Forum Modernes Theater
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Narr Verlag Tübingen
10.2357/FMTh-2020-0021
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BalmeMarita Tatari, Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme, München: Fink 2017, 233 Seiten
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Marten Weise
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messbare Größen des eigenen Lebens “ (S. 128) genannt, wenn Schlingensief das Röntgenbild seiner Lunge als „ faktisch verbürgte Bedingung seiner Existenz “ (S. 127) auf Leinwände projiziert. Die klugen Interpretationen der Szenen und inhaltlichen Abläufe in Mea Culpa werden durch informative Exkurse ergänzt, etwa zu Wagners Parsifal, Schlingensiefs Bayreuther Zeit und seinen animatographischen Arbeiten sowie zu Jelineks Tod-krank.Doc, also zu Werken, die Mea Culpa mit zu Grunde liegen. Entlang dieser und weiterer Intertexte vermag Zorn die zunächst verwirrende Handlung zwischen Ayurveda-Zentrum, Traumsequenzen und afrikanischem Opernhaus sowie das dichte Geflecht der Bilder, Texte und Auftritte in den drei Akten „ Blick aus dem Jenseits ins Hier “ , „ Jenseits der Grenze “ und „ Blick von hier ins Jenseits “ in ihren Bedeutungsschichten aufzuschlüsseln. Bezogen auf Sterben lernen beobachtet Zorn treffend, dass Schlingensief in dieser von Pfallers Konzept der Interpassivität geprägten Inszenierung nicht wie in den beiden vorangegangenen als zentrale Figur, sondern als Störfaktor auftritt. Das erinnert an seine früheren Aktionen und demonstriert, so ließe sich hinzufügen, die Heterogenität seiner Inszenierungsstile ‚ im Angesicht des Todes ‘ . Die von Zorn mehrfach wiederholte Interpretation, Schlingensief habe hier zu einem distanzierteren Inszenierungsstil gegriffen, weil es ihm gesundheitlich und psychisch besser gegangen sei, ist fragwürdig, betonte er doch bereits im Eingangsmonolog der Premiere am 4. Dezember 2009 die Worte „ in mir sieht es dunkel und schwarz aus “ . Das Kapitel bietet ein breites Panorama an philosophischen Positionen zum ‚ Sterben lernen ‘ , lässt dabei jedoch gerade die Mystiker Nikolaus von Kues und Meister Eckhart außer Acht, die in der dramaturgischen Vorbereitung der Inszenierung in Schlingensiefs Austausch mit dem Theologen Johannes Hoff eine besondere Rolle gespielt haben, und geht kaum auf deren szenische Umsetzung ein, etwa auf die Kreuzprozession im zweiten Akt, die eine besondere Nähe zu den mitlaufenden Zuschauern aufbaute. Das erste Kapitel bietet kompakte Zusammenfassungen des journalistischen Echos der Inszenierungen. Die Auseinandersetzung mit der Forschung zu Schlingensief ist allerdings unvollständig. Mehrere Beiträge, die schon deutlich vor Abschluss der vorliegenden Dissertation, also vor 2014/ 15 publiziert waren, etwa zur Autofiktion bei Schlingensief, zu den Paradoxien in seinem Theater oder zu seinen Animatographen, finden keine Erwähnung. Alles in allem steht jedoch außer Frage, dass es sich bei der dicht geschriebenen Arbeit um einen großen Gewinn für die Wissenschaft zum Gegenwartstheater sowie zu Christoph Schlingensief handelt. Bielefeld L ORE K NAPP Marita Tatari, Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme, München: Fink 2017, 233 Seiten. In Kunstwerk als Handlung umreißt Marita Tatari einen Begriff des handelnden Kunstwerks, der verbreitete Vorstellungen zu Performativität und zum Postdramatischen unterläuft. An Grundlagentexten der Theaterwissenschaft orientiert und als Grundlagenforschung zwischen den Feldern der Geschichtsphilosophie und der Theorie des Dramas verortet, arbeitet Tataris Studie dabei eine