Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2020-0028
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2020
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Fesenmeier Föcking Krefeld OttUmweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht
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2020
Roland Ißler
Nella semplice veste di un racconto per bambini, il romanziere Umberto Eco (1932–2016) ha lasciato un breve racconto nello stile del conte philosophique con Gli Gnomi di Gnù (1988), che per vari motivi si presta ad un approccio interculturale nello studio dell’italiano. A differenza di Micromégas, il visitatore terrestre di Voltaire proveniente dalla stella Sirio,
nel racconto di Umberto Eco il protagonista è piuttosto un esploratore spaziale terrestre che scopre un pianeta sconosciuto. Il suo ottimismo per il progresso e il suo senso della missione vengono gradualmente messi sempre più in discussione e, infine ed inaspettatamente, vengono contestati presupposti di base inizialmente incrollabili. L’ideale e la realtà si invertono, e il
tema della sostenibilità e dei problemi attuali quali la politica ambientale, la prevenzione dalle dipendenze e la burocrazia, portano a una critica radicale sulla civiltà e alla messa in discussione dell’esistenza umana sulla terra. Umberto Eco ripropone così domande vecchie, ma sempre attuali dell’Illuminismo relative al progresso della civiltà umana e allo stesso tempo permette di portarle personalmente alla ribalta nella vita degli studenti di oggi nel campo delle sfide sociali globali. La crisi di percezione del protagonista funziona come lo specchio del processo di apprendimento che il lettore affronta insieme a lui. Il contributo mostra i modi per elaborare il potenziale didattico, ma soprattutto le potenzialità estetiche e interculturali della narrativa fantascientifica e per sviluppare gli impulsi dati da essa in modo creativo e orientato all’azione, al fine di stimolare i processi educativi con l’aiuto del testo utopico.
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106 DOI 10. 23 57/ Ital-2020 - 0 028 R O L A N D I ß L E R Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Umberto Ecos Gnomi di Gnù als conte philosophique des 20. Jahrhunderts «Chi non legge, a 70 anni avrà vissuto una sola vita: la propria Chi legge avrà vissuto 5000 anni: c’era quando Caino uccise Abele, quando Renzo sposò Lucia, quando Leopardi ammirava l’infinito… perché la lettura è un’immortalità all’indietro .» Umberto Eco 1 I. Fremdsprachenerwerb und literarische Bildung In einer von dem abstrakten Künstler Eugenio Carmi (1920-2016) gestalteten Ausgabe erschien 1992 eine utopische Kindererzählung des italienischen Schriftstellers Umberto Eco (1932-2016) unter dem Titel Gli Gnomi di Gnù . 2 Diesem Text und den von seiner Lektüre ausgehenden interkulturellen und umweltethischen Impulsen widmet sich der vorliegende Beitrag; 3 die begleitenden Illustrationen, die andernorts bereits ausführlich gewürdigt wurden, 4 mögen hier unberücksichtigt bleiben dürfen Die literaturdidaktische Beschäftigung mit dem Erzähltext hingegen steht im Kontext einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Rolle literarischer Ästhetik im Fremdsprachenunterricht Deren gegenwärtig geschwächte Position soll mit bildungsrelevanten Inhalten ertüchtigt und dabei der Anspruch erhoben werden, über auf funktional-pragmatische Sprachverwendung abzielende Lernsituationen hinaus im Italienischunterricht Bildungsprozesse anzuregen . 5 Auf die Bedeutung des Fremdsprachenunterrichts für die Bildung junger Menschen weist der Philosoph Julian Nida-Rümelin in seiner Schrift 1 Umberto Eco, zitiert nach Saviano 2015 2 Carmi/ Eco 1992 Zitate aus dieser unpaginierten Ausgabe werden fortan direkt im Text angegeben 3 Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag auf dem an der Universität Mainz vom 1 bis 3 März 2018 abgehaltenen Italianistentag «Ibridità e norma - Norm und Hybridität» 4 Vgl Truglio 2008 5 Zum Hintergrund vgl u .a Ißler 2017; 2019a; 2019b; 2019c Italienisch_84.indb 106 13.11.20 09: 38 107 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Humanismus als Leitkultur eindringlich hin Anstatt «Fremdsprachenkenntnisse besonders unter dem Aspekt zu befürworten und zu fördern, dass sie uns für die Eroberung fremder Märkte nützlich sind [ . . .] oder im beruflichen Fortkommen individuelle Vorteile verschaffen», schreibt er darin, «wäre zu[v]ördest ihre Wirkung [ . . .] auf uns selbst [ . . .] zu bewerten So ist auch die Kenntnis fremder Sprachen in erster Linie als Bereicherung nach innen, für unsere eigene geistige, ethische, kulturelle Entwicklung zu sehen, bevor wir sie ökonomisch instrumentalisieren Wer meint, es genüge, eine andere Sprache zu erlernen, um in ihr seine persönlichen Interessen artikulieren und besser verfolgen zu können, verfehlt den Gewinn, den ihm seine Mühe bescheren könnte [ . . .] Er lässt die Kultur, deren Essenz in der Sprache Gestalt geworden ist, nicht mit seiner Neugier zusammentreffen .» 6 Neben dem interkulturellen Austausch können gerade literarisch-ästhetische Inhalte dazu beitragen: «Wenn wir uns einlassen wollen auf die Sprache einer anderen Kultur, gehört dazu mehr als der Erwerb eines Wortschatzes und seiner Grammatik Dass bei dem, was mehr dazugehört, die Auseinandersetzung mit Literatur und zwischen den Literaturen eine herausragende Rolle spielt, ist offenkundig .» 