Das Symposion bei Herodot
1127
2023
978-3-3811-0112-2
978-3-3811-0111-5
Gunter Narr Verlag
Manuela Wunderl
10.24053/9783381101122
Das Symposion wirkte als soziales Ereignis im antiken Griechenland auf viele unterschiedliche Lebensbereiche und beeinflusste Politik, Kunst, Philosophie und Religion. Zugleich wurde es von äußeren Einflüssen geformt. Als Raum für starke Emotionen, für Genuss und Inspiration schuf es eine eigene ,Welt', die auf unterschiedliche Weise auf literarische Darstellungen einwirkte und wiederum selbst von diesen funktionalisiert wurde. Herodot berichtet in seinem Geschichtswerk aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. immer wieder von solchen Symposia, die in der wissenschaftlichen Forschung bisher nur vereinzelt Beachtung gefunden haben. Wie sie dargestellt sind, welche Funktion und Wirkung diese Szenen auf den Erzählverlauf der Historien haben, wird in diesem Band untersucht.
<?page no="1"?> Das Symposion bei Herodot <?page no="2"?> CLASSICA MONACENSIA Münchener Studien zur Klassischen Philologie Herausgegegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Band 60 · 2023 <?page no="3"?> Manuela Wunderl Das Symposion bei Herodot <?page no="4"?> Umschlagabbildung: Marmorsphinx als Basis. Neapel, Museo Nazionale, Inv. 6882. Guida Ruesch 1789. H: 91 cm INR 67. 23. 57. Su concessione del Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo - Museo Archeologico Nazionale di Napoli. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Diss. Ludwig-Maximilians-Universität München 2022 DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381101122 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 0941-4274 ISBN 978-3-381-10111-5 (Print) ISBN 978-3-381-10112-2 (ePDF) ISBN 978-3-381-10113-9 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.2 Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen . . . . 27 2.1 Die Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1.1 Xenos, Xenia, Philos, Philia in der griechischen Sprache und sozialen Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2.1.1.1 Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.1.1.2 Xenia und Philia in der sozialen Praxis . . . . . . 30 2.1.1.3 Systematisierung der Xenia- und Xenos-Textstellen bei Herodot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1.2 Merkmale griechischer Gastfreundschaft . . . . . . . . . 51 2.1.2.1 Der Fremde und Gast unter göttlichem Schutz 52 2.1.2.2 Die Gegenseitigkeit der griechischen Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.1.3 Zwischenfazit: Die Gastfreundschaft . . . . . . . . . . . . . . 68 2.2 Das Symposion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2.2.1 Der Begriff ‚ Symposion ‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 2.2.2 Grundzüge der Entwicklung des Symposions . . . . . 72 2.2.3 Struktur eines Symposions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2.2.3.1 Der Ablauf eines Gastmahls . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.2.3.2 Unterhaltungsformen beim Symposion . . . . . . . 83 2.2.3.3 Die Teilnehmer am Symposion . . . . . . . . . . . . . . 89 2.2.3.4 Das richtige Maß beim Trinken . . . . . . . . . . . . . . 95 2.2.3.5 Der Raum des Symposions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.2.3.6 Die besondere Atmosphäre - Fluch und Segen 101 2.2.4 Das Symposion als Ort der Hetairie . . . . . . . . . . . . . . 106 2.2.4.1 Die Hetairie im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . 107 2.2.4.2 Der Begriff ‚ Hetairos ‘ in Herodots Historien . 111 2.2.5 Bezeichnungen für Symposion, Gastmahl, Essen und Trinken bei Herodot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2.2.5.1 Συμπόσιον - συμπίνειν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 <?page no="6"?> 2.2.5.2 Πόσις - πίνειν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2.2.5.3 Weitere Komposita von πίνειν - διαπίνειν / καταπίνειν / ἐκπίνειν / ἐμπίνειν / ἀποπίνειν . 123 2.2.5.4 Συνουσίη - συνεστώ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2.2.5.5 Δαίς - δαινύναι . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 2.2.5.6 Δεῖπνον - δειπνίζειν . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2.2.5.7 Der Vorgang des Essens ( σιτέεσθαι / ἐσθίειν / βιβρώσκειν / πατέεσθαι / ἔδειν / τρώγειν / βόσκεσθαι / τρέφεσθαι ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.2.5.8 Weitere Ausdrücke für Speise bzw. Essen ( ἡ βορή / ἡ φορβή / ἡ τροφή ) . . . . . . . . . . . . . . . 142 2.2.5.9 ( Τὰ ) ξείνια - ξεινίζειν - ξεινοδοκέειν . . . . . . . . 144 2.2.5.10 Varianten der gastlichen Aufnahme und Bewirtung ( ἱστιᾶν / θοίνη - θοινᾶν / εὐωχέειν / δέχεσθαι / πανδοκεύειν ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.2.6 Zwischenfazit: Das Symposion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch . . . . . . . . . . . . . . 155 3.1.1 Todgeweihte Spartaner bei Hydarnes . . . . . . . . . . . . . 157 3.1.2 Abschiedsmahl beim Thebaner Attaginos . . . . . . . . . 160 3.1.2.1 Der äußere Rahmen des Gastmahls . . . . . . . . . . 160 3.1.2.2 Das Gespräch zwischen einem namenlosen Perser und dem Griechen Thersandros . . . . . . . 166 3.1.3 Artabazos auf der Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 3.1.4 Fazit: Gelegenheit für ein persönliches Gespräch . 184 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung . . . . . . . . . . . . . . 187 3.2.1 Trunkenheit als guter Ratgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3.2.2 Symposia in persischen Beratungsszenen? . . . . . . . . 190 3.2.3 Fazit: Raum für Beratung und Beschlussfindung . . 194 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.3.1 Die Symposia des Salmoxis und die Unsterblichkeit der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3.3.2 Das ägyptische Symposion und die Endlichkeit des Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 3.3.3 Fazit: Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6 Inhalt <?page no="7"?> 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 4.1.1 Verbildlichung durch Speise-, Trank- und Mahlbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4.1.1.1 Veranschaulichung eines Geschehens mithilfe einer Darstellung aus den Bereichen ‚ Essen ‘ und ‚ Trinken ‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4.1.1.2 Speise- und Trinkgewohnheiten als Spiegelung der Lebenssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4.1.1.3 Fazit: Verbildlichung durch Speise-, Trank- und Mahlbeschreibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4.1.2 Mahl und Symposion als Ausdruck von Wertschätzung und Demütigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 4.1.2.1 Mittel für Sanktion und Wertschätzung . . . . . . 261 4.1.2.2 Ort für Demütigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 4.1.2.3 Fazit: Mahl und Symposion als Ausdruck von Wertschätzung und Demütigung . . . . . . . . . . . . . 278 4.1.3 Die Folgen von ungewöhnlichem Trinkverhalten und falschem Benehmen beim Symposion . . . . . . . . 280 4.1.3.1 Die Beeinflussung des Verhaltens durch das Trinken von Wein (Kambyses, Kleomenes, Amasis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4.1.3.2 Normbruch beim Symposion - der tanzende Hippokleides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 4.2.1 Auswirkungen von Wein als Mittel zum Zweck . . 361 4.2.1.1 Wein als Kriegsinstrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 4.2.1.2 Wein als Betäubungsmittel für Wächter . . . . . . 369 4.2.1.3 Fazit: Auswirkungen von Wein als Mittel zum Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 Exkurs: Ernährung beim Feldzug - ein notwendiges Risiko 379 a) Proviantpause als Verhängnis . . . . . . . . . . . . . . . . 380 b) Nahrungsmittelknappheit als Ursache des Scheiterns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 c) Fazit: Ernährung beim Feldzug - ein notwendiges Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Inhalt 7 <?page no="8"?> 4.2.2 Das Fest als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 4.2.2.1 Das öffentliche Fest als Besonderheit im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 4.2.2.2 Das Feiern von Festen als Schwachpunkt in der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 4.2.2.3 Fazit: Das Fest als Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 4.2.3 Das Gastmahl als Ort trügerischen Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 4.2.3.1 Das ausgenutzte Vertrauen unter Freunden . . 419 4.2.3.2 Das Gastmahl als Instrument der Rache . . . . . . 425 4.2.3.3 Der Raum des Gastmahls als Mittel der Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 4.2.3.4 Das Symposion als Auslöser einer Katastrophe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 4.2.3.5 Fazit: Das Gastmahl als Ort trügerischen Sicherheitsgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 5 Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Index Locorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 Index Nominum et Rerum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 8 Inhalt <?page no="9"?> Meinen Eltern <?page no="11"?> Vorwort An erster Stelle möchte ich mich bei meinem Doktorvater, Prof. Dr. Martin Hose, für all seine Förderung und Unterstützung während des gesamten Promotionsprozesses und für das Vertrauen in mich bedanken. Prof. Dr. Hose ermöglichte es mir zudem, zunächst als studentische Hilfskraft und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin durch die Arbeit in der Redaktion des Gnomon einen kontinuierlichen und intensiven Einblick in die wissenschaftlichen Neuerscheinungen aus den unterschiedlichen Bereichen der klassischen Altertumswissenschaften zu erlangen. Auch hierfür möchte ich ihm an dieser Stelle herzlich danken. Ebenso gilt ein sehr großer Dank meinem Zweitgutachter, Prof. Dr. Oliver Schelske, für seinen steten Beistand, seine immer hilfreichen Hinweise und Anregungen sowie die stärkende Motivation in den unterschiedlichen Phasen meines Promotionsprozesses. Herzlich bedanken möchte ich mich zudem bei Prof. Dr. Therese Fuhrer für die maßgebliche Unterstützung meiner Doktorarbeit als Drittprüferin und das Interesse an meiner Forschung. Prof. Dr. Andreas Schwab sowie zahlreichen Kolleginnen und Kollegen während meiner Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Griechische und Lateinische Philologie der LMU München, insbesondere Dr. Albrecht Ziebuhr, Angelika Zaunmüller, Christoph Mayr, Carolin Herb und Dr. Cagla Umsu-Seifert, danke ich für wertvolle Gespräche, die meine Arbeit auf unterschiedliche Weise vorangebracht haben. Durch meine Anstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin wurde die Umsetzung meines Promotionsprojekts auch in finanzieller Hinsicht von der Ludwig-Maximilians-Universität München unterstützt. Für diese Förderung bedanke ich mich herzlich, die mir u. a. auch die Teilnahme an Tagungen und Kongressen ermöglichte. Ein letzter, aber nicht minderer Dank gilt meiner Familie, meinem Partner und meinen Freundinnen und Freunden, die auf vielfältige Weise wesentlich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Meinen Eltern, die mich während meines gesamtes Vorhabens stets unterstützten, sei dieses Buch gewidmet. <?page no="12"?> Die vorliegende Arbeit ist eine nur geringfügig veränderte Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2022 an der Ludwig-Maximilians- Universität eingereicht wurde. Später erschienene Forschungsliteratur wurde daher nicht berücksichtigt. München, im Oktober 2023 Manuela Wunderl 12 Vorwort <?page no="13"?> 1 Einführung Welche Situation eignet sich besser für die Darstellung von Gesprächen, Gedanken, Emotionen und Handlungen als ein Ort, dessen Atmosphäre eine eigene kleine ‚ Welt ‘ erschafft, vom Alltag ablenkt und das Bewusstsein der Anwesenden ganz für sich in Anspruch nimmt? Das Symposion im antiken Griechenland ist sicherlich ein solcher Ort. Es bietet nicht nur einen Raum, der Unterhaltungen, Gefühle und Gedanken sinnvoll verortet, sondern in dem diese auch intensiviert erlebt werden können. Auf diese Weise können inhaltliche Aussagen durch die besondere sympotische Atmosphäre bekräftigt werden. 1 Dass das Symposion ein Ort für starke Emotionen, Genuss und Inspiration war, beweist nicht zuletzt seine Präsenz in literarischen Werken. Noch bevor das Symposion im vierten Jahrhundert mit der Symposion- Literatur eine eigene literarische Form fand und das Gesamtsetting eines Werks für sich beanspruchte, 2 bildete es bereits den Rahmen für zahlreiche Handlungsabschnitte in anderen Literaturgattungen wie Epos, Drama und auch der Geschichtsschreibung. Dies ist auch in Herodots Historien der Fall, die als ‚ historiographisches ‘ 3 Werk erwarten lassen, dass auch eine Symposionsszene nicht ohne Grund in die Gesamterzählung eingefügt ist. Ziel dieser Arbeit soll es daher sein, die Symposionsszenen in Herodots Historien vor dem Gesamtkontext des Erzählverlaufs zu analysieren und zu untersuchen, auf welch unterschiedliche Weise diese mit der Gesamthandlung verflochten sind, welche Funktion innerhalb der Historien sie haben und welche Wirkung sie erzielen. Zu Beginn möchte ich den Stand der Forschung zu diesem Thema zusammenfassen, wobei der Schwerpunkt auf der Frage liegen soll, wie bisher in der Forschung die Symposionsszenen in Herodots Historien und generell das Symposion in literarischen Werken unterschiedlicher Gattungen Beachtung gefunden haben. Im Anschluss werde ich vorstellen, auf welche Weise ich bei der Untersuchung der Symposionsszenen in Herodots Historien vorgehe. 1 Zur sympotischen Atmosphäre siehe später die Ausarbeitungen in Kap. 2.2.3.6. 2 Vgl. z. B. Stahl (2003), S. 66. 3 Zur Gattungsproblematik der Historien siehe Hose (2004). <?page no="14"?> 1.1 Stand der Forschung Das Symposion der antiken griechischen Kultur war weit mehr als ein einfaches Trinkgelage. 4 Als soziales Ereignis wirkte das Symposion auf viele unterschiedliche Lebensbereiche und beeinflusste Politik, Kunst, Philosophie und Religion. Zugleich wurde es selbst von äußeren Einflüssen geformt. So ist es nicht überraschend, dass man sich dem Phänomen aus zahlreichen Forschungsrichtungen genähert hat. Vor allem in Geschichts- und Religionswissenschaft sowie Archäologie und Philologie entwickelt sich im 20. Jahrhundert ein wachsendes Interesse für das Symposion der griechischen Kultur. Von den 1970/ 80er Jahren an vervielfacht sich die wissenschaftlichen Betrachtung des Symposions. 5 Im Bereich der Klassischen Philologie findet das Symposion zunächst vor allem als Ort der frühgriechischen Lyrik größere Beachtung, sodass die Verknüpfung von Symposion, Literatur und Polis immer mehr in den Vordergrund tritt. Hervorzuheben ist hier Wolfgang Röslers Werk ‚ Dichter und Gruppe. Eine Untersuchung zu den Bedingungen und zur historischen Funktion früher griechischer Lyrik am Beispiel Alkaios ‘ (1980), in dem sich Rösler vor allem mit Alkaios ’ Dichtung und dem Symposion als Ort der Hetairie und damit als sozialem Kontext seiner Lyrik befasst. Ebenfalls zu nennen sind Daniel Levines Beitrag ‚ Symposium and the polis ‘ (1985), in dem Levine den Schwerpunkt auf die Frage setzt, wie Symposion und Polis in der Poesie verbunden sind, sowie Ewen Bowies Aufsatz ‚ Early Greek elegy, symposium and public festival ‘ (1986), in dem sich Bowie vor allem mit der unterschiedlichen Aufführungspraxis der frühgriechischen Elegie befasst. 6 Mit der Bedeutung des frühgriechischen Symposions für die Literaturentwicklung sowie dessen Auswirkung auf die Literatur beschäftigt sich zudem Joachim Latacz besonders ausführlich in ‚ Die Funktion des Symposions für die entstehende griechische Literatur ‘ . 7 4 Vgl. Stahl (1987), S. 25 f.; Latacz (1994), S. 357. 5 Vgl. z. B. Murray (1990a), S. 7. 6 Weitere wichtige Forschungsergebnisse, die sich mit sympotischer Lyrik befassen, sind ebenso besonders in den 80er/ 90ern Jahren erschienen; für weitere Literaturhinweise diesbezüglich siehe z. B. Hobden (2013), S. 1/ Anm. 1. 7 Bei diesem Beitrag aus dem Jahr 1990 handelt es sich um die Veröffentlichung seines ursprünglich 1988 in Hamilton gehaltenen englischen Vortrags. Er wurde 1990 in dem von Kullmann und Reichel herausgegebenen Sammelband ‚ Der Übergang von der Mündlichkeit zur Literatur bei den Griechen ‘ publiziert und 1994 in überarbeiteter Form nochmals in Lataczs ’ Publikation ‚ Erschließung der Antike ‘ (herausgegeben von Graf, von Ungern-Sternberg, Schmitt) veröffentlicht. Für die vorliegende Arbeit wurde der Beitrag von 1994 verwendet. 14 1 Einführung <?page no="15"?> Dass das Symposion ein interdisziplinäres Thema ist, wird besonders an den Symposion-Konferenzen in den 80er Jahren in Oxford und Hamilton deutlich, deren in Aufsatzform gesammelte Vorträge von Murray (1990) 8 und Slater (1991) 9 herausgegeben worden sind und nach wie vor für die Symposionsforschung bedeutend bleiben. Beide Sammelbände enthalten die Beiträge namhafter Altphilologen, Historiker und Archäologen, die das Symposion aus ihrer jeweiligen Fachrichtung beleuchten. 10 Wesentlich ist dabei die Rekonstruktion des historischen Symposions aus literarischen und archäologischen Zeugnissen. Auch Publikationen, deren vordergründiges Thema nicht das Symposion ist, nehmen in der Symposionsforschung aufgrund des großen Wirkungsbereichs des Symposions eine zentrale Stellung ein. Verwiesen sei etwa auf Elke Stein- Hölkeskamps Publikation ‚ Adelskultur und Polisgesellschaft ‘ (1989), welche für das Verständnis des aristokratischen Symposions hilfreich ist. Stein-Hölkeskamp befasst sich hier mit der Frage nach Strukturmerkmalen des griechischen Adels und dessen Erscheinung als Gruppe, die durch die bereits ab der archaischen Zeit stärker werdenden Bürgerschaften immer schwächer als Kollektiv bewertbar wird. Eines der von Stein-Hölkeskamp intensiv beleuchteten Strukturmerkmale ist dabei die „ Wettbewerbsethik “ . Von Herodots Gastmahldarstellungen befasst sich Stein-Hölkeskamp mit dem Symposion im Rahmen von Agaristes Verlobungsfeier (VI, 126 - 130) intensiver. Das Symposion wird von Stein-Hölkeskamp dahingehend untersucht, inwiefern es für die für Aristokraten entscheidende Selbstdarstellung einen geeigneten und vorerst noch exklusiven Ort bot, wobei beachtet werden muss, dass die aristokratische Wettbewerbsethik in Wechselwirkung mit den Entwicklungen in der Polis tritt. 11 Bezug nimmt Stein-Hölkeskamp hier auf die frühgriechische Lyrik und dabei besonders auf Theognis ’ Elegien, um den Wandel der Symposia auch literarisch festzumachen. An ihren Ergebnissen wird ersichtlich, dass das Symposion ein zentraler Ort ist, an dem Politik und ihr Einfluss auf die Teilnehmer an den Geschehnissen während des Symposions sichtbar werden kann. 8 Murray, O. (Hg.): Sympotica. A symposium on the symposion, Oxford 1990. 9 Slater, W. J. (Hg.): Dining in a classical context, Ann Arbor 1991. 10 Daneben wurden auch weitere Konferenzen zum Symposion bzw. verwandten Themen abgehalten, die zahlreiche Publikationen lieferten. Vgl. dazu die Auflistung von Murray (2003), S. 16. 11 Auch in ihrem 1992 erschienenen Aufsatz ‚ Lebensstil als Selbstdarstellung. Aristokraten beim Symposion ‘ untersucht Stein-Hölkeskamp diese Thematik, wobei sie hier den Schwerpunkt gezielt auf das Symposion legt. 1.1 Stand der Forschung 15 <?page no="16"?> Wenige Jahre später entstand ein weiteres zentrales Werk im Bereich der Symposionsforschung: Pauline Schmitt Pantels ‚ La cité au banquet. Histoire des repas publics dans les cités grecques ‘ (1992). Hier liegt der Schwerpunkt nicht auf den nicht-öffentlichen Symposia, sondern auf den öffentlichen Banketten. Schmitt Pantel hat ihr Buch in vier Teile gegliedert: Zunächst befasst sie sich mit den öffentlichen Festmählern im archaischen Griechenland, wobei sie auch mithilfe der Ikonographie von Bankettszenen sowie der archaischen Poesie herausarbeitet, dass in der archaischen Periode vielerorts gilt: „ la participation au banquet est synonyme de participation à la citoyenneté. “ 12 Bei ihrer anschließenden Untersuchung der öffentlichen Mahlzeiten im klassischen Athen analysiert sie deren Bedeutung für die Polisorganisation, für deren Institutionen und für die soziale Bindung in der Gesellschaft. Im dritten Abschnitt untersucht Schmitt Pantel anhand von Inschriften die öffentlichen Bankette in hellenistischen und römischen Städten, bevor sie sich viertens den sogenannten ‚ Banketten der anderen ‘ (= „ Les banquets des autres “ ) zuwendet, also all jenen, bei denen aus Sicht der Griechen fremde Bräuche vorherrschen. Für die Untersuchung der Symposionsdarstellungen bei Herodot ist dieser vierte Abschnitt besonders hilfreich. Denn vor allem dort nimmt Schmitt Pantel immer wieder Bezug auf Mähler und auch Symposia aus Herodots Historien wie z. B. auf das Harpagos-Mahl (I, 119), die Begräbnismähler, 13 Pausanias ’ Mahlvergleich (IX, 82) und auch das Symposion zwischen Makedonen und Persern (V, 18 - 20). Sie konzentriert sich bei diesen in erster Linie auf die daran sichtbar werdenden kulturellen Besonderheiten und Unterschiede. Im Anhang ihrer Monographie gibt sie eine nach Büchern geordnete Aufzählung und knappe Umschreibung aller Textstellen in Herodots Historien, die mit einem Mahl in Verbindung stehen. Dabei sind Gastmähler, Symposia und Szenen, die sich mit Speisesitten befassen, nicht voneinander getrennt angeführt. Mehr als zwanzig Jahre später erfuhren die literarischen Symposionsszenen durch Fiona Hobden in ihrem Buch ‚ The symposion in ancient Greek society and thought ‘ (2013) stärkere Beachtung. Denn Hobden beschäftigt sich in ihrer Untersuchung unter anderem gattungsübergreifend mit literarischen Darstellungen von Symposia. Anhand von diesen wenn auch abstrakten Darstellungen zeigt sie, wie Rückschlüsse auf die Funktionen von Symposia im griechischen Denken gezogen werden können und arbeitet heraus, welche Auswirkungen und Funktionen Symposia im antiken Griechenland übernahmen. Hobden macht zudem deutlich, dass Symposia, die in der griechischen Vorstellungswelt existierten, Raum gewährten, in dem z. B. Gespräche geschildert, politische 12 Schmitt Pantel (1992), S. 485. 13 Zu den Begräbnismählern in Herodots Historien siehe Anm. 755. 16 1 Einführung <?page no="17"?> Meinungen dargestellt und Charakterisierungen vorgenommen werden konnten. Hobden betont, dass das Symposion den epischen Dichtern, Historikern, Tragödien- und Komödienschreibern sowie Rednern und Philosophen ein Mittel zur Konstruktion von Persönlichkeiten, zur Verfolgung von Argumenten und zur Überzeugung des Publikums bot, sodass die Darstellung eines Symposions ein „ act of rhetoric “ war. 14 Die Entwicklung der Funktionen von Symposionsdarstellungen in der Literatur ist ebenfalls ein Faktor, den Hobden bei ihrer Analyse stets berücksichtigt. Sie greift bei ihrer Untersuchung immer wieder auf Symposionsszenen aus Herodots Historien zurück. In ihrem zweiten Kapitel „ Ethnopoieia and ē thopoieia “ zeigt sie, inwiefern unter anderem bei Herodot die Darstellung gemeinschaftlicher Trinkpraktiken der Völker genutzt werden, um deren Bräuche und Gewohnheiten festzustellen und zu bewerten. Im Rahmen der Untersuchung von zwei weiteren Schwerpunkten ihrer Arbeit nimmt Hobden zudem mehrmals Bezug auf Symposionsdarstellungen in Herodots Historien: Erstens zeigt sie, dass auch in Herodots Historien durch die Schilderung von Symposia auf den Charakter des jeweiligen Volkes geschlossen werden kann und zugleich eine Reflexion über diesbezügliche griechische Verhaltensweisen ermöglicht wird. Hierbei liegt der Schwerpunkt ihrer Analyse auf den persischen und skythischen Symposia bei Herodot. Die zweite Thematik, für die sich die Symposionsdarstellungen in Herodots Historien als passend erweisen, ist in Kapitel vier ( „ Politics in action “ ) zu finden. Dort behandelt sie Darstellungen in der griechischen und zum Teil auch nahöstlichen Literatur, in denen das Symposion zum kontroversen Ort wird, das zum Zwecke von meist politisch motivierten Überfällen oder Racheaktionen ausgenutzt wird. Hobden hat durch ihr Buch nachweisen können, dass das Symposion einen wesentlichen - meist problematischen - Einfluss auf die Politik hatte wie umgekehrt die Politik auf das Symposion. Insgesamt verdeutlicht Hobden, dass sämtliche von ihr analysierten „ sympotic performances “ Ausdrücke von Identität seien. 15 Im Jahr 2014 erschien Marek W ę cowskis Buch ‚ The rise of the Greek aristocratic banquet ‘ , in dem das Symposion wie bereits bei Stein-Hölkeskamp (1989) - zumindest für die Zeit vor dem 5. Jh. v. Chr. - als aristokratisches Phänomen im Vordergrund steht. W ę cowski liefert eine umfassende Darstellung und Entstehung des Symposions des archaischen und frühklassischen Griechenlands. Er stützt sich dabei zunächst auf einen retrospektiven Ansatz. So entwickelt er eine Definition des Idealtypus eines Symposions aus der besser dokumentierten archaischen und klassischen Zeit, um dieses dann auf frühere 14 Hobden (2013), S. 252. 15 Vgl. Hobden (2013), S. 250 f. 1.1 Stand der Forschung 17 <?page no="18"?> Perioden zurückzuprojizieren. 16 Erst in einer späteren Phase seiner Untersuchung wendet er vergleichende soziologische und anthropologische Erklärungsmodelle an, die in der Symposionsforschung bisher vorherrschend sind. Vor allem archäologisches Material wird von ihm neu bewertet, aber auch auf literarische Zeugnisse wird zurückgegriffen. Symposionsdarstellungen in Herodots Historien spielen zwar nur in seltenen Fällen eine Rolle, aber W ę cowski führt z. B. das problematische Symposion im Rahmen von Agaristes Verlobungsfeier (VI, 126 - 130) als Beispiel für ein „ anti-symposion “ 17 an, bei dem das sympotische Ideal der Gleichheit durch die übergeordnete Stellung des Gastgebers Kleisthenes erkenntlich nicht gegeben ist. Er sieht hier zugleich einen Hinweis dafür, dass dieses Ideal lange vor Athenaios, Plutarch und Platon selbstverständlich gewesen sein muss, damit die Leser von Herodots Historien diese Episode verstehen konnten. 18 Dass das Symposion ein nach wie vor zentrales Forschungsproblem darstellt, zeigt der 2018 von Floris van den Eijnde, Josine Blok und Rolf Strootman herausgegebene Sammelband ‚ Feasting and polis institutions ‘ , dessen Aufsätze das Symposion und Festmahl im antiken Griechenland besonders aus archäologischer und auch historischer Sicht betrachten. Einen ausführlichen Überblick über die Entstehung und Entwicklung der wissenschaftlichen Befassung mit dem Symposion hatte bereits Oswyn Murray gegeben. 19 Überhaupt ist Oswyn Murrays Bedeutung im Bereich der Symposionsforschung hervorzuheben, der diese durch seine Arbeiten seit 40 Jahren intensiv belebt. Eine Sammlung von einigen seiner zahlreichen Aufsätze, die das Symposion von unterschiedlichen Seiten beleuchten, ist in dem 2018 von Vanessa Cazzato herausgegebenen Werk ‚ The Symposion. Drinking Greek style. Essays on Greek pleasure 1983 - 2017 ‘ enthalten. 20 Bei den bisher genannten Werken steht stets die Erforschung des historischen Symposions im Vordergrund, dem die literarischen Symposionsszenen 16 Vgl. W ę cowski (2014), S. 6. 17 W ę cowski (2014), S. 70. 18 Ebd., S. 69 f. 19 Siehe Murray (1990a), S. 7 - 11 sowie darauf aufbauend Murray (2003). Hier sei auch auf W ę cowskis wertvollen Überblick über die Entwicklung und unterschiedlichen Ausrichtungen der Symposionsforschung verwiesen (W ę cowski [2014], Introduction - bes. S. 1 - 4). 20 Für eine Bibliographie weiterer bedeutender Forschungsliteratur zum Symposion bis zum Jahr 1990 siehe Murray (1990a), S. 11 - 13 sowie Latacz (1994), S. 392 - 395. Eine ausführliche Auflistung der Forschungsliteratur ab dem Jahre 1991 findet sich in der Neuveröffentlichung von Schmitt Pantels ‚ La cité au banquet. Histoire des repas publics dans les cités grecques ‘ (Paris 2011), S. XVIII - XXVI. 18 1 Einführung <?page no="19"?> untergeordnet werden. Weniger verbreitet war und ist die Betrachtung abgeschlossener Symposionsszenen innerhalb einer bestimmten literarischen Gattung oder bei einem bestimmten Autor mit Blick auf dessen literarischen Gehalt. Ansätze für die Beschäftigung mit möglichen Symposia bzw. thematischen und äußerlich ähnlichen Szenen im Epos finden sich z. B. bei William J. Slater in seinem Beitrag ‚ Sympotic ethics in the Odyssey ‘ (1990) oder bei Giulio Colesanti in seinem Aufsatz ‚ Il simposio in Omero ‘ (1999). Eine besonders intensive Untersuchung in diesem Bereich hat zudem Anja Bettenworth im Rahmen ihres Dissertationsprojektes vorgenommen ( ‚ Gastmahlszenen in der antiken Epik von Homer bis Claudian. Diachrone Untersuchungen zur Szenentypik ‘ , 2004). Innerhalb der Gattungen des antiken griechischen Dramas hat das Symposion in der Komödie bisher am meisten Beachtung in der Forschung gefunden. 21 Besonders hervorzuheben ist hier das Dissertationsprojekt von Babette Pütz, das 2003 unter dem Titel ‚ The symposium and komos in Aristophanes ‘ 22 veröffentlicht worden ist und sich nicht nur mit einer bestimmten Szene einer Komödie, sondern mit sämtlichen Symposionsszenen im Gesamtkorpus des Aristophanes befasst. Pütz betrachtet darin das Symposion sowie den Komos bei Aristophanes vor allem mit Blick auf deren handlungsgestaltende oder auch charakterdarstellende Verwendung und befasst sich so auch mit der Frage, welchen Beitrag die Symposions- und Komosszenen für das Verständnis der Komödien des Aristophanes leisten. Pütz untersucht dabei auch Übereinstimmungen und Unterschiede zwischen der Symposions- und Komosdarstellung bei Aristophanes. Zudem geht sie der Frage nach, was anhand dieser Szenen über das Wissen des Publikums, eben auch des nichtaristokratischen Publikums, über Symposion und Komos geschlossen werden kann. Dabei analysiert sie die Gastmahlszenen im ersten Kapitel ihres Buches nach thematischen Hauptgruppen, die danach gewählt sind, unter welchen Umständen das Gastmahl ermöglicht wird ( „ i. e. peace, other outer circums- 21 Vgl. z. B. Bowie (1997); Lada-Richard (1999); Fisher (2000); Konstantakos (2005); Rosen (2016). Auch in Monographien über das Symposion finden sich gesonderte Abschnitte, die sich gezielt mit dem Bankett in der Komödie beschäftigen, wie z. B. Schmitt Pantel (1992), S. 222 - 231. Zudem fand im Mai 2018 ein Studientag mit dem Titel ‚ Il simposio nella commedia greca ‘ statt, dessen Beiträge in Taufer (2018) veröffentlicht wurden. Mit dem Symposion in der Tragödie und Satyrspiel befassen sich z. B. Rossi (1971); Hamilton (1979); Angiò (1993); Napolitano (2000); Steiner (2016). 22 Das Buch wurde unter diesem Titel 2003 zunächst im Verlag J. B. Metzler (Stuttgart/ Weimar) publiziert. In zweiter überarbeiteter Fassung ist es 2007 unter selbem Titel bei Aris & Phillips (Oxford) erschienen. Die Fassung von 2007 wurde auch für die vorliegende Arbeit verwendet. 1.1 Stand der Forschung 19 <?page no="20"?> tances, or a character ’ s maturation and its effects “ ), 23 bevor sie sich im zweiten Kapitel dem Komos widmet. In geringerem Umfang sind auch Publikationen zum Symposion in der griechischen Geschichtsschreibung erschienen, wobei hier vor allem einzelne Symposionsszenen aus Herodots Historien Beachtung gefunden haben. 24 Obwohl sich die meisten Aufsätze auf ausgewählte Gastmahlszenen in Herodots Historien konzentrieren und der Schwerpunkt dieser Untersuchungen stärker auf den Vorgängen während des Symposions als auf dem Symposion selbst liegt, 25 seien zwei Beiträge hervorgehoben, die sich mit der generellen Funktion des Symposions für die Historien befassen. 26 Dies ist einmal Corinne Coulets Aufsatz ‚ Boire et manger dans l ’ Enquête d ’ Hérodote ‘ (1994). Coulet untersucht das Essen und Trinken in den Historien in drei Zusammenhängen: a) den ethnographischen Beschreibungen der ersten fünf Bücher; b) dem Marsch des Heeres von Xerxes gegen Griechenland in Buch VII; c) bei einzelnen Mahlzeiten und Banketten, die in den Historien verteilt auftreten. Coulet beschäftigt sich dabei mit den Fragen, weshalb bei Herodot von diesen Festmählern überhaupt berichtet wird, welche Funktionen sie also erfüllen, und unter anderem auch, welche Rolle Wein in den Historien spielt. So erkennt sie Bankette, die gezielt tödlich enden, Bankette, die erwähnt werden, da sie sich von den Symposia in Griechenland unterscheiden, und Bankette, die organisiert sind, um etwas Bestimmtes darzustellen oder seinen Gastgeber zu testen. Letztlich schließt Coulet, dass kein Festmahl um seiner selbst willen in den Historien beschrieben werde, sondern um des dramatischen Effekts willen oder um etwas zu enthüllen. Auch Angus M. Bowie befasst sich in seinem Aufsatz ‚ Fate may harm me, I have dined today. Near-eastern royal banquets and Greek symposia in Herodotus ‘ (2003) mit Symposionsszenen in Herodots Historien. Neben dem griechischen Symposion zieht er vor allem das „ royal banquet “ in Betracht und untersucht, 23 Pütz (2007), S. ix. 24 Eine Ausnahme bietet Paul (1991). Paul (1991, S. 166) hebt hervor, dass für die Geschichtsschreibung besonders die Vorfälle bei Symposia und Deipna interessant seien, bei denen gegen den für diese Einrichtungen geltenden „ social code “ versoßen wird. 25 Vgl. z. B. Wöhrle (1990); Papakonstantinou (2010); Pavlidis (2012); Lavelle (2014); Bierbas- Richter (2016); Harrison (2019). 26 Auch wenn sich die Autorin darin nicht explizit mit den Symposia bei Herodot auseinandersetzt, möchte ich zusätzlich auch Müllers Aufsatz ‚ Völlerei, wundersame Brotvergrößerung und Kannibalismus. Politische und soziale Konnotationen des Essens bei Herodot ‘ (2009) hervorheben. Denn Müller untersucht dort intensiv die Frage, welche Bedeutung und Funktion das Essen und auch Mahlszenen in Herodots Historien haben, was für die Analyse der thematisch ähnlichen Symposionsszenen hilfreich ist. 20 1 Einführung <?page no="21"?> wie dieses Motiv in Herodots Historien umgesetzt wird und wie es mit der Verwendung des Symposions in Verbindung steht. 27 Trotz ihrer Unterschiede seien beide in Kunst, Literatur und bei Ritualen „ as the site for the enacting or marking of events of especial importance, the making of crucial dispositions, the examination of moral qualities and so on “ verwendet. 28 So kann Bowie wichtige Erkenntnisse bezüglich thematischer Übereinstimmungen von griechischen und persischen Bankettszenen innerhalb derselben Kultur und Unterschiede zu den Darstellungen der Bankettszenen der jeweils anderen Kultur erarbeiten: die östlichen Bankettszenen seien durch die Assoziation mit Ende und Tod tendenziell eher negativ charakterisiert, während die griechischen Symposionsszenen eher in friedlichem Kontext stünden. 29 Damit ist ein wichtiger Schritt mit Blick auf mögliche Interpretationsmuster von Bankettszenen in literarischen Darstellungen getan. Eine Analyse sämtlicher Gastmahl- und Symposionsszenen in Herodots Historien wurde bisher nicht unternommen. Die vorliegende Arbeit soll daher einen ganzheitlichen Überblick über die Gastmahl- und Symposionsdarstellungen in Herodots Historien bieten, wobei bei deren Analysen die literarischen Funktionen dieser Szenen im Vordergrund stehen. Anders als bei den bisherigen Ansätzen liegt ein Schwerpunkt auf der Untersuchung der textuellen Darstellung der jeweiligen Einzelszenen. 1.2 Methodisches Vorgehen Das Ziel der vorliegenden Arbeit besteht darin, die Symposionsszenen in Herodots Historien vor dem großen Gesamtkontext des Erzählverlaufs mit Blick auf deren Darstellung und Verflechtung in die Gesamthandlung zu analysieren. Aufbauend insbesondere auf Coulets (1994) und Bowies (2003) Ansätzen werden die literarischen Funktionen der Symposia in Herodots Historien herausgearbeitet, wobei der Schwerpunkt auf der Analyse der literarischen Darstellung der einzelnen Szenen liegen soll. Dabei sollen nicht nur eindeutige Symposionsszenen, sondern auch Darstellungen von Gastmählern oder von sogenannten Deipna, Mählern, berücksichtigt werden, da Symposia auch Bestandteile von Gastmählern sein können, ohne explizit genannt zu werden. 30 Zudem ist es für die Untersuchung der Wirkungsweise von Symposia 27 Bowie (2003), S. 99. 28 Ebd. 29 Vgl. ebd., S. 107. 30 Der Begriff des Symposions wird in der vorliegenden Untersuchung also nicht als Ausdruck für ein ganzes Gastmahl - bestehend aus Deipnon und Symposion - festgelegt, 1.2 Methodisches Vorgehen 21 <?page no="22"?> hilfreich herauszuarbeiten, in welcher Situation explizit von einem Symposion die Rede ist, wann es nur aufgrund des Kontexts zu erwarten ist und weshalb es teilweise sogar möglich ist, bei einer Szene auszuschließen, dass es zum gemeinsamen Trinken kommt. So können Mahlszenen durch erkennbare Anwendungsmechanismen im Text direkt oder auch indirekt dabei helfen, Aufschluss über die besonderen Konventionen des Symposions zu geben. Neben den Funktionen innerhalb der Erzählung soll auch herausgearbeitet werden, inwiefern die Symposia in ihrem dargestellten Verlauf den zuvor definierten sympotischen ‚ Regeln ‘ entsprechen oder widersprechen und welchen Einfluss dies auf den Erzählverlauf der Historien hat. Der Begriff ‚ Regel ‘ wird in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Hanns Wienold verwendet: „ Sozial geteilte R.n definieren die soziale Bedeutung von bestimmten Verhalten bzw. des Unterlassens von bestimmten Verhaltensformen in bestimmten Situationen [ … ]. Zum Begriff der R. gehört nicht unbedingt, dass Handelnde, die den R.n einer Situation folgen, diese auch explizieren können. “ 31 Die Regeln im Symposion gehören zudem gemäß der Zweiteilung von John R. Searle in regulative und konstitutive Regeln zu den regulativen Regeln. 32 Mit Verweis auf Searle definiert Michael Meuser die regulative Regel wie folgt: „ Eine r. R. regelt Verhalten, das unabhängig von der R. existiert. Anstands-R.n regeln die Form der Nahrungsaufnahme, essen kann man jedoch auch unabhängig von diesen Regeln. “ 33 Für das Symposion gilt ebenso: Gemeinsam Weintrinken kann man auch ohne Regeln, aber ein gelingendes Symposion, bei dem die sympotische Atmosphäre ohne Störung ermöglicht wird, benötigt (regulative) Regeln. Die Regeln bilden somit einen Maßstab, um ein Verhalten bewerten zu können. 34 Darüber hinaus soll der Begriff ‚ Norm ‘ in der Bedeutung „ Verhaltensstandard “ verwendet werden und damit entsprechend der ersten der drei von Hubert Treiber aus den zahlreichen in der Literatur existierenden Definitionsversuchen zusammengefassten Definitionen des Normbegriffs: Demnach ist eine Norm „ eine beobachtbare Gleichförmigkeit des Verhaltens. “ 35 Wenn in dieser sondern für den zweiten Abschnitt eines Gastmahls, den des gemeinsamen Trinkens ( - dafür, dass das Symposion den zweiten Abschnitt eines Gastmahls bildet, vgl. die Ausführungen und Verweise in Kap. 2.2.3.1). Auch Treffen, bei denen mehrere Personen außerhalb eines als Gastmahl definierten Kontextes miteinander trinken, werden als Symposia bezeichnet. Vgl. dazu ausführlicher Kap. 2.2.1. 31 Wienold (2020), S. 646. 32 Zu dieser Unterteilung vgl. Searle (1974), S. 86 - 89. 33 Meuser (2020), S. 646. 34 Vgl. dazu Lundgreen (2011), S. 32 f. 35 Treiber (2020), S. 538. Als weitere davon verschiedene Definitionsmöglichkeiten für Norm führt Treiber (ebd.) „ eine soziale Bewertung von Verhalten “ oder „ eine verbindliche Forderung eines bestimmten Verhaltens “ an. 22 1 Einführung <?page no="23"?> Arbeit also der Begriff ‚ Norm ‘ verwendet wird, soll damit das aufgrund einer weithin verbreiteten Bekanntheit zu erwartende und in der jeweiligen Situation üblicherweise als gültig angesehene Verhalten gemeint sein, anhand dessen ungewöhnliches und unerwartetes Handeln ebenfalls bemessen werden kann. Die bereits mehrfach erwähnte besondere sympotische Atmosphäre ist für die Analyse der Symposionsszenen in Herodots Historien zentral, da erst sie es ist, die das Symposion zu einem ‚ Sonderraum ‘ im Leben macht. 36 Wolfgang Rösler hat diesbezüglich betont, dass die dortige Situation, in der Wein bewirkt, dass Sorgen vergessen werden, zu einem erhöhten Bewusstseinszustand führe, der sich durch ‚ vollstes ‘ Verständnis und uneingeschränkte Kommunikation auszeichne. 37 Ein Symposion ermöglicht also ein uneingeschränktes und damit intensiviertes Erleben der momentanen Situation. Bei der Untersuchung jeder Symposionsszene soll daher darauf geachtet werden, wie bzw. ob dieses verdichtete Erleben innerhalb der sympotischen Gruppe dargestellt wird und wenn ja, inwiefern es jeweils von Nutzen ist und für den Erzählverlauf funktionionalisiert wird. Ebenso ist zu überprüfen, ob in der Darstellung der Historien bei verschiedenen Völkern auch verschiedene Schwerpunkte in den Symposionsszenen erkennbar werden. Dabei steht die Historizität der einzelnen Szenen im Hintergrund und wird nur in wenigen Fällen thematisiert, wenn es für die Interpretation hilfreich ist. Auch der Rückgriff auf ähnliche Symposions- und Gastmahlszenen anderer literarischer Werke ist stark begrenzt. Denn im Vordergrund sollen die literarischen Funktionen der Symposions- und Gastmahldarstellungen im Text von Herodots Historien stehen. Um die Symposions- und Mahldarstellungen in Herodots Historien nach den genannten Kriterien systematisch analysieren zu können, werden sie nach Themenblöcken - d. h. gegliedert nach ihren Funktionen im Text - untersucht. 38 Einige Gastmahl- und Symposionsszenen vereinen mehrere Funktionen, sodass Überschneidungen in ihren Darstellungen vorliegen. Die Nebenfunktionen beeinflussen nicht die Einteilung, sollen aber bei den Inter- 36 Vgl. dazu Rösler (1995, S. 108): „ A symposion was separated from everyday life. “ 37 Ebd.: „ [ … ] this illusion of a better reality leads to a higher state of consciousness which is characterized by just the opposite of forgetting, that is full understanding and unrestrained communication. “ Vgl. auch Murray (2009, S. 516): „ the true aim of the symposion was rather a measured release from inhibitions in a communal setting, leading to a form of heightened consciousness [ … ]. “ Siehe dazu insgesamt die Ausführungen in Kap. 2.2 (bes. Kap. 2.2.3.4, Kap. 2.2.3.6 sowie die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6). 38 Auch Pütz (2007) untersucht die Symposia bei Aristophanes nach thematischer Gliederung, wobei diese im Gegensatz zu der hier gewählten, nach Funktionen eingeteilten Thematik durch die Umstände, die das Bankett jeweils ermöglichen, beeinflusst wird (vgl. Pütz [2007], S. ix). 1.2 Methodisches Vorgehen 23 <?page no="24"?> pretationen berücksichtigt werden; einige Szenen müssen daher zum Teil mehrmals aufgegriffen werden. Um erkennen zu können, wie sich die dargestellten Gastmähler und Symposia zu den gewöhnlichen Normen und Regeln verhalten, steht zu Beginn der gesamten Untersuchung ein Kapitel mit grundlegenden Analysen zu Gastfreundschaft und Symposion (Kapitel 2). Dort werden die Maßstäbe festgelegt, anhand derer Übereinstimmungen und Abweichungen von den zu erwartenden Konventionen in den Gastmahl- und Symposionsszenen in Herodots Historien identifiziert werden können. Eine grundlegende Untersuchung darüber, welche gastfreundschaftlichen Rechte und Pflichten in der Darstellung der Historien bestehen (Kapitel 2.1), ist für die hier vorliegende Arbeit entscheidend, da Gastfreundschaft in direktem Zusammenhang mit antiken Gastmählern steht und damit eine der Grundvoraussetzungen für die dortige erholsame und entspannte Atmosphäre bildet. Der Text in Herodots Historien arbeitet im Bereich der Gastfreundschaft nicht mit Fremdwörtern, sondern verwendet stets Begriffe der griechischen Sprache, auch wenn er von gastfreundschaftlichen Beziehungen fremder Völker spricht. Zudem werden in den Historien keine Divergenzen zwischen Gastfreundschaften innerhalb und außerhalb Griechenlands explizit beschrieben, sodass für die Historien das griechische Verständnis von Gastfreundschaft anzunehmen ist. Eine Beschränkung auf deren grundlegende Analyse erscheint daher für die hier unternommene Untersuchung der Gastmahl- und Symposionsszenen gerechtfertigt. Indem dabei herausgearbeitet wird, ob bzw. inwiefern bei Herodot die gängigen gastfreundschaftlichen Konventionen des antiken Griechenlands ersichtlich werden, soll geprüft werden, ob sich Herodots Historien als Dokument für den Entwickungsprozess der Gastfreundschaft eignen. 39 Bei der anschließenden Analyse des Symposions (Kapitel 2.2) geht es zunächst um die Untersuchung von Normen und Regeln eines ‚ typisch ‘ griechischen Symposions des 5. Jh. v. Chr. mit Blick auf Ablauf, Unterhaltungsformen, Teilnehmer, Weinkonsum, die äußere Umgebung und innere Atmosphäre. 40 Denn das idealtypische griechische Symposion des beginnenden 39 Dazu, dass die Entwicklung der Polisstrukturen zu einer Veränderung der gastfreundschaftlichen Verbindlichkeiten führte, vgl. Herman (1987), bes. S. 1 - 6; siehe dazu in der vorliegenden Arbeit S. 59 - 61 mit Verweisen. 40 Abzugrenzen von den hier als ‚ typisch ‘ griechisch bezeichneten Symposia sind die öffentlichen Gemeinschaftsmähler, wie es sie auf Kreta und in Sparta (vgl. dazu Schmitt Pantel [1992], S. 59 - 76; Runding [1996], S. 205 - 211; zu den spartanischen Syssitia siehe auch die Ausführungen in Kap. 2.2.2), aber auch in Athen gab (vgl. dazu Schmitt Pantel [1992], bes. S. 117 - 252; Steiner [2002]). 24 1 Einführung <?page no="25"?> 5. Jh. v. Chr. soll als Maßstab angenommen werden, anhand dessen die dargestellten Vorgänge in den Symposionsszenen in Herodots Historien beurteilt werden. Da das Symposion auch als Versammlungsort von Hetairien eine wichtige Rolle spielt, soll an dieser Stelle zudem die Verwendung des Hetairos- Begriffs in Herodots Historien untersucht werden. Der Schwerpunkt dieser grundlegenden Analyse liegt also nicht auf dem gesamten Gastmahl, sondern bewusst auf dem Abschnitt des Symposions. Zwar findet auch der erste Teil eines Gastmahls, das Deipnon, dabei Beachtung, dieses steht aber, da es in den literarischen Darstellungen - wie auch in Herodots Historien - meist nur kurz erwähnt wird, im Hintergrund der Untersuchung. 41 Auch der Terminologie von Essen und Trinken in Herodots Historien ist ein Abschnitt in dieser Voranalyse gewidmet. Hier werden Begriffe, die in den Historien für Nahrungsaufnahme, Trinken, Mahl, Trinkgelage und Bewirtung verwendet werden, im Hinblick auf ihre Bedeutungsnuancen analysiert. Auf diese Ausführungen kann in den einzelnen Szenen bei Bedarf verwiesen werden. In Kapitel 3 und 4 folgen die Untersuchungen der Symposions- und Mahlszenen nach thematischer Gliederung. Dabei werden sie in zwei große Kategorien eingeteilt analysiert. In die erste Kategorie (Kapitel 3) gehören zum einen diejenigen Gastmahl- und Symposionsszenen, die als Rahmenhandlung eine Unterhaltung kontextualisieren (Kapitel 3.1), zum anderen gehört die einzige Szene, bei der der Text der Historien ein Symposion als Ort für eine Beratung darstellt, hinzu (Kapitel 3.2); als Drittes schließlich zählen zu dieser Katergorie all die Symposionsszenen, bei denen das intensivierte Erleben durch die sympotische Atmosphäre für die Beschäftigung mit dem Umgang der menschlichen Endlichkeit entscheidend ist (Kapitel 3.3). In dem zweiten, umfangreicheren Kapitel der Szenenanalysen (Kapitel 4) werden all diejenigen Bankettszenen untersucht, die auf illustrative oder aktive Art und Weise auf die Handlung der Historien einwirken. Hier ist zunächst zu zeigen, inwiefern Symposion und Mahl in den Historien als Illustrationsmittel fungieren (Kapitel 4.1). Anschließend werden in diesem Kapitel die in den Historien dargestellten Mähler und Symposia untersucht, die aktiv auf den Erzählverlauf wirken und so verwendet werden, dass eine Handlung in Bewegung gesetzt oder einen Plan verwirklicht werden kann (Kapitel 4.2). 41 Vgl. dazu die Ausführungen und Verweise in Kap. 2.2.3.1. 1.2 Methodisches Vorgehen 25 <?page no="26"?> Innerhalb dieser Gliederung werden die einzelnen Mahl- und Symposionsdarstellungen jeweils für sich untersucht. Dabei sollen vor allem folgende Fragen Beachtung finden: 42 1. Mit Blick auf die Funktionsmechanismen: In welchem Kontext findet die Szene statt? Wie verläuft das Bankett? Wie endet es? Welche Personen nehmen daran teil? Findet ein Gespräch statt? Wenn ja, wer spricht mit wem über welches Thema? Warum sind manche Details oder ganze Abläufe nicht beschrieben? Welche Vorgänge hebt der Text auf welche Weise hervor? Welche Erkenntnisse über den Ablauf lassen sich anhand der Terminologie ermitteln? Wird an anderer Stelle der Historien auf dieses (Gast-)mahl Bezug genommen? Welche Momente sind auf welche Weise hervorgehoben? Wieso ist als Setting ein Symposion gewählt? Welche Rolle spielt dabei das dortige intensivierte Erleben? 2. Mit Blick auf kulturelle Gewohnheiten und Konventionen: Wie ist der Ablauf des Mahls oder Symposions geschildert? Geht dem Symposion ein Mahl voraus? Werden Regeln und Gewohnheiten erwähnt? Werden sie als bekannt vorausgesetzt? Ist die äußere Szenerie beschrieben? Wie viele Personen und welchen Geschlechts nehmen teil? Haben die teilnehmenden Personen denselben kulturellen Hintergrund? Wie werden die Verhaltensweisen im Text bewertet? Kommt es zu Missverständnissen? Wie ist der Umgang zwischen den Personen geschildert? Welche Stimmung ist vorherrschend? Gibt es inhaltliche oder terminologische Verbindungen zu anderen Banketten in Herodots Historien? Diese Leitfragen sollen jeweils angepasst an die Darstellung der Mahl- und Symposionsszenen bei deren Analysen angewendet werden. Damit die Ergebnisse daraus nach jedem Unterkapitel gesichert werden, folgt jeweils ein Zwischenfazit. Am Ende der Untersuchung werden die Ergebnisse in einem Gesamtfazit zusammengefasst. In der vorliegenden Arbeit wird bei der Umschrift der griechischen Wörter in lateinischen Buchstaben stets die attische Variante verwendet. So werden z. B. die Gastfreundschaft als Xenia und der Gastfreund bzw. Fremder als Xenos ausgedrückt, wohingegen in griechischer Schrift die ionischen Formen ξεινίη bzw. ξεῖνος wie im Text von Herodots Historien verwendet werden. 42 Pütz (2007, S. x - xi) nimmt ihre Analyse ebenso anhand solcher Fragen vor, die ebenfalls das Symposion betreffen, sodass die grundlegenden Orientierungsfragen der vorliegenden Arbeit mit einigen von Pütz ’ Fragen übereinstimmen. Allerdings werden die Fragen aufgrund der unterschiedlichen Themen- und Analyseschwerpunkte unterschiedlich erweitert. 26 1 Einführung <?page no="27"?> 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen 2.1 Die Gastfreundschaft Zu Beginn der grundlegenden Analysen soll nun herausgearbeitet werden, welche gastfreundschaftlichen Verpflichtungen zwischen Gast und Gastgeber im antiken Griechenland bestehen und inwiefern diese Verpflichtungen auch für die soziale Praxis gelten, die der Text in Herodots Historien entwirft. Nach einer terminologischen Untersuchung der Begriffe Xenos und Philos und deren Verwendung in den Historien möchte ich einen kurzen Überblick über die Grundlagen der griechischen Gastfreundschaft geben, wobei der Schwerpunkt darauf liegen soll, inwiefern diese Grundsätze auch bei Herodot umgesetzt sind. Für die Untersuchung der Gastmahlbzw. Symposionsszenen soll durch diese Analyse gewährleistet werden, dass mit dem in Herodots Historien gültigen Begriff von Gastfreundschaft, Xenia, gearbeitet wird. 2.1.1 Xenos, Xenia, Philos, Philia in der griechischen Sprache und sozialen Praxis Die zentralen Begriffe der griechischen Sprache, um eine gastfreundschaftliche Verbindung auszudrücken, sind Xenos und Xenia. Daneben findet sich die mit Philia bezeichnete Freundschaft, die von Xenia abzugrenzen ist. Ich möchte zunächst die Terminologie von Xenia bzw. Xenos und Philia bzw. Philos klären. Anschließend überprüfe ich, inwiefern sich die Ergebnisse aus den terminologischen Untersuchungen mit der sozialen Praxis in der Darstellung von Herodots Historien decken oder davon abweichen. Da diese Freundschaftsbegriffe häufig im Kontext von militärischen Bündnissen verwendet werden, soll auch diese Bedeutungsnuance von Xenia, aber auch von Philia, im Anschluss untersucht werden - ebenso in erster Linie mit Bezug auf die Darstellung in Herodots Historien. Außerdem gilt es zu untersuchen, inwiefern die Institution der Proxenie mit Gastfreundschaft in Verbindung steht und welche Bedeutung mit der Bezeichung Proxenos in Herodots Historien verbunden ist. Denn nur in einer umfassenden Analyse ist es möglich, die Verwendung von Xenos und Xenia in den Historien in all ihren Bedeutungsnuancen zu verstehen. Abschließend sollen unter diesem Punkt alle Textstellen <?page no="28"?> aus Herodots Historien, an denen die Begriffe Xenos oder Xenia verwendet werden, nach ihren Bedeutungen systematisiert werden. 2.1.1.1 Terminologie Um Xenos und Xenia richtig verstehen zu können, muss zunächst deren Terminologie geklärt werden. Die Gastfreundschaft wird in Herodots Historien durch die ionische Form ξεινίη (att. = ξενία ) ausgedrückt. 43 Ξεινίη wiederum steht in enger Verbindung zu ξεῖνος (att. = ξένος ), mit dem die Akteure einer Gastfreundschaft bezeichnet werden. Doch die Schwierigkeit besteht darin, dass Xenos darüber hinaus ein Bedeutungsspektrum abbildet, wofür es im Deutschen keine exakte Entsprechung gibt. Neben der Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ kann Xenos auch im Speziellen ‚ Gastgeber ‘ oder ‚ Gast ‘ ausdrücken. 44 In erster Linie aber wird mit Xenos ein Fremder bezeichnet, also eine Person, die aus einer anderen Umgebung kommt. 45 Offensichtlich gibt es in der griechischen Sprache keinen eindeutig semantischen Gegensatz zwischen ‚ Fremder ‘ und ‚ Gast ‘ und daraus folgend auch in ihrer Kultur und Lebenspraxis eine starke 43 In Homers Epen wird die gastfreundschaftliche Verbindung in erster Linie durch φιλότης ausgedrückt, „ mit dem die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, im Rahmen des Gastfreundschaftsrituals auch die Darreichung von Gaben, die diese Bindung bekräftigen, bezeichnet wird “ (Wagner-Hasel [2000], S. 81). Ξεινία und ξεινοσύνη treten nur „ in den letzten Gesängen der Odyssee in Erscheinung “ (ebd.). Ξεινοσύνη wird in Herodots Historien nicht verwendet. Φιλότης bezeichnet generell „ Bindungsverhältnisse “ (ebd., S. 122) im Epos, worunter auch die Gastfreundschaft zählt (siehe dazu ebd., S. 122 - 130). In den Historien tritt φιλότης zwar dreimal auf (I, 172.1 / zweimal in II, 181.1), allerdings grenzt sich dieser Begriff in seiner Bedeutung von dem Begriff Xenia in den Historien ab, mit dem der Text die gastfreundschaftliche Verbindung umschreibt: In I, 172.1 handelt es sich um eine Beziehung zwischen Karern, die sich zum gemeinsamen Trinken treffen (für genauere Details dazu siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1). Darin weicht sie von der gewöhnlichen griechischen Gastfreundschaft ab, die zwischen Personen unterschiedlicher Gruppen geschlossen wird (siehe dazu Kap. 2.1.1.2.1). In II, 181.1 drückt φιλότης zusammen mit συμμαχία sogar ein Freundschaftsbündnis aus (vgl. dazu Anm. 86). Die Bedeutung ‚ Gastfreundschaft ‘ ist in Herodots Historien also nicht mehr durch φιλότης ausgedrückt. 44 Siehe dazu Schmidts Artikel zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ Fremder, Gast, Gastgeber, Gastfreund - ein Fremder [ … ] wird ‘ Einheimischen ’ (z. B. ἔνδημος ) gegenübergestellt [ … ]; ein in friedlicher Absicht kommender Fremder als Gast einem Feind [ … ] - nie aber heißt ξ . ‚ Feind ‘ [ … ]. “ Zum Bedeutungsfeld von Xenos siehe auch Herman (1987), S. 11/ Anm. 5, Konstan (1997), S. 33 f., Basile (2016b), S. 78 - 80 sowie Kap. 2.1.1.1 und - im Speziellen für Herodots Historien - Kap. 2.1.1.3. 45 Siehe dazu Schmidt zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 463: „ξ . nicht primär ‚ Gast ‘ , sondern ‚ Fremder ‘ , [ … ] Desw. Abl. aus *g h se-nu- ‚ der von draußen, drüben ‘ (F. Bader, BSL 77, 2, 1982, 141) sem. passend “ ; zur Bedeutung von Xenos als ‚ Fremder ‘ aus einer fremden Umgebung vgl. auch Anm. 55. 28 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="29"?> Verbindung zwischen Fremdheit und Gastfreundschaft. 46 Dieser Zusammenhang spiegelt sich in der Verpflichtung wider, Fremde aufzunehmen und zu bewirten, was die Fremden sozusagen automatisch zu Gästen machte. 47 Fremdheit begegnete man also mit Gastfreundschaft, wobei die aufgenommenen Gäste nach dem terminologischen Verständnis immer auch ein wenig fremd blieben. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es im Griechischen mit ξεινίζειν einen Ausdruck gibt, durch den wortwörtlich ‚ jemanden zum Gast machen ‘ ausgesagt wird. 48 Damit allerdings ist keine emotionale Komponente verbunden, sondern es handelt sich eher um einen verpflichtenden Vorgang. 49 Im Gegensatz zu Xenos bezeichnet Philos etwas, das zu einem gehört oder einem lieb ist. Dabei kann es sich um Gegenstände wie um Menschen handeln. Während die Begriffe Xenia bzw. Xenos - selbst in der Bedeutung ‚ Gastfreund(-schaft) ‘ - also immer auch Distanz vermitteln, sind Philia bzw. Philos dazu terminologisch ‚ entgegengesetzt ‘ und drücken eine Zugehörigkeit aus, was allein schon daran ersichtlich wird, dass φίλος im Epos auch als Possessivpronomen eingesetzt wurde. 50 46 Vgl. Basile (2016a), S. 230/ Anm. 1; Basile (2016b), S. 79 f. 47 Siehe dazu Schmidt zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ unbekannte Fremde werden wie Bettler [ … ], Landstreicher [ … ] beschrieben oder wie Schutzflehende [ … ] angesehen; freundlich aufgenommen, gastlich bewirtet, (auch mißtrauisch) nach Namen und Grund des Kommens befragt, soweit möglich beschenkt, geschützt und, wenn nötig, nach Hause geleitet [ … ], ist bzw. wird der Fremde Gast, oft mit Ausdruck der Zugehörigkeit: ‚ mein Fremder ‘ = ‚ mein Gast ‘ . “ 48 Siehe dazu Schmidt zu ξεινίζειν in LfgrE, vol. 3, Sp. 461: „ einen bewirten, zum Gast machen, Gastfreundschaft gewähren, ξ . beschreibt abstrakt das, wodurch ein Fremder zum Gast wird: das Angebot bzw. das Reichen von Speise und Trank und - wenn nötig - eines Nachtlagers (Tisch und Bett als Kernbestand des Bewirtens). “ Zur Verwendung von ξεινίζειν in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.9. 49 Siehe dazu Schmidt zu ξεινίζειν in LfgrE, vol. 3, Sp. 461: „ Neben dem eher neutralen Ausdruck ξ . steht mehrfach φιλεῖν [ … ], das stärker die darin zum Ausdruck kommende Herzlichkeit bzw. die dadurch entstehende Freundschaft ausdrückt. “ 50 Siehe dazu Langholfs Artikel zu φίλος in LfgrE, vol. 4, Sp. 932: „ Die Bed. von φ . [ … ] oszilliert zw. einers. zugehörig, eigen, angemessen u. anderers. lieb; oft lässt φ . sich durch Poss.-Pr. wiedergeben [ … ], insbes. wo es [ … ] auf ein Körperteil [ … ] bezogen ist. Die Übers. lieb ist hier bisweilen sinnwidrig oder bizarr, was deutsche native speakers allerdings kaum als anstößig empfinden, weil das Wort ‚ lieb ‘ im Deutschen eigene, ähnl. idiomat. Verwendungsweisen hat. “ Ebd., Sp. 933: „ Der Versuch jedoch (Landfester, s. L), sämtliche Textstellen, die attr. Gebr. aufweisen, i. S. v. Poss.-Pron. zu verstehen, geht - wenngleich heurist. nützl. - zu weit: Ausdrücke wie χεῖρα ην usw. enthalten neben dem Begr. der ‚ poss. ‘ Zugehörigk. auch ein qualitativ bestimmendes Element i. S. v. Zuverlässigkeit, Kraft u. ä. [ … ]; φ . ist also zugleich ‚ poss. ‘ zuordnend und qualitativ beschreibend (Epith. ornans). Beide Deutungen schließen einander prinzipiell nicht aus. “ Zur Etymologie von φίλος siehe Frisk (1991), S. 1019 f.; Frisk betont allerdings: „ Eine überzeugende und ganz einwandfreie Etymologie fehlt “ (ebd., S. 1019). Für φίλος sei „ von einem objektiv-sozialen 2.1 Die Gastfreundschaft 29 <?page no="30"?> Im Laufe der Zeit öffnete sich der Begriff ξεῖνος auch für weitere Bedeutungsfelder. Aus terminologischer Sicht überrascht es nicht, dass Xenos im Zeithorizont Herodots auch für ‚ Söldner ‘ eingesetzt wurde. Auf diese Weise wird die Fremdheit eines Soldaten hervorgehoben, der für ein ihm fremdes Land kämpft. 51 An dem Bedeutungsbereich Gastfreundschaft orientiert sich dagegen die Bezeichnung Proxenos. Denn dieser kümmert sich wie bei einer gastfreundschaftlichen Beziehung um die Belange der Fremden einer Stadt. Er wird im übertragenen Sinn sozusagen zum Gastgeber der Stadt. 52 2.1.1.2 Xenia und Philia in der sozialen Praxis Terminologisch betrachtet stehen sich Philia und Xenia antithetisch gegenüber. Während Philia eine Zugehörigkeit ausdrückt, ist es Fremdheit, die Xenia abbildet. Nun möchte ich untersuchen, ob diese terminologische Gegenüberstellung von Xenia und Philia auch im ‚ praktischen ‘ Leben vorherrscht und inwiefern dies für die soziale Praxis gilt, die der Text in Herodots Historien entwirft. Dabei soll exemplarisch herausgearbeitet werden, inwiefern die sozialen Praktiken, die aus Xenia bzw. Philia in der Darstellung der Historien resultieren, auf den Handlungsverlauf Einfluss nehmen. 2.1.1.2.1 Xenos und Philos - ein Gegensatz? Xenia besteht zwischen Individuen unterschiedlicher Gruppen. 53 Diese Gruppen definieren sich in unterschiedlichen Zeitaltern neu. In den griechischen Poleis wurde eine Gruppe durch die Stadtgrenzen definiert: Angehörige verschiedener Demen innerhalb Athens bezeichneten sich nicht als Xenoi. 54 Sobald zwei Personen allerdings durch Stadtgrenzen getrennt waren, war es möglich, dass sie untereinander Gastfreundschaft schlossen. 55 Begriff ‚ eigen, zugehörig ‘ und nicht von einer subjektiv-gefühlsmäßigen Vorstellung ‚ lieb ‘ auszugehen “ (ebd., S. 1019 mit Literaturverweisen), sodass er die „ formal mögliche Anknüpfung an ein kelto-germanisches Adj. für ‚ angemessen, gut usw. ‘“ (ebd., S. 1019 f.) verwirft. Demnach stehen die Bedeutungen von φίλος im Vordergrund, die Zugehörigkeit beschreiben, sodass die Fortentwicklung des Bedeutungsfeldes in ‚ lieb, freundlich ‘ vor diesem Hintergrund verstanden werden muss. 51 Für die Bedeutung von Xenos als ‚ Söldner ‘ in Herodots Historien siehe Kap. 2.1.1.3.4. 52 Vgl. πρόξενος in LSJ, S. 1491 f.: „ public ξένος , public guest or friend, made so by an act of the State “ ; vgl. zum Proxenos die Ausführunten in Kap. 2.1.1.2.3. 53 Vgl. Herman (1987), S. 11 f. 54 Vgl. Herman (1987), S. 11 f. Herman (1987, S. 11) betont, dass es auch ein Widerspruch in sich wäre, würden sich Freunde, die in der gleichen Gruppe wie z. B. in einer Stadt leben, als Xenoi bezeichnen. Schließlich ist die Grundbedeutung von ξένος ‚ Fremder ‘ ; siehe dazu Kap. 2.1.1.1. 55 Vgl. Herman (1987), S. 11 f.; Bruit Zaidman (1990), S. 170; Konstan (1997), S. 83; dazu auch Schmidt zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ Ein ξ . ist immer Gast von außerhalb, nicht aus 30 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="31"?> Die Voraussetzungen zwischen Xenoi sind aufgrund der unterschiedlichen Ausganssituationen aber durchaus andere als die zwischen Philoi. Gabriel Herman fasst den Unterschied zwischen der Freundschaft „ in the normal Greek sense of the term “ 56 und der ritualisierten Freundschaft, zu der sich auch Xenia rechnen lässt, 57 folgendermaßen zusammen: 58 Diese ‚ normale ‘ Freundschaft bestehe meist zwischen Individuen aus demselben sozialen System, die sich die gleichen Werte teilen. Das Vertrauen entstehe hier durch einen langen Prozess von Interaktion und immer größer werdender Intimität. 59 Dazu komme, dass diese Beziehungen auf permanenter Interaktion beruhen. 60 Bei der ritualisierten Freundschaft dagegen werde die Intimität durch einen abrupten rituellen Akt gebildet. 61 Für die Entstehung einer dauerhaften Xenia werden Rituale durchgeführt, eine reine Bewirtung allein reicht dafür nicht aus. 62 Ein längerer sozialer Umgang ist dagegen nicht nötig. 63 Aufgrund der oft großen Entfernung, die zwischen den beiden Xenoi besteht, ist dies ohnehin kaum möglich. Zudem verhindert der räumliche Abstand der Xenoi, dass auf den jeweils anderen Druck ausgeübt werden kann, um diesen vom sofortigen Kommen und Unterstützen zu überzeugen oder um selbst schnelle Hilfe zu gewährleisten. 64 Die Entfernung der beiden Xenoi findet man in der terminoder eigenen Gemeinde (vgl. s. v. γείτων ). “ Daher ist ein Xenos auch dem ἀστός als Bürger entgegengesetzt (vgl. dazu III, 8.2; Asheri et al. [2007] S. 407). Nesselrath (2005, S. 94) weist speziell für Herodots Historien darauf hin, dass dort ξεῖνος oft im Gegensatz zu πολίτης oder ἄστος verwendet wird, um die „ Nicht-Zugehörigkeit “ der Xenoi auszudrücken. Da es sich dabei um eine hinzugewonnene Nuance des Begriffs Xenos gegenüber Homers Gebrauch von Xenos handele, werde auch sichtbar, dass „ das Bewusstsein der Fremdheit von Fremden gegenüber der homerischen Zeit um die Mitte des 5. Jh.s v. Chr. merklich zugenommen hat “ (Nesselrath [2005], S. 94). 56 Herman (1987), S. 29. 57 Vgl. ebd., S. 33/ Anm. 73. 58 Ebd., S. 29 f. 59 Dass für die Enstehung von Philia ein längerer Zeitraum nötig ist, siehe auch Konstan (1997), S. 74. 60 Herman (1987), S. 29. Siehe dazu auch Langholfs Artikel zu φίλος in LfgrE, vol. 4, Sp. 933: „ Der Bed.entw. von φ . liegt ein bekanntes psychol. Phänomen zu Grunde: Vertrautheit (durch Umgang, Besitz od. gewohnheitsmäßige Nutzg.) einers. u. anderers. Liebe zu dem, was man besitzt od. nutzt [ … ], bedingen sich gegenseitig “ . 61 Herman (1987), S. 29 f. 62 Vgl. ebd., S. 66. Zu diesen Ritualen siehe ebd., S. 41 - 72 und dort besonders S. 58 - 69; dazu zählt auch der Austausch von Geschenken, wodurch die Gegenseitigkeit der Gastfreundschaft abgebildet wird (siehe dazu Kap. 2.1.2.2 mit den Literaturhinweisen in Anm. 151). Zu den Ritualen, die in Homers Epen beschrieben werden, wenn es zu gastfreundschaftlichen Aufnahmen kommt, siehe Wagner-Hasel (2000), S. 112 - 117. 63 Vgl. Herman (1987), S. 29 f. 64 Vgl. ebd., S. 31. 2.1 Die Gastfreundschaft 31 <?page no="32"?> logischen Bedeutung von ξένος als ‚ fremd ‘ wieder, die Zugehörigkeit der ‚ gewöhnlichen ‘ Freunde dagegen in der ursprünglich possessiven Konnotation von φίλος . 65 Für Xenoi ist es daher in erster Linie eine mit der Gastfreundschaft verbundene Verpflichtung, die sie zum Agieren für ihre Gastfreunde drängt und aus der auf Initiationsriten fundierten Gastfreundschaft entspringt. 66 Denn eine emotionale Bindung liegt hier zunächst nicht notwendigerweise vor. 67 Freunde, die nicht aus einer gastfreundschaftlichen Beziehung hervorgegangen sind, handeln dagegen aufgrund der sozialen Verpflichtung und aus Wohlwollen so, dass es ihren Angehörigen gut geht. 68 Daran wird ein Prinzip menschlicher Natur sichtbar, das schon bei Homer gilt: Genugtuung für sich selbst zu finden, indem man Freunden hilft und Feinden schadet. 69 Die eigenen Interessen können dabei in den Hintergrund treten. 70 Mit Blick auf die Fremdheit, die mit der Terminologie von Xenia bzw. Xenos ausgedrückt wird, lässt sich auch in Herodots Historien beobachten, dass eine Beziehung, die dort durch Xenia bzw. Xenos umschrieben wird, fast ausschließ- 65 Siehe dazu Kap. 2.1.1.1. 66 Vgl. Herman (1987), S. 120. 67 Vgl. ebd., S. 17. Herman schreibt dort: „ ritualised friends were not supposed to love each other, but to behave as if they did “ ; und verweist dabei auf die in den Historien beschriebene gastfreundschafltiche Beziehung zwischen Amasis und Polykrates (II, 182.2 / III, 39.2 / III, 43.2), die zustande kommt, obwohl sie sich nie getroffen haben. Ihre Xenia wurde wohl durch Briefe von befugten Abgesandten vermittelt (siehe dazu König [1989], S. 327, S. 332; Kaplan [2016], S. 140). 68 Vgl. Blondell (1989), S. 31 - 38, bes. S. 35 f.; dies wird an zwei Stellen in Herodots Historien besonders deutlich: So versuchen z. B. neben Polykrates ’ Tochter (III, 124.2) auch seine Philoi, ihn vergeblich von der verhängnisvollen Reise zu Oroites abzuhalten (III, 124.1; siehe dazu Kap. 4.1.2.2), und Miltiades ’ Philoi werden zu seinen Anwälten vor Gericht wegen des gescheiterten Unternehmens auf Paros, indem sie intensiv an seine Erfolge bei Marathon und auf Lemnos erinnern (VI, 136.2).; für Athen weist Konstan (1997, S. 87 f.) auf einen besonderen Dienst der Philoi hin. So wurden sie so auch zu „ informal arbitrators “ (Konstan [1997], S. 87), um bei einem Streit, in den ihre Philoi verwickelt waren, zu schlichten. Niemals aber sollten Philoi zu Anklägern ihrer Philoi werden (vgl. Konstan [1997], S. 88; dazu auch Blondell [1989], S. 50 f.). Das aber bedeutet wiederum nicht, dass Philoi nicht ihre Meinung sagen dürfen. Keineswegs darf Schmeichelei nämlich einen längerfristigen gegenseitigen Nutzen zwischen den Philoi behindern (vgl. Blondell [1989], S. 36). 69 Vgl. Gehrke (1987), S. 132 f.; Blondell (1989), S. 26 - 31; auch Fisher (2002, S. 209) betont, dass sich Freunde gegenseitig unterstützen sollen und verweist dabei u. a. auf die Regeln der Charis, die dies einfordern (vgl. Blondell [1989], S. 33). Entsteht oder besteht Feindschaft, hat das genau das gegenteilige Handeln zur Folge: „ rules of ‘ negative reciprocity ’ or revenge take over “ (Fisher [2002], S. 209). 70 Vgl. Blondell (1989), S. 35. Konstan (1997, S. 53) bezeichnet die Beziehung zwischen Philoi als Band der freiwilligen Zuneigung und des gegenseitigen Wohlwollens. 32 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="33"?> lich zwischen zwei Personen aus unterschiedlichen Gegenden besteht. 71 Im Gegenteil dazu kann durch Philos oder Philia sowohl eine Beziehung zwischen zwei Personen, die aus derselben Umgebung stammen und leben, ausgedrückt werden (z. B. I, 97.2 / II, 90.2 / II, 161.4 / II, 173.2+4 / zweimal in III, 8.2 / III, 82.4 / III, 124.1 / IV, 73.1 / V, 5.1 / V, 70.2 / VI, 61.2+5 / VI, 136.2 / VII, 39.1) als auch zwischen entfernt lebenden bzw. Personen mit unterschiedlicher Herkunft (z. B. zweimal in I, 6.2 / zweimal in I, 35.4 / I, 53.1+3 / I, 56.1 / zweimal in I, 69.2 / I, 70.1 / I, 87.3 / III, 21.1+2 / III, 40.2 / III, 49.1 / V, 24.3 / V, 30.5 / VII, 130.3 / VII, 135.2 / VII, 151 / VII, 152.1 / VIII, 90.4 / VIII, 140 β .4 / VIII, 143.3 / IX, 4.2). Es zeigt sich folglich, dass die terminologische Komponente des Fremden in Xenos auch in den Historien stets mitklingt, selbst in der Bedeutung ‚ Gast ‘ , ‚ Gastgeber ‘ oder ‚ Gastfreund ‘ . Philos dagegen drückt auch bei Herodot die Zugehörigkeit unabhängig von der örtlichen Nähe aus und erfüllt damit auch in der sozialen Praxis seine nach der Terminologie possessive Bedeutungsnuance. In Herodots Historien werden Philos und Xenos also nach dem üblichen Sprachgebrauch verwendet. Trotz dieser Unterschiede, die auch in der antithetischen Terminologie erkennbar sind, gibt es Überschneidungen in den Bedeutungsfeldern eines Xenos und eines Philos. Denn sowohl für Xenoi als auch für Philoi sind Vertrauen und gegenseitige Hilfe wesentlich. Philoi erhoffen für ihre Freunde einerseits generell Gutes und unterstützen sich, sodass andererseits nicht geleistete Hilfe auf ein feindseliges Verhalten hindeutet. 72 Aber auch Xenoi als Gastfreunde können sich vertrauensvoll auf die Unterstützung ihrer Xenoi verlassen. Denn schließlich sind sie dazu aufgrund ihrer Gastfreundschaft verpflichtet. 73 Es handelt sich also jeweils um Beziehungen, die auf Treue basieren, auch wenn diese durch unterschiedliche Beweggründe hervorgerufen werden können. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Xenia häufig als eine 71 Das trifft auf alle Textstellen mit Xenos und Xenia in den Historien zu. Eine Systematisierung dieser Stellen nehme ich im Kap. 2.1.1.3 vor. Die einzigen Ausnahmen finden sich in IV, 65 und V, 92 η : In IV, 65.2 umschreibt der Text Gäste bei Skythen als Xenoi, wobei er deren Herkunft offen lässt, und in V, 92 η .4 erwähnt er einen Xenos (bzw. nimmt bereits in V, 92 η .2 durch das Adjektiv ξεινικός auf diesen Bezug), über dessen Herkunft der Text keine näheren Details bekannt gibt. So bleibt es unklar, ob es sich um einen Fremden oder Gastfreund handelt, und auch, woher dieser mögliche Gastfreund stammt. Zu VI, 57.2, wo das Sonderrecht der spartanischen Königen erwähnt wird, jeden beliebigen Bürger zum Proxenos zu machen, siehe Kap. 2.1.1.2.3. 72 Vgl. dazu Konstan (1997), S. 57 f. 73 Zur Verpflichtung durch Gastfreundschaft siehe Herman (1987), S. 118 - 128 sowie Kap. 2.1.2.2. 2.1 Die Gastfreundschaft 33 <?page no="34"?> Art von Philia bewertet wird. 74 Allerdings kann dies nur für die soziale Praxis gelten, denn in ihrer ursprünglichen kulturellen Genese stehen sich Xenia und Philia antithetisch gegenüber. 75 Auch in der Darstellung der Historien zeigt sich, dass gegenseitige Treue eine der Grundvoraussetzungen für Freundschaft ist, die durch Philia ausgedrückt wird. So macht der Text z. B. in II, 161.4 deutlich, dass Philoi miteinander treu verbunden sind und am Schicksal ihrer Freunde Anteil nehmen: Nach der Niederlage im Kampf gegen Kyrene fallen die Ägypter von ihrem König Apries ab, da zum einen die Heimkehrer und zum anderen eben auch die Freunde ( φίλοι - II, 161.4) der Gefallenen empört über Apries sind. Sie verdächtigen ihn, er habe sie ins offene Messer laufen lassen (II, 161.4). Aber Treue und Einsatz für seine Freunde sind auch in der Darstellung der Historien nicht nur mit Philia verbunden. Wenn die Geschehnisse rund um den Ausbruch des Ionischen Aufstandes geschildert werden, wird besonders deutlich, dass in Herodots Historien eine Philia-, aber auch Xenia-Verbindung, zu Argumenten werden können, wenn um Hilfe gebeten wird. Denn von Freunden erhofft man Unterstützung: So lässt sich Aristagoras darauf ein, den verbannten Naxiern zu helfen, die bei ihm als Vetter von Histiaios, der wiederum früher ihr Gastfreund (Xenos) war ( ξεῖνοι πρὶν ἐόντες τῷ Ἱστιαίῳ - V, 30.2), um militärische Unterstützung bitten. 76 Aristagoras möchte daraufhin wiederum 74 Vgl. Blondell (1989), S. 49; Konstan macht darauf aufmerksam, dass der Terminus Philos in der klassischen Periode häufig anstatt Xenos verwendet wird, um die Beziehungen zwischen persönlichen Freunden von fremden Gegenden auszudrücken (Konstan [1997], S. 83). 75 Siehe dazu Kap. 2.1.1.1. Es zeigt sich also, dass die strikte terminologische Bedeutung durch eine gegenteilige soziale Praxis von Zeit zu Zeit verdrängt wird. Der Text in Herodots Historien verwendet die Ausdrücke Philos und Xenos zwar keineswegs als Synonyme, aber sie schließen sich auch nicht aus. So treten in Herodots Historien Philos und Xenos oft in einer Verbindung auf, wie z. B. im Kontext der Gastfreundschaft zwischen Polykrates, dem Tyrannen von Samos, und dem ägyptischen König Amasis. Amasis bezeichnet Polykrates im Text als ἄνδρα φίλον καὶ ξεῖνον (III, 40.2). Auf diese Weise betont der Text, dass Amasis ’ Beziehung zu Polykrates über die rein rituelle Freundschaft der Xenia hinausgeht. Ein weiteres Beispiel für diese terminologische Verbindung findet sich in III, 21.1Kambyses schickt Ichthyophagen - wenn auch nur zum Schein (vgl. III, 17.2) - mit Geschenken zu den Aithiopiern. Dort angekommen richten sie dem Aithiopierkönig aus, Kambyses möchte sein Freund und Gastfreund ( βουλόμενος φίλος καὶ ξεῖνός τοι γενέσθαι - III, 21.1) werden. Dadurch, dass im Text Xenos und Philos also nicht unter einem Begriff zusammengefasst, sondern jeweils eigenständig angeführt werden, zeigt sich, dass ein Bedeutungsunterschied zwischen Xenos und Philos in den Historien gegeben ist. 76 Hier wird ersichtlich, dass die Pflichten der Gastfreundschaft, die zwischen Histiaios und den verbannten Aristokraten aus Naxos besteht, wegen Histiaios ’ Abwesenheit auf seinen Cousin Aristagoras übergeht. D. h. die gastfreundschaftliche Bindung geht nicht 34 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="35"?> seinen Philos Artaphernes ( Ἀρταφέρνης μοι τυγχάνει ἐὼν φίλος - V, 30.5) um Hilfe bitten, wodurch er sich selbst erhofft, die Herrschaft über Naxos zu erlangen (V, 30.3). Diesen Beweggrund verschweigt er vor den Naxiern und gibt stattdessen als vermeintlichen Grund für seine Unterstützung die Gastfreundschaft der Naxier zu Histiaios an ( σκῆψιν δὲ ποιεύμενος τὴν ξεινίην τὴν Ἱστιαίου - V, 30.3). Aristagoras reist also nach Sardes zu Artaphernes und hält eine Rede, die Artaphernes von einer Unterstützung der verbannten Naxier überzeugt (V, 31). Artaphernes bemüht sich nun um die Zustimmung von Dareios, die er auch erhält (V, 32.1). Die Hilfe der Perser für die verbannten Naxier wird also aufgrund einer komplizierten Argumentationskette von Freundschaftsverbindungen erreicht: Die Naxier hoffen auf ihren Gastfreund Histiaios, der gerade durch seinen Vetter Aristagoras vertreten wird. Aristagoras nimmt die Gastfreundschaft zum willkommenen Vorwand in der Hoffnung, mehr Macht für sich zu erlangen. Da Aristagoras Philos von Artaphernes ist, versucht er dort Hilfe zu bekommen. Diese wird ihm aufgrund seiner überzeugenden Argumentation zugesagt (V, 31.4). Denn er berichtet Artaphernes von den Vorzügen der Insel Naxos, die vor allem in ihrer Lage - nah an Ionien und anderen strategisch wichtigen Inseln - begründet liegen (V, 31.1 - 3). Die Freundschaft hilft Aristagoras zwar, überhaupt mit Artaphernes in Kontakt treten zu können, Grund für Artaphernes ’ Beistand aber sind letztlich dessen Argumente. Es zeigt sich also, dass mit Philia auch in Herodots Historien mit Ausnahme einer möglichen sozialen Verpflichtung kein Zwang von außen besteht, Gegenleistungen zu erbringen - im Gegensatz zu gastfreundschaftlichen Beziehungen. Dass man sich als Gastfreund auch dann nicht davon abschrecken lässt, sich für seinen Gastfreund einzusetzen, selbst wenn es für einen selbst negative Folgen haben könnte, wird an einer Episode ersichtlich, von der in den Historien kurz nach diesen Ereignissen erzählt wird. In V, 33 wird beschrieben, wie erst nach dem Tod auf die Nachkommen über (siehe dazu Anm. 154), sondern bereits während der Lebenszeit sind Verwandte in die Gastfreundschaft involviert (vgl. Herman [1987], S. 17, S. 22; Hiltbrunner (2005), S. 43; Basile [2016a], S. 241). So gelingt es Aristagoras seine persönlichen Beweggründe hinter dem Vorwand der Gastfreundschaft zu verstecken ( σκῆψιν δὲ ποιεύμενος τὴν ξεινίην τὴν Ἱστιαίου - V, 30.3). Auch eine Freundschaft, die nicht auf gastfreundschaftlichen Verpflichtungen beruht, wird von den Nachkommen weitergetragen (vgl. Blondell [1989], S. 47 f.). In Herodots Historien wird dies z. B. im Rahmen der Erzählung über die bedingungslose Aufnahme des mordbefleckten Adrastos bei Kroisos ersichtlich (I, 35). Kroisos erwähnt kurz nach Adrastos ’ Entsühnung und, nachdem Adrastos Gordias und Midas als seine Vorfahren genannt hatte, dass er Nachkomme von Freunden sei und es ihm gutgehen werde, solange er bleibt ( Ἀνδρῶν τε φίλων τυγχάνεις ἔκγονος ἐὼν καὶ ἐλήλυθας ἐς φίλους , ἔνθα ἀμηχανήσεις χρήματος οὐδενὸς μένων ἐν ἡμετέρου - I, 35.4). 2.1 Die Gastfreundschaft 35 <?page no="36"?> Aristagoras erneut für einen Gastfreund ( ξεῖνόν οἱ - V, 33.3) eintritt, für Skylax. Dieser ist Kapitän auf einem Schiff, mit dem Aristagoras sowie das von Artaphernes organisierte Heer zur Unterstützung in Richtung Naxos aufbrechen (V, 32). Feldherr dieses Zuges ist Megabates. Von diesem Megabates nun wird der Kapitän Skylax bestraft, auf dessen Schiff die Wachposten fehlten. Skylax wird gefesselt und durch das Ruderloch des Schiffs gesteckt (V, 33.2). Aristagoras kommt seinem Gastfreund zur Hilfe und befreit ihn schließlich selbst, als er mit seiner Fürsprache alleine bei Megabates nichts bewirken konnte (V, 33.3). Daraus resultiert Verärgerung und Misstrauen des Megabates, der nun den Naxiern alle Vorgänge (vgl. V, 30 - 31) verrät (V, 33.4). Hier hat die Reaktion aus einer gastfreundschaftlichen Unterstützung weitreichende Folgen für den weiteren geschichtlichen Verlauf. 77 Es zeigt sich also, dass die sozialen Praktiken, die sich aus Xenia bzw. Philia ergeben, in den Historien ausschlaggebend für Kausalitäten sein können, die eine Handlung in Gang setzen. 78 Ich möchte an dieser Stelle noch eine weitere Anekdote aus Herodots Historien anführen, bei der die Gastfreundschaft eine zentrale Rolle für die Entwicklung des Handlungsverlaufs spielt. Dabei handelt es sich um die Aufnahme der reisenden Dolonker durch Miltiades den Älteren. Ohne zu wissen, welche Folgen es für ihn hat, lädt er die von den Dolonkern aus Thrakien abgesandten Könige in Athen zum Gastmahl (VI, 34 - 35). Im Text heißt es, dass zu dieser Zeit die Dolonker durch die Apsinther im Krieg stark bedrängt werden ( οἱ Δόλογκοι πιεσθέντες πολέμῳ ὑπὸ Ἀψινθίων - VI, 34.1). Die Könige der Dolonker befinden sich daher auf der Rückreise von Delphi, wo sie um Rat wegen der Konflikte mit den Apsinthern gebeten hatten (VI, 34.1). Dort hatten die Dolonker den Auftrag erhalten, denjenigen, der sie auf ihrem Rückweg als Erster gastfreundlich aufnehmen werde ( πρῶτος ἐπὶ ξείνια καλέσῃ - VI, 34.2), als Gründer ihrer Kolonie auf die Chersones zu bringen ( οἰκιστὴν ἐπάγεσθαι ἐπὶ τὴν χώρην - VI, 34.2). Auf ihrer Reise durch Phokis und Boiotien erweist sich ihnen gegenüber niemand als gastfreundlich, weshalb sie sich nun in Richtung Athen begeben ( καί σφεας ὡς οὐδεὶς ἐκάλεε , ἐκτράπονται ἐπ᾽ Ἀθηνέων - VI, 34.2). Diese Bemerkung ist wichtig, um zu bekräftigen, dass die gastfreundschaftliche Aufnahme der offensichtlich als Fremde zu identifizierenden Reisenden tatsächlich erst in Athen geschieht, obwohl sie in Delphi bereits ihre Reise beginnen. Denn da die gastfreundschaftliche Aufnahme eine göttlich sanktionierte Pflicht ist, 79 wäre eine frühere Aufnahme zu erwarten. Schließlich kann sie später auch Miltiades allein 77 Siehe dazu Herman (1987), S. 118 - 120. 78 Vgl. Herman (1987), S. 120 f. 79 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2. 36 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="37"?> anhand ihrer Kleidung leicht als Fremde identifizieren ( ὁρέων τοὺς Δολόγκους παριόντας ἐσθῆτα ἔχοντας οὐκ ἐγχωρίην - VI, 35.2). Der Erste, der sie aufnimmt, ist aber Miltiades. 80 Es wäre nun falsch, daraus den Schluss zu ziehen, er sei, da er Athener ist, vom Text besonders gastfreundlich und auf die Pflichten als Gastgeber bedacht dargestellt. Denn im Gegensatz zu ihm verstößt sein Verwandter Miltiades der Jüngere kurze Zeit später in den Historien gegen das Gastrecht (VI, 39.2). 81 Miltiades der Ältere jedoch nimmt die Fremden als Erster ohne lange zu überlegen auf und gibt ihnen Gastgeschenke ( σφι προ σελθοῦσι ἐπηγγείλατο καταγωγὴν καὶ ξείνια - VI, 35.2). 82 Der Text betont die gastfreundschaftliche Aufnahme nochmals, da er die Dolonker neben οἱ δεξάμενοι auch als ( οἱ ) ξεινισθέντες ὑπ᾽ αὐτοῦ (VI, 35.2) umschreibt. 83 Nachdem die Dolonker also aufgenommen worden sind, offenbaren sie Miltiades den Orakelspruch ( ἐξέφαινον πᾶν οἱ τὸ μαντήιον - VI, 35.2). Miltiades holt sich anschließend die Zustimmung der Pythia ein (VI, 36.1), begibt sich mit den Dolonkern zur Chersones, besetzt das Land ( ἔσχε τὴν χώρην - VI, 36.1) und wird dort als Tyrann eingesetzt ( καί μιν οἱ ἐπαγαγόμενοι τύραννον κατεστή σαντο - VI, 36.1). Es ist also in erster Linie Miltiades ’ Bereitschaft zur gastfreundschaftlichen Aufnahme, die seinen weiteren Lebensverlauf beeinflusst. 2.1.1.2.2 Xenia und Philia in der Bedeutung ‚ Bündnis ‘ In der sozialen Praxis tritt der enge Begriff von Freundschaft als Philia und von Gastfreundschaft als Xenia auch in einem weiteren Bedeutungsfeld in Erscheinung. Denn das tatsächliche Bedeutungsspektrum von Philia erstreckt sich auch auf politische oder geschäftliche Freundschaftsbzw. Bündnisverhält- 80 Stahl (1987, S. 107) sieht in dieser Situation die Weitsicht des Orakels hervorgehoben, da es ihm gelingt, genau die Person auszuwählen, die dazu bereit ist, Athen zu verlassen und „ sich einer eigentlich eher undankbaren Aufgabe am Rande der griechischen Welt anzunehmen. “ Der Text in den Historien aber bemerkt, dass Miltiades sogleich ( παραυ τίκα - VI, 35.3) bereit war, diese Aufgabe zu übernehmen, da er ohnehin verärgert über Peisistratos ’ Herrschaft in Athen war und lieber fern sein wollte ( οἷα ἀχθόμενόν τε τῇ Πεισιστράτου ἀρχῇ καὶ βουλόμενον ἐκποδὼν εἶναι - VI, 35.3). 81 Als nachfolgender Herrscher über das Gebiet in der Chersones, das Militiades der Ältere gründete, lässt der Athener Miltiades der Jüngere die Machthaber auf der Chersones gefangen nehmen (VI, 39.2), die ihm Beileid bekunden wollten, als er seinem Bruder Stesagoras die Totenehren erwies ( ἐπιτιμέων - VI, 39.2). Damit sichert er sich zwar seine Tyrannis, verstößt aber gegen die Regeln der Gastfreundschaft (vgl. Blösel [2013], S. 264 f.). 82 Zur Bedeutung von ( τὰ ) ξείνια als ‚ Gastgeschenke ‘ siehe Kap. 2.2.5.9. 83 Zur Bedeutungsanalyse von δέχομαι siehe Kap. 2.2.5.10 und für ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9. 2.1 Die Gastfreundschaft 37 <?page no="38"?> nisse. 84 Philia diente also auch zur Abbildung einer soziologisch-politischen Funktion durch entstehende Netzwerke, die auf die Politik Einfluss nehmen konnten. 85 Durch Philia (und einmal durch Philotes) bzw. Philos sowie die zugehörigen Adjektive werden an vielen Stellen auch in Herodots Historien Freundschaften bzw. Freunde auf staatlicher Ebene umschrieben - also Bündnisse bzw. Bündnispartner. 86 Aufgrund der gegenseitigen Treue und der damit verbundenen gegenseitigen Unterstützung verwundert es nicht, dass neben Philia auch Xenia militärische und politische Bündnisse ausdrücken kann. Auch dieser politische Aspekt der griechischen Gastfreundschaft soll für das Gesamtverständnis der Xenia nicht unerwähnt bleiben. Xenia kann Einzelpersonen verbinden, aber auch zwischen einer Privatperson, meistens dem Herrscher als Vertreter eines Gebietes, und Gemeinschaften oder zwischen mehreren Gemeinschaften bestehen. 87 Im Gegensatz zu den homerischen Epen, in denen die gastfreundschaftlichen Beziehungen im Wesentlichen zwischen zwei Individuen auftreten, steht die 84 Vgl. Blondell (1989), S. 39; Konstan (1997), S. 9; Fisher (2002), S. 209; Basile (2016a), S. 231 f.; Kaplan (2016), S. 143. 85 Siehe dazu auch Gehrke (1984), S. 563 f. 86 Vgl. I, 6.2 / I, 53.1+3 / I, 56.1 / I, 69.2 / I, 70.1 / I, 163.2+3 / II, 152.5 / zweimal in II, 181.1 / III, 49.1 / III, 138.2 / VII, 130.3 / VII, 151 / VII, 152.1 / VIII, 87.2 / VIII, 140 β .4 / IX, 13.3. Häufig tritt auch eine Parallelstellung von φίλος und σύμμαχος (bzw. φιλίη und συμμαχία ) auf, um die Bedeutung des Bündnisses noch klarer darzustellen (I, 53 + I, 56.1 / I, 69.1 - 2 / I, 70.1 / II, 181.1). Die Übersetzung als „ Schutz- und Trutzbündnis “ , wie z. B. in II, 181.1 ( φιλότητά τε καὶ συμμαχίην συνετήκατο ) durch Feix (1963) ist ein Versuch, die Bekräftigung des sowohl militärischen Trutz- ( συμμαχίη ) als auch des universalen und getreuen Schutzbündnisses ( φιλότης bzw. φιλίη ) auszudrücken. Allerdings ist es schwierig, eine konkrete generell gültige Unterscheidung zwischen den beiden Termini, φίλος und σύμμαχος , in der Verwendung als ‚ Bündnis ‘ zu treffen (vgl. Konstan [1997], S. 83.). Bei einer Philia, die zwischen verschiedenen Völkern besteht, kann aber auch die Freundschaft im engeren Bedeutungssinn im Vordergrund stehen. So besteht laut Herodots Historien z. B. zwischen Kyrene und Thera und den Samiern große Freundschaft ( φιλίαι μεγάλαι συνεκρήθησαν - IV, 152.5), wobei kein Zweck als Bündnis angesprochen wird. 87 Siehe dazu Kap. 2.1.1.3.1 und Kap. 2.1.1.3.2 sowie z. B. Fisher (2002), S. 209; Vandiver (2012), S. 144 f. Kaplan (2016, S. 139) fasst den Bedeutungsbereich von Xenia in Herodots Historien wie folgt zusammen: „ The term xenia, then, is used by Herodotus to signify a range of relationships from personal friendships between individuals to patron-client relations between monarchs and individuals, to formal alliances between states. “ Siehe auch ebd., S. 143. Für eine Besprechung der häufig durch gastfreundschaftliche Bindungen geschlossenen Netzwerke griechischer Tyrannen mit anderen Tyrannen oder Aristokraten in Herodots Historien siehe Fisher (2002), S. 210 - 214. Insgesamt dienten Xenia-Verbindungen auch dazu, die Beteiligten in ein weites Netzwerk elitärer Gleichgesinnter einzubinden „ who sported similar lifestyles, ideology and interests. “ (Papakonstantinou [2010], S. 75). 38 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="39"?> Bedeutung der Xenia in Herodots Historien bereits oft im Zusammenhang mit zwischenstaatlichen Beziehungen - wie Philia auch. 88 Bei Herodot werden Xenia und sprachlich verwandte Begriffe also bereits gezielt verwendet, um Freundschaften oder eben auch Bündnisse auszudrücken, die wiederum zwischenstaatliche Beziehungen schaffen. 89 Die Bezeichnungen von Bündnispartnern als Xenoi oder Philoi implizieren, dass sich diese stets treu für ihre Verbündeten einsetzen. So wird in den Historien z. B. dargestellt, dass die Korinther sehr gute Philoi der Athener sind und dass diese Freundschaft der Grund dafür ist, dass sie die Athener mit Schiffen unterstützen ( οἱ δὲ Κορίνθιοι , ἦσαν γάρ σφι τοῦτον τὸν χρόνον φίλοι ἐς τὰ μάλιστα , Ἀθηναίοισι διδοῦσι δεομένοισι εἴκοσι νέας - VI, 89). Sie verlangen dafür zwar etwas Geld, allerdings begründet der Text dies damit, dass die Korinther aus Gesetzesgründen keine Geschenke geben dürfen (VI, 89). Sie erhoffen sich dadurch also keinen Gewinn, sondern es ist lediglich die Freundschaft, die für ihre Unterstützung ausschlaggebend ist. 90 Dass in Herodots Historien kein genereller Bedeutungsunterschied zwischen Bündnissen, die durch Xenia bzw. Xenoi beschrieben werden, und denen, die durch Philia bzw. Philoi bezeichnet werden, erkennbar ist, wird besonders deutlich, wenn man I, 22.4 (Alyattes und die Milesier werden ξεῖνοι und 88 Vgl. Basile (2016a), S. 244 f. Zur zwischenstaatlichen Politik bei Herodot siehe Wendt (2013). 89 Vgl. ebd., S. 246 f. Die Verbindung zwischen (Gast-)Freundschaft und politischen Bündnissen findet sich durch die Verwendung von Xenia mit der Bedeutung ‚ Bündnis ‘ häufig in den Historien. So möchte sich Alyattes mit den Milesiern unter der Bedingung, ξεῖνος und σύμμαχος zu werden, versöhnen (I, 22.4). Kurz danach wird von einem Freundschaftsbündnis berichtet, das Kroisos mit ganz Ionien schließt ( ξεινίην συνεθήκατο - I, 27.5), und im dritten Buch der Historien wird davon berichtet, dass die Araber als Volksstamm zu Freunden ( ξεῖνοι - III, 88.1) der Perser werden, da sie Kambyses durch ihr Land nach Ägypten ziehen lassen (III, 88.1). Darüber hinaus möchte Kroisos Freund und Bundesgenosse ( φίλος τε θέλων γενέσθαι καὶ σύμμαχος - I, 69.2) der Spartaner werden. Er schickt ihnen Geschenke (I, 69.1) und schließt dann ein auf Eid beruhendes Bündnis mit ihnen ( ἐποιήσαντο ὅρκια ξεινίης πέρι καὶ συμμαχίης - I, 69.3). Kroisos ’ Wunsch Philos der Lakedaimonier zu werden, wird in dem Bündnis, das der Text hier als Xenia beschreibt, erfüllt. 90 Wie Philia kann auch die Xenia zum Grund für eine Beteiligung an kriegerischen Auseinandersetzungen auf Seiten der Gastfreunde werden. Das gilt auch für Einzelpersonen. So wird in den Historien davon berichtet, dass Amilkas zum Oberbefehlshaber von Terillos ’ Heer wurde. Terillos habe Amilkas dazu durch seine Gastfreundschaft bewogen ( κατὰ ξεινίην - VII, 165). Allerdings ist die Gastfreundschaft hier nicht der einzige Grund für Amilkas Entscheidung. Anaxilaos, der Schwiegersohn von Terillos, bewegte Amilkas vor allem zu diesem Schritt ( καὶ μάλιστα διὰ τὴν Ἀναξίλεω τοῦ Κρητίνεω προθυμίην - VII, 165), da er ihm seine eigenen Kinder als Geiseln mitgab, um Terillos zu helfen (VII, 165). Die Gastfreundschaft alleine zwingt ihn also nicht dazu, als Oberbefehlshaber zu dienen. 2.1 Die Gastfreundschaft 39 <?page no="40"?> σύμμαχοι ) und I, 69.2 (Kroisos möchte φίλος und σύμμαχος der Spartaner werden) gegenüberstellt. Beide Male werden Bündnispartner umschrieben und mit dem Begriff σύμμαχος verbunden, beide Male handelt es sich um eine Beziehung zwischen Angehörigen entfernter Gebiete und beide Male werden die ausgewählten Partner für Verbündete gehalten, die in guter Verfassung sind. Das Bündnis, das zwischen Kroisos und den Spartanern zustande kommt, wird schließlich als Xenia und Symmachia umschrieben ( ἐποιήσαντο ὅρκια ξεινίης πέρι καὶ συμμαχίης - I, 69.3), obwohl Kroisos ja ursprünglich φίλος der Spartaner werden wollte. Insofern wird deutlich, dass in Herodots Historien eine Differenzierung der Begriffe Xenia bzw. Xenos und Philia bzw. Philos kaum möglich ist, wenn durch diese Bündnisse umschrieben werden, und so wird ersichtlich, dass die terminologische Herkunft keinen Einfluss auf dieses Bedeutungsfeld mehr zu haben scheint. 91 2.1.1.2.3 Der Proxenos als Sonderform des Xenos Nun möchte ich noch auf eine wichtige Sonderform der Xenia-Beziehung, die Proxenie, eingehen, die für uns frühestens seit dem 7. Jh. v. Chr. nachweisbar ist. 92 Im Laufe der Zeit entwickelte sie sich zu einer wichtigen griechischen Institution des Fremdenschutzes. Ein Proxenos vertrat bei Rechtsfällen das Interesse eines Fremden in einer diesem fremden Stadt. 93 Die Beziehung zwischen den Fremden und ihren Proxenoi beruhte auf den Grundsätzen der 91 Zwischen einem durch Symmachia und einem durch Xenia umschriebenen Bündnis allerdings wird ein Unterschied ersichtlich. Kaplan (2016, S. 139) weist darauf hin, dass durch die Erwähnung von Symmachia zusammen mit Xenia ein Bedeutungsunterschied ausgedrückt wird. Dabei sei Xenia „ a state of amity “ und Symmachia „ an alliance with specific terms “ . So konnte eine Symmachia ein Defensiv- oder Offensivbündnis sein, wobei im Fall eines Angriffs oder der Verteidigung die Bündnispartner zur Unterstützung gerufen werden konnten (ebd., S. 143). Zudem betont Kaplan (ebd., S. 139) aber auch, dass Xenia für sich alleine bereits eine Verpflichtung zur Unterstützung ausdrücken kann. König (1989, S. 329) hebt hervor, dass an der getrennten Verwendung von Xenia und Symmachia in I, 69.3, ersichlich wird, dass diese beiden Verbindungen für Herodot „ keine sachliche Einheit bilden, d. h. die xenia nicht automatisch die symmachia einschließt “ . Auch wenn Xenia also eine politische Dimension ausdrücken kann, kann man dies für Herodots Historien nicht generell annehmen; vgl. dazu König (1989), S. 331. 92 Marek (1984, S. 1) verweist als frühestes Zeugnis auf ein Epigramm aus dem späten 7. Jh. v. Chr, das auf einem Grabmal auf der Insel Kerkyra entdeckt worden ist. Wallace (1970, S. 190) dagegen ist der Ansicht, dass Proxenos und verwandte Ausdrücke im 6. Jh. v. Chr. das erste Mal erschienen. Darüber hinaus hält er den Beginn der Proxenie in Athen und Sparta in der zweiten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. zwar für wahrscheinlicher, aber auch das späte 7. Jh. v. Chr. sei theoretisch denkbar (vgl. ebd., S. 191). 93 Vgl. Hiltbrunner (2005), S. 53. Dazu auch How/ Wells (1912b, S. 86): „ Proxeni are usually citizens of a foreign city who undertook to watch over the interests of the community which they represented “ . Zur Proxenie siehe darüber hinaus auch Herman (1987), 40 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="41"?> Xenia. 94 So bekamen die Fremden vor Ort einen Ansprechpartner und waren daher weniger auf die Hilfe regulärer Gastfreunde angewiesen als zuvor. Der terminologische Bestandteil Xenos deutet bei einem gewöhnlichen Proxenieverhältnis also auf die gastfreundschaftlichen Verpflichungen hin, die der Proxenos gegenüber dem Fremden in der Stadt übernimmt. 95 Die gastfreundschaftliche Aufnahme zeigt sich hier definiert in der Unterstützung des Fremden bei Problemen in der ihm fremden Polis. Der Proxenos übernimmt sozusagen die Rolle eines Gastfreundes, ohne zuvor offiziell Gastfreundschaft mit dem Fremden geschlossen haben zu müssen. 96 Im Gegensatz zur Gastfreundschaft ist die Proxenie zudem in der Umsetzung nicht dezentral organisiert, sondern von einer übergeordneten Instanz, der Polis. Dass sich die Proxenie erst im 5. Jh. v. Chr. weit verbreitete und fest etablierte, zeigt die noch nicht homogene Verwendung des Begriffs Proxenos in Herodots Historien, 97 auch wenn, wie M. B. Wallace hervorhebt, bei Herodot der Begriff Proxenos das erste Mal in einer literarischen Darstellung sicher im formalen Sinn verwendet werde. 98 Insbesondere an einer Textpassage in den Historien wird erkennbar, dass die Bedeutung des Proxenos dort von der zur Institution gewordenen griechischen Proxenie abweicht. Denn als der Text von den Sonderrechten der spartanischen Könige berichtet, zählt er unter anderem auf, dass die Könige jeden beliebigen Bürger zu προξείνους bestimmen dürfen ( προξείνους ἀποδεικνύναι τούτοισι προσκεῖσθαι τοὺς ἂν ἐθέλωσι τῶν ἀστῶν - VI, 57.2). Vergleicht man mit diesen spartanischen Proxenoi die typisch griechischen, findet man eine Abweichung vom gewöhnlichen Brauch bei der Bestellung dieser Proxenoi: Denn durch die Bezeichnung ἀστός wird impliziert, dass es sich um einen ‚ Mitbürger ‘ , also Spartaner, handelt, den die Könige als Proxenos einsetzen, und eben keinen Vertreter aus einem fremden Gebiet, wie es S. 130 - 142 und Mitchell (1997), S. 28 - 37 sowie zu den Funktionen der Proxenie, ihrer Anwendung und ihrer Entwicklung siehe Marek (1984). 94 Vgl. Scott (2005), S. 238 mit weiteren Verweisen; zu Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Xenia und Proxenia siehe Herman (1987), S. 130 - 142. Gehrke (1985, S. 292) bezeichnet die Proxenie als „‚ Verstaatlichung ‘ der Gastfreundschaft “ , die für diplomatische Beziehungen besonders hilfreich war. Die Verbindung zwischen Xenia und Proxenia sei „ sehr lange lebendig geblieben “ (ebd.); vgl. auch Gschnitzer (1973), Sp. 643 - 646. 95 Vgl. dazu Wallace (1970, S. 190): „ The etymological meaning is not clear, for there are difficulties with both parts of the compound. The prefix pro may mean ‘ on behalf of ’ or ‘ instead of, ’ xenos may mean ‘ guest friend ’ or, more generally, ‘ foreigner. ’“ 96 Frisk (1991, S. 333) gibt in seinem etymologischen Lexikon für Proxenos die Übersetzung „‚ stellvertretender Gastfreund, Staatsgastfreund ‘“ an. 97 Wallace (1970, S. 189) nennt als Zeit, in der die Institution der Proxenie in der griechischen Welt als fest verankert angesehen werden kann, ca. 460 v. Chr. 98 Wallace (1970), S. 193. Siehe ebd. für frühere Belegstellen des Ausdrucks Proxenos. 2.1 Die Gastfreundschaft 41 <?page no="42"?> bei der typisch griechischen Institution der Proxenie der Fall ist. 99 Nicht auszuschließen ist aber, dass die Spartaner für diese von ihren Königen ausgewählten Proxenoi eine andere Bezeichnung hatten, als der Text hier in Herodots Historien nennt, 100 oder dass den Königen doch lediglich die formale Genehmigung der Auswahl der von einem anderen Staat als Proxenos in Sparta ausgewählten Person zukommt. 101 Dem Text in den Historien ist dies allerdings nicht zu entnehmen. Ein anderer Fall eines in den Historien dargestellten Proxenieverhältnisses findet sich zwischen dem Makedonen Alexander und Athen. Als Mardonios Alexander nach Athen schickt, um um ein Bündnis zu bitten, verwendet der Text die Bezeichnung Proxenos. Denn Alexander genießt in Athen die Proxenie ( πρόξεινός τε εἴη - VIII, 136.1) und ist Wohltäter der Stadt ( εὐεργέτης - VIII, 136.1). Dass er für die Stadt Athen also nur Gutes möchte, sei den Athenern - wohl aus langjähriger Erfahrung - bekannt, wie er selbst sagt ( ἐγὼ δὲ περὶ μὲν εὐνοίης τῆς πρὸς ὑμέας ἐούσης ἐξ ἐμεῦ οὐδὲν λέξω ( οὐ γὰρ ἂν νῦν πρῶτον ἐκμάθοιτε ) - VIII, 140 β .1). 102 Doch trotz seiner privilegierten 99 Vgl. dazu Gschnitzer (1973), Sp. 635 f. sowie Wallace (1970), S. 190: „ In the normal case, however, the citizens of state A appointed a man of state B as proxenos for A ’ s citizens in B “ ; Cartledge (1987), S. 245 f.; McQueen (2000), S. 138 f.; Scott (2005), S. 238; Nenci (2007), S. 224 f. sowie Hornblower/ Pelling (2017), S. 163, die dort auch mit Blick auf die Proxenie allgemein auf Wilhelm (1942), S. 11 - 86 sowie auf Mack (2015) verweist. 100 Vgl. Wallace (1970), S. 190/ Anm. 3. 101 Vgl. dazu Scott (2005), S. 238. Zur Proxenie in Sparta, wie sie in Herodots Historien dargestellt wird, vgl. neben Scott (2005), S. 238 f. auch die zum Teil unterschiedlichen Meinungen von Wallace (1970), S. 198; Mosley (1971); Cartledge (1987), S. 245 f.; Mitchell (1997), S. 32 f.; Hiltbrunner (2005), S. 71. 102 Rosen (1987, S. 32/ Anm. 20) ist der Meinung, dass die Proxenie vielleicht auch schon Amyntas verliehen worden sei, wobei er als Grund dafür das makedonische Holz für den Schiffsbau nennt. Die Proxenie wäre dann als Gegenleistung entstanden und an Alexander vererbt worden. Badian (1994, S. 121 f.) vermutet, dass Alexander der gastfreundschaftlichen Verbindung seines Vaters mit den Tyrannen den Status des Proxenos von Athen erlangte. Während auch Bowie (2007, S. 224 f.) diese These für möglich hält, betrachtet sie Wallace (1970, S. 199) dagegen kritischer: Er stimmt zu, dass Proxenien vererbbar sind, aber dass im Jahre 510 v. Chr. (nach Hippias ’ Verbannung) jede freundschaftliche Verbindung zwischen Makedonen und Athenern geendet haben musste. Amyntas habe Hippias in seinem Exil nach wie vor unterstützt (ebd.). Wallace gibt zwei Zeiträume (496 - 493 v. Chr. und 486 - 483 v. Chr.) an, in denen die Beziehungen zu Athen wiederaufgenommen werden konnten, ohne direkt gegen die Perser zu agieren, und in diesem Rahmen hätte möglicherweise Amyntas ’ Proxenie wiederbelebt werden können, wobei die einfachere Erklärung sicherlich sei, dass Alexander während einer dieser Zeiträume zum „ benefactor “ der Athener wurde. Wallace gibt schließlich zu bedenken: „ A proxeny relation under Amyntas, interrupted and renewed, is possible but unsupported “ (ebd.). Für genauere Informationen dazu siehe ebd., S. 199 f./ Anm. 13. Siehe zu dieser Diskussion auch Zahrnt (2011), S. 772/ Anm. 29. 42 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="43"?> Stellung schicken die Athener Alexander weg, ohne seiner Bitte nachzukommen (VIII, 143). Nie wieder solle er mit einem solchen Anliegen nach Athen kommen, da es ihm ansonsten von Seiten der Athener schlecht ergehen könnte, was sie vermeiden möchten, schließlich sei er ihr Proxenos und Philos ( ἐόντα πρόξεινόν τε καὶ φίλον - VIII, 143.3). Die Athener sind demnach also nicht verpflichtet, Alexanders Forderungen zu erfüllen, auch wenn er ihr Proxenos ist, sind aber um sein Wohlergehen als ihr Proxenos und Philos besorgt. 103 In Herodots Historien ist also noch kein einheitlicher Gebrauch der Bezeichnung Proxenos gegeben. 2.1.1.3 Systematisierung der Xenia- und Xenos-Textstellen bei Herodot Nachdem nun die terminologische Bedeutung von Xenos und Xenia sowie deren Anwendung im praktischen Leben erläutert worden ist, möchte ich nun alle Textstellen in Herodots Historien, an denen die Begriffe Xenos oder Xenia verwendet werden, nach ihren Bedeutungen systematisieren. 104 2.1.1.3.1 Xenia Der Text in Herodots Historien verwendet Xenia sowohl, um eine gastfreundschaftliche Beziehung zwischen zwei Einzelpersonen auszudrücken, als auch, um ein Bündnis zwischen einer Einzelperson und einem Volk bzw. einer Stadt zu beschreiben. 105 Wird allerdings eine Xenia-Beziehung zwischen zwei Per- 103 Dass man andererseits aber als Proxenos normalerweise Bitten der Stadt, dessen Proxenos man war, nachkommt, wird in IX, 85 ersichtlich, als ein letztes Mal in den Historien die Proxenie erwähnt wird. Der Text berichtet dort von den Begräbnissen der Griechen nach der Schlacht von Plataiai. Kleades aus Plataiai habe zehn Jahre nach den Ereignissen das Grab der Aigineten aufgeschüttet, weil er als ihr Proxenos darum gebeten worden war (IX, 85.3). 104 Für eine Sammlung aller Textstellen in Herodots Historien, in denen ξενίη / ξεῖνος verwendet wird, siehe auch Ruberto (2009), S. 25/ Anm. 1, für eine Systematisierung von Xenia bei Herodot siehe König (1989), S. 329 - 331 und für eine Analyse speziell der Beziehung der Spartaner zu ihren Xenoi, wie sie in Herodots Historien dargestellt wird, siehe Basile (2016b). Zur generellen Bedeutung von Xenia in den Historien vgl. auch Vandiver (2012). 105 Eine gastfreundschaftliche Beziehung, die in den Historien zwischen Einzelpersonen besteht, wird vom Text zwischen Amasis und Polykrates (II, 182.2 / III, 39.2 / III, 43.2), Themison und Etearchos (IV, 154.4), Terillos und Amilkas (VII, 165) und Simonides und Megistios (VII, 228.4) als Xenia umschrieben. Auch wenn z. B. bei Amasis und Polykrates wohl auch ein militärisches Bündnis zwischen Ägypten und Samos dahintersteht (vgl. dazu Anm. 1080). Vgl. König (1989), S. 330 f. Das Bündnis zwischen einer Einzelperson und einem ganzen Volk besteht zwischen Kroisos und den Ioniern, die auf den Inseln leben (I, 27.5), zwischen Kroisos und den Spartanern (I, 69.3) und zwischen Histiaios und den Naxiern (V, 30.3). Zwischen Xerxes und der Stadt Arkanthos (VII, 116) sowie zwischen Xerxes und Abdera (VIII, 120) besteht 2.1 Die Gastfreundschaft 43 <?page no="44"?> sonen, von denen mindestens eine Person ein Herrscher ist, in den Historien erwähnt, ist nicht immer eindeutig ersichtlich, ob es sich bei einer als Xenia beschriebenen Beziehung um eine persönliche Beziehung handelt oder um ein offizielles Bündnis. 106 Eine einzige gastfreundschaftliche Beziehung wird mit dem Verb ξεινοῦν umschrieben (VI, 21.1). 107 2.1.1.3.2 Xenos als Gast, Gastgeber, Gastfreund Im Gegensatz zu Xenia, deren Bedeutung bei Herodot auf eine freundschaftliche oder politisch-freundschaftliche Verbindung beschränkt ist, tritt Xenos in den Historien in all seinen Bedeutungsbereichen auf. Der Begriff kann einen ‚ Gast ‘ , ‚ Gastgeber ‘ , ‚ Gastfreund ‘ oder ‚ Fremden ‘ bezeichnen und in seltenen Fällen sogar ‚ Söldner ‘ . Nicht immer ist es allerdings aus dem Kontext sicher zu erschließen, welche Bedeutung Xenos an der jeweiligen Stelle ausdrückt. So kann mehrmals auf die schlichte Bedeutung ‚ Gast ‘ geschlossen werden. Damit ist die Bezeichnung einer Person gemeint, die durch Aufnahme und Bewirtung zum Gast wurde. Natürlich sind auch hier Überschneidungen gegeben, denn Gastfreunde können Gäste sein und Gäste Gastfreunde, wobei nicht grundsätzlich von einer dauerhaft geschlossenen rituellen Gastfreundschaft ausgegangen werden kann. Gegenüber einem nicht näher definierten Gast und Fremden sind in Griechenland ohnehin genauso die Verpflichtungen zur Aufnahme und Schutz wie bei einem Gastfreund geboten. 108 So verwendet der Text z. B. bei der Beschreibung der skythischen Trinkbräuche den Begriff auch eine Verbindung, die als Xenia beschrieben wird. Vgl. dazu König (1989), S. 330. Zu den Xenia-Verbindungen zwischen Xerxes und Arkanthos (VII, 116) bzw. Abdera (VIII, 120) siehe Ruberto (2009), S. 35 - 38. Herman (1987, S. 132 - 135 mit Anm. 50) führt weitere Beispiele literarischer Darstellungen von Verbindungen zwischen einflussreichen Einzelpersonen als Philoi, Xenoi oder Euergetai mit der Gesamtheit eines Volkes oder einer Stadt an. Darin sieht er ein Zwischenstadium zwischen dem Stadium der „ xenos-xenos “ - und der „ city-proxenos “ -Beziehung (Herman [1987], S. 132). Diese Verbindungen werden laut den Historien meist durch den König als Einzelperson initiiert (I, 27.5 / VII, 116 / VIII, 120). Wie die Xenia zwischen Histiaios und den Naxiern entstanden ist, berichtet der Text nicht. Denn diese fungiert lediglich als Mittel, sodass deren Entstehung für den Text irrelevant ist. Für die Xenia zwischen Kroisos und den Spartanern berichtet der Text jedoch, dass sie durch die Spartaner erwirkt ist ( Λακε δαιμόνιοι [ … ] ἐποιήσαντο ὅρκια ξεινίης πέρι καὶ συμμαχίης - I, 69.3). Es gibt also in Herodots Historien keine feste Regel, durch wen eine Xenia-Verbindung initiiert werden muss. 106 In erster Linie trifft diese Unklarheit auf die Gastfreundschaft zwischen Amasis und Polykrates zu (vgl. Kaplan [2016], bes. S. 136 f. sowie die Ausführungen und weiteren Verweise in Anm. 1080 der vorliegenden Arbeit). Die Argumente für eine rein politische Freundschaft allerdings dominieren (vgl. dazu Schelske [2021], S. 238). 107 Siehe dazu Anm. 136. 108 Siehe dazu Kap. 2.1.2.1. 44 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="45"?> Xenos in der Bedeutung ‚ Gast ‘ . In welcher Beziehung hier Gäste und Gastgeber stehen, beschreibt der Text nicht. Es werden an dieser Textpassage schlicht diejenigen als Xenoi bezeichnet, die bei dem dort angesprochenen Trinkgelage anwesend und damit Gäste sind (IV, 65.2). 109 Hier wird deutlich, dass der Text auch bei ‚ Nicht-Griechen ‘ den Begriff Xenos verwendet, um einen Gast zu bezeichnen. Ebenso findet sich eine ähnliche Verwendung von Xenos auch noch in V, 18 - 20. Dort werden die persischen Gesandten, die beim Makedonenkönig Amyntas einkehren, als Xenoi, Gäste, bezeichnet (V, 19.1 / als Anrede in V, 20.1). 110 Die Perser wiederum sprechen Amyntas ebenfalls als Xenos an, betonen so dessen Rolle als Gastgeber und implizieren damit, dass sie eine gastfreundschaftliche Behandlung erwarten (V, 18.2). Während bei diesen Textstellen unklar bleibt, ob zwischen Gast und Gastgeber eine dauerhafte gastfreundschaftliche Beziehung geschlossen wird, kann dies an einigen anderen Stellen in den Historien aus dem Kontext erschlossen werden. Dabei treten diese Gastfreunde entweder als Einzelpersonen auf oder es handelt sich um durch Xenos oder Xenia ausgedrückte freundschaftliche Verbindungen zwischen ganzen Völkern, wobei der Text keine Repräsentanten der jeweiligen Völker nennt, zwischen denen Xenia geschlossen wird: Eine Gastfreundschaft zwischen Einzelpersonen, auf die durch die Bezeichnung eines der Partner als Xenos zu schließen ist, tritt z. B. bei Periander und Thrasybulos (I, 20) und bei Alexander und Menelaos auf, als Alexanders Vergehen gegenüber seinem Gastgeber und Gastfreund Menelaos berichtet wird (II, 114.2+3 / II, 115.4+5+6) 111 , sowie bei Amasis und Polykrates (III, 40.2 / III, 43.2). Zudem beabsichtigt Kambyses dem Schein nach (III, 17.2), Gastfreund des Aithiopierkönigs zu werden (III, 21.1+2). 112 Zwischen ganzen Völkern tritt die Verwendung von Xenos nur auf, wenn dadurch ein freundschaftliches Bündnis ausgedrückt wird, so z. B. zwischen den Milesiern und Lydern (I, 22.4) sowie zwischen den Arabern und Persern (III, 88.1). 113 Außerdem seien die Spartaner mit den Peisistratiden gastfreundschaftlich verbunden gewesen (V, 63.2 / V, 90.1 / V, 91.2). 109 Zu diesem Symposion siehe Kap. 4.1.2.1. 110 Zu diesem Symposion siehe Kap. 4.2.3.4. 111 Für eine ausführlichere Analyse des Xenos-Begriffs an dieser Textstelle siehe Anm. 121. 112 Weitere Textstellen, bei denen aus dem Kontext für Xenos die Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ erschlossen werden kann und es sich bei den Gastfreunden um Einzelpersonen handelt, finden sich in V, 30.2 (Gastfreunde des Histiaios) / V, 33.3 (Skylax als Gastfreund des Aristagoras) / V, 70.1 (Kleomenes als Gastfreund des Isagoras) / VII, 29.2 (Pythios wird Gastfreund des Xerxes) / dreimal in VII, 237.3 (Dareios als Gastfreund des Xerxes) / IX, 76.3 (Hegetorides als Gastfreund des Pausanias). 113 Siehe zu dieser Verbindung die Ausführungen von Ruberto (2009), S. 25 - 29. Zur Bedeutung von Xenia als ‚ Bündnis ‘ bzw. Xenoi als ‚ Bündnispartner ‘ siehe Kap. 2.1.1.2.2. 2.1 Die Gastfreundschaft 45 <?page no="46"?> 2.1.1.3.3 Xenos als Fremder Doch nicht immer ist aus dem Kontext eine eindeutige Konnotation von Xenos zu erschließen. So gibt es gerade in der Bedeutungsunterscheidung zwischen ‚ Gastfreund ‘ und ‚ Fremder ‘ schwer definierbare Fälle in Herodots Historien wie z. B. in der Darstellung der Beziehung zwischen Kroisos und Adrastos (I, 35 - 45). Adrastos kommt als Schutzsuchender zu Kroisos und wird von diesem entsühnt und aufgenommen (I, 35). 114 Er hatte - nach eigenen Worten aus Versehen - seinen Bruder getötet. Im Verlauf der Erzählung kommt es zu einer weiteren ungewollten Tötung durch Adrastos. Denn auf einer Jagd verfehlt er mit seinem Speer einen Eber - sein eigentliches Ziel - und trifft stattdessen Kroisos ’ Sohn Atys tödlich (I, 43). In Rahmen dieses Unfalls bezeichnet der Text Adrastos als Xenos. Denn als Xenos wird er Subjekt einer weitläufigen, spannungsaufbauenden Hypotaxe, die mit dem unglücklichen Tod von Kroisos ’ Sohn endet ( ἔνθα δὴ ὁ ξεῖνος , οὗτος δὴ ὁ καθαρθεὶς τοῦ φόνου , καλεόμενος δὲ Ἄδρηστος , ἀκοντίζων τὸν ὗν τοῦ μὲν ἁμαρτάνει , τυγχάνει δὲ τοῦ Κροίσου παιδός - I, 43.2). Als Kroisos anschließend Zeus als Zeugen für die Untat anruft, die ihm Adrastos angetan hatte, wird dieser sogar zwei weitere Male als Xenos bezeichnet ( ἐκάλεε μὲν Δία καθάρσιον , μαρτυρόμενος τὰ ὑπὸ τοῦ ξείνου πεπονθὼς εἴη , [ … ] τὸν μὲν ἐπίστιον καλέων , διότι δὴ οἰκίοισι ὑποδεξάμενος τὸν ξεῖνον φονέα τοῦ παιδὸς ἐλάνθανε βόσκων - I, 44.2). Der Text bezeichnet Adrastos also erst hier, nachdem er den Sohn seines Gastgebers getötet hatte, als Xenos. 115 Das lässt auf eine gezielte Verwendung dieses Begriffs schließen, für den die Deutung als Fremder ebenso möglich ist wie Gastfreund. Die Bedeutung von Xenos als Fremder betont die moralische Isolation des Adrastos. Denn Adrastos wollte sich nicht integrieren, da es sich für ihn, dem ein solcher Schicksalsschlag widerfahren sei, seiner Meinung nach nicht gehöre, mit Altersgenossen zu verkehren, denen es gut gehe ( οὔτε γὰρ συμφορῇ τοιῇδε 114 Zum Akt der Reinigung nach einem Mord siehe Burkert (2011), S. 129 - 131. „ Bis zur ‚ Reinigung ‘ darf der Mörder kein Wort sprechen und nicht ins Haus aufgenommen, nicht zur Mahlgemeinschaft zugelassen werden “ (Burkert [2011], S. 130). Auch hier erkundigt sich Kroisos erst nach Adrastos ’ Entsühnung nach dessen Herkunft (I, 35.2 - 3). Die anschließende Aufnahme des Adrastos geschieht nicht aus Zwang, sondern Kroisos wirkt erfreut und hat auch keine weiteren Bedenken, da Adrastos ja von Freunden abstammt ( Ἀνδρῶν τε φίλων τυγχάνεις ἔκγονος ἐὼν καὶ ἐλήλυθας ἐς φίλους - I, 35.4). 115 Vandiver (2012, S. 159 f.) macht darauf aufmerksam, dass bei Adrastos ’ Ankunft kein Wort der Gastfreundschaft fällt. Stattdessen bezeichnet sich Kroisos als Adrastos ’ Philos. Die Aufnahme wird nämlich dadurch begründet, dass Adrastos von Freunden abstamme und zu Freunden gekommen sei ( Ἀνδρῶν τε φίλων τυγχάνεις ἔκγονος ἐὼν καὶ ἐλήλυθας ἐς φίλους - I, 35.4). Jedoch steige im Verlauf der Erzählung die Bedeutung der Gastfreundschaft an, sodass dann auch die Terminologie der Gastfreundschaft in den Vordergrund rückt. So bekomme auch die erste Erwähnung von Adrastos als Xenos in I, 43.2 eine viel eindrücklichere Wirkung (Vandiver [2012], S. 160). 46 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="47"?> κεχρημένον οἰκός ἐστι ἐς ὁμήλικας εὖ πρήσσοντας ἰέναι - I, 42.1). Durch dieses Absondern bleibt er der Fremde. Nur auf Kroisos ’ Wunsch hin ( νῦν δέ , ἐπείτε σὺ σπεύδεις καὶ δεῖ τοι χαρίζεσθαι ( ὀφείλω γάρ σε ἀμείβεσθαι χρηστοῖσι ), ποιέειν εἰμὶ ἕτοιμος ταῦτα - I, 42.2) nimmt er überhaupt an dieser Eberjagd teil - mit der Aufgabe, Kroisos ’ Sohn zu beschützen. 116 Deutet man Xenos hier dagegen als Gastfreund, wird die besondere Schwere des Vergehens von Adrastos betont, da er den Sohn seines Gastfreunds getötet hatte. 117 Weil Kroisos ihn nach seiner plötzlichen Ankunft entsühnt und dann bei sich aufgenommen hatte, liegt es nicht fern, dass er für Kroisos zunächst als Gastfreund galt, zumal Kroisos die freundliche Aufnahme damit begründet, dass Adrastos von Freunden abstamme ( Ἀνδρῶν τε φίλων τυγχάνεις ἔκγονος ἐὼν καὶ ἐλήλυθας ἐς φίλους - I, 35.4) und dieser somit über die Beziehung, die Adrastos ’ Verwandte zu Kroisos haben, kein Fremder mehr ist. Die Doppeldeutung von Xenos ermöglicht hier also eine Illustration zweier unterschiedlicher Punkte: die eigene Isolation des Fremden und der große Frevel durch das Vergehen an seinem Gastfreund. Als sich Adrastos nach der unabsichtlichen Tötung des Atys Kroisos selbst ausliefert (I, 45.1), empfindet Kroisos nun plötzlich Mitleid mit ihm und spricht ihn wieder direkt und zwar erneut als Xenos an ( ὦ ξεῖνε - I, 45.2). Hier ist die Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ für Xenos wahrscheinlich. Denn Adrastos wird nicht zum Feind, da er für sein Vergehen Genugtuung leistet, indem er sich Kroisos ausliefert, um von ihm als rechtmäßige Strafe getötet zu werden. Kroisos betont durch seine Anrede als Gastfreund, dass er durch die Selbstauslieferung ausreichend Genugtuung von ihm erhalten habe ( Ἔχω , ὦ ξεῖνε , παρὰ σεῦ πᾶσαν τὴν δίκην , ἐπειδὴ σεωυτοῦ καταδικάζεις θάνατον - I, 45.2). 118 116 Für eine vertrauensvolle Freundschaft, ist es wichtig, sich darauf verlassen zu können, dass ein Gegenwunsch erfüllt wird - wenn auch ungern: So trifft es hier auch auf Adrastos zu, der sich für die Aufnahme bei Kroisos revanchieren muss (vgl. Blondell [1989], S. 35). Dazu auch Vandiver (2012), S. 158 f. 117 Auf diese Weise deuten z. B. Nesselrath (2005, S. 95) und Vandiver (2012, S. 160) die Verwendung von Xenos an dieser Stelle. 118 Zur allgemeinen Bedeutung einer Anrede durch ξένε (= ion. ξεῖνε ) siehe Dickey (1996), S. 146 - 149. In Herodots Historien tritt Xenos als Anrede noch an einigen weiteren Stellen auf (I, 30.2 / I, 32.1 / I, 68.2 / IV, 97.6 / V, 18.2 / V, 20.1 / V, 49.9 / V, 50.3 / V, 72.3 / VII, 29.1 / VII, 160.1 / VII, 162.1 / VII, 228.2 / IX, 16.4 / IX, 79.1 / IX, 91.1+2 / IX, 120.2). Meist wird diese Art der Ansprache dann gewählt, wenn der Anredende den Fremden nicht oder zumindest nicht genauer kennt; siehe dazu Schmidts Artikel zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ξ . ist übliche Anrede an Fremden, dessen Namen man nicht kennt [ … ], kann dabei in freundlichem oder unfreundlichem Kontext stehen, höflich oder eher abfällig klingen und dementsprechend eher als ‚ Fremder ‘ oder fast schon als ‚ Gast ‘ , ‚ fremder Gast ‘ wiedergegeben werden [ … ]. “ Dies trifft aber in Herodots Historien nicht auf alle Stellen zu und insgesamt ist die Konnotation des Begriffs oft nicht leicht zu erkennen. So kennt Kroisos Adrastos und auch seinen Namen bestens, als er ihn mit ὦ ξεῖνε (I, 45.2) anspricht 2.1 Die Gastfreundschaft 47 <?page no="48"?> Ein weiteres Beispiel, bei dem eine sichere Deutung von Xenos nicht möglich ist, findet man in III, 7.2. Dort wird berichtet, dass Kambyses auf Rat eines Xenos Boten an den König der Araber schickt, um für sein Heer um sicheren Durchzug zu bitten. Zuvor (III, 4) hatte man erfahren, dass der Söldner Phanes erzürnt über Amasis zu den Persern entkommen konnte und ihnen Informationen lieferte. Er ist also der genannte Xenos. 119 Phanes kann durch den Verrat wichtiger Hinweise für die Perser Gastfreund des Kambyses (vgl. Dickey [1996], S. 149). In I, 30.2 und I, 32.1 hat Kroisos Solon bereits einige Tage bewirtet, als er ihn jeweils als ξεῖνε Ἀθηναῖε anspricht. Solon ist hier also bereits kein Fremder mehr. Als eine Persergesandtschaft zu Gast beim Makedonenkönig Amyntas ist und bereits bewirtet worden ist, wird der Gastgeber Amyntas von den Persern als ξεῖνε Μακεδών (V, 18.2) angesprochen, was deren Erwartung betont, auch weiterhin eine gastfreundschaftliche Behandlung mit all ihren Verpflichtungen zu bekommen. Außerdem werden die Perser später selbst von Amyntas ’ Sohn Alexander mit ὦ ξεῖνοι (V, 20.1) angesprochen, auch wenn Alexander diese Anrede nur verwendet, um kein Misstrauen bei den Persern zu erregen (vgl. dazu S. 464). In VII, 29.1 spricht Xerxes Pythios noch als ξεῖνε Λυδέ an und macht ihn dann sofort zu seinem Gastfreund ( ξεῖνόν τέ σε ποιεῦμαι ἐμὸν - VII, 29.2), sodass nicht eindeutig ist, ob durch die Anrede mit Xenos die besondere Leistung eines eigentlich doch Fremden betont werden soll oder ob Xerxes Pythios bereits als Gastfreund anspricht. Beim Gastmahl des Attaginos spricht der Perser, der sich mit Thersandros eine Kline teilt, Thersandros als ξεῖνε (IX, 16.4) an. Zu diesem Zeitpunkt hat sich Thersandros dem Perser bereits vorgestellt und eine gewisse Zeit mit ihm in räumlich engem Kontakt verbracht. Zudem befinden sich die beiden in einem sehr persönlichen Gespräch (vgl. dazu Kap. 3.1.2.2), sodass die Annahme getroffen werden kann, dass mit der Anrede ξεῖνε (IX, 16.4) hier eine gastfreundschaftliche Beziehung ausgedrückt wird. In IX, 91.1 erkundigt sich Leotychidas nach dem Namen des Fremden aus Samos und spricht ihn dafür mit ὦ ξεῖνε Σάμιε (IX, 91.1) an. Nachdem er dessen Namen, Hegesistratos, erfahren hat, verwendet er dennoch erneut dieselbe Ansprache: ὦ ξεῖνε Σάμιε (IX, 91.2). Xenos als Anrede findet sich in Herodots Historien also nicht nur dann, wenn der Sprechende den Namen seines Gegenübers nicht kennt, sondern auch, wenn sich Gast und Gastgeber besser kennen oder es sich sogar um Gastfreunde handelt. Flower/ Marincola (2002, S. 131) definieren die Verwendung der Anrede durch ξεῖνε mit Verweis auf Dickey (1996, S. 148) so: „ this form of address is usually used for someone of whom something is known, but not for someone with whom one is well acquainted. “ Daraus ist also ersichtlich, dass eine gastfreundschaftliche Beziehung zwischen den betreffenden Personen zwar vorliegen kann, wenn die Anrede durch ξεῖνε erfolgt, aber dass diese gastfreundschaftliche Beziehung keine starke Bindung oder intensive Bekanntschaft zwischen den Gastfreunden voraussetzt. Zudem sei dieser Terminus in der Anrede im Allgemeinen nur von einem Einheimischen verwendet, der einen Ausländer anspricht (Dickey [1996], S. 146; Flower/ Marincola [2002], S. 131), daher sei es im Rahmen des Gastmahls bei Attaginos in Theben bedeutsam, dass der Grieche Thersandros von seinem persischen Klinenpartner als ξεῖνε angesprochen wird (IX, 16.4), wodurch die dortige griechisch geprägte Atmosphäre betont wird; so schreiben Flower/ Marincola (2002, S. 131): „ in the thoroughly Greek milieu of this incident, it is not surprising that the Persian can speak as if a compatriot. “ 119 Vgl. dazu auch Ruberto (2009), S. 32. 48 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="49"?> geworden oder - und das ist aufgrund mangelnder weiterer Informationen wahrscheinlicher - lediglich beim Status des Fremden bzw. Söldners verblieben sein. 120 Doch in vielen Fällen kann bei ξεῖνος auf die Bedeutung ‚ Fremder ‘ bzw. im adjektivischen Gebrauch auf ‚ fremd ‘ geschlossen werden. Vor allem dann, wenn der Text bei der Beschreibung eines Volkes eine Abgrenzung zu einem anderen, fremden, herstellen oder die Unbekanntheit einer Person ausdrücken möchte (I, 65.2 / I, 120.5 / I, 138.2 / II, 61.2 / II, 90.1 / II, 114.2 / II, 115.4 / II, 115.6: ξεινοκτονέειν / 121 zweimal in II, 160.4 / III, 55.2 / 120 Des Weiteren ist eine eindeutige Interpretation von Xenos in III, 8.2 nicht möglich. Nachdem der Text von der rituellen Zeremonie eines Treuebundschlusses bei den Arabern berichtet hat (III, 8.1), bemerkt er, dass derjenige, der den Treuebund geschlossen hat, nun den ξεῖνον bzw. ἀστόν seinen Freunden empfiehlt. Zwar wird ξεῖνος dem ἀστός hier gegenübergestellt, was die Fremdheit des Xenos hervorhebt (vgl. dazu Anm. 55), dennoch ist daraus nicht zu erschließen, ob es sich um einen Fremden oder bereits um einen Gastfreund handelt. Eine weitere Textstelle, die eine genaue Interpretation von Xenos nicht zulässt, findet sich in V, 44.2. Die Krotoniaten sagen dort, es habe kein ξεῖνος am Krieg gegen die Sybariten teilgenommen außer der Seher Kallias. Das Verhältnis zwischen Kallias und den Krotoniaten ist aus dem Text nicht zu erschließen: War er ihr Gastfreund oder einfach nur kein Krotoniate und damit Fremder? Ähnlich verhält es sich in V, 92 η . Dort wird im Rahmen einer Hasstirade auf die Tyrannenherrschaft, die die Spartaner gemäß der Darstellung der Historien zur Schwächung Athens wieder dort einführen möchten, die Geschichte von Periander erzählt, der sich auf der Suche nach dem Pfand eines Xenos ( παρακαταθήκης πέρι ξεινικῆς - V, 92 η .2 / τοῦ ξείνου τὴν παρακαταθήκην - V, 92 η .4) befindet. Auch hier macht es der Text nicht klar, wer genau diese Person ist - ob Gastfreund oder Fremder. Und auch in VII, 226 lässt es der Text offen, ob es sich bei dem Trachinier, der Dienekes, dem tapfersten Krieger bei den Thermopylen, meldet, dass die Pfeile der Perser die Sonne verdunkeln, um einen Fremden oder Gastfreund von Dienekes handelt. Er bezeichnet ihn als ξεῖνος (VII, 226.2). 121 In II, 114 - 115 wird Xenos in den Bedeutungen ‚ Fremder ‘ , aber auch ‚ Gastfreund ‘ bzw. ‚ Gastgeber ‘ verwendet. Dort schildert der Text eine Version der Helena-Entführung durch Alexander, wie sie ägyptische Priester dargelegt haben ( ἔλεγον δέ μοι οἱ ἱρέες ἱστορέοντι τὰ περὶ Ἑλένην γενέσθαι ὧδε - II, 113.1). Alexander strandet aufgrund eines Sturmes kurz nach Helenas Raub in Ägypten (II, 113.1). Für den Priester Thonis und den ägyptischen König Proteus ist er also ein Fremder, ein Xenos ( Ἥκει ξεῖ νος - II, 114.2). Aber in dem weiteren Bericht von Thonis an Proteus, in dem er ihn als Frevler an seinem Xenos beschreibt, da er dessen Frau entführte ( ξεῖνον γὰρ τὸν ἑωυτοῦ ἐξαπατήσας τὴν γυναῖκα αὐτήν τε ταύτην ἄγων ἥκει - II, 114.2), muss Xenos die Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ bzw. ‚ Gastgeber ‘ haben. Dies gilt auch für die Verwendung von Xenos in Proteus ’ Befehl, diesen Ankömmling, der an seinem Gastgeber bzw. Gastgeber gefrevelt hat, festzunehmen ( Ἄνδρα τοῦτον , ὅστις κοτέ ἐστι < ὁ > ἀνόσια ἐξεργασμένος ξεῖνον τὸν ἑωυτοῦ , συλλαβόντες ἀπάγετε παρ᾽ ἐμέ - II, 114.3). Denn Alexander entführte Helena, als er bei Menelaos zu Gast war. Anschließend berichtet Proteus von seiner Pflicht, keinen Fremden zu töten ( Ἐγὼ εἰ μὴ περὶ πολλοῦ ἡγεύμην μηδένα ξείνων κτείνειν - II, 115.4). Hier weist alles auf die Bedeutung ‚ Fremder ‘ hin, da Proteus diese Xenoi als Personen beschreibt, die von Stürmen verschlagen, also lediglich zufällig, in sein Land kommen 2.1 Die Gastfreundschaft 49 <?page no="50"?> III, 125.3 / III, 148.2 / 122 V, 51.2 / V, 66.2 / VI, 81 / VI, 86 β .1+ δ / VIII, 134.1 / IX, 9.1 / zweimal in IX, 11.2 / IX, 53.2 / IX, 55.2 / zweimal in IX, 91.1 / IX, 91.2) oder die Fremdartigkeit von Bräuchen (durch das Adjektiv ξεινικός in I, 135 / IV, 76.1+5 / IV, 77.2 / IV, 80.5) oder gar von Göttern ( ξεινικός zweimal in I, 172.2 / ξεῖνος dreimal in II, 112.2) betont werden soll. Ebenso ist dies der Fall, wenn der Text bei außerehelichen Beziehungen den nichtehelichen Partner durch ξεῖνος beschreibt (I, 173.5 / I, 199.1+2+3). 123 ( ὅσοι ὑπ᾽ ἀνέμων ἤδη ἀπολαμφθέντες ἦλθον ἐς χώρην τὴν ἐμήν - II, 115.4). Außerdem weist Vandiver (2012, S. 149) mit Recht darauf hin, dass weder Proteus noch Alexander eine gastfreundschaftliche Verbindung angeregt hätten. In der weiteren Rede des Proteus gegenüber Alexander muss Xenos wieder die Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ bzw. ‚ Gastgeber ‘ haben, da Proteus ihm vorwirft, als Gast(-freund) - er hatte Gastgeschenke angenommen - gefrevelt zu haben ( ξεινίων τυχὼν ἔργον ἀνοσιώτατον ἐργάσαο - II, 115.4), indem er zur Frau seines Xenos ging ( παρὰ τοῦ σεωυτοῦ ξείνου τὴν γυναῖκα ἦλθες - II, 115.4) und sie zur gemeinsamen Flucht anstachelte. Zudem habe er den Palast seines Xenos, seines Gastgebers, geplündert ( τὰ οἰκία τοῦ ξείνου κεραΐσας ἥκεις - II, 115.5). Anschließend spricht Proteus wieder von seinem Gebot, Fremde nicht zu töten ( μὴ ξεινοκτονέειν - II, 115.6). Noch einmal fällt in diesem Kapitel der Begriff Xenos und hier wieder in der Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ bzw. ‚ Gastgeber ‘ . Denn der Text lässt Proteus nun den griechischen Xenos Alexanders erwähnen, für den er Helena und die geraubten Schätze zunächst in Ägypten behält, um sie diesem dann wiederzugeben ( γυναῖκα μὲν ταύτην καὶ τὰ χρήματα οὔ τοι προήσω ἀπάγεσθαι , ἀλλ᾽ αὐτὰ ἐγὼ τῷ Ἕλληνι ξείνῳ φυλάξω - II, 115.6). Damit kann nur Menelaos gemeint sein, der kein Fremder ist, sondern Alexanders Gastfreund bzw. Gastgeber war. An keiner anderen Stelle in den Historien ist die Bedeutungsvariation von Xenos so klar zu erkennen wie hier. Vandiver (2012, S. 148) hebt hervor, dass die Vielzahl der hier verwendeten „ xenia terms “ die Bedeutung des Konzepts der Xenia für diese Erzählung widerspiegelt. 