eJournals Vox Romanica 76/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
10.2357/VOX-2017-026
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2017
761 Kristol De Stefani

Hans Stricker, Werdenberger Namenbuch, Zürich (Verlag Werdenberger Namenbuch) 2017, zusammen lxxiii + 4395 p. + 6 Karten (vol. 1 Die Namen der Gemeinde Wartau, vol. 2 Die Namen der Gemeinde Sevelen, vol. 3 Die Namen der Gemeinde Buchs, vol. 4 Die Namen der Gemeinde Grabs, vol. 5 Die Namen der Gemeinde Gams, vol. 6 Die Namen der Gemeinde Sennwald, vol. 7 Lexikon der in den Namen enthaltenen Wörter, vol. 8 Einführung, Quellen, Register sowie zu Band 1 bis 6 je eine Karte im Maßstab 1:10.000)

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2017
Wolfgang  Eichenhofer
vox7610369
369 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 369-373 DOI 10.2357/ VOX-2017-026 h ans s triCKer , Werdenberger Namenbuch, Zürich (Verlag Werdenberger Namenbuch) 2017, zusammen lxxiii + 4395 p. + 6 Karten (vol. 1 Die Namen der Gemeinde Wartau, vol. 2 Die Namen der Gemeinde Sevelen, vol. 3 Die Namen der Gemeinde Buchs, vol. 4 Die Namen der Gemeinde Grabs, vol. 5 Die Namen der Gemeinde Gams, vol. 6 Die Namen der Gemeinde Sennwald, vol. 7 Lexikon der in den Namen enthaltenen Wörter, vol. 8 Einführung, Quellen, Register sowie zu Band 1 bis 6 je eine Karte im Maßstab 1: 10.000) Während die Bände 1 bis 6 des Werdenberger Namenbuchs (WNB) leicht aufgefrischte, um das dt. Namengut erweiterte Ausgaben derjenigen Arbeiten sind, die seit 1974 erschienen (h. s triCKer , Die romanischen Orts- und Flurnamen von Grabs, Zürich 1974 und Die romanischen Orts- und Flurnamen von Wartau, Chur 1981, V. V inCenz , Die romanischen Orts- und Flurnamen von Buchs und Sevelen, St. Gallen 1983 und Die romanischen Orts- und Flurnamen von Gams bis zum Hirschensprung, St. Gallen 1992), will Band 7 ein Lexikon sein, das die etymologischen Erkenntnisse der Bände 1 bis 6 zusammenfasst. Die Materialien der jede Gemeinde Werdenbergs abhandelnden Bände sind alphabetisch nach der Schreibform des jeweiligen Namens geordnet. Dem Namen folgen Angaben zur Höhe ü. d. M., die schweizerischen Koordinaten in Bezug auf die Lage der Flur, normalerweise eine Angabe zum Planquadrat, in dem die Flur auf der jeweiligen beigelegten Karte zu finden ist. Es folgen Angaben zur Aussprache des Namens (auch in Verbindung mit Präpositionen), zur Nutzung der Flur, zu bisherigen Erwähnungen oder Etymologisierungen, schließlich die Deutung des Namens. In Band 7 ist die Artikelstruktur vereinfacht: Dem Lemma folgt eine Angabe zu dessen Aussprache, Bedeutung und Herkunft. Vielfach finden sich Angaben zu Ableitungen von oder Zusammensetzungen mit dem jeweiligen Lemma. Diese Besprechung setzt sich vor allem mit dem romanischen Material des Lexikons auseinander. Gelegentlich nur erfolgen Anmerkungen zu deutschen Einträgen. Vol. 7 enthält gegen 310 (alt)rätoromanische Lemmata, von denen gut 20 Prozent zu streichen sind, weil sie falsche Angaben zur Herkunft enthalten. So ist der Artikel über «düös (artr.)» ‘Rücken’ (7: 149) mit der Lautung *[dyɐs] zu eliminieren. Die angeblich hierzu gehörigen Namen *Dies (Sennwald) und Ties (Wartau) kann