eJournals Forum Modernes Theater 31/1-2

Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FMTh-2020-2022
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2020
311-2 Balme

Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.),Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissenin der Ordnung der Aufführung (Reihe:theaomai. Studien zu den performativen Künsten 9), Frankfurt am Main: Peter Lang 2017, 276 Seiten

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2020
Julia Schade
fmth311-20217
stehen. Das Kunstwerk als Handlung, so ließe sich aus Tataris Formulierungen um die „ Zweideutigkeit des Telos “ (122) schlussfolgern, ist als Umformulierung der nach Kant propagierten Zweckmäßigkeit ohne Zweck, der einzig auf seine Veräußerung bezogene Selbstzweck, der auf nichts als sein Erscheinen und seine Andersheit gerichtete Telos ohne Telos. Die Stärke von Marita Tataris Studie, nämlich herauszuarbeiten, dass auch in Zeiten der Vorherrschaft der Guckkastenbühne und des klassischen dramatischen Formverständnisses bereits ein Begriff der Handlung nach Hegel zu beschreiben vermag, dass eine Ordnung des Ästhetischen jenseits der Ideologie des Werkes als das Stattfinden von Bezugnahmen im sinnlichen Element zu verstehen wäre und das Ganze der Theatersituation mit einem erweiterten Verständnis von Bühne und im Sinne von Ausstellung und Teilnahme betrifft, markiert zugleich einen Schwachpunkt in ihrer Arbeit. Auch wenn sie mit der Feststellung einer gegenwärtigen Verschiebung einsetzt, liegt diese Schwachstelle in der tendenziellen Vernachlässigung von Fragen nach dem Theater als einem historischen Dispositiv, mit denen Überlegungen zu einer Ordnung des Erscheinens im Drama gewichtiger noch konfrontiert werden müssten. Ein solches Verständnis des Theaters als historisches Phänomen und unter Einbeziehung epistemischer Prämissen schlägt bei aller inhaltlicher Divergenz etwa der Band Theater als Dispositiv vor. [Aggermann, Lorenz/ Döcker, Georg/ Siegmund, Gerald (Hg.): Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung, Frankfurt am Main: Peter Lang 2017.] Dabei bleibt jedoch festzuhalten, dass Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme eine insbesondere theoretisch ansprechende und anspruchsvolle Arbeit ist, die ihre Überlegungen mit Betrachtungen zeitgenössischer Theaterarbeiten im Tanz und Theater knapp beschließt, eine wertvolle Neubetrachtung historischen Materials in den Blick nimmt und damit einen wichtigen Beitrag zu den offenen Begriffsfragen leistet, nachdem derjenige des Werkes unter geschichtsphilosophischen Gesichtspunkten verschüttet worden ist. Frankfurt am Main M ARTEN W EISE Lorenz Aggermann, Georg Döcker und Gerald Siegmund (Hg.), Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung (Reihe: theaomai. Studien zu den performativen Künsten 9), Frankfurt am Main: Peter Lang 2017, 276 Seiten. Hat die Theaterwissenschaft eine gemeinsame Methodik? Und wie ließe sich das, „ was gemeinhin als Theater behauptet und erfahren wird, theoretisieren “ (S. 7)? Eine Frage, deren Diskussion heute umso dringlicher wird: Angesichts einer sukzessiven Neoliberalisierung der Hochschulen und einer immer stärker waltenden Konkurrenz der einzelnen Disziplinen um Fördertöpfe und Drittmittel, gerät auch die Theaterwissenschaft zunehmend in Legitimationszwang, ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und ihre Methodik zu verteidigen. Mit Theater als Dispositiv. Dysfunktion, Fiktion und Wissen in der Ordnung der Aufführung ist nun ein Sammelband erschienen, der eben jene Fragen nach den Voraussetzungen des Faches sowie nach den Normen, Regeln und Ordnungen seines Gegenstandes vor dem Hintergrund des Dispositiv-Modells verhandelt. Die Publikation ist hervorgegangen aus dem DFG Forschungsprojekt Theater als Dispositiv am Institut für Angewandte Theaterwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und schließt dabei an einige