122 An dieser Textstelle (III, 148.2) wird ein vergeblicher Versuch dargestellt, eine gastfreundschaftliche Verbindung herzustellen. Es wird beschrieben, dass Kleomenes die Geschenke des Samiers Maiandrios gezielt nicht annimmt, um ihm zu nichts verpflichtet zu sein (III, 148). Kleomenes selbst bezeichnet Maiandrios dann als Xenos: Denn er möchte daraufhin den Fremden von Samos ( τὸν ξεῖνον τὸν Σάμιον - III, 148.2) ausweisen, um zu verhindern, dass dieser versucht, andere Spartaner für seine Pläne an sich zu binden (III, 148.2). Die Gastfreundschaft ist hier also institutionell nicht entstanden, da Kleomenes die Geschenke von Maiandrios ablehnt, um eben keine Verpflichtung einzugehen (siehe dazu Kap. 2.1.2.2). Siehe zu dieser Erzählung auch S. 304 f. 123 Der Text verwendet in Herodots Historien an keiner Stelle das für ‚ fremd ‘ geläufige ἀλλοδαπός . Zum Teil umschreibt er das Fremde durch Formulierungen mit βάρβαρος (z. B. II, 50.1 / II, 52.3 / VIII, 135.2+3), mit ἄλλος (z. B. II, 79.1) oder er verneint dafür Wörter, die Bekanntheit bzw. Zugehörigkeit abbilden (z. B. ἐσθῆτα ἔχοντας οὐκ ἐγχωρίην - VI, 35.2). Ξεῖνος bzw. ξεινικός allerdings gebraucht er im Vergleich dazu viel häufiger, um Fremdheit auszudrücken. 50 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="51"?> 2.1.1.3.4 Xenos als Söldner Als weitere Möglichkeit für die Übersetzung von Xenos findet sich in Herodots Historien die des fremden Söldners. 124 Es umschreibt also einen Soldaten, der für ein Land kämpft, das nicht seine Heimat und ihm daher fremd ist. So ist für den bereits erwähnten Phanes, den Kambyses als Xenos bezeichnet, auch die Interpretation des Xenos-Begriffs als Söldner möglich (III, 7.2). Schließlich hat er seine Heimat Ägypten verlassen, um einem fremden Volk, den Persern, durch Ratschläge zu helfen. An einigen weiteren Stellen ist die Bedeutung von Xenos als Söldner in den Historien durch die Bezeichnung als Xenoi oder durch eine Formulierung mit ξεινικός gegeben (I, 77.4 / II, 163.2 / II, 169.1). Zusammengefasst zeigt sich, dass es in der deutschen Sprache keine exakte Übersetzung für Xenos gibt, die zwischen Gastfreundschaft und Fremdheit steht und einen dritten Weg abbildet, der beides miteinander verbindet. In Herodots Historien tritt Xenos also in fünf Bedeutungsnuancen auf (Gast, Gastgeber, Gastfreund, Fremder, Söldner). Der Rezipient ist daher gezwungen, aus dem Kontext zu erschließen, welche Beziehung die agierenden Gruppen zueinander haben, um anschließend interpretierend zu übersetzen. 2.1.2 Merkmale griechischer Gastfreundschaft Nachdem im Vorigen die Begrifflichkeit von Gastfreundschaft untersucht worden ist, möchte ich im Folgenden einige grundlegende Merkmale der griechischen Gastfreundschaft näher erläutern. Dabei soll sowohl die einfache gastfreundliche Aufnahme von Xenoi als völlig Fremde als auch die durch Rituale verankerte dauerhaft geschlossene Gastfreundschaft Berücksichtigung finden. Die zwei Prinzipien der Gastfreundschaft, auf die ich im Folgenden eingehen werde, sind erstens der göttliche Schutz des Fremden und Gastes, durch den ein Vergehen gegen die Gastfreundschaft auch zum Vergehen gegen göttliches Recht wird, und zweitens das System der Gegenseitigkeit bei gastfreundschaftlichen Verbindungen. Dabei soll im Vordergrund stehen, inwiefern der religiöse Schutz und die Gegenseitigkeit bei den in Herodots Historien dargestellten Gastfreundschaften erkennbar sind. Auf diese Weise soll zudem herausgearbeitet werden, ob die Darstellung der Historien einen Entwicklungsprozess in der Verbindlichkeit von gastfreundschaftlichen Verpflichtungen ersichtlich macht. Im Rahmen der Analyse der göttlichen Sanktion von Gastfreundschaft möchte ich auch kurz die Hikesie thematisieren, die mit der 124 Diese Bedeutung für ξεῖνος findet sich wohl das erste Mal bei Herodot (vgl. Nesselrath [2005], S. 94). 2.1 Die Gastfreundschaft 51 <?page no="52"?> Gastfreundschaft in Verbindung steht und eine besondere Form des gastfreundschaftlichen Schutzes erfordert. 2.1.2.1 Der Fremde und Gast unter göttlichem Schutz Im antiken Griechenland existierten klare Regeln, die sich auf den Umgang mit fremden Menschen beziehen. Ruby Blondell 125 erörtert in ihrem Werk ‚ Helping friends and harming enemies. A study in Sophocles and Greek ethics ‘ (1989), dass ein Mensch in seinem Mitmenschen entweder einen Freund oder Feind erkennt, was im Verhalten Helfen bzw. Schaden zur Folge hat. 126 Nur in Ausnahmefällen verspüre man Neutralität, z. B. gegenüber einem absolut Fremden, und hier könne man sich nicht an dem Konzept ‚ helping friends - harming enemies ‘ orientieren. 127 An diese Stelle sei die traditionelle Konvention der Gastlichkeit (= „ hospitality “ ) zwischen Fremden getreten, die Xenia (= „‘ guest-friendship ’“ ) zwischen Gast und Gastgeber initiiere. 128 Einen Fremden gastfreundlich aufzunehmen und zu schützen, war im antiken Griechenland durch göttlichen Schutz garantiert: Zeus Xenios wachte über die Einhaltung der damit verbundenen Verpflichtungen. 129 Ohne diesen Schutz 125 Ruby Blondell hat dieses Buch unter ihrem früheren Namen Mary Whitlock Blundell veröffentlicht. 126 Vgl. dazu Menons Definition von ἀρετή im Gespräch mit Sokrates. Neben seiner Tätigkeit im Staat bestehe für einen Mann ἀρετή auch darin, eben bei dieser Staatstätigkeit seine Freunde gut und seine Feinde schlecht zu behandeln ( καὶ πράττοντα τοὺς μὲν φίλους εὖ ποιεῖν , τοὺς δ᾽ ἐχθροὺς κακῶς - Plat. Men. 71e); vgl. dazu Gehrke (1984), S. 529; Gehrke (1985), S. 338. 127 Blondell (1989), S. 48. 128 Ebd., S. 49; dazu auch Stahl (2003), S. 59 f. Zur Diskussion bezüglich der Einordnung der Gastfreundschaft zwischen Egoismus und Altruismus siehe Wagner-Hasel (2000), S. 79 - 81 mit weiteren Literaturhinweisen. 129 Siehe dazu Schmidt zu ξεῖνος , in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ Die Aufnahme von Fremden gehört zu den Normen des friedlichen Zusammenlebens der Gesellschaft in allen Völkern (nicht nur Griechen, aber nicht bei den ‚ mythischen ‘ Kyklopen und Laistrygonen, vgl. L 4 ), die von den Göttern geschützt, deren Nichteinhaltung von den Göttern (bes. von Zeus) geahndet wird “ ; dazu ebenso Schmidt zu ξείνιος in LfgrE, vol. 3, Sp. 462: „ gastlich, Gastrecht schützend “ . Vgl. dazu auch Benveniste (1969), S. 94; Herman (1987), S. 66; Blondell (1989), S. 49; Scheid-Tissinier (1994), S. 143 - 148; Wagner-Hasel (2000), S. 81; Stahl (2003), S. 60; Hiltbrunner (2005), S. 31; Nesselrath (2005), S. 96; Burkert (2011), S. 374; Vandiver (2012), S. 144; Blondell, Scheid-Tissinier, Hiltbrunner, Nesselrath und Vandiver verweisen dabei u. a. auf zwei parallele Stellen in Homers Odyssee, in denen Zeus als Schutzmacht der Fremden und Bettler bezeichnet wird: ἀλλ’ ὅδε τις δύστηνος ἀλώμενος ἐνθάδ᾽ ἱκάνει , / τὸν νῦν χρὴ κομέειν · πρὸς γὰρ Διός εἰσιν ἅπαντες / ξεῖνοί τε πτωχοί τε · δόσις δ᾽ ὀλίγη τε φίλη τε . (Hom. Od. VI, 206 - 208) / / ξεῖν᾽ , οὔ μοι θέμις ἔστ᾽ , οὐδ᾽ εἰ κακίων σέθεν ἔλθοι , / ξεῖνον ἀτιμῆσαι · πρὸς γὰρ Διός εἰσιν ἅπαντες / ξεῖνοί τε πτωχοί τε · δόσις δ᾽ ὀλίγη τε φίλη τε / γίνεται ἡμετέρη · (Hom. Od. XIV, 56 - 59a). 52 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="53"?> wäre der Fremde einer neuen Umgebung schutzlos ausgeliefert. 130 Dass Zeus auch in Herodots Historien als Beschützer der Fremden und Gäste gilt, wird im Rahmen der Erzählung um Adrastos deutlich. Nachdem Adrastos ungewollt zum Mörder von Kroisos ’ Sohn geworden ist (I, 43.2), ruft Kroisos Zeus als καθάρσιος , als ἐπίστιος und als ἑταιρήιος an, weil er den Mörder seines Sohnes entsühnt, aufgenommen und ernährt habe (I, 44.2). 131 Es gilt also zu beachten, dass die Unversehrtheit des Fremden bzw. Gastes höchste Priorität hatte. Der Gastgeber musste somit seinem Gast jeglichen Schutz vor drohenden Gefahren von außen gewähren, solange er sich bei ihm im Haus aufhielt. 132 Da nun nicht nur eine moralische, sondern auch eine durch Götter sanktionierte Pflicht zur Einhaltung der Gastfreundschaft bestand, sicherte dies das Vertrauen zwischen Gast und Gastgeber. So konnte ein Gefühl von Sicherheit entstehen, wenn sie miteinander in Kontakt traten. Dieses so entwickelte Sicherheitsgefühl zeigt sich in Herodots Historien besonders deutlich, als davon berichtet wird, wie Xerxes auf seinem Rückweg von Griechenland nach Persien mit den Leuten in Abdera Gastfreundschaft schließt ( ξεινίην τέ σφι συνθέμενος - VIII, 120). Xerxes fühlt sich dort so sicher ( ὡς ἐν ἀδείῃ ἐών - VIII, 120), dass er - auch wenn der herodoteische Erzähler dies bezweifelt ( λέγοντες ἔμοιγε οὐδαμῶς πιστά - VIII, 120) - zum ersten Mal auf der Flucht von Athen seinen Gürtel ablegt (VIII, 120). Dass darüber hinaus der Schutz eines Fremden auch dann gewährleistet werden musste, wenn dieser Fremde zuvor Unrecht getan hatte, zeigt sich an anderer Stelle in Herodots Historien. In der Variante der Helena-Erzählung, die bei Herodot wiedergegeben wird, wird berichtet, wie es Alexander nach Helenas Entführung durch einen Sturm nach Ägypten verschlägt und er dort vor den König Proteus gebracht wird. Hier kommt es zu der besonderen Situation, dass einem Fremden Schutz gewährt wird, obwohl dieser zuvor einen 130 Vgl. Benveniste (1969), S. 341; Gould (1973), S. 90 f., Stahl (2003), S. 59 f. 131 Auch das Epitheton ἐπίστιος verweist wie ξείνιος auf die Funktion des Zeus als Beschützer der Gäste und Schutzflehenden (vgl. Asheri et al. [2007], S. 107). Denn das Adjektiv ἐπίστιος (att. = ἐφέστιος ) gehört zu ἑστία , dem griechischen Wort für das Herdfeuer im Haus; vgl. ἐφέστιος in LSJ, S. 743: „ ( ἑστία ): - at one ’ s own fireside, at home “ . Somit beschreibt ἐπίστιος wörtlich etwas oder jemanden, der sich am Herdfeuer zu Hause befindet. Daher wird Ζεὺς als ἐπίστιος als Schutzmacht über die Gastfreundschaft angerufen (vgl. ebd.: „Ζεὺς ἐπίστιος or ἐφέστιος as presiding over hospitality “ ). Auch Long (1987, S. 96) gibt mit Bezug auf das Epitheton ἐπίστιος an, dass sich Kroisos hier an Zeus als „ god of hospitality “ wendet. Vandiver (2012, S. 161) macht deutlich, dass trotz des Ausbleibens des direkten Anrufs an Zeus Xenios das Prinzip der Xenia im Vordergrund steht, da der Text Adrastos hier zweimal als Xenos bezeichnet (I, 44.2). Zum Epitheton Hetaireios siehe Anm. 416. 132 Vgl. Hiltbrunner (2005), S. 12. 2.1 Die Gastfreundschaft 53 <?page no="54"?> Frevel begangen hatte, als er selbst gegen die Regeln der Gastfreundschaft verstieß. Denn Alexander hatte zuvor gegen seinen griechischen Gastgeber Menelaos gefrevelt, als er dessen Frau entführte und dessen Haus ausplünderte (II, 115.4 - 5). Alexander kommt nun aber vom Sturm verschlagen schutzsuchend an Land. Proteus sieht daher von einem gewalttätigen Vorgehen gegen ihn ab - weniger aus empfundener Neutralität als vielmehr wegen der generellen Einstellung, gegen einen Fremden niemals mit Gewalt vorzugehen. Offensichtlich hat dieses Prinzip auch dann Gültigkeit, wenn der Fremde zuvor andernorts ein Verbrechen begangen hat. Denn als Proteus von Alexanders Vergehen erfährt, spricht er empört zu ihm (II, 115.4): Ἐγὼ εἰ μὴ περὶ πολλοῦ ἡγεύμην μηδένα ξείνων κτείνειν , ὅσοι ὑπ᾽ ἀνέμων ἤδη ἀπολαμφθέντες ἦλθον ἐς χώρην τὴν ἐμήν , ἐγὼ ἄν σε ὑπὲρ τοῦ Ἕλληνος ἐτείσαμην [ … ]. Hätte ich es nicht hoch gehalten, keine Fremden zu töten, die bisher von Stürmen verschlagen in mein Land kamen, würde ich in Vertretung des Griechen dich bestrafen [ … ]. (Übersetzung: Brodersen [2005]) Durch den Irrealis wird ersichtlich, dass Proteus Alexander für seinen Frevel gegen die Griechen sofort bestrafen würde, wenn er dann nicht gegen sein Prinzip, keine Fremden zu töten, verstieße. Dass für ihn der Schutz eines schutzsuchenden Fremden unerlässlich ist, betont er nochmals gegen Ende seiner Rede ( νῦν ὦν ἐπειδὴ περὶ πολλοῦ ἥγημαι μὴ ξεινοκτονέειν - II, 115.6). Doch Proteus greift auf andere Weise dennoch ein, wobei er gegen kein göttliches oder ethisches Recht verstößt. So behält er Helena bei sich, um sie später Menelaos zurückzugeben. Proteus fügt dann noch hinzu (II, 115.6): αὐτὸν δέ σε καὶ τοὺς σοὺς συμπλόους τριῶν ἡμερέων προαγορεύω ἐκ τῆς ἐμῆς γῆς ἐς ἄλλην τινὰ μετορμίζεσθαι , εἰ δὲ μή , ἅτε πολεμίους περιέψεσθαι . Dir aber und deinen Mitfahrern befehle ich, binnen drei Tagen aus meinem Land in ein anderes fortzuziehen - sonst werde ich euch als Feinde behandeln. (Übersetzung: Brodersen [2005]) Als Fremder ist Alexander für Proteus also noch kein persönlicher Feind, sonst würde er hier nicht zwischen dem Begriff des Fremden ( ξεῖνος ) und dem des Feindes ( πολέμιος ) differenzieren. 133 Nun setzt Proteus seinem fremden Gast ein Ultimatum, bei dessen Überschreiten der Schutz des Fremden nicht mehr gewährleistet ist. Denn handeln die sogenannten Fremden gegen Proteus ’ Anordnung, werden sie zu Feinden, die Scheu verschwindet und einer Bestrafung steht nichts mehr im Wege. 133 Vgl. dazu Benveniste (1969, S. 96): „ [ … ] xénos n ’ est pas allé au sens d ’ ‘ ennemi ’ comme hostis en latin “ . 54 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="55"?> Durch den Kontext wird deutlich, dass Proteus Alexander nur aufnimmt, da er sich gegenüber dem Fremden und Schutzsuchenden dazu verpflichtet fühlt. 134 Im Gegensatz dazu betont der Text die gastfreundschaftliche Aufnahme des einige Jahre später ankommenden Menealos durch Proteus. So berichtet der Text, wie Proteus ein entscheidendes gastfreundschaftliches Ritual vollzieht, indem er Menelaos großzügige Gastgeschenke zukommen lässt ( ξεινίων ἤντησε μεγάλων - II, 119.1) und auch Helena zurückgibt. 135 Doch nun begeht Menelaos ein Unrecht ( ἐγένετο Μενέλεως ἀνὴρ ἄδικος ἐς Αἰγυπτίους - II, 119.2). Denn er versündigt sich gegen die Ägypter, die ihn zuvor gastfreundlich aufnahmen. Um günstige Winde zu erhalten, opfert er zwei ägyptische Kinder. Damit bricht er die gastfreundschaftliche Pflicht und frevelt gegen seinen Gastfreund. Als Grieche musste er sich seines Vergehens bewusst sein. Das Ergebnis seines Verbrechens ist nun, dass er verhasst und verfolgt fliehen muss ( μισηθείς τε καὶ διωκόμενος οἴχετο φεύγων - II, 119.3). An dieser Erzählung wird dargestellt, wie die Neutralität gegenüber dem Fremden schnell in eine hier negative Richtung beeinflusst werden kann und damit aus einem Fremden ein Feind wird. Zudem zeigt sich an Menelaos ’ Vergehen, wie schnell eine gastfreundschaftliche Beziehung zerstört wird, wenn deren Regeln missachtet werden. 136 134 Zur Unterscheidung der Verwendung von Xenos als ‚ Gastgeber ‘ , ‚ Gastfreund ‘ und ‚ Fremder ‘ in dieser Erzählung siehe Anm. 121. 135 Zur Verwendung von τὰ ξείνια in der Bedeutung ‚ Gastgeschenke ‘ in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.9. 136 Vgl. Herman (1987), S. 71 f. Herman macht unter anderem auf die Auflösung der Gastfreundschaften zwischen Themison und Etearchos sowie zwischen Amasis und Polykrates in Herodots Historien aufmerksam (Herman [1987], S. 71). Themison löst seine Gastfreundschaft zu Etearchos ( διαλυσάμενος τὴν ξεινίην - IV, 154.4), nachdem dieser ihn hintergangen hat (siehe dazu Kap. 4.2.3.1.3). Das gastfreundschaftliche Verhältnis zwischen Amasis und Polykrates zerbricht in der Darstellung der Historien daran, dass Amasis wegen des ungebrochenen Glücks des Polykrates befürchtet, diesen werde bald Unglück treffen, sodass er die Gastfreundschaft sozusagen als Vorsichtsmaßnahme löst ( διαλύεσθαι ἔφη τὴν ξεινίην - III, 43.2). Denn wenn Polykrates Unglück träfe und sie noch gastfreundlich verbunden wären, würde das Unglück auch auf ihn selbst zurückfallen, da er als sein Gastfreund mit ihm mitleiden müsste (III, 43). Der Grund für die Auflösung ist also gemäß der Darstellung der Historien das Ziel, sich Mitleid und damit Trauer zu ersparen (vgl. Blondell [1989], S. 38; Schelske [2021, S. 273]: „ ein gewisser Selbstschutz “ ). An der Auflösung der Gastfreundschaft zwischen Amasis und Polykrates wird deutlich, dass nach der Auflösung nicht generell Feindschaft folgt (siehe dazu Blondell [1989], S. 38). Für einen möglichen anderen Grund der Lösung der Gastfreundschaft durch Amasis, der in der Darstellung der Historien nicht explizit geschildert wird, siehe Anm. 162. Ein gastfreundschaftliches Verhältnis setzt also auch gegenseitige Anteilnahme im Unglücksfall voraus. Bei Herodot wird dies ein weiteres Mal in VI, 21.1 ersichtlich. Dort wird beschrieben, dass die Sybariten beim Fall Milets weniger Anteilnahme zeigten als die Milesier nach der Eroberung von Sybaris durch die Stadt Kroton. 2.1 Die Gastfreundschaft 55 <?page no="56"?> Eine besonders große Verletzung der Pflicht zur Aufnahme von Fremden war dann gegeben, wenn ein Fremder als schutzflehender Flüchtling ankam, aber missachtet wurde. 137 Berühmt für ein solch frevelhaftes Verhalten ist der Kyklop Polyphem in Homers Odyssee. So bittet ihn dort zuvor Odysseus (Hom. Od. ΙΧ , 266b - 271): 138 [ … ] ἡμεῖς δ’ αὖτε κιχανόμενοι τὰ σὰ γοῦνα ἱκόμεθ’ , εἴ τι πόροις ξεινήϊον , ἠὲ καὶ ἄλλως δοίης δωτίνην , ἥ τε ξείνων θέμις ἐστίν . ἀλλ’ αἰδεῖο , φέριστε , θεούς · ἱκέται δέ τοί εἰμεν , Ζεὺς δ’ ἐπιτιμήτωρ ἱκετάων τε ξείνων τε , ξείνιος , ὃς ξείνοισιν ἅμ’ αἰδοίοισιν ὀπηδεῖ . [ … ] Wir aber, da wir hierher gelangt sind, kommen schutzsuchend zu deinen Knien, ob du wohl gastliche Bewirtung reichen oder auch sonst eine Gabe geben mögest, wie sie unter Gastfreunden Brauch ist. So scheue denn, Bester, die Götter! Schutzsuchende sind wir dir. Ist Zeus der Rächer doch der Schutzsuchenden und der Fremden: er, der Gastherr, der mit den Gästen ist, denen Scheu gebührt. (Übersetzung: Schadewaldt [1958]). Polyphems Frevelhaftigkeit wird vor allem daran sichtbar, dass er die Hikesie des Odysseus und dessen Gefährten ( τὰ σὰ γοῦνα ἱκόμεθ’ / ἱκέται / ἱκετάων ) keineswegs achtet. 139 Denn er fühlt sich weder an die damit verbundenen Verpflichtungen noch an Zeus gebunden, auf den sich Odysseus hier beruft. Denn Zeus wacht sowohl als Zeus Hikesios über die Hikesie als auch als Zeus Xenios über die Gastfreundschaft. 140 Der Kyklop handelt nur, wie es ihm sein θυμός befiehlt (Hom. Od. IX, 273 - 278). Zeus, die Götter oder ethisches Recht sind ihm dabei egal. Darüber hinaus verwendet der homerische Odysseus hier innerhalb von fünf Versen fünf Wörter mit Bezug auf Gastfreundschaft ( ξεινήϊον / zweimal ξείνων / ξείνιος / ξείνοισιν ). Polyphem verstößt also gegen göttlich sanktioniertes Recht nicht nur, da er die Hikesie ignoriert, sondern Als Grund für die - wenn auch nicht gleich starke - gegenseitige Anteilnahme gibt der Text an, dass die Milesier und Sybariten sehr eng miteinander gastfreundschaftlich verbunden waren ( πόλιες γὰρ αὗται μάλιστα δὴ τῶν ἡμεῖς ἴδμεν ἀλλήλῃσι ἐξεινώθη σαν - VI, 21.1). Nicht durch ξεινίη (Gastfreundschaft) oder ξεῖνος (Gastfreund) wird hier die gasfreundschaftliche Beziehung ausgedrückt, sondern durch das Verb ξεινοῦν . 137 Vgl. Blondell (1989), S. 49. 138 Vgl. z. B. Hiltbrunner (2005), S. 28. Die gastfreundliche Aufnahme des Odysseus bei den Phäaken stellt einen Gegensatz zum Bruch des Gastrechts bei Polyphem dar (vgl. de Moraes/ da Silva [2016], S. 36). Auf die gastliche Aufnahme des Odysseus bei den Phäaken gehe ich genauer in Kap. 2.1.2.2 ein. 139 Zur Hikesie vgl. z. B. Gould (1973); Freyburger (1988), bes. S. 502 - 515; Pötscher (1994/ 95); Gödde (2000); Naiden (2006); Alexandri/ Tzirvitzi (2019). 140 Vgl. Burkert (2011), S. 374. Zu Zeus Xenios siehe Anm. 129. 56 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="57"?> auch, da er das Gastrecht, auf das ihn Odysseus eindringlich hinweist, missachtet. 141 Auch in Herodots Historien kommt es an einer Stelle zu einer explizit angesprochenen Kombination einer Verpflichtung, die aus einer Hikesie erwächst, und einer gastfreundschaftlichen Verpflichtung, die allerdings aus einer bereits bestehenden Gastfreundschaft entspringt. An dieser Stelle berichtet der Text, dass sich die Nebenfrau des Persers Pharandates zu Pausanias flüchtet und ihn um Hilfe bittet, wobei sie im typischen Hikesiegestus seine Knie umfasst ( λαβομένη τῶν γουνάτων - IX, 76.1). Sie bittet ihn, sie als Schutzflehende aus der Kriegsgefangenschaft und Sklaverei zu befreien ( ῥῦσαί με τὴν ἱκέτιν αἰχμαλώτου δουλοσύνης - IX, 76.2). Im Gegensatz zu Odysseus bei Polyphem hat Pharandates ’ Nebenfrau mit ihrer Bitte bei Pausanias Erfolg. Pausanias macht ihr Mut, schließlich sei sie ja eine Hilfesuchende und außerdem, wie sie behauptet, auch noch Tochter von Hegetorides, seinem besten Gastfreund in jener Gegend ( Γύναι , θάρσει καὶ ὡς ἱκέτις καὶ εἰ δὴ πρὸς τούτῳ τυγχάνεις ἀληθέα λέγουσα καὶ εἶς θυγάτηρ Ἡγητορίδεω τοῦ Κῴου , ὃς ἐμοὶ ξεῖνος μάλιστα τυγχάνει ἐὼν τῶν περὶ ἐκείνους τοὺς χώρους οἰκημένων - IX, 76.3). Deutlich wird hier, dass in erster Linie die Hikesie zwingend zur Hilfe verpflichtet und die Gastfreundschaft eine zusätzliche Motivation darstellt. 142 Denn Pausanias nennt als ersten Grund für seine Hilfezusicherung, dass die Frau als Schutzflehende kam. Dass sie außerdem Tochter seines Gastfreundes ist, führt er dann als zweites Argument an. 143 141 Zu weiteren bekannten Stellen zum Gastrecht und zur Hikesie bei Homer siehe z. B. Nesselrath (2005), S. 91 - 93 sowie speziell zur Hikesie in der Odyssee Dreher (2006). 142 Wie in Homers Epen werden auch in der Darstellung von Herodots Historien die mit Hikesie verbundenen Verpflichtungen als gewichtiger bewertet als die gastfreundschaftlichen Verpflichtungen (vgl. dazu Nesselrath [2005], S. 96 f.). 143 Darüber hinaus wird mehrmals in den Historien von einer Aufnahme bzw. Unterstützung eines oder mehrerer Schutzsuchenden berichtet, die der Text als ἱκέτις bzw. ἱκέται bezeichnet (vgl. I, 73.3+6 / II, 113.3 / IV, 165.3 / VI, 108.4 / VII, 141.1), und in VI, 68 - 69 findet eine Bitte Gehör, die der Text durch ( κατ -) ἱκετεύειν (VI, 68.1+2) umschreibt. In III, 48.3 verhindern die Samier, dass die Korinther schutzflehende Knaben ( ἀπέλκειν τοὺς ἱκέτας ἐκ τοῦ ἱροῦ - III, 48.3) gewaltsam aus einem Heiligtum fortbringen. Hier finden die Schutzsuchenden also nur dadurch Hilfe, dass die Samier ihnen vor dem Zugriff der Korinther Schutz gewähren. Denn die Korinther selbst zeigen sich unbeeindruckt vom Schutzflehen der Jungen (siehe dazu Kap. 4.2.2.2.2). Ein weiteres Mal werden in den Historien in VII, 120.1 Bittflehende als ἱκέται bezeichnet. An dieser Textstelle rät Megakreon allen Bewohnern von Abdera, sich als Schutzflehende ( ἱκέτας - VII, 120.1) der Götter niederzusetzen und darum zu bitten, dass Xerxes nicht zweimal am Tag ein Mahl halten möchte. Ob die Einwohner von Abdera dies tatsächlich umsetzen, bleibt im Text offen, da ein genauer Bericht über die Versorgung von Xerxes und seinem Heer in Abdera fehlt. 2.1 Die Gastfreundschaft 57 <?page no="58"?> Obwohl die Hikesie also in den Historien einen hohen Stellenwert hat und unter göttlicher Sanktion steht, findet man dort auch mehrfach Textstellen, an denen die mit ihr einhergehenden Verpflichtungen missachtet werden. 144 144 So gelingt es z. B. der Frau von Mitradates nicht, gegenüber ihrem Mann durchzusetzen, das Kind zu behalten, das er aussetzen soll, indem sie dessen Knie umfasst und darum bittet (I, 112.1). Erst durch einen klugen Plan kann sie ihn letztlich doch dazu überreden (I, 112.2 - 113.1). In V, 51.1 kann Kleomenes Aristagoras ’ dritten Überzeugungsversuch ablehnen, diesen gegen die Perser zu unterstützen, obwohl Aristagoras bei diesem Versuch als Schutzsuchender zu Kleomenes kommt ( ὁ δὲ Ἀρισταγόρης λαβὼν ἱκετηρίην ἤιε ἐς τοῦ Κλεομένεος , ἐσελθὼν δὲ ἔσω ἅτε ἱκετεύων ἐπακοῦσαι ἐκέλευε τὸν Κλεομένεα - V, 51.1). Dass das Abschlagen der Bitte einer Person, die die Hikesie wie in diesen beiden Beispielen anwendet, negative Folgen nach sich zieht, berichtet der Text nicht. Vergehen gegen Schutzsuchende aber, die in Lebensgefahr um Hilfe bitten, sind auch in Herodots Historien als Frevel markiert. Wie wichtig also auch in den Historien der Schutz von Bittflehenden ist, wird besonders in der Erzählung um Paktyes deutlich (vgl. dazu Nesselrath [2005]. S. 96 - 98). Paktyes flieht vor den Persern, nachdem er zuvor die Lyder zum Aufstand gegen die Perser überredet hatte (I, 154), und sucht in Kyme Schutz (I, 157.1). Als dessen Auslieferung gefordert wird, fragen die Einwohner von Kyme das Orakel in Branchidai um Rat (I, 157.3) und erhalten als Antwort, dass sie Paktyes ausliefern sollen (I, 158.1). Aristodikos aber misstraut dem Orakelspruch und erreicht eine erneute Befragung (I, 158.2). Aristodikos berichtet dem Orakel, dass Paktyes als Schutzsuchender ( ἱκέτης - I, 159.1) nach Kyme kam und sie diesen Schutzsuchenden ( τὸν ἱκέτην - I, 159.2) den Persern nicht ausliefern, bis das Orakel die wahre Meinung sage. Das Orakel wiederholt auch daraufhin die Aufforderung, Paktyes auszuliefern (I, 159.2). Aristodikos entfernt nun alle Vogelnester und Vögel aus dem Tempel, worauf ihn eine Stimme aus dem Heiligtum empört als gottlosesten aller Menschen ( Ἀνοσιώτατε ἀνθρώπων - I, 159.3) anspricht und fragt, wie er es wagen könne ( τί τάδε τολμᾷς ποιέειν ; - I, 159.3), die Schutzsuchenden ( τοὺς ἱκέτας - I, 159.3) aus dem Tempel zu vertreiben. Aristodikos erwidert, warum das Orakel den Bewohnern von Kyme befehle, ihren Schützling ( τὸν ἱκέτην - I, 159.4) auszuliefern, es aber selbst den Schutzsuchenden helfe ( τοῖσι ἱκέτῃσι βοηθέεις - I, 159.4). Daraufhin stellt der Gott klar, dass er durch den Orakelspruch erreichen wollte, dass die Kymaier freveln und so schneller zugrunde gehen ( ἵνα γε ἀσεβήσαντες θᾶσσον ἀπόλησθε - I, 159.4), damit sie nicht mehr eine solche Frage stellen können, ob sie eben einen Schutzsuchenden ausliefern sollen ( περὶ ἱκετέων ἐκδόσιος - I, 159.4). An dieser Erzählung wird deutlich, wie groß der Frevel ist, wenn ein Schutzsuchender im Stich gelassen oder auch nur - unabhängig von dessen Vergehen - darüber nachgedacht wird, und wie selbstverständlich es sein sollte, Schutzsuchenden zu helfen. Die Kymaier liefern Paktyes daraufhin nicht aus, schicken ihn aber dennoch weg (I, 160.1). Er kommt schließlich nach Chios, wo er dann allerdings von den Einwohnern ausgeliefert wird, obwohl er im Tempel der Athene Poliuchos Schutz suchte (I, 160.3). Die Chier erhalten als Belohnung für die Auslieferung Atarneus in Mysien (I, 160.4). Doch da sie dieses Gebiet aufgrund eines Frevels gegen göttliches Recht (= Schutz von Hilfesuchenden), erhalten hatten, musste, wie der Text berichtet, viel Zeit vergehen, bis jemand von den Feldfrüchten in Atarneus einem Gott opfert. Denn alles, was aus diesem Land stammte, wurde von Opfern ferngehalten (I, 160.5). An einer weiteren Textstelle wird ersichtlich, dass in den Historien das Vergehen gegen Schutzsuchende als Frevel zu rechnen ist (VI, 91): Ein zum Tode verurteilter Einwohner Aiginas versucht seiner Hinrichtung zu entgehen, indem er Schutz am Tempel der Demeter 58 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="59"?> Sowohl die Hikesie als auch die Xenia sind in Herodots Historien demnach vertreten und mit den gängigen Verpflichtungen verbunden, wobei sie aber nicht immer eingehalten werden. An einigen Stellen in Herodots Historien werden gastfreundschaftliche Verfehlungen zwar durchaus als Verfehlungen gegen göttliches Recht dargestellt, an anderen Stellen aber wird eine gewisse Entwicklung in der Auffassung der Gastfreundschaft ersichtlich. Während in den homerischen Epen noch die Einhaltung und die Unversehrtheit der Gastfreundschaft an oberster Stelle standen, 145 unterlag sie zu Zeiten Herodots bereits einem Entwicklungsprozess zu einer Art Freundschaftsbündnis, dem andere Werte und Pflichten wie z. B. die eines Soldaten oder Bürgers, der für seine Polis eintritt, vorgezogen werden konnten. 146 Gabriel Herman hebt hervor, dass in der Welt der Polis, in der es ein „ concept of communal interest “ 147 gebe, die Gemeinschaft wichtiger sei als der Einzelne, sodass vor diesem Hintergrund die Desmophoros sucht, wo er sich fest an den Türgriff klammert (VI, 91.2). Um ihn von dort wegzubekommen, werden seine Hände abgeschlagen (VI, 91.2). Über die Aigineten, die diesen Frevel begingen, kommt ein Fluch, den sie trotz aller Mühen durch Opfer nicht besänftigen können ( ἀπὸ τούτου δὲ καὶ ἄγος σφι ἐγένετο , τὸ ἐκθύσασθαι οὐκ οἷοί τε ἐγένοντο ἐπιμηχανώμενοι - VI, 91.1). Gewalt gegen einen Schutzsuchenden ist zudem für die Erklärung der Historien zur Bezeichnung der sogenannten „ fluchbeladenen “ Athener (Übersetzung: Feix [1963]) entscheidend ( οἱ ἐναγέες Ἀθηναίων - V, 71.1). Dabei handelt es sich um die Alkmeoniden, die Schuld am Tod des schutzflehenden Kylon ( ἱκέτης ἵζετο πρὸς τὸ ἄγαλμα - V, 71.1) am Standbild der Göttin auf der Akropolis in Athen haben (V, 71). Diese als ‚ Kylonischer Frevel ‘ bekannte, gottlose Tat bürdet ihnen demnach den Ruf von befleckten Menschen auf. Einen ähnlichen Frevel begehen die Perser an den schutzsuchenden Athenern, die auf der Akropolis in Athen zurückgeblieben sind (VIII, 51.2). Die Perser töten die Schützlinge ( τοὺς ἱκέτας ἐφόνευον - VIII, 53.2), plündern das Heiligtum und zerstören die Akropolis durch Feuer (VIII, 53.2). Eine direkte Bestrafung wird hier vom Text allerdings nicht erwähnt. 145 Vgl. dazu Herman (1987, S. 2), der auf das in Homers Ilias dargestellte Aufeinandertreffen zwischen Diomedes, der auf griechischer Seite kämpft, und dem für Troja streitende Lykier, Glaukos, verweist. Mitten in der Schlacht senken sie die Waffen, da ihre Großväter miteinander gastfreundschaftlich verbunden waren (Hom. Il. VI, 119 - 236). 146 Vgl. Herman (1987), S. 1 - 6, S. 156 - 161. Herman (1987, S. 1) verweist auf eine Stelle in Xenophons Hellenika, wo beschrieben wird, wie sich Agesilaos gegenüber Pharnabazos im Gespräch hervorhebt, dass griechische Poleis zwar Gastfreundschaften untereinander schließen, wenn aber ein Krieg zwischen der eigenen Heimatpolis und einer durch Gastfreundschaft verbundenen Polis entsteht, werde man auf Seiten der Heimatpolis kämpfen und möglicherweise sogar Gastfreunde töten ( οὗτοι δέ , ὅταν αἱ πόλεις πολέμιαι γένωνται , σὺν τ αῖ ς πατρίσι καὶ τοῖς ἐξενωμένοις πολεμοῦσι καὶ , ἂν οὕτω τύχωσι , ἔστιν ὅτε καὶ ἀπέκτειναν ἀλλήλους - Xen. hell. IV, 1.34); Herman (1987, S. 2) betont mit Bezug auf diese Begebenheit: „ Civic obligations had come to take priority even over guestfriendship “ ; vgl. dazu aber auch Konstans Ausführungen (1997), S. 83 - 86. 147 Herman (1987), S. 6. 2.1 Die Gastfreundschaft 59 <?page no="60"?> Gastfreundschaft anders bewertet wird, als es im homerischen Epos der Fall ist. 148 Bei Herodot werden zwar nicht explizit sich festigenden Polisstrukturen als Beeinträchtigung der Verbindlichkeit von Xenia dargestellt, dennoch zeigt sich der Entwicklungsprozess daran, dass die religiöse Verbindlichkeit von Gastfreundschaft in den Historien als nicht mehr generell gültig ersichtlich wird: In V, 63.1 - 2 beschreibt der Text, wie die Spartaner vor der Entscheidung stehen, ob sie den Alkmeoniden bei der Vertreibung der Peisistratiden helfen, obwohl die Peisistratiden ihre Gastfreunde sind ( ὅμως καὶ ξείνους σφι ἐόντας τά μάλιστα - V, 63.2). Die Alkmeoniden hatten zuvor das Orakel von Delphi beeinflusst, sodass dieses den Spartanern weissagte, sie sollen die Alkmeoniden bei der Befreiung Athens unterstützen (V, 63.1). Die Spartaner folgen diesem Orakelspruch, wobei der Text dies damit begründet, dass sie die Verpflichtung gegenüber dem Göttlichen für höher einschätzen als die gegenüber den Menschen ( τὰ γὰρ τοῦ θεοῦ πρεσβύτερα ἐποιεῦντο ἢ τὰ τῶν ἀνδρῶν - V, 63.2). Die göttliche Verpflichtung besteht also im Befolgen des Orakelspruchs und nicht in der Bewahrung der gastfreundschaftlichen Pflichten, die lediglich eine Pflicht gegenüber Menschen sei. Als die Spartaner von der Beeinflussung des Orakels erfahren, betrachten sie es als doppeltes Unglück, weil sie ihre Gastfreunde ( ἄνδρας ξείνους - V, 90.1) aus der Heimat vertrieben hatten und die Athener es ihnen nicht einmal dankten (V, 90.1). Die Spartaner bereuen zwar ihr Vergehen, aber bezeichnen es nicht explizit als religiösen Frevel, sondern als Unglück, als συμφορή (V, 90.1). Sie sind sich zudem bewusst, nicht richtig gehandelt zu haben ( οὐ ποιήσασι ὀρθῶς - V, 91.2), da sie ja ihre Gastfreunde vertrieben hatten ( ἄνδρας ξείνους ἐόντας ἡμῖν τὰ μάλιστα - V, 91.2). Dass dies als religiöser Frevel bewertet wird, ist aus dem Text nicht zu erschließen. Es fällt aber auf, dass der Text die Spartaner in ihrer Rede eingestehen lässt, die Macht in Athen dem undankbaren Volk übergeben zu haben ( δήμῳ ἀχαρίστῳ παρεδώκαμεν τὴ ν πόλιν - V, 91.2). Undankbarkeit impliziert, dass sie für ihr Handeln keinen Dank bzw. keine Gegengabe erhalten hatten, und dies ist einer der Gründe, weshalb sie ihr Handeln bereuen. Eine religiöse Sanktion beim Verstoß gegen gastfreundschaftliche Pflichten aber scheint bereits zu Herodots Zeiten nicht mehr generell befürchtet worden zu sein. 149 Es zeigt sich demnach, 148 Herman (1987), S. 5 f. 149 Dies darf aber keineswegs als generelle Grundregel für Herodots Historien verstanden werden, da der Text Verbrechen gegen einen Gastfreund ja durchaus teilweise als Verstoß gegen göttliches Recht bezeichnet. Das wird z. B. bei der Anrufung des Zeus καθάρσιος , ἐπίστιος und ἑταιρήιος durch Kroisos offensichtlich, der sich durch seinen Gast Adrastos ungerecht behandelt fühlt (I, 44.2). Außerdem sei hier an die Helena- Erzählung im zweiten Buch der Historien erinnert. Dort wird das Vergehen des Alexanders gegenüber seinem Gastgeber Menelaos von Proteus als ἔργον δὲ ἀνόσιον 60 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="61"?> dass die Entwicklung der Bewertung eines Vergehens gegen die Gastfreundschaft weg vom religiösen Frevel hin zum rein moralischen Vergehen in der Darstellung der Historien ersichtlich wird, es sich dabei aber noch nicht um einen abgeschlossenen Prozess handelt. Die menschliche, ethische Verpflichtung bleibt dabei ohnehin bestehen. 2.1.2.2 Die Gegenseitigkeit der griechischen Gastfreundschaft Um überhaupt ein dauerhaftes gastfreundschaftliches Verhältnis schließen zu können, bedurfte es einer Reihe von Ritualen. 150 Dazu gehörte unter anderem die Gabe und Gegengabe von Geschenken. 151 Nur so konnte man zuverlässig darauf vertrauen, in Zukunft auch bei seinen Gastfreunden sichere Aufnahme und Unterstützung zu finden. 152 Um diese Beständigkeit zu gewährleisten, wurden beim Schließen der Gastfreundschaft noch zusätzliche Erinnerungsbezeichnet (II, 114.2) und damit als Tat, die gegen göttliches Recht widersprochen hat (dazu Lloyd in Asheri et al. [2007, S. 323]: „ it was worse than an ἄδικον ; for he had committed an offence against Zeus Xenios “ ). Und auch den Plan von Menelaos, in Ägypten, wo er zuvor gastfreundlich aufgenommen worden war, zwei Kinder zu opfern, um dafür günstige Winde zu bekommen, bewertet der Text als Frevel ( ἐπιτεχνᾶται πρῆγμα οὐκ ὅσιον - II, 119.2). Vandiver (2012, S. 150) weist mit Blick auf II, 120.5 darauf hin, dass mit dem dort angesprochenen großen Unrecht, dem die Rache der Götter - hier die Zerstörung Trojas - folgt ( ὡς τῶν μεγάλων ἀδικημάτων μεγάλαι εἰσὶ καὶ αἱ τιμωρίαι παρὰ τῶν θεῶν - II, 120.5), Alexanders ’ Verstoß gegen die Regeln der Gastfreundschaft im Haus von Menelaos gemeint sei. Erstaunlich ist allerdings, dass auf Menelaos ’ Frevel gegen die Gastfreundschaft von Proteus bzw. ganz Ägypten keine göttliche Rache im Rahmen der Historien beschrieben wird (siehe dazu Vandiver [2012], S. 152 - 155. Vandiver begründet dies so: „ Divine retribution for Greek misdeeds in and after the Trojan War was not his main topic, but a demonstration of the inevitability of divine retribution for the transgressions of non-Greek monarchs was “ (Vandiver [2012], S. 155). 150 Vgl. dazu die Literaturhinweise in Anm. 62. 151 Vgl. Herman (1987), S. 60 f.; Stahl (2003), S. 61 - 63; Basile (2016a), S. 230. Der Geschenkeaustausch ist ein gängiges System in unterschiedlichen Kulturen und Situationen: Mit der Theorie des Gabentauschs in ‚ archaischen ‘ Gesellschaften (bes. polynesischen, melanesischen, nordamerikanischen) hat sich Marcel Mauss 1925 in seinem Werk ‚ Essai sur le don ‘ intensiv auseinandergesetzt. Mauss ’ Essay ist „ die erste systematische und vergleichende Studie über das weit verbreitete System des Geschenkaustauschs und die erste Deutung seiner Funktion im Bezugsrahmen der gesellschaftlichen Ordnung “ , wie Evans- Pritchard im Vorwort (S. 11) zur Ausgabe der deutschen Übersetzung (= ‚ Die Gabe ‘ ) schreibt (= Mauss [2019]). 152 Vgl. dazu auch die Verse 553 - 560 in Euripides ’ Alkestis: Admet erklärt dem Chorführer, weshalb er trotz seiner Lage - seine Frau Alkestis liegt im Sterben - Herakles unbedingt als Gast aufnehmen möchte. In Argos werde er nämlich ebenfalls immer freundlich aufgenommen ( αὐτὸς δ᾽ ἀρίστου τοῦδε τυγχάνω ξένου , / ὅταν ποτ᾽ Ἄργους διψίαν ἔλθω χθόνα - Eur. Alc. 559 - 560). Außerdem beweist Admet, da er Herakles bei der Aufnahme auch die momentane Situation in seinem Haus verschweigt, seinen Freunden immer unaufgefordert Hilfe zu bieten, ihnen aber nicht den eigenen Kummer aufzubürden (vgl. 2.1 Die Gastfreundschaft 61 <?page no="62"?> gaben (Symbola) ausgetauscht. 153 Diese besondere Beziehung zeichnet sich nicht nur durch einen dauerhaften, sondern sogar transgenerationellen Charakter aus. 154 Doch auch unabhängig von der rituellen Gastfreundschaft, d. h. auch dann, wenn kein dauerhaftes gastfreundschaftliches Verhältnis geschlossen worden ist, wenn es sich bei dem Fremden z. B. um eine besitzlose Person handelte, von der keine Gegengabe erwartet werden konnte, war der Schutz des Fremden und Gastes unbedingt zu gewährleisten. 155 Soziale Egalität war zwar keine grundsätzliche Voraussetzung für eine ritualisierte Gastfreundschaft, 156 allerdings konnte bei sozial gleichberechtigten Partnern eine geringere Skepsis gegenüber dem noch Fremden erwartet werden. Diese These möchte ich nun anhand einer der wohl berühmtesten literarischen Darstellung einer gastfreundschaftlichen Aufnahme verdeutlichen, bei dem augescheinlich soziale Differenzen zwischen dem Fremden und dem Gastgeber bestehen. So strandet in Homers Odyssee Odysseus nach zwei Tagen Überlebenskampf im tosenden Meer bei den Phäaken. Nackt und ungepflegt erscheint er der Königstochter Nausikaa dazu Konstan [1997], S. 90). Zu den einzelnen Bereichen, in denen sich Gastfreunde gegenseitig unterstützen, siehe Herman (1987), S. 128 - 130. 153 Vgl. Herman (1987), S. 59. Zu den Symbola siehe Gauthier (1972), S. 62 - 104; Herman (1987), S. 61 - 66. 154 Zum ‚ transgenerationellen Charakter ‘ siehe Herman (1987), S. 16 f., S. 69 f.; Benveniste (1969), S. 94; Basile (2016a), S. 230; Kaplan (2016), S. 137. Dabei betont Herman (1987, S. 70), dass eine solche Beziehung vergessen werden und dann durch eine „ renewal ceremony “ erneuert werden konnte. Konstan (1997, S. 36 f.) argumentiert, dass die Vererbung solcher gastfreundschaftlichen Beziehungen möglich war, aber keine Verpflichtung dafür bestand. Zur Verpflichtung der Einhaltung von gastfreundschaftlichen Pflichten auch gegenüber Nachkommen vgl. IX, 76: Pausanias hilft Pharandates ’ Ehefrau, weil sie Schutzflehende ist und Tochter des Hegetorides, seinem besten Gastfreund in jener Gegend (vgl. Herman [1987], S. 22). Dazu auch Schmidt zu ξεῖνος in LfgrE, vol. 3, Sp. 464: „ [ … ] Ein einmal zum Gast gewordener Fremder bzw. einer, bei dem man einmal zu Gast war, oder mit dem man Geschenke ausgetauscht hatte [ … ], ist auf dauernd Gastfreund, d. h. Freund von außerhalb der eigenen Gemeinde. Diese gegenseitige Beziehung erstreckt sich auf die Familien, auch über mehrere Generationen (vgl. πατρώϊος ). “ 155 Siehe dazu Kap. 2.1.2.1. 156 Vgl. Herman (1987), S. 37: Entscheidend für das Entstehen einer Gastfreundschaft sei in erster Linie nicht der soziale Status, sondern dass einer der Partner etwas besitzt, was der andere benötigt. Herman weist aber auch daraufhin, dass unfreie Männer nie, Frauen äußerst selten und Männer aus einem geringen sozialen Stand nur ziemlich selten ein solch gastfreundschaftliches Verhältnis pflegen (Herman [1987], S. 34 f.). Stein-Hölkeskamp erwähnt zudem mehrfacht, dass gastfreundschaftliche Beziehungen und deren Pflege besonders in den aristokratischen Bereich zu rechnen sind (vgl. Stein-Hölkeskamp [1989], S. 53, S. 79 f., S. 82, S. 103, S. 104, S. 108, S. 119, S. 208). 62 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="63"?> und ihren Begleiterinnen (Hom. Od. VI, 135 - 137). Keineswegs macht sein Äußeres in diesem Zustand den Eindruck, als sei er ein Held oder Angehöriger der Adelsschicht auf gleichem sozialem Stand mit der Königstochter. So fliehen die Mädchen vor seiner erschreckenden Gestalt. Nur Nausikaa bleibt, da sie von Athene Mut eingeflößt bekommt (Hom. Od. VI, 138 - 140), und erwidert Odysseus ’ Bitte, ihm die Stadt zu zeigen und ihm Kleidung zu geben (Hom. Od. VI, 175 - 197). Sie fordert ihre Begleiterinnen auf, ihm, dem armen Fremden, Essen und Trinken zu geben und ihn zu baden (Hom. Od. VI, 199 - 210). Sie verweist dabei auf Zeus als Beschützer der Armen und Fremden ( πρὸς γὰρ Διός εἰσιν ἅπαντες / ξεῖνοί τε πτωχοί τε · δόσις δ᾽ ὀλίγη τε φίλη τε - Hom. Od. VI, 207b - 208). 157 Nausikaa nimmt den Fremden also auf und beabsichtigt, ihm seine Bitten zu erfüllen. 158 Von Anfang an aber herrscht eine Unsicherheit sowohl auf Seiten der Königstocher Nausikaa als auch bei Odysseus vor, der zu Beginn nicht weiß, wie er Nausikaa am besten ansprechen soll (Hom. Od. VI, 141 - 144). Doch nach der Reinigung vom Salz des Meeres und dem Einölen erglänzt Odysseus plötzlich durch Athene verwandelt in einen strahlend schönen Mann (Hom. Od. VI, 224 - 235). 159 Durch den Anblick dieses Mannes verschwindet die Unsicherheit und Nausikaa ist sich plötzlich sicher, dass dieser nicht von den Göttern verfolgt zu den Phäaken gekommen sein kann (Hom. Od. VI, 240 - 241). Sein jetziges gottgleiches Antlitz lässt sie sogar erhoffen, dass er sie zur Frau nimmt (Hom. Od. VI, 242 - 245), und sofort bittet sie ihre Begleiterinnen erneut, dem Mann zu essen und zu trinken zu geben (Hom. Od. VI, 246). Auch wenn sich Odysseus noch nicht als Odysseus zu erkennen gibt, so lässt sein schönes Aussehen nun auf einen hohen sozialen Stand schließen. Die Standesgleichheit ist also wiederhergestellt und die gastfreundschaftliche Aufnahme geschieht jetzt ohne Bedenken. Daran wird ersichtlich, dass Gastfreundschaft zwar grundsätzlich jedem Fremden gewährt werden sollte, dass aber dennoch eine Skepsis gegenüber dem Fremden 157 Vgl. dazu Anm. 129. 158 Trotz der Ungewissheit, wer dieser fremde vermeintliche Bettler ist, nimmt Nausikaa ihn gastfreundlich auf (vgl. dazu de Moraes/ da Silva [2016], S. 36). 159 Eine gastfreundschaftliche Aufnahme in ein solch vornehmes Haus in den homerischen Epen kann in zwei Abschnitte geteilt werden: „ Am Anfang steht das Bad und die Neueinkleidung. Anschließend folgt das gemeinsame Mahl und das Trinkgelage. Auch hier sind beide Geschlechter beteiligt. Das Bad ist Sache der Töchter des Hauses oder der dienenden Frauen [ … ]. “ (Wagner-Hasel [2000], S. 113f). Nausikaa fordert die Mädchen auf, Odysseus zu baden und ihm zu essen und trinken zu geben (Hom. Od. VI, 209 - 210), und erfüllt damit das gewöhnliche Ritual der gastfreundschaftlichen Aufnahme, auch wenn Odysseus seine Reinigung selbst übernehmen möchte (Hom. Od. VI, 218 - 222). 2.1 Die Gastfreundschaft 63 <?page no="64"?> besonders dann bestehen blieb, wenn dieser nicht dem gleichen sozialen Stand angehörte. 160 Die ideale Harmonie einer solchen ritualisierten Freundschaft liegt, wie Gabriel Herman hervorhebt, für die Partner nur dann vor, wenn sich beide auf dem gleichen sozialen Level befinden. 161 Dass soziale Unterschiede zwischen Gastfreunden für das erfolgreiche Fortbestehen der Xenia problematisch sein können, wird mehrfach auch in der Darstellung von Herodots Historien ersichtlich. 162 Ein sichtbares Zeichen für die geforderte Gleichberechtigung 160 Odysseus kommt später in der Odyssee in Gestalt eines Bettlers unerkannt zurück nach Ithaka und erfährt unterschiedlichste Reaktionen auf sein ‚ neues ‘ Aussehen (Hom. Od. XIV - XXII). Von Eumaios, dem Schweinehirten, wird er trotz seiner Bettlergestalt gastfreundlich aufgenommen und geachtet. Ebenso verhalten sich auch seine Amme Eurykleia, sein Sohn Telemach und seine Ehefrau Penelope respektvoll gegenüber dem vermeintlich unbekannten Bettler. Die Freier dagegen missachten und schikanieren ihn, wodurch sie gegen das Gastrecht freveln. Ihr respektloses Verhalten büßen sie später mit dem Tod; vgl. Nesselrath (2005), S. 92. Zum Gegensatz zwischen dem gastfreundlichen Verhalten des Eumaios auf der einen und dem Frevel gegen die Gastfreunschaft des Polyphems auf der anderen Seite siehe Wagner-Hasel (2000), S. 82 - 91. 161 Vgl. Herman (1987, S. 35): „ Only when both partners enjoyed an equally elevated social standing was the relationship in harmony with its ideal image. “ 162 So missbraucht z. B. Etearchos als βασιλεύς (IV, 154.1) die Gastfreundschaft des sozial niedriger gestellten Themison als ἔμπορος (IV, 154.3); vgl. Herman (1987), S. 34/ Anm. 74; Köster (2011), S. 140/ Anm. 746; siehe dazu Kap. 4.2.3.1.3. Auch die Gastfreundschaft, die zwischen Pythios, der zwar reich ist, aber in der sozialen Ordnung dennoch hinter dem Großkönig zurücksteht, führt zu einer grausamen Handlung von Xerxes gegenüber Pythios. Die Gastfreundschaft bewirkt für Pythios lediglich eine Milderung der Bestrafung, keineswegs einen Gewinn (VII, 39.2; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2.2). Ganz anders dagegen verhält es sich mit der Gastfreundschaft zwischen Periander als Tyrann von Korinth und Thrasybulos, dem Tyrannen von Milet. Sie pflegen eine starke Gastfreundschaft ( ξεῖνον ἐς τὰ μάλιστα - I, 20; siehe zu dieser Formulierung Anm. 830). So hilft Periander letztlich dabei, Frieden zwischen Milet und den Lydern herzustellen (I, 20 - 22). Auch zwischen dem König der Ägypter, Amasis, und Polykrates, dem Tyrannen von Samos, besteht eine Gastfreundschaft zwischen zwei sozial gleichgestellten Personen, insofern man sie beide als Herrscher ansieht. Dabei ist diese Gleichstellung aber dadurch etwas beeinträchtigt, da Amasis über ein größeres und mächtigeres Reich als Polykrates herrscht. Zur möglichen unterschiedlichen Auffassung dieses Xenia-Bündnisses durch Amasis und Polykrates aufgrund dessen siehe Kaplan (2016), S. 151 f.; zur Frage, ob es sich um ein militärisches oder persönliches Xenia- Verhältnis zwischen Amasis und Polykrates handelt, siehe Anm. 1080. Ihre Gastfreundschaft wird gemäß der Darstellung der Historien nicht wegen eines Vergehens gegeneinander aufgelöst, sondern aufgrund von Amasis ’ Besorgnis, zu stark mit Polykrates bei dessen befürchteten Fall mitleiden zu müssen (III, 43) (siehe Anm. 136). Unabhängig von davon sieht Kaplan den wahrscheinlichsten Grund für die Auflösung dieser Xenia- Beziehung durch Amasis in einem „ lack of reciprocity “ (Kaplan [2016], S. 151), da Amasis in der Annahme, der Partner mit der größeren Macht zu sein, nicht genügend Nutzen für sich aus diesem Bündnis ziehen konnte, im Gegenteil sogar unzufrieden mit Polykrates ’ 64 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="65"?> und Gegenseitigkeit der Gastfreundschaft liegt in dem Prinzip der Gabe von Geschenken und den daraus resultierenden Gegengaben. So werden in Herodots Historien die Bezeichnungen Xenos oder Xenia häufig dann verwendet, wenn von einer Gabe und Gegengabe berichtet wird: So kann z. B. Kroisos mit den Spartanern sein gewünschtes Bündnis ( ἐποιήσαντο ὅρκια ξεινίης πέρι καὶ συμμαχίης - I, 69.3) schließen, nachdem er ihnen Geschenke gebracht und zugleich um dieses Bündnis gebeten hat (I, 69). Als Gegengabe ( δῶρον βου λόμενοι ἀντιδοῦναι Κροίσῳ - I, 70.1) stellen die Lakedaimonier einen Mischkrug für Kroisos her, der jedoch auf dem Weg nach Sardes verloren geht (I, 70). 163 Allerdings bedeutet Gleichberechtigung in einer gastfreundschaftlichen Beziehung nicht, dass nach einer Gabe eine Gegengabe zu erfolgen hat, die exakt der Gabe entspricht. 164 Entscheidend ist, dass eine möglichst gleichwertige Gegengabe erfolgt. 165 So konnte in der Darstellung von Herodots Historien auch die Gastfreundschaft selbst zum Geschenk und zur Gegengabe „ disruptive and piratical behavior “ (ebd.) war, da es seinem Plan entgegenstand, in der Ägäis ein Netzwerk aus Verbündeten aufzubauen (vgl. ebd.). Dass aber auch zwischen Partnern, die definitiv nicht dem gleichen sozialen Stand angehören, eine Gastfreundschaft dauerhaft bestehen kann, wird in den Historien ebenfalls ersichtlich. So ist dies z. B. zwischen Demaratos und dem persischen Großkönig Xerxes der Fall (VII, 237). Es handelt sich daher nicht um ein durchgängiges Motiv, dass eine Gastfreundschaft zwischen sozial ungleichen Partnern sicher zum Scheitern verurteilt ist. Dagegen findet sich in Herodots Historien jedoch keine Gastfreundschaft zwischen sozial gleichgestellten Partnern, die scheitert, indem einer der Partner die damit verbundenen Konventionen für seine Zwecke instrumentalisiert. 163 Der Austausch von Geschenken in Bezug auf die Gastfreundschaft wird explizit auch zwischen Amasis und Polykrates erwähnt (II, 182 / III, 39.2). Ein weiteres Beispiel dafür findet sich in III, 88.1, wenn die Araber als (Gast-)freunde ( ξεῖνοι - III, 88.1) der Perser bezeichnet werden, da sie Kambyses durch ihr Land nach Ägypten ziehen ließen. An anderer Stelle erhofft sich Kambyses durch Gastgeschenke ein Bündnis mit den Aithiopiern (III, 21.1). Später erklärt Xerxes den Einwohnern von Akanthos seine Gastfreundschaft ( ξεινίην τε ὁ Ξέρξης τοῖσι Ἀκανθίοισι προεῖπε - VII, 116) und beschenkt sie mit medischer Kleidung und Lobesworten als Gegengabe für ihren Einsatz im Krieg und beim „ Kanalbau “ (Übersetzung: Feix [1963]) (VII, 116). In diesem Fall ist die Gegenseitigkeit allerdings nur vordergründig gegeben. Denn die Einwohner von Akanthus sind Xerxes untergeben und können aus eigenem Willen nicht ohne Weiteres seinen Forderungen widersprechen (vgl. Basile [2016a], S. 242 f.). 164 So hebt Herman (1987, S. 93) hervor, dass es bei einem ritualisierten freundschaftlichen Verhältnis wie der Gastfreundschaft keine genaue Rechenschaftspflicht bestehe, sodass die Gegengaben in ihrer Art variieren. Auch Blondell (1989, S. 49) betont, dass eine Gegengabe durch einen Xenos nicht unmittelbar und in gleicher Weise erfolgen müsse. 165 Vgl. Herman (1987), S. 60 f. 2.1 Die Gastfreundschaft 65 <?page no="66"?> für eine erhaltene Leistung werden. 166 Es müssen also auch in den Historien stets die äußeren Umstände miteinbezogen werden, um eine Gegengabe als geeignet oder unpassend bewerten zu können. Besonders deutlich wird dies im Fall der Verweigerung der erbetenen Gegengabe von Xerxes an Pythios. Pythios, der Xerxes und sein Heer mit größter Freigebigkeit aufgenommen hat (VII, 27 - 29), bittet den Großkönig später darum, dass nicht all seine Söhne in den Krieg gegen Griechenland ziehen müssen. 167 Er fasst Mut dazu, da er auf die Nachwirkung seiner Gaben vertraut ( ἐπαρθείς τε τοῖσι δωρήμασι - VII, 38.1) und zudem von Xerxes zugesagt bekommt, dass seine Bitte erfüllt werde (VII, 38.2). 168 Xerxes allerdings, der als absoluter Herrscher über Pythios steht und damit eine solche Bitte als respektlos empfindet, 169 rechnet nicht mit einer solchen Forderung (VII, 38.2) und reagiert empört (VII, 39). Er lässt den ältesten Sohn des Pythios töten, auseinanderteilen und das Heer zwischen dessen beiden Körperteilen hindurchziehen (VII, 39.3). 170 Ihn selbst und seine anderen Söhne hätten in Xerxes ’ eigenen Worten die Gastfreundschaft bzw. die Gastgeschenke gerettet ( ῥύεται τὰ ξείνια - VII, 39.2), die er ihm und seinem Heer damals zukommen ließ. Die zuvor bereits geleistete Gegengaben des Xerxes an Pythios für seine großzügigen Geschenke bestanden in Geld und darin, dass Pythios Xerxes ’ Gastfreund wurde (VII, 29.2). Die letzte Gabe aus dieser Gastfreundschaft erfährt Pythios hier lediglich in der Milderung einer Bestrafung: Vier seiner Söhne und er selbst überleben. Besonders da auch Xerxes selbst sowie all seine Verwandten und Söhne gegen Griechenland ziehen (VII, 39.1), hält er die Bitte von Pythios, sein ältester Sohn möge nicht in 166 Vgl. dazu VII, 27 - 29, wenn berichtet wird, wie Pythios Xerxes und sein Heer mit größter Gastlichkeit aufnimmt ( ἐξείνισε τὴν < τε > βασιλέος στρατιὴν πᾶσαν ξεινίοισι μεγίστοισι καὶ αὐτὸν Ξέρξην - VII, 27.1) und Xerxes ihn zum Dank für die großzügigen Gastgeschenke ( ξείνια - VII, 29.1) in Form von Bewirtung des Heeres und dem Angebot der finanziellen Unterstützung des Kriegszuges zu seinem Gastfreund macht ( ξεῖνόν τέ σε ποιεῦμαι ἐμὸν - VII, 29.2). Anstatt diese finanzielle Unterstützung anzunehmen, übergibt Xerxes Pythios zudem noch Geld, um dessen Vermögen auf eine runde Summe zu erhöhen (VII, 29.2 - 3). 167 Pythios geriet nämlich aufgrund einer Himmelserscheinung, einer Sonnenfinsternis (vgl. VII, 37.2), in Furcht ( καταρρωδήσας τὸ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ φάσμα ἐπαρθείς - VII, 38.1). 168 Heni (1976, S. 34) verweist auf die doppelte Motivation des Pythios, die neben dem Vertrauen auf seine Gastfreundschaft zu Xerxes auch in seiner Furcht wegen der Sonnenfinsternis besteht (VII, 38.1). 169 Vgl. dazu Heni (1976), S. 35 - 38. Dafür, dass Xerxes so grausam reagiert, da er sich durch Pythios ’ Bitte beleidigt fühlt, vgl. auch Ruberto (2009), S. 30 f. 170 Dass ein Heer durch ein entzweigeschnittenes Opfer hindurchzieht, entspricht einem bezeugten Ritus (vgl. dazu How/ Wells [1912b], S. 145; Heni [1976], S. 39 mit den Hinweisen in Anm. 87 sowie Hofmann/ Vorbichler [1979], S. 81 - 89, Burkert [2011], S. 131 und Vannicelli [2018], S. 349 f. mit ebenfalls jeweils weiteren Literaturverweisen). 66 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="67"?> den Krieg ziehen müssen, für unverschämt ( ἐς τὸ ἀναιδέστερον ἐτράπευ - VII, 39.2). 171 Er bestraft Pythios aber aufgrund seiner noch bestehenden Gastfreundschaft geringer, als er es seiner Meinung nach verdient hätte ( τὴν μὲν ἀξίην οὐ λάμψεαι , ἐλάσσω δὲ τῆς ἀξίης - VII, 39.2). 172 Auch das kann als eine Art von Gegengabe verstanden werden, wenn sie auch grotesk und problematisch ist. 173 Dass sich Xerxes gegenüber Pythios als überlegen betrachtet, schließt eine Gleichberechtigung der Gastfreunde ohnehin aus und beeinträchtigt die harmonische Existenz der Gastfreundschaft. 174 So lehnt Xerxes Pythios ’ Forderung letzlich nicht nur ab, sondern bestraft ihn sogar noch durch die Tötung des erstgeborenen Sohnes. Zusätzlich muss hier mit Blick auf die 171 Dass sich Xerxes durch diese Bitte in seiner Ehre gekränkt fühlt, zeigt sich einerseits daran, dass er in Zorn gerät ( ἐθυμώθη - VII, 39.1) und Pythios nun nicht mehr mit ξεῖνε (VII, 29.1), sondern mit ὦ κακὲ ἄνθρωπε (VII, 39.1) anspricht (vgl. Heni [1976], S. 36). 172 Vgl. Heni (1976, S. 38), der hervorhebt, dass Xerxes diese Strafe für „ unverdient milde “ ( ἐλάσσω δὲ τῆς ἀξίης - VII, 39.2) hält, da schließlich Pythios und seine vier Söhne überleben. Heni (ebd.) verweist darauf, dass Pythios dies der „ nicht aufgelöste[n] Gastfreundschaft “ zu verdanken habe. Eine solch groteske Milderung einer Bestrafung durch eine gastfreundschaftliche Verpflichtung findet sich auch in Homers Odyssee in der Aussage Polyphems wieder, er werde Odysseus zum Dank für den guten Wein als Letzten verspeisen (Hom. Od. IX, 369 - 370). Das solle er als Gastgeschenk bzw. gastliche Bewirtung ansehen ( τὸ δέ τοι ξεινήϊον ἔσται - Hom. Od. IX, 370). Vgl. dazu Nesselrath (2005), S. 96. Auch hier besteht die auf der Gastfreundschaft beruhende Gabe also lediglich in der Linderung einer Katastrophe. 173 Thematisch ähnlich verhält sich dazu die im vierten Buch der Historien dargestellte Bitte des Persers Oiobazos an Dareios (vgl. auch Vannicelli [2018], S. 337 f. sowie S. 349, der diese Erzählung als „ parallelo episodio “ [S. 337] bezeichnet). Oiobazos bittet Dareios darum, dass zumindest einer seiner Söhne nicht in den Krieg ziehen muss, sondern bei ihm bleiben darf (IV, 84.1). Oiobazos wird hier als φίλος des Dareios ( ὡς φίλῳ ἐόντι - IV, 84.1) und nicht als ξεῖνος bezeichnet. Das heißt, es bestehen in dieser Beziehung anders als in einem gastfreundschaftlichen Verhältnis keine verpflichtenden Gegenleistungen und daher sind die Voraussetzungen in dieser Situation anders als es bei Pythios ’ Bitte an Xerxes der Fall ist. Während Xerxes durchaus von Leistungen spricht, die Pythios für ihn erbracht hatte, wird von Oiobazos keine besondere Leistung Dareios gegenüber erwähnt. Die Folge ist: Alle Söhne von Oiobazos werden getötet (IV, 84.2). Während durch die Gastfreundschaft des Pythios also wenigstens vier Söhne überleben, hilft Oiobazos seine Philia nicht. Flower (2006, S. 282) zählt als Beispiel von Dareios ’ Taten, die die Taten des Xerxes vorausahnen lassen unter anderem auch Dareios ’ Vorgehen gegen die Söhne des Oiobazos auf, das eben auf das Töten von Pythios ’ Sohn durch Xerxes unter ähnlichen Umständen vorverweist. Zu Ähnlichkeiten aber auch Unterschieden zwischen diesen beiden Episoden siehe auch Heni (1976), S. 42 f. 174 Diese Ungleichheit zeigt sich schon darin, dass Pythios Xerxes mit ὦ δέσποτα (VII, 38.2) anredet, eine Anrede, die, wie Heni (1976, S. 35) betont, Unterwürfigkeit ausdrückt und „ zwischen zwei Gastfreunden nicht passend “ sei; vgl. auch Vannicelli (2018), S. 349. Außerdem bezeichnet Xerxes Pythios nun als Sklave ( ἐὼν ἐμὸς δοῦλος - VII, 39.1); vgl. Heni (1976), S. 37; dazu auch Ruberto (2009), S. 29 - 31; Vannicelli (2018), S. 337. Zur Gastfreundschaft zwischen sozial ungleichen Partnern siehe Kap. 2.1.2.2 mit Anm. 162. 2.1 Die Gastfreundschaft 67 <?page no="68"?> Gastfreundschaft zwischen Xerxes und Pythios beachtet werden, dass die Achämeniden großen Wert auf Loyalität legten, diese belohnten und so die persischen Aristokraten an sich banden; Illoyalität dagegen bestraften sie, wobei Geschenke wieder zurückgenommen werden konnten. 175 Auffällig ist, dass Xerxes zumindest in der Darstellung der Historien dennoch auch auf die in Griechenland geläufige Xenia-Verbindung verweist, um Pythios darauf aufmerksam zu machen, dass er sowie seine vier weiteren Söhne nur aufgrund dieser Verbindung überleben. Damit frevelt Xerxes zumindest in der Sichtweise der Historien und damit aus griechischer Perspektive in erster Linie gegen die bekannten gastfreundschaftlichen Konventionen, worin ein Akt der Hybris ersichtlich wird. 176 Die Institution der Gastfreundschaft verspricht also aufgrund ihrer Regeln Sicherheit. Aber da sie durch sozial ungleiche Partner geschwächt, durch falsche Erwartungen fehlinterpretiert oder durch falsches Verhalten gar gebrochen werden kann, ist diese Sicherheit nicht garantiert. Mit Blick auf die Analyse der Gastmähler und Symposia muss deshalb beachtet werden, dass Gastfreundschaft einerseits eine Voraussetzung für ihren gelingenden Ablauf darstellt, andererseits aber durch deren Bruch auch zu dessen Scheitern führen kann. 2.1.3 Zwischenfazit: Die Gastfreundschaft Für die Historien lässt sich ein Gastfreundschaftsbegriff feststellen, der dauerhaft bindend - auch gegenüber Nachkommen - 177 ist und dennoch unter bestimmten Bedinungen aufgelöst werden kann, 178 der sich zugleich durch Gabe und Gegengabe auszeichnet - in welchem Umfang auch immer - 179 und der das Vergehen gegen Fremde und Gastfreunde zum Teil ‚ nur ‘ als Vergehen gegen ethische, menschliche Grundsätze, zum Teil als Frevel gegen göttliches Recht verurteilt. 180 Auf diese Weise wird in der Darstellung der Historien 175 Vgl. Briant (1989), S. 41 f.; Granger (2002), S. 136 f. Pythios ’ Bitte widerspricht der Ergebenheit und schadet der Loyalität. Daraus folgt, dass Xerxes Pythios nicht mehr als Gastfreund ansieht und zudem betont, dass er selbst trotz der Leistungen des Pythios immer noch mehr Wohltaten vollbracht habe ( εὐεργεσίῃσι βασιλέα οὐ καυχήσεαι ὑπερβαλέσθαι - VII, 39.2); vgl. auch Vannichelli (2018), S. 339. 176 Vgl. Kaplan (2016, S. 138): „ [ … ] Xerxes in his hubris treats his friend like a subject “ . 177 Vgl. z. B. die bestehende Gastfreundschaft zwischen Hegetorides und Pausanias, die Hegetorides ’ Tochter zur Unterstützung durch Pausanias verhilft (IX, 76). 178 Für Beispiele dazu siehe Anm. 136. 179 Für Beispiele dazu siehe Anm. 163. 180 Als Verletzung göttlichen Rechts bewertet Proteus das Vergehen Alexanders gegenüber seinem Gastgeber Menelaos und fühlt sich selbst dazu verpflichtet, Alexander als Xenos 68 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="69"?> ersichtlich, dass sich die Einstellung zur Gastfreundschaft und den mit ihr verbundenen Pflichten verändert. Herodots Historien stellen also ein wichtiges Dokument für die Verwandlungsprozesse der Gastfreundschaft dar. Die gastfreundschaftliche Pflicht zur Aufnahme und zum Beschützen eines Fremden bzw. Gastes bestand unabhängig davon, ob diese Pflicht als göttlich oder menschlich angesehen wurde, und ebenso unabhängig davon, ob es sich um eine ritualisierte, durch Zeremonien gefestigte dauerhafte Gastfreundschaft handelte oder nicht. Wird im griechischen Text Xenos oder Xenia verwendet oder ein mit diesen verwandter Begriff, um eine Person - Fremder, Gast-(geber) oder Gastfreund - bzw. eine Beziehung zu umschreiben, so kann darauf geschlossen werden, dass damit immer ein besonderer Schutzanspruch dieser Person bzw. Beziehung einhergeht. Insgesamt fordert Xenia Treue, Mitleiden und Wohlwollen. Während ξεινίη und φιλίη bemessen nach ihrer Terminologie Gegensätze ausdrücken, lassen sich in der sozialen Praxis Parallelen erkennen. Beiden sind Treue und Vertrauen zugrunde gelegt, wobei bei Philia lediglich ein soziales Verpflichtungsgefühl vorliegt, aber kein Zwang zur Unterstützung. Denn Philia basiert nicht wie die ritualisierte Gastfreundschaft Xenia auf Eiden und damit verbundenen Verpflichtungen. Ist man aber durch Xenia verbunden, wird das Handeln für seinen Gastfreund zu einer Art Gegengabe, wobei die eigene Überzeugung dabei in den Hintergrund treten kann. Dennoch kommt es in der Darstellung von Herodots Historien immer wieder dazu, dass gegen die gastfreundschaftlichen Verpflichtungen verstoßen wird. Verstöße eines Xenos gegen seine Gastfreunde haben dann meist zur Folge, dass sich die gegenseitige Beziehung in Feindschaft verändert. Die Regeln der Gastfreundschaft, die Gastfreunde zu einem bestimmten, voraussehbaren Handeln zwingen, oder das Vertrauen, das zwischen Freunden jeglicher Ausprägung immer angenommen wird, werden in Herodots Historien mehrfach zur Grundlage dafür, eine Erzählung voranzutreiben oder Geschehnisse zu begründen. Dabei können gastfreundschaftliche Pflichten auch aus der Beschreibung des Kontexts erschlossen werden, ohne dass immer ein Begriff aus dem Wortfeld Xenia verwendet werden muss. Es wird ersichtlich, wie diese Regeln Einfluss auf das Geschehen in der Darstellung historischer Kausalitäten nehmen können und wie auf diese Weise die Gastfreundschaft mit dem geschichtlichen Verlauf verflochten ist. 181 Bei der Analyse der Gastmähler bzw. aufzunehmen (II, 115; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1). In V, 63 allerdings werden gastfreundschaftliche Verpflichtungen nur noch als menschliche Verpflichtungen bewertet (siehe dazu S. 59 - 61). 181 Als Beispiel sei an dieser Stelle zunächst auf V, 33. Dort wird beschrieben, wie sich Aristagoras für seinen Gastfreund Skylax einsetzt, was letztlich die Verärgerung von 2.1 Die Gastfreundschaft 69 <?page no="70"?> Symposia in Herodots Historien soll deshalb darauf geachtet werden, welche Informationen der Leser durch die Erwähnung eines gastfreundschaftlichen Verhältnisses erhält, ob dieses Bestand hat oder womöglich zerbricht und inwiefern dies wiederum Einfluss auf die Darstellung und den Verlauf des Gastmahls bzw. Symposions hat. 2.2 Das Symposion In diesem zweiten Teil der Grundlagenanalyse steht nun das Symposion im Mittelpunkt. Da ‚ Symposion ‘ kein eindeutig definierter Begriff ist, 182 möchte ich zunächst erklären, in welcher Bedeutung ich diesen Begriff verwende. Danach soll die Entwicklung des Symposions von homerischer Zeit bis in das 5. Jh. v. Chr. zumindest in seinen Grundzügen besprochen werden. Auf diese Weise soll das Verständnis eines Symposions zu Herodots Zeit herausgearbeitet werden. Denn um Besonderheiten bei den Symposionsszenen in Herodots Historien erkennen zu können, muss zunächst ein Maßstab festgelegt werden, nach dem Auffälligkeiten bemessen werden können. Der Maßstab soll für diese Arbeit im idealtypischen griechischen Symposion des beginnenden 5. Jh. v. Chr. bestehen, auf dem daher bei der folgenden Untersuchung der Struktur des Symposions der Schwerpunkt liegt. 183 Dabei soll dieses mit Blick auf den Ablauf, die gängigen Unterhaltungsformen, den gewöhnlichen Teilnehmerkreis, den geregelten Weinkonsum und die übliche Räumlichkeiten untersucht werden. Darauf aufbauend möchte ich herausarbeiten, worin die besondere Atmosphäre des Symposions besteht, damit im nächsten Schritt erläutert werden kann, inwiefern dieser ‚ Sonderraum ‘ 184 im Leben Freude bewirken, aber auch zum Risiko werden kann. In den beiden letzten Teilkapiteln dieser Grundlagenanalyse zum Symposion möchte ich mich in erster Linie dem Text der Historien zuwenden, um die Verwendung bestimmter Begriffe zu klären, die für die Untersuchung der Symposions- und Gastmahlszenen wichtig sind. Dabei gehe Megabates auslöst und damit dessen Verrat provoziert verwiesen (vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.1.1.2.1). Die Naxier sind dadurch gewarnt und können sich gut auf eine Belagerung vorbereiten (V, 34); vgl. dazu auch Herman [1987], S. 120 f. Zudem wird in V, 70 - 75 beschrieben, wie Kleomenes Isagoras, mit dem er gastfreundschaftlich verbunden ist (V, 70.1), unterstützt. Er lässt auch dann nicht von seiner Hilfe ab, als er dafür sogar einen Krieg riskieren und einen Feldzug nach Attika unternehmen muss. Selbst wenn er den Feldzug aus eigenen Rachegründen beginnt (V, 74.1), so ist die Gastfreundschaft zu Isagoras doch ursächlich für diesen gesamten Konflikt. 182 Siehe dazu die Ausführungen unter Kap. 2.2.1. 183 Siehe dazu Anm. 40. 184 Vgl. dazu Rösler (1995), S. 108 bzw. Anm. 36 und 37 in der vorliegenden Arbeit. 70 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="71"?> ich zunächst auf die Hetairie als besondere Tischgemeinschaft ein. Diese Gemeinschaft und der zugehörige Begriff des Hetairos sollen folglich nicht nur allgemein, sondern auch mit Blick auf dessen Bedeutung in Herodots Historien analysiert werden, wie dies auch schon zuvor bei den Untersuchungen zu Xenos und Philos geschehen ist. 185 Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass bei der späteren Untersuchung der Gastmähler mit der für Herodots Historien gültigen Auffassung eines Hetairos - wie auch der eines Xenos und Philos - gearbeitet wird. Für die Analyse des Hetairos-Begriffs werden daher direkte Textbelege aus den Historien angeführt. Anschließend möchte ich sämtliche Ausdrücke, die Mahl- oder Trinksituationen in Herodots Historien bezeichnen, im Hinblick auf deren Verwendung analysieren, um dann im nächsten Teil bei der Untersuchung der Mahl- und Symposionsszenen die Begriffe richtig interpretieren zu können. 2.2.1 Der Begriff ‚ Symposion ‘ Der Begriff ‚ Symposion ‘ wird in Anlehnung an moderne Historiker häufig dafür verwendet, um einen, wie Anja Bettenworth beschreibt, „ im griechischen Kulturkreis verbreiteten Typus des geselligen Mahles, das in ein von Gespräch, Unterhaltung und einem besonderen Komment geprägtes Trinkgelage mündete “ 186 zu bezeichnen, auch wenn „ dieser Begriff in der antiken Literatur nicht als Terminus technicus gebraucht “ 187 wird. Matthias Klinghardt hebt hervor, dass συμπόσιον „ auch pars pro toto die ganze, Mahl und Nachtischgelage umfassende Gemeinschaftsveranstaltung bezeichnet “ , sich also nicht immer nur auf das „ eigentliche Symposion “ , den Abschnitt nach der Mahlzeit, bezieht. 188 Für die vorliegende Arbeit soll der Begriff des Symposions allerdings nicht für das ganze Gastmahl festgelegt sein, sondern immer den Abschnitt des gemeinsamen Trinkens bezeichnen. 189 Darüber hinaus wird der Begriff Symposion im Folgenden für Treffen verwendet, bei denen mehrere Personen miteinander trinken, unabhängig davon, ob dies im Rahmen eines Gastmahls geschieht oder in einem beliebigen anderen Kontext. Entscheidend dabei ist allerdings die Teilnahme mehrerer Personen, sodass von einer Trinkgemeinschaft gesprochen werden kann. Symposion wird in der vorliegenden Arbeit also nicht nur für die unter diesem Namen bekannte Einrichtung verwendet, 185 Zu Philos und Xenos siehe Kap. 2.1.1. 186 Bettenworth (2004), S. 13. 187 Bettenworth (2004), S. 13. 188 Klinghardt (1996), S. 99. 189 Dafür, dass das Symposion den zweiten Abschnitt eines Gastmahls bildet, vgl. die Ausführungen und Verweise in Kap. 2.2.3.1. 2.2 Das Symposion 71 <?page no="72"?> sondern auch für seine nach der Terminologie wörtliche Bedeutung, dem gemeinsamen Trinken bzw. Trinken in Gemeinschaft. 190 Dabei soll nicht verwirren, dass es dafür auch zahlreiche andere Bezeichnungen gibt, die in der griechischen Literatur - und auch bei Herodot - 191 dafür gebräuchlich waren wie πόσις , πότος , Umschreibungen durch Partizipien wie διαπίνοντες oder auch durch συνουσία uvm. 192 Doch von all diesen Ausdrücken bildet keiner außer συμπόσιον bzw. συμπίνειν sowohl die Gemeinschaft als auch das Trinken allein durch seine Wortbestandteile expizit ab. 2.2.2 Grundzüge der Entwicklung des Symposions Die Ausprägungen von Gemeinschaftsmählern im antiken Griechenland variierten mit den unterschiedlichen Zeitstellungen und gesellschaftlichen Kontexten. 193 Denn die Mahlkultur entwickelte sich je nach Gesellschaft, Ansprüchen und Zeitumständen in ihren unterschiedlichen Bereichen. Oswyn Murray zeigt z. B., dass zwar in der Zeitstellung von Alkaios ’ Dichtungen immer noch die in den homerischen Epen dargestellten ‚ Kameradschaften ‘ , für die das gemeinsame Festmahl ein zentraler Bestandteil ihrer Existenz war, 194 weiterexistierten, dass es dabei allerdings einen entscheidenden Unterschied zu verzeichnen gebe: „ Alcaeus ’ band of hetairoi was no longer organised only or primarily for military exploits; it was more significantly a form of political organisation in response to the emergent city-state, designed to perpetuate 190 Συμπόσιον setzt sich aus dem Präfix συν - (= zusammen) und πόσις (= Trank) bzw. πίνειν (= trinken) zusammen. 191 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5. 192 Vgl. dazu πόσις z. B. in Plat. symp. 176b; aber meistens eher in der Bedeutung des Trinkvorgangs an sich verwendet, z. B. Hom. Il. I, 469; Hom. Il. II, 432; Hom. Il. XXIV, 628; Thuk. VII, 73.2 / πότος z. B. in Xen. an. VII, 3.26; Xen. symp. 8, 41; Plat. Prot. 347c; Plat. symp. 176a; Aristoph. Nub. 1073 / συνουσία z. B. in Plat. symp. 172b+c, 173a; Plat. leg. 652a +672a / Partizipien z. B. in Hes. erg. 745; Plat. rep. 420e. Zur Vielzahl von Bezeichnungen - sowohl den hier genannten als auch weiteren - für ein Symposion vgl. auch Martin (1931), S. 149 f., Murray (1983b), S. 196 mit Verweis auf die Auflistung von Zierbarth (1896), die Murray für am vollständigsten hält, ebenso auch Bettenworth (2004), S. 13 f. sowie W ę cowski (2014), S. 27. Paul (1991, S. 158) hebt die Schwierigkeit hervor, dass die Autoren häufig die Begriffe ‚ Symposion ‘ und ‚ Deipnon ‘ nicht klar voneinander abgrenzen. 193 Murray (1990a, S. 5) nennt für das Zeitalter der späten Archaik vier „‘ ideal types ’“ von Tischgemeinschaften: „ the religious festival, the military common meal, the public meal granted as honour by the polis, and the symposion for pleasure “ . 194 Zu den ‚ homerischen ‘ Tischgemeinschaften siehe z. B. Murray (1983a), S. 259 - 262; Ford (2002), S. 27 - 31, Murray (2009), S. 513 f. sowie zur Analyse der Gastmahlszenen bei Homer und weiteren antiken Epikern Bettenworth (2004). 72 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="73"?> aristocratic control of the state against the demos. “ 195 Das Symposion wird im Kontext von Alkaios ’ Dichtungen also zu einem Ort, an dem sich politische Gruppierungen formieren können, und wird nicht mehr wie oft zuvor in einem militärischen Umfeld verortet. Überhaupt sollte nicht angenommen werden, dass es für eine bestimmte Zeitstellung generell einen immer gültigen Zweck für die Veranstaltung eines jeden Symposions gegeben hat. Denn dass sich das Symposion ausgehend von einem Gemeinschaftsmahl, dessen Ausrichtung vor allem militärischen Zielen dient, zu einem Ort entwickelt, an dem sich in Alkaios ’ Zeitstellung politische Gruppierungen formieren, bedeutet nicht, dass sämtliche in den homerischen Epen beschriebenen Tischgemeinschaften nur aus militärischen Zwecken veranstaltet wurden. Als Gegenbeispiel sei hier z. B. auf das Mahl bei den Phäaken in Homers Odyssee verwiesen, bei dem Odysseus von seinen Erlebnissen berichtet (Hom. Od. IX - XII). So macht Joachim Latacz darauf aufmerksam, dass auch bei einer δαίς , der „ Vorgänger-Institution “ des Symposions in den homerischen Epen, 196 das τέρπεσθαι (= „ ein ‚ genußvolles Sich-Vergnügen ‘“ ) 197 - „ entweder durch den Sängervortrag ( ἀοιδή ) oder durch eigenes Geschichten-Erzählen und Geschichten-Anhören der Teilnehmer ( μῦθοι , ἔπεα , λόγοι ) “ - im Vordergrund stand und das gemeinsame Trinken und Essen lediglich den Rahmen bildete. 198 Bei Bedarf konnte die δαίς in den homerischen Epen zudem einen Ort für dringende Beratungen darstellen. 199 Bereits vom späten 8. Jh. v. Chr. an begann sich der Einfluss der Aristokraten besonders im Militärwesen ohnehin zu vermindern und besonders durch die Einführung der Hoplitenphalanx stark an Bedeutung zu verlieren, 200 sodass das 195 Murray (1983a), S. 265 f. Zu der Bedeutung des Symposions für Hetairien siehe Kap. 2.2.4. 196 Latacz (1994), S. 359. Zur Bedeutung von δαίς in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.5. 197 Latacz (1994), S. 360. Für τέρπεσθαι als Ausdruck des Empfindens von Genuss im Bezug auf Vergnügungen und Unterhaltungen in der homerischen Sprache siehe Latacz (1966), S. 207 - 214. 198 Latacz (1994), S. 360. 199 Ebd. Vgl. dazu auch Bielohlawek (1940) S. 12 f. sowie die Ausführungen von Runding (1996), S. 201 - 203. 200 Vgl. Murray (1983a), S. 263; Murray (1983b), S. 198; Murray (1983c), S. 51; Bremmer (1990), S. 143; Murray (1991), S. 99; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 40; Konstan (1997), S. 46. Für eine besonders ausführliche Darstellung der Veränderung der aristokratischen Ideale unter anderem durch diese militärische Reform siehe Donlan (1980), S. 35 - 75 und dort bes. ab S. 39; vgl. Scott (2005), S. 424. Insgesamt führte die Abnahme der Möglichkeiten für Aristokraten, sich im Kampf durch ehrvolle Erfolge auszuzeichnen, dazu, dass der Hang zum Wettbewerb in anderen Bereichen anstieg, wo nun ihr aristokratisches Ideal, sich als Bester zu erweisen, weiterhin umgesetzt werden konnte (vgl. Bremmer [1990], S. 143; Stein-Hölkeskamp [1992], S. 40 f.; Donlan [1980], S. 57 f.). Es gewannen nun u. a. Sportwettkämpfe (vgl. Bremmer [1990], S. 143) und musische Agone an Bedeutung 2.2 Das Symposion 73 <?page no="74"?> Symposion durch seine Fähigkeit, Genuss und ein intensiviertes Erleben des Moments zu erzeugen, 201 auch einen willkommenen Rückzugsort aus der Realität bot. 202 Oswyn Murray bezeichnet die Aristokratie daher als „ aristocracy of leisure “ , deren Hauptunterscheidungsmerkmal zwar ein „ feast “ blieb, „ but a feast transformed in style and meaning - the symposion [ … ]. “ 203 Gerade im Übergang zwischen dem homerischen Bankett und dem Symposion in klassischer Zeit - also etwa in den Jahren 750 bis 500 v. Chr. - kam es, wie Joachim Latacz formuliert, zum „ Wandel einer alten Institution “ , für den es mehrere Gründe gibt, die sich alle „ aus dem allgemeinen gesellschaftlichen Wandel dieser Aufbruchszeit her[leiteten] “ . 204 Doch unabhängig von den militärischen oder sozialen Veränderungen erwähnt Latacz eine weitere Ursache, die auf die Unterhaltung im Symposion Einfluss nahm und damit dessen Wandel entscheidend mitbestimmte: Denn aufgrund der veränderten Schwerpunkte im Zuge der literarischen Entwicklung erhielt das Symposion eine neue Funktion, auf die ich später genauer eingehen werde. 205 Der inhaltliche Schwerpunkt lag nun nicht mehr wie bei den Epen auf der Vergangenheit, (Stein-Hölkeskamp [1992], S. 40 f.). So wurden in dieser Zeit die Pythischen, Isthmischen und Nemeischen Wettkämpfe gegründet (vgl. Bremmer [1990], S. 143). Zu diesem aristokratischen Ideal bzw. der damit verbundenen aristokratischen „ Wettbewerbsethik “ (Stein-Hölkeskamp [1989], z. B. S. 7/ Anm. 1) siehe auch Stahl (1987), bes. S. 86 - 9, S. 96/ Anm. 158, S. 257; Stein-Hölkeskamp (1989), bes. S. 52, S. 65, S. 97 - 100, S. 114 f., S. 118 f., S. 231 - 237; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 40 f.; Schäfer (1997), S. 19 - 22; Stahl (2003), S. 45 - 48, S. 55 - 59; Bierbas-Richter (2016), S. 280 - 282 mit weiteren Literaturhinweisen in Anm. 9 und 12. Ein Beispiel für einen aristokratischen Wettbewerb beim Symposion findet sich im Rahmen der Verlobungsfeier von Agariste (VI, 126 - 130) in Herodots Historien (vgl. Stahl [1987], S. 87 mit Anm. 125); siehe dazu Kap. 4.1.3.2. 201 Vgl. Rösler (1995), S. 108; Murray (2009), S. 516; bzw. Anm. 37 in der vorliegenden Arbeit. 202 Vgl. Murray (1983a), S. 263; Murray (1983b), S. 198; Schmitt Pantel (1992), S. 47; Latacz (1994), S. 372; Rösler (1995), S. 108; Murray (2009), S. 521. 203 Murray (1983a), S. 263; vgl. Murray (1983b) im Gesamten und bes. S. 198. Auch Kannicht (1989, S. 36) hebt hervor, dass „ das ebenfalls gelegenheitliche, aber in seinem Verlauf deutlich strenger ritualisierte Symposion als die Trinkgemeinschaft clubartig verbundener Freundeskreise oder verschworener Genossenschaften ( ‘ Hetairien ’ ) im neuen, orientalisierend modernen Ambiente “ an die Stelle des „ Festbanketts an den Tafeln fürstlicher Grundherrn “ tritt. Dabei verweist er auf die neue Sitte, dass nun im Liegen getrunken wird (vgl. Kannicht [1989], S. 36). Und an anderer Stelle betont erneut Murray (2009, S. 513), dass das archaische aristokratische Symposion am besten als Weiterführung des „ Homeric warrior feast “ anzusehen ist, wobei die Entwicklung durch die Übernahme und Weiterentwicklung einiger neuer luxuriöser Verhaltensweisen aus dem Nahen Osten beeinflusst wurde. Zur Veränderung von der Sitzzur Liegeposition im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. 204 Latacz (1994), S. 358. 205 Latacz (1994), S. 358. Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 74 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="75"?> sondern auf der Gegenwart. 206 Insgesamt wuchs der Wunsch, in literarischen Produktionen auch der „ persönlichen Welt Ausdruck zu geben “ , wofür eben das Symposion als „ Podium, Plenum und Arena “ geeignet war, sodass neue Arten des τέρπειν im Symposion entstanden. 207 Vor diesem Hintergrund konnte das Symposion auf neue Art und Weise zum Ort der Selbstdarstellung werden, da die Gäste ihre Fähigkeiten im Symposion nun auch bei ‚ indirekten Wettbewerben ‘ unter Beweis stellen konnten. 208 Denn selbst wenn die agonale Komponente bei der Veranstaltung eines Symposions nicht konkret angekündigt wird, können die Symposiasten durch besonders intelligente Aussagen oder besonders feine sprachliche Fähigkeiten hervorstechen. Der Gastgeber selbst konnte darüber hinaus durch eine luxuriöse Bewirtung an Einfluss gewinnen: Immerhin bot das Symposion „ den Mitgliedern der Oberschicht “ , wie Elke Stein-Hölkeskamp schreibt, eine „ vorzügliche Gelegenheit, sowohl ihren Reichtum zur Schau zu stellen, als auch ihre Fähigkeit zu demonstrieren, diesen auf die ‚ rechte Weise ‘ zu genießen. “ 209 Doch gerade dieser Aspekt wurde in Griechenland im Zuge der Polisentstehung wiederum zu einem sichtbaren Kritikpunkt an der Lebensweise der Aristokraten. Denn im Zentrum standen dort nun nicht mehr Individualität und Reichtum, sondern Denken und Handeln im Interesse der Polis. 210 Das Abhalten von prunkvollen Symposia in Zeiten ärgster Bedrohungen für die Polis war mit diesen neuen Wertmaßstäben nicht vereinbar und damit Ursache größter Kritik und Ablehnung. 211 Speziell in Athen verloren die Aristokraten im 6. Jh. v. Chr. auch im politischen Leben durch die Reformen des Kleisthenes an Einfluss. 212 Insgesamt 206 Vgl. dazu Latacz (1994), S. 366 - 368, bes. S. 368. Doch auch die Rückerinnerung war im Symposion von zentraler Bedeutung siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 207 Latacz (1994), S. 371. Vgl. dazu insgesamt ebd., S. 369 - 373. Zur Unterhaltung im Symposion siehe Kap. 2.2.3.2. 208 Zum Symposion als Ort der Selbstdarstellung vgl. Stein-Hölkeskamp (1989); S. 114 f. sowie Stein-Hölkeskamp (1992), S. 43; Stahl (2003), S. 69. Zum Wettbewerb als typisch aristokratischen Tätigkeitsbereich siehe die Literaturverweise in Anm. 200. 209 Stein-Hölkeskamp (1989), S. 114; vgl. dazu insgesamt Stein-Hölkeskamp (1989), S. 114 f.; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 43; Stahl (2003), S. 69. Zu den finanziellen Anforderungen an einen Gastgeber siehe auch Kap. 2.2.3.3.1. 210 Zur Änderung der Definition von Elite durch einen an die Polisgesellschaft angepassten Wertmaßstab siehe Stein-Hölkeskamp (1989), S. 123 - 133. 211 Siehe dazu Stein-Hölkeskamp (1989), S. 128. Stein-Hölkeskamp verweist hier (ebd., Anm. 18) u. a. auf Theognis von Megara, der die Elite kritisiert, die in einer Krisenzeit weiterhin Symposia abhält (Thgn. 825 - 830 West), und an anderer Stelle betont, dass es Hybris war, die Magnesia, Kolophon und Smyrna vernichtet habe (Thgn. 1103 - 1104 West). 212 Vgl. Murray (1983a), S. 266. 2.2 Das Symposion 75 <?page no="76"?> veränderte sich in dieser Zeit in Griechenland mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten die Form des Symposions dahingehend, dass auch vermehrt politisch erfolgreiche Bürger aus der sogenannten Aufsteigerschicht an Symposia teilnahmen oder diese selbst veranstalteten. 213 Bereits im 6. Jh. v. Chr. erstreckte sich die Teilnahme über weitere Teile der Gesellschaft, was auch daran ersichtlich ist, dass das dort verwendete Mobiliar weniger luxuriös wurde. 214 Da die Teilnahme also nicht mehr auf die Aristokratie beschränkt war, nahmen zwangsweise nicht nur die Exklusivität, sondern auch der elitäre Charakter des Symposions mit der Zeit ab, auch wenn manche Aristokraten das Symposion weiterhin als „ exklusives Privileg “ 215 ansehen und Symposia anderer Gesellschaftsschichten als Anmaßung bewerten. 216 Als Treffpunkt von Gruppierungen aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen hatte das Symposion - besonders als Versammlungsort von Hetairien - 217 auch eine gewisse politische Funktion. 218 Auch in Athen blieb das Symposion trotz dieser Öffnung im Laufe des 5. Jh. v. Chr. als weitestgehend nicht-öffentliche Einrichtung bestehen, obwohl sich zusammen mit der Demokratie auch öffentliche ‚ Speisesäle ‘ und Möglichkeiten für das Feiern öffentlicher Feste entwickelten. 219 Mit der demokratischen 213 Vgl. dazu Schmitt Pantel (1992), S. 47; W ę cowski (2018), S. 269 f.; Stahl (2003), S. 66. Dass in der „ Theognis-Sammlung “ immer wieder davor gewarnt wird, sich nicht mit Leuten aus der Aufsteigerschicht abzugeben, weist darauf hin, dass es einige Aufsteiger in den Kreis der Aristokraten geschafft hatten und sie dort an den „ traditionell aristokratischen Vergnügungen wie dem Symposion teilnehmen “ konnten (Stein-Hölkeskamp [1992], S. 43); vgl. auch Stein-Hölkeskamp (1989), S. 91, S. 116. Zu den generellen Umschichtungen im aristokratischen Stand in dieser Zeit siehe Stein-Hölkeskamp (1989), S. 86 - 93. 214 Vgl. Stein-Hölkeskamp (1989), S. 116; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 45. 215 Stein-Hölkeskamp (1989), S. 116. 216 Vgl. Stein-Hölkeskamp (1989), S. 115 f.; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 43 f. 217 Siehe dazu die Ausführungen über die Hetairien in Kap. 2.2.4. 218 Murray (1983c, S. 49) sieht den Einfluss von Symposia auf die Politik ab der Lebenszeit des Alkaios bis in das Athen des 5. Jh. v. Chr. gegeben. Stahl (2003, S. 66) allerdings bemerkt mit Blick auf das athenische Symposion im 5. Jh. v. Chr. auch, dass es die „ unmittelbare politische Bedeutung aus der archaischen Zeit verlor. Lediglich in der zweiten Jahrhunderthälfte sammelten sich in symposion-Gemeinschaften aristokratische Gegner der Demokratie, um - allerdings erfolglos - deren Abschaffung zu betreiben “ ; vgl. auch Murray (2009), S. 522 mit Verweisen. Zu den Entwicklungen des athenischen Symposions ab der zweiten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. siehe auch Bremmer (1990), S. 144 f. Zu den oligarchischen Hetairien siehe auch die Ausführungen in Kap. 2.2.4.1. 219 Vgl. Murray (1990b), S. 149 f. Allerdings ist der Begriff ‚ privat ‘ im Zusammenhang mit einem Symposion nicht immer geeignet, da das Symposion erst mit der Zeit einer Art „‚ Privatisierung ‘“ (Stein-Hölkeskamp [1992], S. 44) unterlag (Stein-Hölkeskamp [1992], S. 44 f.). Denn auch noch nach der Entstehung von öffentlichen Institutionen übernahm das Symposion einige gesellschaftliche und politische Funktionen und stellte somit „ gewissermaßen eine vorpolitische Art von Öffentlichkeit “ dar (ebd., S. 44); siehe zur 76 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="77"?> Entwicklung nahm allerdings dennoch die kulturelle und politische Bedeutung der Symposia in Athen ab. 220 Dadurch, dass nun die Symposiasten in den Komoi 221 nach den Symposia vermehrt durch zügelloses Fehlverhalten auffielen, zeigt sich, dass für das Symposion in dieser Zeit - der zweiten Hälfte des 5. Jh. - bereits häufig nicht mehr die Maßstäbe des Symposions angenommen werden können, wie sie zu Zeiten des frühgriechischen Lyrikers Xenophanes gefordert waren. 222 Doch es sind nicht nur die zeitlichen, sondern auch die soziokulturellen Umstände, die auf die Bedeutung und Funktion des gemeinsamen Mahls und Trinkens Einfluss nahmen. Daher gab es auch innerhalb des antiken Griechenlands unterschiedliche Schwerpunkte. In Sparta z. B. waren die vom Staat organisierten Syssitia unter anderem für das militärische System von Bedeutung. 223 Während im Symposion vor allem großen Wert auf die besondere sympotische Atmosphäre und den Rückzug aus dem Alltag gelegt wurde, 224 wollten die Spartaner in ihrem Syssition Mut und kriegerische Fähigkeiten fördern. 225 Oswyn Murray weist darauf hin, dass es sich dabei um zwei unterschiedliche Entwicklungen ausgehend von der gleichen Einrichtung, den homerischen „ warrior feasts “ , handele. 226 Das Syssition hat daher in Problematik der Bezeichnung eines Symposions als ‚ privat ‘ auch Schmitt Pantel (1990, S. 25): „ I would readily agree that the symposion is composed of a restricted group, but it does not belong to the private sphere. “ Auch wenn das Symposion also lange Zeit eine öffentliche Funktion übernimmt, wird es in der vorliegenden Arbeit als ‚ nicht-öffentlich ‘ bezeichnet, da es eben nicht in der Öffentlichkeit veranstaltet wird. Die problematische Beschreibung des Symposions als ‚ privat ‘ wird bewusst vermieden. 220 Vgl. dazu Anm. 218. 221 Zum Komos siehe Kap. 2.2.3.1 mit Anm. 258. 222 Vgl. Murray (1990b), S. 150. Murray verweist hier auf Aristophanes ’ Komödie Die Wespen, in der erzählt wird, wie Philokleon zunächst noch von seinem Sohn das richtige Liegen beim Symposion lernt (Aristoph. Vesp. 1208 - 1215), sich später im Symposion aber zügellos verhält (Aristoph. Vesp. 1299 - 1321) und dann im traditionellen Komos völlig betrunken, nachdem er viel randaliert hat, nach Hause kommt (Aristoph. Vesp. 1322 - 1449). Murray (1990b, S. 150) bemerkt dazu: „ In this comic amalgam of typical sympotic offences we see that, to the fifth-century Athenian audience, the symposion is an alien world of licence and misbehaviour, far removed from the decorous religious or philosophical group envisaged by Xenophanes. “ Zu Xenophanes ’ berühmten Fragment 1 D.-K., in dem die utopische und glückselige Atmosphäre beim Symposion besonders eindrucksvoll dargestellt wird, siehe Kap. 2.2.3.6.1. 223 Vgl. Murray (1983a), S. 267 mit Verweis auf I, 65.5 in Herodots Historien. Zu den spartanischen Syssitia siehe Schmitt Pantel (1992), S. 62 - 76; Runding (1996), S. 205 - 211. 224 Siehe dazu besonders die Ausführungen in Kap. 2.2.3.6.1. 225 Vgl. Murray (1991), S. 88. 226 Murray (1991), S. 94; vgl. auch Murray (1983c), S. 51; Stahl (2003, S. 65 f.) führt die militärische Ausrichtung der Syssitia auch auf das Zusammentreffen homerischer „ Kampfgemeinschaften “ (Stahl [2003], S. 65) zurück. 2.2 Das Symposion 77 <?page no="78"?> vielfacher Hinsicht eine Verbindung zum Symposion. 227 Ein großer Unterschied liegt aber darin, dass die spartanischen Syssitia von der Polis organisiert wurden. Damit waren sie besser kontrollierbar als die dezentral organisierten Symposia, die auch politischen Aufrührern eine Bühne boten. 228 2.2.3 Struktur eines Symposions Das gemeinschaftliche Mahl ist „ ein zentraler Aspekt antiker Eßkultur “ . 229 Essen mit dem Ziel, sich zu sättigen, ist auch alleine möglich. Doch hinter der Bezeichnung Deipnon steckt Gemeinschaft. 230 Und auch das Trinken ohne Gesellschaft widerspricht im antiken Griechenland der Norm. 231 Für die sympotischen Atmosphäre war gemeinschaftliches Trinken unentbehrlich. 232 Dies wird wiederum bereits in Homers Odyssee in Odysseus ’ Bericht über die Geschehnisse beim Kyklopen Polyphem offensichtlich, der wohl eine der ‚ anti-sozialsten ‘ Kreaturen in der antiken griechischen Literatur darstellt. Er lebt isoliert von anderen und hütet seine Schafe alleine (Hom. Od. IX, 187 - 189). Dabei fühlt er sich an kein Recht gebunden ( ἀθεμίστια ἤιδει - Hom. Od. IX, 189 / οὔτε δίκας εὖ εἰδότα οὔτε θέμιστας - Hom. Od. IX, 215) und auch vor den Göttern empfindet er keine Ehrfurcht (Hom. Od. IX, 273 - 278). Äußerlich beschreibt Odysseus den Kyklopen als Monstrum. Er gleiche der höchsten und bewaldeten Spitze eines Gebirges, die ebenfalls alleine, entfernt von den anderen, erkennbar ist (Hom. Od. IX, 190 - 192). Während der ‚ vielgewandte ‘ Odysseus das Epitheton πολύτροπος verdient (Hom. Od. I, 1 / X, 330), könnte der einsam lebende Kyklop als Gegenpart zum kultivierten Odysseus als μονότροπος bezeichnet werden. Polyphem erweist sich sowohl äußerlich als auch innerlich als antisozial. 233 Dies spiegelt sich besonders eben darin wider, dass er ohne Gemeinschaft für sich alleine ungemischten Wein trinkt (Hom. Od. 227 Vgl. Murray (1991), S. 93. 228 Siehe dazu Kap. 2.2.4.1. 229 Klinghardt (1996), S. 30. 230 Vgl. Klinghardt (1996), S. 30. Zu δεῖπνον siehe Kap. 2.2.5.6. 231 Bowie (1997), S. 7; Fearn (2007a), S. 59: Fearn erinnert in diesem Zusammenhang an den zweiten Tag der Anthesterien. Dort werden die Bürger getrennt voneinander platziert, wo sie ohne sozialen Kontakt zu ihren Mitbürgern große Mengen an Wein trinken. Dabei handele es sich um eine bewusste ritualisierte Kontrastierung der normalen, korrekten sozialen Ordnung inklusive dem regulierten Trinken im Symposion (ebd. mit weiteren Literaturverweisen). Zum Ablauf der Anthesterien siehe Burkert (1972), S. 236 - 273; Murray (1988), S. 251; Burkert (1992), S. 253 - 255; Felton (2007), S. 89 f.; Burkert (2011), S. 358 - 364. 232 Siehe dazu Kap. 2.2.3.4. 233 Dazu ist natürlich auch sein Vergehen gegen die Hikesie und das Gastrecht zu rechnen; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1. 78 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="79"?> IX, 353 - 361), 234 sowie darin, dass er die für ihn fremden Gefährten des Odysseus in seiner Höhle auf grausame Art verspeist (Hom. Od. IX, 291 - 293, 311, 344). Gerade durch dieses isolierte Trinken ebnet sich der Kyklop in Odysseus ’ Erzählung den Weg in sein eigenes Unglück. Odysseus ’ List, Polyphem durch übermäßigen Weingenuss außer Gefecht zu setzen, gelingt. 235 So kann er ihn zusammen mit seinen Gefährten blenden, dann erfolgreich aus der Höhle und schließlich mit dem Schiff von der Küste entkommen (Hom. Od. IX, 371 - 542). Nur die Gewohnheit des Kyklopen, alleine zu speisen und zu trinken, ermöglicht Odysseus letztlich den Erfolg seiner List. Schließlich muss Polyphem die anderen Kyklopen erst zu sich rufen, um um Hilfe bitten zu können (Hom. Od. IX, 399 - 400). Da die anderen Kyklopen aber nicht mit eigenen Augen das Geschehene gesehen hatten, gelingt es Odysseus durch seinen klugen Einfall - er nennt sich ‚ Niemand ‘ - (Hom. Od. IX, 366 - 367), Polyphems Bitte sinnlos erscheinen zu lassen, sodass der Kyklop nun auch in dieser hilflosen Situation alleine bleibt (Hom. Od. IX, 401 - 414). Dass Polyphem für sich alleine große Mengen an Wein trinkt, charakterisiert ihn somit einerseits als antisozial, andererseits illustriert es, welche negative Auswirkung ein solch isoliertes Trinken haben kann. 236 Sobald Odysseus und seine Gefährten in Sicherheit sind, speisen und trinken sie gemeinsam und in entspannter Atmosphäre (Hom. Od. IX, 556 - 557). So stellen sie als Trink- und Mahlgemeinschaft bestehend aus kultivierten Griechen einen Gegenpart zum einsam lebenden und unkultivierten Kyklopen dar. Gemeinschaftliche Aktivitäten aber bedürfen Regeln, durch die das kommende Geschehen absehbar wird, während das Fehlen von Regeln zu Miss- 234 Vgl. Ford (2002, S. 55/ Anm. 46): „ A paradigm of ‘ raw ’ drinking is the Odyssey ’ s lawless Cyclops, who takes his wine neat. “ 235 Zu den Auswirkungen von Wein auf die Handlungsfähigkeit siehe Kap. 4.2.1; für dessen Auswirkungen auf den Charakter siehe Kap. 2.2.3.4 sowie Kap. 4.1.3.1. 236 In Euripides ’ Satyrspiel Kyklops berichtet Odysseus, dass er den Kyklopen Polyphem sogar dazu anstiftet, den Wein für sich alleine zu trinken. Denn Polyphem plant in diesem Satyrspiel ursprünglich sogar, den Wein gemeinsam mit den anderen Kyklopen zu genießen (Eur. Cycl. 445 - 446). Aber als er nun mit dem Wein zum Feiern aufbrechen möchte, hält ihn Odysseus davon mit dem Rat ab, den anderen nichts davon abzugeben, sondern stattdessen das Leben alleine zu genießen (Eur. Cycl. 451 - 453, 530 - 538). Auf Zuraten des Silenos befindet der Kyklop den Rat schließlich für gut (Eur. Cycl. 539 - 544) und wird nun zum betrunkenen antisozialen Einzelzecher und auf diese Weise ein leichter Gegner für Odysseus, der ihn auch in diesem Satyrspiel blendet, damit außer Gefecht setzt und so die Flucht ermöglicht (Eur. Cycl. 454 - 463, 624 - 709). Wäre er zu den anderen Kyklopen gegangen, hätte Odysseus ’ List nicht funktioniert. Auch hier wird dem Kyklopen wie in Homers Odyssee letztlich das isolierte Trinken zum Verhängnis. 2.2 Das Symposion 79 <?page no="80"?> verständnissen und Fehlverhalten führen kann, woran die Gemeinschaft zu zerbrechen droht. 237 Im gewöhnlichen griechischen Gastmahl und dort auch im Symposion existierten daher klare Strukturen und individuelle Regeln, die den Teilnehmern entweder explizit oder implizit vertraut waren. 238 Da man davon ausging, dass diese Regeln und Konventionen beachtet wurden, versprach neben den Regeln der Gastfreundschaft auch das Gastmahl und so auch das Symposion ein Gefühl von Sicherheit. 2.2.3.1 Der Ablauf eines Gastmahls In der Regel war ein griechisches Gastmahl zweigeteilt: 239 Den Anfang machte der Abschnitt des Mahls, bei dem das Essen im Mittelpunkt stand und das oft als Deipnon bezeichnet wurde. 240 Diesem folgte der Abschnitt des gemeinsamen Trinkens - das sogenannte Symposion. Auf die Teilnehmervoraussetzungen und die Teilnehmeranzahl werde ich später eingehen. 241 Das Deipnon wird in literarischen Darstellungen häufig nur kurz erwähnt. 242 Denn meist finden die zentralen Geschehnisse und Unterhaltungen während des Symposions statt. 243 Vor dem Deipnon mussten sich die Teilnehmenden 237 Vgl. dazu Wienold (2020, S. 646): „ R.n sind grundlegend für jede soziale Praxis. “ Lundgreen (2011, S. 31) betont: „ Ganz grundsätzlich, hier sind sich analytische Philosophie und Soziologie einig, werden Regeln als Handlungsanleitungen aufgefasst, die zwar eine Entscheidung, der Regel zu folgen, benötigen, diese aber erleichtern, sodann Erwartbarkeit kreieren und schließlich unser Leben berechenbar machen. “ ; vgl. dazu insgesamt Lundgreens Ausführungen und Verweise (Lundgreen [2011], S. 31 - 37). Zur Definition des Begriffes ‚ Regel ‘ für diese Arbeit siehe Kap. 1.2. 238 Zu den Regeln im Symposion vgl. Pellizer (1990), S. 178 - 180; Murray (2009), S. 512 f.; Köster (2011), S. 60 - 64. Pellizer (1990, S. 178 f.) betont, dass sich das attische Symposion durch seine Trinkregeln und den darüber wachenden Symposiarchen von gegenteiligen - also nicht geregelten - Trinkgelagen der Barbaren abhebt; wie besonders die Regeln beim Symposion waren, hebt Murray (2009, S. 518) hervor: „ The symposion was a place apart with its own rules and code of behavior “ . Platon erwähnt die Existenz solcher Regeln im Symposion in seinen Nomoi (Plat. leg. 671c - d). 239 Vgl. z. B. Murray (1990a), S. 6; Schmitt Pantel (1992), S. 4, S. 32; Klinghardt (1996), S. 99, S. 154; Konstan (1997), S. 44. 240 Vgl. zum Begriff Deipnon in Herodots Historien die Ausführungen in Kap. 2.2.5.6. 241 Zu den Teilnehmervoraussetzungen siehe Kap. 2.2.3.3; zur Teilnehmeranzahl siehe Kap. 2.2.3.5. 242 Vgl. dazu Coulet (1994), S. 61 f. mit Verweis auf Dupont (1977), S. 64 sowie Murray (1990a); vgl. auch Klinghardt (1996), S. 99. 243 In Herodots Historien kann dies allerdings nicht als generelle Regel gelten. Denn Gegenbeispiele finden sich in den Erzählungen über das Königsmahl des Xerxes (IX, 110 - 111; Kap. 4.2.3.2.3) und über das Harpagos-Mahl (I, 119; Kap. 4.2.3.2.2), bei denen jeweils die Geschehnisse während eines Mahls entscheidend sind. 80 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="81"?> einer rituellen Reinigung unterziehen. 244 Es folgte die Platzzuweisung 245 und dann das Servieren der Speisen. 246 Nach dem Essen musste zunächst für Reinheit gesorgt werden - sowohl durch Säubern des Bodens als auch der Hände der nun zu Symposiasten werdenden Teilnehmer. 247 Es folgte eine Libation, die aus mehreren Einzelspenden bestand, und von einem Paian begleitet wurde. 248 Diese Trankspende schloss zum einen das Mahl ab und eröffnete zum anderen das Symposion. 249 In dieser Phase fand oft auch erst die Bekränzung der Symposiasten statt. 250 Für das Symposion wurden - meistens drei - Kratere ( κρατῆρες ) 251 aus Wein und Wasser gemischt, aus denen der fertige Mischwein anschließend „ in bestimmten Mengen “ 252 in die Trinkgefäße der Symposiasten eingeschenkt wurde. 253 Auch während des Symposions kam es zu Libationen, wobei meist 244 Vgl. dazu Klinghardt (1996), S. 48 f., S. 154. 245 Zur Sitzordnung und Platzzuteilung vgl. Klinghardt (1996), S. 58, S. 75 - 83; Köster (2011), S. 54; W ę cowski (2014), S. 36. Der Gastgeber übernahm zumindest die Platzzuteilung des Ehrengastes und konnte auch den restlichen Gästen Plätze zuteilen (siehe Köster [2011], S. 54); 246 Köster (2011, S. 42) weist darauf hin, dass es mehrere Gänge gab, aber Vorspeisen „ nach Art eines Amuse gueule “ im archaischen und klassischen Griechenland nicht bekannt waren. Stattdessen seien „ kleine Leckereien “ eher gemeinsam mit dem ersten Hauptgang serviert worden (ebd.). Zum Ablauf des Mahls und der Menüfolge siehe Köster (2011), S. 42 f. 247 Vgl. Murray (1998), S. 260; Ford (2002), S. 31; Köster (2011), S. 43, S. 56. 248 Vgl. Klinghardt (1996), S. 101, S. 105 - 109; Ford (2002), S. 31; W ę cowski (2014), S. 39 mit weiteren Literaturverweisen; zu diesem Paian beim Symposion siehe Käppel (1992), S. 51 - 54. 249 Vgl. Käppel (1992, S. 52): „ Diese Trankspende und der dazugehörige Paian galten als Eröffnung des eigentlichen Symposions “ ; Klinghardt (1996, S. 101/ Anm. 5) betont allerdings, dass diese Libation noch komplett zum Abschnitt des Mahls zu rechnen sei. Er bemerkt diesbezüglich (ebd.), dass Gäste, die nur zum Mahl bleiben mochten, erst nach dieser Libation aufbrechen durften, wobei er auf eine Textstelle bei Plutarch verweist, wo erzählt wird, wie Perikles nur bis zum Trankopfer beim Hochzeitsschmaus des Euryptolemos bleibt und dann die Feier verlässt (Plut. vitae parallelae - Pericles 7). 250 Vgl. Klinghardt (1996), S. 109 f.; Köster (2011), S. 43. Ford (2002, S. 31) zählt die Bekränzung der Symposiasten zu den standardmäßigen Vorgängen zu Beginn des Sympsions: „ Sympotic practices were not strictly uniform, but a fairly standard composite would begin with the tables being cleared after the meal while guests washed, anointed themselves, and put on garlands “ . 251 Zur Ikonographie des Kraters mit Blick auf dessen Rolle im Symposion siehe Lissarrague (1990). 252 Klinghardt (1996), S. 114. 253 Vgl. ebd., S. 114 mit Verweisen in Anm. 53 und 54: Das Verhältnis von Wasser : Wein variierte zwischen 1 : 1, was als starke Mischung galt, und den üblicheren Maßen 3 : 1 / 2 : 1 / 3 : 2; vgl. auch Murray (2009), S. 515. 2.2 Das Symposion 81 <?page no="82"?> drei Spenden unter Anrufung von drei verschiedenen Gottheiten oder Heroen dargebracht wurden. 254 Während des Symposions wurde auch der Nachtisch serviert, 255 der allerdings weniger der Sättigung dienen sollte als vielmehr der Intensivierung des Weingenusses: So sollte er z. B. den Wein besser verträglich machen. 256 Zu viel Nachtisch allerdings wurde oft als Ausschweifung kritisiert. 257 Blieben Gäste 254 Dabei galt gewöhnlich die Spende aus dem ersten Mischkrug dem olympischen Zeus und den Olympiern, die aus dem zweiten Mischkrug den Heroen und aus dem dritten dem Zeus Soter bzw. Teleios (vgl. Kircher [1910], bes. S. 17 - 21, S. 34 - 38; Käppel [1992], S. 52 f.; Burkert [2011], S. 114 mit weiteren Literaturhinweisen). Klinghardt (1996, S. 101 - 106) grenzt hier strikt die Mahlabschlusslibation, die durch ungemischten Wein dargebracht und von einem Paian begleitet werde, von den Gelagelibationen während des Potos durch ungemischten oder gemischten Wein ab. 255 In Herodots Historien wird im Zuge der Ausführungen über die persischen Sitten davon berichtet, dass die Perser nur wenige Gerichte verspeisen, dafür aber mehr Nachtisch gewohnt seien und dass bei ihnen nicht alles gleichzeitig serviert werde ( σίτοισι δὲ ὀλίγοισι χρέωνται , ἐπιφορήμασι δὲ πολλοῖσι καὶ οὐκ ἁλέσι - I, 133.2). Im Text wird nun beschrieben, wie die Perser die Griechen insofern kritisieren, als diese ohne nennenswerten Nachtisch und damit hungrig vom Mahl aufstünden ( καὶ διὰ τοῦτὸ φασι Πέρσαι τοὺς Ἕλληνας σιτεομένους πεινῶντας παύεσθαι , ὅτι σφι ἀπὸ δείπνου παραφορέεται οὐδὲν λόγου ἄξιον , εἰ δέ τι παραφέροιτο , ἐσθίοντας ἂν οὐ παύεσθαι - I, 133.2). Hier wird also lediglich die Sichtweise der Perser dargestellt ( φασι Πέρσαι - I, 133.2); vgl. Bowie (2003), S. 106/ Anm. 36. Sancisi-Weerdenburg (1997, S. 340) sieht diese Aussage, die der Text von nicht näher beschriebenen Persern wiedergibt, in einem Missverständnis begründet: Denn wenn ein Perser zu einem griechischen Deipnon eingeladen werde, würde er in Erwartung mehrerer Gänge - wie es in Persien üblich ist - von dem einen Gang nicht genügend essen, sodass das griechische Mahl für ihn vorbei ist, obwohl er noch Hunger hat; vgl. auch Sancisi-Weerdenburg (2001), S. 339 f. Auch wenn der Text es nicht explizit erwähnt, gibt das in den Historien dargestellte Unverständnis der Perser gegenüber dem abweichenden griechischen ‚ Nachtischgebrauch ‘ zu erkennen, dass sie mit den Symposionsbräuchen der Griechen nicht vertraut waren. Schließlich dient der Nachtisch aus griechischer Sichtweise ja dem Weingenuss während des Symposions. Vgl. Sancisi-Weerdenburg (1997, S. 340 f.), die darauf aufmerksam macht, dass die Griechen sehr wohl Nachspeisen einnehmen, allerdings im Rahmen des Symposions, das eben nicht mehr zum Deipnon - von dem hier die Rede ist - zu rechnen ist; vgl. dazu insgesamt die Hinweise in Anm. 256. Auch How/ Wells (1912a, S. 114 f.) verweisen darauf, dass die Griechen zwar Nachtisch zu sich nehmen, dieser aber erst nach der Hauptmahlzeit serviert wird, wohingegen die Perser darunter nicht einen speziellen Gang verstehen, sondern sich ihre Nachspeisen in gewissen Abständen während der Mahlzeiten servieren lassen. 256 Vgl. Klinghardt (1996), S. 111 f.; Sancisi-Weerdenburg (1997), S. 340 f. mit Verweis auf Dalby (1996, S. 23): „ cakes, sweets, nuts and fresh and dried fruit were served to accompany the wine “ ; Granger (2002), S. 126; Köster (2011), S. 43 f. Dazu auch Murray (2009, S. 512 f.), der als Speisen zum Symposion besonders Snacks aufzählt, die durstig machen. 257 Vgl. Klinghardt (1996), S. 112. Dazu Xen. symp. 4, 8: Sokrates gibt hier zu befürchten, dass sich die Symposiasten lächerlich machen könnten ( ἀλλ᾽ ἄλλην που δόξαν γελοίαν 82 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="83"?> lediglich zum Deipnon, erhielten sie dementsprechend meist gar keinen Nachtisch. Nach dem Symposion kam es häufig zum Komos, einem ausgelassenen Zug der Zecher durch die Straßen. 258 2.2.3.2 Unterhaltungsformen beim Symposion Verschiedene Spiele - wie z. B. Kottabos - 259 und Künstler, etwa Tänzerinnen, sorgten für die Unterhaltung beim Symposion. 260 Das ‚ Entertainment ‘ im Symposion unterlag dabei einer Entwicklung und wurde bereits im Laufe der archaischen Periode zu weiten Teilen immer luxuriöser. 261 Oft bot das Symposion den benötigten Raum und die Zeit für ein Gespräch oder einen Vortrag. Die Unterhaltung beim Symposion ermöglichte so auch einen Wissenszuwachs bzw. -austausch unter den Teilnehmern. 262 Als Ort der Kommunikation wurde das Symposion auch zum Ort der Poesie. 263 Joachim Latacz sieht in der Zeit zwischen ca. 750 und 500 v. Chr. - der Zeit eines großen gesellschaftlichen Wandels in Griechenland - 264 das Symposion als bedeutenden Ort für den Prozess der Entstehung von „ Literalität “ und dann auch der „ Textualität “ von griechischer Literatur. 265 Es war die Zeit des Übergangs von κίνδυνος ἡμῖν προσλαβεῖν ), wenn sie eine Zwiebel nicht nur zum Essen, sondern auch noch nach der Mahlzeit ( μετὰ δεῖπνον ), ergo zum Symposion, verspeisen. Denn er sieht darin den möglichen Vorwurf, nur für den eigenen Genuss zu Kallias gegangen zu sein ( ὅπως μὴ φήσῃ τις ἡμᾶς πρὸς Καλλίαν ἐλθόντας ἡδυπαθεῖν ). 258 Siehe dazu Murray (1990b); S. 150; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42; Ford (2002), S. 32; Stahl (2003), S. 68; Köster (2011), S. 116 - 118; W ę cowski (2014), S. 28 f. Vgl. dazu auch κῶμος in LSJ, S. 1018: „ revel, carousal, merry-making [ … ] 2. concrete, band of revellers “ . So werden die Nachtschwärmer, die bei Platon das Symposion stören, als κωμασταί bezeichnet (Plat. symp. 223b: ἐξαίφνης δὲ κωμαστὰς ἥκειν παμπόλλους ἐπὶ τὰς θύρας , καὶ ἐπιτυχόντας ἀνεῳγμέναις ἐξιόντος τινὸς εἰς τὸ ἄντικρυς πορεύεσθαι παρὰ σφᾶς καὶ κατακλίνεσθαι ) und in den Nomoi durch eine Partizipialform des zugehörigen Verbs κωμάζειν (Plat. leg. 637a - b: οὐδ᾽ ἔστιν ὅστις ἂν ἀπαντῶν κωμάζοντί τινι μετὰ μέθης οὐκ ἂν τὴν μεγίστην δίκην εὐθὺς ἐπιθείη ). Für eine genauere Analyse des Komos siehe z. B. Pütz (2007), S. 121 - 123; Murray (2009, S. 520) hebt hervor, dass der Komos eine Demonstration der Macht und der Privilegien der Aristokraten gegenüber den einfachen Bürgern war; vgl. dazu auch Murray (1990b), S. 150 mit weiteren Verweisen. 259 Zum Kottabos siehe z. B. Sparkes (1960); Hoesch (1992); W ę cowski (2014), S. 52 - 55. 260 Vgl. Murray (1998), S. 260. Zu den Unterhaltungsformen beim Symposion siehe auch z. B. Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42; Klinghardt (1996), S. 118 f. sowie S. 125 - 129; Stahl (2003), S. 64; W ę cowski (2014), S. 40 - 55. 261 Vgl. Murray (1983b), S. 198. 262 Vgl. Bowie (2010), S. 160. 263 Vgl. Hose (2016), Sp. 1058 f. 264 Siehe zu diesem Wandel auch Kap. 2.2.2. 265 Latacz (1994), S. 358. Zum Wandel der Kommunikationsformen in dieser Zeit vgl. auch Stahl (1987), S. 29 - 33. 2.2 Das Symposion 83 <?page no="84"?> „ überwiegender Mündlichkeit “ hin zu „ überwiegender Schriftlichkeit der Wortkunst “ , in der das Symposion als „ Vorführ-Ort, Experimentier-Raum, Umschlagplatz und Transportmittel für die entstehende Literatur “ nicht unerheblich die europäische Kulturentwicklung mitbestimmt habe. 266 Während es die homerischen Adligen gewohnt waren, ihre Vornehmheit dadurch zur Schau zu stellen, dass sie professionelle Musiker auftreten ließen, sangen nun die Symposiasten selbst, wodurch sie eine Möglichkeit fanden, ihre eigenen Fähigkeiten und auch ihre Weisheit zu präsentieren. 267 Als Raum für Unterhaltung und für Vorträge entwickelte sich das Symposion also sowohl zum Entstehungsort als auch zur Bühne für Dichtung. 268 Joachim Latacz betont allerdings auch, dass die Symposionsdichtung „ dem Symposion nicht ihren Ursprung und Sinn verdankte “ , sondern „ vielmehr grundsätzlich selbstbestimmt “ gewesen sei. 269 Denn es sei die „ neue gesellschaftliche Gesamtbefindlichkeit “ gewesen, die sowohl ein „ neues Gemeinschaftsmahl “ als auch „ neue literarische Formen erzeugt “ habe. 270 Ihr Ort, das Symposion, sei dabei „ ein Bestimmungsfaktor unter vielen “ gewesen. 271 Eine besondere Art der Symposionsdichtungen stellen die Skolien (= Trinklieder) dar. 272 Oft kam es beim Symposion dazu, dass die Teilnehmer unter sich 266 Latacz (1994), S. 358. Latacz (1994, S. 365) weist den Symposiasten bereits für die Jahre um 735/ 20 v. Chr. eine ‚ Literaturfähigkeit ‘ zu. Siehe dazu seine Argumentation im Kontext der Ausführungen zum Wandel von einer mündlich zur schriftlich geprägten Kultur (Latacz [1994], S. 361 - 365). Kannicht (1980, S. 25) hebt hervor, „ daß Hetairie und Symposion seit dem 7. Jh. als die neue Verkehrsform der Polisgesellschaft den institutionellen Rahmen bildeten, in dem die neuen literarischen Kommunikationsformen - mindestens Elegie und monodisches Lied - ihre primären Adressaten hatten “ und verweist auf Rösler (1980). 267 Vgl. Ford (2002), bes. S. 44, S. 25 - 31. 268 Vgl. z. B. Reitzenstein (1893); Rösler (1980); Murray (1983a), S. 264; Murray (1983b), S. 195; Kannicht (1989), S. 30 f. sowie S. 36 - 38; Murray (1990a), S. 9; Rösler (1990), S. 230; Siedentopf (1992), S. 247; Scott (2005), S. 426 mit Verweis auf Schmitt Pantel (1990), S. 20 f. sowie Tecu ş an (1990), S. 238 - 247; Murray (2009), S. 509 f. Zum Symposion als Ort speziell für die frühgriechische Elegie siehe auch Bowie (1986), S. 13 - 21, S. 34 f. 269 Latacz (1994), S. 372. 270 Ebd., S. 371. 271 Ebd., S. 372. 272 Zum ‚ Rededuell ‘ im Symposion siehe Schäfer (1997), S. 18 - 20. Trinklieder konnten gemeinsam oder auch einzeln „ nach einer bestimmten Reihenfolge “ gesungen werden (vgl. Schäfer [1997], S. 28). In jedem Fall sind sie Teil für die Bekräftigung der Symposionsgemeinschaft. Entweder durch das gemeinsame Singen oder deren Themen, die die gesamte versammelte Gruppe betreffen, oder auch durch den gleichberechtigten Auftritt aller Teilnehmenden im Wettbewerb (vgl. Schäfer [1997], S. 28). Zur Gleichheit als Grundprinzip im Symposion siehe Kap. 2.2.3.3.2. Während Murray (1998, S. 260) in Flöten die Begleitinstrumente der Skolien sieht, betont Klinghardt (1996, S. 108/ Anm. 27, S. 120), dass diese Rolle Saiteninstrumente übernahmen, wodurch sich die Skolien von 84 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="85"?> einen Wettbewerb z. B. bei Beiträgen in der Unterhaltung oder im Singen von ebendiesen Skolien austrugen, wobei das Singen musikalisch und mit Tänzen begleitet wurde. 273 Die Thematik der Skolien variierte zwar stark, aber stets wurden darin die Werte, die dem Symposion zugrunde lagen, gepriesen: „ Freundschaft, Loyalität, Treue, Gleichberechtigung, aber auch die Warnung vor der Gefährdung dieser Werte durch Neid und Mißgunst. “ 274 Die Themen der Symposionsdichtung konnten also explizit auf das Symposion Bezug nehmen, mussten dies aber nicht. Gesprochen wurde oft auch über den Tod und dessen Bedeutung. 275 Oswyn Murray gibt die griechische Bewertung des Todes als „ absence of all that there is in life “ wieder, was für einige die Abwesenheit von Ängsten und Ungewissheiten dieser Welt bedeutet habe, für die meisten aber die Abwesenheit der Freuden. 276 Murray betont außerdem, dass, wenn „ the poetry of death “ hier einen gewissen Platz habe, dann deshalb, weil dem Menschen die Sterblichkeit oft in den Momenten größter Freude am präsentesten sei, wenn die Intensität des Lebens an seine Zerbrechlichkeit erinnere. 277 Das im Symposion vorherrschende intensivierte Erleben der momentanen Situation unterstützt die Wirkungen solcher Dichtungen. So war in der frühgriechischen Lyrik als Thematik vor allem auch die Kürze des Lebens ohne Hoffnung auf ein glückliches Leben im Jenseits von Bedeutung. 278 Darüber der musikalischen Untermalung eines Paians abgegrenzt hätten. Käppel (1992, S. 80) legt dar, dass die Begleitinstrumente eines Paians je nach Situation variieren. Häufig wurde die Kithara dafür verwendet, aber auch Kithara und Aulos zusammen sowie Aulos alleine sind bezeugt (vgl. ebd.). Im Symposion allerdings sei das Begleitinstrument eines Paians der Aulos (ebd.). 273 Vgl. Klinghardt (1996), S. 118 f., S. 125; Schäfer (1997), S. 28; Murray (1998), S. 260; Ford (2002), S 32 f. Bowie (1986, S. 34) betont, dass viele Spiele im Symposion einen Wettkampfcharakter hatten „ and their playing must have had consequences for the standing of individuals within the group “ . Für den Wettbewerb als typisches Betätigungsfeld von Aristokraten siehe die Literaturverweise in Anm. 200. Für den Tanz als Bestandteil des Symposions siehe Coulet (1994), S. 66; Klinghardt (1996), S. 125; Schäfer (1997), S. 15 - 18, S. 36 - 38, S. 76 - 81; Bierbas-Richter (2016), S. 284 f. 274 Klinghardt (1996), S. 121. Siehe dazu insgesamt Klinghardt (1996), S. 118 - 122. Zu den Themengebieten der Trinklieder siehe auch Stein-Hölkeskamp (1989), S. 113; Siedentopf (1992), S. 248. 275 Vgl. Rösler (1980), S. 267 bzw. in der vorliegenden Arbeit Anm. 278; vgl. auch Rösler (1995), S. 110. 276 Murray (1988), S. 240. 277 Ebd. 278 Lesky schreibt über Alkaios als Vertreter des äolischen Adels: „ Dieser äolische Adel ist in seinen Lebensformen vielfach der echte Erbe der homerischen Welt. Auch hier gibt es keinen tröstlichen Ausblick auf das Sein jenseits des Todes “ (Lesky [1999], S. 163). Als Beispiel nennt Lesky Alkaios ’ fr. 38a Voigt, wo Alkaios nach der Ermahnung zu trinken daran erinnere, dass die Überquerung des Acherons für immer der Weg aus dem Licht der Sonne sei (vgl. Lesky [1999], S. 163 f.). Rösler argumentiert zu Recht gegen die weit 2.2 Das Symposion 85 <?page no="86"?> hinaus waren wesentliche Themengebiete auch Bürgerkrieg und das Erinnern an tapferes Verhalten im Krieg. 279 So wurde das frühgriechische Symposion auch zum Ort der Lehre und Erziehung von Knaben und jungen Erwachsenen, die sich als Zuhörer der lyrischen und musikalischen Vorträge - z. B. über tapfere Kämpfer - oder generell der Konversation unter den Erwachsenen an diesen orientieren sollten. 280 Meist handelt es sich bei den Dichtungen, die im Symposion vorgetragen wurden, nicht um spontane Kompositionen, sondern um mühevoll ausgearverbreitete Carpe-Diem-Interpretation dieses Fragments. So hebt er hervor, dass Alkaios hier vielmehr seinem Mitsymposiasten, Melanippos, widerspricht, der davon überzeugt zu sein scheint, dass es ein neues Leben nach dem Sterben gibt, ohne dass es einen Kausalzusammenhang zum Trinkappell gebe (vgl. dazu genauer Rösler [1980], S. 266 - 268 mit Anm. 361 oder auch in der vorliegenden Arbeit Anm. 770). Rösler erkennt in diesem Alkaios-Fragment „ den Reflex einer vielleicht in der Hetairie insgesamt geführten Diskussion [ … ], und zwar über die Bedeutung des Todes, in der Melanippos eine ‚ progressive ‘ Position vertreten hatte, der Alkaios hier unter Hinweis auf die traditionelle Vorstellung von der Endgültigkeit des Todes widerspricht “ (Rösler [1980], S. 267). Dafür, dass aber die Einstellung, das Leben im Hier und Jetzt zu genießen - entsprechend einer ‚ Carpe-Diem-Weltsicht ‘ - , in der frühgriechischen Lyrik immer wieder erkennbar wird, siehe die Ausführungen in Kap. 3.3.2 mit den Verweisen in Anm. 774. Es zeigt sich also, dass der Tod als endgültiges Ende des Lebens zwar der weiten Vorstellung der Griechen entspricht, aber dass auch andere Ansichten diesbezüglich existieren. Anakreon sieht besonders in einem seiner Gedichte im Tod eindeutig nichts Positives. So bedauert er in seinem Gedicht 395 PMG das Alter und schreibt von der Furcht vor dem Tartaros und dem beschwerlichen Weg dorthin, aus dem man einmal hinabgestiegen, nie wieder zurückkäme; vgl. dazu Murray (1988, S. 240): „ Already old age brings a diminution of life and its pleasures, and is therefore lamented in the poetry of the symposion “ . Mimnermos bewertet den Tod zumindest als Erlösung von den Qualen des Alters (fr. 6 West) und Theognis ist der Meinung, dass es das Beste sei, gar nicht erst geboren zu werden, und wenn man nun geboren ist, dass man so schnell wie möglich stirbt ( πάντων μὲν μὴ φῦναι ἐπιχθονίοισιν ἄριστον , / μηδ᾽ ἐσιδεῖν αὐγὰς ὀξέος ἠελίου , / φύντα δ᾽ ὅπως ὤκιστα πύλας Ἀΐδαο περῆσαι / καὶ κεῖσθαι πολλὴν γῆν ἐπαμησάμενον . - Thgn. 425 - 428 West). Die Annahme einer postmortalen Existenz lässt sich daraus allerdings nicht erschließen. 279 Vgl. Rösler (1990), S. 230 - 232. Rösler weist hier u. a. darauf hin (1990, S. 231), dass Bürgerkrieg und verwandte Themen vor allem in den attischen Skolien thematisiert wurden. Dies widerspreche Xenophanes, der die Kriegsthematik im Symposion vermieden wissen möchte (vgl. Xenophan. fr. 1, 21 - 23 D.-K.; siehe dazu Kap. 2.2.3.6.1) und auch Anakreon, der betont, nicht gerne mit Leuten zusammenzutrinken, die von solchen Themen sprechen (vgl. Anakr. fr. 2, 1 - 2 West) (ebd.); vgl. dazu auch Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42 mit Anm. 22. Slater (1981, S. 207 mit Anm. 13) bemerkt dagegen u. a. in Anlehnung an Anakr. fr. 2 West, dass die Kriegsthematik nach Ansicht der Dichter generell aus dem Symposion zu verbannen sei; vgl. auch Fearn (2007a), S. 54. Aber es zeigt sich, dass für die „ sympotic mnemosyne “ gerade das Erinnern an tapferes Verhalten im Krieg ein wichtiger Bestandteil gewesen sein musste (Rösler [1990], S. 231). 280 Vgl. Bremmer (1990), bes. S. 137 f., S. 145; Rösler (1995), S. 109 f. 86 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="87"?> beitete Kunstwerke, 281 mit denen der Autor beabsichtigte, die Zuhörer „ in seinen Bann [zu] ziehen “ . 282 Das Symposion bot also einen Ort, der es ermöglichte, in eine vom Dichter erzeugte ‚ andere ‘ Wirklichkeit einzutauchen. 283 Dabei zeichnet sich die durch den „ Wandel der Gesellschaftsstruktur im 8. und 7. Jh. “ veränderte Kompositionstechnik der überlieferten lyrischen Literatur gerade darin aus, dass sie nun die Gegenwart in den Mittelpunkt stellte. 284 Durch die erhaltene Lyrik, als deren Ort man insgesamt häufig das Symposion ansieht, 285 wird ersichtlich, dass aber - besonders bei der Bildung einer Hetairie 286 - auch der Blick in die Vergangenheit eine wichtige Rolle spielte. 287 So bezogen die Texte der frühgriechischen Lyrik auch Vergangenes mit ein, allerdings, wie Joachim Latacz formuliert, „ in der Funktion der Folie für das Gegenwärtige “ . 288 Insgesamt finden sich in der frühgriechischen Lyrik einige historische Anklänge oder ganze Erzählungen. 289 Letztlich mag diese Rückerinnerung in die Vergangenheit beim Symposion sogar zur Entwicklung der Historiographie im 5. Jh. v. Chr. beigetragen haben. 290 Denn die Aristokratie zeichnete eben auch eine Erinnerungskultur 281 Vgl. Latacz (1994), S. 372. 282 Ebd., S. 373. 283 Vgl. ebd., S. 372 f. 284 Ebd., S. 368; vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.2. 285 Siehe dazu die Literaturhinweise in Anm. 268. Bowie untersucht in seinem Aufsatz ‚ Ancestors of Historiography in early Greek Elegiac and Iambic Poetry ‘ (2001) einige frühgriechische Elegien und Iamben mit historischen Elementen unter anderem darauf, ob sie für das Symposion oder einen anderen Kontext gedichtet worden sind. Gerade die längeren Werke sieht er dabei allerdings nicht im Symposion verortet (Bowie [2001], S. 60 - 62). 286 Siehe dazu Kap. 2.2.4. 287 Rösler (1990) sieht als Hauptmotiv für den Akt des Erinnerns und Rückblicks im Symposion „ the need for both individual and group to found their own present existence on the past “ (ebd., S. 232), wobei die Grenzen zwischen dem ‚ Ich ‘ und dem ‚ Wir ‘ in Bezug auf die Vergangenheit im Symposion fließend waren (ebd., S. 233 f.). Denn die vor der Gruppe im Symposion vorgetragene persönliche Erinnerung „ was not unrelated to the community “ (ebd., S. 234). Das Symposion war also der Ort, wo die Position der Gruppe definiert wurde, und zwar „ not least by looking back to the past “ (ebd., S. 233). 288 Latacz (1994), S. 368. 289 Siehe dazu neben Rösler (1990) auch Bowie (2001) sowie Bowie (2010). 290 Vgl. dazu Stahl (1987), S. 25 - 29. Vgl. auch Rösler (1990), S. 236: „ If we take later developments into account, sympotic mnemosyne is clearly one of the roots, hitherto little recognized, of the growth of historiography in the fifth century. “ Für eine Untersuchung der möglichen Auswirkungen der frühgriechischen Elegien und Iamben auf die entstehende Historiographie siehe Bowie (2001) und dort besonders S. 62 - 66. Bowie (2001, S. 61) äußert sich gegenüber Röslers These, die sympotische Mnemosyne sei eindeutig eine der Wurzeln der Historiographie, allerdings zurückhaltend: „ Certainly 2.2 Das Symposion 87 <?page no="88"?> aus, die in den historiographischen Werken intensiviert werden konnte. 291 Da uns nur ein Bruchteil aller frühgriechischen lyrischen Werke überliefert ist, 292 kann allerdings keine sichere Aussage darüber getroffen werden, inwiefern die frühgriechischen Lyriker - und als Ort für deren Dichtungen das Symposion selbst - den Boden für die Historiographie geebnet haben. Doch das Symposion unterliegt auch selbst einer historischen Entwicklung und spiegelt deren Auswirkungen an der eigenen Entwicklung wider. Wolfgang Rösler bemerkt, dass die Krise des traditionellen aristokratischen Symposions als „ one aspect of a comprehensive historical process “ - der Entstehung der Demokratie - gesehen werden könne. 293 In diese Zeit, so Rösler, fügte sich auch der Wandel von der „ sympotic mnemosyne “ hin zur Historiographie auf eine bestimmte Art und Weise ein. 294 Denn im Gegensatz zum nicht-öffentlichen Symposion als Ort der Dichtung mit einer nur geringen Anzahl von bekannten und ausgewählten Teilnehmern ist die sich in dieser Zeit entwickelnde Historiographie für die Öffentlichkeit und einen breiten Rezipientenkreis bestimmt. 295 Das zeigt also, dass sich in der griechischen Bevölkerung im 5. Jh. v. Chr. - besonders in Athen - ein großes Verlangen entwickelte, am politischen Prozess teilzunehmen, und damit zusammenhängend eben auch der Wunsch, am historischen Bewusstsein Anteil zu haben. 296 there are plenty retrospective narratives in speeches by Homeric characters with both first-person verbs and similar levels of detail. “ 291 Bowie (2010) erläutert, dass sich die Dichter von lyrischen Werken in der archaischen und frühen klassischen Zeit über die jüngere militärische und politische Vergangenheit erhoffen konnten, durch ihre Werke die Wahrnehmung ihrer Rezipienten sowie die Wahrnehmung späterer Generationen beeinflussen zu können (ebd., S. 155). Dabei versuchten sie natürlich, das Ansehen ( κλέος ) ihrer eigenen Generation und der unmittelbar vorausgehenden Generationen zu verewigen, indem sie von ihren militärischen bzw. politischen Fähigkeiten berichteten und diese teilweise auch mit denen der Stadtgründer bzw. der ersten Generation ihrer Siedler verknüpften (ebd., S. 157). Auch wenn der „ major focus “ der Dichter also auf der unmittelbaren Vergangenheit lag, war teils auch die ferne Vergangenheit wichtig, damit die unmittelbare Vergangenheit mythisiert werden konnte (ebd., S. 157). Die Taten früherer Generationen, die weder zur fernen Vergangenheit zählten noch unmittelbar vorangegangen waren, gerieten daher in Vergessenheit bzw. waren bereits vergessen (ebd., S. 157). Bowie veranschaulicht diese unterschiedliche Gewichtung der Geschehnisse in der Vergangenheit mit der Form einer Sanduhr, die auch das vorherrschende Profil der „ local prose historiography “ abbilde (ebd., S. 157). 292 Siehe dazu Latacz (1998), S. 146 - 149. 293 Rösler (1990), S. 236. Zur Krise des aristokratischen Symposions siehe Kap. 2.2.2. 294 Rösler (1990), S. 236. 295 Vgl. Rösler (1990), S. 236. 296 Vgl. ebd. 88 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="89"?> 2.2.3.3 Die Teilnehmer am Symposion Welche Eigenschaften die Teilnehmer eines idealen griechischen Symposions definiert, werde ich nun in zwei Schritten analysieren. Zuerst möchte ich dabei auf die Frage eingehen, welche äußeren Eigenschaften für diese Teilnehmer üblich waren. Anschließend kläre ich, welche Voraussetzungen im Verhalten und in der Einstellung der Teilnehmer zu erwarten sind. Dabei soll vor allem herausgearbeitet werden, mit welchem Verhalten die Symposiasten Gefahr laufen, dem Symposion zu schaden. 2.2.3.3.1 Die äußeren Voraussetzungen der Teilnehmer Wie schon zuvor erwähnt, bot das griechische Symposion den Aristokraten bereits seit dem späten 8. Jh. v. Chr. einen willkommenen Rückzugsort aus der Realität oder generierte einen Raum, in dem die Aristokraten ihre soziale Identität durch gemeinschaftliche Treffen stärken konnten. 297 Bei den meisten uns bekannten Symposia waren die Teilnehmer also wohlhabende Personen. Einen gewissen Reichtum - zumindest des Gastgebers - erforderten auch die äußeren Umstände beim Symposion. Denn der Gastgeber musste es sich leisten können, einen entsprechenden Raum in einem Gebäude, 298 Verpflegung und Unterhaltung für seine Gäste zu gewährleisten. 299 Das aufwändige ‚ Entertainment ‘ mit dem Engagement von Künstlern unterschiedlicher Art war ebenfalls nur mit einem gewissen Reichtum umsetzbar. Diese ‚ Entertainer ‘ waren meist von niederer Abstammung, aber aufgrund ihrer Künste hochgeschätzt, weshalb für sie eine Ausnahme bei der eigentlich rein elitären Teilnahme am Symposion gemacht wurde. 300 Da sich aber mit der Zeit die Symposia auch durch den sozialen Aufstieg von Nicht-Aristokraten in größere Bereiche der Gesellschaft ausbreiteten, wurde auch die Gestaltung der Symposia zum Teil weniger luxuriös und weniger exklusiv. 301 297 Vgl. dazu Kap. 2.2.2 mit den Literaturhinweisen in Anm. 202 sowie später Anm. 309. 298 Zum Raum des Symposions siehe Kap. 2.2.3.5. 299 Vgl. Vickers (1990), S. 106 mit Verweis auf Schmitt Pantel (1985), S. 145. Besonders ab Ende des 5. Jh. v. Chr. stiegen die Kosten für die Veranstaltung eines Gastmahls zugleich mit den wachsenden Ansprüchen an die Vielfalt der Speisen beim Deipnon rapide an (siehe W ę cowski [2018], S. 267), wobei sich auf der anderen Seite bereits in dieser Zeit weniger luxuriöse Symposia in den unteren Gesellschaftsschichten entwickelten (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.2). 300 Vgl. Fehr (1990), S. 185. 301 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.2. W ę cowski (2014, S. 10) betont, dass zweifellos auch nicht-aristokratische Gruppen Trinkgelage veranstalteten, dass allerdings fraglich ist, ob man diese als Symposia bezeichnen dürfe. Schließlich sei das Herzstück des Symposions die aktive Teilnahme an verschiedenen intellektuellen und poetischen Wettbewerben, wofür eine musikalische Grundausbildung und ein gewisses Maß an dichterischer Gelehrsamkeit vonnöten sei (ebd., S. 10 f.). Das Erwerben dieses Fähig- 2.2 Das Symposion 89 <?page no="90"?> Teilnehmen durften ausschließlich Männer in begrenzter Anzahl. 302 Als Frauen waren lediglich Sklavinnen, Tänzerinnen, Hetären oder Flötenspielerinnen zugelassen. 