man aus lautlichen Gründen nicht mittels düös etymologisieren: Artr. *[dyɐs] lautet im Werdenbergischen normalerweise [duɐs]. Unnötig ist auch der Artikel über guardar ‘schauen’ (7: 241). Das Wort kann in Buchs nicht als †Garda vorliegen, weil germ. *wardon über artr. *[ wɐrˈdaːr ] im Untersuchungsraum heute *[ fɐrˈdaːr ] zu lauten hätte. Unnötige doppelte Angaben entstehen, weil zum Beispiel rtr. Nomina + Adjektiva oder Nomina unter dem « gw » (Grundwort; Determinatum) und wieder unter dem « Bw » (Bestimmungswort; Determinans) abgehandelt werden: Cf. 7: 74 s. bot(ta) wie 7: 379 s. mezaun mit Melsana (Wartau) «wohl» < *[bot(ta)] me(t)sauna ‘mittlere [Erhebung]’ mit fraglichem botta als Determinatum, me(t)sauna als Determinans oder 7: 106 s. canval, dem Determinans und 7: 161 s. er, dem Determinatum, mit èr (d’) canval ‘Hanfacker-Acker’, das keinesfalls «evtl.» zu Fergfal in Wartau führte. Für diese rtr. Beispiele hätte ein Eintrag nur unter dem Determinatum (? für me(t)sauna, er für èr + cavagl ‘Rossacker’! ) genügt. Das Lexikon referiert doppelt über die fragliche bzw. falsche Herleitung. Lexika dokumentieren in der Regel Realien. WNB 7 erwähnt im Gegensatz zum Rätischen Namenbuch etymologisch gesichertes neben ungesichertem Material: Während †Barsilgis (Wartau) bestimmt auf basĭlica ‘Kirche’ beruht (7: 39), müsste man die beiden anschließenden Artikel in einer Abteilung Fragliches abhandeln: Der Familienname Bass (Sevelen) wie der Name Platlini (Sennwald) sind unklarer Herkunft (7: 40). Lexika werden überdies geordnet nach Stichwörtern, die sich an graphischen Normen orientieren, was in WNB 7 einzig das dt. Material betrifft. Rtr. Material ist zum Teil auch unter Lemmata mit engad. oder surs. Schreibungen verzeichnet wie «bügl» ‘Brunnentrog’ (7: 90), «uaul» ‘Wald’ (7: 633), selten findet sich gar Rumantsch Grischun als Graphie, so in «chau» 370 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 369-373 DOI 10.2357/ VOX-2017-026 ‘Kopf’ (7: 111). Erfundenes «artr. a(u)lt» ‘hoch’ (7: 25) wird neben «artr. avier» ‘auf das Wasser bezogen’ < aquāriu (7: 27) benutzt, das in Konkurrenz steht zu «aual» ‘Bach’ < aquāle (7: 22): aquāriu ließe entsprechend artr. *auair(u) erwarten. Wenn «clasüra» ‘Zaun’ (7: 122) artr. sein soll, ist die Angabe «clus(a)» ‘Einfang’ (loc. cit.) statt *clüs(a) für das Artr. falsch. Teilweise findet man artr. Lemmata mit auslautendem -u wie «tabala(d)u» ‘Scheune’ (7: 594), die jedoch im Widerspruch stehen zu Formen wie «fussèr» ‘Graben’ < fŏssa + āriu (7: 206), das im Artr. wohl *fussair(u) gelautet hätte. Artr. «  üörn» < cŏrnu ‘Horn’ und «tüört» < tŏrtu ‘gedreht’ (7: 128 und 629) verlangen *füögl(u) < fŏliu ‘Blatt’ als Lemma, nicht «fögl» (7: 188). Andererseits wäre das Lemma «Gorf» (7: 232) in artr. *  üörv(u) zu ändern, weil der Name auf lat. cŏrvu ‘Rabe’ basiert. Das Stichwort «möz rtr.» ‘Mulde’ könnte wegen des lautgerechten Reflexes †Moza (7: 386) in artr. *müöz(u) umgewandelt werden: Hier ist allerdings dt. Metzen ‘Trockenmaß’, urk. 1300 metze, zu tilgen, cf. J. s Chatz , Wörterbuch der Tiroler Mundarten, Innsbruck 1955-56: 425: Dieses Wort hängt nicht mit *müöz zusammen, sondern gehört zu dt. messen. Die