7 Dass literarische Texte oftmals mehr Fragen aufwerfen als beantworten, gereicht ihnen dabei durchaus nicht zum Nachteil Ihre Qualität liegt weniger in der Vorgabe fertiger Lösungswege als vielmehr in dem Appell, sich selbst auf die Suche danach zu begeben Dies wird sich auch in Ecos kleinem racconto zeigen Als literarischer Text stellt er sprachliche Mittel bereit, um bei jungen Lernenden sowohl schriftlich als auch mündlich kommunikatives Handeln zu fördern und ihre Ausdrucksfähigkeit zu schulen, bleibt dabei aber keineswegs an der Oberfläche, sondern enthält genügend kritisches Potential, um belangreiche Debatten anzustoßen, die sich für Schülerinnen und Schüler als von unmittelbarer gesellschaftlicher Relevanz erweisen werden Insbesondere ermöglicht es der Text, mittels und auf der Basis der italienischen Sprache ernsthafte Überlegungen über die Natur und das gegenwärtige und künftige Zusammenleben auf der Erde anzustellen und 6 Nida-Rümelin 2006, S 151 7 Ebd Italienisch_84.indb 107 13.11.20 09: 38 108 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler umweltethische Zusammenhänge, Erwägungen und Vorstellungen von Nachhaltigkeit zu artikulieren . 8 II. Literatur im Fremdsprachenunterricht Italienisch Spätestens seitdem das Fremdsprachenlernen in Europa durch den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen strukturiert wird und mithin uniformen, zu vergleichbaren Parametern deklarierten Skalen folgt, hat es die Literatur schwer im Fremdsprachenunterricht Zumal sich die Kriterien des Referenzrahmens an pragmatisch-kommunikativen Maßstäben orientieren, dienen seine Kompetenzbeschreibungen grundlegend anderen Anliegen als dem, im Fremdsprachenunterricht ein grundsätzliches Interesse an literarischen Texten und ästhetisch-imaginativer Sprachverwendung zu wecken Auch die Nachjustierung und Erweiterung der Kriterien hat in jüngster Zeit den Stellenwert von Literatur der jeweiligen Zielsprache nicht eben erhöht . 9 Sofern literarische Texte in den ersten Lernjahren des fremdsprachlichen Unterrichts überhaupt eine nennenswerte Rolle spielen, werden sie in erster Linie zugunsten funktionaler kommunikativer Kompetenzen ausgeweidet, dienen etwa als Lieferanten für grammatische Phänomene und morphologische Formen Ästhetischer Wert und Bildungspotential eines literarischen Werks bleiben mithin weitgehend außer Acht oder treten zumindest hinter seiner interkulturellen Relevanz zurück Ohne die Vereinnahmung literarischer Texte etwa durch interkulturelle Ansätze wie die Didaktik des Fremdverstehens wäre der Stellenwert von Literatur im Fremdsprachenunterricht zwar mutmaßlich in noch stärkerem Maße eingebrochen, als es derzeit bereits der Fall ist, doch bleibt der Einsatz literarischer Quellen dadurch wiederum zumeist auf Problemfelder der interkulturellen Begegnung beschränkt und blendet die über sie hinausgehende Bildungsrelevanz von Literatur in der Regel aus Solange nicht auch Inhalte oder ein kultureller Bildungsanspruch das Lehren und Lernen bestimmen, sondern zuallererst der Erwerb funktionaler und pragmatischer Sprachverwendung und von Strategien, die für ihren Einsatz benötigt werden, bleiben die Bemühungen um einen literarischen Text im Unterricht unzureichend: Das spezifisch Literarische, das Polyseme, Suggestive, das ästhetisch Reizvolle, möglicherweise sogar affektiv Berührende wird schlimmstenfalls ausgespart; der Text wird ersetzbar durch einen expositorischen Text, dessen Rezeption sich vor allem durch sachliche Informa- 8 Vgl dazu auch den «Orientierungsrahmen Globale Entwicklung» (Schreiber/ Siege 2016) sowie weiterführend, mit Blick auf Selbsterkenntnis und Identität: Bieri 2014 9 Vgl Schädlich 2019 Italienisch_84.indb 108 13.11.20 09: 38 109 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht tionsentnahme rechtfertigt und der dem bekanntermaßen stets kargen Zeitbudget der Unterrichtsplanung und -durchführung mehr entgegenkommt als die Konzentration auf einen literarischen Text vergleichbaren Inhalts . 10 Die Reduktion der Sprache auf ihre funktionale Verfasstheit und kommunikative Anwendungsbezogenheit führt - so wichtig beide für den Fremdsprachenunterricht tatsächlich sind - zu einer Ausblendung mindestens der ästhetischen Dimension und des bildenden Gehalts eines literarischen Textes Vor diesem Hintergrund erscheint eine konsequente Stärkung literarischer Texte schon ab dem Anfangsunterricht geboten, weil diese zu einer vertieften und konzentrierten Weltwahrnehmung beitragen und in besonderem Maße Reflexions- und damit Bildungsprozesse anregen Gerade für die Tertiärsprache Italienisch bietet sich ein vermehrter Rückgriff auf italienische Literatur an, zumal Lernende sowohl mit dem Fremdsprachenerwerb als auch mit dem Umgang mit literarischen Texten bereits vertraut sind Gleich den Didaktiken der modernen Schulfremdsprachen insgesamt muss sich auch die Italienischdidaktik heute die kritische Frage gefallen lassen, ob literarischen Texten im Unterricht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird Reichen die weithin üblichen Aktivitäten prima della lettura, durante und dopo la lettura aus, auch das kulturelle Bildungspotential von Literatur auszuschöpfen, in den