303 Während das Symposion gewöhnlich unter Männern abgehalten wurde, war es nicht ungewöhnlich, das Deipnon auch zusammen mit der Ehefrau oder den eigenen Kindern zu vollziehen. 304 Dass diese Differenzierung auch in Herodots Historien ersichtlich wird, möchte ich kurz anhand von zwei Textstellen erläutern: So zeigt die Darstellung einer kaunischen Sitte, wie besonders die Teilnahme von Frauen an einem Symposion war. 305 Dort sei es üblich gewesen, dass Frauen und Kinder gemeinsam mit Männern - aufgeteilt nur nach Alter und Freundschaft - zum gemeinsamen Trinken zusammenkommen ( κατ᾽ ἡλικίην τε καὶ φιλότητα ἰλαδὸν συγγίνεσθαι ἐς πόσιν , καὶ ἀνδράσι καὶ γυναιξὶ καὶ παισί - I, 172.1). Dass es sich dabei um keiten wiederum kostete Zeit, sodass die Symposiasten einer sozialen Gruppe angehören mussten, die sich dies leisten konnten (ebd., S. 11). 302 Zur Teilnehmeranzahl beim Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. 303 Vgl. Murray (1983a), S. 264; Murray (1983c), S. 50; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42; Coulet (1994), S. 57; Stahl (2003), S. 71; Murray (2009), S. 518 f. mit Verweis auf Schmitt Pantel (2001); Carney (2015), S. 33. Schmitt Pantel (1992, S. 455) hebt hervor, dass nur ‚ nichtgriechische ‘ Völker die Anwesenheit ‚ legitimer ‘ Frauen beim Bankett erlaubten und dass dieses das entscheidende Element beim Vergleich der Sitten und Gebräuche unterschiedlicher Völker sein konnte, wobei Schmitt Pantel auf eine Anekdote in Herodots Historien verweist (V, 18 - 20; siehe dazu Kap. 4.2.3.4). Zur Entwicklung von einer ursprünglich rein männlichen zu einer auch weiblichen Gesellschaft im Symposion durch soziale Veränderungen seit dem 3. Jh. v. Chr. siehe Klinghardt (1996), S. 112 f. 304 Vgl. Stahl (2003), S. 64. Dass das gemeinsame Speisen zwischen Mann und Frau auch im antiken Griechenland üblich war, kann auch aus einer Rede des Lysias geschlossen werden: In der Verteidigungsrede im Fall ‚ Mord an Eratosthenes ’ schildert der Angeklagte an einer Stelle, dass nach dem Essen ( μετὰ δὲ τὸ δεῖπνον - Lys. 1,11) sein Kind geschrien habe. Er habe seine Frau und Mutter des Kindes aufgefordert, nach dem Kind zu schauen und es zu stillen (Lys. 1, 12). Es kann also angenommen werden, dass die Frau beim Mahl zumindest anwesend war. In den Fällen, in denen Frauen oder Kinder am Deipnon teilnahmen, saßen sie. Denn es war ausschließlich Männern vorbehalten, beim Mahl zu liegen (vgl. dazu Klinghardt [1996], S. 76, der diesbezüglich u. a. auf Xen. symp. 1, 8 verweist, wo der Text darauf hinweist, dass sich der junge Autolykus vor seinen Vater setzt - ἐκαθέζετο - , während sich die anderen Gelageteilnehmer zu Tisch legen - κατεκλίθησαν - ; vgl. auch W ę cowski [2014], S. 34). Bremmer (1990, S. 139) bemerkt, dass Knaben, die noch erzogen werden mussten, nicht lagen, sondern saßen, wodurch ersichtlich wurde, dass sie nicht den gleichen Status wie die Erwachsenen hatten. Außerdem wurde der Rangunterschied auch darin deutlich, dass die Knaben den Wein häufig servieren mussten (ebd., S. 139 f.). 305 Vgl. dazu Coulet (1994, S. 57), die u. a. diese Sitte der Kaunier als Beispiel dafür nennt, dass in den ethnographischen Beschreibungen in Herodots Historien immer dann von festlichen Mahlzeiten, Banketten und gemeinsamem Trinken berichtet wird, wenn diese Feiern nicht in gleicher Weise wie in Griechenland ablaufen oder sich die Menschen auf andere Art und Weise ernähren. 90 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="91"?> eine - auch in der Darstellung der Historien - außergewöhnliche Sitte handelt, wird deutlich, insofern der Text die Bräuche der Kaunier als stark verschieden zu denen der übrigen Menschen bewertet ( νόμοισι δὲ χρέωνται κεχωρισμένοισι πολλὸν τῶν τε ἄλλων ἀνθρώπων - I, 172.1). Die Sitten eines Volkes scheinen sich in den Historien immer dann von den Sitten der anderen Menschen zu unterscheiden, wenn dadurch die bei den Lesern als bekannt vorausgesetzten konventionellen Rollenmuster durchbrochen werden. 306 Wenn Männer und Frauen dagegen gemeinsam speisen, wird ein solcher Bruch mit den Konventionen nicht erwähnt. In I, 146.2 berichtet der Text, wie sich athenische Auswanderer Karerinnen zu Ehefrauen nehmen, nachdem sie deren männliche Familienmitglieder getötet hatten. Die Karerinnen schwören sich daraufhin gegenseitig per Eid, niemals gemeinsam mit ihren neuen Ehemännern zu speisen ( μή κοτε ὁμοσιτῆσαι τοῖσι ἀνδράσι - I, 146.3) und sie auch nie beim Namen zu rufen (I, 146.3). Diesen Eid geben sie dann sogar an ihre Töchter weiter (I, 146.3). Wenn sie kulturell bedingt nicht mit ihren Männern speisen dürften, dann könnten sie den Entzug des gemeinsamen Essens nicht als Strafe anwenden. Das gemeinsame Speisen scheint auch den herodoteischen Erzähler nicht zu irritieren, da es der Text unkommentiert lässt. 307 Es geht ihm lediglich um die Sanktion durch das getrennte Essen. 308 306 Gleich danach berichtet der Text in den Historien von einer Besonderheit bei den Lykiern, die wiederum dem in den Historien vertretenen Rollenverständnis von Mann und Frau widerspricht. Denn bei den Lykiern sei die mütterliche Abstammungslinie die entscheidende für die Herkunft (I, 173.4 - 5). Der Text bezeichnet dies als für die ganze Erde einzigartig ( ἓν δὲ τόδε ἴδιον νενομίκασι καὶ οὐδαμοῖσι ἄλλοισι συμφέρονται ἀνθρώπων - I, 173.4). Auch die ägyptischen Sitten bezeichnet der Text in weiten Teilen als denen der übrigen Menschen gegensätzlich ( Αἰγύπτιοι [ … ] τὰ πολλὰ πάντα ἔμπαλιν τοῖσι ἄλλοισι ἀνθρώποισι ἐστήσαντο ἤθεά τε καὶ νόμους - II, 35.2), wobei er v. a. die Bräuche aufzählt, in denen Frauen Aufgaben erledigen, die aus Sicht der Historien konventionell in die männliche Sphäre gehören und umgekehrt (II, 35.2 - 4). So betreiben in dieser Darstellung in Ägypten z. B. die Frauen Handel, während die Männer zu Hause bleiben und weben (II, 35.2). Ebenso besonders ist aus Sicht der Historien die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, die der Text im Rahmen der ethnographischen Beschreibung der Issedonen extra erwähnt ( ἰσοκρατέες δὲ ὁμοίως αἱ γυναῖκες τοῖσι ἀνδράσι - IV, 26.2). 307 Den Brauch des geschlechtergemischten Trinkens in Kaunos beschränkt der Text auf die Kaunier und grenzt die Kaunier damit sogar neben allen anderen Menschen im Speziellen auch von ihren karischen Nachbarn ab ( νόμοισι δὲ χρέωνται κεχωρισμένοισι πολλὸν τῶν τε ἄλλων ἀνθρώπων καὶ Καρῶν · τοῖσι γὰρ κάλλιστόν ἐστι κατ᾽ ἡλικίην τε καὶ φιλότητα ἰλαδὸν συγγίνεσθαι ἐς πόσιν , καὶ ἀνδράσι καὶ γυναιξὶ καὶ παισί - I, 172.1; vgl. auch Hobden [2013], S. 84), wohingegen er das gemeinsame Speisen auf kein Volk eingrenzt. 308 Zur Sanktion und Wertschätzung mit Bezug auf Mahl und Trinken in Herodots Historien siehe Kap. 4.1.2.1. 2.2 Das Symposion 91 <?page no="92"?> 2.2.3.3.2 Die inneren Voraussetzungen der Teilnehmer Die besondere nicht-öffentliche Atmosphäre des Symposions sorgte für eine Intensivierung des Gemeinschaftsgefühls unter den Trinkgefährten. 309 Dieses allerdings war fragil und durch Ungleichheiten leicht ins Schwanken zu bringen. Durch eine fehlerhafte Sitzordnung und falsche Gäste konnte dies genauso geschehen wie z. B. durch eine ungleiche Verteilung der Speiseportionen oder unpassendes Verhalten der Gäste: also immer dann, wenn Regeln nicht beachtet wurden oder sie nicht allen Teilnehmern bewusst waren. Eine grundsätzliche Voraussetzung für ein gelingendes typisches Symposion bestand in der Gleichheit zwischen den Teilnehmern. 310 Gleichheit jedoch ist ein variabler Begriff. Denn neben der absoluten Gleichheit steht auch die proportional-relative Gleichheit. 311 Die proportional-relative Gleichheit lässt „ einem jeden exakt das an Ehren zukommen [ … ], was ihm gebührt “ . 312 Für das Symposion heißt dies, dass die Harmonie durch Handlungen gefährdet werden konnte, die einer oder mehrere der Teilnehmer als ungerecht empfanden. Zugleich aber bedeutet es auch, dass eine gerechte Gemeinschaft nicht zwingend nur dann gegeben war, wenn jedem dieselben Ehrenplätze, gleich große Speiseportionen oder Ähnliches zukamen, was ohnehin schwer umsetzbar gewesen wäre. 313 309 Vgl. dazu Bowie (1986, S. 34): „ The symposium is a social institution in which groups within the city strengthened their mutual bonds and expressed their identity as a group - and their difference from other groups - in a context which involved both ritual and relaxation “ . Ebenso auch Ford (2002, S. 33): „ Like its heroic predecessor, then, the symposium was a setting for elite males to reinforce their solidarity and to demonstrate their distinction. “ 310 Zur Gleichheit im Symposion vgl. Murray (1983c), S. 50; Klinghardt (1996), S. 160 - 163; Schäfer (1997), S. 25 - 27; Stahl (2003), S. 65; Murray (2009), S. 512; W ę cowski (2014), S. 65 - 74. 311 Vgl. zu diesen beiden ‚ Arten ‘ von Gleichheit Harvey (1965); Schmitt Pantel (1992), S. 477 f.; Runding (1996), S. 195 f.; Klinghardt (1996), S. 160 f., S. 167 f. Klinghardt (1996, S. 160 f.) verweist auf Platons Nomoi (Plat. leg. 756e - 758a), wo diese beiden - die absolute bzw. proportionale - ‚ Isonomiearten ‘ erläutert werden (vgl. auch Harvey [1965], S. 108 f.). 312 Klinghardt (1996), S. 167. Dazu auch Runding (1996, S. 196): „ This is a sort of equality whereby some are more equal than others “ , was bedeute, dass die Verteilung entsprechend dem unterschiedlichen sozialen Status der Empfänger gewichtet werde. 313 Vgl. Klinghardt (1996), S. 160. Häufig stoßen diese zwei, wie Klinghardt schreibt, „ unvereinbar scheinenden sympotischen Ideale “ mit Blick auf unterschiedliche Gastmahlbeschreibungen aufeinander: Die absolute und die proportional-relative Isonomie (ebd., S. 167). Doch unabhängig davon, an welchem Prinzip von Gleichheit sich letztlich ein Symposion ausrichtet, „ in beiden Fällen [werde] der Versuch unternommen, die Grundlagen der idealen Gemeinschaft - sei es die absolute, sei es die relative Isonomie - [ … ] zu identifizieren “ , und zudem „ intendieren beide Wertorientierungen dasselbe Ideal 92 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="93"?> Wichtig war es aber, dass jeder Teilnehmer unabhängig davon, welcher Platz ihm zugeteilt wurde, in das Geschehen involviert werden konnte. 314 Auch daran zeigte sich die Gleichberechtigung der Teilnehmer. Die Gäste sollten sich bei den dortigen Tätigkeiten nicht übermütig verhalten, aber sich auch nicht völlig enthalten, sodass die Gerechtigkeit und Mäßigung gewährleistet bleiben konnte. 315 Um die Gemeinschaft und damit auch die besondere Atmosphäre im Symposion ermöglichen zu können, musste es folglich Regeln geben. 316 Häufig wurde ein Symposiarch bestimmt, der diese Regeln definierte, um streitprovozierende Ursachen möglichst gering zu halten und eine fröhliche, sorgenfreie und offene, aber keineswegs unkontrollierte oder ausschweifende Atmosphäre zu gewährleisten. Dieser sorgte für den geordneten Ablauf bei der Platzwahl sowie bei der Unterhaltung und für vieles mehr. 317 Der Verzicht auf einen Symposiarchen setzte eine große Egalität der Teilnehmer voraus. Denn wenn sich z. B. die Teilnehmer bei einem Gastmahl ihre Plätze selber auswählten, war die Gefahr von Streitereien groß. Jeder hoffte, seinen bevorzugten Platz zu erhalten, da durch die Plätze auch das Ansehen der Gäste symbolisiert wurde. 318 Darüber hinaus konnte der Symposiarch die Trinkweise bestimmen. Denn meist folgte diese einer festgelegten Regel. 319 Er hatte darauf zu achten, dass sich die Teilnehmer die ganze Zeit über in einem Zustand zwischen ernster Nüchternheit und unbeherrschter Trunkenheit befanden. 320 Ein belangloser Streit unter den Symposiasten stellte grundsätzlich noch keine Gefahr für die sympotische Atmosphäre dar, jedoch durfte dieser nicht zu der friedlichen Gemeinschaft “ , indem sie letztlich beide „ zwischen den Symposiasten vollkommene Harmonie und Frieden “ gewährleisten sollen (ebd., S. 168). 314 Vgl. Bergquist (1990), bes. S. 39. Hobden (2013, S. 9) bemerkt, dass die Gemeinschaftlichkeit beim Symposion auch durch die Anordnung der Klinen unterstrichen worden sein könnte, da durch deren gezielte Platzierungen jeder Symposiast direkt zu seinen Mitsymposiasten blicken kann. W ę cowski (2014, S. 33) weist darauf hin, dass es nötig sei, durch eine organisierte Unterhaltung alle Teilnehmer miteinzubeziehen, um das Zerfallen des Symposions „ into separate smaller circles “ zu unterbinden. 315 Vgl. Ford (2002), S. 38 f. 316 Vgl. dazu die Anm. 237 und 238. 317 Vgl. Kircher (1910), S. 69; Pellizer (1990), S. 178 f.; Klinghardt (1996), S. 115 - 118; Ford (2002), S. 31 f.; Stahl (2003), S. 68; Köster (2011), S. 55 f.; W ę cowski (2014), S. 36 f. 318 Zur Platzverteilung siehe die Hinweise unter Anm. 245. Vgl. zudem Müller (2009, S. 184 f.), die betont, dass „ das Mahl in der griechischen aristokratischen Welt eine Plattform für Rangdarstellung und -konstitution war: Größe der Portion, Sitzordnung an der Tafel und Art der Speisezuteilung spielten zentrale Rollen. “ 319 Vgl. Klinghardt (1996), S. 115 mit Beispielen für solche Trinkvorgaben. Allgemein für die Trinksitten beim Symposion siehe auch Kircher (1910), S. 59 - 73. 320 Vgl. Pellizer (1990), S. 178 f. Zum richtigen Maß beim Trinken siehe auch Kap. 2.2.3.4. 2.2 Das Symposion 93 <?page no="94"?> weit gehen und ein gewisses Maß nicht überschreiten. 321 Missverständnisse zwischen den Symposiasten konnten dagegen schnell zur Gefahr für die sympotische Harmonie werden. Hielten sich also nicht alle Teilnehmer an die bekannten Regeln, sei es absichtlich oder sei es, dass sie aus einem fremden Kulturkreis stammten und sich daher an anderen Konventionen orientierten, konnte das Symposion misslingen. Am sichersten waren sämtliche Beeinträchtigungen dann zu vermeiden, wenn es sich bei den im griechischen Symposion rein männlichen Teilnehmern insgesamt um eine homogene Gruppe handelte. Denn auch, wenn die Tischgemeinschaft durch ein ungewöhnliches Mitglied beeinflusst wurde, konnte der normale Ablauf gestört werden. Das konnte z. B. dann der Fall sein, wenn Frauen daran teilnahmen. 322 Diese Gleichheit und Harmonie werden in der Symposion-Literatur von der Klassik an häufig durch Ungeladene, ἄκλητοι , durch den späten Gast oder sogenannte ‚ Nachgeladene ‘ , ἐπίκλητοι , gestört. 323 Im Gegensatz zu den talentierten und engagierten Entertainern im Symposion besitzen die Akletoi meist keine künstlerischen Fähigkeiten und müssen sich daher auf andere Weise behelfen. 324 Gewöhnlich haben sie Erfolg und bekommen, worum sie bitten - sei es aus Mitleid, aus Angst vor Verfluchung oder vor der Rache eines Gottes. 325 Mit Beschwerden unter anderem über ihre Unverschämtheit, ihre Betrunkenheit oder Schamlosigkeit halten sich die regulären Symposionsteilnehmer allerdings nicht zurück. 326 Eine besondere Variante der Akletoi stellen die Parasitoi dar, die über bestimmte Fertigkeiten verfügen müssen, um ihre τέχνη mit Erfolg ausüben zu können. 327 321 Vgl. Ford (2002), S. 37 - 39. 322 Eine Teilnahme von Frauen am Symposion war unüblich; vgl. dazu Kap. 2.2.3.3.1. Als Beispiel dafür, wie in der Darstellung der Historien Frauen den reibungslosen Ablauf des Symposions allein durch ihre Anwesenheit beeinträchtigen können, vgl. V, 18 - 20 bzw. Kap. 4.2.3.4. 323 Vgl. dazu die Ausführungen von Martin (1931), S. 64 - 79; Klinghardt (1996), S. 84 - 90 und W ę cowski (2014), S. 34 f. Zu den Akletoi siehe auch Fehr (1990). 324 Fehr (1990, S. 188, S. 192) weist darauf hin, dass der zahlenmäßige Anstieg der Akletoi in der archaischen Periode eine Folge der schwierigen wirtschaftlichen Lage war. Während die wohlhabenden Menschen luxuriös leben konnten, hatten die einfachen Leute aufgrund einer Agrarkrise oft Probleme, ihren Lebensunterhalt zu ‚ erwirtschaften ‘ (vgl. ebd.). 325 Vgl. Fehr (1990), S. 186. 326 Vgl. ebd. 327 Vgl. dazu Nesselrath (1985), S. 22 - 36; Fehr (1990), S. 186; Bruit Zaidman (1995), bes. S. 201 f.; speziell zur τέχνη eines Parasitos siehe Nesselrath (1985), S. 123 - 239. Zu den in der Literatur dargestellten Eigenschaften der Parasitoi siehe Nesselrath (1985), S. 15 - 121 sowie Köster (2011), S. 58 - 60. 94 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="95"?> Personengruppen, die unerwartet am Symposion teilnahmen wie Frauen oder Menschen anderer Kulturen, sowie Meinungsverschiedenheiten zwischen den Symposiasten - aus welchen Gründen auch immer - konnten also das griechische Symposion in seinem Ablauf beeinträchtigen oder sogar zum Scheitern bringen. 2.2.3.4 Das richtige Maß beim Trinken Wein war durch die Möglichkeit, eine Atmosphäre ungezwungener zu gestalten, für ein Symposion essentiell. 328 So schreibt der blinde Seher Teiresias in Euripides ’ Bakchen Wein die Fähigkeit zu, Leid zu lindern, Schlaf zu bringen und Vergessen von den alltäglichen Strapazen zu ermöglichen. 329 Der Chor der Bakchen lobt zudem die sorgenlösende Wirkung des Weins. 330 Später spricht auch der Hirte, der von den bakchantisch rasenden Frauen berichtet, dem Wein die Fähigkeit zu, Leid zu beenden. 331 Der Lyriker Alkaios beschreibt den Wein in einem seiner Fragmente als λαθικηδής und damit als sorgenvergessend. 332 Wein 328 Bei einem Symposion soll es sich um einen Ort handeln, bei dem es zu einem „ measured release from inhibitions “ kommt (Murray [2009], S. 516); vgl. dazu auch Rösler (1995), bes. S. 108. Zur Atmosphäre beim Symposion insgesamt siehe Kap. 2.2.3.6. 329 Eur. Bacch. 278 - 283: ὃς δ᾽ ἦλθ᾽ ἔπειτ᾽ , ἀντίπαλον ὁ Σεμέλης γόνος / βότρυος ὑγρὸν πῶμ᾽ ηὗρε κἀσηνέγκατο / θνητοῖς , ὃ παύει τοὺς ταλαιπώρους βροτοὺς / λύπης , ὅταν πλησθῶσιν ἀμπέλου ῥοῆς , / ὕπνον τε λήθην τῶν καθ᾽ ἡμέραν κακῶν / δίδωσιν , οὐδ᾽ ἔστ᾽ ἄλλο φάρμακον πόνων . So ist der Genuss des Weins ἄλυπος ( ‚ leidlos ‘ ), wie der Chor der Bakchen singt ( ἴσαν δ᾽ ἔς τε τὸν ὄλβιον / τόν τε χείρονα δῶκ᾽ ἔχειν / οἴνου τέρψιν ἄλυπον - Eur. Bacch. 421 - 423). 330 Eur. Bacch. 381 - 385: (378b: ὃς τάδ᾽ἔχει [ … ]) ἀποπαῦσαί τε μερίμνας , / ὁπόταν βότρυος ἔλθηι / γάνος ἐν δαιτὶ θεῶν , κισ - / σοφόροις δ᾽ ἐν θαλίαις ἀν - / δράσι κρατὴρ ὕπνον ἀμφιβάλληι . 331 Eur. Bacch. 771 - 772: κἀκεῖνό φασιν αὐτόν , ὡς ἐγὼ κλύω , / τὴν παυσίλυπον ἄμπελον δοῦναι βροτοῖς . 332 Vgl. Rösler (1995), S. 108. Alk. fr. 346, 3 - 4a Voigt: οἶνον γὰρ Σεμέλας καὶ Δίος υἶ ος λαθικάδεα / ἀνθρώποισιν ἔδωκ᾽ . Durch den Wortbestandteil λαθι -, das sich von λανθάνειν ableitet, wird deutlich, dass in Alkaios ’ Fragment ausgedrückt wird, dass Wein die Sorgen auch für den Moment nicht verschwinden lässt, sondern nur vergessen macht (vgl. dazu λανθάνω in LSJ, S. 1029: „ B. causal, make one forget a thing “ ). Dagegen wurde bei den drei zuvor erwähnten Textstellen aus Euripides ’ Bakchen die Wirkung des Weins auf Leid und Kummer durch das Verb παύειν ( παύει - Eur. Bacch. 280), einem Kompositum davon ( ἀποπαῦσαί τε - Eur. Bacch. 381) und einem zugehörigen Adjektiv ( παυσίλυπον - Eur. Bacch. 772) umschrieben, sodass dadurch ein - zumindest vorübergehendes - Beenden des Sich-Sorgens ausgedrückt ist (vgl. παύω in LSJ, S. 1350: „ I. causal, make to end “ ). Auch Xenophon lässt Sokrates im Symposion von der beruhigenden Wirkung des Weins sprechen (Xen. symp. 2, 24: ὁ δ᾽αὖ Σωκράτης εἶπεν· Ἀλλὰ πίνειν μέν , ὦ ἄνδρες , καὶ ἐμοὶ πάνυ δοκεῖ· τῷ γὰρ ὄντι ὁ οἶνος ἄρδων τ ὰς ψυχὰς τὰς μὲν λύπας , ὥσπερ ὁ μανδραγόρας τοὺς ἀνθρώπους , κοιμίζει , τὰς δὲ φιλοφροσύνας , ὥσπερ ἔλαιον φλόγα , ἐγείρει ), wobei er durch seine Formulierung ὁ οἶνος [ … ] λύπας [ … ] κοιμίζει aussagt, dass der Wein das Leid ‚ einschläfert ‘ (vgl. dazu κοιμίζω in LSJ, S. 968: 2.2 Das Symposion 95 <?page no="96"?> wird also im Symposion zum geeigneten Beruhigungsmittel und lindert oder unterdrückt zumindest störende Emotionen, die die sympotische Atmosphäre beeinträchtigen. Er ist der Schlüssel dafür, Leid, Sorgen oder andere Eindrücke des Alltags für den Moment des Symposions ausblenden zu können. 333 Wolfgang Rösler hebt - wie bereits erwähnt - 334 hervor, dass diese „ illusion of a better reality “ nun zu einem erhöhten Bewusstseinszustand führe, der dann wiederum gerade durch das Gegenteil des Vergessens gekennzeichnet sei, nämlich durch „ full understanding and unrestrained communication. “ 335 Hieran wird deutlich, dass die sympotische Atmosphäre nur beim Weintrinken in Gemeinschaft gegeben ist. 336 Denn erst die Gemeinschaft lässt durch Interaktion eine Situation entstehen, deren Geschehen intensiviert wahrgenommen werden kann. Die dortige offene Gesprächssituation bewirkt wiederum, dass sich das Symposion auch hervorragend dafür eignet, den Charakter eines Menschen zu prüfen, wobei besonders der Wein eben zum Prüfstein werde, „ which ‘ reveals the mind of a man ’“ , wie Andrew Ford mit Verweis auf Theognis hervorhebt. 337 Denn wird zu viel Wein konsumiert, führt dies dazu, dass der „ put to sleep “ ). In diesen literarischen Darstellungen wird die beruhigende Wirkung des Weins auf Leid, Sorgen und Kummer auf unterschiedliche Art und Weise umschrieben, aber stets evoziert er dabei eine zumindest momentane leid- oder sorgenlose Stimmung. 333 Vgl. dazu auch Siedentopf (1992), S. 249 - 251 mit weiteren Beispielen aus der griechischen Lyrik. 334 Vgl. dazu S. 23 mit Anm. 37. 335 Rösler (1995), S. 108. Bereits in der Odyssee erklärt Odysseus Eumaios, dass Wein die Zunge beflügele und zum ausgelassenen Tanzen und Singen treibe ( κέκλυθι νῦν , Εὔμαιε καὶ ἄλλοι πάντες ἑταῖροι , / εὐξάμενός τι ἔπος ἐρέω · οἶνος γὰρ ἀνώγει / ἠλεός , ὅς τ᾽ ἐφέηκε πολύφρονά περ μάλ᾽ ἀεῖσαι / καί θ᾽ ἁπαλὸν γελάσαι , καί τ᾽ ὀρχήσασθαι ἀνῆκεν , / καί τι ἔπος προέηκεν ὅ περ τ᾽ ἄρρητον ἄμεινον - Hom. Od. XIV, 462 - 466); vgl. dazu Fehr (1990), S. 189 mit Anm. 38; Papakonstantinou (2010), S. 78. Auch in Xenophons Symposion begründet Sokrates seine offene, enthemmte Gesprächigkeit durch die Auswirkungen des Weins ( εἰ δὲ λαμυρώτερον λέγω , μὴ θαυμάζετε · ὅ τε γὰρ οἶνος συνεπαίρει - Xen. symp. 8, 24). 336 Dazu, dass es die Gemeinschaft ist, die die positive Wirkung des Weins erst zur Geltung bringt, siehe auch Röslers (1980, S. 271) Ausführungen zu Alkaios ’ fr. 335 Voigt: Οὐ χρῆ κάκοισι θῦμον ἐπιτρέπην , / προκόψομεν γὰρ οὐδὲν ἀσάμενοι , / ὦ Βύκχι , φάρμακον δ᾽ ἄριστον / οἶνον ἐνεικαμένοις μεθύσθην . Rösler hebt die in diesem Gedicht verwendete 1. Person Plural hervor ( προκόψομεν ), wobei dieses ‚ Wir ‘ auch „ bei der folgenden Aufforderung zum Trinken beibehalten wird “ (ebd.). Dadurch signalisiere Alkaios „ das kollektive Mitgefühl “ und somit sei es nicht einfach das Trinken von Wein an sich, das „ als φάρμακον gegen das Leid empfohlen wurde, sondern das Trinken in der bergenden Gemeinschaft der Hetairie “ (ebd.). Zur Hetairie siehe später Kap. 2.2.4. 337 Ford (2002), S. 40; vgl. Thgn. 499 - 502 West: ἐν πυρὶ μὲν χρυσόν τε καὶ ἄργυρον ἴδριες ἄνδρες / γινώσκουσ᾽ , ἀνδρὸς δ᾽ οἶνος ἔδειξε νόον , / καὶ μάλα περ πινυτοῦ , τὸν ὑπὲρ μέτρον ἤρατο πίνων , / ὥστε καταισχῦναι καὶ πρὶν ἐόντα σοφόν . Vgl. auch Levine (1985), 96 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="97"?> Trinkende nicht mehr vor schändlichen Worten und Taten zurückschreckt (Thgn. 479 - 483a West). 338 So benennt Theognis zwei Verderben, die er mit dem Trinken in Verbindung bringt: zum einen den gliederschwächenden Durst, zum anderen die bedrückende Trunkenheit. Um diesen Extremen zu entkommen, hält er sich an den Mittelweg und trinkt in Maßen (Thgn. 837 - 840 West): 339 δισσαί τοι πόσιος κῆρες δειλοῖσι βροτοῖσιν , δίψά τε λυσιμελὴς καὶ μέθυσις χαλεπή· τούτων δ᾽ ἂν τὸ μέσον στρωφήσομαι , οὐδέ με πείσεις οὔτέ τι μὴ πίνειν οὔτε λίην μεθύειν . Zwei Arten mit dem Trinken umzugehen haben die armseligen Menschen: gliederlähmenden Durst und schwere Trunkenheit. Dazwischen will ich mich wohl in der Mitte halten, und du bringst mich weder dazu nicht mehr zu trinken, noch allzu betrunken zu sein. (Übersetzung: Hansen [2005]) Auffällig ist, dass Theognis häufig „ die allgemeinen Ideale der Besonnenheit, des Mittelmaßes, des μηδὲν ἄγαν usw. außer auf das Symposion in erster Linie S. 183 f. Wein war Prüfstein und zugleich nach Alkaios auch Spiegel des Menschen (Alk. fr. 333 Voigt: οἶνος γὰρ ἀνθρώπω δίοπτρον ; vgl. Rösler [1995], S. 106 f.; Ford [2002], S. 40 f.); vgl. zur Thematik ‚ Wein und Wahrheit ‘ auch Rösler (1995) im Gesamten. 338 Vgl. Ford (2002), S. 40 f. Thgn. 479 - 483a West: ὃς δ᾽ ἂν ὑπερβάλληι πόσιος μέτρον , οὐκέτι κεῖνος / τῆς αὐτοῦ γλώσσης καρτερὸς οὐδὲ νόου , / μυθεῖται δ᾽ ἀπάλαμνα , τὰ νήφοσι γίνεται αἰσχρά , / αἰδεῖται δ᾽ ἔρδων οὐδὲν ὅταν μεθύηι , / τὸ πρὶν ἐὼν σώφρων , τότε νήπιος . Vgl. auch Xen. symp. 2, 25 - 26, wo Sokrates bemerkt, dass übermäßiger Weinkonsum negative Folgen auch mit Blick auf die Sprachfähigkeit nach sich zieht (Xen. symp. 2, 26). Diesbezüglich vergleicht er Menschen mit Pflanzen, die bei zu intensivem Gießen nicht mehr aufrecht stehen können (Xen. symp. 2, 25). 339 Vgl. Klinghardt (1996), S. 158. Klinghardt (ebd.) sieht in den „ Folgen übermäßigen Weingenusses “ und in den „ Fragen des Sozialprestiges “ die „ zwei Faktoren, die die Gemeinschaft beim Mahl beeinträchtigen “ . Auch an anderer Stelle warnt Theognis davor, dass maßloser Weingenuss leichtsinnig mache ( ἄφρονος ἀνδρὸς ὁμῶς καὶ σώφρονος οἶνος , ὅταν δή / πίνηι ὑπὲρ μέτρον κοῦφον ἔθηκε νόον - Thgn. 497 - 498 West); vgl. dazu Ford (2002), S. 43/ Anm. 71. Bremmer (1990, S. 143) deutet die Darstellung auf einem athenischen Dinos, auf der neben einem Bankett mit Speisen, einem Komos, einem dionysischen Thiasos auch der Kampf zwischen Lapithen und Kentauren zu sehen ist sowie als letztes Bild der wütende Achill, der Troilos tötet, auf folgende Weise: Weintrinken gehört zwar zum Symposion, Maßhalten sei dabei aber unumgänglich, da man sich ansonsten in gesetzlose Kentauren verwandele (vgl. Bremmer [1990], S. 143). Siehe dazu auch Antinoos ’ Aussage in der Odyssee, der dem noch unerkannten Odysseus vorwirft, durch Wein betörte Sinne zu haben ( οἶνός σε τρώει μελιηδής , ὅς τε καὶ ἄλλους / βλάπτει , ὃς ἄν μιν χανδὸν ἕληι μηδ᾽ αἴσιμα πίνηι - Hom. Od. XXI, 293 - 294). Auch er schreibt unmäßigem Weinkonsum eine schädliche Wirkung zu und nennt als Beispiel dafür den von Wein berauschten Kentauren Eurytion, der im Haus des Perithoos frevelte (Hom. Od. XXI, 295 - 298); vgl. auch Ford (2002), S. 40/ Anm. 60; Papakonstantinou (2010), S. 78. Zum Maßhalten beim Symposion siehe Levine (1985), S. 180 - 186; Ford (2002), S. 39 - 44; Stahl (2003), S. 68. 2.2 Das Symposion 97 <?page no="98"?> auf die politische Ordnung der Polis anwendet. “ 340 Die Analogie zwischen Symposion und Polis wird generell häufig thematisiert. 341 Auch Solon warnt die Bürger in der Eunomie, dass deren Anführer durch ihre Ungerechtigkeit und Hybris die eigene Stadt bedrohen. Dabei verwendet er Bilder aus dem Bereich des gemeinsamen Mahls. Denn die Anführer verstünden sich nicht darauf, dem Überfluss zu widerstehen, und auch nicht, die Freuden an einem Bankett in Ruhe ordentlich zu genießen (Sol. fr. 4, 7 - 10 West): 342 [ … ] δήμου θ᾽ ἡγεμόνων ἄδικος νόος , οἷσιν ἑτοῖμον ὕβριος ἐκ μεγάλης ἄλγεα πολλὰ παθεῖν· οὐ γὰρ ἐπίστανται κατέχειν κόρον οὐδὲ παρούσας εὐφροσύνας 343 κοσμεῖν δαιτὸς ἐν ἡσυχίηι [ … ] und der Führer des Volkes rechtlose Gesinnung, denen bestimmt ist, infolge ihres großen Frevels der Schmerzen viele zu erdulden. Denn sie kennen kein Genug und verstehen sich nicht darauf, die vorhandenen Festesfreuden zu ordnen in der Ruhe des Festmahls (Übersetzung: Mülke [2002]) 340 Klinghardt (1996), S. 159; z. B. Thgn. 401 - 406 West +611 - 616 West (vgl. Klinghardt [1996], S. 159/ Anm. 8) / 693 - 694 West (vgl. Levine [1985], S. 181 mit weiteren Verweisen). 341 Vgl. dazu insgesamt Levine (1985), wo er argumentiert, dass „ the drinking party was a microcosm and a model of the larger community “ , und sich mit der Frage beschäftigt, „ how poetry connects symposium and polis “ (Levine [1985], S. 176). Siehe dazu auch Paul (1991, S. 166), der bemerkt, dass der geordnete Ablauf eines Symposions und auch Deipnons, die jeweils als Mikrokosmos der Gesellschaft angesehen werden können, die gute Ordnung des Staates reflektieren kann. Dabei betont er, dass die Historiographen, da sie besonders über disharmonische Symposia und Deipna berichten - und das oft mit moralischer Empörung - , zeigen, davon überzeugt zu sein, „ that a properly conducted symposium or deipnon was an index of civilized behavior “ (ebd., S. 166). Schmitt Pantel (1992, S. 491) hebt sowohl mit Blick auf die Unkenntnis von „ commensalité “ als auch mit Blick auf ausschweifende Bankette hervor, dass man in beiden Fällen nicht das richtige Maß besäße, das aber ein Kennzeichen der Zivilisation sei und erst recht „ le signe d ’ un régime politique comparable à celui des cités. “ Siehe dazu insgesamt Schmitt Pantel (1992), bes. S. 491 - 493. Vgl. auch Klinghardt (1996), S. 158 - 163 sowie Ford (2002, S. 35 - 37), der darauf aufmerksam macht, dass zum Teil „ the tension between elite parties and the city at large was managed by an idea that orderliness in diners ’ comportment was a reflection of civic order “ (ebd., S. 35). 342 Vgl. Klinghardt (1996), S. 159. Auch Slater (1981, S. 206) verweist auf diese Verse von Solon und bemerkt dazu: „ Greeks could see the dining room as a microcosm of the political world “ ; ebenso bezieht sich Ford (2002, S. 36) auf diese Verse und sieht darin ein „ classic statement of the close connection between orderly drinking, sympotic euphrosyn ē , and the city ’ s ‘ good government ’ or ‘ good customs ’ (eunomi ē ) “ . 343 Zur Bedeutung von εὐφροσύνη siehe Anm. 364. 98 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="99"?> Für ein gelingendes Symposion ist Wein also gerade wegen seiner Auswirkungen von zentraler Bedeutung, wobei allerdings zu starke Trunkenheit die besondere Atmosphäre beim Symposion wiederum gefährdet und daher vermieden werden muss. So entwickelten sich für den Weinkonsum bzw. das Symposion im Gesamten - wie Andrew Ford ausführt -„ civic virtues “ wie Selbstbeherrschung und respektvolles Verhalten untereinander zu entscheidenden Werten, anhand derer das Symposion mit der Politik in Verbindung gebracht werden kann. 344 2.2.3.5 Der Raum des Symposions Den Raum für das Symposion bot in Adelshäusern der Andron. 345 Dieser war häufig in der Nähe des Straßeneingangs positioniert und von den privaten Räumen der Frauen entfernt. 346 In diesem sogenannten Männersaal befanden sich Klinen, deren Anzahl mit der Anzahl der Gastmahlteilnehmer variierte. Meistens allerdings handelte es sich um sieben, zwölf oder fünfzehn Klinen, auf denen jeweils zwei Personen liegen konnten. 347 Eine zu große Teilnehmerzahl 344 Ford (2002, S. 35): „ But even the luxurious symposium required limits, and so the civic virtues of justice, respect (aid ō s), and moderation were imported to link sympotic ethics to politics. “ Klinghardt (1996, S. 159) bemerkt: „ Während die gnomische Sentenzenliteratur das ‚ Nichts im Übermaß! ‘ auf alle Bereiche und so eben auch auf den Weingenuß im Symposion und auf das soziale Verhalten in der Polis anwenden kann, erscheint hier das Symposion direkt als Schule für politische Werte: Maßhalten wird im Symposion für das Leben in der Polis gelernt und eingeübt. “ 345 Vgl. Pütz (2007), S. vi; Murray (1998), S. 259 f.; Asheri bemerkt: „ The men ’ s room, or andron, is in Herodotus the reception and banqueting room of royal and princely palaces; [ … ] In the houses of the wealthy in Greece, the men ’ s room also functioned as diningroom, for the symposium, etc. “ (Asheri et al. [2007], S. 470). Asheri verweist (ebd.) zudem u. a. auf die Textstellen in Herodots Historien, an denen ein Andron erwähnt wird (I, 34.3 / III, 77.3 / III, 78.3 / III, 121.1 / III, 123.1 / IV, 95.2). In IV, 95.2 ist ein direkter Bezug zur Veranstaltung eines Symposions gegeben (siehe dazu Kap. 3.3.1). Bei den Verwendungen in in III, 77.3 und III, 78.3 sowie in III, 121.1 kann dadurch zumindest ein Hinweis auf ein vom Text impliziertes - also aus der dargestellten Situation heraus erschlossenes - Symposion gewonnen werden (vgl. diesbezüglich zu III, 77.3 bzw. III, 78.3 Kap. 3.2.2 sowie zu III, 121.1 Kap. 4.1.2.2). 346 Vgl. Murray (2009), S. 512. Dazu auch Lushnig/ Roisman (2003, S. 122), die hervorheben, dass der Andron sogar oft nur durch einen separaten Eingang von außen betretbar war, wohl um sicherzustellen, dass übermütige Gäste keinen Zugang in die privaten Räume, vor allem die der Frauen, erhielten. Köster (2011, S. 23) betont zudem, dass dadurch aus anderer Perspektive gesehen auch die Symposiasten freier und ungestörter waren. Zur Lage der Andrones siehe auch Hoepfner/ Schwandner (1994), S. 327 f. 347 Vgl. Murray (1991), S. 94; dazu auch Murray (2003, S. 17): „ in a Greek symposion the participants, arranged one or two to a couch, remained throughout reclining on their left elbow, with individual tables in front of them. “ Hobden (2013, S. 9): „ Distributed in pairs on couches around the walls of the andr ō n [ … ] “ ; Zur Teilnehmerbeschränkung siehe auch 2.2 Das Symposion 99 <?page no="100"?> hätte die gemeinschaftlichen Aktivitäten nicht mehr ermöglicht und die sehr intime und vertrauensvolle Atmosphäre des Symposions behindert. 348 Denn es war entscheidend, dass jeder Symposiast an seiner Position gleichberechtigt in das Symposionsgeschehen eingebunden war. 349 John Boardman weist darauf hin, dass das Wort ‚ Kline ‘ mit Bezug auf ein Bankett - und nicht auf Schlafen - das erste Mal bei Alkman belegt ist (Alkm. 19 PMG). 350 Die Veränderung der Position der Symposiasten vom Sitzen zum Liegen vollzog sich also vermutlich gegen Mitte bis Ende des 7. Jahrhunderts. 351 Diese Sitte übernahmen die Griechen wohl aus dem Osten. 352 Da das Liegen mehr Platz beanspruchte, wurde das Symposion kleiner und exklusiver. 353 Murray (1990a), S. 7 sowie Murray (2009), S. 511 f. Berquist (1990, S. 37) nennt als Standarttyp eines „ dining-rooms “ einen Raum mit sieben oder elf Klinen. Gossel-Raeck (1992, S. 217) betont, dass eine Anzahl von nur vier Symposiasten ungewöhnlich war und Gelageräume normalerweise drei, fünf, sieben, neun oder elf Klinen hatten. Klinghardt (1996, S. 77) erwähnt, dass der Historiker Herakleides von Kyme über die persischen Großkönige berichtet, dass sie meistens zwölf Sympotai eingeladen hätten (FGrHist III 689 F 2). 348 Murray (1990a, S. 7) betont, dass die Teilnehmeranzahl 15 - 30 Personen nicht überschritten werden sollte, um die gemeinschaftlichen Aktivitäten nicht zu behindern. 349 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.2 mit Anm. 314. 350 Vgl. Boardman (1990), S. 124; dazu auch Fehr (1971), S. 26; Dentzer (1982), S. 430; Stein- Hölkeskamp (1992), S. 47/ Anm. 27; Murray (1998, S. 260), der darin insgesamt den „ früheste[n] literarische[n] Beleg für die Institution des symposion “ sieht (vgl. bereits Murray [1991], S. 92 f.); Alkm. 19 PMG: κλίναι μὲν ἑπτὰ καὶ τόσαι τραπέσδαι / μακωνιᾶν ἄρτων ἐπιστεφοίσαι / λίνω τε σασάμω τε κἠν πελίχναις / †πεδεστε† χρυσοκόλλα . 351 Vgl. zum Liegen beim Symposion z. B. Fehr (1971), bes. S. 3 - 5, S. 7 - 26, S. 128 - 130; Dentzer (1982), bes. S. 429 - 432; Bergquist (1990), S. 43/ Anm. 7 mit weiteren Literaturverweisen; Murray (1990a), S. 6 f.; Kaeser (1992), S. 214 f.; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42; Klinghardt (1996), S. 75 - 78, wobei Klinghardt hier nicht nur auf Gemeinschaftsmähler der griechischen, sondern auch der römischen Antike eingeht; Schäfer (1997), S. 25; Stahl (2003), S. 65; W ę cowski (2014), insb. Kapitel 2.3.1 sowie 3.3. 352 Vgl. Fehr (1971), bes. S. 16 - 18, S. 128 - 130; Dentzer (1982), S. 51 - 58; Murray (1983a), S. 263; Murray (1983b), S. 198; Murray (1990a), S. 6 f.; Boardman (1990); Kaeser (1992), S. 214 f.; Stein-Hölkeskamp (1992), S. 42; Stahl (2003), S. 65; Fearn (2007a), S. 60 f.; Murray (2009), S. 514; Hobden (2013), S. 9, S. 90. Murray (1991, S. 99) ist der Meinung, dass sich das Symposion „ of pleasure “ in Griechenland nach orientalischen Stil entwickelte. Bremmer (1990, S. 139) verweist darauf, dass im isolierten Kreta die von Homer bekannte Sitte, beim Mahl zu sitzen, beigehalten wurde. Boardman (1990, S. 125) führt das Liegen beim Symposion auf eine nomadische Praxis zurück; vgl. dazu auch Fehr (1971), S. 16 - 18; Dentzer (1982), S. 57 f.; Burkert (1991), S. 18; Doch insgesamt herrscht in der Forschung Uneinigkeit darüber, woher der Brauch, beim Symposion zu liegen, kam und ob es sich dabei tatsächlich um einen aus dem Osten übernommenen Brauch handelte (vgl. dazu Dentzer [1982], S. 58; Miller [2011], S. 143 mit Anm. 25; W ę cowski [2014], Kap. 3.2.2). 353 Vgl. Murray (1983a), S. 263; Murray (1983b), S. 198; Murray (2009), S. 518. 100 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="101"?> Insgesamt war die Einrichtung bei einem gewöhnlichen aristokratischen Symposion sehr luxuriös. 354 Schon die beschränkte Teilnehmeranzahl zeigt, dass es sich bei einem Symposion auch um einen idealen Raum für Aktivitäten handeln konnte, die der Öffentlichkeit verschlossen bleiben sollten. 2.2.3.6 Die besondere Atmosphäre - Fluch und Segen Wenn alle bisher herausgearbeiteten Voraussetzungen erfüllt waren, kreierte das Symposion einen beinahe utopischen Raum in der realen Welt. 355 Ich möchte im Folgenden kurz zusammenfassen, worin diese besondere Atmosphäre in einem idealen Symposion bestand, und dann anhand von Xenophanes ’ fr. 1 D.-K. erläutern, wie dort diese sympotische Utopie und Harmonie ausgedrückt werden. Anschließend untersuche ich, inwiefern mit dieser sympotischen Atmosphäre auch Gefahren verbunden sein können. 2.2.3.6.1 Das ideale Symposion als Ort größter Harmonie In einem idealen Symposion wurde - wie schon oben erwähnt - 356 kein Symposiarch benötigt. Dies war ein Zeichen größter Egalität und Homogenität und stellte das Ideal eines Symposions dar. In diesem Fall hielten sich die Teilnehmer an Regeln, die nicht konkret formuliert werden mussten, um die Harmonie zu erhalten. Bei solch homogenen Gruppen konnten von jedem die gleichen Vorerfahrungen und Prägungen erwartet werden, die zum gleichen impliziten Verhalten führten. Bei einer solchen Gleichheit handelte es sich um einen Wert, dessen Idealform zu erreichen, im öffentlichen Leben schwer vorstellbar ist. Natürlich konnte ein Symposion auch dann harmonisch und problemlos ablaufen, wenn die Regeln durch einen Symposiarchen festgelegt und von allen Teilnehmern gleichermaßen verstanden und befolgt wurden. Wichtig war in jedem Fall, dass die Voraussetzungen für ein gelingendes 354 Siehe dazu Murray (2009), S. 516. Fehr (1990, S. 188) sieht in dem im späten 7. Jh. v. Chr. eingeführten Brauch, auf Klinen zu speisen, ein Zeichen für das luxuriöse Leben der Wohlhabenden in der Archaik. 355 Vgl. dazu Klinghardt (1996, S. 171 f.): „ Hier wird das komplexe Verhältnis von real erfahrener Gegenwart und utopischem Gegenbild sichtbar: Das Symposion ist der Ort, das der Utopie der vollkommenen Gemeinschaft am ehesten entspricht und in dem sie konkret erfahrbar wird “ , ebd., S. 172; vgl. auch Murray (1998, S. 260): „ Dieser ‚ symposion- Raum ‘ schuf eine exklusive, internalisierte Welt, die sich auf die gegenseitige Loyalität der Gruppenmitglieder gründete und das Gefühl einer Getrenntheit von der Außenwelt der Familie und der polis begünstigte. “ 356 Siehe Kap. 2.2.3.3.2. 2.2 Das Symposion 101 <?page no="102"?> Symposion erfüllt waren. 357 Das ideale Symposion war aufgrund seiner Regeln ein organisierter und strukturierter und durch den maßvollen Weingenuss ein sorgenfreier Ort, 358 der sich so vom Alltag und zum Teil von den gewöhnlichen gesellschaftlichen Normen abhob und dadurch zum geregelten Sonderraum wurde. 359 Diese Voraussetzungen sorgten dafür, dass die Symposiasten das Geschehen, Gespräche und Emotionen intensiviert erleben konnten. 360 Von Xenophanes (ca. 565 - 470 v. Chr.) 361 stammt ein Fragment der frühgriechischen Lyrik, das einen intensiven Eindruck von der utopischen und glückseligen Atmosphäre zu Beginn eines Symposions vermittelt (Xenophan. fr. 1 D.-K.). 362 Das Bild des dort beschriebenen Banketts zeigt gerade das Ende des Deipnons und den Anfang des Symposions, also genau den Zeitpunkt, an dem die Teilnehmer zu Symposiasten werden. 363 Die vom Deipnon stammenden Überreste sind vom Boden und den Händen entfernt und auch die Becher gesäubert (Verse 1 - 2). Die Teilnehmer werden bekränzt und gesalbt (Verse 2 - 3). Der Krater steht bereit - angefüllt mit εὐφροσύνη , ‚ Fröhlichkeit ‘ 364 (Vers 4). Es gibt auch noch einen weiteren Wein ( ἄλλος δ᾽ οἶνος ἕτοιμος - 357 Zu den Voraussetzungen für das Gelingen eines Symposions und dessen idealen Ablauf vgl. die bisherigen Untersuchungen in Kap. 2.2.3. 358 Vgl. zur Bedeutung des maßvollen Weingenusses Kap. 2.2.3.4. 359 Vgl. Murray (1990a), S. 7; Rösler (1995), S. 108 sowie Murray (2009), S. 516 bzw. Anm. 36 und 37 in der vorliegenden Arbeit; Murray (1990a, S. 7) nennt für Verstöße gegen die gesellschaftlichen Normen z. B. sexuelle Ausschweifungen sowie Gewalt im Komos. 360 Vgl. Rösler (1995), S. 108 f. sowie Murray (2009), S. 516 bzw. ebenso Anm. 37 in der vorliegenden Arbeit. 361 Latacz (1998), S. 542. 362 Ich beschränke mich auf eine überblicksartige Interpretation dieses Fragments. Für eine ausführliche Interpretation siehe z. B. Ford (2002), S. 46 - 66 (bes. ab S. 53) sowie Hobden (2013), S. 25 - 34. 363 Vgl. Ford (2002), S. 53. 364 Latacz (1966, S. 163) hebt in seiner Analyse des Wortfelds ‚ Freude ‘ in der homerischen Sprache für εὐφροσύνη Folgendes hervor: „ Wesentliche Voraussetzung für das Bestehen der εὐφροσύνη ist also Freiheit von widrigen Gedanken an Kummer und Leid. “ Zu tragen kommt dieser Begriff bei Homer unter anderem im Kontext von Mählern, wobei er aber nicht die „ Freude oder den Genuß am Essen und Trinken als solchem [ … ], sondern stets die frohe, oft geradezu fröhliche Stimmung der Heiterkeit, den Frohsinn, der mit dem Genuß von Speise und Trank und mit dem Anhören des Sängervortrags aufkommt und alle Teilnehmer gleichermaßen umgreift “ , bezeichnet (Latacz [1966], S. 165); vgl. dazu auch Schmitt Pantel (1992, S. 5): „ l ’ euphrosynè peut avoir le sens de ‘ repas qui procure la joie ’“ . Kannicht (1989, S. 31) übersetzt „ Euphrosýne “ , den Namen einer der drei Chariten, mit „‚ (festlich) unbeschwerte[m] Frohsinn ‘“ . Murray (1998, S. 264) erinnert daran, dass Solon mit diesem Wort in seiner Eunomie (Sol. fr. 4, 10 West) „ die Freuden des Festmahles der athenischen Aristokratie beschreibt. “ An anderer Stelle sieht Murray (2009, S. 517) in dem archaischen Begriff εὐφροσύνη „ the concept of pleasure “ ausgedrückt, das Wein, Frauen und Gesang, wie sie in den Ritualen des Symposions erfahren werden, verbindet. 102 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="103"?> Vers 5), einen guten, nämlich blumig duftenden, der niemals droht, auszugehen (Verse 5 - 6). 365 Das hier beschriebene, nun beginnende Symposion scheint perfekt und ideal. Wohlriechender Duft geht zum einen von der Salbe (Vers 3), zum anderen von Weihrauch aus (Vers 7). Die Reinheit beim Symposion wird durch die Reinigung zu Beginn (Verse 1 - 2) und durch das vorhandene kalte, klare Wasser (Vers 8) deutlich. Hier zeigt sich, dass neben Wein auch Wasser im Symposion von zentraler Bedeutung ist, womit der Wein vor dem Trinken vermischt wird. 366 Im Folgenden werden die Speisen beschrieben: Brote, Käse und Honig - alles reichlich vorhanden (Verse 9 - 10). Der Tisch ächzt unter der Last der Speisen ( γεραρή τε τράπεζα / τυροῦ καὶ μέλιτος πίονος ἀχθομένη - Verse 9b - 10). Auch der Götter wird gedacht, der Altar ist geschmückt und Gesang und Festfreude ( θαλίη ) 367 durchdringt das ganze Haus (Verse 11 - 12). 368 Es sollen Trankopfer vollzogen und Hymnen gesungen werden (Verse 13 - 16). Im Text wird also zur Libation und dem damit verbundenem Paian aufgerufen. 369 Nun ist offensichtlich, dass sich das hier erwähnte Gastmahl gerade in der Phase der Libation am Ende des Deipnons bzw. am Beginn des Symposions befindet. 370 Auch Kränze und Salben sind bereits verteilt (Verse 2 - 3) und der Weihrauch ist entzündet (Vers 7). Brot, Käse und Honig stellen daher nicht das Hauptgericht dar, sondern kleine Speisen zum Symposion - wenngleich die Masse dieser Kleinigkeiten den Tisch zum ächzen bringt (Verse 9b - 10). 371 Außerdem wird erkennbar, dass der Wein (noch) nicht die Sinne der Symposiasten beeinträchtigt. Denn sie singen die Hymnen als εὔφρονες ἄνδρες (Vers 13). Beim Trankopfer und Gebet soll darum gebeten werden, das Gerechte 365 Ford (2002, S. 57) übersetzt ἕτοιμος hier als „‘ trusty ’“ und sieht daran sowie an der Aussage, dass der Wein der Gemeinschaft verspricht, niemals auszugehen, in Vers 5 spielerisch den Wert der Solidarität eingebracht. 366 Dafür, dass im griechischen Symposion Wein gemischt getrunken wird, siehe Kap. 2.2.3.1. Ford (2002, S. 55) betont mit Blick auf diese Stelle des Xenophanes- Fragments, dass das Wasser vorhanden ist, „ to transform ‘ raw ’ drinking into an act of culture, civilized and ritually correct. “ 367 Vgl. θαλία in LSJ, S. 782: „ ( θάλλω ) abundance, good cheer [ … ] in pl., festivities “ . Kannicht (1989, S. 31) übersetzt „ Thalia “ , den Namen einer der drei Chariten, mit „‚ Festlichkeit, Festesfreude ‘“ . 368 Mit Blick auf die ersten zwölf Verse dieses Fragments hebt Ford (2002, S. 54) hervor, dass Xenophanes den archaischen Standard des Adels als Verbindung von „ wealth, unstinting generosity, and scrupulous observance of form “ evoziere. 369 Dabei handelt es sich um den Paian, der zur Trankspende im Übergang zwischen Mahl und Symposion gehört (siehe dazu Kap. 2.2.3.1). Vgl. zu diesem Paian Käppel (1992), S. 51 - 54. 370 Zum Ablauf eines griechischen Gastmahls bestehend aus Deipnon und Symposion siehe Kap. 2.2.3.1. 371 Kritik an zu viel Nachtisch beim Symposion (vgl. dazu Kap. 2.2.3.1) ist bei Xenophanes nicht zu erkennen. 2.2 Das Symposion 103 <?page no="104"?> ( τὰ δίκαια ) zu tun (Verse 15 - 16). Dann wird mit dem Trinken begonnen und spätestens jetzt sind alle Sinne angesprochen. 372 Dass das Trinken in Maßen geschehen soll, wird daran ersichtlich, dass jeder später noch dazu fähig sein sollte, alleine nach Hause zu gehen, es sei denn, er sei wegen seines Alters zu schwach (Verse 17 - 18). 373 Der Text kommt nun darauf zu sprechen, dass das Vortragen von Gesängen und Gedichten Bestandteil eines Symposions ist (Verse 19 - 20). 374 Dabei ist neben der Stimme ( τόνος ) auch die Erinnerung ( μνημοσύνη ) notwendig (Vers 20), sodass hier die historische und rückblickende Komponente der Dichtung im Symposion hervorgehoben wird. 375 Es sollen aber keine Kämpfe wie die Titanomachie, die Gigantomachie oder die Kentaurenschlacht - die Erfindungen der Vorzeit - angesprochen werden und auch das Thema ‚ Bürgerkrieg ‘ ist zu vermeiden (Verse 21 - 23), denn darin liege nichts Nützliches ( τοῖσ᾽ οὐδὲν χρηστὸν ἔνεστι - Vers 23). 376 Die μνημοσύνη im Symposion ist also keineswegs darauf beschränkt, sich nur auf kriegerische Leistungen zu beziehen. 377 Statt Kämpfe und Bürgerkriege zu besingen, sei es 372 Vgl. Stahl (2003, S. 68): „ Alle Sinne sind also angesprochen und stellen sich auf eine festliche Atmosphäre ein, die das, was nun kommt, dem Alltag entrückt. “ 373 Zum Trinken nach Maß siehe Kap. 2.2.3.4. 374 Zu den Schwierigkeiten, diese Passage eindeutig zu interpretieren, siehe Rösler (1990), S. 230 f. mit Verweis auf weitere Literatur. Kann nicht (1989, S. 36) hebt hervor, dass diese Elegie des Xenophanes „ das Symposion als den festlichen Ort für die poetische Besprechung der Welt mit der konkretesten Authentizität bezeugt “ ; vgl. dazu auch Kannichts (1989) Ausführungen auf S. 37 f. 375 Zur Bedeutung des Rückblicks in die Vergangenheit in der Symposionsdichtung siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 376 Stein-Hölkeskamp (1989, S. 126 f.) hebt hier den Begriff χρηστός hervor, worin sie das Streben nach ‚ Nützlichkeit ‘ widergespiegelt sieht. Dieses Nützlichkeitsdenken wächst zugleich mit der Entwicklung der Polisstruktur in Griechenland zu einem zentralen Aspekt der Charakterisierung eines trefflichen Bürgers heran: So werde durch χρηστός „ eben jener Mann bezeichnet [ … ], der sein Verhalten an den Bedürfnissen seiner Heimatstadt orientiert “ und sich für sie engagiere und ihr von Nutzen sei (ebd., S. 127). Diese „ neuen Maßstäbe “ im Leben eines Polisbürgers werden also auch an das Symposion angelegt, was an diesen Versen des Xenophanes deutlich wird, die Themen wie die Gigantomachie, Titanomachie und Kentaurenschlacht sowie Staseis als nicht nützlich deklarieren (vgl. Stein-Hölkeskamp [1989], S. 127). Donlan (1980, S. 66) hebt hervor, dass χρηστός fast immer „‘ useful to the community ’“ bedeutet. Kannicht (1989, S. 38) macht darauf aufmerksam, dass hier „ erstmals explizit in der Geschichte der griechischen Poetik die Kategorie des ‚ Nutzens ‘ ( χρηστόν ) der Poesie auftaucht “ ; vgl. dazu auch Kannicht (1980), S. 21 f. sowie S. 24 f. Dennoch gab es bei den Symposien natürlich „ sehr viel mehr Lockeres und Belangloses [ … ] als Strenges und Belangvolles im Sinne der Forderungen (und Gedichte) des Xenophanes “ (Kannicht [1989], S. 38). Ford (2002, S. 57) hebt hervor, dass Xenophanes wie auch andere Symposiasten einen Gesang für das Symposion vorsieht, der für die soziale Harmonie förderlich ist. 377 Vgl. Rösler (1990), S. 232 sowie in der vorliegenden Arbeit S. 84 - 87. 104 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="105"?> gut und nötig, immer die Götter zu ehren (Vers 24). Die friedliche Atmosphäre wird bei Xenophanes folglich nicht nur an der Situation des Symposions ersichtlich, sondern auch an der geforderten friedvollen Thematik der dortigen Darbietungen. 378 Doch auch unabhängig von der Thematik der sympotischen Dichtungen und Gespräche - denn Kriegsthematik wird nicht generell als unpassend für ein Symposion bewertet - 379 verbildlicht dieses Xenophanes- Fragment die Idealvorstellung der friedlichen sympotischen Utopie in der Situation des Symposions. So stehen Speisen in Fülle zur Verfügung und der Wein geht nicht aus. Frieden, Fülle, Maß, Reinheit, Wohlgeruch, Speisen, Wein und tugendhafte Unterhaltung in harmonischer Gesellschaft - all dies spiegelt über das Symposion hinaus eine Weltvorstellung, die nur in einem solchen Sonderraum erfahren werden kann. 2.2.3.6.2 Mahl und Symposion als Ablenkung Ein Mahl oder Symposion, in welchem Umfang auch immer, bot eine Unterbrechung der momentanen Tätigkeiten, erzwang Pausen und schuf Ablenkung. George Paul hat bereits bemerkt, dass Berichte über Symposia oder auch Deipna in der Historiographie oft eine warnende oder mahnende Funktion haben, wobei die dortigen Vorfälle eben genau darin bestünden, die Atmosphäre der Leichtigkeit und Freude, die in einem idealen Symposion oder Mahl vorherrscht, zu stören und zerstören. 380 Allein die zum Überleben notwendige Nahrungsaufnahme konnte gefährlich sein, da sie die Aufmerksamkeit für eine gewisse Zeit in Anspruch nahm. 381 Umso bedrohlicher war die Gefahr bei nicht- 378 Zum Friedenszustand im Symposion siehe Levine (1985, S. 178): „ The longing for kharis ‘ gratification ’ , terpsis ‘ enjoyment ’ , euphrosun ē ‘ mirth ’ , and h ē sukhi ē ‘ quietude ’ in the symposium reflects and parallels a longing for peace and stability in an equitable polity “ ; vgl. dazu insgesamt Levines Ausführungen zur sympotischen Utopie, die eine der von ihm untersuchten Kategorien bildet, die sich bei seiner Betrachtung der Parallelen zwischen Symposion und Polis ergeben (ebd., S. 190 - 194 mit Verweisen v. a. auf Theognis); vgl. auch Klinghardt (1996), S. 168 - 174. 379 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 279. 380 Paul (1991), S. 157. So arbeitet Paul in seinem Aufsatz ‚ Symposia and Deipna in Plutarch ’ s Lives and in Other Historical Writings ‘ u. a. heraus, dass die Geschichtsschreiber Symposia und Deipna als „ significant and revealing elements in their narratives “ betrachten (Paul [1991], S. 158). 381 Vgl. Xen. Kyr. VII, 5.59: Hier schildert der Text, dass sich Kyros bewusst ist, dass Menschen nirgends leichter als beim Essen, Trinken, Baden, im Bett und beim Schlafen zu bezwingen sind, weshalb er bei der Auswahl seiner Leibwache besonders vorsichtig und sorgfältig ist ( γνοὺς δ᾽ ὅτι οὐδαμοῦ ἄνθρωποι εὐχειρωτότεροί εἰσιν ἢ ἐν σίτοις καὶ ποτοῖς καὶ λουτροῖς καὶ κοίτῃ καὶ ὕπνῳ , ἐσκόπει τίνας ἂν ἐν τούτοις περὶ αὑτὸν πιστοτάτους ἔχοι ); siehe dazu auch die Ausführungen im Exkurs dieser Arbeit: ‚ Ernährung beim Feldzug - ein notwendiges Risiko ‘ , S. 379 - 388. 2.2 Das Symposion 105 <?page no="106"?> öffentlichen Mählern oder vor allem Symposia. Durch den Status als Sonderraum bietet das Symposion einen besonders geeigneten Ort für geheime und unerwartete Aktionen - auch in der Historiographie. Denn die besondere sympotische Atmosphäre konnte eben dann zur Gefahr werden, wenn das vorherrschende intensivierte Erleben des Geschehens im Symposionsraum, 382 dem eine vertrauensvolle Situation unter den Teilnehmern zugrunde lag, auf eine unerwartete Weise ausgenutzt wurde, die dieser nicht-öffentliche geregelte Sonderraum nicht erwarten ließ. Das gestärkte Empfinden von Emotionen - sowohl von positiven Gefühlen, aber auch von ‚ Gekränkt-Sein ‘ und ‚ Verletzt-Werden ‘ - zog die Teilnehmenden vollkommen aus ihrer momentanen Situation und schuf eine neue Umgebung, die ihre eigentliche Aufgabe für die Zeit des Symposions in den Hintergrund stellte. Alltags und Sorgen außerhalb der utopischen Welt des Symposions waren in diesem Moment fern und damit auch sämtliche Gefahren von außen sowie mögliche Gefährdungen durch ‚ falsche ‘ Mitsymposiasten. 383 Inwiefern nun die besondere Atmosphäre bei Mahl-, vor allem aber bei den Symposionsszenen in Herodots Historien dazu beiträgt, ein Geschehen im Erzählverlauf zu ermöglichen, soll in den Untersuchungen der jeweiligen Szenen in Kapitel 3 und 4 beachtet werden. Im Fall einer Störung dieser Atmosphäre wird analysiert, worin deren Ursache besteht. 2.2.4 Das Symposion als Ort der Hetairie Nachdem nun die allgemeinen grundlegenden Voraussetzungen für das Symposion geklärt sind, möchte ich mich in erster Linie wieder dem herodoteischen Text zuwenden und dabei bestimmte Ausdrücke klären, die für die Untersuchung der Gastmahl- und Symposionsdarstellungen in Herodots Historien bedeutsam sind. Als Erstes soll die Verwendung des Begriffs Hetairos analysiert werden. Denn aufgrund seiner besonderen Atmosphäre war das Symposion 382 Vgl. S. 23 mit Anm. 37. 383 Vgl. dazu Levine (1985, S. 178): „ In a symposium, as in a polis, one must beware of one ’ s fellow man, who will try to deceive him “ ; so müsse man im Fall darauf achten, seine Mitmenschen vorher überlisten zu können, bevor man überlistet werde (ebd.); vgl. dazu insgesamt Levines Ausführungen mit Verweisen auf v. a. Theognis (ebd., S. 186 - 190); vgl. auch Paul (1991, S. 162 f.): „ [ … ] in historical writers symposia and deipna frequently appear as a cover for plots and treachery. The ease and enjoyment, harmony and fellow feeling at which symposia and deipna aimed, made them a welcome cloak for deception by the unscrupulous. “ Vgl. für Beispiele aus der antiken Historiographie Paul (1991), S. 163 f. Hobden (2013, S. 158): „ [ … ] sharing wine in company creates opportunities for duplicity, for one companion to ensorcell another and then strike. “ Siehe dazu insgesamt Hobden (2013), S. 158 f. sowie das ganze Kapitel 4 ‚ Politics in action ‘ in Hobden (2013). 106 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="107"?> auch für die sogenannten Hetairien ein geeigneter Ort, um ihre Verbundenheit zu stärken und ihre Identität auszubilden. 384 Es soll folglich herausgearbeitet werden, ob für die Untersuchung der Symposionsszenen auch die Erwähnungen von Hetairien bzw. Hetairoi in den Historien hilfreich sind. Bevor ich daher zur Analyse des direkt mit dem Symposion verbundenen Worfeldes für Essen und Trinken in Herodots Historien komme, möchte ich zunächst die Bedeutung der Hetairie erläutern und anschließend die Verwendung des Begriffs Hetairos in den Historien analysieren. Auf diese Weise möchte ich sicherstellen, mit dem bei Herodot gültigen Hetairos-Begriff zu arbeiten. 2.2.4.1 Die Hetairie im Wandel der Zeit Da ich mich hier in erster Linie auf das Verständnis von Hetairien zur Entstehungszeit der herodoteischen Historien, also im 5. Jh. v. Chr., beschränken möchte, lasse ich die homerischen Hetairien, die von Karl-Wilhelm Welwei als „ Hetairos-Gruppen “ 385 definiert werden, außer Acht und beschränke mich auf den ‚ engen ‘ Begriff der Hetairie. 386 Diese ‚ enge ‘ Form der Hetairie lasse sich laut Karl-Wilhelm Welwei bis ins 7. Jh. v. Chr. zurückverfolgen, sodass ich nun die Entwicklung der Hetairien ab dieser Zeit in den Blick nehmen möchte. 387 Als Hetairie definierte sich eine Gruppe von aristokratischen Männern, die gemeinsame Ansichten vertraten und gleiche Ziele verfolgten. 388 Diese Gemeinschaft konnte sowohl auf persönlichen und verwandschaftlichen Bindungen als auch auf politischem Interesse basieren. 389 In den frühgriechischen Hetairien war das Reflektieren über gegenwärtige Probleme zentral, wofür der Blick in die Vergangenheit von Bedeutung war. 390 Die in diesen Hetairien im Symposion vorgetragenen Skolien wurden daher häufig als Kampfparänesen verwendet, wie z. B. die des Alkaios während der Machtkämpfe der rivalisierenden Adligen 384 Vgl. Rösler (1980), S. 34 f.; Gehrke (1985), S. 333 f. mit Verweisen in Anm. 21; Stahl (1987), S. 26 f.; Welwei (1992), S. 496; Murray (2009), S. 520 f. 385 Welwei (1992), S. 485. 386 Zu den homerischen ‚ Hetairos-Gruppen ‘ siehe Welwei (1992), S. 484 - 494; Ulf bezeichnet diese als „ Hetairos-Verbände “ bzw. „ Hetairos-Gruppierungen “ und unterteilt diese Gruppierungen in vier Typen (vgl. dazu Ulf [1990], S. 127 - 138). 387 Welwei (1992), S. 484. 388 Vgl. Rösler (1980), S. 33 f.; Rösler (1990), S. 233 f.; Boehringer (2001), S. 107; Köster (2011), S. 158. Die Hetairie-Beziehung beschränkte sich dabei nicht auf politische Ambitionen, sondern bedeuetete auch eine persönliche Verbundenheit (vgl. Rösler [1980], S. 34 f.). 389 Vgl. Gehrke (1985), S. 332 - 334; Boehringer (2001), S. 107 - 109. Gehrke (1985, S. 334) betont allerdings, dass dabei stets „ die persönliche Beziehung einen außerordentlich hohen und spezifischen Stellenwert “ hatte. Die besondere Solidarität der Hetairien zeigte sich z. B. „ in der Verpflichtung zu gegenseitige[n] Hilfeleistung “ (ebd.). 390 Vgl. Rösler (1990), S. 233 f. Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 2.2 Das Symposion 107 <?page no="108"?> in Mytilene. 391 Bei einer als Hetairie beschriebenen Gruppe kann - besonders im 7./ 6. Jh. v. Chr., aber auch häufig darüber hinaus - angenommen werden, dass sie sich politisch engagierte. 392 Als Ort für diese besonderen Tischgemeinschaften erlangte so auch das Symposion eine politische Bedeutung. 393 Denn die aristokratischen Teilnehmer fanden dort einen geeigneten Ausgangspunkt für die Formierung ihrer unterschiedlichen politischen Bestrebungen. Im Zuge der Demokratisierung veränderte sich besonders in Athen die Machtstellung der Hetairien. 394 Die aristokratischen Hetairien akzeptierten größtenteils die neuen Institutionen auf dem Weg zur Demokratie, schließlich waren deren Mitglieder als Aristokraten ohnehin einige der Wenigen, die es sich leisten konnten, ein politisches Amt zu übernehmen, auch wenn sie insgesamt an Kompetenzen einbüßten. 395 So mussten sich nun auch die führenden Aristokraten anpassen, 396 was dazu führte, dass den Hetairien letztlich „ die Grundlage entzogen “ wurde. 397 David Boehringer sieht hier einen Wandel im Einfluss der Hetairien: „ Die Hetairien klassischer Zeit besaßen [ … ] weder die Macht noch die Dauerhaftigkeit ihrer archaischen Vorfahren. “ 398 Dennoch existierten sie weiter und gaben auch antidemokratischen Bestrebungen einen Ort; besonders im Athen des späten 5. Jh. v. Chr. agierten viele oligarchisch gesinnte Hetairien gegen die 391 Vgl. z. B. die „ indirekte Paränese “ (Rösler [1980], S. 149) in fr. 140 Voigt von Alkaios; vgl. dazu Anm. 645. Zu Skolien siehe Kap. 2.2.3.2. Der Text in Herodots Historien bezeichnet Melanippos als Hetairos des frühgriechischen Lyrikers Alkaios und zeigt damit, dass die Beziehung zwischen Alkaios und Melanippos, die aus Alkaios ’ fr. 38a Voigt bekannt war, auch in der Zeitstellung der Historien noch als Hetairie-Beziehung bewertet wird. Denn der Text berichtet davon, wie Alkaios in einem Gedicht schildert, seine Waffen in der Schlacht zwischen Athenern und Mytilenäern verloren zu haben, und dieses Gedicht dann an seinen Hetairos Melanippos ( Μελανίππῳ ἀνδρὶ ἑταίρῳ - V, 95.2) nach Mytilene schickt (V, 95). Zum Schildverlust des Alkaios vgl. Alk. fr. 401 B Voigt. 392 Vgl. Rösler (1980), S. 33 f.; Konstan (1997), S. 46; Köster (2011), S. 158; Murray (1990b), S. 150: Murray verweist hier auf die häufig diskutierte politische Bedeutung von Hetairien mit weiteren Literaturhinweisen. 393 Vgl. Murray (1990b), S. 150. 394 Welwei (1992, S. 500) bemerkt mit Blick auf die Auswirkungen von Kleisthenes ’ Reformen: „ Hetairien waren zwar weiterhin starke Bindeglieder im Sozialgefüge der athenischen Oberschicht und zweifellos auch Wegbereiter für den politischen Aufstieg einzelner Aristokraten. Entscheidend waren aber die Mehrheitsbeschlüsse der Volksversammlung, die wiederum in dem neuen ‚ Rat der Fünfhundert ‘ vorbereitet wurden. “ 395 Vgl. Boehringer (2001), S. 123 f. mit Verweis auf Osborne (1985), S. 80 f. 396 Vgl. Boehringer (2001), S. 123 f. 397 Ebd., S. 124. Zur größer werdenden politischen Bedeutung des Demos neben den Hetairien nach Kleisthenes ’ Reformen siehe Gehrke (1984), bes. S. 536 - 538. 398 Boehringer (2001), S. 124. 108 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="109"?> Demokratie - oft ‚ im Untergrund ‘ . 399 Die Hetairien in Athen beeinflussten das politische und gesellschaftliche Leben auf diese Weise. 400 Die Hetairien verloren mit dem Entstehen der demokratischen Institutionen ihre ursprüngliche Identität, was sich auch daran zeigt, dass oft die gemeinsame Kultausübung innerhalb der Hetairien beendet wurde. 401 Diese Kultausübung ging ursprünglich mit den adligen Hetairien einher, da diese ihre Herkunft häufig auf einen bestimmten Heros zurückführten. 402 Für die Hetairien in klassischer Zeit ist nun nicht mehr bekannt, ob sie generell einen „ exklusiven Kult pflegten “ . 403 399 Vgl. dazu Konstan (1997), S. 44 f., S. 60 f.; Boehringer (2001), S. 124 mit weiteren Literaturhinweisen; Köster (2011), S. 209 - 217; Leonhardt (2018), S. 45 f. Aber dennoch kann man nicht behaupten, dass die Hetairien hauptsächlich oligarchisch gesinnt waren (vgl. Gehrke [1985], S. 332 mit den Hinweisen in Anm. 11, S. 336 f.). Hetairien konnten zudem zur „ Machtbasis von Usurpatoren und Tyrannen “ werden oder aber zum Formierungsort für die Gegner einzelner zur Macht strebender Aristokraten (Welwei [1992], S. 495). Außerdem war es nicht selten, dass Hetairien untereinander konkurrierten, wie z. B. die Hetairien des Leontiades und Ismenias in Theben (siehe dazu Gehrke [1985], S. 173 - 177). Zur Hetairie als Bezeichnung für aufständische Gruppen in Herodots Historien vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.4.2. 400 Zu einer ausführlichen Analyse der ‚ Hetairie-Entwicklung ‘ ausgehend von den homerischen Hetairien bzw. „ Hetairos-Gruppen “ (Welwei [1992], S. 485) bis zum Beginn des 4. Jh. v. Chr. siehe Köster (2011), S. 158 - 227. Zur Rolle der Hetairien im letzten Viertel des 5. Jh. v. Chr. siehe Köster (2011), S. 202 - 217. 401 Boehringer (2001, S. 110 f.) nimmt für den Heroenkult in Menidi (dazu ebd., S. 48 - 54) an, dass es sich bei dessen Kultgruppe um eine „ Hetairos-Gruppe “ gehandelt habe. Dazu ist zu sagen, dass Boehringer den Ausdruck „ Hetairos-Gruppe “ auch für Hetairien in der archaischen Zeit verwendet (ebd., S. 106/ Anm. 2) und nicht nur wie Welwei (1992, S. 485) für die homerischen ‚ Hetairien ‘ . Boehringer begründet seine Annahme, es handle sich bei der Kultgruppe um eine „ Hetairos-Gruppe “ , damit, dass dieser Kult in Menidi in der ersten Hälfte des 5. Jh. plötzlich verschwindet, obwohl Kulte zu dieser Zeit gewöhnlich ausgebaut und erweitert wurden (Boehringer [2001], S. 119 - 121). Das plötzliche Verschwinden kann demnach damit erklärt werden, dass sich mit der Demokratisierung der Polis Athen langsam archaische Hetairien auflösten und somit auch deren gemeinsame Kultausübung (ebd., S. 121). Denn Kleisthenes habe laut Boehringer „ sehr wohl eine Auflösung von Hetairos-Gruppen “ angestrebt, was nicht „ durch ein Verbot dieser Gruppen oder ihrer Kulte, sondern durch Reformen, welche den Zusammenhalt der Hetairos-Gruppen aushöhlten “ geschah (ebd., S. 129). Nur Kulte, die „ in die neue politische Ordnung integrierbar waren oder die dieses gar nicht betraf [ … ], bestanden weiter “ (ebd.); siehe dazu auch Leonhardt (2018), S. 45 - 48. 402 Vgl. Boehringer (2001), S. 111; Leonhardt (2018), S. 44. 403 Boehringer (2001), S. 124. „ Falls sie das taten, praktizierten sie den Kult geheim und nicht öffentlich “ (ebd.). Boehringer (ebd.) verweist hier auf Plat. leg. 909d - 910d, wo für den Idealstaat empfohlen wird, „ Privatkulte bei Androhung der Todesstrafe zu unterbinden “ , und sieht darin einen möglichen Hinweis für „ ihre Existenz in der athenischen Lebenswirklichkeit seiner Zeit “ . 2.2 Das Symposion 109 <?page no="110"?> Doch in Athen kam es zu dieser Zeit immer wieder zu nicht-öffentlich abgehaltenen Kultbzw. Mysterienfeiern im Rahmen von Symposia einiger Hetairien, 404 wobei, wie Anette Köster formuliert, die vorgeschriebenen „ Gebote der Götter und der Kulte und damit die Gesetze der Stadt gebrochen “ 405 wurden. Auch daran wird ersichtlich, dass sich in der klassischen Zeit inzwischen auch die ‚ alten ‘ Werte der aristokratischen Hetairien wie „ Besonnenheit, Sittlichkeit, Klugheit, Kameradschaftlichkeit “ 406 häufig in negative Eigenschaften wie Listigkeit, Gewalt und Selbstgefälligkeit veränderten. 407 Nun wurden sogar die von jeher durch die bestehenden „ kultischen Elemente wie Speise- und Trankopfer [ … ] religiöse[n] Akte “ , Symposion bzw. Gemeinschaftsmahl, zu „ gottlosen bzw. die Götter verhöhnenden Ort[en] “ . 408 Es ist festzuhalten, dass sich die Hetairie zu Herodots Zeit bereits in diesem Wandel befand. Zwar werden auch in Herodots Historien einige aufständische Gruppierungen als Hetairien bzw. deren Mitglieder als Hetairoi beschrieben, 409 eine generelle negative Bewertung oder ein genereller Machtverlust der Hetairie wird in den Historien allerdings nicht expliziert. 410 Für die Analyse des Hetairos-Begriffs in Herodots Historien mit Blick auf die Untersuchung der Symposionsszenen ist zusätzlich zu bemerken, dass für Hetairoi neben ihren politischen Ansinnen und Zielsetzungen auch das gemeinsame Genießen der 404 Vgl. dazu Köster (2011), S. 207 - 209. 405 Köster (2011), S. 208. Köster (2011, S. 207 f.) führt als Beispiel die Anklage gegen Alkibiades wegen eines Mysterienfrevels an. Alkibiades habe bei einer solchen nichtöffentlich veranstalteten Mysterienfeier im Rahmen eines Symposions seiner Hetairie gegen die Eleusinischen Mysterien gefrevelt, da er sie mit seiner Hetairie ‚ nachspielte ‘ (ebd. S. 207). Auch Murray (1990b, S. 155) hebt hervor, dass trotz der unsicheren Beweislage „ it was clearly believed [ … ] that the Mysteries had been profaned on a number of different occasions, in what were evidently sympotic situations. “ Auf diese Weise wurden die Mysterien in andere, unpassende Situationen transferiert (vgl. ebd., S. 156 f.). Murray (1990b, S. 157) hebt hervor, dass diese Profanierung der Mysterien, die bewusste Aufführung religiöser Rituale außerhalb des eigentlichen Kontextes beinhaltete. Denn das Symposion bietet zwar religiösen Ritualen Raum, „ but only the ritual appropriate to it “ , wie Murray (ebd.) bemerkt. Zum Symposion als „ Ort privater Kultausübung “ (Köster [2011], S. 91) und den dortigen religiösen Ritualen siehe Köster (2011), S. 91 - 98. Zur Profanierung der Eleusinischen Mysterien vgl. insgesamt Murrays Ausführungen in seinem Aufsatz ‚ The affair of the mysteries ‘ (1990b), S. 153 - 158, wo auch die genaueren Hintergründe für die Empörung über diesen Mysterienfrevel beleuchtet werden. 406 Köster (2011), S. 202. 407 Vgl. ebd., S. 202 f. 408 Ebd., S. 209. 409 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.4.2. 410 Sämtliche Textpassagen in Herodots Historien, die in Verbindung mit Hetairien stehen, werden im Kap. 2.2.4.2 angeführt und in Bezug auf die Bedeutung der Ausdrücke Hetairos bzw. ‚ Hetairie ‘ analysiert. 110 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="111"?> sympotischen Aktivitäten eines ihrer Grundanliegen war, wenn sie sich zum Symposion trafen. 411 Die Hetairien nutzten die sympotische Atmosphäre nicht nur für ihren politischen Austausch, sondern auch zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls. 412 Niemals handelte es sich bei Hetairoi aber um Mitglieder einer zufälligen Gruppe von Symposiasten, die sich spontan zum gemeinsamen Trinken trafen - denn nicht alle Symposia waren politisch; kurzum, es können nicht alle Gruppen von beliebigen Symposiasten als Hetairien bezeichnet werden. 413 2.2.4.2 Der Begriff ‚ Hetairos ‘ in Herodots Historien Den Begriff ἑταῖρος zu übersetzen, bedeutet zugleich, ihn zu interpretieren. Denn er deckt die Bezeichnung eines persönlichen Freundes bis hin zum gleichgesinnten Partei-Freund ab. 414 Nun soll untersucht werden, welche Bedeutungen ἑταῖρος in Herodots Historien hat und welche Werte dort mit einer Freundschaft zwischen ἑταῖροι verbunden sind, damit ermittelt werden kann, inwiefern der Begriff ἑταῖρος für die Analyse der Symposia in Herodots Historien hilfreich ist. Denn da mehrere Hetairoi eine Hetairie bilden und das Symposion eine bevorzugte Gelegenheit zur Zusammenkunft war, steht ἑταῖρος in direkter Verbindung zum Symposion. Auch in Herodots Historien ist mit dem Begriff ἑταῖρος und mit zu diesem etymologisch verwandten Wörtern ein freundschaftliches Verhältnis verbunden. Dazu möchte ich zunächst erneut auf die Situation verweisen, als Adrastos vor Kroisos steht, nachdem er dessen Sohn Atys unabsichtlich getötet hat. 415 Denn Kroisos ruft in diesem Moment unter anderem Zeus Hetaireios an (< Δία > [ … ] ἑταιρήιον - I, 44.2). Da Kroisos für Zeus das Epitheton Hetaireios wählt, wird deutlich, dass Adrastos zum Hetairos geworden ist - entweder zum 411 Vgl. Murray (1990b), S. 150 f. 412 Vgl. dazu die Verweise in Anm. 384. 413 Vgl. Murray (1990b), S. 150: „ the demos [ … ] did not perhaps always identify drinking group with hetaireia. Symposia were not in themselves political “ . 414 Vgl. Snell (1965), S. 68. Ein ἑταῖρος wird in seiner Grundbedeutung im LfgrE ( ἑταῖρος in LfgrE, vol. 2, Sp. 743) von Schmidt wie folgt definiert: „ Freund, Helfer, Kamerad, Gefährte [ … ]. Ein ἕ . ist ein Mann [ … ], der einem oder mehreren anderen aufgrund persönlicher Zuneigung oder aufgrund der bei gemeinsamer Teilnahme an einer Unternehmung (Krieg, Seefahrt, Reise) oder Zugehörigkeit einer Gruppe (Freier der Pen., Sklaven des Od.) entstehenden emotionellen Beziehungen freundschaftlich oder jedenfalls mit dem Gefühl der gegenseitigen Solidarität verbunden ist. “ Zudem hebt Schmidt hier (ebd.) auch besonders die Egalität und Reziprozität der Beziehung zwischen ἑταῖροι hervor. Für die Bedeutung des Hetairos in archaischer und klassischer Zeit als Kamerad im Krieg, politscher Parteifreund oder auch Partner z. B. beim Mahl vgl. auch ἑταῖρος in: LSJ, S. 700. 415 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.1.3.3. 2.2 Das Symposion 111 <?page no="112"?> Hetairos des Kroisos selbst oder zum Hetairos von Kroisos ’ Sohn Atys. 416 Doch inzwischen hat sich Adrastos durch Atys ’ Tötung als größter Feind erwiesen ( πολεμιώτατον - I, 44.2). Durch fatale Ereignisse kann eine Hetairiebeziehung also zerbrechen. Die Tötung des Kroisossohns - auch wenn sie unabsichtlich geschah - zeigt ein solch fatales Ereignis. Dass Kroisos zuvor bereit war, Adrastos als Beschützer für Atys einzusetzen, und auch Atys selbst kein Misstrauen dagegen hegte, gibt einen Hinweis darauf, dass Hetairoi zueinander grundsätzlich Vertrauen haben. Dass zudem eine besonders intensive Beziehung zwischen Hetairoi besteht, wird an anderer Stelle in den Historien deutlich. Nach der Einnahme von Memphis wird berichtet, wie Kambyses Psammenitos zu demütigen versucht, indem er dessen Tochter in Sklavengewand zum Wasserholen und dessen Sohn in Zaumzeug an ihm vorbeilaufen lässt. Psammenitos allerdings bleibt währenddessen ruhig (III, 14.1 - 6). Dann aber kommt einer seiner Gefährten des Weges, der zum Bettler geworden war. Als Psammenitos ihn so erblickt, beginnt er zu wehklagen (III, 14.7). Sein eigenes Leid sei ihm zu groß erschienen, um es zu beweinen, da aber auch sein Hetairos an der Schwelle des Alters ( ἀπῖκται ἐπὶ γήραος οὐδῷ - III, 14.10) von großem Wohlstand in bittere Armut abgestürzt sei, könne er die Tränen nicht mehr zurückhalten, wie der herodoteische Erzähler Psammenitos selbst erklären lässt (III, 14.10). Den Gefährten des Psammenitos bezeichnet der Text zum einen als ἑταῖρος (III, 14.7+10), zum anderen als einen seiner Sympotai ( τῶν συμποτέων οἱ ἄνδρα ἀπηλικέστερον - III, 14.7). Daraus kann man schließen, dass sich Psammenitos mit seinen Hetairoi beim Symposion getroffen hatte und dass sein Gefährte wie auch er selbst vor der Einnahme von Memphis wohlhabend gewesen war. 417 Auch im Verständnis der Historien ist das Symposion also ein Treffpunkt für Hetairien, die sich aus wohlhabenden Hetairoi zusammensetzten. Zu Mitgefühl und Wunsch, dass es seinem Hetairos gut geht, kommen noch zwei weitere Eigenschaften hinzu, die in Herodots Historien mit dem Begriff Hetairos verbunden sind: Zuverlässigkeit und Treue. Das zeigt sich, als im dritten Buch der Historien vom Ursprung der Feindschaft zwischen Kerkyra und 416 Vgl. Powells Umschreibung des Zeus-Epitheton ἑταιρήιος (1938, S. 149): „ presiding over friendships “ sowie Asheris Erläuterung: „ Zeus ἑταιρήιος is the patron of friendship “ (Asheri et al. [2007], S. 107); vgl. auch ἑταιρεῖος in LSJ, S. 700: „ of or belonging to companions : Ζεὺς ἑ . presiding over fellowship, Hdt. 1.44 [ … ] “ . 417 In welcher Beziehung Psammenitos und sein Hetairos genau stehen, erläutert der Text nicht. Er gibt lediglich die Information, dass der Hetairos einer von Psammenitos ’ Trinkgefährten sei (zur Bezeichnung συμπότης siehe Kap. 2.2.5.1). Sicher ist allerdings, dass sie ein freundschaftliches Verhältnis pflegen, da Psammenitos am Leid seines Gefährten Anteil nimmt. 112 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="113"?> Korinth berichtet wird (III, 50 - 53). So heißt es, dass Periander, der Tyrann von Korinth, seine Frau Melissa, die ihm zwei Söhne geboren hatte, getötet hat (III, 50.1). Melissas Vater Prokles deutet seinen Enkeln daraufhin die Tat ihres Vaters durch eine Frage an ( Ἆρα ἴστε , ὦ παῖδες , ὃς ὑμέων τὴν μητέρα ἀπέκτεινε ; - III, 50.2). Während der ältere der Brüder die Aussage überhört, spricht der jüngere Bruder Lykophron daraufhin kein Wort mehr mit seinem Vater. Periander ist sich nicht bewusst, dass sein Sohn Bescheid weiß, und jagt Lykophron, da dieser jegliche Kommunikation vermeidet, aus dem Palast (III, 50.3). Auf Perianders Drängen hin berichtet der ältere Sohn dann von seinem Aufenthalt bei Prokles und auch von den Worten, die er selbst nicht, sein Bruder aber wohl deuten konnte (III, 51.1). Periander untersagt daraufhin denjenigen, bei denen Lykophron nun lebt, dessen weitere Aufnahme ( ἀπηγόρευε μή μιν δέκεσθαι οἰκίοισι - III, 51.2). So wird Lykophron von Ort zu Ort weitergejagt, aber immer wieder von Freunden, ἑταῖροι , trotz Furcht aufgenommen ( ὁ δὲ ὅκως ἀπελαυνόμενος ἔλθοι ἐς ἄλλην οἰκίην , ἀπηλαύνετ᾽ ἂν καὶ ἀπὸ ταύτης , ἀπειλέοντός τε τοῦ Περιάνδρου τοῖσι δεξαμένοισι καὶ ἐξέργειν κελεύοντος . ἀπελαυνόμενος δ᾽ ἂν ἤιε ἐπ᾽ ἑτέρην τῶν ἑταίρων · οἱ δὲ ἅτε Περιάνδρου ἐόντα παῖδα , καίπερ δειμαίνοντες , ὅμως ἐδέκοντο - III, 51.3). Erst als Periander androht, dass jeder, der Lykophron aufnimmt oder auch nur mit ihm spricht, Apoll eine Strafe schulde ( τέλος δὲ ὁ Περίανδρος κήρυγμα ἐποιήσατο , ὃς ἂν ἢ οἰκίοισι ὑποδέξηταί μιν ἢ προσδιαλεχθῇ , ἱρὴν ζημίην τοῦτον τῷ Ἀπόλλωνι ὀφείλειν - III, 52.1), verwehren ihm auch seine Hetairoi die weitere Aufnahme (III, 52.2). Sie wollten offensichtlich keine göttliche Strafe riskieren. Bevor Periander allerdings die Aufnahme seines Sohnes zum Frevel degradiert hatte, waren seine Hetairoi unverzüglich dazu bereit, sich aus Gründen der Freundschaft zu ihm gegen die menschliche Drohung eines Tyrannen hinwegzusetzen und ihn aufzunehmen. Eine Beziehung zwischen Hetairoi beinhaltet also ebenfalls eine für die Gastfreundschaft typische Eigenschaft: 418 Die Aufnahme eines Freundes, wenn er Hilfe braucht. Eine Kombination der Begriffe für Gastfreund, Xenos, und Hetairos findet sich in Herodots Historien nicht. Das ist aufgrund der Definition eines Xenos, der normalerweise nicht in unmittelbarer Nähe zu seinem Gastfreund wohnt, 419 auch nicht verwunderlich. Denn im Gegensatz zu Xenoi sind die Mitglieder einer Hetairie von denselben meist politischen Konflikten betroffen, wofür vorausgesetzt ist, dass sie das gleiche Lebensumfeld teilen. 420 418 Vgl. dazu besonders Kap. 2.1.2.1. 419 Siehe dazu Kap. 2.1.1.2.1. 420 Siehe dazu Kap. 2.2.4.1. 2.2 Das Symposion 113 <?page no="114"?> Anders verhält es sich mit den Bezeichnungen Philos und Hetairos. Dass diese beiden Begriffe kombinierbar sind, zeigt in Herodots Historien die Geschichte von Ariston, einem König von Sparta, und seiner Liebe zur Frau seines Freundes Agetos (VI, 61 - 62). In VI, 61 wird Agetos als Philos von Ariston beschrieben ( ἦν οἱ φίλος τῶν Σπαρτιητέων ἀνήρ - VI, 61.2 / οὗτος δὴ ὁ τοῦ Ἀρίστωνος φίλος - VI, 61.5). In VI, 62 dagegen bezeichnet der Text denselben Agetos dreimal als Aristons Hetairos ( αὐτός τε τῷ ἑταίρῳ , τοῦ ἦν ἡ γυνὴ αὕτη , ὑποδέκεται δωτίνην δώσειν τῶν ἑωυτοῦ πάντων ἕν , τὸ ἂν αὐτὸς ἐκεῖνος ἕληται , καὶ τὸν ἑταῖρον ἑωυτῷ ἐκέλευε ὡσαύτως τὴν ὁμοίην διδόναι - VI, 62.1 / ἐνθαῦτα δὴ τοῦ ἑταίρου τὴν γυναῖκα ἐπειρᾶτο ἀπάγεσθαι . - VI, 62.2). Eine klare Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen ist hier schwer auszumachen. Denn die Beziehung zwischen Hetairoi basiert auf einer Art von Philia. 421 Der nun folgende Betrug von Agetos durch Ariston wirkt durch den Vertrauensmissbrauch eines gleichgesinnten Hetairos, der als sein Freund bezeichnet wird, mit dem er von allen Mitbürgern am meisten Zeit verbrachte ( τῷ προσέκειτο τῶν ἀστῶν μάλιστα ὁ Ἀρίστων - VI, 61.2), besonders hinterhältig. Agetos ’ Vertrauen, das aufgrund der gegenseitigen Freundschaft besteht, wird also von Ariston schamlos ausgenutzt. Denn Ariston verspricht seinem Freund, ihm zum Geschenk zu machen, um welches seiner Besitztümer auch immer Agetos ihn bitte. Als Ausgleich erbittet er sich das Gleiche von diesem (VI, 62.1). Agetos stimmt zu und durch einen Eid verstärken sie den Pakt ( καταινέει ταῦτα· ἐπὶ τούτοισι δὲ ὅρκους ἐπήλασαν - VI, 62.1). 422 Während sich Agetos eine Kostbarkeit aussucht, wählt Ariston Agetos ’ Ehefrau (VI, 62.2). Diese zu erhalten, war sein ganzes Ziel. Das hier erwähnte System von Gabe und Gegengabe erinnert an die Institution der Gastfreundschaft, allerdings mit einem gravierenden Unterschied: Denn dieser Gabenaustausch entsteht nicht aus Eigeninitiative wie bei Gastfreunden, 423 sondern aus Aristons Forderung heraus. Nur 421 Vgl. Herman (1987), S. 18 f.; Konstan (1997), S. 69 f. Xenophon zählt die Philia, die zwischen zwei Hetairoi besteht, zu den stärksten insgesamt (Xen. Hier. 3, 7). Er nennt sie dabei gleichzeitig mit der Philia zwischen Eltern und Kindern, zwischen Brüdern und die der Frauen zu ihren Männern ( βεβαιόταται μὲν γὰρ δήπου δοκοῦσι φιλίαι εἶναι γονεῦσι πρὸς παῖδας καὶ παισὶ πρὸς γονέας καὶ ἀδελφοῖς πρὸς ἀδελφοὺς καὶ γυναιξὶ πρὸς ἄνδρας καὶ ἑταίροις πρὸς ἑταίρους - Xen. Hier. 3, 7); Herman (1987, S. 18) verwendet diese Stelle aus Xenophons Hieron als Hinweis dafür, dass Freundschaft und Verwandschaft in klassischer Zeit noch als Varianten desselben ‚ Grundprinzips ‘ betrachtet worden sind. Zur Philia und der besonderen Beziehung zwischen Brüdern siehe auch Blondell (1989), S. 42; Konstan (1997), S. 70. 422 Bei einem Eid wird Gott oder werden Götter bzw. eine oder mehrere übernatürliche Mächte zu(m) Zeugen (vgl. Gross [1985], S. 219; Sommerstein in: Sommerstein/ Bayliss [2013], S. 3 f.). Möchte Agetos also einer göttlichen Strafe entgehen, muss er seinen Eid erfüllen. Zum Eid und dessen Funktion siehe auch Burkert (2011), S. 376 - 381. 423 Siehe dazu Kap. 2.1.2.2. 114 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="115"?> der Eid verpflichtet zur Gegengabe. Erst durch diesen scheint sich Ariston sicher zu sein, dass sein Freund Agetos seinem Versprechen, dass auch er sich etwas von seinen Besitztümern aussuchen dürfe, nachkommen wird. Agetos wiederum geht auf Aristons Forderung ein, da er ja wusste, dass auch Ariston verheiratet war und nicht daran dachte, dass er seine Frau fordern könnte ( ὁ δὲ οὐδὲν φοβηθεὶς ἀμφὶ τῇ γυναικί , ὁρέων ἐοῦσαν καὶ Ἀρίστωνι γυναῖκα , καταινέει ταῦτα - VI, 62.1). Zudem bezeichnet ihn der Text ja als Aristons Philos (VI, 61.2 / VI, 61.5), woraus zu schließen ist, dass Agetos nicht damit rechnet, von ihm hintergangen zu werden. 424 Als sich Ariston aber dann Agetos ’ Frau wünscht, muss er dem aufgrund des geschlossenen Eides nachkommen und Ariston seine Frau überlassen. Sein Vertrauen wurde von Ariston zu dessen Vorteil instrumentalisiert und damit missbraucht. An dieser Anekdote wird ersichtlich, dass zwischen Hetairoi wie auch Philoi Treue und Vertrauen bestehen, aber Hetairoi und Philoi im Gegensatz zu Xenoi nicht allein aufgrund ihrer Freundschaft durch einen äußeren Zwang zu einer Gegenleistung verpflichtet sind. Das Ende dieser Freundschaft wird nicht angesprochen. Wieder im Gegensatz zur Gastfreundschaft muss also eine Beziehung zwischen Hetairoi nicht offiziell aufgelöst werden. 425 Wie bei Philia handelt es sich dabei um eine Freundschaft im engen Sinn. Ob es sich bei Ariston und Agetos um Mitglieder einer aus mehreren Personen bestehenden Hetairie handelt, ist in den Historien nicht erwähnt. Dies ist für den Verlauf der Erzählung auch nicht entscheidend. Doch es finden sich in den Historien auch Gruppen bestehend aus mehreren Personen, die der Text als Hetairie bezeichnet. So umschreibt er z. B. die Argonauten als συνεταῖροι (VII, 193.2). 426 Dass somit auch in den Historien Hetairien nicht nur Gruppen beschreiben, die sich statisch gebunden für ihre Zwecke formieren, sondern auch Gruppierungen, die auf Reisen ein gemeinsames Ziel ver- 424 Zu den mit Philos bzw. Philia verbundenen Werten siehe Kap. 2.1.1.2.1. 425 Für Beispiele für die Auflösung von Gastfreundschaftsbeziehungen in den Historien siehe Anm. 136. 426 Συνεταῖρος ist ein selten verwendeter Begriff in der griechischen Literatur und bis einschließlich Herodots Lebenszeit nur ein weiteres Mal und zwar in einem Fragment von Sappho bezeugt (fr. 44 Voigt). Darin wird erzählt, wie Hektor zusammen mit seinen Gefährten ( συνέταιρ [ ο ] ι ) Andromache auf Schiffen nach Troja bringt und ein festlicher Empfang beginnt. Wie bei den Argonauten handelt es sich bei den in Sapphos Fragment als συνεταῖροι bezeichneten Personen um Kameraden, die auf Schiffen in gemeinsamer Mission unterwegs sind. Ein genauer Bedeutungsunterschied zu ἑταῖροι ist aufgrund der Überlieferungslage nicht festzustellen. Sicher ist, dass das Präfix συν die Gemeinschaft besonders hervorhebt; vgl. dazu σύν in LSJ, S. 1690 f.: „ D. IN COMPOS. I. with, along with, together, at the same time, hence of any kind of union, connexion, or participation in a thing, and metaph. of agreement or unity. “ 2.2 Das Symposion 115 <?page no="116"?> folgen, deutet sich an. 427 Das gemeinsame Ziel der Argonauten besteht darin, das goldene Vlies aus Kolchis zu holen (VII, 193.2). Der Text kommt darauf im Rahmen seiner Ausführung über die Bucht von Magnesia zu sprechen, da dort auch Iason mit seinen Argonauten geankert habe. Herakles hätte dort Wasser holen sollen und wurde dann von Iason und seinen Gefährten zurückgelassen ( καταλειφθῆναι ὑπὸ Ἰήσονός τε καὶ τῶν συνεταίρων ἐκ τῆς Ἀργοῦς ἐπ᾽ ὕδωρ πεμφθέντα - VII, 193.2). Hier ist es also eine gemeinsame Unternehmung, die die Teilnehmenden emotional verbindet und als Hetairoi zusammenbringt. Darüber hinaus gibt es noch weitere Verbände in den Historien, die als Hetairien bezeichnet werden. Dabei handelt es sich um Gruppen von Umstürzlern, die ihre gemeinsamen politischen Ziele zu verwirklichen suchen. Gerade solche Gruppen müssen auf gegenseitigem Vertrauen basieren, um erfolgreich agieren zu können. 428 Der Text bezeichnet z. B. die Schar von Altersgenossen, die Kylon um sich sammelt und die ihn bei seinem missglückten Versuch, sich der Akropolis zu bemächtigen, unterstützt, als Hetairie ( προσποιησάμενος δὲ ἑταιρηίην τῶν ἡλικιωτέων καταλαβεῖν τὴν ἀκρόπολιν ἐπειρήθη - V, 71.1). 429 Insgesamt wird offensichtlich, dass die Wirkung von Hetairien als Zusammenschluss Gleichgesinnter auch in Herodots Historien keineswegs nur auf den privaten Bereich beschränkt ist. 430 427 Vgl. dazu die Definition von Schmidt zu ἑταῖρος im LfgrE, vol. 2, Sp. 743 (siehe Anm. 414). Auch diejenigen, die mit Polykrates zu Oroites reisten, werden als Hetairoi bezeichnet ( ἅμα ἀγόμενος ἄλλους τε πολλοὺς τῶν ἑταίρων - III, 125.1; siehe dazu Kap. 4.1.2.2). 428 Gehrke (1985, S. 335) macht darauf aufmerksam, dass die Loyalität gegenüber der eigenen Hetairie mit der Loyalität gegenüber dem Staat, wenn sie sie nicht sogar übertraf, so doch zumindest mit ihr konkurrierte. Zudem hebt Gehrke (1987, S. 144) auch die besondere „ erbliche Loyalität “ zwischen Hetairoi hervor, die nicht nur Freunde, sondern zugleich auch „ politische Partner “ sind, die sich aufgrund ihrer Freundschaft zum Teil blind vertrauen und ohne zu hinterfragen, der Richtung ihres Hetairos folgen. Konstan (1997, S. 60 f.) bemerkt, dass der Begriff des Hetairos normalerweise die elementare Bedeutung als „‘ companion ’“ (ebd., S. 61) behält, auch wenn politische Komplizen oder auch Mitverschwörer als Hetairoi bezeichnet werden. 429 Die Mitglieder der Hetairie um Isagoras dagegen werden in V, 70.2 nicht als ἑταῖροι , sondern als φίλοι bezeichnet und zugleich den kurz zuvor erwähnten ‚ Verschwörern ‘ der Alkmeoniden um Kleisthenes gegenübergestellt ({ οἱ μὲν γὰρ Ἀλκμεωνίδαι καὶ οἱ συστασιῶται αὐτῶν εἶχον αἰτίην τοῦ φόνου τούτου , αὐτὸς δὲ οὐ μετεῖ χε οὐδ᾽ οἱ φίλοι αὐτοῦ } - V, 70.2). Hier stehen οἱ φίλοι parallel zu οἱ συστασιῶται und sind auch in ähnlicher Bedeutung wie οἱ συστασιῶται aufzufassen. Verschwörer, die sich in einer Hetairie formieren, können in Herodots Historien also als ἑταῖροι beschrieben werden, aber es ist nicht der einzige Begriff, der für diese Art von Gruppierung verwendet wird. Wilson allerdings orientiert sich hier an Powell, der diesen Satz getilgt hat, und athetiert ihn. 430 Vgl. auch Welwei (1992, S. 495) zur Bezeichnung der Gruppe um Kylon als Hetairie (V, 71.1): „ Herodot orientiert sich hier wohl an der Terminologie seiner eigenen Zeit, doch kennzeichnet der von ihm verwendete Begriff durchaus treffend ein in der 116 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="117"?> Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass es sich bei Hetairoi in Herodots Historien zum einen um Personen handelt, die durch eine starke persönliche Beziehung verbunden sind, zum anderen aber auch um Personen, die sich zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, das sie wiederum untereinander als Hetairie emotional verbindet. Dabei basiert diese Beziehung stets auf Treue und gegenseitiger Unterstützung, was ihr durch falsches Vertrauen zum Verhängnis werden kann. Zudem ist anzunehmen, dass es sich jeweils um eine größere Gruppe von Hetairoi handelt. Ein direkter Zusammenhang zwischen Hetairie und Symposion ist in Herodots Historien explizit lediglich in III, 14 gegeben, wenn Psammenitos ’ Gefährte als Hetairos und Sympotes beschrieben wird. Indem der Text diese griechischen Begriffe auf das ägyptische Symposion transferiert, gibt er einen Hinweis darauf, dass er ein zu den griechischen Symposia ähnliches Verständnis der ägyptischen Symposia annimmt. 431 Außerdem zeigt die nur einmalige Verknüpfung von Symposion archaischen Polis deutlich erkennbares Phänomen, die Adelsvereinigung als Instrument des Machtkampfes. “ Hier sind auch zwei Zusammenschlüsse in Herodots Historien zu erwähnen, die durch das Verb προσεταιρίζεσθαι , das etymologisch zum Bedeutungsfeld der Hetairie gehört und so im direkten Bezug dazu steht (siehe dazu προσεταιρίζομαι in LSJ, S. 1511: „ take to oneself as a friend, associate with oneself, τινα Hdt. 3.70 [ … ]; take into partnership, secure the approval of, τὸν δῆμον Hdt. 5.66 [ … ] “ ). Der erste dieser beiden Zusammenschlüsse ist der der sieben Perser: Otanes schließt sich zunächst mit zwei sehr vertrauten persischen Freunden, Aspathines und Gobryas, zusammen ( ἑωυτῷ ἐπιτηδεοτάτους ἐς πίστιν - III, 70.1; zur Bezeichnung eines Freundes durch ἐπιτήδειος vgl. Konstan [1997], S. 63 f.). Alle drei sollten darauf jeweils eine weitere Person, der sie am meisten vertrauen, hinzuziehen ( προσεταιρίσασθαι τοῦτον ὅτεῳ πιστεύει μάλιστα - III, 70.2). So kommen Intaphernes, Megabyxos und Hydarnes dazu. Als siebter wird noch Dareios ins Vertrauen gezogen ( καὶ Δαρεῖον προσεταιρίσασθαι - III, 70.3). Auch bei diesem Bund handelt es sich um eine Zusammensetzung, die schließlich in die Herrschaft (über Persien) eingreift und nach der Ermordung des falschen Smerdis über diese entscheidet (III, 80 - 83.1). Dass sich auch diese sieben Perser untereinander als φίλοι bezeichnen (III, 73.1), weist wie auch die Beziehung zwischen den Anhängern von Isagoras sowie zwischen Ariston und Agetos darauf hin, dass sich die Bezeichnungen Philoi und Hetairoi keineswegs ausschließen und bekräftigt die These, dass die Hetairie eine Art der Philia ist (vgl. dazu Anm. 421). Der zweite Bund, den der Text mit dem Verb προσεταιρίζεσθαι umschreibt, besteht zwischen Kleisthenes und dem Volk. Denn Kleisthenes, der im Ringen um die Macht in Athen Isagoras unterliegt, kann das Volk auf seine Seite ziehen ( ἑσσούμενος δὲ ὁ Κλεισθένης τὸν δῆμον προσεταιρίζεται - V, 66.2). So gelingt es ihm, Einfluss auf die Politik zu nehmen. 431 Die Beziehung zwischen Psammenitos und seinem Freund wird im Text nicht genauer beschrieben. So hätte Psammenitos ’ Freund auch als φίλος bezeichnet werden können. Durch den bewussten Rückgriff auf ἑ ταῖρος in Verbindung mit συμπότης aber macht der Text deutlich, dass auch für die Ägypter angenommen wird, dass sie Trinkgelage mit mehreren Teilnehmern veranstalten und dass diese ägyptischen Symposia ähnlich den griechischen eine besondere Gruppenzugehörigkeit förderten. Ansonsten wäre die Verwendung von Hetairos an dieser Textstelle nicht stimmig. 2.2 Das Symposion 117 <?page no="118"?> und Hetairie in den Historien, dass die Verbindung von Hetairie und Symposion im Text zwar bekannt ist, für die Erzählstruktur aber nicht immer benötigt wird. Denn die bei Herodot erwähnten Hetairien müssen sich nicht mehr formieren, sie agieren bereits. 2.2.5 Bezeichnungen für Symposion, Gastmahl, Essen und Trinken bei Herodot Als weitere Vorarbeit für die Untersuchung der Symposions- und Mahldarstellungen in Herodots Historien möchte ich nun sämtliche Ausdrücke, die dort für Speise, Trinken, (Gast-)Mahl, Gelage bzw. Symposion und Bewirtung verwendet werden, identifizieren und analysieren. Dabei möchte ich durch das Anführen von Belegstellen herausarbeiten, welche Bedeutungen dafür jeweils in Herodots Historien gültig sind. 2.2.5.1 Συμπόσιον - συμπίνειν Die Bezeichnung Symposion ist das erste Mal in einem Fragment des frühgriechischen Lyrikers Alkaios bezeugt (Alk. fr. 70 Voigt). 432 Zur Zeit Homers war laut Bruno Snell das „‚ gemeinsame ‘ Tun [ … ] so eingebettet in den selbstverständlichen Vollzug des gewohnten Lebens, daß es als solches offenbar gar nicht in das Bewusstsein tritt “ und damit auch keine Wörter, die mit dem Präfix συν zusammengesetzt sind, benötigt wurden, um Gemeinschaft auszudrücken. 433 In den homerischen Epen wird daher als Bezeichnung für gemeinsames Trinken συμπίνειν nicht verwendet und auch nicht benötigt, da Gemeinschaft beim Trinken dort bereits mit der bloßen Verwendung von πίνειν impliziert sein kann. 434 Nur an einer Stelle tritt in den Epen Homers eine Präposition ( μετά ) zu πίνειν hinzu, um die Gemeinschaft beim Trinken aus- 432 Vgl. Murray (1983a), S. 263; dazu auch Snell (1965), S. 71 f. 433 Snell (1965), S. 46. Siehe dazu insgesamt Snell (1965), S. 46 - 49. 434 Ich beschränke mich auf drei Beispiele aus den homerischen Epen, bei denen πίνειν ein gemeinsames Trinken impliziert. So berichtet Phoinix im neunten Gesang der Ilias, wie seine Angehörigen nach der Verfluchung durch seinen Vater versuchten, ihn am Fortgehen zu hindern (Hom. Il. IX, 453 - 473) und dass währendessen (in dieser Gesellschaft) auch viel Wein konsumiert worden sei ( πολλὸν δ᾽ ἐκ κεράμων μέθυ πίνετο τοῖο γέροντος - Hom. Il. IX, 469). Zweitens berichtet Athene im ersten Gesang der Odyssee in Gestalt des Mentes und im Gespräch mit Telemach von Odysseus, den sie (angeblich) beim gemeinsamen Trinken kennengelernt habe ( τοῖος ἐὼν οἷόν μιν ἐγὼ τὰ πρῶτ᾽ ἐνόησα / οἴκωι ἐν ἡμετέρωι πίνοντά τε τερπόμενόν τε - Hom. Od. I, 257 - 258). Das dritte Beispiel stammt aus dem neunten Gesang der Odyssee, als Odysseus am Hofe des Alkinoos davon erzählt, wie seine Gefährten nach dem Sieg über die Kikonen die Weiterfahrt aufschoben und unter anderem stattdessen (gemeinsam) viel tranken ( ἔνθα δὲ πολλὸν μὲν μέθυ πίνετο - Hom. Od. IX, 45a). 118 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="119"?> zudrücken. 435 Eine Verbindung mit ἅμα ist bei Homer ebenfalls nur einmal bezeugt. 436 Dieses Selbstverständnis von gemeinsamem Handeln kommt wie bei Alkaios auch in Herodots Historien nicht mehr zum Tragen. Immer wenn der herodoteische Text für das gemeinsame Trinken Ausdrücke mit der Vorsilbe συν verwendet, wird also die Gemeinschaft in besonderem Maß hervorgehoben. 437 Erst im Laufe der Zeit etablierte sich τὸ συμπόσιον somit als Terminus technicus für das gemeinsame Trinken nach dem Mahl. 438 In Herodots Historien tritt dieser Begriff nur ein einziges Mal auf. 439 Er bezeichnet dabei das Treffen wohlhabender Ägypter zum Trinken nach dem Essen ( ἐπεὰν ἀπὸ δείπνου γένωνται - II, 78) in Gemeinschaft ( ταῦτα μὲν παρὰ τὰ συμπόσια ποιεῦσι - II, 79.1). 440 Dort werden auch die Teilnehmer als o ἱ συμπόται bezeichnet ( δεικνὺς δὲ ἑκάστῳ τῶν συμποτέων λέγει - II, 78). Dieser Begriff beschreibt ebenso die Mittrinker des Amasis (II, 173.1) wie die Teilnehmer am Symposion des Salmoxis (IV, 95.3). 441 Auch der ehemalige Trinkgefährte von Amasis ’ Sohn Psammenitos wird, wie bereits erwähnt, 442 als einer seiner συμπόται bezeichnet (III, 14.7). Das Verb συμπίνειν wird wiederum nur an einer einzigen Stelle in den Historien verwendet, nämlich in der Erzählung über den Meisterdieb 435 Als Telemach nach seiner Suche nach Odysseus zurück nach Ithaka gekommen ist, bittet er Eumaios, nur Penelope über seine Rückkehr zu informieren (Hom. Od. XVI, 130 - 134). Eumaios möchte wissen, ob er auch Laertes von seiner Ankunft berichten dürfe. Denn dieser habe noch vor Telemachs Abreise, wenn auch betrübt über Odysseus ’ Abwesenheit, die Arbeiten überwacht und mit den Knechten getrunken und gegessen ( μετὰ δμώων τ᾽ ἐνὶ οἴκωι / πῖνε καὶ ἦσθ᾽ , ὅτε θυμὸς ἐνὶ στήθεσσιν ἀνώγοι - Hom. Od. XVI, 140b - 141). Seit Telemachs Abfahrt nach Pylos aber unterlasse er auch dies und klage nur noch (Hom. Od. XVI, 142 - 145). 436 In der Nekyia hindert Odysseus die Seelen der vielen toten Gattinnen und Töchter zahlreicher Helden daran, dass sie alle zusammen vom Blut der Opfertiere trinken ( οὐκ εἴων πίνειν ἅμα πάσας αἷμα κελαινόν - Hom. Od. XI, 232). Er lässt dies nur der Reihe nach zu (Hom. Od. XI, 233). Zwar wird an dieser Stelle tatsächlich ein gemeinsames Trinken ausgedrückt, das allerdings nicht im Kontext eines gemeinsamen Mahls oder Gelages steht. Neben Formen von πάντες wirkt ἅμα in den homerischen Epen in erster Linie rein verstärkend und „ ist mit πάντες fast zu einer Begriffseinheit verschmolzen “ (Lohse zu ἅμα in LfgrE, vol. 1, Sp. 600). 437 Zur Betonung der besonderen Qualität einer sympotischen Gemeinschaft durch das Präfix συν vgl. auch Bergquist (1990), S. 39. 438 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.1. 439 Vgl. Coulet (1994), S. 61/ Anm. 18. 440 Zu diesem Symposion siehe Kap. 3.3.2. 441 Zur Analyse von Amasis ’ Trinkverhalten siehe v. a. Kap. 4.1.3.1.3 und zu Salmoxis ’ Symposia siehe Kap. 3.3.1. 442 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.4.2. 2.2 Das Symposion 119 <?page no="120"?> (II, 121 δ .4). 443 Außer bei den Ägyptern (II, 78 / II, 79.1 / II, 121 δ .4 / II, 173.1 / III, 14.7) und dem an das griechische Symposion angelehnte gemeinschaftliche Trinken bei Salmoxis (IV, 95.3) verwendet der Text bei keinem anderen Volk eine Bezeichnung dieser Art, um das Treffen, das gemeinsame Trinken oder deren Teilnehmer zu benennen. Es zeigt sich, dass diese nicht-griechischen Symposia, soweit sie genauer beschrieben werden, Übereinstimmungen mit dem Ablauf und der Konstitution eines typisch griechischen Symposions haben. Inwiefern die Bezeichnungen ὁ συμπότης , τὸ συμπόσιον und συμπίνειν in Herodots Historien demnach auf eine Nähe zum typisch griechischen Symposion hinweisen, soll in den jeweiligen Einzelanalysesn dieser Symposia genauer betrachtet werden. Als Terminus technicus kann der Begriff συμπόσιον in Herodots Historien jedoch aufgrund der nur einmaligen Verwendung noch keineswegs verstanden werden, auch wenn es dabei in der Bedeutung mit dem späteren Terminus übereinstimmt. Außerdem fallen auch bei den Darstellungen griechischer Symposia in den Historien weder die Begriffe συμπίνειν oder συμπότης noch werden sie als συμπόσια bezeichnet. 444 2.2.5.2 Πόσις - πίνειν Wenn beim Trinken in erster Linie der Vorgang des Trinkens betont werden soll und weniger die Gemeinschaft im Vordergrund steht, verwendet der Text in den Historien πίνειν als Verbum simplex. Dies ist z. B. der Fall, wenn es heißt, dass König Mykerinos, nachdem er von seinem baldigen Tod erfahren hat, bei Tag und Nacht trinkt und es sich gut gehen lässt ( ἀνάψαντα αὐτὰ πίνειν τε καὶ εὐπαθέειν , οὔτε ἡμέρης οὔτε νυκτὸς ἀνιέντα - II, 133.4). 445 Ob er dies nun in Gemeinschaft tut oder nicht, ist für diesen Vorgang unwichtig. Entscheidend dagegen ist, dass er auf diese Art sein restliches Leben zu genießen versucht. 446 443 Zum Symposion im Rahmen der Meisterdieb-Erzählung siehe Kap. 4.2.1.2. 444 Vgl. dazu die Darstellungen des Gastmahls zwischen Makedonen und Persern (V, 18 - 20), der Verlobungsfeier der Agariste (VI, 129) sowie des Gastmahls des Thebaners Attaginos (IX, 15.4 - 16.5). 445 Siehe zum dargestellten Verhalten des Mykerinos in Herodots Historien die Ausführungen in Kap. 3.3.2. 446 Ähnlich verhält es sich auch bei der Beschreibung von der Täuschungsaktion des Thrasybulos (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2). Dieser befiehlt den Milesiern, auf seine Anordnung hin alles (Zusammengebrachte) zu trinken und ein Festmahl zu veranstalten ( τότε πίνειν τε πάντας καὶ κώμῳ χρᾶσθαι ἐς ἀλλήλους - I, 21.2). Das Trinken soll Wohlstand symbolisieren, weshalb der Trinkkonsum an sich das entscheidende Merkmal ist. Dass dies in Gemeinschaft geschieht, ist im Text an κώμῳ χρᾶσθαι ἐς ἀλλήλους (vgl. dazu S. 245) - nicht an πίνειν - zu erkennen. Auch in der Erklärung der spartanischen Redewendung, einen Wein auf skythische Art zu reichen, ist mit πίνειν ein Trinken ausgedrückt, bei dem ein gemeinschaftlicher Kontext nicht impliziert wird und für die Erklärung auch unerheblich bleibt. Denn der Text erläutert 120 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="121"?> Ansonsten verwendet der Text πίνειν , wenn er besondere Trinkgewohnheiten darstellen möchte, 447 zudem als Prozess, der zum Tod führen, 448 entgegengesetzt aber auch Ehre ausdrücken kann (IV, 66) 449 oder Teil eines Treuebündnisschlusses ist (IV, 172.4). Hauptsächlich beschreibt der Text mit πίνειν allerdings Vorgänge, die sich auf das reine Naturbedürfnis des Trinkens beziehen. 450 Immer wenn πίνειν in den Historien verwendet wird, kann es sich also sowohl lediglich, dass dies gesagt werde, wenn jemand stärkeren Wein trinken möchte ( ἐπεὰν ζωρότερον βούλωνται πιεῖν - VI, 84.3). An weiteren Stellen verwendet der Text πίνειν , um explizit das Trinken zu betonen, auch wenn der Trinkvorgang in Gemeinschaft geschieht wie z. B. in der Erzählung des Meisterdiebs (vgl. dazu die Ausführungen Kap. 4.2.1.2). Die Wächter schlafen genau dort ein, wo sie getrunken haben ( καὶ κρατηθέντας ὑπὸ τοῦ ὕπνου αὐτοῦ ἔνθα περ ἔπινον κατακοιμηθῆναι - II, 121 δ .5). Entscheidend für das Einschlafen ist das vorausgegangene Trinken - unabhängig davon, ob es in Gemeinschaft geschehen ist. Nur in der Aufforderung, der Meisterdieb möge sich zu ihnen setzen und mittrinken, verwendet der Text συμπίνειν , um nun das gemeisame Trinken zu betonen (II, 121 δ .4). Auf ähnliche Weise findet sich diese Unterscheidung zwischen πίνειν und συμπίνειν auch in dem Bericht über Amasis ’ Tätigkeiten (siehe dazu v. a. Kap. 4.1.3.1.3), der schon als Privatmann viel trank und teilweise andere Menschen beraubte, um sich das Trinken leisten zu können ( ὅκως δέ μιν ἐπιλείποι πίνοντά τε καὶ εὐπαθέοντα τὰ ἐπιτήδεα , κλέπτεσκε ἂν περιιών - II, 174.1), und der es als König gewohnt war, zwar bis zur Mittagsstunde zu arbeiten, danach aber zu trinken und mit seinen Trinkgefährten zu scherzen ( ἔπινέ τε καὶ κατέσκωπτε τοὺς συμπότας - II, 173.1). Die Gemeinschaft ist natürlich gegeben und durch die Bezeichnung seiner Mittrinker als συμπόται im Text erkennbar, πίνειν dagegen umschreibt lediglich den Trinkvorgang. Das Gleiche gilt auch für die Beschreibung der ägyptischen Symposia (siehe dazu Kap. 3.3.2), wo beim Anblick des hölzernen Leichnams getrunken werden soll ( Ἐς τοῦτον ὁρέων πῖνέ - II, 78). Auch hier wird die Gemeinschaft zwischen den Teilnehmern durch deren Bezeichnung als συμπόται und des gemeinsamen Trinkens als τὸ συμπόσιον im Text extra hervorgehoben (II, 78). In Herodots Historien wird zudem kein Symposion durch ein Partizip von πίνειν umschrieben. Dafür wird das Partizip des Kompositums διαπίνειν verwendet (siehe dazu Kap. 2.2.5.3). 447 So berichtet er mit Verwendung von πίνειν von Kyros ’ Gewohnheit, nur das Wasser aus dem Choaspes zu trinken (I, 188.1), von Ägyptern, die gegen ihren Willen nicht als Libyer angesehen werden, da sie unterhalb von Elephantine wohnen und aus dem Nil trinken (II, 18.3), von der reinlichen Trinkgewohnheit der Ägypter (II, 37.1), von einer speziellen Trinkgewohnheit der Skythen (IV, 2.1), von einem Trinkbrauch der - gemäß den Historien - kahlköpfigen Argippaier (IV, 23.3) und einem der Nasamonen (IV, 172.1). 448 Die Historien berichten von Psammenitos ’ Hinrichtung durch das Trinken von Rinderblut (III, 15.4) und von Arkesilaos, der krank wurde, da er ein nicht näher definiertes φάρμακον getrunken hatte (IV, 160.4). 449 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.2.1. 450 Dabei sind es nicht nur Lebewesen, die trinken (IV, 53.2 / IV, 192.1 / VII, 21.1 / VII, 43.1 / VII, 127.2 / VII, 196), sondern auch das Land wird zum Akteur, das durch Überflutung (III, 117.6) oder Regen (IV, 198.2) ‚ trinkt ‘ . 2.2 Das Symposion 121 <?page no="122"?> um ein Trinken in Gemeinschaft handeln als auch um die einfache Bedeutung ‚ trinken ‘ , die nicht immer Gesellschaft erfordert. Πότος wird in den Historien kein einziges Mal verwendet, um ein Symposion zu umschreiben. 451 Viermal dagegen tritt die Bezeichnung πόσις auf, um ein Treffen zum Trinken auszudrücken. 452 Πόσις umschreibt in Herodots Historien stets - ob spontan entstanden oder als zum Gastmahl gehöriger Abschnitt - ein Trinken in Gemeinschaft. Allerdings wird der Gemeinschaft bei den Trinkzusammenkünften weniger Bedeutung zugemessen, wenn sie lediglich als πόσις bezeichnet (oder durch πίνειν umschrieben) werden, als es bei denen der Fall ist, an denen die Teilnehmer, der Trinkvorgang oder das Treffen an sich durch ein Wort ausgedrückt werden, das etymologisch mit συμπίνειν verbunden ist. So trinken die Makedonen bei Amyntas zu dem Zeitpunkt, als Alexander das Symposion als πόσις bezeichnet (V, 19.1), nur noch widerwillig und gezwungen mit den Persern, auf eine Art, wie es ihren Sitten widerspricht. 453 Das als πόσις beschriebene und eigentlich gemeinschaftliche Trinken bei Kleisthenes von Sikyon ist Bestandteil eines Wettbewerbs unter den Freiern, die auch zugleich Teilnehmer des Symposions sind, wobei deren Gemeinschaft unter der unangebrachten Alleinunterhaltung des Hippokleides leidet (VI, 129.2). 454 Auch beim Trinkgelage im Rahmen der Erzählung über den Meisterdieb, das ebenfalls als πόσις umschrieben wird (II, 121 δ .5), ist die Gemeinschaft nur dafür entscheidend, dass der Meisterdieb sein Ziel erreichen und die Wachen betrunken machen kann. Während dieses Gelage im Gesamten als πόσις umschrieben wird, verwendet der Text συμπίνειν bei der Aufforderung der Wachen an den Meisterdieb, ihnen beim Trinken Gesellschaft zu leisten, wodurch die Betonung nur in diesem Moment explizit auf dem 451 Dafür tritt die Bezeichnung τὸ ποτόν mit der Bedeutung ‚ der Trank ‘ bzw. ‚ das Getränk ‘ dreimal in den Historien auf (II, 121 δ .5 / V, 34.1 / V, 65.1). Dabei handelt es sich bei dem durch ποτόν umschriebenen Getränk einmal um Wein (II, 121 δ .5) und zweimal um Wasser, das das Überleben während einer Belagerung sichert (V, 34.1 / V, 65.1). Τὸ ποτόν wird in der gleichen Bedeutung wie τὸ πόμα in den Historien verwendet. Als τὸ πόμα wird ebenso an einer Textstelle Wein (III, 22.3+4) und an einer weiteren Wasser (II, 108.4) umschrieben, zudem aber auch einmal Milch (III, 23.1). 452 Der Text verwendet πόσις bei der Beschreibung der besonderen Sitten der Kaunier, bei denen neben Männern auch Frauen und Kinder am Symposion teilnehmen (I, 172.1). Auch das spontan entstandene gemeinsame Trinken des Diebs mit den Wachen in der Erzählung des Meisterdiebs (II, 121 δ .5) sowie das von Kleisthenes von Sikyon veranstaltete Trinken in Gemeinschaft im Rahmen der Verlobungsfeier seiner Tochter (VI, 129.2) umschreibt der Text als πόσις . Zudem lässt der Text im Rahmen des Gastmahls der Makedonen und persischen Gesandten Alexander das an das Mahl anschließende Symposion als πόσις bezeichnen (V, 19.1). 453 Zu diesem Symposion siehe Kap. 4.2.3.4. 454 Zu diesem Symposion siehe Kap. 4.1.3.2. 122 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="123"?> gemeinsamen Trinken liegt (II, 121 δ .4). Die Trinkgemeinschaft der Kaunier, die besonders bedeutsam ist, da sie sich aus Männern, Frauen und Kindern zusammensetzt, 455 wird hervorgehoben, indem das Zusammenkommen zum gemeinsamen Trinken mit συγγίνεσθαι ἐς πόσιν (I, 172.1) umschrieben wird. Somit wird auch an dieser Stelle mit συγγίνεσθαι ein mit συν zusammengesetztes Wort verwendet, um die Gemeinschaft beim Trinken besonders hervorzuheben. 2.2.5.3 Weitere Komposita von πίνειν - διαπίνειν / καταπίνειν / ἐκπίνειν / ἐμπίνειν / ἀποπίνειν Nur an zwei Stellen in Herodots Historien umschreibt der Text das gemeinsame Trinken als eigenen Abschnitt nach dem Mahl durch eine Partizipialform und beide Male durch eine Form von διαπίνειν ( διαπίνοντες - V, 18.2 = Symposion beim Makedonen Amyntas / διαπινόντων - IX, 16.2 = Symposion beim Thebaner Attaginos). 456 Iulius Pollux bringt in seinem Onomastikon (Poll. VI, 19) διαπίνειν mit διαμιλλᾶσθαι ἐν πότῳ in Verbindung, 457 also mit Trinken um die Wette, was einen starken Weinkonsum impliziert. 458 Daraus kann folglich auf einen übermäßigen Trinkkonsum geschlossen werden. Auch Platons Gebrauch von διαπίνειν verweist auf ein damit verbundenes intensives Trinken. Er verwendet dieses Verb in seiner Politeia im Kontext der Ausführungen über die Aufgaben der Wächter und das Staatswohl, das über dem Vergnügen und Glück des Einzelnen steht. Er lässt Sokrates mit διαπίνειν das ausgelassene Trinken ausdrücken, das die Töpfer vollzögen, täte jeder in erster Linie, was ihn beglückt ( καὶ τοὺς κεραμέας κατακλίναντες ἐπὶ δεξιὰ πρὸς τὸ πῦρ διαπίνοντάς τε καὶ εὐωχουμένους , τὸν τροχὸν παραθεμένους , ὅσον ἂν ἐπιθυμῶσι κεραμεύειν , καὶ τοὺς ἄλλους πάντας τοιούτῳ τρόπῳ μακαρίους ποιεῖν , ἵνα δὴ ὅλη ἡ πόλις εὐδαιμονῇ - Plat. rep. 420e). An den beiden Stellen in Herodots Historien, an denen διαπίνειν verwendet ist, gibt es also einen impliziten Hinweis auf einen starken und ausgelassenen Weinkonsum. 459 455 Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. 456 Vgl. Fearn (2007a), S. 30/ Anm. 9. Auf diese Textstellen gehe ich bei den Einzelanalysen der jeweiligen Symposionsszenen genauer ein. Zum Symposion bei Amyntas siehe Kap. 4.2.3.4; zum Symposion bei Attaginos siehe Kap. 3.1.2. 457 Vgl. Nenci (1994), S. 178; Fearn (2007a), S. 30/ Anm. 9; Fearn (2007b), S. 101/ Anm. 6. 458 Vgl. Harrison (2019), S. 509 f. sowie διαπίνω in LSJ, S. 407: „ drink one against another, Hdt. 5.18, 9.16, Pl. R. 420e [ … ] “ . Coulet (1994, S. 64) übersetzt die Partizipialform von διαπίνειν in IX, 16.2 mit „ on boit abondamment “ . 459 Powell (1938, S. 88) dagegen gibt für διαπίνειν ausschließlich „ go on drinking after dinner “ als Übersetzung an, woran deutlich wird, dass er die Bedeutungsanalyse von διαπίνειν auf diese beiden Textstellen in den Historien beschränkt und der Implikation 2.2 Das Symposion 123 <?page no="124"?> Als weiteres Kompositum von πίνειν tritt καταπίνειν insgesamt viermal in Herodots Historien auf. Dabei sind die Akteure jedes Mal Tiere, weshalb es passend mit ‚ verschlingen ‘ oder ‚ verschlucken ‘ übersetzt werden kann. 460 Ἐκπίνειν tritt in den Historien lediglich einmal auf und ist offensichtlich mit ‚ austrinken ‘ zu übersetzen. 461 Weniger eindeutig in ihrer Übersetzung sind zwei weitere Komposita von πίνειν : das seltene ἐμπίνειν , das zweimal in den Historien verwendet wird, 462 und das noch seltener erscheinende ἀποπίνειν , das bei Herodot nur einmal und zwar in IV, 70 vorkommt. Ἐμπίνειν tritt z. B. auch in Euripides ’ Kyklops (Eur. Cycl. 336) auf, als der Kyklop seinen Bauch als Zeus bezeichnet, den er jeden Tag vollessen und volltrinken möchte. 463 Des starken Weingenusses, die sich aus Textstellen anderer Autoren erschließen lässt, keine Beachtung schenkt. 460 Eine ägyptische Kiebitzart ( ὁ τροχίλος - II, 68.5) verschlingt Blutegel aus dem Rachen eines Krokodils ( καταπίνει τὰς βδέλλας - II, 68.5). Das Krokodil wiederum verschlingt ( καταπίνει - II, 70.1) einen Schweinerücken, mit dessen Hilfe es gefangen werden kann (II, 70.2). Des Weiteren beschreibt der Text Fischschwärme, bei denen zunächst die Weibchen den Samen der Männchen zur Befruchtung aufschnappen ( ἀνακάπτουσι - II, 93.1) und später die Männchen die von den Weibchen abgegebenen Eier verschlucken ( οἱ δὲ ἔρσενες καταπίνουσι ἑπόμενοι - II, 93.2), wobei aus denen, die nicht verschluckt werden ( καὶ μὴ καταπινομένων κέγχρων οἱ τρεφόμενοι ἰχθύες γίνονται - II, 93.3), die jungen Fische entstehen. Vgl. dazu auch καταπίνω in LSJ, S. 905: „ gulp, swallow down, both of liquids and solids “ sowie Powells Übersetzung „ swallow food: of animals “ (Powell [1938], S. 188). Dass es sich hier nicht nur um ein ‚ Trinken ‘ handelt, sondern um einen vollständigen Prozess wie ‚ Verschlucken ‘ , ‚ Verschlingen ‘ oder ‚ Aufsaugen ‘ wird durch das Präfix κατα ausgedrückt (vgl. κατά in LSJ, S. 883: „ E. κατά in COMPOS., [ … ] V. freq. only to strengthen the notion of the simple word “ ). 461 In IV, 199 wird die Erntezeit im Gebiet von Kyrene beschrieben, deren zeitliche Gesamtdauer auf acht Monate festgesetzt wird (IV, 199.2). Der Text berichtet, dass bei der letzten Ernte die erste bereits ausgetrunken und aufgegessen sei ( ὥστε ἐκπέποταί τε καὶ καταβέβρωται ὁ πρῶτος καρπὸς κ αὶ ὁ τελευταῖος συμπαραγίνεται - IV, 199.2). Vgl. dazu auch ἐκπίνω in LSJ, S. 516: „ drink out or off, quaff liquor, [ … ] 2. drain a cup dry, [ … ] 4. Pass., to be absorbed “ sowie Powells Übersetzung „ drink up “ (Powell [1938], S. 111). An einer Textstelle in den Historien ist πίνειν mit der Präposition ἐκ konstruiert ( ἐκ τῆς χειρὸς διδοῖ πιεῖν καὶ αὐτὸς ἐκ τῆς τοῦ ἑτέρου πίνει - IV, 172.4). Hier wird durch ἐκ + Gen. angegeben, woraus getrunken wird. Eine Bedeutungsgleichsetzung mit ἐκπίνειν in IV, 199.2 ist inhaltlich daher nicht möglich. 462 Vor den Augen des Phanes schlachten aufgebrachte ägyptische Söldner aus Rachegründen dessen Kinder über einem Mischkrug und gießen Wein und Wasser dazu (III, 11.2 - 3). Davon trinken alle Söldner ( ἐμπιόντες δὲ τοῦ αἵματος πάντες οἱ ἐπίκουροι - III, 11.3). Auch zu einem skythischen Brauch gehört es, Blut zu trinken ( τοῦ αἵματος ἐμπίνει - IV, 64.1), und zwar das Blut von demjenigen, den ein Skythe als Erstes in seinem Leben niedergeschlagen hat (IV, 64.1). 463 Eur. Cycl. 336 - 338a: ὡς τοὐμπιεῖν γε καὶ φαγεῖν τοὐφ᾽ ἡμέραν , / Ζεὺς οὗτος ἀνθρώποισι τοῖσι σώφροσιν , / λυπεῖν δὲ μηδὲν αὑτόν . 124 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="125"?> Weiteren findet es sich auch in Aristophanes ’ Eirene (1143, 1156) 464 sowie in den Ekklesiazusen (142) 465 , wo durch ἐμπίνειν ebenfalls ein ausgiebiges Trinken beschrieben wird. Ἐμπίνειν scheint also absolut konstruiert starken Trinkkonsum ausdrücken zu können, in den Historien allerdings ist die Bedeutung ‚ von etwas trinken ‘ passender. 466 Beide Male steht es in Verbindung mit dem Trinken von Blut. Das Gleiche gilt auch für ἀποπίνειν . Denn der Text beschreibt, dass Skythen, wenn sie einen Treuebund schließen, Wein und Blut mischen, ihre Waffen in den Becher eintauchen, viel beten und von dem Trank trinken ( ἀποπίνουσι - IV, 70). Weitere Belegstellen für dieses Kompositum gibt es in der archaischen und klassischen Literatur kaum. Ein Fragment aus Kritias ’ Werk über die Verfassung der Lakedaimonier liefert allerdings einen Bedeutungshinweis für ἀποπίνειν . 467 Dort werden die unterschiedlichen Arten des 464 Nachdem der Halbchor von der schönen Zeit, die außerhalb von Kämpfen besteht, gesprochen hat, hebt der Chorführer die erholsame Zeit nach der Saat hervor, wenn sogleich Regen fällt, was zum einen ein Segen für die Saat ist und zum anderen von weiterer Arbeit abhält, sodass nun Zeit für Trinken ist ( ἐμπιεῖν ἔμοιγ᾽ ἀρέσκει τοῦ θεοῦ δρῶντος καλῶς - Aristoph. Pax 1143. Zudem möchte er auch, dass Charinades dazukommt und mittrinkt ( χἄμα τῆς αὐτῆς ὁδοῦ Χαρινάδην τις βωσάτω , / ὡς ἂν ἐμπίῃ μεθ᾽ ἡμῶν - Aristoph. Pax 1155 - 1156)). 465 Hier bewertet eine der Anwesenden beim Treffen der als Männer verkleideten Frauen, die sogleich in die Volksversammlung gehen wollen, die Beschlüsse, die dort getroffen werden als ‚ wie von Betrunkenen ‘ , außerdem schimpften sie dort, als wären sie betrunken. Dabei werden ‚ die Betrunkenen ‘ u. a. durch ἐμπεπωκότες umschrieben: νὴ τὴν Ἄρτεμιν , / καὶ ταῦτά γ᾽ εὔζωρον . τὰ γοῦν βουλεύματα / αὐτῶν , ὅσ᾽ ἂν πράξωσιν ἐνθυμουμένοις , / ὥσπερ μεθυόντων ἐστὶ παραπεπληγμένα . / καὶ νὴ Δία σπένδουσί γ᾽ · ἢ τίνος χάριν / τοσαῦτ᾽ ἂν ηὔχοντ᾽ , εἴπερ οἶνος μὴ παρῆν ; / καὶ λοιδοροῦνταί γ᾽ ὥσπερ ἐμπεπωκότες , / καὶ τὸν παροινοῦντ᾽ ἐκφέρους᾽ οἱ τοξόται (Aristoph. Eccl. 136b - 143). 466 Denn an beiden Stellen wird ἐμπίνειν mit einem Genetivobjekt konstruiert, nicht mit einem Akkusativobjekt oder absolut wie bei den genannten Beispielen aus dem Kyklops, der Eirene und den Ekklesiazusen. Dadurch ist klar, dass die Übersetzung den partitiven Genetiv rechtfertigen muss. Eine solche Konstruktion mit Genetivobjekt und der damit verbundenen Bedeutung ‚ von etwas trinken ‘ findet sich auch an zwei Stellen in den Historien, an denen das Verbum simplex πίνειν mit einem Genetivobjekt (I, 188.1 / IV, 2.1) konstruiert wird. Da ἐμπίνειν bei seinen beiden Verwendungen in Herodots Historien mit einem Genetivobjekt verbunden ist, kann diese Vokabel dort grammatikalisch und auch inhaltlich passend mit ‚ (von etwas) trinken ‘ übersetzt werden. Auch Powell sieht in den Historien keine besondere Konnotation hinter ἐμπίνειν und gibt als Übersetzung lediglich „ drink “ an (Powell [1938], S. 116). Im LSJ wird ἐμπίνειν in erster Linie auch die unkonnotierte Bedeutung „ drink “ zugeordnet, während „ drink one ’ s fill “ bei absoluter Stellung bezeugt ist (vgl. ἐμπίνω in LSJ, S. 545). Mit direktem Verweis auf die beiden Stellen in Herodots Historien ist als Bedeutung für ἐμπίνειν im LSJ (ebd.) „ to drink of the blood, Hdt. 3.11, 4.64 “ angegeben. 467 ὁ μὲν Χῖος καὶ Θάσιος ἐκ μεγάλων κυλίκων ἐπὶ δεξιά , ὁ δ᾽ Ἀττικὸς ἐκ μικρῶν ἐπὶ δεξιά , ὁ δὲ Θετταλικὸς ἐκπώματα προπίνει ὅτωι ἂν βούλωνται μεγάλα . Λακεδαιμόνιοι δὲ τὴν παρ᾽ αὑτῶι ἕκαστος πίνει , ὁ δὲ παῖς ὁ οἰνοχόος < ἐπιχεῖ > ὅσον ἂν ἀποπίηι (fr. 33 D. - K.). 2.2 Das Symposion 125 <?page no="126"?> Trinkens in verschiedenen griechischen Städten erläutert. Bei den Lakedaimoniern werde der Becher nicht im Kreis herumgegeben, sondern jeder habe seinen eigenen, der von einem Mundschenken immer wieder so weit aufgefüllt werde, wie weit er ausgetrunken worden sei. Daraus lässt sich schließen, dass durch ἀποπίνειν nicht das Leeren des Bechers ausgedrückt wird, sondern wie auch ἐμπίνειν (+ Gen.) in der Bedeutung ‚ von etwas trinken ‘ zu verstehen ist. 468 Eine Sicherheit für die Bedeutungsanalyse von ἀποπίνειν lässt sich anhand der wenigen Belegstellen aber kaum geben. 469 Dennoch kann mit Blick auf die Verwendung der Komposita von πίνειν in den Historien zusammengefasst werden, dass καταπίνειν nur in Verbindung mit Tieren als Akteuren und ἐκπίνειν nur einmal und dabei in der Bedeutung ‚ austrinken ‘ außerhalb eines Symposionskontext stehen, dass sowohl ἐμπίνειν als auch ἀποπίνειν in Verbindung mit dem Trinken von Blut in Gemeinschaft mit anderen Personen verwendet werden, aber in offensichtlichem Bezug zu einem Gastmahl nur συμπίνειν und διαπίνειν stehen. 2.2.5.4 Συνουσίη - συνεστώ Umschreibungen einer Gemeinschaft durch Vokabeln mit dem Präfix συν -, die im Zusammenhang mit einem Gastmahl stehen, finden sich neben der bereits angesprochen Trinkgemeinschaft der Kaunier (I, 172.1) 470 noch an weiteren Stellen in den Historien. Das ägyptische Symposion, das als einziges in den 468 Konstruktionen mit der Präposition ἀπό , die von πίνειν abhängen, finden sich dagegen häufiger. In Herodots Historien begegnet uns eine solche Konstruktion an zwei Stellen ( ἀπὸ τοῦ ποταμοῦ τούτου πίνουσι - II, 18.3 / κίρναται κρητῆρα οἴνου , ἀπ᾽ οὗ πίνουσι - IV, 66). Hier ist die Übersetzung ‚ aus / von etwas trinken ‘ eindeutig erkennbar. Denn in II, 18.3 ist von zwei Städten die Rede, die als ägyptisch definiert werden, da sie unterhalb von Elephantine wohnen und aus dem Nil trinken. In IV, 66 wird von einem skythischen Brauch berichtet, im Rahmen dessen es nur kriegerisch erfolgreichen Männern erlaubt ist, von dem einmal im Jahr bereitgestellten Mischkrug voll von Wein zu trinken. Sowohl der Fluss Nil als auch der mit Wein gefüllte Mischkrug der Skythen dienen als Trinkquelle für mehrere Menschen und nicht nur für einen, sodass ‚ austrinken ‘ hier keine mögliche Übersetzung ist. Das Gleiche gilt auch für die Verwendung von ἀποπίνειν in IV, 70. Dort wird erneut ein skythischer Brauch beschrieben. Es wird berichtet, wie in einem Becher Wein und Blut gemischt werden, aus dem dann wiederum mehrere Personen trinken. So findet man zumindest für Herodots Historien bei der Verwendung von ἀποπίνειν in IV, 70 eine Übereinstimmung in der Bedeutung zu der von πίνειν + ἀπό . 469 Die Übersetzung ‚ von etwas. trinken ‘ bzw. ‚ aus etwas trinken ‘ widerspricht der von Powell (1938, S. 42) angegebenen Bedeutung von ἀποπίνειν . Er übersetzt es - wie auch ἐκπίνειν (Powell [1938], S. 111) - mit „ drink up “ . Auch im LSJ wird als Bedeutung ‚ austrinken ‘ angegeben und dafür auf diese Textstelle in Herodots Historien verwiesen (vgl. ἀποπίνω in LSJ, S. 212: „ drink up, drink off, Hdt. 4.70 “ ). 470 Darauf, dass in I, 172.1 durch συγγίνεσθαι ἐς πόσιν die Trinkgemeinschaft betont wird, wurde bereits in Kap. 2.2.5.2 hingewiesen. 126 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="127"?> Historien als τὸ συμπόσιον bezeichnet wird (II, 79.1), umschreibt der Text zuvor auch mit συνουσίη ( ἐν δὲ τῇσι συνουσίῃσι τοῖσι εὐδαίμοσι αὐτῶν - II, 78.1). Συνουσίη bildet für sich alleine gestellt nicht explizit ein gemeinsames Trinken oder Essen ab, sondern drückt in erster Linie ein Zusammensein aus, das eine Gemeinschaft impliziert, aber noch keine klar definierte Aktivität umfasst. 471 Der Text verwendet diesen Begriff auch im Rahmen seiner Erzählung vom Verlobungswettbewerb der Freier um Agariste. Dort wird die συνουσίη sozusagen der ‚ Ort ‘ , an dem Kleisthenes mit jedem einzelnen Freier und auch mit allen gemeinsam zusammentritt, um den besten Schwiegersohn auszumachen ( καὶ ἑνὶ ἑκάστῳ ἰὼν ἐς συνουσίην καὶ συνάπασι - VI, 128.1). So wird ersichtlich, dass das Zusammensein von zwei Personen bereits als συνουσίη bezeichnet werden kann. Eine Variante von συνουσίη , nämlich συνεστώ , 472 wird als Ausdruck für Zusammensein nach Wilsons, Hudes und Roséns Textausgaben ebenfalls beim Verlobungswettbewerb um Agariste verwendet ( ἐν τῇ συνεστοῖ διεπειρᾶτο - VI, 128.1). Neben der Lesart συνεστοῖ gibt es eine andere ebenfalls mit dem Präfix συν gebildete überlieferte Bezeichnung dieses Zusammenseins mit klarer Verbindung zu einem gemeinsamen Mahl, nämlich συνεστίῃ ( ἐν τῇ συνεστίῃ διεπειρᾶτο - VI, 128.1). 473 Der Text würde gemäß dieser Lesart berichten, dass es Kleisthenes am wichtigsten war ( καὶ τό γε μέγιστον - VI, 128.1), das Verhalten der Freier bei der gemeinsamen Bewirtung zu untersuchen. 474 Aus der von Wilson, Hude und Rosén vertretenen Lesart συνεστοῖ ist noch nicht eindeutig zu schließen, ob es sich um eine Bewirtung handelt, der 471 Vgl. dazu συνουσία in LSJ, S. 1723: „ being with or together, esp. for purposes of feasting or conversing, social intercourse, society, Hdt. 6.128 [ … ] II. in concrete sense, a society, company, party, Hdt. 2.78 (pl.) [ … ] “ . 472 Vgl. dazu συνεστώ in LSJ, S. 1712: „ ( σύνειμι ) = συνουσία II, living together, ἐν τῇ συνεστοῖ Hdt. 6.128; cf. ἀπεστώ , εὐεστώ . “ 473 Überliefert ist die Lesart συνεστίῃ laut Wilson, Hude und Rosén in der Handschrift A (Laurentianus plut. 70.3). Hude und Rosén geben weitere Handschriften an, die diese Lesart (bzw. ξυνεστίῃ ) führen, die allerdings von Wilson als „ rarius citantur “ (Wilson [2015a], S. 2) gekennzeichnet sind. Die Manuskripte der zweiten Abstammungslinie, welche Wilson (ebd.) mit dem Siglum d bezeichnet, bezeugen nach Wilsons Ausgabe συνεστοῖ . Eine weitere von Hude und Rosén angeführte Lesart συνέσει ist lediglich in der Handschrift S (Cantabrigiensis, Collegii Emmanuelensis 30) überliefert (Benennungen der Handschriften nach Wilson [2015a], S. 2). Rosén gibt als alternative Lesart darüber hinaus συνετοῖ an. 474 Ἱστίη bezeichnet im engen Sinn das „ Herd(feuer) “ , das als „ räuml. u. kult. Mitte von Haus und Hausgemeinsch. “ (Nordheider zu ἱστίη in LfgrE, vol. 2, Sp. 1249) anzusehen ist. Darüber hinaus kann es u. a. auch den Haushalt und die Familie bezeichnen (vgl. ἑστία in LSJ, S. 698: „ hearth of a house, [ … ] 3. household, family “ ). Συνεστία kann im übertragenen Sinn also eine Bewirtung bezeichnen, da mehrere Personen zusammen an einem gemeinsamen Herd versammelt sind. 2.2 Das Symposion 127 <?page no="128"?> zum wichtigsten Ort für seine Entscheidung wird oder um eine andere Art des Zusammenseins. 475 Aufgrund des Präfixes allerdings bleibt sicher, dass es sich um eine gemeinschaftliche Aktivität handelt. 2.2.5.5 Δαίς - δαινύναι Das gemeinsame Mahl oder deren Teilnehmer werden in Herodots Historien des Öfteren mit den Begriffen δαίς oder δαινύναι sowie δαιτυμών umschrieben. So wird z. B. das Mahl der Perser, das am Geburtstag gewöhnlich größer ausfällt, als δαίς bezeichnet (I, 133.1). Zudem lässt der Text Kroisos das Mahl, das im Zuge einer List den Massageten bereitet werden soll, als δαίς umschreiben (I, 207.6 / I, 211.2). 476 Als die Massageten das Mahl zu sich nehmen, wird ἐδαίνυντο verwendet (I, 211.2). Den Harpagos beschreibt der Text als Meder, dem Astyages ein frevelhaftes Mahl bereitete, und verwendet dabei eine Form von δαινύναι ( τὸν ὁ Μήδων βασιλεὺς Ἀστυάγης ἀνόμῳ τραπέζῃ ἔδαισε - I, 162.1). Zudem wird der Vorgang des gemeinsamen Speisens der Mörder von Nitokris ’ Bruder mit δαινύμενοι (II, 100.3) umschrieben. Die Gäste bei Kyaxares (I, 73.6), die Teilnehmer am Harpagos-Mahl (I, 119.4), die Gäste des Amasis (II, 172.3), auch die im Zuge der Beschreibung der nasamonischen Sitten vorkommenden Gäste (IV, 172.2) sowie die Teilnehmer am spartanischen Opfermahl (VI, 57.1) werden δαιτυμόνες genannt. Die bei dem Thebaner Attaginos speisenden bzw. hier vor allem trinkenden Männer umschreibt 475 Sowohl συνεστίη als auch συνεστώ sind in Herodots Historien lediglich hier bezeugt. Daneben treten auch εὐεστώ (I, 85.1) und ἀπεστώ (IX, 85.3) jeweils nur einmal in den Historien auf (vgl. McQueen [2000], S. 218), sodass auch die einmalige Verwendung von συνεστώ nicht überraschen würde. Auch inhaltlich kann keine eindeutige Entscheidung für eine der beiden Lesarten getroffen werden. Die Lesart συνεστίῃ würde die gemeinschaftliche Tätigkeit, in der Kleisthenes die Freier testen möchte, im Text bereits im Vorhinein definieren und damit das Verhalten in der Symposionsgemeinschaft explizit zur Wettbewerbsdisziplin machen. Aus diesem Grund zieht West (2015, S. 19/ Anm. 45) die Lesart συνεστίῃ vor und Hornblower/ Pelling (2017, S. 282) folgen ihrer Ansicht: „ [ … ] in view of the emphasis on feasting together, the alternative reading συνεστίηι should perhaps be preferred “ . Doch auch die Lesart συνεστοῖ ist inhaltlich nicht zu verwerfen. Denn durch diese wird betont, dass sich der wichtigste Punkt des Wettbewerbs auf das Verhalten in der Gemeinschaft bezieht, das auch das Verhalten bei der sozialen Interaktion im Symposion miteinschließt, wo sich Hippokleides letztlich den Sieg im Wettbewerb ‚ vertanzt ‘ (VI, 129). Lavelle (2014, S. 339) sieht in συνεστώ eine Anspielung auf Hippokleides ’ späteres Scheitern im Wettbewerb: „ Above all, he tested them for ‘ sociability ’ ( συνεστώ ) - the last accented as a set-up for Hippokleides ’ failure. “ Insgesamt kann keine der beiden Lesarten ausgeschlossen werden. Siehe zur Analyse dieses Symposions Kap. 4.1.3.2. 476 Hier ist ein Bezug auf die Bedeutung erkennbar, die δαίς als Ausdruck einer Mahlgemeinschaft in Homers Epen zukommt. Latacz (1994, S. 359) bezeichnet sie als „ Vorgänger-Institution “ des Symposions. 128 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="129"?> der Text ebenso als οἱ δαινύμενοι (IX, 16.3). Da also die Bezeichnung der Gäste beim Gastmahl des Attaginos als οἱ δαινύμενοι (IX, 16.3) erst fällt, als sich das Gastmahl bereits im Abschnitt des Symposions befindet ( ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἦσαν , διαπινόντων - IX, 16.2), wird ersichtlich, dass durch οἱ δαινύμενοι auch Personen umschrieben werden können, die gemeinsam Wein trinken. Als öffentliches Mahl nach einem Opfer verwendet der Text den Begriff δαίς in II, 40.4 im Zuge der Beschreibung eines ägyptischen Opfers sowie in IV, 26.1 beim Bericht über den Opferritus nach einem Todesfall bei den Issedonen. Der Text drückt außerdem in Verbindung mit dem sogenannten τράπεζα τοῦ ἡλίου bei den Aithiopiern das Verzehren der dort verteilten Fleischstücke mit δαίνυσθαι aus (III, 18). Immer wenn der Text also ein Wort mit etymologischer Verbindung zu δαίεσθαι im Zuge der Beschreibung eines Mahls oder Symposions verwendet, wird der gemeinschaftliche Charakter des Mahls oder Trinkens durch das damit verbundene Teilen der Speisen bzw. des Weins hervorgehoben. 