eJournals Italienisch 42/84

Italienisch
ita
0171-4996
2941-0800
Narr Verlag Tübingen
10.2357/Ital-2020-0031
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2020
4284 Fesenmeier Föcking Krefeld Ott

Maria Lieber/Daniela Gianaroli (Hrsg.): Carteggi con Lazzari … Luzán, Firenze: Leo S. Olschki 2020 (Edizione Nazionale del Carteggio di L. A. Muratori Vol. 25), 508 Seiten, € 100,00

121
2020
Christoph Oliver Mayer
ita42840144
14 4 Buchbesprechungen Im weiteren Verlauf liefert der Autor noch einen Ausblick aufs Cinquecento und aufs Seicento, wo die ganze Problematik dann im höfischen Umfeld bei Castiglione (Il Cortegiano) und bei Torquato Accetto (Della dissimulazione onesta) neu gefasst wird Im Kapitel «Verso la nascita dell’individuo moderno Simulazione e dissimulazione nel Decameron» verbinden sich große Gelehrsamkeit und ein hochsensibler interpretatorischer Spürsinn Peter Ihring Maria Lieber/ Daniela Gianaroli (Hrsg.): Carteggi con Lazzari … Luzán, Firenze: Leo S. Olschki 2020 (Edizione Nazionale del Carteggio di L. A. Muratori Vol. 25), 508 Seiten, € 100,00 Das Centro di studi muratoriani, seit 1952 angesiedelt am Sterbeort von Lodovico Antonio Muratori (1672-1750) in Modena, gibt seit einigen Jahren in loser Reihenfolge den gesamten Briefwechsel des großen Protagonisten der italienischen Frühaufklärung heraus Dafür sind seit dem Jahr 1967, als das Projekt begonnen wurde, 46 Einzelbände und als Gliederungsprinzip die alphabetische Reihenfolge der Briefpartner vorgesehen Seit 1975 sind nunmehr 22 Bände bei Leo S Olschki in Florenz erschienen, wobei es sich um die Bände 1-4, 6-7, 10-11, 14, 16, 19-20, 25-26, 28, 32, 35, 40, 42, 44-46 handelt Eine Publikation aus dem Jahr 2008 (Federica Missere Fontana/ Roberta Turricchia (Hrsg .): Carteggio muratoriano: corrispondenti e bibliografia, coordinamento e introduzione di Fabio Marri, Bologna: Compositori 2008) informiert zudem über die Korrespondenten und liefert neben dem Register zur Reihe umfangreiche bibliographische Angaben zur älteren Muratori-Forschung Ein Ergänzungsband hierzu und der Band 8 sollen ebenfalls noch 2020 erscheinen In den mehr als 45 Jahren haben sich zahlreiche renommierte italienische Forscherinnen und Forscher für das Projekt engagiert, darunter u .a Matteo Al Kalak, Daniela Gianaroli, Fabio Marri, Barbara Papazzoni und Corrado Viola Mit dem 2020 erschienenen Band 25 ist nun erstmals mit der Dresdner Romanistin Maria Lieber, Direktorin des dortigen Italien-Zentrums, auch eine deutsche Wissenschaftlerin als Herausgeberin in Erscheinung getreten In Zusammenarbeit mit Daniela Gianaroli (Centro di Studi DOI 10. 23 57/ Ital-2020 - 0 0 31 Italienisch_84.indb 144 13.11.20 09: 38 14 5 Buchbesprechungen muratoriani, Modena) und unter Mitarbeit von Josephine Klingebeil und Chiara Maria Pedron (beide Technische Universität Dresden) sowie dank der Transkription zahlreicher Dresdner Studierender (u .a im Rahmen von Gastprofessuren von Massimo Zaggia von der Universität Bergamo, Adriana Paolini von der Universität Trento und Franco Pierno von der Universität Toronto) vereinen die 508 Seiten die Carteggi con Lazzari … Luzàn, wobei unter den hierin enthaltenen insgesamt 49 Korrespondenzen Briefpartner wie Liechtenstein, Lolli, Loredan, Lotti, Lucchesini, Lupi oder Lusignani