Schreibung «schalèr» < cellāriu ‘Keller’ widerspricht derjenigen von «tschinghel» < cĭngulu ‘Rasenband’ (7: 500 und 624). Für den romanischen Teil im Lexikon wären demnach die (normierten) lat. Formen als Lemmata vorteilhafter gewesen. Sicher abwegig war die Entscheidung, für rtr. Stichwörter ein unbekanntes, daher unnormiertes Artr. «orthographisch» (8: 181) festzulegen. Den Lemmata folgt in der Regel eine Angabe zur Aussprache. Manche phonetischen Angaben stören, weil sie sich nach Graphien richten: Man findet «[ēdlwiʃs]» gemäß schwdt. Edelweiss (7: 152), andererseits dem dt. Eis folgendes «[īs]» (7: 157); [ēdlwiʃs] kumuliert Zeichen des IPA und der Böhmerschen Transkription ([ʃ], [s]), ähnlich «[ę ʃ š ə]» für dt. Asche (8: 257), das wohl für [ęššə] steht. Das Alem. aber kennt diese Geminate nicht. Irritierend wirkt auch die angeblich unterbleibende Desonorisierung der auslautenden [-b], [-d], [-ɡ] im Dt. wie in «[búəb]» ‘Bube’, «[róəd]» ‘Rod’, «[frídhāg]» ‘Friedhag’ (7: 88, 467 und 196), die mit [-p], [-t], [-k] zu notieren wären. Wesentlich schwerwiegender sind des Verfassers ungenügende Kenntnisse einiger Lautentwicklungen vom Lateinischen zum (Alt)rätoromanischen und Alemannischen im linksrheinischen Untersuchungsraum zwischen Wartau und Sennwald, Entwicklungen, die sich weitgehend mit denjenigen im Fürstentum Liechtenstein decken. Hier kann nur kurz auf einige Phänomene des Vokalismus und des Konsonantismus eingegangen werden. Seit über vierzig Jahren behauptet Stricker, «die Herleitung von / -íər/ aus āriu ist lautlich einwandfrei …» (1: 9 Alvier). Diese Feststellung ist irrig und wird auch von den Materialien des WNB selbst - etwa s. malair (7: 365) - widerlegt, wo Ableger aus mēlu + āriu ‘Apfelbaum’ als Maleyr, Malayr erscheinen. Im Übrigen kann W. e iChenhofer , «Profilo del retoromancio intorno alla Schesaplana», RLiR 71 (2007): 119-202 = PR: §4b verglichen werden, wonach āriu hier als [-ajr] fortlebt. Runggelglat (4: 484) kann nicht mit lat. lātu ‘breit’ zusammenhängen, weil ātu in Werdenberg als [-aw] vorliegt, cf. PR: §3 und fossātu > †Fassau (Buchs) s. fussau (7: 206). Dagegen wird lat. au hier wie in Mittelbünden zu [-o-] monophthongiert, wie die Reflexe von vorröm. *drausa ‘Alpenerle’ zeigen, die in Werdenberg als Tros oder Druessa vorkommen (7: 619 und 147 s. Drossa): Lat. Cauda hätte im Untersuchungsraum daher als *[ ˈkoːdɐ ] aufzutreten; der Typ Gaua (7: 126 s. cua) jedoch beweist, dass a) hier wie in Romanischbünden ebenfalls lat. cōda ‘Schwanz’ übernommen wurde und b) der Autor die beiden Lautwandelphänomene au - > [-o-] und ō - > [-ow-], [-aw-] miteinander verwechselt. Sub alber 1 ‘Zitterpappel’ und cuvel ‘Höhle’ (7: 6 und 131) behauptet er, ētu gelange über «artr. / -ieu/ » zu [-iw] bzw. [-iɐ], «(unter anderem) auch / -éi̯ / ». Die Stufe «/ -ieu/ » kann entfallen, da lat. ē vor auslautendem u nicht wie ĕ zu [-iɐ-] diphthongiert, vielmehr damit zu rechnen ist, dass ētu früh mit ītu zusammenfiel und beide Suffixe zunächst zu [-iw] entwickelt waren, cf. PR: §14b. Alle «artr.» Formen mit -ieu führen also in die Irre, sofern diese als Suffix 371 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 369-373 DOI 10.2357/ VOX-2017-026 ētu enthalten, cf. etwa «munt (d’) ruvrieu», «muottieu» (7: 392 und 395). Die Suffixe ĕllu und ŏlu ergaben auch in Werdenberg unterschiedliche Reflexe, nämlich [-iɐl] bzw. [-uɐl] oder [-yɐl], cf. PR: §12, 17. †Fischiel (Buchs) s. faschiel (7: 174) ist also ausschließlich Ableitung von făscia ‘Rasenband’ mit ĕllu , nicht «auf ĕllu (oder ŏlu )». Deswegen liegt, anders als Sanüel in Tschagguns, auch dem Reflex Samiel (Wartau) keine Ableitung von vorröm. *tsanno ‘Pferch’ mit ŏlu zugrunde (7: 552); dieser Artikel mit dem Lemma «son (rtr.)» kann also getilgt werden. Stricker erwägt s. Barbara (7: 38), «vielleicht setzt surs. Barla direkt *Barvla fort». Dem ist nicht vielleicht so, sondern sicher. Zur Entwicklung von Liquid + - B ’- oder - V ’- + Liquid zur heutigen surs. Form cf. W. e iChenhofer , Historische Lautlehre des Bündnerromanischen, Tübingen/ Basel 1999 = HLB: §475c über urlaun ‘Schneehuhn’, Barla ‘Barbara’ und [ˈpuɐrlɐ] ‘Staub’. Im Artikel «dottel (artr.)» wird für Sertoteris (Wartau) eine Zusammensetzung von sur ‘über’ mit * dŭctulu oder * dŭctile zu dŭctu ‘Leitung’ erwogen (7: 145). Diese aber setzt lautliche Verhältnisse voraus, die nur im Engadin vorliegen, wo lat. - Ct zunächst vor allem im rom. Auslaut über altes [-c-] zu [-t-] gelangt, was in HLB: §443b nachzulesen ist. Sur + * dŭctulu , * dŭctile als Basis für den Namen Sertoteris kann also nicht überzeugen: Auch dieser Artikel ist zu eliminieren. Auf den Artikel «püör  » kann ebenfalls verzichtet werden, da in Werdenberg nur der Typus *purtschil vorzukommen scheint (7: 445) und dessen Etymon lat. * porcīle ‘Schweinestall’, keine Ableitung von püör  ‘Schwein’ ist. S. Chobel (7: 117) wird schwdt. Figler ‘Schweinestall’ als Reliktwort bezeichnet: Dies trifft nicht zu, da lat. vigliāriu ‘Wache’, foculāre ‘Feuerstätte’ sekundäre lat. g ’ l -, - C ’ l entwickelt hätten, die über rtr. [-ʎ-] im Alemannischen zu [-l-] depalatalisiert wären. vigliāriu , foculāre müssten hier also *[ ˈfelɐr ], *[ ˈfʊlɐr ] lauten, cf. fīlia > rtr. [ ˈfiʎɐ ] ‘Tochter’ > schwäb. (Allgäu, Illertal, Ulm) [ ˈfelɐ ] ‘Kleinkind (weiblich)’ als Reliktwort. Vortoniges alem. [fɐl-] kann prinzipiell aus lat. vălle ‘Tal’, aquāle ‘Bach’, novāle ‘Neubruch’ und germ. wald entstanden sein. Daher ist der Name Ivelspus (Grabs) wohl neu zu etymologisieren: Stricker setzt hierfür artr. «val (d’) tscheppuns» oder «val tscheppusa» ‘Tal mit Gestrüpp’ an (7: 622 s. tschep). Es handelt sich bei dieser Gegend um den Boden eines Kars zwischen 1200 und 1300 m ü. d. M., der sich von NO nach SW gegen ein Rutschgebiet namens Langenzug erstreckt und außer im SW von Wald umsäumt ist. Aus sachlichen Gründen könnte dem Namen daher germ. wald + lat. cippōsu ‘mit Baumstümpfen’ zugrunde liegen; lautlich lässt sich dieser Ansatz nicht bestreiten. Ebenso aus sachlichen Gründen könnten auch folgende s. val (7: 639) abgehandelten Namen etymologisch doch mit germ. wald zusammenhängen: Val (d’) cuppa, val (d’) tschemutta - Zusammensetzungen aus ‘Tal’ und ‘Kuppe’ sind sachlich bedenklich -, val (d’) fraschnei zu ‘Eschengehölz’, val (d’) ogna zu ‘Erlen’ wie die erwähnten val (d’) tscheppuns, val tscheppusa. Glaubt man WNB 7: 495, ergaben