477 Der Text unterscheidet dabei insgesamt nicht, ob es sich um ein Opfermahl oder ein aus anderen Gründen veranstaltetes Mahl oder Symposion handelt. 478 477 Sowohl δαινύναι als auch δαίς und damit auch das zugehörige δαιτυμών stehen in etymologischer Verbindung zu δαίεσθαι , das die Grundbedeutung ‚ (zer-)teilen ‘ hat (vgl. Führer zu δαίομαι in LfgrE, vol. 2, Sp. 201). Als Grundbedeutung für δαίς gibt Führer im LfgrE „ Anteil [ … ] am gemeins. Opfermahl, für jeden Teilnehmer gleiche Portion “ an (vgl. auch Bruit Zaidman [1995], S. 197 f.), woraus sich die Bedeutung „ (Fest-)Mahl “ entwickelt hat (Führer zu δαίς in LfgrE, vol. 2, Sp. 202), und für δαινύναι als Nebenform zu δαίεσθαι nennt Führer die Bedeutung „ (aus)teilen “ (Führer zu δαίνυμι in LfgrE, vol. 2, Sp. 200). Somit ist bei einem Mahl, das als δαίς bezeichnet oder durch verwandte Ausdrücke umschrieben wird, ein dortiges ‚ Teilen ‘ impliziert; vgl. auch Schmitt Pantel (1992, S. 5), die δαῖς als „‘ le repas où l ’ on partage ’“ definiert, sowie Runding (1996), S. 187 f. Coulet (1994, S. 61 mit Anm. 17) übersetzt δαῖς als „‘ le banquet ’“ und nennt als eigentliche Bedeutung für δαῖς „‘ le repas où chacun a sa part ’“ . Die Betonung liegt bei diesen Ausdrücken neben dem Teilen untereinander also auch darauf, dass jedem das ihm Gebührende zugeteilt wird. Besonders deutlich wird dies in V, 20.4, als Alexander die Bewirtung der persischen Gesandten durch πανδαισίῃ τελείῃ ἱστιῆσθαι umschreibt. Er möchte damit zum einen hervorheben, dass es sich um ein Mahl handelt, bei dem er mit seinen Gästen alles teilt - auch die Frauen - , zum anderen weist die Bezeichnung aber auch darauf hin, dass den Persern alles zuteilwird, was sie verdienen, wie er dann auch im Folgenden erläutert (zur Analyse dieses Symposions siehe Kap. 4.2.3.4). 478 Als δαίς werden in Herodots Historien nicht nur Opfermähler (vgl. dazu Anm. 477), sondern auch Bankette unabhängig von Opferfeiern bezeichnet. Powell (1938, S. 72) bietet als Übersetzung von δαίς lediglich „ a feast “ und lässt den Kontext einer δαίς somit variabel. Auch das zugehörige Verb δαινύναι ist in seiner Bedeutung nicht auf das Speisen beim Opfermahl beschränkt; vgl. dazu δαίνυμι in LSJ, S. 366. Powell (1938, S. 72) gibt als Übersetzung für δαινύναι lediglich „ act. feast a person [ … ]; med. dine “ an. Ebenso bleibt δαιτυμών in der Bedeutung ‚ Gast ‘ unabhängig vom Kontext eines Opferfestes (siehe δαιτυμών in LSJ, S. 366: „ one that is entertained, guest “ sowie Powells [1938, S. 72] 2.2 Das Symposion 129 <?page no="130"?> 2.2.5.6 Δεῖπνον - δειπνίζειν Wie schon zuvor erwähnt, 479 war der Begriff δεῖπνον für die erste Hälfte des griechischen Gastmahls geläufig, worauf das Symposion folgte. Nun soll untersucht werden, wie diese Bezeichnung in Herodots Historien verwendet wird. Durch die Phrase ἀπὸ δείπνου γίγνεσθαι / εἶναι legt der Text an vier Stellen, bei denen auf diese Phrase ein gemeinsames Trinken folgt, nahe, dass auch nach dem Verständnis von Herodots Historien bei einem Gastmahl das Deipnon dem Symposion vorausgeht und als eigenständiger Teil zunächst abgeschlossen werden muss, bevor mit dem Symposion begonnen werden kann. Das trifft z. B. auf die Unterteilung des Gastmahls bei Attaginos zu ( ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἦσαν , διαπινόντων - IX, 16.2). 480 Attaginos lädt zu diesem gesamten Gastmahl zunächst zum einen mit der Formulierung ἐκάλεε ἐπὶ ξείνια (IX, 15.4) ein, womit sowohl Deipnon als auch Symposion eingeschlossen sind, 481 zum anderen bezeichnet er das Gastmahl im Gesamten aber auch als δεῖπνον ( ἦν δὲ τὸ δεῖπνον ποιεύμενον ἐν Θήβῃσι - IX, 15.4), wie auch Thersandros davon berichtet, dass er von Attaginos zu diesem δεῖπνον eingeladen worden sei ( κληθῆναι [ … ] ἐπὶ τὸ δεῖπνον τοῦτο - IX, 16.1). Hier wird das Deipnon also zweimal als pars pro toto für das Gastmahl inklusive Symposion verwendet und einmal lediglich für den Abschnitt des Mahls ( ὡς δὲ ἀπὸ Übersetzung „ guest at a feast “ ). Für eine ausführliche Analyse der Bedeutung von δαίς und verwandten Ausdrücken in Homers Epen siehe Runding (1996), bes. S. 186 - 192. 479 Siehe Kap. 2.2.3.1. 480 An dieser sowie an den drei weiteren Stellen liefern die Historien einen Hinweis darauf, dass in dem an das Deipnon anschließenden Abschnitt getrunken wird, sodass daraus mit großer Sicherheit auf ein Symposion geschlossen werden kann, auch wenn es nicht immer explizit erwähnt wird: II, 78 - 79.1: ἐπεὰν ἀπὸ δείπνου γένωνται , περιφέρει ἀνὴρ νεκρὸν ἐν σορῷ ξύλινον πεποιημένον [ … ]. ταῦτα μὲν παρὰ τὰ συμπόσια ποιεῦσι . / V, 18.2: ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἐγίνοντο , διαπίνοντες εἶπαν οἱ Πέρσαι τάδε · / VI, 129.2: ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἐγίνοντο , οἱ μνηστῆρες ἔριν εἶχον ἀμφί τε μουσικῇ καὶ τῷ λεγομένῳ ἐς τὸ μέσον . προϊούσης δὲ τῆς πόσιος [ … ]. An einer fünften Stelle verwendet der Text die Formulierung ἀπὸ δείπνου im Zuge von Kyros ’ erfolgreichem Versuch, die Meder vom Abfall von Astyages zu überzeugen. Er stellt harte Arbeit und üppiges Mahl gegenüber (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2). Nach dem Mahl ( ἐπείτε δὲ ἀπὸ δείπνου ἦσαν - I, 126.3) folgt hier allerdings kein Symposion, sondern Kyros ’ Frage, für welche Seite sich die Meder nun entscheiden - für seine oder die des Astyages. Daraus ist zu schließen, dass die Perser bereits zum Essen während des Deipnons ausgiebig Wein trinken, denn auch Wein besorgt Kyros für die Umsetzung seines Plans ( ὡς δεξόμενος < τούτοισι > τὸν Περσέων στρατόν , πρὸς δὲ οἴνῳ τε καὶ σιτίοισι ὡς ἐπιτηδεοτάτοισι - I, 126.2). Zur Verwendung von ἀπὸ δείπνου in Herodots Historien vgl. auch Coulet (1994), S. 61 f. 481 Zur Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν siehe Kap. 2.2.5.9. 130 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="131"?> δείπνου ἦσαν , διαπινόντων - IX, 16.2). 482 Denn dass ein Symposion folgt, das am selben Ort stattfindet, ist beim Gastmahl des Attaginos offensichtlich. 483 Davon abgesehen verwendet der Text den Ausdruck Deipnon auch an anderen Textstellen als selbstständigen Ort unabhängig von einem nachfolgenden Symposion. Dies ist immer dann der Fall, wenn bei einem Treffen das Mahl - somit das Deipnon - im Mittelpunkt steht und es für die Handlung nicht entscheidend ist, ob ein Symposion folgt. 484 Das gilt auch für die Textstellen, an denen das zu δεῖπνον gehörige Verb δειπνίζειν in Herodots Historien auftritt. 485 Der Text gebraucht δειπνίζειν insgesamt nur zweimal und dies innerhalb desselben Kapitels (VII, 118), wo es die aufwendige Bewirtung von Xerxes ’ Heer umschreibt. Außerdem wird an den Textstellen in Herodots Historien das 482 Bei dem Gastmahl, zu dem Amyntas die persischen Gesandten ebenfalls mit der Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν einlädt, wird speziell das Festmahl, auf das dann das Symposion folgt (V, 18.2), als Deipnon bezeichnet ( καί σφεας ἐπὶ ξείνια καλέει , παρασκευασάμενος δὲ δεῖπνον μεγαλοπρεπὲς ἐδέκετο τοὺς Πέρσας φιλοφρόνως - V, 18.1). Hier ist δεῖπνον also auch ausschießlich auf den ersten Teil des Gastmahls zu begrenzen. Bei der kurz danach wiedergegebenen Aussage eines persischen Symposionsteilnehmers, der betont, dass in Persien gewöhnlich auch Frauen an einem großen Deipnon teilnehmen ( ἐπεὰν δεῖπνον προτιθώμεθα μέγα - V, 18.2), bleibt ungewiss, ob durch Deipnon auch an dieser Textstelle nur das Mahl bezeichnet wird oder das Gastmahl im Gesamten, womit auch das Symposion miteingefasst wäre; siehe zur ausführlichen Analyse dieses Symposions Kap. 4.2.3.4. 483 Zur Analyse dieses Symposions siehe Kap. 3.1.2. 484 So fordert Astyages Harpagos auf, zu ihm zum Mahl, zum Deipnon, zu kommen ( πάρισθί μοι ἐπὶ δεῖπνον - I, 118.2; noch an weiteren vier Stellen wird dieses Harpagos-Mahl als Deipnon bezeichnet (I, 119.1 / I, 119.4 / I, 129.1 / I, 129.3). Gerade hier sind die Geschehnisse während des Mahls entscheidend (siehe dazu Kap. 4.2.3.2.2). Da Harpagos direkt nach dem Mahl nach Hause geht (I, 119.7), kann es ohnehin zumindest für ihn nicht mehr zu einem Symposion kommen. In I, 133.2 wird beschrieben, wie die Perser behaupten, die Griechen stünden noch mit Hunger vom Essen auf, da sie nach der Hauptmahlzeit nichts mehr bekämen, was der Rede wert sei ( καὶ διὰ τοῦτο φασι Πέρσαι τοὺς Ἕλληνας σιτεομένους πεινῶντας παύεσθαι , ὅτι σφι ἀπὸ δείπνου παραφορέεται οὐδὲν λόγου ἄξιον - I, 133.2). Das Deipnon ist hier klar als Ausdruck für das Mahl, bei dem die Hauptmahlzeit serviert wird, definierbar; vgl. dazu auch Anm. 499. In V, 105.2, als Dareios einem seiner Diener befiehlt, ihm beim Mahl zuzurufen, dass er an die Athener denken solle ( δείπνου προκειμένου - V, 105.2), ist es unerheblich, ob ein Symposion folgt. Das gilt auch für VI, 57.1+3. Denn dort werden die Vorrechte der spartanischen Könige u. a. rund um das Mahl beschrieben, das jeweils als Deipnon bezeichnet wird. Und auch das Königsmahl des Xerxes wird als Deipnon umschrieben ( βασιλήιον δεῖπνον προτιθέμενον - IX, 110.2; βασιληίου δείπνου προκειμένου - IX, 111.1). Dort ist ein Brauch entscheidend, der mit dem Mahl zusammenhängt, und nicht, ob ein Symposion folgt oder nicht (siehe dazu Kap. 4.2.3.2.3). Auch bei den Textstellen, bei denen die Bewirtung des persischen Heeres und damit auch die des Xerxes als Deipnon beschrieben wird (VII, 118 / VII, 119.1+4 / VII, 120.2), ist in erster Linie das Mahl entscheidend, da es die notwendige Ernährung bietet. 485 Vgl. dazu δειπνίζω in LSJ, S. 375: „ entertain at dinner “ . 2.2 Das Symposion 131 <?page no="132"?> Gastmahl bzw. Festmahl als Einheit mit dem Ausdruck Deipnon bezeichnet, als eine Stadt im übertragenenen Sinn als Festmahl umschrieben wird, 486 als es zum Anzeiger für die Lebenssituation, 487 zum Zeichen des Untergebenseins, 488 aber auch zum Ausdruck von Dank wird. 489 Hier ist eben das Festmahl im Gesamten entscheidend, nicht die Aufteilung in Mahl und Symposion. Ähnlich der Formel ἐπὶ ξείνια καλέειν existiert in Herodots Historien mehrfach die Formel ἐπὶ δεῖπνον καλέειν ( Ι , 119.1 - Einladung des Harpagos zu Astyages; ΙΙΙ , 42.2 - Einladung des Fischers zu Polykrates; VI, 57.3 - Einladung der spartanischen Könige zu Privatleuten; IX, 16.1 - Einladung des Thersandros und 50 Thebanern zu Attaginos) sowie einmal πάρισθί μοι ἐπὶ δεῖπνον ( Ι , 118.2 - Einladung des Harpagos zu Astyages), um eine Einladung zum Mahl zu umschreiben. Im Gegensatz zur Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν liegt dabei jedoch der Schwerpunkt weniger auf der mit dem Gastmahl verbundenen Gastfreundschaft als vielmehr auf dem Mahl an sich. 490 Hier muss in jedem Einzelfall aus dem Kontext erschlossen werden, ob das δεῖπνον ein Gastmahl mit Symposion umschreibt oder ob es sich lediglich auf das reine Mahl bezieht. Zwar kann ein Deipnon nicht generell auf eine bestimmte Tageszeit festgesetzt werden, 491 an dessen Belegstellen in den Historien allerdings zeigt sich, dass mit einem Deipnon ein größeres und aufwendigeres Mahl verbunden ist, sodass darunter die Hauptmahlzeit des Tages verstanden werden kann. 492 Zudem wird an einer Stelle δεῖπνον gezielt von ἄριστον abgegrenzt. 493 In 486 In einem Orakelspruch an die Milesier wird u. a. erwähnt, dass Milet zum Mahl und herrlichen Geschenk für viele werde ( πολλοῖσιν δεῖπνόν τε καὶ ἀγλαὰ δῶρα γενήσῃ - VI, 19.2). 487 Vgl. dazu I, 126.3 und IX, 82.1 - 3. 488 Xerxes schickt Herolde nach ganz Griechenland - außer nach Athen und Sparta - , die nach Erde und Wasser verlangen und die Griechen auffordern sollen, dem König ein Mahl zu bereiten ( καὶ προερέοντας δεῖπνα βασιλέϊ παρασκευάζειν - VII, 32). Das Bereiten des Mahls wird hier zur Gabe an den König, aber zugleich zum Zeichen der Unterwerfung. 489 Polykrates lädt einen Fischer zum Dank zum Mahl ein ( καί σε ἐπὶ δεῖπνον καλέομεν - III, 42.2). 490 Zur Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν siehe Kap. 2.2.5.9. 491 Vgl. dazu auch die unterschiedlichen Bedeutungen von δεῖπνον in LSJ, S. 375: „ meal: in Hom. sts. noonday meal [ … ]; sts. = ἄριστον , morning meal [ … ]; sts. = δόρπον , evening meal [ … ]; later, the midday meal [ … ]; later, the afternoon meal, dinner or supper [ … ] “ . Dazu auch Schmitt Pantel (1992), S. 5 sowie Runding (1996), S. 185 mit Anm. 12. 492 Vgl. dazu Powells (1938, S. 80) Übersetzung von δεῖπνον als „ evening and principal meal [ … ]; generally, dinner, feast “ . 493 Vgl. Powell (1938), S. 46 (s. v. ἄριστον ), S. 80 (s. v. δεῖπνον ). Megakreon von Abdera rät den Bewohnern von Abdera, als Schutzflehende darum zu bitten, Xerxes möge nicht zweimal am Tag Nahrung aufnehmen ( ὅτι βασιλεὺς Ξέρξης οὐ δὶς ἑκάστης ἡμέρης 132 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="133"?> Herodots Historien wird δεῖπνον somit in der Bedeutung ‚ Mahl ‘ für eine Hauptmahlzeit verwendet, die nicht in der Früh oder frühen Mittagszeit stattfindet. 494 Als Deipnon kann der Text in Herodots Historien also sowohl einzelne Gastmähler mit Symposion bezeichnen als auch einmalige Mähler ohne anschließendem Symposion und generell Mahlzeiten in den ethnographischen Beschreibungen. 495 Es zeigt sich zudem, dass bei Mählern, die in den Historien als Deipnon benannt werden, die Teilnahme mehrerer Personen gewöhnlich ist, auch wenn eine Gemeinschaft nicht explizit erwähnt wird. 496 2.2.5.7 Der Vorgang des Essens ( σιτέεσθαι / ἐσθίειν / βιβρώσκειν / πατέεσθαι / ἔδειν / τρώγειν / βόσκεσθαι / τρέφεσθαι ) Nicht nur dem Mahl, sondern auch dem Vorgang des Essens selbst können mithilfe einer Vielzahl der dafür im Altgriechischen vorhandenen Vokabeln unterschiedliche Bedeutungsnuancen zugewiesen werden. Auch der Text in Herodots Historien verwendet einige davon, die ich nun analysieren möchte. In ἐνόμισε σῖτον αἱρέεσθαι - VII, 120.1). Denn wenn sie außer des Deipnons auch noch ein üppiges Frühstück (= ἄριστον ; vgl. Anm. 494) bereiten müssten ( εἰ καὶ ἄριστον προείρητο ὁμοῖα τῷ δείπνῳ παρασκευάζειν - VII, 120.2), müssten sie entweder vor der Ankunft des Xerxes fliehen oder fielen in allergrößte Not (VII, 120.2). Dafür, dass ein Deipnon im Verständnis von Herodots Historien am Abend stattfindet, spricht auch die Verwendung in V, 18.1 - 2. Denn im an das Deipnon anschließenden Symposion wird von der späten Abendzeit gesprochen ( νῦν δὲ , σχεδὸν γὰρ ἤδη τῆς κοίτης ὥρη προσέρχεται ὑμῖν - V, 20.2). 494 Ein ἄριστον beschränkt sich auf das Mahl in der Früh oder Mittagszeit; vgl. dazu Powells (1938, S. 46) Übersetzung von ἄριστον : „ the earlier meal of the day “ . Scott (2005, S. 300) ist der Meinung, dass ἄριστον in Homers Epen Frühstück bedeutet, in Herodots Historien aber wohl eine Mahlzeit bezeichnet, die um die Mitte des Tages eingenommen wird; vgl. dazu auch ἄριστον in LSJ, S. 241. Δεῖπνον bei Homer bezeichnet dagegen besonders die Mahlzeit am Tag und steht dort δόρπον , der Mahlzeit am Abend, gegenüber (siehe dazu Führer zu δεῖπνον in LfgrE, vol. 2, Sp. 239 sowie zu δόρπον in LfgrE, vol. 2, Sp. 335). Δόρπον ist bei Herodot nicht bezeugt. 495 Vgl. Coulet (1994), S. 61/ Anm. 17. 496 So kann mit Recht behauptet werden, dass mit dem Begriff δεῖπνον Gemeinschaft impliziert wird (vgl. dazu Klinghardt [1996], S. 30 bzw. in der vorliegenden Arbeit Kap. 2.2.3). Das wiederum bedeutet für die Untersuchung der Gastmähler in Herodots Historien, dass bei den Mählern, die als δεῖπνα bezeichnet werden, auch wenn kein Teilnehmerkreis genannt ist - weil es z. B. für die Funktion des jeweiligen Mahls nicht nötig ist - geschlossen werden kann, dass die Teilnahme mehrerer Personen durchaus möglich ist. Das bedeutet also z. B. für die Deipna, die Pausanias zum Vergleich der Lebenssituation gestalten lässt (IX, 82), dass man sich wohl einen Tisch für mehrere Personen vorbereitet vorstellen muss. 2.2 Das Symposion 133 <?page no="134"?> Kapitel III, 25 stehen Nahrungsmittelknappheit und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Essverhalten im Fokus, sodass dieses Kapitel nun als Erläuterungshilfe dienen soll. Dort wird berichtet, wie Kambyses übereilt einen Feldzug gegen die Aithiopier unternimmt, ohne für die Ausrüstung mit Lebensmitteln vorzusorgen ( οὔτε παρασκευὴν σίτου οὐδεμίαν παραγγείλας - III, 25.1). 497 Noch bevor ein Fünftel des Weges, der dafür zurückgelegt werden muss, geschafft ist, gehen die Lebensmittel aus ( αὐτίκα πάντα αὐτοὺς τὰ εἶχον σιτίων ἐχόμενα ἐπελελοίπεε - III, 25.4). Σῖτος und σιτίον werden hier zur Bezeichnung der Grundnahrungsmittel für die Verpflegung des Heeres verwendet. Eine Speise, die im Rahmen eines Mahls verzehrt wird, wird dagegen bei Herodot - im Verhältnis zu der Häufigkeit ihrer Verwendung in den Historien - 498 nur in wenigen Fällen durch σιτίον oder σῖτος ausgedrückt. 499 Von σῖτος ist das Verb σιτέεσθαι abgeleitet. 500 Wie σῖτος , das im engen Sinn eine oder mehrere nicht klar definierte „ Getreideart(en? ) “ 501 ausdrückt und „ im 497 Vgl. dazu Schelske (2021), S. 186 f. 498 Siehe dazu Anm. 503. 499 Dies ist z. B. der Fall, als Kroisos Kyros rät, er solle den Massageten im Rahmen einer List ein reichliches Mahl mit Wein bereiten, um sie betrunken zu machen, und sagt, dass zusätzlich zu dem geschlachteten Vieh und dem Wein auch noch allerlei andere Speisen (= σιτία ) vorbereitet werden sollen ( τῶν προβάτων ἀφειδέως πολλὰ κατακόψαντας καὶ σκευάσαντας προθεῖναι ἐν τῷ στρατοπέδῳ τῷ ἡμετέρῳ δαῖτα , πρὸς δὲ καὶ κρητῆρας ἀφειδέως οἴνου ἀκρήτου καὶ σιτία παντοῖα - I, 207.6). Σιτίον bezeichnet hier also eine Speise, die im Kontext eines Mahls steht, für das die Gemeinschaft aber unerheblich ist. Die als σιτία umschriebenen Speisen grenzen sich an dieser Textstelle zudem klar von den Fleischgerichten ab, sodass angenommen werden kann, dass hier durch σιτία Speisen beschrieben werden, die aus Getreide hergestellt werden (siehe dazu Anm. 502). Dies kann aber nicht als generelle Tatsache verstanden werden. Denn meistens werden die Nahrungsmittel, die in den Historien durch σῖτος oder σιτίον ausgedrückt werden (siehe dazu Anm. 503), nicht näher beschrieben und auch das zugehörige Verb ( κατα -) σιτέεσθαι ist nicht auf fleischlosen Verzehr beschränkt (siehe dazu Anm. 510). Zudem kann σῖτος im Rahmen von Mahlzeiten nicht nur als ‚ Nebenspeise ‘ verstanden werden, auch wenn dessen Verwendung in I, 207.6 den Anschein dazu macht. Das wird in I, 133.2 deutlich, als davon berichtet wird, dass die Perser wenige Speisen ( σίτοισι δὲ ὀλίγοισι χρέωνται - I, 133.2) haben, dafür aber zahlreiche Nachspeisen ( ἐπιφορήμασι δὲ πολλοῖσι καὶ ο ὐκ ἁλέσι - I, 133.2). Hier kann aus der Abgrenzung des σῖτος von ἐπιφόρημα geschlossen werden, dass σῖτος eine Hauptmahlzeit bezeichnet; vgl. Anm. 163 (S. 270) zu Ley-Huttons Übersetzung des ersten Buches (2007a). Die beiden weitere Textstellen, an denen σῖτος bzw. σιτίον die Nahrung bezeichnet, die bei einem Mahl aufgenommen wird, sind in I, 126.2 (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2) sowie VII, 120.1 (vgl. dazu Anm. 493) zu finden. Auch an diesen Stellen ist das gemeinschaftliche Speisen für die Erzählung nicht von Bedeutung. 500 Vgl. dazu σιτέω in LSJ, S. 1601: „ ( σῖτος ): - take food, eat “ . 501 Langholf zu σῖτος in LfgrE, vol. 4, Sp. 129. 134 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="135"?> weiteren Sinne Getreide, Brot, Nahrung, Essen “ 502 beschreibt, 503 steht auch σιτέειν bzw. σιτέεσθαι mit diesen Grundnahrungsmitteln in Verbindung. Σιτέεσθαι bezeichnet also keine Luxusmahlzeit, sondern in erster Linie ein Speisen, das aus der Notwendigkeit zur Nahrungsaufnahme heraus geschieht. Das trifft auch auf dessen Verwendung in Herodots Historien zu. 504 Darüber hinaus wird es in den Historien auch bei der Beschreibung von Ernährungsgewohnheiten verwendet. 505 Manchmal tritt σιτέεσθαι auch auf, um den Vorgang des Konsumierens ohne eine klar erkennbare Bedeutungsnuance auszudrücken. 506 Lediglich an einer Stelle wird durch die Verwendung von 502 Langholf zu σῖτος in LfgrE, vol. 4, Sp. 129. Vgl. dazu auch σῖτος in LSJ, S. 1602: „ grain, [ … ] 2. food made from grain, bread [ … ] 3. in a wider sense, food, as opp. to drink [ … ]; provisions [ … ] 4. rarely of beasts, fodder [ … ] - In the general sense of food, Prose writers prefer the dim. form σιτία , τά . “ 503 Vgl. auch Bruit Zaidman (1995), S. 197. Die Bedeutungen für σῖτος und σιτίον (meist σιτία ) in den Historien sind fast ausschließlich auf die Umschreibung von Speisen, die als Grundnahrungsmittel dienen, bzw. auf die allgemeine Bedeutung ‚ Lebens- ‘ bzw. ‚ Nahrungsmittel ‘ begrenzt ( σῖτος : I, 21.2 / I, 22.1 / II, 140.1 / III, 25.1 / III, 150.2 / III, 159.2 / zweimal in IV, 128.2 / V, 34.1 / V, 65.1 / VI, 52.7 / VII, 21.2 / VII, 25.2 / VII, 50.4 / VII, 83.2 / zweimal in VII, 147.3 / VII, 158.4 / VIII, 68 β .2 / IX, 41.2 / / σιτίον : I, 94.4 / I, 188.1 / I, 190.2 / I, 192.4: Nahrung für Hunde / I, 193.4 / II, 32.5 / II, 69.2: Nahrung für Krokodile / II, 77.2 / II, 92.1 / II, 125.7 / zweimal in III, 25.4 / III, 48.3 / IV, 151.3 / IV, 152.1 / VII, 25.1 / VII, 147.3 / VII, 187.1 / VIII, 117.2 / IX, 39.2 / IX, 45.2 / IX, 50 / IX, 51.4). An anderen Stellen bezeichnen σῖτος und σιτίον explizit ‚ Korn ‘ bzw. ‚ Brot ‘ ( σῖτος : zweimal in I, 193.1 / II, 14.2 / II, 168.2 / zweimal in III, 91.3 / IV, 17.1+2 / IV, 42.4 / VI, 28.2 / VII, 1.2 / VII, 22.2 / VII, 119.2 / / σιτίον : II, 36.2 / II, 37.4 / VIII, 137.2); vgl. auch Powell (1938), S. 333 s. v. σῖτος , S. 333 s. v. σιτία . Darüber hinaus verwendet der Text auch an zwei Stellen σίτησις (III, 23.1 / IV, 17.2), um ‚ Nahrung ‘ bzw. ‚ Ernährung ‘ auszudrücken; vgl. auch dazu Powell (1938), S. 333 s. v. σίτησις . Für die Bedeutung von σῖτος (VII, 120.1 / I, 133.2) bzw. σιτίον (I, 126.2 / I, 207.6) als ‚ Speise ‘ im Rahmen eines Mahls siehe Anm. 499. 504 In I, 71.2 berichtet Sandanis Kroisos, dass die Perser nicht essen, was sie wollen, sondern, wie viel sie können ( σιτέονται δὲ οὐκ ὅσα ἐθέλουσι , ἀλλ᾽ ὅσα ἔχουσι ), und betont damit, dass es diesen nicht möglich ist, aus Genuss zu essen. In I, 94.4 berichtet der Text von einer Hungersnot in Lydien. Infolgedessen beschließen die Lyder, einen Tag Spiele zu spielen, um nicht an das Essen zu denken, und am anderen Tag dann zu essen ( ἵνα δὴ μὴ ζητέοιεν σιτία , τὴν δὲ ἑτέρην σιτέεσθαι - I, 94.4). In VIII, 115.2 wird davon berichtet, dass das Heer des Xerxes beim Rückzug nach Persien u. a. von geernteter Frucht lebt, die sie der Bevölkerung wegnehmen ( τὸν τούτων καρπὸν ἁρπάζοντες ἐσιτέοντο - VIII, 115.2). Bei der Belagerung von Sestos wird beschrieben, wie die Belagerten durch ihren Hunger gezwungen waren, die Gurte ihrer Lagerstätten zu essen ( ὥστε τοὺς τόνους ἕψοντες τῶν κλινέων ἐσιτέοντο - IX, 118.1). Alle diese Textbeispiele stehen im Kontext von Nahrungsmittelknappheit, sodass mit σιτέεσθαι nur das für das Leben notwendige Speisen ausgedrückt werden kann. Mit der Bedeutung ‚ sich ernähren ‘ findet sich σιτέεσθαι darüber hinaus auch in III, 22.3 / zweimal in III, 22.4 / IV, 36.1 / IV, 132.1. 505 Vgl. I, 200.1 / zweimal in I, 202.1 / I, 202.3 / II, 77.4 + zweimal in II, 77.5 / II, 92.5 / III, 98.3 / III, 100 / IV, 17.1 / IV, 23.3 / IV, 183.4 / IV, 184.4. 506 Vgl. I, 133.2 / II, 47.3. 2.2 Das Symposion 135 <?page no="136"?> σιτέεσθαι explizit ein Speisen in Gemeinschaft bezeichnet. Dies wird allerdings nur an der Konstruktion mit der Präposition μετά ersichtlich ( σιτεόμενοι μετὰ τῶν βασιλέων τὰ δημόσια - VI, 57.2). Mit σιτέεσθαι alleine ist also - wie auch bei der Verwendung von σιτίον oder σῖτος im Kontext eines Mahls - 507 noch keine Gemeinschaft beim Essen impliziert. Anders verhält es sich bei dem Kompositum ὁμοσιτέειν , das der Text in den Historien an einer Stelle verwendet. Dort wird davon berichtet, wie sich die Karerinnen schwören, niemals mehr mit ihren Ehemännern zusammen zu speisen ( μή κοτε ὁμοσιτῆσαι τοῖσι ἀνδράσι - I, 146.3). 508 Aus der Wortwahl kann man also schließen, dass es sich um das einfache alltägliche Speisen handelt, das hier durch das Verb ( ὁμο -) σιτέειν ausgedrückt wird. Durch das Präfix ὁμο wird die Betonung aber auf die Gemeinschaft beim alltäglichen Speisen gelegt. 509 Was letztlich genau gegessen wird, bleibt aufgrund der absoluten Stellung von ὁμοσιτέειν allerdings offen. Da σιτέεσθαι in Herodots Historien nicht ausschließlich bei Produkten aus Getreide verwendet wird, 510 ist eine wörtliche Übersetzung wie ‚ Brot essen ‘ nicht durchgehend zutreffend. Zusammengefasst kann man für σιτέεσθαι schließen, dass der Text dieses in 507 Siehe dazu Anm. 499. 508 Siehe zu dieser Textstelle auch die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. 509 In VII, 119.3 werden die Tischgenossen des Xerxes als ὁμόσιτοι bezeichnet, wodurch ebenfalls die Gemeinschaft beim Speisen hervorgehoben wird (siehe dazu Anm. 919). 510 So steht σιτέεσθαι beim Verzehr von Tierfleisch, darunter Schweine (II, 47.3), Vögel (zweimal in II, 77.5) und Reptilien (IV, 183.4) sowie Fische (I, 200 / I, 202.3 / II, 77.4+5 / II, 92.5 / III, 98.3), und bei Lebewesen allgemein (IV, 184.4). Zudem wird σιτέεσθαι verwendet, wenn Wurzeln (I, 202.1), Baumfrüchte (I, 202.1), eine besondere Schote (III, 100), eine im Text nicht genau definierte Frucht ( καρπὸν - IV, 132.1 / VIII, 115.2), eine aus Fruchtsatz geformte Speise (IV, 23.3) sowie Zwiebeln, Knoblauch und Linsen (IV, 17.1) gegessen werden, aber auch wenn Brot - im Text durch τὸν ἄρτον explizit ausgedrückt - (III, 22.4) sowie Hirse (IV, 17.1) und nicht näher spezifiziertes Getreide bzw. Korn (IV, 17.1) als Speisen angegeben sind. Sogar als vom Essen von Mist die Rede ist (III, 22.4) und als Soldaten wegen fehlender Nahrungsmittel die Gurte ihrer Lagerstätten essen (IX, 118.1), verwendet der Text σιτέεσθαι . Außerdem wird σιτέεσθαι in den Historien auch für den Vorgang des Speisens, dessen Speisegegenstand nicht genau definiert wird ( σιτέονται δὲ οὐκ ὅσα ἐθέλουσι - I, 71.2), gebraucht und auch in einem Fall, als dessen Objekt οὐδέν (= ‚ nichts ‘ ) ist, um auszudrücken, dass jemand nichts gegessen hat wie hier im Text der Hyperboreer Abaris, der ohne zu essen einen Pfeil um die Erde herum getragen haben soll (IV, 36.1). Es steht zudem bei einer Frage nach der Speisegewohnheit ( ὅ τι τε σιτέεται - III, 22.3) und in VI, 57.2 beschreibt es in Verbindung mit τὰ δημόσια das Speisen auf Staatskosten. Σιτέεσθαι wird in den Historien auch im transitiven Gebrauch verwendet (I, 94.4 / I, 133.2 / sowie als ὁμοσιτέειν in I, 146.3). Als κατασιτέεσθαι wird es sogar für die Umschreibung des Verzehrs von menschlichen Leichen gebraucht (I, 216.3 / III, 38.3). Die Verwendung von σιτέεσθαι in den Historien zeigt also, dass es nicht auf ein bestimmtes Speiseobjekt festgelegt ist. 136 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="137"?> den Historien von allen Verben mit Bezug auf Essen am häufigsten verwendet und es am ehesten zutreffend mit ‚ sich ernähren ‘ übersetzt werden kann. Doch zurück zum Feldzug des Kambyses gegen die Aithiopier: Obwohl bereits keine Nahrungsmittel mehr für die Versorgung vorhanden sind, zögert Kambyses nicht, den Feldzug weiterzuführen. Bald werden zwangsweise die Zugtiere völlig verzehrt ( μετὰ δὲ τὰ σιτία καὶ τὰ ὑποζύγια ἐπέλιπε κατεσθιόμενα - III, 25.4) und dann beginnen die Soldaten sogar, Gras vom Boden zu essen ( ποιηφαγέοντες διέζωον - III, 25.6). Als dann in der Wüste nicht einmal mehr Gras zu finden ist, muss das Los darüber entscheiden, welche der Soldaten verzehrt werden ( κατέφαγον - III, 25.6). Kambyses fürchtet dieses ‚ gegenseitige Aufessen ‘ ( δείσας τὴν ἀλληλοφαγίην - III, 25.7) und beendet nun endlich den erfolglos gebliebenen Zug gegen die Aithiopier. Hier macht neben den inhaltlichen Geschehnissen besonders die Vielzahl der Ausdrücke für Essen deutlich, welchen Einfluss die Notwendigkeit zu essen auf einen Kriegszug haben kann. Der Text verwendet in diesem Kapitel neben dem bereits besprochenen σιτέεσθαι auch die Verben κατεσθίειν (bzw. im Aorist καταφαγεῖν ) und ποιηφαγέειν sowie das Substantiv ἀλληλοφαγίη aus dem Bereich des Essens. Insgesamt sind in den Historien für ‚ essen ‘ neben σιτέεσθαι auch ἐσθίειν (I, 133.2 / II, 35.3 / II, 68.1 / II, 69.3) und βιβρώσκειν (I, 119.6) sowie die zugehörigen Komposita κατεσθίειν (I, 78.1 / zweimal in III, 16.3 / III, 25.4 / III, 38.4 / III, 108.2 / VIII, 115.2 / als Aoristform καταφαγεῖν in III, 25.6 sowie als Tmesis in II, 141.5) bzw. καταβιβρώσκειν (III, 16.4 / IV, 199.2) und mit κατασιτέεσθαι (I, 216.3 / III, 38.3) auch das zugehörige Kompositum zu σιτέεσθαι zu finden. 511 Außerdem gebraucht der Text πατέεσθαι (I, 73.6 / II, 37.4+5 / II, 47.2 / II, 66.2 / IV, 186.2) und an einer Stelle auch ἔδειν (I, 200). 512 Im Kontext fast aller Belegstellen dieser Vokabeln in Herodots Historien stehen Beschreibungen von Sitten und Gewohnheiten aus dem Bereich des Essens 511 Dass es keinen für alle Textstellen gültigen Bedeutungsunterschied zwischen κατεσθίειν und κατασιτέεσθαι in den Historien gibt, wird in III, 38.3 - 4 ersichtlich: Dareios fragt zunächst die Griechen, für welchen Preis sie bereit wären, die Leichen ihrer Väter zu verzehren ( κατασιτέεσθαι - III, 38.3). Diese sind empört über diese Frage und antworten, für keinen Preis täten sie dies. Für die Kallatier dagegen ist es eine gewöhnliche Sitte, die Leichen ihrer Eltern zu essen ( κατεσθίουσι - III, 38.4). Diese fragt Dareios daher, für welchen Preis sie ihre toten Eltern verbrennen würden. Hier lehnen die Kallatier entschieden ab. Wenn κατασιτέεσθαι und κατεσθίειν hier unterschiedliche Bedeutungen hätten, würde Dareios ’ Aussage geschwächt werden, der anhand dieser entgegengesetzten Sitten die Macht der Gebräuche darstellen möchte. Zur Bedeutung von κατευωχέεσθαι siehe Kap. 2.2.5.10. 512 Vgl. dazu ἔδω in LSJ, S. 478: „ old Ep. pres. [ … ], for which in Att. ἐσθίω is used [ … ] - eat “ . Außerdem Führer zu ἔδω in LfgrE, vol. 2, Sp. 400, der als Grundbedeutung „ essen “ als „ allg. Bez,. sowohl von Menschen (2) wie von Tieren (1) “ angibt. 2.2 Das Symposion 137 <?page no="138"?> (I, 133.2 / I, 200 / I, 216.3 / II, 35.3 / II, 37.4+5 / II, 47.2 / II, 66.2 / II, 68.1 / II, 69.3 / III, 38.3 - 4 / IV, 186.2). 513 Das trifft zudem auf alle zusammengesetzten Wörter aus dem Bereich des Essens zu, deren einer Bestandteil auf φαγεῖν zurückzuführen ist. 514 Für die Komposita mit dem Präfix κατα gilt bei ἐσθίειν (bzw. φαγεῖν ), βιβρῶσκειν und σιτέεσθαι - wie auch bei πίνειν - 515 , dass es sich um einen vollständigen Prozess, also ein ‚ Aufessen ‘ handelt, wofür die Übersetzung ‚ (ganz) verzehren ‘ oder ‚ verschlingen ‘ geeignet ist. 516 Im Gegensatz zu den 513 I, 133.2: Die Perser sind der Meinung, dass die Griechen nicht mehr aufhörten zu essen ( ἐσθίοντας ἂν οὐ παύεσθαι ), wenn es bei ihnen Nachtisch gäbe. / I, 200: Babylonier essen Fisch zum Teil in Breiform, zum Teil gebacken wie Brot ( καὶ ὃς μὲν ἂν βούληται αὐτῶν ἅτε μᾶζαν μαξάμενος ἔδει , ὁ δὲ ἄρτου τρόπον ὀπτήσας .) / I, 216.3: Massageten essen keine Toten, die an einer Krankheit verstorben sind ( τὸν δὲ νούσῳ τελευτήσαντα οὐ κατασιτέονται ). / II, 35.3: Ägypter essen draußen auf den Wegen ( ἐσθίουσι δὲ ἔξω ἐν τῇσι ὁδοῖσι ). / II, 37.4+5: Ägypter dürfen keine Fische essen ( ἰχθύων δὲ οὔ σφι ἔξεστι πάσασθαι ) und Bohnen essen sie nicht einmal gekocht ( κυάμους [ … ], τούς τε γινομένους οὔτε τρώγουσι οὔτε ἕψοντες πατέονται ). / II, 47.2: Ägypter opfern Schweine ausschließlich Selene und Dionysos bei Vollmond und essen dann auch davon ( πατέονται τῶν κρεῶν ). / II, 66.2: Als Erklärung dafür, weshalb es nicht zu viele Katzen gibt, wird hier dargestellt, dass ein Kater neugeborene Kätzchen tötet, sie aber nicht verzehrt ( κτείναντες μέντοι οὐ πατέονται ); so lässt es die Katzenmutter wieder zu, begattet zu werden. / II, 68.1: Ein Krokodil isst im Winter nichts ( ἐσθίει οὐδέν ). / II, 69.3: Ägypter, die bei Elephantine leben, essen Krokodile ( ἐσθίουσι αὐτούς ). / III, 38.3 - 4: siehe dazu Anm. 511. / IV, 186.2: Die Frauen der Kyrenaier essen wegen der ägyptischen Isis kein Kuhfleisch ( βοῶν μέν νυν θηλέων οὐδ᾽ αἱ Κυρηναίων γυναῖκες δικαιεῦσι πατέεσθαι διὰ τὴν ἐν Αἰγύπτῳ Ἶσιν ). 514 Vgl. I, 66.2: βαλανηφάγοι ; II, 77.4: ἀρτοφαγέουσι ; III, 19.1 / III, 20.1 / III, 21.1 / III, 22.1+2 +4 / III, 23.1 / III, 25.2 / III, 30.1: οἱ Ἰχθυοφάγοι ; III, 25.6: ποιηφαγέοντες ; III, 100: ποιηφαγέουσι ; III, 25.7: ἀλληλοφαγίη ; IV, 18.3 / IV, 100.2 / IV, 102.2 / IV, 106 / IV, 125.3+5: οἱ Ἀνδροφάγοι ; IV, 119.1: Ἀνδροφάγος ; IV, 106: ἀνθρωποφαγέουσι ; IV, 109.1: σιτοφάγοι ; zweimal in IV, 177 / IV, 178 / IV, 183.2: οἱ Λωτοφάγοι ; IV, 186.1: κρεοφάγοι ; IV, 194: πιθηκοφαγέουσι . An einer Stelle ist nicht φαγεῖν , sondern τρώγειν Wortbestandteil eines solch zusammengesetzten Wortes aus dem Bereich des Essens (IV, 109.1: φθειροτραγέουσι ; siehe dazu Anm. 527). Eine Umschreibung durch ein auf diese Weise zusammengesetztes Wort bezüglich des Trinkkonsums tritt im Text einerseits bei den libyschen Nomaden und den Massageten auf, die als Milchtrinker mit γαλακτοπόται bezeichnet werden (I, 216.4 / IV, 186.1), und andererseits bei den Persern, die Sandanis als Wassertrinker ( ὑδροποτέουσι - I, 71.3) definiert. 515 Siehe dazu Anm. 460. 516 Vgl. κατά in LSJ, S. 883: „ E. κατά in COMPOS., [ … ] V. freq. only to strengthen the notion of the simple word “ . Als der Text in II, 141.5 durch φαγεῖν mit κατά ausdrückt, dass in einer Nacht Feldmäuse die Ausrüstung der Araber und Assyrer, die gegen Ägypten in den Krieg ziehen, vollständig zernagen ( ἐνθαῦτα †ἀπικομένους < … > τοῖσι ἐναντίοισι < … > αὐτοῖσι† ἐπιχυθέντας νυκτὸς μῦς ἀρουραίους κατὰ μὲν φαγεῖν τοὺς φαρετρεῶνας αὐτῶν , κατὰ δὲ τὰ τόξα , πρὸς δὲ τῶν ἀσπίδων τὰ ὄχανα - II, 141.5), hat die Tmesis ( κατὰ [ … ] φαγεῖν ) keinen Einfluss auf die Bedeutung. An anderer Stelle berichtet der Text von den Arabern, dass sie es für die Vorsehung einer Gottheit halten, dass alle Lebewesen, die furchtsam und essbar sind, fruchtbar seien, damit sie nicht ausgehen, indem sie komplett 138 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="139"?> Textstellen von καταπίνειν (II, 68.5 / II, 70.1 / II, 93.2+3) sind hier die Akteure nicht ausschließlich Tiere. Da der Text also bei dem skandalösen Feldzug gegen die Aithiopier καταφαγεῖν verwendet, als die Soldaten beginnen, sich gegenseitig zu verzehren, betont er damit die Vollständigkeit des Prozesses (III, 25.6) und hebt so durch die Wortwahl die Grausamkeit hervor, die hinter diesem für die Soldaten überlebensnotwendigen Zwang des Kannibalismuses steht. 517 Mit Blick auf die unterschiedlichen Bedeutungsnuancen dieser Vokabeln aus dem Wortfeld ‚ Essen ‘ ist zu beachten, dass βιβρώσκειν in seiner ursprünglichen Bedeutung zunächst auf Tiere bezogen ‚ fressen ‘ bedeutet und auf menschliche Wesen angepasst schließlich auch als ‚ verzehren ‘ verwendet wird. 518 So verwundert es nicht, dass der Text im Zuge der Erzählung vom Harpagos-Mahl die indirekte Frage des Astyages, ob Harpagos das Tier erkenne, das er soeben verzehrt bzw. verschlungen habe, mit βιβρώσκειν formuliert ( εἰ γινώσκοι ὅτευ θηρίου κρέα βεβρώκοι - I, 119.6). 519 Die Frage wirkt durch diese Wortwahl noch sarkastischer, da die Bedeutung ‚ fressen ‘ dabei immer noch im Hintergrund steht. Astyages hatte Harpagos kurz zuvor als Strafe, ohne dass dieser es wusste, dessen Sohn zum Mahl vorgesetzt. 520 Ἐσθίειν (bzw. φαγεῖν ) und ἔδειν dagegen drücken in erster Linie in ihrer Grundbedeutung unkonnotiert ‚ essen ‘ aufgegessen werden ( ἵνα μὴ ἐπιλίπῃ κατεσθιόμενα - III, 108.2). In III, 16.4 erklärt der Text, dass die Ägypter Leichen gewöhnlich einbalsamieren, um zu vermeiden, dass sie von Maden ‚ aufgezehrt ‘ werden ( ἵνα μὴ κείμενος ὑπὸ εὐλέων καταβρωθῇ - III, 16.4), und in I, 78.1 fressen Pferde plötzlich erschienene Schlangen gänzlich auf ( κατήσθιον - I, 78.1). In IV, 199.2 wird davon berichtet, dass die Zeit der Ernte in Kyrene aufgrund der besonderen Lage acht Monate lang andauert. Dabei sei die erste Ernte bereits ausgetrunken und vollständig verzehrt, während die letzte Feldfrucht erst eingebracht werde ( ὥστε ἐκπέποταί τε καὶ καταβέβρωται ὁ πρῶτος καρπὸς καὶ ὁ τελευταῖος συμπαραγίνεται - IV, 199.2). Als letztes Beispiel möchte ich noch auf die beiden Textstellen verweisen, an denen durch κατασιτέεσθαι das vollständige Verzehren eines Leichnams ausgedrückt wird (I, 216.3 / III, 38.3). In gegensätzlicher Bedeutung zum vollständigen Aufessen steht γεύεσθαι und πατέεσθαι + Gen. (siehe dazu Anm. 522). 517 Ein weiteres Kompositum, διεσθίειν bzw. διαφαγεῖν , das in Herodots Historien vorkommt, ist wortwörtlich als ‚ durchessen ‘ bzw. genauer als ‚ durchbeißen ‘ zu verstehen (vgl. dazu διεσθίω in LSJ, S. 426: „ eat through “ ). Der Text verwendet dieses Wort, als er die Forpflanzung bestimmter Nattern darstellt (III, 109). Dabei kommt es dazu, dass die Weibchen den Hals der Männchen bei der Begattung ‚ durchbeißen ‘ ( οὐκ ἀνίει πρὶν ἂν διαφάγῃ - III, 109.1). Später müssen sie dann dafür büßen, indem sich wiederum die Jungen als Rache für den Vater durch deren Unterleib ‚ durchbeißen ‘ ( ἔτι ἐν τῇ γαστρὶ ἐόντα τὰ τέκνα διεσθίει τὴν μητέρα , διαφαγόντα δὲ τὴν νηδὺν αὐτῆς - III, 109.2), um so ins Freie zu gelangen. 518 Siehe dazu Führer zu βιβρώσκω in LfgrE, vol. 2, Sp. 57. 519 Vgl. Schmitt Pantel (1992, S. 432), die βιβρώσκειν im Kontext des Harpagos-Mahls (I, 119) als ‚ verschlingen ‘ ( „ [ … ] qu ’ Harpage a dévoré “ ) auffasst. 520 Zum Harpagos-Mahl siehe Kap. 4.2.3.2.2. 2.2 Das Symposion 139 <?page no="140"?> aus, können sich aber auch sowohl auf Menschen als auch Tiere beziehen. 521 Πατέεσθαι dagegen besitzt die Grundbedeutung ‚ Nahrung (welcher Art auch immer) aufnehmen ‘ und drückt daher ‚ essen ‘ im Sinne von ‚ konsumieren ‘ aus. 522 Auch bei πατέεσθαι können nicht nur Menschen, sondern auch Tiere die Akteure sein. 523 Während ἐσθίειν (bzw. φαγεῖν ) und βιβρώσκειν sowie deren Komposita in den Historien häufig verwendet werden, wenn es sich bei dem Objekt, das verspeist wird, um Fleisch eines Lebewesens handelt, 524 lässt sich für σιτέεσθαι 521 Vgl. dazu ἐσθίω in LSJ, S. 696 sowie Führer zu ἐσθίω in LfgrE, vol. 2, Sp. 732 bzw. φαγεῖν in LSJ, S. 1911 sowie O ’ Sullivan zu φαγεῖν in LfgrE, vol. 4, Sp. 789 f. bzw. ἔδω in LSJ, S. 478 sowie Führer zu ἔδω in LfgrE, vol. 2, Sp. 399. 522 Vgl. dazu Beck zu πάσ ( σ ) ασθαι in LfgrE, vol. 3, Sp. 1030 f. Powell (1938, S. 296) gibt als einzige Bedeutung für πατέεσθαι „ eat “ an. Häufig verwendet der Text in Herodots Historien πατέεσθαι , um dadurch ‚ von etwas essen ‘ auszudrücken. In diesem Fall ist damit ein Genetivobjekt als Genetivus partitivus verbunden (I, 73.6 / II, 37.4 / II, 47.2 / IV, 186.2). Πατέεσθαι mit Akkusativobjekt bezeichnet dagegen ‚ etw. essen ‘ (II, 37.5 / II, 66.2); vgl. dazu auch πατέομαι in LSJ, S. 1347: „ eat, c. acc., [ … ] also, of drink [ … ]: more freq. c. gen. partit., eat of, partake of [ … ]; so always in Hdt. [ … ]: rarely abs., eat, taste food “ . Obwohl im Altgriechischen die Bedeutung ‚ von etwas essen ‘ auch bei ἐσθίειν , βιβρώσκειν und φαγεῖν bezeugt ist, wenn diese Verben mit einem Genetivobjekt konstruiert werden (vgl. dazu für ἐσθίειν LSJ, S. 696, für βιβρώσκειν LSJ, S. 315, für φαγεῖν LSJ, S. 1911), verwendet sie der Text in den Historien an keiner Stelle in dieser Konstruktion. Auch σιτέεσθαι und τρώγειν werden bei Herodot nicht mit einem Genetivobjekt konstruiert. Wird in den Historien also betont, dass jemand nur einen Teil von etwas isst, steht πατέεσθαι mit Genetiv. In der Bedeutung ‚ von etwas essen ‘ tritt als weiteres Verb in den Historien noch γεύειν in der medialen Diathese auf (vgl. Powell [1938], S. 66). Während bei einer Konstruktion mit πατέεσθαι + Gen. die Betonung auf dem Konsum eines Teils von etwas Ganzem liegt, wird mit γεύεσθαι vor allem die Bedeutungsnuance ‚ kosten ‘ bzw. ‚ probieren ‘ impliziert (II, 18.2 / II, 39.4 / II, 41.3 / II, 47.3 / IV, 186.1+2); vgl. dazu γεύω in LSJ, S. 346: „ II. Med. [ … ], taste, c. gen. “ . Einmal wird γεύεσθαι in den Historien auch verwendet, als von einem Getränk gekostet wird (IV, 66). Zudem wird γεύεσθαι im übertragenen Sinn gebraucht. So ist die Rede von Gütern, die nicht eindeutig ausschließlich aus Speisen und Getränken definiert werden ( γευσάμενοι γὰρ τῶν ἡμετέρων ἀγαθῶν - I, 71.3), von Herrschaft ( ἐγεύσατο ἀρχῆς - IV, 147.3) und von Freiheit ( ἐλευθερίης γευσάμενοι - VI, 5.1), die zu Objekten des Probierens werden. Im aktivischen Gebrauch ist dieses Verb nur an einer Stelle in den Historien bezeugt. Dort wird es in der Bedeutung ‚ jemanden von etwas kosten lassen ‘ ebenfalls im übertragenen Sinn gebraucht ( ὁ δὲ θεὸς γλυκὺν γεύσας τὸν αἰῶ να - VII, 46.4); vgl. γεύω in LSJ, S. 346: „ give a taste of “ . 523 Vgl. dazu II, 66.2, wo Kater die Subjekte zu πατέονται sind. 524 Vgl. I, 119.6 / II, 69.3 / III, 16.4 / III, 25.4+6 / III, 38.4 / III, 108.2 / III, 109.1+2; in I, 78.1 beschreibt der Text, wie Pferde Schlangen verzehren ( κατήσθιον - I, 78.1) und in II, 141.5 wie Mäuse eine Kampfausrüstung zerfressen (vgl. dazu Anm. 516). Ἐσθίειν wird in zwei Fällen absolut verwendet (I, 133.2 / II, 35.3) und einmal mit dem Objekt ‚ nichts ‘ (= οὐδέν ) konstruiert (II, 68.1). In III, 16.3 ist das Feuer Subjekt von κατεσθίειν und daher ist das, was ‚ gegessen ‘ wird, alles das, was das Feuer verschlingt. Worum genau es sich dabei 140 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="141"?> in dieser Hinsicht keine vergleichbare Feststellung treffen. 525 Da ἔδειν lediglich einmal in den Historien verwendet wird (I, 200), kann diesbezüglich auch für dieses Verb keine generelle Aussage gemacht werden. 526 An dieser Stelle möchte ich mit τρώγειν noch auf ein weiteres Verb für ‚ essen ‘ in den Historien eingehen, dessen Gebrauch sich auf das Verspeisen von fleischlosen Gerichten konzentriert. 527 Dabei grenzt es sich an einer Stelle gezielt von πατέεσθαι ab. Denn das Essen von gekochten Bohnen wird durch πατέεσθαι ausgedrückt, 528 das Verspeisen roher Bohnen dagegen durch τρώγειν ( κυάμους δὲ οὔτε τι μάλα σπείρουσι Αἰγύπτιοι ἐν τῇ χώρῃ , τούς τε γινομένους οὔτε τρώγουσι οὔτε ἕψοντες πατέονται - II, 37.5). Mit βόσκεσθαι und ( ἐκ -/ ἐπι -) τρέφεσθαι finden sich im medialen bzw. passivischen Gebrauch weitere Verben mit der Bedeutung ‚ sich ernähren ‘ bzw, ‚ ernährt werden ‘ , wobei mit diesen Verben in Herodots Historien niemals ein Bezug zu einem Gastmahl hergestellt wird. 529 handelt, wird im Text allerdings nicht näher definiert. Außerdem wird durch κατεσθίειν an einer Textstelle der Verzehr von Gras, Baumrinde und Blättern (VIII, 115.2) und bei καταβιβρώσκειν einmal das Aufessen von Feldfrucht beschrieben (IV, 199.2). 525 Vgl. dazu Anm. 510. 526 Das zugehörige Substantiv ὁ ἐδεστής (vgl. ἐδεστής in LSJ, S. 477: „ eater “ ) tritt einmal in den Historien auf und beschreibt Menschen, die rohes Fleisch essen ( κρεῶν ἐδεσταὶ ὠμῶν - III, 99.1). Das Adjektiv ἐδώδιμος , mit der Bedeutung ‚ essbar ‘ (vgl. dazu ἐδώδιμος in LSJ, S. 478: „ eatable “ sowie Powells [1938, S. 98] Übersetzung „ edible “ ), ist in Herodots Historien zweimal zu finden (II, 92.3 / III, 108.2), wobei es einmal die Wurzel des Lotos als essbar beschreibt (II, 92.3) und das zweite Mal essbare Lebewesen (III, 108.2). Auch hier gibt es also keine Einschränkung auf eine bestimmte Speise, die mit ἐδεστής oder ἐδώδιμος in Verbindung gebracht wird. 527 Vgl. I, 71.3 (Feigen) / II, 92.4 (Lilienfrucht) / zweimal in II, 92.5 (Papyrusstaude) / IV, 143.2 (Granatapfel) / IV, 177.1 (Lotosfrucht). Die Grundbedeutung von τρώγειν ist ‚ knabbern ‘ bzw. ‚ nagen ‘ (vgl. τρώγω in LSJ, S. 1832: „ gnaw, nibble, munch “ ). Erst im Laufe der Zeit fand τρώγειν auch beim Menschen Anwendung (siehe dazu Caspers zu τρώγω in LfgrE, vol. 4, Sp. 649). Aufgrund dieser Grundbedeutung erklärt sich der primäre Gebrauch von τρώγειν in den Historien beim Verzehr von Rohkost. Vgl. dazu auch φθειροτραγέουσι in IV, 109.1. 528 Ansonsten wird πατέεσθαι beim Verzehr von Fisch (II, 37.4) und Fleisch (II, 47.2 / II, 66.2 / IV, 186.2) - auch von Menschenfleisch (I, 73.6) - verwendet. Der Schwerpunkt liegt also bei πατέεσθαι wie auch bei ἐσθίειν und βιβρώσκειν auf dem Verzehr von Tieren bzw. Menschen und unterscheidet sich darin von τρώγειν . 529 Βόσκεσθαι tritt im passivischen Gebrauch in den Historien nur einmal auf, wobei es gemäß seiner Grundbedeutung (vgl. βόσκω in LSJ, S. 322 f.) weidende Schafe beschreibt (IX, 93.1; vgl. Powell [1938], S. 61). Daher hat diese Vokabel für die Untersuchung der Gastmähler in Herodots Historien keine Bedeutung. ( Ἐπι -) Τρέφεσθαι dagegen kommt häufiger vor (I, 122.3 / I, 123.1 / I, 130.3 / I, 136.2 / I, 192.4 / II, 93.1+3 / II, 121 α .1 / II, 153 / II, 169.3 / III, 111.1 / IV, 3.1 / VI, 103.4; vgl. Powell [1938], S. 360 s. v. τρέφω , S. 139 s. v. ἐπιτρέφω ), ist aber im Kontext einer Gastmahldarstellung nicht zu erwarten und in den Historien in einem solchen Rahmen auch nicht verwendet. Denn τρέφεσθαι ist in der 2.2 Das Symposion 141 <?page no="142"?> Durch diese ausführliche Untersuchung konnte ermittelt werden, dass nur drei aller hier besprochenen Verben für ‚ essen ‘ , ‚ verzehren ‘ und ‚ sich ernähren ‘ in Herodots Historien eindeutig in Verbindung mit einem gemeinschaftlichen Mahl stehen. Dabei handelt es sich erstens um βιβρώσκειν , das im Rahmen der bereits erwähnten indirekten Frage des Astyages an Harpagos auftritt ( εἰ γινώσκοι ὅτευ θηρίου κρέα βεβρώκοι - I, 119.6). Doch βιβρώσκειν selbst weist nicht auf einen gemeinschaftlichen Charakter hin, sondern bewertet den Vorgang des Essens als beinahe animalisch. Es dient hier also zur besonderen Färbung der als indirekten Frage hervorgehobenen Formulierung, die für das schaurige Gastmahl und die weitere Handlung entscheidend ist. Das zweite Verb ist πατέεσθαι , das in I, 73.6 im Rahmen des Kyaxares-Mahls verwendet wird und beschreibt, wie Kyaxares und seine Gäste unwissend vom Fleisch des Sohnes von Kyaxares essen ( καὶ γὰρ Κυαξάρης καὶ οἱ παρεόντες δαιτυμόνες τῶν κρεῶν τούτων ἐπάσαντο - I, 73.6). 530 Das dritte Verb schließlich, das in den Historien im Kontext eines gemeinsam eingenommenen Mahls steht, ist σιτέεσθαι , das zum einen wie bereits oben erwähnt in Form des Kompositums ὁμοσιτέειν das gemeinsame Speisen der Karerinnen mit ihren Ehemännern umschreibt, auch wenn diese Gemeinschaft für immer abgelehnt werden soll (I, 146.3), und das zum anderen in VI, 57.2 verwendet wird, um ein Speisen mit anderen Menschen zu beschreiben. Denn in VI, 57 werden die Vorrechte der spartanischen Könige in Friedenszeiten erläutert, zu denen es unter anderem gehört, dass die Könige die sogenannten Pythier auswählen, die als Gesandte nach Delphi geschickt werden und auf Staatskosten mit den Königen speisen dürfen ( σιτεόμενοι μετὰ τῶν βασιλέων τὰ δημόσια - VI, 57.2). Doch durch die Formulierung mit σιτέεσθαι wird im Text eine größere Distanz zwischen König und Pythiern aufgebaut, als es der Fall wäre, wenn dort eine Form von ὁμοσιτέειν verwendet wäre oder die Bewirtung durch Ausdrücke wie ξεινίζειν , εὐωχέειν , ἱστιᾶν oder θοινᾶν genauer beschrieben wäre. 531 So wird zwar betont, dass sich die Pythier zusammen mit den Königen ernähren, die Gemeinschaft aber tritt in den Hintergrund. 2.2.5.8 Weitere Ausdrücke für Speise bzw. Essen ( ἡ βορή / ἡ φορβή / ἡ τροφή ) Σῖτος und σιτίον wurden bereits als mögliche Ausdrücke für ‚ Essen ‘ analysiert. Dabei hat sich gezeigt, dass für diese die Bedeutung ‚ Nahrungsmittel ‘ bzw. im Bedeutung ‚ ernährt/ versorgt werden ‘ im Sinne von ‚ aufgezogen werden ‘ aufzufassen (vgl. dazu Langholf zu τρέφω in LfgrE, vol. 4, Sp. 606 - 612). 530 Zum Kyaxares-Mahl siehe Kap. 4.2.3.2.1. 531 Zu ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9; zu ἱστιᾶν , εὐωχέειν und θοινᾶν siehe Kap. 2.2.5.10. 142 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="143"?> engen Sinn ‚ Korn ‘ im Vordergrund steht, 532 sodass damit sowohl die Nahrung der gesamten Bevölkerung als auch die Versorgung während eines Feldzugs und durch σιτίον in zwei Fällen sogar die Nahrung von Tieren (I, 192.4: Hunde / II, 69.2: Krokodile) umschrieben werden können. Die Versorgung eines Heeres durch Lebensmittel wird an anderen Stellen in den Historien aber auch durch τροφή (I, 192.1 / VIII, 108.3) oder durch φορβή (VII, 50.4 / VII, 119.3) bezeichnet. Beide Ausdrücke bedeuten in erster Linie ‚ Ernährung ‘ und beziehen sich dabei in den Historien wie auch σῖτος und σιτίον nicht immer nur auf ein Heer, sondern können auch die Nahrungsvorräte einer ganzen Stadt oder Insel ( φορβή : I, 202.1 / VII, 107.2) sowie einzelner Personengruppen ( τροφή : III, 48.3 / φορβή : IV, 121) umschreiben. 533 Während sich in den Historien φορβή stets auf Menschen bezieht, wird τροφή auch für die Ernährung von Tieren verwendet (II, 65.4+5). 534 T ροφή wird bei Herodot zudem in der weitergefassten Bedeutung ‚ Aufziehen ‘ gebraucht, wobei es sich um das Aufziehen von Kindern handelt, das nicht nur Ernähren umfasst (II, 2.2 / II, 3.1). 535 Bei der Schilderung des Mahls, das mit Speisen und Wein als List, um die Massageten betrunken zu machen, vorbereitet wird, 536 verwendet der Text φορβή als Bezeichnung für die Speise als ‚ Gegenpart ‘ zum Wein ( πληρωθέντες δὲ φορβῆς καὶ οἴνου - I, 211.2). Τροφή wird dagegen an keiner Stelle im Kontext eines Mahls verwendet, sondern kann abgesehen von II, 2.2 und II, 3.1 (= ‚ Aufziehen ‘ ) an jeder Stelle mit ‚ Ernährung ‘ übersetzt werden. Als weitere Bezeichnung im Bereich des Essens verwendet der Text in den Historien βορή . Βορή drückt den Fraß von fleischfressenden Tieren aus und wird daher gerne bei Mählern verwendet, in denen es zum Kannibalismus kommt. 537 Dies ist auch in den Historien der Fall. Die Ernährung der ägyptischen heiligen Tiere, die im Allgemeinen als τροφή (II, 65.4+5) bezeichnet wird, besteht aus Fischen und so berichtet der Text, dass diese Fische den Tieren zum ‚ Fraß ‘ (= βορή ) gegeben werden ( ἰχθῦς παρέχει βορὴν τοῖσι θηρίοισι - II, 65.4). 532 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.7 mit Anm. 503. 533 Vgl. τροφή in LSJ, S. 1827: „ ( τρέφω ) nourishment, food [ … ]; the means of maintaining an army, provisions, forage “ ; vgl. φορβή in LSJ, S. 1950: „ pasture, food “ . 534 Als weiteres Substantiv für die Umschreibung der Versorgung von Tieren mit Nahrungsmitteln wird neben τροφή und σιτίον an zwei Stellen in den Historien auch χόρτος verwendet (V, 16.4 / IX, 41.2). 535 Vgl. dazu τροφή in LSJ, S. 1827: „ II. nurture, rearing “ . Vgl. auch Langholfs Angabe zu dem zu τροφή gehörigen Verb τρέφω in LfgrE, vol. 4, Sp. 607: „ [ … ] ernähren, aufziehen, (heran) wachsen (lassen) [ … ] Menschen [biol., soz., genealog.] “ bzw. Anm. 529. 536 Auf dieses Symposion gehe ich näher in Kap. 4.2.1.1 ein. 537 Vgl. βορά in LSJ, S. 322: „ food, prop. of carnivorous beasts [ … ]; of cannibal feasts, Hdt. 1.119 “ sowie Führer zu βορή in LfgrE, vol. 2, Sp. 76: „ Fraß, Essen (Ggs. ‚ Trinken ‘ ) “ . Vgl. auch Schmitt Pantel (1992), S. 432 sowie Runding (1996), S. 179 f. 2.2 Das Symposion 143 <?page no="144"?> Des Weiteren heißt es in III, 16.3, dass die Ägypter das Feuer für ein wildes Tier halten ( Αἰγυπτίοισι δὲ νενόμισται < τὸ > πῦρ θηρίον εἶναι ἔμψυχον - III, 16.3), und das, was das Feuer nun als wildes Tier ‚ verzehrt ‘ , wird dabei als βορή (< τὸ > πῦρ [ … ] πλησθὲν δὲ { αὐτὸ } τῆς βορῆς συναποθνῄσκειν τῷ κατεσθιομένῳ - III, 16.3) bezeichnet. Mit Bezug auf einen Menschen wird βορή in den Historien nur in der Darstellung des Harpagos-Mahls verwendet. So fragt Astyages Harpagos, ob ihm das Mahl gefallen habe ( εἰ ἡσθείη τι τῇ θοίνῃ - I, 119.5), nachdem dieser genug von der Speise, der βορή , gegessen hatte ( ὡς δὲ τῷ Ἁρπάγῳ ἐδόκεε ἅλις ἔχειν τῆς βορῆς - I, 119.5). Im Gegensatz zu Harpagos wissen sowohl der herodoteische Erzähler als auch seine Rezipienten zu diesem Zeitpunkt, um welch grausames Mahl es sich gehandelt hat. Dementsprechend ist die Bezeichnung βορή hier vom Text bewusst gewählt. Die Verbindung zum verwandten βιβρώσκειν , 538 das ursprünglich ‚ fressen ‘ bedeutet und sich dabei auf Tiere bezieht, zeigt sich dann auch in Astyages ’ sarkastischer Frage, ob Harpagos erkenne, welches Tier er soeben verzehrt (bzw. ‚ gefressen ‘ ) habe. Denn hier wird βιβρώσκειν verwendet ( εἰ γινώσκοι ὅτευ θηρίου κρέα βεβρώκοι - I, 119.6). 2.2.5.9 ( Τὰ ) ξείνια - ξεινίζειν - ξεινοδοκέειν Der Gebrauch zahlreicher Begriffe für Mahl, Gelage, Essen und Trinken in Herodots Historien ist nun bereits untersucht worden. Bei den Ausdrücken, deren Analyse noch aussteht, liegt die Betonung auf der Bewirtung und der gastlichen Aufnahme. In etymologischer Verbindung zur Xenia steht die Umschreibung eines Gastmahls durch ( τὰ ) ξείνια . Es handelt sich dabei um eine substantivierte Neutrum-Pluralform des ionischen Adjektivs ξείνιος . 539 An diesem Ausdruck ist zu erkennen, dass im Zentrum des Treffens in erster Linie die Gabe von ‚ Gastgeschenken ‘ 540 steht, wobei durch die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν / παραλαμβάνειν auch im abstrakten Sinn eine Einladung zur Bewirtung ausgedrückt werden kann. 541 Ein solches Gastgeschenk kann im Rahmen der 538 Vgl. βορά in LSJ, S. 322: „ (Cf. βιβρώσκω [ … ]) “ bzw. βιβρώσκω in LSJ, S. 315: „ (cf. βρώζω , βορά ) “ Zu βιβρώσκειν siehe Kap. 2.2.5.7. 539 Vgl. ξένιος in LSJ, S. 1188: „ belonging to friendship and hospitality, hospitable [ … ] 2. ξείνια , Att. ξένια (cf. ξεινήϊον ), τά , friendly gifts, given to the guest by his host, esp. meat and drink “ . 540 Für ( τὰ ) ξείνια in der Bedeutung ‚ Gastgeschenke ‘ vgl. Herman (1987), S. 60 und in Herodots Historien die Textstellen ΙΙ , 115.4 / II, 119.1 / VI, 35.2 / VII, 27.1 / VII, 29.1 / VII, 39.2 / VII, 135.1; vgl. zudem die Textstellen, an denen die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν / παραλαμβάνειν verwendet wird (siehe dazu Anm. 544). 541 Es handelt sich bei den ξείνια um Gastgeschenke, die gewöhnlich der Gastgeber seinem Gast zukommen ließ, um in Erinnerung zu bleiben und seinerseits auf ein Gegengeschenk 144 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="145"?> Bewirtung somit z. B. durch eine besonders große Portion geleistet werden. 542 Dass dabei eine gastfreundschaftliche Verbindung bereits besteht oder entsteht, kann angenommen werden. 543 Die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν / παραλαμβάνειν tritt in den Historien mehrfach auf, um die Einladung zu einer gastfreundschaftlichen Aufnahme auszudrücken, sodass an diesen Textstellen - auch wenn es der Text nicht immer explizit erwähnt - eine Bewirtung angenommen werden kann. 544 Simon Hornblower macht darauf aufmerksam, dass die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν in Herodots Historien gewöhnlich von Griechen verwendet wird. 545 Der Text benutzt diese Ausdrucksweise tatsächlich nur ein einziges Mal, um die Einladung eines ‚ Nicht-Griechen ‘ zu umschreiben: beim Mahl von Sesostris ’ Bruder (II, 107.1). 546 Daraus kann man schließen, dass besonders bei vertrauen zu können (Schmidt zu ξείνιον in LfgrE, vol. 3, Sp. 460); vgl. zur Gegenseitigkeit der Gastfreundschaft Kap. 2.1.2.2. Daher werden die Eingeladenen wörtlich ‚ zu Gastgeschenken gerufen ‘ . Dass zu den Gastgeschenken auch eine Bewirtung gehört, bemerken z. B. Flower/ Marincola (2002), S. 127. Neben der Bedeutung ‚ Gastgeschenke ‘ kann ( τὰ ) ξείνια daher im abstrakten Sinn auch ‚ Gastfreundschaft ‘ und ‚ Bewirtung ‘ ausdrücken (Schmidt zu ξείνιον in LfgrE, vol. 3, Sp. 459); vgl. auch Wagner-Hasel (2000), S. 82 und Powells (1938, S. 235 s. v. ξείνια ) Übersetzung für ἐπὶ ξείνια καλέειν bzw. παραλαβεῖν (= „ ask to dinner “ ) sowie ξένιος in LSJ, S. 1188: „ 2. [ … ] ἐπὶ ξείνια καλέειν to invite one to meat, Hdt. 2.107, 5.18 [ … ] “ . Herman (1987, S. 59) weist allerdings darauf hin, dass zum Entstehen einer dauerhaften gastfreundschaftlichen Beziehung die Bewirtung kein zwingender, sondern rein optionaler Bestandteil ist. 542 Siehe dazu Schmidt zu ξείνιον in LfgrE, vol. 3, Sp. 460. 543 Vgl. dazu auch Schmitt Pantel (1992, S. 5), die „ xenia “ als „‘ le repas donné ou reçu dans le cadre des relations d ’ hospitalité ’“ definiert. 544 Auf diese Weise wird die Einladung von Sesostris und seiner Familie durch Sesostris ’ Bruder ausgedrückt ( τοῦτον ἐπὶ ξείνια αὐτὸν καλέσαντα καὶ πρὸς αὐτῷ τοὺς π αῖ δας - II, 107.1) und auch die Einladung des Etearchos an Themison ist ähnlich formuliert ( παραλαβὼν ἐπὶ ξείνια - IV, 154.3). Ebenso drückt der Text die Einladung der persischen Gesandten bei Amyntas auf diese Weise aus ( σφεας ἐπὶ ξείνια καλέει - V, 18.1). Auch in der Weissagung der Pythia, die Dolonker sollen denjenigen als Gründer ins Land berufen, der sie als Erster gastlich einladen werde, sobald sie den Tempel verlassen haben, ist ἐπὶ ξείνια καλέειν verwendet ( πρῶτος ἐπὶ ξείνια καλέσῃ - VI, 34.2). Außerdem tritt die Formulierung in IX, 15.4 auf, als Attaginos Mardonios und zahlreiche weitere Perser als Gäste zu sich lädt ( ἐκάλεε ἐπὶ ξείνια - IX, 15.4) sowie in IX, 89.1, als die Thessaler den fliehenden Artabazos gastlich aufnehmen ( παρὰ σφέας ἐπί τε ξείνια ἐκάλεον - IX, 89.1). In VII, 135.1 wird das einzige Mal in den Historien die Formulierung ξείνια προτίθεσθαι verwendet, als Hydarnes Spartaner bei sich gastlich aufnimmt ( ὅς σφεας ξείνια προθέμενος ἱστία - VII, 135.1; siehe zu dieser Umschreibung der gastfreundschaftlichen Aufnahme die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10). 545 Hornblower (2013, S. 111): „ the expression is usually used in Hdt. about invitations to hospitality issued by Greeks (6.34.2, 9.15.4 and 89.1, but cf. 2.115.4). “ 546 Voraussetzung für diese These ist allerdings, dass die Makedonen als Griechen angesehen werden, da auch deren Einladung an die persischen Gesandten durch diese Formulierung 2.2 Das Symposion 145 <?page no="146"?> Einladungen von Griechen die Betonung auf der Gastfreundschaft und den damit verbundenen Pflichten liegt. 547 Mit dem zu Xenia gehörigen Verb ξεινίζειν werden in Herodots Historien ebenfalls gastfreundschaftliche Aufnahmen umschrieben, bei denen wie auch bei Einladungen, die im Text durch ἐπὶ ξείνια καλέειν / παραλαμβάνειν ausgedrückt werden, eine Bewirtung als Bestandteil angenommen werden kann. 548 Bei diesen Bewirtungen steht die gastfreundschaftliche Komponente zumindest terminologisch im Vordergrund. Denn derjenige, der eine Bewirtung erfährt, die durch ξεινίζειν beschrieben wird, wird wörtlich zum Gast. 549 Häufig treten diese Formulierungen bei denselben Gastmahlbeschreibungen auf wie bei denen, die durch eine Formulierung mit ( τὰ ) ξείνια umschrieben werden, wobei es sich wiederum fast ausschließlich um gastliche Aufnahmen bei Griechen handelt. 550 Es gibt ausgedrückt wird ( σφεας ἐπὶ ξείνια καλέει - V, 18.1). Zur Frage, ob Makedonen Griechen sind, vgl. Anm. 1499. Zur Analyse dieser Gastmahlszene siehe Kap. 4.2.3.4. 547 Ungeachtet der Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν treten ξεινίη und verwandte Begriffe als Ausdrücke der gastfreundschaftlichen Beziehung in den Historien häufig bei Verbindungen auf, bei denen zumindest einer der beiden Gastfreunde von griechischer Abstammung ist (so z. B. bei II, 115.4 / II, 115.6 / II, 182.2 / III, 39.2 / III, 40.2 / III, 43.2 / VII, 237.3), aber auch dann, wenn keiner der Partner eine griechische Abstammung hat (so z. B. bei III, 21.1+2 / III, 88.1 / IV, 65.2 / VII, 29.2). So zeigt der Text an der verwendeten Terminologie, dass in der Darstellung der Historien das griechische Verständnis von Xenia auf Beziehungen anderer Völker übertragen wird, wenn in diesen Beziehungen Übereinstimmungen mit der griechischen Auffassung von Gastfreundschaft erkennbar sind. Vgl. dazu auch Vandiver (2012), bes. S. 145 f. 548 Powell (1938, S. 235) gibt als Bedeutung für ξεινίζειν „ feast a person “ an; vgl. auch ξενίζω in LSJ, S. 1188: „ receive or entertain as a guest “ . Ξεινίζειν ist wie z. B. auch κομίζειν und φιλέειν als Terminus für die gastliche Aufnahme bereits im Epos gebräuchlich (siehe dazu Scheid-Tissinier [1994], S. 129 - 135; Wagner-Hasel [2000], S. 117 - 122). Doch in Herodots Historien treten weder κομίζειν noch φιλέειν auf, wenn eine gastfreundschaftliches Aufnahme beschrieben wird. 549 Siehe dazu Anm. 48. 550 Das gilt z. B. für die gastliche Aufnahme der Perser bei Amyntas. Amyntas lädt die Perser gastlich ein ( καί σφεας ἐπὶ ξείνια καλέει - V, 18.1) und die Perser sprechen davon, dass sie von ihm gut bewirtet werden ( μεγάλως δὲ ξεινίζεις - V, 18.2). Ein weiteres Beispiel für eine solche Verbindung von ( τὰ ) ξείνια und ξεινίζειν ist bei der Darstellung der Aufnahme der Dolonker bei Miltiades gegeben, der diesen zunächst Gastgeschenke und Unterkunft verspricht ( ἐπηγγείλατο καταγωγὴν καὶ ξείνια - VI, 35.2) und sie dann auch aufnimmt und bewirtet ( οἱ δὲ δεξάμενοι καὶ ξεινισθέντες - VI, 35.2). Ebenso wird die Aufnahme des Artabazos bei den Thessalern durch eine Formulierung mit ( τὰ ) ξείνια umschrieben ( ἐπί τε ξείνια ἐκάλεον - IX, 89.1), in deren Rahmen Artabazos wiederum auffordert, Mardonios ebenfalls gastfreundlich aufzunehmen ( ξεινίζετε - IX, 89.3), und auch die großzügige Bewirtung der Freier der Agariste durch den künftigen Brautvater Kleisthenes wird durch ξεινίζειν umschrieben ( ἐξείνιζε μεγαλοπρεπέως - VI, 128.1), wobei hier allerdings keine Einladung durch eine Formulierung mit ( τὰ ) ξείνια voraus- 146 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="147"?> jedoch auch einige Fälle von ‚ nicht-griechischen ‘ Bewirtungen, die durch ξεινίζειν umschrieben werden. 551 An nur einer Stelle in den Historien wird die Bewirtung eines Fremden bzw. Gastfreunds durch das Verb ξεινοδοκέειν ausgedrückt, das ebenfalls eine gastfreundschaftliche Aufnahme umschreibt. 552 Der Text führt hier im Rahmen der Aufzählung von Agaristes Freier auch Laphanes, den Sohn des Euphorion, an. Dieser Euphorion sei dafür bekannt, die Dioskuren aufgenommen zu haben und seitdem jeden aufzunehmen ( ἀπὸ τούτου ξεινοδοκέοντος πάντας ἀνθρώπους - VI, 127.3). Bei Umschreibungen des Gastmahls durch Wörter mit etymologischen Zusammenhang zu Xenia ist also immer ein Bezug zur Gastfreundschaft hergestellt. Diese gehen daher mit gastfreundschaftlichen Verpflichtungen einher und lassen so eine großzügige und sichere Bewirtung als gastfreundschaftliche Gabe erwarten. Dabei ist die Verwendung der Formulierungen und Vokabeln, die mit Xenia in Verbindung stehen, in den Historien zwar meistens im griechischen Kontext verwendet, aber keineswegs darauf begrenzt. 2.2.5.10 Varianten der gastlichen Aufnahme und Bewirtung ( ἱστιᾶν / θοίνη - θοινᾶν / εὐωχέειν / δέχεσθαι / πανδοκεύειν ) Als weiterer Ausdruck, der eine gastliche Aufnahme bzw. Bewirtung beschreibt, findet sich in Herodots Historien an drei Stellen ἱστιᾶν . Im Gegensatz zu einer durch ξεινίζειν ausgedrückten Bewirtung, mit der terminologisch in erster Linie Gastfreundschaft verbunden ist, ist es hier die Aufnahme an den eigenen Herd, geht. Bei der Aufnahme der Spartaner beim Perser Hydarnes wird zwar ξεινίζειν verwendet, um die Bewirtung zu umschreiben ( ξεινίζων - VII, 135.1), nachdem deren Aufnahme durch die Formulierung ‚ξείνια προθέμενος ἱστία‘ ausgedrückt worden ist (VII, 135.1), aber im Gegensatz zu den bisherigen Beispielen (vgl. aber Anm. 546) ist hier der Gastgeber nicht von griechischer Abstammung. Die Gäste allerdings sind Griechen. 551 So wird die gastliche Aufnahme des Solon im Palast des Lyders Kroisos durch ξεινίζειν umschrieben ( ἐξεινίζετο ἐν τοῖσι βασιληίοισι - I, 30.1) und auf diese Weise wird auch die Bewirtung der Skythen durch Kyaxares und die Meder ausgedrückt ( ξεινίσαντες - I, 106.2). Außerdem trifft dies auch auf die Bewirtung von Xerxes ’ Heer durch den Lyder Pythios zu ( ἐξείνισε - VII, 27.1 / ἐξείνισας - VII, 29.1); vgl. auch VII, 135.1 (siehe dazu Anm. 550). 552 Im LfgrE gibt Schmidt für das etymologisch zu ξεινοδοκέειν gehörige Substantiv ξεινοδόκος die Grundbedeutung „ Gastgeber “ an ( ξεινοδόκος in LfgrE, vol. 3, Sp. 462). So werde ξεινοδόκος an einigen Stellen im Epos wie ξεῖνος verwendet, an anderen Stellen aber ξεῖνος gegenübergestellt, wenn durch ξεῖνος ‚ Gast ‘ ausgedrückt wird (ebd.). Vgl. dazu auch ξεινοδοκέω in LSJ, S. 1189: „ entertain guests or strangers, Hdt. 6.127 [ … ] “ . Für die Bedeutung von ξεινοδόκος siehe auch Wagner-Hasel (2000), S. 81; Hiltbrunner (2005), S. 36, S. 125. In Herodots Historien allerdings tritt ξεινοδόκος an keiner Stelle auf. 2.2 Das Symposion 147 <?page no="148"?> die hervorgehoben wird. 553 So tritt ἱστιᾶν im Zuge der Beschreibung des Gastmahls für die persischen Gesandten am Hofe des Amyntas auf. Alexander sagt dort in direkter Rede zu den Persern, dass sie den Anschein erwecken, eine vollkommene Bewirtung erfahren zu haben ( οἴκατε πανδαισίῃ τελείῃ ἱστιῆσθαι - V, 20.4). 554 Ein weiteres Mal wird ἱστιᾶν in VII, 135.1 verwendet, als die gastfreundschaftliche Aufnahme todgeweihter Spartaner bei dem Perser Hydarnes auf folgende Art im Text formuliert wird: [ … ] ὅς σφεας ξείνια προθέμενος ἱστία , ξεινίζων δὲ εἴρετο λέγων τάδε · [ … ] [ … ] Dieser, der ihnen Gastfreundschaft anbot und sie gastlich aufnahm, fragte, während er sie bewirtete, folgendes: [ … ] (Übersetzung: Ley-Hutton [2016]) An keiner anderen Stelle in den Historien wird das Vorgehen bei einer gastfreundschaftlichen Aufnahme so kompakt und dennoch mit drei unterschiedlichen Ausdrücken für die Beschreibung einer Aufnahme bzw. Bewirtung dargestellt. Als Erstes erhalten die Fremden Gastgeschenke ( ξείνια προτίθεσθαι ), werden dann ins Haus aufgenommen ( ἱστιᾶν ) und daraufhin bewirtet ( ξεινίζειν ). Durch diese drei Ausdrücke wird der gastfreundschaftliche Kontext hier besonders betont. Da die Aufnahme also bereits durch ἱστιᾶν und ξείνια προτίθεσθαι umschrieben ist, kann ξεινίζειν hier als Bewirtung interpretiert werden. Erst nach Vollzug der gastfreundschaftlichen Rituale, die hier in der Gabe der Gastgeschenke ausgedrückt werden, beginnt während der Bewirtung das Gespräch (VII, 135.2). 555 Dass ἱστιᾶν in den Historien aber auch im übertragenen Sinn verwendet ist und eben nicht immer eine Bewirtung im eigenen Haus bezeichnet, wird bei dem Gastmahl, zu dem Nitokris die Mörder ihres Bruders einlädt, deutlich ( καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε , πολλοὺς ἱστιᾶν - II, 100.3). Denn obwohl der Text Nitokris ’ Bewirtung durch 553 Vgl. ἑστιάω in LSJ, S. 698 f.: „ ( ἑστία ): - receive at one ’ s hearth or in one ’ s house [ … ] II. Pass. [ … ]: - to be a guest, be feasted “ . Da ἱστίη das Herdfeuer in der Mitte des Hauses bezeichnet (vgl. Nordheider zu ἱστίη in LfgrE, vol. 2, Sp. 1249), ist mit ἱστιᾶν die Aufnahme eines Gastes ins Innerste der Hausgemeinschaft verbunden. Die u. a. nicht in Wilsons Text aufgenommene Lesart von συνεστίῃ in VI, 128.1 (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.4) wäre - in Form eines Kompositums - das einzige Vorkommen des zu ἱστιᾶν gehörenden Substantivs ἱστίη bzw. ἑστία im Kontext eines Gastmahls in den Historien. Zur Bedeutung von ( συν -) ἱστίη bzw. ( συν -) ἑστία siehe Anm. 474. Ἱστίη tritt darüber hinaus in den Historien in den Bedeutungen Herd (IV, 68.1 / zweimal in IV, 68.2 / VI, 86 δ ) und Haushalt (zweimal in I, 176.3 / V, 40.2) auf. 554 Zu diesem Gastmahl siehe Kap. 4.2.3.4. 555 Zu diesem Gastmahl siehe Kap. 3.1.1. 148 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="149"?> ἱστιᾶν ausdrückt, befinden sich die Gäste dafür nicht in Nitokris ’ Palast, sondern in einer unterirdischen Kammer. 556 Neben ξεινίζειν und ἱστιᾶν kann eine Bewirtung auch durch θοινᾶν umschrieben werden. Während bei ξεινίζειν also die Betonung auf der Gastfreundschaft liegt und bei ἱστιᾶν in erster Linie auf der Aufnahme an den Herd bzw. in ein Haus, liegt sie bei θοινᾶν direkt auf der (festlichen) Bewirtung. 557 In den Historien wird θοινᾶν nur einmal verwendet - und zwar wieder in der Darstellung des Harpagos-Mahls. Harpagos verlacht den gefangenen Astyages und befragt ihn mit Bezug auf das Mahl, an dem er ihn mit dem Fleisch seines Sohnes bewirtet hatte, wie es für ihn sei, Sklave anstatt König zu sein ( καὶ δὴ καὶ εἴρετό μιν πρὸς τὸ ἑωυτοῦ δεῖπνον , τό μιν ἐκεῖνος σαρξὶ τοῦ παιδὸς ἐθοίνησε , ὅ τι εἴη ἡ ἐκείνου δουλοσύνη ἀντὶ τῆς βασιληίης - I, 129.1). Das Harpagos-Mahl insgesamt hat der Text Astyages zuvor als θοίνη bezeichnen lassen, als er sich bei Harpagos erkundigt, ob diesem das Mahl geschmeckt habe ( εἰ ἡσθείη τι τῇ θοίνῃ - I, 119.5). Harpagos scheint durch die Verwendung von θοινᾶν die vormalige Provokation des Astyages, da er dem Mahl durch den Gebrauch von θοίνη die Konnotation eines Festmahls verleiht, 558 wiederaufzunehmen und sie auf diese Art zu entkräften. Schließlich befindet sich nun Astyages in einer aussichtslosen Situation. Die Vielzahl unterschiedlicher Begriffe für Essen und Bewirtung, die der Text in dieser Erzählung verwendet ( δεῖπνον , βιβρώσκειν , βωρή , θοινᾶν , θοίνη ), hebt den Vorgang des Speisens dort eindrucksvoll hervor, der zentral für das Harpagos-Mahl und damit auch für den dargestellten Fortgang des geschichtlichen Verlaufs ist. 559 Θοίνη wird noch ein weiteres Mal in den Historien verwendet. Pausanias nämlich lässt ein üppiges persisches und ein normales lakonisches Mahl zubereiten und bezeichnet diese beiden Mähler jeweils als θοίνη ( ὡς δὲ τῆς θοίνης ποιηθείσης ἦν πολλὸν τὸ μέσον - IX, 82.3). Wenngleich das persische Mahl viel reicher ausgestattet ist, entspricht auch das zubereitete lakonische Mahl aus Sicht der Lakedaimonier einem Festmahl. Wie bei ἱστιᾶν ist auch bei θοινᾶν bzw. θοίνη in den Historien kein direkter terminologischer Zusammenhang zu Xenia gegeben. Außerdem wird ersichtlich, dass in den Historien 556 Zu diesem Gastmahl siehe Kap. 4.2.3.3. 557 Vgl. dazu Führer zu θοιν ( άω ) in LfgrE, vol. 2, Sp. 1052: „ (sich) bewirten (lassen) “ bzw. zu θοίνη in LfgrE, vol. 2, Sp. 1052: „ Gastmahl “ ; vgl. auch θοινάω in LSJ, S. 803: „ feast on, eat [ … ] II. feast, entertain “ . 558 Vgl. θοίνη in LSJ, S. 803: „ meal, feast “ . Powell (1938) differenziert bei den Bedeutungen von δαίς ( „ a feast “ , S. 72) und θοίνη ( „ banquet “ , S. 168) nicht stark. Beide weisen auf einen festlichen Charakter hin. 559 Zum Harpagos-Mahl siehe Kap. 4.2.3.2.2. 2.2 Das Symposion 149 <?page no="150"?> sowohl ἱστιᾶν als auch θοίνη bzw. θοινᾶν im Kontext von eher düsteren Situationen verwendet werden. 560 Mit εὐωχέειν tritt in aktiver Diathese ein weiterer Ausdruck für Bewirtung in Herodots Historien auf. Εὐωχέειν bedeutet im aktivischen Gebrauch in erster Linie ‚ gut bewirten ‘ und im Passiv bzw. Medium ‚ sich gut bewirten lassen ‘ oder einfach ‚ schmausen ‘ , sodass bei dessen Verwendung immer auf eine reichliche und aufwendige Bewirtung geschlossen werden kann. 561 Auf diese Weise wird die gute Bewirtung beschrieben, die Kleobis und Biton erfahren, kurz bevor sie als Lohn für ihren Einsatz - sie hatten ihre Mutter am Herafest in einem Gespann zum Tempel gezogen (I, 31.2) - für immer friedlich einschlafen ( εὐωχήθησαν - I, 31.5). Bei den Skythen werden diejenigen, die mit dem Leichnam eines verstorbenen Angehörigen auf dem Wagen zu Freunden fahren, empfangen und gut bewirtet ( ὑποδεκόμενος εὐωχέει - IV, 73.1). Auch Salmoxis lässt seine Gäste ansehnlich bedienen ( πανδοκεύοντα τῶν ἀστῶν τοὺς πρώτους καὶ εὐωχέοντα - IV, 95.3) und die Thraker halten bei Todesfällen nach den Totenklagen ein Festmahl ab, das durch εὐωχέεσθαι beschrieben wird und wofür sie vielerlei Opfertiere schlachten ( καὶ παντοῖα σφάξαντες ἱρήια εὐωχέονται - V, 8). Als Kompositum von εὐωχέειν tritt dreimal in den Historien κατευωχέεσθαι auf (I, 216.2 / III, 99.1+2) und bezeichnet ebenfalls ein freudiges Schlemmen, allerdings stets in einem kannibalischen Kontext. 562 In I, 216 wird von den Sitten der Massageten berichtet, zu denen es gehört, dass Angehörige ihre Toten schlachten, das Fleisch kochen und dann feierlich verzehren ( ἑψήσαντες δὲ τὰ κρέα κατευωχέονται - I, 216.2). Wenn jemand allerdings an einer Krankheit stirbt, dann verspeisen sie ihn nicht ( οὐ κατασιτέονται - I, 216.3) 563 , sondern begraben ihn. Auf ähnliche Weise wird κατευωχέεσθαι in III, 99.1+2 verwendet. Denn dort wird wie für die Massageten in I, 216.2 ein Brauch beschrieben, der das Verzehren von Toten beinhaltet. Auch die Padaier essen ihre Toten. Allerdings töten und verzehren sie ihre Mitmenschen bereits dann feierlich ( ἀποκτείναντες κατευωχέονται - III, 99.1), wenn diese nur krank sind (III, 99.1), damit ihnen kein Fleisch durch die Krankheit verlorengeht. Wer von ihnen ein 560 Vgl. ἱστιᾶν : Nitokris ’ Rache - II, 100.3 / Perser bei Amyntas - V, 20.4 / Todgeweihte Spartaner bei Hydarnes - VII, 135.1 / / θοίνη bzw. θοινᾶν : Harpagos-Mahl - I, 119.5; I, 129.1 / Mahlvergleich durch Pausanias kurz nach persischer Niederlage - IX, 82.3. 561 Vgl. εὐωχέω in LSJ, S. 740: „ entertain sumptuously [ … ] - Med. and Pass., fare sumptuously, feast “ ; Powell (1938, S. 154): „ feast guests [ … ]; pass. feast “ . Vgl. dazu auch Schmitt Pantel (1992, S. 5): „ l ’ euochia est ‘ le repas où l ’ on est bien traité ’“ . 562 Vgl. Powells (1938, S. 191) Übersetzung für κατευωχέομαι als „ feast upon “ sowie κατευωχέομαι in LSJ, S. 926: „ feast and make merry on “ . 563 Zu κατασιτέεσθαι siehe Kap. 2.2.5.7. 150 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="151"?> hohes Alter erreicht hat, wird geopfert und ebenfalls feierlich verzehrt ( θύσαντες κατευωχέονται - III, 99.2). An all diesen bisher genannten Stellen stehen εὐωχέειν bzw. ( κατ -) ευωχέεσθαι immer in Verbindung mit dem Tod. Die Massageten und Padaier verzehren ganz unbeirrt mit Genuss ihre Toten (I, 216.2 / III, 99.1+2). Bei Kleobis und Biton folgt auf die aufwendige Bewirtung ihr glücklicher Tod (I, 31.5). Bei den Skythen werden Angehörige eines verstorbenen Menschen auf diese Weise bewirtet (IV, 73.1). Salmoxis bewirtet seine Anhänger, während er sie lehrt, niemals sterben zu müssen (IV, 95.3), und auch das Speisen der Thraker nach einem Todesfall wird mit diesem Ausdruck umschrieben (V, 8). Dass sich aber das Bedeutungsfeld von εὐωχέειν nicht auf ‚ Henkersmahlzeiten ‘ und ‚ Leichenschmause ‘ beschränkt, sondern in erster Linie die reichlichen Bewirtungen umschreibt, die bei diesen genannten Mahlzeiten der zum Tode Bestimmten vor oder der Angehörigen nach dem Tod veranstaltet werden, zeigt sich daran, dass der Text auch Bewirtungen durch εὐωχέειν umschreibt, die keinen Bezug zum Tod haben. 564 So überzeugt Kyros die Meder vom Abfall von Astyages, indem er sie aufwendig bewirtet ( εὐώχεε - I, 126.3) und auch Kleisthenes bewirtet seine Gäste, die Freier seiner Tochter und die Sikyonier, nach dem Schlachten von einhundert Rindern festlich ( εὐώχεε - VI, 129.1). Obwohl im Wort εὐωχέειν kein terminologischer Bestandteil eine gastfreundschaftliche Beziehung signalisiert, handelt es sich stets um eine positive und aufwendige Art der Bewirtung, die in den Historien niemals ausgenutzt wird, um den Gästen zu schaden - im Gegensatz zu einigen Bewirtungen, die durch ἱστιᾶν oder θοινᾶν ausgedrückt werden. 565 Während der Text die Bewirtung der Geten durch Salmoxis mit εὐωχέειν bezeichnet, umschreibt er deren Aufnahmen durch das Verb πανδοκεύειν ( πανδοκεύοντα τῶν ἀστῶν τοὺς πρώτους καὶ εὐωχέοντα - IV, 95.3), welches in Herodots Historien nur an dieser Stelle verwendet wird. Durch πανδοκεύειν wird eine gastliche Aufnahme durch einen Gastwirt beschrieben, wobei allerdings nicht immer von reiner Gastfreundschaft die Rede sein kann, sondern oft spielt dabei das Erhoffen von Profit eine Rolle. 566 An den Wortbestandteilen παν - (= alle) und δέχεσθαι (= aufnehmen) wird ersichtlich, dass diese Auf- 564 Außerdem umschreibt der Text in den Historien nicht jeden ‚ Leichenschmaus ‘ durch εὐωχέειν . Beim Mahl der Issedonen nach dem Tod eines Vaters ist z. B. die Rede von der Vorbereitung einer δαῖς ( δαῖτα προτίθενται - IV, 26.1). 565 Ἱστιᾶν wird im Rahmen von Nitokris ’ Gastmahl verwendet, das Teil ihres Racheplans ist (II, 100.3), sowie beim katastrophalen Symposion bei Amyntas (V, 20.4). Θοινᾶν und θοίνη werden im Zuge des grausamen Harpagos-Mahls gebraucht (I, 119.5 / I, 129.1). 566 Vgl. dazu πανδοκεύω in LSJ, S. 1297: „ ( πάνδοκος ) entertain as a host or innkeeper “ . Vgl. auch Hartog (1988), S. 99; Hiltbrunner (2005), S. 36, S. 125. 2.2 Das Symposion 151 <?page no="152"?> nahme jedem gewährt wird und nicht nur Gastfreunden. 567 Während also durch εὐωχέειν die Üppigkeit der Bewirtung von Salmoxis hervorgehoben wird, erschafft der Text durch die Umschreibung der Aufnahme durch πανδοκεύειν eine Distanz zwischen Salmoxis und seinen Schülern. Gastliche Aufnahmen werden in Herodots Historien darüber hinaus mehrfach durch δέχεσθαι oder auch ὑποδέχεσθαι ausgedrückt, wobei hier die Betonung weder auf der Bewirtung noch auf der Gastfreundschaft liegt, sondern auf der Aufnahme in ein Haus oder auch in eine Stadt. 568 Wenn also z. B. Adrastos ’ Aufnahme durch Kroisos lediglich durch ὑποδέχεσθαι umschrieben wird (I, 41.1 / I, 44.2), gibt der Text nicht zu erkennen, ob es zu einer Bewirtung kommt, was für den weiteren Erzählverlauf ohnehin unerheblich ist. 569 Doch nicht nur die Aufnahme von oder bei Privatpersonen wird durch ( ὑπο -) δέχεσθαι ausgedrückt, sondern auch die Aufnahme von Menschen in eine Stadt. 570 Wenn der Text durch δέχεσθαι also eine gastliche Aufnahme 567 Vgl. dazu πάνδοκος in LSJ, S. 1297: „ ( δέχομαι ) all-receiving, common to all “ . 568 Vgl. dazu δέχομαι in LSJ, S. 382: „ II. of persons as the object, welcome, [ … ] to admit into the city [ … ]; entertain “ bzw. ὑποδέχομαι in LSJ, S. 1879: „ receive into one ’ s house, welcome, [ … ] 2. entertain to a meal “ . 569 Vgl. dazu auch I, 122.1, wenn beschrieben wird, dass Kyros ’ Eltern ihn wieder in ihr Haus aufnehmen ( ἐδέξαντο - I, 122.1 / δεξάμενοι - I, 122.1). Hier ist es entscheidend, dass Kyros nach der Aufdeckung seiner wahren Identität durch die Aufnahme bei seinen leiblichen Eltern auch wieder zurück in sein ‚ richtiges ‘ Leben findet. Die gesamte Aufnahme ist daher zentral, Einzelheiten der Aufnahme wie z. B. ein Festmahl dagegen nicht. Weitere Aufnahmen von Personen durch Privatpersonen, die der Text durch δέχεσθαι umschreibt und bei denen eine Bewirtung für den Erzählverlauf unerheblich ist und daher nicht extra erwähnt wird, finden sich z. B. in III, 51 - 52 (= Umschreibung der Aufnahme der Söhne des Periander durch ihren Großvater Prokles sowie des Lykophron durch Freunde) sowie in VI, 127.3 (= Umschreibung der Aufnahme der Dioskuren durch Euphorion). Ὑποδέχεσθαι verwendet der Text z. B., um die Aufnahme von Mardonios bei Dareios zu umschreiben (VI, 70.2), und auch in Demaratos ’ Aussage zu Xerxes, dass sein Vater ihm Aufnahme gewährt habe (VII, 104.2). 570 Vgl. z. B. I, 60.5: Dort verkünden Herolde, dass die Athener Peisistratos in ihre Stadt aufnehmen sollen ( Ὦ Ἀθηναῖοι , δέκεσθε ἀγαθῷ νόῳ - I, 60.5), was diese dann auch umsetzen ( ἐδέκοντο Πεισίστρατον - I, 60.5). In I, 150.1 wird die Aufnahme von Flüchtlingen aus Kolophon in Smyrna mit ὑποδέχεσθαι ausgedrückt und im vierten Buch wird die Aufnahme der Minyer durch die Lakedaimonier durch δέχεσθαι umschrieben (IV, 145.5). Darüber hinaus berichtet der Text in IV, 160.2, dass Arkesilaos gegen die Libyer in den Krieg zieht, die seine Brüder aufgenommen hatten ( ἐς τοὺς ὑποδεξαμένους τε τῶν Λιβύων ); vgl. zudem auch V, 57.2 / VI, 5.1 / IX, 27.2. In VIII, 124.2 wird Themistokles ’ Empfang in Sparta, wo er dann für seine kriegerischen Erfolge bei Salamis geehrt wird, durch ὑποδέχεσθαι umschrieben. In V, 96.2 verwendet der Text καταδέχεσθαι , um Artaphernes ’ Aufforderung, die Athener sollen Hippias wieder in ihre Stadt aufnehmen, auszudrücken. Durch καταδέχεσθαι wird besonders eine Wiederaufnahme in die Heimatstadt nach einer Verbannung umschrieben (vgl. καταδέχομαι in LSJ, S. 889: „ receive, admit [ … ] 2. receive back, take home again, esp. from banishment “ ). 152 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="153"?> beschreiben möchte, bei der es auch zu einer Bewirtung kommt, verwendet er zusätzlich noch ein weiteres Verb, das diese Konnation herausstellt. Dies ist z. B. in I, 126.2 der Fall, als Kyros durch eine großzügige Bewirtung versucht, das Heer für seine Sache zu gewinnen. 571 Zunächst berichtet der Text zwar, dass Kyros die Herden seines Vaters schlachtet, um das Heer zu Wein sowie Speisen aufnehmen zu können ( ὡς δεξόμενος < τούτοισι > τὸν Περσέων στρατόν , πρὸς δὲ οἴνῳ τε καὶ σιτίοισι ὡς ἐπιτηδεοτάτοισι - I, 126.2), die reichliche Bewirtung am nächsten Tag allerdings wird durch εὐωχέειν hervorgehoben ( τοὺς Πέρσας κατακλίνας ἐς λειμῶνα εὐώχεε - I, 126.3). 572 2.2.6 Zwischenfazit: Das Symposion In der griechischen Kultur entwickelte sich das Symposion in der Gesellschaft zu einem Treffpunkt mit eigenen Regeln, der sich vom Alltag abhob und damit einen Sonderraum bildete. Während dieser Sonderraum des Symposions bestehen blieb, veränderten sich dessen äußere Voraussetzungen mit der Gesellschaft. Nachdem es zunächst nur einen elitären Treffpunkt für Aristokraten bildete, öffnete es sich mit der Zeit für weite Gesellschaftsschichten. Die Veränderung der Teilnehmer wiederum hatte vor allem Auswirkungen auf 571 Vgl. zu dieser Bewirtung die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2. 572 Vgl. dazu auch IV, 73.1: Dort berichtet der Text von der skythischen Sitte, die besagt, dass Angehörige eines Verstorbenen dessen Leichnam auf einen Wagen legen und zu Freunden fahren, wo sie von diesen aufgenommen und bewirtet werden ( τῶν δὲ ἕκαστος ὑποδεκόμενος εὐωχέει τοὺς ἑπομένους - IV, 73.1). Die Bewirtung im Rahmen dieser gastlichen Aufnahme wird also auch hier durch εὐωχέειν herausgestellt. In IV, 26.1 wird dargestellt, dass bei den Issedonen im Fall, dass ein Vater stirbt, die Angehörigen zusammenkommen und ein Mahl veranstalten. Hier wird der Gastgeber - der Sohn des toten Vaters - durch ein substantiviertes Partizip von δέχεσθαι umschrieben ( τοῦ δεκομένου - IV, 26.1). Dass es dort auch zu einem Mahl kommt, ist zusätzlich durch δαῖτα προτίθενται ausgesagt (IV, 26.1). Ein weiteres Beispiel liefert die gastliche Aufnahme der persischen Gesandten bei den Makedonen im fünften Buch der Historien. Dort wird die Aufnahme der Perser durch die Makedonen dreimal durch δέχεσθαι ausgedrückt ( ἐδέκετο τοὺς Πέρσας φιλοφρόνως - V, 18.1 / σύ νυν , ἐπεί περ προθύμως μὲν ἐδέξαο , μεγάλως δὲ ξεινίζεις - V, 18.2 / εὖ ὑμέας ἐδέξατο καὶ τραπέζῃ καὶ κοίτῃ - V, 20.4). Für diese Erzählung ist nicht die Aufnahme an sich, sondern das damit verbundene Gastmahl mit Symposion bzw. die gastfreundschaftliche Bewirtung entscheidend, sodass der Text diese einerseits durch ξεινίζειν (V, 18.2) und andererseits durch die Kombination von δέχεσθαι mit τραπέζῃ (V, 20.4) herausstellt; siehe zu diesem Symposion Kap. 4.2.3.4. In VI, 35.2 wird die Aufnahme der Dolonker durch δέχεσθαι umschrieben und die gastfreundschaftliche Bewirtung durch ξεινίζειν hervorgehoben ( ο ἱ δὲ δεξάμενοι καὶ ξεινισθέντες ὑπ᾽ αὐτοῦ ). Auch die Aufnahme von Xerxes ’ Heer wird durch ( ὑπο -) δέχεσθαι (zweimal in VII, 118 / VII, 119.4) umschrieben, deren aufwendige Speisung aber nochmals durch δειπνίζειν hervorgehoben wird (zweimal in VII, 118). 2.2 Das Symposion 153 <?page no="154"?> die Ausrüstung und den ursprünglichen Luxus des Symposions. Für manche aristokratische Gruppen blieb das Symposion auch in klassischer Zeit ein elitärer Treffpunkt, um gemeinsame Ziele zu definieren und Pläne zu schmieden oder um einfach eine Ausfluchtmöglichkeit aus dem Alltag zu finden. Vor allem der Begriff Hetairie deutete auf eine solche Gemeinschaft hin. Hetairie und Symposion überlagern sich daher. Es fällt schwer, den Terminus Symposion eindeutig und für alle Situationen und Kulturen gültig zu definieren. Für diese Arbeit habe ich das idealtypische attische Symposion des frühen 5. Jh. v. Chr. als Vergleichsmaßstab für Ablauf, Unterhaltung, Verhalten, Teilnehmer und Regeln aller Art festgelegt, anhand dessen sich bei den Symposionsdarstellungen in Herodots Historien Störungsquellen identifizieren oder auch Gründe dafür erkennen lassen, warum bei einem Symposion dessen besondere Atmosphäre und Harmonie vorherrscht. In diesem Sonderraum Symposion war die Gleichberechtigung der männlichen und meist aristokratischen Teilnehmer, die sich in vielen Bereichen zeigte, unverzichtbar. Außerdem mussten die Teilnehmer ihr Verhalten an die Regeln des Symposions anpassen, um dadurch die ungestörte sympotische Harmonie zu ermöglichen. Dazu gehörte es auch, den obligatorischen Weinkonsum nur in Maßen zu genießen. Damit die Unterhaltungsformen wie Tanz, Gesang und Unterhaltung problemlos funktionierten, war die Teilnehmerzahl und die Größe des Androns beschränkt. Der Andron sollte zudem durch seine Lage den nicht-öffentlichen Raum des Symposions gewährleisten. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt waren, konnte sich das Symposion tatsächlich als Sonderraum erweisen, in dem die Symposiasten durch das Erlebnis des verdichteten Daseins für die Zeit des gemeinsamen Trinkens eine Intensivierung des eigenen Bewusstseins und der Emotionen erreichen. 573 Diese Situation evozierte Gedanken über das eigene Dasein und barg zugleich durch Ablenkung und Unbesorgtheit Gefahren von außen, aber auch von innen. Es hat sich zudem gezeigt, dass der herodoteische Erzähler schon anhand seiner Wortwahl Hinweise für die Interpretation einer Gastmahlbzw. Symposionsdarstellung gibt. So sollen für die Untersuchungen dieser Szenen in Herodots Historien die herausgearbeiteten unterschiedlichen Konnotationen nutzbar gemacht werden, die hinter den einzelnen Ausdrücken für Essen, Trinken, gastliche Aufnahme und Bewirtung in Herodots Historien stehen. Dafür wird bei der Untersuchung der jeweiligen Szenen in den Kapiteln 3 und 4 mehrfach auf die passenden Unterkapitel von Kapitel 2.2.5 verwiesen. 573 Vgl. S. 23 mit Anm. 37. 154 2 Gastfreundschaft und Symposion - grundlegende Analysen <?page no="155"?> 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben Zu Beginn möchte ich die Symposions- und Gastmahlszenen in Herodots Historien analysieren, deren Funktionen mit Blick auf die gängigen Konventionen den Erwartungen entsprechen, da sie in erster Linie als Orte für Kommunikation und Belehrung dargestellt sind. Dafür erweist sich insbesondere der Sonderraum hilfreich, den das Symposion erschafft, dessen Atmosphäre auch im Text eine intensivierte Wahrnehmung der Geschehnisse und Emotionen vor Ort ermöglicht. Das dort verdichtete Dasein der Gruppe erschafft eine Situation der Besonderheit, wo über bestimmte Themen konzentriert nachgedacht und gesprochen werden kann. 574 Die betreffenden Symposions- und Gastmahlszenen in Herodots Historien werden nun eingeteilt in drei Bereiche untersucht. In einem ersten Schritt werden die Szenen herausgearbeitet, bei denen durch ein Gastmahl bzw. ein Symposion ein persönliches Gespräch ermöglicht wird. Als Zweites wird analysiert, inwieweit dem Symposion in Herodots Historien die Rolle eines Beratungsortes zukommt. Als Drittes möchte ich schließlich die Symposionsdarstellungen bei Herodot untersuchen, bei denen die Endlichkeit des Menschen thematisiert wird. Dort erweist sich das Symposion einerseits als geeigneter Ort, um Unsterblichkeit zu lehren, und andererseits als Raum, um eine bestimmte Lebenskunst zu vermitteln. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch Im fünften Buch der Historien heißt es, dass Dareios nach der Zerstörung von Sardes durch die Ionier und Athener einem seiner Diener befohlen habe, ihm bei jedem Mahl ( δείπνου προκειμένου - V, 105.2) dreimal zu sagen, er möge sich an die Athener erinnern ( Δέσποτα , μέμνεο τῶν Ἀθηναίων - V, 105.2). Durch die Erwähnung des Mahls kann der Text eine solche Erinnerung sinnvoll verorten. Schließlich ist es ein konstanter Bestandteil von Dareios ’ Leben. Diese stete Erinnerung seines Dieners wird später sogar als einer der Gründe angeführt, weshalb Dareios schließlich seinen Feldzug gegen Griechenland unternimmt 574 Zum Symposion als Sonderraum, bei dem der Bewusstseinszustand gesteigert wird, vgl. die Ausführungen auf S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. <?page no="156"?> ( ὥστε ἀναμιμνήσκοντός τε αἰεὶ τοῦ θεράποντος μεμνῆσθαί μιν τῶν Ἀθηναίων - VI, 94.1). Dass sich Mahlszenen in Herodots Historien als Orte der Kommunikation erweisen, zeigt sich also schon an diesem kleinen, aber nicht unwichtigen Detail, wenngleich es sich an dieser Textstelle um einseitige Kommunikation handelt. Die nicht-öffentliche Atmosphäre während eines Symposions bzw. eines Gastmahls bietet dem herodoteischen Erzähler eine Möglichkeit, auch längere persönliche Gespräche in den Handlungsverlauf der Historien sinnvoll einzubauen. Denn für einen Bericht über ein Gespräch, das bei einem Gastmahl stattfindet, kann der Handlungsfortschritt kurzzeitig angehalten werden, ohne damit dem logischen Zusammenhang des übergeordneten Handlungsablaufes zu schaden. Für die Vorstellung solcher Gastmähler bzw. Symposia in den Historien, die lediglich dazu verwendet scheinen, einen notwendigen Hintergrund für eine Unterhaltung zu bieten, lässt sich annehmen, dass sie den gängigen Konventionen und Regeln entsprechen, sodass im Zentrum der Darstellung der Inhalt des Gesprächs stehen kann. Denn da der Kontext meist nicht weiter kommentiert wird, muss der äußere Rahmen von den Rezipienten aus der eigenen gewohnten Vorstellung heraus ergänzt werden. Auf das Handlungsgeschehen selbst nehmen diese Gastmahlszenen also keinen aktiven Einfluss. In der Untersuchung dreier Gastmähler, erstens bei der gastlichen Aufnahme der todgeweihten Spartaner bei Hydarnes (VII, 135), zweitens dem Abschiedsmahl beim Thebaner Attaginos (IX, 15.4 - 16.5) und drittens der gastlichen Aufnahme des Artabazos bei den Thessalern (IX, 89.1 - 3), möchte ich herausarbeiten, welche Informationen der Text über das jeweilige Gastmahl liefert, um die Annahme zu überprüfen, ob die Gastmähler tatsächlich lediglich den Kontext für die Gespräche darstellen. Natürlich kommt es auch bei weiteren Gastmählern in Herodots Historien zur Wiedergabe von Gesprächen, aber nur bei diesen drei hier ausgewählten Bewirtungen spielt das Gastmahl selbst keine aktive Rolle für die Geschehnisse und verortet dennoch eine direkt wiedergegebene Unterhaltung. 575 575 Dagegen beeinflussen zahlreiche weitere Gastmahlbzw. Symposionsszenen, in deren Rahmen ebenfalls Gespräche wiedergegeben werden, auch selbst die Handlung, sodass in diesen Fällen das Gastmahl nicht nur eine rein kontextualisierende und veranschaulichende Funktion einnimmt; vgl. dazu die Ausarbeitungen in Kap. 4. 156 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="157"?> 3.1.1 Todgeweihte Spartaner bei Hydarnes Zu einem Gespräch zwischen Spartanern und Persern kommt es im siebten Buch der Historien. Dareios hatte einst Boten nach Athen und Sparta mit dem Auftrag, als Zeichen der Unterwerfung Land einzufordern, geschickt, woraufhin diese bei den einen in einen Brunnen, bei den anderen in eine Schlucht geworfen wurden (VII, 133.1). Danach - so bemerkt der Text - traf die Spartaner der Zorn des Talthybios, dem als einstigem Herold des Agamemnon und nun als Schutzherrn der Herolde ein Heiligtum in Sparta errichtet worden war (VII, 134.1). 576 Seit die Spartaner an den Herolden aus Persien also einen Frevel begangen hatten, opferten sie stets unter ungünstigen Vorzeichen, worin sich besagter Zorn offenbarte (VII, 134.2). Zur Besänftigung des Zorns stellten sich nun zwei namentlich genannte Spartaner, Sperthies und Bulis, zur Verfügung, nach Persien in den Tod zu gehen, um einen Ausgleich für die getöteten Herolde zu erwirken (VII, 134.2 - 3). Der Text kündigt an, dass die Spartaner noch etwas Bemerkenswertes sagen werden, indem er darauf hinweist, dass nicht nur deren Mut, sondern auch deren Worte der Bewunderung wert seien ( αὕτη τε ἡ τόλμα τούτων τῶν ἀνδρῶν θώματος ἀξίη καὶ τάδε πρὸς τούτοισι τὰ ἔπεα - VII, 135.1). 577 Somit wissen die Leser, dass sich auf der Reise nach Susa eine Gelegenheit ergeben muss, wo die beiden Spartaner ein Gespräch führen können. Dafür eignet sich ein Gastmahl besonders gut, das auch innerhalb eines größeren Kontexts wie dem Bericht über die Selbstauslieferung der Spartaner einen geeigneten Raum und eine passende Gelegenheit für die Darstellung eines Gesprächs bietet. So kommt es dazu, dass die beiden Spartaner vom Perser Hydarnes Gastgeschenke erhalten und von diesem zur Bewirtung aufgenommen werden, wo dann das erwartete Gespräch stattfindet ( ὅς σφεας ξείνια προθέμενος ἱστία , ξεινίζων δὲ εἴρετο λέγων τάδε - VII, 135.1). Auf eine genauere Schilderung des Ablaufs dieses Gastmahls verzichtet der Text, wobei er bereits durch die Umschreibung der gastlichen Aufnahme, für die er gleich drei Ausdrücke kombiniert verwendet ( ἱστιᾶν , ξείνια προτίθεσθαι und ξεινίζειν ), den gastfreundschaftliche Kontext besonders betont und somit zeigt, dass eine Vertrauensbasis für ein persönliches Gespräch geschaffen ist. 578 Ein gegenseitiges Bekanntmachen 576 Für Talthybios als Beschützer der Herolde vgl. How/ Wells (1912b), S. 179. 577 Vgl. Vannicelli (2018, S. 455): „ la frase introduttiva anticipa il momento centrale, il dialogo con Idarne ( τὰ ἔπεα ). “ 578 Zu dieser äußerst kompakten Formulierung der Aufnahme inklusive Bewirtung, wobei durch die Verwendung der drei Ausdrücke ἱστιᾶν , ξείνια προτίθεσθαι und ξεινίζειν die Gastfreundschaft besonders betont wird, vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10. Zur generellen Betonung der Gastfreundschaft durch die Umschreibung einer Bewirtung mit ( τὰ ) ξείνια sowie ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 157 <?page no="158"?> zwischen Gast und Gastgeber, wie es bei einem solchen Gastmahl zu erwarten ist, wo Fremde miteinander speisen, wird im Text dagegen nicht wiedergegeben. Dennoch ist es an der nun folgenden direkt wiedergegebenen Unterhaltung, die aus Frage des Hydarnes und Antwort der Spartaner besteht, eindeutig erkennbar, dass sich Hydarnes bewusst ist, woher seine Gäste kommen, immerhin spricht er diese als Ἄνδρες Λακεδαιμόνιοι (VII, 135.2) an. Zudem wird durch die Angabe, Hydarnes stelle seine Frage während der Bewirtung ( ξεινίζων δὲ εἴρετο λέγων τάδε - VII, 135.1), eindeutig ersichtlich, dass es sich nicht um das ganze Gespräch zwischen Hydarnes und den Spartanern handelt, das hier wiedergegeben wird, sondern nur um einen kurzen Ausschnitt. Der Text verzichtet aus erzählökonomischen Gründen also sowohl auf die Wiedergabe eines Gesprächsbeginns z. B. in Form einer gegenseitigen Vorstellung, auf die Wiedergabe des ganzen Gesprächs, auf den Abschluss der Unterhaltung sowie auf eine genauere Beschreibung des Gastmahls. 579 Die Auflösung des Gastmahls wird ebenfalls nicht beschrieben. Denn nach der Antwort der Spartaner endet die Szene abrupt. Der Text konzentriert sich gezielt auf den Gesprächsinhalt, der die Worte enthält, die der Text in VII, 135.1 als bewundernswert angekündigt hat. Diese sprechen eine zentrale Thematik der gesamten Historien an: die Analyse des Konflikts zwischen Persern und Griechen bzw. zwischen Asien und Europa. 580 Denn hier spiegelt sich der Konflikt in den einander entgegengesetzten Meinungen des Persers und der Spartaner wider. Hydarnes nutzt diese Gelegenheit, um sich zu erkundigen, weshalb sich die Spartaner dem persischen König nicht anschließen möchten, zumal sie sähen, wie gut es ihm, der beim König aufgrund seiner Tüchtigkeit ( ὁρᾶτε γὰρ ὡς ἐπίσταται βασιλεὺς ἄνδρας ἀγαθοὺς τιμᾶν , ἐς ἐμέ τε καὶ τὰ ἐμὰ πρήγματα ἀποβλέποντες - VII, 135.2) geschätzt werde, gehe. Sie, die Spartaner, gälten bei diesem ebenso als tüchtige Männer (( δεδόξωσθε γὰρ πρὸς αὐτοῦ ἄνδρες εἶναι ἀγαθοί ) - VII, 135.2), sodass sie nach der Unterwerfung einen Teil griechischen Landes bekämen, über das sie herrschen könnten (VII, 135.2). Dabei spricht Hydarnes über die Spartaner im Allgemeinen und nicht speziell über seine beiden Gäste. Ob er weiß, dass sich Sperthies und Bulis gerade auf dem Weg befinden, sich für das Allgemeinwohl Spartas ( πρὸ τῆς Σπάρτης ἀποθνῄσκειν - 579 Heni (1976, S. 38) bemerkt, dass Herodot das „ Überflüssige oder genauer: das, was sich von selbst versteht und folgenlos bleibt, übergeht “ . Dabei verweist er auf Pohlmann (1912), S. 30. 580 Vgl. dazu das Proöm der Historien, in dem der Text unter anderem darauf hinweist, dass durch die Darstellung von Herodots Historien ersichtlich werden soll, worin die Ursache für den Krieg zwischen Griechen und Barbaren bestand ( τά τε ἄλλα καὶ < δὴ καὶ > δι᾽ ἣν αἰτίην ἐπολέμησαν ἀλλήλοισι - I, Proöm). 158 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="159"?> VII, 134.2) den Persern auszuliefern, wird nicht erwähnt. Die Spartaner gehen in ihrer vom Text dargebotenen Antwort jedenfalls nicht auf den Grund ihrer Reise ein. Stattdessen machen sie darauf aufmerksam, dass sein Rat nur seiner eigenen Sichtweise entspricht. Denn er verstehe sich zwar darauf, als Sklave zu leben, die Freiheit aber, die sie als Spartaner genießen, habe er noch nicht ausprobiert, sodass er auch nicht entscheiden könne, ob sie ihm angenehm sei oder nicht ( τὸ μὲν γὰρ δοῦλος εἶναι ἐξεπίστεαι , ἐλευθερίης δὲ οὔκω ἐπειρήθης , οὔτ᾽ εἰ ἔστι γλυκὺ οὔτ᾽ εἰ μή - VII, 135.3). Wenn er sie testen sollte, dann werde er ihnen wohl den Rat geben, nicht nur mit Speeren für sie zu kämpfen, sondern auch mit Äxten ( εἰ γὰρ αὐτῆς πειρήσαιο , οὐκ ἂν δόρασι συμβουλεύοις ἡμῖν περὶ αὐτῆς μάχεσθαι , ἀλλὰ καὶ πελέκεσι - VII, 135.3). Nach der Antwort der Spartaner endet diese Szene. Auch wenn Sperthies und Bulis in ihrer Aussage nicht darauf eingehen, dass sie gerade auf dem Weg sind, für Sparta zu sterben, ist es dem Rezipienten der Historien sehr wohl bewusst. Denn bereits vor dem Gespräch mit Hydarnes beschreibt der Text, dass die beiden Spartaner bereit sind, ihr eigenes Leben für das Wohl der Polis Sparta freiwillig zu opfern (VII, 134.2), und hebt damit die Freiheitsliebe der Spartaner eindrucksvoll hervor. 581 Übertragen auf die Darstellung aller Spartaner in den Historien wird somit bei diesem Gastmahl im Gespräch verdeutlicht, was später in der Schlacht bei den Thermopylen ersichtlich wird, nämlich die spartanische Entschlossenheit, ihre Freiheit im Kampf bis zum Ende zu verteidigen. 582 Ein Leben unter 581 In Susa angekommen machen Sperthies und Bulis schließlich vor Xerxes deutlich, dass sie nicht gekommen sind, um sich zu unterwerfen, sondern um für die ermordeten Herolde durch ihren Tod Buße zu leisten (VII, 136.2). Daher verweigern sie es auch, vor Xerxes auf die Knie zu fallen (VII, 136.1). So vertreten und verteidigen sie weiterhin die spartanischen Werte (vgl. Boedeker [2015], S. 106). Eine Unterwerfung akzeptieren sie nicht, für den Tod sind sie dagegen bereit: Die Freiheit ist für sie wichtiger als ihr Leben. 582 Vgl. dazu Vannicelli (2018, S. 456), der betont, dass die Aussage der Spartaner, Hydarnes würde ihnen wohl befehlen, wenn er die Freiheit jemals gekostet hätte, um diese nicht nur mit Lanzen, sondern mit Äxten zu kämpfen (VII, 135.3), die Entschlossenheit impliziert, die Freiheit bis zum Ende zu verteidigen; denn der Übergang von Speeren zu den Äxten bezeichnet den Übergang vom Fernkampf zum gefährlicheren Nahkampf. Die Endphase der Schlacht bei den Thermopylen sei dann die volle Verwirklichung dieser Aussage (Vannicelli, ebd.); vgl. dazu VII, 224 - 225: So kommt es bei der Darstellung der Schlacht bei den Thermopylen auch dazu, dass die Spartaner ab dem Zeitpunkt, da ihre Speere zerbrochen waren, zwar nicht auf Äxte, aber auf ihre Schwerter zurückgreifen und damit auch den Nahkampf wagen ( δόρατα μέν νυν τοῖσι πλέοσι αὐτῶν τηνικαῦτα ἤδη ἐτύγχανε κατεηγότα , οἱ δὲ τοῖσι ξίφεσι διεργάζοντο τοὺς Πέρσας - VII, 224.1). Vannicelli (2018, S. 456) verweist auf VII, 225.3. Dort ist die Schlacht bei den Thermopylen schon weiter fortgeschritten und es wird ein noch näherer bzw. gefährlicherer Kampf impliziert, da sich die Griechen nun nur noch mit kurzen Schwertern verteidigen können ( ἐν τούτῴ σφεας τῷ χώρῳ ἀλεξομένους μαχαίρῃσι - VII, 225.3; vgl. dazu μάχαιρα in LSJ, S. 1085: „ 2. as a weapon, short sword, dagger “ ), wenn sie diese überhaupt 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 159 <?page no="160"?> persischer Herrschaft, sei es auch noch so gut, versuchen sie um jeden Preis zu verhindern, da es für sie und ihre Stadt Knechtschaft bedeutet. Hier wird die persische Monarchie der griechischen Freiheitsliebe gegenübergestellt. 3.1.2 Abschiedsmahl beim Thebaner Attaginos Die Gebundenheit der Perser an ihren Herrscher wird auch in einem Gespräch während einer anderen Gastmahlszene in den Historien thematisiert. 583 Dabei handelt es sich um das Gastmahl beim Thebaner Attaginos (IX, 15.4 - IX, 16.5), das ich nun als Nächstes analysieren möchte. Dieses wird viel ausführlicher dargestellt, als es bei Hydarnes ’ Gastmahl der Fall ist, welches nur in einem Satz umschrieben wird (VII, 135.1) und damit tatsächlich lediglich als Kontextualisierung dient. Zudem spielt bei der Darstellung von Attaginos ’ Gastmahl der Abschnitt des Symposions die entscheidende Rolle. Aus welchen Gründen der Text Attaginos ’ Gastmahl detaillierter beschreibt und das Gespräch gezielt im Symposion verortet, soll nun herausgearbeitet werden. Aufgrund dieser recht ausführlichen Beschreibung der Gastmahlszene, werde ich dessen Untersuchung in zwei Abschnitte gliedern. So beginne ich mit der Analyse der Informationen, die der Text über den äußeren Rahmen des Gastmahls liefert, und werde in einem zweiten Schritt auf das Gespräch eingehen, das im Symposion einen geeigneten Ort findet. 3.1.2.1 Der äußere Rahmen des Gastmahls Kurz vor der Schlacht bei Plataiai lagert der persische Feldherr Mardonios mit seinem Heer in der Gegend um das verbündete Theben (IX, 13.3 - 15.3). Während er dort Befestigungsmaßnahmen vornehmen lässt, veranstaltet der propersisch gesinnte Thebaner Attaginos ein Gastmahl (IX, 15.4). Attaginos lädt zu diesem Gastmahl Mardonios zusammen mit den 50 bedeutendsten Persern ( ἐκάλεε ἐπὶ ξείνια αὐτόν τε Μαρδόνιον καὶ πεντήκοντα Περσέων τοὺς λογιμωτάτους - IX, 15.4) und zudem 50 Thebaner ( κληθῆναι δὲ καὶ Θηβαίων ἄνδρας πεντήκοντα - IX, 16.1) als Gäste ein. Gezielt hervorgehoben wird von den Eingeladenen auch noch Thersandros aus Orchomenos ( ἔφη δὲ ὁ Θέρσανδρος κληθῆναι - IX, 16.1), auf den sich der herodoteische Erzähler noch zur Verfügung haben ( τοῖσι αὐτῶν ἐτύγχανον ἔτι περιεοῦσαι - VII, 225.3). Doch selbst wenn sie auch diese nicht mehr haben, kämpfen sie weiter - noch näher - mit Händen und Zähnen ( καὶ χερσὶ καὶ στόμασι - VII, 225.3), wobei die Feinde sie mit Geschossen überschütten ( κατέχωσαν οἱ βάρβαροι βάλλοντες - VII, 225.3). 583 Siehe dazu Kap. 3.1.2.2. 160 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="161"?> als Informanten bezieht (IX, 16.1). 584 Aus dem Text wird somit ersichtlich, dass der Erzähler aus erster Hand, also von jemandem, der direkt daran beteiligt war, Informationen über die dortigen Geschehnisse in Erfahrung bringen konnte (IX, 16.1). 585 Dem Leser ist damit klar, dass der Text nur das Erlebte von Thersandros und auch nur dessen Sichtweise auf die Geschehnisse bei diesem Gastmahl wiedergeben kann. Da es sich bei Thersandros ’ Wiedergabe um ein Einzelgespräch handelt, bleiben die anderen Teilnehmer bis auf Attaginos und Mardonios unbekannt. Doch auch Mardonios und Attaginos werden im Verlauf dieser Symposionsdarstellung nicht weiter erwähnt. Dem herodoteischen Erzähler ist auch unabhängig von Thersandros ’ Informationen bekannt, dass es dieses Gastmahl bei Attaginos gegeben hat. Denn der Text selbst verortet das Mahl in Theben, bevor er zu Thersandros ’ Bericht übergeht, indem er erwähnt, dass der nun folgende Teil der Erzählung (= τάδε δὲ ἤδη τὰ ἐπίλοιπα - IX, 16.1), also die Darstellung der Geschehnisse während des Mahls, von Thersandros stammt ( ἦν δὲ τὸ δεῖπνον ποιεύμενον ἐν Θήβῃσι . τάδε δὲ ἤδη τὰ ἐπίλοιπα ἤκουον Θερσάνδρου ἀνδρὸς μὲν Ὀρχομενίου - IX, 15.4 - 16.1). Die allgemeine Bekanntheit dieses Gastmahls lässt darauf schließen, dass das dort in einem nicht-öffentlichen Raum Vorgefallene für die Öffentlichkeit von Interesse war. Es deutet sich an, dass Geschehnisse beim Symposion nicht immer in diesem Raum verbleiben müssen, sondern wie hier auch an die Öffentlichkeit geraten können. 586 Im Text heißt es, dass Thersandros das, was er bei diesem Gastmahl erlebt hatte, selbst an mehrere Menschen kurz vor der Schlacht bei Plataiai weitererzählt hat (IX, 16.5). Die besonders große Teilnehmeranzahl, die Attaginos bewirtet, gibt zudem einen Hinweis darauf, wie es schließlich zu der weiten Verbreitung des Wissens über dieses Gastmahl kommen konnte. Denn über den äußeren Rahmen ist aus Thersandros ’ Bericht bekannt, dass Attaginos neben Mardonios noch 50 Perser (IX, 15.4) und neben Thersandros aus dem nahe bei Theben liegenden Orchomenos noch 50 Thebaner einlädt 584 Besonders ist an dieser Stelle auch, dass Thersandros einer der wenigen herodoteischen Informanten ist, dessen Name in den Historien erwähnt wird (vgl. Rengakos [2011], S. 365). 585 Ähnlich geht später auch Platon in seinem Dialog Symposion vor. So berichtet dort Apollodoros von den Vorgängen bei dem berühmten Gastmahl bei Agathon, wobei Apollodoros selbst seine Informationen von Aristodemos erhalten hat (Plat. symp. 172a - 173b). Parallel ist nicht nur die Art der Informationsgewinnung, sondern auch die Berühmtheit des Gastmahls. 586 Auch diese Aussage trifft auf Platons Symposion zu, wo das dortige Gespräch ebenfalls weitererzählt worden ist (vgl. Anm. 585). 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 161 <?page no="162"?> ( κληθῆναι δὲ καὶ Θηβαίων ἄνδρας πεντήκοντα - IX, 16.1). 587 Neben der Teilnehmeranzahl erfährt der Rezipient auch, dass es eine genaue Liegeordnung gibt: Immer ein Perser und ein Thebaner sollen sich jeweils eine Kline teilen ( καί σφεων οὐ χωρὶς ἑκατέρους κλῖναι , ἀλλὰ Πέρσην τε καὶ Θηβαῖον ἐν κλίνῃ ἑκάστῃ - IX, 16.1). Aus der direkten Rede des „ namenlose[n] Perser[s] “ 588 gewinnt man zudem die Information, dass eine Trankspende dargebracht wird. Denn er bezeichnet Thersandros nicht nur als Homotrapezos, als Tischgenossen, sondern auch als Homospondos, also als jemanden, der zusammen mit ihm die Libation darbringt ( Ἐπεί νυν ὁμοτράπεζός τέ μοι καὶ ὁμόσπονδος ἐγένεο - IX, 16.2). Da sich der Perser und Thersandros auch die Kline teilen, sind sie auch zu Homoklinoi geworden ( τὸν Πέρσην τὸν ὁμόκλινον [ … ] εἰρέσθαι - IX, 16.2). 589 Sowohl das Liegen zu zweit pro Kline beim Symposion als auch die Libation stimmen mit den Vorgängen bei einem typischen griechischen Symposion überein. 590 Einzig die Anzahl der Teilnehmer übersteigt mit über 100 das normale Maß eines idealen Symposions bei weitem. Bei einem typisch grie- 587 Flower/ Marincola (2002, S. 127) machen zu Recht darauf aufmerksam, dass die Formulierung Θηβαίων ἄνδρας πεντήκοντα darauf hinweist, dass Thersandros der einzige Nicht-Thebaner unter Attaginos ’ griechischen Gästen ist. Asheri/ Vannicelli (2006, S. 195) geben dagegen in ihrem Kommentar an, dass unter Θηβαῖοι hier anstatt Thebaner eher Boiotier zu verstehen seien, da Thersandros eben kein Thebaner ist. Allerdings wird Thersandros hier auch nicht zu den 50 Thebanern hinzugerechnet, sodass mit den ἄνδρες Θηβαίων durchaus ausschließlich Thebaner gemeint sein können. Insgesamt können aber natürlich die thebanischen Gäste des Attaginos und Thersandros aus Orchomenos zusammengefasst als Boiotier bezeichnet werden. Da alle Boiotier propersisch gesinnt sind (vgl. dazu Anm. 603), ist davon auszugehen, dass weder die Perser den Orchomenier Thersandros anders als die anwesenden Thebaner einschätzen noch dass Thersandros die Perser anders bewertet als es die Thebaner tun. 588 Bichler (2001), S. 350. Bei der Bezeichnung ‚ namenloser Perser ‘ beziehe ich mich auch im Folgenden auf Bichler. 589 Ὁμοτράπεζος , ὁμόκλινος und ὁμόσπονδος sind hier wortwörtlich zu übersetzen: d. h. es wird damit derjenige beschrieben, der am selben Tisch liegt, mit dem man sich eine Kline teilt und mit dem man gemeinsam ein Trankopfer darbringt. Homotrapezos, Homospondos oder auch Homositos eines Herrschers zu werden, war eine besondere Ehre (vgl. Herman [1987], S. 66; siehe dazu die Ausführungen in Anm. 919). An dieser Textstelle ist mit diesen Bezeichnungen aber kein besonderes Privileg verbunden, da die Teilnehmer am Symposion bei Attaginos als gleichberechtigt dargestellt werden. Vielmehr gibt das Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch ὁμοτράπεζος , ὁμόκλινος und ὁμόσπονδος ausgedrückt wird, zum einen Aufschluss über die räumliche Nähe der beiden Gesprächspartner und legt zum anderen eine gewisse Vertrautheit zugrunde; siehe dazu auch Anm. 649. 590 Zur Entwicklung vom Sitzen zum Liegen im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5, zum Trankopfer Kap. 2.2.3.1. 162 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="163"?> chischen Symposion sollten nicht mehr als 30 Personen teilnehmen. 591 Bei der so großen Anzahl von Symposiasten ist es unwahrscheinlich, dass dieses Symposion in einem gewöhnlichen Andron abgehalten wird. Über den Veranstaltungsort erfährt man aus dem Text nicht mehr, als dass das Gastmahl in Theben stattfindet ( ἦν δὲ τὸ δεῖπνον ποιεύμενον ἐν Θήβῃσι - IX, 15.4) und Attaginos dazu einlädt (IX, 15.4). An welchem Ort in Theben genau und in welchen Räumlichkeiten das Symposion vorzustellen ist, wird aus dem Text nicht ersichtlich. Wenn es tatsächlich in Attaginos ’ eigenen Räumen veranstaltet wird, dann wäre dafür eine große Halle vonnöten, ansonsten ist als Szenerie auch ein Ort im Freien vorstellbar. Attaginos ’ Einladung zum Gastmahl wird gegenüber den Persern durch die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν ausgedrückt ( ἐκάλεε ἐπὶ ξείνια - IX, 15.4), wodurch auf eine gastfreundliche und großzügige Bewirtung geschlossen werden kann. 592 Die reichliche und angemessene Bewirtung so vieler vornehmer Gäste, seine Gastfreundlichkeit und überhaupt die Möglichkeit, ein Symposion - und dann auch noch in diesen Ausmaßen - veranstalten zu können, lassen auf Attaginos ’ enormen Wohlstand schließen. Die große Menge an Teilnehmern erklärt auch, weshalb es bei diesem Symposion zu einem persönlichen Dialog zwischen Thersandros und dem namenlosen Perser kommt, während beim typisch griechischen Symposion die Gemeinschaft und damit auch die gemeinsame Unterhaltung im Mittelpunkt steht. 593 Denn durch diese große Anzahl an Symposiasten tritt ein, was im idealen Symposion eben durch die Teilnehmerbegrenzung und eine organisierte Unterhaltung, an der alle beteiligt sein können, versucht wird, zu verhindern: Die Unterhaltung zerfällt in viele Einzelgespräche. 594 Die für das Gespräch zwischen Persern und Thebanern entscheidende Liegeordnung wird durch die Anzahl der Teilnehmer allerdings nicht beeinflusst. Eine gemeinsame Unterhaltungsform über das private Gespräch hinaus wie z. B. Trinkspiele oder ein Wettstreit im Rezitieren von Dichtungen, wofür eine geringere Teilnehmeranzahl vorauszusetzen wäre, ist an dieser Stelle für die Handlung auch nicht entscheidend. An der Formulierung, die für Attaginos ’ Einladung an die Perser verwendet wird ( ἐκάλεε ἐπὶ ξείνια - IX, 15.4), ist also dessen Gastfreundlichkeit gegenüber den fremden, aber verbündeten Persern zu erkennen. Gegenüber seinen thebanischen Landsleuten und Thersandros wird die Einladung zwar auch durch 591 Zur Teilnehmeranzahl beim Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. Auch Pavlidis (2012, S. 28) macht auf die große Anzahl an Gästen aufmerksam, die „ beim Rezipienten Erstaunen hervorgerufen haben “ muss. 592 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.9. 593 Zur Gemeinschaft beim Symposion siehe Kap. 2.2.3.3.2. 594 Vgl. dazu W ę cowski (2014), S. 33 bzw. Anm. 314 sowie Kap. 2.2.3.5. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 163 <?page no="164"?> καλέειν , hier allerdings mit dem Zusatz ἐπὶ τὸ δεῖπνον ausgedrückt ( κληθῆναι καὶ αὐτὸς ὑπὸ Ἀτταγίνου ἐπὶ τὸ δεῖπνον τοῦτο , κληθῆναι δὲ καὶ Θηβαίων ἄνδρας πεντήκοντα - IX, 16.1). So wird zwar nicht explizit erneut auf die Gastfreundschaft verwiesen, stattdessen aber das Gastmahl hervorgehoben. 595 Denn es kann angenommen werden, dass an dieser Stelle durch Deipnon das gesamte Gastmahl umschrieben wird. 596 Die Darstellung des Gastmahls bei Attaginos ist daher auch hilfreich für die Analyse der Verwendung des Ausdrucks δεῖπνον in den Historien. Denn das Gastmahl wird hier in dieser Szene zweimal in seiner Ganzheit als Deipnon (IX, 15.4 / IX, 16.1) umschrieben, wo sowohl der Abschnitt des Mahls als auch der des Symposions miteingeschlossen wird, und ein weiteres Mal, wo es nur den Abschnitt des Mahls ausdrückt. 597 Denn dieses hier veranstaltete Gastmahl entspricht der typischen griechischen Zweiteilung. 598 Erst nach dem Essen - hier also als Deipnon ausgedrückt ( ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἦσαν - IX, 16.2) 599 - geht man zum gemeinsamen Trinken, dem Symposion, ( διαπινόντων - IX, 16.2) über. Das Symposion wird durch eine Partizipialform des Verbs διαπίνειν ( διαπινόντων - IX, 16.2) umschrieben, wodurch der Text auf einen starken Weinkonsum hindeutet. 600 Die daraus zu erwartende Trunkenheit lässt die Atmosphäre gelöster erscheinen, sodass die innere Gefühlswelt der beschriebenen Personen zutage treten kann. Auf diese Weise wird das von dem Perser begonnene wehmütige Gespräch mit Thersandros eindrücklich inszeniert. Da der Text bekannt gibt, dass es sich bei den Teilnehmern um persische und griechische Symposiasten handelt, ist davon auszugehen, dass sich diese aufgrund ihrer unterschiedlichen kulturellen Herkunft untereinander nicht kannten. Der Text erwähnt nichts Gegenteiliges. Denn abgesehen von ihrer unterschiedlichen Herkunft wird der Leser Zeuge davon, wie sich der Grieche Thersandros und sein persischer Klinengefährte erst kennenlernen müssen (IX, 16.2). An der speziellen Sitzordnung, bei der sich jeweils ein Grieche und ein Perser eine Kline teilen, wird offensichtlich, dass dieses Symposion zum Ziel 595 Zur Formulierung ἐπὶ δεῖπνον καλέειν siehe Kap. 2.2.5.6. 596 Vgl. auch dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.6. 597 Vgl. auch dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.6. 598 Vgl. zum Ablauf eines typisch griechischen Gastmahls Kap. 2.2.3.1. 599 Zur mehrfach gebrauchten Wendung ἀπὸ δείπνου γίγνεσθαι / εἶναι in Herodots Historien, mit der der Text das Ende des Mahlabschnitts bezeichnet, siehe Kap. 2.2.5.6 mit Anm. 480. 600 Flower/ Marincola (2002, S. 128) übersetzen διαπινόντων hier mit „‘ as they were drinking to each other ’“ . Auch wenn διαπίνειν in seiner Bedeutung unterschiedlich aufgefasst wird, ist damit ein intensiver Weinkonsum impliziert; zur Bedeutungsanalyse von διαπίνειν siehe Kap. 2.2.5.3. 164 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="165"?> hatte, die beiden Kulturen zusammenzubringen. 601 Da die Anzahl von 51 Persern (Mardonios und 50 Perser) sowie 52 Griechen (Attaginos, Thersandros und 50 nicht benannte Thebaner) mit 103 eine ungerade Anzahl an Symposiasten ergibt, kann man vermuten, dass sich Attaginos als Gastgeber keine Kline teilt. So macht es den Eindruck, dass er die identische Anzahl von griechischen und persischen Gästen bewusst gewählt hat, um mithilfe seiner Klinenordnung ein Gespräch zwischen Griechen und Persern zu erwirken, 602 selbst aber das gesamte Geschehen beim Symposion im Blick haben kann. Dass es sich dabei ausgerechnet um eine Einladung von Thebanern bzw. mit Thersandros von Boiotiern und Persern bei einem Thebaner handelt, kann damit begründet werden, dass die Thebaner und auch der Orchomenier Thersandros den Persern gegenüber freundlich gesinnt sind. 603 Dieses Gastmahl dient also auch der Verbildlichung des Bündnisses zwischen Persern und Thebanern bzw. mit Rücksicht auf den Orchomenier Thersandros zwischen Persern und Boiotiern, die dort in großer Anzahl gemeinsam speisen, trinken und sich vertraulich unterhalten. Durch dieses Gastmahl sind sie zudem gastfreundschaftlich verbunden, 604 sodass auch die Anrede des Thersandros durch den Perser als Xenos in der Bedeutung ‚ Gastfreund ‘ aufgefasst werden kann ( Ξεῖνε - IX, 16.4). 605 So bekommt dieses Gastmahl eine weitere Funktion. Denn die bereits bekannte propersische Gesinnung der Boiotier und besonders die des Organisators Attaginos wird auf diese Weise auch an einer Handlung ersichtlich. Die perserfreundliche Gesinnung des Gastgebers wird im Text später nochmals explizit hervorgehoben, als die Griechen nach der Schlacht von Plataiai die 601 Das Gespräch zwischen dem Perser und Thersandros, von dem im Folgenden berichtet wird, entsteht daher zwischen zwei Personen unterschiedlicher kultureller Zugehörigkeit. Vgl. dazu auch Coulet (1994, S. 64), die darauf hinweist, dass als Schauplatz für dieses Gespräch ein Bankett gewählt wurde, um eine Begegnung zwischen Griechen und Persern zu ermöglichen und um den Kontrast zwischen dem gegenwärtigen Glück und dem bevorstehenden Tod zu verdeutlichen. 602 Es kommt dabei zu keinen Kommunikationsproblemen, sondern einem - wie Pavlidis (2012, S. 35) schreibt - „ geglückten Dialog [ … ], in dem jeder der Teilnehmer zwar eigenen Normen anhängt, diejenigen des Kommunikationspartners aber jeweils akzeptiert. “ 603 Zur Perserfreundlichkeit der Thebaner vgl. z. B. VII, 132.1 / VII, 205.2 - 3 / VII, 233.1 / VIII, 34 / IX, 13.3 / IX, 15.2 / IX, 31.5 / IX, 40 / IX, 67 / IX, 86 - 88. Auch Thersandros ist als boiotischer Orchomenier propersisch gesinnt (vgl. VII, 132.1 / VIII, 34 / IX, 31.5 / IX, 67); siehe dazu auch Anm. 587. 604 Vgl. dazu Ruberto (2009, S. 72), die bemerkt, dass dieses Gastmahl wohl durch die enstehende Xenia-Verbindung die Verbindung zwischen Persern und Thebanern stärken solle. 605 Vgl. dazu auch die Ausführungen von Ruberto (2009), S. 73. Zur Bedeutung von Xenos als Gast(-freund) und dessen Verwendung in Herodots Historien siehe v. a. Kap. 2.1.1.1 sowie Kap. 2.1.1.3.2 und zur Verwendung von Xenos in der Anrede siehe Anm. 118. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 165 <?page no="166"?> Herausgabe der propersisch eingestellten Thebaner - unter anderem Attaginos - fordern ( σφι ἐδόκεε [ … ] καὶ ἐξαιτέειν αὐτῶν τοὺς μηδίσαντας , ἐν πρώτοισι δὲ αὐτῶν Τιμηγενίδην καὶ Ἀτταγῖνον , οἳ ἀρχηγέται ἀνὰ πρώτους ἦσαν - IX, 86.1) und Pausanias dessen Kinder als unschuldig an der Perserfreundlichkeit ihres Vaters betrachtet ( φὰς τοῦ μηδισμοῦ παῖδας οὐδὲν εἶναι μεταιτίους - IX, 88). 3.1.2.2 Das Gespräch zwischen einem namenlosen Perser und dem Griechen Thersandros In diesem Rahmen wird nun das Gespräch zwischen Thersandros und seinem persischen Klinenpartner wiedergegeben. Dabei stellt der Text gezielt heraus, dass der anonym bleibende Perser offensichtlich der griechischen Sprache mächtig auf Griechisch zu sprechen beginnt ( τὸν Πέρσην τὸν ὁμόκλινον Ἑλλάδα γλῶσσαν ἱέντα εἰρέσθαι - IX, 16.2). Durch diese Aussage beugt er der Frage vor, wie dieses Gespräch zwischen einem Perser und einem Griechen, die zwei verschiedenen Kulturen angehören, überhaupt möglich sei. 606 Die Unterhaltung zwischen den beiden Protagonisten in dieser Symposionsdarstellung beginnt zunächst indirekt wiedergegeben mit der Frage des Persers, woher denn sein griechischer Trinkgenosse stamme ( εἰρέσθαι αὐτὸν ὁποδαπός ἐστι - IX, 16.2), und dessen ebenfalls indirekt wiedergegebener Antwort, er stamme aus Orchomenos ( ὡς εἴη Ὀρχομένιος - IX, 16.2). Anders als beim Gastmahl des Hydarnes (VII, 135) kommt es hier im Text also zu einer Vorstellung der beiden Gastmahlteilnehmer. 607 Auch einen Hinweis wie hier, dass der Perser in der griechischen Sprache zu sprechen beginnt, findet man bei der Darstellung des Gesprächs zwischen dem Perser Hydarnes und den Spartanern nicht. Bei Hydarnes ’ Gastmahl ist die Situation viel weniger anschaulich beschrieben, sodass auch nicht erwähnt wird, ob es dort zu einem Symposion kommt. 608 Hier ist es dagegen offensichtlich, dass das Gespräch bei Attaginos ’ 606 Flower/ Marincola (2002, S. 128) betonen bezüglich dieser Textstelle, dass Herodot (generell) sehr darauf bedacht sei, Glaubwürdigkeit zu bewahren, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinandertreffen; vgl. auch Asheri/ Vannicelli (2006, S. 195), die in ihrem Kommentar darüber hinaus allerdings bemerken, dass das Phänomen der Zweisprachigkeit nach jahrzehntelangem Kontakt zwischen Griechen und Persern in Kleinasien keine Ausnahme sein könne. Flower/ Marincola (2002, S. 128) dagegen sehen in einem Perser, der fließend Griechisch sprechen kann, eine Seltenheit. An dieser Stelle allerdings erscheint die griechische Sprachfähigkeit des Persers plausibel und angemessen, da seine Rede voll von griechischem und besonders auch herodoteischen Gedankengut ist (ebd.). 607 Zum Gastmahl des Hydarnes siehe Kap. 3.1.1. 608 Dort wird das Gespräch lediglich durch das Gastmahl kontextualisiert, indem der Text verrät, dass Hydarnes seine direkt wiedergegebene Frage an die Spartaner während der Bewirtung stellt ( ξεινίζων δὲ εἴρετο λέγων τάδε - VII, 135.1). 166 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="167"?> Gastmahl gezielt in den Kontext eines Symposions gestellt wird. Denn der Text erwähnt explizit, dass der Perser erst nach dem Essen beim Symposion Thersandros ’ Herkunft erfragt ( ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἦσαν , διαπινόντων τὸν Πέρσην τὸν ὁμόκλινον [ … ] εἰρέσθαι αὐτὸν ὁποδαπός ἐστι - IX, 16.2), womit das Gespräch eingeleitet wird. Es macht den Anschein, als hätte der Perser für den nun beginnenden Dialog gezielt diesen Moment abgewartet. Selbst wenn sich die beiden Dialogpartner schon während des Deipnons unterhalten haben sollten, was der Text nicht erwähnt, so wird dennoch erst jetzt beim Symposion durch die Frage nach der Identität des Thersandros ein persönliches Gesprächslevel erreicht. Generell ist eine Vorstellung unter unbekannten Gastmahlteilnehmern als Gesprächsbeginn, wie es zwischen Thersandros und seinem persischen Lagergenossen bei Attaginos ’ Gastmahl angegeben wird, besonders für das frühgriechische Symposion nicht untypisch, damit die Trinkpartner ihre jeweilige Geschichte miteinander verbinden können. 609 Bei Attaginos ’ Gastmahl in Herodots Historien ist aber erstens die Zeitstellung und zweitens die Situation des Symposions eine andere. Hier trifft sich keine Hetairie mit gleicher Gesinnung, 610 sondern Perser, die lediglich durch die Bezeichnung Περσέων λογιμώτατοι (IX, 15.4) näher beschrieben werden, sowie der Orchomenier Thersandros, den der Text ebenso zumindest insofern kennzeichnet, als er ihn als sehr angesehen in Orchomenos bewertet ( Θερσάνδρου ἀνδρὸς μὲν Ὀρχομενίου , λογίμου δὲ ἐς τὰ πρῶτα ἐν Ὀρχομενῷ - IX, 16.1), und die thebanischen Gäste, über die der Leser mit Ausnahme der kulturellen Zugehörigkeit und des Namens eines Einzigen von ihnen - des Gastgebers Attaginos - keine weiteren Informationen erhält. Der Name des Persers, der mit Thersandros die Kline teilt, bleibt unerwähnt. Somit tritt er als Vertreter für das ganze persische Volk auf. Entscheidend ist bei diesem Gastmahl nicht die Gruppe, die aus einzelnen Individuen besteht, sondern die Anwesenheit von Vertretern zweier unterschiedlicher kultureller Gruppen, sodass letztlich ein Gespräch entstehen kann, anhand dessen (wie auch beim Gastmahl des Hydarnes, vgl. VII, 135) die konträren Ansichten eines Vertreters aus dem Osten - des namenlosen Persers - und aus dem Westen - des Griechen Thersandros - dargelegt werden können. Die Unterhaltung der beiden Sym- 609 Das Erkundigen nach der Herkunft des Gesprächspartners erinnert an Xenophanes ’ Fragment 22 D.-K., in dem darauf hingewiesen wird, dass während eines Symposions unter anderem nach der Herkunft des Gegenübers zu fragen sei (vgl. dazu Rösler [1990], S. 232). Grund dafür ist, dass auf diese Weise die Vergangenheit des Gegenübers mit der eigenen in Verbindung gesetzt werden kann, was für die Definition der Gruppe äußerst wichtig war (vgl. dazu Rösler [1990], S. 232 - 234 bzw. Anm. 287). 610 Zum Symposion als Ort der Hetairie vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.4. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 167 <?page no="168"?> posiasten verliert durch die Vorstellung des Griechen Thersandros dennoch an Anonymität. Und unabhängig davon, dass die Zielstellung der Identitätserkundung hier einen anderen Zweck verfolgt, als es bei den Symposia der frühgriechischen Hetairie der Fall gewesen ist, kann aus dem gezielt gewählten Zeitpunkt für die Vorstellung des Thersandros geschlossen werden, dass auch bei Attaginos ’ Gastmahl im Symposion eine intimere Atmosphäre vorherrschte, als es beim Deipnon der Fall wäre, und damit für ein solches Gespräch den geeigneteren Ort bot. So ist es das Symposion, das für dieses persönliche Gespräch den alleinigen Kontext bildet. Der Perser rekapituliert nun in der folgenden direkt wiedergegebenen Rede keine schon vergangenen Ereignisse, sondern blickt in die Zukunft. 611 Er sieht die nahende Niederlage der Perser voraus. Es ist hier also die Zukunft und nicht die Vergangenheit, die das Gespräch beim Trinken lenkt. Gemeinsame Ziele in der Gruppe zu formulieren, worauf auch der Blick auf vergangene Ereignisse nötig ist, wie es wiederum häufig im frühgriechischen Symposion einer Hetairie der Fall war, 612 ist hier nicht notwendig. Denn die Zukunft ist nach den Worten des Persers ohnehin unveränderbar und bedeute den Tod der meisten hier anwesenden Perser und damit wohl auch den eigenen, auch wenn er dies nicht explizit erwähnt (IX, 16.3 - 5). Diese Aussage macht deutlich, dass von einem erneuten Zusammentreffen der Trinkpartner nicht ausgegangen werden kann, sodass eine tiefere Erkundigung der vergangenen Erlebnisse und mögliche Verbindungen zwischen den Symposiasten zum Bilden einer dauerhaften und durch Rituale gefestigten Gastfreundschaft ohnehin unnötig zu sein scheint. 613 So bleibt es lediglich bei der knappen Erkundigung nach Thersandros ’ Herkunft. Auch wenn der Text keine Verbindung zwischen dem namenlosen Perser und Thersandros erwähnt, die bereits vor dem Gastmahl bei Attaginos bestanden haben könnte, was aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um ein Gespräch zwischen einem Perser und einem Griechen handelt, nicht verwundert, spricht der Perser voller Wohlwollen mit Thersandros. So wird wie auch beim Gespräch bei Hydarnes ’ Gastmahl (VII, 135.2 - 3) in direkter Rede und damit im Text besonders hervorgehoben wiedergegeben, 614 dass der Perser Thersandros die Möglichkeit gibt, aus seinen Worten Nutzen für sich selbst zu 611 Vgl. dazu auch Pavlidis (2012), S. 31 f. 612 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 613 Zur Institution der dauerhaften Gastfreundschaft siehe insbesondere Kap. 2.1.1.2.1 sowie Kap. 2.1.2.2. 614 Pavlidis (2021, S. 18) hebt hervor, dass durch die „ sorgfältige Komposition “ und den Wechsel in die direkte Rede, wodurch das Erzähltempo reduziert wird, „ eine wichtige Perzeption auf höherer, reflexiver Ebene “ versprochen werde. 168 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="169"?> ziehen, da er nun sein Tischgenosse geworden sei und auch mit ihm zusammen die Trankspende darbrachte ( Ἐπεὶ νυν ὁμοτράπεζός τέ μοι καὶ ὁμόσπονδος ἐγένεο , μνημόσυνά τοι γνώμης τῆς ἐμῆς καταλιπέσθαι θέλω , ἵνα καὶ προειδὼς αὐτὸς περὶ σεωυτοῦ βουλεύεσθαι ἔχῃς τὰ συμφέροντα - IX, 16.2). Dieses Wohlwollen des Persers gründet demnach darauf, dass Thersandros sein Homotrapezos und Homospondos geworden ist, wodurch sich auch eine innere Verbundenheit entwickelt. 