vorangegangene Veröffentlichungen zum Begriff des Dispositivs an, wie diejenigen von André Eiermann, Ulrike Haß, Rudolf Münz und Birgit Wiens an. Sich im Rahmen dieses Feldes auf das maßgeblich auf Foucault und seine Epistemologie zurückgehende Modell des Dispositivs zu beziehen, erlaubt in der theoretischen Arbeit die Analyse von Theater als einer epistemischen Ordnung. Dies heißt vor allem, Theater als ein historisches Phänomen zu verstehen und unter epistemischen Prämissen nach den Bedingungen seiner Verfasstheit, seines Wissens und seinen unterschiedlichen Ausformungen zu fragen. Eine umfassende und detaillierte Einführung in das Thema und in die wissenschaftliche Verortung des Bandes bietet zu Beginn Lorenz Aggermanns Aufsatz „ Die Ordnung der darstellenden Kunst und ihre Materialisationen “ . Die Problematik Forum Modernes Theater, 31/ 1-2 (2020), 217 - 221. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMRe-2020-0022 217 Rezensionen rein aufführungstheoretischer Ansätze, wie sie maßgeblich durch Erika Fischer-Lichte bestimmt worden sind, und solcher einer neuen Phänomenologie des Theaters (Roselt) sieht er unter anderem darin begründet, dass sie sich als Theorie und Methode „ über und vor allem vor die Erfahrung von Kunst “ stellten, „ um ein abstraktes Forschungsobjekt sowie wissenschaftliche Plausibilität und Objektivität zu gewinnen “ (S. 9). Oft werde gerade im Falle einer „ Fokussierung auf ein methodisches Zentrum “ der Aufführung „ nur das erkannt und ausgewiesen, was der begriffliche Apparat und die damit einhergehende Methode zulässt “ (S. 9). Das Novum des Ansatzes, Theater als Dispositiv zu betrachten, sieht Aggermann dagegen vor allem darin, die Materialisierung in einer Aufführung und die Herausbildung historischer und gegenwärtiger Formate „ weit differenzierter als bislang im Wechselspiel historischer, gesellschaftlicher, institutioneller und ästhetischer Bedingungen “ untersuchen zu können “ (S. 22). Das methodische Fundament dieses Ansatzes besteht demzufolge darin, Theater weiter gefasst „ in all seinen Dimensionen der institutionellen Verankerung und Arbeitsweisen, der Produktionswie Rezeptionsverhältnisse, der gesellschaftlichen Diskurse und ihrer materielltechnischen Praktiken “ (S. 22) zu betrachten. Demgegenüber überrascht es, dass gleich der nächste Beitrag Dirk Baeckers mit dem Titel „ Die Performance in ihrem Element “ genau diese Fragen nicht verhandelt, sondern aus soziologischer Perspektive das Dispositiv Theater vielmehr als etwas verstanden wissen will, das hauptsächlich durch ein nahezu geschlossenes System der Selbstreferenz funktioniert. Kunst unterscheide sich von „ anderer Kommunikation dann nur insofern, als sie noch diese Selbstreferenz zur Darstellung bringt, zum Erlebnis beobachtbarer Beobachtungen werden lässt “ (S. 36). Performances definiert Baecker als „ Dispositive der Selbstreferenz in einem ausgezeichneten Sinne “ , in denen es keine heterogenen Elemente, sondern „ nur noch Unterschiede “ gebe (S. 37). Es bleibt zu fragen, ob dieser stark formalisierte Ansatz, der Theater lediglich als eine einem „ Formenkalkül “ unterliegende Unterscheidungsoperation - als „ Kunst der Verwerfung “ (S. 41) - betrachtet, nicht den Blick für das verliert, was das Dispositivmodell in dem von Aggermann beschriebenen Sinne ausmacht, nämlich für die historischen und epistemischen Bedingungen, die diese Unterscheidungen erst möglich machen - aber auch für das, was sich einer Differenzierung entzieht oder eben als Dysfunktionales zurück bleibt. So erscheint es für die Diskussion wesentlich produktiver, den Fokus weniger auf Formalisierungskriterien als auf die je spezifischen Konfigurationsweisen von Theaterdispositiven zu legen. Dieser Prämisse folgen die nächsten drei Beiträge Andreas Hetzels, Nikolaus Müller-Schölls und Ulrike Haß ‘ , die unter der thematischen Klammer „ Antike und moderne Konfigurationen “ zusammengefasst