eJournals Vox Romanica 76/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
10.2357/VOX-2017-005
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2017
761 Kristol De Stefani

Miei cari Christiagn! Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert – ein bisher unbekanntes Beispiel frühen religiösen Schrifttums auf Ladinisch

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2017
Paul  Videsott
Philipp  Tolloi
vox7610097
Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Miei cari Christiagn! Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert - ein bisher unbekanntes Beispiel frühen religiösen Schrifttums auf Ladinisch Historische Einordnung und linguistische Beschreibung 1 Paul Videsott/ Philipp Tolloi (Bozen) Riassunto: Nel XIX secolo, la produzione di testi scritti in ladino inizia ad aumentare lentamente, ma in modo costante. Una buona panoramica di questo processo è fornita dai due strumenti di ricerca pertinenti più recenti, la Geschichte der ladinischen Literatur (B ernardi / V idesott 2014) e la Bibliografia Ladina, vol. 1 (V idesott / B ernardi / M arcocci 2014). Una storia della letteratura resta però un work in progress in tutte le lingue viventi, e soprattutto in una lingua minoritaria come il ladino. Questo è dimostrato dalle scoperte recenti di testi ladini precedentemente sconosciuti fatte nell’ambito di un ampio progetto di catalogazione e ordinamento sistematico degli archivi ecclesiastici nelle vallate ladine dell’Alto Adige/ Sudtirolo. Nel presente articolo si presenta una di queste scoperte recenti: un corpus di lettere pastorali tradotte in ladino della metà del XIX secolo (1845-1861). Questi testi non contribuiscono a modificare le cronologie finora note sull’uso scritto del ladino; sono invece utilissimi per esplorare lo sviluppo «interno» di tale uso in un’epoca che è caratterizzata dall’(auto)scoperta del ladino e della ladinità. Il corpus è, da un lato, situato nel suo contesto storico e, dall’altro, analizzato dal punto di vista linguistico. L’autore delle traduzioni in ladino, il decano della Val Badia Ojöp Antone/ Josef Anton Verginer (1803-1861), dimostra di essere integrato - agli albori del Kulturkampf - in una rete di comunicazione transnazionale persino dall’allora remota Val Badia, inoltre le traduzioni mostrano la sua intenzione di rendere più praticabile la koinè ladina proposta da Micurà de Rü/ Nikolaus Bacher (1833) mediante una radicale semplificazione dell’ortografia. Keywords: Dolomites Ladin, 19th century, Written language, Ecclesiastical language, Historical classification, Kulturkampf 1 Der vorliegende Artikel wurde von beiden Autoren gemeinschaftlich konzipiert und redigiert; die endgültige Verantwortung obliegt jedoch Paul Videsott für die Kapitel 2, 4 und 6, Philipp Tolloi für die Kapitel 1, 3, 5 und 7. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 98 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 1. Archivforschung und Sprachdokumentation am Beispiel des Ladinischen Im 19. Jahrhundert beginnt die Anzahl ladinischsprachiger Schriftzeugnisse 2 langsam, aber stetig anzusteigen. Wie die einschlägigen Forschungsinstrumente zeigen 3 , fallen die spärlich gesäten älteren Texte (17.-18. Jahrhundert) noch vorwiegend in den Bereich des Verwaltungsschriftgutes, während nun auch solche verfasst werden, die den klassischen Literaturgattungen zuzurechnen sind. Dabei nehmen bis weit in das 20. Jahrhundert hinein die Themenkreise «Glaube und Religion» eindeutig eine Vorrangstellung ein. Dass aber die Literaturgeschichtsschreibung in allen lebenden Sprachen, und insbesondere in einer Kleinsprache wie dem Dolomitenladinischen, immer ein work in progress bleibt, zeigen wiederholt Neuentdeckungen von bisher unbekannten oder unbeachteten Texten, wie sie letzthin in Ladinien vor allem durch eine akribische Durchforstung der Archive und Bibliotheken möglich wurden. So kamen im Zuge der Erschließungsarbeiten in den Pfarrarchiven der Val Badia/ Gadertal (2010-2014 4 ) neben etlichen Sensationsfunden 5 auch einige Faszikel mit ladinischen Übersetzungen von bischöflichen Hirtenbriefen aus dem 19. Jahrhundert im Pfarrarchiv von La Pli/ Enneberg zum Vorschein, die der Fachliteratur bisher gänzlich unbekannt waren. In quellenmäßiger Hinsicht zeigt dieses Beispiel damit einmal mehr, dass auch in oft wenig beachteten Kleinarchiven, wie es Pfarrarchive zweifelsohne sind, durchaus Überlieferung zu finden ist, die nicht nur für lokal- und mikrogeschichtliche Studien interessant, sondern von übergeordneter, auch fächerübergreifender Bedeutung ist. Letzteres trifft auch auf die hier anzuzeigenden Hirtenbriefe zu, die in ihrer Art wohl einmalig sind; zumindest wurde bisher in keinem anderen Pfarrarchiv Ladiniens Ähn- 2 Unter «ladinischsprachige Schriftzeugnisse» verstehen wir hier, wie in anderen unserer Publikationen, die einschlägige Schriftproduktion aus der sog. «brixnerisch-tirolerischen Ladinia», d.h. aus den fünf Talschaften Val Badia/ Gadertal, Gherdëina/ Gröden, Fascia/ Fassa, Fodom/ Buchenstein und Anpezo/ Ampezzo. Diese fünf Täler weisen in der schriftlichen Verwendung des Ladinischen ein gemeinsames sozio-kulturelles Substrat auf, das sich deutlich von jenem der anschließenden, jenseits der ehemaligen österreichischen Grenze liegenden Täler des Cadore und des Agordino unterscheidet (cf. dazu B ernardi / V idesott 2014: 23-25 sowie s alVi 2015: 204). 3 Cf. insbesondere V idesott / B ernardi / M arcocci 2014, B ernardi / V idesott 2014 sowie das Corpus dl ladin leterar/ Corpus des literarischen Ladinischen (vll.ladintal.it; cf. V idesott 2017). 4 Für eine Beschreibung des vom Südtiroler Landesarchiv und von der Diözese Bozen-Brixen initiierten Projekts «Pfarrarchive: Ordnen und Inventarisieren» cf. t olloi / M ischí / V idesott 2014: 251-55. 5 Cf. z.B. V idesott / B ernardi 2013 (administrative Übersetzung ins Ladinische aus dem Jahr 1811); t olloi / M ischí / V idesott 2014 (halbladinische Urkunde aus dem Jahr 1532); t olloi 2017a (Neufund zur «Christophorus»-Verslegende B), t olloi 2017b (Fragment des «Somniale Joseph»/ Gruppe 3). Cf. auch zu Funden außerhalb Ladiniens V idesott 2013 (grödnerische Grammatik von 1806 ca.) und V idesott 2011 (rätoromanische Bestände in der Jagellonen-Bibliothek in Krakau). Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 99 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 liches zu Tage gefördert 6 . Sie tragen zwar nicht zu neuen Erkenntnissen über das ladinische Schrifttum an seinen zeitlichen Außengrenzen bei 7 , sondern vielmehr zur Erforschung der Entwicklung im «Inneren», in einer Phase, die geprägt ist von der (Selbst-)Entdeckung des Ladinischen und des Ladinertums. 2. Das Ladinische als Kirchensprache im 19. Jahrhundert Über die Verwendung des Ladinischen als Kirchensprache im 19. Jahrhundert gibt es eine ganze Reihe von punktuellen Hinweisen, insbesondere was die Praxis im Gadertal betrifft 8 ; eine historiographische wie linguistische Gesamtdarstellung unter Berücksichtigung aller fünf ladinischen Täler bleibt aber ein wissenschaftliches Desideratum 9 . 6 Der peripheren Lage und dem vergleichsweise geringen Interesse, das solchen scheinbar unbedeutenden Archiven zuweilen entgegengebracht wird, ist es indes aber auch zu verdanken, dass derartige Funde immer noch gemacht werden können, obschon man eigentlich anzunehmen geneigt war, dass nach der Verzeichnungskampagne von Oswald Redlich und Emil von Ottenthal, niedergelegt in den «Archiv-Berichten aus Tirol» (o ttenthal / r edlich 1888-1912), und den Archivbereisungen von diversen Tiroler Landeshistorikern wie etwa Justinian Ladurner (1808-74) diese Archive nichts mehr Neues zu bieten hätten (cf. t olloi 2017c). 7 Generell konnte aber in den letzten drei Jahrzehnten festgestellt werden, dass die Anfänge der ersten ladinisch-volkssprachlichen Schriftdenkmäler zunehmend nach hinten verschoben werden müssen und Behauptungen, wie jene von Otto s tolz 1934: 283, dass die ladinische Sprache zum schriftlichen Gebrauch fast gar nicht verwendet worden wäre oder jene von Carlo t agliaVini 1972: 514 (unverändert wiedergegeben noch in t agliaVini 1998: 399-400), dass es kaum ein älteres ladinisches literarisches Schrifttum gäbe, obsolet geworden sind. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Verschiebung fortschreitet, falls weitere archivalische Funde gemacht werden. Der derzeit älteste materiell vorliegende ladinische Text ist das «Proclama per la sagra di S. Zuane» von 1631 (Nr. 125 in V idesott / B ernardi / M arcocci 2014; mittlerweile aufbewahrt im Südtiroler Landesarchiv, Familienarchiv Wolkenstein-Trostburg, Akten, Nr. 1257). Dass das Ladinische aber bereits früher verwendet wurde, zeigt der bisher unbeachtet gebliebene Eintrag zu einer 15. Juni 1579 datierten Urkunde aus Fodom/ Buchenstein in o ttenthal / r edlich 1903: 334: «Jacobo de Ruaz, Vicar von Livinallongo, stellt auf von den Parteien erhaltene Vollmacht hin die Bedingungen fest, unter welchen sich die Zechen oder Nachbarschaften Ornella, Corte und Contrugno über Waldnutzung und Einhaltung der Gemeindestraße vergleichen. Or[iginal] P[ergament] S[iegel] fehlt (im Dialect des Thales geschrieben).» (unsere Hervorhebung; unter «Dialect des Thales» kann wohl nur Fodom/ Buchensteinisch, evt. vermischt mit Venezianisch, gemeint sein). Leider ist das Gemeindearchiv von Fodom/ Buchenstein während des Ersten Weltkriegs vollständig zerstört worden, sodass die Angabe bis zum Auffinden von eventuellen Abschriften nicht ausgewertet werden kann. 8 Cf. insbesondere c raffonara 1990: 184-85, 1995: 299-300, 1996: 157-60 (vor allem N41), B acher 1995: 24, 66 (vor allem N12 und 101), M ischí 2004: 66-70 und die dort zitierten zeitgenössischen Aussagen von Joseph Th. Haller [1831], Micurá de Rü/ Nikolaus Bacher [1833], Th. Gartner [1882], J. M. Declara [1884] etc. 9 Cf. aber als ersten überblicksartigen Ansatz r uBatscher 2014. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 100 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Grundsätzlich reichen aber die vorhandenen Informationen, um die Behauptung, in dieser Zeit sei neben dem Lateinischen das Italienische die einzige Kirchensprache in Ladinien gewesen, endgültig zu widerlegen. Vielmehr wurde in der Heilsverkündigung bis in die 1870er Jahre im Gadertal und Gröden 10 auch das Ladinische eingesetzt. Davon zeugen u.a. die zahlreichen ladinischen Predigtkonzepte aus dem 19. Jahrhundert, die in den Gadertaler Pfarrarchiven verwahrt werden 11 . Diese Praxis war aber nicht nur auf die Predigt, die letztlich im (sprachlichen wie inhaltlichen) Verantwortungsbereich des lokalen Seelsorgers lag, beschränkt, sondern kam auch bei offizielleren Anlässen vor. Ein solcher «offiziellerer» Anlass war, wie das hier erstmals vorgestellte Textkorpus zeigt, die Bekanntmachung der bischöflichen Hirtenbriefe. Hirtenbrief (Synonym für Pastorale) wird definiert als eine Sonderform der bischöflichen Verkündigung (cf. M enozzi 1986, l eitgöB 2004, s chöttler 2009). Historisch steht er in der Tradition der Apostelbriefe und Gemeindeschreiben der nachapostolischen Zeit. Seine Bedeutung lag in der Möglichkeit der unverfälschten, weil schriftlich fixierten Kontaktaufnahme zwischen Hirte und Herde über größere räumliche Distanzen hinweg; er ist somit «Ersatz für die Anwesenheit des Bischofs vor Ort» (cf. l eitgöB 2004: 37). Seine Rezeptionsgeschichte ist allerdings von zahlreichen Diskontinuitäten geprägt. Erst in nachtridentinischer Zeit gewinnt er, da besonders durch den hl. Karl Borromäus (1538-84) promoviert, an Permanenz, um seit dem 18./ 19. Jahrhundert, zunächst bei Eintritt eines neuen Ordinarius oder als Fastenpatent und schließlich in Funktion religiöser Unterweisung sowie bei Stellungnahmen zu wichtigen ethischen, pastoralen und gesellschaftspolitischen Fragen ein regelmäßig gebrauchtes bischöfliches Kommunikationsmittel zu werden. In der Diözese Brixen nutzte ab 1857 Fürstbischof Vinzenz Gasser massiv das Medium Hirtenbrief (ab diesem Zeitpunkt werden sie auch im neu gegründeten «Brixner Diözesanblatt» abgedruckt), auch und ganz besonders um politische Überzeugungen zu kommunizieren. Heutzutage gehört es zur guten Praxis der Bischöfe von Bozen-Brixen, die Gleichwertigkeit aller drei Sprachgruppen ihrer Diözese durch die gelegentliche Verwendung auch des Ladinischen zu unterstreichen. Im 19. Jahrhundert stellte sich aber die sprachliche Situation der Diözese Brixen deutlich anders dar. Insofern ist es bemerkenswert, dass bereits Mitte des 19. Jahrhunderts bischöfliche Pastorale ins Ladinische übersetzt und dabei - wegen der Komplexität der Texte, die eine ad hoc-Übersetzung un- 10 Das Fassatal war hingegen bereits 1818 von der Diözese Brixen abgetrennt und der Diözese Trient zugeteilt worden. Aus diesem Tal sind uns für das 19. Jahrhundert keine direkten Belege für die Verwendung des Ladinischen als Verkündigungssprache bekannt. Zu Fodom/ Buchenstein und Ampezzo cf. infra, ebenso zur Zäsur um 1870. 11 Cf. B ernardi / V idesott 2014: 74-75; cf. auch das direkte Zeugnis des Dekans J. M. Declara, er habe «in seiner gut 30-jährigen Seelsorgstätigkeit im Gadertal bis zum Jahre 1880 über 1000 Ansprachen, Predigten, Christenlehren und Unterweisungen auf Ladinisch gehalten» (c raffonara 1996: 158 N41). Interessanterweise wurde bisher aus Gröden kein einziges solches Predigtkonzept gefunden, obwohl auch dort die Verwendung des Ladinischen als Predigtsprache gut bezeugt ist (cf. W olfsgruBer / r icheBuono 1986, B elardi 1994: 154). Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 101 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 möglich machte - auch verschriftet wurden 12 . Einschränkend muss aber hinzugefügt werden, dass sie, zumindest was die auf uns gekommenen Schriftbeispiele anbelangt, auf die Zeit 1845-61 beschränkt sind und ausschließlich mit dem Enneberger (d.h. Gadertaler 13 ) Dekan Ojöp Antone/ Josef Anton Verginer (*15.11.1803-†26.9.1861) in Verbindung stehen (cf. infra). 3. Nicht-deutsche Hirtenbriefe in der Diözese Brixen In der Diözese Brixen, der nach der Neufestlegung der Diözesangrenzen 1818 nur mehr die drei ladinischen Dekanate Enneberg (= Gadertal), Buchenstein und Ampezzo angehörten - die bis dahin brixnerische Dekanate Fassa und Kastelruth, das auch Gröden umfasste, wurden damals Trient zugeteilt 14 - war ausschließlich Deutsch Verwaltungssprache. In der Diözese Trient hingegen war neben Italienisch auch Deutsch diözesane Verwaltungssprache, reichte ihre territoriale Ausdehnung doch weit ins deutsche Siedlungsgebiet herein - bis hinauf in den ehemals zum Bistum Chur gehörenden Vinschgau nach Schlanders und ins Passeiertal hinein 15 . So kann es nicht verwundern, dass im Zeitalter der nationalen Emanzipation auch in den drei genannten ladinischsprachigen brixnerischen Dekanaten Stimmen nach Anerkennung ihrer sprachlichen Eigenart lauter wurden. Dies geschah zunächst vor allem im Kontext des sog. «Enneberger Schulstreits», einer Auseinandersetzung der Gadertaler Bevölkerung unter Führung des lokalen Klerus mit den nunmehr für die Schule zuständigen weltlichen Behörden in Bruneck, Innsbruck und Wien bezüglich der vor Ort zugelassenen Schulsprachen 16 . Als eine der Folgen der Maigesetze von 1868 und des Reichsvolksschulgesetzes von 1869, wodurch in Österreich u.a. die achtjährige interkonfessionelle Pflichtschule und die staatliche Schulaufsicht eingeführt wurden, sollte im Schuljahr 1873/ 74 im Gadertal das Deutsche als einzige Unterrichts- und Lernsprache eingeführt werden. Der Gadertaler Klerus unter der Führung des Dekans 12 Es handelt sich also beim vorliegenden um ein Beispiel des modus nuntiandi, wie er für jede Art von deutschsprachigen Verlautbarungen in Ladinien bis weit in das 19. Jahrhundert hinein angenommen wird (cf. g hetta / P langg 1988: 283, V idesott / B ernardi 2013: 156). 13 Enneberg ist im 19. Jahrhundert die deutschsprachige Bezeichnung für das gesamte Gadertal und nicht nur für Enneberg stricto sensu (d.h. das Seitental Mareo/ Enneberg); cf. c raffonara 1997: 181-82. Die Kirche hat terminologisch erst 2005 von «Dekanat Enneberg» auf «Dekanat Gadertal» umgestellt (cf. r uBatscher 2014: 21). 14 Zur komplexen Diözesan- und Dekanatsgeschichte der ladinischen Täler cf. W olfsgruBer 1963/ 64: 441-45, zur Neuregelung der Diözesangrenzen der Salzburger Kirchenprovinz 1818 cf. d örrer 1953: 68-71. 15 Der sog. «deutsche Anteil» der Diözese Trient (cf. a tz / s chatz 1903-10) umfasste 10 Dekanate und wurde 1964 mit der ehemaligen Diözese Brixen zur neuen Diözese «Bozen-Brixen» vereinigt, die seitdem deckungsgleich ist mit der Provinz Bozen/ Südtirol. 16 Der Streit ist ausführlich erforscht; wir beschränken und deswegen auf einen Verweis auf die detaillierten Studien von f ontana 1978 und 2006. Cf. auch g oeBl 2016: 218-20. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 102 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Matthäus Declara (*21.9.1815-†8.6.1884) 17 sprach sich hingegen für die Beibehaltung des bisher inoffiziell praktizierten mehrsprachigen Systems aus (Italienisch als Alphabetisierungssprache, Ladinisch als Erklärungssprache, Deutsch als weitere Sprache ab dem dritten Schuljahr) 18 mit dem Argument, dass das Ladinische als romanischer Dialekt weitaus mehr Gemeinsamkeiten mit dem Italienischen als mit dem Deutschen habe. Unter einer solchen Praxis leide, so die Geistlichkeit unisono, zwangsläufig auch der Religionsunterricht und die Moral der Bevölkerung. Weiters befürchtete man auf Gadertaler Seite, dass mit der deutschen Sprache auch das liberale Gedankengut, das man für die schleichende Aushöhlung der konservativen Weltordnung verantwortlich machte, im Gadertal Einzug halten werde (cf. f ontana 1978: 82). Der Streit konnte erst im Jahre 1895 durch entsprechende Zugeständnisse des Tiroler Landesschulrates beigelegt werden. Der Kompromiss bestand darin, dass Italienisch in allen Schulstufen in fünf, Deutsch hingegen in sieben Wochenstunden gelehrt wurde. Dieser Streit war für die Entwicklung des ladinischen Selbstbewusstseins konstitutiv. Er macht aber auch eine Charakteristik dieser (und mehrerer anderer) «Sprachkämpfe» in Ladinien sichtbar. Immer, wenn von außen eine der beiden «Großsprachen» Deutsch oder Italienisch auf Kosten der anderen und des lokalen Ladinisch aufoktroyiert wurde, reagierten die einheimischen Eliten mit einer verstärkten Forderung nach Verwendung der jeweils anderen Großsprache. Das Ladinische wurde keinesfalls geleugnet, doch war es den genannten lokalen Eliten klar, dass es alleine niemals ein wirkliches Gegengewicht zu einer der beiden großen Schriftsprachen bilden könnte, galt es doch bei den meisten als italienischer Dialekt, der in den unterschiedlichen Talschaften in ganz verschiedenen Varianten gesprochen und kaum geschrieben wurde. Ein Gegengewicht zu einer von außen aufoktroyierten Sprache aufzubauen war ihrer Meinung nach realistischerweise nur in Verbindung mit der jeweils anderen Großsprache möglich 19 . Dies ist also der Kontext, in dem im Jahre 1880 der Kurat von S. Ciascian/ St. Kassian im Gadertal, Alois Kostner (*2.10.1844-†7.10.1922) 20 , der auch im besagten «Enneberger Schulstreit» ein streitbarer Gegner des neuen Lehrplanes war (cf. f on tana 1978: 78), die Bitte an den Dekan Declara herantrug, er möge sich doch beim bischöflichen Ordinariat in Brixen verwenden, dass für die drei Dekanate Enneberg, Buchenstein und Ampezzo, die nach seiner Ansicht bisher doch eher «stiefmütterlich» behandelt worden seien, die Hirtenbriefe in italienischer Sprache veröffentlicht 17 Zu Jan Matî/ Matthäus Declara (Dekan 1868-84), einem der profiliertesten ladinischen Intellektuellen des 19. Jahrhunderts, cf. B ernardi / V idesott 2014: 256-73. 18 Zu den Schulsprachen in Ladinien im 19. Jahrhundert cf. die aufgrund von neuen Primärtexten erstellte Übersicht in V idesott 2018. 19 Cf. dazu ausführlich c raffonara 1996: 157-60; weitere Beispiele - außerhalb des «Enneberger Schulstreits» - in V idesott 2018. Diese Erkenntnis ist wichtig, denn ansonsten würde man dem Fehlschluss unterliegen, dass der an sich sehr tirolerisch und habsburgtreu eingestellte ladinische Klerus plötzlich italophil geworden wäre. 20 Zu Alvije Costner/ Alois Kostner (Kurat von S. Ciascian/ St. Kassian 1877-81) cf. P alla / c anins / d aPunt 2009: 110, 119. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 103 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 werden. Als Gründe dafür führte er u.a. an, dass die bischöflichen Schreiben ohnehin nirgends (gemeint ist: in Ladinien) in der deutschen Originalsprache dem Glaubensvolk verkündet würden, sondern von den jeweiligen Seelsorgern des Verständnisses wegen ins lokale Idiom übersetzt werden müssten: Einer «übersetzte» ins Enneberg’sche [Mareo stricto sensu, Anm.], ein zweiter ins Niederladinische [Ladin stricto sensu, d.h. Mundart von S. Martin de Tor/ St. Martin in Thurn und Umgebung, Anm.], ein Dritter ins Oberladinische [Badiot, Anm.], ein Vierter ins Toscanische, ein Fünfter ins Fodomische, ein Sechster ins Ampezzanische, und zwar einer mündlich (: auf der Kanzel: ), ein anderer schriftlich, alle aber ganz nach eigenen Heften, so daß - pro diversa praedicantium et audiantium capacitate - dem Bischofe mitunter Dinge in «die Schuhe geschoben wurden», an die er nicht im Traume gedacht. (Hervorhebungen im Original, Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 610) Das Ganze - so Kostner weiter - erfordere viel Zeit und Arbeit und werde von den Priestern als Belastung betrachtet. Dekan Declara griff die Anregung bereitwillig auf und fragte bei seinen Amtskollegen Bartolomeo Zardini (*24.2.1807-†1.6.1882) 21 in Buchenstein und Lois Maneschg (*27.11.1824-†6.5.1883) 22 in Cortina nach, was sie von diesem Vorschlag hielten und ob sie unter Umständen gemeinsam vorzugehen gedachten. Declara glaubte an einen Erfolg in der Sache, da er Bischof Johann von Leiß (*18.6.1821-†23.4.1884) 23 aufgrund seiner Studien in Venedig für das Italienische empfänglich hielt. Neben der erwähnten Zeitersparnis für die rund 20 Priester in Ladinien, die nun nicht mehr jeweils eigene Übersetzungen anzufertigen hätten, sah er den großen Vorteil einer vom Bischof herausgegebenen italienischen Pastorale darin «che i fedeli di queste parti arriverebbero ad aver ed udir la parola de (sic) suo Vescovo genuina e propria.» Auch die weitere Verbreitung sah er durch eine Druckversion deutlich erleichtert: «si potrebbe tali pastorali italiane anche dar in mano a certi de (sic) nostri fedeli, che formerebbero un bell (sic) ed utile leggendario per le famiglie. Per tal fine potrebbero sempre esser ristampati que’ 200-300 esemplari italiani.» In Ampezzo stand man aber dem Vorhaben sehr distanziert gegenüber: «Il clero d’Ampezzo si dimostrò concordemente contrario al progetto ed anzi si divertiva a spalle del Sr. Curato di S. Cassiano che si ritiene l’autore di tutto l’affare.» Im Übrigen betrachtete man eine solche Forderung ohnehin als schwer durchführbar, da man weder dem Bischof - der aber, wie erwähnt, in Venedig studiert hatte - («essendo assai probabile, che Sua Altezza non conosca la lingua italiana in modo, da poter scrivere una pastorale senza grave difficoltà in questa lingua») noch jemand anderem in Brixen das Verfassen einer italienischen Pastorale bzw. die Übersetzung derselben zutraute («Chi è a Bressanone, che conosce la lingua italiana a segno, da poter farne 21 Zu Bartolomeo Zardini aus Cortina d’Ampezzo, von 1841 bis 1882 Pfarrer und Dekan in Buchenstein, cf. Bote für Tirol 23.06.1882. 22 Zu Lois Maneschg aus La Pli de Mareo/ Enneberg-Pfarre, von 1875 bis 1883 Pfarrer und Dekan von Ampezzo, cf. r icheBuono 2009: 110-11; P alla / c anins / d aPunt 2009: 32. 23 Zu Johann von Leiß, 1880-84 Bischof von Brixen, cf. u.a. g atz 1983: 441-42. Sein Vater hatte sich in Cortina niedergelassen, r icheBuono 2009: 111 nennt ihn deswegen «vescovo quasi ampezzano». Paul Videsott/ Philipp Tolloi 104 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 traduzione dal tedesco - che la popolazione specialmente in Marebbe la capisca? »). In Ampezzo betrachtete man sich vielmehr selbst und die lokalen Seelsorger als besser qualifiziert, eine verständliche Übersetzung anzufertigten («E così avremo sempre una pastorale tradotta - e forse meno intelligibile, di quella che si fa dai singoli pastori d’anima - col solo divario - che sarebbe stampata.»). Die Befürchtung der Gadertaler, man lege dabei dem Bischof Worte in den Mund, die er nicht gesagt habe, hegte man folglich in Ampezzo nicht. In Fodom/ Buchenstein hingegen fand Dekan Zardini die Forderung angesichts der Trientner Praxis durchaus legitim: «Monsr. Vescovo di Trento compone pure in tedesco le pastorali ecc. per la parte tedesca; ed il numero degli abitanti non implica nè cambia il caso. Fiat justitia per tutti! » In etwas kaustischem Unterton fuhr er fort: «Se non si vuol imitar il Governo, che si fa lecito di … accarezzare, favorire, privilegiare ecc., ecc. in riguardo alla lingua i Ladini, per la bellissima ragione, che sono pochi.» (Hervorhebungen im Orig.). Sein Klerus hingegen stand dem Anliegen zunächst zwar gleichgültig, aber bis auf den Seelsorger von Colle S. Lucia, «che non volle neppure sentir a nominare nè istanze a Monsignor Vescovo nè contribuzioni della sua chiesa per la stampa» (alle Zitate aus: Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 610), durchaus gesprächsbereit gegenüber. Als den Priestern von Buchenstein jedoch bei einem Zusammentreffen im Pfarrhaus von Cortina vom fürstbischöflichen Sekretär und Hofkaplan Johann Stippler (*19.6.1829-†30.11.1892) 24 mitgeteilt wurde, dass Bischof Leiß gegen das Ansinnen sei, fand die Diskussion ein jähes Ende. Wörtlich soll Stippler gesagt haben: Le pastorali in italiano per questi 3 decanati Mons. Vescovo non le publicherà (sic) certamente, perché teme di urtare contro il Governo che vuole intedescarli [i. e.: die Ladiner, Anmerkung des Verfassers] e ciò tanto meno in quanto ché il progetto deriva dalla parte di Marebbe dove si capisce meglio il tedesco che l’italiano. (Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 610) Das erklärt auch, wieso gerade im Gadertal, wo Deutsch eher verstanden wurde als in den beiden anderen Dekanaten, italienischsprachige Hirtenbriefe so erwünscht waren. Man sah dort in der aufgeheizten Atmosphäre des «Schulstreits» quasi hinter allem, was deutsch war, eine potentielle Gefahr der Germanisierung und damit eine Bedrohung des einheimischen Ladinertums. Auch sah man in der vorgeschriebenen Verwendung des Deutschen eine Verhinderung erfolgreicher Glaubensvermittlung, was letztendlich einer Bedrohung des katholischen Glaubens insgesamt gleichkam. Diese Bedrohung verspürte man in Buchenstein und Ampezzo nicht, da dort Italienisch dominierende Unterrichts- und Lernsprache war (cf. s tolz 1934: 296, B rix 1985: 66, V idesott 2018). Angesichts des fehlenden Rückhalts durch die beiden anderen ladinischen Dekanate stellte auch der Enneberger Dekan Declara seine Bemühungen um italienische Hirtenbriefe ein. Diese wurden erst ab 1930, damals freilich unter veränderten politischen Vorzeichen, auch in italienischer Sprache publiziert (cf. s arri 1987/ 88: iV , M enozzi / d eMo / s arri 1988: 470). 