Reflexivität der Aufführung heraus, die sie im Anschluss an Jean-Luc Nancy als Aktualisierung von Alterität und Selbstdifferenz im sinnlichen Element begreift. Entgegen eines Vorrangs der Präsenz und der Verwirklichung, so die These Tataris, verschiebe sich die Ordnung des Ästhetischen im Zeitalter nach einer Geschichtsteleologie heute zur Aufführung einer unendlichen Singularität. Die Theaterformen der Gegenwart seien weniger als eine Überwindung des (in sich geschlossen verstandenen) dramatischen Kunstwerkes zu begreifen, sondern vielmehr als eine Transformation jenes Feldes, welches von jeher durch Ausstellung und Teilnahme geprägt gewesen sei. (S. 10/ 11) Eine Geschichte des Theaters abseits der Auffassung von geschichtsteleologischem Fortschritt, so ließe sich der Zielpunkt der Studie zusammenfassen, sei nicht nur für eine Analyse von Gegenwartstheater hilfreich, wie Tatari im letzten Kapitel und auf vergleichsweise kleinem Raum mit der Diskussion von Arbeiten Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 214 - 217. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0021 214 Rezensionen von Jürgen Gosch, Laurent Chétouane, Hofmann&Lindholm und anderen aufzuzeigen sucht. Sie helfe auch retrospektiv dabei, dem (klassischen) Drama eine ästhetische Qualität abzugewinnen, in der die sinnliche Entfaltung des Sprechens, des Spiels und die Charaktere als Intensitäten des Sinnlichen zu einem Eigenrecht kommen (S. 77/ 78). Im Denken der französischen Philosophie verwurzelt, begreift Tatari die „ Ästhetik des Abendlandes “ ausgehend von Jean-Christophe Baillys Studie Le champ mimétique als eine Geschichte der Distanz. Darstellung als „ Bezug ohne Bezugspunkte “ geht demzufolge darüber hinaus lediglich Darstellung eines oder für ein Subjekt zu sein oder die Produktion von Subjektivitätseffekten zum Zweck zu haben: „ Das Zuschauen ist nicht das Zuschauen bestimmter Individuen, die sich auf einen Gegenstand beziehen, sondern es ist das Stattfinden der Alterität, die sich in dem sich ausstellenden sinnlichen Bezug öffnet. “ (S. 38) In ihrer Auseinandersetzung mit Fragen der Darstellung verweist sie - wie im Verlauf der Studie häufig - auf Nancys Begrifflichkeit des „ Mitseins “ , d. h. eine den Aspekt einer gleichursprünglichen Alterität des Erscheinens (des Daseins) akzentuierende Lektüre der Philosophie Martin Heideggers. Den „ sich ausstellenden Bezug “ der Darstellung bringt Tatari - in Form einer Kritik der Kritik - gegen die These vom Zeitalter einer geschlossenen Repräsentation in Stellung, welche das Drama lediglich als Semiotechnik einer bürgerlichen Subjektideologie begriffen habe. (S. 68) Friedrich Kittler etwa reduziere im Rückgriff auf Reinhart Koselleck das Drama in seiner Lektüre von Lessings Emilia Galotti auf die Hervorbringung des Selbst und des gelungenen Selbstbezugs: „ Im Drama - und das meint bei Kittler in der Dialektik der handelnden Charaktere - sieht er das Hervorbringen des Paradigmas dieser neuen „ Intersubjektivität “ und zwar als eine Sprachordnung, die die Utopie, den Mangel oder das Imaginäre ihres Fundaments verbirgt. “ (S. 65) Die Kritik des dramatischen Modells habe, Tatari zufolge, die dichotomische Struktur und seine Aufhebung ins Sprachlich-imaginäre dem Drama einerseits untergeschoben und andererseits als widersprüchliche und schlechte Aktualisierung von Subjektivität charakterisiert. Die mit der Begrifflichkeit des Postdramatischen angestoßene Auseinandersetzung mit der Krise des bürgerlichen Dramas (Szondi) werde als Selbstverwirklichung des Theaters durch das Hervortreten der Theatralität charakterisiert (Hans-Thies Lehmann, Erika