Schülerinnen und Schülern des Italienischen nachhaltig produktiv werden zu lassen und sie zu kritischem Denken anzuregen? Das Fach Italienisch sollte über der unbestrittenen Notwendigkeit der Anleitung zur korrekten Verwendung der italienischen Sprache in Wort und Schrift mit ihr verbundene Bildungsinhalte nicht unterschlagen (und erst recht nicht wissentlich, etwa aus Bequemlichkeit, auf sie verzichten), sondern seine Bildungsverantwortung ernstnehmen und im besten Sinne beides miteinander zu verknüpfen suchen Wie dies gelingen kann, mag das Textbeispiel von Umberto Eco andeuten Der literarische Text dient hier als Ausgangspunkt, die Sachthematik zu den Feldern Umweltethik und Zivilisationskritik soll daraus entwickelt werden III. Gli Gnomi di Gnù zwischen Kindererzählung und conte philosophique Umberto Eco hat sich als Semiotiker und Medienwissenschaftler, Philosoph und Kulturtheoretiker einen Namen gemacht und ist seit seinem Romanerfolg mit Il nome della rosa (1980) international doch vor allem als Schriftsteller und Kolumnist bekannt Selbst wenn man um seine Vorliebe für Ironie 10 Es soll durchaus nicht dafür plädiert werden, im Italienischunterricht auf Sachtexte zu verzichten Bedenkenswert jedoch ist, ob im Falle einer Auswahlentscheidung bisweilen nicht auch der literarische Text den Vorzug erhalten sollte Italienisch_84.indb 109 13.11.20 09: 38 110 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler und Subversion weiß, 11 so mag es doch überraschen, dass Eco auch für Kinder geschrieben haben soll Tatsächlich ist der hier vorgestellte Text eine Wiederaufnahme einer früheren Kooperation mit Eugenio Carmi nach mehr als 25 Jahren Aus der intermedialen Zusammenarbeit waren 1966 zwei kleinere Erzählungen (La bomba e il generale und I tre cosmonauti) hervorgegangen, die Eco 1988 überarbeitete, zur Übersetzung freigab und schließlich noch 2004 mit Gli gnomi di Gnù erneut veröffentlichte . 12 Die Übersetzerin der deutschen Ausgabe, Elise Dinkelmann, bündelt die drei Kurzerzählungen explizit als «Geschichten für aufgeweckte Kinder» . 13 Für Kinderliteratur plädiert Eco auch an anderer Stelle, z .B in seinem illustrierten Roman La misteriosa fiamma della regina Loana (2004), in dem er seine eigenen kindlichen und jugendlichen Leseerfahrungen subtil verarbeitet, ohne sich den gewohnt vielschichtigen Reflexionen seiner Romane zu verschließen «Durch das Einfache geht der Eingang zur Wahrheit», 14 hatte der Mathematiker Georg Christoph Lichtenberg im 18 Jahrhundert in eines seiner Sudelbücher notiert Das Lob der Einfachheit blickt auf eine lange Tradition zurück und wird doch der Kinder- und Jugendliteratur nach wie vor nicht selten als Makel ausgelegt . 15 Im Zusammenhang mit literarischen Werken für Kinder und Jugendliche steht das Einfache schlicht im Ruch des Anspruchslosen, des Beschränkten und Defizitären und ist Gegenstand präjudizierender Abwertung Dem steht entgegen, dass zahlreiche literarische Texte diesem Standpunkt hohnsprechen; philosophische Reflexion und ein kindliches Lesepublikum schließen sich keinesfalls aus Kinder- und Jugendliteratur bietet die Gelegenheit, komplexe Zusammenhänge auf knappem Raum auf wesentliche Probleme zu verdichten, ohne an Eindringlichkeit verlieren zu müssen Eine einfache, schlichte Sprache eignet sich durchaus für große Fragen Eines der bekanntesten Beispiele mag Antoine de Saint- Exupérys (1900-1944) Le Petit Prince sein, ein jüngeres Sophies Welt und andere Romane des norwegischen Autors Jostein Gaarder (*1952), und der Blick in die Vorbemerkungen diverser Philosophiebücher für Kinder legt gleichsam den Gedanken nahe, dass «Kinder die wahren Philosophen 11 Vgl z .B Ecos Bustina di Minerva, die sogenannten «Streichholzbriefe» für das Magazin L’Espresso, und andere Glossen (Eco 2002) 12 Vgl Truglio 2008, S 115 13 Eco 2012 (nach der Originalausgabe Eco 2004) 14 Lichtenberg, Sudelbücher, K 361, zitiert nach Joost 2000, S 7 15 Zur mangelnden Vorurteilsfreiheit gegenüber der Behandlung von Kinder- und Jugendliteratur durch die Literaturwissenschaft vgl Ewers 2014; zum Nutzen der Einfachheit von Texten für den Fremdsprachenunterricht vgl Burwitz-Melzer/ O’Sullivan 2016 Italienisch_84.indb 110 13.11.20 09: 38 111 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht sind» . 16 Für die italienische Literatur des 20 Jahrhunderts ist neben dem jüngeren Stefano Benni (*1947) vor allem Italo Calvino (1923-1985) zu nennen, der komplexe, auch philosophische Gedankengänge mit scheinbar einfachen Texten zu verbinden versteht; neben der bekannten Romantrilogie I nostri antenati, 17 die Märchenelemente mit philosophischen Überlegungen, moderner Mythenrevision und Gesellschaftskritik verbindet, sei auch an Calvinos Ausgabe des Orlando furioso erinnert . 18 Ökologische Problemstellungen, wie sie hier bei Eco begegnen, sind in der jüngeren Kinder- und Jugendliteratur schon seit Jahrzehnten thematisch präsent; in den späten 1980er und 90er Jahren stehen sie oft im Zusammenhang mit der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl und dem Wettrüsten im Kalten Krieg . 