24 Zu Johann Stippler cf. g elMi 2012: 423-25. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 105 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 4. Das Korpus ladinischsprachiger Hirtenbriefe 1845-61 Wie aus den Ausschnitten der oben zitierten Korrespondenz aus dem Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg hervorgeht, war es zumindest in den Jahrzehnten vor 1880 üblich (wenn auch bisher unbekannt), dass die deutschen Hirtenbriefe im Gadertal, Buchenstein und Ampezzo vor Ort entweder ins Italienische («Toscanische») oder in das lokale Ladinische übersetzt wurden. Laut unseren Kenntnissen ist dies der erste direkte Hinweis auf die Verwendung des Ladinischen zu Verkündigungszwecken auch in Buchenstein (wo man dies nur vermuten konnte 25 ) und Ampezzo (von man dies bisher ausgeschlossen hat) 26 . Nachdem ein Hirtenbrief eine durchschnittliche Länge von 3500-4000 Wörtern hat (cf. infra) und dessen Verlesung ca. eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, schloss die mit «viel Zeit und Arbeit» verbundene Übersetzung notwendigerweise auch eine schriftliche Version mit ein. Doch weder in Buchenstein noch in Ampezzo scheinen die entsprechenden Texte aufbewahrt worden zu sein, und auch für die damals immerhin 10 Seelsorgstellen des Gadertals 27 beschränken sich die schriftlichen Textzeugnisse wie erwähnt ausschließlich auf die Dekanatspfarrei La Pli/ Enneberg-Pfarre und die Amtszeit des genannten Pfarrers und Dekans Ujöp Antone/ Josef Anton Verginer 28 : Nr. Jahr Ausstellender Bischof Incipit des Originals und der Übersetzung Datum des Originals und der Übersetzung 1 1845 Bernhard Galura Als die heiligen Apostel Petruß und Paulus ihrer Auflößung nahe waren, beschäftige sie vorzüglich der Gedanke an das künftige Weltgericht. Cang ch’ i s. Apostoli s. Pietro e s. Paolo é dain̂ pro dállá mórt, pónsái dangda dött gonót al futuro giudizio. 4. Jänner 1845 4 gen̄ ajo 1845 25 Die sprachliche Situation in Fodom/ Buchenstein, die zahlreichen dort eingesetzten Priester aus dem Gadertal sowie mehrere Hinweise auf die Verwendung des Ladinischen als Hilfssprache im Schulunterricht (cf. V idesott 2018) lassen für dieses Tal eine Praxis ähnlich jener im Gadertal zumindest naheliegend erscheinen. Sie kann aber vorerst durch keine direkten Schriftzeugnisse (etwa durch ladinische Predigtkonzepte o.ä.) belegt werden. 26 Ampezzo hatte jahrhundertelang zur Diözese Aquileia gehört und wurde erst 1789 Brixen zugeteilt (cf. W olfsgruBer 1963/ 64: 441-42, r icheBuono 2009: 55-57). 27 Die beiden Seelsorgen Corvara und Calfosch/ Kolfuschg gehörten in der fraglichen Zeit (1825- 1949) zum Dekanat Buchenstein (cf. W olfsgruBer 1963/ 64: 446). 28 Zum Phänomen der spärlichen Überlieferung von ladinischen Textzeugnissen nicht nur des 19. Jahrhunderts cf. c raffonara 1996b: 144 N32, V idesott / B ernardi 2013: 156. Bei den Hirtenbriefen kommt als Grund für ihre spärliche Überlieferung hinzu, dass sie - im Gegensatz zu anderen Praktiken der Kirche - nie kirchenrechtlich festgeschrieben worden sind, sondern auf einer rein gewohnheitsrechtlichen Praxis beruhen. Insofern gab es keine Pflicht, diese aufzubewahren, und in der Tat sind sie nicht einmal in den zentralen Kirchenarchiven immer vollständig erhalten. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 106 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 2 1846 Bernhard Galura Ich preiße die anbethungswürdige, göttliche Vorstehung, die mir abersmal gestattet, die gnadenvolle Zeit der heiligen Fasten anzukünden… Iö bénédesche l’ádorabile divina providenza che m’ a indoo lasce viré a vés incóndé l tëmp dé grazia dla santa Carsema… 1. Jänner 1846 3 1847 Bernhard Galura Gott sei gelobt, aus dessen Gnade ich abermal das Vergnügen habe, an euch, meine Lieben, von allen Kanzeln heilsame Worte zuzurufen, welche der gute Gott segnen wolle. Sie ringrazié Iddio ché m’a lasce viré tang die ch’i Vés po tgiámo ná ótta a Vós, miei Cari, dá vigni pergo dí paroles dé salute, queres ch’i praé ché l bung Iddio bénédésse. 6. Jänner 1847 4 1848 Friedrich Erzbischof v. Salzburg Wir folgen dem Drange unseres Herzens wie unserer oberhirtlichen Pflicht, indem wir in einer Zeit vielfacher Bewegung, in welcher Furcht und Hoffnung wechselweise die Gemüther der Gläubigen ergreift, auch unsere Hirtenstimme vernehmen lassen… Él é l noŝ desiderió é l’ coneŝung por obbligo ch’ ung cómé Vescovi d’alze intge nós in quëŝ tëmp, olá ché dött sé móŝöda, ólá ché i cörs déi fédéli é ing pert in trica, ing pert in speranza, la nostra úŝ da pastori… 14. September 1848 14 Settember 1848 5 1849 Bernhard Galura Wenn ich in diesen betrübten Zeitläufen aber und abermahl meine Hirtenstimme erhebe, so geschieht es, weil die schwere Verantwortung für die mir anvertraute Herde Christi es mir zur Pflicht macht. Sch’i alze in quiŝ tempi calamitosi plü gonót, é sëgn béllé indo lá mia uŝ dá pastore, sché né féŝi quest pór ater, có de dí quél ch’i sung óblié ad avëi cörá é fistidi pór i fedéli, che m’é gnüs áffidá. 12. März 1849 12 Marzo 1849 6 1850 Bernhard Galura «Mit euch sei die Gnade, die Erbarmung und der Friede von Gott dem Vater und von Jesus Christus dem Sohne des Vaters, in Wahrheit und Liebe.» Cón vos sié lá grazia, lá misericordia e lá peŝ dá Dio Padre, e dá Gesú Chró., l Figlio dél Padre in verité e in cáritá. 6. Jänner 1850 Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 107 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 7 1851 Bernhard Galura Wenn das Leben des Menschen auf Erden ein beständiger Wechsel von Freund und Leid, von Sonnenschein und Regen ist: so gilt dies besonders vom Leben eines Bischofes, der von der Last der Jahre gebeugt, an der Schwelle der Ewigkeit steht. Se la vita d’ung uomo sö lá terra é ná continua módaziung dé ligrëzzá in tristézzá - inschöché l sórëdl é lá plöja - sche val quëst bëgn dang dá dött déllá vita d’ung Vescovo, quël ché dróché dál pëis déi agn é sö in pórta álla eternité. Am Feste der hh. Bistumspatronen Ingenuin und Albuin, den 5. Februar 1851 8 1852 Bernhard Galura Als einst der Apostel Paulus von den Kirchenvorstehern zu Ephesus, und in ihnen auch von den Gläubigen jener Gegend Abschied nahm; da sprach er zu ihnen: «Ich rufe euch am heutigen Tage zu Zeugen an, daß ich unschuldig bin am Blute Aller». Cang ché l’Apostolo s. Paolo á ná óta tutt cómié dá qûi, ch’i stee dant állá Chiesa néllá citté Efeso é impárá dá dütg i fédéli, désólé ád Ei: «I vés chërdé incö in testimonianza, ch’i sung innócënt dál sanc dé dütg». 30. Jänner 1852 30 dé Gennajo ’52 9 1852 Bernhard Galura Seine päpstliche Heiligkeit, der Oberhirt der ganzen katholischen Kirche, Pius IX., hat in zwei Kreisschreiben, welche er am 21. November des jüngst verflogenen Jahres an alle Bischöfe der Christenheit erlassen hat, allen rechtgläubigen Christen abermals einen vollkommenen Ablaß nach Art eines Jubiläums verliehen. Süá Santitá l supremo Pastore dé dött l món cattolico, Pio IX. a ćon döés Lëttêreś, ch’ël á scritt á dütg i Vescovi dél Cristianesimo i 21 Novembre dell’ann pássé - indoo cóncédü á dütg i Fédéli Cristiang ‘ná Indulgenza plenaria in fórma dé Giubileo. 12. Februar 1852 12 febrajo 1852 Paul Videsott/ Philipp Tolloi 108 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 10 1853 Bernhard Galura Die Worte, mit denen ich dieses Fastenpatent eröffne, sollen diese sein: Wisset, daß die Lehren, die ihr jetzt hören werdet, nicht von mir, sondern von Jesus Christus seien, der seine Apostel durch den heiligen Geist regierte… Lés parorés, cón quëres, ch’i scómëntsché quësta lëttra pór la Quarsëma é quëstés: «Ëis dá sávëi ché i insignámëntg, ch’áldirëis sëgn, né n’é dá mé, mó dá Gesú C, quël ché reggé i sü Apostoli per mézzó délló Spirito s. … 14. Jänner 1853 14 de gennajo 1853 11 1853 Bernhard Galura Gelobt sei Jesus Christus! Diesen schönen Gruß habe ich euch, meine Vielgeliebten, in meinem letzten Hirtenschreiben empfohlen, und mit demselben nahe ich euch heute, nach wenigen Wochen, wieder. Sia lodato Gesú Cró! Quëŝ béll salüt vés ai, miei dilettissimi, pormó mene nélla mia lettera pór l’ultima Quarsema - é cón̂ quëst vëgni in̂ cö do pütgés édémés indo á Vos. 14. März 1853 14 de Marzo 1853 12 1854 Bernhard Galura «Jeder Tag hat seine Last.» Matth. VI, 34. So sprach einst der Sohn Gottes, der auch Mensch ward und zu uns gekommen ist, um das Elend der Erde mit uns zu theilen. «Vigni dé a so pëis» Matth. 6. 34. Inschó á ditt ’ná óttá l Fi di Dio, ché s’é intgé fatt uomo ed é gnü dá nós pór pórte impara cón nós lés miseriés dé quësta vita. 30. Jänner 1854 13 1854 Bernhard Galura Quem in finem Beatissimus Pater Pius PP. IX. indulgentiam plenariam Jubilaei instar populo Christiano indixerit, item, quae opera ad illam assequendam necessaria sint, ex literis meis lingua vernacula promulgatis intelligetis. Süá Santitá, l sommo Pontefice Pio Nono inviëia cón (Lettérá) un̂ Breve dél pröm d’Agost pásse dütg i Fédéli Cristiagn á prié cón possibile fervore é pór quël ch’ër’ aé quëstá ámóniziung májú fórzá é ché dütg sé lascîé ésŝér tan̂ plü dá sênn á prié é á fa penitenza ál cóncédü ’ná indulgenza plenaria in forma di Giubileo pór l tëmp de trëi mëiŝ. 24. Septembris 1854 24 Settembr 1854 Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 109 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 14 1855 Bernhard Galura Gott ist mein Zeuge, wie sehr ich für euch «alle liebe im Herzen Jesu Christi.» Philipp. I, 8. Darum freue ich mich, daß mich das Herannahen der hl. Fastenzeit wieder Gelegenheit biethet, Worte der Erbauung und des Trostes zu euch zu reden. Iddió l sá, cótan̂ ch’i vés ame dütg nél cör dé Gesú Cró. Phil. 1,8. Pór quëst mé cónfórti, ché l temp déllá prossima Quarsëma me dá indoo óccáŝiun̂ dé vés incóndé parolés dé salute e dé cónsólaziun̂ . 30. Jänner 1855 30 Gennajo 1855 15 1855 Bernhard Galura Es ist euch allen bekannt, welche Verherungen im Laufe dieses Monaths durch das Hochwasser fast in allen Theilen unseres lieben Vaterlandes angerichtet worden sind. Sávëis óramai dalla publica fama, tgi róvines, ch’érés á fat quëŝ mëis dé ĝiugn lés gran̂ éghés quasi in vigni pert dlá nostra Patria. 25. Juni 1855 25 Giuno 1855 16 1856 Bernhard Galura Es beginnt nun wieder die heil. Fastenzeit, die nach dem Willen Gottes und nach der Anordnung der Kirche eine Zeit der Gnade für Alle, besonders aber für jeden unglücklichen Sünder sein soll. Indoo á scómentsché la s. Quarséma, ché doo l’órëi di Dió é doo l’ordine della s. Chiesa déss esŝer tëmp dé grazia pór dütg, mó dan̂ dá dött pór vigni pitgiádú deŝgrázié. 11. Jänner 1856 11 Gennaio 1856 17 1857 Vinzenz Gasser Der hochselige Fürst=Bischof Bernard, der durch fast volle 27 Jahre diesem Bisthume mit ruhmvollem Eifer als Oberhirt vorstand, hat am 27. Mai des vorigen Jahres den Hirtenstab mit jenem Wanderstabe vertauscht, den jeder Sterbliche für seine Reise in die Ewigkeit zur Hand nimmt. L Principe e Vescovo Bernardo, Dio l’abbi alt in gloria, á despo ch’ël i é ste dant alla nostra Diocesi tanco 27 agn, i 17 de Má l’ann passe, lasce questa vita e é ĝiu la strada che vigniun va all’eternité. 30. März 1857 30 Marzo 1857 Paul Videsott/ Philipp Tolloi 110 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 18 1858 Vinzenz Gasser Das Herannahen der hl. Fastenzeit, dieser Tage des Heiles, biethet mir eine willkommene Veranlaßung, einige Worte der Ermahnung an euch zu richten. La santa Quarsema e dan man, e quis dis de salute e por me n’ocaŝiun, ch’i me deŝidéré por ve de algones amoniziuns. 27. Jänner 1858 27 Gennajo 1858 19 1858 Vinzenz Gasser Ich erlaße dieses Hirtenschreiben aus der Hauptstadt der katholischen Christenheit, aus Rom, um Euch, Vielgeliebte im Herrn! vor Allem zu Theilnehmern an der Freude zu machen, die mir hier an den Gräbern der Apostel und aus der Aufnahme beim hl. Vater Pius IX. zu Theil geworden ist. Con questa mia lettera pastorale vegni dalla proma çitté del mon cattolico, da Roma, e ves oress, miei diletti, improma fa pert dla ligrezza, ché m’é gnioda quiló al Sepolcro dei proms Apostoli s. Pietro e s. Paolo, - é can ch’i á podú comparí dant al santo Padre Pio IX. 10. September 1858 10 Settembre 1858 20 1859 Vinzenz Gasser «Wir leben in einer ernsten Zeit» Mit diesen Worten habe ich den Inhalt meines vorjährigen Fasten=Mandates eingeleitet. Die Zeichen der Zeit sind inzwischen nicht freundlicher geworden. «Viun a n temp de gran risçhio.» Con questes parores ai scomenççé la lettra, ch’i ves á scritt per la Quarsem̄ a dell’ann passé. I segns la mostra fora dsegn nia mí. 15. Februar 1859 15 febrajo 1859 21 1860 Vinzenz Gasser Seit dem letzten Fastenpatente und den Hirtenworten, die ich euch, Vielgeliebte im Herrn, damals zugerufen habe, ist eine Zeit schwerer Prüfungen über uns hingegangen, und will ich wissen, was ihr dabei gelitten habt, so brauche ich nur mein eigenes Herz zu befragen. Dóo la lettéra per la quersemma dell’ann passé, e les parores, ch’i ves in quera lascîé porté dant - miei diletti nel Signur - élle passé un temp dé gragn (pesoc) aggravi dlungia nos ia; é sch’i ó savei, çhi ch’eis ste fora lapró - bastl ch’i damane l mio cór. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 111 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 22 1861 Vinzenz Gasser Nahe ist die hl. Fastenzeit, in welcher die Kirche ihre Kinder ungestümer und dringender als je einladet, den hl. Kreuzweg zu besuchen, und sich in die Betrachtung jener Geheimnisse zu vertiefen, in denen das Werk unserer Erlösung vollendet worden ist. Er’ ha scomenccé la s. Quarsém̄ a, ing quera, qu’ la s. dlisia invieia e mena sura plú co mai i sú fedeli (fìis) a gí incer les Staziungs, e a s’lascé ite a conscideré con fervóre devot i gragn Misteri, ing qui que l’opera dla nostra Redenziung s’é complída. am Feste Pauli Bekehrung 1861 Das Korpus besteht aus 22 Texten, davon 15 Fastenpatente, drei Ablassverkündigungen (9=12.2.1852; 13=24.9.1854; 19=10.9.1858) sowie weitere vier Kundmachungen zu politisch-profanen Ereignissen (4=14.9.1848 Aufruf der Bischöfe der Salzburger Kirchenprovinz anlässlich der Revolutionen im Frühjahr und Sommer 1848; 5=12.3.1849 Aufruf zugunsten der am 3.4.1849 von Kaiser Franz Josef I oktroyierten Märzverfassung; 11=14.3.1853 Schreiben anlässlich des vereitelten Attentats auf Kaiser Franz Josef I. am 18.2.1853; 15=25.6.1855 Spendenaufruf anlässlich des verheerenden Hochwassers vom 16.6.1855). Aussteller sind, gemäß ihrer Regierungszeit, bis 1856 Fürstbischof Bernhard Galura 29 und danach Fürstbischof Vinzenz Gasser 30 . Der deutsche bzw. lateinische Ausgangstext liegt jeweils gedruckt vor. Die ladinische Übersetzung ist handschriftlich auf separaten Papierbögen erstellt worden. Sie weisen 29 Bernhard Galura, geb. Katzenschwanz (*21.8.1764-†17.5.1856) aus dem damals noch vorderösterreichischen Breisgau stammend wurde nach den Studien in Freiburg und Wien 1788 zum Priester geweiht, 1805 Regierungsrat und Referent für geistliche Angelegenheiten in Günzburg, 1815 Gubernialrat und Referent für das Kirchenwesen in Innsbruck, 1818 Generalvikar für Vorarlberg, 1829 Fürstbischof von Brixen. Die theologische Lehranstalt in Brixen führte er durch die Berufung der späteren Bischöfe Vinzenz Gasser, Josef Feßler und Franz Joseph Rudigier zu neuer Blüte. Galura war den josephinischen Traditionen eng verbunden, was es ihm erlaubte, zu den weltlichen Regierungsstellen gute Beziehungen zu unterhalten. In seine Amtszeit fiel auch die Ausweisung der Zillertaler Inklinanten (cf. g atz 1983: 229-31). 30 Vinzenz Gasser (*30.10.1809-†6.4.1879) stammte aus Inzing im Oberinntal. 1833 erhielt er die Priesterweihe, darauf versah er die Seelsorge in mehreren Kooperaturen. 1836 berief ihn Bischof Galura als Professor für Altes Testament nach Brixen. 1848 wurde er vom Wahlkreis Bruneck als Abgeordneter zur Frankfurter Nationalversammlung entsandt. 1849 zum Professor für Dogmatik, 1855 zum Domkapitular ernannt und 1857 zum Bischof geweiht. Gasser war ein Verfechter der Glaubenseinheit, der Monokonfessionalität Tirols, und folglich ein streitbarer Gegner der vom liberalen Staat proklamierten Religionsfreiheit sowie aller weiteren das Konkordat von 1855 aushöhlenden Maßnahmen. 1876 eröffnete er in Brixen das zur Steigerung des Priesternachwuchses errichtete und nach ihm benannte Knabenseminar Vinzentinum. Er war ferner ein entschiedener Infallibilist (cf. g atz 1983: 233-36). Paul Videsott/ Philipp Tolloi 112 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 in der Regel nur wenige Verbesserungen auf, d.h.: die erhaltene Version dürfte die für die Verlesung bestimmte Definitiv-Version sein. Der Autor der Übersetzungen, Ujöp Antone/ Josef Anton Verginer, hat das Ladinische zumindest in einer weiteren, für die damalige Zeit als programmatisch anzusprechenden Gelegenheit verwendet: in den beiden gedruckten Osterbeichtzetteln von 1860 und 1861 (cf. dazu eingehend c raffonara 1996a und 1996b). Es scheint also, als ob der Dekan den Übergang vom gesprochenen zum gedruckten Ladinischen für religiöse Zielsetzungen wagen wollte. Diese vielversprechende Entwicklung wurde jedoch durch den frühen und überraschenden Tod Verginers gestoppt 31 . 5. Josef Anton Verginer: ein Wegbereiter des «ladinischen» Kulturkampfs? Ujöp Antone/ Josef Anton Verginer wurde am 15. November 1803 als Sohn des Johannes Baptist, Bauer zu Plang, und der Maria Anna de Jacco in Sottru bei San Martin de Tor/ St. Martin in Thurn geboren 32 . Im August 1829 wurde er zum Priester geweiht. Nach Kaplanatsjahren in Untervintl (1830), La Pli de Mareo/ Enneberg-Pfarre (1830- 32), S. Martin de Tor/ St. Martin in Thurn (1832-33) und Col/ Colle Santa Lucia (1833) war er von 1833-43 Kurat von Lungiarü/ Kampill. Am 23.4.1843 wurde er zum Pfarrer und Dekan von Enneberg ernannt, wo er bis zu seinem Tod verblieb. Er verstarb unerwartet am 26.9.1861 33 . Im Urteil der einflussreichen konservativen Katholischen Blätter für Tirol, die in ihren Texten, wie aus zahlreichen anderen Beispielen bekannt ist, bestrebt waren, einen idealen Priestertyp zu konstruieren und zu diesem Zwecke in Nekrologen immer wieder den Lebenswandel von besonders tadellosen Priestern thematisierten, um sie ihren Lesern zur Nachahmung zu empfehlen, scheint Verginer einen solchen Idealtyp zu verkörpern. In seinem Nachruf ist u.a. zu lesen: Sein ganzes Leben ist tadellos, musterhaft und dem Gutesthun geweiht gewesen. … Aus allen seinen Lebensregungen blickte tiefe Frömmigkeit und eifrige Sorge für das Heil der Seelen hervor … Der selige Dekan Verginer besaß ein festes sicheres Urtheil, war bedächtig, klug und rücksichtsvoll in seinen Amtsgeschäften, hatte auch viele und gründliche Kenntnisse inne, besonders in den theologischen Fächern; … Seine Feder, welche wie ein tapferer Krieger auf dem Schlachtfelde das Schwert, er noch nach dem Tode in der Hand hielt, war keine gewöhnliche. Hat er auch nichts veröffentlicht, so hat er viel Gediegenes für die Seelsorge, für seine Dekanalpriester und Kirchen geschrieben, hinterlässt auch deshalb alle seine Geschäfte in schönster, 31 Verginer starb relativ jung im Alter von nur 58 Jahren. Man fand ihn früh am Morgen tot an seinem Schreibtisch (V ittur 1912: 217), im Begriff, einen Brief an das bischöfliche Ordinariat zu schreiben. Dieser unerwartete Tod hat die lokale Bevölkerung offenbar so beeindruckt, dass diesbezüglich bald eine Legendenbildung einsetzte (cf. P alla / c anins / d aPunt 2009: 22). 32 Südtiroler Landesarchiv, Mikrofilm 117: Taufbuch St. Martin 1785-1841: 75. 33 Südtiroler Landesarchiv, Mikrofilm 114: Sterbebuch Enneberg 1784-1870: 91; zu seinem Leben cf. auch V ittur 1912: 217, c raffonara 1996: 154, P alla / c anins / d aPunt 2009: 22, 153. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 113 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 einfach klarster Ordnung, seines plötzlichen Todes ungeachtet … Ein solches Leben ist unvergleichlich mehr werth, als das eines großen Alexanders. 34 Die oben beschriebene Übersetzungstätigkeit Verginers fällt mitten in die Zeit der europäischen Kulturkämpfe. Von diesen Ereignissen erfuhr er im entfernten Enneberg v.a. durch die im Aufschwung begriffene Presse 35 , wie aus den Verweisen in seinem Tagebuch zu entnehmen ist. Darin vermerkte er etwa 1847 in Bezug auf den Schweizer Sonderbundkrieg: «Die Großmächte zeigen der Schweitz gegenüber unbegreifliche Schwäche … Die Macht des Radikalismus hat vollständig gesiegt und arbeitet hart an der Untergrabung des Katholizismus.» Zu den Zeitläuften in Frankreich und Italien bemerkt er: «Frankreichs Hauptstadt empört sich gegen Ministerium Guizot (conservat.) 36 und jagt den König mit der Familie nach England. Die Römer erhalten eine Consulta di Stato, Presfreyheit etc. und Bewaffnung - theilweise Entfernung des Klerus von Regierungsgeschäften … Unruhen haben ihr Haupt im Lombardischen.» Zur von «atheistische[n] Studenten» angeführten Revolution in Wien notiert er: Ihre Pläne verrathen den unseligen Plan: Aufhebung aller Klöster und klösterlichen Einrichtungen. Auflösung des Bundes, welcher bestand zwischen Kirche und Staat - und zwischen Kirche und Schule - und deren Ersetzung durch a) die Grundsätze der gleichen Berechtigung aller Glaubensbekenntnisse, der ungeschmälerten Glaubens- und Gewissensfreiheit, den frejen Assoziationsrechten, der Selbstverwaltung der Gemeinden und namentlich den Rechten derselben, ihre Geistlichen, Lehrer etc. sich selbst zu wählen, b) Besserstellung des Lehrstandes und gleichmäßiger Ordnung der Pfarrerbesoldung, c) Abschaffung der Schulgelder und Stolgebühren. (Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 969 [«Tag-Buch seit Jänner 1847»] p. 1) Auch die Tiroler 1848er-Ereignisse bewertet er ganz in der Manier eines konservativen Klerikers. Wenn man Verginers Tagebuchnotizen mit den entsprechenden Artikeln in den kämpferisch-klerikalen Katholischen Blättern (cf. h uBer 2016: 199-229) vergleicht, wird deutlich, wie meinungsbildend letztere im ultramontanen Lager gewirkt haben mögen bzw. wie sehr sie in unserem Fall mit dem Weltbild des Rezipienten übereinstimmten, sodass er z.B. die Ansichten des Redakteurs eines Beitrags mit dem Titel «Drei beherzigungswerthe Bedenken gegen einige Wünsche der Tiroler - Sendschreiben an jeden Tiroler, der es mit Wahrheit und Vaterland ehrlich meint» 37 kritiklos übernehmen konnte. Der Schreiber dieses Artikels argumentiert äußerst geschickt, indem er zunächst die liberalen Forderungen nach Öffentlichkeit der ständischen Verhandlungen, einer verbesserten Wahlordnung und einer verstärkten 34 Katholische Blätter aus Tirol 1861, Nr. 43, Beilage: 1026s. 35 Wie den Katholischen Blättern aus Tirol, dem Bothen von und für Tirol und Vorarlberg, dem Volksblatt von Tirol und Vorarlberg oder dem Augsburger Sion. Eine Stimme in der Kirche für unsere Zeit. Zum Pressewesen im damaligen Tirol cf. W olf 1957. 36 François Pierre Guillaume Guizot (1787-1874) war ein französischer Politiker und gehörte den konservativ-liberalen «Doctrinaires» an. Zur Weltanschauung Guizots cf. Von B eyMe 2013: 137-41. 37 Katholische Blätter aus Tirol 1848, Nr. 16, Beilage: 393-406. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 114 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Vertretung des Bürger- und Bauernstandes grundsätzlich unterstützt. In einem zweiten Moment hinterfragt er diese jedoch nach ihrer eigentlichen, «wahren» Zielrichtung, um letztendlich im Stile eines Verschwörungen witternden «Gespenster-Sehers» zur Erkenntnis zu gelangen, dass die «Aufklärer» (Verginer nennt sie zudem «Atheisten»), die nur «Abneigung gegen Religion und Geistlichkeit, Abneigung gegen Alles, was auf Rechtsgrundsätzen gegründet ist, im Herzen tragen», damit «dem Indifferentismus Thür und Thor öffnen» und die vielbeschworene Glaubenseinheit Tirols zerstören wollen. Daher appelliert der Artikelschreiber schließlich an die unteren Stände, also Bürger und Bauern, ihre Stimmen nicht den verhassten «Aufklärern» (genannt werden: «Advokaten, Doktoren usw.») zu geben. Analog schließt Verginer seinen Eintrag mit dem Aufruf: Es werden sich Leute um diese Stimmen bewerben! Schaut, wem ihr diese gebet! Gehet lieber selbst, als daß ihr zweideutige wählet zum Landtage, der sehr wichtig sein wird! (Hervorhebung im Original) Es ist durchaus anzunehmen, dass Verginer diesen Mahnruf nicht nur seinem Tagebuch anvertraut hat, sondern, wie ein großer Teil des Klerus während der Wahlkämpfe im Jahre 1848 (cf. h eiss / g ötz 1998: 78), auch öffentlich dafür eintrat (u.a. in der Predigt), zumal er kurz darauf von den Stimmberechtigten seines Sprengels zum Wahlmann für den Landtag ernannt wurde. In jenen Fällen freilich, wo Verginers Weltanschauung mit jener der Zeitungsredakteure kollidierte, wie etwa in einem Bericht aus dem gemäßigt-liberalen Tiroler Bothen («Ein Wort zur Beachtung bei den Wahlen für den nächsten tirolischen Kongreß» 38 ), in dem für die Veränderung der Wahlmodalitäten zum Tiroler Landtag plädiert wird, um den Einfluss des Klerus einzudämmen, vermerkt er nur lakonisch: «Diese Radikalen möchten gern den Congress hinausschieben über den Frankfurther und Wiener Congress, damit alles in mehr liberalem Sinne verhandelt würde.» (Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 969, p. 2). Selbst Zeitschriften wie die zwischen 1832 und 1875 in Augsburg erscheinende Sion, die von Ferdinand Herbst (1798-1863), einem gemäßigten Konvertiten, nachhaltig geprägt wurde 39 , konnte Verginer in Enneberg beziehen. Er kam dadurch auch mittelbar in Kontakt mit den Lehren des französischen Politikers François Guizot, einem liberalen Protestanten, von dessen politischer Ausrichtung (allen voran seiner Ablehnung des Katholizismus, cf. Von B eyMe 2013: 168) und konfessioneller Zugehörigkeit Verginer wohl in Unkenntnis gewesen sein dürfte (zumal Guizot im Artikel der Sion 40 nur als «der Gelehrte, der Redner, der Philosoph und der Staatsmann» bezeichnet wird) bzw. den er für einen Konservativen hielt, sonst hätte er, so ist wohl anzunehmen, Guizots Worte nicht so begeistert und zustimmend aufgenommen, 38 Bothe von und für Tirol 1848, Nr. 53: 256. 