die Reflexe von lat. sC grundsätzlich alem. [-ʃ-]. So soll im 11. Jahrhundert der Nexus sC auch in Entlehnungen aus dem Lat. wie pāscuu ‘Weide’ oder germ. *bosk ‘Wald’ zu ahd. [-ʃ-] gelangt sein. Daher konnten Namen wie Impeschina (Grabs) < artr. «pastgina» ‘kleine Weide’ oder «bostgina» ‘Wäldchen’ entstehen. Dieser Name wurde im Jahre 1463 als Buschinen und Buschina geschrieben (4: 289). Vergleicht man diese Graphien mit folgenden aus Nenzing der Jahre 1423, 1454 und 1628 (Pasch(g)ären, Vaschgären, Boschgären < *bosk + āria , PR: §77), wird ersichtlich, dass im 15. Jahrhundert Schwankungen bei den Schreibungen für rtr. [-ʃk-] auftreten, die nicht auf einen generellen Übergang von [-ʃk-] zu alem. [-ʃ-] schließen lassen. Man vergleiche hierzu auch die Wartauer Form Baschgen < pāscuu aus dem Jahre 1801 für Paschga, gesprochen [ ˈpaʃkɐ ] (1: 376). Der Artikel «paschun (artr.)» < pastiōne ‘Weide’ (7: 419) kann entfallen, weil die Herkunft der drei hier erwähnten Zusammensetzungen «aual, prau, val (d’) paschun» unsicher ist und es unklar bleibt, ob das Wort ins Alem. als [ pɐˈʃʊn ] oder *[ pɐˈʒʊn ] gedrungen ist. Gälte Letz- 372 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 369-373 DOI 10.2357/ VOX-2017-026 teres, müsste anstatt pastiōne ‘Weide’ das in PR: §101b vorgeschlagene * pisiōne ‘Stampfmühle’ und ‘steiler Abhang’ als Etymon angenommen werden; cf. hierzu surs. pella in beiden Bedeutungen. Ob im Untersuchungsgebiet für †Arschella (Buchs) lat. argīlla ‘Lehm’ oder die Ableitung davon, argīllea , angesetzt wird (cf. HLB: §588 im Einklang mit C. M. l ut ta , Der Dialekt von Bergün und seine Stellung innerhalb der rätoromanischen Mundarten Graubündens, ZRPh. Beiheft 71, Halle 1923: §312a N2), ist unerheblich, da hier in argīllea entstehendes rtr. [-ʎ-] ohnehin zu [-l-] depalatalisiert wird. Insofern könnten beide Etyma s. «arschiglia (rtr.)» (7: 19) angenommen werden. Lat. rs bleibt im Rtr. erhalten, daher kann der Engadinismus «giodim (rtr.)» (7: 226) nicht nach C. M. l utta 1923: §182 auf deōrsu ad īmu beruhen; das Wort ist nach HLB: §310a aus vlat. * jŭ ( su ) + ad īmu zusammengesetzt. Lat. cīma liegt der Bezeichnung Zimba des Bergs ob Vandans/ Brand nicht zugrunde (7: 622 s. tschema); cf. zu konserviertem [-mɐ] < - Ma PR: §34b mit (Hoch-)Schima in Gaschurn, Gamidürer in Sennwald, eine Ableitung aus rtr. cauma ‘Mittagsrast’ (7: 108) und zu Zimba PR: §89b, das mit Falsember < wald + * gĭmberu ‘Arve’ zusammenhängt. «Artr. mol» ‘weich’ ist über vlat. * mŏllu entwickelt und «fehlt heute im Rtr.» (7: 383) nicht, sondern lautet im Engadin mögl ‘feucht’, cf. R. B ernardi et al., Handwörterbuch des Rätoromanischen, Zürich 1994 = HWR: 492. Rtr. pèdra, peidra tritt im Gegensatz zu WNB 7: 421 in ganz Romanischbünden als Appellativ auf, cf. HWR: 570 s. pèdra die Bedeutungen ‘Edelstein, Stein’. Rtr. suot ‘unter’ und sur ‘über’ (7: 591) stammen aus lat. de - + sŭbtu bzw. sŭper (HWR: 883 und 876 s. sut, sur), nicht einfach aus sŭbtu oder sŭper . «Artr. veder» (7: 641) lebt in rtr. veder ‘alt’ fort (HWR: 986). Für den Rufnamen Sugalli ist anstatt Su- ‘Sau’ + Gallus (7: 589) schwdt. Suggel, fig. ‘unreiner Mensch’ (SchwId 7: 520) als Etymon zu