19 Auch der ausgewählte Text von Eco, um den es hier gehen soll, bietet ein Beispiel für zivilisationskritische und umweltethische Fragestellungen, die sich im schlichten Gewand einer Kindererzählung präsentieren und dabei an die philosophische Tradition der Aufklärung anknüpfen - ein Glücksfall also für den Italienischunterricht, denn auch wenn sich der Text primär an jüngere italienische Kinder wendet, vermag er durchaus auch noch jugendliche Italienischlerner anzusprechen Der knappe racconto eignet sich aufgrund seiner schlichten Sprache und Kürze ebenso wie aufgrund seiner philosophisch anregenden Sozialutopie für den Italienischunterricht Die kleine Science-Fiction-Erzählung, in einer märchenhaft unbestimmten Zeit angesiedelt - der Text beginnt mit «C’era una volta» . . (S 2) - und doch von einer uns bekannten Erde berichtend, handelt von der Entdeckung eines bewohnten fernen Planeten durch einen irdischen Weltraumforscher im Auftrag seines Kaisers . 20 Von kindlich naiver Ruhmsucht und zugleich großem Sendungsbewusstsein getrieben, hat der Kaiser den Astronauten ins All geschickt, weil es auf der Erde keinen unentdeckten Fleck mehr zu geben scheint Technisch hervorragend ausgerüstet, richtet der 16 Vgl Eilenberger 2017; Martens 1999; Kähler/ Nordhofen 1994 Roland Simon- Schaefer betont in seinem «Vorwort an die Erwachsenen», diese hätten «den Kindern weniger voraus, als sie denken Viel von dem, was sie zu wissen glauben, ist Meinung Kinder haben noch nicht so viele Meinungen eingetrichtert bekommen, sie sind noch offen und fragen-[ . . .] Nicht zufällig ist das Wissen um das eigene Nichtwissen diejenige Erkenntnis gewesen, die Sokrates seinen Zeitgenossen, Erwachsenen wohlgemerkt, kaum hat vermitteln können .» (Simon-Schaefer 1996, S 13) 17 Il visconte dimezzato (1952), Il barone rampante (1957) und Il cavaliere inesistente (1959); vgl Calvino 1998; 2000; 2005 Die Erscheinungsdaten kommen der Entstehungszeit der beiden genannten Kindererzählungen Ecos bereits sehr nahe 18 Calvino 2009 19 Vgl Ißler/ Scherer 2020, S 305 f 20 Der politische Anachronismus impliziert eine Ironisierung des europäischen Imperialismus und kolonialistischer Bestrebungen Italienisch_84.indb 111 13.11.20 09: 38 112 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler Forscher sein «megatelescopio megagalattico» nach langem Suchen endlich auf den schönen Planeten Gnù, der von winzigen Männchen («omini piccolissimi», S 8) besiedelt ist und offenbar über eine erdähnliche Flora und Fauna verfügt . 21 Die Verständigung mit den kleinen «gnomi di Gnù» gelingt reibungslos, und schon nach einer kurzen Begrüßung und wechselseitigen Vorstellung beginnt der Weltraumforscher damit, den Bewohnern des Planeten Gnù von seiner Kultur zu berichten und ihnen die Erde anzupreisen . 22 «‘La civiltà’», so erklärt er den Unwissenden, «‘è tutta una serie di cose meravigliose che i terrestri hanno inventato’» (S 12) Das großzügige Ansinnen des Kaisers, den «gnomi» die Erfindungen und Errungenschaften seiner irdischen Zivilisation zu schenken, wird von den Bewohnern Gnùs zunächst begrüßt, und sie sind neugierig, ohne Gegenleistung mit einer fremden Hochkultur vertraut gemacht zu werden, von der sie glauben müssen, von ihr profitieren zu können Der Ausblick durch das ominöse Fernrohr des Forschers soll ihnen die Erde sichtbar machen, und so lernen sie sie mit den neugierigen Blicken unzivilisierter Außerirdischer kennen Hier wäre bereits eine didaktisch reizvolle Scharnierstelle, an der Schülerinnen und Schüler angehalten werden können, Lesehypothesen über den Fortgang der Erzählung aufzustellen Sie könnten in die Rolle der «gnomi» schlüpfen und einander berichten, was ihnen das «megatelescopio» zeigt Das führt sie zu der Frage: Was zeichnet unsere menschliche Zivilisation aus? Welche Errungenschaften sind charakteristisch für die Menschheit und berichtenswert für einen außerirdischen Gesprächspartner? 23 Die Begegnung des Astronauten mit den vorwitzigen «gnomi» stellt eine Standardsituation der interkulturellen Begegnung dar Der Perspektivenwechsel, den die Schülerinnen und Schüler hier bereits vollziehen, führt dazu, dass sie den Blick des Außerirdischen auf ihren eigenen Planeten richten und dessen Charakteristika und Bedeutungsspektra ganz neu erfahren und aus einer bewussten Distanz heraus überdenken In der Folge wird zu fragen sein: Wer lernt in dieser interkulturell prägenden Situation eigentlich von wem? Wer ist der Fremde, wer der Entdecker? Was ist Fremdheit? Wie funktioniert Kolonisierung und wie ist sie motiviert? Die Lektüre des racconto, wie Eco ihn fortgesetzt hat, führt zu einer unerwarteten Wendung Am Umschlagspunkt verkehren sich Ideal und per- 21 Er erinnert an den Erdzwilling «Terra2» aus Stefano Bennis 1983 erschienenem Roman Terra! (Benni 2008) 22 Die Nachstellung einer solchen Begegnung in Form eines Rollenspiels eignet sich begleitend zur Lektüre als szenische Aktivität im Italienischunterricht 23 Vgl dazu fremdsprachendidaktische Unterrichtsaktivitäten wie die «Kulturkapsel», die einen Perspektivenwechsel anregen, z B in: Vatter/ Zapf 2012, S 49-51; Montiel Alafont/ Vatter/ Zapf 2014, S 52-54 Italienisch_84.indb 112 13.11.20 09: 38 113 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht fektible Wirklichkeit Denn die wechselnden Perspektiven des Teleskops irritieren die «gnomi» zusehends Mit wachsendem Unmut betrachten sie den fernen Planeten Erde, dessen zivilisatorischer Fortschritt ihnen zunehmend fragwürdig, im Vergleich zu ihrem eigenen Dasein regelrecht