eJournals Vox Romanica 76/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
10.2357/VOX-2017-039
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2017
761 Kristol De Stefani

Bettina Lämmle, Mi ta bisa – mi ta skirbi? – Komplexe Satzstrukturen einer Kreolsprache im Ausbau: Satzverknüpfungstechniken des Papiamentu auf Curaçao, Frankfurt am Main (Peter Lang) 2014, 211 p. (America Romana 6)

121
2017
Robert  Hesselbach
vox7610450
450 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 450-453 DOI 10.2357/ VOX-2017-039 significations que prennent les SMS dans deux films contemporains, nous restons dans le même sujet. L’auteure met en relief le potentiel créatif qui réside dans le langage SMS: néologismes, écriture en capitales, emprunts lexicaux, abréviations et acronymes. Cet article clarifie - à l’aide d’exemples bien choisis - que ce moyen de communication relativement récent représente aussi bien un moteur qu’un instrument de l’innovation linguistique et socio-culturelle. Au total, ce recueil d’articles contient une grande quantité d’informations précieuses concernant la recherche linguistique française. Il ne reste plus qu’à féliciter tous les auteurs qui ont contribué à ce travail considérable qui fournit de nouvelles perspectives. Stephanie Massicot Romania Nova B ettina l äMMle , Mi ta bisa - mi ta skirbi? - Komplexe Satzstrukturen einer Kreolsprache im Ausbau: Satzverknüpfungstechniken des Papiamentu auf Curaçao, Frankfurt am Main (Peter Lang) 2014, 211 p. (America Romana 6) Studien zu verschiedensten Aspekten spanischwie portugiesischbasierter Kreolsprachen sind in der romanistischen Forschung spätestens zum Ende des 20. Jahrhunderts fest verankert. Für die Kreolsprache Papiamentu ging es dabei in vielen Fällen um Fragen des Ursprungs, Phänomene der Grammatikalisierung sowie um lexikalische wie phonetisch-phonologische Besonderheiten. Weiterhin wurde der Aspekt der Verschriftung genauso diskutiert wie die Frage nach einem Standard oder dem Grad des Sprachausbaus des Papiamentu. Die hier zu besprechende Monographie stellt die überarbeitete Fassung einer an der Universität Mannheim eingereichten Dissertationsschrift dar, mit der B ettina l äMMle demnach in eine Forschungslücke stößt, wenn sie sich im Rahmen ihrer Untersuchung mit einem lange vernachlässigten Gebiet der kreolistischen Forschung beschäftigt, nämlich der Beschreibung verschiedener Satzverknüpfungstechniken im Papiamentu. Diesbezüglich erwähnt die Autorin, dass zwar «durchaus Arbeiten aus dem nicht-generativen Bereich in der Syntax vertreten sind, [es] jedoch auffällig [ist], dass der Forschungsstand von generativen Untersuchungen dominiert wird» (34). Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte: Teil I besteht aus einer Einleitung (Kap. 1) und einem weiteren Kapitel, in dem der Weg des Papiamentu zur Vollsprache dargestellt wird (Kap 2). Teil II beinhaltet die theoretischen Grundlagen (Kap. 3) der präsentierten Untersuchung, deren empirische Ausarbeitung in Teil III zum Tragen kommt. Dem Analyseabschnitt (Kap..4) folgt sodann ein «Vergleich mit der konzeptionellen Schriftlichkeit des Spanischen» (Kap..5). Teil IV beinhaltet ein Kapitel «Fazit und Ausblick» (Kap. 6), bibliographische Angaben (Kap. 7) sowie einen Anhang (Kap. 8). Obwohl die «Analyse verschiedener Satzverknüpfungsstrategien des Papiamentu» (3) die zentrale Zielsetzung dieser Arbeit darstellt, soll darüber hinaus «eine Aussage über den Ausbaugrad und die weitere Ausbaurichtung dieser Kreolsprache gegeben werden» (6). Nach dem detailreichen zweiten Kapitel, in dem die Autorin die geschichtlichen Hintergründe, die kontrovers geführte Debatte zur Entstehung des Papiamentu sowie den aktuellen Status dieser Kreolsprache ausführlich referiert, widmet sie sich der Ausarbeitung der eigentlichen Untersuchung. Es steht außer Frage, dass ein Inventar an komplexen Satzverknüpfungsmechanismen als Gradmesser für den Ausbau von ursprünglich mündlichen Sprachen fungieren kann. Methodisch ist es insofern völlig nachvollziehbar, dass die Autorin hierzu Raibles Theorie der 451 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 450-453 DOI 10.2357/ VOX-2017-039 Junktion 1 , die sie zudem um die Relativjunktoren nach Weinrich 2 erweitert, der Analyse zugrunde legt. Die Sprecher einer Sprache sind nämlich für die unterschiedlichsten