Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2019-0030
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttNicola De Blasi: Ciao, Bologna: Il Mulino 2018, 163 Seiten, € 13,00
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Rafael Arnold
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131 Kurzrezensionen schen Humanisten ist dieser mikrologische Blick umso mehr gerechtfertigt, als er es erlaubt, die manchmal minimalen Änderungen sowie das Vor und Zurück von Bembos Korrekturwünschen nachzuvollziehen und so einen tiefen Einblick in sein sich stets weiterentwickelndes Sprachdenken, das nirgends halt machte, zu gewinnen. Der Band schließt mit einer Textversion der Prose auf der Grundlage von Bembos Bemerkungen in P1, wie sie dem kritischen Grammatiker zum Zeitpunkt seiner handschriftlichen Einträge vorgeschwebt haben mag ( « Le Prose secondo l’ultima volontà d’autore » ; S. 219-316). Vielleicht hätte er aber auch an dieser Version kurz darauf wieder manches zu beanstanden gefunden. Gilt bislang die Ausgabe von Carlo Dionisotti (1960/ 2 1966) als die maßgebliche, so wünscht man sich nun eine kritische Neuedition, die sämtliche Varianten Wort für Wort berücksichtigt. Es wäre verwunderlich, wenn die drei Herausgeber des Bembo ritrovato bei dem Enthusiasmus, den sie ihrem Gegenstand entgegenbringen, nicht längst an eine solche gedacht hätten. Vielleicht werden wir rechtzeitig zum 500. Jubiläumsjahr der Prose damit beschenkt. Rafael Arnold Nicola De Blasi: Ciao, Bologna: il Mulino 2018, 163 Seiten, € 13,00 Nicola De Blasi, der an der Universität «Federico II» in Neapel Italienische Sprachwissenschaft lehrt, hat ein sowohl informatives wie unterhaltsames Buch über das gewissermaßen emblematische Grußwort Ciao geschrieben, das heutzutage international bekannt und sogar außerhalb Italiens in einigen Ländern gebräuchlich ist. Was aber ist sein etymologischer Ursprung und wie verbreitete es sich im Laufe der Zeit? Selbst in Italien hat es sich erst im 20. Jahrhundert, genauer gesagt erst nach dem 2. Weltkrieg gegen konkurrierende Wörter wie allègher, cerea (Piemont) oder allegri - um nur einige zu nennen -, durchsetzen können. Seinen Durchbruch feierte es 1959 beim Festival von San Remo, wo Domenico Modugno und Johnny Dorelli den ersten Preis mit ihrem Lied «Piove» gewannen, dessen Refrain «Ciao, ciao, bambina» weltbekannt geworden ist. Der etymologische Ursprung des Wortes Ciao aus dem mittellateinischen sclavum , einer Variante von slavum ist unstrittig. Seit dem 8. Jahrhundert wurde es als Demonym verwendet und diente zur Bezeichnung der Slawen. Allerdings ist damit die Frage, wie daraus ein weithin verbreiteter Gruß werden konnte, noch lange nicht beantwortet. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 0 Italienisch_82.indb 131 20.01.20 15: 36 132 Kurzrezensionen Zunächst änderte sich die Bedeutung des Wortes, nachdem bevorzugt Menschen aus dem Volk der Slawen gefangen genommen und in die Sklaverei gebracht wurden: Es nahm (laut Duden) die Bedeutung ‘jemand, der in völliger wirtschaftlicher und rechtlicher Abhängigkeit von einem anderen Menschen als dessen Eigentum lebt’ an. Aus den schiavi (‘Slawen’) wurden so per Antonomasie die schiavi (‘Sklaven’). Diese Bedeutung ist seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts belegt. Bis dahin konnte De Blasi in seiner Rekonstruktion auf einen Aufsatz von Charles Verlinden zurückgreifen, der das Vorkommen des Wortes in der damaligen Zeit in venezianischen und genuesischen Dokumenten feststellte und damit sogleich den Ursprung lokal eingrenzen konnte. 