Fischer-Lichte), bewege sich dabei aber noch in jener Fortschrittslogik, die dem Kritisierten mit der Behauptung einer nun überwundenen dialektisch-zwischenmenschlichen Geschlossenheit der Repräsentation, seinerseits unterstellt wurde. In einer solchermaßen aufgestellten Kritik am Drama, die in ihm nur die Repräsentation von Natürlichkeit der Gestalten und Bildlichkeit ihrer Individualität (S. 77, Günther Heeg) erkennt, gehen, so Tatari, die spezifisch ästhetischen Merkmale des Theaters als Theater verloren, nämlich die Ausstellung und Teilnahme an der Aufführung eines sinnlichen Erscheinens. (S. 16 ff.) Tataris mitunter harte Polemik gegen die genannten Referenzen der Theorie des Theaters im 20. Jahrhundert, denen sie nur ein einseitiges Verständnis der dramatischen Epoche zugesteht, liefe bei teilweise inhaltlicher Berechtigung in jenen Momenten Gefahr, zu einem die eigene These desavouierenden Moment zu werden, wo sie in der Unterstellung von Naivität und im Eifer des Generalvorwurfs die Details aus den Augen zu verlieren droht. Der zentrale und überzeugende Einsatz des dritten Kapitels zumindest stellt sich diesem Eindruck entgegen. Eine Reevaluierung des Sinnlichen, die etwa den Austritt des Individuums aus dem „ substantiellen Boden des Chors “ und damit das „ Mit-Erscheinen in der Endlichkeit “ statt der sittlichen Handlung fokussiert (S. 134), und das gegen geläufige theatertheoretische und -historische Entwürfe durchaus zu Recht eine neue Position im Feld der Theaterforschung und des Denkens des Ästhetischen beansprucht, erarbeitet Tatari mit einer Lektüre des Handlungsbegriffs aus den in Studien zum dramatischen Theater sowie dem Theater nach dem Drama heute häufig nur noch implizit vorausgesetzten Vorlesungen über die Ästhetik von Hegel. Mit ihrer stichhaltigen Analyse schließt sie an Hans- Thies Lehmanns (unausgeführte) Bemerkung an, dass sich auch „ klassisches dramatisches Theater “ aufgrund des Doppelsinns der Handlung von Figuren und ihrer Verstrickung in Umstände und 215 Rezensionen Zufälle etwas auszeichne, das über die subjektphilosophische Dimension „ einer Repräsentation des Handelns als intendiertem Tat-Handeln hinausgeht “ . [Vgl. Hans-Thies Lehmann, „ Tragödie und postdramatisches Theater “ , in: Bettine Menke, Bettine und Christoph Menke (Hg.), Tragödie - Trauerspiel - Spektakel, Berlin: Theater der Zeit 2007, S. 213 - 227]. Mit dem paradoxen Begriff der Handlung gebe Hegel der Nachwelt die Aufgabe einer im Feld der Kunst erforderlichen Infragestellung ihrer selbst mit. Hegel habe die seiner Philosophie inhärente Fortschrittsideologie anhand der Kunst und ihres zu Beginn der Vorlesungen betonten Vergangenheitscharakters, den Tatari, Hegel wortgetreu folgend, als „ Schranke “ bezeichnet, in Frage gestellt: „ Das „ Nach “ der Kunst bringt diese Differenz von sich, die die Kunst ist, zur Erfahrung. “ (S. 97) Sie sei damit weder als Mittel der Selbststeuerung zum Fortschritt (anglosächsischer Diskurs) noch als krisentheoretische (Selbst-)Reflexion der Leere des Sinnes in der Folge Heideggers und der Marxisten (kontinentaler Diskurs) zu begreifen. (S. 90/ 91) Die Untersuchungen zum „ sich ausstellenden Bezug “ , die Tatari in Hegels Begriff der Handlung vornimmt, sind neben der Prägung seitens Jean-Luc Nancy von Texten Jacques Derridas, Alexander García Düttmanns und Werner Hamachers beeinflusst und insistieren auf der Unmöglichkeit einer Schließung der Repräsentation. (S. 92) Mit ihrem Schwerpunkt auf dem autonomen ästhetischen Charakter des Kunstwerkes als einem sinnlichen Erscheinen, grenzt sich Tatari von Hegel-Lesarten etwa Christoph