auftauchen. Zu allen Korrespondenzautoren gibt es ausführliche Informationen zu Leben und Werk, inklusive der einschlägigen Forschungsliteratur, wobei der Fokus immer auf die Beziehung zu Lodovico Muratori und auf den Inhalten der Briefe liegt Der jetzt vorliegende Band zeigt eindrucksvoll, wie es zu der umfangreichen Korrespondenz Lodovico Muratoris gekommen ist Die intensiven Quellenstudien, mit denen er in Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Bibliothekar für den Herzog von Modena bis heute Impulse für die Geschichtswissenschaft wie die Sprachgeschichte liefert, sowie seine eigene Absicht, einen italienischen Literatenbund ins Leben zu rufen, führten zu einer Schriftensammlung von bemerkenswertem Umfang Augenfällig wird das gerade im Band 25, der den besonders komplexen Briefwechsel mit Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) beinhaltet Aufgrund seines Umfangs und der inhaltlichen Dimension titulieren die Herausgeberinnen die Korrespondenz Muratori-Leibniz nicht zu Unrecht als «la sfida più grande» («Premessa», S 5) Aber auch andere interessante Briefpartner sind im vorliegenden Band aufgenommen: Anfragen epigraphischer Natur richtete Michele Lazzari an Muratori; auf der Suche nach kritischen Textausgaben seiner Werke sowie nach Bibeleditionen wandten sich Domenico Lazzarini, Arcangiolo Leanti und Guillaume Léziart du Terre an ihn Poetologische Aspekte wurden vor allem mit Francesco Lemene aus Lodi, mit der Genueserin Maria Elena Lusignani und mit dem spanischen Dichter Ignazio de Luzán diskutiert, philologische Fragen erörterte Muratori in seinem Briefwechsel mit Vincenzo Leonio, in Religionsfragen kontaktierte ihn vor allem Giuseppe Livizzani aufgrund des Häresieverdachts, unter den einige seiner Bücher in Rom geraten waren Mit 121 Briefen ist es die umfangreichste Korrespondenz des ganzen Carteggio Celestino Lorefici besorgte ihm Informationen zu seinen Werken aus mehreren norditalienischen Klosterbibliotheken Neben Leibniz fällt ein weiterer deutscher Briefwechsel besonders ins Auge, nämlich der mit Christian Sigismund Liebe (1687-1736), der sich am 5 Dezember 1731 an Muratori mit der Bitte um Auskünfte für eine Biographie des Kaisers Rudolf von Habsburg wandte, wobei Johann August, Prinz von Sachsen-Gotha-Altenburg, als Vermittler fungierte Italienisch_84.indb 145 13.11.20 09: 38 14 6 Buchbesprechungen Im Vorfeld der schließlich 1717 und 1740 in zwei Bänden in Modena veröffentlichten Genealogie der Este, der Antichità estensi ed italiane, hatte Muratori Kontakt mit Leibniz, seines Zeichens damals Archivar am Hof von Hannover, Verwandten der Familie Este, aufgenommen und ihm seine Ausführungen über die Hannoveraner zur Begutachtung zugeschickt Dabei ging es auch um den politischen Streit um Comacchio, auf das beide, vermeintlich in verwandtschaftlichen Verhältnissen stehenden Herrscherhäuser ihre älteren Anrechte sichern wollten Die auf mehr als 120 Seiten abgedruckte Korrespondenz (S 42-163) nimmt also ihren Ausgang aus einem offiziellen institutionellen Kontext, wächst sich aber zu einem Briefwechsel zweier umfassend interessierter Aufklärer aus Während von Leibniz, der auch in der vorliegenden Publikation als uomo universale tituliert wird, mehr als 20 .000 Briefe vorliegen (eine Herausgabe erfolgt