39 Zu dieser Zeitschrift cf. insbesondere K lug 1995: 199-208. 40 «Staat, Kirche und Schule», in: Sion. Eine Stimme der Kirche für unsere Zeit 1848, Nr. 119: 1-3. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 115 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 wenngleich die an sich konträren Weltanschauungen beider auch verbindende Elemente aufzuweisen hatten, wenn es etwa um die Ablehnung des Materialismus oder der revolutionären Volkssouveränität ging. Verginer notiert dazu in sein Tagebuch: Alle sind auf dieser Welt, um glücklich zu sein - Alle haben gleiches Recht auf Glückseligkeit - für Alle hat die Welt hinreichend Glück! … Nein es ist nicht wahr, daß die Erde den Ehrgeitz und das Verlangen ihrer Bewohner befriedigen könne! Es ist nicht wahr, daß unglückliche Ereignisse und die Mangelhaftigkeit der Institutionen die einzige oder auch nur die Hauptquelle der traurigen drückenden Lage so vieler Menschen seyen! In unserem Wesen liegt ein Fehler, in unserem Zustande ein Uebel, welches sich aller menschlichen Einwirkung entzieht - die Unordnung ist in uns selbst. … Die Religion! Die Religion - das ist der Ruf aller Menschen an allen Orten zu allen Zeiten. … Die Religion empfiehlt den Glücklichen Gerechtigkeit, die Güte, die Mildthätigkeit, eifrige Bestreben den Unglücklichen Linderung zu verschaffen. Sie empfiehlt den Unglücklichen gutes Betragen, Mäßigung ihrer Wünsche, Unterwerfung unter die bestehende Ordnung, Ergebenheit und Hoffnung. … Das Hauptübel unserer Tage ist der Geist des Widerspruches - Untergebene gegen Vorgesetzte, Dienstbothen gegen Dienstherrn, Kinder gegen Aeltern, Gesellen gegen Maister, diesen spiritus contradictionis und die Folge davon Anarchie ist eine Strafe. Früher schon sind die Großen und Reichen und Gelehrten in Aufruhr gegen Gott begrifen (! ), den sie durch Unglauben und Sittenlosigkeit verläugneten. Sie kümmerten sich nicht um den Willen Gottes - achteten nicht mehr sein Wort - raubten ihm die Ehre um selbe sich beizulegen. Stritten ihm selbst das Dasein ab - Gott hat lange geduldet. Endlich (in quo quis penavit eo potissimum punietur) läßt er den Geist des Widerspruches in die Völker fahren - und sie nehmen jenen Titel, Würden, Besitzung, stellen selbst ihre Besten in Frage: Wir brauchen keine Vorgesetzen, keinen Adel, keine Kirche mehr, alle sind Brüder. Ecce retributio! Die Großen und Reichen erfahren gerade das von den Niederen, was Gott lange schon von ihnen litt. … (Pfarrarchiv La Pli/ Enneberg, Nr. 969: 3) Wir haben in Verginer also einen Priester vor uns, der in ein transnationales Kommunikationsnetzwerk eingebunden, durch das Konsumieren von Zeitungsartikeln in der Lage war, die Ereignisse nicht nur in Tirol, sondern in ganz Europa zu verfolgen und zu kommentieren. Das Sterbejahr Verginers (1861) war zugleich das Jahr, in dem in Österreich das Protestantenpatent (April) erlassen wurde. Aussagen von ihm selbst zu diesem die klerikale Opposition gegen den Staat neuerlich entfachenden und den Beginn der konstitutionellen Ära markierenden Gesetzestext sind keine erhalten, den bischöflichen Hirtenbrief desselben Jahres (der allerdings bereits im Jänner 1861 publiziert wurde) und der die dominierenden Topoi der ultramontanen Tiroler Publizistik jener Jahre wie Papstkult, Konkordat zwischen Habsburgermonarchie und Heiligen Stuhl sowie die sogenannte Glaubenseinheit enthält, konnte er aber noch übersetzen und verkünden (cf. infra Anhang 6.1.). Die Verehrung Papst Pius’ IX. ist im Zusammenhang mit der Bedrohung Tirols sowie des Kirchenstaates durch italienische Revolutionäre im Jahr 1859 (die schließlich 1870 in der Einnahme Roms gipfelte) zu sehen. Das Konkordat, das am 18. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 116 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 August 1855 zwischen Kaiser Franz Joseph I. und Papst Pius IX. geschlossen wurde, hatte der Kirche einen außerordentlichen Einfluss gewährt. Es geriet deswegen ab 1861 unter zunehmenden Beschuss der liberalen Regierungen, bis es 1870 schließlich aufgekündigt wurde. Das dritte Schlagwort der Konservativen, die Glaubenseinheit, hatte ihre Wurzeln in der 1848 mit der Unabhängigkeit der Kirche vom Staat einhergehenden Glaubens- und Gewissensfreiheit und stieg in den Folgejahren deutlich sichtbar zum «zentralen ultramontanen Kampfbegriff» auf (cf. h uBer 2010: 49). Die Angst der Ultramontanen war darin begründet, dass sie die Monokonfessionalität Tirols durch die partielle Gleichberechtigung anderer Konfessionen dem Untergang geweiht sahen (cf. h uBer 2016: 320). Bischof Gasser forderte daher den staatlichen Schutz der einen, reinen Religion (d.h. des Katholizismus), die keine Privatsache, sondern «die erste öffentliche Angelegenheit [ist], und stellt darum an die Regenten und Obrigkeiten die Forderung, nicht gegen sie gleichgültig zu sein, sondern sie zu schirmen, und zu schützen.» (Fastenpatent 1861). Analysiert man die Positionen der zeitgenössischen Akteure des Kulturkampfs im Einzelnen, kann gefolgert werden, dass das umfassende Formenspektrum, das der Kulturkampf in Ladinien resp. im Gadertal ausfüllte, von großer Bedeutung für die Konstituierung eines ladinischen «Nationalbewusstseins» war. Insbesondere nahm der Gadertaler Klerus hinsichtlich der Schule (cf. supra) sowie in Bezug auf die Sprache des zentralen bischöflichen Kommunikationsmediums, den Hirtenbriefen, eine mit den weltlichen Behörden und zuweilen auch der Kurie nonkonforme Position ein. Allein deshalb können die Geschehnisse im Gadertal nicht, wie bisher meist geschehen, als ein Anhängsel des deutsch-tirolerischen Kulturkampfes abgetan werden. Auch greift die Reduktion auf das Teilgeschehen «Schulstreit» (dem einzigen Aspekt, der bisher analysiert worden ist) zu kurz, da es der Komplexität des gesamten Phänomens nicht gerecht wird. Insbesondere bleibt in diesem Kontext die Frage zu prüfen, ob, inwieweit und in welcher Form sich die Aussage «Religion … diente den deutschsprachigen wie auch den italienischsprachigen Katholiken Tirols vielmehr als semantisches Scharnier zur eigenen Kulturnation, deren Bedeutung sie verstärkte» (h uBer 2016: 42) auch auf Ladinien übertragen lässt. 6. Edition und linguistische Analyse Das vorliegende Korpus ermöglicht einen guten Einblick in das sogenannte «Kirchenladinisch» des 19. Jahrhunderts. Nachdem dieses besondere Register des Ladinischen bisher nur an wenigen Originaltexten direkt beschrieben worden ist 41 , werden im Folgenden die für unsere Argumentation relevantesten Texte - jener von 1845, 1857 und jener von 1861 - ediert und zusammen mit den deutschen Ausgangstexten abgedruckt. Zum Verständnis der linguistischen Facies der ladinischen Übersetzun- 41 Cf. das Vater Unser, Ave Maria und Credo in B acher 1995: 46-49 und die Osterbeichtzettel in c raffonara 1996. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 117 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 gen muss beachtet werden, dass Verginer aus S. Martin de Tor/ St. Martin in Thurn stammte, sein muttersprachliches Ladinisch also das ladin stricto sensu war. Er wirkte aber in La Pli de Mareo/ Enneberg-Pfarre im ennebergischen Dialektgebiet. Aus seinen zwei einzigen gedruckten Texten, den erwähnten zwei kurzen Meditationstexten auf den Enneberger Osterbeichtzettel von 1860 und 1861, geht der Versuch einer überlokalen Sprache hervor (cf. c raffonara 1996b: 154). Seinen Manuskripten merkt man hingegen seine dialektale Herkunft eher an (z.B. die durchgehende Verwendung des mask. Partizip Perfekt Plural auf -á vs. mar. -és [ē ̣ s], oder der bestimmte mask. Artikel l vs. mar. le). Es muss aber hervorgehoben werden, dass es sich bei den vorliegenden Texten um Manuskripte handelt, die zum Vorlesen bestimmt waren. Im Falle einer (hypothetischen) Drucklegung wären mehrere Punkte wohl noch systematisiert worden. Dies betrifft insbesondere die Akzentsetzung: Die zahlreichen Akzente des Manuskripts scheinen rein handschriftlich bedingt und haben keinerlei phonetische (etwa die Kennzeichnung der Öffnungsgrade von e und o) oder suprasegmentale Bedeutung (z.B. oxytone Betonung von Wörtern, die auf Vokal enden). Hier kann davon ausgegangen werden, dass sie nach dem Vorbild der gedruckten Texte von 1860 und 1861 bei einem eventuellen Druck weitgehend weggelassen worden wären. 6.1. Edition 42 Text 1 = 1845 42 Fasten=Patent für die Diözese Brixen im Jahre 1845 1 Mandat pór la Carsema dell ann 1845 Bernard, Bischof von Brixen und Fürst, des kaiserlich=österreichischen Leopoldordens Commandeur, entbietet allen Gläubigen seiner Diözese Glück, Heil und Segen, den Frieden unsers Herrn Jesu Christi. Amen. 2 Bĕrnardo Vescovo da Bórsenu e Prencipe incunda a dütg i fedeli dla süa Diocesi fortuna salute benedisiung é la pes de G. Chrŏ n. signur. Meine lieben Christen! Als die heiligen Apostel Petrus und Paulus ihrer Auflösung nahe waren, beschäftigte sie vorzüglich der Gedanke an das künftige Weltgericht. Bald sollten sie den Urtheilsspruch des göttlichen Richters vernehmen; einen Urtheilsspruch, der an dem jüngsten Tage feierlich vor der ganzen Welt 3 Miei cari Christiagn! Cang, ch’i s. Apostoli, s. Pietro e s. Paolo é dáin̂ pro dállá mórt, pónsái dang dá dött gónót ál futuro giudizio. Prëst do ëi áldi lá séntënza dél div. giudize - ná sentenza, ch’a da gni publicada alla fing dl món dant a dütg - e da lá ótá ing lá da tóche intgé i corp résóriis. 42 Die ladinische Transkription versucht so gut wie möglich, die Handschrift Verginers wiederzugeben. Dabei wurden aber die Akzente in der Regel als Akut gesetzt, und nur dann als Gravis oder Halbkreis oder Tilde, wenn diese eindeutig als solche identifizierbar sind. Das <c> schreibt Verginer manchmal mit einem Schnörkel oberhalb, der nicht wiedergegeben werden konnte. Die Texte wurden nach Sinneinheiten alineiert, die Nummerierung dient als Findhilfe bei der linguistischen Analyse der Formen. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 118 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 wiederhohlt, und sofort auch an dem wieder erstandenen Leibe in Vollzug gesetzt werden wird. - Denselben Gedanken an das künftige Weltgericht legten sie auch in den letzten Briefen an die Gläubigen mit besonderem Nachdruck ans Herz; sie hielten, wie es scheint, diesen Gedanken für die sicherste Gewähr des Glaubens der Christen, und meinten die Welt getrost verlassen zu können, wenn sie diesen Gedanken unvertilgbar in ihre Seele eingeprägt hätten. 4 - L pinsiêr á quëŝ medemo finale giudizie ĕllé intgé ch’ëi ráccómană tang dá sën ái fédeli néllés süés léttérés - tang có sch’ël fóss quëst pinsiêr lá guardia plü sigöda dlá fédé dei christiagn - é ch’ëi pódés árbándoné cónsólá quéŝ món, sch’ëi á méttü dár sótt nel so cór la recórdanza del giudizio di Dio. «Ich beschwöre dich vor Gott und Jesu Christo,» schreibt Paulus in seinem zweiten Briefe an Timotheus 4. Kap., «der die Lebendigen und die Todten richten wird bei seiner Wiederkunft und seinem Reiche, 5 «Iö té scóngiuré dant ái Dió é G. Chr., scri l Ap. s. Paolo nella II ad Tim. quël ché giudichëra i vis é i mórtg cang ch’ël vëgn indo nél so regno pórdica süá parola, tëgn pro impâra - ërá öghé ó né n’öghé - tira dant, predige das Wort, halte an damit, es sei gelegen oder ungelegen, überweise, bitte, strafe, … sei wachsam, erfülle dein Amt, sei nüchtern: denn ich werde schon geopfert, und die Zeit meiner Auflösung ist nahe: ich habe den guten Kampf gekämpft, den Lauf vollendet, den Glauben bewahrt, im Uebrigen ist mir die Krone der Gerechtigkeit hinterlegt, welche mir an jenem Tage geben wird der Herr, der gerechte Richter: nicht allein aber mir, sondern auch Allen, die seine Ankunft lieb haben.» prëia, slómëna - vigilëia, fa tgi ch’é to óffizé - pórtgí ch’io vëgné béllé sácrifiché, é l tëmp dé mia mórt é dáingpro. Iö a scómbáttü bëgn - a fatt fora l mio jadé - a cónsérve lá fédé … Nel rést m’áspétta lá córona dla giustizia, ch’ël mé dérá in quël dé l signur cóme giudice giusto no ma á mé, mo á dütg chi, ch’ama la süá venuta.» Aehnlich spricht der h. Apostelfürst Petrus in seinem zweiten Briefe: er hielt es für seine Pflicht, wie er sagt, so lang er in dieser Hütte (in seinem sterblichen Leibe) war, die Gläubigen durch Erinnerung zu werden, zumahl er gewiß wußte, daß seine Hütte bäldest abgebrochen werde; und er weckte sie vornehmlich durch den Gedanken an das künftige Weltgericht. 6 Oramai inschö raĝióna intge l prencipe dei Ap. s. Pietro néllá süá secunda lëttera, óla ch’ël sávó ché lá mórt i é dáingpro. Ël désëdá sö i fédéli cóllá recórdanza déll’ultimo giudizio. «Der Tag / des Herrn wird kommen, sagt er unter Anderm, wie ein Dieb: da nun dieses Alles zergehen wird, wie sehr sollet ihr euch befleißen, mit heiligem Wandel und Gottseligkeit zu warten und entgegen zu eilen der Ankunft des Tages des Herrn.» II. Petr. 3. 7 «L dé dél signur gnérá, disch-ël frá d’ater, inschö có ung leré: e dedé quël ché dött quëst ĝiérá in niá, cótang né vés déssés de briá d’aspétte cón vita santa é cón pietá i ĝi incuntrá ál de dél signur! Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 119 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Meine lieben Christen! Seit 25 Jahren Bischof, seit 15 Jahren euer Bischof, bin ich ein wahrer, obwohl unwürdiger Nachfolger der Apostel; Gott weiß, wie nahe meine Auflösung ist. Deßwegen muß auch ich ernstlich an das künftige Gericht denken, an den Tag, da ich in eurer Gegenwart und im Angesichte der ganzen Welt dem obersten Bischofe der Seelen werde Rechenschaft ablegen müssen über das große Amt, das er mir anvertraute. 8 Miei cari Christiagn! da 25 aign Vescovo - dá 15 ágn Voŝ Vescovo sunsi iö un véró, schóbëgnché indégno successore dei Apostoli. Iddio sa cótang dá ingpro ch’i sung álla mórt. Pór quëst mëssi intg iö pónse dá sënn ál giudizio - ál dé, olá ch’i mésserá nella vostra presenza é dant a dött l món ál supremo Vescovo dlés nostrés animés dé cunt dél grang ministerio, ch’ël m’a áffidé. Aber auch euch ermahne ich, an diesen Tag zu denken, an dem der Herr kommen wird, zu richten die Lebendigen und die Todten: ich ermahne euch dazu mit dem Nachdruck und mit der Innigkeit der zärtlichsten Hirtensorge. Stellt euch recht oft die Frage: Wo werden wir etwa an jenem Tage stehen? auf der rechten oder linken Seite des göttlichen Richters? Auf der einen Seite werdet ihr stehen, denn niemand vermag sich diesem Gerichte zu entziehen. «Wir alle werden stehen vor dem Richterstuhle Christi.» Röm. 14, 10. Die Frage ist also nur: auf welcher der beiden Seiten werden wir stehen? 9 Mó intgé Vós vés amónëschi, ché pónsëisé á quëŝ dé, ólá ché l Signur / gnerá á giudiché i Vís é i Mórtg. Ves ámónësché dá sënn e cól fistide ch’i mëss ávëi pór vós. Faĉésé dër gonót lá dimandá: Ólá sárunsé nós ing quël dé - á mang dërta ó á mang ĉiampa dél divin giudice. A öná ó ál atra pert sérunse dé sigü portgi ché dégügn ni po ŝámpé á quëŝ giudizio. «Nós dütg ung dá cómparí dant al tribunale dé Christo» Rom. 14, 10. Lá dimanda é ma söing cara dle itrames perts ché stárung. Christen! da ich jetzt am Anfange der heiligen Fastenzeit wieder zu euch allen zu sprechen den Trost habe, so will ich über diese Frage handeln; ich will euch zeigen, wie ihr euch dieselbe beantworten könnet. Ich sage: Ein jeder wird da stehen am letzten Gerichtstage, wo er in seinem Leben stehet und stirbt. Es darf also nur ein jeder redlich die Frage sich beantworten: wo stehe ich jetzt? und er wird die Frage, wo werde ich stehen? sich leicht beantworten können. 10 Christiagn! gia ch’i po incö na ótá sól principio dla Cársema raĝione cón vos Vés oi móstré, có ché vés podëis réspógné sö in quësta dimanda. Iö dísé Vignung sterá l dé dél giudizio sö in quera pert, olá ch’ël é in vita e ch’ël basta dunqué, ché vign’ung diŝé, ólá ch'ël sta sëgn, é ël sa déspo intgé, olá ch’ël stérá la óta. Gott gebe, daß der gute Same, den ich ausstreue, bei euch auf ein gutes Erdreich falle, und tausendfältige Frucht bringe. 11 Priunse i Dió, ché lá sómënzá dlá süa parola tómé sö in ung bung funz é pórte frütt! Was heißt das: Du wirst am letzten Gerichtstage da stehen, wo du jetzt bis in deinen Tod stehest? Es heißt so viel als: wenn du in deinem Leben standhaft auf der rechten Seite stehest, so wirst du auch am jüngsten Tage zur rechten Seite stehen; hingegen wenn du in deinem Leben und bis in deinen Tod auf der linken Seite stehest, wirst du auch am letzten Gerichtstage auf der linken Seite stehen. 12 Tgi óllé di quëst. Nél dé dél giudizio stëraste tö illo, ólá, che tö stas in vita e möres? Ël ó di tang co: Sche tö stas in vita frëm söllá dërta pert, stëraste állá dërta intgé l dé dél giudizio, ál incuntra, sché tö stas sëgn fina állá tüá mórt sölla ĉiampa - sëráste intgé l dé dél giudizio söllá ĉiampa. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 120 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Auf der rechten Seite aber stehest du jetzt, wenn du bei den Freunden Christi bist; wenn du an ihn glaubest, ihn liebest, wenn er in dir lebt, wenn du von seinem Geiste getrieben wirst, nicht von dem Geiste der Welt; wenn du nahmentlich bei den heiligen Versammlungen dich einfindest, in deren Mitte er zu sein versprochen hat Matth. 18., wenn du seiner Kirche bis ans Ende treu bleibest, und wenn du ihm in seinen Brüdern in deinen Mitmenschen, Gutes thust. Matth. 25. 13 Sölla dérta staste tö sëgn, sché tlá tëgnés cói amici dé Christo, sché tö craés in ël, sché tö l’amés, sché tö praés, laóres, dörés cón Ël - sché l so spirito é in te e no l’spirito dl món; sché tö és jong pro ël - sché tö réstés fédélé allá súa Chiesa é ché t’i feŝes dl bëgn nëi sü frédés, ch’é l to prossimo. Wenn aber dieses nicht an und in dir ist, wenn das Gegentheil davon an und in dir ist, dann stehest du auf der linken Seite. 14 Mó sch’ël né n’é quëst, sch’ël é dött l cóntrario pro te - déspo stasté tö sölla pert ĉiampá. Am letzten Gerichtstage wirst du auf der rechten Seite stehen, wenn du bei den Auserwählten Gottes sein wirst; wenn der Ruf des göttlichen Richters: kommet zu Mir, ihr Gesegneten meines Vaters, besitzet das Reich, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt! auch dir gelten wird. Hingegen auf der linken Seite wirst du stehen, wenn du bei den Feinden Gottes seyn wirst, wenn der Ruf des göttlichen Richters auch dir gelten wird: «Hinweg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, welches dem Teufel und seinem Anhange bereitet ist! » Matth. 25. 15 L dé dél giudizio séráste tö söllá dërta sché tö sérás pro [i] Eleti di Dio, sché lés parolés del div. Giudice: «Venite benedicti Patris mei é póssédédé l regno, ché vés é áppárëtgié dá principio dél món insö» vëgn dités intgé á té. Al incuntrá seraste la ota sölá ĉiampa, sché tö staras pro i nemici di Dió, sch’ëra tochëra intgé te la malediŝiung dél divin giudice: «Daluntsch dá me vos maledis - al füc eterno, ché vërt pór l demonio é pór chi, ché la tëgn con ël! » Nun verstehen wir, was es heißt, wenn ich sage: auf welcher Seite du in deinem Leben stehest, da wirst du auch am letzten Gerichtstage stehen. / 16 Quëst ó di: sö intgi pert, ché tö stás in vitá, steraste l dé dél giudizio. Ist aber dem auch wirklich so? Wirst du wirklich einst auf der Seite stehen, auf der du in deinem Leben stehest? Ja, so ist es ganz gewiß. Jesus Christus, die ewige Wahrheit, sagt uns selbst: «Der Menschensohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln, und dann wird er einem jeden vergelten nach seinen Werken.» Matth. 16, 27. 17 Mó érá pa intge inschö, che vign’ung sërá lá óta sö in quëra pert, sö in quëra ch’ël é in vitá. Sigü, Gesú l’eterna verité nés diŝ: «L fi dell’uomo gnërá colla gloria dél Padre áccómpágné dái sü Angeli, é lá ótá pájérálé vign ung da les sües opérés.» Matth. 16, 27. «Was der Mensch aussäet, lehrt Paulus, das wird er auch ernten. Denn wir Alle müssen erscheinen vor dem Richterstuhle Christi, damit ein jeder, je nachdem er in seinem Leben Gutes oder Böses gethan hat, darnach empfange.» Gal. 6, 8, II. Kor. 5, 10. 18 Tgi ché l’uomo sómëna, diŝ sang Paolo, quël tolerale intgé sö portgi che «Oportet nós aparere ante tribunal Chri, ut referat unusquis, prout gessit sive bonum, sive malum». Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 121 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 So spricht Jesus, so sprechen die Apostel, und den Glauben an diese Wahrheit hat auch die Kirche von jeher ausgesprochen mit den Worten des Glaubensbekenntnisses: «er wird kommen zu richten die Lebendigen und die Todten.» 19 Insciö insëgna Gesú - insciö inschö i sü Apostoli - inschö lá süa Chiesa cóles parolés dél simbolo: «Di lá a da venire a giudicare i vivi ed i morti». Ja, er wird kommen, und einem jeden nach seinen Werken vergelten, und die Weltgeschichte auf solche Weise abschließen; das große Mißverständniß zwischen Verdienst und Glückseligkeit, zwischen Schuld und Unglückseligkeit, das wir jetzt noch beobachten, wird er aufheben, und die Gerechtigkeit Gottes, die viel verkannte und viel geläugnete, wird vor der ganzen Welt im hellsten Lichte erscheinen. Vgl. II. Thess. 1, 6 ff. 20 Sché Ël gnërá, pájerá vign’ung do lés süés opérés, é stlüŝera inschö la storia dél món; pajerá tgi ch’é dá pajé; cástiérá tgi ch’é da castié é défénnërá la giustizia eterna, sëgn dá tantg niá cónéschödá é dá tantg lógónadá, dant á dött l món. / O wie wichtig ist diese Wahrheit? Wenn du, o Christi, in deinem Leben auf der rechten Seite stehest, so wirst du auch am letzten Gerichtstage auf der rechten Seite stehen - was begreift dieses alles in sich? Du wirst den lieben Heiland sehen mit huldvollem Antlitz; du wirst in deinem verklärten Leibe mit ihm eingehen in seine Freude; du wirst da den dreieinigen Gott sehen von Angesicht zu Angesicht, und wirst ihn aus entzücktem Herzen mit der Mutter Gottes, mit allen Engeln und Heiligen preisen, und jeden Augenblick neue Ausströmungen des ewigen Lichtes und der ewigen Liebe empfangen; wirst keine Thräne mehr zu weinen, keinen Kampf mehr zu kämpfen, keine Sünde mehr zu fürchten haben; und das alles wird ewig, ewig dauern! 21 O cótang ch’ël sta a quëst, ché tö siés, o Christiang, l dé del giudizio söllá dérta pert! É tgi né cóntëngn quëst in se! Tö ódérās l divin salvatore cólla süá ámabilissima faccia; cól to corp glorifiché entreraste nélla süá ligrëzza; t'odéras Iddio uno é trino da facia in facia, e cón plëna ligrëzza dél to cör l’lálderaste cólla beatissima Verg. Maria, cói Angeli é i Santg é vigni mómënt tscháferasté löm nöá é nöés ligrëzzés dálla süa eterná charita; dégönés légrimés lá óta plü - nia plü lá óta dá scómbattér - dégung pitgé plü dá sé tómëi, - é dött quëst dagnorá pór dágnorá! - Meine Christen! Wie viel thut man, um von den Menschen günstig beurtheilt zu werden? Wie unendlich wichtiger ist aber ein gnädiges Urtheil aus dem Munde Christi an jenem großen Tage! «Mir ist es das Geringste, sagt deßwegen der Apostel, von euch oder von einem menschlichen Gerichte gerichtet zu werden… Der mich richtet, ist der Herr, welcher auch das im Finstern Verborgene und die Absichten der Herzen offenbar machen wird, und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott.» I. Kor. 4. K. 22 Miei Chr.! Cótang né s’laschung cóste, pór varëi pór bugn dant állá ĝënt? Cótang plü né stale á quël, ch’áldiunsé in quël dé na buna séntënza dállá bótgia dé Chro in quël grang dé! «A mé m’impórtl l manco, diŝ pór quëst l’Apostolo, có chi vëgné giudiché dá vós ó dá ung giudice umano, … quël ché mé giudica é l Signur, quël ché fáŝëra intg gní á löm, tgi ch’é áscognü é lés intenziuns dél cör é lá ótá ĉiáfára vign’ung so lald dái Dio. I Cor. 4. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 122 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Hingegen wenn du jetzt auf der linken Seite stehest, wirst du auch einst auf der linken Seite stehen, und wie unendlich viel begreift auch dieses in sich? Als Jesus im Oelgarten zu seinen Feinden, die ihn suchten, die Worte sprach: «Ich bin es,» fielen sie vor Schrecken zur Erde. Joh. 18. 23 All’incuntrá, sché tö es sëgn söla ĉiampa, sëraste intgé lá óta sölla ĉiampa - é tgi ó mai di quëst? Cang ché Gesú á dit néll’urt ái sü nemici quërés sórés párólés: «Iö ’l sung» éi tómá dállá spórdödá ia pór terrá. Wie wird dem Sünder zu Muthe seyn an jenem Tage, wenn Jesus ihm zurufen wird: «Hinweg von mir, Verfluchter! » Und wohin wird er ihn verweisen? in das Feuer, das dem Satan und seinem Anhange bereitet ist; an den Ort, wo der Wurm nicht stirbt, und das Feuer nicht erlischt, in den Ort den (! ) Qualen, wo die lechzende Zunge auch nicht mit einem Tropfen Wasser wird abgekühlt werden; in die äußerste Finsterniß, wo ewiges Heulen und Zähneknirschen ist. Mit diesen Worten bezeichnet der Heiland die Strafen, die dem Sünder jenseits bevorstehen. 24 Có mai i sërálé a cör ál pitgiadú in quël dé; cang che Gesú i deŝerá: «Déméz dá me meledi! » É ollá? in quël füc, ch’é áparatgié ál Demonio é á chi, ché le tëgn con ël; in quël lüc olá che lá biscá, che mórt lá cónsciënzá né mör mai; olá ché l füc né déstöda mai - al lüc déi tormentg, olá ché ël né sërá ná góttá d’ega á desfresché lá lëingá sütta - nél scür estremo - pór áldi dötta l’eternite nia atér, có blëstemmés, urli, malediŝiuns é rótang cói dënz - cón quëstés (espreŝiuns) parolés nés déscri l salvatore lés pënes, ch’áspettá néll’ atér món ái pitgiaduŝ. - Der heilige Ephräm von Edessa predigte einst über das letzte Gericht; mehrmahls brachte der markdurchbebende Gedanke an das Schicksal derer links den heiligen Mann zum Schluchzen und Weinen, und erstickte seine Stimme; mehrmahls rief das Volk ihm zu: Diener Gottes, rede weiter, fahre fort uns zu belehren! Da sagte er denn unter Anderm: «Ach, meine Brüder, was wollet ihr hören? O Schreckenstag! Wehe mir! Wehe mir! Wer getraut sich zu / erzählen, wer getraut sich anzuhören, was in jener Stunde des Jammerers vorgehen wird! 25 - Sant Efrem pórdicá na ótá déll’estremo giudizio - Plü ótes a l pinsiêr tremendo állá sorté dé chi, ch’é sóllá pert ĉiampa scómöt l’sant talmentér ch’ël i gné les legrimes é ch’ël né n’é plü bung dé di nia - La ĝënt screia: Servo di Dio ragiona plü inant - cóntinuëia á nés insigné - E lá sura diŝ ël fra ater: «O miei fredéŝ tgi orëise áldí? O dé dé spávënt! püré me! puré me! Che s’infidá á cunte, ché s’infida ád áldi, chël ché sóccédéra in quër’ órá spaventósa! Ihr alle, die ihr Thränen habet, weinet mit mir, und die keine haben, mögen vernehmen, welches Loos ihrer harret, und ihr Heil nicht mehr vernachläßigen. Alsdann werden die Menschen ewig voneinander getrennt werden; die Bischöfe von den Bischöfen, die Priester von den Priestern, die Kinder von den Aeltern, die Freunde von den Freunden. 