Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2019-0032
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttMaria Antonietta Terzoli/Sebastian Schütze: Dante und die bildenden Künste. Dialoge - Spiegelungen - Transformationen, Berlin: De Gruyter 2016, IX + 358 Seiten, € 69,65 (auch e-book) (= Refigurationen. Italienische Literatur und bildende Kunst, Band 1)
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Claudia Jacobi
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13 8 Kurzrezensionen Maria Antonietta Terzoli/ Sebastian Schütze: Dante und die bildenden Künste. Dialoge - Spiegelungen - Transformationen, Berlin: De Gruyter 2016, IX + 358 Seiten, € 69,95 (auch e-book) (= Refigurationen. Italienische Literatur und bildende Kunst, Band 1). Der von Maria Antonietta Terzoli und Sebastian Schütze- herausgegebene Sammelband bildet den Auftakt einer neuen Reihe des De Gruyter Verlags, die unter dem Titel Refigurationen Italienische Literatur und Bildende Kunst in transdisziplinärer Perspektive Korrespondenzen und Wechselwirkungen zwischen Bild und Text untersucht und in den nächsten Jahren mit einer Reihe von Tagungsakten zu den großen Dichtern Italiens fortgesetzt werden soll. Der schon äußerlich ansprechend gestaltete Band vereint die Beiträge der gleichnamigen Tagung, die vom 6.-8. Mai 2015 an der Universität Basel stattgefunden hat. In den 14 Beiträgen treten Romanisten und Kunsthistoriker in einen Dialog, um das Verhältnis zwischen Dantes Commedia und ihren figurativen Interpretationen in einem kulturhistorisch breiten Spektrum zu untersuchen. Grundlegende Überzeugung der Herausgeber ist, dass die stets im Wandel begriffenen «Dante-Lektüren und Dante-Bilder» in den künstlerischen Bearbeitungen «differenziert lesbar» werden und sich «Voraussetzungen, Ursachen und Widersprüche der Dante-Interpretationen unserer Gegenwart» erst «im Spiegel dieser Refigurationen» erschließen lassen. 1 Angesichts dieser Eingangsthese mag es verwundern, dass keiner der Beiträge die Transformationsprozesse in der Dante-Rezeption anhand der sich wandelnden pikturalen und skulpturalen Bearbeitungen spezifischer Figuren oder Episoden der Commedia epochenübergreifend bzw. vergleichend innerhalb einer bestimmten Zeitspanne erörtert. Die zu Hauf illustrierte Figur der Beatrice oder etwa die wollüstigen Liebessünder Paolo und Francesca hätten sich dafür in besonderer Weise geeignet. Die ungeheure Masse an künstlerischen Bearbeitungen der Commedia zwingt die Herausgeber jedoch, eine thematische Auswahl zu treffen. Der Schwerpunkt liegt in diesem Fall auf den illuminierten Handschriften des 14. und 15. Jahrhunderts, dem Verhältnis zwischen Dante und Giotto, den Ekphrasen des Purgatorio und den großen Dante-Interpretationen des 19. Jahrhunderts. Eine Dokumentation des Forschungsstandes wäre für den Leser hilfreich gewesen, um den spezifisch neuen Ansatz des Sammelbandes besser innerhalb der Forschungsdebatte einordnen zu können. Dies wird nur in wenigen Einzelbeiträgen themenspezifisch nachgeholt. Insgesamt bietet der 1 Sebastian Schütze und Maria Antonietta Terzoli, «Vorwort», S. VII‒IX, hier: S. VIII. DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 32 Italienisch_82.indb 138 20.01.20 15: 36 139 Kurzrezensionen Band jedoch zahlreiche anregende Einzelanalysen, die in den meisten Fällen von ausgewiesenen Spezialisten verfasst wurden. Doch der Reihe nach: Kurt Flasch erörtert in seiner lesenswerten Studie interessante Aspekte der bislang von der Forschung verhältnismäßig wenig beachteten Figur des Teufels in Dantes Commedia. 