eJournals Vox Romanica 78/1

Vox Romanica
vox
0042-899X
2941-0916
Francke Verlag Tübingen
10.2357/VOX-2019-014
Es handelt sich um einen Open-Access-Artikel, der unter den Bedingungen der Lizenz CC by 4.0 veröffentlicht wurde.http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/121
2019
781 Kristol De Stefani

Peter Wunderli, 30 Mai 1938 - 27. März 2019

121
2019
Vittoria Borso
Martina Nicklaus
vox7810309
Peter Wunderli 309 Vox Romanica 78 (2019): 308-312 DOI 10.2357/ VOX-2019-014 Peter Wunderli 30. Mai 1938-27. März 2019 Vittoria Borsò / Martina Nicklaus (Düsseldorf) Prof. Dr. Peter Wunderli, geboren am 30. Mai 1938 in Zürich, ist am 27. März 2019 im Alter von 80--Jahren-in-Biel-gestorben.-Prof.-Wunderli-war-von- 1976 bis zu seiner Emeritierung 2003 als ordentlicher Professor Inhaber des Lehrstuhls Romanistik IVfür- Romanistische- Sprachwis-senschaftander- Philosophischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität- Düsseldorf.- Seit- 1998warerordentliches- Mitglied der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften. Peter Wunderli studierte Romanistik und Anglistik-an-der-Universität-Zürich,-mit-Aus-lands-semestern-in-Aix-en-Provence,-Rom-und- Oxford.- Ander- Universität- Zürichwarenseineromanistischen- Lehrerbeeindruckende Persönlichkeiten, die die vielseitigen Facetten des späteren Wirkens von Peter Wunderli inspirieren sollten. So studierte er an der Zürcher Romanistik Mediävistik-und-Literaturwissenschaft-bei-Reto-R.-Bezzola-und-Georges-Poulet,-Mitgliedder Genfer Schule und Verfasser u. a. der vierbändigen Studie über die Kreativität der-Zeiterfahrung---ein-Werk,-das-die-Literatur-wissenschaft-jenseits-des-Formalismus-geführt-und-zu-Philosophie-und-Psychologie-geöffnet-hatte.-In-der-Sprachwissenschaft-waren-seine-romanistischen-Lehrer-Konrad-Huber-(italienische-und-rätoromanische-Linguistik),-Gerold-Hilty-(fran-zösische-und-spanische-Sprachwissenschaft)und-Heinrich-Schmid-(vergleichende-romanistische-Sprachwissenschaft).-Besonders- Gerold Hilty dürfte Peter Wunderlis Begeisterung für philologisch unbestechliches Analysieren-mittelalterlicher-Sprach-denkmäler-sowie-das-Interesse-an-Verbgrammatik in synchronischer und diachronischer Perspektive entscheidend geprägt haben. Auch die kritische Rezeption von Gustave Guillaumes sprachtheoretischem Werk geht-auf-Gerold-Hiltys-Anregung-zurück-und-hat-aus-Peter-Wunderli-einen-der-wenigen Kenner dieses strengen, fast hermetischen, im germanophonen Raum bedauerlicherweise-kaum-zur-Kenntnis-genommenen-Ansatzes-gemacht.- Peter-Wunderli-wurde-bei-Gerold-Hilty-1963-mit-der-Arbeit Études sur le livre de l’Eschiele Mahomet: prolégomènes à une nouvelle édition de la version française d’une traduction alphonsine (Winterthur 1965) promoviert. Nach Abschluss des Studiums arbeitete Peter Wunderli zunächst bis 1967 als Assistent von G. Hilty und K. Huber Vittoria Borsò / Martina Nicklaus 310 Vox Romanica 78 (2019): 308-312 DOI 10.8357/ VOX-2019-014 und als Lehrer für Französisch und Italienisch an der kantonalen Oberreal- und Lehramtsschule Winterthur. Schon 1968 konnte er sich an der Universität Zürich mit einer Arbeit zur Teilaktualisierung des Verbalgeschehens (Subjonctif) im Mittelfranzösischen habilitieren. Ein Ruf auf einen Lehrstuhl für Romanistik an der Albert-Ludwigs-Universität-Freiburg-erreichte-ihn-1970,-als-er-gerade-32-Jahre-alt-war.- Dort-lehrte-er-bis-1976,-als-er-an-die-Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf-wechselte. Peter- Wunderliwarein- Gesamtromanistaus- Berufungund- Leidenschaft.- Die- Grenzenzwischen- Sprach-und- Literaturwissenschaft,aberauchzwischen- Romanistik-und-anderen-Disziplinen-waren-für-ihn-Zonen-des-Kontaktes-und-der-wechselseitigen Befruchtung. In ihm vereinten sich der Gelehrte, der Philologe und der Kulturwissenschaftler.