26 Vos dütg, ch’ëis legrimes pitédé cón me - é chi, ché n’ung n’a dégönés, aldé tgi ché i áspétta é ne ĝiöma á mëtter in sigü la sua salute. Lá óta gnërá seperada lá ĝënt pór dëgnora. I Vescovi dái Vescovi, i sacerdoi dái sacerdoti - lés creatörés dai sü genitori, i amici dai sü amici. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 123 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Nach geschehener Trennung werden die «Verurtheilten» den Auserwählten mit Thränen zurufen: ewiges Lebewohl, Heilige und Diener Gottes; lebet wohl ihr Aeltern, Kinder und Freunde; lebet wohl, Propheten, Apostel und Märtyrer! Lebe wohl, allerheiligste Jungfrau, Mutter des Herrn. Ihr habet gebethet für unser Seelenheil, wir aber wollten uns nicht retten. Lebe wohl, heilbringendes Kreuz; lebe wohl, Paradies und Wonnegefilde, Reich der Ewigkeit, himmlisches Jerusalem! Lebet wohl, ihr Alle, wir werden uns nicht mehr sehen, nun versinken wir in einen Abgrund von Schmerz und Qualen, aus dem ewig keine Rettung mehr zu hoffen ist.» (Serm. de extr. judic.) So der h. Ephräm. 27 Déspártiês ch’ëi sërá i danna, tolérai cómie pór dágnora con legrimes dai bung. A Dió á nés ódëi mai plü. Profetti, Apostoli, Martiri - A nés ódëi mai plü santiss. Verg. M. madre di Dio. Ëis prié pór la nostra salvezza mó nós né nés ung orü sálve. A nés ódéi mai plü s. Cruŝ. - A nés ódëi mai / plü Paraíŝ - déllá gloria régnó déll’eternité, celeste Gerusalemme. Adio a vós dütg! né vés ódërung mai - mai plü, tómung in ung infern dé me é dé tormëntg, da quël, ch’ël né sërá in eterno plü rédenziung. So unendlich wichtig ist diese Wahrheit, so mächtig ergreift sie die Seele. Wir finden auch in der Geschichte, daß wirklich die Sünder, denen das letzte Gericht vor Augen gestellt wurde, entweder mit Gewalt sich von dieser Wahrheit abwendeten, um in der Sünde bleiben zu können, oder daß sie sich von der Sünde bekehrten. Das Erste that der Landpfleger Felix; er zitterte, als Paulus zu ihm von dem künftigen Gerichte redete, und ließ den Apostel abtreten. Apostelgesch. 24. 28 Dé tgi impórtanza immensa né n’é quësta verité é tgi forza ne n’ará sö lá nostr’anima! Pór quëst liunse intgé che pitgiaduŝ, á chi ché l’ultimo giudizio i gné mettü dant, s’a ó ót démétz á fórzá dá quëstá verité, enschöché l fléghér Felice dant á s. Paolo; K. Bogoris hingegen, König der Bulgaren im 9. Jahrhundert, bekehrte sich vom Heidenthum zum Christenthum, sobald er in einem Gemälde des h. Methodius die Darstellung des einstigen Gerichtes erkannte. (Butler Leben der Heiligen III. Band.) Er stellte sich von der linken zur rechten Seite, um einst auf der rechten zu stehen. In dieser Welt ist es nähmlich möglich, den Platz zu wechseln, von einer Seite zur anderen hinüberzugehen; jenseits aber ist dies nicht mehr möglich. 29 ó ch’ëi s’a cónvértí inschöche Bógóris re dei Bulgari, ché s’a cónvertí ál Christianesimo cang ché s. Metodio i a dépënt dant l’estremo giudizio - ólá ch’ël sé ćonëschó söllá pert ĉiampa. Ël s’a fatt dállá ĉiampá sölla dértá, pór podëi ste ná óta allá dërta. In quëŝ món pong tgiámó baráté post, róve dá öná pert söll’atra, mo in quël món né n’élle plü póssibl. Es ist also eine eben so gewisse als wichtige Wahrheit: Auf welcher Seite du im Leben stehest, auf derselben wirst du auch am letzten Gerichtstage stehen. So fraget euch denn also aufrichtig, meine geliebten Christen, auf welcher Seite ihr jetzt stehet. 30 Ël é dunque ná verité tang sigöda có impórtante: sö in quëra pert, ché tö stas sëgn in vita, sö in quëra staraste intgé l dé dél giudizio. Dámánésse dunque, miei cari Christiagn, sö in tgi pert, ché vós stëis sëgn. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 124 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Wo stehst denn z.B. du, Ungläubiger? Ach, auf der linken Seite; denn «das ist Gottes Geboth, daß wir glauben an den Nahmen seines Sohnes Jesu Christi.» I. Joh. 3, 23. «Wer dem Sohne nicht glaubt, der macht Gott zum Lügner, weil er an das Zeugniß nicht glaubt, welches Gott von seinem Sohne bezeuget hat.» Ebend. 5, 10. Du wirst daher, wenn du in deinem Unglauben verharrest, auch am jüngsten Tage auf der linken Seite stehen. 31 Sö in cárá pert stasté pér esempio tö incredulo? O pö massa sólla ĉiampa: pórtgi, quëst é l cómando di Dió, ché crdunsé nél inóm dél so unigenito. I Joa. 3. Quël ché né crëi ál fi, féŝ Iddio báóŝorung, pórtgi, ch’ël né crai niá söllá testimonianza, ch’i Dio a de dél so fi. Ibid. 5. Sché tö cóntinuëiés dunque nellá tüa infedelte, sëráste intgi l dé dél giudizio sölla ĉiampa. Der Heiland sagt: «Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet.» Joh. 3, 18. O stelle dich daher jetzt, da es noch Zeit ist, zur Rechten! Mit dem Liebesjünger rufe ich Allen zu: «Wie Christus euch gelehrt hat, so bleibet in ihm. Ja, Kindlein, bleibet in ihm, damit wir, wenn er erscheinet, Vertrauen haben können, und von ihm nicht beschämt werden, bei seiner Ankunft.» I. Joh. 2. 27. 28. Vgl. Luk. 9. 26. 32 »Quël che né crái é béllé giudiche.» O métteté sëgn, ch’ël é tgiamó ádórá ássa söllá dërta! Cón S. Giovanni vés ámónëschi: «Insciöché Chro. vés a insigné, réstéde inschö in ël. Sché miei figli, réstéde in ël, affinché, cang ch’ël vëgn, ché pódunsé i ĝi cón baldëza ádincuntra, é ché né méssunse nés dóde. Wer von der wahren Kirche abweicht, der weicht auch von Christus und dem wahren Wege in die Ewigkeit ab. Wer euch hört, der hört mich, wer euch verachtet, der verachtet mich, sagt der Heiland. Die wahre Kirche Christi ist aber nur diejenige, die auf dem Felsen stehet, auf den Jesus seine Kirche gebaut hat, und dieser Fels ist Petrus, und sein rechtmäßiger Nachfolger, der römische Papst. «Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.» Matth. 16, 18. / 33 Quël ché árbándonna la véra Chiéŝa, árbándonna Gesú - é lá vera strada allá saluté. «Quël, ch’alda vos alda me, quël ché déspriŝa vos desprisa me» diŝ Gesú istëss. Lá véra chieŝá dé Gesú é quërá sórá, ch’e sta sö l crëp sö ing quël, ch’ël l’a fóndadá, e quëŝ crëpp e Petro é l so legittimo successore, l romano Pontefice. «Tö és Pietro, ó di ung sass, é sö in quëst fabricherai lá mia chiésá é lés pórtés dél infern né pódërá nia dé cuntra.» Und auf welcher Seite stehst du, Verächter des Gottesdienstes? Du verachtest das Gebeth, und die hochheiligen Geheimnisse der Religion. Du stehest zur linken Seite, und wenn du dich nicht besserst, so wirst du auch einst zur linken Seite stehen. Die ersten Christen beharrten in der Lehre der Apostel, im Gebethe, und im Genuße des heiligsten Altarssakramentes, von welchem die Kirche, von der Zeit der Apostel an, glaubte, dasselbe sey wahrhaft das Fleisch unsers Heilandes Jesu Christi, welches für unsere Sünden gelitten hat. Apostelgesch. 2, 42. 34 Sö in tgi pert stasté pá tö disprezzatore dél culto di Dió? tö ché né t’ung das niá d’óraziung é déi santi sacramëntg dél tremendo sacrifizio? Tö és söllá ĉiampa é sché né te t’emendes, sërasté intgé lá ótá söllá ĉiampa. I pröms christiagn tigni állá dóttriná déi Apostoli é áll’óráziung - é cóntinua á rétschöé l santiss. sacramënt, dé quël ché la chiesa á crdü béllé dá laóta insö, ch’ël é l véro corp dél noŝ salvatore, ch’á páti pór i nüŝ pitgia. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 125 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Sie standen auf der rechten Seite: wer das nicht thun mag, steht auf der linken. Du willst das Wort Gottes nicht hören; du bist also nicht aus Gott. Joh. 8. Du magst nicht bethen, besonders nicht gemeinschäftlich bethen: wenn Zwei oder Drei im Nahmen Jesu versammelt sind, ist er mitten unter ihnen; wer bei einer solchen Versammlung nicht seyn mag, will bei Christus nicht seyn, stellt sich zur Linken, wird daher auch einst auf der linken Seite stehen. Oder sage nur, wie könntest du einst in die Gesellschaft derjenigen taugen, die in Ewigkeit bethen, in Ewigkeit rufen: Heilig, heilig, heilig! 35 Ei é sölá dërta pert. Quël ché né n’ó fa quëst, sta söla ĉiampa. Tö né t’ós niá áscólte la div. párola, né t’es dunque dá Dió. Tö né t’ós niá fa óráziung - dang dá dött nia débóriada cói atri: Cang ché dui é trëi é ábinná nél inóm dé Gesú éllé ël in mézz ád ëi; quël ché né n’o ésser pró chi, ché prëia débóriada, né n’ó nia éssér pro Gesú, é sé mëtt söllá ĉiampa é sërá intgé ná óta söllá ĉiampá. O có pódërá fóŝ ung tal bótté ná ótta fra l’numero dé chi, ché féŝ dötta l’eternité óráziung, / é déŝerá dagnora tres: Santo, Santo, Santo! - Du magst nicht beichten, magst dir die Sünden nicht vergeben lassen von dem Stellvertreter Christi (Joh. 20.) in dem geheimen Gerichte der Buße; du willst in der Sünde bleiben, willst auf der linken Seite bleiben im Leben, wirst also auch auf der linken Seite stehen am jüngsten Tage im Weltgerichte. Du willst dich selbst nicht richten, wirst also einst gerichtet - verurtheilt werden. Vgl. I. Kor. 11, 31. 36 - Tö n’ung das nia dé té cónfésse - dé te lásche assolvér dái tu pitgia dal sacerdote, ch’é impé dé Gesú ád áscuŝ; t’ós reste néi tü pitgia, t’ós résté söllá ĉiampa in vita, serás pór quëst intgé sölla ĉiampa l dé dél giudizio. Né té t’os giudiché istëss te gnërás dunque lá óta giudiché dant á dött l món é cóndánne. Du magst dem h. Meßopfer nicht beiwohnen, und die h. Kommunion nicht empfangen. Der Heiland ist in diesem Geheimnisse wahrhaft, wesentlich und wirklich gegenwärtig; von diesem Geheimnisse sich entfernen, heißt sich von dem Heilande entfernen. Nach dem Auftrag des Apostels sollen wir bei der Feier dieses Geheimnisses den Tod des Herrn verkünden, bis er wieder kommt I. Kor. 11, 16., also bei diesem Geheimnisse sollen wir auf seine Wiederkunft, auf das Gericht, warten. Wohin anders, als auf die linke Seite wird daher derjenige kommen, den der Herr bei der Wiederkunft da nicht findet, wo er ihn finden will? 37 Tö né t’un dás nia dé ĝi állá s. Mëssa - é dé rétschöé lá s. Cómóniung ólá ché l salvatore é realmëntér preŝente; sé tigni dáluntsch da chiŝ misteri é tang có sé tigni dáluntsch dál salvatore istëss. Do l comando dél Ap. déssung incóndé é, deperpo, ché célébrung quëŝ misterio, lá mort dél Signur finá ch’ël vëgn - dunque pro quëŝ misterio déssung áspétte, ch’ël vëgné indo - á nés giudiché. Ólá dunqué có söllá ĉiampá róérá quël ché l signur né ĉiaffá cang ch’ël vëgn, illó, óllá, ch’ël l’ores ĉiaffé! Er sagt es auch mit klaren Worten, daß die Verächter des heiligsten Geheimnisses weder jetzt noch in Zukunft das wahre Leben besitzen. «Wahrlich, wahrlich sage ich euch, wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht essen, und sein Blut nicht trinken werdet, so werdet ihr das Leben nicht in euch haben. Wer mein Fleisch ißt, und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am jüngsten Tage.» Joh. 6, 54, 55. 38 Ël l diŝ intgé cón párolés tlerés, ché chi che déspriŝa l misterio l plü sant (dél so corp) ne n’a nó ŝëgn, nó pór l ávegni la vérá vita. «In verite in vérité véŝ diŝi, sché né mángërëis la mia tgiern - é né bóérëis l mio sanc, né n’ërëis lá vitá in vós. Quël ché mangiá la mia tgiern é bëi l mio sanc, á la vita eterna, é iö l faĉëra résóri l’ultimo dé. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 126 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Auf welcher Seite stehst du, der du lieblos, ungerecht und grausam gegen deinen Nächsten bist? «Das ist Gottes Geboth, daß wird einander lieben.» I. Joh. 3, 23; ja daran wird man erkennen, daß wir seine Jünger seyen, daß wir einander lieben. Joh. 13. Was wir dem Gerinsten (! ) unter den Menschen thun, das thun wir ihm. Matth. 25. 39 Sö in cará pert staste tö, ché t’és sënza charitá, ingiust, crudé verŝo l to prossimó? «Ël é cómandó di Dió ché nés ámunsé débóriada. I Ioans. 3. Sché dá quël cónéschérang ché sung i sü discepoli, sché nés ámung débóriadá. Ioan. 13. Tgi ch’i fáĉiung ái mëindri frá lá ĝënt i faĉiunsé ád ël. Matth. 25. - Wehe daher demjenigen, der den Nächsten betrübet und mißhandelt! «Diesen Knecht wird der Herr, wenn er kommt, absondern, und ihm seinen Theil mit den Heuchlern geben: da wird Heulen und Zähneknirschen seyn.» Matth. 24, 48. Wehe demjenigen, der den Nächsten durch Betrug und Diebstahl um sein Eigenthum bringt! «Das ist der Wille Gottes, daß keiner seinen Bruder übervortheile und im Geschäfte überliste; denn der Herr ist Rächer von allem diesem, wie wir euch vorhergesagt und bezeugt haben.» I. Thess. 4. 40 Guai pór quëst á quël, ché trámëntá é máltrata l so prossimó.» Quëst servó ĉérnéra l signur cang, ch’ël vëgn é i dërá lá süá pert pro chi ché sváiá é rottá cói dënz. - Guai a quël, ché cóndüŝ l so prossimo cón furbariés ó cón rubamëng dál fatt e so. «Quësta é lá órónte di Dio, ché dégung né inganne nél ŝácáré l so prosŝimo; pórtgi ché l signur sé vindichëia cuntra dé tai, inschöche vés l’ung néllé ditt. I Tess. 4. - Wehe auch demjenigen, der dich durch Streit und Hader von dem Nächsten trennt, vielleicht auch von denjenigen, die ihm die allernächsten seyn sollten, von seinem Ehetheile, seinen Aeltern, Geschwistern u.s.w. Solche Trennung ist ein Vorspiel der ewigen Trennung. Gott ist ein Gott des Friedens, und nur die Friedfertigen werden Kinder / Gottes genannt werden. Matth. 5. 41 Guai intgé á quël ché né viŝiná cól so prosŝimó - fóŝ intgé cón chi no, chi, ch’i déss éssér plü dá impro - cólla sua consorte, cói sü génitori, cói sü fredéŝ! Lés discórdiés é l sëgn dé discordia eterna - é dé eterna separáziun. Dió é Dió déllá peŝ - é súŝ chi ch’amá lá peŝ vëgn tláma fis dé Dio. Matth. 5. - Wehe auch denjenigen, die den Bedrängten nicht zu Hülfe kommen. Sie werden die Worte des Richters hören: «Ich war hungrig, und ihr habet mich nicht gespeiset.» Matth. 25. Die Liebe ist die Summe der ganzen Religion, denn sie thut nur Gutes; die Liebe ist die größte und ewig bleibende Tugend; die Liebe gibt den Werth unserer Handlungen; und sie ist das Kennzeichen, ob und daß wir Religion haben. Niemand kann zweien Herren dienen; was man ohne Liebe und ohne Frömmigkeit thut, hat vor Gott keinen Werth. 42 Guai intge á chi ché n’ájüta niá biŝognósi. Ëi áldirá les parolés dél div. giudice: «Iö a álbü fang é n’é m’ëis niá de dá mángé. La charitá é lá sómmá dé döttá lá religiun pórtgi ch’ëra né féŝ ater có dl bëgn. Lá charitá é lá maju virtú, quëra che döra dágnorá; lá charitá i da lá valüta állés nostrés óperés - é ërá é l sëgn ch’ung religiung. Dégügn né i po sórvi á dui pátruns, tgi ch’ëng féŝ sënza charitá né n’á dégöná valütá dant ái Dió. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 127 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Und wo stehst du, Sclave der Sinnenlust, Unmäßiger und Unzüchtiger? Auch du stehst auf der linken Seite. «Lasset uns ehrbar wandeln, wie am Tage, sagt der Apostel, nicht in Schmausereien und Trinkgelagen, nicht in Unzucht… sondern ziehet den Herrn Jesum Christum an.» Röm. 13. Wer also der Unzucht ergeben ist, hat den Herrn Jesum nicht angezogen, steht auf der Seite der Verworfenen. Unter Thränen spricht der Apostel von den Feinden des Kreuzes Christi, deren Ende das Verderben, deren Gott der Bauch ist.» Philipp. 3, 19. Der unmäßige, hartherzige Prasser ward nach seinem Tode in der Hölle begraben, von wo aus er den armen Lazarus in der himmlischen Herrlichkeit sah. Luk. 16. K. 19-31. 43 É sö in cará pert ésté tö schiavó déllá sensualitá é dél to proprio corpo, tö intemperante é impuro? Söllá ĉiampá. «Viunsé cón módestia, inschöcódé nés ámónësch l’Apostolo, no nél mángié é bëiré massá - no néll’impuritá mó vistisse dél noŝ Signur Gesú Chro Rom. 13. Quël ché sé da dunqué / á ná vita disonestá né s’a tgiamo vistí de Gesú Chró é sta sölla pert déi danná. Cón légrimés raĝióna l’Apostolo déi nemici dlá Cruŝ dé Chró la fin dé chi, ch’é süa eterna róvina - l Dio dé chi, ch’é l so vënter. Phil. 3. L’intemperanto é crudé Epulone é do süa mórt gnü sopóli nél infern é ódo (da illó fora) l püre Lazaro nélla gloria dél páráiŝ. - Und du, Unzüchtiger, wie wirst du rufen, an jenem Tage: Berge fallet über mich, und Hügel bedecket mich! Aber sie werden nicht über dich fallen: im Angesichte der ganzen Welt wirst du gerichtet werden. «Der Herr weiß, sagt Petrus, die Ungerechten auf den Tag des Gerichtes aufzubewahren, vorzüglich aber diejenigen, welche in der unreinen Lust dem Fleische nachwandeln.» II. Petr. 2, 9-10. Und wie könnte dein Leib ähnlich werden dem verklärten Leibe Jesu Christi, da du ihn so schändlich mißbrauchst? 44 É tö impuro e diŝonesto, có scrájërasté in quël dé: Munts tómédé sura de me, e cói córimmé ité, mó ëi né tómërá é né t’áscógnërá - dant á dött l mon gnërasté tö giudiché. «L signur diŝ s. Pietro sa dá sé réservé i ingiustg pór l dé dél giudizio, mó dang da dött chi, ché vii in ligrëzzés impures é diŝónéstés do la süa i i indlétg dlá süá tgiern II Petri 2. é co pódés mai résóri l to corp glorioso allá sómëia dél corp de Gesú, óllá che tö l strabatschés in öná maniera tang orenda? Und welches wird dein ewiges Schicksal seyn, unentschiedener, lauer und träger Mensch, der du dich nicht gegen Christus, aber auch nicht für ihn erklären willst; der du vielleicht nicht große Frevel begehst, aber auch durch nichts Gutes wirken magst, und vielleicht treffliche Talente, die du empfangen, unbenützt läßt? «Niemand kann zwei Herren dienen.» Matth. 5. «Wer nicht mit mir ist, sagt Christus, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.» Luk. 11, 23. 45 E quará sëra lá tüa sorte eterna Christiang tiepido, plëign dé fraigité (! ) é ché né t’és bung dé té résolve ná óra dá sen? Tö ché né t’és pórater niá cuntra - mó no intgé cón Gesú; tö ché né té cóméttés foŝ tang dé gragn pitgia - mó ché né t ung das intgé nia dé fa dl bëgn no, é ché té laschés i talenti foŝ gragn, ch’Iddio t’a de sënza i adóre. «Quël ché né n’e cón me diŝ Gesú é cuntra de me é quël ch é n’abbiná cón me ŝchiüra in dálater.» Luc. 11. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 128 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Und wenn du dich nicht ernstlich für Christus entscheidest, so wirst du auch einst auf der Site der Verworfenen stehen. Höre, was Christus sagt: «Ein jeder Baum, der keine guten Früchte bringt, wird ausgehauen und in’s Feuer geworfen.» Matth. 3, 10. «Ich weiß deine Werke, daß du weder kalt noch warm bist… weil du aber lau bist, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.» Offenb. 3. 15. Darum rufe ich allen zu, mit dem heiligen Petrus: «Brüder, befleißet euch, euren Beruf und eure Erwählung durch gute Werke gewiß zu machen… denn so wird euch ein weit offener Eingang in das ewige Reich unsers Herrn und Erlösers Jesu Christi verstattet werden.» Petr. 1. 46 E sché né té té résolves dá sënn á éssér cón Chro., séraste intgé na ótá söllá pert déi danna. Alda tgi ché Gesú diŝ: «Vigni lëgn ché né pórta bugn früttg, gnërá tajé ĝiö é mettü inté füc.» Matth. 3. Iö cónësché lés tüés opérés é sa ché né t’és no tgialt, no frëit - é dedé quël ché t’és tgiöé te spódérai fora dé miá bótgia. Apoc. 3. Pór quëst vés ámóneschi dütg cón S. Pietro: «Fredés déssé bria dé fa sigöda lá vostra eleziung é lá vostra salvezza cón de bunés opérés, … ché pódeisé éntré con maju solennité nél regno eterno dél noŝ Signur G. Chro.» I. Petri. I. Ich sage nun zum Schlusse: Wir alle wollen nun unser Gewissen erforschen. Ihr, die ihr auf der linken Seite stehet, stellt euch in Eile zur Rechten; folget dem göttlichen Gnadenrufe; ich bitte euch bei dem furchtbaren Gerichte Gottes; und ihr, die ihr auf der rechten Seite stehet, bleibet stets im Guten; ihr aber, die ihr abgewichen seyd von der rechten Seite, eilet in die Arme der Kirche, die euere Mutter ist, und euch Vergebung der Sünden verleihen kann. Ich bitte und ermahne euch bei dem furchtbaren Gerichte Gottes. Bewahret den Glauben; kämpfet fortan einen guten Kampf, und vollendet euren Lauf für eine selige Ewigkeit. / 47 Iö diŝe dunqué pór finí: Orung dütg ŝáminé nostra cónschiënza Vos, ché stëis söllá pert ĉiampa, o méttésé áttira söllá dërta; ólghëi allá uŝ dlá div. grazia, iö vés prëii, pór l tremendo giudizio di Dio - é vós ché stëis sölla dërta - réstédé ŝodi nél bëgn; Vós áll’incuntrá, ché sëis tóma tschërá dállá dërta pert - faĉiésé débota néi bratsch déllá chiésa ch’é vostra madre é vés po pórdóné i pitgia. Iö vés prëie é ves ámónëscé pór quël tremendo giudizio di Dió. Conservédé lá fédé; scómbáttéde bëgn - é cóntinuéde, ché finisé l vos córsó pór ná beata Eternité! … 43 48 Meine lieben Christen, bethet für euren Bischof, der euch mit ewiger Liebe zugethan ist. 49 Ich ertheile auch allen den bischöflichen Segen: «Der Gott des Friedens heilige euch vollkommen, damit euer ganzer Geist, Seele und Leib, tadellos aufbewahret werden, für die Ankunft unseres Herrn Jesu Christi.» Amen. 1.B. Thessal. 5. 23. 50 Iö da a dütg lá mia bénedisŝiung apostolica: «L Dio délla peŝ vés santifiché perfetamënter, affinché dött l voŝ spirito, la vostr’ anima l vos corp réste senza matgia é défétt pór l dé déllá venuta dél noŝ Signur Gesú Chró Amen Brixen am 4. Jänner 1845 51 Bressanone li 4 Ge  ajo 1845 Bernard, Bischof. 52 Bernardo Vescovo 43 43 Es folgen im deutschsprachigen Text (wie auch in jenem von 1861, unten) die - aus heutiger Sicht sehr strengen - konkreten Fastenvorschriften, die aber nur in den Patenten von 1852, 1853, Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 129 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Text 17 = 1857 Vinzenz, durch die Erbarmung Gottes und die Gnade des apostolischen Stuhles Bischof von Brixen, entbietet allen Gläubigen seiner Diözese Segen und Heil in Jesu Christo unserem Herrn. 1 Vincenzio Per la divina misericordia e per grazia dell’apostolica sede Vescovo da Persennú incunda a dutg i Fedeli della sua Diocesi benedisiun e salute in Gesu Cro noŝ Signur. «Ich komme zu euch, Geliebteste, im Namen des Herrn.» Der hochselige Fürst-Bischof Bernard, der durch fast volle 27 Jahre diesem Bistume mit ruhmvollem Eifer als Oberhirt vorstand, hat am 17. May des vorigen Jahres den Hirtenstab mit jenem Wanderstabe vertauscht, den jeder Sterbliche für seine Reife in die Ewigkeit zur Hand nimmt. Er erlag der Last des Amtes und des Alters. Sein Andenken wird nicht blos in dieser Diözese, sondern in weiten, weiten Kreisen gesegnet seyn. 2 Nel inom dél Signur vegni da Vos, Dilettissimi! L Principe e Vescovo Bernardo, Dio l’abbi alt in gloria, á despo ch’ël i é ste dant alla nostra Diocesi tanco 27 agn, i 17 de Má l’ann passe, lasce questa vita e é ĝiu la strada che vigniun va all’eternité. La sua memoria e benedida luntsch e leerc. Ich bin der Erbe seines Amtes, und wie ich hoffe, auch seines Segens: denn zwischen mir und ihm waltete ein Geist der Liebe, wie er nur zwischen Sohn und Vater obzuwalten pflegt. Darum habe ich aber auch an seinem Sarge Thränen geweint, die nicht bitterer hätten seyn können. Daß sein Segen auf mir ruhe, dieß bestätigen mir die unzähligen Beweise von Liebe und Anhänglichkeit, die mir von allen Seiten meiner Diözese seit jener Zeit zugekommen sind, als meine Erwählung zum Fürst=Bischof von Brixen in Folge der allerhöchsten Ernennung Seiner apost. Majestät, unseres Kaisers Franz Joseph I. und der Betätigung Seiner Heiligkeit, des Pabstes Pius IX. zur Gewißheit geworden ist. 3 L so uffizio ai io arpe, e i spere impara inçhie sua benedisŝiun: porçhi ch’i l’amaa da fí; e quest ee inçhie la gausa dles mies lagrimes, les plu çialdes ch’i a pité so la sua fossa. - Che la sua benedissiun e sura de me - m’assigura les testimonianzes innumerabiles d’amur e de obbedienza, ch’i á reçevú da vigni pert della mia Diocesi - pornanche la mia elezione alla dignitá vescovile da pert de sua Mejestá l noŝ Imperadu Franc. Gius. e stada confirmada da Sua Santitá, l som̄ o Pontefice Pio nono. Wie oft habe ich bei dem Gedanken an diese Beweise von Liebe und Anhänglichkeit mit freudigem Danke Gott die Ehre gegeben, und mit dem Psalmisten anbethend ausgerufen: «Du bist mein Beschützer, o Gott! auf dich will ich hoffen: denn du bist es, der mein Volk mir unterwirft.» Psalm. 143, 2. Das hat der Herr gethan; und es ist wunderbar in meinen Augen. Denn ich bin ja nur ein armer Sohn der heimathlichen Berge, und bringe zum bischöflichen Amte nichts anderes mit, als daß ich meine Schäflein und seine Hirten kenne. 4 Cotagn d’jadi ch’i a pa alla vista de quiŝ segns d’amur e riverenza con ligrezza ringrazie Iddio e ditt: «No a me o Signur, mo al voŝ inom sie vigni gloria» - e prié deperpo con Davide con umile fiducia: «Vos me defenneis, o Dio; in Vos ói speré: dee che Vos seis quel, che me metteis a ste sott l mio popolo.» L Signur elle sté, ch’a fat quest, e al me pee de morveia dant ai mi edli.» Porçhi ch’i sun po ma un pure fí dles nostres montagnes - n Tirolese - e ne porte ater con me alla dignitá de Vescovo, co ch’i conesce les mies pecorelles e i sü fameis. 1855, 1858 und 1859 mitübersetzt sind und deswegen hier nicht abgedruckt werden. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 130 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Mit Land und Leuten bin ich von Kindheit an aufs Innigste verwachsen. Jedes Kirchlein, in dem mit Andacht gebethet wird, jedes Haus, in dem noch schlichte, keusche Sitte wohnt, ist meinem Geiste gegenwärtig; alles, was unser liebes Vaterland Gutes und Schönes aufzuweisen hat, machte von Jugend auf den lebhaftesten Eindruck auf mich und/ trieb mich an, seiner nicht unwürdig zu seyn. Möchte ich meiner neuen Stellung als Nachfolger des hl. Kassian, Ingenuin, Albuin und Hartmann im Stande seyn, die Erwartungen, mit denen meine Bisthums=Angehörigen mir entgegenkommen, auch nur von Ferne einigermaßen zu erfüllen, und im Geiste dieser hl. Vorfahrer das bischöfliche Amt zu verwalten! Gott wird helfen: er weiß, wie ich bereit bin, für jedes meiner Schäflein mein Leben hinzugeben. 