erwägen. Das Stichwort Suhle sei «mundartlich unecht» (7: 590); im Schwdt. scheint das Wort als Appellativ veraltet, besteht aber noch in Namen, cf. SchwId 7: 766 s. Sol i ‘Lache’. An dieser Stelle werden drei Etymologien besprochen, die zeigen, was mangelnde Kenntnis der historischen Lautlehre des Rtr. und unvollständige Berücksichtigung einschlägiger Literatur an Fehlern zeitigen, die in einem Lexikon möglichst nicht auftreten sollten: Alvier bezeichnet einen Berg auf dem Gebiet der Gemeinde Wartau. WNB 1: 10 weist vier Versuche von Deutungen auf, die lautlich fast alle völlig verfehlt sind: aquāle aquāriu ‘wasserreicher Bach’, aquāle apĕrtu ‘offener Bach’, ălveu ‘Trog’ + āriu und vălle + aquāria ‘wasserreiches Tal’. Davon ist einzig die Annahme von vălle für den Vorton lautlich akzeptabel. Die geologische Beschaffenheit der Gegend (Eisenerzvorkommen im Gonzen und das Auftreten des Namens Tanafier < fontāna ‘Quelle’ + fĕrru ‘Eisen’ in Sevelen (2: 494) ca. 7,5 km im NNO der Grube Naus und ca. 4 km im SO des Tobelbachs) lässt auf eine Zusammensetzung von vălle bzw. aquāle mit fĕrru - als ursprüngliche Bezeichnung des Tobel(bach)s - schließen, die über [ fɐlˈfiɐr ] und Deglutination der als alem. uf ‘auf’ verstandenen Präposition zu [ ɐlˈfiɐr ] führte; zu Alvierbach im Brandnertal cf. WNB 1: 10; für Klosters ist Isentälli belegt, das sich von Tschuggen im Flüelatal aus 3,5 km gen NO Richtung Säss befindet: Die hier vorgeschlagene Etymologie - sie ist lautlich am plausibelsten - steht also nicht allein. Britscha bedeutet ‘Ried’ (7: 79). FEW 16: 521 s. marisk zitiert für das Oberit. Formen wie lomb. maresk ‘giuncaia’, brisc ‘giunco’, piem. maresk ‘luogo paludoso’, die auf germ. *mari ‘Meer’ zurückgeführt werden; d u C ange , Glossarium mediae et infimae latinitatis, Niort 1883-87, vol. 5: 256 weist zu diesem germ. Wort spätlat. Mara mit der Bedeutung ‘palus, lacus, stagnum’ nach, wovon Britscha Ableitung mit īcea sein dürfte; zu den Ergebnissen dieses Suffixes cf. PR: §16 den Typus Ratitsch < rŭptu + īceu ‘Neubruch’. Zu anlautendem sekundären, aus [m-] entnasalierten [b-] in *[ mɐˈritʃɐ ] cf. obiges lomb. brisc. «Preir (rtr.)» ist eine Kurzform aus lat. * prĕbitor ‘Priester’, das im Rtr. wie im Tess. als [ ˈprɛvɐt ] erscheinen müsste, cf. FEW 9: 359. In Romanischbünden wurde dieses [ ˈprɛvɐt ] wohl unter dem Einfluss von ser, sur ‘Herr’ (als Anrede) < sĕnior , seniōre (HWR: 769 und 875s.) 373 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 373-375 DOI 10.2357/ VOX-2017-027 verkürzt. Stricker nimmt für den Namen Prapafir (Wartau) eine Zusammensetzung aus prātu ‘Wiese’ und artr. preveir an (7: 442). Dieses preveir entstamme der lat. Variante * prebĭteru , worauf nach FEW loc. cit. auch gallorom. ehedem akkusativisches proveire, provoire ‘Priester’ zurückgeht. Anders als für das Gallorom. ist diese Annahme für das Rtr. deshalb problematisch, weil sie davon ausgeht, dass in endbetontem Prapafir, gesprochen [ prapɐˈfiːr ] (1: 404), < prātu + betontes * prebĭteru die Folge ter über t ’ r - > zu [-r-] reduziert wird wie in unbetontem * prĕbitor : «Das Verhalten des tr im Obliquus dürfte dabei vom Nom. her beeinflusst worden sein» (7: 441). Dies