2 Ggf. hätte der Autor in der englischsprachigen Forschung fündig werden können. Hier haben u.a. Anne Paolucci, Sylvia Tomasch und Alireza Anushiravani Beiträge zu Dantes Satan verfasst. Flasch geht insbesondere auf den intertextuellen Vergleich mit Miltons Paradise Lost, die Antikisierung der christlichen Teufelsfigur und den mangelnden Einfluss Satans auf die Vergehen der Sünder ein. Der intermediale Bezug zur bildenden Kunst wird in diesem ersten Beitrag jedoch nicht thematisiert. Marco Santagatas Zugang gestaltet sich hingegen eindeutig interdisziplinär: Er untersucht nicht nur pikturale Techniken in der Commedia, sondern geht darüber hinaus Dantes Selbststilisierung zum Maler in der Vita Nova nach. 3 Diese wird auf seine Mitgliedschaft in der Zunft der Apotheker zurückgeführt, wo der Autor Kenntnisse in der Herstellung und Mischung von Farben erworben haben könnte. Maria Antonietta Terzoli widmet sich neben ihrer einschlägigen Analyse der Ekphrasis im Purgatorio auch intertextuellen Schreibverfahren. 4 Ein besonderes Augenmerk liegt auf der imitatio bzw. aemulatio von Vergils Aeneis, die sie insbesondere anhand Dantes Bezugnahmen auf Aeneas’ Wappen veranschaulicht. Dabei zeigt sie überzeugend, dass Dante ein Hierarchieverhältnis zwischen den Künsten konstruiert und noch stärker als mit Malern, wie z.B. Cimabue, Giotto und Oderisi, mit anderen Schriftstellern rivalisiert. Marcello Ciccuto geht in seinem Beitrag auf den literarischen und ikonographischen Ursprung von Dantes Matelda-Figur ein, 5 während Laura Pasquini 6 und Emilio Pasquini 7 die Text-Bild-Bezüge im sog. Holkham 514 Manuskript (Bodleian Library, Oxford) aus dem 14. Jahrhundert beleuchten. Eine eingangs klar angekündigte Fragestellung hätte vor allem dem Aufsatz von Emilio Pasquini ein höheres Maß an Transparenz verliehen. 2 Kurt Flasch, «Der Teufel in Dantes Göttlicher Komödie», S. 1-12. 3 Marco Santagata, «Dante e gli speziali», S. 13-22. 4 Maria Antonietta Terzoli, «Visibile parlare: ecfrasi e scrittura nella ‘Commedia’», S. 23-48. 5 Marcello Ciccuto, «Origini poetiche e figurative di una leggenda dantesca: Matelda nell’Eden», S. 49-80. 6 Laura Pasquini, «Fra parole e immagini: il ‘visibile parlare’ nel manoscritto Holkham 514», S. 81-100. 7 Emilio Pasquini, «Il ‘visibile parlare’ nell’ Holkham 514 , misc. 48», S. 101‒118. Italienisch_82.indb 139 20.01.20 15: 36 14 0 Kurzrezensionen Besonders akkurat in der Einordnung in den Forschungskontext und klar in der Formulierung ihrer Problemstellung ist Lucia Battaglia Ricci in ihrer Untersuchung der Handschriften Riccardiano 1035 (Biblioteca Riccardiana, Florenz) und Braidense (Biblioteca Nazionale Braidense, Mailand), die beide mit einem Kommentar von Iacomo della Lana versehen sind. 8 Ricci zeigt, inwiefern die didaktisch-pädagogische Ebene in diesen Handschriften aus dem 14. Jahrhundert im Vordergrund steht und die Rezeption in eine theologisch-moralische Richtung lenkt. Vicenzo Vitale untersucht hingegen den Einfluss der im 15. Jahrhundert von König Alfons V. 9 in Auftrag gegebenen Commedia-Handschrift (British Library, London) auf Masuccios Novellino. Dabei veranschaulicht er insbesondere anhand von Purgatorio XXIX die künstlerische Freiheit des Illustrators. Dieser verbinde das in der Commedia mit Christus assoziierte Motiv des Greifen nun mit einem Lob auf König Alfons V. Vitale gelingt es abschließend zu zeigen, dass der «ideologische Horizont» (S. 156) der Commedia aragonese nicht nur aufgrund der Praxis des Herrscherlobs, sondern auch durch die ghibellinisch ausgerichtete politische Einstellung des Illustrators nahezu vollständig demjenigen des Novellino entspricht. Die beiden folgenden Aufsätze beschäftigen sich mit dem kontroversen Verhältnis zwischen Dante und Giotto. Serena Romano unternimmt einen anschaulichen Vergleich der Bearbeitung des urchristlichen Motivs der Navicula Petri in Giottos Mosaik der Navicella (Petersbasilika, Rom) und Dantes Darstellung in Purgatorio VI, Paradiso XI, Convivio, De monarchia und diversen Episteln. 10 Michael Viktor Schwarz geht hingegen der spannenden Frage nach, inwiefern Giotto und Dante gegenseitig ihre jeweilige Rezeption beeinflusst haben. 