5 Con ĝent e pais sunsi da pitçhe inso gniú conesciú. Vigni dliŝia, in quëra ch’en preia con devoziun, vigni familia, olá ch’era val çhiamo la semplicitá e innocenza dei costumi - ai tan co dant ai mi edli. Dott çhi che la nostra patria a de bun e de bell, má belle da pitçhe insö tropp interesŝe e mene sura ne me reporte da so indegno fí. Ch’i foss pa bun inçhe nella mia noa dignite, come successore dei S. Cassiano, Ingenuino, Albuino e Artmanno, de derze fora almanco in pert çhi ch’ei aspetta da me i miei Diocesani e de rezzer nel Spirito de quis santi antecessori la mia Diocesa! Iddio deiderá: El sa, / cotan pronto, ch’i sun de de la mia vita por vign’ona dles mies pecoreles. Ich ergreife, Geliebteste, den Hirtenstab in einer ernsten Zeit. Ich täusche mich nicht, mir ist nicht Ruhe, sondern Kampf beschieden. Wenn ich unsere Zeit und das Walten des guten und bösen Geistes in ihr betrachte, so fällt mir immer das Wort der geheimen Offenbarung ein, wo es heißt: 6 L temp, in quel ch’i scomentsche a reggere la Diocesi, e n temp, che dá plu che mai da pensé. Deperpo ch’i da a ment, co ch’era va söl mon, co ch’el laora e se manésa l bun Spirito e l rí, me tomeres décontin ite les parores dello Spirito s. nell’Apocalisse: «Wer schaden will, schade noch, der Unreine verunreinige sich noch, der Gerechte hingegen werde noch gerechter, und der Heilige werde noch heiliger. Denn sehet, ich komme bald, und mein Sohn mit mir, um einem jeden nach seinen Werken zu vergelten.» Geh. Offb. XXI, 11. 12. Unsere Zeit ist eine Zeit der Scheidung zwischen Guten und Bösen, zwischen Christenthum und Antichristenthum, und die Kluft zwischen beiden wird mit jedem Tage größer. 7 «Qui nocet, noceat ad hiu, et qui in sordibus est, sordesceat adhuc et qui justus est justificetur adhuc et sanctus sanctificetur adhuc. 22.11 Ecce venio cito, et merces mea mecum est, dare uni cui que secundum opera sua.» (i ne m falle sigú ne, a me ne m’aspetta pesc, mo fistidí, travais - e da sbatte) - L temp in quel che viun, e l temp in quel ch’el se çern l bun dal rí, tgi ch’e de Cristian da tgi, ch’é cuntra Cristo - e da de in de se desferenzieia un e l’ater plu e plu fora. Wie viel Schönes und Erfreuliches hat unsere Zeit nicht aufzuweisen! Wie eine Lilie unter den Dörnern blühet die Unschuld oft mitten unter den Aergernissen der Welt. Ungeachtet diese all ihre Reize zur Verführung aufbiethet, und allʼ ihre falsche Weisheit in Büchern, Zeitungen, Flugschriften und tausend anderen Weisen mündlich und schriftlich auskramet, sind es doch unzählige Jünglinge und Jungfrauen, welche die Eitelkeit der Welt 8 I Ai nuŝ tempi elle tropp de bell a da avei ligrezza. 1 Inscho che l Gilio fra le spines floresc gonot l’innocenza in mezz ai scandali del mon. Tan che quest, o dí, la ria ĝent, condús so dott de tgí ch’el po indletté e span fora la sua falsa sapienza in scritt e a boçha luntsch e lerc, esi impo troppissimi i ĵogn e les ĵones, che i a l sgritsch alla vanite del mon - e chiir - ispirá dal Spirito della vera pietá - l’unico necessario. 2 El n’e, sie ringrazie Iddio, troppessimes Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 131 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 verachten und beseelt vom Geiste wahrer Frömmigkeit mit entschiedenem Ernste nach dem Ewigen trachten. Es gibt, Gott sey Dank, viele, viele Familien, in denen Zucht und Ehrbarkeit, Friede und Eintracht wie in alten Zeiten, ja besser als in alten Zeiten zu finden sind, so daß man auf sie die Worte der hl. Schrift anwenden kann: «Gott wird in ihren Häusern offenbar.» Psalm 47, 4. families, in queres, ch’ël e ordine, modestia, peŝ e oniun inchioche da vedlamenter, - sche mí co da vedlamenter, tan ch’eres val de tares çhiases les parores dello Spirito s. «Iddio - l so timur - se demostra nelles sues çhiases.» Ps.47,4 3 Der Eifer für die Zierde des Hauses Gottes und die würdige Feier des Gottesdienstes ist groß: neue Kirchen werden erbaut, die alten werden hergestellt und würdiger ausgeschmückt. Mit jedem Jahre entstehen neue Bündnisse zur Pflege der Andacht und neue Vereine, in denen die christliche Nächstenliebe Mittel findet, die Wunden der menschlichen Gesellschaft nach Möglichkeit zu heilen. In der Schule wird thätig gearbeitet, und die Seelsorge in allʼ ihren Zweigen aufs Eifrigste betrieben. 9 Gran e l zelo per inforní la çhiasa dei Dio, e per celebré degnamente i santi uffizi divini: Dlisies vegn fabricades da nü, les vedles comedades fora e infornides inscho ch’el alda. 4. Vign ann vegnel so confraternites por promuover la pietá - e oniuns, in queres che la caritá cristiana çiafa so mézi, por varí, tan ch’el e possibl les plajes dla miseria umana. 5. In scora vegne’l laore tropp, e nella cora d’animes e in quël, ch’álda la pro con gran zelo. Der Missionär zieht mit dem Kreuze in der Hand von Ort zu Ort, und tausend verirrte Schäflein kehren auf diese Bußpredigten zum guten Hirten zurück. Andere Missionäre durchwandern ferne Welttheile, um Jesum Christum, das Heil der Welt, sowohl unter den glühenden Sonnenstrahlen von Afrika, als in den Urwäldern von Amerika, in Australien, China u.s.w. zu verkünden, und erneuern auf diesen apostolischen Wanderungen Beispiele eines freudigen Märtyrertodes, wie sie in den ersten Zeiten der Christenheit nicht schöner gefunden werden. 10 6 I Padri Missionari va col Crist in man da un lu all’ater e dei mille de pecoreles perdodes - da ota, mottes dalles sues perdiches al bun famei. Atri Missionaj va sura l meer ia por perdiche e nel gran tgialt dell’Africa, e nei bosc dell’America, e nell’Australia, e nella China - Gesú Cristo, l salvatore del mon, e da lapro nia da inre ca la sua vita con ligrezza nel martirio doo l’esempio dei Cristiaign nei pröms secoli della Chiesa. Die Eintracht zwischen Staat und Kirche ist, Dank der großherzigen Vorsorge Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers Franz Joseph I. und Seiner Heiligkeit Pabstes Pius IX., hergestellt und durch ein feierliches Konkordat besiegelt. Die Einheit und Eintracht der katholischen Bischöfe sowohl unter einander als mit dem Oberhaupte der Christenheit, dem römischen Pabste, ist so vollkommen, wie sie es vielleicht noch nie nach den Zeiten der Apostel gewesen ist. 11 7 L’oniun fra l Stato e la Chiesa e per la cora del noŝ Imperadú Fr. Gius. I e di sua Santitá, l sommo Pontef. Pio IX sigorada con un concordato solenne. La Concordia, in quera, ch’ei e i Vescovi cattolici sura dott l mon fra de se, e col Pappa da Roma e al presente tan perfetta ch’era e appenna plü / stada dal temp dei s. Apostoli inso. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 132 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Endlich ist auch der Wunsch,/ nach dessen Erfüllung sich schon Millionen frommer Verehrer Mariens gesehnt und den sie unerfüllt bei ihrem Tode in die Ewigkeit hinübergenommen hatten, erfüllt und die Lehre von der unbefleckten Empfängniß Mariens feierlich als Glaubenssatz der katholischen Kirche erklärt. So trifft wunderbarer Weise diese Verherrlichung Mariens, der gnadenvollen Braut des Herrn, zusammen mit der Verherrlichung der Kirche, dieser Braut Jesu Christi auf Erden. 12 Finalmente e intge l desiderio ademplí, con quel che innumerabili divoti della beatiss. Vergine Maria e passá da questa vita, e la dottrina dell’immacolata con[c]ezione di Maria é declarada per articolo di fede (dalla chiesa cattolica). El e propi un miracolo: nel medemmo temp ch’era vegn sola terra tropp inalzada la gloria de Maria, la sposa im̄ acolata del Signur, cresc intge de gloria e de forza in liberté la s. Chiesa, la sposa de Gesu Cristo sól mon. So ist der Herr seiner bedrängten Kirche zu Hilfe gekommen, und diese Hilfe von Oben gibt sich in unzähligen erfreulichen Zeichen der Zeit kund. Freuen wir uns, Geliebteste, über diese Tröstungen, über diese Verherrlichung unserer hl. Kirche, und wünschen wir ihr dazu Glück mit den Worten: «Ziehe aus, Jerusalem, das Gewand der Trauer und Trübsal, und ziehe an das Ehren= und Feierkleid der ewigen Glorie, die dir vom Herrn beschieden ist.» Baruch. V, 1. 13 Inscho i e l Signur gnú in ajut alla sua Chiesa travaliada, e queŝ ajut veigun in troppissimi segni al presente. Ringraziunse con ligrezza ai Dio, Dilettissimi, de questes consolaziuns, de quest inalzamento della nostra s. Chiesa e aodunsei lapro benedissiun colles parores del Profetta: «Despejete Gerusalemme la jesta da plore; jestete l guant da festa e de gloria eterna, che l Signur t’a arŝigne.» Bar.5. Ueber dem vielen Schönen und Erfreulichen hat unsere Zeit leider auch gar viel Böses und Unerfreuliches aufzuweisen. Die Einfalt und Unschuld, diese Zierde der Jugend, hat in unseren Tagen einen schweren Stand; ach, wie Viele haben die Unschuld schon verloren, bevor sie ihren Werth recht zu erkennen im Stande waren. Das Laster der Unzucht greift pestartig um sich, die Verführung tritt immer kecker auf, und die Schamlosigkeit führt in der Gesellschaft unter dem Scheine der Aufklärung und Bildung das große Wort. 14 II Mo pro l tropp de bell, con quel ch’el e da avei ligrezza - a l temp, in quel che viun - po massa intge tropp de rí e de desconsolaziun. 1 Colla semplicitá e l’innocenza, ch’e l plu bell forniment della gioventú stára mal ai nuŝ dis; o! cotantg ne perd belle la sua innocenza, denan ch’ei sie sta bugn da conescé, cotan, ch’era val. La disonestá s’asleeria, inschóche le moria, plu e plu fora. Da an in an s’inardesçi - mostrêi maju ardiment - i sedutori; e roa fina a se brave, deperpo, ch’ei lascîa de se dode dei su atti e baja vergognosi. Der Sinn für Gerechtigkeit und Treue ist gewaltig erschüttert; um den Nächsten zu übervortheilen, werden alle Gesetze der Wahrhaftigkeit und Billigkeit mit Füßen getreten, ja man hört leider hin und wieder sogar von falschen Eidschwüren, da doch ein Meineid jene Sünde ist, die in den Gebothen Gottes der Abgötterei zunächst steht, und um welcher willen der Fluch, wie die heil. Schrift sagt, von einem Hause nicht mehr weichet. 15 L’amur alla giustizia e alla fedelté á çiaffe ‘na gran scassada; maa ch’en vegne pro d’i la fa ai atri, despo ne dan ament, no a comandamentg di Dio, no a çhi che la crianza, la caritá e misericorida ghira; po massa, ch’en alda fina mai inçhie de ĵoramentg falç´, de quel piçhié ché stá nella marizia l plü da impro all’idolatria, e per via de quel che la maledissiun, inschoche lo Spirito s. diŝ, ne se ’n va plü fora de na çhiasa. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 133 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Der hl. Glaube, dieses kostbarste Erbgut unseres lieben Vaterlandes, wird verspottet, dem Irrglauben und Unglauben wird das Wort geredet, und es geschieht dieß von Menschen, die der Apostel mit zweifach todten d.h. mit solchen Bäumen vergleicht, die in den Früchten und in ihren Wurzeln erstorben sind. 16 Colla fede catolica, la preciosa arpesun della nostra patria, menun cojoneries; defenn falŝes dottrines, tegn con eretici e con qui che ne n’a degonna fede, con uomini, de qui che l Apostolo diŝ, ch’ei e leigns mortg in dui risguardi, nei su frutg, por çhi ch’el i mançhia les operes, la vita, e nella raîs, por çhi ch’era i mançhia la fede da Cristian. Die christliche Hoffnung ist bei Vielen fast verschwunden. Ihr Sinnen und Trachten ist nur aufs Zeitliche gerichtet; gleichsam als wäre zwischen den unvernünftigen Thieren und den vernünftigen Menschen kein Unterschied, dienen sie nur dem Bauche und seinen Gelüsten, der Welt und ihren Gütern. Wie arm an christlicher Hoffnung ist unsere Zeit! Obgleich die Herrlichkeit der Welt mit jedem Tage immer mehr in Trümmer geht, so klammert man sich dennoch an dieselben an, so wie sich der Schiffbrüchige an sein Brett anklammert, wenn das Schiff in Trümmer gegangen ist. 17 La speranza cristiana e pro trotsch plu tan co degonna. Ei fistidieia, salta e se maneŝa maa por çhí che tocca questa vita; tan che sch’el ne foss degonna differenzia fra n’animal senza çiorvell e un uomo crie alla someja di Dio, se dai dl dott a sorví al so venter - alles sues pasŝiuns, al mon e ai begns de finta, ch’el impromett. Çhi çhiarstia ch’el e ai nuŝ dis de vera speranza cristiana! Sebegn che l mon perd da de in de plu dla sua pumpa e va con vigni an plu / da inpro alla sua rovina, l’abbraçun impo con intrami i bratsch (a dottes les vies) inschoch’un sol meer, canch’era i e frozada la barca, peja doo e se tegn alla breia. Diese Armuth an christlicher Hoffnung ist das traurigste Zeichen unserer Zeit. Denn sie ist die Hauptursache, warum die Jugend keinen Bestand und keine Festigkeit hat, sondern der Versuchung so bald unterliegt. Wie nämlich die Wurzel die Festigkeit des Baumes bildet, so ist unsere Hoffnung die Festigkeit des ganzen innern Menschen, sagt schön und wahr der hl. Antonius von Padua. Mit dem Verschwinden der christlichen Hoffnung geht die Erkaltung der christlichen Liebe Hand in Hand. Es herrscht vielfach gar wenig Gemeinsinn; ein Jeder sucht nur das Seine. 18 Questa çiarestia de speranza cristiana e l plu pessimo mal dei nus dis. Porçhi da questa vegnel, che degonna virtu cristiana ne n’a dorada e ne sta schaldi e se lascia tan prest devenŝe dalla tentaziun. «Porçhi inscho che la raiŝ feŝ l begn frem, inscho e la speranza quera, che feŝ sciode l cristian intiêr nella virtú, diŝ s. Ant o di Padova. Deperpo che la speranza cristiana cara plu e plu de desfreida in gre in gre inçhie la carita. Der Abschluss all’ dieser Übel und allʼ dieser Mißstände ist aber die Auflösung des Familienlebens, wie sie immer mehr überhand nimmt. Der Geselle löst sich vom Meister los, das Kind von seinen Eltern und der Gatte von der Gattin. Mangel an Gottesfurcht, Mangel an Kinderzucht und Mangel an Arbeitsamkeit und Sparsamkeit/ sind die drei Uebel, die das Familienleben vergiften und auflösen. Kommt auch noch eheliche Untreue dazu, dann ist der Ruin des Hauses fertig. 19 Dutg quis mai, dutg quis gragn defetg, se fes despo sura les families, a rovine la vita cristiana, inscho ch’era se demostra fora belle dsegn in gran pert. Plu e plu se lascîa la servitú da inçera dai patruns, la figliuolanza da pere e uma, l’om dalla fomena. Ch’el mançhia l s. timur di Dio, ch’en se n’tol sura tropp massa puc por trá so les creatores da Cristiagn, ch’en ne sparagna nia, ne tegn gonot nia ai laur doo l stato; quis e i mai, che dezippa e rovina les families. Sch’el vegn despo çhiamo la pro mancanza della fedelté matrimoniale, e la çhiasa desfatta. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 134 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Denn diese ist jenes wilde Feuer, welches allen Familiensegen, alles häusliche Glück verzehrt, und nach dem Ausdrucke der hl. Schrift bis in die unterste Hölle hinabfrißt. Nimmt man endlich auch noch zu den genannten Uebeln den Hass gegen alles Bestehende und die Verachtung gegen jede geistliche und weltliche Obrigkeit hinzu; so hat man eine beiläufige Vorstellung von dem Bösen und Unerfreulichen, das wir in der Gegenwart erblicken. 20 Porçhí che l’infedelte nel matrimonio e l fuc infernale che desdruŝ, inschoche la s. Scrittora l diŝ, in questa vita vigni ligrezza e vigni benedisŝiun in ona familia e la mett in un infern. Sche metteis pro quis mai, ch’i a nomine fin’ora, çhiamo ch’el n’e tang de malcontentg, ch’odia i ordini tan della Chiesa che del stato e desprisa vigni autoritá (ecclesiastica e civile) spirituale e secolare, eise appresŝapuc la imagine del mal e del sé, che desconsola dutg i Bugn nei nuŝ dis. Vergleicht man nun die erfreulichen und unerfreulichen Zeichen der Zeit miteinander, so kommt man nothwendig zum Schlusse, unser Zeitalter, in dem wir leben, sey eine Zeit der Scheidung zwischen Guten und Bösen, zwischen Christenthum und Antichristenthum. Es ist darum aber auch Niemanden in unserer Zeit möglich, unentschieden und schwankend in der Mitte zu stehen. «Wer nicht mit mir ist, ist wider mich», spricht der göttliche Heiland, und dieses Wort des Herrn gilt besonders uns, die wir in dieser Zeit der Scheidung zwischen Guten und Bösen leben. 21 III Sch’en tegn por mez çhi che l temp presente a de bell e de bun, con quel ch’el a de rí e de burt - mess begn dí vign’un, ch’er’e segn a queres, ch’el se mess çerne l bun dal rí, la vera fede dall’infedelte. E der quest e la gausa, ch’el presente n’i elle a degun Cristian possibl de ste a mez, senza se resolve a tigní o co i bogn, o co i rí. «Qui non est mecum, contra me est» diŝ l divin Salvatore del mon, e çhi ch’El diŝ val plu co mai por nos, che viun in queŝ temp, olá che l bun se çeêrn dal rí. Man muss sich mit Entschiedenheit auf die Seite Christi stellen, wenn man nicht früher oder später vom Strome des Verderbens will hinweggerissen werden. Was ich von euch, Geliebteste, um eures Heiles willen verlange und verlangen muß, ist eben diese Entschiedenheit. Was heut zu Tage mehr als je noth thut, ist vor allem ein entschiedener Glaube an Jesus Christus und an alles, was er geoffenbart hat, und was er uns durch seine hl. Kirche zu glauben vorstellt. Hast du, mein Christ, diesen entschiedenen Glauben? 22 Con oronté resoluta se mess mette solla pert de Cristo, chi che ne n’o tert, o adora se lascîe ingrave ite (o mene in malora) dal ru della corruziun del secolo. Çhi ch’i o; dilettissimi, ghire - e mess nei miei fistidi por la vostra salute - da vos ghiré - e questa oronté resoluta. Çhi che feŝ de boŝugn ai nuŝ dis plu che mai - e dan a dott l ater na fede risoluta in Gesú Cristo, dott çhi ch’El a rivelé - e ch’El ne mett dant a crae per mezzo della sua s. Chiesa. L’aaste to, mio Cristian, queste fede risoluta? Das Wort Gottes sagt dir: es sey uns kein anderer Name auf Erden gegeben, in dem wir selig werden können, als der Name Jesu; er sei die Auferstehung und das Leben; die Auferstehung für die Sünder, mögen sie auch in der Sünde ums Leben der Gnade ganz und gar gekommen, ja in der Sünde bereits verfault seyn; und das Leben für alle Gerechten, mögen sie von den Feinden des Heiles auch noch so sehr angefochten werden: er sey die Aufer- 23 La divina parora te diŝ, ch’el ne nes e degung ater inom in questa terra, in quel che ne nes podunse salvé, che l’inom de Gesú; ch’El e la risurreziun e la vita: la risurreziun por i piçhiadus, sch’ei es inçhie nel piçhie pordu de finité la vita della grazia, sche - nei su rii vitsch belle tan co fraidiis; / la vita por dutg i giustg (sch’ei foss inçhie dai nemici della salute çhiamo tan perseguita) (ch’ei sie po pa dai nemice della salute perseguita tan ch’ei o): ch’El Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 135 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 stehung für Sünder und Gerechte am jüngsten Tage, indem er beide vom Grabe erwecken wird; er sey endlich das Leben und zwar das ewige Leben, aber nur für die Gerechten, die in ihm und mit ihm Gott von Angesicht zu Angesicht schauen und zur ewigen Ruhe eingehen werden. e la risurreziun por i piçhiadus e por i giustg l de del giudizio, olá ch’El façera resorí bugn e rii: ch’El e finalmenter la vita, mo maa por i Giustg qui ché tgiarerá in El, e con El Iddio a faccia in faccia - e entrerá ite nella peŝ eterna. Glaubst du das? Ist dieser Glaube das Licht und die Fakel für deine Füße und der Wegweiser auf deiner irdischen Pilgerfahrt? Wohl dir, wenn du auf diese Frage mit der Martha antworten kannst. Ja, Herr ich glaube, dass du Christus, der Sohn des lebendigen Gottes bist, der in diese Welt gekommen ist.» Was heut zu Tage ferner besonders noht thut, ist ein entschiedener Gehorsam gegen die Kirche und ihre Gebothe. Niemand kann, wie schon der hl. Cyprian sagte, Gott zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat. Soll sie aber deine Mutter seyn, so musst du deine Kindespflichten gegen sie erfüllen. 24 Craeste dott quest? E questa fede la lom, la linterna, che lomina dant ai tu piêŝ e te mostra la strada fra l scur de questa vita? Bun por te, sche to poos, a questa dimanda inçhie to respogne con Martha: «Sche Signur! io crae, che Vos seis Cristo, l Fi di Dio vi, ch’e gnu al mon.» Çhi ch’e despo ai nuŝ dis tropp necessario e (na obbedienza risoluta alla Chiesa e ai su comandamentg.) ch’i ves mess raccomané e, ch’obbediise con risolutezza alla chiesa e ai su precetti. Belle s. Cipriano insigna, che «degun ne po avei Iddio por pere, sch’el ne conesc la Chiesa por uma.» Mo sche t’os, ch’era t sie uma, messeste te reporte da fí. Du darfst dir den Gehorsam, den du ihr erweisen willst, nicht selber zurechtlegen, sondern musst ihn so erfüllen, wie sie ihn auferlegt. Sonst folgst du nicht ihr, sondern nur dir, und der Muttersegen der hl. Kirche wird auf dich nicht übergehen. Was endlich in unseren Tagen noch überaus noth thut, ist ein entschiedenes Benützen der Gnadenmittel, die uns als Gliedern (! ) der katholischen Kirche in derselben gebothen sind. Der Wahn, als ob durch eine unkirchliche Aufklärung, durch selbstgemachte Andachtsübungen und durch den so genannten Fortschritt der Menschheit das Heil bewirkt werden könne, ist noch/ immer nicht völlig verschwunden. 25 El ne basta che t’i olghes maa can ch’el te pee, e tan inant ch’era t’oga, mo te messes olghe, in quel ch’era comana. Senza ne i obbedeŝeste ad Era, mo a te, e la benedisŝiun della s. Madre Chiesa ne gnera sura de te. - Çhi ch’e despo çhiamo ai nuŝ dis plu che mai necessario e - che ves lasceise esser da senn ad adore i mezzi de grazia - i ss. Sacramentg - che la chiesa cattolica ves preferesĉ come ai su membri. Mindiçhie urtun çhiamo la soperstiziun, con quera, ch’en tegn de se podei salve deperpo ch’en s’la pensa fora istesŝ cuntra la dottrina della Chiesa (senza de ament alla) con devoziuns, ch’en se feŝ do so caprize - e ŝoma deperpo, queres, che la chiesa comana - o con vire inscho ch’en veiga dai atri. Es heißt dieß aber nichts anderes, als die Quelle des Lebens, die im Heiligthume der Kirche emporspringt und alle Menschen zu laben im Stande ist, verlassen, um sich Cisternen zu graben, die durchlöchert und schlammig sind und kein Wasser halten können. O mein Volk, was ziehest du nach Egypten, um dort schlammiges Wasser zu trinken? was hast du auf dem Wege der Assyrier zu thun, um Wasser des großen Flusses, des Stromes des Verderbens zu trinken? Jerem. II, 18. 26 Queŝ ne n’o pa indere dí ater el, co lasće la fontana d’ega fresca, che regor nel santuario della Dlisia e val a rinfresché dotta la ĝent, por se çhiave potsch da paltan e sboŝá che ne tegn degonn’ega. «O mio popolo porçhi vaaste pa in Egito a beire ega da miagn, çhi aste pa da fa sol tru dei Assiri por beire l’ega del gran ru - del ru della perdiziun? Ier. 11.18. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 136 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 So muß ich mit dem Propheten klagen, wenn ich sehe, wie entartete Söhne des Vaterlandes ihr Heil nicht im Schoose der Kirche, im Einheimischen, sondern außerhalb der Kirche und in der Fremde suchen. Geliebteste, prüfet Alles, aber das Bewährte behaltet. Bleibet echt tirolischem Wesen und der hl. Kirche getreu. Höret das Wort Gottes, wie sie es verkündet, gebrauchet die Sakramente, welche sie euch spendet, und ergebt euch mit Eifer jenen Andachtsübungen, welche sie ihren Kindern empfiehlt 44 . 27 Inscho me messi lamente col s. Profetta, deperpo, ch’i veighe, co che fiis degenerí della patria quir la sua salute - no nel gremo della Chiesa, ch’ei a a çhiasa, mo daluntsch da era nel forstí. Dilettissimi, ponsede sura, dede begn a mënt, e çhi ch’e porve çierá tignisse. Restede da veri Tirolesi fedeli alla s. Chiesa. Ascoltede la divina parora, inscho ch’era Ves la porta dant; reçevede i santi Sacramentg, ch’era Ves ministreia, e desse con fervore a queres devoziuns, ch’era raccomana ai su fiis. Text 22 = 1861 Fasten=Patent für das Jahr 1861. 1 Lettra pastorale por la Quarsema l’an 1861 Vinzenz, von Gottes und des Apostolischen Stuhles Gnade Bischof von Brixen entbiethet allen Christgläubigen seines Sprengels Frieden und Freude im heil. Geiste. 2 Vinzenzo por grazia di Dio e dela Sede apostolica Vescovo da Porsenú ingcunda a doutg i Fedeli dla súa Diocesi pásc e ligréza nelo Spirito Sant. Innigstgeliebte im Herrn! Nahe ist die hl. Fastenzeit, in welcher die Kirche ihre Kinder ungestümer und dringender als je einladet, den hl. Kreuzweg zu besuchen, und sich in die Betrachtung jener Geheimnisse zu vertiefen, in denen das Werk unserer Erlösung vollendet worden ist. Denn auf dem Kreuzwege hat der menschgewordene Gottes=Sohn Jesus Christus mit Blut und Thränen, mit Schmach und Erniedrigung, mit den Schrecknissen der Verlassenheit und den Schmerzen des Todes die Schuld der Welt bezahlt, und «jene Handschrift vernichtet, die wider uns war.» 3 Dilettissimi nel Signur! Er’ ha scomenccé la s. Quarsé a, ing quera, qu’ la s. dlisia invieia e mena sura plú co mai i sú fedeli (fìis) a gí incer les Staziungs, e a s’lascé ite a conscideré con fervóre devot i gragn Misteri, ing qui que l’opera dla nostra Redenziung s’é complída. Porché seul jade al Cálvario, que nes vegn metú dant neles Staziuns, ha Gesú Cristo, l Fi de Dio fatt uomo cong sangc e lagrimes, con afronti e ingiúries, co i plú terribili abandonamenti, e l mé spaventús dla mort pajé l debit dl mon, e squarzé quera querta, que contigní la nostra condanna. Aus seinem Tode ist das Leben der Welt erstanden. Darum rufe ich euch, Geliebteste, die Worte des Psalmisten am Eingange der Fastenzeit zu: «Kommet und betrachtet die Werke des Herrn! » Psalm. XLV, 9. 4 Dala súa mort é nasciouda la vita al mon. Por quesc ves querdi, dilettissimi, seul prinzipio dla quarséma colles paroles del s. ré Davide: «Venite et videte opera Domini» Ps. 45,9. 44 Die beiden letzten Absätze des deutschen Textes sind ohne ladinische Übersetzung und werden deshalb hier nicht abgedruckt. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 137 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Betrachtet, was die Welt aus Haß gegen die Wahrheit am göttlichen Erlöser, und was der göttliche Erlöser aus Liebe zur Welt an ihr gethan hat. Es ist das der wunderbarste Kampf, den die Welt gesehen hat; das Uebermaaß menschlicher Bosheit hat gerungen mit dem Uebermaaße göttlicher Liebe. Darum ist aber auch der Calvarienberg der Ort, wo der Kämpfer für Christus und sein Reich den Ritterschlag empfängt. 