eJournals PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL 32/1

PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL
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2941-0878
2941-0886
UVK Verlag Tübingen
10.2357/PM-2021-0012
31
2021
321 GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V.

Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas

31
2021
Tobias Seidl
Ein gutes Gruppenklima ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit in synchronen digitalen Settings (wie etwa Onlineworkshops oder Zoom-Meetings). Im Beitrag wird aus theoretischer Perspektive beleuchtet, warum eine Investition in Kennenlernen und den Aufbau sozialer Beziehungen zwischen den Teilnehmenden wichtig ist. Zudem wird ein Methodenset vorgestellt, dass Moderierenden Handwerkszeug an die Hand gibt, um erfolgreich mit Gruppen im digitalen Raum zu arbeiten.
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Digitale Kollaborationsfähigkeiten entwickeln Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas Tobias Seidl Für eilige Leser | Ein gutes Gruppenklima ist eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Zusammenarbeit in synchronen digitalen Settings (wie etwa Onlineworkshops oder Zoom-Meetings). Im Beitrag wird aus theoretischer Perspektive beleuchtet, warum eine Investition in Kennenlernen und den Aufbau sozialer Beziehungen zwischen den Teilnehmenden wichtig ist. Zudem wird ein Methodenset vorgestellt, dass Moderierenden Handwerkszeug an die Hand gibt, um erfolgreich mit Gruppen im digitalen Raum zu arbeiten. Schlagwörter | Besprechungen, Kollaboration, digitales Arbeiten, Gruppenklima, Teamarbeit Einleitung Corona hat unseren Arbeitsalltag tiefgreifend verändert: Homeoffice und Distancelearning sind zu alltäglichen Arbeitsmodi geworden und Dienstreisen werden vermehrt durch virtuelle Treffen ersetzt. Dies bringt mit sich, dass der Arbeitsalltag stark durch die Teilnahme an synchronen virtuellen Settings geprägt ist. Digitale Meetingtools wie Zoom, Webex oder Microsoft Teams erleichtern auf der einen Seite Kommunikation in diesen schwierigen Zeiten, stellen uns aber auch vor neue Herausforderungen, wie ausgeschaltete Kameras oder mangelnde Bereitschaft der Teilnehmenden zur Interaktion. Verschiedene, sich aus dem digitalen Setting ergebende Gründe machen das Einlassen auf diese Form der Kollaboration oft schwierig: informelle Kontaktmöglichkeiten vor und in den Meetings fehlen, nonverbaler Hinweise wie Mimik, Stimmlage oder Körpersprache sind oft nur unzureichend wahrnehmbar und das Alleinsein im physischen Raum sorgt für weniger soziale Kontrolle als üblich. Diese Faktoren tragen dazu bei, dass es für den Moderierenden sehr herausfordernd ist ein gutes Gruppenklima in digitalen Meetings zu etablieren. Dieses gute Klima ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für gelingende Zusammenarbeit und gelingendes Lernen, denn Menschen lernen und arbeiten dann gut zusammen, wenn sie in Kontakt kommen, Gemeinschaft erleben und zusammen positive Erfahrungen sammeln können. Für Präsenzsettings verfügen die meisten Moderierenden über ein breites (bewusst oder unbewusst eingesetztes) Instrumentarium, das dazu beiträgt, ein positives Gruppenklima zu schaffen. Das sind oft kleine Interventionen, um sich aufeinander einzustimmen, sich kennenzulernen und die Stimmung zu lockern. Diese Methoden lassen sich jedoch oft nur begrenzt in den digitalen Raum übertragen. Zur Unterstützung bei der Bewältigung dieser methodischen Herausforderung hat der Autor in Kooperation mit dem Hochschulforum Digitalisierung ein Methodenset mit Übungen entwickelt, die helfen, im digitalen Raum in Kontakt zu kommen, Vertrauen