eJournals Italienisch 42/83

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2020-0012
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/61
2020
4283 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Albertina Fontana/Ivan Pupo (Hrsg.): Nel paese di Cunegonda. Leonardo Sciascia e le culture di lingua tedesca. Reihe: Sciascia scrittore europeo, Bd. 3. Firenze: Olschki 2019, 270 Seiten, € 25,00

61
2020
Sieglinde Borvitz
ita42830107
107 Kurzrezensionen Rimasto lontano dal fronte, si direbbe che lo scrittore volesse tacitare i propri sensi di colpa fornendo un contributo positivo di partecipazione morale al dramma di chi aveva combattuto, e d’altro canto, proprio per il suo rigore intellettuale, non potesse fare a meno di scavare a fondo in quella situazione eccezionale, denunciandone l’orrore In tale quadro anche il plurilinguismo messo in atto dallo scrittore in alcune novelle acquista un significato preciso, e bene fa la Lombardi, in conclusione, a parlare di uno «sperimentalismo ‘di protesta’» (p . 302) . Rosa Maria Monastra Albertina Fontana/ Ivan Pupo (Hrsg.): Nel paese di Cunegonda. Leonardo Sciascia e le culture di lingua tedesca. Reihe: Sciascia scrittore europeo, Bd. 3. Firenze: Olschki 2019, 270 Seiten, € 25,00 Bereits der Titel des von Albertina Fontana und Ivan Pupo kuratierten Bandes überrascht den Italianisten mit seiner ungewöhnlichen Themenstellung, fragt diese doch nach den Verbindungen Sciascias zum deutschsprachigen Kulturraum, während Sciascias Vorliebe für das 18 Jahrhundert, die französische Aufklärung, aber auch für die iberische Kultur landläufig bekannt sind Der dritte Band der Reihe «Sciascia scrittore europeo» der Associazione «Amici di Leonardo Sciascia» ergänzt dieses Spektrum durch neue Perspektiven, denn bisland herrschte die Auffassung vor, Sciascia habe dem deutschsprachigen Kulturkreis ablehnend oder zumindest doch wenig aufgeschlossen gegenübergestanden (vgl S 64) Dieses Bild entkräftet der vorliegende Band in Teilen: Einerseits, indem er die direkte Auseinandersetzung Sciascias mit ihm dokumentiert, andererseits, weil er auch die nicht immer evidenten Einflüsse in dessen Werk herausarbeitet Zudem wird durch analytische Tiefenbohrungen in Sciascias Schriften nachvollziehbar, vor welchem Hintergrund die obige Auffassung entstanden und wie diese einzuordnen ist In drei Teile strukturiert konzentriert sich der Sammelband, nach einem Vorwort von Bruno Pischedda, im ersten Abschnitt zunächst auf die direkte Auseinandersetzung Sciascias mit Vertretern der deutschsprachigen Kultur, sei es in Form von Lektüre, Kunstrezeption oder von Korrespondenz mit Übersetzern, Wissenschaftlern und Publizisten Der zweite Teil widmet sich der Wahrnehmung Sciascias im deutschen Sprachraum wie auch geistes- und kulturgeschichtlichen Parallelen Diesem folgen abschließend testimonianze von Salvatore Costanza und Pino Di Silvestro sowie ein Anhang mit Bildern, die Sciascia auf verschiedenen Stationen seiner Deutschlandreisen zeigen, DOI 10. 23 57/ Ital-2020 - 0 012 83_Italienisch_Inhalt.indb 107 19.06.20 16: 36 108 Kurzrezensionen DOI 10. 