615 Damit versucht der namenlose Perser, zumindest in der Erinnerung des Thersandros fortzuleben. Er möchte, dass Thersandros in Erinnerung an ihn daran denkt, rechtzeitig vorauszuplanen und so für sich das Vorteilhafte ( τὰ συμφέροντα - IX, 16.2) 616 erwägen zu können. Natürlich wirken diese ‚ Erinnerungsgaben ‘ an seine Gesinnung ( μνημόσυνά τοι γνώμης τῆς ἐμῆς - IX, 16.2) 617 zugleich auch zugunsten des Persers fort. Denn da Thersandros den Inhalt des Gesprächs nicht nur für sich behält, sondern unter die Leute trägt (IX, 16.5), verhilft er dem Perser selbst zu einem Andenken. Dadurch, dass dieser aber anonym bleibt, sind es nur dessen Worte, die als die Worte eines anonymen Persers fortleben. Der Leser erfährt also, wie ein Perser einem Griechen aufträgt, bei drohender Gefahr an sich selbst zu denken, was einerseits durch die Verwendung von αὐτός und andererseits durch περὶ σεωυτοῦ besonders hervorgehoben wird ( ἵνα καὶ προειδὼς αὐτὸς περὶ σεωυτοῦ 615 Zur Bedeutung der Begriffe Homotrapezos und Homospondos an dieser Textstelle vgl. Anm. 589. 616 Vgl. dazu συμφέρω in LSJ, S. 1687: „ II. [ … ] 3. [ … ] b. in neut. as Subst., συμφέρον , οντος , τό , use, profit, advantage “ . 617 Μνημόσυνον drückt im wörtlichen Sinn Erinnerungsdenkmäler aus und wird hier im Plural verwendet; vgl. dazu μνημόσυνον in LSJ, S. 1139: „ remembrance, memorial of a thing “ . Der Text greift hiermit auf ein Wort zurück, das gewöhnlich „ a concrete monument or dedication “ (Immerwahr [1960], S. 266) bezeichnet. Den Gebrauch von μνημόσυνον an dieser Textstelle in den Historien bewertet Immerwahr als „ abstract and personal “ (ebd., S. 267/ Anm. 14). Immerwahr (1960, S. 266) hebt außerdem hervor, dass allen μνημόσυνα gemein sei, „ that the utilitarian purpose of the ergon is secondary, or even disregarded. “ Hier allerdings sollen die μνημόσυνα des Persers, die er dem Thebaner Thersandros hinterlässt, laut der Aussage des Persers genau dazu verhelfen, zum eigenen Vorteil zu finden. Aber natürlich kann Thersandros aus diesen abstrakten μνημόσυνα keinen direkt praktischen Nutzen ziehen. Für die Verwendung von μνημόσυνον in den Historien siehe auch Flower/ Marincola (2002), S. 129. Sie weisen u. a. darauf hin, dass der Plural auf „ several memorable features of the Persian ’ s speech “ hindeutet (ebd.). Zudem zeigt sich an der Verwendung von μνημόσυνον aber, dass der Perser hier wohl auch für sich selbst ein Andenken erschaffen möchte; Flower/ Marinocola (2002, S. 129) bemerken mit Verweis auf Immerwahr (1960, S. 265 - 275): „ [ … ] the μνημόσυνον is an integral element in the desire for κλέος , and so H. ’ s preservation of the Persian ’ s remarks serves to immortalise him and provide for him (ironically, an unnamed man! ) his literary monument. “ 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 169 <?page no="170"?> βουλεύεσθαι ἔχῃς τὰ συμφέροντα - IX, 16.2). Der Grieche soll sozusagen, bevor er in Gefahr gerät, an seinen eigenen Vorteil denken. Attaginos ’ Symposion erweist sich somit als Ort der Mnemosyne, als Ort, an dem der Akt des Erinnerns eine Rolle spielt. Allerdings findet bei diesem Symposion keine aktive Rückerinnerung an die Vergangenheit statt, wie es dagegen wiederum bei einigen Texten der frühgriechischen Lyrik der Fall ist, 618 sondern das gegenwärtige Gespräch selbst soll Thersandros in Zukunft als Gegenstand der Rückerinnerung dienen. Denn der Perser verbindet diese Aussage mit der momentanen Lage, in der sich das persische Heer befindet, indem er nun direkt fragt, ob Thersandros diese mit ihnen speisenden Perser sehe und zudem auch das Heer, das am Fluss lagert ( ὁρᾷς τούτους τοὺς δαινυμένους Πέρσας καὶ τὸν στρατὸν τὸν ἐλίπομεν ἐπὶ τῷ ποταμῷ στρατοπεδευόμενον ; - IX, 16.3), woraufhin er sogleich, ohne auf eine Antwort zu warten, fortfährt, dass von all diesen in kurzer Zeit nur noch wenige leben werden ( τούτων πάντων ὄψεαι ὀλίγου τινὸς χρόνου διελθόντος ὀλίγους τινὰς τοὺς περιγενομένους - IX, 16.3). Dieser Vorausblick auf den nahenden Untergang des persischen Heeres steht in einem bedrückenden Kontrast zu der momentan noch entspannten Situation während des Gastmahls. So wird der gegenwärtige Augenblick in der besonderen Atmosphäre des Symposions durch eine Frage hervorgehoben, die sich auf die anderen Symposiasten bezieht, die zwar lebhaft am Symposion teilnehmen, nicht aber in dieses Gespräch involviert sind, sodass deren freudiges Trinken wie eine Art Hintergrundschauspiel in der Vorstellung der Rezipienten evoziert wird. Da der Perser seine Kameraden als zeitgleich am Symposion Teilnehmende durch ein präsentisches Partizip näher beschreibt ( ὁρᾷς τούτους τοὺς δαινυμένους Πέρσας - IX, 16.3), hebt er genau diese im Hintergrund vorherrschende ausgelassene Stimmung seiner Kameraden in diesem Symposion hervor, die alle mit der gleichen Tätigkeit - dem Trinken und Unterhalten mit ihrem jeweiligen Klinenpartner - beschäftigt sind, 619 und bricht den Eindruck der Sorglosigkeit sogleich durch seinen Hinweis auf den baldigen Tod vieler von diesen. Der Perser warnt seinen griechischen Klinenpartner also vor dem Untergang der persischen Unternehmung. Dem Text gelingt es durch die Aussage des namenlosen Persers, einen eindrücklichen Kontrast des unterschiedlichen Erlebens innerhalb des Symposions darzustellen. Denn vor dem freudigen und ausgelassenen Trinken im Hintergrund steht im Vordergrund das bedrückende Gespräch zwischen Thersandros und dem Perser, wo intensiv erlebte Emotionen in der Atmosphäre des Symposions vor der Thematik des 618 Vgl. dazu Rösler (1990) bzw. die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. 619 Zur Bedeutung von δαινύναι in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.5. 170 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="171"?> Ausgeliefertsein des Menschen und des nahen Todes sichtbar werden. 620 Insgesamt stehen allerdings sowohl die fröhlichen als auch die bedrückenden Emotionen, die in diesem Symposion zum Ausdruck kommen und dort erfahren werden, wiederum kontrastiv zu der Welt außerhalb des Symposions, wo sich die Anwesenden in der unheilverheißenden Lage eines Krieges befinden. 621 Durch die Frage des Persers, ob Thersandros das Heer sehe, das am Fluss lagert, gibt der Text zu erkennen, dass das Symposion nicht in einem abgeschlossenen Raum stattfindet. 622 Es fällt auf, dass der Perser speziell auf einen Fluss verweist, an dem ( ἐπὶ τῷ ποταμῷ - IX, 16.3) die persischen Soldaten ihr Lager aufgeschlagen haben. Diese Information lässt ein beinahe idyllisches Bild des persischen Lagers entstehen. Auch wenn der Name des Flusses hier nicht genannt wird, ist anzunehmen, dass es sich dabei um den Fluss Asopos handelt, an dem sich das persische Lager befindet (z. B. IX, 15.3 / IX, 19.3), und an dem auch Plataiai liegt, wo bald die verlustreiche Schlacht der Perser stattfinden wird, die der Perser gegenüber Thersandros hier andeutet. Der im Kontext des Symposions noch idyllisch wirkende Fluss wird damit zum Vorverweis auf die drohende Niederlage im baldigen Kampf. 620 Vgl. dazu Flory (1978, S. 147), der auf diesen eindrucksvollen Kontrast zwischen der Freude im Hintergrund, wo die Gastmahlgesellschaft das Bankett genießt, und der Trauer im Vordergrund verweist, wo sozusagen in Großaufnahme die Kline von Thersandros und seinem persischen Freund vom Leser imaginiert wird. Dazu ergänzt Grethlein (2011, S. 116/ Anm. 51), dass sich sympotische Dichtung „ aber immer wieder auch mit menschlicher Fragilität auseinander[setzt]. “ Dafür, dass auch der Tod ein gängiges Thema im Symposion ist, vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2. Das Symposion ist also ein geeigneter Ort dafür, um ein Ereignis darstellen zu können, in dem Freude und Vergänglichkeit miteinander verbunden werden sollen, so wie es hier der Fall ist. Dieses Symposion bei Attaginos zeigt also, dass in einem Symposion nicht eine bestimmte ‚ Emotionsart ‘ vorherrschen muss, entscheidend ist die Intensität des Empfindens. 621 Pavlidis (2012, S. 28) macht auf das „ widersprüchliche Verhältnis zwischen der angespannten Kriegssituation außen und der intentional heiteren Atmosphäre beim Gastmahl innen “ aufmerksam. Allerdings kann diese heitere Atmosphäre nur für die Empfindung der anderen δαινύμενοι angenommen werden, nicht aber für den namenlosen Perser und Thersandros, deren bedrückte Stimmung nicht nur an ihrem Gesprächsthema, sondern auch an den Tränen des Persers sichtbar wird (vgl. dazu Anm. 620). 622 Flower/ Marincola (2002, S. 129) dagegen sind der Meinung, dass es unmöglich sei, dass Thersandros die zurückgelassene Armee sehe, sondern entweder ein Zeugma angenommen werden müsse „ ( ‘ do you see the men here and [did you see] the army we left behind? ’ ) “ oder man müsse ὁρᾶις als „‘ consider ’“ verstehen. Einen Grund, weshalb die Armee nicht aus der Entfernung gesehen werden könne, geben sie nicht an. Pavlidis (2012, S. 23) dagegen hebt hervor, dass durch die Frage „ siehst du? “ im Grunde die Rezipienten angesprochen seien, die schließlich durch die Augen des Thersandros auf diese Szene blicken: „ Suggestiv leitet uns der Text an dieser Stelle also in eine bestimmte Richtung, nämlich in Richtung auf ein interessiertes und produktives Rezipieren. “ 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 171 <?page no="172"?> Während der Perser nun seine Gedanken über den nahen Tod ausspricht, vergießt er viele Tränen ( ταῦτα ἅμα τε τὸν Πέρσην λέγειν καὶ μετιέναι πολλὰ τῶν δακρύων - IX, 16.3). Das Weinen über die Vergänglichkeit des Menschen entspricht hier wohl nicht dem typischen Motiv des Weinenden in der Symposion-Literatur, wo dieses oft zum sichtbaren Zeichen der Schwäche bzw. Unzulänglichkeit der jeweiligen Figur wird. 623 An dieser Stelle in Herodots Historien ist es keine mangelnde Fähigkeit, sondern die Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit und des damit verbundenen unvermeidbaren Untergangs trotz besseren Wissens, die den Perser zum Weinen bringt. Außerdem betrifft dieses Verhängnis nicht nur ihn selbst, sondern alle hier momentan speisenden Perser und das ganze persische Heer sowie natürlich auch die verbündeten Kämpfer, zu denen die Thebaner bzw. die Boiotier gehören. 624 Die Warnung des Persers an den Boiotier Thersandros vor der drohenden Niederlage ist also mit Blick auf die Bündnissituation naheliegend. Auf die nun anschließende Frage von Thersandros, ob er seine Befürchtungen nicht Mardonios und auch den anderen verantwortlichen Persern, die hinter Mardonios im Rang stehen, melden sollte (IX, 16.4), antwortet der namenlose Perser, dass etwas, das von Göttern beschlossen ist, von Menschen nicht abgewendet werden könne ( Ξεῖνε , ὅ τι δεῖ γενέσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ , ἀμήχανον ἀποτρέψαι ἀνθρώπῳ - IX, 16.4). Aus Sicht des Persers kann der Mensch sein Schicksal somit nicht beeinflussen und damit an der Vergänglichkeit des momentanen Zustands nichts ändern. Ein solcher Gedanke wird in Herodots Geschichtswerk immer wieder thematisiert. 625 Der Perser fährt fort, 623 Zur Figur des Weinenden im Symposion als literarischer Form vgl. die Ausführungen bei Martin (1931), S. 98 - 101. 624 Zur Perserfreundlichkeit der Thebaner bzw. Boiotier siehe Anm. 603. 625 Zum Aspekt der Vergänglichkeit eines momentan glücklichen Zustands in Herodots Historien vgl. z. B. I, 5.4 / I, 32 / I, 86 / I, 207.2 / III, 14.7 - 11 / III, 40 / VII, 46 / VII, 203.2 / VIII, 99. Asheri/ Vannicelli (2006, S. 196) geben in ihrem Kommentar an, dass die gesamte deterministische Auffassung, wie sie in Herodots Historien zum Ausdruck gebracht wird (vgl. dazu Asheri in Asheri et al. [2007], S. 37 - 39), in den Worten des anonymen Persers enthalten sei und dass diese Worte auch eine gewisse Resignation orientalischer Art ausdrückten. Doch in diesem Symposion bei Attaginos wird mit der Aussage des Persers lediglich die persönliche Ansicht des Persers wiedergegeben. Von einem in den Historien als generell gültig dargestellten Konzepts eines unentrinnbaren Schicksals kann ohnehin nicht die Rede sein, vgl. dazu Schelskes Ausführungen (2021), bes. S. 267 - 277; so verweist Schelske (2021, S. 269) z. B. auf I, 91, wenn die Pythia gegenüber Kroisos bemerkt, Apoll habe die Eroberung von Sardes um drei Jahre verzögert: „ Eine solche Aussage führt einerseits im Prinzip jede Annahme, dass es in den Historien ein Konzept von Determiniertheit geben könnte, grundsätzlich ad absurdum. Denn was einmal möglich war, kann a priori grundsätzlich jederzeit erneut geschehen “ (Schelske [2021], S. 269). Dass außerdem eine gute Vorausplanung Unterstützung von den Göttern erfährt und man 172 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="173"?> dass zahlreiche Perser dies gut wüssten und dennoch gezwungenermaßen folgten ( ταῦτα δὲ Περσέων συχνοὶ ἐπιστάμενοι ἑπόμεθα ἀναγκαίῃ ἐνδεδεμένοι - IX, 16.5). 626 Hieraus kann auch ein Hinweis auf die Gebundenheit der Perser an ihren despotischen Herrscher geschlossen werden. 627 Zudem fügt der Perser somit sein Schicksal beeinflussen kann, wird an den Worten von Themistokles in VIII, 60 γ ersichtlich (vgl. ebd., S. 272). Bezüglich der bedauerten ausweglosen militärischen Situation kann auf den ersten Blick eine Parallele zu der in VIII, 10.2 dargestellten Lage kurz vor der Schlacht bei Artemision erkannt werden. Denn an dieser Stelle wird beschrieben, wie die progriechisch gesinnten Ionier ( ὅσοι μέν νυν τῶν Ἰώνων ἦσαν εὔνοοι τοῖσι Ἕλλησι - VIII, 10.2), die nur unfreiwillig gegen die Griechen in den Krieg ziehen ( ἀέκοντές τε ἐστρατεύοντο - VIII, 10.2), das drohende Schicksal der Griechen bedauern ( συμφορὴν ἐποιεῦντο μεγάλην - VIII, 10.2), als sie sie eingeschlossen und damit in einer misslichen Lage sehen ( ὁρέοντές τε περιεχομένους αὐτοὺς - VIII, 10.2). Außerdem sind sich die Ionier bewusst, dass keiner der Griechen heimkehren werde. So aussichtslos erscheint ihnen die griechische Lage zu sein ( καὶ ἐπιστάμενοι ὡς οὐδεὶς αὐτῶν ἀπονοστήσει · οὕτω ἀσθενέα σφι ἐφαίνετο εἶναι τὰ τῶν Ἑλλήνων πρήγματα - VIII, 10.2). Auch hier herrscht kurz vor einem Schlachtgeschehen aufgrund des zu erwartenden Untergangs einer der beiden Kriegsparteien eine düstere Stimmung - zumindest auf Seiten derer, die der vermeintlich unterliegenen Kriegspartei wohlgesinnt sind. Der Unterschied zur Situation kurz vor der Schlacht bei Plataiai, wie sie vom Perser bei Attaginos ’ Gastmahl beschrieben wird, liegt allerdings darin, dass das kommende Schlachtgeschehen einen anderen Ausgang als erwartet nimmt und die Griechen entgegen der Erwartung der Ionier nicht alle ihr Leben verlieren (VIII, 11). Außerdem liegt die Einschätzung der Ionier auch in der geringen Anzahl der griechischen Schiffe begründet (VIII, 10.1) und nicht in der Unentrinnbarkeit des Schicksals, wie es bei der Aussage des Persers in Attaginos ’ Gastmahl der Fall ist (IX, 16.4 - 5). 626 Nicht nur bei Attaginos ’ Gastmahl wird der Gedanke, rein aus Zwang heraus zu kämpfen in Herodots Historien angesprochen. Auf zwei weitere Stellen möchte ich hier in Kürze eingehen. So wird in den Historien auch berichtet, dass die Ionier unwillig gegen die Griechen kämpfen ( ἀέκοντές τε ἐστρατεύοντο - VIII, 10.2) und die Thebaner nur unter Zwang gegen die Perser ( τέως μὲν μετὰ τῶν Ἑλλήνων ἐόντες ἐμάχοντο ὑπ᾽ ἀναγκαίης ἐχόμενοι πρὸς τὴν βασιλέος στρατιήν - VII, 233.1 / / ὑπὸ δὲ ἀναγκαίης ἐχόμενοι ἐς Θερμοπύλας ἀπικοίατο - VII, 233.1). Bei den Thebanern liegt der Zwang darin begründet, dass sie wie Geiseln von Leonidas betrachtet werden und daher gezwungenermaßen nach seinem Willen handeln müssen (VII, 222). Ein Zwang wird also unabhängig von der Kultur an mehreren Stellen in den Historien mit Kämpfen in Verbindung gebracht. Doch bei den hier erwähnten Griechen - sowohl den Ioniern als auch den Thebanern - handelt es sich um einen äußeren Zwang bedingt durch den Kriegsverlauf. Bei den Persern dagegen wird im Rahmen dieses Symposions zumindest laut der Aussage von Thersandros ’ Gesprächspartner die Notwendigkeit bzw. der Zwang zum Kämpfen mit dem Beschluss einer Gottheit erklärt ( Ξεῖνε , ὅ τι δεῖ γενέσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ , ἀμήχανον ἀποτρέψαι ἀνθρώπῳ · ταῦτα δὲ Περσέων συχνοὶ ἐπιστάμενοι ἑπόμεθα ἀναγκαίῃ ἐνδεδεμένοι . οὐδὲ γὰρ πιστὰ λέγουσι ἐθέλει πείθεσθαι οὐδείς . - IX, 16.4 - 5). 627 Flower/ Marincola (2002, S. 132) betonen an dieser Stelle, dass ἑπόμεθα „ is a destinctive mark of those who live under a king or tyrant that they simply ‘ follow ’ , as opposed to those who are free and can openly debate and choose “ , (vgl. dazu auch Bowie [2003], 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 173 <?page no="174"?> hinzu, dass jemandem, der die Wahrheit ausspricht, niemand glauben möchte ( οὐδὲ γὰρ πιστὰ λέγουσι ἐθέλει πείθεσθαι οὐδείς - IX, 16.5). 628 Und so sei es die verhassteste Qual bei den Menschen, trotz besseren Wissens nichts im Griff haben zu können ( ἐχθίστη δὲ ὀδύνη ἐστὶ τῶν ἐν ἀνθρώποισι αὕτη , πολλὰ φρονέοντα μηδενὸς κρατέειν - IX, 16.5). 629 Durch diese Aussage wird wieder eine Verbindung zu dem bereits zuvor geschilderten Gespräch bei Hydarnes ’ Gastmahl (VII, 135) hergestellt, wo der Gegensatz zwischen der persischen Unterdrückung durch einen Alleinherrscher und der griechischen Freiheit von Spartanern thematisiert wird (VII, 135.3). 630 Denn dort geben die Spartaner Hydarnes zu verstehen, dass sie für ihre Freiheit sogar lieber in den Tod gehen, als ihr Leben zu retten und sich dem Perserkönig zu unterwerfen (VII, 135.3). Ihre Entscheidung ist frei. Die Entscheidung der Perser hier bei Attaginos ’ Gastmahl ist es nicht. Sie gehen zwar ebenfalls bewusst in den Tod, allerdings nur gezwungenermaßen ( ἑπόμεθα ἀναγκαίῃ ἐνδεδεμένοι - IX, 16.5). Dennoch ist der Grund für das Nicht-Hören-Wollen des Herrschers nach der Aussage der Perser der göttliche Wille, dem man nichts entgegensetzen könne ( ὅ τι δεῖ γενέσθαι ἐκ τοῦ θεοῦ , ἀμήχανον ἀποτρέψαι ἀνθρώπῳ - IX, 16.4). Die Niederlage der Perser und damit der Sieg der Griechen werden hier aus Sicht S. 106 f.) und mit Bezug auf ἀναγκαίῃ ἐνδεδεμένοι bemerken Flower/ Marincola (2002, S. 132): „ The necessity referred to here is that of following [ … ] their King (or his proxy) as his subjects; they are thus, like all people, bound by the ‘ necessity ’ of following their own νόμοι . “ 628 Munson (2001, S. 33) macht klar, dass das, was nach göttlichem Willen geschehen muss, die Niederlage in Plataiai ist, und dass dies gemäß dem Text in Herodots Historien nicht absolut unvermeidbar sei, „ but simply because ( γάρ ) those in power do not listen to the wise who would prevent the immoral behaviour upon which divine retribution will necessarily follow. “ Es zeigt sich, dass „ἀναγκαίη is also the compulsion applied by the despotic ruler who forces people to go along with his self-destructive enterprise. “ (Munson [2001], S. 33). Die Gebundenheit der Perser hängt also auch mit ihrer Staatsform, der Monarchie, zusammen. Die Perser kämpfen in erster Linie, weil es ihr König bzw. Anführer so möchte (VII, 103.4); vgl. dazu Heni (1976), S. 40 f. Dass sie im Kampf unter dem Zwang stehen, sich beweisen zu müssen, wird in den Historien auch daran ersichtlich, dass Xerxes als Beobachter der Kämpfer während einer Schlacht dargestellt wird (vgl. VII, 44 / VII, 212.1 / VIII, 69.2 / VIII, 86 / VIII, 88.2 / VIII, 89.2 / VIII, 90.4; dazu auch Anm. 633). Die Griechen dagegen unterstehen keinem gemeinsamen Monarchen und können daher ein viel freieres Leben führen, vgl. Bowie (2003), S. 107; Flower (2006), S. 276. Zur ‚ Notwendigkeit ‘ besonders mit Blick auf die Verwendung und Bedeutung der Wortfamilie von ἀνάγκη in Herodots Historien siehe Munson (2001) im Gesamten und speziell als Ausdruck von Zwang, der von einem despotischen Herrscher oder beliebigen despotisch auftretenden Akteuren auf andere ausgeübt wird, Munson (2001), S. 36 - 38. 629 Auf eindrückliche Weise wird hier nämlich dargestellt, dass gemäß den Historien echtes Wissen nicht nur schwer zu erlangen ist, sondern, auch wenn jemand darauf Zugriff hat, er dennoch oft machtlos bleibt (vgl. Dewald [1997], S. 80). 630 Vgl. dazu Kap. 3.1.1. 174 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="175"?> des anonymen Persers als Götterwille deklariert. Daher ist in den Worten des Persers keine direkte Kritik an der Politik von Xerxes bzw. an Mardonios ’ Vorhaben ersichtlich. Indem er seine Ansicht darlegt, an der gegenwärtigen Lage ohnehin nichts ändern zu können, scheint der anonyme Perser folglich sämtliche Verantwortung von sich und seinen Landsleuten weisen zu wollen. Um nun herauszufinden, weshalb der Text diese Unterhaltung, in der zentrale Gedanken für Herodots Historien angesprochen werden, ausgerechnet in einem Symposion verortet, möchte ich noch auf eine weitere Szene eingehen, in der von einem thematisch recht ähnlichen Gespräch berichtet wird, das aber eindeutig nicht während eines Symposions stattfindet. 631 Dabei handelt es sich um den Gesprächsbeginn einer längeren Unterhaltung zwischen Xerxes und Artabanos in Abydos (VII, 46 - 52). Xerxes beklagt dort die Kürze des menschlichen Lebens. 632 Als Kontext wird beschrieben, wie Xerxes gerade sein Heer betrachtet, mit dem er gegen Griechenland aufbricht (VII, 44). 633 Kurz freute er sich über die Größe seiner Streitmacht, bricht dann aber in Tränen aus ( μετὰ δὲ 631 Der Text beschreibt diese Szene recht genau. Xerxes nimmt hier auf einem weißen steinernen Thron Platz, der für ihn bereits zu einem früheren Zeitpunkt erbaut worden ist, und überblickt nun in Richtung Küste sein Heer (VII, 44). Ein Symposion ist hier ausgeschlossen. 632 Vgl. zur Verbindung dieser beiden Textstellen Harrison (2000), S. 51; Flower/ Marincola (2002), S. 127 f., S. 129 f.; Vannicelli (2018), S. 356 f.; Grethlein (2011), S. 116 f. sowie Florys Aufsatz ‚ Laughter, Tears and Wisdom in Herodotus ‘ (1978), v. a. S. 145 - 148. Flory untersucht in diesem Aufsatz u. a. nicht nur eine Verbindung zwischen dem Gespräch beim Gastmahl des Attaginos (IX, 16) und Xerxes ’ Trauer über die Kürze des Lebens im Gespräch mit Artabanos (VII, 46), sondern zieht zusätzlich eine weitere Anekdote hinzu: Dabei handelt es sich um die Szene in den Historien, als zunächst die freudige Reaktion der Perser auf die Nachricht der Zerstörung Athens und gleich im Anschluss der große Kummer beschrieben wird, der die Perser auf die Nachricht der Niederlage bei Salamis ergreift (VIII, 99). Flory (1978, S. 146) betont, dass diese drei Anekdoten besonders in drei Merkmalen übereinstimmen: „ First, joy, laughter and self-congratulation arise from gratification of the senses. Second, joy is only possible where the protagonists are ignorant of some truth. Third, regret and tears are in each case the result of reflection or understanding. “ Für das Symposion bei Attaginos wird eine grundlegende fröhliche Stimmung aufgrund des Gastmahls jedenfalls für das Geschehen im Hintergrund angenommen - also dem Zechen der Mitsymposiasten, die nicht am Gespräch zwischen Thersandros und dem Perser beteiligt sind (vgl. Flory [1978], S. 147; dazu Anm. 620). Flory (1978, S. 147) bemerkt für die Szene bei Attaginos, dass diese auch das Muster des Gesprächs zwischen Xerxes und Artabanos (VII, 46) wieder aufgreife „ and establishes a sequence of tears - question - gnomic statement “ . Flory verweist in seinem Aufsatz (1978) zudem auf mehrere Anekdoten in den Historien, wo dieses Muster zu finden ist, so z. B. auch im Rahmen der Erzählung von Kroisos auf dem Scheiterhaufen (I, 86; Flory [1978], S. 148 f.). 633 Xerxes wird in den Historien auch an zahlreichen weiteren Stellen als jemand beschrieben, der etwas betrachtet bzw. Zuschauer von etwas ist und somit aus der Distanz auf ein Geschehen blickt (vgl. z. B. VII, 43 / VII, 44 / VII, 100 / VII, 128 / VII, 130.3 / 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 175 <?page no="176"?> τοῦτο ἐδάκρυσε - VII, 45). Artabanos, der sich bei ihm befindet, hinterfragt den schnellen Stimmungsumschwung des nun weinenden Königs ( Ξέρξην δακρύσαντα εἴρετο - VII, 46.1). Xerxes erklärt, es bekümmere ihn, dass keiner dieser vielen Menschen in 100 Jahren noch leben werde (VII, 46.2). 634 Artabanos erwidert, dass diese kurze Lebensspanne gezeichnet sei durch Unglücksfälle und Krankheiten, die dazu führen, dass das kurze Leben doch noch lange erscheint (VII, 46.3) und der Tod eine erwünschte Flucht aus diesem Jammer biete (VII, 46.4). Die Kürze des Lebens ist somit aus der Sicht des Artabanos kein Grund zur Trauer, es sind die Schicksalsschläge, die das Leben beschwerlich machen. Verantwortlich dafür ist wieder eine Gottheit, die die Menschen das angenehme Leben zwar kosten lässt, sich dann darin aber als neidisch erweist ( ὁ δὲ θεὸς γλυκὺν γεύσας τὸν αἰῶνα φθονερὸς ἐν αὐτῷ εὑρίσκεται ἐών - VII, 46.4). 635 Wie der namenlose Perser bei Attaginos ’ Gastmahl blickt auch Xerxes auf die Soldaten, die für den Kampf bereitstehen, und verweist auf deren baldigen Tod (IX, 16.3). Xerxes klagt unter Tränen über die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens im Allgemeinen, schließt sich selbst allerdings nicht mitein. 636 Der Perser beim Gastmahl von Attaginos blickt zwar auch auf die Soldaten und ist bekümmert über deren nahen Tod. Seine Betrachtung ist jedoch in erster Linie nicht auf die allgemeine Kürze eines Menschenlebens bezogen, sondern speziell auf den von einer Gottheit beschlossenen baldigen VII, 212.1/ VIII, 69.2 / VIII, 86 / VIII, 88.2 / VIII, 89.2 / VIII, 90.4); vgl. dazu Konstan (1987), bes. S. 62 - 67 mit weiteren Literaturverweisen sowie Grethlein (2011), S. 113 - 118. 634 Heni (1976, S. 85) macht darauf aufmerksam, dass hier deutlich wird, dass Xerxes „ sich im tiefsten Frieden [wähnt] oder [ … ] voll Siegeszuversicht [glaubt], der Krieg sei ohne jede Gefahr. “ Denn er denke gar nicht daran, dass die meisten seiner Soldaten nicht einmal 100 Jahre alt werden, da sie zuvor im Krieg sterben werden (ebd.). Anders bewertet Heni (ebd.) dagegen die Reaktion des Persers bei Attaginos ’ Gastmahl, „ dessen Weinen wohlbegründet ist “ . 635 Flory (1978, S. 152 f.) sieht im Lachen, das aus „ ignorance “ entstehe, ein Beispiel für eben jene Gabe, „ in which ( ἐν αὐτῷ ) Herodotus has Artabanus say that god proves his jealousy (7.46.4). “ Flory (1978, S. 153) fährt fort, dass sich die Gottheit durch die Gabe der „ blinding joy “ in die menschlichen Angelegenheiten einmische „ and it is happiness itself which leads men into sorrow. “ Zum ‚ Götterneid ‘ in Herodots Historien vgl. neben VII, 46.4 auch I, 32.1 / III, 40.2 / VII, 10 ε / VIII, 109.3; vgl. auch Heni (1976), S. 63 f. 636 Vgl. Turpin (2014, S. 540): „ Instead of saying that ‘ we ’ are all mortal, as might have been expected, Xerxes points dramatically to ‘ all these people here ’ ( τούτων γε ἐόντων τοσούτων ) “ (VII, 46.2); dazu auch ebd., S. 538 mit Verweisen auf Greene (1944), S. 86 f., Konstan (1987), S. 64 und Harrison (2000), S. 50. Artabanos dagegen erwidert, dass er und auch Xerxes dem gleichen Schicksal unterliegen wie alle anderen Menschen, was der Text durch die Verwendung von πεπόνθαμεν ( Ἕτερα τούτου παρὰ τὴν ζόην πεπόνθαμεν οἰκτρότερα - VII, 46.2) deutlich macht (Turpin [2014], S. 540). Zu dieser Interpretation im Gesamten siehe Turpin (2014), S. 537 - 541. 176 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="177"?> Tod, der die Soldaten bei der kommenden Schlacht erwarte. 637 Anders als Xerxes, der, wie Jonas Grethlein formuliert, wünscht, „ die Gegenwart zu fixieren und ihr ihre Offenheit zu nehmen “ 638 und sie betrachte, „ als ob sie bereits vergangen sei “ 639 , blickt der Perser bei Attaginos auf ein für ihn sicher zu erwartendes Geschehen in der Zukunft. 640 Aus welchen Gründen der Perser aber den nahen Tod seiner Kameraden erwartet, bleibt im Text unerwähnt. Er scheint auf vergangene Schlachten - z. B. die Schlacht bei Salamis - zurückzublicken und sich damit eine Erwartung für die Zukunft aus dem Verlauf der Vergangenheit zu erschließen, doch explizit nennt der Text eine solche Rückerinnerung nicht. Aus der Vergangenheit und damit aus der Geschichte zu lernen und den Verlauf der Zukunft aus den Erfahrungen verändern zu können, ist für ihn ohnehin undenkbar, da es seiner Meinung nach die unbeeinflussbare göttliche Macht sei, die das Ergebnis entscheide. 641 Für ihn ist die Niederlage der Perser bereits unumgänglich beschlossen. Auffällig ist hier, dass sich der namenlose Perser bei Attaginos ’ Gastmahl selbst ebenfalls von diesem Schicksalsweg betroffen sieht. 642 Es ist offensichtlich, dass der Text ausgerechnet in dem Fall, als die Gemeinschaft - sozusagen die Schicksalsgemeinschaft, in der 637 Grethlein (2011, S. 116 f.) betont, dass im Vergleich zu dem vom namenlosen Perser erklärten „ unmittelbar bevorstehenden Tod seiner Landsleute [ … ] Xerxes ’ allgemeine Reflexion über Sterblichkeit unangemessen [wirkt]. “ 638 Grethlein (2011), S. 116. 639 Ebd. 640 Vgl. dazu auch Vannicelli (2018, S. 356 f.), der betont, dass der anonyme Perser bei Attaginos ’ Gastmahl aufgrund der sicheren Aussicht auf den bevorstehenden Tod der meisten persischen Soldaten zu Weinen beginnt, während Xerxes ’ Weinen in VII, 45 - 46 in seinen Gedanken über die allgemeine menschliche Vergänglichkeit begründet liegt. Flory (1978, S. 148) macht außerdem darauf aufmerksam, dass Xerxes seine Bedenken schnell wieder verdrängt, wohingegen Thersandros ’ Gesprächspartner mit vollem Bewusstsein der Gefahr entgegengehen wird. Er (ebd.) sieht zudem eine Verbindung zwischen Wissen und Weinen in den Historien: „ For this Persian, and for all men, Herodotus here implies, to know is to weep “ ; dazu auch Flory (1978), S. 152 f. 641 Vgl. dazu Grethlein (2011, S. 108 - 110), der sich u. a. mit Verweis auf auf Xerxes ’ Träume (VII, 12 / VII, 14) bzw. Artabanos ’ Traum (VII, 17) vor dem Feldzug gegen die Griechen mit den in den Historien gültigen „ Grenzen der Geschichte als magistra vitae “ (Grethlein [2011], S. 108) beschäftigt. Artabanos, der zunächst mit Blick auf die Vergangenheit richtig entschieden hat und vom fatalen Zug gegen Griechenland abrät, wird durch die Traumerscheinung umgestimmt (vgl. ebd., S. 109). Grethlein (2011, S. 110) hebt schließlich hervor, dass in den Historien zwar aus der Vergangenheit Lehren gezogen werden können, dass „ aber [ … ] ihre Anwendung schwierig [ist] - die Menschen bleiben, wie die Träume des Xerxes bezeugen, der Willkür der Götter ausgesetzt “ ; siehe dazu aber die Ausführungen und Verweise in Anm. 625. 642 Vgl. dazu auch Munson (2001), S. 33. Besonders deutlich wird dies durch die Verwendung der 1. Person Plural: ταῦτα δὲ Περσέων συχνοὶ ἐπιστάμενοι ἑπόμεθα ἀναγκαίῃ ἐνδεδεμένοι (IX, 16.5). 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 177 <?page no="178"?> alle dem gleichen Los unterliegen - hervorgehoben wird, als Kontext das Symposion sucht. 643 Denn dabei handelt es sich um einen Ort, in dem die Gemeinschaft und Gleichberechtigung schon institutionell begründet vorhanden sind, wohingegen ein Symposion nach griechischen Konventionen beim Gespräch zwischen Artabanos und Xerxes nicht zielführend wäre, da sich Xerxes in seine allgemeine Reflexion selbst nicht miteinschließt und damit das Gegenteil von Gleichberechtigung hervorgehoben werden soll. Somit erweist sich das Symposion im Text auch als hilfreiches Mittel der Erzählung, da dort düstere Voraussagen, die besonders das Schicksal der Gruppe der Symposiasten selbst betreffen, ausdrucksstark dargestellt werden können. 644 Während die Überzeugung des Persers von dem eigenen Untergang, seine Resignation, da er der Meinung ist, ohnehin nichts ändern zu können, sowie der Zwang, der die Perser noch zum Kämpfen treibt (IX, 16.4 - 5), von einigen Fragmenten der in den im Symposion vorgetragenen frühgriechischen Dichtungen abweicht, da es kontrastiv zur Kampfparänese aus Überzeugung steht, 645 entspricht die übergeordnete Thematik des Gesprächs, nämlich die des Todes, dessen Bedeutung und die Vergänglichkeit des Menschen einer gängigen 643 Dass gemeinsames Speisen bereits symbolisch mit dem gleichen Schicksal verband, bemerkt auch Ruberto (2009), S. 183. Das Symposion bei Attaginos bewirkt darüber hinaus eine Intensivierung dieser Gemeinschaft. Denn erst die sympotische Atmosphäre ermöglicht das vertraute und nachdenkliche Gespräch, in dem das gemeinsame Schicksal sogar in Worte gefasst wird. 644 Asheri/ Vannicelli (2006, S. 196) heben in ihrem Kommentar außerdem hervor, dass das Symposion ein konventioneller Hintergrund für apokalyptische Vorhersagen sei; dazu verweisen sie auf Solmsen (1944, S. 248), die zur Unterhaltung beim Gastmahl des Attaginos bemerkt: „ The episode can be compared with similar scenes in Herodotos ’ work in vi. 107.4 and in viii. 65, where other catastrophes for the Persian army are similarly forecast. But, while the earlier episodes merely convey a first knowledge of a coming defeat, the scene in the house of Attaginos also interprets the defeat as an expression of the will of the gods, against whom all human efforts and warnings must prove powerless. “ Außerdem erwähnen Asheri/ Vannicelli (2006, S. 196) mit Blick auf Attaginos ’ Gastmahl auch die didaktische Funktion des Symposions; dabei verweisen sie auch auf Coulet (1994), S. bes. 64 f. sowie Flower/ Marincola (2002), S. 126. Zum Symposion als Ort der Lehre in Herodots Historien siehe Kap. 3.3. 645 Als Beispiel kann in diesem Zusammenhang das fr. 140 Voigt von Alkaios angeführt werden, das durch die Beschreibung der prunkvollen Kriegsgegenstände in der Waffenkammer, zumindest als „‚ indirekte Paränese ‘“ (Rösler [1980], S. 149) an die Hetairoi zum Kampf gegen die politischen Feinde gelten kann. Natürlich ist der Kontext ein anderer. Schließlich ist es die politische Überzeugung, die Alkaios ’ Hetairie zum möglichen Kampf motiviert, während es sich bei Attaginos ’ Gastmahl in Herodots Historien um eine Szene während der Perserkriege handelt, in der die persönlichen Interessen der Soldaten denen der Anführer unterzuordnen sind. Der fröhliche und im Bezug auf die Kämpfe zuversichtliche Ton in Alkaios ’ Fragment fehlt bei Attaginos ’ Gastmahl völlig. 178 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="179"?> Thematik der frühgriechischen Lyrik und damit des griechischen Symposions. 646 Der Perser erklärt damit seine für die Griechen ungewöhnliche Denkweise im gewöhnlichen Kontext eines griechischen Symposions. Somit zeigt sich die Vielfalt von Meinungen, die im Symposion durch die dortige offene Gesprächssituation und das dort erreichte intensivierte Erleben evoziert werden kann. Das griechische Symposion ist gewöhnlich ein Ort der freien Rede. 647 Es folgt nun noch die Zusatzinformation durch den Text, dass Thersandros diese Geschichte noch vor der Schlacht von Plataiai verbreitet hatte ( ὡς αὐτὸς αὐτίκα λέγοι ταῦτα πρὸς ἀνθρώπους πρότερον ἢ γενέσθαι ἐν Πλαταιῇσι τὴν μάχην - IX, 16.5), was eine Erklärung dafür ist, wie dieses Symposion zu so großer Berühmtheit kommen konnte. So endet die Darstellung des Symposions bei Attaginos. Zentral ist also die Aussage des Persers und weniger die Abläufe beim Symposion. Dennoch ist dieses als Kontext gezielt gewählt. Denn für den hier dargestellten persönlichen Umgang zwischen einem Griechen und einem Perser bietet das griechische Symposion als Basis für diesen kurzen Exkurs von den kriegerischen Unternehmungen einen geeigneten Schauplatz. 648 Unter anderen Bedingungen wäre in den Historien ein intimes Einzelgespräch zwischen zwei einfachen Soldaten unterschiedlicher Kulturen während eines Feldzugs, bei dem unter Tränen vom baldigen Tod der eigenen Kameraden und der Aussichtslosigkeit der Situation gesprochen wird, schwer vorstellbar (IX, 16.3 - 5).Das Symposion erweist sich somit auch hier als Sonderraum, der dieses persönliche Gespräch ermöglicht und mitten im Krieg Gefühle zeigen und Grenzen überwinden lässt. 649 Aufgrund 646 Vgl. dazu Rösler (1980), S. 267 f. bzw. in der vorliegenden Arbeit Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. 647 Vgl. Rösler (1995), S. 108 f. Bowie (2003, S. 107) erkennt hier zu Recht einen implizit ausgedrückten Kontrast zwischen dem griechischen Ideal der Parrhesia, das sowohl im Symposion als auch im öffentlichen Leben gelte, und der persischen Unterordnung unter ihre Herrscher. So betont Bowie (ebd.): „ a Persian can only reveal his gnome in a Greek context. “ Pavlidis (2012, S. 30) betont ebenso, dass „ das Setting nicht zufällig gewählt zu sein [scheint] “ , da Symposia oft auch im realen Leben einen „ Raum für politische und philosophische Gespräche [boten], in dem auch Vertretern exzentrischer Diskurse eine Plattform geboten werden konnte “ . 648 Vgl. dazu auch Coulet (1994), S. 64. Pavlidis (2012, S. 18) macht darauf aufmerksam, dass der Text in IX, 17 „ kommentarlos und ohne Hinweis auf etwaige Konsequenzen dieser Begegnung inhaltlich an den Ausgangspunkt, die Maßnahmen der Perser vor der großen Schlacht von Plataiai, an[knüpft]. “ Die Szene selbst erweist sich also als „ dem Kontext enthoben “ (ebd.). Durch das Gastmahl, als „ für einen griechischen Angehörigen der Elite vertrauten Settings “ (ebd., S. 23) und die damit verbundene Unterbrechung des Berichts über die Kriegsvorbereitungen wird die Aufmerksamkeit der Rezipienten erfolgreich auf den Inhalt des Gesprächs gelenkt; vgl. dazu auch Pavlidis (2012), S. 23 f. 649 Vgl. dazu Coulet (1994, S. 64 f.): „ Ce qui est remarquable dans ce texte, c ’ est le sentiment qu ’ ont les personnages de faire partie d ’ une humanité commune. Alors qu ’ on est en 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 179 <?page no="180"?> der Thematik des Gesprächs, der dort vorherrschenden intimen und durch die Weinseligkeit gelösten Atmosphäre, aber auch der Betonung der Schicksalsgemeinschaft erweist sich das Symposion als idealer Kontext für diese Unterhaltung. Doch gerade aufgrund seines Prinzips der Gleichberechtigung und seiner starken Gewichtung der sympotischen Gemeinschaft wäre ein Symposion nach gängigen Konventionen untypisch, um einen solch persönlichen Einzeldialog regelkonform zu kontextualisieren. Es ist die Besonderheit durch die große Anzahl an Teilnehmern bei diesem Symposion, die die gemeinsame Unterhaltung aller Symposiasten unterbindet, dafür aber dieses persönliche Gespräch zwischen zwei Teilnehmern ermöglicht. Nicht zu vergessen ist dabei auch der Hinweis, dass der Perser die griechische Sprache wählt, um sich mit Thersandros überhaupt unterhalten zu können ( Ἑλλάδα γλῶσσαν ἱέντα - IX, 16.2). Der Text achtet somit in jeder Hinsicht darauf, dass dieses Gespräch einen plausiblen Kontext erhält. Wegen der ausgelassenen sympotischen Atmosphäre wirkt der Kontrast zum düsteren Gespräch besonders stark, sodass die für Herodots Historien zentrale Aussage auf diese Weise besonders hervorgehoben werden kann. Die Symposionsszene wird zudem nicht unnötig in die Länge gezogen. Sobald der Perser seine Rede beendet hat, endet auch die Szene - ähnlich abrupt wie das Gastmahl bei Hydarnes (VII, 135) - 650 und damit auch die Symposionsdarstellung. Kampfeseifer und Zuversicht mit Blick auf den anstehenden Kampf wird von den Persern aufgrund des Gesprächs bei Attaginos ’ Gastmahl nicht mehr erwartet. 651 Außerdem wissen die Leser bereits, dass die Schlacht bei Plataiai zuungunsten der Perser ausgehen wird. Sie bewerten die Aussage des Persers aus diesem Blickwinkel. Durch diese diskrepante Informiertheit schafft der Text einen besonders eindrücklichen Kontrast zwischen diesem Gastmahl und dem anstehenden Kampfgeschehen. Der Ausblick, den die Symposiasten auf das persische Lager am Fluss haben, hebt die Nähe des Untergangs für die pleine guerre, les différences entre Grecs et Perses sont totalement gommées “ und der Text betone dies dadurch, dass der Perser die griechische Sprache spricht sowie durch die Verwendung der Bezeichnungen Homoklinos, Homotrapezos und Homospondos (IX, 16.2); zu ὁμόκλινος , ὁμοτράπεζος und ὁμόσπονδος siehe auch Anm. 589. Flower (2006, S. 276) hebt hervor, dass das Gespräch über das menschliche Leiden den Unterschied zwischen Griechen und Barbaren vermindert: „ The distance between Greek and barbarian was not so great after all - human suffering binds all peoples. “ Vgl. dazu auch Grethlein (2011), S. 103 mit Anm. 2. 650 Siehe dazu Kap. 3.1.1. 651 Im Gegensatz dazu treten die Perser in einem anderen Gastmahl, das zu einem früheren Zeitpunkt in den Historien beschrieben wird, selbstsicher und auf überhebliche Weise auf. Dabei handelt es sich um das Gastmahl zwischen Makedonen und Persern (V, 18 - 20) bei dem Makedonenkönig Amyntas (siehe zur Analyse dieses Gastmahls Kap. 4.2.3.4). 180 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="181"?> Leser hervor. Die friedliche Utopie, die das Symposion durch seine besondere Atmosphäre für den Moment noch gewähren kann, 652 wird durch das Gespräch durchbrochen und durch den Blick auf das reale Geschehen zerstört, sodass die Handlung wieder zurück auf die Realität des Krieges gelenkt wird. 653 Die düstere Stimmung, die durch die Aussage des Persers über dieses Gastmahl gelegt worden ist, besteht allerdings fort, während sich der Text der Beschreibung der militärischen Situation kurz vor der Schlacht von Plataiai zuwendet. 3.1.3 Artabazos auf der Flucht Nach der Schlacht bei Plataiai verwendet der Text nochmals ein Gastmahl als Kontext für ein Gespräch. Hier ist die Niederlage der Perser in der Schlacht bei Plataiai bereits eingetreten. Es ist somit anzunehmen, dass das Gastmahl bei Attaginos in einem ganz anderen Kontext steht als dieses hier, bei dem der Perser Artabazos bewirtet wird (IX, 89.1 - 3). 654 Denn Artabazos, der mit seinem Heeresanteil von Plataiai flieht (IX, 66) - er war anders als Mardonios von Anfang an dagegen, diese Schlacht zu führen (vgl. IX, 41 / IX, 58.3 / IX, 66.1) - gelangt auf seinem Weg zum Hellespont zu den Thessalern, von denen er nun gastfreundlich aufgenommen wird ( ἀπικόμενον δέ μιν οἱ Θεσσαλοὶ παρὰ σφέας ἐπί τε ξείνια ἐκάλεον - IX, 89.1). Durch die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν kann angenommen werden, dass es während dieser gastfreundschaftlichen Aufnahme auch zu einer Bewirtung kommt. 655 652 Zur Friedensthematik im Symposion und der dortigen Utopie in idealer Harmonie siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.6.1. 653 Vgl. dazu Klinghardt (1996, S. 170 f.), der mit Bezug auf Xenophan. fr. 1 D.-K. (siehe dazu Kap. 2.2.3.6.1) betont, dass die „ Symposienunterhaltung [ … ] der entworfenen Mahlidylle entsprechen [muss], um sie nicht zu entwerten. So, wie das Mahl selbst nicht nur auf Frieden verweist, sondern diesen (partiell) realisiert, beeinträchtigt unangemessene Symposienunterhaltung diesen vorweggenommenen Frieden [ … ]. “ 654 Vgl. dazu Flower/ Marincola (2002, S. 260): „ This ‘ feast ’ is in strong contrast with the hopeful and lavish spectacle put on by the Thebans for Mardonius and his officers (16). “ Allerdings ist der namenlose Perser bei Attaginos ’ Gastmahl keineswegs hoffnungsvoll mit Blick auf den anstehenden Kampf (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 3.1.2.2). Ob aber auch die anderen Teilnehmer bei Attaginos ’ Gastmahl die Sicht des namenlosen Persers teilen, erwähnt der Text nicht, sodass generell durchaus von einer hoffnungsvolleren Stimmung bei Attaginos ’ Gastmahl ausgegangen werden kann, als es im Vergleich dazu hier nach der Niederlage bei Plataiai für die Bewirtung des Artabazos durch die Thessaler anzunehmen ist. 655 Zur Bedeutung der Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν siehe Kap. 2.2.5.9; Ruberto (2009, S. 75) hebt mit Blick auf diese Formulierung hervor, dass hier eine gastfreundschaftliche Verbindung begründet werde und die Thessaler nicht nur ihrer Verpflichtung, das königliche Heer zu versorgen, nachkämen. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 181 <?page no="182"?> Die Thessaler hatten sich vor einiger Zeit den Persern angeschlossen und hoffen auch auf einen persischen Sieg. 656 Der Text informiert den Rezipienten, dass die Thessaler zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der persischen Niederlage bei Plataiai wussten ( οὐδὲν ἐπιστάμενοι τῶν ἐν Πλαταιῇσι γενομένων - IX, 89.1), und somit auch nicht, dass Artabazos aus der Schlacht geflohen ist. So ist klar, dass die Leser wie Artabazos von der persischen Niederlage wissen, die gastgebenden Thessaler allerdings nicht. Der Text erklärt auch sofort, dass Artabazos keineswegs vorhat, die Thessaler über die momentane Kriegslage zu informieren. Denn er befürchtet, dass er dann selbst zusammen mit seinem Heer vernichtet werde ( αὐτός τε κινδυνεύσει ἀπολέσθαι καὶ ὁ μετ᾽ αὐτοῦ στρατός ( ἐπιθήσεσθαι γάρ οἱ πάντα τινὰ οἴετο πυνθανόμενον τὰ γεγονότα ) - IX, 89.2). Somit liefert der Text indirekt einen Vorverweis dafür, dass es dem Artabazos bei diesem Gastmahl gelingen muss, sich aus dieser gefährlichen Situation hinauszuretten. Und so kommt es nun zum Gespräch zwischen den Thessalern und Artabazos, wobei im Gegensatz zu den Unterhaltungen bei Attaginos ’ Gastmahl (IX, 15.4 - 16.5) und dem Gastmahl des Hydarnes (VII, 135) nur die Aussage des Artabazos direkt wiedergegeben und damit hervorgehoben wird. Auf die - also in indirekter Rede wiedergegebene - Frage der Thessaler nach dem übrigen Heer antwortet Artabazos für die Leser wenig überraschend mit einer Lüge. So sagt er, er sei mit seinen Truppen ( μετὰ τῶνδε - IX, 89.3) für eine von ihm nicht näher beschriebene Aufgabe ( πεμφθεὶς κατά τι πρῆγμα - IX, 89.3) auf dem Weg nach Thrakien. Mardonios, der in Wahrheit zu diesem Zeitpunkt schon gefallen ist, folge ihm mit einem Heer in nur kurzem Abstand (IX, 89.3). Die Thessaler sollen diesen dann aufnehmen und gut behandeln ( τοῦτον καὶ ξεινίζετε καὶ εὖ ποιεῦντες φαίνεσθε - IX, 89.3) 657 . Wieder wird während eines Gastmahls auf die Truppen gezeigt, was an dem deiktischen τῶνδε ersichtlich wird ( μετὰ τῶνδε - IX, 89.3). 658 Auch daran wird eine intratextuelle Verbindung zum Gastmahl bei Attaginos ersichtlich, wo der anonyme Perser den Blick ebenfalls auf die persischen Soldaten richtet ( ὁρᾷς [ … ] καὶ τὸν στρατὸν τὸν ἐλίπομεν ἐπὶ τῷ ποταμῷ στρατοπεδευόμενον ; - IX, 16.3). Wie die persischen Soldaten bei Attaginos ’ Gastmahl werden auch die Truppen des Artabazos aufgrund der hohen Anzahl an Soldaten - laut Text handelt es sich um 40.000 Mann, die Artabazos anführt (IX, 66.2) - nicht am 656 Zum Bündnis der Thessaler und Perser vgl. z. B. VII, 132.1 / VII, 172 - 174 / VIII, 30 / IX, 31.5. 657 Zur Umschreibung einer gastfreundschaftlichen Bewirtung durch ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9. 658 Vgl. Flower/ Marincola (2002, S. 260) zu μετὰ τῶνδε (IX, 89.3): „τῶνδε here has a deictic function, as Artabazus makes sweeping gesture towards his men “ . 182 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="183"?> Gastmahl bei den Thessalern teilnehmen, sondern lagern wohl außerhalb, auch wenn der Text dies nicht explizit erwähnt. Dass sich die Soldaten entfernt von den Gastmählern befinden, hebt bildlich hervor, wie die Gastmahlbeschreibungen das Kampfgeschehen bzw. den Verlauf des Krieges verlangsamen, und so eine neue Situation kreiieren, die eine Unterhaltung kontextualisieren kann, ohne den großen Kontext des Kampfes komplett zu durchbrechen. Eine Parallele zu dem Gastmahl bei Attaginos (IX, 15.4 - 16.5) und auch bei dem des Hydarnes (VII, 135) findet sich zudem darin, dass die Szene direkt nach der zentralen Aussage endet und die übergeordnete Handlung fortgeführt wird. Denn gleich nach seinen Worten bricht Artabazos auf und setzt seinen Weg eiligst in Richtung Hellespont fort ( ταῦτα δὲ εἴπας ἀπήλαυνε σπουδῇ τὴν στρατιὴν διὰ Θεσσαλίης τε καὶ Μακεδονίης ἰθὺ τῆς Θρηίκης , ὡς ἀληθέως ἐπειγόμενος καὶ τὴν μεσόγαιαν τάμνων τῆς ὁδοῦ - IX, 89.4). Das Gespräch mit den Thessalern versetzt Artabazos offensichtlich zusätzlich in Unruhe, was aus der Verwendung einiger Ausdrücke bzw. aus Formulierungen ersichtlich wird, mit denen Dringlichkeit und Geschwindigkeit verbunden sind ( σπουδῇ / ἰθύς / ἐπείγεσθαι / τὴν μεσόγαιαν τάμνων ), wodurch seine sofortige Weiterreise beschrieben wird. 659 Artabazos ’ Aufenthalt in Thessalien beschränkt sich in Herodots Historien auf dieses Gastmahl. Ob neben ihm noch andere, ausgewählte Perser aus seinem Heer am Gastmahl teilnehmen, wird nicht erwähnt. Es ist lediglich von der Einladung des Artabazos die Rede ( ἀπικόμενον δέ μιν οἱ Θεσσαλοὶ παρὰ σφέας ἐπί τε ξείνια ἐκάλεον - IX, 89.1). Wie auch bei Hydarnes ’ Gastmahl (VII, 135) wird der Ablauf der Bewirtung insgesamt nicht genauer beschrieben. Es wird lediglich erwähnt, dass es zur gastlichen Aufnahme des Artabazos kommt. Ob auch ein Symposion abgehalten wird, wird nicht ausgesagt. Allerdings ist dies aufgrund des abrupten und plötzlichen Aufbruchs von Artabazos nicht anzunehmen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass das Gastmahl an dieser Stelle ebenfalls gezielt wegen der geeigneten Kontextualisierung des Gesprächs erwähnt wird. Die Schilderung der gastfreundlichen Aufnahme bewirkt eine Unterhaltung zwischen Gast und Gastgeber und ermöglicht dadurch einen Einblick in Artabazos ’ Charakter, der aus Furcht die 659 Auch in der Formulierung seiner Lüge findet man durch die Verwendung von ἐπείγομαι , τὴν ταχίστην ἐλῶν und σπουδὴν ἔχω einige Ausdrücke bzw. Wendungen, die mit Schnelligkeit in Verbindung stehen ( ἐπείγομαί τε τὴν ταχίστην ἐλῶν ἐς Θρηίκην καὶ σπουδὴν ἔχω - IX, 89.3). Artabazos beschreibt hier, dass er versucht, möglichst schnell nach Thrakien zu gelangen, wobei er aber nicht verrät, dass es sich in Wahrheit um seine Flucht handelt. Bereits in IX, 66.3 wird seine Flucht direkt aus der Schlacht ebenso als besonders eilig dargestellt: τὴν ταχίστην ἐτρόχαζε φεύγων [ … ], ἐθέλων ὡς τάχιστα ἐπὶ τὸν Ἑλλήσποντον ἀπικέσθαι . Vgl. dazu Flower/ Marincola (2002), S. 260. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 183 <?page no="184"?> Lüge der Wahrheit vorzieht. Dem Text gelingt es zudem, Artabazos ’ Geschicklichkeit darzustellen, indem er aufzeigt, wie Artabazos die Thessaler erfolgreich bezüglich der bereits eingetretenen Niederlage täuschen kann. 660 Denn sämtliche Soldaten, die Artabazos bei sich hatte, wussten von der persischen Niederlage, sodass das erfolgreiche Verheimlichen der Wahrheit umso mehr Vorsicht und Klugheit erforderte. Ob es nun Artabazos tatsächlich gelingen konnte, vor der thessalischen Reiterei und vor jedem Gerede über die Niederlage der Perser in Thessalien anzukommen, ist ungewiss. 661 Doch dies ist für die Textdarstellung unerheblich, die durch die Erwähnung des Gastmahls nicht nur Artabazos ’ Geschicklichkeit hervorheben kann, sondern eben auch dessen innere Unruhe durch die Betonung der Schnelligkeit seiner Flucht von Plataiai. Schließlich gelingt es ihm, sogar schneller als das Gerücht in Thessalien anzukommen. Zudem wird durch seine Lüge sowie durch die Erwähnung der mit dem Gastmahl verbundenen Rast und dem daraus folgenden abrupten Aufbruch sowie der eiligen Reise erneut die große innere Nervosität und Unsicherheit des Artabazos illustriert. Dieses kurze Gastmahl ist für den weiteren Handlungsverlauf nicht entscheidend, das Gespräch aber und damit die erfolgreiche Lüge des Artabazos kann auf diese Weise sinnvoll kontextualisiert werden. 3.1.4 Fazit: Gelegenheit für ein persönliches Gespräch Bei allen drei Gesprächen, die hier untersucht worden sind, handelt es sich jeweils um Unterhaltungen zwischen Griechen und Persern, die in den Kontext eines Gastmahls gestellt werden. Dabei steht nicht im Vordergrund, ob diese miteinander in gegnerischen Kriegsparteien kämpfen, wie es bei den Spartanern und Persern bei Hydarnes ’ Gastmahl der Fall ist (VII, 135) oder ob die 660 Vgl. Flower/ Marincola (2002, S. 260): „ His cleverness in fooling the Thessalians once again serves to highlight his sagacity (41 n.). “ 661 How und Wells (1912b, S. 327) halten dies für unwahrscheinlich: „ It is difficult to believe that Artabazus arrived in Thessaly before the Thessalian cavalry reached home, and before any rumour of the defeat at Plataea had spread there. Again, in his speech to the Thessalians, he is absurdly vague and fails to lie with circumstance. “ Siehe dazu auch Asheri/ Vannicelli (2006, S. 297): „ la notizia della vittoria di Platea sarebbe arrivata in poche ore a Micale (più Avanti, 100, 1 - 2), ma non in Tessaglia. L ’ intera situazione è contraddittoria e storicamente inammissibile, frutto di una ricostruzione artificiale a scopo narrativo. “ Auch Flower/ Marincola (2002, S. 260) erwähnen, dass die Plausibilität dieses Vorfalls dadurch angezweifelt wurde, da Artabazos nicht schneller in Thessalien sein konnte als die Nachricht über die Schlacht. Allerdings sagen sie auch (ebd.), dass unter anderem diese Schnelligkeit nachvollziehbarer wird, wenn man davon ausgeht, dass Artabazos weniger Soldaten anführte, als die 40.000 Mann, die ihm der Text in IX, 66.2 zuschreibt. 184 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="185"?> Griechen perserfreundlich gesinnt sind wie die Thebaner bei Attaginos ’ Mahl (IX, 15.4 - IX, 16.5) oder die Thessaler, die Artabazos aufnehmen (IX, 89.1 - 3). Zudem werden sowohl die Griechen (Attaginos, Thessaler) als auch die Perser (Hydarnes) zu Gastgebern. Es zeigt sich also, dass zumindest in der Darstellung der Historien in diesen beiden Kulturen Gastfreundschaft gegenüber Fremden geboten war - unabhängig von dessen Herkunft oder Kriegszugehörigkeit. 662 Vor dem Hintergrund der Gastfreundschaft entsprechen die erwähnten Bewirtungen der Erzähllogik, wirken nicht aus dem Zusammenhang gerissen und schaffen zudem eine Retardierung der Handlung, die die Darstellung des jeweiligen Gesprächs in sinnvollem Kontext ermöglicht. Das Gastmahl bei Hydarnes (VII, 135) und das der Thessaler für Artabazos (IX, 89.1 - 3) lassen sich lediglich aus der Formulierung der gastlichen Aufnahme erschließen. Eine weitere Beschreibung von deren Ablauf ist im Text nicht vorhanden, aber für das dort stattfindende Gespräch auch nicht relevant, da bereits durch den gastfreundschaftlichen Kontext die nötige Vertrauensbasis geschaffen ist. Anders verhält es sich bei der Darstellung des Gastmahls bei Attaginos (IX, 15.4 - 16.5). Über dieses Gastmahl liefert der herodoteische Erzähler zahlreiche Details, die das dort stattfindende intime Gespräch erst ermöglichen und eindrucksvoll untermalen. 663 Das Symposion bietet dabei durch seine besondere Atmosphäre eine Gelegenheit für das konzentrierte und intensivierte Nachdenken über den Tod und die Vergänglichkeit des Menschen und evoziert so ein Gespräch, das es offensichtlich wert ist, nicht in Vergessenheit zu geraten. Insgesamt bekommt auf diese Weise die Vergänglichkeit und das Gefühl, gegenüber einer übermenschlichen Macht ausgeliefert zu sein, als zentrale Gedanken der Historien eine weitreichende Wirkung. Das Thema Tod und Vergänglichkeit ist für ein griechisches Symposion typisch und hat aufgrund der dortigen Situation während des Krieges ohnehin eine besondere Virulenz. Dieses Thema wird durch das intensive Erleben des inneren Bewusstseins beim Symposion nochmals verstärkt wahrgenommen und als Kontrast zu der bei Attaginos im Hintergrund vorherrschenden freudigen Stimmung unter den anderen Symposiasten hervorgehoben. Zumal der angesprochene nahende Tod die gesamte anwesende Gruppe von Symposiasten betrifft. Das Symposion bei Attaginos zeigt, welch unterschiedliche Emotionen in einem Symposion vorherrschen können und diesen Sonderraum vom Leben außerhalb abgrenzt. So steht das Erleben der Emotionen bei Attaginos ’ Symposion dem außerhalb 662 Zur Institution der griechischen Gastfreundschaft siehe Kap. 2.1.2. 663 Z. B. macht der Text deutlich, dass das Gespräch zusammen mit dem Abschnitt des Symposions beginnt, beschreibt die Klinenordnung sowie den Kontext außerhalb des Gastmahls und gibt die Anzahl und Tätigkeiten der Symposiasten bekannt. 3.1 Gelegenheit für ein persönliches Gespräch 185 <?page no="186"?> lauernden, emotionslosen, erbitterten Krieg gegenüber. Dies wird durch die unterschiedlichen Szenerien, nämlich durch das Symposion und den gleichzeitigen Blick auf das persische Lager, intensiviert. Ob es bei den Bewirtungen des Hydarnes und der Thessaler auch zu Symposia kommt, kann dagegen aus erzählökonomischen Gründen unerwähnt bleiben. Die dort wiedergegebenen Gespräche sind weniger emotional und persönlich, als es beim Symposion des Attaginos der Fall ist. Während die Bewirtungen der Spartaner bei Hydarnes und des Artabazos bei den Thessalern nur aus Zufall zustande kommen und sich aus gastfreundschaftlichen Verpflichtungen erklären, geht die gezielte Einladung und Vermischung von Persern und Boiotiern bei Attaginos ’ über eine bloße gastfreundschaftliche Verpflichtung hinaus. Auf diese Weise betont der Text die besondere Perserfreundlichkeit des Attaginos. Für alle drei Gastmähler gilt, wie zu Beginn dieses Kapitels angenommen, 664 dass nicht die Geschehnisse bei den Gastmählern durch die Gespräche beleuchtet werden, sondern dass im Gegenteil die Inhalte der Gespräche entscheidend sind, die durch den Kontext des Gastmahls ermöglicht und im Fall des Symposions bei Attaginos sogar besonders emotional verbildlicht werden sollen. Das zeigt sich auch daran, dass alle drei Gastmahldarstellungen nach der zentralen Aussage abrupt enden. So verweisen die Spartaner gegenüber dem unter einer Alleinherrschaft lebenden Perser Hydarnes auf ihre Freiheitsliebe, für die sie sogar den Tod akzeptieren, so verweist der namenlose Perser gegenüber seinen thebanischen Lagergenossen auf das - seiner Meinung nach - Ausgeliefertsein des Menschen gegenüber dem Willen des Göttlichen und so zeigt beim Gastmahl der Thessaler Artabazos ’ Lüge, durch die er im Gespräch mit den Thessalern noch erfolgreich den wahren Grund seiner Anwesenheit - nämlich seiner Flucht vor dem Kampf in Plataiai - verschweigen kann, wie übereilt und schnell sein Aufbruch und seine Flucht gewesen sein mussten, dass er schneller als die Meldung über die persische Niederlage mit seinem Heer in Thessalien ankommen konnte. Durch das Gastmahl werden somit sowohl Artabazos ’ Geschicklichkeit als auch innere Unruhe und Furcht verbildlicht. So zeigen diese drei Szenen, wie der herodoteische Erzähler mit ihrer Hilfe in den Historien ohne den Erzählfaden zu verlieren Gespräche an geeignete Stellen einbaut und damit die Erzählung verlangsamt, dabei aber keineswegs durchbricht, sondern sogar bereichert, indem er einerseits damit die momentanen Geschehnisse im Erzählverlauf veranschaulicht und andererseits auf diese Weise die Darstellung zentraler Gedanken ermöglicht. Daran, dass das Gespräch während des Gastmahls des Attaginos, bei dem auch die damit ver- 664 Siehe dazu die einleitenden Ausführungen in Kap. 3.1. 186 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="187"?> bundenen intensiven Empfindungen entscheidend sind, gezielt durch ein Symposion kontextualisiert wird, zeigt sich, dass auch in Herodots Historien das Symposion mit einem gesteigerten Erleben von Emotionen verbunden ist und auf diese Weise eine Situation erschafft, die außerhalb davon keinen Raum findet. Dafür unerheblich ist es, wenn die gewöhnliche Symposiastenanzahl überschritten wird oder die Symposiasten aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten stammen. Entscheidend ist, dass diese Details durch den Text sinnvoll eingesetzt werden. 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung Bereits in Homers Epen wird deutlich, dass ein gemeinsames Mahl - dort die δαίς , die Joachim Latacz als „ Vorgänger-Institution “ des Symposions bezeichnet - 665 als Ort der Kommunikation auch einen geeigneten Raum für eine Beratung bietet. 666 In Herodots Historien nun findet sich das Symposion als Ort dafür. Jedoch wird das Symposion keineswegs generell als Szenerie für Beratungen in den Historien verwendet, sondern lediglich an einer einzigen Stelle explizit in dieser Funktion erwähnt. Dabei handelt es sich zudem um die Darstellung einer allgemeinen persischen Sitte, nicht um eine tatsächliche Beratungsszene. 667 Bei den Griechen dagegen ist von einem solchen Brauch geschweige denn einer Beratung während eines Symposions in den Historien an keiner Stelle die Rede. Zwei Generationen später erfahren wir in Xenophons Symposion ohnehin, dass es für die Griechen ungewöhnlich war, beim Trank ernstere Themen zu behandeln, 668 wozu eine Beratung über wichtige Angelegenheiten gerechnet werden kann. Ich untersuche nun zunächst, wie diese typisch persische Sitte in I, 133.3 - 4 dargestellt wird. Anschließend möchte ich exemplarisch auf einige persische Beratungsszenen in den Historien eingehen, um zu überprüfen, ob dort aus dem Text oder dem dargestellten Inhalt erschlossen werden kann, ob diese Beratungsszenen vor dem Hintergrund von Symposia vorstellbar sind. 665 Latacz (1994), S. 359. Zur Analyse der Bedeutung von δαίς in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.5. 666 Vgl. dazu die Literaturhinweise in Anm. 199. 667 Vgl. dazu auch Hobden (2013), S. 93 f. Hobden (2013, S. 94) hebt also hervor, dass diese ethnographische Besonderheit der Perser keine Auswirkungen auf die historische Erzählung habe. 668 So entschuldigt sich Sokrates in Xenophons Werk Symposion dafür, wenn er im Folgenden ernster sprechen sollte, als es sich für einen Umtrunk gehört: εἰ δ᾽ ὑμῖν δοκῶ σπουδαιολογῆσαι μᾶλλον ἢ παρὰ πότον πρέπει , μηδὲ τοῦτο θαυμάζετε (Xen. symp. 8, 41). 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung 187 <?page no="188"?> 3.2.1 Trunkenheit als guter Ratgeber Im Rahmen des ethnologischen Berichts über die Perser wird in Herodots Historien eine Sitte erwähnt, die neben der dort stattfindenden Beratung darauf hinweist, dass auch bei den Persern das Trinken in Gemeinschaft von Bedeutung ist. Zunächst wird in diesem Kapitel von besonderen persischen Speisegewohnheiten berichtet (I, 133.1 - 2) 669 sowie von dem Verbot, auszuspucken und in Anwesenheit eines anderen zu urinieren (I, 133.3). Auch die Zuneigung der Perser zum Wein wird hier benannt ( οἴνῳ δὲ κάρτα προσκέαται - I, 133.3). Dass die Perser in der Darstellung der Historien erst nach ihrem Sieg über die Lyder Wein konsumieren, 670 bleibt dagegen an dieser Stelle unerwähnt. Der Text konzentriert sich hier offenbar auf die persischen Sitten, die zur Zeit der Abfassung von Herodots Historien als gültig bekannt waren. Die Trunkenheit, die sich aus ihrer großen Zuneigung zum Wein ergibt, wissen die Perser zu nutzen. Denn Weintrinken ist für ihren gewöhnlichen Beratungsprozess unverzichtbar. So werden die Beratungen über ihre wichtigsten Angelegenheiten gemäß den Historien im Rausch abgehalten ( μεθυσκόμενοι 671 δὲ ἐώθασι βουλεύεσθαι τὰ σπουδαιέστατα τῶν πρηγμάτων - I, 133.3). 672 Entscheidend für 669 Auf zwei dieser Besonderheiten gehe ich an anderer Stelle ein; siehe dazu Anm. 255 und Kap. 4.1.2.1. Zu den kulturellen Unterschieden zwischen Griechen und Persern mit Blick auf die in I, 133.1 dargestellten persischen Speisegewohnheiten vgl. Schmitt Pantel (1992), S. 431. 670 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2. 671 Vgl. dazu μεθύσκω in LSJ, S. 1091: „ II. Pass., = μεθύω , drink freely, get drunk “ . Μεθύσκεσθαι wird in den Historien noch zwei weitere Male (in I, 202.2) verwendet. In I, 202.2 erfährt der Leser, dass die Massageten von dem Geruch bestimmter verbrannter Früchte genauso berauscht werden wie die Griechen durch Wein ( ὀσφραινομένους δὲ καταγιζομένου τοῦ καρποῦ τοῦ ἐπιβαλλομένου μεθύσκεσθαι τῇ ὀδμῇ κατά περ Ἕλληνας τῷ οἴνῳ - I, 202.2). Je mehr die Massageten davon verbrennen, desto berauschter werden sie, bis sie sich schließlich zum Tanzen erheben und zu singen beginnen ( πλεῦνος δὲ ἐπιβαλλομένου τοῦ καρποῦ μᾶλλον μεθύσκεσθαι , ἐς ὃ ἐς ὄρχησίν τε ἀνίστασθαι καὶ ἐς ἀοιδὴν ἀπικνέεσθαι - I, 202.2). In I, 202.2 beschreibt μεθύσκεσθαι also nicht direkte Trunkenheit, da der Zustand nicht durch Alkohol hervorgerufen wird, sondern durch den Geruch, der durch das Verbrennen bestimmter Früchte entsteht. Der berauschte Zustand hat aber die gleichen Folgen wie Trunkenheit durch Wein, die dem herodoteischen Erzähler und seinen Rezipienten bekannt sind, sodass die Verwendung von μεθύσκεσθαι an dieser Textstelle nicht überrascht. Sowohl in I, 133.3+4 als auch in I, 202.2 handelt es sich um einen angenehmen, lockeren und in I, 133.3+4 sogar hilfreichen Zustand der Trunkenheit. 672 Hier wird durch μεθύσκεσθαι ein Zustand der Betrunkenheit beschrieben, in dem eine konstruktive Beratung noch möglich ist; Schmitt Pantel (1992, S. 431) hebt hervor, dass die Trunkenheit aus Sicht der Perser also keineswegs ein Mittel sei, das den Kontrollverlust über die eigenen Worte und Handlungen bewirkt, sondern ein heilsamer Zustand, der es ihnen sogar erlaube, zu beraten und Entscheidungen zu treffen, „ bref d ’ exercer des 188 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="189"?> die Beschlussfindung ist zudem, dass die im Rausch getroffenen Beschlüsse am nächsten Tag vom Hausherrn, in dessen Haus die Beratung stattgefunden hat, nochmals vorgetragen und von allen überdacht werden, wenn die Beteiligten wieder nüchtern sind ( τὸ δ᾽ ἂν ἅδῃ σφι βουλευομένοισι , τοῦτο τῇ ὑστεραίῃ νήφουσι προτιθεῖ ὁ στέγαρχος , ἐν τοῦ ἂν ἐόντες βουλεύωνται - I, 133.4). Im Gegenzug werden die in Nüchternheit getroffenen Entscheidungen im betrunkenen Zustand erneut geprüft (I, 133.4). Dabei ist zu beachten, dass der Text nicht davon spricht, dass ein einzelner Perser für sich alleine auf diese Weise Beschlüsse fasst, sondern es wird durchgehend im Plural über die Beratenden gesprochen. 673 Es handelt sich also um Beratungen, in denen gemeinschaftlich Beschlüsse getroffen werden, weshalb von einem extra für diese Beratung veranstalteten Treffen von mehreren Personen ausgegangen werden kann. Naheliegend hierfür ist die Vorstellung eines Symposions. Doch es werden weder die Teilnehmer genauer beschrieben, noch der genaue Ablauf des Trinkgelages. Die Themen, über die dort beraten wird, werden ebenfalls nicht definiert, man erfährt lediglich, dass es sich um die wichtigsten Angelegenheiten handelt ( τὰ σπουδαιέστατα τῶν πρηγμάτων - I, 133.3). Nicht von den Griechen, aber auch von keinem anderen Volk wird in den Historien berichtet, dass sie ein Symposion abhalten, um über ernsthafte Dinge zu beraten. Somit wird diese Sitte in der Darstellung der Historien speziell den Persern zugeschrieben. Dass weder die Themen bestimmt sind noch die Beratenden auf eine spezielle Gesellschaftsschicht reduziert werden, ergibt sich daraus, dass dieser Brauch als allgemeingültiger persischer Brauch dargestellt wird. Denn es findet sich im Text kein Hinweis darauf, dass es sich bei diesen persischen Symposiasten um eine bestimmte Gruppe handelt, die wie eine griechische Hetairie im Symposion einen geeigneten Ort dafür fand, nicht nur, um sich dort ungestört beraten zu können, sondern in erster Line auch, um bestimmte Ziele zu formulieren und ihre Identität zu stärken. 674 Der Text hebt durch diese unspezifischen Angaben vielmehr das einzig Eindeutige hervor, wovon er berichtet, prérogatives politiques. “ Dass die Perser also am Ende ihres Mahls gewöhnlich betrunken sind, erinnere laut Schmitt Pantel an ihre Unfähigkeit, den Rausch zu beherrschen und sich „ règles du savoir-bien-boire “ zu geben (ebd.). 673 Dass es sich dabei um mehr als zwei Personen handelt, wird an der Stelle deutlich, als der Text erwähnt, dass der Hausherr die in Trunkenheit getroffenen Beschlüsse am nächsten Tag den νήφουσι (I, 133.4) erneut vorbringt. Da es sich bei νήφουσι um eine Dativform im Plural handelt, müssen die Personen, die nun nüchtern sind, mindestens zu zweit sein. Davon ausgegangen, dass auch der Hausherr an der Beratung und Beschlussfindung teilgenommen hat, ergibt sich zusammen mit diesem eine Anzahl von mindestens drei Personen. Eine Obergrenze ist aus dem Text nicht möglich zu erschließen. 674 Zur Hetairie vgl. Kap. 2.2.4. 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung 189 <?page no="190"?> und zwar, dass die Perser im Rauschzustand beraten und die Beschlüsse dann nüchtern nochmals überdenken - oder in genau umgekehrter Abfolge. Dadurch, dass erwähnt wird, dass die Beschlüsse auf jeden Fall auch nüchtern in Augenschein genommen werden, wird vermieden, dass alle kommenden Beschlüsse der Perser vor dem Anschein, sie seien im betrunkenen Zustand getroffen worden und damit nicht durchdacht, bewertet werden. Denn dass Trunkenheit neben der als positiv bewertbaren Wirkung eines gemäßigt enthemmten, sorgenlosen Verhaltens auch ein besinnungsloses, undurchdachtes oder gar wahnsinniges Verhalten hervorrufen kann, ist in den Historien an mehreren Textstellen erkennbar, auf die ich später genauer eingehen werde. 675 3.2.2 Symposia in persischen Beratungsszenen? Darauf, dass in den Historien keine weitere Darstellung eines Symposions oder auch Gastmahls, das ausschließlich aus Gründen einer Beratung einberufen wird, zu finden ist, wurde bereits hingewiesen. 676 Doch durch die Erwähnung dieses persischen Brauchs im ersten Buch und damit zu Beginn der Historien könnten speziell bei manchen geschilderten persischen Beratungen in Anlehnung an diese Sittenbeschreibung Symposia als Szenerie in Betracht gezogen werden, auch wenn keine expliziten Hinweise auf Symposia im Text zu finden sind. Ob also Symposia in Herodots Historien vorstellbar sind, die als Kontext einer persischen Beschlussfindung impliziert werden, möchte ich nun untersuchen. Ich möchte daher nun exemplarisch bei einigen dieser geschilderten persischen Beratungsszenen herausarbeiten, inwiefern ein Symposion als Kontext vorstellbar ist und wann man eine solche Annahme definitiv ausschließen kann. Als Beratung unter Persern, für die die Rezipienten der Historien ein Symposion als Szenerie imaginieren können, wäre z. B. die Debatte denkbar, in der nach Beratungen auch Beschlüsse über die Neuorganisation des persischen Reichs nach dem Tod des Kambyses gefasst werden (III, 80 - 84). Wie in I, 133.3 - 4 ( βουλεύεσθαι - I, 133.3 / / βουλευομένοισι / βουλεύωνται / προβουλεύσωνται - I, 133.4) werden in III, 80 - 84 die gemeinsamen Beratungen und Beschlüsse mit dem Verb βουλεύεσθαι ausgedrückt: ἐβουλεύοντο - III, 80.1; ἐβουλεύοντο / ἐβούλευσάν / ἐβούλευσέ τε - III, 84.1; ἐβούλευσαν - III, 84.2; ἐβούλευσαν - III, 84.3), sodass die Vorgänge während der Debatte im 675 Zu den gefährlichen Auswirkungen von Trunkenheit als Folge von maßlosem Weinkonsum vgl. die Ausarbeitungen in Kap. 4.1.3.1 sowie Kap. 4.2.1. Zur Wirkung von Weinkonsum allgemein siehe Kap. 2.2.3.4. 676 Siehe dazu die einleitenden Ausführungen in Kap. 3.2. 190 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="191"?> Vokabular übereinstimmen. Wendet man die in I, 133.3 - 4 geschilderte Sitte auf diese Beratungsszene an, könnte hier eine Beratung im nüchternen Zustand erkannt werden, sodass impliziert würde, dass der Beschluss am nächsten Tag bei einem Trinkgelage überdacht wird. Doch der Text berichtet nicht, in welcher Situation diese Beratung stattfindet. Auch wenn ein Symposion als Kontext zwar nicht ausgeschlossen werden kann, ist es für die Darstellung dieser Beratung unerheblich, in welcher Situation sie stattfindet. Eine weitere Textstelle gibt einen anderen Hinweis dafür, dass ein Symposion als Szenerie einer Beratung unter Persern vorstellbar ist. Dort beschreibt der Text im dritten Buch, dass sich die beiden Mager gerade bei einer Beratung im Männersaal, im Andron, befinden, als sie von den sieben Persern überfallen werden ( αὐτοὶ [= die sieben Perser] δὲ ἤισαν δρόμῳ ἐς τὸν ἀνδρεῶνα . οἱ δὲ μάγοι ἔτυχον ἀμφότεροι τηνικαῦτα ἐόντες { τε } ἔσω καὶ τὰ ἀπὸ Πρηξάσπεος γενόμενα ἐν βουλῇ ἔχοντες - III, 77.3 - 78.1). Zu einem Beschluss oder einer Entscheidung kommen die beiden Mager nicht mehr, da sie beide kurz nach dieser Erwähnung getötet werden (III, 78). Doch der Hinweis, sie befänden sich gerade in einem Andron (III, 77.3 / III, 78.3), 677 ist ein mögliches Indiz dafür, dass sie dort während ihrer Beratung zusammen ein Symposion abhalten. 678 Da- 677 Zum Andron als Raum des Symposions siehe Kap. 2.2.3.5. 678 Ein Symposion wäre als Szenerie auch für die Beratung der Perser in IV, 131 - 132 denkbar, in der sie über die Bedeutung der eigenarigen Geschenke (= Vogel, Maus, Frosch und fünf Pfeile; IV, 131.1) rätseln, die die Könige der Skythen Dareios machen. Die Beratung, in der die Deutungsversuche von Dareios und die des Gobryas vorgebracht werden (IV, 132), wird durch ἐβουλεύοντο (IV, 131.2) umschrieben. Eine Beratung ist also erwähnt, aber bevor ein Beschluss bzw. eine eindeutige Tendenz der Beratenden für eine der beiden Versionen geäußert wird, bricht diese Szene ab. Der äußere Rahmen als Symposion, bei dem der letzte Entschluss über die Deutung der Geschenke im Rausch stattfindet oder zuminest im Rausch nochmals überdacht wird, ist damit möglich, im Text aber nicht erwähnt. Eine mögliche weitere Beratung, bei der zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese gemäß den Schilderungen in I, 133.3 - 4 geschieht, findet zwischen Mardonios, Artabazos und einigen weiteren Personen statt, als die Perser bereits längere Zeit bei Plataiai den Griechen gegenüber lagern, ohne dass einer der beiden Kriegsparteien den Kampf beginnt (IX, 41 - 42). Während Artabazos die Meinung vertritt, anstatt zu kämpfen sich lieber nach Theben zurückzuziehen und zu versuchen, die Griechen durch Geschenke auf ihre Seite zu bringen (IX, 41.2 - 3), ist Mardonios der Meinung, man müsse sofort losschlagen (IX, 41.4). Diese Beratung wird vom Text durch eine Form von βουλεύεσθαι umschrieben ( βουλευομένων δὲ αἵδε ἦσαν αἱ γνῶμαι - IX, 41.2). Letztlich widerspricht keiner der Anwesenden und auch niemand von denjenigen, die erst hinzugerufen werden, als die Entscheidung schon feststeht (IX, 42.1), Mardonios ’ Ansicht, sodass der Beschluss zu seinen Gunsten gefällt wird (IX, 42). Eine Gleichberechtigung der Beratenden ist allerdings nicht gegeben, da ja Mardonios und nicht Artabazos den Oberbefehl über das Heer bekommen hat, wie der Text betont ( τὸ γὰρ κράτος εἶχε τῆς στρατιῆς οὗτος ἐκ βασιλέος - IX, 42.1). In welcher Situation diese 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung 191 <?page no="192"?> gegen spricht, dass der Text nur erwähnt, dass sich die beiden Mager im Andron befinden ( οἱ δὲ μάγοι ἔτυχον ἀμφότεροι τηνικαῦτα ἐόντες { τε } ἔσω - III, 78.1), worin die Vorstellung eines möglichen Symposion als Kontext an dieser Stelle von den in I, 133.3 - 4 berichteten persischen Symposia, bei dem mehrere Personen beraten, abweichen würde. Während also bei manchen persischen Beratungen in den Historien ein Symposion als Kontext zumindest denkbar ist, kann bei anderen sicher ausgeschlossen werden, dass sich hinter ihnen eine Symposionsszenerie verbirgt. Dafür möchte ich als Beispiel die Versammlung der angesehensten Perser anführen, in der Xerxes, Mardonios und Artabanos ihre Meinungen bezüglich des Griechenlandfeldzugs kundtun (VII, 8 - 11). Gegenstand der Beratung ist hier Xerxes ’ Plan, gegen Griechenland in den Krieg zu ziehen. Dieses Vorhaben stellt Xerxes bewusst in der Versammlung vor, damit die Anwesenden ihre Meinungen dazu äußern können ( ἵνα δὲ μὴ ἰδιοβουλέειν ὑμῖν δοκέω , τίθημι τὸ πρῆγμα ἐς μέσον - VII, 8 δ .2). Nun werden unterschiedliche Meinungen vorgebracht. Während sich Mardonios für den Feldzug ausspricht (VII, 9), ist Artabanos zunächst dagegen (VII, 10). Er bittet Xerxes zudem, seine Absicht selbst nochmals genau zu überdenken (VII, 10 δ .1), denn sich gut zu beraten, sei der größte Gewinn ( τὸ γὰρ εὖ βουλεύεσθαι κέρδος μέγιστον εὑρίσκω ἐόν - VII, 10 δ .2). Dennoch entscheide letztlich das Schicksal, ob der gut Beratene nicht doch Misserfolg hat oder der schlecht Beratene Erfolg (VII, 10 δ .2). Im Text wird also ersichtlich, dass sich Xerxes in dieser Situation zwar unterschiedliche Meinungen anhört, sich also beraten lässt, 679 dass die Beschlussfindung allerdings nicht in der gemeinschaftlichen Versammlung stattfindet, sondern nur durch Xerxes allein (VII, 12 / VII, 13.2 - 3). Der letzte Beschluss für den Feldzug geht schließlich auf ein Traumbild zurück, das auch Artabanos überzeugt (VII, 14 - 18). Die Versammlung selbst wird hier nicht mit einer Form von βουλεύεσθαι umschrieben, anders als es bei den erwähnten Beratungen in I, 133.3 - 4, aber auch z. B. in III, 80 - 84 der Fall ist. Die in I, 133.3 - 4 beschriebene Sitte der Perser, sie würden im Rausch Beschlüsse fällen oder nüchtern getroffene im Rausch überdenken, kann bei Xerxes ’ Beratung bezüglich des Beratung stattfindet, ist nicht erwähnt. Dass dieser entscheidende Kriegsbeschluss allerdings nochmals am nächsten Tag überdacht wird - ob nüchtern oder im Rausch - ist unwahrscheinlich, da der Text davon nichts berichtet. Zudem ist ein Trinkgelage in dieser Situation, in der die Feinde gegenüber lagern und eine große Schlacht jeden Moment zu beginnen droht, schwer als Szenerie denkbar. So ist der Brauch der persischen Beschlussfindung beim Symposion, wie sie der Text in I, 133.3 - 4 schildert, für die Beratung in IX, 41 - 42 zwar nicht ausgeschlossen, aber unplausibel. 679 Vgl. dazu Artabanos ’ Aussage, dass er Xerxes dies rate: σοὶ μὲν δὴ ταῦτα , ὦ βασιλεῦ , συμβουλεύω (VII, 10 η .1). 192 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="193"?> Griechenlandfeldzugs nicht zutreffen, da es während dieses Treffens zu keinem Beschluss kommt. Somit ist hier kein Symposion in Anlehnung an I, 133.3 - 4 impliziert. Es handelt sich bei den persischen Beratungen, die in den Historien geschildert werden, oft um Beratungen zwischen dem Großkönig Xerxes und seinen Vertrauten. Die Beschlüsse werden dabei von Xerxes unabhängig von der Beratung, die zuvor stattfindet, getroffen. Das entscheidende Element der gemeinschaftlichen Beschlussfindung fehlt also an all diesen Textstellen, sodass dort auch kein gemeinschaftliches Symposion, wie es in I, 133.3 - 4 beschrieben wird, zu erwarten ist. 680 Denn die Beratung beim Symposion, wo gemeinsam Beschlüsse getroffen werden, setzt eine Gleichberechtigung aller Mitsym- 680 Z. B. findet ein solches Treffen kurz vor der Seeschlacht bei Salamis statt (VIII, 67.2 - 69), als sich Xerxes bei den anwesenden τύραννοι und Befehlshabern erkundigt, ob er die Seeschlacht unternehmen solle (VIII, 67.2). Fast alle Anwesenden stimmen für die Seeschlacht, nur Artemisia rät Xerxes davon ab (VIII, 68). Xerxes nun befiehlt, der Meinung der Mehrheit zu folgen, auch wenn er Artemisia sehr für ihre Ansicht lobt (VIII, 69.2). Eine Beratung, bei der alle Teilnehmenden gleichberechtigt sind, ist hier allerdings nicht gegeben, denn die Entscheidung fällt Xerxes aufgrund seiner eigenen Argumente - auch wenn er damit der Sichtweise der Mehrheit folgt (VIII, 69.2). Zudem umschreibt der Text diese Unterhaltung nicht durch βουλεύεσθαι . Ein Trinkgelage, bei dem ein Beschluss gemeinsam gefällt wird, wird hier also ebenso wenig impliziert wie ein mögliches noch folgendes Symposion, bei dem der Beschluss gemeinsam erneut geprüft wird. Dass Artemisia als Frau in dieser Runde anwesend ist, wäre für ein persisches Symposion - vertraut man auf die Richtigkeit der Aussage der Perser im Rahmen des Gastmahls bei Amyntas (V, 18.2), dass es bei ihnen Brauch sei, dass auch Frauen an einem Gastmahl teilnehmen - nicht ausgeschlossen (zur ausführlichen Analyse dieses Symposions siehe Kap. 4.2.3.4; aus griechischer Sichtweise allerdings dürfen Frauen mit Ausnahme von Hetären und Künstlerinnen nicht am Symposion teilnehmen; vgl. dazu Kap. 2.2.3.3.1). Auch bei einer weiteren Beratung von Xerxes und seinen persischen Vertrauten wird Artemisia einbezogen (VIII, 101 - 103). Dort fordert Xerxes gezielt Artemisias Rat ein, die ihm empfiehlt, dass Mardonios weiterhin in Griechenland bleiben und kämpfen, während Xerxes selbst nach Persien zurückkehren solle (VIII, 102). Die Beratung zwischen Xerxes und seinen persischen Vertrauten wird hier durch die Imperfektform ἐβουλεύετο (VIII, 101.1) sowie durch συμβουλίη (VIII, 101.1) umschrieben und seine Berater als σύμβουλοι (VIII, 101.2). Xerxes bittet also Artemisia gezielt um Rat, um, wie er sagt, gut beraten zu sein, was der Text ebenfalls durch Formen von συμβουλεύειν bzw. βουλεύεσθαι ausdrückt (VIII, 101.4). Auch Artemisias Ratschlag selbst wird nochmals durch συμβουλεύειν umschrieben (VIII, 102.1) und als συμβουλίη (VIII, 103.1) bezeichnet. Durch die häufige Verwendung von συμβουλεύειν bzw. συμβουλίη wird hier zwar deutlich, dass Xerxes nach Rat sucht, diesen auch anhört und sich darüber sogar freut, der Text erklärt aber auch, dass Xerxes diesem Rat nur deshalb nachkommt, da Artemisia ihm eben dies rät, was er selbst auch für richtig hält, und dass er wohl nie geblieben wäre, auch wenn ihm dies geraten worden wäre (VIII, 103). Der Beschluss wird letztlich also wieder nur nach Xerxes ’ eigenem Willen bemessen getroffen. Auch auf diese Situation passt also die persische Sitte, die in I, 133.3 - 4 beschrieben wird, nicht. Denn weder wurde der Beschluss gemeinsam 3.2 Raum für Beratung und Beschlussfindung 193 <?page no="194"?> posiasten voraus. Außerdem kann gerade bei Beratungen, deren Beschlüsse nicht überdacht werden können, da sie unverzüglich umgesetzt werden, diese Sitte ebensowenig wiederentdeckt werden. 681 Natürlich gilt es davon unabhängig auch Situationen, in denen die Vorstellung eines Symposions aufgrund des Kontexts ohnehin völlig abwegig ist. 682 3.2.3 Fazit: Raum für Beratung und Beschlussfindung Beratungssituationen werden in den Historien niemals explizit in den Kontext eines Symposions gestellt. Das gilt auch für persische Beratungen, 683 obwohl im ethnographischen Bericht über die Perser davon berichtet wird, dass sie im betrunkenen Zustand gemeinsam beraten und Beschlüsse, die sie dann im nüchternen Zustand nochmals überdenken (I, 133.3 - 4), sowie Entscheidungen, die im nüchternen Zustand getroffen werden, nochmals betrunken überdacht werden, woraus sich als Kontext ein Symposion ergäbe (I, 133.4). Man erfährt zudem, dass auch bei persischen Symposia gewöhnlich mehr Personen anwesend sind, die über ein Thema diskutieren und gemeinsam Beschlüsse fällen. Doch dadurch, dass der Text keine persische Beratung im Verlauf der Historien durch ein Symposion kontextualisiert, wird deutlich, dass für die Historien die getroffen noch am nächsten Tag - gar im Rausch - gemeinsam überdacht. Denn es ist schließlich der Entschluss des Großkönigs alleine. 681 Ein Beispiel dafür wäre die Beratung der sieben Perser, die noch vor der Verfassungsdebatte stattfindet und die Planung des tödlichen Überfalls auf den ‚ falschen ‘ Smerdis zum Beratungsgegenstand hat (III, 71 - 73). Der Text selbst stellt diese Beratung zwar durch eine Form von βουλεύεσθαι dar ( Ἐν ᾧ δὲ οὗτοι ταῦτα ἐβουλεύοντο - III, 74.1) und auch ein Beschluss wird dort gefällt ( ταῦτα εἶπε Γωβρύης , καὶ πάντες ταύτῃ αἴνεον - III, 73.3 / ἐβουλεύσαντο - III, 76.1), der Beschluss allerdings beinhaltet den unverzüglichen Angriff des Magers Smerdis direkt nach der Versammlung. Ein Überdenken des Entschlusses ist dementsprechend weder im nüchternen noch im berauschten Zustand angebracht. Auf diese Beratung kann also die Sitte von I, 133.3 - 4 auch nicht 1: 1 angewendet werden, sodass ein Symposion als Kontext der Beratung, wie es in I, 133.3 - 4 beschrieben wird, nicht angenommen werden kann. Das gilt auch für die nächste kurze Beratung der sieben Verschwörer auf ihrem Weg zu Smerdis, für die sie nur eine kurze Zeit den Weg verlassen und dann nach erneutem einstimmigen Beschluss, sofort anzugreifen, sogleich weiterreisen (III, 76.2 - 3). 682 Dies ist z. B. der Fall, als sich die persische Reiterei, kurz nachdem Masistios gefallen war (IX, 22.2), beim Aufmarsch des griechischen Heeres zurückziehen muss, ohne den Leichnam des Masistios bergen zu können (IX, 23). Vor diesem Kontext wird nun beschrieben, wie sich die Reiter darüber beraten ( ἐβουλεύοντο - IX, 23.2), was zu tun sei, und sich schließlich gemeinsam für den Rückzug zu Mardonios entscheiden (IX, 23). Obwohl hier nach einer Beratung ein gemeinschaftlicher Entschluss getroffen wird, ist ein Symposion in dieser gefährlichen Situation undenkbar. 683 Vgl. Hobden (2013), S. 94. 194 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="195"?> Information über diesen persischen Brauch keinen Einfluss auf die historische Erzählung hat. 684 Die weiteren persischen Beratungen sind zwar zum Teil vor dem Hintergrund eines Symposions vorstellbar, doch für den Verlauf der Historien bleibt dies unerheblich, sodass eine Erwähnung im Text nicht vonnöten ist. Die Darstellung in I, 133.3 - 4 ist mit Blick auf die Untersuchung der Symposia bei Herodot ein wichtiges Beispiel dafür, dass Wein im gemäßigten und richtigen Gebrauch in Gemeinschaft und auch kontrollierte Trunkenheit in den Historien positiv konnotiert wird, wohingegen der Missbrauch davon negative Folgen nach sich zieht. 685 Außerdem wird an der Schilderung dieser allgemeinen persischen Sitte deutlich, dass sich die persischen Symposia zumindest in der Darstellung der Historien nicht durch dort erlebtes Vergnügen, sondern vielmehr durch dortiges Pflichterfüllen auszeichnen, das sich in der Beratung über ernsthafte Themen ausdrückt. Anhand dieser persischen Sitte zeigt der herodoteische Erzähler, dass die Atmosphäre der sympotischen Gemeinschaft, die zu einem erhöhten Bewusstseinszustand führt, 686 auch hilfreich dafür ist, um in der Gruppe konzentrierter und intensiviert über wichtige Angelegenheiten debattieren zu können. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit Da jeder Teilnehmer im Symposion die Möglichkeit hat, seine Ansichten und Werte vorzubringen, 687 verwundert es nicht, dass dort über das reine politische Beraten hinaus auch gemeinsam über die Lebensführung debattiert und 684 Vgl. Hobden (2013), S. 93 f. bzw. Anm. 667 in der vorliegenden Arbeit. 685 Beim Symposion zwischen Makedonen und Persern (V, 18 - 20) hat der Wein eine negative Wirkung auf die Perser (siehe zu diesem Symposion Kap. 4.2.3.4). Denn da sie betrunken sind, versuchen sie sich an den makedonischen Frauen zu vergehen (V, 18.5); Fearn (2007b, S. 113) sieht in diesem Vorfall die in I, 133.3 - 4 beschriebene Vorstellung persischer Entscheidungsfindung demontiert: Denn der übermäßige Weinkonsum bringt die Perser dazu, sich sexuell an den Makedoninnen zu vergreifen, und der Hausherr, hier Alexander, sorgt dafür, dass sie den nächsten Tag, an dem sie wieder nüchtern wären, nicht mehr erleben (ebd.). Allerdings wird in I, 133.4 betont, dass die im betrunkenen Zustand getroffenen Entscheidungen vor der Umsetzung nüchtern überdacht werden. Dies ist in V, 18 nicht der Fall. Somit ist eine Übetragung des in I, 133.3 - 4 geschilderten persischen Brauchs auf den Vorfall in V, 18.5 problematisch. 686 Vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. 687 Darauf, dass das Ideal der Parrhesia in Griechenland auch für das Symposion gilt, verweisen z. B. Rösler (1995), S. 108 f. und Bowie (2003), S. 107; vgl. auch Anm. 647. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 195 <?page no="196"?> reflektiert wird. 688 Es ist hier wieder das Erlebnis des verdichteten Daseins der Symposiasten, 689 welches das Nachdenken über das eigene Leben und auch über die eigene Endlichkeit fördert. Daniel Levine hebt im Zuge seiner Analyse, inwiefern das Symposion in der poetischen Tradition mit der Polis verbunden wird, hervor, dieses sei „ an ideal setting for warnings about the dangers of disorder and excess, the lessons from which can be applied to daily life “ , 690 wobei Levine unter anderem die praktische Fähigkeit des Maßhaltens betont, die man im Symposion erlernen kann. 691 Es zeigt sich also, dass das Symposion ein Ort ist, an dem auf unterschiedlichen Ebenen Lebenskunst gelernt und gelehrt werden kann. 692 Die bereits analysierte Unterhaltung zwischen dem namenlosen Perser und dem Griechen Thersandros bei Attaginos ’ Gastmahl (IX, 15.4 - 16.5), 693 bei dem für die Historien zentrale Inhalte an die Leser weitergegen werden, die sich mit der Frage nach Vergänglichkeit befassen, macht das Symposion eher implizt zu einem Ort der Belehrung . 694 Insgesamt wird in Herodots Historien das Symposion nur einmal als Raum dargestellt, an dem ausdrücklich gelehrt wird. So lehrt der in griechischer Lebensweise erfahrene Thraker Salmoxis seine Mitbürger den Glauben an die Unsterblichkeit im Rahmen eines Symposions (IV, 95.2 - 3). Die Einstellung mancher Menschen zu Leben und Tod jedoch wird darüber hinaus mehrmals in den Historien unter Bezugnahme eines Symposions oder eines besonderen Trinkverhaltens veranschaulicht, sodass ich solche Darstellungen in diesem Kapitel ebenso untersuchen möchte. Denn auch wenn dabei nicht explizit erwähnt wird, dass das Symposion eine didaktische 688 Das Symposion idealisierte sich selbst zum Ort für ethische und philosophische Debatten (vgl. Ford [2002], S. 41 f.; Murray [2009], S. 517). Das wird später auch an der Symposion- Literatur wie z. B. an den philosophischen Dialogen Platons und Xenophons - mit dem Titel Symposion - ersichtlich, für deren äußerer Rahmen jeweils ein Symposion gewählt wurde. Zur Rolle des Symposions in der langen Tradition des „ Greek table talk “ (Ford [2002], S. 44) siehe Ford (2002), S. 25 - 45. 689 Zu dieser Atmosphäre des Symposions als Sonderraum vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. 690 Levine (1985), S. 178. 691 Vgl. dazu Levines Ausführungen mit Verweisen auf Theognis und Solon (Levine [1985], S. 180 - 186). 692 Darauf, dass das Symposion ein Ort der Lehre für das öffentliche Leben ist, hat ebenfalls bereits Levine (1985, S. 177 f.) hingewiesen: „ Inside and outside the drinking party, one must learn from the good and avoid the bad. “ ; vgl. dazu Levines Ausführungen mit Verweisen auf Theognis ebd., S. 178 - 180. 693 Zur Analyse des Gastmahls bei Attaginos siehe Kap. 3.1.2. 694 Dennoch ist die Unterhaltung bei Attaginos ’ Gastmahl natürlich ein Zeichen dafür, dass das Symposion in Herodots Historien als Ort der Belehrung fungieren kann; siehe dazu Anm. 644. 196 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="197"?> Funktion erfüllt, so wird es doch für die Veranschaulichung einer bestimmten Einstellung zum Leben oder zum Tod funktionalisiert. Zunächst soll das Symposion des Salmoxis bei den Geten analysiert werden, wobei der Schwerpunkt einerseits auf der dortigen Lehre, andererseits auf dem äußeren Rahmen dieser Veranstaltung liegt. Anschließend werden die Symposionsszenen, die sich vor allem vor dem Hintergrund der Einsicht des kurzen Lebens als Ort der intensivierten Wahrnehmung des momentanen Daseins bewähren, herausgearbeitet und ebenfalls mit Blick auf die inhaltliche Thematik, aber auch im Bezug auf die Darstellung der Symposia bzw. des besonderen Trinkverhaltens analysiert. 3.3.1 Die Symposia des Salmoxis und die Unsterblichkeit der Menschen Die besonders ausgelassene und inspirierende Atmosphäre des Symposions, die sich vor allem auch durch den dortigen Weingenuss ergibt, evoziert eine geeignete Situation, in der auch Themen besprochen werden können, die man, wie Oswyn Murray schreibt, „ in ordinary contexts “ nicht ansprechen würde. 695 Somit gewährt das Symposion auch nicht-öffentlichen Kulten den benötigten exklusiven Raum. Diese Funktion des Symposions wird in Herodots Historien an einer Anekdote, die über den Geten Salmoxis erzählt wird, sichtbar. Als Dareios auf seinem Feldzug gegen die Skythen durch Thrakien zieht, unterwirft er unter anderem die Geten, die sogleich bei der ersten Erwähnung durch das attributiv gebrauchte Partizip οἱ ἀθανατίζοντες ( πρώτους αἱρέει Γέτας τοὺς ἀθανατίζοντας - IV, 93) näher beschrieben werden. Die Bedeutung von ἀθανατίζειν ist hier umstritten und wird auf unterschiedliche Weise gedeutet. 696 Sicher ist, dass die Geten mit dem Glauben an die Unsterblichkeit 695 Murray (1983a), S. 270. 696 Für das recht weitgefasste Bedeutungsfeld vgl. ἀθανατίζω in LSJ, S. 30: „ make immortal [ … ] 2. regard as immortal [ … ] II. abs., hold oneself immortal, [ … ] put off the mortal “ . Auch wenn die Übersetzung von ἀθανατίζειν mit ‚ sich für unsterblich halten ‘ inhaltlich am unproblematischten zu sein scheint, ist die Grundbedeutung doch ‚ unsterblich machen ‘ ; Asheri (1990, S. 147) übersetzt dieses Verb daher durch „‘ making immortal ’ somebody “ . Rawlinsons (1859) Übersetzung „ the Getae, who believe in their immortality “ , fasst die Bedeutung von ἀθανατίζειν nicht (vgl. Linforth [1918], S. 23), obwohl sie verlockend ist, da sie eine vorausgenommene tiefere Interpretation des folgenden Erzählverlaufs vermeidet, die durch eine Übersetzung wie ‚ unsterblich machen ‘ bei der Formulierung ἀθανατίζουσι δὲ τόνδε τὸν τρόπον (IV, 94.1) gegeben ist ( - hier übersetzt Rawlinson [1859] konsequenterweise: „ The belief of the Getae in respect of immortality is the following “ ). Linforth fasst anhand der Interpretation mehrerer griechischer Textstellen, an denen ἀθανατίζειν bzw. ἀπαθανατίζειν zu finden sind (1918, S. 25 - 27), für ἀθανατίζειν folgende Bedeutungen zusammen: „ (1), as a transitive verb, ‘ make immortal and divine, ’ ‘ deify ’ ; (2), as an intransitive verb, ‘ act the part of a being immortal and 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 197 <?page no="198"?> zu tun haben. Damit nun erläutert werden kann, was es mit ihrem Glauben an die Unsterblichkeit auf sich hat und was sich dahinter verbirgt ( ἀθανατίζουσι δὲ τόνδε τὸν τρόπον - IV, 94.1) 697 , wird an dieser Stelle der Erzählverlauf der Historien unterbrochen. Sogleich erwähnt der Text, dass man nach der Meinung der dortigen Menschen nach dem Tod zu der Gottheit Salmoxis gelangt ( οὔτε ἀποθνῄσκειν ἑωυτοὺς νομίζουσι ἰέναι τε τὸν ἀπολλύμενον παρὰ Σάλμοξιν δαίμονα - divine. ‘“ (Linforth [1918], S. 27). Für die Bedeutung von ἀθανατίζειν in allen Passagen mit Bezug auf die Geten schlägt Linforth schließlich die Übersetzung „‘ to practice deification ’“ vor (ebd.). Pfister (1953, S. 1113 f.) betont ebenso, dass ἀθανατίζειν hier nicht mit „‚ sich für unsterblich halten ‘“ , sondern mit „‚ unsterblich machen ‘“ (ebd., S. 1113) zu übersetzen sei. Diese Übersetzung (= „‚ die Geten machen auf folgende Weise unsterblich ‘“ ) erwecke dann aber eben die Erwartung, dass ein Ritual geschildert werde, „ das die Unsterblichkeit verleiht “ (ebd., S. 1114). So bringt Pfister (1953, S. 1114) das im Folgenden (IV, 94.2 - 3) geschilderte Ritual der „ Botensendung “ mit dem „ Unsterblichkeitsritus “ in Verbindung und somit auch die alle vier Jahre stattfindende „ Botensendung “ mit der folgenden „ Bewirtungsgeschichte “ , in der geschildert wird, dass Salmoxis ebenfalls im vierten Jahr wieder bei den Geten erscheint (IV, 95.5). Er kommt zu dem Schluss, dass „ die Geten dem Boten u. a. wohl auf[tragen], der Gott solle zu ihnen kommen, zum Mahl, dessen Prototyp Herodot uns schildert “ (Pfister [1953], S. 1114). Pfister ist also der Meinung, dass die „ Bewirtungsgeschichte [ … ] eine aitiologische Erzählung [sei], aus der der Ritus zu erschliessen ist “ , und nach seiner nicht weiter belegten Erläuterung und Interpretation des Herodot-Textes, dass das „ gemeinsame Mahl mit dem Gott [ … ] der Unsterblichkeitsritus [sei], durch den die Geten ‚ unsterblich machen ‘“ (vgl. dazu Pfisters Ausführungen [1953], S. 1114; zu seinen Ansichten über den Sinn des Boten und dem alle vier Jahre wiederkehrenden Mahl mit Salmoxis siehe auch ebd., S. 1116, S. 1120 - 1123). Unabhängig von dieser Interpretation, gibt es auch andere Lösungsvorschläge für die Deutung von ἀθανατίζειν . Denn Eliade (1982, S. 40 f.) deutet ἀθανατίζειν zwar mit „‚ sich unsterblich machen ‘“ (ebd., S. 40), den „ Sinn dieses ‚ Unsterblichwerdens ‘“ sieht er dann aber in IV, 95.3 beschrieben (ebd., S. 40 f.), als die Lehre des Salmoxis angesprochen wird, die denjenigen, die sie hören, sowie deren Nachkommen ( - siehe dazu allerdings die Ausführungen in Anm. 706 - ) das Fortleben nach dem Tod an einem glücklichen Ort verspricht. Hartog (1988, S. 89) bewertet οἱ ἀθανατίζοντες als naheliegende Beschreibung für die Geten und plädiert für die Übersetzung „‘ the Getae who practice immortality ’“ , wobei diesbezüglich die genaueren Modalitäten recht offenblieben (vgl. ebd., S. 89 f.). Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 647) sieht hinter ἀθανατίζοντες die Bedeutung: „ The Getae practised rites to become immortal “ . Bereits Linforth stellt die Hypothese auf, dass die Attribution οἱ ἀθανατίζοντες der Geten als eine Übertragung der „ sectarian appellation “ für die Pythagoreer zu interpretieren sei (Linforth [1918], S. 31); dazu auch Hartog (1988), S. 90 f. Hartog (1988, S. 91) macht später darauf aufmerksam, dass in diesem Fall durch die Beschreibung der Geten als οἱ ἀθανατίζοντες gleich von Anfang „ the shadow of Pythagoras “ über dem Text liegt. Siehe dazu aber auch Petre (2004), S. 59 f. 697 Vgl. auch dazu die Ausführungen in Anm. 696. 198 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="199"?> IV, 94.1). 698 Bevor nun aber Genaueres über Salmoxis berichtet wird, beschreibt der Text zunächst, auf welche Weise die Geten alle vier Jahre einen durch das Los ausgewählten Menschen als Übermittler ihrer Anliegen töten, um ihn zu ihrer Gottheit zu schicken, wobei sie ihm kurz zuvor - offensichtlich im festen Glauben, der Auserwählte komme zu Salmoxis - ihre Anliegen mitteilen (IV, 94.2 - 3). 699 Zudem wird noch hervorgehoben, dass die Geten nur an ihren eigenen Gott glauben ( οὐδένα ἄλλον θεὸν νομίζοντες εἶναι εἰ μὴ τὸν σφέτερον - IV, 94.4) und bei einem Gewitter Gott drohend mit Pfeilen in den Himmel schießen ( καὶ πρὸς βροντήν τε καὶ ἀστραπὴν τοξεύοντες ἄνω πρὸς τὸν οὐρανὸν ἀπειλέουσι τῷ θεῷ - IV, 94.4). 700 Weitere Informationen über den Inhalt des getischen Glaubens und die zugehörigen rituellen Praktiken liefert der Text nicht. Im Folgenden wird stattdessen eine griechische Erzählversion über den Ursprung des getischen Unsterblichkeitsglaubens wiedergegeben. Es handelt sich um den Bericht von Griechen, die am Hellespont und am Pontos leben (IV, 95.1). Dabei nun steht Salmoxis im Mittelpunkt, von dem der Text berichtet, er habe als Sklave bei Pythagoras auf Samos gelebt ( δουλεῦσαι ἐν Σάμῳ , δουλεῦσαι δὲ Πυθαγόρῃ τῷ Μνησάρχου - IV, 95.1). Der Text betont durch die Wiederholung von δουλεῦσαι , dass Salmoxis eben nicht irgendeinem Samier als Sklave diente, sondern dem berühmten Pythagoras. Durch die Angabe von Mnesarchos als Vater des Pythagoras ist auch sichergestellt, dass es sich nicht um einen beliebigen Pythagoras handelt, sondern um den berühmten griechischen Philosophen und Begründer der pythagoreischen Lehre. Nach seiner Freilassung und dem Erwerb eines großen Vermögens sei sich Salmoxis des ärmlichen ( κακόβιος ) und einfältigen ( ὑπάφρων ) Lebens in seiner Heimat bewusstgeworden (IV, 95.2). Dieser thrakischen Lebensweise setzt der Text die 698 Salmoxis wird sowohl als δαίμων (IV, 94.1 / IV, 96.2) als auch als θεός (IV, 94.3+4) bezeichnet. In IV, 95.1 wird er zudem als ἄνθρωπος dargestellt, sodass sein genaues Wesen also insgesamt unbestimmt bleibt (vgl. Hartog [1988], S. 86 f.). Hartog (1988, S. 86 f.) verweist hier u. a. als Parallele auf das ebenfalls oft als unbestimmt bewertete Wesen des Pythagoras - ein Wesen zwischen Mensch und Gott. So sei es schließlich eine Unbestimmtheit „ which the term daimon makes it possible both to express and to contain “ (ebd., S. 87). Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen des Salmoxis ( δαίμων , θεός , ἄνθρωπος ) und besonders zur Erläuterung von dessen Bezeichnung als δαίμων siehe auch Alexandrescu (1980). 699 Zu diesem Ritual siehe z. B. Eliade (1982), S. 57 - 60; Hartog (1988), S. 103 - 105; Petre (2004), bes. S. 104 - 108; Carbó García (2005); Taufer (2008), S. 149 - 151. 700 Bereits Linforth (1918, S. 28) verweist darauf, dass der Himmel, gegen den die Geten drohen, als der griechische Gott Zeus interpretiert wurde „ and therefore in their eyes not a god at all. “ Siehe dazu auch Petre (2004), S. 109 f. sowie für weitere möglichen Deutungen dieser Sitte z. B. Eliade (1982), S. 61 f.; Hartog (1988), S. 106 f.; Harrison (2000), S. 218 f.; Taufer (2008), S. 159. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 199 <?page no="200"?> ionische Lebensweise gegenüber und der thrakischen Einfalt die tiefsinnigere Denkweise der Griechen, mit denen Salmoxis bei Pythagoras Kontakt hatte ( ἅτε δὲ κακοβίων τε ἐόντων τῶν Θρηίκων καὶ ὑπαφρονεστέρων , τὸν Σάλμοξιν τοῦτον ἐπιστάμενον δίαιτάν τε Ἰάδα καὶ ἤθεα βαθύτερα ἢ κατὰ Θρήικας , οἷα Ἕλλησί τε ὁμιλήσαντα καὶ Ἑλλήνων οὐ τῷ ἀσθενεστάτῳ σοφιστῇ Πυθαγόρῃ - IV, 95.2). Der Text begründet Salmoxis ’ Kenntnis der griechischen bzw. ionischen Kultur damit, dass er als Pythagoras ’ Sklave (IV, 95.1) Kontakt zu diesem sowie Umgang mit noch weiteren Griechen hatte. Als Sklave eines gelehrten Mannes, der, wie der Text hervorhebt, nicht der ‚ schwächste ‘ Weise war ( οὐ τῷ ἀσθενεστάτῳ σοφιστῇ 701 Πυθαγόρῃ - IV, 95.2), konnte sich Salmoxis offensichtlich auch dessen Lehre aneignen. Salmoxis hatte also während seines Aufenthalts in Griechenland die griechische Lebensweise kennengelernt, sie für besser erachtet und sie dann für sich übernommen, 702 701 Die Bezeichnung σοφιστής wurde zu Herodots Zeit gewöhnlich noch nicht abwertend verwendet: Hartog (1988, S. 88) betont, dass σοφιστής hier „ something like sage, poet, seer: sage, as in the expression the Seven Sages “ bedeute und nicht wie häufig bei Platon abwertend gemeint sei. In den Historien finden sich zwei weitere Textstellen, an denen σοφιστής (bzw. σοφισταί ) verwendet wird. Auch dort ist keine Abwertung impliziert, sodass sich die Bedeutung ‚ der Weise ‘ für σοφιστής in Herodots Historien als geeignet erweist (I, 29.1 / II, 49.1). Zur Analyse des Begriffs σοφιστής in Herodots Historien vgl. Schelskes Ausführungen (2021), bes. S. 382 - 385 und zur Bedeutungsanalyse von σοφιστής in IV, 95.2 vgl. auch Burkert (1962, S. 143 f.), der betont, dass diesem Wort hier kein „ Hinweis auf rationale Wissenschaft “ zu entnehmen sei, da nicht sicher sei, dass Pythagoras Wissenschaft betrieben habe (ebd., S. 144). Dagegen handele es sich um die Weisheit eines Schamanen, deren Charakteristikum der „ Anspruch ‚ mehr ‘ zu wissen, über die dem normalen Menschen gesetzten Grenzen hinaus “ , sei (ebd., S. 144). Zum Schamanismus bezüglich Pythagoras und Salmoxis siehe S. 211 f. 702 Es ist nicht das erste Mal in den Historien, dass ein Angehöriger einer anderen Kultur, nachdem er Kontakt zur griechischen Lebensweise hatte, diese seiner eigenen Art zu leben vorzieht. In IV, 78 wird berichtet, wie der Skythenherrscher Skyles aufgrund seiner Erziehung - seine Mutter hatte ihn die griechische Sprache und Schrift gelehrt (IV, 78.1) - sich lieber der griechischen als der skythischen Lebensweise zugewendet hat ( βασιλεύων δὲ Σκυθέων ὁ Σκύλης διαίτῃ μὲν οὐδαμῶς ἠρέσκετο Σκυθικῇ , ἀλλὰ πολλὸν πρὸς τὰ Ἑλληνικὰ μᾶλλον τετραμμένος ἦν ἀπ ὸ παιδεύσιος τ ῆς ἐπεπαίδευτο - IV, 78.3). Er führt vor den Skythen verborgen ein Leben auf griechische Art und Weise. So beschreibt der Text, dass er häufig griechische Kleidung trägt und den Göttern nach griechischen Bräuchen Opfer darbringt (IV, 78.4). Schließlich lässt er sich auch noch in die dionysischen Mysterien einweihen und wird dann als Bakchant rasend von den Skythen entdeckt (IV, 79). Da die Skythen es bei sich nicht dulden, dass fremde Sitten angenommen werden, ist sein Tod damit besiegelt (IV, 80). Auch Anacharsis wird vorgeworfen, griechische Gebräuche bei seiner Reise nach Griechenland angenommen zu haben ( διὰ τοῦτο ὅτι ἐξεδήμησέ τε ἐς τὴν Ἑλλάδα καὶ ξεινικοῖσι ἔθεσι διεχρήσατο - IV, 76.5) und wird aufgrund dessen getötet (IV, 76.5). Anacharsis wird dabei beobachtet, wie er im Land der Skythen einen griechischen Mysterienkult für Kybele (vgl. Asheri et al. [2007], S. 636 f.) feiert (IV, 76.4 - 5), den er auf Reisen in Kyzikos kennengelernt hatte 200 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="201"?> wohingegen die Thraker nach wie vor in ihrer ärmlichen Lebenssituation stagnieren. Dies wird an ihrer Beschreibung als κακόβιοι deutlich. Zudem impliziert der Text durch diese Wortwahl, dass ihnen die geistige Fähigkeit dazu fehlt, ihre Art zu leben in ihrer Situation zu verbessern, was durch die Beschreibung als ὑπαφρονέστεροι zusätzlich hervorgehoben wird. 703 Diese Beobachtung bringt Salmoxis dazu, einen Andron zu errichten (IV, 95.2), in den er die Vornehmsten der Bürger einlädt und reichlich bewirtet ( καὶ εὐωχέοντα ἀναδιδάσκειν - IV, 95.3) 704 . Dass er das nötige Geld dafür auch aufgrund seines Aufenthalts in Griechenland hat, ist an der vorher vom Text erwähnten Aussage zu erkennen, er habe sich dort viele Reichtümer erworben, bevor er nach Thrakien zurückkehrte ( ἐνθεῦτεν δὲ αὐτὸν γενόμενον ἐλεύθερον χρήματα κτήσασθαι συχνά , κτησάμενον δὲ ἀπελθεῖν ἐς τὴν ἑωυτοῦ - IV, 95.2). Während der reichlichen Bewirtung in diesem Andron habe Salmoxis seine Gäste einen für diese neue Gedanken gelehrt ( καὶ εὐωχέοντα ἀναδιδάσκειν - IV, 95.3) 705 , nämlich dass sie nach dem Tod nicht sterben würden, sondern ihnen (IV, 76.2 - 3). Allerdings macht er dies in der Darstellung der Historien nicht aus eigenem Antrieb, sondern da er der Göttin in Kyzikos versprochen hat, auch in seiner Heimat ein solches Fest mit Opfer für sie zu veranstalten, sollte er wohlbehalten dorthin zurückkehren (IV, 76.3). Doch unabhängig von seinem Beweggrund hat er fremde Bräuche praktiziert und mit den Griechen Umgang gehabt, worin der Text den Grund für sein Schicksal sieht (IV, 77.2), auch wenn er von einer weiteren Version über Anacharsis berichtet, die von den Peloponnesiern erzählt werde (IV, 77.1). Zu den Geschehnissen um Skyles und Anacharsis (IV, 76 - 80) siehe z. B. Hartog (1988), S. 109 - 111; Bichler (2001), S. 91 - 93; Männlein-Robert (2012) und speziell zu Anacharsis Schubert (2010); Hobden (2013), S. 107 - 116; Cunliffe (2019), S. 54 f. 703 Vgl. Hartog (1988), S. 87 f. Hartog (1988, S. 88) schließt aus den Adjektiven κακόβιος und ὑπάφρων - für κακόβιος mit Verweis auf Aristot. hist. an. IX, 17, 616b - , dass die Thraker „ are devoid of the practical intelligence which would enable them to make the most of their admittedly difficult situation “ und dass sie „ semi-cretinous “ seien. 704 Mit εὐωχέειν wird eine reichliche Bewirtung umschrieben (vgl. dazu die Ausführungen zur Bedeutung sowie Verwendung von εὐωχέειν in Herodots Historien in Kap. 2.2.5.10). 705 Durch ἀναδιδάσκειν wird nicht nur ausgedrückt, dass Salmoxis lehrt, sondern dass er den Geten sein in Griechenland erworbenes Wissen auf seine eigene Art und Weise weitergibt und sie mit diesem neuen Wissen sozusagen ‚ eines Besseren belehrt ‘ (vgl. dazu ἀναδιδάσκω in LSJ, S. 103: „ teach otherwise or better “ ). Zur Bedeutungsanalyse von ἀναδιδάσκειν siehe auch Hartog (1988, S. 96), der letztlich zusammenfasst, dass ἀναδιδάσκειν hier bedeuten kann, „ that he was teaching all over again, that is to say, passing on the teachings of Pythagoras and giving a thorough exposition of them, and also that he was teaching them in his own fashion “ . Eine treffende eindeutige Übersetzung von ἀναδιδάσκειν erweist sich also als schwierig. Entscheidend ist hier in erster Linie, dass Salmoxis als Lehrer auftritt und den als einfältig beschriebenen Geten durch seinen Aufenthalt in Griechenland ein Wissen beibringen kann, das aus einer in den Historien als kultivierter bewerteten Lebensweise stammt und damit für die Geten völlig neu ist. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 201 <?page no="202"?> ein ewiges Leben an einem anderen Ort zuteil werde, wo ihnen alle Güter zur Verfügung stehen würden ( ἀναδιδάσκειν ὡς οὔτε αὐτὸς οὔτε οἱ συμπόται αὐτοῦ οἱ ἐκ τούτων αἰεὶ γινόμενοι ἀποθανέονται , ἀλλ᾽ ἥξουσι ἐς χῶρον τοιοῦτον ἵνα αἰεὶ περιεόντες ἕξουσι τὰ πάντα ἀγαθά - IV, 95.3) 706 . Kunstvoll verbindet der Text hier durch die Homophonie der beiden im Futur stehenden Verben ἥξουσι und ἕξουσι den Zusammenhang zwischen dem ‚ Ankommen an einem anderen Ort ’ (= ἥξουσι ) im Jenseits und das dortige ‚ Erhalten ’ (= ἕξουσι ) der vielen Güter auch phonetisch und hebt zugleich durch die Wiederholung von αἰεί die Endlosigkeit dieses erfüllten Zustandes hervor. Dieser kunstvolle durch ὡς eingeleitete Nebensatz ist Bestandteil eines sehr umfangreichen Satzes, der das gesamte Geschehen bei dieser Bewirtung inklusive der Lehre umfasst (IV, 95.2 - 3). In diesem liefert der Text alle nötigen Informationen dafür, sich als Leser den sympotischen Kontext klar vor Augen führen zu können. Denn entsprechend seiner erlernten griechischen Lebens- und Denkweise veranstaltet Salmoxis diese Treffen im Rahmen von Symposia, die wie zu Beginn dieses Kapitels beschrieben durch ihre exklusive und inspirierende Atmosphäre einen geeigneten Ort für die Entstehung eines Kultes, der nicht allen offen zugänglich ist, bieten. Der Text verrät durch seine inhaltliche Beschreibung nicht explizit, dass es sich tatsächlich um ein reines Symposion handelt, das gemäß griechischer Sitte gewöhnlich nach einem Deipnon stattfindet. 707 Dass dort aber nicht nur ein einfaches Mahl veranstaltet wird, sondern auch in Gemeinschaft getrunken wird und es sich daher auch um ein Symposion handelt, impliziert der Text dadurch, dass die Gäste des Salmoxis als 706 Wilsons Text vermeidet hier anders als z. B. Hude ein drittes οὔτε nach οἱ συμπόται αὐτοῦ (= ἀναδιδάσκειν ὡς οὔτε αὐτὸς οὔτε οἱ συμπόται αὐτοῦ οὔτε οἱ ἐκ τούτων αἰεὶ γινόμενοι ἀποθανέονται - IV, 95.3). Dadurch ändert sich die Übersetzung erheblich. Denn es werden dann nicht die Nachkommen (= οἱ ἐκ τούτων ) der Symposiasten extra erwähnt, die ebenfalls von Salmoxis ’ Lehre profitieren und ein glückliches Leben nach dem Tod führen können, sondern das substantivierte Partizip οἱ ἐκ τούτων αἰεὶ γινόμενοι bezieht sich dann direkt auf οἱ συμπόται . Nach Wilsons Text lehrt Salmoxis also, dass weder er selbst sterben werde noch seine Trinkgefährten, die infolge dieser Vorgänge für immer leben. Auf diese Weise wird ein inhaltliches Problem vermieden, nämlich die Einbeziehung der Nachkommen in diesen Kult (siehe zu diesem Problem Hartog [1988], S. 98). Aber auch nach Wilsons Text wird an dieser Stelle ersichtlich, dass dieses glückliche Leben nach dem Tod nicht für alle gilt, sondern dass eine Initiation benötigt wird (vgl. dazu Pfister [1953], S. 1116, S. 1123; Eliade [1982], S. 40 f.; Taufer [2008], S. 160). Dies wird bei Wilson sogar noch unterstrichen, da durch die Formulierung οἱ ἐκ τούτων αἰεὶ γινόμενοι angenommen werden kann, dass mit ἐκ τούτων , also ‚ infolgedessen ‘ oder ‚ infolge dieser Geschehnisse/ Vorgänge ‘ , eine Einweihung gemeint ist, von der diese ewige Existenz abhängig ist. Worin diese Initiation nun besteht, ob bereits im Antizipieren der Lehre oder, wie Pfister darlegt, in der Teilnahme am Mahl (vgl. Pfister [1953], S. 1116, S. 1123), wird im Text nicht erwähnt und bleibt daher Mutmaßung. 707 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.1. 202 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="203"?> Sympotai bezeichnet werden ( οἱ συμπόται αὐτοῦ - IV, 95.3) 708 . Außerdem ist als Ort dieser Treffen ein Andron angegeben, wo gewöhnlich Symposia abgehalten wurden. 709 Diese Symposia des Salmoxis stimmen in ihrer Darstellung in den Historien zudem in entscheidenden Punkten mit einem idealtypischen griechischen Symposion überein. So lädt Salmoxis ausschließlich die Ersten der Bürger, also diejenigen, die in der sozialen Ordnung an erster Stelle stehen, in den neu errichteten Andron ein ( κατασκευάσασθαι ἀνδρεῶνα , ἐς τὸν πανδοκεύοντα τῶν ἀστῶν τοὺς πρώτους - IV, 95.2 - 3). 710 Dabei wird nicht erwähnt, dass an diesem Symposion auch Frauen teilnehmen, was daher aus griechischer Sichtweise auch nicht anzunehmen ist. 711 Die Aussage, Salmoxis habe ein Andron erbauen lassen, befindet sich innerhalb desselben langen Satzes, in der auch die Lehre so kunstvoll dargestellt wird. Direkt voraus steht ein mit ἅτε eingeleiteter Kausalsatz, der das ärmliche und einfältige Leben der Thraker beschreibt ( ἅτε δὲ κακοβίων τε ἐόντων τῶν Θρηίκων καὶ ὑπαφρονεστέρων , τὸν Σάλμοξιν [ … ] κατασκευάσασθαι ἀνδρεῶνα - IV, 95.2). Der Kausalsatz gibt den Beweggrund für die im Hauptsatz beschriebene Tätigkeit, nämlich das Erbauen des Androns, an. Dies weist darauf hin, dass die Thraker aufgrund ihrer ärmeren, aber auch einfach anderen Lebensweise im Vergleich zu den Griechen keine Andrones in ihren Häusern hatten, sodass Salmoxis diesen zunächst erbauen muss. Dass dieser Andron ein bildlicher Ausdruck der griechischen bzw. ionischen Lebensweise ist, mit der Salmoxis durch seinen Aufenthalt in Griechenland vertraut wurde, spiegelt sich dann auch in der weiteren Syntax wider: τὸν Σάλμοξιν τοῦτον ἐπιστάμενον δίαιτάν τε Ἰάδα καὶ ἤθεα βαθύτερα ἢ κατὰ Θρήικας , οἷα Ἕλλησί τε ὁμιλήσαντα καὶ Ἑλλήνων οὐ τῷ ἀσθενεστάτῳ σοφιστῇ Πυθαγόρῃ , κατασκευάσασθαι ἀνδρεῶνα [ … ] (IV, 95.2). Der Subjektsakkusativ, ‚ Sal- 708 Zur Bedeutung und Verwendung von ὁ συμπότης in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.1. 709 Für den Andron als Raum des Symposions siehe Kap. 2.2.3.5. 710 Hartog (1988, S. 94 f.) macht hier darauf aufmerksam, dass die Geten nach der Erwähnung des Wortes Andron und der gemeinsamen Mahlzeiten als Bürger bezeichnet werden, obwohl die Thraker das Leben als ἀστοί nicht kannten. Doch zugleich betont Hartog (1988, S. 95) auch, dass es nicht wichtig sei, zu wissen, ob dieser Ausdruck überhaupt wörtlich oder metaphorisch zu deuten sei oder ob er gar als ironische oder spöttische Umschreibung betrachtet werden sollte. Interessant sei hier, dass die Erwähnung eines gemeinsamen Mahls zu dieser Bezeichnung geführt habe: Salmoxis sei sich also bewusst, dass zu einem gemeinsamen Mahl nur „‘ respectable people ’“ einzuladen sind, und setze dies auch um (Hartog [1988], S. 95); vgl. auch Hartog (1988), S. 99. Schubert (2010, S. 29) bemerkt, dass u. a. die Bezeichnung der „ Skythen als astoi, also als Bürger einer Polis “ zu erkennen gebe, „ dass die griechische Perspektive die fremden Völker von Anfang an nach den eigenen gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen formt. “ 711 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 203 <?page no="204"?> moxis ‘ , und der Prädikatsinfinitiv mit Objekt, ‚ lässt einen Andron errichten ‘ , umfassen die gesamte Aussage über Salmoxis ’ hinzugewonnene Kenntnis von der ionischen Lebensweise und tiefsinnigeren Sitten im Vergleich zu den thrakischen sowie seinen Umgang mit dem Gelehrten Pythagoras und anderen Griechen. Auf diese Weise zeigt der Text, dass der Andron ein Ausdruck dessen ist, was Salmoxis als feinere Lebensart ansieht, die er bei den Griechen kennengelernt hat. Dies gilt somit auch für das Symposion, das darin stattfindet. Dass die Symposiasten des Salmoxis nicht nur zu Schülern, sondern durch die Aufnahme und Bewirtung auch zu Gästen werden, beschreibt der Text hier nicht durch ein Wort, das mit Xenia etymologisch in Verbindung steht. Stattdessen wird die Aufnahme - das einzige Mal in den Historien - mit dem Verb πανδοκεύειν umschrieben. Hierbei handelt es sich um ein Verb, das weniger die Aufnahme eines Gasts im Andron seines Gastgebers als Gastfreund hervorhebt, als vielmehr die Aufnahme aller beliebigen Personen als Gäste bei einem Gastwirt, der in erster Linie Wert auf den eigenen Profit legt. 712 So drückt der Text durch die Verwendung von πανδοκεύειν eine Distanz zwischen Salmoxis und seinen Schülern aus. Die Gastfreundschaft mit all ihren Rechten und Pflichten steht bei Salmoxis ’ Gastmahl ohnehin im Hintergrund. Das genaue Ziel des Salmoxis, das er durch die Veranstaltung der Symposia verfolgt, stellt der Text nicht explizit dar. Allerdings wird durch seine List (IV, 95.4 - 5), auf die ich gleich näher eingehen möchte und die die Geten die Wahrheit seiner Lehre beweisen soll, aus dem Kontext klar, dass Salmoxis ’ Ziel in den Symposia darin besteht, seine Gäste von seiner Lehre zu überzeugen. Ob diese auch zu dauerhaften Gastfreunden werden, bleibt dafür für ihn irrelevant. Bereits hier impliziert der Text also, dass in diesen Symposia kein Wert auf eine gleichberechtigte Beziehung unter allen Symposiasten gelegt wird, sondern dass im Gegenteil eine hierarchische Beziehung zwischen Salmoxis als Lehrer und seinen Gästen als Schüler besteht. Aufgrund seines Umgangs mit Pythagoras, den Salmoxis in Griechenland laut der Darstellung der Historien hatte, impliziert der Text eine unübersehbare Verbindung zwischen Salmoxis ’ Lehre der Unsterblichkeit und der pythagoreischen Lehre sowie auch in der Art, wie diese Lehre im Lehrer-Schüler-Verhältnis hierarchisch vermittelt wird. Inwiefern in der Salmoxis-Erzählung Pythagoras in Herodots Historien rezipiert wird, werde 712 Siehe dazu die Ausführungen zu πανδοκεύειν in Kap. 2.2.5.10. Vgl. dazu auch Hartog (1988, S. 99), der darauf aufmerksam macht, dass πανδοκεύειν und ἀνδρεών nicht in den gleichen Kontext gehören. Mit Verweis auf Plat. leg. 918d - 919d hebt er daher hervor: „ where we expect to find the host of a banquet, we discover an innkeeper, whose first concern, according to the most common image of him, is to fleece his clients by extorting as much money as possible from them in the shortest possible time “ (Hartog [1988], S. 99). 204 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="205"?> ich noch genauer analysieren. 713 Dafür ist es notwendig, zunächst noch auf den weiteren Verlauf der Salmoxis-Erzählung einzugehen. Die erwähnte ärmliche thrakische Lebensweise von Salmoxis ’ Schülern bietet für dessen Lehre eines glücklichen und entbehrungslosen Lebens nach dem Tod einen fruchtbaren Boden. Auch wenn der Text diesen Zusammenhang nicht explizit herstellt, ist diese Annahme naheliegend. Denn zudem wirkt die Umsetzung von Salmoxis ’ Plan, einen Kult um seine Person durch einen Betrug entstehen zu lassen, durch die Aussage, das Leben der Thraker sei einfältig (IV, 95.2), leichter möglich. Ein kritisches Hinterfragen von Seiten der Geten wird dadurch nicht erwartet und im Text auch nicht dargestellt. So gelingt es Salmoxis, seinen Plan durch eine trügerische Täuschung zum Erfolg zu führen. Salmoxis lässt sich nun nämlich heimlich eine unterirdische Kammer erbauen, 714 in die er sich für einen Zeitraum von drei Jahren unbemerkt vor den Geten zurückzieht und sich auf diese Weise für die Geten unsichtbar macht ( ἐκ μὲν τῶν Θρηίκων ἠφανίσθη - IV, 95.4). Diese vermissen und betrauern ihn, in der Meinung, er sei tot ( οἱ δέ μιν ἐπόθεόν τε καὶ ἐπένθεον ὡς τεθνεῶτα IV, 95.5). Hier hebt der Text hervor, dass die Sehnsucht der Schüler nach ihrem Lehrer nicht schwach, sondern sogar sehr schmerzhaft ist, indem der Text gezielt die beiden Verben ἐπόθεον und ἐπένθεον , die sich nur in einer Silbe unterscheiden, einsetzt, um die enge Verbindung der Sehnsucht mit Schmerz auch im Textbild auszudrücken. Hier wird deutlich, dass die Geten zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Lehre des Salmoxis überzeugt waren, schließlich vermissen sie ihn nicht nur, sondern empfinden sogar Schmerz wegen seines Verlusts, anstatt sich zu freuen, dass er nun im versprochenen Paradies angekommen ist, welches die Lehre des Salmoxis für das Leben nach dem Tod in Aussicht stellt. Erst als Salmoxis dann wieder zurückkehrt, sind die Geten von seiner Lehre überzeugt, da sie nun glauben, einen Beweis für die Unsterblichkeit des Menschen gesehen zu haben ( καὶ οὕτω πιθανά σφι ἐγένετο τὰ ἔλεγε ὁ Σάλμοξις - IV, 95.5). Dieses Geschehen nun hinterfragen sie - wie auch zuvor bereits seine Lehre - nicht. Durch dieses vermeintliche Wunder können nun auch die getischen Schüler, die von Salmoxis als einfältig angesehen werden, die griechische Lehre nachvollziehen. Gemäß diesem griechischen Bericht sei es Salmoxis also nur durch einen Trick gelungen, einen Kult um seine eigene Person zu erschaffen, in dessen Kontext auch das Symposion als Kultort eine 713 Siehe S. 208 - 212. 714 Zur Interpretation und Deutung dieser unterirdischen Kammer in der Salmoxis-Darstellung siehe Eliade (1982), S. 34 - 37; Hartog (1988), S. 100 f.; Taufer (2008), S. 144 - 148 jeweils mit weiteren Verweisen; siehe dazu auch Anm. 740. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 205 <?page no="206"?> zentrale Rolle spielt und für den die Lehre der Unsterblichkeit des Menschen entscheidend ist. Der Schwerpunkt von Salmoxis ’ Lehre liegt also auf der Weiterexistenz nach dem Tod. Damit steht diese kontrastiv zu einigen Fragmenten der im Symposion vorgetragenen frühgriechischen Lyrik, die häufig die Kürze des Lebens betonen und auf den Genuss des Augenblicks setzen, da es keine Hoffnung auf ein glückliches Leben im Jenseits gibt. 715 Hier bei den Symposia des Salmoxis kommt es also zu einer Umwertung dieses Genusses. So wird der momentane Genuss nicht durch das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit intensiviert, sondern aufgrund des Vorwissens von der glückseligen Ewigkeit des Lebens. Auch wenn bei Salmoxis ’ Symposia die Lehre als das zentrale Element im Vordergrund der Darstellung steht, zeichnet sich die Bewirtung bei diesen Symposia keineswegs durch Askese aus. Reichliche Bewirtung ist vorhanden, was aus der Verwendung des Verbs εὐωχέειν (IV, 95.3) zu erschließen ist, 716 auch wenn der Text sie nicht ausführlich thematisiert. Der Genuss des Augenblicks - hier also in Form der guten Bewirtung im Rahmen eines Symposions - mag für den Inhalt der Lehre des Salmoxis unwichtig sein, für deren Vermittlung wird er aber zum zentralen Element. Denn da die Geten als ärmlich beschrieben werden, ist diese üppige Bewirtung ein Vorverweis auf die Güter des glücklichen Lebens im Jenseits, das ihnen Salmoxis verspricht ( ἕξουσι τὰ πάντα ἀγαθά - IV, 95.3). 717 Der bewusste Genuss des Augenblicks ist 715 Siehe dazu Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. 716 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10. 717 Vgl. dazu Murray (1998, S. 261): „ Für Griechen gab es einen grundlegenden Gegensatz von den Freuden des Lebens, nämlich denen des symposion, zu deren Fehlen für den Toten [ … ]. Nur wer durch die Initiation in einen Mysterienkult rein geworden war, konnte hoffen, auch nach dem Tod die Freuden des symposion zu genießen. “ Siehe dazu auch Murray (1988) im Gesamten und mit Blick auf die Salmoxis-Erzählung ebd., S. 253. Die Geten erhalten also durch die Lehre ihres von der griechischen Lebensweise geprägten Lehrers bzw. den Kult um diesen den Ausblick darauf, die im Symposion erlebten Freuden nicht nur im Leben, sondern auch nach dem Tod genießen zu können. Vgl. dazu auch Riedweg (2021, S. 64), der mit Blick auf die pythagoreische Lehre bemerkt: „ Nur wer sich im Leben an die Anweisungen des charismatischen ‚ Meisters ‘ gehalten und strenge rituelle Reinheit im Alltag mit hoher Sittlichkeit verbunden hat, kann sich Hoffnungen auf ein durch und durch unbeschwertes, freudvolles Dasein auf den ‚ Inseln der Seligen ‘ machen. Dass dazu ebenfalls ein Symposion gehörte, ist auch aus der Zalmoxisgeschichte zumindest indirekt zu erschließen. “ Zur Initiation im Salmoxis-Kult vgl. die Ausführungen in Anm. 706. An anderer Stelle stellt der Text ein Mahl bzw. Symposion zwar nicht als Vorverweis auf eine glückliche Situation nach dem Tod dar, aber auf ähnliche Weise als Symbol für eine glückliche Situation im zukünftigen Leben: Kyros organisiert eine üppige Bewirtung bestehend aus einem Mahl mit Symposion, mit dem er die glückliche Herrschaft unter seiner Führung verbildlichen möchte, um die Perser auf seine Seite zu bringen (I, 126). 206 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="207"?> somit gerade wegen des Themas der Unsterblichkeit bei Salmoxis ’ Symposia ein wichtiger Aspekt. Von einem zusätzlichen Unterhaltungsprogramm der Symposiasten in Form von Musik, Tanz, Spielen oder anderen Vergnügungen ist nicht die Rede, was zeigt, dass diese Symposia ausschließlich für die Vermittlung der Lehre des Salmoxis veranstaltet werden. Damit sticht Salmoxis ’ Symposion gegenüber mehreren anderen Symposionsdarstellungen in Herodots Historien hervor, wo im Gegensatz zur Unsterblichkeit die Kürze des Lebens betont wird. 718 Unsterblichkeit ist dagegen in keiner anderen Symposionsdarstellung der Historien thematisiert. Bisher wurde schon das Gespräch bei Attaginos ’ Gastmahl (IX, 15.4 - 16.5) zwischen Thersandros und dem namenlosen Perser genauer untersucht (IX, 16.2 - 5), wo aufgrund der Aussicht auf den drohenden und aus Sicht des Persers unentrinnbaren Tod der Soldaten Tränen vergossen werden (IX, 16.3). 719 Von einer Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ist dort nicht die Rede.Gemäß dem Text distanziert sich der herodoteische Erzähler bereits im zweiten Buch selbst generell von der Vorstellung der Seelenunsterblichkeit, indem er, nachdem von Rhampsinits Unterweltfahrt berichtet wurde (II, 122), betont, nur alles wiederzugeben, was ihm zugetragen wurde ( Τοῖσι μέν νυν ὑπ᾽ Αἰγυπτίων λεγομένοισι χράσθω ὅτεῳ τὰ τοιαῦτα πιθανά ἐστι · ἐμοὶ δὲ παρὰ πάντα τὸν λόγον ὑπόκειται ὅτι τὰ λεγόμενα ὑπ᾽ ἑκάστων ἀκοῇ γράφω - II, 123.1). Der Text berichtet anschließend, dass die Ägypter diejenigen gewesen seien, die den Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und an die Seelenwanderung als Erste ausgesprochen hätten ( πρῶτοι δὲ καὶ τόνδε τὸν λόγον Αἰγύπτιοί εἰσι οἱ εἰπόντες , ὡς ἀνθρώπου ψυχὴ ἀθάνατός ἐστι , τοῦ σώματος δὲ καταφθίνοντος ἐς ἄλλο ζῷον αἰεὶ γινόμενον ἐσδύεται - II, 123.2). Dann erwähnt der herodoteische Erzähler, dass diesen Gedanken einige Griechen, deren Namen er kenne, aber nicht darlegen möchte ( τῶν ἐγὼ εἰδὼς τὰ οὐνόματα οὐ γράφω - II, 123.3), übernommen hätten und es als ihre Idee ausgeben ( τούτῳ τῷ λόγῳ εἰσὶ οἳ Ἑλλήνων ἐχρήσαντο , οἱ μὲν πρότερον , οἱ δὲ ὕστερον , ὡς ἰδίῳ ἑωυτῶν ἐόντι - II, 123.3). Dass er hier unter anderem auch Pythagoras anspricht, ist impliziert. 720 Allerdings ist die Seelenwanderung, die das Fortexistieren der Seelen Auch diese Bewirtung wird durch εὐωχέειν ausgedrückt ( τοὺς Πέρσας κατακλίνας ἐς λειμῶνα εὐώχεε - I, 126.3); siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.2. 718 Vgl. dazu die unter Kap. 3.3.2 analysierten Trinkverhalten und Symposia. 719 Zur Analyse dieses Gastmahls vgl. Kap. 3.1.2. 720 Vgl. dazu How/ Wells (1912a, S. 226) sowie Lloyd (in Asheri et al. [2007], S. 329), die neben Empedokles und den Orphikern auch auf Pythagoras verweisen; vgl. auch Riedweg (2007), S. 77; Riedweg (2021), S. 38. Für eine Zusammenfassung möglicher Deutungen der Frage, was der herodoteische Erzähler hier nicht darlegen möchte, siehe Burkert (1962), S. 103/ Anm. 39. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 207 <?page no="208"?> näher ‚ definiert ‘ , wohl keine ägyptische Lehre, sondern es wird, wie Walter Burkert hervorhebt, „ eindeutig Griechisches auf die Fremden projiziert “ 721 und eben nicht Ägyptisches von den Griechen übernommen. Walter Burkert weist zudem darauf hin, dass „ die Griechen in Ägypten Jenseitsglauben und religiöse Bräuche ähnlich mit Pythagoras zusammengebracht [haben] wie die Griechen am Hellespont und Pontos den Unsterblichkeitsglauben der Geten “ . 