eJournals Italienisch 41/82

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2019-0028
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2019
4182 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Tobias Roth: die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas, Heidelberg: Winter 2017, 412 Seiten, € 58,00

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Lukas Hermann
ita41820126
126 Kurzrezensionen Tobias Roth: Die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas, Heidelberg: Winter 2017, 412 Seiten, € 58,00 Die zentrale These Tobias Roths in seiner Studie über die Sonette Giovanni Pico della Mirandolas ist von Anfang an klar erkennbar: Eigentlich war Pico bei seinen Zeitgenossen sowohl als volkssprachiger als auch lateinischer Dichter bekannt und geschätzt, aber dies wurde nach seinem Tod durch biographische Stilisierungen verdeckt. Bereits Picos Neffe und Biograph Gianfrancesco Pico della Mirandola beschrieb dessen Leben als eines, das allein durch religiöses Gelehrtentum geprägt gewesen und in dessen erwachsener Phase Dichtung zur Jugendsünde degradiert worden war. Dieses Pico-Bild verbreitete sich - unter anderem durch die Übersetzung der Biographie durch Thomas Morus - in den folgenden Jahrhunderten und wurde ein derartiger Topos, dass sich entsprechende Wissenslücken über lyrische Ambitionen Picos bis in die moderne Forschung und Editionsphilologie hinein gehalten haben. Noch nie, so Roth, wurde auch nur «die Vermutung geäußert, die Nebensache Dichtung» könnte für Giovanni Pico della Mirandola «vielleicht für einen gewissen Zeitraum Hauptsache gewesen sein» (S. 27). Roth äußert im Rahmen seiner systematischen Neubewertung der Sonette, ihrer Quellen- und Forschungsgeschichte sowie der allgemeinen Pico-Rezeption nun erstmals diese Vermutung. Zunächst wird ein differenzierterer Blick auf Picos Vita und zugleich deren historische Beschreibung geworfen. Gianfrancescos biographische «Stilisierungen» (so der Titel des ersten Hauptteils) werden in multiple Werkperspektiven aufgelöst: Es werden poetologische Aussagen der beiden Picos, Zeugnisse literarisch-humanistischer Bestrebungen Giovanni Picos aus seinem Briefwechsel mit Poliziano zusammen mit Selbstaussagen und Elogen anderer Dichter wie Marullo und Du Bellay auf Picos Lyrik angeführt. Insbesondere Briefe liefern Indizien dafür, dass Pico eine «fortgesetzte Arbeit an lyrischen Texten» (S. 55) praktizierte. Die Auffassung, Pico habe im Zeichen seiner Bekehrung hin zu einem gläubigen Leben all seine Gedichte verbrannt, ist für Roth ein hartnäckiger, aber nicht zu haltender Mythos. Eine «gründliche Edition» der Pico-Sonette liegt bis heute «in ungewisser Ferne» und auch nicht leichter wird es für die Forschung dadurch, dass «Autographe der Sonette […] nicht erhalten geblieben» sind (S. 65). Umso akribischer erläutert der Autor im zweiten Teil, «Dokumentationen», die DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 028 Italienisch_82.indb 126 20.01.20 15: 36 127 Kurzrezensionen Quellenlage und die Forschungsgeschichte zu den Sonetten. Roth stellt in diesem Abschnitt nicht nur den Wert gründlicher Editionsphilologie unter Beweis, sondern auch seinen eigenen versierten Umgang mit deren Methoden. Alle überlieferten Manuskripte mit Pico-Gedichten werden vorgestellt und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Textgeschichte eingeordnet. Am Ende von Roths Analyse gibt es seinen Ergebnissen zufolge beim wichtigsten Überlieferungsträger, dem Codex Italien 1543 der Bibliothèque Nationale de Paris, weder Gründe, die Zuschreibung zu Pico anzuzweifeln, noch dafür, die dort zu lesende Reihenfolge der Gedichte als definitiv anzunehmen (S. 76). In diesem Zusammenhang vertritt er außerdem überzeugend die These, «dass Pico einen Canzoniere im Sinn hatte, als er Sonette schrieb» (S. 72). Im Rahmen ihrer Ausarbeitung wird die Effektivität von Roths methodologischer Strategie deutlich, die Relevanz und Zusammengehörigkeit von Picos Gedichten mittels ihrer Intertextualität zu belegen. Die Leistung liegt vor allem darin, neue Deutungsperspektiven anhand von Texten zu eröffnen, mit denen Picos Sonette verwandt sind bzw. auf die letztere referieren. Von Tibull bis hin zu Petrarca und den Lyrikern des