5 Consideréde, chi qu’l mon por odio ala lerté i ha fat a l divin Salvatore, è chi qu’l divin Salvatore por amur ala gent i ha fat al mon. El é quest la véra la plú de morvéia, que l mon è gniú pro a odéi; la marizia umana, grana fora de mesoura - s’ha metú de cuntra a scombatte cuntra l’amur de Dio, grang fora de mesoura. Por quest e pa indere inche ‘l Calvario / ‘l lúg, olá que quel que scombatt por Cristo impara fora, végn Soldá perfett. Wer hier geadelt wurde, wer am Fuße des Kreuzes glauben, hoffen und lieben gelernt hat, den macht kein Haß der Welt irre, und dem fällt kein Opfer der Liebe, das der Herr von ihm fordert, zu schwer. O wie sehr, Geliebteste, wünsche ich, daß ihr Alle solche Kämpfer seid, da alles, was wir um uns sehen und hören, zum großen Entscheidungskampfe hinzudrängen scheint. Im Hinblicke auf denselben halte ich es für meine Hirtenpflicht, euch auf die Natur und Beschaffenheit des bevorstehenden Kampfes aufmerksam zu machen. 6 Quel qu’ha seu ‘l Calvario impare maniera, s’ha iló mettú pro a créi, a speré e a ame, quel ne n’é degung odio del mon plú bung de mette seu ‘ng d’atri pinsiêrs, e ad el n’ i é degung sacrifizio de chiarité, qu’Iddio i ghiêra, massa psoc. O tang qu’i desidere, miei diletti, que seise doutg de tai soldas (guerieri) perfetg - deperpo que dout chi qu’odung e aldiung por incerc porta la ciêra de na grang vera qu’ ha da cérne dl mon! Questa (vera) dant ai edli me tégni come Pastore oblié, de ves fa conesc, de chi qu’el se tratta, e quara qu’er’ é la battalia, qu’é oramai dang porta. Ich sage: Was jetzt schon in der Welt vorgeht und was uns bevorsteht, ist ein Kampf um Christenthum und Kirche, somit um die höchsten Güter der Menschheit. Darum darf niemand gleichgültig und vom Kampfe ferne bleiben, wenn er nicht über sich den Spruch will ergehen lassen: «Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.» Luk. XI, 23. 7 I digé: Chi que va belle d’segn dang se seu ‘l mon, e chi que n’s aspeta, é ung scombatte por la fede e la s. dligia, - dunque por i majus begns dl genere umano. Por quest ne n’alsa degung se lascé ester angfat, se tra sot fora dalla battalia, sc’el ne n’ho, qu’el vále inche d’el, chi que Gesú dig’: «Qui non est mecum contra me est, et qui non olligit mecum dispergit» Luc. 11,23. Am allerwenigsten darf ich, euer Oberhirt, einem solchen Kampfe ferne bleiben, und ich thue nur, was ich nicht lassen darf, wenn ich heute auf denselben euch vorbereite, und dabei mitunter auch Dinge berühre, die dem / Worte Gottes an sich etwas ferne liegen. Wo Weltliches und Geistliches so in einander greift, wie es bei den Ereignissen der Gegenwart der Fall ist, darf das Weltliche auch von geistlicher Seite nicht unbeachtet bleiben. 8 ‘L mangco alsi ieu, vosc proum Pastore, me tigní dalung dala battalia, e i fege m- chi, qu’i ne n’-lse tralasce, sc’i ves prepáre ingcou a chi (ala battalia) que ves aspeta, e ves porté antr ite inche coses dant, que ne n’é nia redunt parola di Dio. Olá que l corporale branchia tang ite nel spirituale, co qu’el é ing chi qué va dang se al presente, ne n’alsung gi pro (nel) temporale sura fora, sc’eng tratta inche m- l spirituale. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 138 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Daß das, was gegenwärtig in der Welt vorgeht, und was uns bevorsteht, ein Kampf um Christenthum und Kirche sey, erhellet am unzweideutigsten aus den Angriffen gegen den Apostolischen Stuhl und dessen gegenwärtigen Inhaber, Papst Pius IX. Die Männer des Umsturzes kennen gar wohl die Wahrheit des Spruches: «Ich will den Hirten schlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen.» Mark. XIV. 27. 9 Che chi, que v- al presente dang se seu l mon, e chi que nes aspetta (no m- qu’el manaccia) é na vera cuntra la s. fede / cristiana e la dlisia - veigung l plú tler da quel, qu’éi i é adós ala Sede apostolica - e al presente Vicario de Cristo, ‘l som̅ o Pontefize Pio IX. I ómi dla revoluziung sá avisa, tang véi, qu’eres é les paroles dl bung Pastore: «percutiam pastorem et dispergentur oves» Marc. 14, 27. Darum haben sie ihre Angriffe auf die Kirche Gottes damit begonnen, das ehrwürdige Oberhaupt der Kirche jener Freiheit und Unabhängigkeit zu berauben, deren es sich als Herr und Gebiether des Kirchenstaates erfreute. Will man den Kern verschlingen, so muß man damit anfangen, die harte, schützende Schale, welche jenen umgibt, zu zerschlagen. Will man die geistliche Macht des Papstthums vernichten, so muß man zuerst seine weltliche Macht in den Staub treten. Das Letztere kann man noch mit heuchlerischer Miene vollführen, bis man die erstaunte Welt auch mit dem Ersteren, als einer vollendeten Thatsache, überrascht. 10 Por quest hai scomenccé a i la taque ala dlisia di Dio - cong quél, qu’ei i ha tut al so venerabile Capo dla s. dlisia, quera liberté e indipendenza, qu’el haa come Prencipe dei stati dla Romagna, olá qu’el ne dependõ da deguign atri. Sc’eng ho mangé (dlotí) l niccio, mess’ung denant rompí l’õs (ing quel, qu’el é laite) qu’el ha ingceria. Sc’eng ho fa gieu (la potesté) l’autorité spirituale del proum Capo dla s. dlisia, i messung to denant vigni potesté temporale. Quesc ultimo se lascia la pro chiamo fa plang plang con bella finta - fina, qu’eng i meterá dant al món cattolico, sénza qu’el s’n’anédíe, come na cosa, que ne s’lascîa nia fa atramenter (inchie l proum quesc é l Papa sénza potesté spirituale). Es gehört ja zu den trübseligsten Charakterzügen unserer Zeit, nicht bloß durch wohlklingende Redensarten das Unrecht zu beschönigen, sondern auch um jener willen an dieses sich zu gewöhnen. Dieß ist der Geist der Lüge, womit man Andere und sich selbst betrügt. Die Ausführung des besagten Planes ist den Männern des Umsturzes im verflossenen Jahre leider auch nur allzusehr gelungen. Durch niederträchtigen Verrath giengen trotz der tapferen Gegenwehr der päpstlichen Truppen alle Länder des Kirchenstaates für den hl. Vater bis auf Rom und seine nächste Umgebung verloren. 11 Élé peu fra atri pessima osanza ai núsc témp no m- de mette fora con algounes belles paroles, inche l majú tort port [! ] dert, - mo inchie de s’la lasce atiêra to, e pare gieu, sc’eng tégn inchie por ung pez ala regiung. El é quesc l Spirito dla baugia, cong quel qu’eng inggianá e végn ingianná. Ing quest é i omi de revoluziung peu massa l’an passé rová bele treup inant. Coi tradimentg i plú vili ha l s. Padre, pro deuta la fortezza dei sú soldas pordú deutes les súes provinzies impo da Roma e la súa viginanza. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 139 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Rom selbst wird von fremden Truppen gehalten, von denen man nicht weiß, ob sie schließlich zum Schutze oder zur Haft des hl. Vaters bestimmt sind. Wer sieht bei solcher Sachlage nicht ein, daß der Kampf, der jetzt die Welt erschüttert, dem Christenthum und der Kirche gelte? Was ist da unsere Pflicht? Wir sind vor allem verpflichtet, für das Oberhaupt der Kirche unabläßig zu bethen. Möge es von euch, Geliebteste, und von der ganzen Christenheit heißen, was von der ersten christlichen Gemeinde zu Jerusalem bei der ersten Gefangenschaft Petri geschrieben steht: «Petrus wurde im Kerker verwahrt, allein von der Kirche wurden für ihn ohne Unterlaß Gebethe verrichtet.» Apostelgesch. XII, 5. 12 Roma istessa e súa viscinanza implída de soldas forstiês, de qui qu’eng ne sa, sc’ei é ilo por defénné / o por tigní pié l s. Padre. Qué ne veiga, deperpo que les coses stá ingsceu, que l moscedamént que scassa al presente l mon - né vá decuntra la fede cristiana e la s. dlisia? - E chi é por quesc nosc obligo? Dang da dout éle nosc dovere, que siguitunse a prié por l sommo Pontefice. Qu’eng poe dí de vos e de doutg i cristiagn cattolici del mon, chi qu’el stá scritt dla prouma dlisia in Gerusalemme, cang que s. Pire, l prom Papa é gniu pié seu: «Petrus servabatur in carcere, oratio autem fiebat sine intermissione ab Ecclesia pro eo» Act. 12,5! Wir haben aber auch noch eine andere Pflicht. Da dem hl. Vater mit dem Verluste seiner Provinzen auch der größte Theil seines Einkommens verloren gegangen ist, so ist es unsere Pflicht, seiner Noth zu Hilfe zu eilen, damit er seine treugebliebenen Diener ernähren, und die zahllosen Geschäfte der geistlichen Regierung der gesammten Christenheit zu besorgen fortfahren kann. Ich bin daher überzeugt, daß ich euch eine wahre Freude bereite, indem ich nach dem Beispiele der meisten Bischöfe euch einlade zur Entrichtung des sogenannten Peterspfennigs. 13 Mo inche n’ater obligo unse chiamo. Coles súes provinzies ha l s. Padre pórdú la majú pert dles súes rendites, e por quest’ ele nosc dovére, qu’ l ajútungse nela súa necesité, affin qu’el póe mantigní i serví, qu’i é sta fedeli, e siguité a incouré i (inumerabili) tagn d’affari, qu’el ha por dout l mon cattolico. Por quesc tégni de ves fa ‘na ligrezza, deperpo qu’i s’inviéié, insceu qu’ei ha bele fat la majú pert d’i Vescoi, a contribui por l s. Padre col quatring de s. Pire. Er ist und bleibt fortan eine ganz und gar freiwillige Liebesgabe, aber eine solche, die möglichst von Allen, vom Armen wie vom Reichen, entrichtet werden soll. Der Betrag des Peterspfennigs soll sich daher mindestens auf einen Kreuzer monatlich belaufen. Mit der Einsammlung und Einsendung desselbe[n] werden hiemit die Hochwürdigen Herren Seelsorger beauftragt. Geliebteste, klein ist die Gabe, aber groß und edel ist der Endzweck, und Derjenige, der dem Säemann den / Samen verschafft, und der das tägliche Brot darreicht, wird die Aussaat eures Almosens segnen und vermehren.» 2. Korinth. IX, 10. 14 El é quest inchie in seguit na offerta libera de chiarité, mo ‘na chiarité, a quera, que doutg, tang que mai el è possibl, púri e rich, déss concorre, almangco con un gros al méis. I pastori d’animes ha l comando de tó seu questes offertes de chiarité vigni meis dai fedeli e de m’ les mené. (Quilo gnerá metoudes fora les caséttes a quesc fing la Domenia que vegn, e in seguit vigni proma Domenia del méis.) Diletissimi piccera é l’offerta, mo grang e sant é l fine - e quel, qu’ i da la soménza a quel que soména, e qu’argigna por doutg l pang vigni dé, benedirá e multipliquerá la somenza dla vostra limosina» 2 Cor. 9.10. / Paul Videsott/ Philipp Tolloi 140 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Was jetzt in der Welt vorgeht, und was uns bevorsteht, ist ein Kampf um Christenthum und Kirche. Das beweist ferner der Haß gegen Oesterreich. Ich weiß wohl, dieser hat gar mannigfaltige Beweggründe und darunter auch solche, die gerade nicht religiöser Natur sind. In Oesterreich haben die patriarchalen Traditionen und conservativen Grundsätze der Vorzeit noch immer tiefe Wurzeln; darum ist es verhaßt sowohl bei den Despoten als bei den modernen Freiheitsaposteln. 15 Chi que va dang se al presente seu ‘l mon e chi que nes aspeta é na vera cuntra la fede cristiana e cuntra la dlisia. - Quesc demostra l’odio cuntra l’Austria (l nosc Impéradú). I sá begn que quesc odio ha plú gauses, e fra questes inchie de tares, que ne tóca la religiung. Nel’Austria ha chiamo les osanzes e i ordini antiqui de gran raysc; e por quesc vegnera odiada tang da i tiráni (imperanti que comana inseu, qu’era i pleg), co da qui que ghira e pordica la liberté moderna. Oesterreich ist ganz vorzüglich ein Staat der Vorsehung. Um den Frieden in Europa zu sichern, hat es Gott gefügt, daß die Bewohner Oesterreichs nicht Einer Sprache und Einem Stamme angehören, sondern verschieden unter sich mit allen übrigen Nationen Europas stammverwandt sind. So lange daher diese verschiedenen Völkerschaften Oesterreichs 16 L’Austria e l impero de quel qué la divina providenza ha ‘na spezial coura. Por conservé la pásc nel’Europa ha Iddio orú, qu’i suditi del’Austria ne sie nia d’ouna naziung e del medemo lingaz, mo de lingazc diversi, e qu’ei sié tang co parentela e congfine co les atres naziuns dl’Europa. China que quisc popoli diversi del’Austria sta dunque ing pásc adoum unter dem milden Scepter seines erhabenen Kaiserhauses friedlich beisammenwohnen, ist es nicht möglich, jenen Nationalitäten=Kampf in ganz Europa zu entflammen, auf den es die Annexirungs=Politik abgesehen hat, um auf Kosten Oesterreichs und Deutschlands sich zu bereichern. Darum ist ihr nichts mehr im Wege als ein starkes mächtiges Oesterreich. sot al szetro dl’augusta chiasa imperiale - ne n’élle possibl d’impié la vera, cong quera que la rovoluziung vá fora seu ing quel, de tacque i popoli dl medemo lingaz adoum sot a ung imperante, por se aricqui a cost dl’Austria e dla Germania. Por quesc n’i sta ai omi dla revoluziung nia plú ingmestrú co l’Austria forte e potenta. Diese und andere Ursachen liegen, wie das nicht geläugnet werden kann, dem Haße zu Grunde, dem gegenwärtig Oesterreich in der Welt begegnet. Allein der vorzüglichste Grund dieses Haßes ist doch religiöser Natur. Weil es die katholische Großmacht ist, weil es die schöne Aufgabe, Schirmherr der Kirche zu sein, mit redlichem Herzen erfüllen will, darum (täuschen wir uns nicht) ist ihm Feindschaft bis aufs Aeußerste geschworen. 17 - Questes e atres é senza dubio les gauses del odio, que l’Austria incuntra al presente seu ’l mon. Mo la gausa prinzipale, que l’Austria è oramai por dout odiada, é fondada seu la s. fede era. Fra les 5 majus potenzes dl Europa é l’Austria sora, la potenza (impero) cattolica, dee qu’er’ ho, insceu, qu’el i congvegn, cong buna e sinçiêra oronte defénne la s. dlisia; por quést (ne nes fallung sigú no) era odiada al sommo das Russ, dal Brúscia, dal Anglia e dal imperante dla Francia. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 141 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Das zeigt sich besonders in den Schmähungen gegen das Konkordat d.h. gegen jenen feierlichen Vertrag, den Seine Apost. Majestät unser edler, hochherziger Kaiser Franz Joseph I. am 18. August 1855 zur Drohung der kirchlichen Verhältniße in Oesterreich mit Seiner Heiligkeit Papst Pius IX. abgeschloßen hat. Weil in diesem Vertrage die kaiserliche Regierung so offen den Willen an den Tag legt, der Kirche gerecht zu werden, sie in ihren heil. Rechten zu schützen, und weil man aus diesem Vertrage einen neuen Aufschwung der katholischen Kirche besorgt, darum ist des Schmähens gegen denselben kein Ende. Wer sieht bei solcher Sachlage nicht ein, daß der Kampf, der jetzt die Welt erschüttert, dem Christenthum und der Kirche gelte? - 18 Quesc véigung da quél, co qu’el vegn de gieu sura l concordat, quesc é la convenziung solenne, cong quera que l’Augusto nosc Imperadú s’é gniú / i 18 Agost 1855 col s. Padre Pio IX a regolé i affari e i bisogni dei Cristiagn Cattolici nel so impero. Dee que l’imperadú ha pro questa convenziung mostré tang tlêr súa oronté, d’esser giust cola s. dlisia, de defénne les súes regiungs, e dee qu’eng se tem, que la dlisia vegne cong questa convenziung (da quest) plú pro forza - ne n’él fing nel de geu de cuntra (por sura). Que ne véiga da quest, que la battalia presente seu l’mon, va cuntra la fede e la dlisia? Was ist da unsere Pflicht? Wir sind verpflichtet, für Seine Majestät den Kaiser für seine Räthe und sein Heer zu bethen. Denn unsere Hilfe kommt von Oben. Wir sind noch 19 Chi è la pro (deperpo) nosc obligo? Sung obliá de prié por l’imperadú, por so conséi e les súes armades; porchí, l ájút mess gní da la seu geu él: Fin’ora sungse chiamo deconting immer in jener Lage, die der weise Sohn Sirachs so bezeichnend schildert, wenn er spricht: «Ich schaute mich um nach Menschenhilfe, und es gab keine.» Ekkli. LI, 10. Mit dem Gebethe wollen wir aber auch das Gelöbniß verbinden, dem Kaiser treu zur Seite zu stehen in den kommenden bösen Tagen. Mögen auch unsere öffentlichen Zustände manchen Stoff zu Klagen geben, das soll unsere Treue gegen den Herrscher von Gottes Gnaden nicht erschüttern. nel stato signifiqué dalo Spirito s. nel liber del Eccl ° coles paroles: «Respiciens eram ad adjutorium hominum et non erat». Mo déperpo que priung, orungse pa inche imprométte de tigní cong fedelté al Imperadú nei prighi dei dis que vegn. Sie inchie qu’angse tang de gauses d’ester quiló e iló malcontentg coi ordini, dao qui que gniung gorná - por quesc ne se déssera indeblí inchie in minimo no, la fedelté a quel que comana sura de nos a Nom di Dio. Wahrlich, ich gestehe, nie war ich stolzer darauf, ein Glied des Kaiserstaates Oesterreich zu sein als eben jetzt, wo am Haße der Welt offenbar wird, daß ein mächtiges Oesterreich der stärkste Damm gegen die ruchlosen Plane der Parthei des Umsturzes ist. Dieser Haß ist Oesterreichs Ehre und von den Schmähschriften, die in diesem Sinne wider dasselbe erscheinen, kann es mit Job sagen: « Ich will sie offen auf der Schulter tragen und sie wie ein Diadem um meine Stirne winden.» Job XXXI, 36 20 I l conféssé que mai ne m’hai fat majú cunt d’aldí pro l’Austria, co der ségn, olá que l’odio del mon l demostra, que l’Austria potente e onida é l plú forte riparo cuntra la pért, qu’ho rodosé dout sot e sura. Quesc odio i é al Austria na grang onú el, e dles scritoures que vegn dades fora de cuntra - pora (l’Austria) di con Giobe: «I les ho pa porté davertes seu la mia sciabla, e tang co na corona da re m’les lié incer l mi frunt.» Iob 31,36. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 142 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Was jetzt in der Welt vorgeht, und was uns bevorsteht, ist ein Kampf um / Christenthum und Kirche. Das beweisen auch so manche jener Schlagwörter, welche die Parole des Tages bilden. Ich will nur eines derselben etwas beleuchten, nämlich die Gleichstellung aller religiösen Bekenntniße, der Katholiken, Lutheraner, Calviner, u.s.w. 21 Chi qué vá al presente dang se seu ’l mon, e chi que gnerá, é / na vera cuntra la s. fede e cuntra la dlisia. Quesc pong conésce inchié da certes paroles, cong queres qu’eng se da motô. I’n’ ho pa to qua ma ouna sora: Lascé varéi - e regiungs angfat ai Cattolici, Luteragn, Calvinisti, e tagn d’atri - ing court a vign’ung sie fedele o eretico de chi setta que mai. Es gibt allerdings einen Standpunkt, von dem aus selbst der eifrigste Anhänger der Kirche diesem Grundsatze die Anwendung auf das Leben nicht versagen kann. Wenn nämlich in einem Lande die Einwohner in Bezug auf ihr religiöses Bekenntniß völlig getheilt sind, und der Friede unter ihnen sonst nicht erhalten werden kann; so mag sich der Fall ergeben, daß die Regierung dieses Landes sich ins Unvermeidliche fügt und in Bezug auf die bürgerlichen Rechte keinen Unterschied zwischen den Einwohnern wegen der Religion, der sie angehören, macht. Allein wie dieser Grundsatz in den öffentlichen Blättern so oft und nachdrücklich verkündet wird, hat er nicht diesen Sinn. 22 El é begn véi qué d’ung vers ne po inchie l cristiang catolico qu’é l plú portê por la súa - unica vera fede, dé de cuntra a questa massima no sc’la popolaziúng d’na provinzia e dl dout spartida nella fede (cattolici - e indoo Lotragn) e qu’el ne n’è caso de conservé senza fra d’ei la pasc; po’ra s’l de, qu’ Prencipe, que comana por sura na tal provinzia - fege, chi qu’el ne po nia atraménter e i lasce a doutg i su sudditi, sanza desferénzie fra Cattolici e Lotragn les medemes regiungs soçialés. Mo insceu qu’eng porta dant e dfenn questa masscima nei foli pubblici, n’la minung nia [atramenter]. Man betrachtet ihn nicht als einen traurigen Nothbehelf, durch Duldung eines kleineren Uebels einem größeren zu entgehen, sondern als eine Forderung der Neuzeit und des Fortschrittes in der Aufklärung. «Die Religion», so sagt man, «ist eine Herzenssache, die jeder mit Gott und seinem Gewissen auszumachen, und um die sich der Staat, die Regierung nicht zu kümmern hat.» 23 L doré i lotragn dlungia i Crist. nela medema provinzia ne tegnung nia qu’sie ma na cosa necessaria por impedi ung mal maju, mo por na regiung, qu’ l temp presente (a l dí tleer, qu’i freimaureri) ghira. «La fede, dig’ung, e affare del cour el, de quel que vign’ung ha da la fa fora coi Dio e cola propria conscienza, l Imperadú l governo n’ingvalel nia». In dieser Form ist der Grundsatz verwerflich und von den verderblichsten Folgen. Ja wohl ist die Religion eine Herzenssache. Wie könnte es anders sein? Denn obwohl der Himmel die Heimath der christlichen Religion ist, aus der sie stammt und wohin sie führt; so ist sie dennoch den edelsten und tiefsten Bedürfnißen des menschlichen Herzens so angemessen, daß der Apostel von ihr sagen kann: «Nahe ist das Wort in deinen Munde und in deinem Herzen, und das ist das Glaubenswort, das wir verkünden.» Röm. X, 8. 24 Ing questa signifícaziung ne n’éle mai véi que vigni eresia poe avéi les medemes regiungs soziales a per ai Cattolici. Ater que la fede é affare del cour, co foss l contrario mai possibl? Porchi, scebegnque la vera fede é in paraysc da chiasa, da ola qu’era vegn, e ola qu’era condug’, sce se végnera impo talménter col cour umano e l’ajuta nei proums e plú santg sú desideri, que l’Ap. S. Paolo dig’ d’era: daimpro é la parora nela túa bochia e nel to cour e questa é la / parola de fede qu’ingcondung.» Rom. 10, 8. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 143 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Ja wohl ist die christliche Religion eine Herzenssache, weil sie nur dann, wenn sie aus dem Herzen kommt, sich als eine Gotteskraft zum Heile des Menschen bewährt. «Mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit,» spricht der Apostel Röm. X, 10. Ja wohl ist die christliche Religion eine Herzenssache, weil ihr erstes und größtes Geboth lautet: «Du sollst Gott deinen Herrn lieben aus dienem ganzen Herzen, in deiner ganzen Seele und in deinem ganzen Gemüthe.» Matth. XXII, 37. 25 Lere que la fede cristiana e l’affare del cour, porchí, pormó, sc era vegn dal cour hará forza divina por salvé. «corde creditur ad justitiam» scri l’Ap. R. 10, 10. Sigú, que la fede cattol. e l’affare del cour; porchí l so proum é maju comandament é: «Ama l to Signur Iddio con dout l to cour, con douta la tua anima, con douta la túa mente.» Matth 23, 37. Unbestreitbar ist also die Religion eine Herzenssache. Allein ebenso unbestreitbar ist sie auch eine Sache der Oeffentlichkeit; ja die erste öffentliche Angelegenheit ist die Religion. Oder welche andere Angelegenheit gienge wohl dieser voraus, da sie unser Verhältnis zu Gott und zur Ewigkeit ordnet? Wer ist wie Gott, und was ist groß neben der Ewigkeit? Welches andere Band kann ein Volk in allen Schichten der Gesellschaft inniger und kräftiger verbinden als das Band der Religion? 26 Senza dubio é dunque la fede affare del cour. Mo nia mangco éra inchie affare publico, scé l proum publico affare. O chi ater affare podéss chiamo ester, que meritass dé gí dant a quest, que váe sú a nes metter in sigú dant ai Dio - e por l’eternité? Que é a peer ai Dio, chi è grang pormez a l’eternité? Chi ater mezo po oní e tigní adoum ung popolo ing poverté, ing veres, in maraties e atres desgrazies, o ing fortuna, - co l vincolo dla s. fede? Während alle anderen Interessen wechseln wie der Sand in der Wüste, ist die Religion der ruhige Fels, an dem die Wogen der Selbstsucht 27 Deperpo que dout l’ater mouda, insceu que l saorung nel desert, e la s. fede l sass, a quel qu’i bóff dl amur proprio se rump. Chi v-l a sich brechen. Was vermag den Sitten und den Gesetzen eines Volkes eine höhere Weihe zu ertheilen als die Religion? Was entflammt endlich mehr zu großen Thaten und zu Opfern fürs Vaterland als die Religion? So ist sie in der That die erste öffentliche Angelegenheit, und stellt darum an die Regenten und Obrigkeiten die Forderung, nicht gegen sie gleichgültig zu seyn, sondern sie zu schirmen, und zu schützen, so viel es in ihren Kräften steht. santifiqué i ordini e les legges d’ung popolo, co la s. fede? Chi ispíra finalmente loum e forza a fá e a sacrifiqué treup por la patria, co la s. fede? E ingsceu éra veramenter ’l proum publico affare, é ghira por quest dai imperanti e dales Signories, qu’ei ne s’astíle insceu que sc’ei n’ung dess nia dla fede, mo qu’ei la stime e la defenne tang, qu’el i é possibl. Und was haben wir zu thun? Was ist unsere Pflicht? Hört, was der Apostel sagt: «Brüder,» spricht er, «seyd nüchtern und wachsam, denn euer Widersacher der Teufel geht herum wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge; dem widersteht stark im Glauben», 1. Petr. V, 8. 9. 28 - E chi ungse nos da fa - chi é nosc obligo? Aldide chi que ‘l’ Apostolo scrí: «Fratres sobii estote et vigilate, quia adversarius vester diabolus tanquam leo rugiens circuit qudrens quem devoret, cui resistite fortes in fide.» Paul Videsott/ Philipp Tolloi 144 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Seyd stark, seyd unerschütterlich im Glauben! Er sey das Licht an / dem ihr alles, auch die Zeitansichten, prüft; er sey der Same, der reichliche Früchte fürs ewige Leben bringt; er sey die Leiter, auf der ihr vom Sichtbaren zum Unsichtbaren, aus diesem Jammerthale aufsteigt zum Himmel. Verdoppelt eure Andacht zum göttlichen Herzen Jesu und zur seligsten Gottesmutter. 29 Seise gaérdg, ne bandorede nela fede! Era sie la loum, cong quera, qu’odéise, e giudiquéise insceu qu’el -lda inchie de chi qu’vá dang se seu ‘l mon al dé da ingcou; era sie la / soménza, que ves pórte frútg der treutsc por la vita eterna; era sie la litra, seu ing quera qu’rovéise da chi, qu’eng véiga a chi qu’eng ne véiga, da questa v-l dles lagrimes alla gloria d’l paraysc. - Priedé cong chiamo tang devoziung al cour divino de Gesú e a s. Maria, l’uma di Dio. O Jesu, öffne die verborgensten Gnadenschätze deines göttlichen Herzens, damit wir Alle dir treu bleiben in der Stunde der Prüfung! O Maria, Mutter der Gnade, verlaß uns deine schwachen Kinder nicht! Dein Auge wache über uns, dein Herz sorge für uns, deine Hand segne uns, und dein Schutzmantel bedecke uns! 30 - O Gesú daoride i tesori plú ascogniús del vosc divin cour; affinqué (ves restungse doutg fedeli) tignungse doutg a Vos l’ora dla tentaziung! O Maria, uma de grazia né s’arbandonesse, ne se lascéde, nos ostes debles creatoures! Osc edl chiáre de nos, osc cour se n’tole sura de nos, la osta mang nes benedésce, e osc mantel nes cúre! Der Segen des dreieinigen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes sey und bleibe bei euch! Gelobt sei Jesus Christus und die unbefleckte Empfängniß Mariä! 31 La benedisiung di Dio uno e trino, P. F. e Sp. S. sie e reste cong vos. Sia lodato Gesú Cro e Maria concetta senza machia! … Brixen am Feste Pauli Bekehrung 1861. Vinzenz, Fürst=Bischof. 34 6.2. Graphie c raffonara 1994: 191 45 sowie 1996b: 153-57 hat nachgewiesen, dass die Graphie Verginers eindeutig von dem «bereits in den 40-er Jahren bei der Talgeistlichkeit bekannte[n] Manuskript der Sprachlehre von Micurá de Rü/ Nikolaus Bacher» beeinflusst ist. Diese Aussage fußte jedoch nur auf den beiden kurzen gedruckten Texten von 1860 und 1861; sie kann nun anhand des vollständigen Korpus auf eine breite Basis gestellt werden. Insbesondere wird dadurch das Arbeiten Verginers am Bacher’schen Orthographiekonzept ersichtlich; die Auseinandersetzung damit mündet schließlich in die radikale Vereinfachung von 1861, als sich Verginer entschließt, alle von Bacher vorgeschlagenen Diakritika weitestgehend zu streichen (cf. c raffonara 1996b: 154). 