Schreib- und Sprechanlässe darauf angewiesen, verschiedenste Sachverhaltsdarstellungen und ihre kausale, konzessive, finale und weitere Beziehungen zueinander durch verknüpfende sprachliche Mittel auszudrücken. Lämmle argumentiert daher zurecht, dass es «[g]rundsätzlich für eine Sprache keinesfalls notwendig [ist], komplexe syntaktische Strukturen auszubilden. Alles kann theoretisch auch mit einfachen syntaktischen Gefügen ausgedrückt werden… Dennoch gehört die Ausbildung komplexer Sätze unweigerlich zum Ausbau einer Sprache» (59). Die empirische Grundlage ihrer Analyse bildet ein selbst zusammengestelltes Korpus des Papiamentu mit einem Umfang von ca. 300000 Wörtern bzw. mehr als 15000 Sätzen. Zur Differenzierung der verschiedenen Kommunikationssituationen verortet die Autorin die einzelnen Texte auf dem Koch/ Oesterreicher’schen Nähe/ Distanz-Kontinuum auf Grundlage einer sehr präzisen Beschreibung der einzelnen konzeptionellen Reliefs 3 der untersuchten Kommunikationsformen. Dabei unterscheidet sie vier Cluster, nämlich «konzeptionell mündlich/ medial mündlich» (Gespräche unter Freunden, Interviews etc.), «konzeptionell schriftlich/ medial mündlich» (Predigten, Radioprogramme etc.), «konzeptionell mündlich/ medial schriftlich» (Kochbücher, Informationsbroschüren etc.) sowie «konzeptionell schriftlich/ medial schriftlich» (Bibeltexte, Gesetzeserläuterungen etc.). Betrachtet man folglich die Ergebnisse der Studie, so zeigt sich nach Lämmle, dass «die Ebenen I-III in der medialen und konzeptionellen Mündlichkeit überwiegen. So wird damit doch die Behauptung gestützt, mündliche Sprache zeichne sich besonders durch aggregative Konstruktionen aus. Dennoch sind auch bereits integrativere Strukturen der Ebene IVa und Relativkonstruktionen der Ebene IVb zu finden» (131). Mit zunehmender Distanzsprachlichkeit der untersuchten Textsorten steige schließlich die Tendenz zu integrativeren Techniken der Junktion im Sinne Raibles. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch ebenfalls (für das Spanische), dass gerade auch in informellen Kontexten hypotaktische Konstruktionen im Vergleich zu parataktischen Strukturen überwiegen 4 . Ein Vergleich mit distanzsprachlichen Pressetexten des Spanischen als voll ausgebauter Sprache erbringt in Kapitel 6 den Nachweis, dass das Papiamentu in seiner konzeptionellen Schriftlichkeit über ein ähnliches Inventar an Junktionsmechanismen wie das Spanische verfügt und damit eben nicht mehr nur ausschließlich Merkmale der Mündlichkeit aufweist, sondern ein ausgebautes System verschiedenster Junktionstechniken besitzt. Die Autorin kommt daher zu dem überzeugenden Schluss, «dass das Papiamentu keineswegs als ‹niedergeschriebene Mündlichkeit› betrachtet werden darf. Es handelt sich um eine Sprache, die im Bereich der Junktionsebenen bereits viele konzeptionell schriftliche Formen ausgebildet hat und damit in der Schriftsprache auf extreme aggregative Verknüpfungen nicht mehr angewiesen ist» (182). In Anbetracht der aussagekräftigen und einleuchtenden Ergebnisdarstellung sollen an dieser Stelle dennoch einige Anmerkungen kritischer Art gemacht werden. Wird im Titel der vorliegenden Studie auf komplexe Satzstrukturen verwiesen, so stellen diese zwar in vielen Fällen, aber nicht zwingend das Resultat einer Junktion im Sinne der Raible’schen Theorie dar. Sach- 1 w. r aiBle , Junktion. Eine Dimension der Sprache und ihre Realisierungsformen zwischen Aggregation und Integration, Heidelberg: 1992 2 h. w einriCh , Textgrammatik der französischen Sprache, Stuttgart: 1982. 3 Cf. p. K oCh / w. o esterreiCher , Gesprochene Sprache in der Romania - Französisch, Italienisch, Spanisch, Berlin: 2011, 8-10. 4 Cf. r. h esselBaCh , «Sobre la complejidad sintáctica del español coloquial: teoría y empirismo»,VRom. 73 (2014): 83-100. 