- Sohaterals- Mitglieddesinterdisziplinären- Forschungsinstituts FIMUR (Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance) an der Heinrich-Heine-Universitätwegweisende- The-menherausgegeben- (u.-a.- Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance , 1986; Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance , 1993; Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation , 1994). Seine Vorlesungen zu Dante und Castiglionewarenebensolegendärwiedieüber- Lexikologieund- Grammatikderromanischen-Sprachen.-Der-franko-italienische-Roman-war-ihm-ebenso-vertraut-wiedie Kategorien Tempus , Modus und Aspekt in den romanischen Sprachen, der spanische subjuntivo warebenso- Gegenstandseiner- Forschungenwiederfranzösischesubjonctif und der italienische congiuntivo. Dabei gelang es Peter Wunderli, selbst jene-Themen,-die-im-ersten-Moment-unattraktiv-wirken-können,-durch-seinen-brillanten und geradezu leichtfüßigen Schreibstil verstehbar und spannend zu erschließen. In die Düsseldorfer Jahre fällt auch die Zeit, in der Peter Wunderli gemeinsam mit Ricarda-Liver-die-Vox-Romanica-herausgegeben-hat.-Von-1991-bis-2001-(Bände-51-60)verwandeltensichdie- Räumeseines- Lehrstuhlsmitunterin- Redaktionsbürosmit- Schreib-tischenvoller- Originalmanuskripte,- Druckfahnenund- Kopien,diejeweilsakribisch, ja unerbittlich, von Peter Wunderli und seinen Mitarbeitern bearbeitet wurden,nachfeinabgestimmten- Vorgabenzurtypographischen- Gestaltungundbibliographischen-Erfassung-von-Quellen.-Die-Übernahme-von-Buchbesprechungenwar-ein-Muss-für-alle-Teammitglieder-und-keineswegs-ein-immer-so-gerne-befolgtes.- Peter- Wunderlisahin- Rezen-sioneneinezubewahrende- Formderwissen-schaftlichen- Auseinandersetzungundließdaher- Besprechungen,dienoch- «zuwenig- Biss»-hatten,-vor-der-Veröffentlichung-noch-einmal-inhaltlich-überarbeiten,-Redaktionsschluss hin oder her! Als-Sprachwissenschaftler-hat-Peter-Wunderli-richtungsweisende-Publikationenzu Intonationsforschung, Verbmorphologie und zu sprachhistorischen Themen, insbesondere-zum-Mittelfranzösischen-verfasst.-Schon-die-Habilitationsschrift-war-ein- Meilenstein und hat innerhalb der Romanistik die Wahrnehmung des Mittelfranzösischen,daslangealsdiffuses- Zwischenstadiumderfranzösischen- Sprach- Peter Wunderli 311 Vox Romanica 78 (2019): 308-312 DOI 10.2357/ VOX-2019-014 geschichte-unterschätzt-worden-war,-neu-ausgerichtet.-Richtungsweisend-war-Peter- Wunderlis-Schaffen-schließlich-auch-in-ganz-anderer-Hinsicht: -Das-Grundlagenwerk- Französische Intonationsforschung (1978)warschonweitvorden- Zeitenverstärktdrittmittelorientierter Forschung die Frucht eines umfangreichen (und nicht des einzigen) DFG-Projekts. Und-wennsichdieso-unterschiedlichen-Themenzueiner-Gesamtschauzusammen-fügen---wie-die-Signatur-seines-Œuvres-in-der-von-Edeltraud-Werner-u.-a.-herausgegebenen Festschrift zum 60. Geburtstag lautet ( Et multum et multa , Tübingen 1998) -, so liegt dies an seiner profunden Beschäftigung mit der Sprachtheorie von Ferdinand de Saussure. Seine in verschiedenen Sprachen publizierten Studien und Editionen-gehören-zu-den-bahnbrechenden-Forschungsarbeiten,-die-über-das-Œuvredes bedeutendsten Linguisten des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Peter Wunderli-begann-mit-dem-kom-plexen,-und-über-denlinguistic turn hinausreichenden Teil der Schriften von Saussure, nämlich den Anagrammen ( Ferdinand de Saussure und die Anagramme. Linguistik und Literatur ,-Tübingen-1972,-Neuauflage-bei-De-Gruyter- 2011)-und-widmete-sich-konstant-der-Exegese-seines-Œuvres,-bis-über-die-Emeritierung hinaus. Die Saussure-Forschung verdankt ihm u. a. die deutsch-französische, kommentierte Edition des Cours de linguistique générale (Tübingen 2013, 2014 als Studienausgabe erschienen). In-seinen-letzten-Lebensjahren-widmete-sich-Peter-Wunderli,-trotz-einer-wachsenden gesundheitlichen Beeinträchtigung, neben der Herausgabe des Cours noch einem-weite-ren-Herzensprojekt,-der-Edition-altokzitanischer-Bibelüber-setzungen.