23 57/ Ital-2019 - 0 0 3 0 aber auch Reproduktionen von Briefen oder die Cover seiner in deutscher Sprache erschienenen Werke Nel paese di Cunegonda - eine unverhohlene Anspielung auf Voltaires Candide - nimmt einen ‘gekreuzten Blick’ vor, der eine chiastische Fremdwahrnehmung zum Vorschein bringt Für viele der Beiträge ist die für den sizilianischen Schriftsteller so typische Verschränkung von Faktizität und Fiktionalität leitend - zumal Sciascia sich auch selbst als «scrittore impuro» (S 77) versteht, der mittels Genrehybridisierungen versteckten Wahrheiten nachspürt, um diese bestehenden Mystifizierungen entgegenzusetzen Den Auftakt bildet der Beitrag von Ulrike Reuter («‘Notevolissime testimonianze a mio favore’ Scambi epistolari sul caso Majorana tra Leonardo Sciascia, Lea Ritter Santini, Ida Noddack e Werner Heisenberg») zu Lea Ritter Santini, einer Professorin für romanistische Literaturwissenschaft aus Münster, deren Rolle als Mittlerin zwischen Italien und Deutschland im Fall von La scomparsa di Majorana zu einer Teilrehabilitierung Sciascias in Italien geführt hat Dieser hatte, gestützt auf Majoranas Briefe an dessen Familie im Jahr 1933, in seinem Roman die Vermutung geäußert, der junge Physiker sei 1938 bei der Überfahrt von Palermo nach Neapel verschwunden, da er die weitreichenden Folgen seiner Forschungen vorausgesehen habe Ritter Santini hatte sich zum Ziel gesetzt, Sciascias Vermutungen zum Verschwinden Ettore Majoranas durch Belege von Zeitzeugen zu erhärten, und es ist das Verdienst Ulrike Reuters, diese Bemühungen anhand von Santinis Briefwechsel mit Werner Heisenberg und mit der Molekularchemikerin Ida Noddack - die bereits 1934 die Möglichkeit der Kernspaltung von Uran einräumt - rekonstruiert zu haben, geht daraus doch hervor, dass Majoranas Verschwinden an die potentiell mögliche, militärische Nutzung der Kernspaltung geknüpft war Auch Alessandro La Monica («Tre interlocutori tedeschi di Leonardo Sciascia: Hans Magnus Enzensberger, Nino Erné, Rudolf Schenda») konzentriert sich auf Korrespondenz des sizilianischen Intellektuellen, so mit Hans Magnus Enzensberger zur Publikation von Il teatro della memoria, mit Sciascias deutschem Übersetzer Nino Erné und mit dem Ethnologen Rudolf Schenda, der Sciascias anthropologische Beschreibungen über die Sizilianer gewürdigt hat Die weiteren Beiträge setzen sich mit der Rezeption von Literatur und Kunst aus dem deutschsprachigen Raum auseinander So widmet sich etwa Andrea Schembrari («L’occhio e la meraviglia, il reale e il destino Sciascia lettore di Goethe, tra testo e intertesto») Sciascias Vorliebe für das 18 Jahrhundert und die «grande ombra di Goethe» (S 27) in seinen Werken Dabei trassiert er nicht allein dessen Auseinandersetzung mit der Italienischen Reise, die Goethe bekanntlich auch nach Sizilien führt, sondern auch 83_Italienisch_Inhalt.indb 108 19.06.20 16: 36 109 Kurzrezensionen Sciascias Tätigkeit als Lektor des Verlags Sellerio, der auf dessen Anraten hin Goethes Incomincia la novella storia 1981 publiziert, einen autobiografischen Text, der sich dem Frankreichfeldzug widmet und somit das Verhältnis von Wahrheit und Erzählung aufgreift Die Relation von Faktizität und Fiktionalität vertieft Sciascia zudem in seiner Schrift zu Goethe und Manzoni, wobei er auf die Auseinandersetzung des Weimarer Denkers mit Manzonis historischem Roman Fermo e Lucia von 1827 zu sprechen kommt Sciascias Interesse an Franz Zeise, dessen Roman L’Armada Sellerio 1989 verlegt, widmet sich Laura Parola («L’‘incubo cupo e corrusco del potere’ Leonardo Sciascia legge Franz Zeise») Der Leser und Lektor Sciascia erkennt in dem Roman nicht nur ein «großartiges Affresko» (S 51), eine bildhafte, ekphrastische und zugleich faktengestützte Erzählung über das politische Klima Spaniens im Siglo de oro und über die Seeschlacht bei Lepanto, sondern ebenso die diesem Roman innewohnende Machtkritik, die in beunruhigenden onirischen Passagen zum Ausdruck kommt, welche er zugleich auch als Kritik und Metapher auf seine Zeit versteht, und die Zeise so zu seinem ‘Bruder in der Kunst’ werden lässt Während Giovanni Maria Fara («Cristo? Savonarola? Nota su Sciascia conoscitore di Dürer incisore») Sciascia als kenntnisreichen Liebhaber von Druckgraphiken, insbesondere von Dürers Ritter, Tod und Teufel, beschreibt und dies an Ekphrasen belegt, konzentriert sich Ivan Pupo («Nel crepuscolo di un mondo Sciascia e il mito asburgico») in seinem Artikel auf das Finis Austriae, auf das Gespür für jenen fast unmerklichen Riss, der eine Krise, das Ende einer Ära einläutet, das Sciascia bereits in seiner Jugend sehr fasziniert und ihn so zum aufmerksamen Leser von vor allem Habsburger Autoren (Joseph Roth, Franz Kafka, Robert Musil, Franz Werfel, Heimito von Doderer, Alexander Lernet-Holenia, Arthur Schnitzler) machte: «Gli scrittori austriaci e austriacanti li leggo e li amo» (S 92) Ganz anders, so legt Albertina Fontana daran anknüpfend dar («È possibile una fraterna vicinanza? »), nimmt sich Sciascias Haltung zu Deutschland aus - trotz seiner Wertschätzung von Autoren wie Heinrich Mann, Alexander Kluge oder Franz Zeise Hierbei verweist sie auf Peter Vierecks Schriften zum ‘deutschen Wesen’, wonach die Deutschen zwiegespalten seien zwischen der Zivilisation (Gesetz, Ratio, Moral) und der Kultur, die, getrieben von einem opaken innerlichen Streben, über die Zivilisation hinausgehe Sciascia attestiert den Deutschen, auch angesichts der Zeitgeschichte, «la seduzione del potere» (S 94), die ihm suspekt bleibt, ihn aber zugleich mit Autoren wie Kluge eint, die der Geschichte aufmerksam gegenüberstehen Der zweite Abschnitt des Buches widmet sich der Auseinandersetzung mit Sciascia im deutschsprachigen Raum So zeigt Chiara Nannicini Streitberger Parallelen zwischen Sciascia und Heinrich Böll auf («‘Partecipare alle 83_Italienisch_Inhalt.indb 109 19.06.20 16: 36 110 Kurzrezensionen vicissitudini del proprio tempo’ Leonardo Sciascia e Heinrich Böll») Auch wenn beide Schriftsteller die Werke des jeweils anderen kannten, so lässt sich keine gegenseitige Beeinflussung belegen Was beide jedoch eint, sind ihr künstlerisch-ethisches Engagement, ihre vehemente Kritik an der Gesellschaft, ihren Institutionen und Werten, insbesondere im angespannten gesellschaftlichen Klima der 1970er Jahre Zunächst parodistische Anklagen, avancieren Bölls und Sciascias Werke bald zu einer offenen Kritik am System und den (manipulierenden) Massenmedien, wie etwa in Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder L’Affaire Moro Ein ähnliches Bild ergibt sich auch mit Blick auf die Publizistik, wie ihn Domenica Elisa Cicala («‘Ritratti poliedrici di un Einzelgänger’ Le presenza di Sciascia sulla stampa tedesca») und Martin Hollender («‘Kaum äußert er sich, reagiert die gesamte Nation’ Una voce critica: Werner Raith, in tedesco, con una sintesi in italiano») vornehmen Während sich Hollender auf den Italienkorrespondenten Werner Raith konzentriert, der Sciascia in Fragen der organisierten Kriminalität kritisch gegenübersteht, zeigt Cicala anhand einer Analyse der deutschen Presse der letzten 50 Jahre die Wahrnehmung Sciascias als vielschichtigen «Einzelgänger» (S 139), «Großmeister des kritischen Realismus» (S 141), «meisterhafte[n] Erzähler» (S 142), «Gewissen der italienischen Gesellschaft» (S 144) und «ausgewiesenen Kenner der sizilianischen Geschichte» (S 146), wobei im Kern seiner «racconti-inchiesta» (S 143) die Auseinandersetzung mit dem mafiösen System steht und Sizilien metaphorisch als «Infektionsherd» (S 146) gilt Diese thematische Ausrichtung sowie Sciascias Poetik, die Dokumentation, Reportage und Fiktion ununterscheidbar werden lässt, wird auch in