452 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 450-453 DOI 10.2357/ VOX-2017-039 verhaltsdarstellungen wie Peter ist krank und Peter geht nicht in die Schule 5 können auf einer integrativeren Ebene der Junktion durch Subordination miteinander jungiert werden, d.h. sie bilden einen komplexen Satz wie Peter geht nicht in die Schule, weil er krank ist. Beim Übergang in den nominalen Bereich der Ebene VI (Aufgrund seiner Krankheit geht Peter nicht in die Schule) findet zwar eine komplexe semantische Verdichtung statt, syntaktisch handelt es sich allerdings um einen einfachen Satz, worauf u.a. g ärtner 1991: 247 6 verweist: «Äußerungen, die Nominalisierungen enthalten, sind trotz ihrer komplexen semantischen Struktur syntaktisch einfache Sätze». Weiterhin gilt es anzumerken, dass gerade bei einer so umfangreichen Datenbasis weitere Erläuterungen zur Transkriptionsweise des ursprünglich gesprochenen Papiamentu vermisst werden. Dies ist besonders von Bedeutung, wenn es in Fragen der Satzkomplexität um die Unterscheidung geht, ob eine Äußerung z.B. aus zwei einzelnen Hauptsätzen oder einer asyndetisch verbundenen Parataxe besteht, wenngleich dies für die Zuordnung zu bestimmten Junktionsebenen nicht zwingend von Belang ist. Darüber hinaus soll noch angemerkt werden, dass man sich weitere erklärende Informationen zu den Fällen gewünscht hätte, bei denen mehrere Junktionstypen auftreten. Dies soll an folgendem Beispiel aus dem Vergleichskorpus zum Spanischen illustriert werden: Beispiel 139: El ministro español de Exteriores se felicitó ayer en Córdoba porque «el Reino Unido ha respetado y cumplido la palabra dada al Gobierno español y no ha sobrepasado las líneas rojas que habíamos marcado» (169) In diesem Falle ist es nachvollziehbar, die koordinierende Junktionsweise der Ebene III (explizite Verknüpfung von Hauptsätzen) anzunehmen für die Teilsätze (bzw. auch die Koordination der Partizipien) el Reino Unido ha respetado y cumplido la palabra dada al Gobierno español y no ha sobrepasado las líneas rojas. Allerdings handelt es sich bei dieser Konstruktion bereits um eine eingebettete, d.h. integrierte Struktur der Ebene IV (Subordination durch Konjunktion) zum übergeordneten Hauptsatz El ministro español de Exteriores se felicitó ayer en Córdoba. Weiterhin findet sich ein untergeordneter Relativsatz am Ende des zweiten koordinierten Teilsatzes, nämlich las líneas rojas que habíamos marcado. Hier wären weitere Ausführungen hilfreich gewesen, die erläutert hätten, inwiefern solch heterogene Junktionstypen bei der Analyse berücksichtigt wurden. In neuerer Zeit wurde zu dieser heterogenen komplexen Satzkonstruktion eine Typologie von Kiesler 7 entworfen. Leicht inkonsequent erscheint bei der Darstellung der Ergebnisse darüber hinaus die arabische Nummerierung in Tabellen für die bisher mit römischen Ziffern gekennzeichneten Junktionsebenen (130 et passim). Einige orthographische wie typographische Errata seien der Vollständigkeit wegen hier noch angeführt: ver-zichtet (3) lies verzichtet; beide Normenf (27) lies beide Normen; Satzver-knüpfungsmechanismen (39) lies Satzverknüpfungsmechanismen; Élements de syntaxe structurale (40) lies Éléments de syntaxe structurale; Ausbau-indikatoren (58) lies Ausbauindikatoren; Versprachli-chungsstrategien (60) lies Versprachlichungsstrategien; Niedergeschrieben Mündlichkeit (74 & 138) lies Niedergeschriebene Mündlichkeit; Koch/ Oester-reicher (78) lies Koch/ Oesterreicher; Zusammen-fassung (95) lies Zusammenfassung; ausgehen (120) lies auszugehen; Mündlichkeits-pol (129) lies Mündlichkeitspol; gebiert während (154) lies: gebiert, während; ertragen (160) lies erträgt; hat zusammen (163) lies hat, zusammen; EL PAIS (173) lies EL PAÍS; 5 Das Beispiel findet sich bei r aiBle 1992: 16 (cf. N1). 6 e. g ärtner , «Probleme der valenztheoretischen Beschreibung propositionaler Argumente und ihrer syntaktischen Ausdrucksmöglichkeiten im Portugiesischen», in: p. K oCh / t. K refeld (ed.), Connexiones Romanicae. Dependenz und Valenz in romanischen Sprachen, Tübingen 1991: 237-52. 7 r. K iesler , «Pour une typologie des phrases complexes», in: ZrPh. 129 (2013): 608-28. 453 Besprechungen - Comptes rendus Vox Romanica 76 (2017): 450-453 DOI 10.2357/ VOX-2017-039 Die hier geäußerte Kritik soll das Verdienst der Autorin nicht schmälern: Die präsentierte Studie stellt einen wichtigen Beitrag für das Verständnis von Ausbauprozessen für Kreolsprachen im Bereich der Syntax dar und leistet somit Pionierarbeit. Sie zeigt für verschiedenste Kommunikationsformen des Papiamentu deutlich auf, dass Kreolsprachen über ein vielfältiges Repertoire an syntaktischen (wie semantischen) Junktionsmechanismen im Sinne Raibles verfügen können. Daher ist es nur konsequent, wenn die Autorin annimmt, «dass sich das Papiamentu auf dem Weg zu einer voll ausgebauten Sprache befindet» (182). Robert Hesselbach 