Menkes und Juliane Rebentischs ab, deren Arbeiten sie als Beitrag zu einer Normativität für eine gute Subjektivität beschreibt. (S. 102) Wie sie mit Dieter Henrich ausführt, habe die Kunst, in der Unmöglichkeit ein Gesamtbewusstsein der Lebensverhältnisse zu begründen, einen „ partialen Charakter “ , der im „ Verzicht auf die Utopie “ und als Bewusstsein einer abgründigen Totalität auf die die „ unvordenkliche Einheit von Selbst und Sein “ verweise. (S. 91) Die auf den Plan gerufenen nicht-menschlichen Prozesse, die in der Kunst heute zwar besonders aktuell, jedoch auch im bürgerlichen Theater qua Kunst als Technik bereits von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind, eröffnen dabei speziell eine Brechung der Binarität anthropozentrischer und nicht-anthropozentrisch gedachter Zwecke. (164) Anhand einer Relektüre von Kleists Marionettentheater schreibt Tatari, dass entgegen der kanonischen Interpretation de Mans, der „ Mechanik dem Ausdruck, Tanz dem Drama, Technik dem Körper, grammatikalische Fälle der Interpretation “ (173) entgegensetzt, aus einer anderen Ordnung der Produktion nach dem Verfall einer teleologischen Verfertigungs- und Werkideologie auch ein anderer Weg der ästhetischen Erfahrung der Zuschauer*innen resultiert: Mit dem Puppenspieler, der von einer Mechanik ersetzt werden könne, müsse ein die Dekonstruktion der geschichtsteleologischen Sicht auf die Kunst und das Theater weiterführendes „ Stattfinden seines mangelnden Endzwecks “ als das Eigenste des ästhetischen Geschehens gefasst werden, das sich nicht als Mangel oder Abwesenheit - nicht als Unmöglichkeit eines Endzwecks - sondern als „ Raumzeit der ästhetischen Erfahrung “ den Zuschauer*innen gegenüber vermittelt. (175) Handlung ist Tatari zufolge weder nur das, was Protagonist*innen tun oder nicht tun, noch, was von Künstler*innen, Schauspieler*innen, Performer*innen oder Zuschauer*innen ausgeht. (27) Vielmehr sei Handlung jenseits der Vorstellung eines Geschehens auf der Bühne im und als Theater, als Entfaltung des Sinnlichen, die Unruhe der Erscheinung als dessen Form des Erscheinens. (148 f.) Aufführung und Teilnahme erfolgt dabei, wenn sie nicht auf das Regime des Guckkastens reduziert ist, stets als Aktualisierung einer im Sinnlichen ko-existierenden Differenz. Handlung, wie sie von Hegel nach dem Untergang der griechischen Tragödie beschrieben werde, bringe zur Anschauung und Empfindung, was ihr entgeht, ohne dabei auf einen ihr äußerlichen Zweck zu verweisen. (99) Die Kunst bezieht ihre immer wieder beschworene Autonomie dabei nicht aus einem in der Geschichte virtuell präfigurierten Zweck oder aber der Abwendung von derlei Überbleibseln der geschichtsteleologischen Tradition, sondern aus ihrer „ aktiven Alterität “ (224), die als Handlung eine sinnlich verwirklichte Differenz des Erscheinens und damit zu sich selbst zum Ausdruck bringt: „ Sie [die Kunst] ist verstärkt in Unruhe, in Suche, in Wandlung. “ (226) Als Forderung einzeln betrachtet werden zu müssen, ist jedes Werk als handelndes zu ver- 216 Rezensionen stehen. Das Kunstwerk als Handlung, so ließe sich aus Tataris Formulierungen um die „ Zweideutigkeit des Telos “ (122) schlussfolgern, ist als Umformulierung der nach Kant propagierten Zweckmäßigkeit ohne Zweck, der einzig auf seine Veräußerung bezogene Selbstzweck, der auf nichts als sein Erscheinen und seine Andersheit gerichtete Telos ohne Telos. Die Stärke von Marita Tataris Studie, nämlich herauszuarbeiten, dass auch in Zeiten der Vorherrschaft der Guckkastenbühne und des klassischen dramatischen Formverständnisses bereits ein Begriff der Handlung nach Hegel zu