1 In dieser Bedeutung verbreitete sich das Wort auch rasch in andere europäische Sprachen (dt. Sklave, engl. slave, frz. esclave, sp. esclavo), wobei sich der Bezug auf die Slawen im Laufe der Zeit völlig verlor, die auf Italienisch nun slavi genannt wurden. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts lässt sich nachweisen, dass schiavo in der direkten Rede oder in Briefen als Abschiedsgruß verwendet wurde (vergleichbar dem veralteten deutschen Ihr Diener). Und hier beginnt die lange und spannende Geschichte des modernen Wortes ciao, die De Blasi in neun Kapiteln kenntnisreich erzählt. Selbstverständlich war der Gruß in dieser Form von Anfang an nicht wörtlich zu nehmen, sondern gehörte zu den höfischen Konventionen, wie sie beispielsweise von Giovanni Della Casa im Galateo (1558) kodifiziert wurden. Formelhafte Wendungen wie Signore, io vi bascio la mano, Io sono vostro servidore oder eben Vostro schiavo in catena werden von Della Casa aufgezählt, der seinen Lesern rät, sich bei der Wahl der Grußformel an die örtlichen Gegebenheiten und die jeweiligen Sitten anzupassen. Dieser Hinweis ist wiederum in Bezug auf die damals noch regional begrenzte Verbreitung von schiavo interessant. Unter den Varianten des Wortes schiavo, zu denen auch sciao und s’ciao (im Venezianischen mit separat gesprochenem s-) zählen, hat sich im Laufe der Zeit ciao immer stärker durchgesetzt. Ab diesem Moment sind schiavo (‘Diener’) und ciao als Gruß verschiedene Wege gegangen. Die Frage, wie es dazu kam, dass aus der Abschiedsformel am Ende von Briefen auch eine Begrüßung wurde und das Wort ciao heute also eine doppelte Funktion erfüllt, wird von De Blasi bedauerlicherweise nicht eingehend erörtert. 1 Charles Verlinden, «L’Origine de Sclavus = esclave», in: Archivum Latinitatis medii aevi XVII (1942), S. 97-128, spez. S. 111-113. Italienisch_82.indb 132 20.01.20 15: 36 13 3 Kurzrezensionen Stattdessen zeigt er in Kapitel 3 («Le voci e i silenzi dei vocabolari»), wie wenig verlässlich die Dokumentation von Wörtern in Wörterbüchern ist. Zum ersten Mal wird ciao von Alfredo Panzini in sein Dizionario moderno (Milano, 1905) aufgenommen, allerdings hat De Blasi viele Beispiele, die zeigen, dass das Wort lange davor schon kursierte und besonders im Norden Italiens in der informellen, insbesondere der gesprochenen Sprache verbreitet war. So lassen sich in speziellen literarischen Quellen, nämlich Theaterstücken und Zeitungsberichten über Theateraufführungen aus dem frühen 19. Jahrhundert, Belege für ciao finden. Auffällig ist, dass in diesen Kontexten meist eine diatopische Zuordnung erfolgt, die den Gebrauch von ciao als typisch für das nördliche Italien, manchmal spezifisch für die Lombardei oder Piemont, beschreibt. Auch in belletristischen Werken, etwa von Goldoni, Pirandello und Verga, fehlt es bei der Erwähnung von ciao, wie schon Minne-Gerben de Boer in ihrer Untersuchung gezeigt hat, selten an Hinweisen, dass die Personen, die das Wort verwenden, aus dem Norden Italiens stammen oder sich dort sehr lange aufgehalten haben. 2 Daran lässt sich ablesen, dass ciao noch lange, bis ins 20. Jahrhundert hinein, keineswegs überregional verwendet wurde. Zur Zeit des Risorgimento mehren sich zwar die Belege für Ciao auch in Rom und im südlichen Italien, zugleich zeigt sich aber an den Beispielen, die De Blasi anführt, dass ein breites Bewusstsein dafür vorhanden war, dass das Wort nicht aus Rom stammt, sondern spätestens ab 1871 mit den Norditalienern seinen Weg in die neue Hauptstadt fand. Gegner der Einheit Italiens polemisierten in Zeitungsartikeln gegen den Zufluss der Neu-Römer aus der «terra del ciao» (23.7.1871), womit