722 Dabei liege der Unterschied nur darin, dass „ das Überlegenheitsgefühl über die Barbaren dazu führte, Zalmoxis zum Schüler des Pythagoras zu machen, während in Ägypten das Staunen über die uralte fremde Kultur die umgekehrte Kombination hervorbrachte: Pythagoras als Schüler der Ägypter. “ 723 Aldo Corcella sieht bei den Griechen, die diese Darstellung über den Glauben der Geten erzählen, eine gewisse „ patriotic bias “ , da sie Salmoxis lediglich als Schwindler entlarven, der sich Pythagoras zum Vorbild nahm, 724 und David Asheri deutet diese Geschichte über Salmoxis und seiner Lehre als „ a piece of ironic, arrogant and somewhat euhemeristic interpretatio Graeca “ . 725 Auch wenn Salmoxis also nicht die einzige Person in den Historien ist, die mit der Lehre von der Unsterblichkeit und damit auch mit den Pythagoreern in Verbindung steht, 726 ist an keiner anderen Stelle der Bezug zu Pythagoras so 721 Burkert (1962), S. 103; vgl. auch Bonnet (1952), S. 76 f. sowie Riedweg (2007), S. 77. 722 Burkert (1962), S. 105. 723 Ebd. Corcella sieht ebenfalls eine Verbindung von II, 123 und der Salmoxis-Anekdote in Herodots Historien: So bemerkt Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 648), dass Herodot, obwohl er erklärt, bezüglich des Wahrheitsgehalts der Salmoxis-Anekdote nicht Partei ergreifen zu wollen, die griechische rationalistische Interpretation mit einer gewissen Ironie beschreibe und ein chronologisches Argument vorschlage, das an „ the polemic of II 123 on the originality of the Greeks “ erinnere: Es sei eher Pythagoras, der sich von Salmoxis habe inspirieren lassen (ebd.); siehe dazu auch Anm. 745. 724 Asheri et al. (2007), S. 648. Vgl. dazu auch Burkert (1962, S. 137 f.), der an dieser Erzählung vor allem „ das Überlegenheitsgefühl [= der Kolonialgriechen] über thrakische Primitivität, der Stolz auf griechische Kultur und griechische Klugheit “ als hervorstechend ansieht. So werde ein Sklave bei den Griechen ein Gott bei den Thrakern (1962, S. 138). Eliade (1982, S. 33) ist der Meinung, dass es nicht entscheidend sei, ob Herodot selbst oder die Griechen des Hellespont „ aus patriotischen Gründen “ diese Lehre bzw. diesen Kult von Salmoxis „ in eine Vorstellungswelt pythagoräischer Struktur eingebettet “ haben, sondern wichtig sei, dass „ die Griechen durch die Ähnlichkeit zwischen Pythagoras und Zalmoxis in Erstaunen gerieten “ . 725 Asheri (1990), S. 148. 726 Ein weniger deutlicher Bezug zu den Pythagoreern ist in der Erzählung über den Dichter Aristeas aus Prokonessos im vierten Buch der Historien (IV, 13 - 15) zu erkennen, die ebenfalls von einem plötzlichen Verschwinden und dem Wiedererscheinen einer für tot geglaubten Person handelt; vgl. dazu auch Burkert (1962), S. 124 - 126. Allerdings ist dort im Gegensatz zur Salmoxis-Erzählung, in der der Text Salmoxis ’ Verschwinden als geplant darstellt, nicht die Rede davon, dass es sich um einen Betrug handelt. Der Text berichtet, wie Aristeas in einer Walkerei den Tod findet (IV, 14.1), dann aber kurz danach 208 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="209"?> eindeutig gegeben wie hier. Denn durch die Aussage, Salmoxis sei auf Samos Pythagoras ’ Sklave gewesen, wird die Verbindung von Salmoxis mit Pythagoras beinahe aufgedrängt. So wie Pythagoras die Rolle eines „ Sektenstifter[s] “ bzw. „ Religionsstifter[s] “ zukam, 727 so wird auch Salmoxis in der griechischen Darstellung, wie sie in den Historien wiedergegeben ist, zum Begründer eines neuen Kultes, der den Charakter einer Mysterienreligion erhält. 728 Eine Ähnlichkeit zu den Treffen der Anhänger des Pythagoras findet sich nicht nur in der von einem Mann, der sich auf dem Weg nach Kyzikos befindet, angetroffen und sogar in eine Unterhaltung verwickelt wird (IV, 14.2). In der Walkerei wird er daraufhin weder tot noch lebendig angetroffen (IV, 14.3). Erst sieben Jahre später sei er wieder gesichtet worden, als er auch das Epos Arimaspea gedichtet habe (IV, 14.3). Kurz danach allerdings sei er zum zweiten Mal verschwunden (IV, 14.3). Weiter wird berichtet, dass er 240 Jahre danach erneut in Metapontion erschienen sei, wo er die Einwohner auffordert, Apoll einen Altar und daneben ein Standbild mit der Bezeichnung ‚ Aristeas aus Prokonnesos ‘ zu errichten (IV, 15.1 - 2). Apoll nämlich habe bei den Italioten einzig ihr Land besucht und er, Aristeas, habe ihn damals als Rabe begleitet (IV, 15.2). Dann verschwand er wieder. Die Einwohner von Metapontion gehorchen seinem Auftrag, als auch das Orakel in Delphi dazu rät, und errichten die geforderte Kultstätte, die laut Text noch zu Herodots Zeiten erhalten ist (IV, 15.3 - 4). Auch bezüglich der Aristeas-Erzählung wurde bereits mehrfach eine Verbindung zu den Pythagoreern erkannt; vgl. Burkert (1962), S. 123 - 126, S. 132; How/ Wells (1912a, S. 308): „ It seems to be connected with the Pythagorean theory of transmigration; Metapontum was near Croton, the special home of Pythagoreanism. “ Corcella mutmaßt, dass die Walkerei „ purification and regeneration “ symbolisieren könnte und darin eventuell ein Hinweis auf das „ ritual washing of the Pythagoreans “ erkennbar sei (Asheri et al. [2007], S. 583). Ebenso erwähnt Corcella auch pythagoreische Zirkel in Metapontion, wo Aristeas zu einem Helden der Seelenwanderung (= „ a hero capable of metempsychosis “ ) transformiert worden sei (Asheri et al. [2007], S. 583 mit Verweis auf Bolton [1962], S. 174 f.). 727 Burkert (2011), S. 440. 728 Vgl. Eliade (1982), S. 33 f. Insgesamt weist Eliade (1982, S. 51) darauf hin, dass „ die Hauptcharakteristika seines Kultes (andreon und Bankette, Sich-Verbergen in der ‚ unterirdischen Bleibe ‘ , Epiphanie nach vier Jahren, ‚ Unsterblichwerden ‘ der Seele und Belehrung über die Glückseligkeit in einer anderen Welt) “ Salmoxis mit einem Mysterienkult in Verbindung setzen; vgl. auch Taufer (2008, S. 160), der neben der Möglichkeit für die Anhänger des Kultes, die Unsterblichkeit der Seele zu erlangen, auch den elitären Charakter des Salmoxis-Kultes hervorhebt, um Salmoxis ’ Existenz als ‚ Mysteriengottheit ‘ zu belegen: „ In conclusione, possiamo asserire con un discreto margine di sicurezza: 1. che Zalmoxis è anzitutto un dio dei misteri, come testimoniano il carattere elitario del suo culto e la possibilità offerta ai suoi seguaci di conseguire l ’ immortalità dell ’ anima “ . Unabhängig von diesem Salmoxis-Mythos verweist Burkert (2011, S. 303) im Zuge der Veränderung der „ Vorstellungen von Tod und Jenseits “ in Griechenland darauf hin, dass durch diesen Wandel eben Geheimkulte bzw. Mysterien entstanden „ mit der Verheißung, dem Geweihten im Gegensatz zum Ungeweihten ‚ Seligkeit ‘ im Jenseits zu vermitteln “ . Einen solchen Kult führt nun der Thraker Salmoxis - geprägt durch die griechische Lebensart - bei den Geten ein. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 209 <?page no="210"?> dort im Lehrer-Schüler-Verhältnis verbreiteten Lehre über die Unsterblichkeit und den glücklichen Ort, an den die Menschen nach ihrem Tod kämen, 729 sondern auch in dem Ort, an dem diese Treffen veranstaltet bzw. die Lehren verbreitet werden. Denn auch die Pythagoreer fanden im Symposion eine geeignete Atmosphäre für ihre mystischen Treffen. 730 Dass die Teilnehmer an den Symposia des Salmoxis zu den aus sozialer Hinsicht Ersten der Bürgern zählen, stimmt ebenso mit den aristokratischen Zügen der Pythagoreer überein. 731 Zudem entspricht hier nicht nur der äußere Rahmen, sondern auch das Lehren philosophisch-religiöser Themen einem typisch griechischen Symposion. Es lässt sich somit zum Kult um Salmoxis sagen, dass er in den Historien durch die Darstellung, die der herodoteische Erzähler gemäß dem Text von den Griechen am Schwarzen Meer übermittelt bekommt, mit dem griechischen Pythagoreismus in Verbindung gebracht werden kann. 732 Aus diesen wenigen Informationen kann allerdings nicht geschlossen werden, dass die Lehre des Salmoxis mit der Lehre des Pythagoras tatsächlich gleichzusetzen ist. 733 Außerdem stimmt zwar der Rahmen des gemeinsamen Mahls bzw. gemeinsamen Symposions mit den pythagoreischen Gemeinschaftsmählern überein, aber die als festlich deklarierte Bewirtung durch Salmoxis, die aus der Verwendung von εὐωχέειν geschlossen wird, widerspricht 729 Vgl. dazu Hartog (1988, S. 96), der diesen unbestimmten Ort aus Salmoxis ’ Lehre als „ reminiscent of the Pythagoreans ’ Islands of the Blessed “ deutet, wobei er auch betont, dass dies noch nicht ausreicht, um die Lehre des Salmoxis mit der des Pythagoras zu identifizieren. Hartog (1988, S. 96 f.) verweist dann auf andere antike literarische Quellen, in denen die Salmoxis-Lehre dagegen explizit pythagoreisch ausgelegt wird. 730 Vgl. dazu Boyancé (1937), S. 134; Eliade (1982), S. 34; Murray (1983c), S. 49; Hartog (1988), S. 95. Vgl. auch Murray (1988, S. 253), der über die Salmoxis-Erzählung in den Historien bemerkt: „ [ … ] it demonstrates a popular Greek view that Thracian beliefs in the afterlife were connected with Pythagorean beliefs, and a popular assimilation of the group of the elect in such mysteries with the symposion-group “ . 731 Zur aristokratischen Tendenz der Pythagoreer siehe Hartog (1988), S. 95 mit weiteren Literaturhinweisen sowie Riedweg (2007), S. 79; Riedweg (2021, S. 44 - 50) geht der Frage nach, ob die Salmoxis-Erzählung in Herodots Historien - zumindest indirekt - ein Hinweis darauf ist, dass die pythagoreischen Lehren in erster Linie Aristokraten ein besseres Leben nach dem Tod versprechen. 732 Vgl. dazu Hartogs Ausführungen (1988), S. 84 - 111. Hartog erläutert, dass der Kult um Salmoxis auf diese Weise für die „ Black Sea Greeks “ besser nachvollziehbar wird: „ In order to defuse the ‘ otherness ’ of the Getae, in order to come to terms with the threat represented by this strange and elusive figure whose nature is none too clear to them (is he a god, a daimon, or something else again? ), they turn to one who, far away to the west, had acquired in the shared knowledge of the Greeks the position of an intermediary, an intermediary who no doubt also conveys a charge of ‘ otherness ’ - in his case, though, the otherness is no longer ‘ savage, ’ but accounted for, recognized, docketed “ (Hartog [1988], S. 102). 733 Vgl. dazu Anm. 729 sowie die weiteren Ausführungen von Hartog (1988), S. 97 - 102. 210 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="211"?> der pythagoreischen Askese. 734 Auch der Weinkonsum der Pythagoreer, wenn sie überhaupt Wein tranken, kann demnach als gemäßigt angenommen werden. 735 Ob jedoch die Sympotai bei Salmoxis ebenfalls maßvoll Wein trinken oder nicht, sagt der Text nicht aus. 736 Zudem lässt sich ein großer Unterschied zu den Pythagoreern in der von Salmoxis verbreiteten Lehre der Unsterblichkeit erkennen. Denn bei Salmoxis ’ Lehre ist in Herodots Historien an keiner Stelle von ψυχή die Rede. Salmoxis habe die Geten in seinen Symposia gelehrt, dass sie selbst nicht sterben würden, sondern an einen anderen glücklichen Ort gelangten (IV, 95.3). Die Leib-Seele- Dichotomie der pythagoreischen Lehre allerdings und damit auch die Voraussetzung für die Lehre der Seelenwanderung ist bei der Darstellung der Griechen von Salmoxis ’ Lehre nicht explizit zu erkennen. Walter Burkert bemerkt daher, dass von „ Seelenwanderung [ … ] nicht die Rede [ist], wohl aber ist Pythagoras der Name, der mit Lehren über Unsterblichkeit und Jenseits verknüpft ist, offenbar der bekannteste Name in diesem Bereich. “ 737 Dafür, dass sich die Seele vom Körper trennt, wäre Salmoxis ’ List auch kein stimmiger Beweis geworden, schließlich kommt er selbst in der unveränderten Person des Salmoxis zurück. Die Darstellung von Salmoxis und seiner Lehre zeigt sich in Herodots Historien also als Rezeptionsform des griechischen Pythagoras nicht mit Blick auf den 734 Vgl. dazu Hartog (1988), S. 97 f. Später wird den Geten diese Askese in ihrem Salmoxis- Kult ebenfalls zugeschrieben: Hartog (1988, S. 97) verweist auf Strabon VII, 3.5, wo berichtet wird, dass die Geten auf den Verzehr von Fleisch komplett verzichten, was sie von der pythagoreischen Lehre übernommen haben; vgl. dazu auch Pfister (1953), S. 1118 - 1120 sowie Taufer (2008), S. 155. Doch davon ist in Herodots Historien nicht die Rede. 735 Vgl. dazu Hartog (1988, S. 99), der darauf verweist, dass die Pythagoreer einigen Quellen zufolge überhaupt keinen Wein getrunken haben. 736 Vgl. dazu Hartog (1988, S. 99), der auf die unterschiedlichen Möglichkeiten verweist, den Begriff Sympotai zu deuten: „ It may denote a guest, one who takes part in a meal in an altogether normal fashion. But equally it may apply to a drinker, a man with no qualms regarding wine. “ Mit Blick darauf, dass die Pythagoreer zum Teil als komplett dem Wein abstinent beschrieben werden (vgl. dazu Anm. 735), kann hieraus eine ironische Färbung gelesen werden (vgl. Hartog [1988], S. 99 f.). 737 Burkert (1962), S. 100; vgl. aber Eliade (1982), S. 42 f. Eliade (1982, S. 40) sieht im „ Überleben “ oder der „ Unsterblichkeit der Seele “ den „ Kern der Botschaft des Zalmoxis “ . Dass die „ Rückkehr des Zalmoxis in Fleisch und Blut keinen ‚ Beweis ‘ für die ‚ Unsterblichkeit ‘ der Seele erbringt “ , erklärt sich Eliade (1982, S. 40) damit, dass diese Episode ein uns unbekanntes Ritual widerspiegele. Außerdem verweist Eliade (1982, S. 43) auf das in IV, 94.2 - 3 beschriebene Ritual, wo der Übermittler der Anliegen an Salmoxis auf Speerspitzen geworfen wird und somit stirbt: Es sei also die Seele, die zu Salmoxis gelangt (ebd.). Für ‚ Jenseits- ‘ bzw. ‚ Hadesbesucher ‘ von Homer bis Platon siehe Männlein-Robert (2014) und zur Entwicklung der Jenseitsvorstellungen (vor Platon) auch mit Blick auf die Seelenwanderung siehe Männlein-Robert (2021), S. 196 - 198. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 211 <?page no="212"?> genauen Inhalt von dessen Lehre, sondern vor allem mit Blick auf die Vermittlungsformen. Dabei sind an Salmoxis ’ Handeln - wie eben auch bei Pythagoras - 738 ‚ schamanistische ‘ Züge zu erkennen, mit deren Autorität er die Lehre der Unsterblichkeit vermittelt. Denn „ Verwandlung, Entrückung, ekstatische Reise ins Jenseits, Herrschaft über Tiere und dämonische Kräfte, Gottnähe, Überwindung des Todes “ analysiert Walter Burkert als typische schamanistische Motive. 739 Allerdings beruht Salmoxis ’ Schamanenreise auf einem Betrug. So wird durch diese Rezeption von Pythagoras in der Darstellung der Historien beruhend auf dem Bericht der Griechen vom Hellespont und Pontos auch dessen Glaubwürdigkeit angezweifelt. 740 Ob nun aus diesem Betrug des Salmoxis darauf geschlossen werden kann, dass auch die Lehre der Pythagoreer für betrügerisch gehalten werden soll, oder ob betont werden soll, wie leicht diese Lehre missbraucht werden kann, führt der Text jedoch nicht explizit aus. 741 Offensichtlich aber wird der Kult um Salmoxis in Herodots Historien rein aus griechischer Sicht interpretiert dargestellt. Zudem ist erkennbar, dass die Geten von den Griechen als leichtgläubig charakterisiert werden. 742 In Anbetracht der Tatsache, dass Salmoxis aufgrund einer List für unsterblich gehalten wird und somit seine Lehre beweisen kann (IV, 95.4 - 5), ist allerdings 738 Zum Zusammenhang zwischen Schamanismus und Pythagoras siehe Burkerts Ausführungen (Burkert [1962], S. 124 - 142); vgl. auch Burkert (2011), S. 446. 739 Vgl. Burkert (1962), S. 132. Siehe zum Begriff des ‚ Schamanismus ‘ auch Männlein-Robert (2014), S. 43 - 45. 740 Später wird über Pythagoras von Hermippos (Diog. Laert. VIII, 41) von einem ähnlichen Betrug, wie er hier bei Herodot über Salmoxis dargestellt wird, berichtet (vgl. dazu Pfister [1953], S. 1115; Burkert (1962), S. 136 - 141; Eliade [1982], S. 34 - 36; Hartog [1988], S. 100 f.; Asheri et al. [2007], S. 649; Riedweg [2007], S. 79; Taufer [2008], S. 145 f.; Schubert [2010], S. 91; Riedweg [2021], S. 50). Hermippos ’ Darstellung kann allerdings nicht in allen Punkten von der Salmoxis-Erzählung in Herodots Historien hergeleitet werden (vgl. Burkert [1962], S. 139), sodass sich auch unabhängig von den Historien eine Strömung abzeichnet, in der Pythagoras als Betrüger wahrgenommen wird. Bichler (2001, S. 91) bemerkt, dass auf „ die Pythagoreer und ihre Seelenwanderungslehre [ … ] durch die Diskreditierung des naiven Unsterblichkeitsglaubens des angeblichen Pythagoras-Sklaven Salmoxis der Schatten des Zweifels [fällt]. “ Vgl. dazu auch Schubert (2010, S. 90): „ Es scheint so, dass Herodot mit dieser abfälligen Charakterisierung des Zalmoxis auch ein ebensolches Licht auf Pythagoras, dessen Sklave und Lehrling Zalmoxis gewesen sei, werfen wollte. “ Außerdem ist Riedweg (2021, S. 50) der Ansicht, die „ Griechen vom Hellespont und von Pontos [haben] die Lehre dadurch lächerlich gemacht [ … ], dass sie auf den Trick hinwiesen, mit dem sich sowohl Pythagoras wie Zalmoxis als Experten für Jenseitsfragen zu inszenieren versuchten “ . 741 Riedweg (2007, S. 76) betont, dass Pythagoras ’ „ Nähe zu religiöser Scharlatanerie “ zwar in Herodots Historien als ein konstitutiver Punkt für Herodots Pythagorasbild ausgemacht werden könne, dass dies allerdings nur angedeutet werde; vgl. auch ebd. S. 78 f. 742 Vgl. dazu Hartog (1988, S. 88): „ Salmoxis ’ s wisdom is a pale reflection of that of his master, but is nevertheless enough to impress those yokels, the Getae. “ 212 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="213"?> die Annahme, Salmoxis sei zu seiner Denkweise durch den Umgang mit den Griechen, insbesondere mit Pythagoras, gekommen, nicht rein positiv zu verstehen. Es klingt beinahe ironisch, denn er habe letztlich von ihnen gelernt, wie er die Geten täuschen könne, die der Text als tapferste ( ἀνδρηιότατοι ) und gerechteste ( δικαιότατοι ) unter den Thrakern beschreibt (IV, 93). 743 Indem der Text am Ende der Erzählung über Salmoxis darlegt, dass er die Darstellung der Griechen vom Hellespont und Pontos (IV, 95.1) wiedergegeben hat ( ταῦτά φασί μιν ποιῆσαι - IV, 96.1), distanziert er sich allerdings von einer Bewertung und gibt am Ende der Erzählung eine als Ansicht Herodots dargestellte Aussage wieder ( ἐγὼ δὲ [ … ] - IV, 96.1), in der sich Herodot bezüglich des Wahrheitsgehalts dieser Anekdote bewusst unentschieden zeigt (IV, 96). 744 Herodot sei zwar der Meinung, Salmoxis habe einige Zeit vor Pythagoras gelebt (IV, 96.1), möchte aber dennoch keine sichere Aussage über den Wahrheitsgehalt machen, lehnt somit die Erzählung insgesamt nicht ab, sondern lässt sie in der Schwebe ( ἐγὼ δὲ περὶ μὲν τούτου καὶ τοῦ καταγαίου οἰκήματος οὔτε ἀπιστέω οὔτε ὦν πιστεύω τι λίην - IV, 96.1). 745 Ebenfalls offen lässt er die Frage, ob dieser Salmoxis tatsächlich als Mensch existiert habe oder ob es sich um eine 743 Vgl. dazu Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 649): „ the excessive insistence on the superiority of the wisdom of the Greeks and of Pythagoras smacks of irony: what Salmoxis learns from them is how to cheat the ‘ righteous ’ Getae “ . Auch How/ Wells (1912a, S. 335) erkennen Ironie hinter der griechischen Darstellung dieser Salmoxis- Erzählung; vgl. auch Asheri (1990), S. 148. Sowohl How/ Wells (1912a, S. 335) als auch Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 649) sehen die Ironie besonders auch durch die Verwendung von πανδοκεύειν gegeben. Zu πανδοκεύειν siehe Anm. 712 sowie Kap. 2.2.5.10. Hartog hat sich u. a. intensiv mit ‚ verstecktem ‘ Spott und Ironie in dieser griechischen Darstellung beschäftigt (siehe Hartog [1988], S. 84 - 109). 744 How/ Wells (1912a, S. 335) heben hervor, dass hier kein negatives Urteil über Pythagoras angedeutet wird, aber dass Herodot die Arroganz seiner Landsleute missfalle, „ introducing themselves into barbarian cults and legends “ , wobei sie auf II, 45 verweisen. Dort wirft der Text den Griechen vor, vieles häufig unüberprüft zu erzählen ( λέγουσι δὲ πολλὰ καὶ ἄλλα ἀνεπισκέπτως οἱ Ἕλληνες - II, 45.1). Asheri (1990, S. 134) bemerkt, dass bei dem herodoteischen Bericht über die Geten die Kluft zwischen getreuer Berichterstattung und erfundener Fiktion im Vergleich zu seinem Bericht über das übrige Thrakien beträchtlich größer sei, „ but then he could always manage fairly well using his usual pretext that he is merely relata referns, that his duty is just to report all that is said but not to believe it “ . 745 Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 648) sieht sich hier an die „ polemic of II 123 “ erinnert, wo berichtet wird, dass die Griechen die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele übernommen haben, sie aber später als ihre Erfindung deklarieren (siehe dazu auch S. 207 f. mit Anm. 723 in der vorliegenden Arbeit). So folgert Corcella hier: „ it was rather Pythagoras who might have drawn inspiration from Salmoxis. “ Auch Eliade (1982, S. 34) hebt die Aussage, Salmoxis habe vor Pythagoras existiert, als wichtiges Detail hervor. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 213 <?page no="214"?> einheimische Gottheit der Geten handle ( εἴτε δὲ ἐγένετό τις Σάλμοξις ἄνθρωπος , εἴτ᾽ ἐστὶ δαίμων τις Γέτῃσι οὗτος ἐπιχώριος , χαιρέτω - IV, 96.2). 746 Anschließend wird diese Anekdote über Salmoxis beendet, indem der Text nun wieder den Kreis zu IV, 93 mit den Worten schließt, die Geten, die auf solche Art denken ( οὗτοι μὲν δὴ τρόπῳ τοιούτῳ χρεώμενοι - IV, 96.2), seien von den Persern unterworfen worden und folgen diesen nun (IV, 96.2). 747 Damit wendet sich der Text wieder dem Kampfgeschehen zu. Zusammengefasst lässt sich nun über die Symposia des Salmoxis in der Darstellung der Historien sagen, dass ihr Zweck grundlegend darin besteht, einen Ort für die Weitergabe von Salmoxis ’ Lehre über die Ewigkeit des Lebens zu ermöglichen. Die Schüler werden dort gleichzeitig zu Gästen und Symposiasten, die sich in einem hierarchischen Verhältnis zu ihrem Lehrer und Gastgeber Salmoxis befinden. Einerseits besteht diese Hierarchie aufgrund ihres Lehrer-Schüler-Verhältnisses, andererseits wird diese auch an der jeweiligen Lebensführung deutlich. Denn während die thrakischen Gäste in der Ansicht des Salmoxis ein viel ärmlicheres Leben führen und einfältig sind, so hat Salmoxis selbst die feinere griechische Lebensweise durch seinen Aufenthalt in Griechenland verinnerlicht (IV, 95.2). Doch gerade diese besondere Konstellation zwischen Gästen und Gastgeber im Symposion ist für die Umsetzung von Salmoxis ’ Plan grundlegend. So finden nun in Thrakien durch Salmoxis arrangiert Symposia statt, die sich durch typisch griechische Symposionselemente auszeichnen wie vor allem dem Veranstaltungsraum, dem Andron, oder auch durch die ausschließlich männlichen Gäste, die zudem aus den in sozialer Hinsicht Ersten der Geten bestehen. Auch die Lehre der Unsterblichkeit, die Salmoxis dort verbreitet, hat - angelehnt an Pythagoras - einen griechischen Bezug, auch wenn im Text keine Gleichsetzung zur pythagoreischen Lehre vorgenommen wird. Die Bewirtung wird durch die Umschreibung mit εὐωχέειν als reichlich dargestellt. 748 Diese und damit insgesamt das Symposion verbindet hier das Diesseits mit dem Jenseits. Denn es wurde bereits zuvor analysiert, dass der Text in Herodots Historien εὐωχέειν bzw. κατευωχέεσθαι mehrfach verwendet, wenn die damit beschriebenen 746 Hartog (1988, S. 108 f.) hebt in IV, 96 die Formulierung durch οὔτε … οὔτε (IV, 96.1) sowie εἴτε … εἴτε (IV, 96.2) hervor, wodurch er zeige, keine eindeutige Entscheidung treffen zu wollen „ and to leave some room for ‚ otherness ‘“ (Hartog [1988], S. 109). 747 Vgl. dazu Asheri (1990, S. 148 f.), der darauf verweist, dass der Glaube an die Unsterblichkeit der Geten von Herodot implizit als Erklärung für den hartnäckigen Widerstand der Geten gegen Dareios und für ihre außergewöhnliche Tapferkeit und Rechtschaffenheit ( Θρηίκων ἐόντες ἀνδρηιότατοι καὶ δικαιότατοι - IV, 93) angeführt werde; zumindest sei dies der Zweck von IV, 93, der die Haupterzählung mit den Erzählungen über die Geten verbinde (ebd.). 748 Vgl. zur Bedeutungsanalyse von εὐωχέειν in Herodots Historien Kap. 2.2.5.10. 214 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="215"?> Bewirtungen mit dem Tod in Verbindung stehen, wobei deren Kontexte unterschiedlich sind. 749 Oft werden dabei Festmähler umschrieben, die im Rahmen von Bestattungen oder zumindest nach dem Tod eines Angehörigen abgehalten werden. 750 Salmoxis ’ Bewirtung ist zwar kein Begräbnismahl, aber dennoch besteht ein solcher Bezug zum Tod durch seine Lehre von der Unsterblichkeit. Diese reichliche Bewirtung bei Salmoxis ’ Symposion bereitet die thrakischen Symposiasten, die nach Bewertung des Salmoxis eine recht armselige Lebensweise führen (IV, 95.2) und demnach mit einem Festmahl griechischen Ausmaßes nicht vertraut sind, 751 bereits auf das versprochene Paradies im Jenseits vor, wo alle Güter für sie bereitstehen werden ( ἕξουσι τὰ πάντα ἀγαθά - IV, 95.3). Das, was sie somit nun im Leben genießen können, wird ihnen gemäß Salmoxis ’ Lehre auch noch nach dem Tod zur Verfügung stehen. So wie Salmoxis ’ vermeintliches Sterben und plötzliches Wiederauferstehen den Geten zum Beweis dafür wird, dass der Mensch unsterblich ist, wird seine Bewirtung mit Symposion zum Vorverweis auf einen Teil der guten Dinge, welche dem Menschen im Jenseits versprochen werden. 752 Dieses Vorwissen eines Lebens in Glückseligkeit nach dem Tod sorgt bei diesem Symposion für eine Intensivierung der Wahrnehmung, sodass das Symposion sowohl bei der theoretischen als auch praktischen Übermittlung dieser Lehre hilft. Denn die Geten nehmen das Symposion hier als irdischen Sehnsuchtsort wahr und erfahren somit dort eine Utopie, die sie sonst in ihrem Alltag nicht erleben, aber zumindest im Jenseits dauerhaft erhoffen können. 749 Siehe Anm. 748. 750 Vgl. dazu I, 216.2 / III, 99.1+2 / IV, 73.1 / V, 8. Siehe dazu auch Anm. 755. 751 Dass reiche Thraker allerdings auch Festmähler veranstalten, wird in V, 8 deutlich. Dort berichtet der Text davon, dass die wohlhabenden Thraker bei ihren Begräbnisfeiern unter anderem Opfer darbringen und dann Festmähler veranstalten ( παντοῖα σφάξαντες ἱρήια εὐωχέονται - V, 8). Die Geten nun sind ein Volk der Thraker (IV, 93). Bei den Geten, die zu Salmoxis eingeladen werden, erwähnt der Text zudem, dass es sich um ‚ die Ersten ‘ der Bürger handelt ( τῶν ἀστῶν τοὺς πρώτους - IV, 95.3), sodass diese wohl zu den wohlhabenden Thrakern gerechnet werden können. Doch offensichtlich sind deren gewöhnliche Festmähler dennoch nicht mit einem Festmahl nach griechischem Maßstab vergleichbar, was der Text daran zeigt, dass Salmoxis das Leben der Thraker nach seiner Rückkehr aus Griechenland insgesamt als κακόβιος bezeichnet (IV, 95.2) und eben ausdrücklich Vorbereitungen treffen muss, um seine Bewirtung umsetzen zu können. Schließlich lässt er extra einen Andron bauen (IV, 95.2 - 3). Zur Bedeutung von εὐδαίμονες , wie u. a. die wohlhabenden Thraker in V, 8 bezeichnet werden, siehe Anm. 769. 752 Vgl. dazu Anm. 717 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 215 <?page no="216"?> 3.3.2 Das ägyptische Symposion und die Endlichkeit des Menschen An den bisherigen Untersuchungen wurde bereits ersichtlich, dass die Symposia in Herodots Historien zwar in ganz verschiedenen Kontexten stehen können, dabei aber als Grundfunktion stets ein intensiviertes Erleben der jeweiligen momentanen Situation bewirken. Wie an der Analyse der Symposia des Salmoxis erkennbar wurde, ist auch der Umgang mit der Endlichkeit des Menschen und dem Tod in Herodots Historien ein Thema, das in einem solchen sympotischen Kontext sinnvoll verortet wird. 753 Es fällt auf, dass bei Herodot kein Symposion erwähnt wird, das speziell im Rahmen einer Bestattung veranstaltet wird, obwohl gewöhnlich auch bei Begräbnissen Symposia abgehalten wurden. 754 Zwar ist mehrfach von Bewirtungen und Festmählern bei Begräbnissen die Rede, doch dass es dort auch zu einem gemeinsamen Trinken kommt, wird dabei nicht gesondert herausgestellt. 755 Stattdessen berichtet der 753 Dafür, dass der Tod ein geläufiges Thema in griechischen Symposia war, vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. 754 Vgl. Murray (1988), S. 250; Stahl (2003), S. 64. 755 Zu den Mählern in Herodots Historien, deren Anlass ein Begräbnis ist, vgl. Schmitt Pantel (1992), S. 426 - 429. So wird in IV, 73.1 beschrieben, dass es im Rahmen der Bestattungrituale der Skythen zu einem Mahl kommt. Dort wird der Gestorbene von seinen Angehörigen auf einem Wagen zu Freunden gefahren, wo dann eine Bewirtung stattfindet, bei der auch der Tote wie ein Gast behandelt wird ( ὑποδεκόμενος εὐωχέει τοὺς ἑπομένους καὶ τῷ νεκρῷ πάντων παρατιθεῖ τῶν καὶ τοῖσι ἄλλοισι - IV, 73.1). Eine Bewirtung wird auch in V, 8 erwähnt, wenn dargestellt wird, wie die wohlhabenden Thraker bei ihren Begräbnissen vorgehen. Dazu gehört das Opfern und das darauffolgende Festmahl, wobei an erster Stelle die Totenklage steht ( παντοῖα σφάξαντες ἱρήια εὐωχέονται , προκλαύσαντες πρῶτον - V, 8). In IV, 26.1 beschreibt der Text, dass es bei den Issedonen Brauch ist, nach dem Tod des Vaters ein Mahl zu veranstalten ( δαῖτα προτίθενται - IV, 26.1), wo unter anderem auch der tote Vater selbst verzehrt wird. Den Brauch, Tote zu verzehren wird darüber hinaus auch in I, 216.2 über die Massageten, in III, 38.4 über die Kallatier und in III, 99 über die Padaier berichtet. Während bei den Massageten zumindest erwähnt wird, dass für dieses festliche Mahl alle Angehörigen zusammenkommen ( οἱ προσήκοντές οἱ πάντες συνελθόντες [ … ], ἑψήσαντες δὲ τὰ κρέα κατευωχέονται - I, 216.2), erwähnt der Text bei den Padaiern kein Treffen zum Mahl, sondern betont lediglich, dass die Toten feierlich verzehrt werden ( κατευωχέονται - III, 99.1+2). Coulet hebt mit Verweis auf Schmitt Pantel (1992, S. 426) hervor, dass für die Issedonen, Padaier und Massageten, also die Bewohner der entlegensten Regionen, das Totenmahl als die einzige Form echter Kommensalität geschildert wird (Coulet [1994], S. 57 f.). Nur in der Darstellung der Kallatier, bei denen der Text durch die Verwendung von κατεσθίειν ( κατεσθίουσι - III, 38.4) in erster Linie hervorhebt, dass das Verzehren ihrer toten Eltern vollständig ist, bleibt der Kontext völlig unbewertet (zur Verwendung von κατεσθίειν in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.7 mit Anm. 511). Bei den Massageten und Padaiern dagegen wird κατευωχεῖσθαι verwendet, was auf einen feierlichen Kontext hinweisen kann (zur Bedeutung von κατευωχεῖσθαι siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10), und zudem wird bei den Massageten ja auch das gemeinschaftliche 216 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="217"?> Text in den Historien aber von einigen Symposia, bei denen die Beschäftigung mit dem Tod eine zentrale Rolle spielt, deren Anlässe aber nicht in direkter Verbindung mit dem Sterben stehen, wie es bei Begräbnissymposia der Fall wäre. Es geht bei diesen Symposia daher nicht um das Gedenken an Verstorbene, sondern um das Betonen des Lebens im Hier und Jetzt und den Verlust, den der Tod mit sich bringt. Durch die Intensivierung der Wahrnehmung in der besonderen Atmosphäre eines Symposions ergibt sich eine Situation, die sich für philosophische Perspektiven mit Blick auf das menschliche Leben hin öffnet und wo diese eindrücklich vermittelt werden können. Während der Glaube an die Unsterblichkeit des Menschen als Thematik im Rahmen von Symposia in Herodots Historien lediglich in der im vorherigen Kapitel analysierten Bewirtung des Geten Salmoxis ihren Platz findet (IV, 95.2 - 3), 756 erweisen sich Symposia an anderen Textstellen mehrfach als Orte, an denen durch die Einsicht der eigenen Vergänglichkeit der Lebensgenuss im Moment gesteigert wird. Symposia bzw. besondere Trinkverhalten, bei denen die intensivierte Wahrnehmung des momentanen Genusses im Vordergrund stehen, sollen nun in diesem Kapitel untersucht werden. Obwohl die Betonung der allgemeinen Kürze des Lebens und der damit verbundene Genuss des Augenblicks im Symposion ein Merkmal zahlreicher Fragmente in der frühgriechischen Lyrik ist, 757 wird kein griechisches Symposion in Herodots Historien geschildert, bei dem diese Thematik zu erkennen ist. 758 Stattdessen ist die Darstellung der ägyptischen Symposionsbräuche im Rahmen der ethnographischen Beschreibung Ägyptens für diese Thematik von Bedeutung. Wie bereits erwähnt, ist diese die einzige Stelle in den Historien, wo ein Symposion im griechischen Text als τὸ συμπόσιον bezeichnet wird ( ταῦτα Zusammenkommen beschrieben ( οἱ προσήκοντές οἱ πάντες συνελθόντες - I, 216.2). Bei den Issedonen wird sogar eine δαίς veranstaltet ( δαῖτα προτίθενται - IV, 26.1), was ebenso auf ein gemeinschaftliches Mahl hinweist (zur Bedeutung von δαίς siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.5). Somit wird auch ‚ Nicht-Griechen ‘ in Herodots Historien beim Ausüben eines für sie gewöhnlichen kannibalischen Bestattungsbrauchs die Fähigkeit zur Organisation eines Festmahls zugeschrieben; vgl. dazu auch Schmitt Pantels Ausführungen (1992), S. 491. 756 Darauf wurde bereits hingewiesen (siehe S. 207 f.). 757 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. 758 Bei Attaginos ’ Gastmahl in Theben (IX, 15.4 - 16.5) wird zwar die noch verbleibende kurze Lebensdauer der persischen Soldaten beklagt, allerdings wird dieses Bedauern erstens durch einen Perser ausgesprochen und betrifft zweitens nicht die allgemeine Kürze des Lebens aller Menschen, sondern den drohenden Tod der Soldaten durch die anstehende Schlacht. An dieser Stelle ist es in erster Linie die Abhängigkeit des Menschen, über die reflektiert wird, nicht die allgemeine Kürze des menschlichen Lebens. Vgl. zur Analyse dieses Symposions Kap. 3.1.2. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 217 <?page no="218"?> μὲν παρὰ τὰ συμπόσια ποιεῦσι - II, 79.1). 759 Das Treffen wird zudem als συνουσίη ( ἐν δὲ τῇσι συνουσίῃσι - II, 78) umschrieben und die Teilnehmer daran als οἱ συμπόται benannt ( ἑκάστῳ τῶν συμποτέων - II, 78). 760 An der Häufung der Wörter mit dem Präfix συν wird deutlich, dass die Gemeinschaft hier besonders hervorgehoben wird. In dieser sympotischen Gemeinschaft wird nun auf ganz besondere Art und Weise an die Kürze des Lebens erinnert und an den momentanen Genuss im Leben appelliert. Den Gästen, die zu den wohlhabenden Ägyptern gehören ( ἐν δὲ τῇσι συνουσίῃσι τοῖσι εὐδαίμοσι αὐτῶν - II, 78), wird nun ein aus Holz nachgebildeter Leichnam, der detailgetreu angemalt und ausgearbeitet wurde, in einem Sarg liegend gezeigt ( περιφέρει ἀνὴρ νεκρὸν ἐν σορῷ ξύλινον πεποιημένον , μεμιμημένον ἐς τὰ μάλιστα καὶ γραφῇ καὶ ἔργῳ - II, 78).Durch das Verb περιφέρειν verweist der Text auf die typische Platzierung der Symposiasten nach griechischer Sitte, die so angeordnet sein muss, dass alle Symposiasten gleichberechtigt in das Geschehen involviert sind. 761 Der Mann, der den Leichnam trägt, muss also nur im Kreis gehen, um diesen jedem einzelnen Symposiasten zeigen zu können ( δεικνὺς δὲ ἑκάστῳ τῶν συμποτέων - II, 78). Dabei fordert er den jeweiligen Mitzecher auf, das Abbild anzusehen, dabei zu trinken und sich zu erfreuen, da man nach dem Tod wie dieser Leichnam sein werde ( Ἐς τοῦτον ὁρέων πῖνέ τε καὶ τέρπευ · ἔσεαι γὰρ ἀποθανὼν τοιοῦτος - II, 78). 762 Dass er diesen jedem persönlich zeigt 759 Siehe Kap. 2.2.5.1. 760 Mit diesen Termini ist jeweils Gemeinschaft verbunden: Zur Verwendung von συνουσίη siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.4 und für ὁ συμπότης sowie für τὸ συμπόσιον Kap. 2.2.5.1. 761 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.2 mit Anm. 314. 762 Zum Teil wird dieses Vorgehen der Ägypter auch mit dem Osiris-Kult in Verbindung gebracht (vgl. Stein [1902], S. 88; auf Steins Deutung verweisen auch How/ Wells [1912a], S. 206). Plutarch erwähnt diesen ägyptischen Brauch in der Schrift De Iside et Osiride (Plut. mor. 357 F): Dort wird betont, dass dieser hölzerne Leichnam keine Erinnerung an Osiris ’ Leiden sein solle, sondern eben eine Aufforderung an die Symposiasten, den momentanen Augenblick zu genießen, da man bald so werden würde, wie der Leichnam bereits ist (vgl. auch dazu Stein [1902], S. 88; How/ Wells [1912a], S. 206; Wöhrle [1990], S. 292). Wöhrle (1990, S. 292) bemerkt, dass sich Plutarchs Deutung der früheste neuzeitliche Kommentator des zweiten Buchs von Herodots Historien, Wiedemann (1890), und dann auch von Bissing (1912) angeschlossen haben. So erklärt z. B. Wiedemann: „ Sachliche Gründe verbieten auch mit Stein an ein Bild des Osiris als König der Todten zu denken, denn dieses symbolisirt nicht den Tod und die Vergänglichkeit, sondern im Gegentheile die Auferstehung und das ewige Leben; “ (Wiedemann [1890], S. 331). Siehe auch Wiedemanns weitere Deutung ebd., S. 331 f. bzw. deren Zusammenfassung durch Wöhrle (1990), S. 292 f. Insgesamt wird dieses Vorgehen der Ägypter „ meist als Aufforderung zum Lebensgenuß im Sinne der eben zitierten Passage bei Plutarch “ gesehen (Wöhrle [1990], S. 293). Wöhrle (1990, S. 293) macht außerdem mit Verweis auf u. a. Wiedemann (1890, S. 332), Stein (1902, S. 88) und Lloyd (1976, S. 337) darauf aufmerksam, 218 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="219"?> und auch jeden persönlich ermahnt und die Aufforderung nicht nur einmal in der Mitte des Raumes ausspricht, betont den Nachdruck, mit dem diese Ansicht vermittelt wird. Der Text stellt diesen Ablauf zudem als allgemeingültig für ägyptische Symposia dar ( ταῦτα μὲν παρὰ τὰ συμπόσια ποιεῦσι - II, 79.1). So zeigt er anhand dieser Aufforderung und Erinnerung an die Vergänglichkeit im Rahmen dieses Brauchs, dass bei den ägyptischen Symposia in der Darstellung der Historien der Genuss des Augenblicks intensiviert wird. Der Tod ist in dieser Sichtweise nichts, was etwas Gutes bringen wird, er wird jeden Menschen wie den hölzernen Leichnam regungslos machen. Ein Weiterexistieren nach dem Tod wird nicht erwähnt. 763 An späterer Stelle in den Historien, im fünften Buch, wird zwar nicht im Kontext eines Symposions, aber durch eine im Text dennoch ähnlich dargestellte Szenerie die gegenteilige Ansicht eines Volkes auf das Leben und den Tod erwähnt. Ich möchte daher kurz auf diese Textstelle eingehen, um anschließend einen Bezug zu den ägyptischen Symposia in II, 78 herstellen zu können. Es handelt sich hier um den thrakischen Volksstamm der Trauser. Bei den Trausern setzen sich nach der Geburt eines Menschen die Angehörigen um diesen herum und beklagen ihn, da er nun nach seinem Entstehen so viele Übel im Leben durchstehen müsse ( τὸν μὲν γενόμενον περιιζόμενοι οἱ προσήκοντες ὀλοφύρονται , ὅσα μιν δεῖ ἐπείτε ἐγένετο ἀναπλῆσαι κακά - dass dieser „ Aufruf zum Lebensgenuß “ in die ägyptische „‚ Philosophie ‘“ passe; „ zwar haben sich keine Quellen gefunden, die die Sitte unmittelbar bestätigen, doch wird in einer Reihe von Liedern ein pessimistischer Aufruf zum Lebensgenuß deutlich “ (Wöhrle [1990], S. 293; vgl. auch Asheri et al. [2007], S. 292 f.); vgl. dazu aber auch Grottanelli (1995), S. 78 - 83; Hobden (2013), S. 84/ Anm. 45: Zur Problematik der möglichen Fehldeutung dieser ägyptischen Mahnung zum Genuss des Lebens siehe Anm. 774. Für eine Übersicht über die weitere Rezeption inklusive Deutung dieser Textpassage (II, 78) aus Herodots Historien siehe Wöhrle (1990), S. 295 - 301. 763 Wenn die Ägypter also, wie der Text berichtet, diejenigen gewesen seien, die den Glauben an die Unsterblichkeit der menschlichen Seele und die Seelenwanderung als Erste ausgesprochen hätten ( πρῶτοι δὲ καὶ τόνδε τὸν λόγον Αἰγύπτιοί εἰσι οἱ εἰπόντες , ὡς ἀνθρώπου ψυχὴ ἀθάνατός ἐστι , τοῦ σώματος δὲ καταφθίνοντος ἐς ἄλλο ζῷον αἰεὶ γινόμενον ἐσδύεται - II, 123.2), so zeigt es sich in der Darstellung der Historien durch den allgemeinen Brauch bei den ägyptischen Symposia, dass die Gedanken über die Unsterblichkeit der Seele zwar auf sie zurückgehen mögen - wie auch der Bericht über Rhampsinits Aufenthalt in der Unterwelt (II, 122 - 123.1) - , aber die Ägypter selbst nicht generell daran glauben. Bezüglich der Lehre der Unsterblichkeit der Seele und der Seelenwanderung ist außerdem lediglich die Rede davon, dass die Ägypter diese Lehre nur als Erste ausgesprochen hätten ( πρῶτοι [ … ] Αἰγύπτιοί εἰσι οἱ εἰ πόντες - II, 123.2), dass sie auch daran glauben, wird hier nicht erwähnt. Darauf, dass die Seelenwanderung ohnehin keine ägpytische Erfindung ist, habe ich bereits im Rahmen der Analyse von Salmoxis ’ Symposia (Kap. 3.3.1) hingewiesen. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 219 <?page no="220"?> V, 4.2). 764 Sie führen dabei sämtliche Leiden an, die durch das Adjektiv ἀνθρωπήιος näher beschrieben werden, sodass der Text offenlegt, dass diese Übel eindeutig mit dem Menschsein zu tun haben ( ἀπηγεόμενοι τὰ ἀνθρωπήια πάντα πάθεα - V, 4.2). Den Gestorbenen allerdings begraben sie scherzend und in vergnüglicher Stimmung ( τὸν δ᾽ ἀπογενόμενον παίζοντές τε καὶ ἡδόμενοι γῇ κρύπτουσι - V, 4.2), wobei sie dazu benennen, von wie vielen Übeln er sich nun befreit habe und sich nun in gänzlich glücklicher Lage befinde ( ἐπιλέγοντες ὅσων κακῶν ἐξαπαλλαχθείς ἐστι ἐν πάσῃ εὐδαιμονίῃ - V, 4.2). Dadurch dass der Text das Neugeborene zunächst als ὁ γινόμενος und den Verstorbenen als ὁ ἀπογινόμενος bezeichnet, also durch eine substantivierte Partizipialform von γίγνεσθαι bzw. ἀπογίγνεσθαι im Präsens, als dieser Brauch im Allgemeinen beschrieben wird ( κατὰ δὲ τὸν γινόμενον σφίσι καὶ ἀπογινόμενον ποιεῦσι τοιάδε - V, 4.1), wird der Vorgang der Geburt und des Todes nicht als statisches Ereignis ausgedrückt, sondern als Entstehen und Vergehen. 765 Die Aussicht auf den Tod, der für sie kein endgültiges Ende bedeutet, ist für die Trauser somit nicht erschreckend. Stattdessen folgt ein glückliches Jenseits, in dem der aus dem Leben Geschiedene in aller Glückseligkeit ( ἐν πάσῃ εὐδαιμονίῃ - V, 4.2) weiterexistiert. Wie auch ein anderer Stamm der Thraker, die Geten, glauben sie an eine glücklichere Zeit nach dem Tod. In der Darstellung der Historien geht der getische Unsterblichkeitsglaube auf die Lehre des Salmoxis zurück (IV, 95.3). 766 Den Brauch der Trauser aber erwähnt der Text getrennt von den Geten und grenzt die Trauser damit nicht nur von allen anderen Thrakern, sondern auch von den Geten ab. So wird im Text daran erinnert, dass über die 764 Asheri (1990, S. 149) merkt an, dass es sich hier um eine allgemeine Regel zu handeln scheint und nicht um ein Privileg einiger weniger Glücklicher wie bei den Geten (IV, 95.3). Er sieht im Beklagen des neugeborenen Kindes wegen der vielen Leiden in der Welt „ a pessimistic commonplace of popular wisdom common to all peoples and times “ (ebd.). Dabei verweist Asheri (ebd.) unter anderem auf Thgn. 425 - 428 West: πάντων μὲν μὴ φῦναι ἐπιχθονίοισιν ἄριστον , / μηδ᾽ ἐσιδεῖν αὐγὰς ὀξέος ἠελίου , / φύντα δ᾽ ὅπως ὤκιστα πύλας Ἀΐδαο περῆσαι / καὶ κεῖσθαι πολλὴν γῆν ἐπαμησάμενον . Siehe dazu auch Anm. 278); vgl. auch Xydopoulos (2007), S. 600; Hornblower (2013), S. 98; Rhodes (2019), S. 159. Während in Herodots Historien diese Sichtweise bei den Persern in VII, 46.2 - 4 (vgl. Rhodes [2019], S. 159) durchaus ersichtlich wird, wird sie bei den Griechen nicht angesprochen und für die Ägypter kann aus deren Darstellung in den Historien sogar eine gegenteilige Einstellung erschlossen werden. Denn in der Schilderung ihrer Sitte bei den Symposia in II, 78 liegt die Betonung auf der Freude im Diesseits und das Ende dieser Vergnügungen ist durch den hölzernen Leichnam symbolisiert. 765 Vgl. Nenci (1994, S. 159): „ vita e morte sono concepite come γίγνεσθαι e ἀπογίγνεσθαι , nel ciclo del divenire e venir meno. “ Sobald der Zeitpunkt der Geburt bzw. des Todes dann tatsächlich eingetreten ist und die Klage um das Neugeborene und die Freude am Begräbnis des Toten ausgedrückt wird, wird das Partizip im Aorist verwendet ( τὸν μὲν γενόμενον [ … ], τὸν δ᾽ ἀπογενόμενον - V, 4.2). 766 Vgl. dazu Kap. 3.3.1. 220 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="221"?> Sitten der Geten, die an die Unsterblichkeit glauben, bereits zuvor berichtet worden sei ( τούτων δὲ τὰ μὲν Γέται οἱ ἀθανατίζοντες 767 ποιεῦσι , εἴρηταί μοι - V, 4.1), und nun stellt der Text getrennt davon heraus, dass die Trauser zwar in allem anderen mit den übrigen Thrakern übereinstimmen, aber eben in ihrem Brauch bei Geburt und Tod eines Menschen, der hier geschildert wird, von den anderen Thrakern - und damit auch von den Geten - abweichen ( Τραυσοὶ δὲ τὰ μὲν ἄλλα πάντα κατὰ ταὐτὰ τοῖσι ἄλλοισι Θρήιξι ἐπιτελέουσι , κατὰ δὲ τὸν γινόμενον σφίσι καὶ ἀπογινόμενον ποιεῦσι τοιάδε - V, 4.1). Gemeinsam ist diesen beiden thrakischen Stämmen aber der Glaube an ein glückliches Leben im Jenseits. Während bei der Darstellung der Geten die Betonung auf Salmoxis ’ Lehre der Unsterblichkeit liegt, werden bei den Trausern neben der Aussicht auf ein glückliches Dasein im Jenseits jedoch auch die Schrecken des Diesseits betont, indem das Neugeborene von seinen Angehörigen beklagt wird, während sie um es herumsitzen ( περιιζόμενοι - V, 4.2). 768 Diese Szenerie erinnert an die Darstellung der ägyptischen Symposia, bei denen einer der Männer den hölzernen Leichnam in einem Sarg herumträgt ( περιφέρει - II, 78). Das Neugeborene inmitten der Trauser erweckt Mitleid aufgrund der vielen Leiden, die ihm noch bevorstehen, während in gleicher Position der hölzerne Leichnam inmitten der Ägypter an den endgültigen Tod erinnert und zugleich zum Genuss des Augenblicks ermahnen soll. Somit werden die wohlhabenden Ägypter, die schon im Leben als εὐδαίμονες bezeichnet werden ( ἐν δὲ τῇσι συνουσίῃσι τοῖσι εὐδαίμοσι αὐτῶν - II, 78), 769 dazu aufgefordert, die noch 767 Zur Bedeutung von ἀθανατίζειν siehe Anm. 696. 768 Der Tod als Befreiung von den menschlichen Übeln ist ebenfalls ein gängiges Thema in der frühgriechischen Lyrik, vgl. dazu Anm. 278, wobei dort nicht die Rede von einer postmortalen Existenz ist. Dennoch bemerkt Asheri (1990, S. 149) zu Recht, dass es sich hier um eine griechische, rationalistische Erklärung eines Brauchs handele, dessen wahre Bedeutung in Wahrheit ganz anders gewesen sein könnte. Dass die Darstellung des ägyptischen Symposionsbrauchs in II, 78 wohl eine interpretatio Graeca ist, wird im Folgenden ausgeführt (S. 222 - 225). 769 Wöhrle (1990, S. 295) erinnert mit Blick auf das herodoteische Weltbild bezüglich der Wandelbarkeit des Schicksals an die Textstellen I, 32 und VII, 46. Auch wenn die „ Möglichkeit des Glückes [ … ] dabei dem Menschen nicht grundsätzlich abgesprochen “ wird, betont Wöhrle, dass eben „ der Blick auf das Ende “ entscheidend sei. „ So rechnet es Solon dem Kroisos vor (1, 32), der ganz empört ist (ebd.), daß seine εὐδαιμονίη so gering geachtet wird, und so erklärt es Artabanos dem Xerxes (7, 46). Daß von einem Ende des Glückes ganz besonders die Reichen und Mächtigen betroffen sind, ist klar; und so ist es auch sinnvoll, daß es die εὐδαίμονες (2, 78) sind, die bei den ägyptischen Gelagen auf den Unbestand ihres Daseins aufmerksam gemacht werden “ (Wöhrle [1990], S. 295). Damit stützt Wöhrle seine Interpretation, die Aufforderung zu trinken und vergnüglich zu sein, sage aus, dass man auch „ im Genuß [ … ] an die eigene Sterblichkeit denken “ solle (Wöhrle [1990], S. 294; vgl. zu seiner Deutung Anm. 775). Dieser Gedanke, dass auch die reichen Ägypter, die hier nun (noch) Symposia feiern auch von einem plötzlichen Schicksals- 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 221 <?page no="222"?> bestehenden Freuden im Diesseits zu genießen. Bei den Trausern dagegen befindet sich erst der Verstorbene in völliger Glückseligkeit ( ἐν πάσῃ εὐδαιμονίῃ - V, 4.2). Auf diese Weise stellt der Text durch die ähnliche äußere Darstellung einen Bezug zwischen den gegensätzlichen Bewertungen der Lebenszeit von Ägyptern und Trausern her. In welchem Rahmen der Brauch der Trauser umgesetzt wird, erwähnt der Text nicht, wohingegen die Ägypter der Kürze des Lebens explizit in einem Symposion gedenken. So wird das Symposion in der Darstellung der Historien als Symbol der intensivierten Wahrnehmung des momentanen Genusses im Diesseits hervorgehoben, nicht aber als Ort der Klage über die menschlichen Leiden während des Lebens. Es sind also die ägyptischen Symposia in Herodots Historien, in deren Darstellung die Kürze des Lebens thematisiert wird. Damit führen diese die schlag gefährdet sind, woran durch die Bezeichnung als εὐδαίμονες erinnert wird, ist keineswegs zu verwerfen, sondern eine wichtige Beobachtung, die diese Darstellung in den großen Kontext der Historien sinnvoll einbindet. Schließlich werden εὐδαιμονίη und das zugehörige Adjektiv εὐδαίμων sowie das Verb εὐδαιμονέειν nicht nur an den Textstellen I, 32.1 (zweimal) und VII, 46.3, sondern auch darüber hinaus mehrfach verwendet, um einen gücklichen Zustand zu beschreiben, der durch die Wandelbarkeit des Schicksals gefährdet ist oder sich bereits zum Unglück hin verändert hat (vgl. I, 5.4 / I, 86.6 / II, 161.2 / III, 14.10 / III, 59.2). Somit ist eine implizite Verbindung zu diesem Weltbild sicherlich gegeben. Der Text selbst gibt allerdings die explizite Ermahnung zum vergnüglichen Trinken im Hier und Jetzt wieder, die damit im Vordergrund steht. Nicht an allen Textstellen in den Historien, an denen εὐδαιμονίη , εὐδαίμων oder εὐδαιμονέειν verwendet werden, ist außerdem ein expliziter Bezug zur Wandelbarkeit des Schicksals gegeben. So werden diese Wörter auch mehrfach wie hier in II, 78 verwendet, um den Wohlstand oder das Glück bzw. eine insgesamt glückliche Lage auszudrücken, unabhängig davon, ob dieser Zustand in Zukunft möglicherweise in Unglück umschlägt (I, 87.3 / I, 133.1 / I, 170.1+2 / I, 196.2 / II, 177.1 / III, 52.4 / IV, 159.2 / V, 8 / V, 28 / V, 31.3 / VI, 67.3 / VII, 220.2 / VIII, 111.2). In V, 81.2 begründet der Text ein übermütiges Verhalten der Aigineten durch deren εὐδαιμονίη . Dort wird die εὐδαιμονίη also selbst zum Auslöser für ein negatives Verhalten, das allerdings Erfolg nach sich zieht, da es den Aigineten gelingt, ihren Feinden, den Athenern, großen Schaden zuzufügen (V, 81.3). In V, 4.2 wird durch εὐδαιμονίη nun schließlich die Glückseligkeit nach dem Tod beschrieben, worauf die irdischen Schicksalsschläge keinen Einfluss mehr haben. Nenci (1994, S. 161) hebt hervor, dass εὐδαιμονίη in Herodots Historien nur an dieser Stelle das Wohlergehen im Jenseits ausdrückt und so auch nie zuvor bezeugt wurde. Für die Bezeichnung der wohlhabenden Ägypter in II, 78 als εὐδαίμονες lässt sich also durch die Betrachtung der Verwendung von εὐδαιμονίη , εὐδαίμων oder εὐδαιμονέειν in den Historien sagen, dass hier zwar implizit angedeutet wird, dass für die momentan wohlhabenden Ägypter die Möglichkeit besteht, dass ihnen ihr Wohlstand vor dem Tod bereits durch ein Unglück genommen wird, sodass sie somit ihr Leben womöglich nicht mehr weiter genießen können, allerdings wird dies durch die Beschreibung der Ägypter als εὐδαίμονες nur implizit angedeutet. Im Vordergrund steht die explizite Aufforderung, das Leben, das der Tod beenden wird, im Symposion zu genießen - unabhängig davon, was im Leben möglicherweise noch eintreten kann. 222 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="223"?> Thematik einiger Fragmente der frühgriechischen Lyrik weiter. 770 Bei den Griechen ist der Glaube an eine Fortexistenz nach dem Tod nicht verbreitet, schon gar nicht, dass dort weiterhin körperliche Freuden erlebt werden können. 771 Aufrufe zum Lebensgenuss sind zwar - gemäß einiger Interpretationen - in ägyptischen Texten bzw. Liedern bezeugt, 772 aber der Glaube an eine Weiterexistenz im Jenseits, der auch den Erhalt der physischen Wahrnehmung miteinschließt, ist ebenso in Ägypten verbreitet, was wiederum an ihrem Brauch der Mumifizierung sichtbar wird. 773 Der Text nun betont in seiner Darstellung des ägyptischen Symposionsbrauchs das den griechischen Rezipienten vertraute Carpe-Diem-Motiv. 774 Ein möglicher anderer Hintergrund dieses ägyptischen Brauchs wird dagegen nicht thematisiert; dies zeugt von einer interpretatio Graeca dieser ägyptischen Symposia in Herodots Historien. 775 770 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. Als besonders ähnlich erscheint hier Alkaios ’ fr. 38a Voigt; vgl. auch Wöhrle (1990), S. 294. Nach dem Appel ‚ Trinke mit mir Melanippos ‘ folgt eine Frage: Warum (meinst du), du werdest, wenn du erst einmal den wirbelnden Acheron überquert hast, das reine Licht der Sonne (wieder)sehen? (Strebe) nicht nach Zielen, die nicht erreichbar sind! (Übersetzung: Rösler [1980], S. 266). Zunächst wird hier Melanippos aufgefordert zu trinken (1). An der Frage danach wird deutlich, dass der Sprecher die Ansicht seines angesprochenen Mitsymposiasten nicht teilt, der an ein neues Leben nach dem Tod zu glauben scheint (1 - 4); vgl. dazu Rösler (1980), S. 266 - 268 bzw. Anm. 278 in der vorliegenden Arbeit. Anschließend festigt der Sprecher seine Meinung durch ein Beispiel aus der Mythologie (5 - 10); vgl. Rösler (1980), S. 269. Während die Mahnung in Herodots Historien in II, 78, das nur kurze Leben zu genießen, im Sinne eines Carpe-Diem gedeutet werden kann, hat der Fragesatz in Alkaios ’ fr. 38a Voigt wie Rösler (1980, S. 267) bemerkt „ keinen begründenden Charakter “ und damit keinen „ sachlichen Bezug zu dem vorhergehenden sympotischen Appell “ , somit besteht die Parallele nicht im Aufruf zum Trinken, um das noch kurze Leben zu genießen, sondern in der Ansicht, dass es nach dem Leben nur noch den Tod gibt. 771 Vgl. Murray (1988), bes. S. 240 f., S. 249 - 251. Murray (1988, S. 240) beschreibt die vorherrschende Bewertung des Todes durch die Griechen als „ absence of all that there is in life “ . 772 Vgl. Anm. 762 sowie Anm. 774. 773 Vgl. Murray (1988), S. 251; Grottanelli (1995), S. 79; Murray (2016), S. 663, S. 666. Davon, dass die Ägypter die Ersten waren, die den Gedanken der Unsterblichkeit - zumindest der Seele - ausgesprochen hätten, berichtet der Text in II, 123.2. Allerdings bleibt dort unerwähnt, ob die Ägypter daran auch glauben; vgl. dazu die Ausführungen in Anm. 763. 774 Vgl. Grottanelli (1995), S. 65 - 67; dafür, dass dieses Motiv den Griechen vertraut war, vgl. Wöhrle (1990), S. 294 mit Anm. 11; Grottanelli (1995), S. 67. Mit Verweis auf Murray (1988) bemerkt Grottanelli (ebd.), dass dieses griechische ‚ Kulturmerkmal ‘ (= „ genuinely Greek cultural trait “ ) oft durch die Gegenüberstellung zwischen Tod und Symposion zum Ausdruck komme; als Beispiel dafür nennt Grottanelli (ebd.) Thgn. 973 - 978 West. 775 Wöhrle (1990, S. 294) betont mit Verweis auf Lichtheim (1945, S. 210 f.), dass generell der „ pessimistische[n] oder skeptische[n] Unterton “ dieser Texte bzw. Lieder mit dem „ Motiv der Vergänglichkeit, verbunden mit der Aufforderung zum Lebensgenuß “ nicht gefahrlos „ unmittelbar mit ähnlichen Vorstellungen anderer Völker und anderer Literaturen in 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 223 <?page no="224"?> Diese These wird dadurch bestärkt, dass nicht nur der thematische Kontext dabei an ein griechisches Symposion erinnert. Denn der Text stellt in seiner Darstellung diese ägyptischen Symposia, die er zudem als einzige Symposia in den Historien mit dem griechischen Begriff συμπόσια (II, 79.1) umschreibt, nicht nur thematisch und terminologisch, 776 sondern auch in ihrem äußeren Setting mit einem typischen griechischen Symposion gleich. Die Sitzordnung, für die angenommen werden kann, dass alle gleichberechtigt in das Geschehen involviert werden können, ist weiter oben bereits angesprochen. 777 Dazu kommt, dass der Text angibt, dass auch die Symposia der Ägypter wie auch die der Griechen mit einem gemeinsamen Essen beginnen. Denn erst nach dem Essen Verbindung [gebracht werden können], ohne den unter Umständen ganz andersartigen kulturellen, religiösen und weltanschaulichen Kontext in Betracht zu ziehen. So muß man sich bewußt sein, daß es sich bei der Deutung der ägyptischen Sitte im Lichte der Vorstellung des ‚ carpe diem ‘ [ … ] letztlich um eine interpretatio Graeca handelt - , der insbesondere der transzendentale Aspekt der ägyptischen Lieder mangelt. “ Grottanelli (1995, S. 78 - 83) macht ohnehin darauf aufmerksam, dass der Kontext dieser ägyptischen Texte bzw. Lieder umstritten ist (vgl. dazu auch Grottanellis Verweise ebd.): Während sie einerseits als Aufforderung zum Lebensgenuss im Sinne einer Carpe-Diem-Sichtweise angesehen werden, werden sie andererseits als ausschließlich an die Verstorbenen gerichtet und damit mit Bezug auf den Genuss des Daseins nach dem Tod gedeutet (vgl. Grottanelli [1995], S. 79 f.); vgl. auch Hobden (2013), S. 84/ Anm. 45. Davon unabhängig sieht Wöhrle (1990, S. 294) mit Blick auf das herodoteische Weltbild „ die Passage in 2, 78 doch weit besser als ein ‚ respice finem ‘ denn als ein ‚ carpe diem ‘“ verstanden: „ Nicht angesichts des Todes und der Vergänglichkeit wird zum Genuß aufgefordert, sondern auch im Genuß soll man an die eigene Sterblichkeit denken [ … ] “ . Daher werde „ nach dem Mahle das Sinnbild der Vergänglichkeit herumgetragen. Die Anschauung von der Unbeständigkeit der menschlichen Güter gehört zum Grundbestand des herodoteischen Geschichtswerkes. “ (Wöhrle [1990], S. 294 f.; siehe dazu auch Wöhrles weitere Ausführungen ebd.). Dies ist sicherlich richtig. Da hier aber im Gegensatz zu zahlreichen anderen Textstellen in Herodots Historien (vgl. Anm. 625) nicht ein bereits eingetretener oder drohender Schicksalswandel im Vordergrund der Darstellung steht, sondern das glückliche Dasein im Hier und Jetzt und die Aufforderung zum Lebensgenuss, interpretiere ich die Aufforderung an dieser Textstelle der Historien (II, 78) in erster Linie vor dem Hintergrund eines Carpe-Diem-Motivs und in dieser Hinsicht als interpretatio Graeca; vgl. dazu auch Anm. 769. 776 Auch die Ausdrücke συμπότης und συμπίνειν verwendet der Text fast ausschließlich im Kontext ägyptischer Symposia (vgl. συμπίνειν in II, 121 δ .4 und συμπότης hier in II, 78 sowie in II, 173.1 / III, 14.7; die Ausnahme bilden die Mitsymposiasten des Geten Salmoxis in IV, 95.3); siehe dazu die genaueren Ausführungen in Kap. 2.2.5.1. Zudem werden in den Historien nur an einer Stelle - ebenfalls in einem ägyptischen Kontext - die Bezeichnungen Hetairos und Sympotes in Verbindung erwähnt (III, 14.7); siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.4.2. Auch terminologisch wird also in den Historien ein griechisches Verständnis der ägyptischen Symposia in den Historien erkennbar. 777 Siehe S. 218. 224 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="225"?> ( ἐπεὰν ἀπὸ δείπνου γένωνται - II, 78) 778 und damit beim gemeinsamen Trinken wird der Brauch mit dem hölzernen Leichnam durchgeführt. Und auch, dass es sich dabei um ein Zusammentreffen von Wohlhabenden handelt, stimmt mit dem griechischen Symposion überein. 779 Ein solcher Brauch, bei dem das intensivierte Wahrnehmen des momentanen Augenblicks im Symposion in der Einsicht der allgemeinen Kürze des menschlichen Lebens begründet liegt, wird im Text keinem anderen Volk in den Historien zugeschrieben. 780 Stattdessen berichtet der Text bei seinen Darstellungen von zwei ägyptischen Königen, Mykerinos und Amasis, die zudem auch beide in den Historien als gute Menschen und Könige dargestellt werden, 781 von Symposia bzw. Trinkgelagen 782 , bei denen der Genuss des Augenblicks im Mittelpunkt steht. In der Darstellung der Historien versucht Mykerinos durch die Änderung seines Lebensstils, seine von dem Orakel in Buto prophezeite, nur noch sechs Jahre andauernde Lebenszeit nicht nur auszunutzen, sondern sogar zu verdoppeln, indem er Tag und Nacht trinkt und sich sämtlichen Vergnügungen hingibt (II, 133). Mykerinos hadert mit dieser Prophezeiung, da ausgerechnet er, der seiner Ansicht nach, ein frommes Leben führt ( αὐτὸς δ᾽εὐσεβὴς ἐὼν μέλλοι ταχέως οὕτω τελευτήσειν - II, 133.2), 783 so früh sterben müsse, während sein 778 Zur mehrfach gebrauchten Wendung ἀπὸ δείπνου γίγνεσθαι / εἶναι in Herodots Historien, mit der der Text das Ende des Mahlabschnitts bezeichnet, siehe Kap. 2.2.5.6 mit Anm. 480. 779 Siehe dazu Kap. 2.2.3.3.1. 780 Vgl. dazu Anm. 758. 781 Vgl. auch Coulet (1994), S. 69. Vgl. dazu, dass Amasis in der Darstellung von Herodots Historien klug und bedacht agiert, die Ausführungen von Schelske (2021), S. 235 - 239. Hobden (2013, S. 84) ist der Meinung, dass der in II, 78 geschilderte ägyptische Brauch den Ägyptern eine „ moral sensibility “ verleihe, die thematisch auch zu Mykerinos ’ Versuch passe, seinen prophezeiten Tod durch seine tagelangen vergnüglichen Gelage zu umgehen. Auf dieses Vorhaben von Mykerinos werde ich im Folgenden eingehen. 782 Da für Mykerinos nicht anzunehmen ist, dass er stets in Gemeinschaft trinkt (vgl. dazu S. 230), ist bei der Bezeichnung seiner Trinkgelage der Begriff ‚ Symposion ‘ bewusst vermieden. 783 Die guten Taten des Mykerinos werden in II, 129.1 - 2 geschildert: Er öffnet die verschlossenen Tempel und befreit das Volk von den aufgezwungenen Arbeiten seiner Vorgänger und wird als gerechter, sorgsamer, großzügiger und milder Richter und König dargestellt. Das Volk ist ihm daher wohlgesinnt (II, 129.2). Dennoch berichtet der Text auch von einem Gerücht, in dem Mykerinos beschuldigt wird, seine eigene Tochter vergewaltigt zu haben ( ὡς Μυκερῖνος ἠράσθη τῆς ἑωυτοῦ θυγατρὸς καὶ ἔπειτα ἐμίγη οἱ ἀεκούσῃ - II, 131.1). Diese hätte sich daraufhin selbst getötet (II, 131.2). Nach einer vom Text als Herodots persönliche Meinung markierten Aussage sei diese Version über den Tod der Tochter allerdings reines Geschwätz ( ταῦτα δὲ λέγουσι φλυηρέοντες , ὡς ἐγὼ δοκέω - II, 131.3). 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 225 <?page no="226"?> Vater und sein Onkel, die sowohl gegen Götter frevelten, als sie die Tempel verschlossen und ihrer nicht gedachten, als auch Menschen zugrunde richteten, lange gelebt hätten ( ὁ μὲν αὐτοῦ πατὴρ καὶ < ὁ > πάτρως ἀποκληίσαντες τὰ ἱρὰ καὶ θεῶν οὐ μεμνημένοι , ἀλλὰ καὶ τοὺς ἀνθρώπους φθείροντες , ἐβίωσαν χρόνον ἐπὶ πολλόν - II, 133.2) 784 . Laut eines zweiten Seherspruchs müsse Mykerinos aber gerade deshalb so früh sterben, da Ägypten 150 Jahre lang schlecht behandelt werden solle ( δεῖν γὰρ Αἴγυπτον κακοῦσθαι ἐπ᾽ ἔτεα πεντήκοντά τε καὶ ἑκατόν - II, 133.3). 785 Als sich Mykerinos über das Los, das ihn getroffen hat, bewusstwird ( ταῦτα ἀκούσαντα τὸν Μυκερῖνον , ὡς κατακεκριμένων ἤδη οἱ τούτων - II, 133.4), versucht er, die Weissagung des Orakels in Buto als lügnerisch zu erweisen ( θέλων τὸ μαντήιον ψευδόμενον ἀποδέξαι - II, 133.4). Dass dieses Ansinnen besonders gewagt und aussichtslos ist, wissen die Leser dadurch, dass der Text dieses Orakel bereits zuvor in den Historien als das am meisten geschätzte Orakel der Ägypter bezeichnet hat ( καὶ τό γε μάλιστα ἐν τιμῇ ἄγονται πάντων τῶν μαντηίων - II, 83); später wird er es noch als das glaubwürdigste beschreiben ( ἔνθα δὴ Αἰγυπτίοισί ἐστι μαντήιον ἀψευδέστατον - II, 152.3), sodass an dieser Stelle erneut ersichtlich werden wird, wie aussichtslos Mykerinos ’ Absicht war. 786 Anders als der namenlose Perser beim Gastmahl des Attaginos, der sich des baldigen Todes vieler seiner Kameraden in der drohenden Schlacht bewusst ist und in völliger Hoffnungslosigkeit verharrt (IX, 16.3 - 5), wird hier deutlich, dass sich Mykerinos zwar in einer ähnlichen hoffnungslosen Situation befindet, sich aber damit nicht abfinden möchte. Er ergibt sich besagter Prophezeiung keineswegs, sondern versucht, soweit es ihm möglich ist, den Beschluss der Gottheit zumindest für seine Bedürfnisse auszureizen. Immerhin ist er ohnehin bereits sozusagen zum Tode verurteilt, sodass diese Höchststrafe nicht erneut über ihn verhängt werden kann. Da Mykerinos seinen Tod so lange wie möglich hinauszögern möchte, zeigt sich zumindest in der Darstellung bei Herodot, dass eine Aussicht auf ein glückliches Leben im Jenseits, wie es Salmoxis die Thraker lehrt (IV, 95.3), für den Ägypter Mykerinos ausgeschlossen ist. Im Mittelpunkt stehen für ihn daher 784 Die Vergehen seines Vaters Cheops und seines Onkels Chephren schildert der Text zuvor (II, 124 - 128). 785 Munson (2001, S. 35) deutet diese Passage in den Historien als Beispiel dafür, dass göttliche Vorschriften dem Handelnden nicht die Freiheit nehmen „ to decide as he wishes “ . 786 Vgl. Lloyd (1988, S. 82): „ The most trusted of all Eg. oracles (n. II, 83). “ Für die Textstellen, die das Orakel als besonders untrüglich darstellen, vgl. West (1998), S. 32 mit Anm. 12. West verweist hier zudem noch auf die Textstellen II, 111.2 und III, 64.3 - 4, wo Prophezeiungen aus Buto erwähnt werden, die in Erfüllung gehen, und auf II, 155 - 156, wo der Text die Orakelstätte genauer beschreibt. 226 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="227"?> nun das Vergnügen des Moments und das Leben im Hier und Jetzt. Diese Einstellung entspricht dem verbreiteten griechischen Weltbild, wie es in der frühgriechischen Lyrik ausgedrückt und im allgemein dargestellten Symposionsbrauch der Ägypter in der Darstellung der Historien (II, 78) fortgeführt wird. 787 Schließlich erwähnt der Text an keiner Stelle eine mögliche tiefergehende, religiöse Interpretation von Mykerinos ’ Handeln, sondern lässt lediglich erkennen, dass er versucht, sein restliches Leben doppelt zu genießen. 788 Denn gemäß der Historien versucht Mykerinos, indem er die Nächte sozusagen zu Tagen macht ( αἱ νύκτες ἡμέραι ποιεύμεναι - II, 133.4) und damit seine noch verbleibenden sechs Jahre zu zwölf (II, 133.4), die Prophezeiung zu überlisten. Die Dunkelheit der Nacht umgeht er, indem er viele Lichter fertigen lässt und anzündet. Dann trinkt er und lässt es sich gut gehen ( λύχνα ποιησάμενον πολλά , ὅκως γίνοιτο νύξ , ἀνάψαντα αὐτά πίνειν τε καὶ εὐπαθέειν - II, 133.4). 789 Um es sich stets - sowohl tagsüber als auch nachts ( οὔτε ἡμέρης οὔτε νυκτὸς ἀνιέντα - II, 133.4) - gut gehen lassen zu können, schweift Mykerinos in den sumpfigen Niederungen und Hainen umher und dort, wo er besonders passende Vergnügungsstätten in Erfahrung bringen konnte ( ἔς τε τὰ ἕλεα καὶ τὰ ἄλσεα πλανώμενον καὶ ἵνα πυνθάνοιτο εἶναι ἐνηβητήρια 790 787 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.2 mit Anm. 278. 788 Vgl. dazu auch Lloyd (1990, S. 243), der im Rahmen seiner Untersuchung zu den Ägyptern und Libyern in den Historien, hervorhebt: „ the moral world and motivation of individuals are unequivocally Greek and in that aspect indistinguishable from those of other nations in the Histories. “ Dass Trunkenheit auch eine religiöse Bedeutung in Ägypten haben kann (vgl. Lloyd [1988], S. 83; Müller [2006d], S. 210), findet in den Historien keinerlei Beachtung. West (2007, S. 323) hebt hervor, dass sich im besonderen Maße an der Erzählung über Mykerinos eine offensichtliche „ ignorance of religious matters “ offenbare und diese weitgehend auf einem Missverständnis der Rituale zu Ehren von Osiris beruhe. 789 Zur Vermutung, dass dies mit dem ägyptischen Ritual der λυχνοκαΐη (II, 62) in Verbindung stehen könnte, vgl. Wiedemann (1890), S. 483 f. sowie auch Lloyd (1988), S. 83 und Schwab (2020), S. 104/ Anm. 61. 790 Vgl. dazu ἐνηβητήριον in LSJ, S. 565: „ place of amusement, Hdt. 2.133 [ … ] “ . Doch kein weiteres Mal ist diese Vokabel in der klassischen griechischen Literatur bezeugt. Der Text scheint also gezielt dieses Wort ausgewählt zu haben, da sich dahinter mehr als nur der Ausdruck einer beliebigen ‚ Vergnügungsstätte ‘ verbirgt. Ein entscheidender Wortbestandteil ist nämlich ἥβη , womit die Blüte und Stärke der Jugend ausgedrückt wird und vor diesem Hintergrund im metaphorischen Sinn Fröhlichkeit und Heiterkeit (vgl. ἥβη in LSJ, S. 762: „ youthful prime, youth, [ … ] b. strength and vigour of youth, [ … ] 2. metaph., cheer, merriment “ ). Das verwandte Adjektiv ἀνηβητήριος wird in der klassischen Literatur nur von Euripides in seiner Tragödie Andromache verwendet (Eur. Andr. 552). Peleus wünscht sich dort seine Jugendkraft ( ἀλλ᾽ ἀνηβητηρίαν / ῥώμην με καὶ νῦν λαμβάνειν , εἴπερ ποτέ - Eur. Andr. 552b - 553), um möglichst schnell laufen zu können. Somit wird bei einem τὸ ἐνηβητήριον ein Ort impliziert, mit dem jugendliche Kraft verbunden ist bzw. wo im übertragenen Sinn jugendliche Freude herrscht. Gerade das ist 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 227 <?page no="228"?> ἐπιτηδεότατα - II, 133.4). Was Mykerinos genau in diesen Sumpfgebieten und Hainen tut, erwähnt der Text nicht. 791 Somit ist nicht zu erwarten, dass er dort überall Trinkgelage aufsucht. Seine dortigen Beschäftigungen sind in erster Linie unter dem Verb εὐπαθέειν aufzufassen. 792 Er lässt es sich dort überall - auf welche Weise auch immer - gut gehen. Dass das Trinken aber ein Zustand dieses Wohllebens ist, wird daran deutlich, dass εὐπαθέειν auch bei seiner zweiten Verwendung in den Historien (II, 174.1) wieder in Kombination mit πίνειν auftritt. Dort wird beschrieben, wie sich der spätere ägyptische König Amasis als Privatmann durch Diebstahl sein Trinken und sein Wohlleben finanzierte ( ὅκως δέ μιν ἐπιλείποι πίνοντά τε καὶ εὐπαθέοντα τὰ ἐπιτήδεα , κλέπτεσκε ἂν περιιών - II, 174.1). Das Trinken wird somit sowohl bei Mykerinos als auch bei Amasis neben εὐπαθέειν explizit erwähnt, was zeigt, dass der Text hier genau diesen Bereich des Wohllebens jeweils besonders hervorheben möchte. Für Mykerinos wird also betont, dass das Trinken für sein Wohlergehen in der Kürze seines noch andauernden Lebens besonders wichtig ist. Die Darstellung von Amasis ’ Trinkverhalten möchte ich zwar an späterer Stelle genauer analysieren, 793 dennoch soll es hier nicht komplett übergangen werden, da auch für ihn der Genuss des Augenblicks beim Symposion als zentral der Ort, den Mykerinos sucht, der sich selbst ja noch für zu jung hält, um zu sterben. Durch die Verwendung von ἐνηβητήριον betont der Text also Mykerinos ’ - zumindest aus seiner Sicht - noch zu junges Alter, auch wenn er natürlich nicht mehr als Jugendlicher zu bewerten ist. Der Text selbst verrät Mykerinos ’ Alter zwar nicht, aber ein Anhaltspunkt dafür, dass er nicht mehr allzu jung sein kann, ist die Erwähnung seiner Tochter, die wiederum bereits selbst verstorben ist (II, 129.3). West (1998, S. 33) erschließt aus der Chronologie von Mykerinos ’ Vorgängern ein Alter für ihn von mindestens 56 Jahren bei Herrschaftsantritt, was „ by ancient standards “ bereits als langes Leben anzusehen sei. Dennoch sucht er gemäß dem Text nach Orten, die am geeignetsten dafür sind ( ἐπιτηδεότατα - II, 133.4), jugendliche Freude zu zeigen und zu erleben. Es wird so sein Ansinnen hervorgehoben, sein noch kurzes Leben in vollster Kraft und Freude zu verbringen. 791 Als Freizeitbeschäftigungen sind in Ägypten allgemein in den Niederungen des Nildeltas z. B. Jagd, Fisch- und Vogelfang bzw. in den Hainen das ‚ Sich-Entspannen ‘ im Schatten unter Bäumen bekannt (vgl. dazu Wiedemann [1890], S. 484 sowie Lloyd [1988], S. 83 und Asheri et al. [2007], S. 336 mit weiteren Literaturverweisen). 792 Unter dem Ausdruck εὐπαθέειν sind alle Beschäftigungen zusammengefasst, die dazu beitragen, dass es jemandem gut geht. Vgl. dazu εὐπαθέω in LSJ, S. 725: „ enjoy oneself, make merry, [ … ] Hdt. 2.133, 174; indulge oneself, live comfortably “ . Die Wortbestandteile εὐ und πάσχειν weisen auf ein Erleben und Erfahren einer angenehmen Situation hin. So umschreibt εὐπαθέειν an den beiden Stellen in den Historien, an denen es auftritt, wie die Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι (zur Bedeutung und Verwendung von εὐπαθείη bzw. dieser Wendung in Herodots Historien siehe Anm. 831) einen Zustand der Freude. 793 Siehe dazu Kap. 4.1.3.1.3. 228 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="229"?> hervorgehoben wird. Auch dieser ist es gewohnt, zu trinken und es sich gut gehen zu lassen (II, 174.1). Während sich Mykerinos tags- und nachtsüber diesen Tätigkeiten hingibt (II, 133.4), veranstaltet der König Amasis seine Symposia erst ab dem Nachmittag (II, 173.1), bei denen er die Pflichten des Vormittags vergessen und sich selbst erholen kann. Dennoch wird Amasis dafür von seinen Freunden kritisiert. Sie sind der Meinung, es lenke ihn von seinen eigentlichen Aufgaben als König ab und widerspreche dem richtigen Benehmen eines Königs (II, 173.2). Ein ägyptischer König müsse sich nach der Ansicht von Amasis ’ näherem Umfeld einzig auf die anfallenden Staatsgeschäfte konzentrieren und zwar den ganzen Tag über (II, 173.2). Beide Ägypter legen also mehr als gewöhnlich Wert auf ihr eigenes Wohlergehen. Dabei sind die Intentionen jedoch anders. Während Mykerinos versucht, durch eine Quantitätssteigerung der Tätigkeiten, bei denen er es sich gut gehen lässt, sein Leben mehr und länger zu genießen, um schließlich das Orakel überlisten zu können, rechtfertigt sich Amasis gegen den Vorwurf seiner Freunde mit der Aussage, dass ihm die Symposia davon abhalten, verrückt zu werden, wobei hier die Qualität des Genusses entscheidend ist (II, 173.3 - 4). 794 Amasis ’ Trinkverhalten erscheint ebenfalls aus griechischer Perspektive interpretiert, denn eine tiefergehende, möglicherweise sogar religiöse Begründung für Amasis ’ Verhalten erwähnt der Text nicht. 795 Auch darin, dass Mykerinos den Orakelspruch als lügnerisch überführen möchte, ist eine Parallele zum Verhalten des Amasis zu sehen. Denn auch er zweifelt die Prophezeiungen gewisser Orakel an, die er selbst bereits der Falschprophezeiung überführt hat. Diese hatten ihn fälschlicherweise in der Zeit, bevor er König wurde, von der Schuld des Diebstahls freigesprochen, den er aber tatsächlich begangen hatte, um sich seinen damals bereits bestehenden Hang zum Trinken finanzieren zu können (II, 174.1). Während Mykerinos den Orakelspruch noch als trügerisch überführen möchte ( θέλων τὸ μαντήιον ψευδόμενον ἀποδέξαι - II, 133.4), hat Amasis dies bereits getan und bezeichnet die Prophezeiungen besagter Orakel bereits als ψευδέα , also als trügerisch (II, 174.2). Wie auch bei Mykerinos haben Amasis ’ Trinkgewohnheiten indirekt Anteil an der Widerlegung der Prophezeiungen. Während Mykerinos versucht, seine Lebenszeit zu verdoppeln, wobei er unter anderem mehr Trinkgelagen als gewöhnlich beiwohnt, um auf diese Weise den Orakelspruch zu widerlegen, wird Amasis durch seine Trinkgewohnheit als Privatmann überhaupt erst zum Dieb. Somit wird auch diesbezüglich ein intratextueller Bezug zwischen den 794 Inwiefern ihn die Symposia davor bewahren, in den Wahnsinn zu verfallen, untersuche ich ebenso in Kap. 4.1.3.1.3. 795 Vgl. dazu die Verweise und Ausführungen in Anm. 788; siehe auch S. 311. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 229 <?page no="230"?> Trinkverhalten von Amasis und Mykerinos hergestellt, die beide auf unterschiedliche Weise mit ihrem Trinken Wohlergehen verbinden. Doch es gibt darüber hinaus einen entscheidenden Unterschied zwischen den dargestellten Trinkverhalten der beiden ägyptischen Könige und zwar in der Situation, in der getrunken wird. Denn während der Text bei Amasis explizit von Mitsymposiasten spricht (II, 173.1), lässt er bei Mykerinos unerwähnt, ob er mit anderen trinkt oder alleine. Während bei Amasis somit die Gemeinschaft betont wird, steht bei Mykerinos ’ Trinkgelagen er selbst im Zentrum. Für ihn und sein Ziel, sein restliches Leben durch vergnügliche Aktivitäten bei Tag und Nacht zu verlängern, sind die gewöhnlichen Konventionen unerheblich, wenn nicht sogar störend. Der zentrale Aspekt der intensivierten Gemeinschaft im Symposion, wie er auch für die ägyptischen Symposia in der Darstellung der Historien überliefert ist (II, 78), ist für Mykerinos daher nicht wichtig und somit auch im Text offengelassen. Für ihn ist nicht die Qualität eines Symposions, also das intensivierte Erleben des momentanen Moments in Gemeinschaft entscheidend, sondern die Quantität. Insgesamt erfährt der Leser ohnehin nicht mehr, als dass für Mykerinos Trinken zu den Aktivitäten zählt, bei denen es ihm gut geht. Geht man davon, aus, dass Mykerinos Wein trinkt, was naheliegend ist, aber vom Text nicht direkt erwähnt wird, so kann dessen Trinkverhalten nicht mehr als angepasst bzw. maßvoll bewertet werden. 796 Zudem gibt es keine Gemeinschaft, die sein Verhalten bei seinen Trinkgelagen kontrolliert und ihn davor bewahrt, verrückt zu werden, wie es bei Amasis in seinen Symposia dagegen der Fall ist. 797 Doch Mykerinos ’ Zukunft gibt es nicht, sodass der Text auch nicht erwähnt, ob sein übermäßiges Trinken negative Auswirkungen auf ihn hat oder seinen Charakter negativ beeinflusst, wie es in den Historien bei anderen Königen durchaus der Fall ist. 798 Die quantitative Steigerung seines Lebens im Hier und Jetzt ist entscheidend und steht dadurch, dass so wenig über den Kontext von Mykerinos ’ Trinkgewohnheit berichtet wird, auch im Vordergrund seiner Darstellung der Historien. Damit entfernt sich der König Mykerinos von seinem ägyptischen Volk, dem es laut Orakelspruch eben noch 796 Dass die Ägypter generell Kenntnis von Wein haben sowie Zugriff darauf und ihn nicht nur für Opfer verwenden, wie der Text in II, 39.1 beschreibt, sondern ihn auch konsumieren, wird bereits an einer anderen Stelle zuvor im Text ersichtlich. So wird z. B. in II, 37.4 berichtet, dass die ägyptischen Priester täglich unter anderem Wein bekommen ( δίδοται δέ σφι καὶ οἶνος ἀμπέλινος - II, 37.4). Dass die Ägypter auch Wein in größerem Ausmaß trinken, beweist der geschilderte Ablauf des Festes in Bubastis (II, 60), bei dem der Text beschreibt, dass dort mehr Wein getrunken wird als im ganzen restlichen Jahr (II, 60.3). 797 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.3. 798 Vgl. dazu Kap. 4.1.3.1.1 (Kambyses) sowie Kap. 4.1.3.1.2 (Kleomenes). 230 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="231"?> über Jahre hinweg schlecht ergehen müsse (II, 133.3). 799 Während das Symposion Amasis hilft, ein guter König zu sein und auch zu bleiben, zeigt Mykerinos durch seine Trinkgelage vollkommenes Desinteresse an seinen Staatsgeschäften, die er zuvor für alle zufriedenstellend geführt hatte (vgl. II, 129). Schließlich blickt er nun durchgehend nur noch auf sich selbst. Für Mykerinos ’ Volk bedeutet dessen neuer Lebensstil demnach das Ende einer glücklichen Zeit. Zentral ist somit, dass die Trinkgelage des Mykerinos als Einzelperson lediglich als Ausdruck von Lebensfreude dargestellt werden, während die Symposia bei Amasis zum Ort werden, wo er eben diese intensiv erleben und auch bewahren kann. Während Mykerinos somit im Trinken lediglich eine Aktivität im Leben sieht, die er noch ohne Rücksicht auf Verluste so lange wie möglich genießen möchte, findet Amasis dort die notwendige Erholung, den Ausgleich, aber auch den sozialen Kontakt, der ihn davor bewahrt, unkontrolliert in Wahnsinn zu verfallen. Damit erweisen sich das Trinkgelage bei Mykerinos, aber auch das Symposion bei Amasis - jeweils vor einem anderen Hintergrund und mit anderen Auswirkungen - als Inbegriff der Freude im Hier und Jetzt. 3.3.3 Fazit: Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit In diesem Kapitel wurde analysiert, inwiefern das Symposion in Herodots Historien einerseits durch die dort ermöglichte Kommunikation eine Gelegenheit für die Belehrung oder Ermahnung zu einem bestimmten Lebensstil bietet, andererseits auch zum Ort wird, wo eine theoretische Einstellung praktisch in die Tat umgesetzt und damit veranschaulicht übermittelt werden kann. So wurde anhand der dortigen Geschehnisse und der Anlässe für diese Symposia herausgearbeitet, dass in Herodots Historien die ägyptischen Symposia zum Ausdruck des intensivierten Erlebens des Daseins im Hier und Jetzt werden, wohingegen die Intensivierung des Moments in den Symposia des Geten Salmoxis vor dem Hintergrund der Unsterblichkeitslehre besteht und damit als Vorverweis auf das Leben nach dem Tod fungiert. Während die Geten also im Symposion lernen, dass es nach dem Tod ein glückliches Leben im Jenseits geben wird, finden die Ägypter im Symposion einen geeigneten Ort für den angemahnten notwendigen Genuss im Diesseits. So ist das durch das Sym- 799 Vgl. zu diesem Gegensatz auch West (1998, S. 34): „ While we are no nearer to understanding why Egypt is destined to suffer misery for a century and a half, the king himself will be able to devote himself to pleasure for the rest of his days. “ Zu Wests gesamter Interpretation des Orakelspruchs an Mykerinos siehe ebd., S. 32 - 34. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 231 <?page no="232"?> posion intensivierte Wahrnehmen des genussvollen Augenblicks sowohl bei der Darstellung der ägyptischen Symposia als auch bei denen des Salmoxis in Herodots Historien vorhanden, wobei dieses aber von Salmoxis umgewertet und für seine Zwecke funktionalisiert wird. Es wurde zudem herausgearbeitet, dass die in den Historien dargestellten Trinkverhalten der ägyptischen Könige Amasis und Mykerinos mit dem typischen ägyptischen Symposion in Herodots Historien stimmig sind. Dieses definiert der Text bereits, bevor er auf Mykerinos ’ und Amasis ’ Herrschaft eingeht und deren Trinkgewohnheiten offenlegt, indem er von den allgemeinen Bräuchen der Ägypter bei ihren Symposia berichtet ( ταῦτα μὲν παρὰ τὰ συμπόσια ποιεῦσι - II, 79.1). Mykerinos und Amasis setzen wiederum zumindest in der Darstellung der Historien jeweils auf ihre eigene Art die als allgemeingültig dargestellte Sitte der Ägypter im Symposion um. Bei beiden wird das Symposion bzw. Trinkgelage zum Garant des irdischen Wohlergehens und Erlebens des Genusses. Dennoch lässt sich diesbezüglich ein Unterschied im Verhalten der beiden Könige feststellen. Während Mykerinos in erster Linie auf die Vielzahl und damit auf die Quantität der Trinkgelage achtet, wobei für ihn die gewöhnlichen Konventionen unwichtig erscheinen, legt Amasis Wert auf die Qualität des Erlebens beim Symposion, sodass er durch das dortige bewusste Erleben des Augenblicks Erholung von den Pflichten des Vormittags findet, um nicht unbemerkt dem Wahnsinn zu verfallen. Aus diesem Kapitel ist letztlich zu schließen, dass die besondere Atmosphäre des Symposions in der Darstellung von Herodots Historien Überlegungen über Leben und Tod evoziert und zugleich dazu beiträgt, dass eine bestimmte Lebenskunst vermittelt werden kann. Denn im Bewusstsein der Kürze des Lebens kann das dort gesteigerte Erleben des Moments zur direkten Umsetzung der Aufforderung zum Lebensgenuss führen. Somit erweist sich das Symposion in dieser Hinsicht als veranschaulichende Darstellung dieser Lebenseinstellung. Bei den hier untersuchten Symposionsszenen wird durch Terminologie, Thematik und den äußeren Rahmen ein eindeutiger Bezug zum typisch griechischen Symposion hergestellt. So muss Salmoxis nach seiner Rückkehr aus Griechenland erst viele Vorbereitungen treffen, um bei den Geten ein Symposion abhalten zu können, das von seiner gewonnenen griechischen Erfahrung auf Samos geprägt ist. Zudem wird Salmoxis ’ Unsterblichkeitslehre als Rezeptionsform der pythagoreischen Lehre dargestellt und die in den Historien als ägyptisch dargestellte Lebenseinstellung, das Leben im Diesseits zu genießen, da im Jenseits nichts Gutes zu erwarten sei, entspricht einer zentralen Thematik der frühgriechischen Lyrik. So zeugen die Darstellungen von Salmoxis ’ Symposia sowie die der ägyptischen Symposia in II, 78, bei denen die Historien lediglich das Carpe-Diem-Motiv zur Geltung bringen, eine mög- 232 3 Symposion und Mahl als Orte für Kommunikation und intensiviertes Erleben <?page no="233"?> liche tiefergehende Interpretation des ägyptischen Symposionsbrauch jedoch nicht erwähnen, von einer interpretatio Graeca. Auch bei den Darstellungen der ägyptischen Könige Mykerinos und Amasis ist keine Beachtung einer möglichen tiefgründigeren Erklärung ihres Handeln in den Historien erkennbar. Ihre Trinkverhalten werden also ebenso rein aus griechischer Perspektive beurteilt und interpretiert. 3.3 Ort für die Lehre der Unsterblichkeit und das Bewusstsein der Endlichkeit 233 <?page no="234"?> 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf Bisher wurden alle Symposia und Mähler untersucht, deren Darstellungen in Herodots Historien den zu erwartenden Konventionen entsprechen. Das trifft vor allem auf die Symposionsszenen zu, die als Situationen beschrieben werden, um Gesprächen und Beratungen im Erzählverlauf einen geeigneten Kontext zu geben. Ebenso bereits herausgearbeitet wurden im vorigen Kapitel Szenen, die mit den Erwartungen an ein Symposion insofern übereinstimmen, als sie mit der Kontextualisierung durch ein Symposion einen Sonderraum erwirken, in dem durch das verdichtete Dasein der Gruppe bestimmte Ansichten über das menschliche Leben und den Tod gelehrt und Reflexionen darüber intensiviert wahrgenommen sowie erlebt werden können. Nun sollen diese Symposions- und Mahlszenen analysiert werden, die nicht in erster Linie den Kontext für ein den Konventionen entsprechendes Geschehen liefern. In einem ersten Schritt werden daher nun all diejenigen Symposia und Mähler untersucht, die als gezielt gewählte Darstellungsmittel Geschehen, Lebenssituationen und Charaktere veranschaulichen. Im zweiten Schritt werden dann alle Symposions- und Mahldarstellungen analysiert, die durch die dort beschriebenen Handlungen und Vorkommnisse direkt auf den Erzählverlauf der Historien Einfluss nehmen. Dabei werden auch Feste berücksichtigt, um die dargestellten Ereignisse bei deren öffentlichen Veranstaltungen von den Vorkommnissen beim nicht-öffentlichen Symposion abgrenzen zu können. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration Die Darstellung eines Symposions oder einer einfachen Mahlszene bietet zahlreiche Möglichkeiten, um eine bestimmte Aussage, Situation und Handlung oder den Charakter einer daran beteiligten Person zu veranschaulichen. So kann die Art der Bewirtung Aufschluss über die Situation des jeweiligen Landes oder zentrierter auf die Lebenssituation des Gastgebers bzw. des Bewirtenden geben. Zudem kann das Verhalten der Gäste und der Gastgeber vor Ort auf eine bestimmte Weise dargestellt und damit bewertet werden. Inwiefern nun in Herodots Historien eine Mahl- oder Symposionsszene diesen Zweck im Text erfüllt, soll in drei Schritten analysiert werden. Als <?page no="235"?> Erstes sollen Aussagen, Geschehnisse und Lebenssituationen herausgearbeitet werden, die durch Speise-, Trank-, oder Mahlbeschreibungen veranschaulicht werden. In einem zweiten Schritt werden dann Symposia und Mähler betrachtet, die als Orte für Wertschätzung oder Ächtung beschrieben werden, und drittens soll analysiert werden, wie falsches Benehmen und Verhalten beim Symposion dargestellt werden und welche Folgen sich daraus ergeben. 4.1.1 Verbildlichung durch Speise-, Trank- und Mahlbeschreibungen Um zu zeigen, inwiefern Speise-, Trank-, und Mahlbeschreibungen in den Historien angeführt werden, um eine Aussage zu verdeutlichen oder eine besondere Eigenschaft zu symbolisieren, werden nun auch Situationen angeführt, die unabhängig von einem Gastmahl oder Symposion stehen. Denn in diesem ersten Schritt soll die symbolisierende Bedeutung, die Speisen und Trinken in den Historien haben, im Allgemeinen betrachtet werden. 800 Anschließend werden speziell diese Textstellen analysiert, in denen die Lebenssituation eines Volkes anhand von Speise- oder Trinkgewohnheiten abgebildet wird, sodass vor deren Hintergrund ein bereits eingetretenes Geschehen bewertet werden kann oder daraus Konsequenzen für das weitere Geschehen gezogen werden können. 4.1.1.1 Veranschaulichung eines Geschehens mithilfe einer Darstellung aus den Bereichen ‚ Essen ‘ und ‚ Trinken ‘ Bei Darstellungen in den Historien, in denen zur Bekräftigung und Verbildlichung bestimmter Aussagen auf den Bereich des Essens und Trinkens zurückgegriffen wird, wird besonders auf die Aussagekraft eines bestimmten Gegenstandes aus diesem Bereich oder des Umgangs mit ihm gesetzt. 801 Häufig 800 Vgl. dazu Müller (2009, S. 173): „ Essen ist bei Herodot keine alltägliche, sondern eine hoch symbolische Angelegenheit, sowohl auf philosophisch-theologischer als auch auf politischer und sozialer Ebene. “ 801 Als die vertriebenen Samier in Sparta um Unterstützung bitten, wird z. B. beschrieben, wie sie bei ihrem zweiten Versuch mit einem leeren Sack vor den Rat treten und darauf verweisen, dass diesem Sack Mehl fehlt ( τὸν θύλακον ἀλφίτων δέεσθαι - III, 46.2). Damit versuchen sie, ihrer unglücklichen Lage besonderen Ausdruck zu verleihen. Entscheidend ist hierfür die symbolische Aussagekraft des leeren Mehlsackes, womit die prekäre Lage eindrücklich verbildlicht wird. An anderer Stelle greift der Text als Begründung für eine besondere kulturelle Sitte auf den Bereich des Trinkens zurück. So wird die Aussage, die Ägypter seien über das gewöhnliche Maß hinaus und mehr als alle Menschen gottesfürchtig ( θεοσεβέες δὲ περισσῶς ἐόντες μάλιστα πάντων ἀνθρώπων - II, 37.1), als Erstes damit begründet, dass sie aus Bechern trinken, die sie alle jeden Tag säubern ( ἐκ χαλκέων ποτηρίων πίνουσι , διασμῶντες ἀνὰ πᾶσαν ἡμέρην - II, 37.1). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 235 <?page no="236"?> veranschaulicht der Text auch die besondere Größe eines Gebietes oder eine große Anzahl von Lebewesen, die es zu versorgen gilt, indem er den großen Bedarf an Lebensmitteln schildert. Zugleich deutet die Fähigkeit, die Versorgung eines solchen Gebietes zu großen Teilen übernehmen zu können, auf Fruchtbarkeit und Kraft hin. 802 Besonders die Größe von Xerxes ’ Heer bei seinem Zug gegen Griechenland ist es, die der Text in den Historien durch die Darstellung des enormen Bedarfs an Nahrungsmitteln und der Wasserversorgung auf eindrückliche Weise hervorhebt. 803 Dabei steht neben der Menge auch der benötigte Aufwand für die Versorgung im Vordergrund. 804 Die Menschen, die Xerxes ’ Heer versorgen müssen, geraten nämlich in höchste Not ( οἱ δὲ ὑποδεκόμενοι Ἑλλήνων τὴν στρατιὴν καὶ δειπνίζοντες Ξέρξην ἐς πᾶν κακοῦ ἀπίκατο , οὕτως ὥστε ἀνάστατοι ἐκ τῶν οἴκων ἐγίνοντο - VII, 118) und haben große Mühe, die Bewirtung zu organisieren ( ὡς δὲ δείπνου γίνοιτο ὥρη , οἱ μὲν δεκόμενοι ἔχεσκον πόνον - VII, 119.4). 805 Daher habe Megakreon den Einwohnern von Abdera sogar geraten, die Götter als Schutzflehende anzurufen, damit sich Xerxes auch in Zukunft mit einer Mahlzeit am Tag begnüge ( ὅτι βασιλεὺς Ξέρξης οὐ δὶς ἑκάστης ἡμέρης ἐνόμισε σῖτον αἱρέεσθαι - VII, 120.1). Ansonsten bliebe ihnen nur noch die Flucht oder der Untergang ( ἢ μὴ ὑπομένειν Ξέρξην ἐπιόντα ἢ καταμείναντας κάκιστα πάντων ἀνθρώπων ἐκτριβῆναι - VII, 120.2). Dass der Wasserbedarf der Menschenmenge in Xerxes ’ Feldzug sowie der des mitgeführten Viehs von zahlreichen Flüssen und Seen nicht gestillt werden kann, wird im siebten Buch der Historien mehrfach betont. 806 Durch die Darstellung dieses enormen Bedarfs an Lebensmitteln und des Aufwands für die Verpflegung hebt der Text die immense 802 So hebt der Text z. B. hervor, dass die Versorgung von Kyros ’ Reich zu einem Drittel von den Babyloniern gestemmt wird ( δυώδεκα ὦν μηνῶν ἐόντων ἐς τὸν ἐνιαυτὸν τοὺς τέσσερας μῆνας τρέφει μιν ἡ Βαβυλωνίη χώρη - I, 192.1), und bemerkt im gleichen Gedankengang, dass ‚ Assyrien ‘ also ein Drittel des Einflusses von Asien ausmacht ( οὕτω τριτημορίη ἡ Ἀσσυρίη χώρη τῇ δυνάμι τῆς ἄλλης Ἀσίης - I, 192.1). Kurz danach betont der Text in I, 192.4 die Größe einer Schar von indischen Hunden, die der Statthalter von Babylon besitzt, durch die Angabe, dass vier Dörfer allein für deren Versorgung zuständig sind (I, 192.4). 803 Vgl. dazu Coulet (1994), S. 59 f. 804 Gemäß dem Text wundert sich der herodoteische Erzähler in VII, 187 selbst, wie die Lebensmittelversorgung bei dieser Größe des Heeres bewerkstelligt werden konnte ( ἀλλὰ μᾶλλον ὅκως τὰ σιτία ἀντέχρησε θῶμά μοι μυριάσι τοσαύτῃσι - VII, 187.1). 805 Vgl. dazu Coulet (1994), S. 59 f. 806 Vgl. VII, 21.1 / VII, 43.1 / VII, 58.3 / VII, 108.2 / VII, 109.2 / VII, 127.2 / VII, 187.1 / VII, 196. Vgl. dazu Coulet (1994), S. 59. 236 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="237"?> Größe von Xerxes ’ Heer anschaulich hervor, ohne eine genaue Anzahl an Personen nennen zu müssen. 807 Doch auch Beschreibungen von Bewirtungen dienen in den Historien einer solchen Veranschaulichung: Durch die mehrmalige Erwähnung des Aufwands, der nötig ist, um genügend Lebensmittel für das Heer beschaffen zu können, erreicht der Text eine indirekte Betonung des enorm großen Reichtums des Lyders Pythios, der dieses gewaltige Heer des Xerxes aufnehmen kann und zusätzlich zur Bewirtung auch noch Geld verspricht (VII, 27). 808 Schließlich bietet Pythios nicht nur eine Grundversorgung an, sondern nimmt Xerxes und dessen Heer mit größten Gastgeschenken auf, wodurch Bemühung und Bereitschaft impliziert werden ( ἐν ταύτῃ τῇ πόλι ὑποκατήμενος Πύθιος ὁ Ἄτυος ἀνὴρ Λυδὸς ἐξείνισε τήν < τε > βασιλέος στρατιὴν πᾶσαν ξεινίοισι μεγίστοισι καὶ αὐτὸν Ξέρξην - VII, 27.1). 809 Im Fall von Pythios ist es also die aufwendige Bewirtung, die seinen Reichtum besonders zur Geltung bringt, und nicht die genaue Beschreibung der großen Menge an Nahrungsmitteln, die er bereitstellt. Doch die Geschehnisse während der Bewirtung sind abgesehen von der Gastfreundschaft, die zwischen Pythios und Xerxes geschlossen wird, unerheblich und daher vom Text nicht genau dargestellt. Die Gespräche, die nun geschildert werden - zwischen Xerxes und den anwesenden Persern in VII, 27.2 und zwischen Xerxes und Pythios in VII, 28 - 29 - , werden nicht eindeutig verortet, wobei als Rahmen die Bewirtung, die gerade dargestellt worden ist, naheliegend ist. 810 Jedoch anders als es bei den Gastmählern, die in Kapitel 3.1 analysiert worden sind, der Fall ist, ist das Gastmahl des Pythios 807 Weniger kulturell als vielmehr geographisch wird die Tätigkeit des Trinkens in einem Orakelspruch des Ammon in den Historien erwähnt, in dem diejenigen, die unterhalb von Elephantine wohnen und aus dem Nil trinken, als Ägypter definiert werden (II, 18.3). An anderer Stelle wird in der wörtlichen Wiedergabe eines Orakelspruchs die Stadt Milet zur ‚ Mahlzeit ‘ vieler ( πολλοῖσιν δεῖπνόν [ … ] γενήσῃ - VI, 19.2) und wieder an einer anderen Textpassage wird die Mahlzubereitung zum Zeichen von Unterwerfung. So schickt Xerxes Herolde aus, um in Griechenland Erde und Wasser zu fordern, aber eben auch, um dort anzuordnen, dem König ein Mahl zu bereiten (VII, 32). Alle Orte in Gegenden, die vom Großkönig Persiens unterworfen worden sind, waren nämlich dazu verpflichtet, den König zu bewirten (vgl. dazu Anm. 1570). Zum Übergaberitual von Erde und Wasser siehe auch Anm. 1484 und Anm. 1491. 808 Vgl. dazu Heni (1976, S. 26/ Anm. 11), der hervorhebt, dass die „ Größe des Aufwands “ hier zwar nicht betont werde, dabei aber auf VII, 118 - 120 verweist, wo die enorme Belastung derjenigen dargestellt wird, die das Heer des Xerxes bewirten müssen. Da in den Historien Pythios als Sohn des Atys bezeichnet wird (VII, 27.1), der wiederum Kroisos ’ Sohn ist, wird außerdem ersichtlich, dass auch nach Kroisos ’ Tod dessen Vermögen und damit das seiner Nachkommen noch vorhanden ist (vgl. How/ Wells [1912b], S. 138). 809 Für die Bedeutungsanalyse von ξείνια und ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9. und speziell für die Bedeutung von ξείνια als Gastgeschenke vgl. dort bes. die Anm. 540 und 541. 810 Vgl. dazu Heni (1976), S. 27. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 237 <?page no="238"?> nicht in erster Linie aus Gründen einer plausiblen Kontextualisierung der Unterhaltung im Text erwähnt bzw. als Veranschaulichung des Gesprächsthemas, sondern hier wird durch das Gastmahl vor allem der immense Reichtum des Pythios hervorgehoben. Die großzügige Bewirtung sowie Pythios ’ Versprechen der finanziellen Unterstützung des Krieges werden schließlich zum Ausgangspunkt für die Gastfreundschaft zwischen Pythios und Xerxes, was weitere Auswirkungen auf die Handlung zur Folge hat, worauf der Text wenig später eingeht (VII, 38.1 - 40.1). 811 An einer weiteren Textstelle in den Historien wird ein gemeinsames Mahl zumindest implizit als Kontext für die Veranschaulichung einer Aussage gewählt. Von dieser Situation berichtet der Text im Rahmen der ägyptischen Erzählversion über den Tod von Kambyses ’ Ehefrau (III, 32.3). Als Rahmenhandlung wird dort beschrieben, wie Kambyses zusammen mit seiner Frau an einem Tisch sitzt ( ὡς τραπέζῃ παρακατημένων - III, 32.3). Ob sie auch gemeinsam speisen, wird nicht erwähnt, aber durch diese Aussage bekommen die Rezipienten zumindest einen Hinweis, wie sie sich die Situation vorzustellen haben. 812 Kambyses ’ Frau habe nun einen Salatkopf genommen und begonnen, die Blätter abzurupfen (III, 32.3). Dabei habe sie sich erkundigt, ob Kambyses der Salatkopf abgerupft oder mit vollen Blättern besser gefalle. Er antwortet daraufhin, ihm gefalle der Salatkopf mit vollen Blättern besser (III, 32.3). Sie vergleicht nun den Salat mit Kambyses ’ Familie und macht deutlich, dass er das, was sie mit dem Salatkopf gemacht hat, mit Kyros ’ Haus gemacht habe (III, 32.4). 813 Gemäß der ägyptischen Erzählversion über den Tod von seiner Ehefrau also gerät Kambyses nun in Wut und tritt die Schwangere mit Füßen, sodass sie eine Fehlgeburt erleidet und daran stirbt (III, 32.4). Dass durch Speisen bestimmte Geschehnisse und Handlungsweisen auf vielfältige Weise verbildlicht werden können, zeigt sich in den Historien auch daran, dass sie in einigen Fällen zu den entscheidenden Objekten bei der 811 Zu den Folgen der gastfreundschaftlichen Aufnahme von Xerxes und seinem Heer durch Pythios siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.2. 812 Bowie (2003, S. 105) erkennt in dieser Erzählung eine Bankettepisode. Dafür, dass es in Persien nicht ungewöhnlich war, dass die Ehefrau mit dem Großkönig zusammen speist, vgl. die Ausführungen und Verweise in Anm. 1502. 813 Eine ähnliche Art von Vergleich, für den ebenso ein Lebensmittel entscheidend ist, wendet der Text in IV, 143 an. Denn auch in IV, 143 wird die für den Vergleich notwendige Szenerie knapp beschrieben, indem der Text erwähnt, wie Dareios gerade damit beginnt, Granatäpfel zu essen ( ὁρμημένου Δαρείου ῥοιὰς τρώγειν - IV, 143.2). In diesem Moment stellt ihm sein Bruder Artabanos die Frage, wovon er gerne eine ebenso große Anzahl haben wolle, wie Kerne in dem Granatapfel sind. Dareios antwortet darauf, dass er gerne so viele Männer wie Megabazos haben möchte - lieber noch als sich Griechenland untertänig zu machen (IV, 143.2). 238 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="239"?> Darstellung von Wunderzeichen werden. 814 Somit werden sie für den Text zum illustrativen Mittel, um Vorverweise auf bestimmte spätere Geschehnisse ausdrücken zu können. Das wird besonders an der Erzählung über die Ursprünge des makedonischen Herrschergeschlechts deutlich, in der man erfährt, wie Perdikkas den makedonischen Königsthron für sich gewinnt (VIII, 137 - 138). Perdikkas und seine zwei älteren Brüder waren aus Argos geflohen und kamen zum Hof des Königs in der Stadt Lebaia, wo sie zu Lohnarbeitern werden (VIII, 137.1 - 2). Dort bäckt die Königin selbst das Brot. Die Größe des Brotes, das sie für Perdikkas bäckt, verdoppelt sich dabei jedes Mal (VIII, 137.2 - 3). Durch das stete Vergrößern des Brotes wird Perdikkas aus der Reihe der anderen, für die die Königin bäckt, hervorgehoben. 815 Der König selbst deutet dies als Vorzeichen ( τέρας - VIII, 137.3) und, da er seinen Knechten befiehlt, sein Land zu verlassen, hat es den Anschein, dass er sogar um seine Herrschaft fürchtet. 816 Als Lohn übergibt der König den Brüdern in böswilliger Absicht nun lediglich das Licht der Sonne. Die beiden älteren Brüder sind darüber bestürzt. Perdikkas aber schöpft in weiser Voraussicht, nachdem er mit einem Messer den Umriss des durch den Rauchfang einfallenden Sonnenlichts nachgezogen hatte, dreimal von diesem Licht und nimmt damit zugleich das „ Königsheil “ auf (VIII, 137.4 - 5). 817 Durch diese Tat gelingt es ihm, 814 So z. B. bei dem mit Fleisch und Wasser gefüllten Opferkessel des Hippokrates, des späteren Vaters des Peisistratos, der ohne Feuer zu kochen und überzulaufen beginnt und ihn laut der Deutung des Lakedaimoniers Chilon davor warnen soll, eine Frau zu sich zu nehmen, die gebärfähig ist, und auffordert, wenn er bereits eine habe, dann diese wegzuschicken; er solle keinen Sohn zeugen und einen bereits geborenen Sohn verstoßen (I, 59.1 - 2). Ein weiteres Wunderzeichen ( τὸ τέρας - IX, 120.2), das sich auf die Mahlzubereitung bezieht, beschreibt der Text in IX, 120. Als nach der Gefangennahme des Artaÿktes einer der Wachen Fische brät, geschieht es, dass diese Fische über dem Feuer zu zappeln beginnen, als ob sie noch nicht tot wären (IX, 120.1). Artaÿktes sieht darin ein Zeichen von Protesilaos, der ihm zu verstehen geben möchte, dass er ihn als Frevler zu bestrafen beabsichtigt (IX, 120.2; zu seinem Frevel gegen Protesilaos siehe IX, 116.3). 815 Müller (2009, S. 180) macht darauf aufmerksam, dass in diesem frühzeitlichen Makedonien „ alle Mahlteilnehmer gleiche Portionen [bekamen], auch der Herrscher, der primus inter pares war “ . Müller (2009, S. 180 f.) fährt fort: „ Innerhalb dieser gleichrangigen Tafelgemeinschaft kennzeichnete Perdikkas ’ größeres Brot seinen herausgehobenen Rang, wie eine analoge Tradition in Sparta zeigt, wo die Könige bei Opferfesten zeremoniell die doppelte Speiseportion erhielten, die sie in ihrem höheren Rang deutlich sichtbar auszeichnete. “ Von diesem spartanischen Brauch wird in VI, 57.1 berichtet (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.2.1). Zu dieser Parallele vgl. Kleinknecht (1966), S. 140 sowie Bowie (2007), S. 226. 816 Vgl. Müller (2009), S. 180. 817 Rosen (1978, S. 11 f.) verweist darauf, dass die „ Sonnensymbolik [ … ] religiösen Vorstellungen des thrakisch-makedonischen Raumes [entspringt] “ (ebd., S. 11) und dass in Makedonien und Thrakien „ der Sonnen- und der Kriegsgott die wichtigsten Gottheiten “ waren (ebd., S. 11 f.). Der König verliert zusammen mit dem Sonnenlicht sein „ Königs- 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 239 <?page no="240"?> Begründer des makedonischen Königshauses zu werden, sobald er gemeinsam mit seinen Brüdern ausgehend von der Gegend um das Gebirge Bermion Makedonien erobert hat (VIII, 138.3). 818 Neben der Gründungserzählung der makedonischen Königsdynastie erfährt man durch die Art, wie die Mahlzubereitung durch die Königin beschrieben wird, auch etwas über die makedonische Lebensweise - zumindest in der Darstellung der Historien. So kochte und backte die Königin selbst, was auf bescheidene Verhältnisse im Königshaus hinweist. 819 Zum einen verbildlicht also die Vergrößerung des Brotes für Perdikkas seine besondere Rolle als künftiger Makedonenkönig und zum anderen wird durch die Schilderung der Mahlzubereitung auch ein Hinweis auf die eher bescheidene Lebenssituation gegeben. 4.1.1.2 Speise- und Trinkgewohnheiten als Spiegelung der Lebenssituation Die Lebenssituation eines Volkes wird in der Darstellung der Historien mehrfach an der Art der Ernährungsgewohnheiten bemessen. Dabei variieren diese Ernährungsgewohnheiten zwar kulturell, ein üppiges Mahl aber gilt unabhängig von einer bestimmten Kultur als Zeichen für Wohlstand und Wohlergehen. Die Annahme, dass ein Volk im Wohlstand lebt, wenn es mit Lebensmitteln gut versorgt ist und die Möglichkeit hat, reichliche Mähler zu veranstalten, wird in der Darstellung der Historien auf unterschiedliche Weise instrumentalisiert, worauf ich nun eingehen möchte. Dabei soll untersucht werden, ob bzw. welche Auswirkungen von Wohlstand - besonders auf die kämpferischen Fähigkeiten eines Volkes - beschrieben werden. Man kann sagen, dass sich die Herrschaft des Kyros und damit der Beginn des persischen Großreichs gemäß der Darstellung von Herodots Historien auf einen klugen Einfall zurückführen lässt, für den die symbolische Wirkung eines ausgiebigen Mahls von entscheidender Bedeutung ist: Als Kyros von dem heil “ und „ zugleich sein Kriegsglück “ (ebd., S. 11). Rosen verweist auch auf weitere Deutungsmöglichkeiten (ebd., S. 12/ Anm. 54). Bezüglich der Sonnensymbolik fasst Müller (2009, S. 181) zusammen: „ nach Deutung der Forschung hat er sein Herrschaftsrecht, symbolisiert durch den göttlichen Glücksglanz als Manifestation des Himmelsfeuers, abgegeben “ ; siehe dazu Kleinknecht (1966), S. 138 - 146; vgl. auch Masaracchia (1996), S. 227; Bowie (2007), S. 227. 818 Für diese Version des Gründungsmythos des makedonischen Königshauses ist sind Herodots Historien die früheste Quelle (vgl. Engels [2010], S. 90). Wie viel Wahres aber an diesem Mythos zu finden ist, ist in der Forschung umstritten (vgl. Kleinknecht [1966], S. 135 - 138; Rosen [1978], S. 11 - 15). 819 Vgl. Müller (2009), S. 180. Vgl. auch Rosen (1978, S. 11): „ Der König, zu dem die drei Brüder [ … ] kommen, gleicht eher einem Bauer. “ 240 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="241"?> medischen Feldherrn Harpagos die Nachricht bekommt, er werde ihm behilflich sein, die Meder zu besiegen und den Mederkönig Astyages zu stürzen (I, 124), 820 versucht er, die Perser zum Abfall von den Medern zu überreden. Dafür lässt Kyros den Persern zwei konträre Lebensweisen symbolisch abbilden und stellt dabei zunächst das Leben unter der fortdauernden Herrschaft der Meder durch mühevolle Arbeit dar. So fordert er die Perser auf, ein großes Gebiet von Dornengestrüpp zu befreien (I, 126.1). Unter der Regentschaft des Astyages müssten sie also weiterhin ein geplagtes Sklavenleben führen (I, 126.5). Das Leben unter der persischen und damit Kyros ’ Herrschaft dagegen wird mit dem Genuss durch ein üppiges Mahl verglichen, bei dem auch Wein getrunken wird (I, 126.2 - 6). Dafür lässt Kyros die Herden seines Vaters schlachten, um das Heer der Perser bei Wein sowie ausreichend Speisen aufnehmen zu können ( παρεσκεύαζε ὡς δεξόμενος < τούτοισι > τὸν Περσέων στρατόν , πρὸς δὲ οἴνῳ τε καὶ σιτίοισι ὡς ἐπιτηδεοτάτοισι - I, 126.2) 821 . Für die aufwendige Bewirtung dürfen die Perser dann auf einer Wiese lagern ( τοὺς Πέρσας κατακλίνας ἐς λειμῶνα εὐώχεε - I, 126.3), 822 die im Gegensatz zu dem dornigen Feld vom Vortag einen angenehmen und bequemen Platz bietet. Auch damit symbolisiert Kyros den Kontrast der ‚ unbequemen ‘ und beschwerlichen momentanen Mederherrschaft und seiner eigenen als ‚ bequem ‘ und mühelos prognostizierten Herrschaft. Durch die Verwendung von εὐωχέειν hebt der Text hervor, dass es sich hier zudem nicht um ein einfaches und schnelles Mahl handelt, sondern um eine reichliche gastliche Bewirtung, hinter der ein gewisser Aufwand steht. 823 Das Mahl selbst wird als δεῖπνον bezeichnet (I, 126.3), zu dem Wein getrunken wird, wobei ein an das Mahl angeschlossenes, für sich alleinstehendes gemeinschaftliches Trinken im Sinne eines Symposions nicht erwähnt wird. 824 Der Vergleich ist ohnehin unabhängig vom Ablauf des Mahls 820 Zum Harpagos-Mahl, das der Auslöser für Harpagos ’ Plan, Astyages zu stürzen, ist, siehe Kap. 4.2.3.2.2. 821 Zur Analyse von δέχεσθαι , das in Herodots Historien die einfache Aufnahme von Gästen ausdrücken kann, siehe Kap. 2.2.5.10. 822 Dass Kyros die Perser dazu auffordert, das Mahl einzunehmen, indem sie sich hinlegen ( τοὺς Πέρσας κατακλίνας ἐς λειμῶνα - I, 126.3), weist darauf hin, dass das Liegen beim Mahl und Symposion auch in Persien gewöhnlich war. Vermutlich wurde diese Sitte in Griechenland ohnehin aus dem Osten übernommen (vgl. dazu die Verweise in Anm. 352). Zur Entwicklung vom Sitzen zum Liegen im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. 823 Für die Bedeutungsanalyse von εὐωχέειν in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.10. 824 Zur Analyse des Begriffs δεῖπνον in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.6. Da kein getrenntes Symposion folgt, handelt es sich nicht um ein typisches Deipnon, wie es in einem griechischen Gastmahl gewöhnlich war (siehe dazu Kap. 2.2.3.1). Für ein typisch griechisches Symposion sind hier unabhängig davon, dass diese Situation in Persien handelt, die Rahmenbedingungen nicht gegeben. Denn durch die große Anzahl an Teilnehmern, die zudem im Freien und nicht in einem dafür geeigneten Raum speisen, 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 241 <?page no="242"?> möglich. Die Betonung liegt auf der Verfügbarkeit von reichlich Speisen und Wein, sodass weniger die Gemeinschaft als vielmehr der individuelle Genuss der Speisen und des Weins den Gegenpart zur quälenden Arbeit des Entfernens von Dornengestrüpp am Tag zuvor bildet. Auch die Darstellung der Perser, die auf Anordnung des Kyros an diesem Tag gewaschen und damit von der Arbeit des Vortags gereinigt kommen ( σφι προεῖπε ἐς τὴν ὑστεραίην παρεῖναι λελουμένους - I, 126.2), soll offensichtlich die neue Zeit unter Kyros symbolisieren. Da sich dieser zudem als Freiheitsbringer sieht - schließlich sagt er, nur wenn die Perser ihm jetzt gehorchen, werden sie frei werden ( νῦν ὦν ἐμέο πειθόμενοι γίνεσθε ἐλεύθεροι - I, 126.6), - wird das reichliche und genussvolle Mahl, das Kyros ’ Herrschaft verbildlichen soll, zum Sinnbild für Wohlergehen und Freiheit. 825 Zugleich zeigt der Text aber, dass Kyros eine ungewöhnliche Interpretation von Freiheit vertritt. Sein Freiheitsbegriff bedeutet, frei von Mühe leben zu können, politische Freiheit, wie sie später in den Historien die Spartaner Sperthies und Bulis gegenüber dem Perser Hydarnes vertreten und verteidigen (VII, 135.3), 826 kann mit ihm als künftigen persischen Großkönig nicht verbunden sein. Dass die Perser das reichliche Mahl der Arbeit am Tag zuvor vorziehen und damit die Herrschaft unter dem Perser Kyros der Herrschaft unter dem Meder Astyages (I, 126.4), ist aufgrund dieser Gegenüberstellung dennoch nicht überraschend. Der Abfall der Perser von den Medern ist nun in nur einem Satz erläutert: Gerne nehmen sie Kyros als Anführer an und lassen sich befreien, da es ihnen unter der medischen Herrschaft schon lange nicht mehr gut ging ( Πέρσαι μέν νυν προστάτεω ἐπιλαβόμενοι ἄσμενοι ἐλευθεροῦντο , καὶ πάλαι δεινὸν ποιεύμενοι ὑπὸ Μήδων ἄρχεσθαι - I, 127.1). Die Perser entscheiden sich nun für Kyros und damit zugleich für ein luxuriöseres Leben. 827 Das Bankett wird hier - wie Corinne Coulet formuliert - kann die besondere sympotische Atmosphäre nicht entstehen. Zur notwendigen Begrenzung der Teilnehmeranzahl beim Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. Wein wird hier während des Deipnons ausgiebig getrunken (siehe dazu Anm. 480). 825 Bowie (2003, S. 104) ist der Meinung, dass das entstehende Bild des Kyros, als beschrieben wird, wie dieser sein Volk beim Festmahl mit unzähligen guten Dingen bewirtet, die Art und Weise widerspiegele, wie die Tafel des persischen Königs ein Symbol für die „ tributary relationships in the empire “ war: „ the king provides good things and the people are loyal “ ; Bowie verweist hierzu auf Briant (1989). 826 Siehe dazu die Untersuchung in Kap. 3.1.1. 827 Vgl. Hobden (2013, S. 90): „ So the rough-living Persians embark upon a lifestyle of conquest and luxury. As the occasion for enjoying good food and wine, the banquet tout ensemble is a stimulus for the Persian ’ s transition in fortune and character. “ Zur Veränderung des persischen Lebensstils durch den Wandel in ihren Lebensgewohnheiten hin zu luxuriösen Gütern wie u. a. üppigem Essen und Weinkonsum insgesamt siehe Hobden (2013), S. 90 - 94. 242 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="243"?> zum Symbol für die guten Dinge im menschlichen Leben. 828 Dadurch stellt es eine Lebenssituation dar, die für die Perser begehrenswert ist, 829 für die der Text den Wert der Gemeinschaft allerdings nicht hervorhebt. Die Wirkung einer reichlichen Versorgung mit Nahrungsmitteln, die auf eine glückliche Lebenssituation schließen lässt, weiß in der Darstellung der Historien auch Thrasybulos, der Tyrann von Milet, zu seinen Gunsten zu nutzen. Anders als bei der soeben beschriebenen Erzählung über Kyros ’ Weg zur Herrschaft, der auf die Wahrnehmung der Perser selbst angewiesen ist, muss Thrasybulos die Außenwirkung seiner Stadt auf die befeindeten Lyder verändern. Ich möchte dafür kurz auf den Kontext dieser Situation eingehen: Während des Krieges gegen die Milesier geschieht es, dass ein von den Lydern unter der Führung ihres Königs Alyattes gelegtes Feuer ungewollt auf den Tempel der Athena Assesia übergreift, der schließlich völlig abbrennt (I, 19.1). Alyattes befällt daraufhin eine Krankheit, die nicht mehr zu heilen droht (I, 19.2). Den lydischen Boten, die diesbezüglich Rat beim Orakel in Delphi suchen, teilt Pythia mit, dass sie ihnen die Auskunft solange versagen wird, bis sie den Athena-Tempel im Gebiet der Milesier wiederaufgebaut hätten (I, 19.2+3). Als Periander, der Tyrann von Korinth, von diesem Orakelspruch erfährt, meldet er es sogleich seinem sehr eng verbundenen Gastfreund Thrasybulos ( ξεῖνον ἐς τὰ μάλιστα - I, 20), dem Tyrann von Milet, damit dieser auf die Ankunft der Lyder vorbereitet ist (I, 20). 830 Thrasybulos beabsichtigt nun, den ankommenden lydischen Boten, die um Waffenstillstand während des Wiederaufbaus des Tempels bitten wollen (I, 21.1), Wohlstand vorzutäuschen, indem er sämtliche in der Stadt vorhandene Speisen auf der Agora zusammenbringen lässt und den Milesiern anordnet, auf seinem Befehl hin, das Zusammengebrachte gemeinsam zu verzehren ( ὅσος ἦν ἐν τῷ ἄστεϊ σῖτος καὶ ἑωυτοῦ καὶ ἰδιωτικός , τοῦτον πάντα συγκομίσας ἐς τὴν ἀγορὴν προεῖπε Μιλησίοισι , ἐπεὰν αὐτὸς σημήνῃ , τότε πίνειν τε πάντας καὶ κώμῳ χρᾶσθαι ἐς ἀλλήλους - I, 21.2). Die lydischen Gesandten melden Alyattes daraufhin, die Milesier führten ein Leben in 828 Coulet (1994, S. 65): „ Le banquet ici, qui sert à une démonstration, est un symbole des bonnes choses de la vie humaine. “ 829 Vgl. dazu Bowie (2003), S. 108 bzw. Anm. 886. 830 Mit der Information, die Periander an Thrasybulos weitergibt, zeigt sich, wie hilfreich die gegenseitige Unterstützung zwischen Gastfreunden ist; zur Gastfreundschaft siehe Kap. 2. Asheri gibt als Übersetzung für ξεῖνον ἐς τὰ μάλιστα „‘ bound very closely by ξεινίη‘“ an (in Asheri et al. [2007], S. 90), wodurch die mit Xenia verbundenen gegenseitige Hilfeleistungen in dieser Gastfreundschaft besonders betont werden. Zur Gastfreundschaft zwischen den beiden Tyrannen Periander und Thrasybulos siehe auch Herman (1987), S. 121 f. sowie Anm. 162 in der vorliegenden Arbeit. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 243 <?page no="244"?> genussvollem Wohlstand ( ἐν εὐπαθείῃσι ἐόντας - I, 22.1). 831 Sie schließen dies also aus der Beobachtung der ausgiebig speisenden Milesier. Alyattes hatte allerdings erwartet, dass die Nahrungsversorgung der Milesier knapp sei (I, 22.3). Da dies nun dem Bericht der Gesandten nicht zu entnehmen ist, kommt es zur vollständigen Aussöhnung zwischen Lydern und Milesiern, die nun sowohl gegenseitige Gastfreunde sein möchten als auch Bundesgenossen ( μετὰ δὲ ἥ τε διαλλαγή σφι ἐγένετο ἐπ᾽ ᾧ τε ξείνους ἀλλήλοισι εἶναι καὶ συμμάχους - I, 22.4). 832 Der Text zeigt hier, dass ein reichliches Mahl als Beweis für das Wohlergehen einer Stadt aussagekräftig genug ist. 833 Denn der Reichtum wird nicht weiter überprüft. Die Täuschung des Thrasybulos beweist, dass einem Mahl eine entscheidende Rolle im Kriegsverlauf zukommen kann. In der Darstellung der Historien weiß Thrasybulos um die symbolische Wirkung eines 831 Durch εὐπαθείη wird ein Zustand ausgedrückt, der sich durch Zufriedenheit und Wohlergehen auszeichnet. Vgl. dazu εὐπάθεια in LSJ, S. 725: „ comfort, ease [ … ]: esp. in pl., enjoyments, luxuries, ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι enjoy oneself, make merry, Hdt. 1.22, 191, 8.99 “ . Wie bei dem zugehörigen Verb εὐπαθέειν (zu dessen Verwendung und Bedeutung in Herodots Historien siehe Anm. 792) weisen die Wortbestandteile εὐ und πάσχειν auf ein Erleben und Erfahren einer angenehmen Situation hin. Sowohl das öffentliche Fest (vgl. dazu Kap. 4.2.2.1) als auch das Symposion (vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6) stellen mögliche Situationen dar, die ein solches intensives Erleben ermöglichen. So verwendet der Text die Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι noch in I, 191.6, um die besonders heitere Stimmung der Babylonier zu beschreiben, die gerade ein Fest feiern und trotz der Belagerung in guter Stimmung sind. Außerdem umschreibt der Text mit derselben Wendung in VIII, 99.1 den zunächst freudigen Zustand, der unter den Persern in Susa herrscht, als sie davon erfahren, dass Athen zerstört worden ist, bevor sie dann von der Niederlage in Salamis erfahren und in großen Kummer verfallen (VIII, 99.2). Εὐπαθείη wird unabhängig von der Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι in Herodots Historien nur in I, 135 verwendet. Dort beschreibt εὐπαθείη keinen Zustand, sondern drückt im Plural verwendet die vergnüglichen Genüsse aus, die die Perser gerne von anderen Völkern übernehmen ( καὶ εὐπαθείας τε παντοδαπὰς πυνθανόμενοι ἐπιτηδεύουσι - I, 135). 832 Zur Verwendung von ξεῖνοι an dieser Stelle zur Umschreibung des Bündnisses zwischen Milesiern und Lydern siehe Kap. 2.1.1.2.2 sowie dort besonders Anm. 89. 833 Dass ein aufwendig vorbereitetes Mahl sinnbildlich auf den guten Zustand eines Landes hindeuten kann, zeigt sich auch an einer weiteren Stelle in den Historien: Als die Pelasger veranlasst durch das Orakel in Delphi zu den Athenern kommen, um ihnen Genugtuung für ihre Verbrechen an den in Brauron geraubten athenischen Frauen und deren Söhne zu leisten (VI, 138 - 139), bereiten die Athener sorgfältig eine Kline sowie einen reichlich gedeckten Tisch vor. Sie fordern die Pelasger auf, ihnen ihr Land in einem solchen Zustand zu übergeben, wie dieses Mahl vorbereitet sei ( Ἀθηναῖοι δὲ ἐν τῷ πρυτανηίῳ κλίνην στρώσαντες ὡς εἶχον κάλλιστα καὶ τράπεζαν ἐπιπλέην ἀγαθῶν πάντων παραθέντες ἐκέλευον τοὺς Πελασγοὺς τὴν χώρην σφίσι παραδιδόναι οὕτως ἔχουσαν - VI, 139.3). Das reichliche und sorgfältig vorbereitete Mahl wird demnach nicht nur zum Symbol für ein reiches, sondern auch für ein gut gepflegtes Land. 244 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="245"?> Festmahls, kann sich diese zunutze machen und so seinen Plan erfolgreich in die Tat umsetzen. Mit Blick auf die Terminologie fällt auf, dass κώμος in Herodots Historien nur an dieser Stelle verwendet wird ( τότε πίνειν τε πάντας καὶ κώμῳ χρᾶσθαι ἐς ἀλλήλους - I, 21.2). Als κώμος wird auch der Zug von Symposiasten nach einem Symposion durch die Stadt bezeichnet. 834 Hier ist κώμος zwar in Verbindung mit πίνειν verwendet, aber dass in dieser Stiuation ein gewöhnliches Symposion stattfindet, kann inhaltlich ausgeschlossen werden. So wird durch κώμος an dieser Textstelle das reichliche Essen in festlicher Stimmung bezeichnet, das in Gemeinschaft geschieht ( ἐς ἀλλήλους - I, 21.2), bei dem auch das Trinken miteingeschlossen ist und Sorglosigkeit ausgedrückt wird. 835 Dass alle Milesier zusammen speisen, weist auf die Größe des Festes hin. Der Text hebt also durch die Verwendung von κώμος ebenso wie durch die Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι (I, 22.1) 836 die ausgelassene und fröhliche Stimmung hervor, die die Milesier den Lydern auf diese Weise eindrücklich vorspielen können. Das luxuriöse Mahl spiegelt also das generelle Wohlergehen der Stadt wider. Wird ein Volk als wohlhabend dargestellt, hat das in den Historien aber nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Feinde abgeschreckt werden. Im Gegenteil kann es auch dazu führen, dass andere Völker diesen Luxus begehren. 837 Der Wohlstand wird in diesem Fall zu einem möglichen Auslöser für einen Krieg. So rät der Lyder Sandanis Kroisos von einem Feldzug gegen die Perser mit der Begründung ab, diese hätten - im Gegensatz zu ihnen selbst - nichts, was ihnen 834 Zum Komos als Abschnitt, der auf das Symposion folgt, siehe Kap. 2.2.3.1 mit Anm. 258. 835 Vgl. dazu κῶμος in LSJ, S. 1018: „ revel, carousal, merry-making [ … ] 2. concrete, band of revellers [ … ] “ . McNeal (1986, S. 116) übersetzt κώμωι [ … ] ἐς ἀλλήλους hier mit „‘ join each other in revelry ’“ . Köster (2011, S. 117) betont, dass sich Thrasybulos einen besonderen Effekt des Komos gezielt zunutze mache: „ Mitunter war der Komos auch ein Bestandteil von Stadtfesten und galt als ein Ausdruck besonderer Sorglosigkeit, weil das Leben in der Stadt offenbar gesichert und daher unbeschwert war. “ 836 Vgl. Anm. 831. 837 Vgl. dazu Bowie (2003), S. 108 bzw. Anm. 886 in der vorliegenden Arbeit. So versucht Mardonios, Xerxes unter anderem dadurch zu einem erneuten Feldzug gegen Athen bzw. die Griechen zu überreden, indem er anführt, wie fruchtbar und vorzüglich Europa sei (VII, 5.3). Als das persische Heer des Xerxes dann aber bereits den Feldzug begonnen hat und Xerxes Demaratos in Anbetracht der enormen Größe seines Heeres fragt, ob die Griechen überhaupt einen Angriff wagen (VII, 101), antwortet Demaratos, anders als zuvor bei seiner Argumentation für den Krieg: Die Griechen seien arm, aber zugleich tüchtig (VII, 102.1). Die Lakedaimonier hebt er von allen Griechen hervor und betont, dass diese niemals die Verknechtung Griechenlands akzeptieren würden (VII, 102.2). Von einem fruchtbaren Land, das Annehmlichkeiten bringt, ist nun keine Rede mehr. Auch hier wird eine Argumentation mit Blick auf die Fruchtbarkeit eines Landes angepasst an das erhoffte Ziel verwendet. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 245 <?page no="246"?> weggenommen werden könne. Er beschreibt die Perser nun näher, indem er berichtet, sie trügen nur Lederbekleidung, könnten aufgrund der geringen Fruchtbarkeit ihres Landes nicht so viel essen, wie sie wollten ( σιτέονται δὲ οὐκ ὅσα ἐθέλουσι , ἀλλ᾽ ὅσα ἔχουσι , χώρην ἔχοντες τρηχέαν - I, 71.2) 838 , und tränken außerdem gewöhnlich keinen Wein, sondern Wasser ( πρὸς δὲ οὐκ οἴνῳ διαχρέωνται , ἀλλὰ ὑδροποτέουσι - I, 71.3). 839 Sandanis fährt fort, indem er auf den Verzehr von Feigen eingeht. In Wilsons Ausgabe lautet der Text an dieser Stelle: { οὐ } σῦκα δὲ ἔχουσι τρώγειν , οὐκ ἄλλο ἀγαθὸν οὐδέν (I, 71.3). Im Gegensatz zu z. B. Hude athetiert Wilson hier das οὐ , sodass demnach den Persern Feigen als Nahrungsmittel zugeschrieben werden, und zwar als einziges Gut (= ἀγαθόν ) in diesem Bereich. Der Text fasst zusammen, dass die Perser vor der Unterwerfung durch die Lyder nichts Feinsinniges und Gutes gehabt hätten ({ Πέρσῃσι γάρ , πρὶν Λυδοὺς καταστρέψασθαι , ἦν οὔτε ἁβρὸν οὔτε ἀγαθὸν οὐδέν } - I, 71.4). Wilson allerdings athetiert auch diesen Satz. Unter Beachtung der Athetese des { οὐ } in I, 71.3 besitzen die Perser ja ein Gut in diesem Bereich, nämlich die Feigen. 840 Doch davon unabhängig wird deutlich, dass die Speisegewohnheiten der Perser laut Sandanis aus lydischer Sicht insgesamt weder quantitativ noch qualitativ zufriedenstellend sind. Für den Wein wird in I, 71 zudem offensichtlich, dass er zu den lydischen Luxusgütern gerechnet wird. Sandanis betont mit Blick auf den Wein, dass die Perser ihn gewöhnlich nicht ‚ gebrauchen ‘ ( οὐκ οἴνῳ διαχρέωνται - I, 71.3), schließt damit aber nicht aus, dass die Perser Kenntnis von Wein haben. 841 Die Zuschreibung, sie würden 838 Durch die Verwendung von σιτέεσθαι wird ersichtlich, dass es sich nicht um das Speisen im Rahmen von ausgiebigen Bewirtungen handelt, das Sandanis den Persern abspricht. Denn durch σιτέεσθαι wird in den Historien in erster Linie immer dann ein Speisen umschrieben, wenn es aus der Notwendigkeit zur Nahrungsaufnahme heraus geschieht, oder wenn es sich um die Beschreibung von Speisesitten bestimmter Völker handelt. Daher wird deutlich, dass nach Sandanis ’ Aussage, die Perser nicht einmal genug zu essen bekommen, um richtig satt zu werden. Für die Bedeutung von σιτέεσθαι in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.7. 839 Vgl. dazu die Bedeutung von διαχράομαι in LSJ, S. 420: „ I. Dep., c. dat. rei, use constantly or habitually, chiefly in Hdt. “ . Zu ὑδροποτέειν vgl. Anm. 514. 840 McNeal (1986, S. 138) bemerkt zudem zu Recht, dass das γάρ nicht mit logischem Sinn auf οὐκ ἔπειθε folgt ( ταῦτα λέγων οὐκ ἔπειθε τὸν Κροῖσον . { Πέρσῃσι γὰρ , [ … ]} - I, 71.4). 841 Der Text gibt lediglich an, dass die Perser Wein nicht verwenden ( πρὸς δὲ οὐκ οἴνῳ διαχρέωνται - I, 71.3; siehe dazu Anm. 839), was auf ärmliche Verhältnisse hindeutet. Xenophon gibt in seiner Kyrupädie zu erkennen, dass die Perser Wein gewöhnlich schon vor der Unterwerfung des Kroisos tranken (vgl. z. B. Xen. Kyr. VI, 2.26 - 29). Auch aus der Darstellung von Herodots Historien kann geschlossen werden, dass die Perser Wein durchaus bereits zu dieser Zeit konsumierten. Denn schließlich entscheiden sie sich nach dem Genuss von Wein und reichlichem Essen für Kyros ’ Herrschaft und damit für den Abfall von den Medern (I, 126), was chronologisch vor der Unterwerfung der Lyder 246 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="247"?> weder Wein noch viel gutes Essen konsumieren, kann an dieser Stelle mit einem für Herodots Historien typischen Motiv erklärt werden, das David Asheri als „ Herodotus ’ motif of the ‘ primitivism ’ of the enemy “ bezeichnet, wodurch ein Ratgeber einen Herrscher von einem Feldzug gegen ein Volk abzuraten versucht. 842 Das bedeutet nicht, dass Sandanis ’ Hinweis auf die einfache Lebensweise der Perser vor der Unterwerfung Lydiens falsch ist, aber, dass bestimmte Merkmale hervorgehoben werden, um die Argumentation zu verstärken, wie eben durch den Hinweis, die Perser würden zu dieser Zeit noch keinen Wein konsumieren. Einmal von solchen Luxusgütern gekostet, sei es laut Sandanis schwierig, wieder davon loszukommen ( γευσάμενοι γὰρ τῶν ἡμετέρων ἀγαθῶν περιέξονται οὐδὲ ἀπωστοὶ ἔσονται - I, 71.3). Sandanis greift durch die metaphorische Verwendung von γεύεσθαι ( ‚ kosten ‘ ) auf eine Vokabel zurück, die bei Herodot meistens in Verbindung mit Essen steht, wodurch der Text impliziert, dass diese Luxusgüter in erster Linie aus Speisen und Getränken bestehen. 843 Sandanis rechnet also damit, dass die Perser, wenn sie den Luxus der Lyder kennengelernt hätten, diesen nicht mehr missen möchten. Und so folgert er, dass das Engagement der Perser in einem Krieg gegen die Lyder groß sein werde, um die bei den Lydern gekosteten Gaben weiterhin genießen zu können (I, 71.3). Sandanis wägt also über den Feldzug ab, indem er die Lebenssituationen der beiden Gegenden miteinander vergleicht, wobei die Speise- und Trinkgewohnheiten eine entscheidende Rolle spielen. Die jeweilige militärische Stärke dagegen bleibt in seiner Argumentation unbeachtet. Kroisos entscheidet sich trotz dieses Ratschlags für den Feldzug. Da der Text explizit aussagt, dass Sandanis in Lydien bereits vor seinem Rat als weise gilt ( τῶν τις Λυδῶν νομιζόμενος καὶ πρόσθεν εἶναι σοφός - I, 71.2), erkennt der Leser, dass die Entscheidung des Kroisos gegen Sandanis ’ Vorschlag eben nicht weise ist. Das Scheitern des Feldzugs wird also erwartet. Selbst geblendet durch seinen reichen Besitz und seinem Streben nach Expansion, verlangt Kroisos nach mehr geschehen sein muss, da Kyros beim Krieg gegen die Lyder bereits Großkönig ist. Hätten die Perser noch keine Kenntnis von Wein, könnte der Grund dafür, dass sie Wein nicht trinken, die Unwissenheit sein. So allerdings kann aus dem Hinweis, sie würden trotz der Kenntnis von Wein, diesen nicht ‚ verwenden ‘ , auf ärmliche Lebensverhältnisse geschlossen werden. 842 Asheri in Asheri et al. (2007), S. 132. Asheri (ebd.) bemerkt, dass sich die Perser nach der Eroberung der Lyder dieses Primitivismus selbst entledigten, aber dennoch weiterhin im Krieg gegen ‚ primitivere ‘ Völker wie die Massageten, die Aithiopier, die Skythen und die Griechen zu Reichtum gelangen. Zum Primitivismus dieser Völker vgl. auch Asheri et al. (2007), S. 43 f., S. 67 sowie Cobet (1971), S. 104 - 117. 843 Zur Bedeutung und Verwendung von γεύεσθαι in Herodots Historien siehe Anm. 522. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 247 <?page no="248"?