wertlos und schließlich sogar bedauernswert erscheint, so dass sie ihn immer häufiger mit einem halblaut gemurmelten «Peccato» kommentieren (S 16, 18, 20): Die Städte der Erde sind vor lauter Rauch aus Fabrikschornsteinen nicht recht zu erkennen, auf dem Meer schwimmen Ölteppiche von schiffbrüchigen Tankern, und als Strandgut werden Müllberge angespült Die nächste Ansicht gibt den Blick auf gerodete Flächen frei, in denen sich ebenfalls der Müll türmt, während Schlangen von Autos, ursprünglich erfunden zur schnellen Fortbewegung, die Straßen und Autobahnen verstopfen oder Verkehrsunfälle verursachen - trotz des großen Zeitintervalls seit der Entstehung der Erzählung in den frühen 1990er Jahren 24 werden damit leider weiterhin sehr aktuelle irdische Probleme beschrieben Mit einer guten Portion Ironie lässt der humorvolle Erzähler die «gnomi» in ihrer kindlichen Neugier die Erde erkunden, indem sie bei dem Weltraumforscher mit gezielten, aber unvoreingenommenen Fragen nachbohren: «‘Ma che cos’è quell’acqua tutta nera al centro e tutta marrone vicino alle rive? ’» (S 18), «‘Ma che cos’è quella distesa grigia con sopra quelle cose biancastre, senza alberi e tutta piena di barattoli vuoti? ’» (S 20) oder «‘Ma che cosa sono [ . . .] tutti quegli scatoloni di metallo, messi uno dietro l’altro su quella strada? ’» (S 22) Die sprachlich rekurrente Struktur «Ma che cos’è . . .? » / «Ma che cosa sono . . .? » ist ohne Aufwand fortsetzbar und bietet reichhaltige Möglichkeiten, in der Vorstellung gesehene Dinge aller Art in die Erzählung einzubeziehen So können Schülerinnen und Schüler im Unterricht den Dialog in Tandems oder Kleingruppen fortspinnen und spielerisch auch ihre mündliche Ausdrucksfähigkeit trainieren Umberto Ecos «gnomi», denen die gelenkte Sympathie des Lesers gilt, bieten dabei mit ihrem kindlichen Gemüt reichlich Potential zur Identifikation und zugleich - trotz der ernsten Lage des Planeten - Anlass zum befreienden Lachen Mit der Ernsthaftigkeit des Unwissenden bringen sie die ökologische Schieflage der Erde auf den Punkt So z .B zu den Autos: «‘Ho capito,’ disse lo gnomo, ‘quelle vostre scatole quando sono troppe non vanno avanti e quando vanno avanti quelli che ci sono sopra si fanno male Peccato, peccato . . ’» (S 22) Oder, bezogen auf das verseuchte Meer: «’Vuole forse dire che il vostro mare è pieno di cacca? ’ chiese il secondo gnomo - e tutti gli altri risero perché agli gnomi di Gnù quando uno diceva ‘cacca’ veniva da ridere .» (S 18) 24 Das Erscheinungsjahr der Erzählung (1992) koinzidiert mit der in Rio de Janeiro abgehaltenen Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) Italienisch_84.indb 113 13.11.20 09: 38 114 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler Schnell wird deutlich, dass hier in Wahrheit Zivilisationskritik betrieben und hinter den scheinbaren Errungenschaften die ökologische Krisenhaftigkeit des Planeten Erde heraufbeschworen wird Auch diese Struktur lädt dazu ein, weitere Beispiele zu sammeln und den Dialog produktiv zu erweitern Dabei wird u .a die sprachliche Strategie des Paraphrasierens eingeübt, und die Schülerinnen und Schüler suchen nach synonymen Entsprechungen, so wie die «gnomi», denen der fremde Planet unbekannt ist, die «automobili» für «scatole» halten, die «campagna» für eine Müllhalde usw Zudem wird die rhetorische Strategie deutlich, durch Euphemismen von der verschmutzten Umwelt abzulenken und den Planeten schönzureden, wie es zunächst unbewusst, dann zunehmend kleinlaut der Weltraumforscher tut Die sophistische Erwachsenensprache scheitert hier an der unschuldigen Weisheit der kindlichen «gnomi»: «innocent wisdom foils adult sophistry» . 25 Die menschheitszentrierte Weltsicht, der unbeirrte Fortschrittsoptimismus und das Sendungsbewusstsein des Forschers werden allmählich immer entschiedener in Zweifel gezogen und schlagen schließlich um in ungeahnte Relativierungen anfänglich scheinbar unerschütterlicher Grundannahmen Anklänge an den conte philosophique der französischen Aufklärung liegen hier nahe Ecos Gespür für intertextuelle Bezüge und deren planvolle Indienstnahme durch Doppelkodierungen und pluridimensionale Lektüren 26 sind so bekannt, dass es kaum überraschen wird, dass er nicht nur thematisch, sondern auch formal an die philosophische Erzählung Micromégas von Voltaire anknüpft, 27 wenngleich seine Kulturkritik und Zivilisationsskepsis vielmehr Rousseau zu folgen scheinen Auch Voltaires Utopie schildert die interplanetare Begegnung eines Außerirdischen mit Vertretern des Menschengeschlechts Der riesenhafte Bewohner des Sterns Sirius jedoch ist auf die Erde gelangt und tritt in ein Gespräch mit einer Gruppe französischer Philosophen ein, deren hohe Intelligenz ihn zunächst beeindruckt Mit der Zeit jedoch wird auch hier der Absolutheitsanspruch des Menschen relativiert, nachdem ihn bereits die Größe Micromégas’ in Frage gestellt hat Angesichts der kriegerischen Auseinandersetzungen der irdischen Völker steht am Ende die bittere Erkenntnis: «Menschliche Intelligenz bürgt keineswegs für menschliche Vernunft .» 