sie vor allem Piemont meinten, die Heimat des neuen italienischen Königs Vittorio Emanuele II., die sie ihrer eigenen «terra del sì» entgegensetzten. Indem sie ein berühmtes Zitat Dantes entscheidend variierten, verteufelten sie den Norden als «paese là dove il ciao suona» (21.1.1872). Ihre oppositionelle Gesinnung verhinderte indessen nicht, dass sich der Gebrauch von ciao, der anfänglich regional (auf den Norden/ Nord-Osten Italiens) beschränkt war, zu einem überregionalen und schließlich zu einem gesamtitalienischen ausweitete. De Blasi bringt im neunten Kapitel seiner kurzweiligen Publikation noch einen weiteren Aspekt des Grußes zur Sprache. Die typische Handbewegung, die oft das ciao begleitet und auch alleine dafür stehen kann, fare ciao (con la manina), wobei für gewöhnlich die Handfläche der rechten Hand kurz zur Faust geschlossen und wieder geöffnet wird, bringt er in Verbin- 2 Minne-Gerben de Boer, «Riflessioni intorno a un saluto. La storia di ‘ciao’», in: Lingua e Stile XXXIV (1999), S. 431-448. Italienisch_82.indb 133 20.01.20 15: 36 13 4 Kurzrezensionen dung mit einer bereits im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts beschriebenen Geste ‘dello schiavo’ (Andrea de Jorio, La mimica degli antichi investigata nel gestire napoletano), bei der die mit geschlossenen Fäusten gekreuzt übereinandergelegten Hände bedeuten: ‘mir sind die Hände gebunden’ ‘ich bin ein Gefangener’. De Blasi sieht hier eine gemeinsame Etymologie der verbalen Grußformel und der Verabschiedungsgeste. Außerdem kommt De Blasi auch auf die in neuerer Zeit im öffentlichen Raum immer öfter zu hörende Vervielfachung des Abschiedsgrußes ciao, insbesondere am telefonino oder cellulare zu sprechen, wo die Kommunikationspartner sich nicht mit einem einfachen ciao zufrieden geben und es stattdessen verdoppeln (wie übrigens bereits im Refrain von «Piove») oder verdreifachen: ciao, ciao bzw. ciao, ciao, ciao oder - wiederum verkürzt - gleichsam zwitschernd cià cià cià cià (ciao) sagen. Das sind nur einige der wissenswerten, teils kuriosen Geschichten aus der ‘Biographie’ des Wortes Ciao. De Blasis Buch ist ein gutes Beispiel dafür, dass Etymologie mehr ist als die Suche nach dem Ursprung und der Versuch, phonetische oder morphologische Veränderung lautgesetzlich zu rekonstruieren; es macht das enge Zusammenwirken von Kultur- und Sprachgeschichte gut begreifbar. Das Buch ist allen linguistisch Interessierten, insbesondere aber denjenigen, die sich für Kulturgeschichte interessieren, zu empfehlen. Rafael Arnold Marcello Carmagnani/ Ferruccio Pastore (Hrsg.): Migrazioni e integrazione in Italia. Tra continuità e cambiamento. Atti del Convegno tenuto presso la Fondazione Luigi Einaudi (Torino, 6-7 ottobre 2016), Firenze: Leo S. Olschki editore 2018, 328 Seiten, € 33,00 Der hier vorgestellte Band versammelt die Ergebnisse einer interdisziplinären Tagung, die im Herbst 2016 von der Fondazione Luigi Einaudi (www.fondazioneeinaudi.it) und dem Forum Internazionale ed Europeo di Ricerche sull’Immigrazione FIERI (www.fieri.it) durchgeführt wurde. In ihrer Einleitung (S. 1-9) heben die Herausgeber Marcello Carmagnani und Ferruccio Pastore hervor, dass sich die Migration nach Italien verändert habe: Während die Einwanderung aus Arbeitsgründen abnehme, steige die Anzahl der Asylanträge aus politischen Gründen sowie als Folge ökologischer Veränderungen durch den Klimawandel. Carmagnani und Pastore betonen entsprechend die Notwendigkeit, Methoden und theoretische Herangehensweisen zu über- DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 31 Italienisch_82.indb 134 20.01.20 15: 36