Quattrocento wird ein großes intertextuelles Korpus aufgerufen, um genau zu zeigen, an welchen Stellen man sich erlauben kann, über die Relevanz und Qualität von Picos Lyrik zu urteilen und wo Spekulation über Einfluss und Wirkung des Gelehrtendichters und seines Werks ebensolche bleiben muss. Auch die ausführlicheren Textanalysen im dritten Teil, «Interpretationen», gehen so vor, aber sie diskutieren außerdem auch Praktiken der intertextuellen Interpretation selbst. Auf diese Weise werden nicht nur viele Forschungsbeiträge und frühere Sonett-Editionen Picos als doktrinär, einseitig bzw. zu undifferenziert entlarvt, sondern es wird auch gezeigt, wie ein textimmanenter, aber nicht ahistorischer Umgang mit rinascimentaler Lyrik gepflegt werden kann. Es werden exemplarische Gegenentwürfe zur Behauptung vieler Forscher, Pico hätte Lyrik von geringem Rang und wenig Tiefe verfasst, sozialgeschichtlich aus der Abbildung des literarischen Umfeld Picos in Ferrara (Abschnitt III.1), anhand Picos lyrischer Antikenrezeption (III.2) und Darstellung von Subjektsproblematiken (III.3) herausgearbeitet. Roths breite Textkenntnis der rinascimentalen Lyrik Italiens erlaubt es problemlos, diese Abschnitte als Beiträge zur Erforschung zugleich von Picos Werk wie auch der Lyrik weiterer Autoren wie Francesco Petrarca, Lorenzo de’ Medici, Panfilo Sasso, Angelo Poliziano, Matteo Maria Boiardo und sehr vieler mehr zu lesen. Nie verliert der Autor dabei aber Pico aus den Augen. Stringent bis zum Schluss wird Schritt um Schritt deutlicher, wie sehr dieser als Lyriker «innerhalb der Moden und Literatursysteme seiner Zeit» (S. 170) agierte - und somit seine Lyrik mindestens hinsichtlich des Komplexitätsgrades vielen Italienisch_82.indb 127 20.01.20 15: 36 128 Kurzrezensionen Erzeugnissen stärker erforschter Zeitgenossen ebenbürtig war. Er wird als «kundige[r] Teilnehmer am von der Antike und Petrarca abhängigen mainstream des Quattrocentro» (S. 247) etabliert und kann als solcher innerhalb der Literaturgeschichte Italiens einen Platz für sich beanspruchen. Tobias Roths Studie wiederum ist vorerst der erste Rang als neues Standardwerk zu den Sonetten Pico della Mirandolas zuzusprechen, mit dessen Ergebnissen sich die künftige Lyrikforschung zu Pico zuerst auseinandersetzen sollte. Lukas Hermann Fabio Massimo Bertolo/ Marco Cursi/ Carlo Pulsoni: Bembo ritrovato. Il postillato autografo delle Prose (Scritture e libri del medioevo; 18), Roma: Viella 2018, 335 Seiten, € 60,00 Die Editionsgeschichte der Prose de la volgar lingua von Pietro Bembo (1470-1547), eines der Schlüsseltexte der italienischen Literatur- und Sprachgeschichte, ist längst wohlbekannt: Die editio princeps, die ziemlich genau dem überlieferten Autographen (Vat. Lat. 3210) entspricht, erschien 1525 in Venedig bei Giovanni Tacuino; 1 1538 folgte eine veränderte Ausgabe bei Francesco Marcolini in Venedig und schließlich wurde - ein Jahr nach dem Tod des Autors - mit einer Einleitung Benedetto Varchis 1548 eine nochmals veränderte Ausgabe in Florenz bei Torrentino herausgegeben. Eine sensationelle Wiederentdeckung hat nun neuen Wind in die Bembo-Forschung gebracht, denn erst vor kurzem wurde ein Exemplar der editio princeps mit handschriftlichen Anmerkungen und Korrekturen des Autors selbst wiederentdeckt, das jetzt, nach eingehender Untersuchung, im Verlag Viella ediert vorliegt. Bei den Herausgebern handelt es sich um den Buchwissenschaftler Fabio Massimo Bertolo, bis 2006 Professor für Buchgeschichte an der Universität Cassino, Marco Cursi, Professor für Lateinische Paläographie an der Universität « Federico II » (Napoli) und Carlo Pulsoni, Professor für Romanische Philologie an der Universität Perugia. Bekanntlich war Pietro Bembo unermüdlich, wenn es um die sprachliche und stilistische Verbesserung seiner eigenen Werke ging, und nicht weniger war er es in Bezug auf Petrarcas Cose volgari und Dantes Terze rime (Divina Comedia), die er unter Hinzuziehung verschiedener Manuskripte (im 1 Pietro Bembo (2001 [1525]), Prose della volgar lingua. L’editio princeps del 1525 riscontrata con l’autografo Vaticano latino 3210, a cura di Claudio Vela, Bologna: CLUEB. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 029 Italienisch_82.indb 128 20.01.20 15: 36