den folgenden Beiträgen aufgegriffen Ein solches Spannungsverhältnis beleuchten Maike Albath («Die Wahrheit des Fälschers: Il Consiglio d’Egitto, in tedesco, con una traduzione in italiano») in ihrer Analyse von Il Consiglio d’Egitto und Albrecht Buschmann («Leonardo Sciascia, il linguaggio e il potere Una rilettura dell’Affaire Moro, in tedesco, con traduzione in italiano») in seinen Reflexionen zu L’Affaire Moro Beide konstatieren, dass gerade aus den von Sciascia so meisterlich geschaffenen, vielsagenden Grauzonen eine Mystifizierung der Macht resultiert, die einmal mehr unterstreicht, dass diejenigen, die keine Stimme haben, machtlos sind, den gegebenen Umständen ohnmächtig gegenüberstehen, und die Frage nach der Wahrheit - welcher bzw wessen Wahrheit? - letztlich obsolet wird, da sie folgenlos bleibt Die undurchsichtigen Strukturen und Entscheidungsprozesse, das Einbrechen einer opaken Macht in das Leben des Einzelnen und ihre Fähigkeit, Aufklärungen zu behindern, nähren ein biopolitisches Szenario, das Sciascia in einem Interview mit Ulrich Schulz-Buschhaus pointiert formuliert: «Forse una speranza non c’è» (S 209) 83_Italienisch_Inhalt.indb 110 19.06.20 16: 36 111 Kurzrezensionen Mancher mag Sciascia einen fatalistischen Abgesang auf die Gesellschaft vorwerfen Dem ist entgegenzuhalten, dass Sciascia die Theologie der Macht ebenso wie die damit verbundene Vereinnahmung der Sprache luzide erkannt hat Dabei ist es gerade die bereits angesprochene Mystifizierung, die das arcanum imperii nährt und so die Effekte der Macht verstärkt Sciascia gelingt es, diese nichtfassbaren Verstrickungen und die Naturalisierung der Macht intelligibel zu machen Einige mögen darin Pessimismus erkennen, andere die Luzidität eines Moralisten So auch Albertina Fontana («‘Forse una speranza non c’è’ Ulrich Schulz-Buschhaus incontra Leonardo Sciascia»), die sich Ulrich Schulz-Buschhaus’ Auseinandersetzung mit Sciascia widmet Der Verfasser der wegweisenden Studien zum Kriminalroman, die in der Komparatistik längst zum Kanon gehören, attestiert dem sizilianischen Schriftsteller eine «tecnica del crescente infittirsi di oscurità» (S 214), eine den Leser irritierende «tecnica del chiaroscuro» (ebd .), die letztlich das Scheitern des Protagonisten an solch einem Szenario nachvollziehbar werden lässt Ob es nun besser ist, Unabwendbares zu akzeptieren und sich in Resignation zu üben - mit Voltaires Candide gesprochen: «Travaillons sans raisonner […]; c’est le seul moyen de rendre la vie supportable» 1 - oder aber sich damit auseinanderzusetzen, diesen Schluss muss jeder für sich allein ziehen Nel paese di Cunegonda liefert uns in jedem Falle nicht nur neue Erkenntnisse der Sciascia-Forschung, sondern erlaubt uns auch, die Werke des sizilianischen Intellektuellen mit neuen Augen zu lesen Sieglinde Borvitz Nicola Turi (Hrsg.): Raccontare la guerra. I conflitti bellici e la modernità. Firenze: Firenze University Press 2017, 436 Seiten, € 19,90 Das vierjährige Centenario des Ersten Weltkrieges hat über die Dauer seiner Kommemoration auf verschiedenen Wegen in die öffentliche Wahrnehmung gedrängt Es hat teils in Vergessenheit geratene Literaten mit Neuauflagen und thematischen Sammelbänden an die Oberfläche unseres Kurzzeitgedächtnisses gespült, zu zahllosen Dokumentationen und Verfilmungen Anlass gegeben, ja sogar zu einer Art ‘kleinem Historikerstreit’ um die äußerst verkaufsstarke Neubewertung der Kriegsschuld angeregt (Die 1 Voltaire, Candide ou l’Optimisme, Stuttgart: Reclam 1997, S 149 DOI 10. 23 57/ Ital-2020 - 0 013 83_Italienisch_Inhalt.indb 111 19.06.20 16: 36