11 Zwar zeigt er, dass die künstlerische Darstellung Dantes stark von der angeblichen Giotto-Zeichnung im Palazzo del Bargello in Florenz geprägt wurde, gleichzeitig bezweifelt er jedoch, dass das Porträt wirklich von Giotto gemalt wurde und überhaupt Dante abbildet. Analog dazu stehe auch «Dantes Giotto» (S. 175 ff.) nicht für Dantes eigene Vorstellung des Malers, sondern für die seiner Kommentatoren der 1370er Jahre, die wiederum die Grundlage für das Giotto-Bild der Gegenwart darstelle. 8 Lucia Battaglia Ricci, «Letture figurate: il caso del Dante Riccardiano-Braidense», S. 110-136. 9 Vicenzo Vitale, «Il San Griffone di Masuccio e la Commedia aragonese: fortuna letteraria di un’interpretazione figurata di Dante», S. 137-162. 10 Serena Romano, «Il male del mondo: Giotto, Dante, e la Navicella», S. 185-204. 11 Michael Viktor Schwarz, «Giottos Dante, Dantes Giotto», S. 163-184. Italienisch_82.indb 140 20.01.20 15: 36 141 Kurzrezensionen Klaus Herding bietet eine profunde Analyse der Dantebarke von Delacroix. 12 Er führt dem Leser vor Augen, dass Delacroix’ Gemälde keine Hauptfigur vorweisen kann und nicht als wörtliche Wiedergabe des 8. Gesangs des Inferno betrachtet werden sollte. Die Dantebarke sei vielmehr als Hinwendung des Malers zu sich selbst und zur eigenen Emotionsbearbeitung zu verstehen. Delacroix konstruiere somit einen «Dante seiner eigenen Unruhe» (S. 228). Elizabeth Helsinger beschäftigt sich mit dem Verhältnis zwischen Dante und einem weiteren Maler des 19. Jahrhunderts: Dante Gabriel Rossetti. Dieser habe durch eine intensive Lektüre der Commedia die Technik des hallucinatory realism entwickelt (S. 243) und verarbeite in seinen Gemälden und seinem literarischen Werk insbesondere Dantes Liebesthematik. 13 Sebastian Schütze untersucht in seinem Beitrag die im Höllentor gipfelnde Auseinandersetzung Rodins mit Dante und Michelangelo. Dabei zeigt er, inwiefern sich das Hochrelief sukzessive immer weiter von Dantes Inferno entfernt hat, um sich zunehmend als säkularisiertes Jüngstes Gericht zu präsentieren. 14 Dies werde nicht zuletzt in den «Strömen verketteter Nacktheit» deutlich (S. 266). Schütze illustriert seine These überzeugend an den Darstellungen von Paolo und Francesca und Ugolino, die er bei Rodin zu Metaphern für den «in und an der Welt leidenden» modernen Menschen umgedeutet sieht (S. 264). Der Band schließt mit Adrian La Salvias besonders lesenswerter Studie zur weltweiten Rezeption von Gustave Dorés Dante-Illustrationen in zeitgenössischen Refigurationen der Commedia. 15 Dabei zeigt er, wie Dorés kinematographische Techniken in der Epoche der Massenmedien in das Medium des Comics überführt wurden. Diese These veranschaulicht La Salvia aus transkultureller Perspektive am Beispiel figurativer Bearbeitungen der US-amerikanischen, italienischen bzw. französischen Comiczeichner Art Young, Milo Manara und Moebius, des Japanischen Mangakas Jo Nagai, des deutschen Buchkünstlers Felix Martin Furtwängler und des kalifornischen Malers Sandow Birk. Insgesamt bietet der Sammelband eine Fülle anregender Beobachtungen, welche nicht nur die aktuelle Forschungsdebatte zum Dialog zwischen Bild und Text, sondern auch den interdisziplinären Austausch zwischen der 12 Klaus Herding, «‘Le sujet c’est toi-même’: Delacroix’ Dantebarke», S. 205-242. 13 Elizabeth Helsinger, «How They Met Themselves: Dante, Rossetti, and the Visualizing Imagination», S. 243-260. 14 Sebastian Schütze, «‘L’âme des hommes de génie’: Dante - Michelangelo - Rodin», S. 261-280. 15 Adrian La Salvia, «Dante e Doré. L’aura della Divina Commedia nell’arte moderna», S. 281-302. Italienisch_82.indb 141 20.01.20 15: 36 142 Kurzrezensionen Romanistik und den Kunstwissenschaften mit interessanten Impulsen versehen. Abschließend sei noch erwähnt, dass der Band sorgfältig lektoriert wurde und beim Lesen nur wenige Druckfehler ins Auge fallen («mit ihrer ästhetischer [sic] Überlegenheit zu beweisen», S. 8, «das hat auch schon manchen Lesern [sic] enttäuscht», S. 9, «i personaggi sulla scena vengono indicato [sic]», S. 106, «the book will finds [sic]», S. 254 und «ciaroscuro» [sic], S. 294-95). Claudia Jacobi Italienisch_82.indb 142 20.01.20 15: 36