> und missachtet daher Sandanis ’ klugen Rat. 844 Hätte Kroisos auf ihn gehört, hätte er die Niederlage vermeiden können - auch wenn diese vielmehr auf eine kluge Strategie des Kyros zurückzuführen ist als auf deren Lebenssituation (I, 80). Sandanis allerdings wurde durch seinen Rat sehr berühmt ( ἀπὸ δὲ ταύτης τῆς γνώμης καὶ τὸ κάρτα οὔνομά ἐν Λυδοῖσι ἔχων - I, 71.2). Betont werden soll hier allerdings noch, dass nicht die Rede davon ist, dass Luxusgüter wie z. B. Wein die Lyder durch damit einhergehende Verweichlichung schwächer machen. Entscheidend an Sandanis ’ Ratschlag ist lediglich der Anreiz, den diese Güter bieten, und die damit die Perser, die diese noch erwerben können, zu der engagierteren Partei machen könnten. 845 Schließlich war das lydische Volk gemäß dem Text der Historien damals das tapferste und wehrhafteste ( ἦν δὲ τοῦτον τὸν χρόνον ἔθνος οὐδὲν ἐν τῇ Ἀσίῃ οὔτε ἀνδρηιότερον οὔτε ἀλκιμώτερον τοῦ Λυδίου - I, 79.3). 846 Zu Herodots Lebenszeit hingegen gilt das lydische Volk bereits als verweichlicht. 847 Der Text gibt durch die Wiedergabe eines Rates des Kroisos an Kyros nach dem persischen Sieg eine Begründung für die Verweichlichung der Lyder an. Kroisos gibt diesen Rat, da er fürchtet, Kyros werde Sardes zerstören (I, 155.2), nachdem der Lyder Paktyes von Kyros abgefallen war und mit einem Söldnerheer Sardes belagert hatte (I, 154). Kyros hatte Paktyes vor seiner Reise nach Agbatana das Geld der Lyder anvertraut (I, 153.3). Damit es in Zukunft kein Lyder mehr wage, sich gegen Kyros zu erheben, solle ihnen also gemäß Kroisos ’ Anraten das Tragen von Waffen verboten werden ( ἄπειπε μέν σφι πέμψας ὅπλα ἀρήια μὴ ἐκτῆσθαι - I, 155.4). Stattdessen solle er ihnen befehlen, Untergewänder unter ihren Kleidern sowie Stiefel zu tragen, die nicht für den Kriegsdienst geeignet sind ( κέλευε δέ σφεας κιθῶνάς τε ὑποδύνειν τοῖσι εἵμασι καὶ κοθόρνους ὑποδέεσθαι - I, 155.4) 848 . Ihre Kinder sollen Saiteninstrumente spielen und lernen, Handel zu treiben ( πρόειπε δ᾽ αὐτοῖσι κιθαρίζειν τε καὶ ψάλλειν καὶ καπηλεύειν παιδεύειν τοὺς παῖδας - I, 155.4). Durch die syntaktische Verknüpfung durch μέν … δέ ( ἄπειπε μέν [ … ] ὅπλα ἀρήια μὴ ἐκτῆσθαι , κέλευε δέ [ … ], πρόειπε δ᾽ [ … ] - I, 155.4) wird der Kontrast zwischen Waffen als Werkzeug des Krieges und der jetzt geforderten für den Kampf untauglichen Kleidungstücke und der Konzentration auf Musik und Handel anstatt auf Kriegsübungen verdeutlicht. Auf diese Weise würden die Männer schnell zu Frauen werden und damit würde kein abtrünniges Verhalten wie das von Paktyes mehr drohen ( καὶ 844 Vgl. Müller (2009), S. 175 mit weiteren Literaturhinweisen. 845 Vgl. dazu Bowie (2003), S. 108 sowie Anm. 886 in der vorliegenden Arbeit. 846 Zur Tapferkeit der Lyder vgl. auch I, 80.6. 847 Vgl. How/ Wells (1912a), S. 95. 848 Vgl. dazu κόθορνος in LSJ, S. 966: „ buskin, high boot, Hdt. 1.155, 6.125 [ … ]; worn by tragic actors in heroic characters “ . 248 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="249"?> ταχέώς σφεας , ὦ βασιλεῦ , γυναῖκας ἀντ᾽ ἀνδρῶν ὄψεαι γεγονότας , ὥστε οὐδὲν δεινοί τοι ἔσονται μὴ ἀποστέωσι - I, 155.4). Kyros setzt diesen Rat um (I, 156.2). Nicht die Luxusgüter wie Wein und feines Essen sind also Ursache für die Verweichlichung der Lyder, sondern das ihnen nun anbefohlene Verhalten. Erst dadurch verändern die Lyder ihre ganze Art zu leben ( ἐκ τούτου δὲ κελευσμοσύνης Λυδοὶ τὴν πᾶσαν δίαιταν τῆς ζοῆς μετέβαλον - I, 157.2) und werden so zum Gegenteil derer, die sie vor der Niederlage gegen die Perser waren. Am Ende der Historien lässt der Text Kyros aber dennoch explizit die hohe Fruchtbarkeit eines Landes mit geringerer militärischen Fähigkeit in Verbindung bringen. 849 Als Artembares Kyros davon überzeugen möchte, in ein fruchtbareres Gebiet umzusiedeln, um ein leichteres Leben führen zu können, rät Kyros von diesem Vorhaben ab. Es bestünde ansonsten die Gefahr, von Herrschern zu Sklaven zu werden. Denn die Männer reicher und angenehmer Länder werden verweichlicht ( οὕτω δὲ αὐτοῖσι παραίνεε κελεύων παρασκευάζεσθαι ὡς οὐκέτι ἄρξοντας ἀλλ᾽ ἀρξομένους · φιλέειν γὰρ ἐκ τῶν μαλακῶν χώρων μαλακοὺς ἄνδρας γίνεσθαι - IX, 122.3). Diese Denkweise des weisen Kyros ist in seinem Versprechen an die künftigen Untertanen in I, 126.5 - 6, unter seiner Herrschaft ein leichteres Leben führen zu können, noch nicht zu erkennen. Schließlich verbildlicht er seine Herrschaft dort gerade durch ein reichliches Mahl (I, 126.2 - 3). 850 Angus Bowie macht diesbezüglich eine hilfreiche Beobachtung, indem er Kyros in Herodots Historien als „ a symbol of the paradox of imperialism “ bezeichnet. 851 Denn in der Entscheidung für 849 Dewald (1997, S. 68) sieht in diesem Handlungsverlauf eine Überschneidung zwischen ethnographischen Beschreibungen und detaillierten Darstellungen politischer Tätigkeiten und Entscheidungsfindungen - zwei für Herodots Historien grundlegende Erzählformen. 850 Vgl. dazu Hobden (2013, S. 91): „ The good things which Cyrus commends to his men in the shape of a reclining banquet with food and wine, and which are subsequently symbolized through Persian dining style, transforms them in the long run from rulers to slaves. “ Allerdings ist diese Ansicht nicht unumstritten (siehe dazu Anm. 867). Zu den beiden kontrastiven Rollen, die Kyros in den Historien vertritt, siehe Immerwahr (1966, S. 146/ Anm. 190); Moles (1996), S. 274 f; Dewald (1997, S. 72), die Kyros in Buch I als „ conqueror “ und in Buch IX als „‘ warner ’“ bezeichnet; Flower/ Marincola (2002), S. 311 f.; Müller (2009), S. 175 - 80. Zur Interpretation und Eingliederung der Episode von IX, 122 in Herodots Historien siehe z. B. How/ Wells (1912b), S. 336 f.; von Fritz (1967), S. 274 - 279; Krischer (1974); Erbse (1992), S. 42 - 44; Moles (1996), bes. S. 273 - 277; Dewald (1997), bes. S. 73 - 82; Pelling (1997), bes. S. 61 - 64; Flower/ Marincola (2002), S. 311 - 314; Asheri/ Vannicelli (2006), S. 342 - 344; Flower (2006), S. 287; Müller (2009), S. 178 - 180; Ruffing (2016) und dabei auch besonders Ruffings Zusammenfassung zahlreicher bisher in der Forschung getätigter Interpretationen und Analysen von IX, 122 auf S. 184 - 190. 851 Bowie (2003), S. 108. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 249 <?page no="250"?> Kyros im ersten Buch der Historien wählen die Perser das Festmahl anstatt der harten Arbeit (I, 126.4) und damit auch den Weg, auf dem das bisher noch ärmlichere persische Land wohlhabender wird; so zeigt sich: „ rough lands breed rough warriors, but they will almost inevitably end up conquering soft lands and enjoying banquets. “ 852 Aus dem Text ist zu erschließen, dass die persischen Lebensverhältnisse während Kyros ’ Regentschaft nach der lydischen Niederlage tatsächlich luxuriöser werden. Denn es wird allgemein über die Perser erwähnt, dass sie alle genussvollen Vergnügungen ( εὐπαθείας τε παντοδαπὰς - I, 135) 853 übernehmen, von denen sie erfahren und die ihnen gefallen, selbst wenn es sich um Bräuche anderer Völker handelt (I, 135). Es ist also anzunehmen, dass die Perser nach der Unterwerfung der Lyder sogleich deren luxuriösen Annehmlichkeiten nun auch für sich beanspruchen. 854 Bei Kyros ’ Feldzug gegen die Massageten sind es dann bereits die Perser, die als reicheres Volk gegen ein ärmlicher lebendes ziehen und verlieren. So bezeichnet Kroisos die Massageten gegenüber Kyros noch vor der Schlacht als unerfahren in den nun persischen Luxusgütern ( ὡς γὰρ ἐγὼ πυνθάνομαι , Μασσαγέται εἰσὶ ἀγαθῶν τε Περσικῶν ἄπειροι καὶ 852 Bowie (2003), S. 108. Den logischen Rückschluss, dass ärmere und karge Länder tapfere Krieger hervorbringen, unternimmt Kyros allerdings nicht explizit. Die Eigenschaften Tapferkeit und Armut treffen in den Historien laut Demaratos ᾽ Beschreibung auf die gegen die Perser siegreichen Griechen zu. Denn in VII, 102 betont Demaratos einerseits die Armut der Griechen, andererseits aber auch ihre Tapferkeit (siehe Anm. 837). Er macht diese beiden Eigenschaften allerdings nicht voneinander abhängig, denn er sagt, dass die Armut einerseits schon immer für Griechenland gewöhnlich war, tapfere Mannhaftigkeit allerdings erst hinzuerworben werden musste und durch Klugheit und starkes Gesetz erarbeitet worden sei ( τῇ Ἑλλάδι πενίη μὲν αἰεί κοτε σύντροφός ἐστι , ἀρετὴ δὲ ἐπακτός ἐστι , ἀπό τε σοφίης κατεργασμένη καὶ νόμου ἰσχυροῦ - VII, 102.1). Durch die μέν … δέ -Konstruktion wird deutlich, dass sich Armut und Tapferkeit gegenseitig nicht beeinflussen. Zwar kann Griechenland als armes Land im Gegensatz zu fruchtbaren Ländern tapfere Männer hervorbringen, aber zugleich wird hier im Text ersichtlich, dass nicht alle armen Völker in der Darstellung der Historien zwangsläufig als tapfer und nicht alle tapferen Völker als arm gelten. 853 Zur Bedeutung von εὐπαθείη siehe die Ausführungen in Anm. 831. 854 Vgl. dazu den von Wilson athetierten Satz in I, 71.4, wo der Text beschreibt, dass die Perser vor der Unterwerfung der Lyder nichts Feinsinniges und Gutes besaßen ({ Πέρσῃσι γάρ , πρὶν Λυδοὺς καταστρέψασθαι , ἦν οὔτε ἁβρὸν οὔτε ἀγαθὸν οὐδέν } - I, 71.4). How/ Wells (1912a, S. 92) heben hervor, dass Herodot mit der Sandanis-Erzählung den Kontrast zwischen der Einfachheit der Lebensstandards bei den „ early Persians “ und dem späteren Luxus im Perserreich „ dramatically “ veranschauliche. Noch kurz nach dem Sieg gegen die Lyder beschreibt Kroisos die Perser in seinem Rat an Kyros als mittellos ( ἀχρήματοι - I, 89.2), als er bemerkt, wie die Perser Sardes plündern. Vgl. auch Pelling (1997), S. 62; Flower/ Marincola (2002), S. 252, S. 312; Flower (2006), S. 284; Hobden (2013), S. 90. 250 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="251"?> καλῶν μεγάλων ἀπαθέες - I, 207.6). 855 Dass es sich bei diesen Luxusgütern unter anderem um reichliches und feines Essen sowie Wein handelt, wird aus dem Vorhaben deutlich, das Kroisos Kyros vorschlägt: Das Anrichten eines Festmahls mit ungemischtem Wein soll die Massageten anlocken und schließlich wehrlos machen (I, 207.6 - 7). 856 Entscheidend dafür ist, dass die Massageten, auch wenn sie nicht arm sind, eine primitivere Lebensweise führen. 857 Kroisos dient die Information über die einfachere Lebensweise der Massageten also nicht als Orientierungspunkt für die Einschätzung der kriegerischen Leistung der Massageten, sondern er verwertet sie für eine List, durch die es ihm unter anderem gelingt, Spargapises, den Sohn der Massagetenkönigin, gefangen zu nehmen. Es ist gerade der Wein, der nun als persisches Gut den Massageten zum Verhängnis wird. 858 Der endgültige Sieg jedoch gehört den einfacher lebenden Massageten (I, 214.2 - 3). 859 Es hat sich also gezeigt, dass in Herodots Historien nicht Reichtum oder Armut eines Landes entscheidend dafür sind, ob es sich im Kampf als tapfer erweist oder nicht. Stattdessen ist es die Lebensweise, die sich durch das Kennenlernen von Luxus und Wohlleben durch den Sieg über ein anderes Volk natürlich verändern und schließlich die Wehrhaftigkeit eines Landes gefährden kann. Nur kurz vor dem Rat des weisen Kyros in IX, 122.3 ist eine weitere Anekdote zu finden, 860 in der die Lebensweisen zweier Völker, nämlich die der Spartaner und der Perser, symbolisch anhand eines Mahls gegenübergestellt werden (IX, 82). Dieser Mahlvergleich findet also nach der Schlacht bei Plataiai seinen Platz. Angus Bowie macht darauf aufmerksam, dass diese wichtige Schlacht in 855 Vgl. dazu Flower/ Marincola (2002), S. 312. Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 132) bemerkt, dass sich Kroisos an dieser Stelle auf die Argumentation des Sandanis (I, 71.2 - 4) stützt, die er zu seinem eigenen Unglück vor seinem Feldzug gegen Kyros selbst noch missachtet hat. 856 Siehe zu dieser List des Kyros die Ausführungen in Kap. 4.2.1.1. 857 Vgl. dazu Cobet (1971, S. 106), der bezüglich der Aithiopier und Massageten in der Darstellung der Historien angibt, dass deren Primitivität nicht Armut bedeute - denn beide Völker sind reich an Gold (Massageten: I, 215 / Aithiopier: III, 23.4) - , sondern „ Ursprünglichkeit “ . Cobet (1971, S. 106/ Anm. 506) nennt dafür als Beispiel, dass sich die Massageten von Fleisch, Fisch und Milch (I, 216.3 - 4) ernähren und die Aithiopier von Fleisch und Milch (III, 23.1). 858 Doch entscheidend ist, dass, wie Müller (2009, S. 177) schreibt, nicht „ Essen und Trinken an sich [ … ] bei Herodot negativ konnotiert [sind], sondern der unmäßige, von den Göttern nicht zugeteilte Genuss, der zur Katastrophe führt. “ Hier ist es also nicht der Wein, der den Massageten schadet, sondern dessen maßloser Konsum. 859 Vgl. dazu auch Hobden (2013), S. 90. 860 Das Kapitel IX, 82 bewertet Wilson im kritischen Apparat als „ additamentum auctoris “ , wie es bereits Stein erkannt habe. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 251 <?page no="252"?> den Historien von zwei Gastmählern eingerahmt werde, die „ more or less explicit “ 861 die griechische und persische Ideologie miteinander in Vergleich setzen: Durch das Gastmahl bei Attaginos (IX, 15.4 - 16.5) 862 vor der Schlacht und eben diesen Mahlvergleich durch Pausanias nach der Niederlage der Perser (IX, 82). 863 In beiden Szenen kommt die persische Niederlage zum Ausdruck: Am Gastmahl von Attaginos nehmen Perser teil, von denen einer den Tod zahlreicher seiner Kameraden voraussagt, während beim Mahlvergleich bei Pausanias als Konsequenz der Niederlage keine Perser mehr vor Ort sind. Die Prophezeiung von Attaginos ’ Gastmahl scheint eingetreten und im Mittelpunkt steht daher nun der große Verlust der Perser. Die Mähler, die Pausanias bereiten lässt, rufen also beim Rezipienten gezielt das Treffen bei Attaginos und zugleich die dortige melancholische Stimmung und die Worte des Persers in Erinnerung (IX, 16.4 - 5), die sich nun als bewahrheitet herausgestellt haben. Doch dies ist nicht der einzige Gedanke, der anhand des Mahlvergleichs von Pausanias verbildlicht wird, worauf ich nun genauer eingehen möchte. Da Mardonios in der Schlacht bei Plataiai stirbt (IX, 63.2), geht die gesamte Ausrüstung, die Xerxes zuvor aufgrund seiner Flucht aus Griechenland bei Mardonios zurückgelassen hatte (IX, 82.1), in den Besitz der Griechen über. Das Zelt, das sich darunter befindet, ist für Pausanias ’ Augen unfassbar wertvoll, denn es besteht aus Gold, Silber und bunten Stoffdecken ( Παυσανίην ὦν ὁρῶντα τὴν Μαρδονίου σκηνὴν χρυσῷ τε καὶ ἀργύρῳ καὶ παραπετάσμασι ποικίλοισι κατεσκευασμένην - IX, 82.1). Daraus zieht Pausanias Rückschlüsse auf den Reichtum des persischen Anführers. Diesen Reichtum lässt er sich nun durch das Zubereiten eines üppigen Mahls wie für Mardonios veranschaulichen ( κελεῦσαι τούς τε ἀρτοκόπους καὶ τοὺς ὀψοποιοὺς κατὰ ταὐτὰ καὶ Μαρδονίῳ δεῖπνον παρασκευάζειν - IX, 82.1). Auch wenn das gesamte persische Heer mehrfach in den Historien als reich an Schätzen dargestellt wird, 864 wird das 861 Bowie (2003), S. 106. 862 Siehe dazu Kap. 3.1.2. 863 Bowie (2003), S. 106 f. Bowie (2003, S. 107) verweist darauf, dass bei Attaginos ’ Gastmahl ein Kontrast zwischen Persern und Griechen - zumindest implizit - erkannt werden kann, und zwar „ between the Persian ’ s subordination to their rulers and the Greek ideal of free speech “ (siehe dazu Anm. 647). 864 Den Reichtum der Perser betont der Text in den Historien durch die mehrfache Erwähnung, dass Gold, Silber oder wertvolle Gefäße auf den persischen Feldzügen mitgeführt werden. Dabei werden diese Güter nicht explizit als Besitz des Großkönigs deklariert, sodass der Text auf diese Weise den allgemeinen Wohlstand des persischen Heeres hervorhebt. So beschreibt er in VII, 190, wie durch einen Sturm zahlreiche persische Schiffe zerstört werden und viele Kostbarkeiten, unter anderem goldene und silberne Trinkgefäße, an Land gespült werden. Ameinokles aus Magnesia nimmt einige dieser Gegenstände an sich und wird auf diese Weise zu einem reichen Mann (VII, 190). In IX, 41.3 erwähnt der Text ebenfalls, dass sich viel Gold, Silber und Trinkgefäße im 252 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="253"?> Mahl, das nun bereitet wird, im Text explizit auf Mardonios bezogen, 865 dem die zugehörige Ausrüstung zuletzt gehört hatte. Es bildet also nicht die allgemeine persische Speisegewohnheit ab, sondern die ihres Anführers Mardonios ( κατὰ ταὐτὰ καὶ Μαρδονίῳ - IX, 82.1). An anderer Stelle wird in den Historien ersichtlich, dass nicht jeder persische Soldat und damit auch nicht jeder Perser eine solch reichliche Bewirtung zu erwarten hat, wie sie nun geschildert wird. 866 Dieses Mahl spiegelt also den Überfluss an Luxus der führenden Perser wider und es zeigt sich daran nach der Niederlage gegen die Griechen, dass sich die persische Lebenssituation zumindest der führenden sozialen Schicht und des Großkönigs im Vergleich zu der Zeit, in die Kyros ’ weiser Rat (IX, 122) einzuordnen ist, verändert hat. 867 Die Armut der Perser, die Sandanis Kroisos persischen Besitz befinden: Er berichtet, wie Artabazos vergeblich versucht, die Perser von der Schlacht abzuhalten. Nach dessen Plan, der von Mardonios abgelehnt wird, hätte sich das Heer nach Theben zurückgezogen und sich den Sieg über die Griechen mit ihrem Reichtum erkauft, der durch Gold, Silber und Trinkgefäße definiert wird (IX, 41). Auch kurz vor Pausanias ’ Mahlvergleich wird in IX, 80 der Reichtum der Perser durch die mitgeführten wertvollen Gegenstände dargestellt. Denn im ganzen persischen Lager verteilt werden nach der Schlacht bei Plataiai zahlreiche Kostbarkeiten gefunden (IX, 80.1 +2). Wie zuvor nach dem Sturm Ameinokles (VII, 190) kommen nun die Aigineten, die viel von diesem Gold zu geringem Preis erwerben, auf diese Weise zu ihrem Reichtum - wie der Text darlegt (IX, 80.3). Nochmals hervorgehoben wird die reiche Beute, die die Griechen von den Persern erlangen, in IX, 81 und IX, 83.1. 865 Vgl. dazu Flower/ Marincola (2006, S. 252): „ it is significant that Pausanias does not refer to the extravagant lifestyle of the Persians generally, but to that of Mardonius in particular “ . 866 In VII, 119.3 erfährt der Leser, dass das Heer im Gegensatz zum Großkönig und seinen Tischgenossen eben keine besondere Bewirtung während des Feldzugs erhält (vgl. dazu Kap. 4.1.2.1). Dass generell nicht alle Perser in den Historien als wohlhabend und reich dargestellt werden, wird in I, 133.1 deutlich (vgl. auch dazu Kap. 4.1.2.1). 867 Von Fritz (1967, S. 275) weist darauf hin, dass das zubereitete persische Gastmahl bei Pausanias geradezu „ das genaue Gegenstück “ zu der Anekdote in IX, 122 darstellt und somit IX, 122 Bezug auf das „ Motiv des Gegensatzes zwischen griechischer Einfachheit und orientalischem Luxus “ nimmt, welches sich unter anderem in der Kroisosgeschichte im ersten Buch der Historien finde. Zu diesem Kontrast zwischen Persern und Griechen siehe Anm. 872. Erbse (1992, S. 43) betont, dass das persische luxuriöse Wohlleben mehrfach in den Historien beschrieben wird und u. a. eben hier in IX, 82. Mit Blick auf IX, 122 bemerkt Erbse (ebd.) nun, dass die Perser ihre „ Grundsätze vernachlässigt [haben], die ehedem von ihnen ohne Einschränkung geachtet worden sind “ , und er sieht darin einen Hinweis „ auf einen wesentlichen Grund der persischen Niederlagen “ ; vgl. auch Pelling (1997), S. 62 f. Bowie (2003, S. 107 f.) bemerkt, dass das persische Bankett bei Pausanias ’ Mahlvergleich explizit mit der Art von Begierde und imperialem Expansionsstreben in Verbindung gebracht werde, die der Text in Herodots Historien als Ursache für das Scheitern der Perser in Griechenland impliziere. Siehe dazu Hobden (2013, S. 91): „ Pursuing a lifestyle focused on the good things embodied in the banquet effects a change in their national character [ … ], which impacts on their military prowess. Like the Lydians before them, they are now susceptible to hardier forces. “ Hobden (ebd.) 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 253 <?page no="254"?> raten lässt, von einem Feldzug gegen diese abzusehen (I, 71.2 - 4), ist hier nicht mehr zu spüren. Denn das Mahl wird sowohl durch das Inventar, durch goldene und silberne Liegen mit Decken und goldenen und silbernen Tischen, als auch durch dessen prachtvolle Zubereitung als besonders wertvoll dargestellt ( κλίνας 868 τε χρυσέας καὶ ἀργυρέας εὖ ἐστρωμένας καὶ τραπέζας τε χρυσέας καὶ ἀργυρέας καὶ παρασκευὴν μεγαλοπρεπέα τοῦ δείπνου - IX, 82.2). Durch die Umschreibung der Vorbereitung mit dem Adjektiv μεγαλοπρεπής stellt der Text die Pracht dieses Mahls heraus. 869 verweist dann ebenfalls auf IX, 122, wo in Kyros ’ Rat, nicht zu expandieren, die Art dieser Veränderung artikuliert werde. Mit Blick auf den Luxus beim Mahl des Großkönigs bemerkt Wiesehöfer (1998, S. 70), dass die „ griechischen Gewährsleute [diesen] häufig genug allein als Üppigkeit und Schwelgerei auffassen und ihn in seiner ‚ verweichlichenden ‘ Wirkung als eine Ursache für den Untergang des Perserreichs sehen wollen “ . Allerdings weisen Flower/ Marincola (2002, S. 312) bezüglich der persischen Niederlage gegen die Griechen darauf hin, dass in IX, 122 keine Erklärung dafür gegeben wird, weshalb die Perser Griechenland nicht erobern konnten, denn sie hätten sich an Kyros ’ Rat gehalten „ and did not move en masse into the plains [ … ]. And although the Persians attained a high degree of luxury as compared to the simpler and poorer Greeks [ … ], it is too simplistic to say [ … ] that H. attributes their defeat to softness caused by luxury. Book 9 makes it clear that the Persian warriors fought bravely and to the end “ ; vgl. auch Krischer (1974), S. 94; Pelling (1997), S. 63 f.; Flower (2006), S. 284 f. Von Fritz (1967, S. 278) bemerkt, dass sich Xerxes und zumindest „ die persischen Generäle und Vornehmen [ … ] seit langem nicht mehr an den Rat des Kyros gehalten haben. Die persischen Krieger im Heere des Xerxes dagegen haben, wie die Beschreibung der Schlacht bei Plataeae zeigt, [ … ] noch etwas von ihrer Tüchtigkeit bewahrt. “ Zum Luxus und Reichtum der Perser und ihrer Bankette siehe auch Briant (1989). 868 Die erwähnten Klinen weisen darauf hin, dass die Perser wie die Griechen beim Mahl lagen (vgl. dazu Kap. 2.2.3.5). 869 In den Historien wird μεγαλοπρεπείη bzw. μεγαλοπρεπής mehrfach verwendet, um etwas als besonders prächtig zu beschreiben. So kennzeichnet das Adjektiv μεγαλοπρεπής z. B. in V, 18.1 das dort veranstaltete Deipnon, das die Makedonen den persischen Gesandten auftischen, als prachtvoll (siehe dazu Kap. 4.2.3.4). Nenci (1994, S. 178) macht an dieser Textstelle darauf aufmerksam, dass μεγαλοπρεπείη für Personen von hohem sozialen Status charakteristisch ist und verweist auf VI, 128.1, wo die Bewirtung von Agaristes Freier durch Kleisthenes (siehe dazu Kap. 4.1.3.2) durch das Adverb μεγαλοπρεπέως als großzügig dargestellt wird, sowie auf eben diese Verwendung im Rahmen von Pausanias ’ Mahlvergleich. Nenci verweist hier (ebd.) zudem auf die ausführliche Bedeutungsanalyse von μεγαλοπρεπείη durch Cozzo (1991), S. 54 - 61. Auch Papakonstantinou zählt μεγαλοπρεπείη u. a. neben ξενίη zu den Schlagwörtern, durch die sich im archaischen und klassischen Griechenland Aristokraten zum Teil definierten und ihren Status öffentlich artikulierten (vgl. Papakonstantinou [2010], S. 75 f.). In Herodots Historien tritt μεγαλοπρεπείη bzw. μεγαλοπρεπής neben den bereits genannten Textpassagen (V, 18.1 / VI, 128.1 / IX, 82.2) noch an weiteren Stellen auf, die für die Deutung dieses Ausdrucks hilfreich sind. So ist dies z. B. in III, 125.2 der Fall, wenn Polykrates ’ Liebe zum Prunk durch μεγαλοπρεπείη beschrieben wird (für eine genauere Analyse zu der Verwendung von μεγαλοπρεπείη an dieser Stelle siehe Cozzo [1991], 254 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="255"?> Pausanias bewundert den Reichtum nicht, sondern wird bei dessen Anblick wie von einem Schlag getroffen ( ἐκπλαγέντα - IX, 82.2). 870 Er ist so bestürzt über den Reichtum, dass er den Unterschied zu der typischen spartanischen Lebensweise zum Spott ( ἐπὶ γέλωτι - IX, 82.2) darstellen möchte. Er lässt daher nun ein lakonisches Mahl vorbereiten, das die ärmliche Lebensweise seines Volkes im Kontrast zu dem Mahl des Mardonios symbolisiert. Hier ist im Text nicht die Rede davon, dass es sich um das Mahl eines spartanischen Anführers S. 57). In IV, 76.2 - 3 wird erwähnt, dass der Skythe Anacharsis nach Kyzikos kommt, während dort ein Fest auf prachtvolle Weise ( μεγαλοπρεπέως - IV, 76.3) für die ‚ Mutter der Götter ‘ gefeiert wird. In Kapitel VI, 122, das sich in Wilsons Ausgabe innerhalb eines als späteren Zusatz von Herodot gekennzeichneten Textpassage (VI, 121.1 - 123.1) befindet (vgl. dazu die Ausführungen von Wilson [2015], S. 120; darauf, dass diese Passage allgemein als Interpolation angesehen wird, verweist Cozzo [1991, S. 57/ Anm. 19]), wird beschrieben, dass Kallias seine Töchter heiraten lässt, wen sie möchten, und für sie eine äußerst großzügige Mitgift ( δωρεὴν μεγαλοπρεπεστάτην - VI, 122.2) leistet. In VII, 57.1 wird durch das Adverb μεγαλοπρεπέστατα dargestellt, wie überaus prachtvoll Xerxes seinen Feldzug führt. Cozzo (1991, S. 56 f. mit Anm. 19) macht mit Blick auf III, 125.2, besonders aber mit Verweis auf IV, 76.3 / V, 18.1 / VI, 122.2 / VI, 128.1 / VII, 57.1 / IX, 82.2 darauf aufmerksam, dass mit μεγαλοπρεπείη hohe Ausgaben verbunden sind (vgl. dazu auch Papakonstantinou [2010], S. 75 f. mit Anm. 15). Ein weiteres Mal findet sich μεγαλοπρεπείη noch in den Historien - allerdings mit einer anderen Bedeutungsnuance. Denn in I, 139, als die Besonderheit der persischen Namen erwähnt wird, die eben körperliche Eigenschaften und würdevolle Stellung ausdrücken ( τὰ οὐνόματά σφι ἐόντα ὁμοῖα τοῖσι σώμασι καὶ τῇ μεγαλοπρεπείῃ - Übersetzung: Ley- Hutton [2007a]), wird diese würdevolle Stellung als μεγαλοπρεπείη bezeichnet. Cozzo (1991, S. 56) sieht in I, 139.1 durch μεγαλοπρεπείη die „ qualità sociale della ‘ ragguardevolezza ’“ ausgedrückt, also die soziale Qualität der ‚ Auffälligkeit ‘ , die sich hier wohl, wie Cozzo bemerkt, auf die kriegerischen Leistungen bezieht. Papakonstantinou (2010, S. 75/ Anm. 15) schreibt über die Verwendung in I, 139.1 und IV, 76.3, dass μεγαλοπρεπείη an diesen beiden Textstellen „ denotes magnificence of a person as indicated by their name and the magnificence of a religious festival respectively “ . Μεγαλοπρεπείη oder μεγαλοπρεπής weisen also in Herodots Historien auf Pracht und auf das Hervorragen einer Person, einer Sache oder von Taten hin, die oft mit großem finanziellen Aufwand verbunden sind. Daraus ist zu schließen, dass alle Mähler, bei deren Darstellung der Text in Herodots Historien μεγαλοπρεπείη oder μεγαλοπρεπής verwendet, als großzügig und prachtvoll bereitet vorzustellen sind. 870 Flower/ Marincola (2002, S. 251) geben zu bedenken, ob durch ἐκπλήσσειν in Verbindung mit dem Lachen des Pausanias nicht bereits davon ausgegangen werden kann, dass Pausanias ’ späterer Gesinnungswandel (siehe dazu Anm. 875) bereits beginnt. Dabei verweisen sie darauf, dass ἐκπλήσσειν in den homerischen Epen die Bedeutung „ being driven out of one ’ s mind “ habe (ebd.). Asheri/ Vannicelli (2006, S. 288) erkennen hier dagegen eher einen schockierten Pausanias: „ il provinciale Pausania reste ‘ scioccato ’ dall ’ incontro con la raffinata civiltà persiana. “ Siehe dazu auch ἐκπλήσσω in LSJ, S. 517: „ II. drive out of one ’ s senses by a sudden shock, amaze, astound [ … ]; to be panic-struck, amazed, [ … ] to be astonished at a thing [ … ] 2. generally, of any sudden, overpowering passion, to be struck with [ … ] “ . 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 255 <?page no="256"?> handelt, sondern allgemein um ein lakonisches Mahl ( παρασκευάσαι Λακωνικὸν δεῖπνον - IX, 82.2). Damit wird ersichtlich, dass die Feldherrn der Spartaner im Gegensatz zu den persischen Anführern keine Bevorzugung in der Bewirtung erfahren. 871 Somit werden durch den Mahlvergleich nicht nur die Speisegewohnheiten und Lebensverhältnisse, sondern auch das persische hierarchische System gegenüber dem griechischen Egalitarismus abgebildet. 872 Bei diesem Anblick bricht Pausanias nun in Gelächter aus ( τὸν Παυσανίην γελάσαντα - IX, 82.3). Das Lachen in Herodots Historien allerdings ist „ kein Ausdruck von Komik, Lustigkeit und Humor, sondern ein literarisches Mittel, das auf Hybris und völlige Fehleinschätzung der Situation verweist. “ 873 Pausanias begeht damit den gleichen Fehler wie die Perser, wodurch „ Herodot den 871 Die spartanischen Könige genießen zwar u. a. bei der Verpflegung Sonderrechte (VI, 56 - 57), der Feldherr Pausanias aber offensichtlich nicht. 872 Vgl. dazu auch Sancisi-Weerdenburg (2001, S. 340), die mit Blick auf I, 133.2 (siehe dazu Anm. 255) bemerkt, dass die Griechen den Persern häufig als Laster zuschreiben, aus Vergnügen zu essen, was ein Zeichen von Leichtfertigkeit und Luxus sei. Vor diesem Hintergrund werden die persischen Essgewohnheiten als geeignetes Gegenbild instrumentalisiert, um das korrekte griechische Verhalten herauszustellen, das sich somit in Selbstbeherrschung und Genügsamkeit ausdrückt, auch wenn dies - auf beiden Seiten - nicht der Realität entspreche (ebd). Denn in den griechischen Texten ist fast nie ersichtlich, dass sie die Logik hinter dem persischen „ king ’ s table “ erkennen: „ The king ’ s choosiness in selecting particular and elaborate dishes was not a symptom of selfindulgence but a vivid demonstration of his mastery over the empire “ (ebd.; vgl. dazu Briant [1989]). Somit diente die königliche Tafel dazu, die hierarchischen Strukturen aufrechtzuerhalten (Sancisi-Weerdenburg [2001], S. 340). Dem hierarchischen persischen System stehen die griechischen Tendenzen zum Egalitarismus gegenüber (ebd.). Vgl. auch Granger (2002), S. 131 f.; Dewald (1997), S. 65 mit Anm. 9. Schmitt Pantel (1992, S. 468) sieht in der Strenge und Genügsamkeit, die sich in dem lakonischen Mahl widerspiegeln, ein Zeichen der Vortrefflichkeit eines politischen Regimes, das zum Sieg führt. Zum Unterschied zwischen dem Reichtum der Perser, der beim Mahl offensichtlich wird, und den gegensätzlichen Gewohnheiten der Griechen vgl. Briant (1989), S. 35. 873 Müller (2009), S. 182 f. Dazu auch Flower/ Marincola (2002, S. 252): „ His laughter, however, is heavily ironic, in light of the fact that he will soon embrace the very things he ridicules here “ . Asheri/ Vannicelli (2006, S. 288) sehen sich hier an das Lachen der Könige Kambyses und Xerxes erinnert, als sie sich über fremde Kulturen lustig machen, und betonen, dass es ein Symptom der Hybris ist und eine bevorstehende Katastrophe ankündigt. Zum Lachen in Herodots Historien siehe v. a. die Analyse von Lateiner (1977). Lateiner (1977, S. 174) führt dort an, dass Lachen eben nicht nur ein Zeichen von Fröhlichkeit sein kann, sondern in der Literatur als Mittel verwendet werde, welches den Rezipienten darauf hinweist, dass der Lachende inzwischen das Gefühl seiner eigenen Verletzlichkeit verloren hat und ein baldiger Sturz zu erwarten ist. Siehe dazu auch Flory (1978), bes. S. 150; Asheri et al. (2007), S. 429. Flory (1978, S. 153) schließt, dass Lachen bei Herodot „ is one stigma of divine malevolence “ und Freude ist nicht nur illusorisch, sondern sogar „ actively dangerous “ ; dazu auch Anm. 635. 256 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="257"?> Niedergang von Pausanias selbst “ andeutet, 874 der ebenfalls dem persischen Luxus verfallen wird, wovon der Text in Herodots Historien allerdings nicht berichtet. 875 Lachend ruft Pausanias nun die griechischen Feldherren herbei und begründet - vom Text in direkter Rede wiedergegeben - , dass er in dieser Versammlung die Unbesonnenheit des Mardonios herausstellen möchte ( τοῦδε τοῦ Μήδων ἡγεμόνος τὴν ἀφροσύνην δέξαι - IX, 82.3), der als persischen Anführer auf solche Art und Weise leben kann ( ὃς τοιήνδε δίαιταν ἔχων - IX, 82.3), wie sie durch das reichliche Mahl dargestellt ist, und dennoch gegen sie in den Kampf zieht, die ein solch ärmliches Leben führen ( δίαιταν ἔχων ἦλθε ἐς ἡμέας οὕτως ὀϊζυρὴν ἔχοντας - IX, 82.3). Damit wird im Text durch Pausanias ausgesprochen, was in den Historien mehrfach geschildert wird: Die Niederlage eines Volkes, das eine luxuriöse Lebensweise pflegt, was hier durch die Darstellung des Mahls ihres Anführers verbildlicht wird, gegen ein Volk, das ärmlicher lebt. 876 Die beiden Mähler, das persische und das lakonische, von deren Verzehr im Text nichts erwähnt wird, erfüllen ihre Funktion alleine damit, dass sie zubereitet werden. 877 Denn sie müssen keine Orte für Geschehen erwirken, sondern werden als entscheidende Hilfsmittel für die Symbolisierung und Kontrastierung von Lebensweisen funktionalisiert, wodurch zugleich eine 874 Müller (2009), S. 182. 875 Vgl. dazu insgesamt Müllers (2009) Ausführungen auf S. 182 f. mit Literaturverweisen. Von Fritz (1967, S. 274) hebt hervor, dass Pausanias diesen Luxus in Herodots Darstellung nicht direkt verachte, und Herodot sicherlich gewusst habe, dass Pausanias später selbst dem orientalischen Luxus verfällt und „ despotische Allüren “ annimmt; diesbezüglich verweist von Fritz hier in Anm. 124 auf Thuk. I, 95 / I, 128 / I, 132. Auch in Thuk. I, 130 wird Pausanias ’ Hang zum persischen Luxus hervorgehoben, wo unter anderem beschrieben wird, dass sich Pausanias nun persische Mähler bereiten lässt ( τράπεζάν τε Περσικὴν παρετίθετο - Thuk. I, 130.1); vgl. dazu How/ Wells (1912b), S. 324; Flower/ Marincola (2002), S. 251; Asheri/ Vannicelli (2006), S. 288; Hobden (2013), S. 93. Vgl. auch Cawkwell (1970, bes. S. 49 - 53) sowie Meiggs (1972, S. 465 - 468), die ebenfalls auf diese Veränderung von Pausanias ’ Gewohnheiten verweisen. Zwar wird in Herodots Historien also Pausanias ’ späterer luxuriöser Lebensstil nicht explizit erwähnt, für dessen perserfreundliches und überhebliches Verhalten aber findet man Hinweise im Text. Diesbezüglich verweist von Fritz auf V, 32, an welcher Stelle der Text berichtet, dass sich Pausanias angeblich mit dem Ziel, Herrscher über Griechenland zu werden, um die Ehe mit Megabates ’ Tochter bemühte (vgl. von Fritz [1967], S. 274/ Anm. 124). Ebenso wird in VIII, 3.2 Pausanias ’ Überheblichkeit erwähnt. 876 Für eine knappe Zusammenfassung der in diesem Kapitel untersuchten Textstellen, auf die dies zutrifft siehe Anm. 884. Asheri/ Vannicelli (2006, S. 288) bemerken mit Verweis auf Hohti (1976, S. 75), dass u. a. hier durch Pausanias Herodots eigene Ideen ausgedrückt werden. 877 Vgl. Coulet (1994, S. 65): „ Le banquet, ici, sert d ’ ailleurs si bien d ’ exemple qu ’ on ne semble même pas y manger. “ 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 257 <?page no="258"?> didaktische Botschaft übermittelt wird. 878 So stellt dieser Mahlvergleich „ die äußere Sinnlosigkeit solcher Eroberungen “ heraus. 879 Da also jeweils das Mahl im Gesamten und in einer Momentaufnahme entscheidend ist, ist es unerheblich, ob es ein Symposion beinhaltet. So wird das persische Mahl sowohl in IX, 82.1 als auch in IX, 82.2 als δεῖπνον umschrieben, das lakonische in IX, 82.2 und beide zusammen in IX, 82.3. Als Deipnon wird in Herodots Historien sowohl ein Mahl bezeichnet, das unabhängig von einem Symposion bestehen kann, als auch ein Mahl, das es miteinschließt. 880 Meist wird mit Deipnon aber eine Gemeinschaft impliziert, sodass von einem für mehrere Personen vorbereiteten Mahl ausgegangen werden kann. 881 Als beide Mahle angerichtet sind, verwendet der Text die Bezeichnung θοίνη ( ὡς δὲ τῆς θοίνης ποιηθείσης - IX, 82.3). Damit wird nun ausgedrückt, dass für die Darstellung des persischen sowie des lakonischen Mahls jeweils nach ihren Verhältnissen ein Festmahl bereitet wird, auch wenn das persische viel reichlicher sein musste. 882 Der ursprüngliche Luxus der Lyder, der an die Perser übergeht, wird auf diese Weise nun auch dem Spartaner Pausanias und letztlich allen Griechen bekannt. 883 Dass nun der Sieg über die Perser gemäß dem Text von Herodots 878 Vgl. dazu Asheri/ Vannicelli (2006), S. 194. Müller (2009, S. 182) bemerkt: „ In seinen [= Pausanias ’ ] Augen haben sie sich demnach mit der Dekadenz von Großreichen selbst besiegt. “ Und zudem betont Müller (ebd.), dass das persische Mahl hier „ das Streben der Perser nach der Weltherrschaft “ ausdrücke, „ die ihnen nicht zustand und deswegen mit der Niederlage bestraft wurde. “ Vgl. dazu aber die Ausführungen in Anm. 867. Für das Gastmahl und Symposion als Ort der Lehre in Herodots Historien siehe die Ausführungen in Kap. 3.3. 879 Cobet (1971), S. 115. 880 Zur Verwendung von δεῖπνον in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.6. 881 Vgl. dazu Kap. 2.2.3 bzw. Anm. 496. 882 Vgl. dazu die Bedeutungsanalyse von θοίνη in Herodots Historien in Kap. 2.2.5.10. 883 Gemäß der Darstellung der Historien ist dieser Luxus also vor dem Sieg bei Plataiai in Griechenland bzw. explizit zumindest bei den Spartanern noch nicht bekannt. Diese Entwicklung wird im Text unabhängig davon vermittelt, dass sich die Kenntnis dieses Luxus zu dieser Zeit wohl bereits in Griechenland verbreitet hatte. So weist Boardman (1990, S. 129) darauf hin, dass den östlichen Griechen der Luxus der Lyder bereits früher bekannt gewesen sei und von dort - unabhängig von dem griechischen Sieg über die Perser - durch das Zerstreuen ionischer Künstler (= „ the diaspora of Ionian artists “ ) auch auf das Festland übergegriffen habe. Vickers (1990, S. 116) allerdings macht darauf aufmerksam, dass an IX, 82 sichtbar wird, wie sich der Wohlstand der Griechen als Konsequenz des Krieges verändert, und zudem könnte man, wie Vickers hier (ebd.) anmerkt, meinen, es handle sich um die Darstellung eines Musterbeispiels für die luxuriösen, verschwenderischen Symposia in den 470/ 60er Jahren in Athen. Außerdem bemerkt Vickers (ebd., S. 117), dass die Eroberung der wertvollen Gegenstände durch die Griechen ( - vgl. IX, 80 - 81, wo der Text beschreibt, dass die Griechen unter anderem die Klinen, Mischkrüge und Trinkgefäße, die zuvor den 258 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="259"?> Historien das Ende der Armut in Griechenland bedeutet, wird an Pausanias ’ Aussage deutlich, dass der Anführer der Perser gekommen sei, um den Griechen ihre elende Lebensweise wegzunehmen ( τοῦδε τοῦ Μήδων ἡγεμόνος [ … ], ὃς τοιήνδε δίαιταν ἔχων ἦλθε ἐς ἡμέας οὕτως ὀϊζυρὴν ἔχοντας ἀπαιρησόμενος - IX, 82.3). 4.1.1.3 Fazit: Verbildlichung durch Speise-, Trank- und Mahlbeschreibungen In den Historien werden also mithilfe von Speisen und Getränken einerseits unabhängig vom Kontext, andererseits aber auch im Rahmen von Bewirtungen unterschiedliche Situationen veranschaulicht sowie Aussagen intensiviert und Lebenssituationen verbildlicht. Dabei wird auf die Möglichkeit zurückgegriffen, durch die symbolische Verwendung von Speisen und Getränken bestimmte Handlungen oder Aussagen zu untermalen bzw. auf Geschehnisse im weiteren Verlauf vorauszuweisen oder durch die Angabe der Quantität von Nahrungsmittelverbrauch auf die Anzahl der zu bewirtenden Personen schließen zu lassen, wie es bei Xerxes ’ Heer besonders eindrücklich der Fall ist (z. B. VII, 118 - 120). Darüber hinaus gibt in den Historien mehrfach die Art von Speisen und Getränken und auch die Art, auf welche Weise und mit welchen Utensilien ein Mahl abgehalten wird, Aufschluss darüber, wie die Lebenssituation eines Landes aus der Sichtweise des Textes zu dem jeweils geschilderten Zeitpunkt vorzustellen ist. Wein wird dabei mehrfach als Luxusgetränk bewertet (vgl. I, 71.3 / I, 207.6). Es konnte festgestellt werden, dass die Wehrhaftigkeit eines Landes in der Darstellung der Historien nicht von Reichtum oder Armut eines Volkes abhängig gemacht wird, sondern von deren Lebensweise, die sich durch Luxus und Wohlleben verändern und in der Folge die Kampfkraft vermindern kann. Eine solch aufwendige Lebensweise spiegelt sich mehrfach in luxuriösen Speise- und Trinksitten wider, sodass diese Speise- und Trinksitten zum Indiz für den Verlust der Wehrhaftigkeit werden. Besonders eindrücklich wird dies beim Mahlvergleich deutlich, den Pausanias nach der von den Persern verlorenen Schlacht bei Plataiai in Auftrag gibt (IX, 82). Denn dort wird durch die direkte Gegenüberstellung der beiden Mahlgewohnheiten verbildlicht, was die Perser zu verlieren und die Griechen zu gewinnen hatten. Doch die Annahme, dass eine wohlhabendere Lebensweise die Wehrhaftigkeit vermindert, bleibt eben nur ein Indiz. Denn auch wenn mehrfach die ver- Persern gehörten, erbeuteten, und diese Beute so nun wohl dauerhaft in den Besitz der siegreichen Griechen überging - ) nun auch in Athen ermöglichten, ebensolche luxuriösen Mähler bzw. Symposia zu veranstalten, sodass das Luxuslevel des athenischen Symposions nach den Perserkriegen zunimmt. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 259 <?page no="260"?> meintlich einfacher lebenden Völker im Kampf siegen, 884 gibt der Text den luxuriöseren Lebensstil nie explizit als Ursache für eine Niederlage an. 885 Nun zeigt es sich zudem, dass Luxusgüter bzw. ein luxuriöses Leben Begehrlichkeiten wecken. 886 Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Kenntnis kultureller Ernährungsgewohnheiten taktische Entscheidungen in der Darstellung der Historien beeinflussen. So rät Sandanis Kroisos - wenn auch vergeblich - von seinem Feldzug ab (I, 71.2 - 4) und später macht sich Kroisos selbst sein Wissen über die Ernährungsgewohnheiten der Massageten zunutze, die deren einfache Lebensweise abbilden. Denn nur, da er von deren fehlender Kenntnis von Wein und dessen Auswirkungen weiß (I, 207.6), gelingt es den Persern, Spargapises in die ‚ Falle ‘ eines Trinkgelages zu locken und wehrlos gefangen zu nehmen (I, 211). Dass in der Darstellung der Historien das Bewusstsein vorliegt, dass ein durch Nahrungsmittel gut versorgtes Land kriegerisch stark ist, zeigt sich an dem Friedensschluss zwischen Lydern und Milesiern, der nur durch das vorgetäuschte Wohlergehen der Milesier entstehen kann (I, 21 - 22). Außerdem gelingt es Kyros auf geschickte Weise, die Perser von seiner Herrschaft zu überzeugen, indem er diese durch ein üppiges Mahl symbolisiert (I, 126). Die glückliche Situation, in der sich die Speisenden während einer reichlichen Bewirtung befinden, verbildlicht also nicht nur die durch Fruchtbarkeit und Reichtum glückliche Situation eines Landes, sondern kann auch das damit verbundene leichte und glückliche Leben abbilden, wie es 884 So wird die Lebensweise der Perser vom Lyder Sandanis als einfach dargestellt (I, 71.2 - 4) und letztlich gelingt es den Persern, Sardes einzunehmen und Kroisos gefangenzunehmen (I, 86.1). Kyros bezeichnet die Massageten als unerfahren mit den Gütern, die den Persern zur Verfügung stehen (I, 207.6), und später verlieren die Perser im Kampf gegen die Massageten (I, 214). In IX, 82 lässt Pausanias nach dem Sieg der Griechen über die Perser das karge spartanische Mahl dem üppigen persischen Mahl des Mardonios gegenüberstellen. Auf diese Weise zeigt der Text erneut, dass das Volk, dessen Lebensweise in den Historien als einfach dargestellt wird, zugleich das siegreiche ist. 885 Darauf, dass in der Darstellung von IX, 122 die Niederlage der Perser gegen die Griechen nicht auf eine Verweichlichung durch Luxus zurückgeführt wird, wird mehrfach verwiesen (vgl. dazu Anm. 867). 886 Vgl. dazu Bowie (2003), S. 108 bzw. Anm. 837 in der vorliegenden Arbeit. Bowie verweist hier auf die in diesem Kapitel angeführten Textpassagen I, 71.3 / I, 126 / VII, 5.3. Sandanis ’ Ratschlag, nicht gegen die Perser in den Krieg zu ziehen, wird durch Kroisos nicht befolgt. So lernen die Perser durch diesen Feldzug der Lyder die lydischen Luxusgüter kennen und werden diese, wie von Sandanis prophezeit (I, 71.2 - 4), für sich behalten. Kyros, der sein Versprechen von Wohlleben in seiner Herrschaft mithilfe eines großen Banketts symbolisiert, kann dadurch die Perser auf seine Seite ziehen (I, 126.2 - 6). Mardonios versucht Xerxes von einem Feldzug nach Griechenland zu überzeugen, indem er die dortige Fruchtbarkeit hervorhebt (VII, 5.3; siehe Anm. 837). Bowie (2003, S. 108) schließt daraus: „ Succumbing to the temptation ultimately results in Persian defeat. “ Allerdings existieren hierzu unterschiedliche Meinungen (vgl. Anm. 867). 260 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="261"?> Kyros für seinen Plan zu nutzen weiß (I, 126.4 - 6). In der Darstellung von Kyros ’ Plan wird im Text erkennbar, dass dessen reichliche Bewirtung zwar auch gemeinschaftliches Trinken miteinschließt, dieses Trinken aber nicht explizit als ein vom Mahl abgetrenntes Symposion gekennzeichnet wird. So wird deutlich, dass dabei weder der Ablauf noch die besondere gemeinschaftliche Atmosphäre des Symposions, die auch nicht an anderen Wörtern im Text ersichtlich wird, im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die ausgelassene und glückliche Situation, die mit einem Treffen zum Trinken generell in Verbindung gebracht wird. 4.1.2 Mahl und Symposion als Ausdruck von Wertschätzung und Demütigung Es hat sich also gezeigt, dass in den Historien aus den dargestellten Speise- und Trinkverhalten Rückschlüsse auf die gesamte Lebenssituation eines Volkes gezogen werden können. Darüber hinaus finden sich aber auch Situationen, in denen im Kontext von Speise- oder Trinkszenen Wertschätzung oder Verachtung ausgedrückt werden. Anhand welcher besonderen Speise- oder Trinkaktivitäten eine solche Bewertung vorgenommen werden kann, soll nun untersucht werden. Ich werde also zunächst die Speise- und Trinkgewohnheiten herausarbeiten, die in der Darstellung der Historien der Vermittlung von Wertschätzung oder Sanktion dienen. Inwiefern es diesbezüglich schnell zu einem Missverständnis kommen kann, werde ich anschließend anhand einer ganz besonderen Symposionsszene untersuchen, in deren Rahmen es zu einer folgenschweren Demütigung kommt. 4.1.2.1 Mittel für Sanktion und Wertschätzung Die herausragende Stellung der persischen Großkönige wird in Herodots Historien mehrmals an der dargestellten Verpflegung während eines Feldzugs ersichtlich. So sticht Kyros unter allen Persern durch seine Trinkgewohnheit hervor, Wasser generell nur aus dem Fluss Choaspes zu trinken ( καὶ δὴ καὶ ὕδωρ ἀπὸ τοῦ Χοάσπεω ποταμοῦ ἅμα ἄγεται [ … ], τοῦ μούνου πίνει βασιλεὺς καὶ ἄλλου οὐδενὸς ποταμοῦ - I, 188.1). Auf jeder Reise werden daher extra für ihn Behälter mit Wasser aus diesem Fluss mittransportiert (I, 188.2). Später wird bei der Darstellung von Xerxes ’ Feldzug gegen die Griechen geschildert, dass der Großkönig und seine Homositoi, also seine Tischgenossen ( τοῖσι ὁμοσίτοισι - VII, 119.3), 887 eine außergewöhnliche Behandlung bei der 887 Zum Ausdruck ὁμόσιτος siehe Anm. 919. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 261 <?page no="262"?> Verpflegung während eines Feldzugs erhalten (VII, 119.3). In den Orten, in denen das Heer bewirtet wird, mussten bereits im Vorhinein spezielle Vorbereitung getroffen werden, um einerseits die gewaltige Masse an Menschen sättigen zu können, andererseits aber für den König und seine Tischgenossen goldene und silberne Trinkgefäße, Mischkrüge und auch sonst alles, was für die Ausstattung eines Mahls zu Tisch nicht fehlen durfte, herzustellen ( τοῦτο δὲ χρύσεά τε καὶ ἀργύρεα ποτήριά τε καὶ κρητῆρας ἐποιεῦντο καὶ τἆλλα ὅσα ἐπὶ τράπεζαν τιθέαται πάντα . ταῦτα μὲν αὐτῷ τε βασιλέϊ καὶ τοῖσι ὁμοσίτοισι μετ᾽ἐκείνου ἐπεποίητο - VII, 119.2 - 3). Auch ein Zelt wurde für Xerxes errichtet ( σκηνὴ μὲν ἔσκε πεπηγυῖα ἑτοίμη ἐς τὴν αὐτὸς σταθμὸν ποιεέσκετο Ξέρξης - VII, 119.3). Die besondere Bewirtung stellt den Großkönig und seine Homositoi über das restliche Heer, dem lediglich der nötige Proviant ( τῇ δὲ ἄλλῃ στρατιῇ τὰ ἐς φορβὴν μοῦνα τασσόμενα - VII, 119.3) unter freiem Himmel ( ἡ δὲ ἄλλη στρατιὴ ἔσκε ὑμαίθριος - VII, 119.3) zur Verfügung gestellt wird. 888 Eine Sonderbehandlung bei der Lebensmittelversorgung im Feldzug erfahren auch die zehntausend sogenannten ‚ Unsterblichen ‘ im persischen Heer (VII, 83.1), die vom Text als die Besten im Gesamtheer des Xerxes bezeichnet werden ( αὐτοὶ ἄριστοι ἦσαν - VII, 83.2). Diese zeichnet nicht nur ihr reicher Schmuck vor den anderen Soldaten aus, sondern auch, dass die für sie bestimmten Lebensmittel getrennt von denen des übrigen Heeres transportiert werden ( σῖτα δέ σφι , χωρὶς τῶν ἄλλων στρατιωτέων , κάμηλοί τε καὶ ὑποζύγια ἦγον - VII, 83.2). Durch die Schilderung ihres separaten Versorgungssystems wird im Text ihre Bedeutsamkeit hervorgehoben. 889 Doch an anderer Stelle wird in den Historien deutlich, dass ebenso im persischen Privatleben das Mahl eine Rolle spielt, wenn Wertschätzung ausgedrückt werden soll. Denn der Text schildert, dass die Perser an ihrem Geburtstag - unabhängig davon, ob sie reich oder arm sind, - ein größeres Mahl als sonst bekommen ( ἐν ταύτῃ δὲ πλέω δαῖτα τῶν ἀλλέων δικαιεῦσι προτίθεσθαι - I, 133.1). Ihr Geburtstag wird als der Tag im Jahr beschrieben, der am meisten verehrt wird ( ἡμέρην δὲ ἁπασέων μάλιστα ἐκείνην τιμᾶν νομίζουσι τῇ ἕκαστος ἐγένετο - I, 133.1). Das größere Mahl symbolisiert dabei die Ehrung und Besonderheit dieses Tages und zwar unabhängig vom Vermögens des jeweiligen Persers. Der Unterschied liegt lediglich in der Größe des zubereiteten Tieres. Da sich die Ärmeren keine Rinder, Pferde oder Kamele leisten können, werden bei ihnen kleinere Tiere zubereitet (I, 133.1). So stellt der Text das 888 Hier wird ersichtlich, dass die tributpflichtigen Länder nicht nur die Versorgung organisieren mussten, sondern auch Gold- und Silbergeschirr (vgl. Briant [1989], S. 38 f.). Zur Verpflichtung der Versorgung des Heeres des Großkönigs durch die unterworfenen Völker siehe Anm. 1570. 889 Vgl. Vannicelli (2018), S. 394. 262 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="263"?> Verspeisen von Tieren besonders für die ärmere Bevölkerung Persiens als Besonderheit dar. 890 Ein größeres Mahl gilt in der Darstellung der Historien nicht nur im östlichen, sondern auch im westlichen Kulturkreis als Zeichen für Belohnung und Wertschätzung. 891 Über die Spartaner wird berichtet, dass sie ihren Königen besondere Privilegien beim Mahl zukommen lassen. 892 So erläutert der Text, dass diese in Friedenszeiten beim öffentlichen Opfermahl als Erste platziert sowie bedient werden und auch eine doppelte Portion zugesprochen bekommen ( ἢν θυσίη τις δημοτελὴς ποιῆται , πρώτους ἐπὶ τὸ δεῖπνον ἵζειν 893 τοὺς βασιλέας καὶ ἀπὸ τούτων πρώτων ἄρχεσθαι , διπλήσια νέμοντας ἑκατέρῳ τὰ πάντα ἢ τοῖσι ἄλλοισι δαιτυμόνεσι 894 - VI, 57.1). Diese Verdopplung der Speisemenge wird mehrfach damit begründet, dass die Könige so die Möglich- 890 Ein Beispiel für ein persisches Geburtstagsmahl beschreibt der Text mit Xerxes ’ Königsmahl in IX, 110 - 111, welches eben gewöhnlich an dessen Geburtstag stattfindet (( τοῦτο δὲ τὸ δεῖπνον παρασκευάζεται ἅπαξ τοῦ ἐνιαυτοῦ , ἐν ἡμέρῃ τῇ ἐγένετο βασιλεύς [ … ]) - IX, 110.2); vgl. dazu auch How/ Wells (1912a), S. 114; Flower/ Marincola (2002), S. 296; Asheri et al. (2007), S. 168. Siehe zu den Geschehnissen bei diesem Geburtstagsmahl die Ausarbeitungen in Kap. 4.2.3.2.3. 891 Bereits im griechischen Epos wird der Konsum von Speisen und Wein höherer Quantität und Qualität als Zeichen von Ehre dargestellt (vgl. Murray [1983a], S. 260 - 262; Blondell [1989], S. 44; Müller [2009], S. 180/ Anm. 58 mit Verweis auf Runding [1996], S. 199, S. 204; Hobden [2013], S. 85 mit Anm. 48). 892 Auch als der Text über den Ursprung des spartanischen Doppelkönigtums berichtet und sich mit der Frage beschäftigt, weshalb einer der beiden Könige höher geschätzt wird (VI, 51 - 52), zeigt er, dass besondere Wertschätzung an einer Ernährungsgewohnheit ersichtlich werden kann. Der Text gibt als Erklärung zunächst die Version der Spartaner wieder (vgl. VI, 53.1). Dabei erzählt er, dass Argeia, die Frau des Aristodemos, Zwillinge gebärt, aber gezielt verschweigt, welcher von beiden der Ältere ist, um zu erreichen, dass beide Söhne Könige werden (VI, 52.2 - 4). Als die Spartaner aus Ratlosigkeit Pythia um Hilfe bitten, verkündet diese, dass sie zwar beide als ihre Könige anerkennen, aber den Ältere mehr ehren sollen (VI, 52.4). Auf Rat des Panites, eines Mannes aus Messene (VI, 52.5), beschließen die Spartaner, zu beobachten, welchen der beiden Söhne die Mutter jeweils zuerst ernähre und bade (VI, 52.6). Als die Spartaner nun bemerken, dass immer derselbe Sohn zuerst gefüttert und gebadet wird, schließen sie daraus, dass dieser der ältere der beiden Söhne ist (VI, 52.7). Als Maßstab für die größere Wertschätzung wird also die Reihenfolge beim Stillen angenommen. Auch wenn es bei dieser Anekdote nicht direkt um ein Mahl geht, so ist es dennoch die Nahrungsaufnahme, anhand derer eine größere Wertschätzung ausgedrückt wird bzw. durch die zeitlich spätere Ernährung eine Benachteiligung. 893 Dafür, dass ἵζειν hier in transitiver Bedeutung zu bevorzugen ist, vgl. Hornblower/ Pelling (2017), S. 163. 894 Durch die Umschreibung der anderen Mahlteilnehmer als δαιτυμόνες hebt der Text die Gemeinschaft bei den spartanischen öffentlichen Mählern hervor; vgl. dazu die Analyse in Kap. 2.2.5.5. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 263 <?page no="264"?> keit haben, Ehrenmähler zu veranstalten, 895 was im Text der Historien allerdings nicht ausgesagt wird. Darüber hinaus haben die spartanischen Könige das Vorrecht, mit den Trankspenden zu beginnen, und erhalten die Häute der Opfertiere ( καὶ σπονδαρχίας εἶναι τούτων καὶ τῶν τυθέντων προβάτων τὰ δέρματα - VI, 57.1). Zu den Privilegien der spartanischen Könige gehören zudem unter anderem das Opfer, das sie an jedem Neumond und jedem siebten Monatstag für Apoll auf Staatskosten darbringen, sowie Ehrenplätze bei Wettkämpfen und das Recht, zwei Pythier als Boten für das Heiligtum in Delphi auszuwählen (VI, 57.2). Außerdem dürfen sie die Proxenoi bestimmen (VI, 57.2). 896 Neben den Königen erhalten auch die als Boten nach Delphi eingesetzten Pythier besondere Vorrechte beim Mahl in Sparta. Denn sie speisen zusammen mit den Königen auf Staatskosten ( οἱ δὲ Πύθιοί εἰσι θεοπρόποι ἐς Δελφούς , σιτεόμενοι μετὰ τῶν βασιλέων τὰ δημόσια - VI, 57.2). 897 Auch in Sparta wird also das Mahl, und dort in erster Linie das öffentliche, an denen viele teilnehmen und so die Vorgänge beobachten können, dafür verwendet, um besondere Wertschätzung auszudrücken. Die spartanischen Könige sind aber zudem dazu berechtigt, vom öffentlichen Mahl fernzubleiben ( μὴ ἐλθοῦσι δὲ τοῖσι βασιλεῦσι ἐπὶ τὸ δεῖπνον - VI, 57.3). Sie bekommen dann Wein und Speise nach Hause geliefert - allerdings nur die Hälfte von dem, was sie bekämen, wenn sie öffentlich mitspeisten (VI, 57.3). Auf diese Weise sollen die Könige auch dann geehrt werden, wenn sie bei Privatpersonen zum Mahl geladen sind ( κληθέντας ἐπὶ δεῖπνον - VI, 57.3). 898 An anderer Stelle in Herodots Historien liegt die durch Speise oder Trank ausgedrückte Wertschätzung weniger in deren Quantität oder Privilegien bei der Bewirtung begründet, als vielmehr in der Erlaubnis, an einem besonderen gemeinschaftlichen Umtrunk teilnehmen zu dürfen. Dabei handelt es sich um eine skythische Sitte, die im vierten Buch geschildert wird. So berichtet der Text 895 Vgl. dazu McQueen (2000, S. 137), Scott (2005, S. 240), Nenci (2007, S. 225), Hornblower/ Pelling (2017, S. 163), die jeweils auf Xen. Lak. pol. 15, 4 verweisen: ὅπως δὲ καὶ οἱ βασιλεῖς ἔξω σκηνοῖεν , σκηνὴν αὐτοῖς δημοσίαν ἀπέδειξε , καὶ διμοιρίᾳ γε ἐπὶ τῷ δείπνῳ ἐτίμησεν , οὐχ ἵνα διπλάσια καταφάγοιεν , ἀλλ᾽ ἵνα καὶ ἀπὸ τοῦδε τιμῆσαι ἔχοιεν εἴ τινα βούλοιντο . - Damit aber auch die Könige in der Öffentlichkeit speisen, wies er [= Lykurg] ihnen ein öffentliches Zelt zu und ehrte sie durch eine doppelte Ration bei der Mahlzeit, nicht damit sie das Doppelte äßen, sondern damit sie hierdurch die Möglichkeit hätten, jemanden zu ehren, wenn sie wollen (Übersetzung: Rebenich [1998]). 896 Für die hier genannte Besonderheit, dass die spartanischen Könige eigene Mitbürger als Proxenoi auswählen, siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.1.2.3. 897 Zur Verwendung von σιτέεσθαι in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.7. 898 Zur Formulierung καλέειν ἐπὶ δεῖπνον siehe Kap. 2.2.5.6. Mit der Frage, ob die spartanischen Könige wirklich so frei in ihrer Wahl waren, wo sie speisen möchten, befasst sich Scott (2005), S. 239 f. 264 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="265"?> dort, dass bei den Skythen der Vorsteher eines Gebietes einmal im Jahr Wein mischt ( ἅπαξ δὲ τοῦ ἐνιαυτοῦ ἑκάστου ὁ νομάρχης ἕκαστος ἐν τῷ ἑωυτοῦ νομῷ κίρναται κρητῆρα οἴνου - IV, 66), von dem jeder Skythe trinken dürfe, der einen Feind getötet hat ( ἀπ᾽ οὗ πίνουσι τῶν Σκυθέων τοῖσι ἂν ἄνδρες πολέμιοι ἀραιρημένοι ἔωσι - IV, 66). 899 An diesem besagten Tag dient also der gemischte Wein als Belohnung für erfolgreiche Kriegsleistungen bei den Skythen und macht deren Heldentaten gleichzeitig in der Öffentlichkeit sichtbar. 900 Denn von diesem Wein trinken zu dürfen, bedeutet, geehrt zu werden. Bekommt ein Skythe nicht die Erlaubnis mitzutrinken, wird wiederum für alle dessen kriegerischer Misserfolg erkennbar. Er darf nicht einmal dabeisitzen, sondern wird auch räumlich abgesondert ( τοῖσι δ᾽ ἂν μὴ κατεργασμένον ᾖ τοῦτο , οὐ γεύονται τοῦ οἴνου τούτου , ἀλλ᾽ ἠτιμωμένοι ἀποκατέαται · ὄνειδος δέ σφί ἐστι μέγιστον τοῦτο - IV, 66). Der erfolglose skythische Krieger erfährt damit eine starke öffentliche Ächtung. 901 Wer dagegen besonders erfolgreich war, bekommt sogar zwei Becher, aus denen er gleichzeitig trinken darf ( ὅσοι δὲ ἂν αὐτῶν καὶ κάρτα πολλοὺς ἄνδρας ἀραιρηκότες ἔωσι , οὗτοι δὲ σύνδυο κύλικας ἔχοντες πίνουσι ὁμοῦ - IV, 66). Wie bei den spartanischen Königen (VI, 57.1) bestimmt also die Größe der Speisebzw. Trinkration das Maß für die Höhe der Achtung. Neben der generellen Teilnahmeerlaubnis steht demnach auch die 899 Aus dieser Textpassage kann man zudem schließen, dass die Skythen in der Darstellung von Herodots Historien wie die Griechen Wein durchaus gemischt trinken, obwohl das Klischee des puren barbarischen Skythenweins weit verbreitet war und auch an anderer Stelle in Herodots Historien ersichtlich wird (VI, 84); vgl. z. B. Σκύθαι δὲ καὶ Θρᾷκες ἀκράτῳ παντάπασι χρώμενοι - Plat. leg. 637e; How/ Wells (1912b), S. 98; Hartog (1988), S. 169 f.; Scott (2005), S. 310; Asheri et al. (2007), S. 630; Hobden (2013), bes. S. 74 f., S. 84 f.; Cunliffe (2019), S. 54, S. 227. Auch wenn der Text die Sitte des ungemischten Weinkonsums nie als typisch für die Skythen kennzeichnet, so zeigt VI, 84 dennoch, dass die Skythen in der Darstellung der Historien mit dem Konsum von ungemischten Wein vertraut sind. Denn dort wird die Erklärung der Spartaner für Kleomenes ’ Wahnsinnsausbruch beschrieben und dabei herausgestellt, dass sich Kleomenes durch den häufigen Kontakt mit Skythen angewöhnt, ungemischten Wein zu trinken (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.2). 900 Schmitt Pantel (1992, S. 428) bemerkt, dass diese Zeremonie nicht die Einheit der Skythen zum Ausdruck bringe, sondern ihre auf dem Wert des Kriegers beruhende Hierarchie. So betont Schmitt Pantel (ebd.), dass es sich hier um eine Auszeichnung handele und nicht um ein Recht, das sich aus dem politischen Status ergibt, und daher unterscheide sich diese Trinkzeremonie von dem öffentlichen griechischen Mahl ( „ repas civique grec “ ; ebd.). 901 Vgl. dazu Hobden (2013), S. 85 f. Aristoteles (Aristot. pol. 1324b17 - 18) erwähnt diese skythische Sitte, als er über einige Gesetze und Bräuche von Völkern berichtet, die völlig auf die kämpferischen Leistungen abzielen, und rechnet damit die Skythen unter die kriegerischen Völker (vgl. Asheri et al. [2007], S. 629); zudem bemerkt Cunliffe (2019, S. 217), dass durch diese Sitte ein besonders großer Anreiz gesetzt ist, sich um kriegerische Fähigkeiten zu bemühen. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 265 <?page no="266"?> Menge, die man von diesem Wein zu sich nehmen darf, symbolisch für das Ausmaß der Ehrung. Diese Versammlung der Skythen zum Trinken wird im Text nicht als Ort dargestellt, in dem über Politik oder kriegerische Leistungen debattiert wird, sondern als entscheidender Faktor dabei steht die öffentliche Wertschätzung des kriegerischen Erfolgs eines einzelnen Skythen im Vordergrund, die sich an der erlaubten Teilnahme und der Zuteilung einer größeren Portion von Wein zeigt, bzw. die Verachtung mit Blick auf die jeweiligen kriegerischen Leistungen, die durch den Ausschluss von dieser sozialen Aktivität verdeutlicht wird. Die Teilnahme daran wird folglich anders als bei nicht-öffentlichen griechischen Symposia über den Erfolg im Kampf bestimmt, sodass die Gleichheit, die in einem idealen griechischen Symposion vorherrschen muss, bei diesen skythischen öffentlichen Symposion institutionell nicht gegeben sein kann. Auch über nicht-öffentliche skythische Trinkgemeinschaften berichtet der Text in Herodots Historien. Dort wird dargestellt, wie sich die Skythen anhand ihrer Trinkgefäße zu profilieren versuchen. Denn die Trinkgefäße bestehen aus den Köpfen ihrer getöteten größten Feinde ( οὔτι πάντων ἀλλὰ τῶν ἐχθίστων - IV, 65.1) oder auch ihrer Hausgenossen, gegenüber denen sie sich im Streit behauptet hatten ( ποιεῦσι δὲ τοῦτο καὶ ἐκ τῶν οἰκηίων , ἤν σφι διάφοροι γένωνται καί τις ἐπικρατήσῃ { αὐτοῦ } παρὰ τῷ βασιλέϊ - IV, 65.2). Unabhängig von ihrem jeweiligen Reichtum handeln alle Skythen so. Der einzige Unterschied liegt darin, dass die reichen Skythen das Innere des Schädels vergolden (IV, 65.1). 902 Wenn Gäste kommen, die man für wichtig hält ( ξείνων δέ οἱ ἐλθόντων τῶν ἂν λόγον ποιῆται - IV, 65.2), beabsichtigen sie durch diese Trinkgefäße, ihre besondere Durchsetzungsfähigkeit und damit Mannhaftigkeit zu zeigen ( ταύτην ἀνδραγαθίην λέγουσι - IV, 65.2). 903 Anhand der Ausstattung beim Mahl bzw. gemeinsamen Trinken soll auf diese Weise auf den Charakter des Gastgebers geschlossen werden. Die Skythen veranstalten also sowohl öffentliche als auch wie die Griechen nicht-öffentliche Symposia. Allerdings unterscheiden sich die 902 Auch bei den Issedonen werden Schädel von Toten ausgehöhlt und vergoldet. Allerdings handelt es sich dabei um den Schädel ihrer verstorbenen Väter (IV, 26) und nicht um den von Feinden wie bei den Skythen. Außerdem werden die vergoldeten Schädel der verstorbenen Väter von den Issedonen wie Götterbilder angesehen und verehrt ( ἅτε ἀγάλματι χρέωνται , θυσίας μεγάλας ἐπετείους ἐπιτελέοντες - IV, 26.2). Sie sind nicht dazu da, um mit ihnen vor Gästen zu prahlen wie bei den Skythen. 903 Denn die gesammelten Köpfe der Feinde waren Zeichen der eigenen Tapferkeit (vgl. Cunliffe [2019], S. 260). Die Zurschaustellung der Köpfe als Trinkgefäße, ist damit eine praktische Art, die eigene kriegerische Fähigkeit, die der Kampfkraft der Feinde überlegen war, zu verbildlichen. 266 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="267"?> skythischen und griechischen Symposia in einem entscheidenden Punkt: 904 Gemeinschaft ist für die Skythen bei ihren nicht-öffentlichen Symposia genauso unwichtig wie bei den öffentlichen. Entscheidend ist es stattdessen, sich im nicht-öffentlichen Raum als besonders tapfer darzustellen oder sich in der Öffentlichkeit als erfolgreicher Kämpfer hervorzutun. 905 Damit liegt der Zweck der skythischen Symposia in der Machtdemonstration des Einzelnen, was der Gemeinschaft im griechischen Symposion entgegensteht. Nichtsdestotrotz bezeichnet der Text die Gäste, die zur Trinkgemeinschaft kommen als Xenoi (IV, 65.2), dem griechischen Ausdruck für Gastfreunde, 906 und zeigt damit, dass die Gäste selbst bei nomadischer Lebensweise nicht beliebig sind, 907 sondern dass auch hier die Existenz eines gewissen gastfreundschaftlichen Verhältnisses anzunehmen ist. Gänzlich fremd können sie ohnehin nicht sein, da der Text hinzufügt, dass diejenigen, die als Gäste kommen und die aus Köpfen gefertigten Becher zu sehen bekommen, von den Gastgebern geschätzt werden ( ξείνων δέ οἱ ἐλθόντων τῶν ἂν λόγον ποιῆται - IV, 65.2). Um das bewerten zu können, müssen sie ihnen bekannt gewesen sein. Doch auch wenn der Text die skythischen Gäste als Xenoi bezeichnet, so zeigt der dargestellte Umgang der Skythen mit ihren getöteten Feinden, dass sie aus den Augen der Griechen ‚ Barbaren ‘ sind, sodass kaum von der Existenz der zivilisierten Institution ‚ Gastfreundschaft ‘ nach griechischem Maß bei den Skythen ausgegangen werden kann. So rühmen sie sich nicht mit den eroberten Schilden oder Schätzen der Besiegten, sondern mit deren Köpfen, was - jedenfalls nach griechischem Verständnis - 908 ein 904 Rengakos (2011, S. 374) bezeichnet die Welt der Skythen in der Darstellung von Herodots Historien allgemein als „ Gegenwelt zu Griechenland “ ; vgl. auch Männlein-Robert (2012), S. 117 f. Zu den Symposia zwischen Kleomenes und den Skythen, die in VI, 84 beschrieben werden, vgl. die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.2. 905 Vgl. dazu Hobden (2013), S. 86 - 88. Hobden (2013, S. 86) fasst zusammen: „ [ … ] when Scythians drink, their prowess in war is always on display. “ Hobden (2013, S. 88) betont zudem, dass der kriegerische Charakter der Skythen, der in ihren Symposia zum Ausdruck komme, ihrer wichtigsten historischen Leistung entspreche, nämlich der erfolgreichen Vertreibung der Perser. Somit liefere die durch das Trinken konstruierte Ethik der Skythen eine Erklärung für ihren Erfolg gegen die Perser (ebd.). 906 Zur Gastfreundschaft sowie zur Bedeutung des Begriffs Xenos in Herodots Historien siehe Kap. 2. 907 Die Skythen werden in den Historien als Nomaden bezeichnet: οὐ γὰρ ἀρόται εἰσὶ ἀλλὰ νομάδες (IV, 2.2). 908 Eine Erzählung, an der offensichtlich wird, dass die Schändung eines Leichnams für die Griechen ein gottloses Unterfangen ist, liefert der Text in IX, 78. Nach dem Sieg in Plataiai sucht Lampon, ein Aiginet, Pausanias auf, um ihm einen, wie der Text umschreibt, äußerst gottlosen Vorschlag ( ἀνοσιώτατον ἔχων λόγον - IX, 78.1) zu unterbreiten. Er berichtet davon, wie Mardonios und Xerxes nach der Schlacht bei den Thermopylen dem getöteten Leonidas den Kopf abgeschlagen und diesen auf einen Pfahl gesteckt hatten 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 267 <?page no="268"?> Misshandeln der Leichen und Missbrauchen von deren Knochen voraussetzt. 909 (IX, 78.3). Er möchte nun, dass Mardonios gepfählt werde, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, Rache zu nehmen und von den Griechen dafür Lob zu erhalten ( τῷ σὺ τὴν ὁμοίην ἀποδιδοὺς ἔπαινον ἕξεις πρῶτα μὲν ὑπὸ πάντων Σπαρτιητέων , αὖτις δὲ καὶ πρὸς τῶν ἄλλων Ἑλλήνων · Μαρδόνιον γὰρ ἀνασκολοπίσας τετιμωρήσεαι ἐς πάτρων τὸν σὸν Λεωνίδην - IX, 78.3). Empört lehnt Pausanias den Vorschlag ab und sieht darin sogar eine Beleidigung gegen sich selbst, das Vaterland und sein Werk, wenn Lampon meine, dass er durch eine solche Untat geschätzt werden würde ( ἐξάρας γάρ με ὑψοῦ καὶ τὴν πάτρην καὶ τὸ ἔργον , ἐς τὸ μηδὲν κατέβαλες παραινέων νεκρῷ λυμαίνεσθαι , καὶ ἢν ταῦτα ποιέω , φὰς ἄμεινόν με ἀκούσεσθαι - IX, 79.1), denn dies passe eher zu ‚ Barbaren ‘ als Griechen ( τ ὰ πρέπει μᾶλλον βαρβάροισι ποιέειν ἤ περ Ἕλλησι - IX, 79.1). Doch auch bei diesen empfinden die Griechen es als verwerflich ( καὶ ἐκείνοισι δὲ ἐπιφθονέομεν - IX, 79.1). Pausanias möchte auf diese Weise keinen Beifall ernten. Es genügt ihm, den Spartanern zu gefallen, indem er nach göttlichem Gesetz handelt und spricht ( ἀποχρᾷ δέ μοι Σπαρτιήτῃσι ἀρεσκόμενον ὅσια μὲν ποιέειν , ὅσια δὲ καὶ λέγειν - IX, 79.2). Rache sei für Leonidas bereits dadurch genommen worden, dass so viele Perser gefallen sind (IX, 79.2). Pausanias möchte die Leichenschändung also auf keinen Fall durchführen, da es gegen das göttliche Gesetz und gegen die griechischen Werte verstößt. Außerdem sei das nötige Gleichgewicht durch den Tod der vielen Perser nach Leonidas ’ Schändung bereits wiederhergestellt worden. Die Griechen sahen im Schänden und damit Entehren von Toten ein Zeichen von extremer Rache, da diese, nachdem sie bereits jemandes Tod bewirkt hat, noch fortgeführt wird (vgl. dazu Gehrke [1987], S. 137). Gehrke (ebd.) führt hier als Beispiel dafür die Schändung von Hektors Leichnam durch Achill während des Trojanischen Krieges an (Hom. Il. XXII, 395 - 404 / XXIV, 14 - 17). Das Verhindern der letzten Ruhe der getöteten Feinde oder eine besonders grausame Tötung zeige die „ Radikalität und Unversöhnlichkeit der Rache “ (Gehrke [1987], S. 137). Eine ebensolche grauenhafte Tötung sowie Leichenschändung durch Kreuzigung des bereits toten Körpers beschreibt der Text in Herodots Historien bei Polykrates ’ Ermordung durch Oroites. Doch dass Oroites später dafür büßen muss, zeigt letztlich, dass er gegen das richtige Maß gehandelt und damit gefrevelt hat (III, 125 - 128; siehe dazu Kap. 4.1.2.2). Die Misshandlung von Leichen geschieht also auch - meist aus Rache initiiert - in Griechenland, gilt dort aber als Frevel. 909 Zudem trinken die Skythen vom Blut ihres ersten getöteten Feindes ( ἐπεὰν τὸν πρῶτον ἄνδρα καταβάλῃ ἀνὴρ Σκύθης , το ῦ αἵματος ἐμπίνει - IV, 64.1) und fertigen aus den Häuten ihrer Feinde Hauthandtücher (IV, 64.3 - 4) und auch Überzüge für die Köcher an (IV, 64.3). Teilweise ziehen sie ihren getöteten Feinden sogar die ganze Haut ab (IV, 64.4). Cunliffe (2019, S. 260) bewertet das in Herodots Historien beschriebene Vorgehen der Skythen nach einer Schlacht (IV, 64 - 66) als gezielt dargebracht, um die Rezipienten einerseits zu schockieren, aber auch, um den Unterschied zwischen den Barbaren und den zivilisierten Griechen zu betonen. Die Skythen scheinen die Vorstellung zu teilen, durch das Trinken des Blutes und durch die Verarbeitung der Haut ihrer getöteten Feinde Macht über diese zu gewinnen und Kontrolle über deren „ spirits “ (Cunliffe [2019], S. 262) (vgl. Cunliffe [2019], S. 260, S. 262; dazu, dass das Blut des Feindes in der Meinung, ihn auf diese Weise ganz zu vernichten bzw. dessen Kraft auf sich zu übertragen, getrunken wird vgl. Kircher [1910], S. 78; How/ Wells [1912a], S. 327; Asheri et al. [2007], S. 628; Anm. 1281 in der vorliegenden Arbeit). Ob er diese Sitte nun gezielt berichtet, um seine 268 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="269"?> Bei allen bisher untersuchten Textpassagen liegt die Wertschätzung, die im Kontext von Mahl und Symposion ausgedrückt wird, fast ausschließlich darin begründet, dass jemand aufgrund seiner sozialen Stellung oder kriegerischen Leistung eine besondere Ehrung erhält. Durch eine Einladung zum Mahl kann Wertschätzung aber auch als Zeichen von Dankbarkeit ausgedrückt werden. So erteilt Polykrates von Samos einem Fischer, der ihm einen gerade gefangenen, besonders großen und ansehnlichen Fisch schenkte, als Dank die Erlaubnis, zum Mahl zu kommen ( καί σε ἐπὶ δεῖπνον καλέομεν - III, 42.2). 910 Diese Einladung ist damit Zeichen der Wertschätzung des Fischers durch den Herrscher zum Dank für seine Ehrerbietung. Zur Darstellung dieses Mahls kommt es in Herodots Historien nicht mehr. Denn als die Diener den Fisch zubereiten, finden sie darin Polykrates ’ Ring (III, 42.3). Diesen hat Polykrates zuvor auf Anraten des Amasis als für ihn wichtigen und wertvollen Besitz wegzuwerfen versucht, um sein andauerndes Glück zu durchbrechen, damit er nicht durch sein stetes Glück zu großes Unglück provoziert (III, 40). 911 Die Diener sind hocherfreut ( κεχαρηκότες - III, 42.4) 912 über den Fund und bringen den Ring zu Polykrates. Als dieser seinen Ring wiedererkennt und Amasis davon berichtet, löst Amasis die gastfreundschaftliche Verbindung zu ihm, da er ein großes Unglück für ihn voraussieht und vermeiden möchte, mitleiden zu müssen Rezipienten zu schockieren oder nicht, eine befremdliche Wirkung hatte dieser Bericht bestimmt auf sie. Dazu zählt wohl auch der in IV, 62 beschriebene skythische Brauch, dem Ares Kriegsgefangene als Menschenopfer darzubringen. Zu diesem Brauch siehe Cunliffe (2019), S. 271. Die Griechen selbst führen das Vergießen von Menschenblut in einem Kult „ auf ‚ barbarische ‘ Herkunft zurück (Burkert [2011], S. 98). 910 Die Einladung zum Mahl erfolgt aus Freude und Dankbarkeit für etwas, was auf Polykrates ’ Sturz hinweist. Darin ist tragische Ironie erkennbar (vgl. Heni [1976], S. 67). Zur Formulierung ἐπὶ δεῖπνον καλέειν siehe Kap. 2.2.5.6. 911 Nach Heni (1976, S. 64) ist Amasis ’ Rat ein „ naive[r] Versuch, die Mißgunst des Göttlichen abzuwenden “ . Amasis gibt als Ägypter einen weniger klugen Rat als der Grieche Solon an Kroisos (vgl. ebd.), der im Wissen, dass das Göttliche φθονερόν und ταραχῶδες ist (I, 32.1), daraus schließt, erst am Lebensende sein Glück bzw. Unglück im Leben sicher bewerten zu können (I, 32 - 33). Zwar weiß auch Amasis, dass das Göttliche φθονερόν ist (III, 40.2), ist aber der Meinung, das Schicksal beeinflussen zu können, und rät Polykrates daher, einen ihm wertvollen Besitz aufzugeben. Dazu schreiben Hofmann/ Vorbichler (1979, S. 118): Die Götter „ nehmen sein Opfer nicht an, sondern weisen es zurück. “ Zu Recht erwähnt Heni (1976, S. 64) in Zuge dessen Kroisos ’ vergeblichen Versuch, das Orakel durch Geschenke dazu zu veranlassen, ihm einen für ihn wünschenswerten Orakelspruch zu geben (I, 50 - 55). Beide Versuche, das Göttliche zu beeinflussen, enden ohne große Erfolge. Kroisos kann laut Orakelspruch in Delphi aber immerhin erwirken, dass der Fall von Sardes um drei Jahre aufgeschoben wird (I, 91.3). Zur Vermutung, es könnte sich beim Werfen des Rings um einen Akt gehandelt haben, der ein Bündnis besiegelt, siehe Kaplan (2016), S. 150. 912 Die Diener erkennen nicht, dass sie eher Grund dazu hätten, entsetzt zu sein als sich zu freuen. Die tragische Ironie (siehe Anm. 910) setzt sich hier fort. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 269 <?page no="270"?> (III, 43). 913 Nachdem der Text in III, 46 noch davon berichtet, wie die von Polykrates vertriebenen Samier bei den Lakedaimoniern um Hilfe bitten, folgt eine lange Unterbrechung der Erzählung über Polykrates. Erst ab III, 120 wird weiter von dessen Schicksal und letztendlich von dessen grausamen Tod berichtet (III, 125). 914 Bis dahin bleiben die Rezipienten in ihrer Sicherheit, dass Polykrates ein Unglück zustoßen wird, gespannt, was genau geschehen wird. 915 Der von Polykrates geladene Fischer ist für den weiteren Erzählverlauf nicht mehr entscheidend, 916 sodass auch das Mahl nicht weiter beschrieben wird. Das Mahl wird also in erster Linie erwähnt, um das Auffinden des Rings in einen plausiblen Kontext zu setzen und Polykrates ’ Dankbarkeit durch die Einladung zum Mahl zu verbildlichen, wodurch sich der Fischer hochgeschätzt fühlt ( ὁ μὲν δὴ ἁλιεὺς μέγα ποιεύμενος ταῦτα - III, 42.3). Hier wird die Wertschätzung also nicht anhand der Vergrößerung einer Portion beim Mahl oder anhand besonderer Speisen ausgedrückt, sondern dadurch, dass eine Einladung durch den sozial weit über den Fischer stehenden Tyrannen überhaupt erfolgt ist. Ein weiteres Zeichen von Dankbarkeit kann es sein, nicht nur zu einem Gastmahl geladen zu werden, sondern sogar am Tisch des Königs sitzen zu dürfen. Dieses Privileg erhält der Arzt Demokedes. Dieser war in Polykrates ’ Gefolge mit zu Oroites gereist (III, 125.1) und wurde nach Polykrates ’ Ermordung zum Sklaven von Oroites (III, 129.3). Demokedes gilt laut Text als fähigster Arzt seiner Zeit ( ἰητρόν τε ἐόντα καὶ τὴν τέχνην ἀσκέοντα ἄριστα τῶν κατ᾽ ἑωυτόν - III, 125.1). Als sich Dareios seinen Knöchel verstaucht hatte und die ägyptischen Ärzte keinen Heilungserfolg bewirken konnten, hört er von Demokedes und seinem Ruf als erfolgreicher Arzt und lässt ihn herbeiholen (III, 129). Demokedes gelingt die Heilung (III, 130.3). Und obwohl er zunächst sein Arztdasein geleugnet hatte, weil er befürchtete, nie in seine Heimat Kroton zurückkehren zu können und nur unter Folter medizinisches Wissen zugab (III, 130.1 - 2), erhält er als Dank von Dareios neben viel Gold (III, 130.4 - 5) und einem eigenen Haus in Susa (III, 132.1) die Ehre, an den Tisch von Dareios aufgenommen zu werden ( καὶ ὁμοτράπεζος βασιλέϊ ἐγεγόνεε - III, 132.1). 917 Dasselbe Privileg erhält später Histiaios, der als Berater und Tischgenosse des Dareios mit nach Susa genommen wird, auch wenn es sich in der Darstellung der Historien lediglich um eine berechnende Aktion des Dareios handelt, damit 913 Siehe dazu Anm. 136. 914 Siehe dazu Kap. 4.1.2.2. 915 Vgl. Heni (1976), S. 69. 916 Vgl. ebd., S. 67. 917 Dareios zeigt Interesse an Griechen wie Demokedes, die über besondere Fähigkeiten verfügen; Demokedes war der erste in der Reihe einiger griechischer Ärzte am persischen Hof (vgl. Austin [1990], S. 299). 270 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="271"?> Histiaios ’ Macht nicht zu groß wird (V, 23 - 24). 918 Histiaios wird zum σύσσιτος (V, 24.4) und Demokedes zum ὁμοτράπεζος . 919 Doch wie Histiaios (V, 35.4) darf 918 Siehe dazu Kap. 4.2.3.1.1; zu Demokedes ’ und Histiaios ’ Verbindung mit Dareios vgl. auch Ruberto (2009), S. 58 - 62. 919 Bei σύσσιτος , das sich aus den Wörtern σύν und σῖτος zusammensetzt, wird weniger das ‚ gemeinsam am Tisch sitzen ‘ betont als bei ὁμοτράπεζος , das sich wiederum aus ὁμός und τράπεζος zusammensetzt. Die Aussage der beiden unterschiedlichen Begriffe - ὁμοτράπεζος und σύσσιτος - bleibt in diesem Kontext aber letztlich gleich, da sie beide das Privileg beinhalten, mit Dareios wörtlich ‚ zu Tisch zu sitzen ‘ . Dies allerdings bedeutet nicht, dass die sogenannten Tischgenossen des Großkönigs tatsächlich in demselben Raum wie der Großkönig speisten (vgl. dazu Briant [1989], S. 40 f.; Briant [2002], S. 308; Granger [2002], S. 128 f., S. 135). Darüber hinaus verwendet z. B. Xenophon die Bezeichnung ὁμοτράπεζος als realen persischen Titel ( οἱ ὁμοτράπεζοι καλούμενοι - Xen. an. I, 8.25; vgl. Nenci [1994], S. 186; Briant [2002], S. 308; Rhodes [2019], S. 171). Hornblower (2013, S. 121) betont: „ The idea of ‘ fellow-diner ’ is authentically Achaemenid “ ; vgl. dazu auch Hornblowers Verweise (ebd.). An anderer Stelle in den Historien werden die Tischgenossen des persischen Königs, in diesem Fall des Xerxes, als ὁμόσιτοι bezeichnet (VII, 119.3). Ὁμόσιτος gehört in eine Reihe mit ὁμοτράπεζος und σύσσιτος (vgl. How/ Wells [1912b], S. 9; Ruberto [2009], S. 57; Rhodes [2019], S. 171). In VII, 119 wird beschrieben, wie die Bewirtung des persischen Heeres während ihres Feldzugs durch Griechenland vorzubereiten ist. Eine besondere Behandlung wird dort dem König und seinen ὁμοσίτοισι zuteil, die sich durch wertvolles Geschirr und auch alles andere auszeichnet, was bei Tisch nicht fehlen darf ( τοῦτο δὲ χρύσεά τε καὶ ἀργύρεα ποτήριά τε καὶ κρητῆρας ἐποιεῦντο καὶ τ ἆλλα ὅσα ἐπὶ τράπεζαν τιθέαται πάντα . ταῦτα μὲν αὐτῷ τε βασιλέϊ καὶ τοῖσι ὁμοσίτοισι μετ᾽ἐκείνου ἐπεποίητο - VII, 119.2 - 3). Somit werden die ὁμόσιτοι wie der König vom restlichen Heer unterschieden ( τῇ δὲ ἄλλῃ στρατιῇ τὰ ἐς φορβὴν μοῦνα τασσόμενα - VII, 119.3) und ihre Besonderheit durch die Art und Weise, wie sie ihr Essen einnehmen, dargestellt. Ὁμόσιτος , das sich aus ὁμός und σῖτος zusammensetzt, deutet also wortwörtlich ebenso darauf hin, dass der König mit seinen ὁμόσιτοι gemeinsam speist - wenn auch nicht im selben Raum. Allerdings spricht der Text hier von Tischgenossen, die während des Feldzugs gegen Griechenland mit ihm zusammen speisen (vgl. Nenci [1994], S. 186). Ob sie denselben dauerhaften Rang wie Demokedes als ὁμοτράπεζος oder wie Histiaios als σύσσιτος erhalten, ist nicht erwähnt. Aber ungeachtet dessen bedeutet, ὁμόσιτος zu sein, genauso wie ὁμοτράπεζος oder σύσσιτος (oder auch σύνδειπνος - eine Bezeichnung, die der Text in Herodots Historien an keiner Stelle verwendet - ) eine große Ehre (vgl. How/ Wells [1912b], S. 9; Briant [1989], S. 40 f.; Herman [1987, S. 66]: „ and the terms homositos, homotrapezos, and homospondos, ‘ one who consumes the same food ’ , or ‘ sits at the same table ’ , or ‘ participates in the same libations ’ became marks of high regard at the courts of autocratic rulers “ ; Nenci [1994], S. 186; Flower/ Marincola [2002], S. 129; Granger [2002], S. 135). Zugleich war es aber auch eine Position, die eine enge Bindung an den Großkönig mit sich brachte (vgl. Briant [2002], S. 318 f.; Flower/ Marincola [2002], S. 129). Bei der Beschreibung des Gastmahls des Attaginos verwendet der Text die Bezeichnung ὁμοτράπεζος und dazu parallel die Wörter ὁμόκλινος und ὁμόσπονδος (IX, 16.2). An dieser Textstelle allerdings handelt es sich um keine offiziellen Titel, sondern in erster Linie um das, was sie wortwörtlich bedeuten: um jemanden, der gemeinsam an einem Tisch sitzt bzw. liegt bzw. gemeinsam das Trankopfer spendet. Flower/ Marincola (2002, S. 129) aber betonen, dass der Perser in IX, 16.2, indem er seinen griechischen Klinen- 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 271 <?page no="272"?> auch Demokedes nicht in seine Heimat zurückkehren (III, 132.1). Ansonsten steht ihm in Susa alles frei ( πλήν τε ἑνὸς τοῦ ἐς Ἕλληνας ἀπιέναι πάντα τἆλλά οἱ παρῆν - III, 132.1) und zudem besitzt er dort großen Einfluss ( ἦν δὲ μέγιστον πρῆγμα Δημοκήδης παρὰ βασιλέϊ - III, 132.2). Dadurch gelingt es ihm sogar, die erfolglos gebliebenen ägyptischen Ärzte und einen Seher durch seinen Zuspruch vor der Todesstrafe zu retten (III, 132.2). Sowohl Histiaios als auch Demokedes wird zwar die Ehre zuteil, zusammen mit Dareios zu speisen, aber zugleich wird dieses Privileg zum gezielt eingesetzten Instrument des Dareios, der so die Anwesenheit der beiden Männer kontrollieren kann, um zu verhindern, dass sie in ihre jeweilige Heimat zurückkehren. Denn schließlich sind sie auf diese Weise eng an den Großkönig gebunden. 920 Doch Dareios ’ Ansinnen misslingt bei beiden: Durch List gelingt es Demokedes, in seine Heimat Kroton zurückzukehren (III, 133 - 137), und Histiaios, den Abfall seiner Heimatstadt Milet vom Perserreich zu arrangieren (V, 35). Während also die Erlaubnis oder Einladung zum gemeinsamen Speisen als Privileg und Ehre angesehen wird, fungiert das Gegenteil davon, der Entzug des gemeinsamen Mahls, als Zeichen von Ablehnung. Nachdem die attischen Auswanderer die Familien der Karerinnen getötet hatten und die Karerinnen zur Frau genommen haben, besteht deren Strafe darin, ihre attischen Ehemänner niemals beim Namen zu nennen und niemals mit ihnen zu speisen ( μή κοτε ὁμοσιτῆσαι τοῖσι ἀνδράσι - I, 146.3). 921 Wie auch in VII, 119.3, als die Soldaten, die während des Griechenlandfeldzugs gegen die Perser als ὁμόσιτοι bezeichnet werden und damit als Tischgenossen des Dareios, 922 wird hier durch ὁμοσιτέειν die Gemeinschaft beim Vorgang des Speisens bzw. aufgrund der Verneinung die abgelehnte Gemeinschaft hervorgehoben. 923 Im Gegensatz zu den Soldaten, denen die Ehre zuteilwird, am Tisch des Dareios speisen zu dürfen, erfahren die attischen Auswanderer Ablehnung, indem die Karerinnen das gemeinsame Speisen verwehren. 4.1.2.2 Ort für Demütigung Bei allen bisher in diesem Kapitel untersuchten Textpassagen werden Wertschätzung oder Entehrung stets bewusst durch besondere Mahl- oder Trinksitten ausgedrückt. Im dritten Buch der Historien kommt es während eines Symposions jedoch zu einer ungewollten Demütigung. Zeitlich ist diese genossen als ὁμοτράπεζος bezeichnet, eine stärkere Verbundenheit ausdrückt; siehe dazu Kap. 3.1.2.1 mit Anm. 589. 920 Vgl. Briant (2002), S. 318 f.; Flower/ Marincola (2002), S. 129 bzw. Anm. 919. 921 Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. 922 Siehe dazu Anm. 919. 923 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.7. 272 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="273"?> Situation in die Herrschaft des Kambyses einzuordnen, als er bereits erkrankt ist (III, 120.1). Damals ist Oroites Statthalter in Sardes ( Σαρδίων ὕπαρχος - III, 120.1) 924 . Dieser Oroites beabsichtigt, Polykrates von Samos zu töten, obwohl er ihm dem Text zufolge nie ein Leid zugefügt, falsch über ihn geredet oder ihn auch nur jemals gesehen hätte ( οὔτε γάρ τι παθὼν οὔτε ἀκούσας μάταιον ἔπος πρὸς Πολυκράτεος τοῦ Σαμίου οὐδὲ ἰδὼν πρότερον ἐπεθύμεε λαβὼν αὐτὸν ἀπολέσαι - III, 120.1). Als Begründung für Oroites ’ Ansinnen gibt der Text zwei Versionen an, von denen keine einen politischen Hintergrund hat. 925 Die Mehrheit ( οἱ πλεῦνες λέγουσι - III, 120.1) sei der Meinung, dem Hass von Oroites auf Polykrates liege ein Streit zwischen ihm und dem Perser Mitrobates zugrunde (III, 120.2 - 4). Mitrobates hielt Oroites einst vor, keineswegs als tapfer gelten zu können, wenn er nicht einmal dazu in der Lage sei, die Insel Samos zu erobern, die doch leicht einzunehmen ist. Denn über diese herrsche ein Einheimischer ( τῶν τις ἐπιχωρίων - III, 120.3), Polykrates, der sich mit nur 15 Hopliten der Insel bemächtigt hat und nun dort Herrscher ist ( τυραννεύει - III, 120.3). Oroites sei also nur den Worten nach ein Mann ( Σὺ γὰρ ἐν ἀνδρῶν λόγῳ - III, 120.3). Daraufhin habe Oroites verletzt durch diese Schmähung des Mitrobates beabsichtigt, sich an demjenigen zu rächen, der ihn in diesen schlechten Ruf kommen ließ, nämlich an Polykrates von Samos (III, 120.4). Dabei genügt es ihm nicht einmal, den unbeteiligten Polykrates ‚ nur ‘ zu bestrafen, sondern er möchte ihn völlig vernichten ( τοῦτο ἀκούσαντα καὶ ἀλγήσαντα τῷ ὀνείδεϊ ἐπιθυμῆσαι οὐκ οὕτω τὸν εἴπαντα ταῦτα τείσασθαι ὡς Πολυκράτεα πάντως ἀπολέσαι - III, 120.4). Hieran zeigt sich Oroites ’ emotionsgeladener und überstürzter Charakter. Dies sei also die erste mögliche Erklärung für die Ursache des Hasses von Oroites auf Polykrates. Für die zweite Option, die der Text dafür anführt, ist ein Missverständnis bei einem Symposion entscheidend. Diese Erzählversion aber habe, obwohl Polykrates selbst mitbeteiligt war, eine geringere Anhängerschaft ( οἱ δὲ ἐλάσσονες λέγουσι - III, 121.1) als die bereits geschilderte Erklärung. Nach dieser zweiten Option also habe Oroites einen Herold nach Samos geschickt, um um etwas zu bitten, was der Text nicht näher zu definieren weiß ( ὅτευ δὴ χρήματος δεησόμενον ( οὐ γὰρ ὦν δὴ τοῦτό γε λέγεται ) - III, 121.1). Als der Herold ankommt, befindet sich Polykrates gerade zusammen mit Anakreon von Teos in einem Andron ( καὶ τὸν 924 Zur Bedeutung von ὕπαρχος siehe Anm. 1531. 925 Vgl. dazu die Ausführungen von De Romilly (1971), S. 321 f.; Mitchell (1975), S. 85; Asheri et al. (2007), S. 507. Kaplans (2016, S. 152) Ansicht, dass Oroites wohl vor allem Interesse daran gehabt hatte, Kontrolle über Samos zu erhalten, da dies mit der persischen Expansionsstrategie gut vereinbar ist und außerdem dem Bedürfnis des Oroites entgegenkommt, sich beim Perserkönig in ein gutes Licht zu stellen, ist dem Text hier nicht zu entnehmen. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 273 <?page no="274"?> Πολυκράτεα τυχεῖν κατακείμενον ἐν ἀνδρεῶνι , παρεῖναι δέ οἱ καὶ Ἀνακρέοντα τὸν Τήιον - III, 121.1). Der Herold tritt ein, um sich mit Polykrates zu unterhalten ( τόν τε γὰρ κήρυκα τὸν Ὀροίτεω παρελθόντα διαλέγεσθαι - III, 121.2). Polykrates aber blickt - wohl aufgrund der Position seiner Kline - gerade nicht in seine Richtung, sondern in Richtung Wand, dreht sich nicht um und sagt nichts zu ihm ( τὸν Πολυκράτεα ( τυχεῖν γὰρ ἀπεστραμμένον πρὸς τὸν τοῖχον ) οὔτε { τι } μεταστραφῆναι οὔτε τι ὑποκρίνασθαι - III, 121.2). Als Grund für dieses Verhalten gibt der Text wiederum zwei Möglichkeiten an: Entweder handelt Polykrates vorsätzlich so, um seine Verachtung gegenüber den Machenschaften von Oroites zu zeigen, oder rein aus Zufall ( καί κως εἴτε ἐκ προνοίης αὐτὸν κατηλογέοντα τὰ Ὀροίτεω πρήγματα , εἴτε καὶ συντυχίη τις τοιαύτη ἐπεγένετο - III, 121.2). Dass sich Polykrates hier gerade in einem Symposion befindet, kann aus mehreren Details geschlossen werden. 926 So berichtet der Text, dass er sich im Moment der Ankunft des Herolds in einem Andron befindet, dem Raum, in dem gewöhnlich Symposia abgehalten werden. 927 Außerdem ist Polykrates nicht alleine, sondern in Gesellschaft des Lyrikers Anakreon aus Teos, der an seinem Hof tätig war. 928 Ob noch mehr Personen an diesem Symposion teilnehmen, wird nicht beschrieben. Für den Handlungsverlauf ist dies ohnehin zu vernachlässigen. Entscheidend dafür ist ausschließlich Polykrates ’ fehlende Reaktion und deren Deutung durch den persischen Gesandten. Die Anwesenheit von Anakreon allerdings gibt einen entscheidenden Hinweis darauf, dass die Stimmung, in der sich Polykrates gerade befindet, sympotisch fröhlich einzuschätzen ist. Denn Anakreons Dichtung ist durch ihre drei großen Themenbereiche Wein, Liebe und Alter in den sympotischen Bereich einzuordnen. 929 926 Dass es sich hier um ein Symposion handeln kann, wurde bereits gemutmaßt (vgl. Heni [1976], S. 71; Bowie [2003], S. 105 f.). 927 Siehe zum Andron Kap. 2.2.3.5. Über die Beschaffenheit des Andron am Hofe des Polykrates erfährt man in III, 123.1, dass er sehr kostbar ausgestattet ist. Denn Maiandrios habe den wertvollen Schmuck von dort später im Heratempel geweiht ( τὸν κόσμον τὸν ἐκ τοῦ ἀνδρεῶνος τοῦ Πολυκράτεος ἐόντα ἀξιοθέητον ἀνέθηκε πάντα ἐς τὸ Ἥραιον - III, 123.1). Zum Heraion siehe III, 60.4 sowie Asheri et al. (2007), S. 456 f. Dass ein Andron gewöhnlich wertvoll eingerichtet ist, zeigt Alkaios ’ fr. 140 Voigt. Eine prunkvolle Waffensammlung, wie sie in diesem Alkaios-Fragment beschrieben wird, findet sich auch in der Darstellung von Kroisos ’ Männersaal in Herodots Historien. Denn dort berichtet der Text, wie Kroisos zum Schutze seines Sohnes sämtliche Waffen daraus entfernen lässt ( ἀκόντια δὲ καὶ δοράτια καὶ τὰ τοιαῦτα πάντα τοῖσι χρέωνται ἐς πόλεμον ἄνθρωποι , ἐκ τῶν ἀνδρεώνων ἐκκομίσας ἐς τοὺς θαλάμους συνένησε , μή τί οἱ κρεμάμενον τῷ παιδὶ ἐμπέσῃ - I, 34.3). 928 Vgl. Latacz (1998), S. 430 f.; Fränkel (2006), S. 332; Asheri et al. (2007), S. 508. 929 Vgl. Latacz (1998), S. 428 - 431; Fränkel (2006), S. 332 f. 274 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="275"?> Der Hinweis, Polykrates sei dort gelegen ( κατακείμενον - III, 121.1), stellt ihn zudem in der gewöhnlichen Position eines Symposiasten dar. 930 Der persische Gesandte tritt also in dieser Situation in den Andron ein ( παρελθόντα - III, 121.2). Da ihn Polykrates nun aber - aus welchen Gründen auch immer - ignoriert, fühlt sich der persische Herold respektlos behandelt. 931 Nach dieser Version handelt es sich um einen - wenngleich ungewollt ausgelösten - Affront gegen Oroites, der letztlich zur Ermordung von Polykrates führt. Da der Text darlegt, dass sich Polykrates nicht nur nicht zu dem Gesandten umdreht, sondern ihm auch keine Antwort gibt ( οὔτε { τι } μεταστραφῆναι οὔτε τι ὑποκρίνασθαι - III, 121.2), wird offensichtlich, dass der Bote bereits Worte an ihn gerichtet haben muss. Geht man nun davon aus, dass sich der Grieche Polykrates gerade in einem Symposion befindet, kann dessen fehlende Reaktion gegenüber dem persischen Herold als Versehen interpretiert werden. Denn Polykrates befindet sich eben momentan in einem sympotischen Modus, der ihn die alltäglichen Pflichten vergessen und so die Worte des Gesandten ausblenden lässt, während dafür seine ganze gesteigerte Aufmerksamkeit dem Erleben des Symposions gilt. 932 Der Perser allerdings deutet dies als Ignoranz und damit Herabwürdigung ihm bzw. Oroites gegenüber. 933 Nach dieser Sichtweise handelt es sich also um ein Missverständnis, das weitreichende Folgen nach sich zieht. So macht der Text deutlich, inwiefern die sympotische Atmosphäre durch das Ausblenden alltäglicher Verpflichtungen negative Auswirkungen haben kann und sich daher als ambivalent erweist. Schließlich hätte sich der Aufenthalt des Herolds während eines Symposions auch entgegengesetzt entwickeln können. Denn eine gastfreundschafliche Aufnahme und das gemeinsame Erleben des Symposions hätte die Chance geboten, Freundschaft zwischen Oroites ’ Herold bzw. Oroites und Polykrates entstehen zu lassen. Doch hier tritt das Gegenteil ein und es kommt zur 930 Zur Veränderung von der Sitzzur Liegeposition im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. 931 Bowie hebt hervor: „ An insult at a banquet is again fatal “ (Bowie [2003], S. 106). Bowie (2003, S. 102 f.) bemerkt zu Recht für die östlichen Bankette in den Historien, die zwar auch hier, aber besonders in den Darstellungen über die Meder und Perser im ersten Buch anzutreffen sind, dass empfundene Beleidigung, Zorn, Rache, Bestrafung, der Tod von Söhnen und damit das Ende von Familien (vgl. Bowie [2003], S. 102/ Anm. 19) und so auch Machtwechsel charakteristisch seien. Vgl. dazu insgesamt Bowies Ausführungen in seinem Aufsatz ‚ Fate may harm me, I have dined today. Near-eastern royal banquets and Greek symposia in Herodotus ‘ (2003). 932 Vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. Heni (1976, S. 71/ Anm. 238) verweist hier auf Anakreons fr. 2 West. Darin wird betont, dass beim Wein Krieg und Zwist nicht thematisiert werden sollen. Heni (ebd.) schreibt dazu: „ Wie sein Freund Anakreon in dem Gedicht, will auch er (Polykrates) beim Wein von Krieg und Politik nichts hören und nicht gestört werden. “ Vgl. dazu Anm. 279. 933 Vgl. dazu Heni (1976), S. 71. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 275 <?page no="276"?> Fehldeutung, wenn man davon ausgeht, dass Polykrates den Herold tatsächlich nicht bemerkt und daher gar nicht auf die Idee kommt, sich umzudrehen. Die Chance, die Polykrates ’ Ermordung hätte verhindern können, wird von ihm selbst also nicht genutzt. 934 Der Text lässt offen, welche der beiden Versionen für die Beweggründe des Oroites, Polykrates ermorden lassen zu wollen, seiner Ansicht nach die vertrauenswürdigere ist und lässt den Rezipienten selbst entscheiden ( αἰτίαι μὲν δὴ αὗται διφάσιαι λέγονται τοῦ θανάτου τοῦ Πολυκράτεος γενέσθαι , πάρεστι δὲ πείθεσθαι ὁκοτέρῃ τις βούλεται αὐτέων - III, 122.1). Da Polykrates später ohne Bedenken und erfreut auf ein Angebot von Oroites vertraut (III, 123.1), das zugleich auch finanzielle Unterstützung für seinen Plan, Herrscher über Ionien mitsamt der Inseln zu werden, verspricht (III, 122.2 - 4), ist es zumindest unwahrscheinlich, dass - wenn die zweite Erklärung richtig ist - Polykrates den Herold bewusst ignoriert hatte, ansonsten müsste er nun ja mit einer Gegenreaktion des Oroites rechnen. Oroites bittet ihn also darum, ihn und seine Schätze vor Kambyses, der ihn zu töten beabsichtige, in Sicherheit zu bringen (III, 122.3 - 4). Zum Lohn dafür dürfe er einen Teil davon behalten (III, 122.4). Polykrates reagiert diesbezüglich nun keineswegs skeptisch, sondern fällt im Gegenteil sogar auf eine List des Oroites herein: Es gelingt Oroites, Polykrates ’ Gesandten Maiandrios, dem Sekretär ( γραμματιστής - III, 123.1), erfolgreich den vermeintlichen Bestand der vielen Schätze vorzutäuschen (III, 123). Niemand, weder seine Tochter, die einen furchterregenden Traum hatte, noch Seher oder seine Philoi können Polykrates davon abhalten, zu Oroites aufzubrechen (III, 124.1). 935 Da der Text zudem nicht erwähnt, dass sich Polykrates einer Schuld bewusst ist, 936 wird Polykrates in der Darstellung der 934 Der Sturz, den Amasis für Polykrates befürchtet, weil sich dieser so lange Zeit im puren Glück befindet (siehe Anm. 136), tritt schließlich durch Polykrates ’ Tod ein ( Πολυκράτεος μὲν δὴ αἱ πολλαὶ εὐτυχίαι ἐς τοῦτο ἐτελεύτησαν τῇ οἱ Ἄμασις ὁ Αἰγύπτου βασιλεὺς προεμαντεύσατο - III, 125.4); Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 509) bezeichnet den Inhalt dieses Satzes als „ the final moral of the two logoi of Polycrates (chs. 39 - 60; 120 - 125), with a reference to his great εὐτυχίη (e. g. 40,1) and to the prophecy of Amasis (43,1). “ Der Text lässt offen, ob der Zwischenfall am Hofe des Polykrates aus Zufall geschieht oder mit Absicht ( καί κως εἴτε ἐκ προνοίης αὐτὸν κατηλογέοντα τὰ Ὀροίτεω πρήγματα , εἴτε καὶ συντυχίη τις τοιαύτη ἐπεγένετο - III, 121.2). Auf jeden Fall gelingt es Polykrates nicht, seinen Tod zu umgehen, mit dem ein ‚ Ausgleich ‘ für sein Glück geschaffen wird. Heni (1976, S. 74 mit Anm. 253) erkennt hinter συντυχίη eine „ göttliche Motivation “ . 935 Heni (1976, S. 70) sieht in „ der auffälligen Verbohrtheit des Polykrates gegenüber den Warnungen “ eine „ Wirkung der göttlichen Motivation “ , die mit der menschlichen Motivation „ beim Untergang des Polykrates zusammen[wirkt]. “ 936 Aber auch Polykrates handelt in seinem Leben häufig übermütig; vgl. dazu Heni (1976), S. 62: Unschuldig gerät Polykrates nicht ins Unglück. Niemand gerät bei Herodot ohne 276 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="277"?> Historien letztendlich ohne es selbst vorauszuahnen zum Opfer eines grausamen Todes durch Oroites ( διεφθάρη κακῶς - III, 125.2). 937 Doch Polykrates ’ Ermordung, die der Text für zu schändlich hält, als dass sie einer Erzählung würdig wäre ( οὐκ ἀξίως ἀπηγήσιος - III, 125.3), genügt Oroites nicht. 938 Er lässt ihn kreuzigen und damit als bereits Toten zum zweiten Mal hinrichten ( ἀποκτείνας δέ μιν οὐκ ἀξίως ἀπηγήσιος Ὀροίτης ἀνεσταύρωσε - III, 125.3). Der Text bemerkt, dass sich durch diesen Tod das Traumbild der Tochter erfüllt (III, 125.4), das die Kreuzigung vorausgesagt hat. Denn sie träumte, Polykrates schwebe in der Luft und werde dabei von Zeus gebadet und von Helios gesalbt (III, 124.1). 939 Nun kann das Traumbild gedeutet werden: Wenn es regnet, wird er nun am Kreuz hängend von Zeus gebadet und bei Sonnenschein von Helios durch seine eigenen Flüssigkeit - den Schweiß - gesalbt (III, 125.4). 940 Der Text bezeichnet das Vorgehen von Oroites gegen Polykrates gleich zu Beginn der Erzählung als Verstoß gegen göttliches Recht ( οὗτος ἐπεθύμησε πρήγματος οὐκ ὁσίου - III, 120.1), da er ohne Grund gegen Polykrates handelt (III, 120.1). 941 Dafür muss Oroites schließlich büßen ( Ὀροίτεα Πολυκράτεος τίσιες μετῆλθον - III, 126.1). Der Text berichtet, wie Mitrobates Oroites wegen des Mordes an Polykrates Vorwürfe macht ( ὅς οἱ ὠνείδισε τὰ ἐς Πολυκράτεα ἔχοντα - III, 126.2). Aus diesem Grund lässt Oroites Mitrobates selbst und dessen Sohn, zwei angesehene Perser ( ἄνδρας ἐν Πέρσῃσι δοκίμους - III, 126.2), töten. Anschließend erwähnt der Text weitere Freveltaten ( ἄλλα τε ἐξύβρισε παντοῖα - III, 126.2), weswegen Dareios, der gerade zum Großkönig geworden ist, Oroites schließlich bestrafen möchte ( ἐπεθύμεε τὸν Ὀροίτεα τείσασθαι πάντων τῶν ἀδικημάτων εἵνεκεν - III, 127.1). Er plant, ihn zu töten, da seine Verschulden ins Unglück (ebd./ Anm. 197). Heni (ebd., S. 62) verweist bei Polykrates auf „ deutliche Hinweise “ im Bericht über die Expansion seiner Macht, in dem seine „ habsüchtige Raffgier “ (ebd./ Anm. 197) ersichtlich wird; vgl. dazu v. a. III, 39.4. Dem Polykrates werden letztendlich seine „ Leichtgläubigkeit “ und enorme „ Geldgier “ sowie der Ungleichheiten glättende φθόνος τοῦ θείου zum Verhängnis (Heni [1976], S. 75). 937 Kaplan (2016, S. 152) verweist darauf, dass die hier von Oroites gestellte Falle auf dem Konzept der Xenia basiert: Als Polykrates Oroites besucht, wird er von seinem Gastgeber getötet und gekreuzigt (vgl. Kaplan [2016], S. 152 f.). Dazu bemerkt Kaplan, dass es sich um einen barbarischen Akt gehandelt habe, „ for which Herodotus sees Oroites ’ subsequent murder by Darius as divine punishment (3.126.1) “ (Kaplan [2016], S. 153). 938 Vgl. How/ Wells (1912a, S. 296): „ H., like a true Greek, gives here no details of Asiatic barbarity “ . 939 Vgl. Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 509): „ a typical premonitory ‘ death dream ’ , fulfilled and interpreted ex eventu (125,4). “ 940 Bowie (2003, S. 106) sieht hierin eine grausame Parodie auf die Freuden von Waschen und Salben vor einem Bankett. 941 Vgl Asheri et al. (2007), S. 507. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 277 <?page no="278"?> Überheblichkeit nicht mehr tragbar für Persien sei ( ὕβριν οὐκ ἀνασχετὸν φαίνων - III, 127.3). Dieser Beschluss wird letztlich umgesetzt (III, 128.5). Mit Blick auf die Erzählversion, nach der der Grund für Polykrates ’ Tod auf ein Missverständnis im Symposion zurückzuführen ist, zeigt die dargestellte brutale Hinrichtung und ‚ Übertötung ‘ des Polykrates, wie sehr sich Oroites durch diese Missachtung gedemütigt gefühlt haben muss. Letztlich wird dieses Missverständnis nicht nur zum Auslöser für den Mord an Polykrates, sondern auch Grund für den Tod des Oroites selbst. Denn besonders wegen der Ermordung von Mitrobates und dessen Sohn, verlangt Dareios Oroites ’ Bestrafung ( ἐπεθύμεε τὸν Ὀροίτεα τείσασθαι πάντων τῶν ἀδικημάτων εἵνεκεν καὶ μάλιστα Μιτροβάτεω καὶ τοῦ παιδός - III, 127.1). 4.1.2.3 Fazit: Mahl und Symposion als Ausdruck von Wertschätzung und Demütigung In diesem Kapitel wurde herausgearbeitet, inwiefern Mahl- und Symposionsdarstellungen in Herodots Historien dazu verwendet werden, um Wertschätzung, aber auch Verachtung auszudrücken. Wird jemandem eine Speise in höherer Quantität serviert als anderen Personen, bedeutet dies eine besondere und sichtbare Wertschätzung. Dieses Verständnis von Wertschätzung findet sich in der Darstellung der Historien unabhängig von sonstigen kulturellen Unterschieden sowohl bei den Griechen (VI, 57.1) als auch bei den Persern (I, 133.1) und sogar bei den Skythen (IV, 66). Doch nicht nur aus der Quantität einer servierten Speise, sondern auch aus Privilegien bei der Bewirtung und Versorgung während eines Feldzugs (I, 188 / VII, 83.2 / VII, 119.2 - 3) kann auf eine herausragende Stellung der betreffenden Personen geschlossen werden. Da diese Art von Wertschätzung in der Darstellung der Historien auf das persische Heer begrenzt ist, wird zugleich die dort vorherrschende Hierarchie hervorgehoben. Neben der außergewöhnlichen Quantität einer Speise und den Privilegien beim Mahl wird als Drittes die Erlaubnis, an einer bestimmten Bewirtung oder einem bestimmten Umtrunk teilnehmen zu dürfen, zum Ausdruck von Wertschätzung und Ehrung. So ist es bei den Skythen ein Zeichen von kriegerischem Erfolg, an dem einmal im Jahr organisierten öffentlichen Umtrunk teilnehmen zu dürfen (IV, 66). Hier wird die Wertschätzung öffentlich sichtbar, zugleich aber auch die Ächtung, wenn jemandem die Teilnahme daran verwehrt bleibt (IV, 66). Doch nicht nur das öffentliche Symposion dient den Skythen zur Ehrung und Ächtung, sondern auch im nicht-öffentlichen Bereich werden in der Darstellung der Historien bei den Skythen Symposia in erster Linie aus Gründen der Machtdemonstration veranstaltet. Denn durch ihre Trinkgefäße, die aus den Köpfen ihrer besiegten Feinde und ihrer Hausgenossen hergestellt 278 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="279"?> sind, mit denen sie im Streit gelegen waren, verbildlichen die Skythen ihre Tapferkeit (IV, 65). Im Rahmen dieser Untersuchung hat sich also gezeigt, dass außer bei den Skythen bei keinem anderen Volk in der Darstellung der Historien das Symposion als Ort definiert wird, bei dem das Prahlen mit der eigenen Kraft und die Absicht, sich als besonders stark und kriegerisch zu zeigen, im Vordergrund stehen. Als besondere Art der Wertschätzung und Zeichen der Ehre erweist sich in Herodots Historien auch die Erlaubnis, mit bestimmten Personen zusammen essen zu dürfen. So steht es den Pythiern zu, mit den spartanischen Königen auf Staatskosten zu speisen (VI, 57.2). Zu dieser Art, Wertschätzung darzustellen, gehört auch die Einladung zum gemeinsamen Mahl als Zeichen von Dankbarkeit, wie es bei dem Fischer der Fall ist, der von Polykrates als Dank für sein großzügiges Geschenk, eingeladen wird (III, 42.2), ebenso die Ernennung des erfolgreichen Arztes Demokedes zu Dareios ’ ὁμοτράπεζος (III, 132.1) sowie die Berufung des verständigen und wohlwollenden Freundes von Dareios, Histiaios, zu dessen Berater und σύσσιτος (V, 24.4), wenngleich Dareios dieses Privileg des Demokedes und Histiaios vor allem dafür nützlich erscheint, sie an Susa und damit an sich zu binden. Dass es in den Historien im Gegenteil ein Zeichen von Verachtung ist, wenn jemandem ein gemeinsames Mahl verwehrt wird, zeigt sich an I, 146.3, als die Karerinnen ihren aus Athen stammenden neuen Ehemännern als Strafe dafür, dass sie ihre Väter, Söhne und Männer ermordet haben, verwehren, mit ihnen gemeinsam zu speisen. Es hat sich also gezeigt, dass Essen und Trinken in Herodots Historien stark symbolische kulturelle Praktiken sind, 942 sodass es bei einem falsch gedeuteten Ablauf eines gemeinsamen Mahls oder Umtrunks schnell zu Missverständnissen kommen kann, die dann wiederum eine persönliche Kränkung nach sich ziehen können. Insofern ist die im Text als weniger verbreitet dargestellte Erklärung für Oroites ’ Mord an Polykrates (III, 121.1) in sich schlüssig, die besagt, dass Oroites ’ Herold bei seiner Ankunft während eines Symposions von Polykrates - aus welchen Gründen auch immer - ignoriert wird (III, 121.2) und daraus Oroites ’ Verachtung gegenüber Polykrates erwächst. Denn die Nichtbeachtung des Herolds wirkt auf Oroites, als wäre Polykrates absichtlich nicht dazu bereit, ihn bzw. seinen Herold in der Situation des Symposions zu empfangen, was damit einer Absage von dessen Teilnahme am Symposion gleichkommt. Es zeigt sich also einerseits, dass sich Oroites aufgrund der Missachtung gedemütigt fühlt, und andererseits, dass Polykrates durch das 942 Vgl. Müller (2009), S. 173 bzw. Anm. 800 in der vorliegenden Arbeit. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 279 <?page no="280"?> Symposion so stark abgelenkt wird, dass er nicht mehr auf die Anforderungen des Alltags reagieren kann. Ob dies einem übermäßigen Weinkonsum geschuldet ist oder der Situation des Symposions selbst, erwähnt der Text nicht. Bei anderen Charakteren in Herodots Historien allerdings beeinflusst der Weinkonsum explizit das Verhalten. Unter anderem auf diese Darstellungen möchte ich nun im folgenden Kapitel eingehen. 4.1.3 Die Folgen von ungewöhnlichem Trinkverhalten und falschem Benehmen beim Symposion So wie Speise- und Trinkgewohnheiten Informationen über eine ganze Kultur liefern können, kann aus der Darstellung eines besonderen Trinkverhaltens oder Benehmens beim Mahl eine Erklärung für bestimmte Ausprägungen im Charakter einzelner Personen gewonnen werden. Denn Wein und Speisen haben nicht nur eine symbolische Wirkung in den Historien, die eine Verbildlichung bestimmter Situationen, Beziehungen oder Maßnahmen erwirkt, 943 sondern sie werden zum Teil auch als Auslöser für ein bestimmtes Verhalten dargestellt. 944 Symposions- und Mahldarstellungen werden daher in mehrfacher Hinsicht zum Charakterisierungsmittel in den Historien. So ermöglichen Mahl- oder Symposionsereignisse als Orte der Kommunikation eine indirekte Charakterisierung der sich unterhaltenden Personen. 945 Dieselbe Funktion haben auch Mahl- und Symposionsszenen, wenn sie gezielt eingesetzt werden, um einen Plan erfolgreich in die Tat umzusetzen, da sie auf Charakterzüge wie Klugheit, Hinterhältigkeit oder gar Feigheit hindeuten. 946 In diesem Kapitel soll jedoch herausgearbeitet werden, inwiefern der Weinkonsum oder das Verhalten während eines Symposions in den Historien direkt zur Veranschaulichung oder Erläuterung bestimmter Charakterzüge beiträgt. Das trifft auf das in den Historien dargestellte Verhalten von Kambyses, Kleomenes, Amasis und Hippokleides zu. Sabine Müller hebt mit Blick auf das Essen in Herodots Historien hervor, dass dies zwar „ als Teil der condition humaine verstanden [werde], aber nicht vordergründig als Nahrungsaufnahme, sondern als Paradigma für den 943 Siehe dazu Kap. 4.1.1 und 4.1.2. 944 Zu möglichen Auswirkungen von Wein auf den Charakter siehe Kap. 2.2.3.4. Für die Beeinflussung der Handlungsfähigkeit durch Wein siehe Kap. 4.2.1. 945 Vgl. dazu besonders die unter Kap. 3.1 und Kap. 3.3 untersuchten Gastmähler und Symposia. 946 Zur Analyse solcher Symposia und Gastmähler siehe Kap. 4.2. 280 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="281"?> Umgang des Menschen mit dem rechten Maß. “ 947 Die Frage, inwiefern das rechte Maß also auch für das Trinkverhalten in Herodots Historien entscheidend ist, soll bei der Untersuchung daher ebenfalls berücksichtigt werden. Für diese Analyse ist das Kapitel in zwei Abschnitte gegliedert. Im ersten Teil befasse ich mich mit den in den Historien dargestellten Verhalten der Könige Kambyses, Kleomenes und Amasis. All diesen wird ein starker Hang zum Wein vorgeworfen, der ihre Taten jeweils auf unterschiedliche Weise beeinflusst. Im zweiten Teil geht es um Hippokleides, der nicht durch die Darstellung eines generellen Trinkverhaltens charakterisiert wird, sondern durch sein Benehmen bei einem Symposion. Hippokleides, der als einziger von den hier behandelten Charakteren kein König ist, sticht durch sein Verhalten in einem typisch griechischen Symposion hervor, das aus diesem Grund in den Historien auch verhältnismäßig ausführlich beschrieben wird. Um Hippokleides ’ dargestelltes Verhalten deuten zu können, ist es daher nötig, das zugehörige Symposion ausführlich zu analysieren. Dabei sollen neben dem Kontext auch der genaue Ablauf besprochen werden, sodass anhand des Verlaufs des Symposions auf das Verhalten von Hippokleides Rückschlüsse gezogen werden können. Um dies zielführend abschließen zu können, soll dabei in einem eigenen Abschnitt analysiert werden, weshalb ausgerechnet Hippokleides ’ Tanz zum Abbruch des Symposions führt. 4.1.3.1 Die Beeinflussung des Verhaltens durch das Trinken von Wein (Kambyses, Kleomenes, Amasis) Meist beeinflusst das Trinken von Wein in der Darstellung der Historien das Verhalten der agierenden Personen auf eine negative Art und Weise, was an Kambyses und Kleomenes besonders deutlich wird und nun herausgearbeitet werden soll. Dass allzu großer Weingenuss zur Hemmungslosigkeit führen kann, war auch im frühen Griechenland bekannt. 948 So wundert es auch nicht, dass manche skrupellosen Taten mit Betrunkenheit begründet oder Fehlleistungen darauf zurückgeführt werden. Allerdings gibt es mit Amasis einen weiteren König, dessen Trinkverhalten in den Historien eine positive Wirkung zeigt. Einfluss auf das Trinkverhalten hat generell zum einen die Art, wie man trinkt, zum anderen das, was man trinkt. Bei Kambyses, Kleomenes und Amasis ist es ihr jeweiliges außergewöhnliches Trinkverhalten, das sich mit Blick auf den Weinkonsum in der Häufigkeit des Trinkens, in der Menge und in der Intensität unterscheidet und die Leser in ihrer Wahrnehmung der einzelnen Charaktere beeinflusst. 947 Müller (2009), S. 173. 948 Zu den Auswirkungen von übermäßigem Weinkonsum siehe Kap. 2.2.3.4. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 281 <?page no="282"?> Anhand der Analyse von Kambyses ’ , Kleomenes ’ und Amasis ’ dargestellten Trinkverhalten soll nun also herausgearbeitet werden, welche Hinweise zu den Umständen oder Verhaltensweisen, die diese negative bzw. positive Dimension des Trinkens in Herodots Historien entstehen lassen, der Text bereithält. Dazu wird das jeweils dargestellte Verhalten der drei Könige vor dem Hintergrund des ihnen zugeschriebenen ‚ besonderen ‘ Weinkonsums betrachtet. Ich möchte daher jeweils auf einige der in den Historien dargestellten Taten der drei Könige eingehen, um herauszuarbeiten, welche Taten mit dem Vorwurf eines maßlosen oder ‚ ungeordneten ‘ Weinkonsums in Verbindung gebracht werden können bzw. auch, worin der Text eine positive Wirkung des Weinkonsums erkennen lässt. 4.1.3.1.1 Der unberechenbare Kambyses In den Historien wird Kambyses, der zweite persische Großkönig, als wahnsinnig dargestellt. 949 Für die vorliegende Arbeit entscheidend ist dabei besonders eine Ankedote: Als der persische Großkönig Kambyses von seinem engen Vertrauten Prexaspes (III, 34.1) erfährt, dass ihn seine Untertanen zwar sehr schätzen, allerdings seinen zu intensiven Weinkonsum kritisieren ( τῇ δὲ φιλοινίῃ σέ φασι πλεόνως προσκεῖσθαι - III, 34.2), 950 folgert Kambyses daraus, dass er als geistig gestört beurteilt werde und ohne klaren Verstand zu sein ( Νῦν ἄρα μέ φασι Πέρσαι οἴνῳ προσκείμενον παραφρονέειν καὶ οὐκ εἶναι νοήμονα - III, 34.3). Durch diesen Rückschluss des Kambyses wird ersichtlich, dass starker Weinkonsum in der öffentlichen Wahrnehmung negativ konnotiert ist und aus Kambyses ’ Augen mit unbedachtem Handeln in Verbindung steht. Kambyses 949 Meist wird angenommen, dass sich Herodot diesbezüglich auf befangene Quellen stützt (vgl. Young Jr. [1993], S. 151; Asheri et al. [2007], S. 432; Farrokh [2007], S. 49). Siehe dazu auch Balcer (1987, S. 90): „ This image of Cambyses, essentially historically incorrect but persuasive amid the kernels of propaganda, was sustained and expanded upon by Darius. “ Der historische Charakter von Kambyses ist insgesamt umstritten und wird in den Quellen unterschiedlich dargestellt; siehe dazu Schelske (2021), S. 180 mit Verweisen in Anm. 90. Ich möchte mich in dieser Arbeit bewusst auf die Darstellung beschränken, die in den Historien von Kambyses gegeben wird. 950 Prexaspes scheint vom Text gezielt das Wort φιλοινίη in den Mund gelegt zu bekommen, wodurch dessen Vorsicht vor dem Großkönig herausgestellt wird. Denn mit diesem Ausdruck ist noch kein Missbrauch von Alkohol verbunden, sondern es beschreibt lediglich die Zuneigung zu Wein (vgl. dazu φιλοινία in LSJ, S. 1936: „ love of wine “ ; Asheri et al. [2007], S. 432). An anderer Stelle (I, 133.3 - 4) wird sogar erwähnt, dass zumindest in der Darstellung von Herodots Historien in Persien wichtige Beratungen zum Teil im betrunkenen Zustand ausgeführt werden, sodass starker Weinkonsum allein noch kein Grund zum Vorwurf wäre (vgl. dazu Kap. 3.2). 282 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="283"?> wendet sich daher zornig ( ὀργῇ - III, 35.1) wieder an Prexaspes. 951 Durch einen direkten Pfeilschuss in das Herz von Prexaspes ’ Sohn möchte Kambyses nun beweisen, nicht wahnsinnig zu sein, und beweist damit genau das Gegenteil (III, 35.1 - 2). 952 Der Sohn des Prexaspes hatte als Mundschenk ( οἰνοχόος - III, 34.1) des Kambyses eine ehrenvolle ( τιμὴ δὲ καὶ αὕτη οὐ σμικρή - III, 34.1) und vertrauensvolle Position, sodass Kambyses mit dieser Tat eindeutig zeigt, nicht bei klarem Verstand zu sein. 953 Zudem ist es auch der Sohn eines engen Vertrauten, mit dessen Leben er auf diese Weise leichtfertig und unbekümmert umgeht. Kambyses ’ Wahnsinn zeigt sich nun daran, dass er in Gelächter ausbricht ( γελάσαντα - III, 35.3) 954 und hocherfreut ist ( περιχαρέα γενόμενον 951 Durch ὀργή wird generell ein natürlicher Impuls ausgedrückt, der sich auch in Wut oder Zorn äußern kann (siehe ὀργή in LSJ, S. 1246: „ natural impulse or propensity (v. ὀργάω II): hence, temperament, disposition, mood [ … ] II. anger, wrath “ ). Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 424) weist darauf hin, dass der durch ὀργή ausgedrückte Zorn immer wieder in Herodots Historien bei griechischen (Periander und Lykophron - III, 52.3+4) und orientalischen Herrschern (Kyaxares - I, 73.4 / / Kyros - I, 141.4 / I, 156.2 / / Kambyses - in III, 25.1 sowie hier in III, 35.1), aber auch bei anderen sich despotisch verhaltenden Personen (Megakles - I, 61.2 / Vater von Demokedes - III, 131.1) auftritt. Artembares ’ Zorn umschreibt der Text ebenso mit ὀργή (I, 114.5), als dieser wütend zu Astyages geht, um sich über den noch unerkannten Kyros zu beschweren, der im Spiel als König seinen Sohn auspeitschen ließ (I, 114). Auch die Könige der Skythen geraten in diesen Zorn, als sie das Wort ‚ Knechtschaft ‘ hören (IV, 128.1). Darüber hinaus treffen auch die Spartaner im Zorn ( ὀργῇ χρεώμενοι - VI, 85.2) die Entscheidung, Leotychidas den Aigineten auszuliefern. An einer weiteren Stelle wird ὀργή vorgespielt (Meisterdieb - zweimal in Ι I, 121 δ .3), an einer anderen dient es als Charaktereigenschaft, in der sich Agaristes Freier beweisen müssen (VI, 128.1; siehe dazu Kap. 4.1.3.2.1 mit Anm. 1113), und ein letztes Mal tritt es in VII, 105.1 auf. Dort allerdings wird es verneint, denn Xerxes zürnt Demaratos eben nicht, der soeben den Kampfeswillen der Spartaner für Griechenland hervorgehoben hat (VII, 104), obwohl er dessen Meinung ablehnt. Doch an keiner Stelle in Herodots Historien hat der Zorn einer einzelnen Person so große Auswirkungen auf so viele Menschen wie bei Kambyses ’ sofortigen Kriegsbeschluss gegen die Aithiopier (III, 25.1), der aus dieser Emotion heraus entsteht. 952 Vgl. dazu Hobden (2013), S. 94. 953 Das Amt des Mundschenks war in Persien und dem Nahen Osten von großer Bedeutung (vgl. dazu Bowie [2003], S. 105). Zudem war mit diesem Amt auch großes Vertrauen verbunden (vgl. Asheri et al. [2007], S. 432). Keineswegs ist daher zu erwarten, dass Kambyses gleichgültig mit dem Leben seines Mundschenks umgeht. 954 Zum Lachen bei Herodot siehe Anm. 873. Das Lachen des Kambyes, der so oft so sinnlos frevelt, erklärt Lateiner mit dessen Wahnsinn (Lateiner [1977], S. 176, S. 177 f.). Lateiner bemerkt (1977, S. 177), niemand in den Historien lache so häufig und habe zugleich so wenig Grund dazu wie Kambyses. Zwar erklärt Lateiner Kambyses ’ Lachen durch dessen Wahnsinn, betont aber auch, dass nicht jede als wahnsinnig dargestellte Persönlichkeit in den Historien lacht (Lateiner [1977], S. 177 f.). Asheri (in Asheri et al [2007], S. 429) schließt sich Lateiner an und bemerkt mit Blick auf das Lachen bei Herodot allgemein und so auch mit Blick auf dieses Lachen des Kambyses, dass es sich um „ a sign of hybris “ handele, das als „ sardonic laughter “ auf eine bevorstehende Katastrophe verweise. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 283 <?page no="284"?> - III, 35.3) 955 , als er bemerkt, genau das Herz des Jungen getroffen zu haben. 956 Empathie für dessen Vater, seinen Vertrauten Prexaspes, zeigt er nicht (III, 35.4). Dieses Ereignis illustriert genau Kambyses ’ Charakterschwäche, wie sie in der Darstellung seines Lebens in Herodots Historien immer wieder auftritt: 957 Er ist fähig zu handeln, aber seine Art zu handeln führt durch ‚ Wahnsinn ‘ - im Sinne von unüberlegtem und unkontrolliertem Verhalten - dazu, Freveltaten zu begehen. 958 Der Text lässt offen, ob sich Kambyses in dieser Situation, in der er davon erfährt, dass ihm seine Untertanen eine zu starke Philoinie vorwerfen, auch in einem durch übermäßigen Weinkonsum hervorgerufenen Rauschzustand befindet und aufgrund dessen so wahnsinnig agiert. Der Text erwähnt lediglich, dass gerade in diesem Moment, als Prexaspes Kambyses über diese Beurteilung aus dem Volk informiert, Prexaspes ’ Sohn, 955 Flory (1978, S. 150) macht darauf aufmerksam, dass der Text in Herodots Historien Freude so häufig als töricht und unangebracht darstellt, dass der Leser erkennen könne, dass eine Person, die Freude erlebt, zugleich auch für seine Unwissenheit kritisiert werde. Besonders werde diese „ ominous quality of men ’ s joy “ durch den Gebrauch des Adjektivs περιχαρής (und der Verwendung von ὑπερήδομαι ) deutlich (Flory [1978], S. 150). Περιχαρής werde in den Historien fast immer dann verwendet, wenn der Text ein maßloses Vergnügen ausdrückt (ebd.). Harpagos ’ Freude wird z. B. durch περιχαρής beschrieben, als er aufgrund der Einladung zum Mahl bei Astyages noch damit rechnet, keine Strafe erleiden zu müssen, obwohl er Kyros nicht wie befohlen getötet hat. Diese Freude erwähnt der Text, kurz nachdem Harpagos seinen Sohn, ohne es zu wissen, ins Verderben zu Astyages geschickt hat (I, 119.2; siehe dazu Kap. 4.2.3.2.2). Auch Oiobazos ’ Freude drückt der Text durch περιχαρής aus, als dieser noch nicht weiß, dass das Zugeständnis des Dareios, dass seine Söhne nicht mit in den Krieg ziehen müssen, zugleich den Tod seiner Söhne bedeutet (IV, 84.2; siehe dazu Anm. 173). In IX, 109.3 drückt περιχαρής die Freude der Artaÿnte über den Mantel des Xerxes aus, wobei sie nicht ahnt, dass dieses Geschenk nicht nur für ihre Mutter fatale Folgen haben wird (vgl. dazu Kap. 4.2.3.2.3). An weiteren Textstellen bezieht sich περιχαρής ebenfalls auf Personen in den Historien, deren Freude nicht von allzu langer Dauer ist, da wie im Fall von Aristagoras (V, 32.1), Xerxes (VII, 37.3 / VII, 215), Mardonios (IX, 49.1) oder den Babyloniern, die noch hocherfreut über den vermeintlichen Erfolg des angeblichen Perserfeindes Zopyros sind (III, 157.3), eine unerwartete Niederlage vor ihnen liegt. Einzig in I, 31.4, als die Freude der Mutter von Kleobis und Biton über die ruhmvolle Tat ihrer Söhne bezeichnet wird, verwendet der Text περιχαρής , um eine dauerhafte Freude auszudrücken; zu den Textstellen mit περιχαρής vgl. Flory (1978), S. 150 mit Anm. 8. 956 Bowie (2003, S. 105) hat erkannt, dass der Text hier das Motiv des Todes eines Sohnes im Kontext eines Banketts erneut aufgreift, wie es oft bei der Darstellung östlicher Bankette in den Historien der Fall ist (vgl. dazu Bowie [2003], S. 102 f. bzw. Anm. 931 in der vorliegenden Arbeit). 957 Auf einige diesbezügliche Erzählungen in den Historien werde ich im Laufe dieses Kapitels eingehen. 958 Vgl. dazu, dass Kambyses in der Darstellung der Historien besonders durch seine Affektivität und Unbeherrschtheit negativ charakterisiert wird, Schelskes Ausführungen (2021), S. 180 - 191. 284 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="285"?> der Mundschenk, anwesend ist. Ob dieser auch Wein serviert, bleibt offen. Auf jeden Fall zeigt sich in dieser wie in vielen weiteren Erzählungen über Kambyses, dass dem Großkönig, wie Harmut Erbse schreibt, fast immer „ die rechte Einsicht, stets die Selbstbeherrschung “ fehlt. 959 Schließlich schreckt Kambyses gemäß den Historien offensichtlich nicht davor zurück, gegen sein eigenes Volk, seine eigenen Vertrauten und sogar seine Familie zu freveln. 960 Inwiefern nun der Vorwurf des allzu starken Weinkonsums von Kambyses mit seinen Wahnsinnstaten in der Darstellung der Historien im Zusammenhang steht, soll das Ziel dieser Analyse sein. Dafür möchte ich nun zunächst, einige Textpassagen anführen, die in den Historien dazu führen, dass Kambyses als unbesonnen und eben zum Teil auch als wahnsinnig dargestellt wird. 961 Es können zwei große charakterliche Defizite aus Kambyses ’ Taten geschlossen werden: Rage und fehlende Einsicht. Besonders deutlich wird dies in dem Moment, als Kroisos Kambyses vor seinen Freveltaten zu warnen versucht (III, 36.1 - 2). 962 Dabei rät Kroisos ihm eindringlich, sich nicht durch sein jugend- 959 Erbse (1992), S. 50. 960 Zu den in den Historien dargestellten Freveltaten des Kambyses siehe auch Erbse (1992), S. 50 f. 961 Zu Mania und einem möglichen Zusammenhang mit Weingenuss in der Darstellung der Historien vgl. auch die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.4. 962 Auslöser für die Warnung des Kroisos war das gleichmütige Verhalten des Kambyses bei einem zumindest in den Historien als Vergehen dargestellten Vorgehens gegen einige Perser. Denn der Text berichtet davon, dass Kambyses zwölf angesehene Perser, die sich nichts Erwähnenswertes zuschulden kommen haben lassen, lebendig begraben lässt (III, 35.5). Ob es sich dabei tatsächlich um ein Vergehen handelt, ist unklar, denn genauso ist es auch möglich, dass es sich dabei um eine bei den Persern gewöhnliche rituelle Opferung dieser Männer handelt. An späterer Stelle wird in den Historien als gebräuchliche persische Sitte beschrieben, dass Menschen als Opfer lebendig begraben werden (VII, 114.2). Auch Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 433) verweist darauf, dass es sich hier um ein Opfer für chthonische Gottheiten handeln könnte. Dafür spreche die Anzahl von zwölf Männern, wobei es sich um ein „ symbolic or mystical value “ handele (ebd.). Die Formulierung ἐπὶ κεφαλὴν κατώρυξε (III, 35.5) gibt ebenso keinen eindeutigen Hinweis darauf, ob es sich hier um eine rituelle Opferung oder eine Art von Bestrafung handelt. Die häufig gewählte Übersetzung von ἐπὶ κεφαλήν ‚ mit dem Kopf nach unten ‘ (z. B. von Feix [1963] oder Ley-Hutton [2007b]) kann auf beides hinweisen. Dagegen deute laut How/ Wells (1912a, S. 265) die Übersetzung von ἐπὶ κεφαλήν (III, 35.5) als ‚ to the neck ‘ (z. B. Rawlinson [1858]) auf eine gewöhnliche Form der Bestrafung in der östlichen Welt hin. Da unklar bleibt, ob es sich bei dieser Tat um eine ungerechtfertigte Bestrafung oder um die Durchführung einer Opferung handelt, ist es nicht sicher, ob dieser Vorwurf in den Historien gerechtfertigt ist oder ob es sich einfach um ein Missverständnis ausgehend von unbekannten Sitten handelt. Doch in den Historien selbst wird durch die Betonung, die zwölf Perser seien ‚ grundlos ‘ ( ἐπ᾽ οὐδεμιῇ αἰτίῃ - III, 35.5) lebendig begraben worden, klar, dass der Text darin ein Vorgehen gegen Unschuldige und damit ein Verbrechen impliziert, das zu Lasten des Charakterbilds von Kambyses geht. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 285 <?page no="286"?> liches Alter und seinen inneren Drang überwältigen zu lassen, sondern sich zu beherrschen und zurückzuhalten ( μὴ πάντα ἡλικίῃ καὶ θυμῷ ἐπίτρεπε , ἀλλ᾽ ἴσχε καὶ καταλάμβανε σεωυτόν - III, 36.1). In Kroisos ’ Erklärung ist es also nicht der übermäßige Weinkonsum, der Kambyses ’ rasendes Verhalten begründet, sondern dessen jugendliches Alter und sein θυμός 963 . Auf diese und weitere Erklärungen, die der Text für Kambyses ’ Wahnsinn liefert, werde ich an einer späteren Stelle in diesem Kapitel gesammelt eingehen. Nach Kambyses ’ Mahnung rät Kroisos ihm - denn er töte ohne richtigen Grund seine Bürger und sogar Kinder ( σὺ δὲ κτείνεις μὲν ἄνδρας σεωυτοῦ πολιήτας ἐπ᾽ οὐδεμιῇ αἰτίῃ ἀξιοχρέῳ ἑλών , κτείνεις δὲ παῖδας - III, 36.1) - außerdem zu Vorausblick und Vorsicht ( ἀγαθόν τοι πρόνοον εἶναι , σοφὸν δὲ ἡ προμηθίη - III, 36.1). Genau dies sind die zwei Eigenschaften, die Kambyses in seinem Leben immer wieder fehlen. Kambyses verliert daraufhin die Selbstkontrolle, wirft Kroisos vor, ihm Ratschläge zu erteilen (III, 36.3) und versucht sogar, ihn zu töten (III, 36.4). 964 Als Kroisos entkommen kann, befiehlt Kambyses seinen Dienern, Kroisos umzubringen (III, 36.4). Die Diener aber wissen um Kambyses ’ Wankelmut und befürchten, er würde bald wieder nach Kroisos verlangen, und so beschließen sie, Kroisos nicht zu töten (III, 36.5). Kurze Zeit später möchte Kambyses Kroisos tatsächlich sehen, freut sich, dass Kroisos noch lebt, und lässt jedoch die Diener dennoch wegen ihres Ungehorsams hinrichten (III, 36.6). Schließlich stellt der Text fest, dass dieses Vorgehen eine Tat des Wahnsinns ist, indem er aussagt, dass Kambyses mit vielen weiteren solchen Taten gegen die Perser und gegen Verbündete im Wahn wütet ( ὁ μὲν δὴ τοιαῦτα πολλὰ ἐς Πέρσας τε καὶ τοὺς συμμάχους ἐξεμαίνετο - III, 37.1). 965 963 Θυμός bezeichnet hier also den Ort, von dem die Aggression ausgeht; vgl. θυμός in LSJ, S. 810: „ soul, spirit, as the principle of life, feeling and thought, esp. of strong feeling and passion [ … ] II. soul, as shown by the feelings and passions; [ … ] 4. the seat of anger “ . Damit zeigt sich, dass Kroisos Kambyses durch seine Warnung darauf hinweist, dass er seinen θυμός (noch) nicht unter Kontrolle hat. 964 Vgl. dazu Schelske (2021), S. 189: Dadurch, dass Kambyses in der Darstellung der Historien seinen einzigen wirklichen Berater Kroisos - er wagt es als „ der Proto-Berater der herodoteischen Historien “ (ebd.), gegenüber dem jähzornigen Kambyses einen Rat zu äußern - töten möchte, „ gelingt es [Herodot] auf diese Weise, noch einmal deutlich zu machen, wie weit sich Kambyses [ … ] von jedem Zustand der Wohlberatenheit, der Beherrschtheit und der Übersicht [ … ] entfernt hat [ … ] “ (ebd.). 965 Wie die Wahnsinnstaten gegen die Perser und ihre eigenen Verbündeten ( τάδε δ᾽ ἐς τοὺς ἄλλους Πέρσας ἐξεμάνη - III, 34.1 / ὁ μὲν δὴ τοιαῦτα πολλὰ ἐς Πέρσας τε καὶ τοὺς συμμάχους ἐξεμαίνετο - III, 37.1) drückt der Text Kambyses ’ Handeln gegen seine Angehörigen ebenfalls durch ἐκμαίνεσθαι aus ( ταῦτα μὲν ἐς τοὺς οἰκηιοτάτους ὁ Καμβύσης ἐξεμάνη - III, 33.1). Der Text unterscheidet in seiner Darstellung also nicht zwischen den Wahnsinnstaten im privaten und denen im öffentlichen Bereich. Zur Bedeutung von Mania und einer möglichen Verbindung dieser Art von Wahnsinn mit 286 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="287"?