28 Auch Ecos racconto weist auf noch weitere Fragwürdigkeiten hin, mit denen der Forscher zunächst glaubt, die «gnomi» beeindrucken und beglücken zu können: Selbst die Krankenhäuser sind nur dazu da, Raucherlungen zu 25 Truglio 2008, S 130 26 Vgl hierzu insbes Eco 2006 27 Voltaire 1982, S 99-121 28 Gnüg 1999, S 95 Italienisch_84.indb 114 13.11.20 09: 38 115 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht operieren, Drogensüchtige von ihren Einstichinfektionen zu heilen, Unfallopfer mit Kunststoffbeinen zu versehen und Magenspülungen aufgrund verunreinigter Lebensmittel durchzuführen So verwundert es nicht, dass all dies immer weniger die Neugier der «gnomi» als vielmehr ihre Skepsis weckt Die Außerirdischen werden schließlich selbst intiativ und kehren die Handlung um, indem sie dem Weltraumforscher einen bedenkenswerten Vorschlag unterbreiten Hier könnte man im Italienischunterricht erneut innehalten und Schülerinnen und Schüler zunächst spekulieren lassen, worin der Einfall der Gnù-Bewohner bestehen und wie sich die Handlung fortsetzen könnte, bevor «il capo degli gnomi» zu Wort kommt: «‘[…] Senta, signor scopritore, mi è venuta una bella idea Perché non veniamo noi sulla Terra a scoprire voi? ’» (S 26) Lieber als die Versehrtheit der Erde anzunehmen, wollen die «gnomi» mit Hilfe des Weltraumforschers die intakte Zivilisation des Planeten Gnù auf der Erde installieren Das Paradox, dass der Entdecker selbst einer weniger entwickelten Kultur angehört, weicht damit einer logischen Handlungskonsequenz Und tatsächlich willigt der Forscher ein: «‘Va bene,’ disse ‘Torno a casa e ne parlo all’Imperatore .’» (S 30) Die Erzählung endet damit, dass der Forscher auf die Erde zurückkehrt und seinen Kaiser von diesem Vorschlag unterrichtet Zu der Umsetzung des Plans jedoch kommt es nicht sofort, weil die Fortsetzung der Erzählung durch ein retardierendes Moment - ein zusätzlicher ironischer Seitenhieb auf den Verwaltungsapparat irdischer Politstrukturen - planvoll ins Stocken gerät: Ein der Bürokratie ergebener Premierminister bringt diverse Einwände vor, gerät dabei in der chaotischen Infrastruktur seiner Stadt selbst ins Straucheln und landet, ausgerutscht auf einem Kaugummi, mitten im Smog der Autoabgase zwischen Müllsäcken Ob der Vorschlag der «gnomi» am Ende doch noch in die Tat umgesetzt werden kann, lässt der Erzähler bewusst offen Ostentativ vorläufig («Per il momento la nostra storia finisce qui», S 34) entlässt er seine Leser mit einem vielsagenden Frageimpuls: «Ma anche se non venissero, perché non ci mettiamo noi a fare quello che avrebbero fatto gli gnomi di Gnù? » (S 34) - eine didaktische Steilvorlage für den Italienischunterricht, die eine wesentliche bildungsgeleitete Verstehensfrage und einen kritischen Ausblick bereits antizipiert Doch wie lässt sich nun an die Zivilisationskritik des racconto, an seine umweltethische und zudem interkulturelle Problemstellung eine bildungsrelevante Debatte anknüpfen? IV. Eco - Ecologia - Ecocriticism Mit Blick auf den aus dem angelsächsischen Raum stammenden interdisziplinären, neuerdings vermehrt in den Literatur- und Kulturwissenschaften Italienisch_84.indb 115 13.11.20 09: 38 116 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler verbreiteten theoretischen Diskurs des Ecocriticism 29 lassen sich Wege aufzeigen, wie der Text didaktisch wirksam werden kann Es ist bereits deutlich geworden, dass die Erzählung erhebliches Potential bietet, mit Schülerinnen und Schülern im Italienischunterricht gemeinsam über langfristige und aktuell drängende ökologische und umweltethische Fragen nachzudenken Seien es das jüngste Beispiel der Ölkatastrophe des vor Mauritius gesunkenen japanischen Frachtschiffs Wakashio oder vergleichbare frühere Havarien, 30 die Meeresverseuchung durch Mikroplastik, die wachsende Erderwärmung und Bedrohung der Artenvielfalt oder die zunehmenden Brandrodungen im brasilianischen Regenwald, seien es internationale Unglücke wie die Gasexplosion von Beirut, Gesundheitsprobleme durch illegale Giftmüllentsorgung bei Neapel oder auch nur die Debatte um Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in Deutschland 31 - für die unterschiedlichsten Umweltschäden und -unfälle des Erzähltextes gibt es reale Präzedenzfälle und auch Folgeereignisse, die Ecos Erzählung als brisanten und durchaus weiterhin aktuellen racconto erfahrbar machen Es mag naheliegend erscheinen, die im literarischen Text angestoßene Problematik anhand von aktuellen, über die Internetpräsenz der italienischen Presse längst mühelos verfügbaren Sachtexten zu vertiefen Eine sorgfältige Auswahl ist aber auch hier zu beachten; gewarnt sei insbesondere vor einer undifferenzierten Katastrophenschau Die Englischdidaktik hat erst vor kurzem untersucht, wie Umweltthemen üblicherweise in Fremdsprachenlehrwerken behandelt werden Demnach kursierten in Lehrbüchern oftmals sehr «einseitig[e]» und klischeebehaftete Berichte «ökologischer Katastrophenszenarien», nicht selten gestützt durch «populistisch-reißerische Darstellungen in Massenmedien», die «deutliches Desinteresse und Frustration, vielleicht gar Ängste hervorrufen können», wie Uwe Küchler befürchtet . 