sind. Antike und moderne Konfigurationen Hetzel arbeitet heraus, dass sich entgegen der Tatsache, dass Foucault das Theater zunächst zu den Heterotopien zählt und damit ausdrücklich nicht in den Bereich des Dispositivs fasst, die klassische Tragödie als Dispositiv einer Demokratisierung lesen lasse. Anhand von Foucaults Lektüre von Euripides ‘ Ion und seinen Untersuchungen zur parrhesia zeigt Hetzel exemplarisch auf, wie das Dispositiv weniger als Disziplinierungs- und damit wesentlich antidemokratischer Unterdrückungsapparat verstanden werden müsse, sondern vielmehr ein Potential zur Öffnung und Transformation aufweise. Mit Rückgriff auf Lyotard, Deleuze und Rancière schlägt er vor, Theater als Dispositiv als eine „ Erweiterung der Grenzen des Sagbaren “ zu begreifen. Eben diese Frage nach dem Unsagbaren eines Dispositivs, steht im Fokus der nächsten beiden Beiträge. Für Nikolaus Müller-Schöll stellt die Dispositivanalyse für die Theaterwissenschaft eine Möglichkeit dar, sich von der Annahme eines „ natürlichen Gegenstand[es] “ (S. 67) als Zentrum des Faches, wie sie in aufführungstheoretischen und theaterhistoriographischen Ansätzen erfolgt, zu lösen und stattdessen für ein „ Theater des Unsichtbaren “ (S. 86) einzutreten. Dieses versteht sich als explizit politische Perspektive im Anschluss an das, was Agamben das „ Unregierbare “ des Dispositivs nennt: Zwar setzt auch für Müller-Schöll das Dispositiv des Thea- 218 Rezensionen ters eine „ Referenz des Theaters auf das Theater “ voraus, die er aber im Gegensatz zu Baecker als Referenz auf das definiert wird, „ was sich seiner Kontrolle entzieht “ (S. 87) - auf die „ konstitutive Zäsur “ und das „ potentiell dysfunktionale “ des Theaters (S. 87). Damit erfordert für ihn eine Dispositivanalyse, Agamben und Deleuze folgend, nicht nur eine Betrachtung der Konstitutionsweisen von Dispositiven und seiner relationalen Gefüge, sondern eben auch eine Untersuchung dessen, was in jedem Dispositiv als „ Unregierbares “ de-konstituierend mit wirkt: Anhand der Wiederkehr der Harlekinfigur zeigt er auf, wie diese als Zäsur und Bruchstelle innerhalb des neuzeitlichen und dann bürgerlichen Theaterdispositivs die „ Dispositivität “ (S. 87) desselben Dispositiv aufscheinen lässt. Auch Ulrike Haß widmet sich demjenigen „ was einem Dispositiv notwendigerweise entgeht “ (S. 89), formuliert dabei jedoch am Beispiel Kleists das grundlegende strukturelle Problem einer Anwendung des Dispositivbegriffs auf das Theater. Ihr Augenmerk liegt, ähnlich wie Müller-Schölls, auf einer „ Öffnung “ (S. 91) des Aufführungs- und Theaterbegriffs. Damit tritt sie für ein Theater „ im weitesten Sinn “ ein, das als „ konfigurierendes, ungleichzeitiges zwingend in sich selbst auseinandertretendes Phänomen “ zu begreifen sei (S. 93). Als ein solches widerstrebe ihm jedoch gerade die strategische Funktion des Dispositivbegriffs, vor allem wenn dieser im Anschluss an Agamben zu sehr in einem disziplinarischen und institutionellen Sinne gebaucht werde. Gerade Agambens Aufruf, das „ Unregierbare zum Vorschein zu bringen “ , appelliere als „ hybrider politischer Auftrag “ an einen Zweck, der die Übernahme eines solchen Konzeptes für das Theater unbrauchbar mache (S. 93). In diesem Sinne verwirft sie das Modell eines Theater als Dispositiv und schlägt stattdessen vor, die „ Aufführung als Dispositiv “ zu denken. Was Ulrike Haß hier am Beispiel Kleists herausarbeitet, ist nichts minderes als der blinde Fleck des Dispositivmodells: Theater an einem konkreten, historischen Zeitpunkt als Dispositiv zu begreifen, heißt, es notwendigerweise in seiner dispositivischen Formatierung zu verfehlen. Im nächsten Abschnitt „ Anomalie und Dysfunktion der Ordnung “ verschiebt sich der Fokus hin zu vornehmlich theoretischen Analysen des philosophischen Dispositiv-Modells und seiner Genealogie. Petra Löffler schlägt in einer den Titel des Bandes umkehrenden Bewegung vor, das