aufzubauen und sich gegenseitig kennenzulernen. Die im Set enthaltenen Vertrauens- und Take-A-Break-Karten eignen sich für Online-Meetings, -Lehrveranstaltungen und -Workshops und sind frei verfügbar. Im Beitrag wird zunächst aus theoretischer Sicht beschrieben, warum ein gutes Gruppenklima wichtig ist. Darauf aufbauend wird das Methodenset vorgestellt. Warum ein gutes Gruppenklima wichtig ist Wenn Menschen in neuen sozialen Situationen, wie etwa einer digitalen Besprechung, ankommen, haben sie das Bedürfnis, die Menschen, das Setting und die im Mittelpunkt Wissen Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas DOI 10.2357/ PM-2021-0012 32. Jahrgang · 01/ 2021 55 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0012 stehenden Themen näher kennenzulernen und eigene Unklarheiten und Unsicherheiten aufzulösen. Modellhaft können beim analytischen Blick auf diese Situation der/ die Einzelne, die Gruppe (verstanden als die Interaktion der Einzelnen) sowie der Inhalt/ die Aufgabe unterschieden werden (vgl. dazu das Modell der Themenzentrierten Interaktion [1]). Vergegenwärtigt man sich eine typische Anfangssituation, gibt es Unsicherheiten in Bezug auf • die anderen Teilnehmenden (z. B.: Wer ist das? Welche Interessen und Bedürfnisse haben sie? Wo gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu oder mit mir? Wie sind sie mir gegenüber eingestellt? ) • die Leitung/ die Moderation (z. B.: Welche Erwartungen mir gegenüber sind vorhanden? Wie ist er/ sie mir gegenüber eingestellt? ) • und die Aufgabe (z. B.: Was habe ich konkret zu tun? Bin ich dazu in der Lage? Deckt sich das mit meinen Erwartungen und der eigenen Motivation? ). Als Folge dieser Unsicherheiten kann man zu Beginn von Gruppensettings oft eine Vereinzelung der Teilnehmenden, ein abwartendes Verhalten sowie einen eher sachlichen und unpersönlichen Kommunikationsstil beobachten (vgl. dazu [2]). Diese Unsicherheiten werden in Präsenzveranstaltungen in der Regel durch ein Zusammenspiel von informellen und formellen Prozessen und Interventionen aufgelöst. Zu den informellen Prozessen gehören etwa Pausen- und Flurgespräche, zu den formellen Prozessen und Interventionen etwa Kennenlernrunden unter den Teilnehmenden oder das Vorstellen der Besprechungsziele. In digitalen Settings stellen sich hier nun besondere Herausforderungen: • Die genutzten Tools sind für informelle Prozesse, wie etwa die Flurgespräche vor Beginn oder den Smalltalk an der Kaffeemaschine nicht oder nur bedingt geeignet. • Durch die räumliche Distanz sowie fehlende Wahrnehmungskanäle sind die Unsicherheiten gegenüber den anderen Teilnehmenden noch größer. Umso mehr ist der/ die Moderierende methodisch gefragt diese Unsicherheiten aufzulösen. Nur so kann die Arbeitsfähigkeit der Gruppe hergestellt werden. Dass der/ die Moderierende die Gruppe in synchronen digitalen Settings auf verschiedenen Ebenen arbeitsfähig machen muss, betont auch die Forschung zum Thema eModeration. Bereits im Jahr 2000 legte Gilly Salmon dazu ihr 5-Stufen- Modell von eModeration vor [3]. Ihr Modell beschreibt das Zusammenspiel von technischem Support und didaktischen/ sozialen Interventionen, für das der ‚eModerator‘ verantwortlich ist. In fünf aufeinander aufbauenden Stufen im Arbeitsprozess muss der/ die Moderierende sowohl im didaktischen Bereich als auch im technischen Bereich Hilfestellung geben (vgl. Tabelle 1). Die oben skizzierten Fragen bzw. Unsicherheiten der Teilnehmenden zu Beginn einer digitalen Besprechung machen deutlich, worauf es beim „Begrüßen“, „Ermutigen“ und „Kennenlernen und in Kontakt kommen“ ankommt. Auch wenn man die Teilnehmergruppe in ihrer Gesamtheit in den Fokus nimmt, wird aus