie gute Klassenführung, kognitive Aktivierung der Schüler*innen sowie konstruktive Unterstützung, zu genügen. So bleibt etwa das Feedback zu sprachlichen Aspekten der Schüler*innenleistungen häufig aus oder es ist unvollständig. Die Auswertungen der retrospektiven Interviews sowie der Notizen der Schüler*innen und der Lehrpersonen bestätigen tendenziell die Ratings des Unterrichts. Zusammenfassend wird im siebten Kapitel unter anderem resümiert, dass in den analysierten Beispielen die thematische und fremdsprachliche Vorbereitung der mündlichen Phase sowie die Aufgabenstellung selbst einen enormen Einfluss auf die Qualität der Förderung von Mündlichkeit haben. In den Fallstudien dienen vor allem literarische Texte als springboard for language production und es wird bei der Lektüre der ausführlichen Stundenbeschreibungen sehr deutlich, wie eng das Gelingen der anschließenden, sprachproduktiven mündliche Phase an das vorausgehende Verstehen und das Niveau der individuellen kritischen Auseinandersetzung mit den literarischen Texten geknüpft ist. Über die Fallstudien hinweg, wird zudem herauszuarbeitet, welch schwieriges Unterfangen alleine schon die schüler*innengerechte Konzeption und Erklärung der Aufgaben zur Förderung der Sprechkompetenz sowie die Gesprächsführung in Diskussionsphasen für die Lehrpersonen darstellt. Das siebte Kapitel schließt den Band mit einem sehr umfangreichen Katalog an Hypothesen zu einer gelingenden, aufgabenorientierten Förderung der Sprechfertigkeit im Oberstufenunterricht. Die abschließenden Hinweise der Studie möchten einer Identifikation von Merkmalen für die Förderung der Sprechfertigkeit auf hohem fremdsprachlichem Niveau dienen. Damit verfolgen sie ein ergebnisorientiertes Verständnis von Unterrichtsqualität und verweisen auf eine in diesem Band noch nicht geleistete zukünftige Auseinandersetzung mit den empirisch abgesicherten Erkenntnissen der Bildungswissenschaften zu Kriterien der Unterrichtsqualität sowie deren Erweiterung um fremdsprachenspezifische Aspekte. Die hier anhand von sechs ausgesuchten Fällen gewonnen Einblicke werfen so ein Schlaglicht auf die Notwendigkeit weiterer Unterrichtsforschung zur Entwicklung der Sprechfertigkeit im Fremdsprachenunterricht. Erfurt P ETRA K IRCHHOFF