beschreiben vermag, dass eine Ordnung des Ästhetischen jenseits der Ideologie des Werkes als das Stattfinden von Bezugnahmen im sinnlichen Element zu verstehen wäre und das Ganze der Theatersituation mit einem erweiterten Verständnis von Bühne und im Sinne von Ausstellung und Teilnahme betrifft, markiert zugleich einen Schwachpunkt in ihrer Arbeit. Auch wenn sie mit der Feststellung einer gegenwärtigen Verschiebung einsetzt, liegt diese Schwachstelle in der tendenziellen Vernachlässigung von Fragen nach dem Theater als einem historischen Dispositiv, mit denen Überlegungen zu einer Ordnung des Erscheinens im Drama gewichtiger noch konfrontiert werden müssten. Ein solches Verständnis des Theaters als historisches Phänomen und unter Einbeziehung epistemischer Prämissen schlägt bei aller inhaltlicher Divergenz etwa der Band Theater als Dispositiv vor. [Aggermann, Lorenz/ Döcker, Georg/ Siegmund, Gerald (Hg.): Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung, Frankfurt am Main: Peter Lang 2017.] Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme eine insbesondere theoretisch ansprechende und anspruchsvolle Arbeit ist, die ihre Überlegungen mit Betrachtungen zeitgenössischer Theaterarbeiten im Tanz und Theater knapp beschließt, eine wertvolle Neubetrachtung historischen Materials in den Blick nimmt und damit einen wichtigen Beitrag zu den offenen Begriffsfragen leistet, nachdem derjenige des Werkes unter geschichtsphilosophischen Gesichtspunkten verschüttet worden ist. Frankfurt am Main M ARTEN W EISE Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung (Reihe: theaomai. Studien zu den performativen Künsten 9), Frankfurt am Main: Peter Lang 2017, 276 Seiten. Hat die Theaterwissenschaft eine gemeinsame Methodik? Und wie ließe sich das, „ was gemeinhin als Theater behauptet und erfahren wird, theoretisieren “ (S. 7)? Eine Frage, deren Diskussion heute umso dringlicher wird: Angesichts einer sukzessiven Neoliberalisierung der Hochschulen und einer immer stärker waltenden Konkurrenz der einzelnen Disziplinen um Fördertöpfe und Drittmittel, gerät auch die Theaterwissenschaft zunehmend in Legitimationszwang, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre Methodik zu verteidigen. Mit Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung ist nun ein Sammelband erschienen, der eben jene Fragen nach den Voraussetzungen des Faches sowie nach den Normen, Regeln und Ordnungen seines Gegenstandes vor dem Hintergrund des Dispositiv-Modells verhandelt. Die Publikation ist hervorgegangen aus dem DFG Forschungsprojekt Theater als Dispositiv am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und schließt dabei an einige vorangegangene Veröffentlichungen zum Begriff des Dispositivs an, wie diejenigen von André Eiermann, Ulrike Haß, Rudolf Münz und Birgit Wiens an. Sich im Rahmen dieses Feldes auf das maßgeblich auf Foucault und seine Epistemologie zurückgehende Modell des Dispositivs zu beziehen, erlaubt in der theoretischen Arbeit die Analyse von Theater als einer epistemischen Ordnung. Dies heißt vor allem, Theater als ein historisches Phänomen zu verstehen und unter epistemischen Prämissen nach den Bedingungen seiner Verfasstheit, seines Wissens und seinen unterschiedlichen Ausformungen zu fragen. Eine umfassende und detaillierte Einführung in das Thema und in die wissenschaftliche Verortung des Bandes bietet zu Beginn Lorenz Aggermanns Aufsatz „ Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisationen “ . Die Problematik Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 217 - 221. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0022 217 Rezensionen