Dispositiv als Theater zu denken und knüpft damit an das von Martin Puchner eingeführte Modell eines „ theatrical turn in philosophy “ an. Mit Rückgriff auf Deleuzes Methode der Dramatisierung plädiert sie dafür, den Begriff des Dispositivs selbst in seiner Genese aus einer Vorstellung des Theaters als Verräumlichung von Macht und Differenz zu begreifen. Die Aufführung stellt für Löffler damit nicht nur eine Versuchsanordnung dar, in der neue Denkweisen erprobt und praktiziert werden können, sondern, so ließe sich ihre Argumentation weiterführen, das Theater selbst wird zur Praxis des Denkens. Insofern ist Löfflers Beitrag auch als ein Versuch zu verstehen, die häufig ideologisch verfestigte Trennlinie zwischen Theorie und Praxis aufzulösen. Matteo Pasquinelli hingegen widmet sich in einer begriffsgeschichtlichen Untersuchung der Genealogie des philosophischen Dispositivmodells bei Foucault und Canguilhem, die zugleich eine Kritik an Agambens christlichtheologischer Fundierung desselben in Was ist ein Dispositiv? darstellt. Pasquinelli zeigt auf, dass sich Foucaults Konzept des biopolitischen Dispositivs auf George Canguilhems Konzept einer sozio-organischen Normativität, und noch weiter, auf die Schriften des Neurologen Kurt Goldstein zur Struktur des Organismus zurückführen lässt und damit eher aus einem technologischen Machtverständnis des 17. Jahrhundert resultiert als aus einer „ hegelianisch hergeleiteten Übertragung des positiven Religions-Paradigmas “ (S. 134). Miriam Schaub knüpft mit ihrer Analyse ebenfalls an Canguilhems Theorie des A-Normalen an und beleuchtet anhand des ästhetischen Dispositivs von Kubrick ’ s Dr. Strangelove ein grundsätzliches Problem von Dispositiven als strategische Ordnungen. Deren fortwährende Normativierung zugunsten einer totalen Berechenbarkeit resultiert in einer Dysfunktionalität der Dysfunktion - in einem Nicht-Scheitern- Können der Dispositive. Im „ Zeitgenössische Konstellationen “ betitelten dritten Teil des Bandes wenden sich die Beiträge nun wieder konkreter dem Theater und der Performance zu. Für Butel steht der Dispositivbegriff für einen epistemischen 219 Rezensionen Umbruch vom Repräsentationstheater zu jenen Praktiken, die sich von der „ erstarrten Architektur “ eines mimetischen Theaters und „ insbesondere dem Text “ gelöst haben (S. 174). Als „ Antwort auf das Theater der einzigen Repräsentation “ , erlaubt das Theater als Dispositiv für ihn in erster Linie eine „ Rückkehr zum Politischen “ (S. 177). Butel schreibt ihm dabei eine klar emanzipatorische Funktion als antiideologische Gegenposition zu Kontrollstrukturen, Entfremdung und Kulturindustrie zu. Er betont also vor allem den strategischen Charakter des Dispositivs. Die „ Meisterleistung des Theaters “ liege darin, „ das Prinzip der Deregulierung, welches das spezifische Merkmal der liberalen Ideologie ist, verkehrt und sich als Prinzip der Regellosigkeit zu eigen gemacht zu haben “ (S. 178). Ob nicht aber gerade die Betrachtung des Theaters als Dispositiv erfordern würde, auch seine Verstrickung in (neo)liberale Produktionsmechanismen und die damit einhergehende Reproduktion desjenigen in die Betrachtung einzubeziehen, von dem es sich abzusetzen vorgibt, lässt Butel offen. André Eiermann, dessen Studie „ Postspektakuläres Theater. Die Alterität der Aufführung “ als eine der ersten innerhalb der Theaterwissenschaft auf den Foucaultschen Dispositivbegriff zurückgreift, wendet sich in seinem Beitrag einer grundlegenden Problematik jener theaterwissenschaftlichen Diskurse zu, die die Aufführung als ihr ausschließliches methodisches Zentrum begreifen. Der Dispositivbegriff ermögliche es dagegen, gerade die nichthinterfragten Grunddispositionen jener aufführungstheoretischen Diskurse in den Fokus zu nehmen und damit den Aufführungsbegriff auf dasjenige zu erweitern und zu öffnen, was sich jenen als nichtdiskursive Praktiken entziehe. Zu diesen rechnet