Forum Modernes Theater
fmth
0930-5874
2196-3517
Narr Verlag Tübingen
10.2357/FMTh-2021-0014
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BalmeSruti Bala, The Gestures of Participatory Art. Manchester: Manchester University Press 2018, 156 Seiten.
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Katharina Pewny
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Programmteile nach Sparten/ Genres, Herkunft und Besetzungen aufschlüsselt und soweit irgend möglich - zu vielen der Nummern sind keine primären Quellen überliefert - hinsichtlich Thematik/ Sujet, Stilistik und Aufführungsmodalitäten charakterisiert. Als vorherrschende Nummerntypen identifiziert Kemp dramatische Szenen sowie Darbietungen mit musikalischer Begleitung und hier, wenig überraschend, Lieder bzw. Chansons. Thematisch standen die parodierende Auseinandersetzung mit aktuellen Tendenzen in Literatur und anderen Künsten und die, so ließe sich formulieren, Miniatur sozialer Milieus (inklusive des breiten Bereiches von Liebes- und erotischen Konstellationen) im Vordergrund. Im Durchgang durch das Repertoire wird immer wieder der Einfluss des Publikumsgeschmacks einerseits und der Zensur andererseits greifbar. Während sich Kemp für die Kategorisierung der Sologesänge an den Arbeiten von Walter Rösler und Wolfgang Victor Ruttkowski orientiert, entwickelt sie zur Erfassung der Programme der Elf Scharfrichter eine eigene Typologie, die „ einen möglichen Interpretationsansatz der verschiedenen Themen aufzeigen “ möchte (S. 299). Als „ über die Botschaft des jeweiligen Stücks hinausweisende Grundhaltung und damit so etwas wie eine programmatische Einstellung der Kabarettisten “ (ebd.) macht sie „ 1. gesellschaftskonforme, 2. kritische und 3. visionäre Darstellungen “ (ebd.) aus. Diese Kategorisierung erlaubt eine Orientierung innerhalb des so breiten und disparaten Scharfrichter-Repertoires. Es fragt sich allerdings, ob es im Hinblick auf die grundsätzliche ästhetisch-programmatische Ausrichtung der Elf Scharfrichter weiterführend ist, die parodierende Auseinandersetzung mit aktuellen „ Literatur- und Musikströmungen “ (ab S. 316) und die Obrigkeitsbzw. Kirchenkritik in gleicher Weise unter „ Kritik “ zu subsumieren. Der Kontextualisierung des Unternehmens der Elf Scharfrichter dienen zwei dem Hauptteil vorgeschaltete Kapitel, in denen - im Wesentlichen unter Heranziehung einschlägiger Forschungsarbeiten - das heterogene Feld von literarischen, theatralen, künstlerischen, theater-, kunst- und kulturreformerischen Institutionen, Initiativen und Genres skizziert wird, das um die Jahrhundertwende München in besonderer Weise prägte. Kemp zeigt, wie vielfältig die personellen, programmatischen und ästhetischen Verbindungen der Elf Scharfrichter zu diesem Feld waren. Wichtige Impulsgeber für das Münchner Kabarett findet Kemp auch in internationalen Trends der Bühnenkunst und des Unterhaltungsgeschäfts, wie in den verschiedenen Ausprägungen gemischter Programme, die sich im 19. Jahrhundert in Paris etabliert hatten, sowie in dem um 1900 zumal im deutschsprachigen Raum unter wechselnden ästhetischen wie ideologischen Prämissen viel diskutierten Varieté. Judith Kemp hat ein Buch vorgelegt, das zugleich opulent ausgestatteter Prachtband und akribisch recherchierte Quellenstudie ist und aufgrund der gut nachvollziehbaren Gliederung darüber hinaus Handbuchcharakter hat. Bayreuth M ARION L INHARDT Sruti Bala, The Gestures of Participatory Art. Manchester: Manchester University Press 2018, 156 Seiten. Wie wirkt „ participatory art “ ? Diese Frage scheint ausreichend diskutiert, Sruti Bala (Universiteit van Amsterdam) zeigt jedoch, dass dies mitnichten der Fall ist. Schon ihr Hinweis auf die Etymologie von „ participation “ (4) als kommerzielle Beteiligung und/ oder Teilhabe an der Kommunion wirft ein neues Licht auf die Fragestellung, denn Teilhabe ist innerhalb bestimmter ideologischer, institutioneller Formationen (des Handels und der Kirche) angesiedelt: „ If the terms of participation are already set by such authoritative forces, then doesn´t participation in the arts require the greatest vigilance? “ (5) So eröffnet die Autorin eloquent und präzise ihr Interessensfeld, denn sie untersucht Kunst und Teilhabe in ihren sozialen, politischen und institutionellen Kontexten. Sruti Bala stellt die Geste als Scharnier zwischen Kunst und Teilhabe, entsprechend ordnet sie das Material anhand von „ unsolicited “ (unaufgefordert), „ vicarious “ (nachempfunden) und „ delicate “ Gesten von Teilhabe. Zuvor jedoch Forum Modernes Theater, 32/ 1 (2021), 132 - 134. Gunter Narr Verlag Tübingen DOI 10.2357/ FMTh-2021-0014 132 Rezension entfaltet die Autorin die Weisen von Teilhabe an Kunst, indem sie alle Expert*innen, Handwerker*innen, Politiker*innen inkludiert, die (in welcher Weise