45 Hier ist noch irrig von Anton Trebo als Autor der beiden Texte die Rede; richtiggestellt in c raffonara 1996b: 154. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 145 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 6.2.1. Vokalismus Der nachfolgende Vergleich der Graphien Verginers mit B acher 1833 erfolgt ausgehend von c raffonara 1994: 160-76, worauf für diesen Abschnitt durchgehend verwiesen sei. - Kurzes und langes / a/ : Bacher 1833 <a> (manz ‘Stier’ 46 , atr ‘anderer’, moriná ‘Müller’), Verginer <a> (1845 27 47 adio ‘lebe wohl’, 28 anima ‘Seele’, 3 cang ‘als’, 3 dant ‘vor’, 43 tgiamo ‘noch’ etc.; 1861 23 affare ‘Angelegenheit’, 24 chiasa ‘Haus’, 26 grang ‘groß’, 8 sc’i ves prepáre ‘wenn ich euch vorbereite’, 26 mangco ‘weniger’ etc.). - / ë/ (existierte bereits damals im mareo nicht mehr, wohl aber bis heute im ladin, cf. c raffonara 1977: 94-95): Bacher 1833 <ë> (ël ‘er’, quëst ‘dieser, dieses’, la mëssa ‘die Messe’), Verginer 1845 dominant <ë> (43 ámónësch ‘ermahnt’, 9 ávëi ‘haben’, 32 baldëza ‘Gelassenheit’ 48 , 45 dl bëgn ‘Gutes’, 47 állá dërta ‘auf der rechten [sc. Seite]’, 3 Prëst do ëi áldi lá séntënza ‘Bald sollten sie den Urteilsspruch vernehmen’ etc. - die wenigen Beispiele mit <e> oder <é> sind wohl der Tatsache geschuldet, dass wohl zu allen Zeiten die Orthographie in nicht zur Veröffentlichung bestimmten handschriftlichen Texten weniger streng gehandhabt wurde, so auch von Verginer) 49 . Verginer verwendet das <ë> bis 1856, um es dann ab 1857 vollständig wegzulassen 50 : 1861 19 conséi ‘Rat’, 19 imprométte ‘versprechen’, 14 meis ‘Monat’, 19 mess ‘muss’, 1 Quarsema ‘Fastenzeit’, 2 ligréza ‘Freude’, 3 quera ‘jene’, 17 senza ‘ohne’, 18 vegn ‘kommt’ etc. Die einzige konsistente Ausnahme dazu ist die Schreibung der stammbetonten Formen der beiden Verben crae ‘glauben’ (1845, 16, 31; S. Martin i crëie, Standardgadertalisch i crëii ‘ich glaube’) und prae ‘beten, bitten’ (1845, 13; S. Martin i prëie, Standardgadertalisch i prëii ‘ich bitte’). - Kurzes und langes / è, é/ : Bacher 1833 <e>, <è>, <é> (sett ‘sieben’, dé ‘Tag’, dè ‘geben’, marçhié ‘Markt’), Verginer <e> bzw. <é> 51 (1845 5 áspétta ‘erwartet’, 5 béllé ‘schon’, 8 dé ‘geben’, 24 déméz ‘hinweg’, 35 éssér ‘sein’, 23 terrá ‘Erde’, 7 vés ‘euch’ etc.; 1861 18 de ‘geben’, 6 deperpo ‘während’, 12 fede cristiana ‘Christentum’, 5 perfett ‘vollkommen’, 6 speré ‘hoffen’ etc.). 46 Für die Aussprache der meisten im Folgenden zitierten Wörter, die innerhalb des Gadertals teilweise stark variieren kann, wird auf die beiden Atlanten ALD-I und ALD-II verwiesen. 47 Die Zahlen vor dem Beleg verweisen auf den Abschnitt des erstmaligen Vorkommens der Form. 48 Die von P izzinini / P langg 1966 angegebene Bedeutung ‘ruhiges Leben’ geht aus den Texten nicht hervor, cf. VLL s.v. 49 Diese Erklärung gilt prinzipiell auch im Folgenden für andere punktuell abweichende Schreibungen oder fehlende Diakritika. 50 Das Fehlen des <ë> bereits im gedruckten Osterbeichtzettel von 1860 (c raffonara 1996b: 154) ist deswegen kohärent. 51 Wie erwähnt, sind die Akzente in der Handschrift Verginers fast durchgehend Akute, sodass nicht hervorgeht, ob er / è/ von / é/ getrennt hätte. Im gedruckten Text von 1861 steht jedenfalls <bèi> ‘trinkt’ vs. <dé> ‘Tag’. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 146 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 - Langes / è, é/ , sofern es aus früherem langen / ā/ hervorgegangen ist: Bacher 1833 <ä> (läc ‘See’, mär ‘Meer’, näs ‘Nase’), Verginer normalerweise <e>, <é> oder <ee> (1845 31 féŝ ‘macht’, 25 fredéŝ ‘Brüder’, 26 legrimes ‘Tränen’, 9 pert ‘Seite’, 38 tgiern ‘Fleisch’, 1861 26 a peer ‘gleichrangig’, 13 pert ‘Teil’, 9 tler / 23 tleer ‘klar’). Doch ansatzweise versucht Verginer, das Bacher’sche <ä>/ <á> zu übernehmen: 1861 durchgehend 2 pásc ‘Friede’. - Kurzes / i/ : Bacher 1833 <i> (fi ‘Sohn’, lira ‘Pfund’, talpina ‘Maulwurf’), Verginer <i> (1845 3 áldi ‘hören’, 23 á dit ‘sagte’, 34 dóttriná ‘Lehre’, 6 intge ‘auch’, 21 nia ‘nicht’, 5 tira dant ‘überweise’, 21 vigni ‘jeder’ etc., 1861 3 debit ‘Schuld’, 5 divin ‘göttlich’, 14 fing ‘Zweck’, 12 tigní ‘halten’, 4 vita ‘Leben’). - Langes / i/ : Bacher 1833 <i> (paradìŝ ‘Paradies’, ël diŝ ‘er sagt’), hingegen <ie> wo die übrigen Täler - manchmal auch Enneberg/ Marèo - íe oder ié aufweisen (dieŝ ‘zehn’, c̀ iel ‘Himmel’, quiet ‘ruhig’), Verginer <i>, <ii> und <iê>, letzteres insbesondere in der Endung -ier [bad. -īr, mar. -íer] (1845 5 i vis ‘die Lebenden’, 33 desprisa ‘verachtet’, 3 résóriis ‘wiedererstanden’, 4 pinsiêr ‘Gedanke’, 27 déspártiês ‘getrennt’, 1861 7 dig’ ‘sagt’, 3 dlisia ‘Kirche’, 11 atiêra ‘gleich’, 6 pinsiêrs ‘Gedanken’, 6 ciêra ‘Aussehen’, 12 forstiês ‘fremde’, 17 sinçiêra ‘ehrlich’). Das Wort ˹ ciel ˺ ‘Himmel’ schreibt Verginer fast durchgehend mit <ie>, wie von Bacher vorgeschlagen. - Bei Hiat im Wort: Bacher 1833 <ÿ> (paÿŝ ‘Gegend’, das Trema wird aber nicht selten vergessen), Verginer <i> zumindest bis 1859 (für 1860 fehlen Beispiele), um dann 1861 auf <y> zu wechseln (1845 43 páráiŝ ‘Himmel’, 1861 24 paraysc ‘Himmel’, 15 raysc ‘Wurzeln’). - Kurzes und langes / ü/ : Bacher 1833 <ü>, sofern es auf lat. ū zurückgeht (üa ‘Trauben’, müt ‘Knabe’, mür ‘Mauer’), und <üe> (neben ausdrücklich erlaubtem <ü>), sofern es auf lat. ŏ zurückgeht (lüeg/ lüc ‘Ort’, füec/ füc ‘Feuer’). Verginer schreibt 1845 <ü> (22 áscognü ‘verborgen’, 9 dégügn ‘niemand’, 2 dütg ‘alle’, 15 füc ‘Feuer’, 43 gnü sopóli ‘wurde begraben’, 45 ŝchiüra in dálater ‘zerstreut’, 24 scür ‘Finsternis’ etc. 52 ), schwankt dann zwischen <ü> und <u> (1857 z.B. nur <u>: 1 dutg ‘alle’, 16 frutg ‘Früchte’ etc.), bis er 1861 die Alternanz <u> (wo das ganze Gadertal / ü/ hat) vs. <ou> (wo das obere Gadertal / ü/ , das untere aber / ö/ hat) einführt (19 ájút ‘Hilfe’, 29 frútg ‘Früchte’, 5 lúg ‘Ort’, 14 púri ‘Arme’, 3 sú ‘ihre’ vs. 6 dout ‘ganz’, 5 mesoura ‘Maß’, 8 proum ‘erster’, 20 scritoures ‘Schriften’, 16 adoum ‘zusammen’, 27 loum ‘Licht’; konsequenterweise hätte aber Verginer u.a. auch toua statt 24 túa ‘deine’ schreiben müssen). - Kurzes und langes / ö/ : Bacher 1833 <eu> (jeu ‘ich’, ël meur ‘er stirbt’, purgateure ‘Fegfeuer’), Verginer ab 1845 <ö>, oft aber auch nur <o> (21 cör [neben 4 cór] ‘Herz’, 26 creatörés ‘Kinder’, 21 dégönés ‘keine’, 42 döra ‘dauert’, 3 dött ‘ganz’, 28 enschöché ‘wie’, 5 iö ‘ich’, 21 nöá ‘neue’ 53 etc.); ab 1857 dominiert <o>, bis Verginer 1861 abrupt auf das Bacher’sche <eu> wechselt (18 de gieu 52 Zweimaliges 39, 43 crudé ‘grausam’ und 26, 41 sua ‘seine’ dürften graphische Nachlässigkeiten sein. 53 Graphische Kompromissform zwischen gad. nöia und mar. nea (cf. ALD-I, 524). Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 147 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 ‘schmähen’, 8 ieu ‘ich’, 13 insceu ‘so’, 11 peu ‘doch’, 6 seu ‘auf’, 11 treup ‘viel’ etc.). Nach <c> [= k] schreibt Bacher <oeu>, «scheinbar um einer falschen Aussprache des <c> vor <eu> zu entgehen, da <c> vor e = [ts]», c raffonara 1994: 165: coeur ‘Herz’, coeut ‘gekocht’, coeussa ‘Schenkel’). Verginer entscheidet sich in diesen Fällen 1861 für <ou> (16 coura ‘Fürsorge’, 21 court ‘kurz’, 23 cour ‘Herz’, 8 ingcou ‘heute’), hat aber davor (1852-53) auch das Bacher’sche <oeu> in Betracht gezogen. - Kurzes und langes / u/ : Bacher 1833 <u> (uma ‘Mutter’, piçhiadù ‘Sünder’, cruŝ ‘Kreuz’), Verginer <u> (1845 32 ádincuntra ‘entgegen’, 11 bung funz ‘gutes Erdreich’, 43 Cruŝ ‘Kreuz’, 35 dui ‘zwei’, 35 fa óráziung ‘beten’, 24 pitgiaduŝ ‘Sünder’ etc., 1861 6 aldiung ‘hören’, 5 amur ‘Liebe’, 18 convenziung ‘Vertrag’, 23 dlungia ‘neben’, 27 se rump ‘brechen’, 18 regiungs ‘Rechte’, 11 l majú ‘der größte’, 3 sura ‘über’ etc.). In der Graphie Verginers von 1861 wären also / ü/ und / u/ in gewissen Fällen graphisch in <u> zusammengefallen. - Kurzes und langes / ò/ und / ó/ : Bacher 1833 in der Regel <ò> oder <ó> (tó ‘nehmen’, bós ‘Ochsen’, òtt ‘acht’, mòra ‘Mühlstein’), Verginer <o> oder <ó> (1845 5 córona ‘Krone’, 3 corp ‘Leib’, 5 dáingpro ‘nah’, 35 dagnora ‘immer’, 35 fóŝ ‘vielleicht’, 45 fora ‘heraus’, 3 gónót ‘oft’ etc.; 1861 9 éi i é adós ‘sie greifen an’, 23 cosa necessaria ‘Notbehelf’, 6 iló ‘dort’, 14 gros ‘Kreuzer’, 5 mon ‘Welt’, 3 mort ‘Tod’ etc.). - Bacher war allgemein bestrebt, sowohl die Qualität als auch die (gadertalisch/ ennebergische) Quantität der Vokale wiederzugeben. Die Handschrift Verginers ist, wie erwähnt, nicht klar genug, um die Akzentsetzung in Bezug auf eine eventuelle Kennzeichnung der Qualität zu interpretieren. Bezüglich der Quantität versucht Verginer einerseits die Anwendung von <iê> für langes / i/ , andererseits experimentiert er mit der Doppelsetzung von Graphemen (1845 3 résóriis ‘wiedererstanden’, 44 vii ‘lebt’; 1861 10 haa ‘hatte’, 26 a peer ‘gleichrangig’, 22 indoo ‘wieder’; weitere Beispiele aus den Texten: 1850 peeŝ ‘Friede’, páiis ‘Länder’ etc.), ohne jedoch diese Lösung konsequent durchzuziehen - nicht einmal innerhalb des gleichen Textes. Andere Lösungen, etwa das eklektizistische Setzen einer Tilde in 1861 8 e i fege m- chi, qu’i ne n’-lse tralasce ‘und ich tue nur, was ich nicht lassen darf’; 10 olá qu’el ne dependo͂ da deguign atri ‘wo er von niemand anderem abhängig war’, 10 l’õs ‘der Stein’, oder die Verwendung des einfachen Akzentes wie in 1845 6 óla ch’ël sávó ‘wo er wusste’, 25 Sant Efrem pórdicá na ótá ‘Der heilige Ephräm predigte einst’, 1861 3 que contigní la nostra condanna ‘die unser Urteil enthielt’ zeigen, dass Verginer sich der phonematischen Vokalquantität im Gadertal durchaus bewusst war, ohne dass er orthographisch eine befriedigende Lösung gefunden hätte. - Im Bereich des unbetonten Vokalismus sind sowohl Bacher (cf. c raffonara 1994: 166) wie Verginer bemüht, das unbetonte [e] regelmäßig zu schreiben, auch wenn beide Autoren dann doch teilweise in die Sprechsprache zurückfallen (bei Verginer 1861 z.B.: 6 psoc ‘schwer’, 22 dfenn ‘verteidigt’, 6 fa conesc ‘zur Kenntnis bringen’, 6 créi ‘glauben’, 7 d’segn ‘jetzt’, 7 n’s aspeta ‘uns bevorsteht’ [hier zumindest durch Apostroph angezeigt]). 1861 8 antr ite ‘mitunter’ entspricht aber der Bacher’schen Regel, das unbetonte e vor r am Wortende in solchen Fällen nicht zu schreiben. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 148 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 - Für [i̯ ] als Halbvokal unterscheidet Bacher 1833 je nach Wortstellung und Etymologie <j> (am Wortanfang sowie im Wortinneren, wenn es sich aus lat. j oder lj ableitet, also justizia ‘Gerechtigkeit’, jeu ‘ich’, ajüt ‘Hilfe’, majù ‘größer’, tajé ‘schneiden’), <y> (im Wortinneren, wenn ein anderer Konsonant am Ursprung steht: payé ‘bezahlen’, joyé ‘spielen’, crëye ‘glauben’) und <i> (in den übrigen Fällen im Wortinneren und immer am Wortende: mëis ‘Monat’, pëigr ‘langsam’, tai ‘Schneide’, trëi ‘drei’). Verginer begnügt sich hingegen mit <j> und <i> (1845 5 jadé ‘Reise’, 13 jong ‘gerne’, 17 pájérálé ‘wird er vergelten’, 46 tajé ĝiö ‘fällen’, 25 cóntinuëia ‘fahre fort’, 35 prëia ‘beten’; 1861 24 ajuta ‘hilft’, 3 jade ‘Reise’, 7 majus ‘größere’, 3 pajé ‘bezahlt’, 5 de morvéia ‘wunderbar’ etc.). 6.2.2. Konsonantismus Im Bereich des Konsonantismus sind besonders jene Schreibungen von Interesse, wo einem Phonem mehrere Graphien entsprechen. - Für / k/ am Wortanfang und im Wortinneren schreibt Bacher 1833 nach etymologischen Gesichtspunkten <c> (<ch> vor e, ë, i: capellaǹ ‘Kaplan’, curt ‘Hof’, che ‘dass’), <qu> (quatr ‘vier’, quëst ‘dieser’) oder <k> (in deutschen Entlehnungen, neben auch zugelassenem <c>/ <ch>: kerscea ‘Kirsche’, kraut ‘Kraut’). Verginer lässt das <k> fallen 54 und bevorzugt ansonsten das <c>/ <ch+e, ë, i> (sowie das «etymologische» <ch> in Wörtern wie 1845 42 charitá ‘Liebe’, 4 christiagn ‘Christen’, 29 christianesimo ‘Christentum’, 9 Christo ‘Christus’ etc.). <qu> ist anfänglich auf die Demonstrativa beschränkt (1845 5 quël ‘jener’, 17 quëra ‘jene’, 9 quëŝ ‘dieser’ etc., daneben bereits 45 quará ‘welche’), wird dann auf immer mehr Pronomen ausgeweitet (1850 in qui, che viung ‘in welchen wir leben’) und in Folge dann auf alle Wörter, wo das etymologische Prinzip greift (1852 Quarsema ‘Fastenzeit’, quater ‘vier’ etc.). Eine radikale Änderung tritt dann wieder 1861 ein: Nachdem sich Verginer entschlossen hat, <chi> für /  / zu verwenden (cf. infra), weitet er <qu> auf jede Verbindung / ke/ , / ki/ aus (1861 30 affinqué ‘damit’, 15 antiqui ‘alt’, 16 se aricqui ‘sich bereichern’, 29 giudiquéise ‘prüft’, 14 multipliquerá ‘wird vermehren’, 15 chi que ‘was’, 27 sacrifiqué ‘opfern’), darüber hinaus noch auf / ka/ , wo es ihm etymologisch richtig erscheint (1861 21 qua ‘her’, 1 Quarsema ‘Fastenzeit’, 13 quatring ‘Pfennig’, 3 squarzé ‘zerreißen’, er übersieht aber z.B. 12 scassa ‘erschüttert’ < exquassat ). Für / k/ im Auslaut unterscheidet Bacher 1833 erneut etymologisch nach <c> und <q> (sac ‘Sack’ vs. c̀ inq ‘fünf’), Verginer vereinheitlicht auf <c> (1845 14 füc ‘Feuer’, 24 lüc ‘Ort’, 38 sanc ‘Blut’, 1861 6 por incerc ‘um uns herum’, 3 sangc ‘Blut’ 55 ), verwendet aber in einigen wenigen Fällen ein etymologisches <g> (1852 alberg ‘Herberge’, 1861 5 lúg ‘Ort’). Verginer eliminiert weiters das Bacher’sche <gu> für / g/ in Wörtern wie 1845 24 ega ‘Wasser’, 1861 16 lingaz ‘Sprache’ (Bacher 1833 ägua, linguaz nach etymologischen Erwägungen). - Für das typisch ladinische /  / schreibt Bacher 1833 <çhi> am Wortanfang und im Wortinneren (çhiasa ‘Haus’, piçhié ‘Sünde’), sowie <çh> am Wortende bei der Pluralbildung von Wörtern auf / -k/ (beçh ‘die Schnabel’), hingegen <tg> am Wortende bei der Pluralbildung von Wörtern auf 54 Genauso lässt er auch die anderen fakultativen Graphien Bachers, die auf das deutsche Etymon Rücksicht nehmen, fallen (etwa <v> für / f/ oder <w> für <v>, cf. c raffonara 1994: 170). 55 Das <sange> des gedruckten Textes von 1861 ist sicher Lesefehler seitens der Druckerei des handgeschriebenen <sangc>. Somit wird der Erklärungsversuch der erstgenannten Graphie in c raffonara 1996b: 155 hinfällig. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 149 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 / -t/ (fatg ‘die Taten’). Verginer hingegen optiert anfänglich für die einheitliche Verwendung von <tgi> am Wortanfang und im Wortinneren sowie <tg> am Wortende (1845 5 tgi ‘was’, 46 tgialt ‘warm’, 43 tgiamo ‘noch’, 38 tgiern ‘Fleisch’, 46 bótgia ‘Mund’, 6 intge ‘auch’, 2 dütg ‘alle’, 46 früttg ‘Früchte’ etc.) 56 . 1857 übernimmt er dann die Bacher’sche Unterscheidung <çhi>/ <-çh> vs. <-tg> (1857 5 çhiamo ‘noch’, 9 çhiasa ‘Haus’, 3 inçhie ‘auch’, 16 mançhia ‘fehlen’, [1859 riçh ‘reiche’]; 16 mortg ‘tote’, 1 dutg ‘alle’, 15 de ĵoramentg ‘schwören’, 25 Sacramentg ‘Sakramente’), es verbleiben aber einzelne Ausnahmen wie 12 intge, 7 tgi, die aber in den Jahren darauf vollständig regularisiert werden. 1861 erfolgt dann im Sinne der Vereinfachung die Elimination der Cedille (1861 10 chiamo ‘noch’, 30 chiáre ‘schaue’, 16 chiasa ‘Haus’, 10 inchie ‘auch’, 31 machia ‘Makel’ (evt. auch italienisch als [maki̯ á] zu lesen), 24 porchi ‘weil’, 14 rich ‘Reiche’). Der Unterschied zu / ki/ wird mittels <qui> gewahrt, aber Verginer wird sich des Problems der italienischen Lehnwörter, die er bis dahin mit <chi> verschriftet hat, gewahr (insbesondere das bis dahin omnipräsente ˹ chiesa ˺ ‘Kirche als Institution’). Die Lösung Verginers ist denkbar einfach: er vermeidet diese Lehnwörter und greift auf das Erbwort (konkret: ˹ dlisia ˺ ) zurück. - Ein ähnliches Problem bekommt Verginer, als 1861 durch das Weglassen der Diakritika <gi>/ <ge> sowohl / ži/ , / že/ als auch /  i/ , /  e/ repräsentiert (1861 7 genere umano ‘Menschheit’, 5 gent ‘Leute’, 18 giust ‘gerecht’, 8 gi ‘gehen’). Einige Beispiele wie 1861 11 inggianá ‘betrügt’, 27 legges ‘Gesetze’ sowie manggia ‘isst’ im gedruckten Osterbildchen des gleichen Jahres lassen vermuten, dass Verginer das Problem zumindest im Wortinneren mittels <gg> für /  / lösen wollte, doch mehrere Gegenbeispiele (1861 auch 11 ingianná ‘betrogen’, 3 ingiúries ‘Erniedrigungen’, 15 religiung ‘Religion’) sowie die nicht gelöste Problematik eines evt. Doppelgraphems am Wortbeginn (cf. c raffonara 1996b: 155, cf. z.B. 1861 20 Giobe ‘Job’) zeigen, dass diese Lösung wohl noch nicht ausgereift war. - Für / š/ : Bacher 1833 <sc(i)> und <ŝ> nach etymologischen Kriterien am Wortanfang und im Wortinneren (sciampè ‘davonlaufen’, lasciè ‘lassen’, crësce ‘wachsen’, ŝe ‘ja’, ŝe ‘wenn, ob’) sowie <s> als kombinatorische Variante vor Konsonant (estr ‘sein’, ost ‘Wirt’), <ŝ> am Wortende (cruŝ ‘Kreuz’, pleŝ ‘gefällt’, pëŝ ‘Fisch’). Verginer hält sich an Bacher, verwendet aber von Anfang an mehrheitlich das Graphem <sch>, das (wie <tsch> für / č / ) eigentlich aus einer Fehlinterpretation der von Bacher 1833 des Öfteren in Klammern hinzugefügten Transkription der Aussprache als orthographische Alternative herrührt (cf. c raffonara 1996b: 155). Verginer schreibt also 1845 9 ámónësché ‘ermahne’ (neben 47 ámónëscé), 46 cónësché ‘kenne’, 47 cónschiënza ‘Gewissen’ (neben 24 cónsciënzá), 37 dáluntsch ‘entfernt’, 6 inschö ‘so’ (neben 18 insciö), 36 lásche ‘lasse’, 13 sché ‘wenn’, 8 schóbëgnché ‘obwohl’ etc.; am Wortende 36 ád áscuŝ ‘heimlich’, 37 chiŝ ‘diese’, 40 cóndüŝ ‘führt’, 43 Cruŝ ‘Kreuz’, 18 diŝ ‘sagt’, 31 féŝ ‘tut’, 45 foŝ ‘vielleicht’, 25 fredéŝ ‘Brüder’, 34 nüŝ ‘unsere’ etc. Ausgehend von der Endposition in der 3. Person wird das < ŝ > nach dem Prinzip der paradigmatischen Regelmäßigkeit auch ins Wortinnere der Verbformen übertragen, obwohl hier die Aussprache / ž/ ist: 24 deŝerá ‘wird sagen’ 57 , 22 fáŝëra ‘wird tun’, 13 feŝes ‘tust’ etc., daneben erscheint < ŝ > nach dem gleichen etymologischen Prinzip wie bei Bacher (1845 31 báóŝorung ‘Lügner’, 50 bénedisŝiung ‘Segen’, 40 prosŝimo ‘Nächster’, 40 ŝácáré ‘Handel treiben’, 47 ŝodi ‘fest’ etc.). Dass Verginer die 56 Dies scheint Enneberger Usus gewesen zu sein, denn wir finden ihn auch bei h aller 1832 und Agreiter [1838] (cf. K attenBusch 1994: 122). 57 Als Verbwurzel von dicere hat Verginer sehr oft ˹ des ˺ , obwohl im ganzen Tal die Aussprache ein / i/ aufweist (cf. ALD-I 233-235). Paul Videsott/ Philipp Tolloi 150 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Graphie <sc(i, e)> vorerst weitergeführt hat, dürfte auch an Italianismen wie 1845 39 discepoli ‘Jünger’ liegen, sie bleibt aber bis 1856 gegenüber den Alternativgraphien <sch>/ <ŝ> absolut minoritär. 1857 entscheidet sich Verginer für <sch>; <ŝ> wird aufgegeben, <sc(e, i)> in Ausnahmefällen weiterhin verwendet. 1860 wird <ŝ> wieder am Wortende und in der Kombination <sŝ> aufgenommen, doch bereits ein Jahr später stellt Verginer radikal auf <sc(e, i)> um (1861 24 sce ‘wenn, ob’, 24 scebegnque ‘obwohl’, 20 sciabla ‘Schulter’, 30 benedésce ‘segne’, 13 insceu ‘so’, 6 fa conesc ‘zur Kenntnis bringen’, 12 nosc ‘unser’, 24 paraysc ‘Himmel’ etc.). - Für / ž/ : Bacher 1833 am Wortanfang und im Wortinneren <ĝ> (ĝënt ‘Leute’, ĝi ‘gehen’), <ĵ> (ĵon ‘jung’, ĵeubia ‘Donnerstag’) und < ŝ > (dlieŝia ‘Kirche’, çhiamëŝa ‘Hemd’) nach etymologischen Kriterien (je nach lat. ge , j , s ), < ŝ > auch aus ce -, ci - und ge -, gi -, wenn das Französische <s> und das Bündnerromanische <sch> hat (aŝëi ‘Essig’, plaŝëi ‘Gefallen’, viŝin ‘Nachbar’), ansonsten <sc(e, i)>. Verginer hingegen fasst ge und j zusammen und verwendet nur <ŝ> und <ĝ> (1845 33 chieŝá ‘Kirche (als Institution)’, 33 déspriŝa ‘verachtet’, 44 diŝonesto ‘Unzüchtiger’, 41 viŝiná ‘sich verträgt’; 7 ĝi ‘gehen’, 46 tajé ĝiö ‘fällen’, 26 ĝiöma ‘versäumen’). 1857 führt er dann doch <ĵ> und damit die Bacher’sche Lösung ein (1857 13 arŝigne ‘vorbereitet’, 22 boŝugn ‘Notwendigkeit’, 25 ŝoma ‘versäumen’, 8 i ĵogn e les ĵones ‘Jünglinge und Jungfrauen’, 15 de ĵoramentg ‘schwören’, 5 ĝent ‘Leute’, 2 é ĝiu ‘ist gegangen’). 1861 kommt es aber auch in diesem Fall zu einer radikalen Vereinfachung, denn Verginer legt sich auf <g(e, i)> fest: 14 argigna ‘vorbereitet’, 7 i digé ‘ich sage’ (3. Person: 7 dig’), 8 i fege ‘ich tue’, 11 baugia ‘Lüge’, 5 gent ‘Leute’, 18 de gieu ‘schmähen’, 3 gí ‘gehen’, 18 regiungs ‘Rechte’, 11 viginanza ‘Umgebung’. Konsequenterweise schreibt er auch einmal 7 dligia ‘Kirche’, doch gerade bei diesem Wort bleibt er (13x) beim offensichtlich gewohnteren 3 dlisia. Wie sehr sich Verginer um eine orthographische Lösung insbesondere der Palatalenschreibung bemüht hat, wird auch daraus ersichtlich, dass er bei den Verbformen von fá < facere auch mit < ĉ > experimentiert hat (1845 38 l faĉëra résóri ‘werde ihn auferwecken’, 9 faĉésé, 39 fáĉiung etc.) und von 1857-60 mit <ç> (1858 feç ‘tut’) 58 . - Für / č / : Bacher 1833 <c̀ (i)> im Anlaut und Inlaut (c̀ iaffè ‘finden’, nic̀ iòra ‘Zirmnuss’, c̀ iel ‘Himmel’), im Auslaut <c̀ h> (brac̀ h ‘Arm’) sowie <ẑ> beim Plural von Wörtern auf / -ts/ (viẑ ‘Laster’). Verginer optiert hingegen ursprünglich für die Lösung < ĉ > bzw. <tsch> (mit einer wachsenden Präferenz für letztere Graphie, cf. supra / ŝ/ ): 1845 40 ĉérnéra ‘absondern’, 37 ĉiaffá ‘findet’ (neben 21 tscháferasté ‘wirst du finden’), 9 ĉiampa ‘linke’; 37 dáluntsch ‘entfernt’, 34 rétschöé ‘empfangen’, 44 strabatschés ‘missbrauchst’, 47 tóma tschërá ‘gefallen’). 1857, parallel zur Einführung von <çhi> für /  / , wird < ĉ > durch <ç> ersetzt, <tsch> aber beibehalten: 21 çerne ‘wird aussondern’, 17 çiorvell ‘Verstand’, 15 falç ‘falsche’, 17 l’abbraçun ‘wir umarmen ihn’, 27 reçevede ‘empfangt’; 17 bratsch ‘Arm’, 27 daluntsch ‘entfernt’, 26 potsch ‘Pfützen’, 6 scomentsche ‘beginne’, 8 sgritsch ‘Ekel’, 23 vitsch ‘Laster’. Im Zuge der Abschaffung der Diakritika 1861 wechselt Verginer dann auf <ce>, <ci>: 21 certes ‘gewisse’, 3 incer ‘herum’, 13 necesité ‘Not’, 6 ciêra ‘Aussehen’, 10 niccio ‘Kern’, 10 prencipe ‘Fürst’. - Für / ts/ : Bacher 1833 <z> (zòt ‘hinkend’, zübr ‘Zuber’, nezza ‘Nichte’), sowie <c> vor e, i und <ti> etymologisch bedingt in Entlehnungen (natiuǹ ‘Nation’, gratia ‘Gnade’). Verginer lässt von Beginn an <ti> fallen und bevorzugt <z>. Bei gewissen Entlehnungen folgt er jedoch Bacher mit 58 Hier stand wohl nicht nur das etymologische Prinzip Pate, sondern auch die effektive Aussprache mit / č / in Teilen der Enneberger Bevölkerung. Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 151 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 <c> (1845 25 sóccédéra ‘vorgehen wird’), und zwar insbesondere 1861, wo er - trotz sonstiger Abschaffung der Diakritika - 17 sinçiêra ‘redlich’ und 22 regiungs soçialés ‘bürgerliche Rechte’ (aber 24 regiungs soziales) schreibt. - Für / ñ/ : Bacher 1833 ausschließlich <gn>, Verginer dominant <gn>, aber vereinzelt auch <gni> (so z.B. 1861 30 ascogniús ‘verborgene’, 18 s’é gniú ‘vereinbart hat’) oder <ign> (1845 8 aign ‘Jahre’, 1857 10 Cristiaign ‘Christen’). - Für die Opposition / ŋ / vs. / n/ : Bacher <ǹ> vs. <n>, Verginer hingegen ursprünglich <ng> vs. <n> (ohne aber die Opposition strikt einzuhalten, cf. 1845 7 cótang ‘wie viel’, 34 óraziung ‘Gebet’, 46 eleziung ‘Erwählung’, 42 fang ‘Hunger’, 3 fing ‘Ende’, daneben aber auch 43 fin, 15 con ‘mit’ vs. 44 mon ‘Welt’). Bereits 1853 nähert er sich aber Bacher mit <n̂ > vs. <n> (cristian̂ ‘Christ’, devoziun̂ ‘Andacht’, dertan̂ ‘während’, doman̂ ‘morgen’, gran̂ ‘groß’ etc. vs. mon, daneben aber immer da sënn ‘sehr, fest’ und ann ‘Jahr’). 1857 lässt Verginer <n̂ > fallen und führt wieder <ng> ein, doch nur sehr inkonsequent, denn im Großteil der Fälle schreibt er einfaches <n> (wobei die Handschrift tendenziell ein < ŋ > aufweist, es wird aber nicht klar, ob Verginer damit ein neues Graphem einführen wollte). Bis 1861 wird die Unterscheidung <ng> vs. <n> dann immer besser eingehalten (1861 3 cong ‘mit’, 3 ing ‘in’, 14 pang ‘Brot’, 10 plang ‘langsam’ etc. vs. 22 dfenn ‘verteidigt’, 5 divin ‘göttlich’, 5 mon ‘Welt’). - Die Geminatenschreibung ist im 19. Jahrhundert im Ladinischen latent gegeben und oft vom Italienischen beeinflusst (1861 1 lettra ‘Patent’, 3 fatt uomo ‘menschgeworden’, 5 scombatt ‘kämpft’, 5 perfett ‘vollkommen’, cf. auch V idesott / B ernardi 2013: 159 sowie c raffo nara 1994: 175-76 zu der etwas undurchsichtigen Handhabe Bachers), bisweilen wird diese graphisch durch einen hochgestellten Querstrich (1861 3 Quarsém̄ a ‘Fastenzeit’) angedeutet. - Die Verwendung des toten Buchstabens <h> in der Verbalmorphologie beschränkt sich bei Bacher auf die stammbetonten Formen des Verbums avëi ‘haben’, Verginer weitet diesen mit der Zeit auch auf die stammbetonten Formen des Verbums orëi ‘wollen’ aus (1861 7 sc’el ne n’ho, qu’el vále inche d’el ‘wenn er nicht möchte, dass auch für ihn gelte’). 6.2.3. Von Bacher über Verginer zu Declara Was also auf den ersten Blick - auf Grund der vielfachen und unterschiedlichen Schreibweisen - als ein eher chaotisches handschriftliches Durcheinander erscheinen könnte, entpuppt sich bei genauer Analyse als gut durchdachtes, auf Bacher aufgebautes und dann in mehreren Schritten - v.a. 1857 und 1861 - eigenständig weiterentwickeltes orthographisches System. Es zeigt sich auch deutlich, dass Verginer - anders als manche seiner Zeitgenossen (cf. c raffonara 1994: 189 bezüglich Ciprian Pescosta 59 oder 1994: 194 bezüglich Johannes Chrysostomus Mitterrutzner 60 ) - die 59 Zu Ciprian Pescosta (*11.10.1815-†31.5.1889), einem weiteren bedeutenden ladinischen Intellektuellen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, cf. d orsch 1994 und B ernardi / V idesott 2014: 250-56. 60 Zum Gebrauch, den der sprachgewandte Neustifter Chorherr J. Ch. Mitterrutzner (*12.10.1818- †15.4.1902) von der Grammatik Bachers gemacht hat, cf. c raffonara 1994: 191-97. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 152 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Bacher’sche Orthographie im Detail verstanden hatte: eine notwendige Voraussetzung für ihre korrekte Anwendung. Verginer stellt schließlich den bisher fehlenden «Missing-Link» zwischen den orthographischen Vorschlägen Bachers und Declaras dar, zwischen denen nun in mehreren nicht banalen Fällen eine eindeutige Entwicklungskette hergestellt werden kann: 61 Bacher 1833 Verginer 1845 Verginer 1857 Verginer 1861 Declara 1878 / ë/ <ë> <ë> <e> <e> <e> 61 / ü/ <ü> <üe> <ü> <u> <ü> <ou> <u> / ö/ <eu> <ö> <o> <eu> <ou> <ou> /  / <çhi-> <-tg> <tg-> <-tg> <çhi-> <-tg> <chi-> <-tg> <ci-> <-tg> <š> <sc(e, i) / ŝ > <ŝ > <sch> <ŝ > <sch> <sch> <sc(e, i)-> <-sc> <sc(e, i)> <sc’> < č > <c̀ (i)> <tsch> <ç(i)> <c(i)> <c(e)> / ŋ / vs. / n/ / ǹ/ vs. / n/ / ng/ vs. / n/ / n̂ / vs. / n/ (1853) / ng/ vs. / n/ / ng/ vs. / n/ / ng/ vs. / n/ Auch wird deutlich, dass Verginer bereits sehr früh mit dem Manuskript Bachers in Kontakt gekommen sein muss. Bacher selbst scheint sein Manuskript noch vor 1843 dem damaligen Kuraten seines Heimatdorfes S. Ciascian/ St. Kassian, Antone/ Anton Trebo (dem späteren Nachfolger Verginers als Dekan von Enneberg, cf. infra), übergeben zu haben, der es dann verschiedenen Interessenten zur Einsicht überlassen hat (c raffonara 1994: 137). Zu diesen Interessenten muss auch Verginer gehört haben, der im April 1843 Dekan von Enneberg geworden war. Davor war er 10 Jahre (1833-43) Kurat von Longiarü/ Kampill gewesen. Der Teil seines «Kampiller» Nachlasses ist aber noch nicht wissenschaftlich erschlossen, sodass derzeit die ladinische Graphie Verginers vor 1845 nicht rekonstruiert werden kann und damit auch nicht, ab wann er sich mit den Vorschlägen Bachers auseinandergesetzt hat 62 . 61 Laut K attenBusch 1994: 120 hätte d eclara 1879 <ei> für / ë/ verwendet, was aber nicht korrekt ist. 62 Während der Endredaktion dieses Artikels ist den Verf. ein Heft untergekommen, in dem Verginer ab 1833 Messintentionen eingetragen hat. Die Einträge wechseln sich auf Latein, Italienisch und Ladinisch ab. Der älteste ladinische Eintrag datiert vom 23.11.1833 und lautet: Impórtanzá dlá mórt, portgí ch’árá nés sepárárájá (sic! ) dá dött - é decidé dé dött ‘Bedeutung des Todes, weil er uns von allem trennen wird - und über alles entscheidet’; der nächste ist vom 10.08.1834: Dél ámur verso i Dio - cón̂ tgi amur, ch’ël ó esŝér ámé e dá tgi sëins, ch’an̂ g conësh, sh’an̂ l amá ó no. - Dál opere e dál pati ‘Von der Liebe Gott gegenüber - mit welcher Liebe er geliebt werden will und von welchen Zeichen man erkennt, ob man ihn liebt oder nicht - Vom Handeln und vom Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 153 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 6.3. Morphosyntax Das auffälligste morphosyntaktische Charakteristikum der ladinischen Hirtenbriefe - und zugleich auch ein Charakteristikum des damaligen Kirchenladinischen generell (cf. c raffonara 1996b: 154 N17) - ist die fast durchgehende Setzung des bestimmten Artikels vor dem Possessivsyntagma: 1861 2 dla súa Diocesi ‘seiner Diözese’, 3 i sú fedeli ‘ihre Gläubigen’, 11 la fortezza dei sú soldas ‘seiner Truppen’, 30 la osta mang nes benedésce ‘eure Hand segne uns’ etc. Einige weitere Auffälligkeiten im Vergleich zum damaligen mündlichen Sprachgebrauch und zur heutigen Normsetzung sollen eklektisch erwähnt werden: - Das Futurmorphem ˹ er ˺ (I-III Konj.), obwohl es in ganz Ladinien mit Ausnahme Grödens und Moenas / ar/ lautet (cf. z.B. ALD-II, 487, 595, 604): 1845 8 mésserá ‘werde müssen’, 20 pajerá ‘wird vergelten’, 15 séráste ‘wirst du sein, 1861 10 meterá dant ‘wird vorgeben’, 14 multipliquerá ‘wird vermehren’, 25 gnera ‘wird kommen’ etc. Auch mit dieser Entscheidung folgt Verginer Bacher (cf. B acher 1995: 111 und passim). - Ebenso folgt Verginer Bacher in der Nicht-Unterscheidung von betonten und unbetonten Subjektspronomen; beide verwenden nur die betonten Formen (z.B. 1861 6 de chi qu’el se tratta ‘um was es sich handelt’; 7 sc’el ne n’ho, qu’el vále inche d’el, chi que Gesú dig’ ‘wenn er nicht möchte, dass auch für ihn gelte, was Jesus sagt’; 29 insceu qu’el -lda ‘wie es sich gehört’ etc., in der gesprochenen Sprache stünde jeweils die unbetonte Form ˹ al ˺ : de chi qu’al se tratta, qu’al vale, insceu qu’al -lda). Verginer gleicht sogar das unbetonte unpersönliche Pronomen an ‘man’ (das nur unbetont existiert, bei Bacher <aǹ>, cf. B acher 1995: 79) graphisch an die betonten Formen der 3. Person an: <ëng>/ <eng>, z.B. 1855 róviné ólá ch’ën i aa pormo fatt dant áll éga ‘erst erstellte Uferbauten zerstört’. In der 1. und 2. Pers. Plural, wo das mittlere und obere Gadertal bereits damals kein unbetontes Subjektspronom mehr setzte, fehlen sie auch bei Verginer: 1861 6 O tang qu’i desidere, miei diletti, que seise doutg de tai soldas ‘O wie sehr, Geliebteste, wünsche ich, dass ihr alle solche Kämpfer seid’; 6 dout chi qu’odung e aldiung ‘alles, was wir um uns sehen und hören’; das Ennebergische hat diese Pronomen bis auf heute (in der aktuellen Orthographie: che i sëise, ci ch’i odun y i aldiun). - Als Konjunktion ‘und’ verwendet Verginer wie Bacher <e>, nur einmal rutscht ihm das ennebergische / i/ (heute im ganzen Gadertal <y> geschrieben) hinein: 1845 44 dang da dött chi, ché vii in ligrëzzés impures é diŝónéstés do la süa i i indlétg dlá süá tgiern ‘vorzüglich aber diejenigen, welche in der unreinen Lust dem Fleische nachwandeln’. - Verginer verwendet wie Bacher (cf. B acher 1995: 57-58 N 129) das Numerale ˹ un ˺ ohne unbestimmten Artikel: 1861 22 El é begn véi qué d’ung vers ne po inchie l cristiang catolico… ‘Es stimmt, dass einerseits auch der katholische Christ nicht…’ 1860 in dotta la Francia elle maa ona potenza ‘in ganz Frankreich gibt es nur eine Macht’ (heute: un n vers, öna na potënza). Erleiden’. Am Beispiel <sh> für / š/ merkt man, dass Verginer bereits zwischen 1833 und 1845 an seiner Graphie gearbeitet hat, und dass er diese ursprünglich unabhängig von Bacher entwickelt hat, um sich dann dessen Vorschlägen anzuschließen und weiterzuentwickeln. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 154 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 - Die Negation ist bei Verginer noch ausschließlich präverbal: 1845 32 é ché né méssunse nés dóde ‘und dass wir uns nicht schämen müssen’; 6 quel ne n’é degung odio del mon plú bung de mette seu ‘ng d’atri pinsiêrs ‘den kann kein Hass der Welt mehr auf andere Gedanken bringen’ (zur Ausbreitung der doppelten Negation im Gadertalischen cf. g sell 2002-03). - Das partitive de fehlt bei Verginer mehrmals: 1845 46 ché né pórta bugn früttg ‘der keine guten Früchte bringt’, 1861 29 Priedé cong chiamo tang devoziung ‘Verdoppelt eure Andacht’ (laut Norm und in aktueller Orthographie: ne porta de bugn früc, ciamó tan de devoziun). Bacher 1995: 57 widmet der Konstruktion eine ausführliche Regel; ein Zeichen, dass die Verwendung des de bereits damals mit Unsicherheiten behaftet war. - Sowohl Bacher (cf. z.B. B acher 1995: 112) als auch Verginer verwenden als Konjunktivendung der 1. und 3. Person das ältere -e (1861 7 qu’el vále ‘dass gelte’; 10 sénza qu’el s’n’anédíe ‘ohne dass er es merkt’; 12 Qu’eng poe dí de vos ‘dass man von euch sagen könne’; 22 po’ra s’l de, qu’ Prencipe, que comana por sura na tal provinzia - fege, chi qu’el ne po nia atraménter e i lasce a doutg i su sudditi, sanza desferénzie fra Cattolici e Lotragn les medemes regiungs soçialés ‘mache, lasse’). Mittlerweile wurde die Endung auf -es standardisiert (g allMann / s iller -r unggaldier / s itta 2013: 30). - Als Lokalpräposition wird noch vorwiegend ˹ in ˺ verwendet (1861 3 Er’ ha scomenccé la s. Quarsém̄ a, ing quera, qu’ la s. dlisia invieia […] i sú fedeli (fìis) a gí incer les Staziungs, […] a conscideré con fervóre devot i gragn Misteri, ing qui que l’opera dla nostra Redenziung s’é complída ‘Die hl. Fastenzeit hat begonnen, in welcher die Kirche ihre Kinder […] einladet, den hl. Kreuzweg zu besuchen, und sich in die Betrachtung jener Geheimnisse zu vertiefen, in denen das Werk unserer Erlösung vollendet worden ist’), das in dieser Funktion im Gadertalischen und Grödnerischen mittlerweile vollständig von te < inte abgelöst worden ist. 6.4. Wortschatz Die auffälligste lexikalische Charakteristik unserer Texte - wie des damaligen Kirchenladinischen im Allgemeinen (cf. B acher 1995: 46 N101) - ist ihre starke Durchsetzung mit Italianismen. Diese beschränken sich nicht nur auf Abstrakta (1845 47 quël tremendo giudizio di Dió ‘jenes furchtbare Gericht Gottes’, 21 l divin salvatore cólla süá ámabilissima faccia ‘den lieben Heiland mit huldvollem Antlitz’; 1861 3 i plú terribili abandonamenti ‘die Schrecknisse der Verlassenheit’, 3 la nostra condanna ‘unser Urteil’, 7 genere umano ‘Menschheit’) und auf den kirchensprachlichen «Fachwortschatz» (z.B. 1845 2 vescovo ‘Bischof’, 2 fedeli ‘Gläubige’, 3 Apostoli s. Pietro e s. Paolo ‘Apostel Petrus und Paulus’ [daneben aber 1861 13 quatring de s. Pire ‘Peterspfennig’], 17 fi dell’uomo ‘Menschensohn’, 1852 supremo Pastore ‘Oberhirte’ [i.e. ‘Papst’], 1855 nél grëmo déllá unica vera é santa Madre Chiésa cattolica ‘in den Schoß der alleinseligmachenden, allein wahren Kirche’ etc. 63 ) sondern greifen 63 Es wurde erwähnt, dass Verginer selbst von ˹ chiesa ˺ auf ˹ dlisia ˺ wechselt. Im Zuge der Ausarbeitung des neuen Kirchenladinischen ab den 1980er Jahren wurden in vielen weiteren Fällen die bis dahin verwendeten Italianismen durch Erbwörter ersetzt. Wie stark aber die italienisch geprägte Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 155 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 bisweilen auch auf den Grundwortschatz über (Verginer verwendet z.B. fast durchwegs nostra ‘unsere’ (1845, 27) und vostra ‘eure’ (1845, 8) [vs. gad. nosta, osta] als fem. Possessivpronomen, esser ‘sein’ (1861, 18) [vs. gad. ester] als Infinitivform, oder - wie Bacher - sënza statt zënza ‘ohne’ (1845, 39) als Präposition). Auffällig ist Verginers Versuch, it. Iddio und mar. Dio ‘Gott’ zu kombinieren, indem das ivon Iddio abgetrennt und der Präposition angehängt wird (1861 26 nes metter in sigú dant ai Dio ‘uns vor Gott in Sicherheit zu geben’; 23 vign’ung ha da la fa fora coi Dio e cola propria conscienza ‘jeder muss sie mit Gott und seinem Gewissen ausmachen’). Daneben enthalten die Texte aber eine ganze Reihe von Syntagmen und Lexemen, die bisher von der ladinischen Lexikographie (konkret: des Gadertals) noch nicht oder kaum erfasst worden sind (Stichwort in der aktuellen Orthographie): - alberié v.tr. ‘beherbergen’: 1854 Ëra jést qui, ch’ël i mantgia véstimënt, da dá mangé á qui ch’á fan̂ , álbériëia i puri, féŝ l góvern ái ámará ‘Sie kleidet die Nackten, speiset die Hungernden, beherbergt die Fremden, pfleget die Kranken’; 1855 sché t’álberiëiés n püré, tolésté sö l Patrun̂ déi Angeli néllá tüa tgiasa ‘wenn du den Armen beherbergst, so nimmst du den Herrn der Heerschaaren in dein Haus auf’. Erbwörtlicher Fortsetzer von mlat. albergare zu germ. *haribergôn (cf. EWD 1: 74-75). - beadl a adv. ‘wohl dem’ (P izzinini 1967: 8 ungenau beadla ‘beata, fortunada’): 1853 Beadla chi, ch’áscúttá é tol á cör lá süá parora! ‘Heil denen, die Ohren und Herz der Wahrheit öffnen’; 1854 O beadla a l cristian̂ , ch’á lá speranza dél Paraiŝ ‘O wie glücklich ist der Christ, der die Hoffnung des ewigen Lebens hat’; 1856 Beadl’ ád ël, sché lá s. Religiun̂ , sche lá fédé, lá speranza é lá caritá l’accómpagna, sch’ël s’erá fatt i Santg sü amici - é ch’ël á cónŝidéré l párais pór süa tgiasa! Beadl’ ád ël, sché Gesú Cristo in pórta áll’eternité l saluda «Sëgn tö bun̂ è fédéle servo - va ite néllá ligrëzza del tó Signur.» Beadl’ ád ël, sché lá süá mórt sërá un̂ varé dá quësta pürá é miserabilé vita ál Regno déllá gloria im̄ ortale ‘Wohl ihm, wenn die Religion, wenn der Glaube, die Hoffnung und die Liebe ihn begleitet, wenn er sich die Heiligen zu Freunden gemacht, und wenn er den Himmel als seine Heimat betrachtet hat! Wohl ihm, wenn Jesus Christus an der Pforte der Ewigkeit ihn mit den Worten willkommen heißt: «Du guter und getreuer Knecht, gehe ein in die Freude deines Herrn.» Wohl ihm, wenn sein Tod ein Übergang aus diesem elenden Leben ins Reich der seligen Unsterblichkeit ist’. Die verblos und mit a+- Dativ kostruierten Belege erinnern an das lat. Beati sunt qui … EDW 1, 255 erklärt das Wort kaum zutreffend aus einer Zusammensetzung beata + (ë)la. Womöglich missdeutete Rezeption eines lateinischen oder italienischen Ausdrucks. - dé che conj. ‘da’, it. ‘dato che’: 1854 La caritá é intgé sëgn béllé máju cho la fédé é la speranza, dé ch’er’é l frütt d’intrambes, l frütt val plü có lés fëjés é có la flú ‘Die Liebe ist auch jetzt schon größer als Glaube und Hoffnung, weil sie die Frucht derselben ist. Die Frucht ist aber wertvoller als Knospe und Blüte’; 1855 sch’i és fan̂ - né n’ái briá dél dí; dé ché miá é lá terra cólles süés richézzés ‘Denn wenn mich hungern sollte, so spricht Gott der Herr, so brauche ich es nicht zu Terminologie des 19. Jahrhunderts noch in der Geistlichkeit verankert war und ist, geht u.a. daraus hervor, dass in der grödnerischen Übersetzung des Neuen Testaments der Ausdruck Menschensohn durchwegs noch mit fi dl uomo wiedergegeben wird, während man im Gadertalischen bereit war, fi dl om zu akzeptieren (cf. s otriffer et al. 2011 s.v.). Paul Videsott/ Philipp Tolloi 156 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 sagen; denn mein ist der Erdkreis und sein Reichtum’; 1856 dé ché sun̂ fiis délla Chiéŝa cattolica ‘weil wir Kinder der katholischen Kirche sind’; die Wendung, die auch bei Bacher mehrmals belegt ist, ist mittlerweile vollständig durch deache (grd. daviache) ersetzt worden. - fatissó s.m. ‘Hab und Gut’, in den Texten noch mit variablem Possessivpronomen: 1855 Tgi i alda pa ai Dio? Ad Ël i alda so é dött l fatt e vost ‘Was gehört Gott? Ihm gehört euer Hab und Gut’; ólá ché tan̂ dé fámiliés a pórdü dött l fatt é só ‘wo so viele Familien ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben’; Pór se istëss né n’ámangórl léré niá Ël dél fatt é to ‘Für sich braucht er freilich nichts von deinen Gütern’. - ferzoché v.intr. ‘verzagen’: 1855 Déméztrú trees ê lá man̂ di Dió pesotgia surá dé nós, mó nó nés férzócunsé pór quëst! ‘Die Hand Gottes ruht fortwährend schwer auf uns, aber verzagen wie darum nicht! ’; 1860 é sch’i ó savei, çhi ch’eis ste fora lapró - bastl ch’i damane l mio cór. Mo ne nes ferzocunsé per quest! ‘und will ich wissen, was ihr dabei gelitten, so brauche ich nur mein eigenes Herz zu befragen’. Endoladinische Verbbildung aus dem dtir. Adjektiv fεrzågt ‘verzagt, ängstlich’ (s chatz 1955: 167). - gros s.m. noch in der konkreten Bedeutung (zuerst ‘Groschen’, dann ‘Kreuzer’): 1861 14 ‘na chiarité, a quera, que doutg, tang que mai el è possibl, púri e rich, déss concorre, almangco con un gros al méis ‘eine Liebesgabe, die möglichst von allen, vom Armen wie vom Reichen, entrichtet werden soll. Der Betrag … soll sich daher mindestens auf einen Kreuzer monatlich belaufen’; heute im Gadertalischen nur mehr pl. in der allgemeinen Bedeutung ‘Geld’ (cf. EWD 3: 446) - gualt s.m. ‘Befugnis, übertragene Vollmacht’: 1858 I amará e dutg i atri, ché ne po, o ne vegn pro á ademplí ona, o l’atra de questes trei ultimes condiziuns, se po revolger, (po damane l confessur) al confessur a quel che l s. Padre i dá l gualt - affin ch’el po i de so n’altra bun’opera - ch’ei vegn pro a fa. Queŝ gualt á i confessurs dal s. Padre ‘Die Kranken und alle diejenigen, welche eine oder die andere der genannten Bedingungen zu erfüllen außer Stande sind, können sich an ihre Beichtväter wenden damit sie ihnen dafür vermöge der eigens hierzu erteilten Vollmacht des hl. Vaters ein anderes gutes Werk je nach ihren Verhältnissen auferlegen’; 1859 I fedeli, ch’amangora per poverté la licenza de podei les Sabbedes de Quarsemma mangiê da çiern, po se rivolger ai su pastori d’animes, a qui ch’i i da l guald, de i él podei de pro. Inçhié a i pastroi d’animes - no vigni Confessur - l guald, de i de pro, sch’ei conesc in conscienza un vero bisogno a persones, o famiglies pures, de podei adore grass, o val de te ‘Diejenigen Gläubigen, welche wegen Armut die Erlaubnis benötigen, an Samstagen der Fastenzeit Fleischspeisen zu genießen, haben sich an ihre Seelsorger zu wenden, welche hiermit die Vollmacht erhalten, eine solche Erlaubnis nach Erfordernis der Umstände zu erteilen’. Von ahd. giwalt ‘Vollmacht’ (EWD 3: 450). Das Wort ist bereits in der halbladinischen Urkunde von 1532 im Syntagma govalltes geravoy ‘befugte Vormunde’ belegt (cf. t olloi / M ischí / V idesott 2014: 273; dort fälschlicherweise als ‘Vormund’ glossiert). Obwohl im 19. Jahrhundert gut belegt (cf. auch M ischi 1882: 16), fehlt das Wort in allen ladinischen Wörterbüchern. - impó da loc. prep. ‘bis auf, mit Ausnahme von’: 1861 11 Coi tradimentg i plú vili ha l s. Padre, pro deuta la fortezza dei sú soldas pordú deutes les súes provinzies impo da Roma e la súa viginanza ‘Durch niederträchtigen Verrat gingen trotz der tapferen Gegenwehr der päpstlichen Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 157 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Truppen alle Länder des Kirchenstaates für den hl. Vater bis auf Rom und seine nächste Umgebung verloren’. - jí dan se v.intr. ‘vorgehen’: 1861 7 Chi que va belle d’segn dang se seu ‘l mon, e chi que n’s aspeta, é ung scombatte por la fede e la s. dligia ‘Was jetzt schon in der Welt vorgeht und was uns bevorsteht, ist ein Kampf um Christentum und Kirche’; heute außer Gebrauch geratene Lehnübersetzung aus dt. vorgehen. - jí sö intortes loc. ‘auf Schleichwegen gehen’: 1859 Un se straverde dall’ater - e degun ne s’infidé plu sön so fre; perçhí ch’un fre i é ádoss all’ater e vigni amico va so intortes. Un cojonna l’ater e ne diç leerté ‘denn ein Bruder stellt dem andern nach, und jeder Freund geht auf Schleichwegen’. In den Wörterbüchern ist intorta p.p. f. < intorquere nur in der konkreten Bedeutung ‘Verrenkung, Verstauchung’ verzeichnet. - lere che, lere sce wörtl. ‘leicht dass’, ‘freilich, natürlich’: 1854 Léré sch’oréssun̂ nós cristiagn má pór quësta vita speré in Gesù Cró. fóssung inschö che béllé l’Ap. S. Paolo nés l’á ditt plü miserabili, có dütg i atri ‘Freilich, wenn wir Christen nur in diesem Leben auf Christus hoffen würden, so wären wir, wie schon der Apostel sagt, bedaurungswürdiger als alle andere Menschen’; 1861 25 Lere que la fede cristiana e l’affare del cour, porchí, pormó, sc era vegn dal cour hará forza divina por salvé ‘Ja wohl ist die christliche Religion eine Herzenssache, weil sie nur dann, wenn sie aus dem Herzen kommt, sich als eine Gotteskraft zum Heile des Menschen bewährt’ < leVior (g sell 2001: 565). - levé ia vb. ‘wegnehmen’: 1850 Illó állé é dalé ca l so sanc, inschöché so in ung álté, l’Agnel di Dió ché lee iá i pitgia del món ‘dort liegt und blutet wie auf einem Altare das Lamm, welches die Sünde der Welt hinwegnimmt’. Die heute außer Gebrauch geratene Verbindung ist auch bei M. Declara gut bezeugt (cf. VLL s.v.). - mez dé s.m. ‘Mittag’: 1859 Les domenies sores elle lecito mangié da mez dé e da sera ássa; i atri dis blott öna ota al dé ‘nur sonntags ist es erlaubt, mittags und abends genug zu essen, die anderen Tage nur einmal am Tag’; mittlerweile von misdé abgelöst (cf. EWD 4: 430). - pö massa adv. ‘leider’: 1845 31 Sö in cárá pert stasté pér esempio tö incredulo? O pö massa sólla ĉiampa: pórtgi, quëst é l cómando di Dió, ché crdunsé nél inóm dél so unigenito ‘Wo stehst denn z.B. du, Ungläubiger? Ach, auf der linken Seite; denn das ist Gottes Gebot, dass wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesu Christi’; 1854 Pórtgí ná antica malediŝiung drüca quësta terrá - é nés sfádiung lápro pö massa gónót tgiámo istëss - ál fa plü pesoc con nostra propria stoltezza e pasŝiung. Dá cang ché l pröm pitgé é gnü cométtü inŝö é lá terra cóndannada ái pórté áll’uomo giárduns é spinnés, é nós sung pö massa istëss gónót qui, ché sómëná tgiámo spinés e giárdiuns ‘Denn ein alter Fluch liegt auf dieser Erde, und wir sind leider nur zu oft eifrig bemüht, denselben noch durch eigene Torheit und Leidenschaftlichkeit zu vermehren. Die Erde ist seit der ersten Sünde dazu verdammt, dem Menschen Disteln und Dornen zu tragen, und wir sind leider nur zu oft beschäftigt, noch Disteln und Dornen zu säen’; 1861 11 Ing quest é i omi de revoluziung peu massa l’an passé rová bele treup inant ‘Die Ausführung des besagten Planes ist den Männern des Umsturzes im verflossenen Jahre leider auch nur allzu sehr gelungen’. Obwohl im 19. Jahrhundert noch geläufig, z.B. mehrmals in d eclara 1878 (cf. VLL s.v.), scheint es gegen Ende des Jahrhunderts schrittweise von gad. baldi < Umgestaltung der Klageform Bel Dî (cf. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 158 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 g sell 1989: 284) abgelöst worden zu sein; infolgedessen wird es auch von keinem modernen Wörterbuch verzeichnet. Das Wort stellt die einheimische Parallele zur it. Bildung purtroppo dar (lad. massa ‘troppo’) vs. rezent adaptiertes grd. purtruep. - proferí v.tr. ‘bieten, anbieten’ < it. proferire (in EWD 5: 375 nicht von lad. preferí ‘vorziehen’ geschieden): 1852 La s. quërsëma ché vëgn mé préférëŝ indó ná occaŝiung ‘Die bevorstehende hl. Fastenzeit gibt mir hiezu wieder die erwünschte Veranlassung’. Das Wort ist bereits seit dem ladinischen Proclama von 1631 an belegt und ist erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Gadertal und Gröden außer Gebrauch geraten (cf. V idesott / B ernardi 2013: 161). - provegní v.intr. ‘zustehen, zukommen’ < it. pervenire ‘spettare di diritto’: 1855 Tgi provëgn pa ai Dio? Ad Ël i provëgn lés fórzés déll’anima é dél corp ‘Was gehört Gott? Ihm gehören die Tage eures Lebens’. - se dé moto v.refl. ‘eine Parole ausgeben’ 1861 21 Chi qué vá al presente dang se seu ’l mon, e chi que gnerá, é / na vera cuntra la s. fede e cuntra la dlisia. Quesc pong conésce inchié da certes paroles, cong queres qu’eng se da motô ‘Was jetzt in der Welt vorgeht, und was uns bevorsteht, ist ein Kampf um Christentum und Kirche. Das beweisen auch so manche jener Schlagwörter, welche die Parole des Tages bilden’. - svaié v.intr. ‘schreien’ < ex + Vagire : 1852 A dé tai i diŝ l’Apostolo s. Giacomo: Bëgn Vós ritg. Pitédé é svájéde pór lés miseriés, ché gnerá surá dé Vós ‘Diesen ruft der heilige Jakobus zu: Nun wohlan, ihr Reichen, weinet und heulet ob dem Elende, das über euch kommen wird’; heute nur Grödnerisch, daneben fass. vaèr ‘weinen’, aber im 19. Jahrhundert auch im Gadertal belegt, z.B. auch bei Piccolruaz [1848]: N’aldest’, uma, coch’ al scraia, / coch’ al ürla, coch’ al svaia / corassö sorënt? ‘Hörst nicht, Mutter, wie er schreit, wie er brüllt, wie er heult, dort oben ganz allein? ’ (cf. VLL s.v.). - travai s.m. ‘Not, Mühe’ < it. travaglio: 1860 La vera nes á condutt nei Soldaas firiis e amará guai, miseries e travais nel Lond ‘Der Krieg hat uns an den kranken und verwundeten Soldaten Jammer, Elend und Not in die heimatlichen Täler gebracht’. In dieser Bedeutung nur bei r ossi 1914 belegt, jedoch in den Texten des 19. Jahrhunderts auch im Gadertalischen und Grödnerischen (cf. VLL s.v.). Gadertalische Hirtenbriefe aus dem 19. Jahrhundert 159 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 7. Das Ende der ladinischen Hirtenbrief-Übersetzungen Mit dem Todesjahr Ujöp Antone/ Josef Anton Verginers 1861 enden die überlieferten ladinischen Übersetzungen der Hirtenbriefe. Von seinem Nachfolger Antone/ Anton Trebo 64 weiß man, dass er heimatkundlich und sprachlich interessiert war (c raffona ra 1994: 137) und dass ihm Bacher das Manuskript seiner Grammatik überlassen hat. Ladinische Texte von ihm sind uns aber (noch? ) nicht bekannt. Er war 1861 bei seinem Amtsantritt als Dekan von Enneberg bereits kränklich und starb 1868. Nachdem sein designierter Nachfolger Johann Pider bereits vor Antritt der Stelle starb, wurde am 18. September 1868 Jan Matî/ Matthäus Declara zum Dekan ernannt. Angesichts seiner dokumentierten fast 1.000 ladinischen Predigten und Ansprachen wäre es sehr auffällig, dass er gerade die Tradition der ladinischen Hirtenbriefe unterbrochen hätte, wie es laut Dokumentationslage den Anschein hat. Man muss wohl annehmen, dass Declaras Übersetzungen (entweder von ihm selbst oder einem Nachfolger) skartiert wurden, da deren offizielle, allein gültige Ausgangstexte ohnehin in den Brixner Diözesanblättern zugänglich waren und sie ferner - anders als seine Predigten - keine Originaltexte von ihm waren (und deswegen als nicht archivwürdig erachtet wurden) 65 . Fest steht aber, dass nach Declara sowohl die direkte Beschäftigung mit dem Manuskript Bachers und damit auch die Weiterentwicklung dessen Orthographie aufhören, als auch die Blütezeit des Kirchenladinischen im Gadertal abklingt. Mehrere Gründe dürften dafür ausschlaggebend gewesen sein. Declaras Nachfolger war Peter Palua 66 aus Ornela, der sich als Buchensteiner womöglich nicht berufen fühlte, an der orthographischen Regelung primär des Gadertalischen weiterzuarbeiten. Zum anderen hatte bereits der universitär ausgebildete Romanist Jan Batista/ Johann Baptist Alton aus Calfosch/ Kolfuschg 67 mit der Publikation seiner Werke begonnen. Dieser hat sich orthographisch, nachdem er das Manuskript Bachers nicht kannte (cf. c raf fonara 1994: 138), ausgehend von seinem Heimatdialekt für autonome Lösungen entschieden. Schließlich war durch den Schulkampf der Klerus dazu übergegangen, das Italienische nicht nur in der Schule, sondern auch in der Kirche zu favorisieren. Die weitere Entwicklung wird zeigen, dass es mehr als ein Jahrhundert brauchen wird, bis unter Bischof Wilhelm Egger 68 im Gadertal wieder Hirtenbriefe auf Ladinisch verlesen werden. 64 Anton Trebo (*17.10.1805-†10.7.1868), ab 28.11.1861 Dekan von Enneberg (P alla / c anins / d aPunt 2009: 23). 65 Angesichts dessen wäre der vorliegende Fund einem reinen Überlieferungs-Zufall zu verdanken, d.h. Verginer geriet in Vergessenheit und sein schriftlicher Nachlass blieb unbeachtet und ungeöffnet; er konnte so die Zeiten überdauern und nun wiederentdeckt werden. 66 Pire Palua (*31.10.1833-†25.11.1914), ab 1.12.1884 Dekan von Enneberg (P alla / c anins / d aPunt 2009: 23). 67 Zu Jan Batista/ Johann Baptist Alton (*21.11.1845-†4.4.1900) cf. B ernardi / V idesott 2014, 295-305. 68 Zur Bedeutung Bischof Wilhelm Eggers (*14.5.1940-†16.8.2008, ab 29.7.1986 Bischof von Bozen-Brixen) für die (Wieder)Verwendung des Ladinischen in der Kirche cf. r uBatscher 2014 passim. Paul Videsott/ Philipp Tolloi 160 Vox Romanica 76 (2017): 97-162 DOI 10.2357/ VOX-2017-005 Bibliographie ALD-I: g oeBl , h./ B auer , r./ h aiMerl , e. 1998: ALD-I: Atlant linguistich dl ladin dolomitich y di dialec vejins, 1ª pert / Atlante linguistico del ladino dolomitico e dei dialetti limitrofi, 1ª parte / Sprachatlas des Dolomitenladinischen und angrenzender Dialekte, 1. 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