Eiermann Aspekte des Scheins, die er in der seit Beginn des 20. Jahrhundert vorherrschende „ anti-illusionistische Episteme “ (S. 189) der Theaterwissenschaft zugunsten einer Objektivitätsbehauptung negiert sieht. Er plädiert demnach dafür, Begriffe wie Schein, Illusion und Täuschung wieder verstärkt in das Dispositiv der Aufführung und seiner Analyse einzubringen. Versteht man das Theater als Dispositiv als die Öffnung des Theaterbegriffs hin zu weiteren es konstituierenden Praktiken, so erscheint es nur schlüssig, auch die Szenographie und ihre Praktiken des Raums darin miteinzubeziehen. Birgit Wiens Beitrag hingegen schlägt vor, Szenographie als autonome Kunst- und Gestaltungsform zu untersuchen und sie, damit Patrice Pavis folgend, als eigenständiges Dispositiv zu begreifen. Es bleibt indes zu fragen, inwiefern eine solche scharfe Abgrenzung des szenographischen Dispositivs von demjenigen des Theaters gewinnbringend ist. Akute Notstände Die letzten drei Beiträge nehmen ihren Ausgang von Foucaults strategischer Bestimmung, das Dispositiv antworte - zu einem spezifischen historischen Zeitpunkt - auf einen Notstand. Alexander Jacob wählt einen medienkritischen Zugang und fragt, inwiefern das Theater eine experimentelle Anordnung für eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Krise der Geisteswissenschaften sein könnte. Angesichts digitaler Technologien und biokynetischer Experimentalforschung stellt für Jacob gerade das Theater als „ Körperkunst “ eine Möglichkeit dar, Natur- und Geisteswissenschaften in einen „ kritischen, experimentellen Dialog “ zu bringen - eine „ Arbeit am Dispositiv “ , die er als problematisch, aber notwendig beschreibt (S. 234). Bojana Kunst hingegen problematisiert die Vorstellung eines „ radikalen Einsatzes “ (S. 235), wie er seit den Anfängen der Performancekunst vorherrscht: Statt widerständiger Akt der Befreiung zu sein, fügten sich diese Subjektivierungspraktiken heute vielmehr produktiv in die sozioökonomische Machtordnung ein. Angesichts einer solchen, jede Widerständigkeit assimilierenden Ordnung, erachtet Kunst auch die Möglichkeit zur Profanierung des Dispositivs in der darstellenden Kunst für nicht mehr gegeben. Allein in der Fokussierung „ auf die radikale De-Subjektivierung “ erkennt sie der Performance das Potential als „ Versuchsanordnung zur Befreiung der Subjekte “ zu fungieren (S. 252). Der letzte Beitrag stellt sich die Frage der ‚ Anwendbarkeit ‘ der Dispositivanalyse, allerdings in einem gänzlich anderen Bereich, nämlich jenem der Theologie. Christian Berkenkopf geht, ähnlich wie Matteo Pasquinelli. von der theologischen Verortung des Dispositivbegriffs bei Agamben aus und unter- 220 Rezensionen sucht die Sünde als ethisches Dispositiv der Theologie, das er ebenfalls im Sinne Foucaults als Antwort auf einen gesellschaftlichen Notstand deutet. Für ihn eröffnet die Dispositiv-Forschung innerhalb der Theologie die Möglichkeit einer Kritik der Traditionsbildung und damit einer „ Selbstreflexion “ (S. 262). Auch wenn der Titel dieses letzten Abschnitts „ Akute Notstände “ zunächst das Gegenteil suggerieren könnte, zeigt der Band „ Theater als Dispositiv “ sehr deutlich, dass die Reduktion des Theaters auf eine einzige Aufgabe, nämlich lediglich Antwort auf und Korrekturinstanz für soziale und gesellschaftliche Probleme zu sein, es „ als Ort konstitutiver Ungleichzeitigkeit und Mit-Teilung “ (S. 93) grundsätzlich verfehlt. So heterogen und interdisziplinär die versammelten Beiträge auch sind, umso mehr Relevanz und Wichtigkeit erhält der Band als Gegenposition zu jenen theaterwissenschaftlichen Ansätzen, die Theater und seine Aufführung entweder ungeachtet dessen historischer, genealogischer und institutioneller Voraussetzungen als ‚ ästhetische Singularität ‘ behaupten oder aber zu solchen, die allein die Aufführung zu ihrem methodischen Zentrum erklären. Frankfurt am Main J ULIA S CHADE 221 Rezensionen