wird für das Rtr. kaum zutreffen, zumal andere Namen in Wartau wie Pafäder < prātu + vĕtere ‘alte Wiese’ (1: 352) oder Zusammensetzungen mit pĕtra ‘Stein’ wie Pedergross, Päder-, Bedragrossa in Balzers, Fanas und Untervaz (cf. PR: §71a) t ’ r -/ tr nach und vor dem Hauptton als [-dr-] konserviert haben. Lautlich problemlos für Prapafir wäre die Annahme einer Kombination von prātu mit providēre ‘Vorsorge tragen’, cf. hierzu rtr. perver ‘füttern’ (HWR: 582). Diese drei Fälle verfehlter Etymologien zeigen auch die strukturellen Mängel des WNB 7: Es ist nicht sinnvoll, graphisch Normiertes oder Erfundenes mit etymologisch (Un)geklärtem auf gleicher Ebene zu lemmatisieren. Dieses Vorgehen macht eine Konsultation der sechs Register (8: 401-72) vor allem dann notwendig, wenn man die Affinität eines Namens im WNB zu einem der verschiedenen Idiome (Vorrömisch, Lateinisch, Gotisch usf.) nicht erahnen kann. Die dt. Materialien des Lexikons des WNB sind nicht nur etymologisch größtenteils sorgfältig bearbeitet und für Rat Suchende sicher von Nutzen. Hingegen vermittelt dieser Band 7 Strickers nebulöses Bild vom Alträtoromanischen. Im diesbezüglichen Teil hätte der Lexikograph vieles Fragliche, Ungeklärte und Unnötige aussondern sollen. Diese Arbeit muss sich der Leser machen, um Erkenntnisse über dieses Idiom zu gewinnen. Anmerkung: Bei obiger bibliographischer Angabe zum besprochenen Werk handelt es sich um die «Wissenschaftliche Gesamtdarstellung». Hierzu bestehen zwei andere Ausgaben. Sie umfassen «6 Gemeindekarten mit je einem Begleitheft» bzw. eine «Kompaktausgabe in einem Band» mit dem Titel «Die Namenlandschaft Werdenberg» (7: ii ). Wolfgang Eichenhofer Galloromania f riedriCh w olfzettel , La poésie lyrique du Moyen Âge au Nord de la France (en annexe: France et Italie). Études choisies, Paris (Honoré Champion) 2015, 362 p. Le présent recueil rassemble vingt articles, dont neuf traduits pour la première fois de l’allemand, élaborés sur une période d’une trentaine d’années, au travers desquels F. w olfzettel a contribué à explorer la lyrique médiévale d’oïl qui constituait alors «un terrain encore largement en friche», au regard de la lyrique des troubadours. L’auteur met l’accent sur la conception poétologique et la fonction sociale de poètes majeurs et de divers courants littéraires, dans des études émaillées d’exemples commentés, donnant volontiers un état de la recherche bien utile dans le cadre d’un recueil aussi disparate du point de vue de la chronologie des articles rassemblés. L’auteur a regroupé ses contributions en trois sections, les deux premières dévolues à des courants esthétiques: les trouvères, puis la seconde rhétorique; la troisième, «France et Italie», étant donnée comme annexe. La première section rassemble huit articles disposés de façon à mettre en évidence l’évolution de la poésie lyrique à travers le temps. Dans «Un lyrisme courtois sauvage: Conon de Béthune» (2002), F. W olfzettel met en lumière la façon dont l’œuvre du trouvère picard prend ses distances au regard de l’idéal de la fin’amor. Dans «Le thème du souvenir et la structure temporelle dans le grand chant courtois: Thibaut de Champagne et Gace Brulé» (1999),