auch immer) am Zustandekommen von Kunst beteiligt sind. Dies geht weit über das klassische Verständnis von Publikumsteilhabe als Involvierung in eine künstlerische Aufführung hinaus. So zeigt Bala beispielsweise, dass aktive Teilhabe an sozialen Theaterprojekten nicht emanzipatorisch sein muss, sondern ebenso weiße Dominanzkultur festigen kann. Solche Affirmationen werden jedoch oft von Teilnehmenden unterlaufen, so die Autorin: dies weniger in sichtbarer revolutionären künstlerischen Handlungen, sondern eher in (S. 42 f.) kunstvollen Gesten, die als Institutionenkritik wirksam werden. Innerhalb des zeitgenössischen kunstwissenschaftlichen Denkfeldes, in dem Nähe, Interaktion und Relationalität oft als politisch und damit als kritisch verstanden werden, betont Bala die Vermarktung relationaler Arbeit und fragt mit Tania Bruguera, ob Kunst nicht wieder praktische Funktionen haben könnte (S. 63). Damit transportiert sie den „ material turn “ der Geistes- und Humanwissenschaften in die Theaterwissenschaft. Doch zurück zu den Konzepten der Geste, die den roten Faden der Untersuchung bilden. Unaufgeforderte Gesten werden anhand von Radha Ramaswamys Workshopserie, die 2013 in der indischen Stadt Karur stattfand, untersucht. Dies waren Theaterworkshops nach Augusto Boals Methode des Theater der Unterdrückten. Bei einer Aufführung spielte beispielsweise ein Wachmann, der nicht Teil der Gruppe war, eine tragende Rolle. Wie ist diese ungeplante Teilnahme nun zu beschreiben? Wenn Gesten wie diese nicht übersehen werden, dann werden sie, so Bala, oftmals vorschnell als widerständig (in dem Fall gegen das Regime) bewertet und damit in eine simple Dichotomie von guter und schlechter (angepasster) Teilhabe eingeordnet (S. 91). Dem gegenüber schlägt die Autorin vor, unaufgeforderte Gesten als Neuordnung der Bedingungen von Teilnahme zu sehen. Sie stellt Verkörperungen zentral, in denen Pluralität und Ambivalenzen aufgehoben sein können: „ The unexpected gestures of participation . . . are thus neither a rejection of nor a co-option into a pre-determined regime of participation, but an embodied engagement with it. ” (S. 96) Nachempfundene Gesten bespricht Bala anhand des Performance-Projekts Where we are not (200) der libanesischen Künstlerin Lina Issa, die in Amsterdam verortetet ist. Da Issa beim Verlassen der Niederlande keine Garantie hatte, auch dorthin zurückkehren zu können, besuchte stattdessen die Tänzerin Aitana Cordero deren Heimat Libanon. Dort führte sie nach Issas Choreografie persönliche Begegnungen, beispielsweise mit Issas Familie, aus, deren Dokumentationen als Performance im Amsterdamer Theater brakke grond gezeigt wurde. Bala argumentiert, dass Issa durch die Figur der Stellvertreterin (stand-in) Theatralität im Sinne des Bewusstseins, Zuschauer*in zu sein, inszeniert. Die Publikumsteilhabe besteht in der Richtung der Aufmerksamkeit auf das künstlerische Ereignis, wodurch Bewusstsein über Zeug*innenschaft und damit ein potenziell öffentlicher Raum entsteht (S. 103 ff.). Where we are not ermöglicht die Reflektion der Zwangslage einer migrierten Künstlerin, die nicht nach Hause reisen kann. Nachempfundene Gesten eröffnen, so Bala, die Lücke zwischen der kulturellen Bedeutung einer Geste und ihrem affektiven Effekt auf den Körper, der sie ausübt. Auch hier kann jedoch nicht vorschnell auf politische Subversivität durch Publikumsteilhabe geschlossen werden. Vielmehr zeigt Bala die Verknüpfung von Reisefreiheit mit dem Recht auf Privatsphäre. Erzwungene Immobilität migrierter Personen geht hingegen oft mit der Notwendigkeit, das Persönliche zu zeigen, einher. Dies ist der Raum, den die Figur der Stellvertreterin in Where we are not eröffnet. Der Publikumsschlaf ist schließlich die delikate Geste, deutlich gemacht in der öffentlichen Intervention Nomad City Passage von Rebekka Reich und Oliver Gather (2005 - 2009 in Deutschland und Österreich). Darin wurden die Zuschauer*innen eingeladen, in öffentlichen Räumen in Zelten zu übernachten. Sruti Balas Studie ist eine dringend notwendige weitere Verknüpfung von Kunst und Teilhabe und Kunst als Teilhabe. Ich habe sie mit Spannung gelesen, da die Autorin für alle politisch denkenden Leser*innen neues Terrain beschreitet. Durch die klare Sprache und präzisen Fragestellungen wird die Leserin eher Teil eines fesselnden Dialogs und ist minder der einseitigen Konsumption verpflichtet. Als Vordenkerin der 133 Rezension Theaterwissenschaft und Performance Studies setzt die Autorin einen Meilenstein der transnationalen Kunstwissenschaft der Gegenwart, weil sie deren Relevanz, weit über die so genannte performative Wende hinaus zeigt. Somit sei The Gestures of Participatory Art sowohl neuen als auch langjährigen Kolleg*innen dringend zur Lektüre empfohlen. Gent K ATHARINA P EWNY 134 Rezension