verschiedenen (theoretischen) Perspektiven deutlich, warum sich eine Investition in das Fördern sozialer Beziehungen lohnt. So betont etwa das Teamphasenmodell nach Bruce Tuckmann, dass das gute Ankommen in der Gruppe eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung von einer Gruppe hin zum Team ist. Empirisch ist die Bedeutung des Gruppenklimas auch für den Bereich der Hochschullehre belegt. Gerhard et al. haben 2015 einen Überblick über den Forschungsstand zu gelingendem Lehren und Lernen in Vorlesungen an Hochschulen vorgelegt [4]. Dabei wurde deutlich, dass sich ein gutes Gruppenklima positiv auf Effektivität von Lehr-/ Lernprozessen und die Teilnahmequote auswirkt [4, S. 19]. Insbesondere konnten folgende Einflussgrößen identifiziert werden: • gute Beziehung zwischen dem/ der Lehrenden und den Studierenden • freundlicher und ernstnehmender Umgang mit den Studierenden • gute Atmosphäre im Hörsaal • Offenheit des Lehrenden für Fragen und abweichende Meinungen. Zudem konnte gezeigt werden, dass sich in vielen unterschiedlichen Fachkontexten interaktive Elemente wie etwa Partnerarbeit, Diskussion oder Fragen positiv auf die Effektivität von Lehr-/ Lernprozessen auswirken [4, S. 21]. Diese empirische Perspektive zeigt auch, dass nicht nur die Beziehungen zwischen den Teilnehmenden eine wichtige Rolle im Lernprozess spielen, sondern auch die Beziehung zwischen Teilnehmenden und dem/ der Leitenden. Dies betont auch Jahnke, die die Bedeutung von sozialen Rollen und Beziehungen im Lernprozess unterstreicht: „ein balanciertes-[…] didaktisches Stufe im Modell Didaktische/ soziale Herausforderung Technische Herausforderungen 1 Zugang und Motivation Begrüßen und ermutigen System einrichten und Zugang schaffen 2 Online Sozialisation Kennenlernen und in Kontakt kommen ermöglichen; Brücken zwischen unterschiedlichen sozialen und kulturellen Lernumgebungen bauen Beiträge senden und empfangen 3 Informationsaustausch Bei der Durchführung von Aufgaben und der Nutzung von Materialien unterstützen Informationen suchen und Software personalisieren 4 Wissenskonstruktion Prozesse ermöglichen und begleiten Onlineaustausch und -diskussion 5 Entwicklung Unterstützen und nach Bedarf reagieren Verbindungen nach außerhalb des geschlossenen Lernsystems herstellen Tabelle 1: 5 Stufen Modell von eModeration (eigene Übersetzung) Wissen | Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas 56 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0012 Abbildung 1: Vertrauenskarte Web-Safari (Tobias Seidl, Lara Kolbert; Hochschulforum Digitalisierung; bearbeitet von Nele Hirsch; CC-BY) Abbildung 2: Take-A- Break-Karte Buchstabensalat (Tobias Seidl, Lara Kolbert; Hochschulforum Digitalisierung; CC-BY) www.bit.ly/ 2SPCBmV Wissen | Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas 57 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0012 Design umfasst auch das Design der sozialen Beziehungen, die Gestaltung der Interaktion der Studierenden untereinander und ein Interaktionsdesign zwischen Lehrenden und Lernenden, welche die Dynamiken sozialer Rollen berücksichtigt.“ [5, S. 17f] Es zeigt sich also, dass ein gutes Gruppenklima wichtige Voraussetzung für erfolgreiche gemeinsame Arbeit ist. Dies gilt für den analogen ebenso wie für den digitalen Raum. Das im Folgenden vorgestellte Methodenset gibt Anregungen, welche Interventionen in synchronen digitalen Settings genutzt werden können, um die Entwicklung eines guten Gruppenklimas zu unterstützen. Das Methodenset Das Methodenset besteht aus insgesamt achtundzwanzig Vertrauens- und Take-A-Break-Karten. Vertrauenskarten dienen dazu, sich gegenseitig besser kennenzulernen und im digitalen Raum als