32 «Ausgewählte 29 Vgl einführend, hier aus Sicht der Germanistik, Bühler 2016 Bühler versteht den Ecocriticism, dessen politischen Anspruch er weder auszublenden noch zu verabsolutieren sucht, als «Paradigma für eine kulturwissenschaftlich erweiterte Germanistik» (S X): «Im Gegensatz zu seiner ersten Phase, in der man die literaturwissenschaftliche Arbeit selbst als politischen Aktivismus verstand, begreift sich der gegenwärtige Ecocriticism stärker als ein Theorierahmen, der komplexe ökologische Probleme und ihre Darstellung zum Gegenstand hat Politisch abstinent ist der Ecocriticism aber keineswegs geworden, denn die Kulturgeschichte der Umwelt, die Analyse der Darstellung und Vermittlung ökologischer Themen oder die Funktionsweise ökologischer Narrative und Raumordnungen sind notwendige Voraussetzungen, um ökologische Probleme überhaupt politisch angehen zu können .» (S XI) Vgl auch das DFG-Netzwerk «Ethik und Ästhetik in literarischen Repräsentationen ökologischer Transformationen», https: / / portal .uni-freiburg .de/ ndl/ forschung/ dfg_netzwerk [30 .08 .2020] 30 Vgl z .B Muglia 2020; Grandi 2018 31 Vgl Gaetano 2018 32 Küchler 2016, S 180 Italienisch_84.indb 116 13.11.20 09: 38 117 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Texte und Themen», kritisiert er, «präsentieren die Umweltfragen in einem alarmierenden und häufig zugleich moralisierenden Ton .» 33 Ein weiterer, eingangs bereits angedeuteter Kritikpunkt betrifft die vorgeschobene Themenwahl, die oftmals nur als Alibi für die Einübung sprachlicher Mittel und funktionaler Sprachfertigkeiten instrumentalisiert werde . 34 Küchler betont, dass eine Meinungs- und kritische Urteilsbildung in einem kommunikativen Fremdsprachenfach «nicht nur zum Schein erfolgen oder gar - auf Grundlage der von den Massenmedien übernommenen Sachtexte - soziale Erwünschtheit hervorheben» dürfe: 35 «Die Thematisierung von Umwelt und Ökologie lässt [in Lehrwerken] eine Rezeption aktueller, fachwissenschaftlicher Erkenntnisse vermissen [ . . .] In den meisten Fällen werden (dem Fach inhaltlich fremde) Umweltthemen auf Englisch präsentiert Währenddessen erfolgt eingehendes Befassen mit dieser Thematik in Englisch und in engen Bezügen zu Sprache, Kultur, Wahrnehmung oder Bewusstheit nur rudimentär .» 36 Die Erzählung von Umberto Eco bietet die Gelegenheit, diese kritischen Überlegungen auch im Italienischunterricht zu berücksichtigen Neben dem besonderen Aktualitätsbezug - trotz ihres Erscheinungsdatums vor nunmehr bald zwei Jahrzehnten - mit Blick auf die genannten Umweltkatastrophen und -debatten wird ihr Einsatz auch durch ihre dezidierte Anbindung z .B an die Abiturvorgaben für Nordrhein-Westfalen mindestens bis 2021 legitimiert Diese sehen explizit «Globale Herausforderungen und Zukunftsentwürfe: Ökologische Herausforderungen / Politiche ambientali e sviluppo sostenibile con particolare riguardo al problema dello smaltimento dei rifiuti» als eines der Themenfelder vor . 37 Zu den in deutschen Klassenzimmern anhaltend diskutierten Umweltthemen zählt nicht zuletzt die Schülerbewegung Fridays for Future, für die ihre Initiatorin, die junge schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg, 2019 den Alternativen Nobelpreis erhielt Im Rahmen einer entsprechenden Unterrichtsreihe bietet es sich an, u .a die italienische Webseite oder Plakate (Abb 1 und 2) dieser und anderer Initiativen gemeinsam zu konsultieren, ihre Absichten und Empfehlungen zu verfolgen, Argumentationslinien nachzuvollziehen und in der Fremdsprache zu kommentieren . 38 33 Ebd ., S 181 34 Vgl ebd ., S 182 35 Ebd ., S 183 36 Ebd 37 Schulministerium NRW 2021; 2020; 2019, 2018 38 Vgl https: / / www .fridaysforfutureitalia .it [20 .08 .2020] sowie z .B Friedman 2009 Italienisch_84.indb 117 13.11.20 09: 38 118 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler Abb 1 Abb 2 Italienisch_84.indb 118 13.11.20 09: 38 119 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Vor dem Hintergrund der angesprochenen Kritik erscheint es sinnvoll, in diesem thematischen Kontext einmal gerade nicht von Zeitungsmeldungen auszugehen und diese (mutmaßlich ohne fundierte Sachkenntnis) ‘wiederzukäuen’, sondern dem Umweltproblem zunächst in der Literatur zu begegnen und daraus grundsätzliche Fragestellungen von philosophischer und ethischer Tragweite zu entwickeln . 39 Eco greift mit seinem Text die Kultur und den Impuls der Aufklärung auf und erzählt einen modernen conte philosophique über zentrale Problemfelder des 20 und 21 Jahrhunderts wie Umweltpolitik, Suchtprävention und Bürokratismus, den er nicht zufällig mit einer Frage enden lässt Mit Hilfe des leicht zugänglichen und dabei keinesfalls anspruchslosen Textes bietet sich Schülerinnen und Schülern so die Möglichkeit, über moderne Konzepte der Nachhaltigkeit zu reflektieren und, angeregt durch die Lektüre und ganz im Sinne Voltaires, selbst zu denken zu beginnen: «Citer les pensées des vieux auteurs qui ont dit le pour & le contre, ce n’est pas penser .» 