sukzessive seit 1923 durch die Akademie der Wissenschaften), die er mit mehr als 1 .000 Korrespondenzpartnern ausgetauscht hatte (u .a Huygens, Pufendorf, Hobbes, Spinoza) und die mittlerweile seit 2007 zum UNESCO- Weltdokumentenerbe erklärt wurden, erfahren wir in diesen Briefen jedoch von seiner Tätigkeit am kurfürstlichen Hof von Hannover gar nicht viel, nur vielleicht durch Johann Friedrich Hodann Die Briefe an Muratori nehmen daher diesbezüglich eine wichtige Rolle ein, hatten sich die beiden Gelehrten doch v .a zu genealogischen Fragen (der Häuser Braunschweig-Lüneburg bzw Este), zur aktuellen Politik (zu Comacchio und Ferrara) und zu Problemen der Quellenkunde, also hinsichtlich ihrer spezifischen Tätigkeit im Archiv- und Bibliothekswesen, ausgetauscht Leibniz hielt sich zur Zeit der Korrespondenz, zwischen 1708 und 1716, also kurz bis vor seinem Tod, in Hannover und Berlin auf und äußert sich in den Briefen an Muratori verhältnismäßig ausführlich zu seiner Tätigkeit am Hofe des Kurfürsten Persönlich begegnet sind sich Leibniz und Muratori jedoch wohl nie, auch wenn sie sich am Ende als «amico stimatissimo» betitelten Die Initiative zum tatsächlichen schriftlichen Austausch ging anscheinend von Muratori aus, der ursprüngliche Anstoß muss aber wohl, vermittelt über einen Botschafter, von Leibniz gekommen sein, der just 1709 von einem Werk mit dem Titel Vindiciae Estenses (Brief vom 16 .2 .1709 aus Berlin) spricht, welches das Ergebnis des gemeinsamen Austausches sein könnte Die (40) Briefe von Leibniz sind allesamt auf Französisch, die (38) von Muratori ausschließlich in Italienisch verfasst, abgesehen von einigen lateinischen Werkanhängen Kein Korrespondenzpartner aus dem Ausland hat schließlich so viele Briefe mit Muratori gewechselt wie Leibniz, womit dieser Briefwechsel, der bereits 1892 von Matteo Campori herausgegeben wurde (Corrispondenza tra L.A. Muratori e G.G. Leibniz, Modena 1892), zweifelsohne eine Sonderstellung einnimmt . Italienisch_84.indb 146 13.11.20 09: 38 147 Buchbesprechungen Inhaltlich gesehen ist der Briefwechsel auch für den Außenstehenden ein hochinteressantes Beispiel für einen kulturellen Austausch der besonderen Art: Leibniz wollte die vorgesehene Publikation zum gemeinsamen Ursprung der Häuser Braunschweig-Lüneburg und Este hinauszögern, weil er sich über vertiefte Recherchen in den Archiven weitere Klärung erhoffte Seine Veröffentlichung erfolgte erst viel später postum Muratori jedoch überstürzte die Veröffentlichung seines Teils (1717), weil er befürchtete, dass Leibniz von seiner Arbeit in den Archiven profitieren wolle In der Tat beschuldigte der Modeneser sogar einen Mitarbeiter von Leibniz, Originaldokumente aus dem Archiv von Vangadizza gestohlen zu haben Das Besondere an diesem deutsch-italienischen Projekt liegt aber in der Verbindung aus philologisch konziser Manuskriptforschung und einer kulturgeschichtlichen Aufarbeitung der veröffentlichten Quellentexte, die nicht nur der Muratori-Forschung zugutekommen Ohne die Pionierleistungen der Editionen des 19 und 20 Jahrhunderts zu schmälern, gelingt es der Publikation auch durch die grafisch einladende Gestaltung doch, neue Lust an der Beschäftigung mit diesen Briefen zu wecken . Christoph Oliver Mayer Italienisch_84.indb 147 13.11.20 09: 38