Team zusammenzufinden. Die Take-A-Break- Karten helfen bei der kreativen Pausengestaltung, um neue Energie zu bekommen und sich informell besser kennenzulernen. Viele Karten können einfach und spontan in einem Meeting angewendet werden. Andere Karten brauchen vor dem Meeting eine kurze Vorbereitung durch den/ die Moderierenden. Auf den Karten ist jeweils die Personenanzahl, der Fokus der Methode sowie evtl. benötigtes Material oder Vorbereitungen vermerkt. Bei großen Gruppen lohnt es sich gegebenenfalls Kleingruppen über Break-Out-Rooms o. ä. zu bilden, um die Interventionen zielführend einsetzen zu können. Das Methoden-Set steht kostenlos auf den Seiten des Hochschulforum Digitalisierung zur Verfügung und kann unter einer cc-Lizenz verwendet werden. Sie finden das Methoden-Set außerdem auf der Webseite der PROJEKTMANAGEMENT AK- TUELL unter: https: / / elibrary.projektmanagement.digital/ site/ news. Abbildung 1 und 2 zeigen exemplarisch jeweils eine Methode aus der Kategorie der Vertrauens- und Take-A-Break- Karten. Es lohnt sich, die Methoden zunächst in einem kleinen, vertrauten Rahmen auszuprobieren, um als Moderator/ in Sicherheit bei der Instruktion und Durchführung zu bekommen. Je nach Gruppe kann es sich auch lohnen, den theoretischen Hintergrund des Einsatzes der Karten zu erläutern. Dies schafft Verständnis und Einsicht bei den Teilnehmenden und kann motivierend wirken, sich auf neue Methoden und Arbeitsweisen einzulassen. Fazit Die Coronakrise führt im Arbeits- und Privatleben zu einer Vielzahl neuer Herausforderungen. Der erzwungene Sprung ins Digitale in verschiedensten Lebensbereichen ist sicherlich eine dieser Herausforderungen. Die vielen Stunden, in denen wir uns in digitalen Besprechungen oder virtuellen Lehrveranstaltungen befinden, sind Bürde und Chance gleichermaßen. Die Chance besteht u. a. darin, individuell professionelle digitale Kollaborationsfähigkeiten entwickeln zu können. Der zielgerichtete und erfolgreiche Einsatz von Interventionen zur Förderung eines guten Gruppenklimas ist davon ein wichtiger Teil. Literatur [1] Steiger, Thomas: Gruppenarbeiten nach den Regeln der Themenzentrierten Interaktion (TZI). In: Steiger, Thomas/ Lippmann, Eric (Hrsg.): Handbuch angewandte Führung. 4. Aufl. Springer, Heidelberg 2013, S. 397-403. [2] Burkhard, Judith/ Schneider-Landolf, Mina: TZI- - Phasenmodelle und ihr Nutzen für die Teamentwicklung. In: Themenzentrierte Interaktion 1/ 2009, S. 71-84 [3] Salmon, Gilly: E-moderating: The key to teaching and learning online. Kogan Page, London 2000. [4] Gerhard, David/ Heidkamp, Paula/ Spinner, Alexandra/ Sommer, Bianca/ Sprick, Anika/ Simonsmeier, Bianca A./ Schneider, Michael: Vorlesung. In: Schneider, Michael/ Mustafic, Maida (Hrsg.): Gute Hochschullehre: Eine evidenzbasierte Orientierungshilfe. Springer, Heidelberg 2015, S. 13-28. [5] Jahnke, Isa: Hochschuldidaktik 2.0? Digitale didaktische Designs für kollaboratives und kreatives Lehren und Lernen. In: Kompetenzzentrum der Universität Siegen (Hrsg.): Kommunikation und Kollaboration- - Methoden und Chancen für die Lehre. Universitätsverlag, Siegen, S. 7-54. Eingangsabbildung: © iStock.com/ nensuria Prof. Dr. Tobias Seidl Prof. Dr. Tobias Seidl ist Professor für Schlüssel- und Selbstkompetenzen an der Hochschule der Medien Stuttgart. Zu seinen Lehr- und Forschungsschwerpunkten gehören Kreativität und Innovation, Führung, Hochschuldidaktik und PE/ OE an Hochschulen. Hochschule der Medien, Nobelstr. 10, 70 569 Stuttgart Telefon: 0711/ 8923 - 2735 eMail: seidl@hdm-stuttgart.de Wissen | Methoden zur Förderung eines guten Gruppenklimas 58 PROJEKTMANAGEMENT AKTUELL · 32. Jahrgang · 01/ 2021 DOI 10.2357/ PM-2021-0012