-Soerschienen in den Jahren 2010, 2016 und 2017 die kommentierten Ausgaben der noch vorliegenden verschiedenen altokzitanischen Manuskripte des neuen Testaments. Mit diesen Publikationen schloss sich ein Kreis, denn Peter Wunderli hatte bereits in-den-1960er-Jahren-begonnen,-die-altokzitanischen-Bibelübersetzungen-auszuwerten.-Er-studierte-die-Texte-in-der-Bahn,-auf-regelmäßigen-Pendlerfahrten-zwischen- Zürich und Basel! An beiden Universitäten arbeitete er in jener Zeit als Assistent, dabei-war-das-Jahr-in-Basel-bei-Walther-von-Wartburg-und-die-Mitarbeit-an-Wartburgs FEW ( Französisches Etymologisches Wörterbuch ) eine äußerst bereichernde Phase und hat Peter Wunderlis Lust an der Auseinandersetzung mit älteren Sprachstadien entscheidend befördert. Nebenseiner-Lehr--und- Forschungstätigkeit-war- Peter-Wunderli-inzahlreichenwis-sen-schaftlichen-Gremien-tätig,-u.-a.-dem-belgischen-Fonds-National-de-la-Recherche-Scientifique-(FNRS),-der-Alfred-Toepfer-Stiftung-FVS-(als-Vorsitzender-des-Kuratoriums des Herderpreises), der Kommission für die Nationalen Wörterbücher der Schwei-ze-ri-schen- Akademieder- Geistes-und- Sozialwissenschaften.- 1998wurdeerzumordentlichen- Mitgliedder- Klasseder- Geisteswissenschaftender- Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Peter-Wunderli-war-nicht-zuletzt-auch-ein-faszinierender-Lehrer,-höchst-engagierter-Förderer-und-immer-unvoreingenommener-Berater-und-Mentor.-Seine-Kritik-warge-fürchtet-und-wurde-doch-gerne-angenommen,-denn-sie-erwies-sich-schließlich-als- Vittoria Borsò / Martina Nicklaus 312 Vox Romanica 78 (2019): 308-312 DOI 10.8357/ VOX-2019-014 konstruktiv,-in-ihr-steckte-immer-ein-positiver-Impuls-für-die-weitere-Arbeit.-Er-hateine-Reihe-von-Promotionen-und-Habilitationen-betreut; -erwähnt-sei-hier-nur-seine- Schülerin Edeltraud Werner, die nach ihrer Habilitation und Assistenzzeit in Düsseldorfals- Pro-fes-sorinfürfranzösischeunditalienische- Sprachwissenschaftandie- Universität-Halle-berufen-wurde.-Seine-exzellente-Nachwuchsbetreuung-beschränkte-sich-keineswegs-nur-auf-den-wissenschaftlichen-Bereich,-sondern-war---gewissermaßen - ganzheitlich angelegt: Die von Peter Wunderli organisierten regelmäßigen Lehrstuhl-oder- Doktorandentreffengenossenalskulinarische- Höhepunkte- Kultstatus. Peter- Wunderliwar- 1981-1982- Dekander- Philosophischen- Fakultätder- Heinrich-Heine-Universität. Seine Strukturpläne stellten die Grundlage für die spätere Selbst-ge-staltung-der-Fakultät-dar.-Als-starke-Führungspersönlichkeit-war-er-Vorbildundgesuchter- Ratgeberbeiderwachsenden- Verantwortungund- Komplexitätder- Aufgaben-im-Management-der-Fakultät.-Er-war-unverstellt-und-offenherzig.-Er-hieltan der Vernunft sprachlicher Kommunikation fest und beherrschte die Streitkultur. Er glaubte an die Universitas magistrorum et scholarium und konnte als Gelehrter, Wissenschaftler,-Lehrer-und-Kollege-darin-echte-Freunde-finden.-Genannt-seien-hierinsbesondere- Christine- Schwarzerund- Herwig- Friedl,sowie- Hans- Geisler,- Elmar- Schafroth, Tahar Guellil, und, stellvertretend für die zahlreichen Freunde außerhalb Düsseldorfs,- Ricarda- Liver,mitder- Peter- Wunderlieinelangjährige,fachlichwiepersönlich gleichermaßen intensive Freundschaft verband. Auch im Namen all dieser- Weggefährtenmöchtenwir- Peter- Wunderliunseretiefe- Dankbarkeitaussprechen. Möge das Bonmot , das Peter Wunderli auf die Frage nach dem Warum seines unermüdlichen Tuns einmal zitiert hat, auch für zukünftige Wissenschaftlergenerationen Gültigkeit-behalten-(dürfen): -«Parce-que-cela-…-fait-plaisir»---‘Weil-es-…-Spaß-macht’.-