40 V. Literarische Impulse zu kritischem Denken So wie in der utopischen Erzählung die anfangs gefestigte Weltsicht des Weltraumforschers in eine neue, der Perspektive der «gnomi» entsprungene Wahrnehmung überführt wird, so wird auch der Leser in seiner Selbstgewissheit erschüttert und mit einer fundamentalen Zivilisationskritik und Infragestellung der menschlichen Erdenexistenz konfrontiert Darin aber liegt das kritische Potential, über Veränderungen konstruktiv nachzudenken und für die eigenen alltäglichen Lebensbereiche neue, tragfähige Modelle des menschlichen Zusammenlebens zu entwickeln Umberto Eco aktualisiert mithin alte, aber stets neu zu stellende Fragen der Aufklärung nach dem Fortschritt der menschlichen Zivilisation und ermöglicht zugleich deren persönliche Zuspitzung auf die Lebenswelt heutiger Schülerinnen und Schüler im Spannungsfeld globaler gesellschaftlicher Herausforderungen Die Krise der Wahrnehmung des Protagonisten liest sich als Spiegel des Lernprozesses, den der Leser im interkulturell motivierten Wechsel der Perspektive mit ihm vollzieht Die Lernenden schlüpfen in die Rolle der «gnomi» und suchen nach Lösungen für komplexe Zukunftsfragen eines Planeten, der im Grunde der ihrige ist Der Bildungsprozess setzt ein, wo der Einzelne über das mensch- Die diversen Ansätze können auch im Rahmen einer WebQuest ermittelt und in der Lerngruppe weiterführend und insbesondere lösungsorientiert diskutiert werden Vgl dazu z .B Mattes 2011, S 158 f ., 260 f 39 Hochaktuelle Anregungen für den Unterricht bietet u .a Pfister 2020 40 [Voltaire] 1762, S 5 Italienisch_84.indb 119 13.11.20 09: 38 120 Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht Roland Ißler liche Dasein nachzudenken und die Stellung des Menschen im Universum, aber auch auf der Erde zu relativieren beginnt Mündige Schülerinnen und Schüler werden hier einen Gestaltungswillen entwickeln, der über die rein funktionale Sprachverwendung des Italienischen weit hinausgeht und zu dem die italienische Erzählung einen beachtlichen Impuls gegeben hat Abstract. Nella semplice veste di un racconto per bambini, il romanziere Umberto Eco (1932-2016) ha lasciato un breve racconto nello stile del conte philosophique con Gli Gnomi di Gnù (1988), che per vari motivi si presta ad un approccio interculturale nello studio dell’italiano A differenza di Micromégas, il visitatore terrestre di Voltaire proveniente dalla stella Sirio, nel racconto di Umberto Eco il protagonista è piuttosto un esploratore spaziale terrestre che scopre un pianeta sconosciuto Il suo ottimismo per il progresso e il suo senso della missione vengono gradualmente messi sempre più in discussione e, infine ed inaspettatamente, vengono contestati presupposti di base inizialmente incrollabili L’ideale e la realtà si invertono, e il tema della sostenibilità e dei problemi attuali quali la politica ambientale, la prevenzione dalle dipendenze e la burocrazia, portano a una critica radicale sulla civiltà e alla messa in discussione dell’esistenza umana sulla terra Umberto Eco ripropone così domande vecchie, ma sempre attuali dell’Illuminismo relative al progresso della civiltà umana e allo stesso tempo permette di portarle personalmente alla ribalta nella vita degli studenti di oggi nel campo delle sfide sociali globali La crisi di percezione del protagonista funziona come lo specchio del processo di apprendimento che il lettore affronta insieme a lui Il contributo mostra i modi per elaborare il potenziale didattico, ma soprattutto le potenzialità estetiche e interculturali della narrativa fantascientifica e per sviluppare gli impulsi dati da essa in modo creativo e orientato all’azione, al fine di stimolare i processi educativi con l’aiuto del testo utopico Summary. In the simple guise of a children’s story, the novelist Umberto Eco (1932-2016) left a short story in the style of the conte philosophique with Gli Gnomi di Gnù (1988), which for various reasons seems to be suitable for an intercultural approach to the study of Italian Unlike Micromégas, Voltaire’s terrestrial visitor from the star Sirius, the protagonist of Umberto Eco’s story is rather a terrestrial space explorer who discovers an unknown planet His optimism about progress and his sense of mission are gradually being questioned more and more and, finally and unexpectedly, unshakable basic assumptions are questioned Ideal and reality are reversed, and issues of sustainability and current problems, such as environmental policy, prevention of addiction and bureaucratism, lead to a fundamental critique of civi- Italienisch_84.indb 120 13.11.20 09: 38 121 Roland Ißler Umweltethik und Zivilisationskritik im interkulturellen Italienischunterricht lization and the questioning of human existence on earth Umberto Eco thus updates old, but still new questions of the Enlightenment about the progress of human civilization, and at the same time allows us to bring them to the forefront of the lives of today’s students in the field of global social challenges The crisis of perception of the protagonist functions as the mirror of the learning process the reader goes through together with him This essay shows ways to elaborate the didactic potential, but above all the aesthetic and intercultural potential of science fiction texts and to develop the impulses given by it in a creative and action-oriented way, in order to stimulate educational processes with the help of the utopian text Abbildungen Abb 1: «Tutti possiamo fare la differenza»: Eindrücke von der «quarta manifestazione contro i cambiamenti climatici» der Jugendbewegung «Fridays for Future Italia» am 29 November 2019 in Ancona - Foto: Klara Meissner Abb 2: «Salviamo il pianeta . . .»: Plakatbotschaften jugendlicher Demonstranten auf der «quarta manifestazione contro i cambiamenti climatici» von «Fridays for Future Italia» am 29 November 2019 in Ancona - Foto: Klara Meissner Bibliographie Primärliteratur Benni, Stefano: Terra! 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