> Doch auch wenn Kroisos hier noch Kambyses ’ jugendliches Alter und seinen θυμός 966 als Auslöser identifiziert, verändert sich Kambyses ’ Verhalten während seines ganzen Lebens kaum. Dies zeigt sich eindrücklich darin, dass Kambyses in den Historien ausgerechnet erst kurz vor seinem Tod zur Einsicht seines ersten Frevels kommt. Als erste Untat des Kambyses wird in den Historien nämlich die Ermordung seines Bruders Smerdis bezeichnet ( καὶ πρῶτα μὲν τῶν κακῶν ἐξεργάσατο τὸν ἀδελφεὸν Σμέρδιν ἐόντα πατρὸς καὶ μητρὸς τῆς αὐτῆς - III, 30.1). Auch wenn es nicht die einzige Untat gegen seine eigenen Familienangehörigen bleibt, 967 so hat sie doch aufgrund der Schwere der Tat und als erster Frevel ein besonderes Gewicht. Kambyses war zuvor wegen eines Traumbilds in Furcht geraten, Smerdis könnte seine Herrschaft ergreifen (III, 30.2 - 3). 968 Da er erst jetzt kurz vor seinem Tod erkennt, dass er damals den falschen Smerdis töten ließ, kommt er zu spät zur Einsicht, falsch gehandelt zu haben. 969 Die Wahrheit ‚ schlägt ‘ förmlich in ihn ein ( ἔτυψε ἡ ἀληθείη - dem Weingenuss in der Darstellung der Historien siehe die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.4. 966 Zur Bedeutung von θυμός siehe Anm. 963. 967 So bricht er in der Darstellung der Historien unter anderem einen bei den Persern gültigen Brauch und heiratet seine eigene Schwester (III, 31): Da er mit seinem Wunsch, seine Schwester zu heiraten, etwas ‚ nicht Gewohntes ‘ zu unternehmen plant ( ἔπειτα βουλόμενος αὐτὴν γῆμαι , ὅτι οὐκ ἐωθότα ἐπενόεε ποιήσειν - III, 31.2), lässt er zuvor die Richter kommen. Die Richter erlassen nun aus Furcht um ihr Leben ein neues Gesetz, das ihm die Geschwisterehe ermöglicht (III, 31.2 - 5). Doch nicht einmal damit begnügt er sich, sondern nimmt zudem noch eine zweite Schwester zur Frau, die er später dann tötet (III, 31.6). Über deren Tod gibt es zwei Versionen (III, 32.1). Entweder habe er diese - seine Ehefrau und Schwester - aufgrund eines Ausspruchs bezüglich Smerdis ’ Tod, der Kambyses wütend machte, töten lassen (III, 32.2 - 3) oder er habe sie selbst aufgrund eines anderen Ausspruchs zornentbrannt ( θυμωθέντα - III, 32.4) getreten, als sie schwanger war, sodass sie eine Fehlgeburt erleidet und dabei zu Tode kommt (III, 32.3 - 4); siehe zu diesem Vorfall die Ausführungen in Kap. 4.1.1.1. 968 Zuvor hat Kambyses Smerdis bereits aus Neid ( φθόνῳ ) aus Ägypten nach Persien zurückgeschickt (III, 30.1). Denn Smerdis war es als einzigem Perser gelungen, den Bogen ein wenig zu spannen (III, 30.1), den zuvor der Aithiopierkönig den Ichthyophagen für Kambyses mitgegeben und dabei gesagt hatte: Erst wenn die Perser Bogen solcher Größe leicht spannen könnten, sollten sie es wagen, gegen die Aithiopier in den Krieg zu ziehen (III, 21.2 - 3). Durch diese Fähigkeit erscheint Smerdis als besonders kräftig. Kambyses ’ Furcht vor der Entmachtung durch seinen Bruder steigt und spiegelt sich in diesem Traum wider. McPhee (2018, S. 81 f.) sieht hinter der göttlichen Macht, die diesen Traum an Kambyses schickt, die gleiche Gottheit, die die tödliche Wunde des Apis rächt. 969 Auch an anderer Stelle kommt Kambyses ’ Einsicht zu spät: Kambyses lässt nach der Einnahme von Memphis Psammenitos ’ Tochter im Sklavengewand und den zum Tode verurteilten Sohn im Zaumzeug an deren Vater vorbeigehen, wobei Psammenitos als einzige Reaktion seinen Kopf zu Boden neigt (III, 14.2 - 6). Da er aber beim zufälligen Anblick seines ehemaligen Hetairos zu weinen beginnt (III, 14.7), wundert sich Kambyses und möchte wissen, weshalb er sich so verhalten habe (III, 14.8 - 9). Nach Psammenitos ’ 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 287 <?page no="288"?> III, 64.1) und nun beweint er das Unglück (III, 64.2). Durch einen Unfall verletzt sich Kambyses direkt danach schwer (III, 64.3) und gelangt in dieser Situation zu einer weiteren entscheidenden Erkenntnis. Erst jetzt kann er die Prophezeiung des Orakels von Buto richtig deuten, die er einst bekam. 970 Dieses prophezeite, er werde in Agbatana sterben. Kambyses erkennt nun, dass es sowohl ein syrisches als auch ein medisches Agbatana gibt und er in diesem syrischen Agbatana, in dem er sich gerade befindet, sterben werde, nicht in dem medischen (III, 64.4 - 5). 971 Der Text stellt heraus, dass er einerseits infolge des Schreckens über die Usurpation des Magers, andererseits über seine Verletzung wieder zur Besinnung kommt und damit zu dieser Erkenntnis fähig ist (III, 64.5). 972 Diese mentalen Schläge aufgrund der Erkenntnis seiner Fehldeutungen ( ἔτυψε ἡ ἀληθείη - III, 64.1 / ἐκπεπληγμένος - III, 64.5) scheinen nun - erst kurz vor seinem Tod - Kambyses ’ Wahnsinn zu heilen. 973 Er erkennt, dass er in erster Linie schnell und damit weniger klug gehandelt hat ( ἐποίησα ταχύτερα ἢ σοφώτερα - III, 65.3). Dass er kurz vor seinem Tod wieder bei Verstand ist, zeigt sich daran, dass er seine Vertrauten zu sich kommen lässt und sie über den Tod des wahren Smerdis und den Betrug des falschen Smerdis aufklärt, um die Zukunft der persischen Herrschaft zu sichern (III, 65). Als letzte Tat in seinem Leben weint Kambyses über sein Schicksal ( ἀπέκλαιε πᾶσαν τὴν ἑωυτοῦ πρῆξιν - III, 65.7). Danach stirbt er kinderlos (III, 66.2). Kambyses ’ Bericht an seine Vertrauten kurz vor seinem Tod hat allerdings keinen erlösenden Effekt auf die weitere Handlung, denn nun herrscht Misstrauen darüber, ob Kambyses die Wahrheit über den falschen Smerdis gesagt habe oder lediglich einen Krieg gegen Smerdis anzetteln wollte (III, 66.3). Sein Wahnverhalten hat während seines Lebens also bereits das Vertrauen in ihn nachhaltig und über Erklärung, sein Hetairos sei an der Schwelle des Alters vom Glück ins Bettlerdasein gestürzt und verdiene daher seine Tränen, wohingegen sein eigenes Unglück zu groß sei, um es mit Tränen beklagen zu können (III, 14.10), beginnen Kroisos und mit ihm die anwesenden Perser zu weinen. Sogar Kambyses befällt Mitleid ( αὐτῷ τε Καμβύσῃ ἐσελθεῖν οἶκτόν τινα - III, 14.11) und er befiehlt, Psammenitos ’ Sohn nicht hinzurichten (III, 14.11). Allerdings kommt die Einsicht zu spät, denn die Hinrichtung ist bereits vollzogen (III, 15.1). 970 Zu Kambyses ’ plötzlicher Erleuchtung siehe auch Erbse (1992), S. 52; McPhee (2018), S. 85 f. 971 Ein zweites Agbatana in Syrien ist nicht bekannt (vgl. How/ Wells [1912a], S. 274; Balcer [1987], S. 93 f.; Asheri in Asheri et al. [2007], S. 462: „ [ … ] the existence of an Ecbatana in Syria is generally denied. “ ). 972 Vgl. McPhee (2018), S. 85 f. 973 Vgl. McPhee (2018), S. 85 f. Die letzte göttliche Strafe für Kambyses scheint es zu sein, dass er seine Fehler noch vor seinem Tod bei klarem Verstand realisiert und bereut (vgl. ebd., S. 86). 288 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="289"?> seinen Tod hinaus beschädigt. Letztlich ist dies der Grund, dass der falsche Smerdis so lange Zeit zu Unrecht herrschen kann (III, 61 - 79). Kambyses zeigt während seines Lebens auch dadurch, dass er sich nicht scheut, gegen die göttlich geschützten Konventionen der Gastfreundschaft zu verstoßen, 974 dass Misstrauen gegenüber ihm gerechtfertigt ist. Denn er täuscht Interesse an einer Gastfreundschaft mit dem Aithiopierkönig vor, um die Aithiopier für einen geplanten Feldzug ausspionieren zu können (III, 17.2 / III, 21.1 - 2). 975 Nach Rückkehr und Bericht der Kundschafter von den Aithiopiern gerät Kambyses in Zorn und beschließt vorschnell ohne weiterer Überlegung oder Vorausplanung und gegen die Warnung des Königs der Aithiopier (III, 21.3) einen Feldzug gegen diese ( ὁ Καμβύσης ὀργὴν 976 ποιησάμενος ἐστρατεύετο ἐπὶ τοὺς Αἰθίοπας - III, 25.1). Der Text betont, dass Kambyses im Wahn und seiner Sinne nicht mächtig diesen Zug unternimmt ( οἷα δὲ ἐμμανής τε ἐὼν καὶ οὐ φρενήρης - III, 25.2). So konnte es auch gar nicht anders kommen, als dass dieser Feldzug in einer katastrophalen Hungersnot für das Heer endet. 977 Auch sein zweiter, zur gleichen Zeit ausgeschickter Feldzug 974 Zu den Konventionen der Gastfreundschaft siehe Kap. 2.1.2. 975 Es ist für die Rezipienten der Historien bereits offensichtlich, dass Kambyses plant, einen Feldzug gegen die Aithiopier zu unternehmen (III, 17.1). Damit der Aithiopierkönig keinen Verdacht schöpft, lässt Kambyses dem König der Aithiopier durch die Kundschafter angeblich Geschenke bringen ( δῶρα δὲ τῷ λόγῳ φέροντας τῷ βασιλέϊ αὐτῶν - III, 17.2). Später lässt er dann auch ausrichten, dass er Freund und Gastfreund werden möchte (III, 21.1). Der Aithiopierkönig allerdings durchschaut den Plan (III, 21.2), sodass Kambyses mit dieser frevelhaften Hinterlist keinen Erfolg hat. Insgesamt stellt der Aithiopierkönig in seiner Voraussicht und überlegten Aussagen während der Unterhaltung mit den persischen Kundschaftern (III, 21.1 - III, 23.1) ein Gegenbild zu Kambyses dar (vgl. dazu Georges [1994], S. 189; Wendt [2013], S. 350). 976 Zur Bedeutung von ὀργή siehe Anm. 951. 977 Für diesen Feldzug siehe vor allem Kap. 2.2.5.7, wo der Bericht über diesen fatalen Feldzug des Kambyses als längeres Textbeispiel für die Analyse der vom Text in Herodots Historien verwendeten unterschiedlichen Ausdrücke für ‚ essen ‘ angeführt wird. Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 424) verweist als Kontrast zu diesem gescheiterten Feldzug auf die erfolgreichen Feldzüge des idealen Pharaos Sesostris, der im Gegensatz zu Kambyses auch Aithiopien erobert (II, 110.1) und im Gegensatz zu Dareios sogar die Skythen besiegen kann (II, 103.1 / II, 110.2). Dass Kambyses ’ Aithiopienfeldzug in den Historien auch nach Kambyses ’ Tod als Beispiel für einen fatalen Feldzug im Bewusstsein bleiben soll, zeigt sich in einer Rede von Artabanos, als er nach seinem Traum die Meinung ändert und Xerxes doch zum Feldzug gegen Griechenland rät (VII, 18.2). Dabei begründet er seine vorherige Ablehnung des Feldzugs damit, dass er schon öfter große Mächte gegen schwächere unterliegen sah und zählt neben Kyros ’ Zug gegen die Massageten und Dareios ’ Zug gegen die Skythen auch Kambyses ’ Zug gegen die Aithiopier auf (VII, 18.2). Dass eine ungenügende Vorbereitung eines Feldzugs aber nicht typisch persisch ist, wird an der langen Planung von Xerxes ’ Feldzug gegen die Griechen ersichtlich (VII, 1 - 25). Hier erwähnt der Text sogar explizit, dass Xerxes Nahrungsmittellieferungen in Auftrag 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 289 <?page no="290"?> gegen die Ammonier und Zeus Ammon (III, 25.3) scheitert (III, 26). Dass er hier sogar einen Feldzug mit dem Auftrag, die Ammonier zu versklaven und das Orakel des Zeus Ammon zu verbrennen (III, 25.3), anordnet, ist ein weiterer Frevel, den Kambyses gegen die Götter Ägyptens begeht. Kambyses erhält darüber hinaus den Anschein eines unzulänglichen Strategen, dessen ungenügende Planung in Katastrophen zu führen scheint. Der dritte zu dieser Zeit geplante Feldzug gegen die Karchedonier misslingt ebenfalls, da die Phoiniker ihre Beteiligung daran verweigern und die anderen Soldaten ohne der phoinikischen Hilfe zu schwach sind, um in den Krieg zu ziehen (III, 19.2). 978 Doch im Gegensatz zum Feldzug gegen die Aithiopier hält sich Kambyses hier von einem wutentbrannten unvorsichtigen Vorgehen gegen die Phoiniker zurück, da sie sich, wie der Text darlegt, erstens freiwillig den Persern unterworfen haben und zweitens äußerst wichtig für die persische Seemacht sind (III, 19.3). Kambyses verzichtet daher nun aus taktischen Gründen auf einen aussichtslosen Feldzug gegen die Karchedonier. Daraus wird ersichtlich, dass Kambyses während seines Lebens durchaus lichte Momente hat, in denen er nicht unüberlegt handelt. 979 So gelingt Kambyses schließlich auch ein erfolgreicher Feldzug gegen Ägypten. Dabei ist er sich der Gefahren der Wüste bewusst (III, 4.3) und hört auf den von den Ägyptern abtrünnigen Söldner Phanes, der ihm rät, in Arabien um Durchzug zu bitten (III, 7.2). 980 Zwar werden Kambyses ’ selten dargestellte Bedachtheit und vorsichtige Zurückhaltung insgesamt durch seine vielen unbesonnenen Handlungen überschattet, aber es zeigt sich, dass gibt, damit weder das Heer noch die Zugtiere hungern müssen ( καὶ σιτία τῇ στρατιῇ καταβάλλειν , ἵνα μὴ λιμήνειε ἡ στρατιὴ μηδὲ τὰ ὑποζύγια ἐλαυνόμενα ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα - VII, 25.1). 978 Zu diesen drei misslingenden Feldzügen siehe auch Schelske (2021), S. 185 - 188. 979 Auch Asheri sieht in der Darstellung des Verzichts auf den Feldzug gegen die Karchedonier einen positiven Charakterzug des Kambyses hervortreten (Asheri et al. [2007] S. 419). An späterer Stelle in den Historien - in V, 25 - schildert der Text zum letzten Mal eine Aktion des Kambyses, die ebenfalls eine gewisse Voraussicht erkennen lässt. So lässt Kambyses dem Richter Sisamnes, der sich durch Bestechung zu einem falschen Urteil verleiten ließ, töten, seine Haut abziehen und den Richterstuhl damit überspannen (V, 25.1). Dessen Sohn Otanes befiehlt er daraufhin als Richter auf diesem Richterstuhl Recht zu sprechen und immer daran zu denken, auf welchen Stuhl er sitzt (V, 25.2). Dies ist eine Anekdote, in der Kambyses Ungerechtigkeit bestraft und an seiner Strafwahl eine gewisse Voraussicht erkennen lässt. Empathie zeigt er dagegen nicht, sodass es ausgerechnet Otanes ’ Sohn sein muss, der von nun an auf dem besagten Richterstuhl Recht sprechen muss. 980 Kambyses ’ Feldzüge gegen die Aithiopier und gegen die Ammonier scheitern beide in der Wüste (III, 25.6 - 7 bzw. III, 26.3). Doch hier wird nun ersichtlich, dass nicht die Wüste der Grund für das Scheitern war, sondern Kambyses ’ Beschluss ohne Nachdenken, Planung und Beratung. Denn als er auf den Rat von Phanes hört (III, 4.3), gelingt es ihm, die Wüste zu durchqueren. 290 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="291"?> sein impulsives und zügelloses Verhalten, das ihm ansonsten oft im Wege steht, nicht dauerhaft ist, sondern jeweils einen Auslöser benötigt. 981 Sein Wahnsinn verhindert auch, dass Kambyses in den Historien offen für fremde Kulturen und ihre Bräuche sein kann. 982 Ich möchte nun noch kurz auf weitere entscheidende Freveltaten des Kambyses eingehen, an denen ersichtlich wird, dass Kambyses auch gegenüber fremden Kulturen durch seinen Mangel an Vorausblick zu Untaten verleitet wird. So werden ihm zahlreiche Freveltaten in Ägypten zugerechnet. 983 Eines seiner größten religiösen Vergehen besteht im tödlichen Verletzen und Verspotten des Apisstiers, eines für die Ägypter als Gott verehrten Tieres. 984 Dieser Apisstier verendet kurze Zeit später an dieser Verwundung (III, 29). Besonders frevelhaft wirkt diese Tat in der Darstellung der Historien deshalb, weil Kambyses - wieder einmal - in Lachen ausbricht ( γελάσας - III, 29.1), als er den Apisstier verletzt, was ebenfalls in dieser Situation ein Zeichen von Wahnsinn ist. 985 Dazu kommt außerdem, dass er die Aufseher von Memphis hinrichten (III, 27.3), die Apispriester auspeitschen und alle feiernden Ägypter töten lässt (III, 29.2). 986 Der 981 Worin diese Auslöser bestehen könnten, untersuche ich im Rahmen der Analyse der unterschiedlichen Erklärungen, die der Text für Kambyses ’ Wahnsinn gibt; siehe dazu S. 292 - 295. 982 McPhee (2018, S. 93) bezeichnet Kambyses ’ Wahnsinn als „ hyperrational “ . Denn Kambyses verspottet die fremden und scheinbar irrationalen Bräuche: „ Because there is no objective standard for assessing the validity of nomoi, one needs an open mind to avoid the error of rejecting the seemingly irrational facts of the world. “ (McPhee [2018], S. 93). Diese Offenheit zeigt Kambyses nicht. 983 Kambyses scheut sich z. B. nicht davor, Amasis ’ Leichnam zu misshandeln und zu verbrennen, obwohl das Verbrennen von Leichen sowohl gegen die Sitten der Ägypter als auch die der Perser verstößt (III, 16.1 - 4); vgl. dazu auch Schelske (2021), S. 184 f. Für die Perser besteht der Frevel dabei darin, dass für sie das Feuer, mit dem Kambyses die Mumie des Amasis verbrennt, als göttlich gilt ( ἐκέλευσέ μιν ὁ Καμβύσης κατακαῦσαι , ἐντελλόμενος οὐκ ὅσια . Πέρσαι γὰρ θεὸν νομίζουσι εἶναι τὸ πῦρ - III, 16.2). Für die Ägypter ist diese Tat ein Sakrileg, da er das ewige Fortbestehen ihres heiligen Pharaos auf diese Weise zerstört; dies scheint Kambyses bewusst zu beabsichtigen, um die Erinnerung an Amasis komplett auszulöschen (vgl. Balcer [1987], S. 80). Außerdem gilt das Feuer bei den Ägyptern gemäß der Darstellung der Historien als Tier und ihre Toten von Tieren verschlingen zu lassen, ist bei ihnen nicht Sitte (III, 16.3 - 4). Für weitere Freveltaten des Kambyses in Ägypten siehe Anm. 987. 984 Dieser „ greatest possible sacrilege “ für die Ägypter wird ebenso Artaxerxes III. zugeschrieben (Asheri in Asheri et al. [2007], S. 427). 985 Vgl. McPhee (2018), S. 76. Zu Kambyses ’ Lachen siehe Anm. 954. 986 Zum Vergehen gegen den Apiskult siehe auch Kap. 4.2.2.2.4. Die Historizität von diesem hier beschriebenen Vorgehen des Kambyses gegen den Apisstier ist umstritten (vgl. dazu How/ Wells [1912a], S. 264; Balcer [1987], S. 90 - 93). Zu einem von der Tradition bedingten Zusammenhang zwischen den Erzählungen von Kambyses ’ und Artaxerxes ’ Vergehen gegen den Apisstier siehe Henkelman (2011), S. 130 - 132. Henkelman erläutert 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 291 <?page no="292"?> Text betont durch eine als Herodots persönliche Meinung markierte Aussage nach der Schilderung weiterer Freveltaten in Ägypten, 987 dass er sich selbst im Klaren darüber sei, dass Kambyses wahnsinnig gewesen sein müsse ( πανταχῇ ὦν μοι δῆλά ἐστι ὅτι ἐμάνη μεγάλως ὁ Καμβύσης - III, 38.1), schließlich verspotte und frevle er gegen Heiligtümer und Bräuche ( οὐ γὰρ ἂν ἱροῖσί τε καὶ νομαίοισι ἐπεχείρησε καταγελᾶν - III, 38.1), - auch wenn es sich dabei um die einer fremden Kultur handelt. Jedes Volk sei schließlich der Meinung, dass die eigenen Bräuche die besten seien (III, 38.1). Generell könne also nur ein Wahnsinniger solche Dinge verlachen ( οὐκ ὦν οἰκός ἐστι ἄλλον γε ἢ μαινόμενον ἄνδρα γέλωτα τὰ τοιαῦτα τίθεσθαι - III, 38.2). Der Text liefert als erste Erklärungsmöglichkeit für Kambyses ’ Wahnsinn die Verletzung des Apisstiers. Denn laut der Ägypter sei Kambyses seit diesem Vorfall dem Wahnsinn verfallen, sodass nicht nur eine physische, sondern auch eine psychische Verletzung in Form von Wahnsinn Bestandteil der göttlichen Bestrafung ist (III, 30.1). 988 So stirbt Kambyses später sogar an einer Wunde, die dort, dass sich diese Erzählung von der Verletzung und Tötung des Apisstiers sehr für eine „ anti-Persian propaganda “ eigne, denn durch die Erzählung, der persische Großkönig habe Apis, der sehr stark mit Osiris in Verbindung steht, getötet, wird der König auf die Seite des Seth, dem „ evil god par excellence “ , gestellt (Henkelman [2011], S. 131). Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 428) verweist auf eine feindliche Propaganda gegen Kambyses, der diese Episode nach heutiger verbreiteter Meinung wohl entsprungen ist. Für weitere Literaturhinweise, die sich besonders auf Rückschlüsse aus der Archäologie beziehen, siehe Depuydt (1995). Depuydt selbst fasst die Kenntnisse aus den archäologischen Befunden im Serapeum, dem Grab des Apisstiers, zusammen, durch die auf die Historizität dieser Erzählung in Herodots Historien Bezug genommen wird. Er selbst widerlegt nicht die Befunde, erläutert aber, weshalb er keine nachweislichen Unstimmigkeiten zwischen den archäologischen Zeugnissen und dem Bericht in Herodots Historien sieht. Er schließt seinen Aufsatz mit folgenden Worten: „ In light of the evidence, I would personally rather believe that Cambyses is to be presumed guilty until proven innocent “ (Depuydt [1995], S. 126). Balcer (1987, S. 87 - 89) dagegen hebt hervor, dass die epigraphischen und monumentalen Zeugnisse das Gegenteil besagen: Kambyses habe die Religion Ägyptens geachtet und sich fromm verhalten - auch gegenüber dem Apiskult. Es ist also insgesamt unsicher, inwieweit der historische Kambyses nun tatsächlich als Frevler gegen die ägyptischen Bräuche gelten kann. 987 Diese weiteren Freveltaten des Kambyses beschreibt der Text in III, 37: Kambyses öffnet in Memphis Grabkammern (III, 37.1), lacht über das Götterbild im Hephaistostempel ( κατεγέλασε - III, 37.2; vgl. dazu Anm. 954) und betritt das Heiligtum der Kabiren, zu dem normalerweise nur ein Priester Zutritt hat (III, 37.3). Dort verspottet er die Götterbilder und lässt sie dann verbrennen ( ταῦτα δὲ τὰ ἀγάλματα καὶ ἐνέπρησε πολλὰ κατασκώψας - III, 37.3). So verwundert auch nicht, dass Kambyses später als fern von Sinnen bezeichnet wird, als beschrieben wird, dass er sich auch noch zu Beginn des Mageraufstands in Ägypten aufhält ( Καμβύσῃ δὲ τῷ Κύρου χρονίζοντι περὶ Αἴγυπτον καὶ παραφρονήσαντι ἐπανιστέαται ἄνδρες μάγοι δύο ἀδελφεοί - III, 61.1). 988 Vgl. McPhee (2018), S. 76. Erbse (1992, S. 54 f.) verweist auf die „ teleologischen Überzeugungen des Autors “ (ebd., S. 54) und betont, dass mit „ der tödlichen Verwundung des 292 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="293"?> sich an der gleichen Stelle befindet, an der er auch den Apisstier tödlich verletzt hatte (III, 64.3). Der Text lädt hier zu dem Schluss ein, dass es sich also um eine göttliche Bestrafung handelt. 989 Da der Text aber auch aussagt, dass die Verletzung des Apisstiers ebenfalls im Wahn geschieht ( ἐὼν ὑπομαργότερος - III, 29.1), und er auch explizit darauf hinweist, dass Kambyses bereits vor der Verwundung des Apisstiers nicht bei Verstand war ( ἐὼν οὐδὲ πρότερον φρενήρης - III, 30.1), muss noch etwas anderes zumindest zusätzlich die Ursache für Kambyses ’ wahnsinniges Verhalten sein. 990 Dafür komme ich auf den in III, 34.2 geschilderten Vorwurf von Kambyses ’ Untertanen, Kambyses sei dem Wein zu sehr zugetan, zurück. Diese allzu starke Philoinie erwähnt der Text erst recht spät in seiner Darstellung von Kambyses. Der übermäßige Weinkonsum liefert daher erst rückblickend eine Erklärung für dessen wahnsinniges Verhalten - auch für dessen Untaten vor der Verwundung des Apisstiers (III, 29.1). 991 Zudem generiert der Text auf diese Weise eine manipulierte Sicht der Rezipienten auf alle Aktionen des Kambyses, die ab Apisstiers, eines göttlichen Symbols (nach ägyptischer Auffassung: eines Gottes) [ … ] die Hybris des Kambyses das Maß des Erträglichen überschritten [hat]. Die Götter greifen ein “ (ebd., S. 54 f.). McPhee (2018, S. 78 f.) macht darauf aufmerksam, dass die tödliche Verwundung des Apisstiers in der Darstellung der Historien zum entscheidenden „ turning point for at least a distinctive phase in his madness - very likely a serious deterioration of his condition “ (ebd., S. 79) wird. 989 Vgl. dazu McPhee (2018), S. 74 f. mit weiteren Literaturverweisen. Dass auch in der Darstellung der Historien angenommen wird, dass Götter große Frevel stark bestrafen, wird in II, 120.5 offensichtlich. So legt der Text an dieser Stelle markiert als Herodots persönliche Meinung dar, dass die völlige Zerstörung Trojas den Menschen zeigen solle, dass große Untaten auch große Strafen durch die Götter nach sich ziehen. Balcer (1987, S. 95) verweist auf die starke Parallele zwischen Kambyses ’ Tod und Miltiades ’ Tod (VI, 133 - 136). Auch Miltiades begeht einen Frevel, als er versucht, Paros einzunehmen. Er betritt den Tempel der Demeter Thesmophoros (VI, 134.2). Daraufhin verletzt er sich - je nach Erzählversion - an Schenkel oder Knie (VI, 134.2) und stirbt letztlich an seinen Wunden (VI, 136.3). Von einem weiteren Beispiel dazu, wie ein religiöser Frevel zu Wahnsinnstaten führt, berichtet der Text in V, 85. Als die Athener versuchen, mit Gewalt Götterbilder aus athenischem Holz aus Aigina zu holen, werden sie in ihrem Geist verwirrt ( ἀλλοφρονῆσαι - V, 85.2) und töten sich gegenseitig, bis nur noch einer lebend übrigbleibt (V, 85.2). Zwar berichtet der Text nicht, dass explizit Wahnsinn ( μαίνεσθαι ) ausgelöst wird, aber die Folgen der Verwirrung des Geistes sind ähnlich: Sie handeln, ohne Kontrolle darüber zu haben, was sie tun. 990 So liegen z. B. die missglückten Feldzüge gegen die Ammonier und Aithiopier (III, 25 - 26) sowohl chronologisch als auch im Text vor der Verletzung des Apisstiers. 991 Auch in einer Symposionsszene in Herodots Historien steht mit einem respektlosen Missachten von fremden Bräuchen Trunkenheit in Verbindung: Dort fordern persische Gesandte als Gäste der Makedonen während eines Symposions, dass entgegen der Bräuche der Makedonen Frauen am Symposion teilnehmen sollen (V, 18 - 20); siehe zu diesem Symposion Kap. 4.2.3.4. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 293 <?page no="294"?> diesem Zeitpunkt noch beschrieben werden. 992 Dadurch, dass der Vorwurf des zu hohen Weinkonsums von Kambyses selbst als Zeichen des Wahnsinns interpretiert wird (III, 34.3), zeigt der Text, dass auch den Rezipienten wie eben Kambyses die Auswirkungen eines zu hohen Weinkonsums bekannt sein müssen. 993 So insinuiert der Text durch diese Darstellungsweise und gezielt gewählte Abfolge von Informationen nicht nur rückwirkend durch den Vorwurf der zu großen Philoinie eine Erklärung für die unbedachten und vorschnellen Handlungen in Kambyses ’ Leben, sondern bietet damit auch eine logische Erklärung für alle durchdachten Entschlüsse und lichten Momente des Kambyses. Denn diese können nun damit begründet werden, dass Kambyses währenddessen nüchtern war. 994 Diese anhand der Erzähltechnik erschlossene Erklärung für alle Freveltaten des Kambyses ist deshalb möglich, da dessen Hang zum Wein nicht auf eine bestimmte Zeitspanne begrenzt dargestellt wird. Es werden jedoch auch noch andere mögliche Erklärungen für Kambyses ’ Wahnsinn geschildert. So gibt der Text kurz vor dem Vorwurf des zu starken Hangs von Kambyses zu Wein (III, 34.2) an, dass ‚ man erzählt ‘ ( λέγεται - III, 33), Kambyses sei bereits sein ganzes Leben lang mental beeinträchtigt gewesen: Kambyses habe nämlich von Geburt an an einer starken Krankheit, der sogenannten ‚ heiligen ‘ Krankheit, gelitten ( καὶ γάρ τινα καὶ ἐκ γενεῆς νοῦσον μεγάλην λέγεται ἔχειν ὁ Καμβύσης , τὴν ἱρὴν ὀνομάζουσί τινες - III, 33), wobei es sich um Epilepsie handelt. 995 Der Text legt dar, dass es überhaupt nicht ungewöhnlich sei, dass er neben dem körperlichen Leiden auch geistig krankte (III, 33). Wie auch die kurz danach erwähnte Erklärung des 992 Neben der Ermordung von Prexaspes ’ Sohn (III, 35.3) führt der Text erst nach der Erwähnung der Philoinie des Kambyses in III, 34.1 - 3 die grundlose Tötung der zwölf angesehenen Perser (III, 35.5), das Vorgehen gegen Kroisos nach dessen Rat, Kambyses solle sein Verhalten mäßigen und vorausschauender handeln (III, 36.1 - 4), an sowie die Tötung seiner Diener, die Kroisos aus eigener Voraussicht verschonten (III, 36.4 - 6). Ebenso werden einige von Kambyses ’ Freveltaten in Ägypten in III, 37 und damit erst nach dem Hinweis von Kambyses ’ möglicher Trunksucht beschrieben. Allerdings wird auch Kambyses ’ Lebensende und dessen Erkenntnis, viele Freveltaten in seinem Leben begangen zu haben (III, 64 - 66), ebenfalls nach dem Hinweis, Kambyses trinke gerne Wein, beschrieben. Auch dieses Ereignis steht in der Darstellung der Historien somit im Licht von Kambyses ’ generellem Hang zum Wein. Nur eine im Grunde vorausschauende Tat des Kambyses wird noch später in den Historien dargestellt, und zwar seine Bestrafung des ungerechten Richters Sisamnes (V, 25; siehe dazu Anm. 979). 993 Zu den unterschiedlichen Auswirkungen von Weinkonsum siehe Kap. 2.2.3.4. 994 Als mögliche Ursache des Wahnsinns von Kambyses wird auch in der modernen Forschung Alkoholismus angeführt (vgl. Asheri et al. [2007], S. 431). 995 Vgl. dazu How/ Wells (1912a), S. 265; Balcer (1987), S. 86; Asheri et al. (2007), S. 431; McPhee (2018), S. 76 f. Erbse (1992, S. 52) ist der Meinung, dass diese Diagnose zwar auf den historischen Kambyses passen mag, aber „ zum Verständnis des herodoteischen reicht sie nicht aus “ . 294 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="295"?> Wahnsinns durch Kambyses ’ allzu starker Philoinie, liefert der Text diese Erklärung erst relativ spät in der Darstellung des Kambyses. Auch hier verwendet der Text also das erzähltechnische Mittel der rückwirkenden Erklärung und bewirkt somit eine Beeinflussung des folgenden Geschehens bzw. der Sicht auf die noch folgenden Taten des Kambyses. 996 Die lichten Momente des Kambyses weisen dann darauf hin, dass die Krankheit des Kambyses ihn nicht immer gleich stark beeinträchtigt. Generell verwendet der Text die Erzähltechnik, Erklärungen für ein bestimmtes Vorgehen erst im Nachhinein zu liefern, mehrfach in den Historien. 997 Eine weitere, etwas später im Text erwähnte und damit ebenfalls rückwirkende Erklärung seiner Wahnsinnstaten ist aus Kroisos ’ Warnung an Kambyses zu folgern, der ihn dazu auffordert, sich nicht immer von seinem jugendlichen Alter und von seinem θυμός 998 leiten zu lassen ( μὴ πάντα ἡλικίῃ καὶ θυμῷ ἐπίτρεπε - III, 36.1). Demnach sei es seinem Alter und der (noch) fehlenden Kontrolle über seinen θυμός zuzuschreiben, dass er diese Wahnsinnstaten begeht. Doch wie bereits zuvor schon erwähnt, verändert sich sein Wahnsinn auch im weiteren Verlauf seines Lebens, wie es in den Historien geschildert wird, nicht, sodass zumindest sein jugendliches Alter keine allgemein gültige Erklärung sein kann. 999 Insgesamt schließen sich die Erklärungen untereinander aber nicht aus. Der Text selbst lässt ohnehin offen, was letztlich der Grund für Kambyses ’ Wahnsinn ist ( εἴ τε δὴ διὰ τὸν Ἆπιν εἴτε καὶ ἄλλως - III, 33). Auch wenn das Bild von Kambyses, wie es in Herodots Historien dargestellt wird, historisch falsch sein sollte, 1000 werden dessen Taten dadurch, dass der Text als eine Erklärungsmöglichkeit für Kambyses ’ Wahnsinn seine zu starke 996 Vgl. dazu die unter Anm. 992 angeführten Textstellen. 997 Als weiteres Beispiel dafür möchte ich auf eine Situation verweisen, auf die ich an anderer Stelle genauer eingehe (siehe dazu Kap. 4.2.2.2.4): In VI, 16 berichtet der Text, wie sich einige Chier ohne Hintergedanken in der Gegend von Ephesos Frauen nähern, die gerade das Fest der Thesmophorien feiern. Aus Furcht, diese könnten die Frauen überfallen, werden sie daher von den Ephesern getötet. In VI, 138.1 - also erst später in den Historien - beschreibt er Text tatsächlich, wie Frauen bei einem Fest - dem Fest der Artemis in Brauron - entführt werden, sodass nun ersichtlich wird, dass die Befürchtung eines solchen Vorfalls aufgrund von tatsächlichen Ereignissen nicht unbegründet ist. Auch bei Kleomenes ’ Charakterisierung besteht in Hinsicht auf diese Erzähltechnik eine Parallele; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.2. 998 Zur Bedeutung von θυμός siehe Anm. 963. 999 Zu dieser Mahnung des Kroisos an Kambyses siehe S. 285 - 288. Dort gehe ich näher darauf ein, dass in der Darstellung der Historien Kambyses ’ Wahnsinn nicht nur auf dessen junge Lebenszeit beschränkt ist, was besonders daran deutlich wird, dass Kambyses seinen ersten Frevel erst kurz vor seinem Tod erkennt. 1000 Siehe dazu Anm. 949. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 295 <?page no="296"?> Philoinie erwähnt (III, 34.2), vor den Hintergrund eines maßlosen Weingenusses gestellt. Er ist in Herodots Historien das erste Beispiel dafür, dass der übermäßige Weinkonsum eines Herrschers und die damit beeinträchtigten Sinne negative Auswirkungen auf dessen Verhalten in politischen und militärischen Angelegenheiten haben können. 4.1.3.1.2 Der wahnsinnige Kleomenes Auch der spartanische König Kleomenes leidet in der Darstellung von Herodots Historien am Ende seines Lebens an Wahnsinn, der ihn in einen schmerzhaften Suizid treibt (VI, 75). 1001 Für dieses schlimme Lebensende in völligem Wahn liefert der Text unterschiedliche Erklärungen. Die Argeier sehen Kleomenes ’ Wahnsinn und die daraus resultierende grausame Art seines Todes darin begründet ( Ἀργεῖοι μέν νυν διὰ ταῦτα Κλεομένεά φασι μανέντα ἀπολέσθαι κακῶς - VI, 84.1), dass er bei seinem Versuch, Argos einzunehmen, sowohl die Argeier, die am Heiligtum des Argos Schutz gesucht haben, hinrichten als auch den heiligen Hain abbrennen lässt (VI, 75.3 / VI, 84.1 / dazu VI, 79 - 80). Die Athener dagegen erkennen in Kleomenes ’ grausamen Lebensende eine Rache für das Abholzen des heiligen Hains in Eleusis (VI, 75.3 / dazu V, 74.2). Die meisten Griechen aber sehen den Grund dafür in dem durch ihn beeinflussten Orakelspruch der Pythia, der fatale Folgen für seinen Mitkönig Demaratos hat (VI, 75.3 / dazu VI, 66). 1002 Nach all diesen Versionen handelt es sich also um die göttliche Bestrafung eines früheren Frevels. 1003 Auch gemäß der im Text als persönliche Ansicht des Herodot markierten Erklärung ist der Wahnsinn die Buße, die Kleomenes an Demaratos leisten muss ( ἐμοὶ δὲ δοκέει τίσιν ταύτην ὁ Κλεομένης Δημαρήτῳ ἐκτεῖσαι - VI, 84.3). Doch der Text liefert noch eine weitere Erklärung, die für die Untersuchung der Symposia in Herodots Historien wichtig ist. Denn die Spartaner führen als Ursache für Kleomenes ’ Wahnsinn dessen Hang zu ungemischten Wein an (VI, 84). 1004 Anders als bei 1001 Auf Analogien zwischen Kambyses ’ und Kleomenes ’ Lebensende in der Darstellung der Historien verweist Bichler (2001), S. 276. 1002 Leotychidas, der ebenfalls an der Beeinflussung des delphischen Orakels beteiligt war und es dadurch erreicht, nach Demaratos König werden zu können (VI, 65 - 67), muss laut der Historien für diese Tat büßen ( τίσιν τοιήνδε τινὰ Δημαρήτῳ ἐξέτεισε - VI, 72.1). Er stirbt daher früh in Tegea, wohin er geflohen ist, nachdem er der Bestechung beim Feldzug gegen Thessalien überführt worden war (VI, 72). Wenn Leotychidas dafür büßen muss, ist zu erwarten, dass auch Kleomenes nicht ungestraft das Orakel von Delphi beeinflussen kann. 1003 Diese Version erinnert an die Erklärung von Kambyses ’ Wahnsinn als göttliche Strafe nach dessen Vergehen am heiligen Apisstier (III, 30.1). 1004 Vgl. dazu auch Coulet (1994, S. 68 f.), die bemerkt, dass es immer wieder der Missbrauch von Alkohol ist, der in den Historien den agierenden Personen zum Verhängnis wird, 296 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="297"?> Kambyses wird also Kleomenes ’ Weinkonsum explizit als mögliche Ursache für seinen Wahnsinn genannt. Ich möchte nun diese Hypothese genauer analysieren und werde dafür bei der Darstellung von Kleomenes ’ Suizid beginnen, da dieser seinen Wahnsinn drastisch verbildlicht. Am Ende seines Lebens verlässt Kleomenes Sparta aus Furcht ( δεῖμα ἔλαβε - VI, 74.1), da bekannt wird, dass er seinen Mitkönig Demaratos mit unlauteren Mitteln zu Fall gebracht hatte (VI, 74.1; dazu VI, 66). Er entkommt heimlich nach Thessalien (VI, 74.1). Von dort zieht er wieder in Richtung Süden nach Arkadien, wo er nun mit den Arkadern einen Aufstand gegen Sparta plant (VI, 74.1). Als die Spartaner davon erfahren, holen sie - nun selbst in Furcht geraten ( δείσαντες - VI, 75.1) - Kleomenes unter dem Versprechen, er könne in Sparta mit gleichen Rechten und Pflichten wie zuvor König sein, zurück (VI, 75.1). Da sei Kleomenes komplett vom Wahn ergriffen worden, der hier als Krankheit bezeichnet wird ( ὑπέλαβε μανίη νοῦσος - VI, 75.1) 1005 . Der Wahnsinn spiegelt sich nun in seinem Handeln wider, denn Kleomenes schlägt allen Spartanern, die ihm begegnen, mit einem Stab ins Gesicht (VI, 75.1). 1006 Seine Verwandten sehen sich gezwungen, Kleomenes, der sich bei diesem Tun als völlig von Sinnen zeigt ( παραφρονήσαντα - VI, 75.2), an einen Holzpflock zu fesseln (VI, 75.2). Sobald er mithilfe von Drohungen dann ein Messer in die Hände bekommt - „ a last demonstration of his lost power “ 1007 - , beginnt er, sich selbst die Beine aufzuschlitzen, und da er anschließend auch vor seinem Bauch nicht Halt macht, stirbt er (VI, 75.3). 1008 Kleomenes ’ Wahnsinn befällt ihn im ihnen also entweder die Reaktionsfähigkeit nimmt oder sie im Gegenteil zu allem Möglichen antreibt, und nennt als eines der Beispiele auch Kleomenes ’ Hang zum ungemischten Wein, der als eine mögliche Begründung für die Entstehung seines Wahnsinns angegeben wird. Als weitere Beispiele nennt Coulet hier die durch Wein wehrlos gemachten Massageten (I, 207.6 - 7 / I, 211) und Wächter im Rahmen der Anekdote des Meisterdiebs (II, 121 δ ) sowie die durch starken Weinkonsum enthemmten Perser beim Gastmahl des Amyntas (V, 18 - 20). Zudem bemerkt sie (ebd., S. 68): „ c ’ est sans doute aussi pour la même raison qu ’ Hippocléidè se met à danser sur la table “ (VI, 129). 1005 Zur Mania und einem möglichen Zusammenhang mit Weingenuss vgl. auch die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.4. 1006 Griffiths (1989, S. 60 f.) weist darauf hin, dass sich wie bei Kambyses auch Kleomenes ’ Wahnsinn wie z. B. hier „ by acts of gratuitous sadism “ (ebd., S. 61) äußert; Kambyses tötet z. B. den Sohn seines treuen Dieners Prexaspes, um zu beweisen, bei klarem Verstand zu sein (III, 35.1 - 4). Zu dieser und weiteren Wahnsinnstaten des Kambyses auch gegen nahe Verwandte siehe Kap 4.1.3.1.1. 1007 Scott (2005), S. 569. 1008 Griffiths (1989, S. 61) ordnet diese Geschichte in die sogenannte „ group of mythical anecdotes involving locked-room mysteries “ ein und verweist innerhalb der Historien noch auf die Darstellung von Hegesistratos in IX, 37. Hegesistratos ist ebenfalls gefesselt, bekommt ein Stück Eisen in die Hand und - hier liegt der Unterschied zu Kleomenes - 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 297 <?page no="298"?> Gegensatz zu Kambyses also erst am Ende seines Lebens, auch wenn er, wie der Text schreibt, bereits zuvor nicht ganz bei Sinnen war ( ἐόντα καὶ πρότερον ὑπομαργότερον - VI, 75.1). Schon von Geburt an wird er als mental beeinträchtigt und zumindest ein wenig verrückt beschrieben ( ὡς λέγεται , ἦν τε οὐ φρενήρης ἀκρομανής τε - V, 42.1). 1009 So steigert sich seine Verrücktheit von ‚ nicht ganz bei Sinnen ‘ zum Erkranken an Wahnsinn bis zum völligen Verlust des Verstandes und dem daraus resultierenden schmerzhaften Suizid (VI, 75). 1010 Einen ungewöhnlichen Erklärungsversuch für Kleomenes ’ Wahnsinn und damit für diesen Tod liefern nun also die Spartaner. Denn sie sind nicht der Meinung, dass es eine göttliche Macht war, die Kleomenes in Wahn stürzte ( αὐτοὶ δὲ Σπαρτιῆταί φασι ἐκ δαιμονίου μὲν οὐδενὸς μανῆναι Κλεομένεα - VI, 84.1), sondern er selbst habe sich dies zugefügt. Kleomenes habe sich nämlich aufgrund seines Umgangs mit Skythen an das Trinken von ungemischten Wein gewöhnt, was ihn zum Wahnsinnigen machte ( Σκύθῃσι δὲ ὁμιλήσαντά μιν ἀκρητοπότην γενέσθαι καί ἐκ τούτου μανῆναι - VI, 84.1). Die Betonung liegt hier nicht darauf, dass er wahnsinnig wurde, da er Wein oder sogar viel Wein getrunken hat, entscheidend ist, dass er zum ἀκρητοπότης wurde, also zum Trinker von ungemischtem Wein. Die Erklärung für Kleomenes ’ Hang zum puren Wein wiederum wird in den Historien mit einer politischen bzw. militärischen Begebenheit begründet. Denn die skythische Delegation befindet sich nicht zufällig gerade in Sparta: Die nutzt dieses, um sich durch das Abtrennen des eigenen Fußes zu befreien und die Flucht zu ermöglichen (IX, 37.2 - 3). 1009 Ἀκρομανής ist in klassischer und hellenistischer Zeit nur an dieser Stelle bezeugt, sodass eine eindeutige Bedeutung nicht auszumachen ist. So wird es zum einen als ‚ ein wenig wahnsinnig ‘ gedeutet (vgl. dazu ἀκρομανής in LSJ, S. 56: „ on the verge of madness, somewhat mad “ , wie es z. B. Ley-Hutton [2014] übersetzt), zum anderen aber auch als „ höchst wahnsinnig “ (Pape [1954], S. 84). Feix (1963) übersetzt es substantivisch als „ Tollkopf “ . Entscheidend für die Bedeutung scheint die Interpretation des Wortbestandteils ἀκρο - und damit die Interpretation von ἄκρος zu sein. Mit dem Adjektiv ἄκρος wird gemäß seiner Grundbedeutung etwas beschrieben, was sich an der Spitze bzw. an dem äußersten Punkt von etwas befindet (vgl. dazu ἄκρος in LSJ, S. 57: „ at the farthest point or end, hence either topmost, outermost, or inmost “ ). Der zweite Wortbestandteil von ἀκρομανής , also μανής , beinhaltet den Wahnsinn (= μανία ). Somit wird ἀκρομανής hier zum Teil als ‚ völlig wahnsinnig ‘ gedeutet, wenn der durch ἄκρος beschriebene äußerste Punkt mit Blick auf den Wahnsinn als dessen Maximum interpretiert wird, zum Teil aber auch als ‚ ein wenig wahnsinnig ‘ durch die Interpretation des äußersten Punktes als kleinen Punkt im übertragenen Sinn an der äußersten Stelle, der (bereits) von Wahnsinn betroffen ist. Doch unabhängig davon, ob ἀκρομανής nun mit viel oder wenig Wahnsinn verbunden ist, zumindest ein gewisses Maß an Wahn wird Kleomenes durch dieses Adjektiv zugeschrieben. 1010 An der Darstellung von Kleomenes ’ Lebensende kann gezweifelt werden (vgl. Murray [1998], S. 330 f.). 298 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="299"?> Skythen möchten Rache an Dareios wegen des persischen Einfalls in ihr Land nehmen und sind gekommen, um ein Bündnis mit Sparta zu schließen und um eine Kriegstaktik zu vereinbaren (VI, 84.2). Während dieser Zeit hat Kleomenes allzu viel Kontakt zu den Skythen ( Κλεομένεα δὲ λέγουσι ἡκόντων τῶν Σκυθέων ἐπὶ ταῦτα ὁμιλέειν σφι μεζόνως , ὁμιλέοντα δὲ μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου - VI, 84.3). Seine zu häufige Gesellschaft mit den Skythen wird hier sogar doppelt betont, sodass die Überschreitung des rechten Maßes auch im Text ersichtlich wird ( μεζόνως / μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου ). Während durch μεζόνως die zu hohe Intensität des Kontaktes hervorgehoben wird, 1011 was letztlich daran erkennbar wird, dass Kleomenes während dieser Gelage die Sitte des ‚ puren Weintrinkens ‘ erlernt, wird durch μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου eindrücklich dargestellt, dass sich die Treffen nicht mehr in einem angemessenen bzw. rechtmäßigen Rahmen bewegen, 1012 was sowohl die Häufigkeit als auch die Vorgänge während des Symposions betrifft und damit besonders auch das Trinken von ungemischtem Wein. 1013 Denn diese Angewohnheit habe ihn schließlich in den 1011 Vgl. dazu weitere Textstellen in den Historien, an denen die höhere Intensität einer Handlung ebenfalls durch μεζόνως , der Komparativform des Adverbs μεγάλως , ausgedrückt wird: II, 49.1 / II, 161.3 / III, 128.4 / V, 92 η .5 / VI, 107.3. 1012 Weitere Beispiele aus Herodots Historien, bei denen eine partizipiale Form von ἱκνεῖσθαι in der Bedeutung ‚ rechtmäßig ‘ bzw. ‚ richtig, passend, angemessen ‘ aufgefasst werden kann, findet sich in VI, 86 α .3, wo durch den Ausdruck ἐν χρόνῳ ἱκνευμένῳ „ in due time “ (Hornblower/ Pelling [2017], S. 205), also ‚ zur rechten Zeit ‘ , ausgesagt ist; vgl. dazu auch ἱκνέομαι in LSJ, S. 827: „ III. [ … ] 2. freq. in part. [ … ], the fit, proper time “ , wo u. a. auch auf diese Stelle (VI, 86 α .3) in den Historien verwiesen wird. Das zugehörige Adverb ἱκνεομένως bzw. ἱκνευμένως findet sich in VI, 65.3 ( οὐκ ἱκνεομένως ) bzw. in VI, 65.4 ( οὔτε ἱκνευμένως ), womit der Text den Vorwurf gegen Demaratos ausdrückt, er sei auf ‚ unrechtmäßige Weise ‘ König über die Spartaner; vgl. Hornblower/ Pelling (2017, S. 173), „‘ saying that it was not by right that he was king ’“ , bzw. wiederum ἱκνέομαι in LSJ, S. 827: „ Adv. ἱκνουμένως , Ion. ευμένως , fittingly, aright, Hdt. 6.65 [ … ] “ . 1013 Es ist syntaktisch auch möglich, μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου anstatt auf ὁμιλέοντα auf den folgenden Satzteil, nämlich auf das Erlernen des Genusses von ungemischtem Wein zu beziehen ( Κλεομένεα δὲ λέγουσι ἡκόντων τῶν Σκυθέων ἐπὶ ταῦτα ὁμιλέειν σφι μεζόνως , ὁμιλέοντα δὲ μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου μαθεῖν τὴν ἀκρητοποσίην παρ᾽ αὐτῶν - VI, 84.3). Diesen Bezug sieht z. B. Feix (1963) und übersetzt: „ Dabei habe Kleomenes, so erzählt man, allzuviel mit den Skythen, die deswegen nach Sparta kamen, verkehrt und sich dabei das Trinken ungemischten Weines, mehr als gut war, von ihnen angewöhnt. “ Auf diese Weise liegt die Betonung weniger stark auf der Maßlosigkeit des häufigen Treffens mit den Skythen als vielmehr auf dem Trinken von ungemischtem Wein. Jedoch wird durch diese Übersetzung evoziert, dass das Trinken von ungemischtem Wein an sich noch kein Kritikpunkt ist, solange dabei nicht ein gewisses Maß überschritten wird. Zwar liefert der Text in den Historien keinen expliziten Hinweis darauf, dass der ungemischte Weingenuss von den Griechen generell als barbarisch angesehen wird (siehe dazu die Literaturhinweise in Anm. 1018), doch davon unabhängig ist für diese Textstelle entscheidend, dass der Text bereits kurz zuvor in der Wiedergabe der spartanischen Version das Trinken ungemischten Weines als ursächlich für Kleomenes ’ 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 299 <?page no="300"?> Wahnsinn getrieben ( ἐκ τούτου δὲ μανῆναί μιν νομίζουσι Σπαρτιῆται - VI, 84.3). Weshalb die skythische Delegation allerdings längere Zeit in Sparta bleibt, wie sie genau aufgenommen wird und wie es ausgerechnet zum intensiven Kontakt zwischen dieser und Kleomenes kommt, ist nicht ausgesagt. 1014 Der Text gibt durch λέγουσι und die daran anschließende indirekte Rede (VI, 84.3) lediglich an, dass er nur berichtet, was die Spartaner sagen. Was dieser intensive Kontakt, den Kleomenes zu den Skythen hat, genau umfasst, kann also nur gemutmaßt werden. Da aber das Trinken von (ungemischtem) Wein als zentral für diese Begegnung dargestellt wird, das durch den häufigen Konsum zur Angewohnheit des Kleomenes wird, werden gedanklich häufige gemeinsame Symposia zwischen Skythen und dem Spartaner Kleomenes evoziert. Denn bei deren Treffen muss ein äußerer Rahmen vorliegen, in dem ein häufiger Kontakt möglich und auch das Trinken von Wein gewöhnlich ist. Schließlich muss sich dieser Umgang zwischen Kleomenes und den Skythen oft genug wiederholen, dass der spartanische König die vorerst für ihn fremde Sitte sogar ‚ erlernen ‘ kann ( μαθεῖν - VI, 84.3) 1015 und damit den Genuss von ungemischten Wein ( μαθεῖν τὴν ἀκρητοποσίην παρ᾽ αὐτῶν - VI, 84.3). Der Ablauf des anzunehmenden Symposions ist aber nicht näher beschrieben. Die Spartaner also sehen Kleomenes ’ Wahnsinn in dessen eigenem Trinkverhalten begründet und zwar genauer, in der Art, wie er trinkt. Denn hier ist, wie soeben erwähnt, nicht die Menge oder die Häufigkeit des Weintrinkens der ausschlaggebende Kritikpunkt, wie es bei Kambyses bzw. Amasis der Fall ist, 1016 sondern die Art, wie Kleomenes seinen Wein trinkt. 1017 Dass bei den Griechen das Trinken von ungemischten Wein als barbarisch gilt und mit fremder Kultur Wahnsinn angegeben hat - unabhängig von der Konsummenge oder dem Überschreiten eines gewissen Maßes. Denn es heißt dort lediglich, er sei zum ‚ Trinker von ungemischtem Wein ‘ geworden und daher wahnsinnig: αὐτοὶ δὲ Σπαρτιῆταί φασι [ … ], Σκύθῃσι δὲ ὁμιλήσαντά μιν ἀκρητοπότην γενέσθαι καὶ ἐκ τούτου μανῆναι (VI, 84.1). Insofern ist es inhaltlich zutreffender, μᾶλλον τοῦ ἱκνεομένου auf ὁμιλέοντα zu beziehen. 1014 Vgl. dazu Cawkwell (1993), S. 506 f. 1015 Μανθάνειν kann sowohl theoretisches Lernen als auch praktisches, aber auch Lernen durch Erfahrung ausdrücken; vgl. dazu μανθάνω in LSJ, S. 1079: „ learn, esp. by study (but also, by practice [ … ]; by experience [ … ]) II. acquire a habit of, and in past tenses, to be accustomed to [ … ] “ . An dieser Textstelle handelt es sich um Lernen durch Praktizieren. 1016 Zu Kambyses siehe Kap. 4.1.3.1.1, zu Amasis siehe Kap. 4.1.3.1.3. 1017 Vgl. dazu auch Eur. Alc. 747 - 772: Herakles wird dort von Dienern als unverschämt bezeichnet, da er für sich allein ein Trinkgelage veranstaltet, obwohl Alkestis kurz zuvor in diesem Haus verstorben war. Das allerdings wurde Herakles verschwiegen. Ein Kritikpunkt der Diener an seinem unverschämt ausgelassenen Verhalten besteht darin, dass er ungemischten Wein trinkt ( πίνει μελαίνης μητρὸς εὔζωρον μέθυ - Eur. Alc. 757). 300 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="301"?> assoziiert ist, 1018 wird eben daran deutlich, dass Kleomenes das Trinken erst lernen muss. 1019 Um etwas zu erlernen, ist ein häufiger Kontakt nötig. So deutet der Text durch die doppelte Betonung des intensiven bzw. häufigen Kontakts mit den Skythen (VI, 84.3), darauf hin, dass er die Sitte nicht nur ausprobiert, sondern eben für sich so sehr verinnerlicht, dass er sie sogar erlernt. Diese Anekdote zeigt, dass ein häufiges Treffen auch die Trinkgewohnheiten anderer Kulturen gewöhnlich machen kann, sogar wenn diese zuvor als barbarisch gelten. Die Annahme dieser fremden Sitte wird allerdings als Auslöser eines Wahnsinns dargestellt und zeigt damit, dass das Aufeinandertreffen bzw. hier sogar das Übernehmen von Sitten fremder Kulturen negative Folgen nach sich ziehen kann, was in den Historien kein Einzelfall ist. 1020 Dem Text nach lernen die Spartaner durch dieses Geschehen überhaupt erst zu dieser Zeit die skythische Sitte, ungemischten Wein zu trinken, kennen. Denn der Text beschreibt, dass die Spartaner nach eigenen Angaben ( ὡς αὐτοὶ λέγουσι - VI, 84.3) seit diesem Ereignis ( ἔκ τε τόσου - VI, 84.3) einen Wein, der mit weniger Wasser gemischt und damit stärker als gewöhnlich ist ( ζωρότερον - VI, 84.3), als Wein nach Skythenart bezeichnen und daher sagen, wenn sie stärker trinken möchten: Ἐπισκύθισον (VI, 84.3) - Reich ihn auf skythische Art! (Übersetzung: Feix [1963]). 1021 Auch wenn im ethnographischen Bericht der Historien über die Skythen zunächst beschrieben wird, dass sie Milch trinken ( τοῦ γάλακτος εἵνεκεν τοῦ πίνουσι - IV, 2.1), 1022 ist es an mehreren anderen Textstellen ersichtlich, dass bei ihnen Wein einen besonderen Stellenwert einnimmt. 1023 Allerdings ist von einer 1018 Vgl. Miller (1991), S. 67 f.; Klinghardt (1996), S. 105, S. 113 f.; W ę cowski (2014), S. 41. Murray (1990a, S. 6) macht ebenfalls darauf aufmerksam, dass das Trinken von purem Wein ein Zeichen von Barbaren sei; dies verletze das Vorrecht der Götter; siehe dazu auch Murray (2009), S. 515. 1019 Dass eine kulturell fremde Lebensweise durch häufigen Gebrauch bzw. Umgang damit verinnerlicht werden kann, wird auch an der Darstellung von Salmoxis in den Historien ersichtlich, der sich während seines Aufenthalts bei Pythagoras in Griechenland die feinere Lebensform der Griechen aneignet und sich dessen auch bewusst ist, als er zurück in seine thrakische Heimat kommt (IV, 95.1 - 3); siehe dazu Kap. 3.3.1. 1020 So interpretiert Kambyses den Kult um den Apisstier falsch und begeht daraufhin mehrere Freveltaten (III, 27 - 29; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.1 bzw. in Kap. 4.2.2.2.4); an anderer Stelle akzeptieren die Makedonen die fremden Sitten der Perser beim Symposion, was letztlich dazu führt, dass das Symposion in einer Katastrophe endet (V, 18 - 20; siehe Kap. 4.2.3.4). 1021 Für How/ Wells (1912b, S. 98) erscheint diese Erzählung „ like a spiteful bit of gossip invented to explain the term ἐπισκυθίζειν . “ 1022 Vgl. dazu auch Miller (1991), S. 68. 1023 So beschreibt der Text in IV, 62.3, dass Wein beim Opfern auf skythische Art eine Rolle spielt, in IV, 66, dass bei den Skythen einmal jährlich der Vorsteher eines Gebietes Wein für seine erfolgreichen Krieger bereitet (siehe dazu Kap. 4.1.2.1), in IV, 70, dass die 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 301 <?page no="302"?> typisch skythischen Gewohnheit, den Wein ungemischt zu trinken, keine Rede. 1024 Sogar als von einem nicht-öffentlichen Symposion bei Skythen berichtet wird, wird der Konsum von ungemischten Wein nicht erwähnt (IV, 65). 1025 Bei der öffentlichen Veranstaltung der Skythen, bei der der Vorsteher des jeweiligen Gebietes für die erfolgreichen Krieger einen Mischkrug voll Wein bereitstellt, kann aufgrund der Erwähnung dieses Kraters ( κρητῆρα οἴνου - IV, 66) ebenso nicht von ungemischtem Wein die Rede sein. 1026 Nur hier bei der Erklärung für Kleomenes ’ Wahnsinn aus Sicht der Spartaner wird in den Historien den Skythen die Sitte des ungemischten Weintrinkens zugeschrieben. Doch auch wenn der Text der Historien abgesehen von der Darstellung in VI, 84.3 die Sitte, ungemischten Wein zu trinken, nicht weiter den Skythen zuordnet, stellt schon Anakreon die skythischen Sitten im Symposion, die sich durch extreme Lautstärke, schlechtes Benehmen und exzessives Trinken auszeichnen, den griechischen gegenüber (Anakr. fr. 356b PMG). 1027 Diese Darstellung der Skythen ist demnach wohl auch Herodots zeitgenössischen Lesern präsent. 1028 Ob nun pur oder gemischt, zu übermäßigem Weinkonsum tendieren die Skythen auch an anderer Textstelle in den Historien. So betrinken sie sich bei einem Gastmahl so stark, dass sie wehrlos überwältigt werden können und auf diese Weise ihre Herrschaft über die Meder verlieren (I, 106.2). 1029 Dennoch distanziert sich der Text der Historien hier von der Version der Spartaner, 1030 unterstützt die Begründung von Kleomenes ’ Wahnsinn durch dessen möglichen Hang zu ungemischtem Wein nicht (VI, 84.3) und Skythen eidliche Verträge schließen, indem sie von einem Blut-Weingemisch trinken, in das zuvor noch Waffen getaucht werden (siehe dazu Anm. 1280), und in I, 106.2, wie die Skythen betrunken gemacht werden und damit ihre Herrschaft über die Meder verlieren (siehe dazu Kap. 4.2.1.1) - ob dies allerdings durch ungemischten Wein geschieht, sagt der Text nicht aus. In IV, 71.4 wird zumindest ersichtlich, dass der skythische König einen Weinschenk ( τὸν οἰνοχόον - IV, 71.4) hatte, denn der Text berichtet, dass dieser im selben Raum wie der König bestattet werde. 1024 Vgl. Scott (2005), S. 310 sowie Anm. 899 in der vorliegenden Arbeit. 1025 Siehe zu diesem Symposion die weiteren Ausführungen in Kap. 4.1.2.1. 1026 An anderer Stelle in den Historien wird davon berichtet, dass die Skythen beim Treuschluss Wein mit Blut vermischt trinken (IV, 70; siehe dazu Anm. 1280). 1027 Vgl. Miller (1991), S. 68; Anakr. fr. 356b PMG: ἄγε δηὖτε μηκέτ᾽ οὕτω / πατάγωι τε κἀλαλητῶι / Σκυθικὴν πόσιν παρ᾽ οἴνωι / μελετῶμεν , ἀλλὰ καλοῖς / ὑποπίνοντες ἐν ὕμνοις . 1028 Vgl. Scott (2005), S. 310. 1029 Siehe dazu Kap. 4.2.1.1. 1030 Hobden (2013, S. 85/ Anm. 46) hebt ohnehin berechtigterweise hervor, dass I, 106.2 die einzige Textstelle in Herodots Historien sei, an der dargestellt wird, dass Skythen betrunken werden. Außerdem folge diese Geschichte einem Muster, bei dem „ hybristic autocrats “ durch übermäßigen Alkoholkonsum in tödliche Gefahr gelockt werden, und so handele es sich also nicht um ein „ measure of Scythian practice “ (ebd.). 302 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="303"?> gibt auch keinen Hinweis darauf, ob Wahnsinn aus seiner Sicht generell eine Folge aus dem Konsum von ungemischten Wein sein kann. 1031 Unabhängig davon, ob diese Version der historischen Wahrheit entspricht oder einem reinen Gerücht entspringt, 1032 wird daran ersichtlich, welche Folgen des ungemischten Weintrinkens für die Griechen in der Darstellung der Historien plausibel waren. Es fällt dabei auf, dass der Text von der spartanischen Erklärung für Kleomenes ’ Wahnsinn erst berichtet, nachdem er alle Freveltaten des Kleomenes, die in den Historien beschrieben werden, dargestellt hat. 1033 Wie an 1031 Dass aber auch in den Historien die Auswirkungen von ungemischtem Wein für die Konsumenten als problematisch dargestellt werden, wird an einer anderen Erzählung deutlich. So ist purer Wein auch der Grund dafür, dass die Massageten wehrlos gemacht werden können und eine erste Niederlage gegen die Perser erleiden: Denn da die Massageten bisher noch keine Erfahrung mit Wein gemacht haben (I, 207.6), kennen sie auch die Wirkung von ungemischtem Wein nicht. Kroisos ’ Vorschlag, einige Krüge mit ungemischtem Wein aufzustellen ( πρὸς δὲ καὶ κητῆρας ἀφειδέως οἴνου ἀκρήτου καὶ σιτία παντοῖα - I, 207.6), zeigt daher Wirkung und macht die beteiligten Massageten wehrlos. Tomyris dagegen sieht Wahnsinn generell als Folge des Weinkonsums ( μαίνεσθε - I, 212.2) - egal ob der Wein gemischt oder pur getrunken wird. Vgl. dazu auch Coulet (1994, S. 68 f.), die mit Verweis auf die Rolle des ungemischten Weins in Rahmen der Darstellung des Kleomenes und der List, mit der die Massageten um Spargapises vorerst überwältigt werden können, bemerkt, dass die Auswirkungen des Weins in Herodots Historien umso verhängnisvoller sind, je reiner er getrunken wird. 1032 Miller (1991, S. 68) z. B. ist der Meinung, dass hier eine lakonische Anti-Kleomenes- Propaganda durchscheine. Dass sich Herodot bei der Darstellung des Kleomenes insgesamt auf Quellen stützt, die Kleomenes feindlich gesinnt sind, bemerken u. a. Wallace (1954), S. 35; Cartledge (2002), S. 124; de Ste. Croix (2004), S. 422, S. 424. So verweist auch Murray (1998, S. 38) darauf, dass es der Darstellung der Aristokraten, von denen Herodot Informationen für das griechische Festland erhalten habe, zuzurechnen sei, dass „ die Bedeutung eines der wichtigsten Könige “ Spartas in Herodots Historien heruntergespielt werde. Doch da Kleomenes bei Herodot nicht rein negativ charakterisiert wird, worauf ich im Folgenden eingehen werde, bleibt unklar, welche Wirkung das in den Historien dargestellte Kleomenesbild tatsächlich erzielen sollte (vgl. dazu Schelske [2021], S. 234 f. mit Verweisen). 1033 So berichtet der Text zuvor bereits z. B. von der Belagerung der Akropolis in Athen (V, 72.2) und davon, wie sich Kleomenes der Anweisung der Priesterin, er dürfe den Athenetempel als Dorer nicht betreten, widersetzt (V, 72.3 - 4). Zudem wird auch die Verwüstung von Attika mit Eleusis (V, 74.2) und des dortigen heiligen Bezirks (VI, 75.3) vor Kleomenes ’ Trinkgelagen mit den Skythen erwähnt. Ebenso beschreibt der Text zuvor Kleomenes ’ Beeinflussung des Orakels in Delphi, um die Aussage zu erwirken, Demaratos sei nicht Aristons Sohn (VI, 66), sowie sein frevelhaftes Vorgehen gegen die schutzsuchenden Argeier (VI, 79), das Verbrennen des heiligen Hains in Argos (VI, 80) und die Gewalt gegen die Priester im Heratempel (VI, 81). Erstaunlicherweise berichtet der Text ausgerechnet über die durchdachte Ablehnung der Schutzmachtanfrage, worum die Plataier Kleomenes und die Lakedaimonier bitten, erst nach der Darstellung von Kleomenes ’ Hang zum ungemischten Wein (VI, 108.2 - 3). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 303 <?page no="304"?> anderen Stellen in den Historien, z. B. bei den unterschiedlichen Erklärungen für Kambyses ’ Wahnsinn und damit rückwirkend für seine vielen unbedachten Freveltaten, greift der Text auch hier wieder auf das Mittel der Erzählung zurück, Ursachen für bestimmte Situationen erst zu einem späteren Zeitpunkt zu nennen. 1034 Erst nachträglich liefert er den Lesern dann durch seine Erklärungen die noch fehlende Information, 1035 die die bisherigen Informationen zusammenbringt und Kleomenes ’ Wahnsinn am Lebensende erklärt. Denn Kleomenes wird zwar bereits von Geburt an als geistig beeinträchtigt und zumindest ein wenig verrückt beschrieben ( ὡς λέγεται , ἦν τε οὐ φρενήρης ἀκρομανής τε - V, 42.1) 1036 , aber der Wahnsinn, der als Krankheit ( νοῦσος - VI, 75.1) bezeichnet wird und ihn in den Suizid treibt, befällt ihn erst später. Zuvor zeichnet er sich dagegen sogar durch bedachte Aktionen aus. 1037 Gerade die erste in den Historien erwähnte Tat des Kleomenes charakterisiert ihn ganz und gar nicht als verrückt, sondern als vorausschauend und verständig. 1038 Diese erste Tat möchte ich nun kurz schildern: Im dritten Buch der Historien wird davon berichtet, wie sich der Samier Maiandrios bei Kleomenes in Sparta aufhält (III, 148). Maiandrios hatte sich zuvor mit den Persern angelegt, die nach Polykrates ’ Tod dessen Bruder Syloson zum samischen Thron verholfen und damit Maiandrios von selbigen verdrängt hatten (III, 144 - 146). Maiandrios ist daraufhin bis nach Sparta geflohen (III, 148.1). Dort unterhält er sich nun mit Kleomenes, führt ihn in sein Haus und bietet ihm nachdrücklich als Geschenk wertvolle Trinkgefäße an (III, 148.1 - 2). 1039 Obwohl ihm die Gefäße sehr gut gefallen (III, 148.1), lehnt Kleomenes dieses Geschenk 1034 Siehe dazu die Ausführungen im Rahmen von Kambyses ’ Charakterisierung in Kap. 4.1.3.1.1 und dort besonders S. 293 - 295 mit Anm 997. 1035 Siehe zu diesen Erklärungen S. 296. 1036 Zur Bedeutung von ἀκρομανής siehe Anm. 1009. 1037 Vgl. dazu, dass sich Kleomenes in der Darstellung der Historien durch zwei gegensätzliche Charakterzüge - Wahnsinn und Bedachtheit - auszeichnet, Schelske (2021), S. 232 - 235. Schelske (2021, S. 234) bemerkt: „ Chronologisch werden beide Charaktereigenschaften zwar deutlich in eine Reihenfolge gebracht [ … ], doch durch die herodoteische Erzählung, die ihrerseits durch chronologische Sprünge gekennzeichnet ist, lässt sich die Chronologie der kleomenischen Entwicklung nur durch Synopse der verstreut liegenden Passagen erschließen. “ Die erzählte Reihenfolge der Geschehnisse dagegen betonen „ ein bipolares, zwischen den Extremen hin und her schwankendes Charakterbild des spartanischen Herrschers “ (ebd.). 1038 Vgl. dazu Schelske (2021), S. 233. 1039 Ob dieses Treffen bei Maiandrios im Rahmen eines Gastmahls oder sogar eines Symposions stattfindet, lässt der Text unerwähnt. Anhand der Formulierung wird aber zumindest ersichtlich, dass Maiandrios keine Einladung zum Gastmahl ausspricht ( ὁ δ᾽ ἂν τὸν χρόνον τοῦτον Κλεομένεϊ τῷ Ἀναξανδρίδεω ἐν λόγοισι ἐών , βασιλεύοντι Σπάρτης , προῆγέ μιν ἐς τὰ οἰκία - III, 148.1). Mit προάγειν ist lediglich die Begleitung bzw. Führung hin zu Maiandrios ’ Haus ausgedrückt, aber eben keine direkte Einladung (vgl. 304 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="305"?> mit Bedacht ab (III, 148.2), sodass er sich dem Maiandrios zu nichts verpflichtet. Um zu verhindern, dass dieser für seine Rachepläne andere Spartaner zu gewinnen versucht, schickt er Maiandrios, den er hier als Xenos bezeichnet, 1040 aus Sparta fort (III, 148.2) und begründet sein Handeln damit, dass dies für Sparta besser sei ( ἄμεινον εἶναι ἔφη τῇ Σπάρτῃ - III, 148.2). Im Text wird dieses Verhalten als Beweis für Kleomenes ’ Rechtschaffenheit bewertet ( ὁ Κλεομένης δικαιότατος ἀνδρῶν γίνεται - III, 148.2). 1041 Dies bleibt nicht die einzige verständige Tat des Kleomenes, von der der Text berichtet. 1042 Da sich Kleomenes also auch als rechtschaffen auszeichnet, evoziert der Text durch die dazu προάγω in LSJ, S. 1466: lead forward or onward, μιν ἐς τὰ οἰκία Hdt. 3.148, etc.; escort on their way, Id. 8.132 “ ). 1040 Zur Interpretation des Begriffs Xenos an dieser Stelle siehe Anm. 122. 1041 Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 521) sieht darin einen offensichtlich ironischen Bezug zu III, 142.1, wo der Text beschreibt, dass Maiandrios zwar versucht, der rechtschaffenste von allen Männern zu sein, es ihm aber nicht gelingt ( τῷ δικαιοτάτῳ ἀνδρῶν βουλομένῳ γενέσθαι οὐκ ἐξεγένετο - III, 142.1), sowie zu den späteren Darstellungen von Kleomenes selbst: zu VI, 65 - 66, als Kleomenes Leotychidas dazu anstiftet, Demaratos die rechtmäßige Königswürde abzusprechen, zu VI, 75, als er von seinem Wahnsinn in den Suizid getrieben wird und zu VI, 84, wo ebenfalls sein Wahnsinn beschrieben wird, der von den Spartanern mit seinem Umgang mit den Skythen und dem daraus resultierenden Konsum von ungemischten Wein begründet wird (vgl. Asheri et al. [2007], S. 521). Darauf, dass Kleomenes ’ Vorgehen hier (III, 148) im Kontrast zu seiner Darstellung an vielen anderen Stellen in den Historien steht, verweist u. a. auch Cawkwell (1993), S. 508. 1042 So nimmt Kleomenes auf die Bedürfnisse von Sparta ganz in Manier eines väterlichen Herrschers ein weiteres Mal Rücksicht, als Aristagoras von Milet in Sparta für sein Vorgehen gegen die Perser um Unterstützung bittet (V, 49 - 51). Kleomenes steht dem Unternehmen nicht von Anfang an ablehnend gegenüber (vgl. de Ste. Croix [2004], S. 425), handelt aber auch nicht überstürzt, sondern nimmt sich Bedenkzeit (V, 49.9) und kommt dabei auf die entscheidende Frage, wie lange die Reise vom Meer bis zum persischen Großkönig dauern würde (V, 50.1). Als er nun erfährt, dass der Weg dorthin für die Spartaner eine dreimonatige Reise über Land bedeutet, lehnt er ab (V, 50.2 - 3). Als Aristagoras Kleomenes daraufhin aber nach Hause folgt und dort erneut mehrfach um Unterstützung bittet, am Ende sogar 50 Talente verspricht und die Hikesie anwendet (zur Hikesie in Herodots Historien siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1), ist es seine Tochter Gorgo, die ihn davor warnt, sich von Aristagoras bestechen zu lassen (V, 51). An dieser Stelle zeigt sich Kleomenes, wenn er auch selbst nicht standhaft scheint, dennoch offen für kluge Ratschläge und damit einsichtig (V, 51.3). Später versucht Aristagoras dann sein Glück bei den Athenern, wo er Erfolg hat (V, 97.1 - 2). Der Text gibt hier zu bedenken, dass es offensichtlich leichter ist, viele zu täuschen, als einen Einzelnen ( πολλοὺς γὰρ οἶκε εἶναι εὐπετέστερον διαβάλλειν ἢ ἕνα - V, 97.2). Während Kleomenes und Sparta mit Bedacht seine Beteiligung am Ionischen Aufstand ablehnen, unterstützen die Athener nun die Ionier gegen die Perser und damit beginnt - wie die Historien darlegen - das Unheil für Griechen und Barbaren ( αὗται δ ὲ αἱ νέες ἀρχὴ κακῶν ἐγένοντο Ἕλλησί τε καὶ βαρβάροισι - V, 97.3). Es ist also nicht Kleomenes, durch den in der Darstellung der Historien die Perserkriege provoziert werden, sondern es sind die Athener, die Aristagoras ’ Bitten nachgeben. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 305 <?page no="306"?> Schilderung der vielen Untaten des Kleomenes die Erwartung, dass es eine Erklärung für die charakterliche Veränderung des Kleomenes geben muss. Neben der spartanischen liefert der Text, wie bereits erwähnt, weitere Erklärungen für Kleomenes ’ Wahnsinn, die sich jeweils auf eine bestimmte Freveltat des Kleomenes beziehen. 1043 Dabei zeigt sich, dass diese Erklärungen bereits gesammelt in VI, 75.3 - und damit noch vor der Schilderung von Kleomenes ’ Frevel gegen Argos, die Argeier und den dortigen heiligen Hain, womit die Argeier Kleomenes ’ Wahn begründen (VI, 76 - 80), - aufgezählt werden, während der Text die Erklärung, die auf Kleomenes ’ Angewohnheit zurückgeht, ungemischten Wein zu trinken, erst in VI, 84 erwähnt. Doch alle Erklärungen liefert der Text erst nach der Schilderung des grausamen Suizids des Kleomenes aus Wahnsinn (VI, 75.3), um eben diesen rückwirkend zu erklären. Die Erklärungen begründen also in erster Linie den Wahnsinn des Kleomenes, der ihn am Ende seines Lebens als νοῦσος (VI, 75.1) trifft und ihn dazu bringt, auf diese grausame Art Suizid zu begehen. Dennoch bewirkt der Text zusätzlich, dass nun auch seine Freveltaten, die er während des Lebens begangen hat, vor dem Hintergrund dieser dargestellten Erklärungen stehen. Dabei weist der Text der spartanischen Erklärversion gezielt eine Sonderstellung zu, indem er sie im Ablauf seiner Darstellung von den anderen Erklärungsvarianten trennt. Sie ist auch die einzige Begründung, die sich nicht auf eine bestimmte Freveltat des Kleomenes zurückführen lässt. Dadurch, dass der Text als letzte Hypothese eine als persönliche Ansicht des Herodot markierte Erklärung anführt, nach der der Wahnsinn ebenfalls als Strafe interpretiert wird, die Kleomenes wegen seines Verhaltens gegenüber Dema- Kleomenes ’ maßvolle Zurückhaltung zeigt sich auch in seiner Reaktion gegenüber den Aigineten, die von den Athenern bei den Spartanern des Verrats an Griechenland bezichtigt werden (VI, 49.2). Denn die Aigineten sind bereit, dem Perserkönig Dareios als Zeichen der Unterwerfung Erde und Wasser zu geben (VI, 49.1); zum Übergaberitual von Erde und Wasser siehe Anm. 1484, Anm. 1491 sowie Anm. 1570. Kleomenes möchte daraufhin diejenigen in Aigina, die die meiste Schuld an diesem Vorgang haben, festnehmen lassen (VI, 50.1). Dass er kein Vorgehen gegen ganz Aigina, sondern nur gegen die Hauptschuldigen ( Αἰγινητέων τοὺς αἰτιωτάτους - VI, 50.1) plant, zeigt, dass er nicht im Wahn agiert, sondern nach Maß. Viele von den Aigineten allerdings widersetzen sich der Festnahme und Krios, einer der Aigineten, wirft Kleomenes veranlasst von Demaratos vor, er handle ohne gemeinsamen Beschluss der Spartaner, sondern bestochen durch die Athener und damit zu Unrecht, schließlich sei er ohne den zweiten König, Demaratos, vor Ort (VI, 50.2 - 3). Neben III, 148.2 ist dies die einzige Stelle in den Historien, an der explizit positiv über Kleomenes gesprochen wird (vgl. de Ste. Croix [2004], S. 422). Denn der Text bemerkt, dass sich Kleomenes hier für das Gemeinwohl Griechenlands einsetzt ( κοινὰ τῇ Ἑλλάδι ἀγαθὰ προεργαζόμενον - VI, 61.1). 1043 Vgl. dazu S. 296. 306 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="307"?> ratos leisten muss (VI, 84.3), schwächt der Text die Wirkung der kurz zuvor stehenden spartanischen Erklärung ab. Es wird auch ersichtlich, dass Kleomenes ’ furchtbares Lebensende und die Erklärungen seines Wahnsinns nicht die letzten Erwähnungen des Kleomenes sein sollen, die der Text seinen Lesern darstellen möchte. Im Gegenteil gibt der Text etwas später im sechsten Buch nochmals eine besonnene Tat dieses spartanischen Königs wieder. So wie der Text den Kleomenes also bei seinem ersten Auftritt in den Historien als verständig geschildert hat, 1044 so betont er dadurch, dass die letzte erwähnte aktive Tat des Kleomenes in den Historien besonnen und durchdacht erscheint (VI, 108.2 - 3), die positiven Charakterzüge des Kleomenes, obwohl die Leser bereits von seinen Freveltaten, seinem Wahnsinn am Lebensende und auch von seinem Hang zu ungemischten Wein erfahren haben. 1045 Vor diesem Hintergrund wird also berichtet, wie die Lakedaimonier unter der Herrschaft des Kleomenes den Plataiern einen durchdachten Rat geben. Denn die Plataier bieten an, sich den Lakedaimoniern zu unterwerfen, um von ihnen Schutz vor den Thebanern zu erlangen (VI, 108.2). Die Lakedaimonier jedoch verweisen sie an die Athener, da sie diese durch weitere Konflikte schwächen möchten (VI, 108.2 - 3). Man kann annehmen, dass Kleomenes einen großen Anteil an dieser Entscheidung hat, immerhin erwähnt der Text explizit, dass sich die Plataier an Kleomenes und die Lakedaimonier wenden ( Κλεομένεΐ τε τῷ Ἀναξανδρίδεω καὶ Λακεδαιμονίοισι - VI, 108.2), sodass auf diese Weise der König Kleomenes aus der Masse der Spartaner herausgegriffen wird. Daher kann man ihm auch durch die Entscheidung in 1044 Vgl. dazu die Ausführungen auf S. 304 f. 1045 Kleomenes wird nach dieser Schilderung in VI, 108.2 - 3 nur noch selten erwähnt: So tritt er in passiver Form nochmals in VII, 148.2 in Erscheinung. An dieser Stelle schildert der Text, wie die Argeier berichten, sie hätten das Orakel in Delphi um Rat gefragt, ob sie sich mit den Griechen gegen die Perser verbünden sollen (VII, 148.2). Begründung für diesen Schritt sei es gewesen, dass ja kurz zuvor Kleomenes 6000 Argeier getötet hat ( νεωστὶ γὰρ σφέων τεθνάναι ἑξακισχιλίους ὑπὸ Λακεδαιμονίων καὶ Κλεομένεος τοῦ Ἀναξανδρίδεω , τῶν δὴ εἵνεκα πέμπειν - VII, 148.2). Drei weitere Male wird sein Name in VII, 205.1 erwähnt, wo der Text aussagt, dass Kleomenes keinen Sohn hatte, sodass nach Kleomenes ’ und Dorieus ’ Tod Leonidas, der drittälteste Sohn des Anaxandrides, König wird, und die Ehefrau des Leonidas Kleomenes ’ Tochter ist. Die letzte Erwähnung des Kleomenes in den gesamten Historien ist in VII, 239.4 zu finden. Allerdings dient sein Name an dieser Stelle nur als Angabe des Vaters von Gorgo, über die der Text dort beschreibt, dass sie als Einzige erkennt, wie Demaratos ’ geheime Botschaft über das Vorhaben des Xerxes, gegen Griechenland zu ziehen, zu entschlüsseln ist (VII, 239.4). Doch an keiner dieser Textstellen wird Kleomenes nochmals als aktiv handelnde Persönlichkeit beschrieben, sondern er tritt nur noch in passiver Rolle in Erscheinung, sodass seine Erwähnung in VI, 108.2 die letzte in den Historien bleibt, wo der Text eine aktive Handlung des Kleomenes beschreibt. Und gerade hier handelt es sich keineswegs um die Tat eines Wahnsinnigen. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 307 <?page no="308"?> dieser Situation Voraussicht und Klugheit zuschreiben. Zumindest zeigt seine durchdachte Reaktion, dass er bei vollem Verstand ist und nicht durch übermäßigen Weinkonsum oder andere Verwirrtheit beeinträchtigt. Die positiv bewerteten Handlungen des Kleomenes zeugen davon, dass seine Taten während seines Lebens keineswegs durchgehend von Wahnsinn gelenkt sind. Natürlich könnten all seine Freveltaten auf ein gewisses hemmungsloses Verhalten zurückgeführt werden, dessen Ursprung mit Trunkenheit, hervorgerufen durch ungemischten Weinkonsum, in Verbindung stehen kann, 1046 der Text aber stellt diesen generellen Zusammenhang nicht explizit her. Dass Kleomenes (ungemischten) Wein zugeneigt gewesen ist, wird an keiner Stelle abgesehen von der Erklärung der Spartaner in VI, 84 angesprochen. Eine Erklärung für das allgemein fragwürdige Verhalten dieses spartanischen Königs liefert der Text dagegen lediglich in der Erwähnung, dass Kleomenes von Geburt an - ganz ohne Einfluss ungemischten Weins - als mental beeinträchtigt und zumindest ein wenig verrückt beschrieben wird ( ὡς λέγεται , ἦν τε οὐ φρενήρης ἀκρομανής τε - V, 42.1) 1047 . Der Text sagt zudem aus, dass Kleomenes nur aufgrund der dynastischen Legitimation in Sparta König geworden ist. Seine Leistung allein hätte ihn niemals dazu gebracht ( οὐ κατ᾽ ἀνδραγαθίην σχὼν ἀλλὰ κατὰ γένος - V, 39.1). 1048 Auch wenn sich Herodot - nach der ihm vom Text zugeschriebenen Ansicht - von der Erklärung distanziert, Kleomenes sei durch das Aneignen der Sitte, ungemischten Wein zu trinken (VI, 84), wahnsinnig geworden, wird deutlich, dass der Text und seine Rezipienten das Trinken von purem Wein als barbarisch und schädlich ansehen. Immerhin ist diese spartanische Erklärung für Kleomenes ’ Wahnsinn relativ ausführlich beschrieben. Durch die Darstellung von Kleomenes ’ Tod zeigt sich also, welche Folge von stetem ungemischten Weingenuss zu Herodots Zeit in Griechenland zumindest angenommen wurde. Die Symposia, die zwischen Kleomenes und den Skythen anzunehmen sind, werden somit als Ort dargestellt, an dem Kleomenes lernt, was ihn zugrunde richtet: auf eine fremde Art und Weise zu trinken. 4.1.3.1.3 Der ausgeglichene Amasis Das in den Historien dargestellte Trinkverhalten des ägyptischen Königs Amasis hat eine ganz andere Wirkung auf dessen Verhalten, als es bei Kambyses und Kleomenes der Fall ist. Laut der Historien verhält sich Amasis 1046 Zu den Auswirkungen von Wein siehe Kap. 2.2.3.4. 1047 Zur Bedeutung von ἀκρομανής vgl. Anm. 1009. 1048 Kleomenes ist der erstgeborene Sohn des Anaxandrides (V, 42.2). Sein jüngerer Halbbruder Dorieus dagegen wäre laut Text als König charakterlich besser geeignet gewesen (V, 42.1). 308 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="309"?> jeden Tag gleich. Vormittags bemüht er sich eifrig ( προθύμως - II, 173.1), alle anfallenden Aufgaben zu erledigen ( ἔπρησσε τὰ προσφερόμενα πρήγματα - II, 173.1), um dann am Nachmittag dazu übergehen zu können, mit seinen Trinkgefährten zusammen zu trinken und zu scherzen ( ἔπινέ τε καὶ κατέσκωπτε τοὺς συμπότας - II, 173.1). Während er also am Vormittag sehr arbeitsam ist, lässt er am Nachmittag seine Pflichten ruhen und verbringt die Zeit zusammen mit seinen Zechgenossen in lustiger Stimmung ( ἦν μάταιός τε καὶ παιγνιήμων - II, 173.1). 1049 Durch die Verwendung von οἱ συμπόται (II, 173.1), wodurch die Trinkgefährten im Text beschrieben werden, wird die besondere Gemeinschaft und damit Vertrautheit innerhalb der Gruppe hervorgehoben, die bei einem solchen Treffen vorherrscht. 1050 Der Text legt nahe, dass hier als Kontext das bekannte typisch griechische Symposion vorzustellen ist, da keine weiteren Ausführungen über Raum, Ablauf oder Gäste gemacht werden. Als Art des Getränks wird daher Wein impliziert. Entscheidend ist in erster Linie ohnehin der Grund, weshalb Amasis so häufig Symposia veranstaltet. Seine Freunde kritisieren ihn wegen seines nachlässigen Verhaltens am Nachmittag, da dies nicht der Lebensweise eines Königs entspreche (II, 173.2). 1051 Amasis solle stattdessen ehrwürdig auf ehrwürdigem Thron sitzen und sich den ganzen Tag seinen Aufgaben widmen ( σὲ γὰρ ἐχρῆν ἐν θρόνῳ σεμνῷ σεμνὸν θωκέοντα δι᾽ ἡμέρης πρήσσειν τὰ πρήγματα - II, 173.2) 1052 , um zu beweisen, dass er als bedeutender Mann über die Ägypter 1049 Auf Ähnlichkeiten und Unterschiede von den im Text geschilderten Trinkverhalten der beiden ägyptischen Könige Amasis und Mykerinos gehe ich bereits in Kap. 3.3.2 ein. 1050 Zur Bedeutung von ὁ συμπότης vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.5.1. Auffällig ist, dass die Rezipienten später erfahren, dass auch Amasis ’ Sohn Psammenitos Symposia abgehalten hat. Dies macht der Text daran deutlich, dass er beschreibt, wie nach Psammenitos ’ Verhaftung zufällig einer seiner Sympotai, der seinen ganzen Besitz verloren hat, an ihm vorbeigeht, wobei Psammenitos wegen dessen Schicksals heftig zu weinen beginnt (III, 14.7). Hier wird deutlich, wie intensiv die Beziehung zwischen Psammenitos und seinen Sympotai war und wie stark ihre Gemeinschaft (siehe für diese Erzählung ausführlicher Kap. 2.2.4.2 sowie Anm. 969). Diese starke Verbindung und Gemeinschaft kann demnach auch für seinen Vater Amasis und seine Mitsymposiasten angenommen werden. 1051 Müller (2006d, S. 197) weist darauf hin, dass Amasis ’ Leben aus dem Blickwinkel seiner Philoi „ als das Leben eines Taugenichts charakterisiert “ werde. Aus ihrer Sicht entspricht das tägliche Entspannen beim Trinkgelage demnach dem Verhalten eines nichtsnutzigen Menschen. 1052 Durch die Wiederholung von σεμνός in Kombination mit den Worten θρόνος und θωκέειν , die miteinander bedeutungsverwandt sind, in chiastischer Stellung ( ἐν θρόνῳ σεμνῷ σεμνὸν θωκέοντα - II, 173.2) wird intensiv betont, für wie wichtig die Philoi ein ehrwürdiges, erhabenes Verhalten für einen König halten; vgl. dazu σεμνός in LSJ, S. 1591: „ ( σέβομαι ) revered, august, holy [ … ] II. of human or half-human beings, reverend, august, [ … ] Hdt. 2.173 [ … ] “ . Einen Kontrast zu diesem ehrwürdigen Verhalten sehen die 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 309 <?page no="310"?> herrsche, und damit besser über ihn gesprochen werde ( καὶ οὕτω Αἰγύπτιοί τ᾽ ἂν ἠπιστέατο ὡς ὑπ᾽ ἀνδρὸς μεγάλου ἄρχονται καὶ σὺ ἄμεινον ἤκουες - II, 173.2). Amasis hält es jedoch vor allem für wichtig, sich genügend Zeit für Erholung zu gönnen (II, 173.3 - 4). Zur Veranschaulichung legt der Text Amasis ein Gleichnis in den Mund: Ein Bogen, der gespannt werde, müsse nach Gebrauch entspannt werden, um nicht abzubrechen (II, 173.3). Ebenso verhalte es sich auch mit dem menschlichen Leben. Wenn jemand stets nur angestrengt und eifrig arbeite, Spiel und Spaß aber keinen Anteil gebe ( εἰ ἐθέλοι κατεσπουδάσθαι αἰεὶ μηδὲ ἐς παιγνίην τὸ μέρος ἑωυτὸν ἀνιέναι - II, 173.4) - und sich somit nicht entspannt - , dann werde er ohne es zu bemerken verrückt werden oder die Besinnung verlieren ( λάθοι ἂν ἤτοι μανεὶς ἢ ὅ γε ἀπόπληκτος γενόμενος - II, 173.4). 1053 Diese nötige Entspannung findet Amasis also im Symposion, wo er nach getaner Arbeit seine Kräfte für den nächsten Tag wieder regenerieren lassen kann. Dadurch wird ersichtlich, dass beim Symposion für Amasis die vorherrschende intensivierte Wahrnehmung des Augen- Philoi in Amasis ’ Gewohnheit, sich nur vormittags um die Staatsgeschäfte zu kümmern und danach die Zeit mit Symposia zu verbringen (II, 173.1). Das Abhalten von Symposia ist aus ihrer Sicht in diesem Ausmaß, wie Amasis dies betreibt, unehrenhaft und unköniglich. Für σεμνός ist zudem eine negative Bedeutungsnuance im Sinne von ‚ hochmütig ‘ bezeugt und auch ironisch wird es verwendet (vgl. σεμνός in LSJ, S. 1591: „ III. in bad sense, proud, haughty [ … ] 2. in contempt or irony, solemn, pompous “ ). Dies ist hier beides inhaltlich zwar zu verwerfen, aber es ist nicht auszuschließen, dass der Text durch die Verwendung dieses zweideutigen Wortes darauf hinweisen möchte, dass der Rat der Philoi für Amasis ’ Regierungszeit nicht zielführend ist. Denn wie in der weiteren Analyse dieses Kapitels gezeigt werden soll, erweist sich Amasis gerade dadurch, dass er sich so verhält, wie er es gewohnt ist - denn er verändert sein Verhalten nicht - als erfolgreicher und guter König. Dafür spricht auch der Kontext der zweiten Textstelle in den Historien, in der das Adjektiv σεμνός verwendet wird. Im siebten Buch wird davon berichtet, wie der Seher Onomakritos durch seine Orakelsprüche dazu beiträgt, Xerxes zum Feldzug gegen die Griechen zu überreden (VII, 6.4 - 5). Denn er beschränkt sich darauf, nur Vorteilhaftes zu prophezeien und übergeht Vorhersagen, wenn sie Schädliches für die Perser enthalten (VII, 6.4). Die Peisistratiden rühmen nun seine Worte als σεμνούς ( λεγόντων τῶν Πεισιστρατιδέων περὶ αὐτοῦ σεμνοὺς λόγους - VII, 6.4). Der Leser weiß, dass der Feldzug der Perser gegen die Griechen scheitern wird. So wird zwar auch hier σεμνός vordergründig im positiven Sinn als ‚ ehrwürdig ‘ bzw. ‚ ehrenhaft ‘ verwendet, da die Peisistratiden Onomakritos ’ Prophezeiungen ja befürworten, aber da dem Leser bereits klar ist, dass Onomakritos ’ Worte dazu beitragen, Xerxes von einem Unternehmen zu überzeugen, das scheitern wird, wird auch hier der doppelte Sinn von σεμνός erkennbar. Denn σεμνός kann hier ebenso im ironischen oder negativen Sinne aufgefasst werden, sodass Onomakritos ’ Worte weniger als ‚ ehrbar ‘ als vielmehr als ‚ hochmütig ‘ bewertet werden. 1053 Zu Ursprung und Nachwirkung des Bogenmotivs sowie zur Interpretation dieses Bogengleichnisses siehe Müller (1996); Müller (2006d), bes. S. 197 f., S. 214 - 224. 310 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="311"?> blicks im Mittelpunkt steht, die ihn für diese Zeit die Pflichten des Vormittags vergessen lässt.Darin stimmt Amasis ’ Verständnis von Symposia mit dem typisch griechischen Symposion überein. 1054 Sein Trinkverhalten wird in den Historien offensichtlich einseitig aus griechischer Sichtweise interpretiert. Dass Amasis ’ Hang zum Trinken auch aus tieferen - z. B. religiösen - Gründen aus ägyptischer Sicht erklärbar sein könnte, erwähnt der Text nicht. 1055 Auch dass die nachmittäglichen Symposia dem Amasis nicht nur als Orte der Entspannung von Nutzen sind, sondern auch als Orte der sozialen Kontrolle, entspricht den griechischen Symposionskonventionen. So hebt der Text hervor, dass Amasis mit seinen Trinkkameraden zusammen trinkt und scherzt ( ἔπινέ τε καὶ κατέσκωπτε τοὺς συμπότας - II, 173.1), und macht damit deutlich, dass Amasis beim Trinken nicht unbeobachtet ist, sondern sich gleichsam der Kontrolle einer ‚ Peergroup ‘ unterwirft. Anders als Kambyses, über den der Text kein Trinken in Gemeinschaft erwähnt, sondern lediglich seinen zu starken Hang zum Wein (III, 34.2), und als Kleomenes, dessen Trinkgemeinschaft mit den barbarischen Skythen ein schädliches Verhalten zur Folge hat (VI, 84.3), trinkt Amasis zusammen mit seinen Mitsymposiasten in angenehmer und erholsamer Atmosphäre. Für ein solch gelingendes Symposion ist im sozialen Zusammenhang die Gleichheit unter den Symposiasten vorausgesetzt. 1056 Aufgrund dessen bietet der Text durch die Erwähnung der gelingenden nachmittäglichen Symposia des Amasis eine implizite Erklärung dafür, wie diese Amasis dabei helfen, nicht zum Despoten zu werden. Denn er bewahrt sich gerade durch die Erholung, die er bei seinen Symposia erhält, und dadurch, dass er dort unter sozialer Kontrolle steht, davor, unbemerkt wahnsinnig ( λάθοι ἂν ἤτοι μανεὶς - II, 173.4) zu werden. 1057 Damit unterscheidet er sich stark von den Despoten Kleomenes und Kambyses. 1058 Im Gegensatz zu Kambyses und Kleomenes, von deren starken Weinkonsum die jeweiligen Untertanen berichten, sind es bei Amasis die Philoi (II, 173.2 / 1054 Vgl. dazu Rösler (1995, S. 108), der hervorhebt, dass sich das griechische Symposion sowohl äußerlich als auch innerlich vom alltäglichen Leben abhebt, „ and consequently, it is from this conception that the sympotai were required to give up their mental disposition of everyday life, including dissembling, tactical considerations and inaccuracies. “ Vgl. dazu besonders die Ausführungen in Kap. 2.2.3.6.1. 1055 Vgl. dazu bereits S. 229 sowie Anm. 788. Gemäß einer ägyptischen Tradition kann Amasis ’ Trinkverhalten sogar als Zeichen eines guten, friedfertigen Königs angesehen werden (vgl. dazu die Ausführungen und Verweise von Müller [2006d], S. 210). 1056 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.2. 1057 Vgl. dazu, dass sich Amasis in der Darstellung von Herodots Historien durch Klugheit und Voraussicht auszeichnet, auch die Ausführungen von Schelske (2021), S. 235 - 239. 1058 Siehe für Kambyses die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.1 und für Kleomenes in Kap. 4.1.3.1.2. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 311 <?page no="312"?> II, 173.4), die ihn zwar nicht wegen des Weinkonsums direkt kritisieren, aber der Meinung sind, er müsse während des ganzen Tages seine volle Aufmerksamkeit den königlichen Aufgaben widmen (II, 173.2). Trinken und Scherzen widersprechen aus ihrer Sicht also offensichtlich dem typischen königlichen Verhalten. Seine Philoi sind darüber zwar verärgert ( ἀχθεσθέντες- II, 173.2), dennoch kann ihre Kritik weniger als Vorwurf, sondern vielmehr als Rat angesehen werden, der ihrer Meinung nach richtig ist. Schließlich ist es das Ziel von Philoi, dass es ihren Philoi gut geht. 1059 Dass die Kritik aus dem engen Umfeld des Amasis stammt, zeigt, dass die Ägypter mit Amasis ’ Herrschaft zumindest in der Darstellung der Historien insgesamt zufrieden zu sein scheinen, 1060 sodass sie an seinem Verhalten, auch wenn er sehr häufig an Gelagen teilnimmt, nichts auszusetzen haben. Außerdem zeigt dies, dass Amasis auch außerhalb der Symposia durch seine Philoi unter sozialer Kontrolle steht. Bei den despotischen Herrschern Kleomenes und Kambyses wiederum werden solche beratenden oder gar kritisierenden nahestehenden Philoi nicht erwähnt, die sie in Schranken weisen könnten. Dass Amasis auf die Kritik seiner Philoi an seinem Trinkverhalten antwortet, Symposia seien für ihn wichtig, um eben nicht wahnsinnig zu werden (II, 173.3 - 4), zeigt, dass er diese Trinkgelage bewusst veranstaltet und weiß, weshalb sie ihm nutzen. Er lässt sich daher in diesem Punkt durch nichts in die Schranken weisen, weder als König durch die Kritik seiner Freunde noch in früherer Zeit, als er noch kein König war, durch finanzielle Engpässe. Denn bereits zu dieser Zeit hat er sehr gerne getrunken und es dafür sogar in Kauf genommen, Diebstähle zu begehen (II, 174.1). 1061 Mit Blick auf die herodoteische Darstellung bezeichnet Carl Werner Müller Amasis passenderweise als ‚ pícaro ‘ bzw. ‚ Schelm ‘ , was letztlich durch diese Anekdote manifestiert wird. 1062 Insgesamt charakterisieren Amasis ’ Lebensweise „ Trinkfreude, Spottlust, ausgelassene Schwelgereien, Arbeitsscheu und - vor dem Glücksfall der Erwählung zum König - die Beschaffung der zu solchem Leben notwendigen Mittel von Fall zu Fall durch Diebstahl und ähnliche Gaunereien “ 1063 . Dass Amasis aber 1059 Siehe dazu Kap. 2.1.1.2.1, bes. Anm. 68 bzw. III, 124.1 / VI, 136.2 in Herodots Historien. 1060 In II, 177.1 erwähnt der Text, dass sich Ägypten unter Amasis ’ Herrschaft in einer besonders glücklichen Lage befindet ( μάλιστα δὴ τότε εὐδαιμονῆσαι - II, 177.1). 1061 Anhand dieser Diebstähle erklärt der Text auch, weshalb Amasis nur manchen Orakeln vertraut (II, 174). So gelingt es Amasis, die tatsächlich wahren Orakel ausfindig zu machen und verhindert somit, durch trügerische Orakelsprüche getäuscht zu werden. Die falschen Orakel meidet er und um die richtigen Orakel kümmert er sich. So bemerkt Lloyd (1988, S. 214): „ [ … ], the story does leave us with the firm conviction that Amasis, once king, showed a clear and uncompromising perception of justice. “ 1062 Müller (2006d), S. 198 f. 1063 Ebd., S. 199. 312 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="313"?> mehr ist „ als ein Saufbold, Spottvogel und kleiner Dieb “ 1064 , wird an der „ immer wieder aufscheinende[n] Weisheit des Schelms “ 1065 in der Gesamtdarstellung von Amasis in Herodots Historien deutlich. 1066 Dass er generell kein habgieriger Mensch ist, zeigt sich an den vielen Stiftungen und Spenden, die Amasis als König leistet. 1067 So wird ersichtlich, dass die Diebstähle für ihn nur den Zweck hatten, sich seine Trinkgelage zu finanzieren, und eben nicht, mehr Reichtum zu erlangen. Jetzt als König ist er nicht mehr auf Diebstähle angewiesen und unterlässt sie daher. Daran zeigt sich aber auch sein hartnäckiger und eigensinniger Charakter, der es Amasis zuvor ermöglicht hat, vom Bürger aus einfachen Verhältnissen (II, 172.2) zum König der Ägypter aufzusteigen, auch wenn er selbst nicht der Initiator des Putsches war, sondern sozusagen zum „ Erwählten “ 1068 für das Königtum wird. 1069 Denn als einige Ägypter gegen ihren König Apries aufbegehren, wird Amasis als Bote von Apries, in dessen Dienst er damals steht, geschickt, um zu vermitteln. Als einer der Aufrührer ihm den Helm auf den Kopf setzt und ihm damit zu verstehen gibt, dass er König werden soll, 1070 ist er rasch dazu entschlossen ( καὶ τῷ οὔ κως ἀεκούσιον ἐγίνετο τὸ ποιεύμενον , ὡς διεδείκνυε - II, 162.2), sich gegen Apries zu stellen (II, 162.1 - 2). Wenig später besiegt er die Soldaten des Apries und wird als Mann des einfachen Volkes zum König (II, 169.1 - 2). An dieser Episode wird wiederum deutlich, dass Amasis, auch wenn er nicht der 1064 Müller (2006d), S. 199. 1065 Ebd. 1066 Siehe dazu insgesamt Müller (2006d), S. 198 f. 1067 So spendet Amasis den Delphern für den Bau des Tempels in Delphi 1000 Talente Alaun (II, 180); dazu kommen auch mehrere Weihgeschenke, die er nach Griechenland schicken lässt (II, 182); später erwähnt der Text, dass Amasis den Lakedaimoniern einen Brustpanzer geschenkt hat, der von Samiern geraubt wird (III, 47.1 - 2), und einen weiteren dem Heiligtum der Athene in Lindos stiftet (II, 182.1 / III, 47.3). Natürlich kann dahinter eine politische Taktik vermutet werden, mit der Amasis versucht, so viele Verbündete wie möglich gegen die wachsende persische Macht zu gewinnen (vgl. Austin [1990], S. 293; Kaplan [2016], S. 148 f. bzw. Anm. 1077 in der vorliegenden Arbeit). Der Text selbst erwähnt ein solches Ansinnen nicht. Auch in Ägypten spart Amasis nicht an großzügigen Aufwendungen für Kultstätten (II, 175 - 176). 1068 Müller (2006d), S. 192. 1069 Vgl. ebd. Müller (ebd.) sieht in der „ Überlegenheit des Erwählten, der sich des Erfolges sicher sein darf “ , den Grund dafür, dass sich Amasis als erfolgreicher und guter König erweist. Zudem entspricht Amasis „ der Vorstellung eines Volkskönigs “ (ebd., S. 201). Denn er „ kommt aus dem Volk und wird vom Volk zum König gemacht “ (ebd., S. 201). So „ erliegt [er] nicht der Gefahr der Selbstüberschätzung des Gottkönigs, und er bewahrt sich seine Nähe zum Volk über seine Erhebung zum König hinaus “ (ebd.). 1070 Der Helm wird zum Symbol für den „ Königshelm als Herrschaftsattribut “ (Müller [2006d], S. 191/ Anm. 8). Der ganze Vorgang ist ein Vorgang der „‚ Erwählung ‘“ (ebd., S. 192). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 313 <?page no="314"?> Initiator des Putsches ist, generell schnell bereit ist, Grenzen zu überschreiten. Dieses Mal betrifft es nicht sein Trinkverhalten, sondern den politischen Bereich. Amasis ’ Abstammung allerdings führt dazu, dass er zunächst als König nicht anerkannt wird (II, 172.2). Durch seine Klugheit und seinen einsichtigen Verstand kann er das skeptische Volk aber schließlich von sich überzeugen. 1071 Dies gelingt ihm ohne Gewalt mithilfe eines schlau durchdachten Plans ( μετὰ δὲ σοφίῃ αὐτοὺς ὁ Ἄμασις καὶ εὐγνωμοσύνῃ προσηγάγετο - II, 172.2). 1072 Damit erweist er sich insgesamt als Gegenbild zu einem Tyrannen, wie ihn später Otanes in seiner Kritik an der Alleinherrschaft charakterisiert (III, 80.2 - 5). 1073 So 1071 In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Darstellung von Amasis in den Historien stark von der des Samiers Maiandrios, an den die Herrschaft über Samos von Polykrates delegiert worden sei (III, 142.1). Dieser Maiandrios stammt ebenfalls aus keiner angesehenen Familie, möchte sich nach Polykrates ’ Tod aber - im Gegensatz zu Amasis - aus eigener Initiative Vorrechte für sich erwerben (III, 142.3 - 4). Er wird allerdings von der Bevölkerung nicht nur skeptisch beäugt, sondern abgelehnt, da er aus einer niederen Familie stammt und - wieder im Gegensatz zu Amasis - auch noch ein moralisch verdorbener Mensch sei ( Ἀλλ᾽ οὐδ᾽ ἄξιος εἶς σύ γε ἡμέων ἄρχειν , γεγονώς τε κακῶς καὶ ἐὼν ὄλεθρος - III, 142.5). 1072 So gelingt es ihm, durch eine kluge Aktion ohne jegliche Gewalt, die Gunst seiner Untertanen zu gewinnen: Er gestaltet sein Fußbecken in ein Götterbild um und stellt es in der Stadt auf (II, 172.3). Die Ägypter kommen zu diesem Bild und verehren es (II, 172.3). Amasis zieht einen Vergleich zu sich selbst: Er sei wie dieses Fußbecken, das jetzt verehrt werde, in das zuvor aber gespien, uriniert und in dem Füße gewaschen wurden; denn er war zuvor nur einer aus dem Volk und sei jetzt ihr König (II, 172.4 - 5). So fordert er die Ägypter nun auf, ihn zu verehren und Respekt zu zollen ( καὶ τιμᾶν τε καὶ προμηθέεσθαι ἑωυτὸν ἐκέλευε - II, 172.5). Auf diese Weise erreicht er, dass die Ägypter es für richtig halten, ihm zu dienen ( τοιούτῳ μὲν τρόπῳ προσηγάγετο τοὺς Αἰγυπτίους ὥστε δικαιοῦν δουλεύειν - II, 172.5). Müller (2006d, S. 195) bemerkt, dass sich diese Lehre des Amasis in zwei Schritten vollziehe: Erstens bringe Amasis als „ der Schelm, der sich zu helfen weiß, “ seine Tischgenossen dazu, zu tun, was sie vorher nicht wollten, ohne es zu wissen, und zweitens gelingt es ihm, diese als „ der Weise “ durch die „ Offenlegung des Zusammenhangs “ einsichtig zu machen und „ den anmaßenden Stolz der Vornehmen zunichte [zumachen]. “ Bereits „ Amasis ’ Aufstieg auf den Thron wird beschrieben als Resultat sorgfältiger Planung “ (Schelske [2021], S. 237). 1073 Amasis wird ebenso wie auch die persischen Großkönige Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes in Herodots Historien nie direkt als τύραννος bezeichnet (dazu Dewald [2003], S. 33). In Otanes ’ Darstellung allerdings werden die Ausdrücke τύραννος (III, 80.4) und μούναρχος (III, 80.2+6; bzw. μουναρχίη in III, 80.3+6) in Verbindung verwendet und damit auf alle Alleinherrscher bezogen (vgl. Dewald [2003], S. 35 f.). Otanes führt in seiner allgemeingültigen negativen Charakterisierung des Alleinherrschers als Beispiel Kambyses an (III, 80.2). So zeigt der Text an dieser Stelle, wie sehr sich Amasis und Kambyses in der Darstellung der Historien unterscheiden. Zwar wird Kambyses in den Historien nie direkt als Tyrann bezeichnet, aber dennoch ist es möglich, an ihm und auch den anderen persischen Großkönigen in den Historien despotische Züge zu erkennen (vgl. dazu Dewald [2003], S. 33). Indirekt werden die persischen Großkönige ohnehin als 314 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="315"?> geht er auch später nie gewalttätig gegen seine Untertanen vor. Im Gegenteil - Amasis bleibt sich treu, stets volksnah und verfällt eben nicht in Hybris, obwohl er zum König aufsteigt. 1074 Amasis ’ Milde ist ganz besonders daran erkennbar, dass er Apries nach seinem Sieg am Leben lassen möchte und ihn auch einige Zeit versorgt. Nur deshalb, weil die Ägypter darüber unwillig werden ( τέλος δὲ μεμφομένων Αἰγυπτίων ὡς οὐ ποιοῖ δίκαια τρέφων τὸν σφίσι τε καὶ ἑωυτῷ ἔχθιστον - II, 169.3), liefert er ihn den Ägyptern schließlich aus. Von diesen wird Apries dann auch getötet - nicht von Amasis (II, 169.3). 1075 τύραννοι bezeichnet. Denn, als die Spartaner die Athener davor warnen, auf Alexanders Rat zu hören (VIII, 142), sich mit Xerxes zu verbünden (VIII, 140), sagen sie über Alexander: als Tyrann helfe er einem Tyrannen ( τύραννος γὰρ ἐὼν τυράννῳ συγκατεργάζεται - VIII, 142.5). Xerxes selbst bezeichnet seine eigene Herrschaft ebenfalls als Tyrannis ( σῷζε οἶκόν τε τὸν ἐμὸν καὶ τυραννίδα τὴν ἐμήν - VII, 52.2) (vgl. Dewald [2003], S. 33, S. 41). Eine Tyrannis bzw. ein Tyrann ist in den Historien demnach nicht immer negativ konnotiert, sondern wird häufig auch als Synonym für ἀρχή bzw. βασιλεύς verwendet (vgl. dazu Dewald [2003], S. 40 f. mit weiteren Beispielen). Zur allgemeinen Darstellung von Tyrannen bei Herodot siehe z. B. Diesner (1960) sowie Dewald (2003) im Gesamten. 1074 Laut Otanes befällt jeden, der zum Alleinherrscher wird, auch wenn er noch so weise ist, Übermut wegen seines Besitzes ( ἐγγίνεται μὲν γάρ οἱ ὕβρις ὑπὸ τῶν παρεόντων ἀγαθῶν - III, 80.3) und seine Gesinnung verändert sich zwangsweise ( καὶ γὰρ ἂν τὸν ἄριστον ἀνδρῶν πάντων στάντα ἐς ταύτην τὴν ἀρχὴν ἐκτὸς τῶν ἐωθότων νοημάτων στήσειε - III, 80.3). Dazu komme Neid, der dem Menschen von Natur aus gegeben sei ( φθόνος δὲ ἀρχῆθεν ἐμφύεται ἀνθρώπῳ - III, 80.3). Aus Neid und Hybris begehen Alleinherrscher nach Otanes ’ Darstellung viele Freveltaten ( τὰ μὲν γὰρ ὕβρι κεκορημένος ἔρδει πολλὰ καὶ ἀτάσθαλα , τὰ δὲ φθόνῳ - III, 80.4). Gewalttätig und ungerecht gehe dieser auch gegen seine Untertanen vor (III, 80.5). Auf die Darstellung des klugen und gemäßigten Amasis in Herodots Historien aber passt diese negative Charakterisierung nicht; vgl. dazu auch Müller (2006d, S. 201), der den einsichtigen und milden Amasis seinem brutalen Vorgänger Apries gegenüberstellt; siehe dazu Anm. 1075. Amasis ’ Charakter ändert sich auch als Alleinherrscher nicht, was auch daran ersichtlich wird, dass er nach wie vor beim Trinken Entspannung sucht. Weil er nun auf Diebstähle verzichten kann, verändert sich sein Charakter sogar ins Positive. 1075 Siehe dazu auch Müller (2006d, S. 201), der auf den Kontrast zwischen Amasis ’ „ Einsicht, Milde und Tatkraft “ und Apries ’ „ Brutalität, Anmaßung und Wahnvorstellung “ hinweist; schließlich lässt Apries in der Darstellung der Historien Patabermis, als dieser ohne Amasis, den er zu holen beauftragt war (II, 162.3), zu ihm zurückkehrt, verstümmeln (II, 162.5). Amasis ’ Milde und Nachsicht zeigen sich darüber hinaus auch ein weiteres Mal in den Historien. In II, 175.3 - 5 berichtet der Text, dass Amasis einen aus Stein gehauenen Tempel, der in II, 175.3 als οἴκημα bezeichnet wird (vgl. dazu Lloyd in Asheri et. al. [2007, S. 371]: „ clearly a naos. “ ), aus Elephantine nach Saïs bringen lässt. Als der Baumeister aber, während dieser Tempel gezogen wird, aufgrund des inzwischen hohen zeitlichen Aufwands und der Mühe unwillig geworden, laut aufseufzt ( τὸν ἀρχιτέκτονα αὐτῆς ἑλκομένης τῆς στέγης ἀναστενάξαι οἷά τε χρόνου ἐγγεγονότος πολλο ῦ καὶ ἀχθόμενον τῷ ἔργῳ - II, 175.5), reagiert Amasis einfühlsam ( τὸν δὲ Ἄμασιν ἐνθύμιον ποιησάμενον - 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 315 <?page no="316"?> Dass sich Amasis sowohl innenals auch außenpolitisch als erfolgreicher Staatsmann erweist und somit als guter Herrscher, beweist, dass die häufigen Symposia seine politischen Fähigkeiten nicht einschränken, sondern vielleicht sogar erweitern, indem sie eben durch maßvolle Erholung und soziale Kontrolle verhindern, dass er in despotische Charakterzüge verfällt und unbemerkt wahnsinnig wird (II, 173.4). Innenpolitisch erweist er sich als geschickt, da er laut der Historien ein Gesetz eingeführt hat, das Solon wohl für so brauchbar hält, dass er es später auch in Athen einführt (II, 177.2). 1076 Außenpolitisch zeigt er sich besonders zukunftsorientiert und wirkt dadurch fremden Kulturen und dabei besonders den Griechen gegenüber freundlich gesinnt ( φιλέλλην δὲ γενόμενος ὁ Ἄμασις - II, 178.1). 1077 So verbündet er sich mit Kyrene ( φιλότητά τε καὶ συμμαχίην συνεθήκατο - II, 181.1) 1078 und heiratet auch eine Frau von Kyrene, um dieses Bündnis zu festigen (II, 181.1 - 2). 1079 Mit Polykrates von Samos geht er sogar ein Xenia-Bündnis ein (II, 182.2 / III, 39.2). 1080 Anhand II, 175.5) und gesteht ein, dass der Tempel nicht mehr weiter gezogen werden muss (II, 175.5), anstatt mit Gewalt seinen Willen durchzusetzen. 1076 Dass Solon auf seinen Reisen auch nach Ägypten zu Amasis kommt, wird im ersten Buch der Historien bereits angesprochen (I, 30.1), wobei dieses Treffen zwischen Amasis und Solon historisch mit äußerster Vorsicht betrachtet werden muss (vgl. Asheri et al. [2007], S. 372). Durch die Darstellung der Historien, Amasis sei der Urheber dieses Gesetzes, hebt der Text hervor, wie erfolgreich sich Amasis als Staatsmann erweist, der nicht nur durch seine Bauwerke und Großzügigkeiten auffällt, sondern auch im innenpolitischen Bereich so erfolgreich regiert, dass sogar Solon ein von ihm eingeführtes Gesetz mit nach Athen bringt. 1077 Vgl. dazu II, 180 / II, 182 / III, 47.3 bzw. Anm. 1067. Zudem erwähnt der Text, dass Amasis den Einwanderern aus Griechenland eine eigene Stadt, Naukratis, zu Verfügung stellt, damit sie sich dort ansiedeln können, und dass er den griechischen Händlern Altäre und heilige Bezirke für ihre Götter einrichten lässt (II, 178.1). Amasis ’ Wohlwollen gegenüber den Griechen hatte wohl auch damit zu tun, dass nach dem Fall der Lyder und Babylons die Gefahr, die von Persien ausging, immer drohender für Ägypten wird, sodass Amasis Bündnispartner benötigte und daher auch besonders darauf bedacht war, mit den Griechen Bündnisse zu schließen (vgl. dazu Austin [1990], S. 293; Kaplan [2016], S. 148 f.). Mit den Lydern unter Kroisos hatte Amasis zuvor ein Bündnis geschlossen (I, 77.2). Der Text selbst erwähnt allerdings nicht, dass sich Amasis durch seine Bündnisse vor einer persischen Übermacht zu wappnen versuchte. 1078 Zur Bedeutung von φιλότης siehe Anm. 43 und 86. 1079 Vgl. dazu Kaplan (2016), S. 148. 1080 Zur Frage, ob es sich bei der Xenia-Verbindung zwischen Amasis und Polykrates um eine persönliche Beziehung oder ein militärisches bzw. politisches Bündnis handelt, siehe Kaplan (2016), bes. S. 136 f. mit Literaturverweisen sowie Schelske (2021), bes. S. 238. Dieses Bündnis wird teilweise damit begründet, dass Amasis eine Verteidigung zur See gegen Persien aufzubauen plant (vgl. dazu Austin [1990], S. 293; Wallinga [1991], S. 183 sowie Anm. 1077). Kaplan (2016, S. 149) betont, dass es zwar ungewiss sei, ob Polykrates ’ Flotte dazu in der Lage gewesen wäre, „ but it seems reasonable to suppose that Amasis wished to pen the Persians in along the Anatolian littoral “ (ebd.; siehe dazu auch ebd., 316 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="317"?> dieser gastfreundschaftlichen Verbindung gelingt es dem Text, Amasis ’ vorausschauendes und besonnenes Denken auf besondere Art und Weise zu veranschaulichen. Denn Amasis zeigt sich auch deshalb als besonders verständig, da er sich selbst als Herrscher der Vergänglichkeit des Glücks und der Wandelbarkeit des Schicksals bewusst ist, was ein zentraler Gedanke in Herodots Historien ist. 1081 Auch hieran wird ersichtlich, dass er nicht in despotische Denkmuster verfällt. Amasis wird zum Gegenbild des in den Historien dargestellten Kroisos, der sich in seiner Zeit als lydischer König dessen nicht bewusst ist und übermütig agiert. 1082 Dass sich das Schicksal plötzlich wenden kann, weiß Amasis durch seine eigene Lebensgeschichte. Denn er selbst ist ja nur durch Zufall von Soldaten ausgewählt worden, sodass er vom Privatmann zum Herrscher über die Ägypter aufsteigen konnte (II, 162.1 - 2). Nun macht er sich Sorgen darüber, dass sein Gastfreund Polykrates stets vom Glück verfolgt wird, und gibt ihm Ratschläge, wie er seinem Schicksal - dem baldigen Sturz ins Unglück - entgehen könne (III, 40). Da Polykrates ’ Glück nach wie vor anhält (III, 42), zieht Amasis Konsequenzen und sieht sich gezwungen, die Gastfreundschaft aufzulösen, um nicht mit Polykrates mitleiden zu müssen, wenn sich dessen Schicksal wendet (III, 43). 1083 Für die Darstellung der Historien ist daher die persönliche Gastfreundschaft S. 151). König (1989, S. 332) weist u. a. darauf hin, dass aufgrund dessen, dass sich Amasis und Polykrates wohl niemals persönlich trafen, ein „ rein privater Charakter “ dieser Gastfreundschaft abgelehnt werden könne. Für eine genaue Untersuchung zu dieser Xenia zwischen Amasis und Polykrates auch mit Blick auf deren Ziel und Auflösung (dazu auch Anm. 1084) siehe König (1989) im Gesamten. Doch explizit erwähnt der Text in Herodots Historien keine politische Dimension dieses Xenia-Bündnisses; vgl. dazu Austin (1990, S. 293): „ Without doubt there is more politically to the story than Herodotus realized “ . Aber auch „ von persönlicher Sympathie ist keine Rede “ , wie Schelske (2021, S. 268) bemerkt. Kaplan (2016, S. 140) sieht in dieser Xenia-Verbindung letztlich ein Bündnis, das zumindest aus Sicht des Polykrates, der als Grieche mit der griechischen Auffassung von Xenia vertraut war, auf einer persönlichen Beziehung beruhte. Für Xenia in der Bedeutung ‚ Bündnis ‘ siehe Kap. 2.1.1.2.2; dafür, dass bei der Verwendung des Xenia-Begriffs in den Historien aber nicht generell von einem politischen Bündnis ausgegangen werden kann, siehe Anm. 91. 1081 Zum Aspekt der Vergänglichkeit eines momentan glücklichen Zustands in Herodots Historien siehe Anm. 625. 1082 Schließlich ist sich Kroisos sicher, selbst der glücklichste aller Menschen zu sein, obwohl ihn Solon darauf hinweist, dass dies erst nach einem guten Lebensende beurteilt werden könne (I, 30 - 33). Später verliert Kroisos seine Herrschaft und beinahe sein Leben. Erst auf dem Scheiterhaufen erkennt er, dass Solon recht hat (I, 86). Vgl. zu dieser Gegenüberstellung Müller (2006d), S. 213 f. Auch die Perserkönige Kyros, Kambyses, Dareios und Xerxes stürzen jeweils durch übermütige Aktionen und Fehleinschätzungen von größter Macht in unglückliche Niederlagen (vgl. Dewald [2003], S. 33 - 35). 1083 Müller (2006d, S. 215) rechnet Amasis ’ Tat, die Lösung der Freundschaft mit Polykrates, obwohl Polykrates noch in glücklichen Lebensumständen lebt, um später „ nicht vom 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 317 <?page no="318"?> zwischen Amasis und Polykrates entscheidend, nicht ein mögliches offizielles Bündnis zwischen Samos und Ägypten, das durch die Xenia-Beziehung zwischen diesen beiden Herrschern ausgedrückt werden könnte. 1084 Zentral ist hier die Betonung von Amasis ’ Bewusstsein für den Wandel des Schicksals. Nicht nur für die Verbindung zwischen Amasis und Polykrates, sondern auch für Amasis ’ Philhellenie insgesamt gibt der Text keinerlei Gründe und damit auch keine politisch motivierten Absichten an. Stattdessen vermitteln die vielen großzügigen Taten des Amasis gegenüber den Griechen besonders bei den griechischen Rezipienten ein positives Bild dieses ägyptischen Königs. Der Text hebt hervor, dass Amasis selbst 44 Jahre regierte, ohne dass ihm etwas Unglückliches zustößt ( οὐδέν οἱ μέγα ἀνάρσιον πρῆγμα συνηνείχθη - III, 10.2). Erst nach seinem Tod widerfährt seinem Leichnam Grausames. Denn in der Darstellung der Historien lässt Kambyses später Amasis ’ Leiche misshandeln und schließlich verbrennen (III, 16.1 - 2). 1085 Eine einzige negative Bewertung von Amasis kann aus der Erzählversion der Perser für den Beginn ihres Zuges gegen die Ägypter geschlossen werden: Es wird erzählt, dass ein ägyptischer Arzt von Amasis auf Bitten des Kyros, den besten Augenarzt Ägyptens zu schicken, nach Persien gesandt worden ist, und damit gegen dessen Willen von Frau und Kindern getrennt wurde (III, 1.1). In dieser Darstellung handelt Amasis, ohne sich über mögliche Folgen Gedanken zu machen. Denn dieser Arzt ist nun über Amasis verärgert, tadelt sein Verhalten ( μεμφόμενος - III, 1.1 / ἐπιμεμφόμενος - III, 1.2) und rät Kambyses, um Amasis ’ Tochter als Frau zu bitten, mit dem Ziel, Amasis zu schaden (III, 1.1): 1086 Überließe Amasis nämlich seine Tochter dem Kambyses, dann täte Verlust des ins Unglück geratenen Freundes getroffen und verletzt zu werden “ , zur „ Paradoxie des Schelmen “ . 1084 Zur Frage, ob es sich bei Amasis ’ und Polykrates ’ Xenia-Verbindung um ein politisches Bündnis handelt, siehe Anm. 1080. Mehrfach wird auch die Meinung vertreten, dass in Wahrheit nicht Amasis, sondern Polykrates dieses Bündnis aufgelöst hat (vgl. Andrewes [1956], S. 121; Mitchell [1975], S. 79; Shipley [1987], S. 96 f., Austin [1990], S. 298); für weitere Historiker, die der Meinung sind, Polykrates habe das Bündnis gelöst, siehe König (1989), S. 323 mit Anm. 14; Ruberto (2009), S. 86 mit Anm. 38. Kaplan (2016, S. 151) betont allerdings, dass alle griechischen Quellen darin übereinstimmen, dass Amasis die Beziehung zu Polykrates beendet hat; siehe dazu auch König (1989), S. 336 - 340. Berve (1967, S. 112) hält es für denkbar, dass Polykrates den Bruch der „ Gastfreundschaft “ - wie Berve dieses Bündnis bezeichnet - zwar nicht selbst vollzog, aber forcierte, als es für ihn geeigneter schien, sich auf die Seite der Perser zu stellen. Für einen möglichen Grund für Amasis ’ Bündnisbruch unabhängig von der Darstellung der Historien siehe die Ausführungen in Anm. 162. 1085 Siehe zu diesem Frevel des Kambyses Anm. 983. 1086 Auch an einer weiteren Stelle in Herodots Historien beschreibt der Text, wie ein Ägypter aus Verärgerung über Amasis ganz Ägypten schadet. Denn der Söldner Phanes zürnt 318 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="319"?> er es äußerst ungern, ginge er aber nicht darauf ein, machte er sich Kambyses zum Feind (III, 1.2). Nun versucht Amasis, diese Situation möglichst so aufzulösen, dass weder er entehrt wird, indem Kambyses seine Tochter nur zur Nebenfrau nimmt (III, 1.2), noch Kambyses verstimmt wird, wenn er die Bitte abschlägt. Denn Amasis ist über die Perser nicht nur verärgert, sondern fürchtet sie auch ( ὁ δὲ Ἄμασις τῇ δυνάμι τῶν Περσέων ἀχθόμενος καὶ ἀρρωδέων - III, 1.2). So schickt er nach gründlicher Überlegung ( ταῦτα δὴ ἐκλογιζόμενος - III, 1.3) Nitetis, die Tochter des Apries, zu Kambyses und gibt sie als seine Tochter aus (III, 1.3). 1087 Nitetis aber verrät ihre wahre Abkunft, sobald sie bei Kambyses angekommen ist (III, 1.4). Dies lässt Kambyses in gewaltigen Zorn ausbrechen ( μεγάλως θυμωθέντα - III, 1.5) und gegen Ägypten in den Krieg ziehen. Dabei handelt es sich laut Text um die Erzählversion der Perser ( οὕτω μέν νυν λέγουσι Πέρσαι - III, 1.5). Ob Amasis tatsächlich diesen erfolglosen Betrug begeht oder nicht, bleibt damit offen. 1088 In den Historien hegt niemand gegenüber Amasis wortwörtlich Zorn, allerdings an vier Stellen Verärgerung. Jede Verärgerung gegenüber ihm wird in den Historien nämlich mit Wörtern ausgedrückt, die sein Verhalten als unpassend in den Augen der jeweiligen Personen charakterisieren. So kritisieren seine Amasis ( οὗτος ὁ Φάνης μεμφόμενός κού τι Ἀμάσι - III, 4.2) - der genaue Grund ist nicht genannt - und entkommt schließlich zu den Persern, denen er wichtige Hinweise für ihren Zug gegen Ägypten geben kann (III, 4.2 - 3). An beiden Textstellen wird μέμφεσθαι verwendet (III, 4.2 / III, 1.1 bzw. ἐπιμέμφεσθαι in III, 1.2). Der Text drückt damit weniger Zorn als vielmehr Tadel aus (vgl. μέμφομαι in LSJ, S. 1101: „ blame, censure “ sowie ἐπιμέμφομαι in LSJ, S. 646: „ cast blame upon, c. dat. pers., [ … ]: c. gen. rei, find fault for or because of a thing, complain of it, [ … ]: c. acc., blame [ … ]; find fault, complain [ … ] Hdt. 1.116, etc.; [ … ] b. c. inf., to be unwilling [ … ] 2. c. acc. rei, impute as matter of blame [ … ] Hdt. 1.75, cf. 2.161, etc. “ 1087 Dabei handelt Amasis nicht unkonventionell, da der ägyptische König über eigene Ehen zwar Allianzen schloss, niemals aber die eigenen Töchter in die Ehe mit ausländischen Königen gab (vgl. Kaplan [2016], S. 140/ Anm. 20, der hier auf Meier [2000], S. 169 - 173 verweist). 1088 Denn gemäß der Darstellung der Historien erzählen die Ägypter, dass es nicht Kambyses, sondern Kyros war, der nach Ägypten geschickt habe, und Kambyses der Sohn der Tochter des Apries sei (III, 2.1). Diese Erzählversion verwirft der Text allerdings sogleich (III, 2.2). Außerdem wird in den Historien noch eine andere Version für den Auslöser des persischen Feldzugs gegen Ägypten wiedergegeben, die der herodoteische Erzähler allerdings auch nicht für glaubwürdig erachtet (III, 3.1). Diese Version besagt, Kambyses habe aus Rache, da Kyros seine Mutter Kassandane aufgrund der Ägypterin Nitetis keinen Respekt mehr zolle (III, 3.2), versprochen, Ägypten zu zerstören (III, 3.3) - wörtlich in Ägypten das Oberste nach unten und das Unterste nach oben zu versetzen ( Αἰγύπτου τὰ μὲν ἄνω κάτω θήσω , τὰ δὲ κάτω ἄνω - III, 3.3). Dieses Versprechen habe Kambyses später umgesetzt (III, 3.3). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 319 <?page no="320"?> Freunde sein Verhalten als König, was der Text durch ἄχθεσθαι 1089 umschreibt (II, 173.2), und versuchen, ihn zurechtzuweisen ( ἐνουθέτεον - II, 173.2). 1090 Auch der Baumeister, der im Auftrag des Amasis einen in Stein gehauenen Tempel ziehen muss (II, 175.3 - 5), 1091 ist verärgert - zwar nicht direkt über Amasis, aber über diese Aufgabe ( ἀχθόμενον τῷ ἔργῳ - II, 175.5). Der Augenarzt missbilligt - im Text durch μέμφεσθαι in III, 1.1 bzw. durch ἐπιμέμφεσθαι in III, 1.2 ausgedrückt - von Amasis nach Persien geschickt worden zu sein. Zudem weist der Söldner Phanes Amasis wegen einer nicht genauer definierten Angelegenheit Schuld zu, 1092 was der Text ebenfalls durch μέμφεσθαι ausdrückt (III, 4.2), und die Ägypter beginnen zu kritisieren, dass Apries von Amasis am Leben gelassen wird ( μεμφομένων Αἰγυπτίων - II, 169.3). 1093 Auffällig ist, dass gerade er, der von einer einfachen Person aus dem Volk zum König aufgestiegen ist, wie ein Unerfahrener von Untertanen kritisiert wird. 1094 Aber niemals reagiert er darauf überheblich oder wutenbrannt. 1095 Im Gegenteil - als Reaktion auf die Kritik und Verärgerung seiner Philoi rechtfertigt er sich, weshalb es für ihn wichtig 1089 Durch ἄχθεσθαι wird hier eine Verärgerung bzw. mentale Belastung ausgedrückt; vgl. dazu ἄχθομαι in LSJ, S. 296: „ II. mostly of mental oppression, to be vexed, grieved “ . 1090 Auch Kroisos ’ Rat an Kambyses, er solle sich beherrschen und sich nicht von seinem θυμός bezwingen lassen (III, 36.1 - 2), wird wie der Rat der Philoi an Amasis (II, 173.2) u. a. mit νουθετέειν (III, 36.1+2) umschrieben. Nur an diesen beiden Stellen verwendet der Text in den Historien νουθετέειν : Sowohl Kroisos als auch Amasis ’ Philoi beabsichtigen als Untergebene, einen Herrscher wieder zur Vernunft zu bringen, indem sie ihm einen Rat geben, der ihrer Meinung nach richtig ist (vgl. νουθετέω in LSJ, S. 1182: „ put in mind: hence, admonish, warn, rebuke, c. acc. pers., Hdt. 2.173 “ ). 1091 Siehe zu diesem Auftrag die Ausführungen in Anm. 1075. 1092 Zur Erzählung, in der der Söldner Phanes von Amasis abfällt und zu den Persern entkommt (III, 4), siehe Kap. 4.2.1.2. 1093 Zur Bedeutung von μέμφεσθαι siehe Anm. 1086. 1094 Nur an zwei weiteren Stellen in den Historien, an denen der Text ( ἐπι -) μέμφεσθαι verwendet, drückt er damit den Tadel von Untertanen gegenüber einem Herrscher aus. Dabei handelt es sich ebenfalls um ägyptische Herrscher: zum einen um Mykerinos, der versucht, seine Untertanen, die einen seiner Richtersprüche kritisieren ( τῷ ἐπιμεμφομένῳ - II, 129.2), zufriedenzustellen, indem er ihnen etwas aus seinen eigenen Mitteln gibt (II, 129.2), und zum anderen um Apries, an dem die Ägypter direkt Kritik nach der Niederlage gegen Kyrene äußern ( ἐπιμεμφόμενοι - II, 161.4 / IV, 159.6), was sogar dazu führt, dass sie von Apries abfallen (II, 161.4 / IV, 159.6). Ἄχθεσθαι tritt in den Historien noch seltener auf, wenn von Untertanen gegenüber einem Herrscher Unwillen geäußert wird. Neben den hier genannten Stellen mit Bezug auf Amasis verwendet der Text ἄχθεσθαι nur noch ein weiteres Mal auf diese Weise, um Militiades ’ Unmut über Peisistratos ’ Herrschaft zu beschreiben ( ἀχθόμενόν τε τῇ Πεισιστράτου ἀρχῇ - VI, 35.3). Zu νουθετέειν siehe Anm. 1090. 1095 Auch hier kann wieder als Gegenbeispiel Kambyses angeführt werden, der Kroisos ’ Ratschlag, sich nicht seinen Emotionen hinzugeben, sondern Selbstbeherrschung und Voraussicht an den Tag zu legen (III, 36.1 - 2), nicht nur zurückweist, sondern zudem befiehlt, Kroisos hinzurichten (III, 36.3 - 4); siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.1. 320 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="321"?> sei, sich so zu verhalten, wie er es tue (II, 173.3 - 4), und dem Unwillen des Baumeisters begegnet er mit großer Nachsicht und beschließt, dass der Tempel nicht mehr weiter gezogen werden müsse (II, 175.5). 1096 Sogar den Ägyptern, die ihn dafür kritisieren, dass er Apries bei sich aufgenommen hat, gibt er letztlich nach und liefert ihnen Apries aus (II, 169.3). Amasis ’ Charakter erweist sich somit stets als ausgeglichen und einfühlsam. Im Gegensatz zu den Hinweisen auf Kambyses ’ und Kleomenes ’ unmäßiges Trinkverhalten berichtet der Text von Amasis ’ Hang zum Trinken bereits ganz zu Beginn seiner Königsherrschaft, sodass durch diese frühzeitige Informationsvorgabe fast all seine Taten als König vom Leser bereits vor dem Hintergrund bewertet werden, dass sich Amasis durch sein geregeltes Trinkverhalten und seinen durch die Symposia kontrollierten Lebensstil einen ausgeglichenen Charakter erhält. Nur wenige seiner Taten als König werden bereits vor der Darstellung seiner Lebensweisheit erwähnt und erhalten dadurch in II, 173 rückwirkend eine Erklärung. 1097 Im Gegensatz zu den rückwirkenden Erklärungen des Wahnsinns durch unmäßigen Weinkonsum in den Darstellungen des Kambyses und des Kleomenes, 1098 dient das häufige Trinken des Amasis als Erklärung für seine vielen positiven Taten. Amasis ’ Handlungen werden zum Beweis dafür, dass Weinkonsum unter bestimmten Voraussetzungen und in der richtigen Gemeinschaft positive Auswirkungen hat. Zu der täglichen Kontrolle seiner Trinkkameraden kommt somit das richtige Maß von Weinkonsum und Pflichterfüllung, das Amasis davor schützt, nicht wie Kambyses und Kleomenes in Wahn zu verfallen. Die Verbindung von Amasis ’ geregeltem Weinkonsum in sozialer Gemeinschaft und seinem ausgeglichenen Gemüt, das es ihm ermöglicht, ein durchwegs guter König zu sein, scheint der Text daher gezielt zu 1096 Siehe dazu Anm. 1075. 1097 Bereits vor der Darstellung von Amasis ’ Trinkverhalten in II, 173 beschreibt der Text dessen Milde gegenüber Apries, den Amasis nach seinem Sieg noch versorgt und ihn schließlich nur wegen der Kritik der Ägypter ausliefert (II, 169.3). Ebenso erwähnt der Text vor II, 173 Amasis ’ klugen Einfall, durch den er die Gunst der Ägypter trotz seiner einfachen Herkunft für sich gewinnt (II, 172.3 - 5; siehe dazu Anm. 1072). Darüber hinaus berichtet der Text in II, 154.3, wie Amasis die in einer bestimmten ägyptischen Gegend von Psammetichos angesiedelten Ionier und Karer nach Memphis holt und sie zu seinen persönlichen Wächtern macht. Unerheblich für die Untersuchung von Amasis ’ Darstellung in den Historien sind alle weiteren Textstellen, in denen Amasis vor II, 173 erwähnt wird: In I, 77.2 wird er lediglich in der Rolle des Bündnispartners von Kroisos genannt und in I, 30.1 weist der Text darauf hin, dass Solon auf seinen Reisen auch zu Amasis gekommen sei. An drei weiteren Stellen ist lediglich seine Lebenszeit entscheidend, Taten werden dort nicht beschrieben (II, 43.4 / II, 134.2 / zweimal in II, 145.2). 1098 Siehe dazu die Ausführungen zu Kambyses ’ Charakterdarstellung in Kap. 4.1.3.1.1 sowie bei der Analyse von Kleomenes ’ Darstellung in Kap. 4.1.3.1.2. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 321 <?page no="322"?> beabsichtigen. Der Vorwurf seiner Freunde, er vernachlässige durch sein trinkfreudiges Verhalten am Nachmittag die königlichen Aufgaben (II, 173.2), wird durch die Darstellung des Amasis als guter und erfolgreicher König widerlegt. Demnach ist diese Episode in den Historien nicht erwähnt worden, um die Kritik an Amasis ’ Herrschaftsverhalten hervorzuheben. Zentral für diese Episode ist stattdessen Amasis ’ Bogenvergleich, der die notwendige Ausgeglichenheit des Menschen darstellt (II, 173.3 - 4). Die Erwähnung der Kritik von Amasis ’ Philoi dient dem Text allerdings dazu, dass er Amasis seinen Lebensstil rechtfertigen lassen kann und so dieses Bogengleichnis effektiv veranschaulicht durch einen sympotischen Kontext in den Verlauf der Erzählung eingliedert. Die Philoi scheinen Amasis ’ Ausführungen nicht widersprechen zu können, denn eine Erwiderung oder eine erneute Kritik wird nicht erwähnt. Der Beweis dafür, dass Amasis ’ Ansicht in der Darstellung der Historien nicht verworfen wird, ist darin zu erkennen, dass dessen Herrschaft als besonders erfolgreich und glücklich beschrieben wird ( Ἐπ᾽ Ἀμάσιος δὲ βασιλέος λέγεται Αἴγυπτος μάλιστα δὴ τότε εὐδαιμονῆσαι - II, 177.1). So gibt es für die Ägypter keinen Anlass, das Verhalten ihres Königs inklusive seiner Trinkgelage zu kritisieren. 1099 4.1.3.1.4 Fazit: Die Beeinflussung des Verhaltens durch das Trinken von Wein Der in den Historien als auffällig dargestellte Weinkonsum dreier Herrscher aus unterschiedlichen Kulturkreisen wird also jeweils zum Kritikpunkt an denselben. Erstens wird der Perser Kambyses von seinen Untertanen wegen seiner zu starken Philoinie kritisiert (III, 34.2), zweitens der Spartanerkönig Kleomenes durch die Spartaner, die in seiner Gewohnheit, ungemischten Wein zu trinken, seinen Wahnsinn erklärt sehen (VI, 84), und drittens wird dem Ägypter Amasis aus diesem Grund einerseits von seinen Philoi unkönigliches Verhalten vorgeworfen, andererseits aber damit auch sein ausgeglichener Lebensstil begründet (II, 173). Das Symposion hilft ihm durch das dort intensivierte Erleben des Augenblicks, die Pflichten des Vormittags für eine Weile zu vergessen, sodass er sich erfolgreich von diesen erholen kann. Zudem unterliegt er dabei täglich der sozialen Kontrolle seiner Umwelt in Form seiner Mitsymposiasten. So verhindert Amasis durch seine geregelte Trinkgewohnheit, unbemerkt dem 1099 Anders ist dies der Fall bei Kambyses. Prexaspes berichtet diesem auf Nachfrage, dass ihm seine Untertanen eine allzu starke Philoinie vorwerfen (III, 34.2). Kambyses ’ Herrschaftszeit ist in der Darstellung der Historien geprägt von zahlreichen Wahnsinnstaten (vgl. dazu Kap. 4.1.3.1.1). Kleomenes ’ Wahnsinn (vgl. dazu Kap. 4.1.3.1.2) wird zumindest nach einem Bericht der Spartaner - und demnach auch von Angehörigen seines eigenen Volkes - direkt auf seinen Hang zu ungemischten Wein zurückgeführt (VI, 84). 322 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="323"?> Wahn zu verfallen ( λάθοι ἂν ἤτοι μανεὶς ἢ ὅ γε ἀπόπληκτος γενόμενος - II, 173.4), und unterscheidet sich somit von Kambyses oder Kleomenes. Dass Amasis ’ Symposia eine positive Auswirkung auf ihn haben, wird daran ersichtlich, dass - anders als bei Kambyses und Kleomenes - keine Freveltaten von Amasis in den Historien dargestellt werden, sondern stattdessen viele positive und auch empathische Handlungen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Amasis ’ Trinkgewohnheit und seinen guten Taten kann zudem daraus geschlossen werden, dass der Text fast all seine Handlungen als König erst nach der Epsiode in II, 173 beschreibt, wo er von seinem Ausgleich zwischen Pflicht und Entspannung durch Symposia berichtet. So stehen seine Aktionen für den Leser von Anfang an mit dieser Aussage in Verbindung. Bei Kleomenes und Kambyses dagegen wird erst zu einem recht späten Zeitpunkt in der Darstellung ihrer Taten von ihrem Hang zu maßlosem Weingenuss berichtet, sodass ihre Freveltaten erst im Nachgang eine mögliche Erklärung durch übertriebenen Weinkonsum erhalten. Nicht übergehen möchte ich hier, dass in den Historien niemand so häufig des Wahnsinns bezichtigt wird, der durch μανίη , durch das zugehörige Verb ( ἐκ -) μαίνεσθαι oder durch das Adjektiv ἐμμανής ausgedrückt wird, wie es bei Kambyses der Fall ist. 1100 Kleomenes folgt an zweiter Stelle. 1101 Der ebenfalls 1100 Kambyses beginnt im Wahn und im Unverstand einen Feldzug gegen die Aithiopier ( οἷα δὲ ἐμμανής τε ἐὼν καὶ οὐ φρενήρης - III, 25.2). Später beschreibt der Text, wie er - laut den Ägyptern - nach seiner Freveltat gegen den Apisstier sofort in Wahnsinn verfällt ( αὐτίκα διὰ τοῦτο τὸ ἀδίκημα ἐμάνη , ἐὼν οὐδὲ πρότερον φρενήρης - III, 30.1). Außerdem wütet er im Wahn gegen seine engsten Angehörigen ( ταῦτα μὲν ἐς τοὺς οἰκηιοτάτους ὁ Καμβύσης ἐξεμάνη - III, 33) und auch gegen andere Perser ( τάδε δ᾽ ἐς τοὺς ἄλλους Πέρσας ἐξεμάνη - III, 34.1). In seiner Rede an Prexaspes schließt Kambyses später aus einer offensichtlich wahnsinnigen Tat, nicht wahnsinnig zu sein ( Πρήξασπες , ὡς μὲν ἐγώ τε οὐ μαίνομαι Πέρσαι τε παραφρονέουσι , δῆλά τοι γέγονε - III, 35.4), und nach der Hinrichtung seiner Diener, die Kroisos vorsorglich nicht getötet haben (III, 36.5 - 6), beschreibt der Text, dass Kambyses auf solche Weise noch häufig gegen die Perser und ihre Bundesgenossen wütet ( ὁ μὲν δὴ τοιαῦτα πολλὰ ἐς Πέρσας τε καὶ τοὺς συμμάχους ἐξεμαίνετο - III, 37.1). In III, 38.1 betont der Text - markiert als persönliche Ansicht des Herodot - , dass er sich im Klaren darüber sei, dass Kambyses stark dem Wahnsinn verfallen ist ( πανταχῇ ὦν μοι δῆλά ἐστι ὅτι ἐμάνη μεγάλως ὁ Καμβύσης - III, 38.1), da er gegen Heiligtümer und Gebräuche frevelt und darüber spottet (III, 38.1 / οὐκ ὦν οἰκός ἐστι ἄλλον γε ἢ μαινόμενον ἄνδρα γέλωτα τὰ τοιαῦτα τίθεσθαι - III, 38.2). 1101 Als zu μανίη gehöriges Adjektiv wird bei Kleomenes ἀκρομανής verwendet (zu dessen Bedeutung siehe Anm. 1009). So legt der Text dar, dass Kleomenes von Anfang an mental beeinträchtigt und zumindest ein wenig wahnsinnig gewesen sei ( ὁ μὲν δὴ Κλεομένης , ὡς λέγεται , ἦν τε οὐ φρενήρης ἀκρομανής τε - V, 42.1). Ansonsten wird Kleomenes erst am Ende seines Lebens, nachdem er aus Arkadien zurück nach Sparta geholt worden ist, wieder durch die Verwendung von μανίη als wahnsinnig bezeichnet ( κατελθόντα δὲ αὐτὸν αὐτίκα ὑπέλαβε μανίη νοῦσος , ἐόντα καὶ πρότερον ὑπομαργότερον - VI, 75.1). In VI, 84.1 beschreibt der Text dann, dass die Argeier der Meinung sind, Kleomenes sei 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 323 <?page no="324"?> trinkfreudige Amasis dagegen wird an keiner Textstelle als wahnsinnig charakterisiert, sodass auch daran ersichtlich wird, dass es ihm, wie er selbst ankündigt, gelingt, nicht unbemerkt wahnsinnig zu werden und die Besinnung zu verlieren (II, 173.4). Einer sozialen Kontrolle wie Amasis unterliegen Kambyses und Kleomenes in der Darstellung der Historien nicht. Amasis ’ täglicher geregelter Weinkonsum in Gemeinschaft schützt ihn also vor dem Sturz in schädliche Mania. Bei Kambyses dagegen stellt der Vorwurf der zu starken Philoinie durch seine Untertanen, woraus dieser selbst schließt, er werde für geistig gestört gehalten (III, 34.2 - 3), 1102 zumindest eine implizite Verbindung zu seiner Mania her, auch wenn der Text keine direkte Kausalität zwischen Kambyses ’ Philoinie und Mania erwähnt. 1103 Den ungeregelten Weinkonsum des Kleomenes allerdings führt der Text explizit als eine Erklärung unter mehreren für dessen Wahnsinn an (VI, 84). Insgesamt wird Mania in den Historien niemals eindeutig positiv konnotiert, sondern es handelt sich dabei fast ausschließlich um die Beschreibung von verderblichem Wahnsinn. 1104 Eine Ausnahme findet sich in IV, 79.3 - 4, wo der wegen seines Vergehens gegen die Argeier und den heiligen Hain des Argos wahnsinnig geworden ( Ἀργεῖοι μέν νυν διὰ ταῦτα Κλεομένεά φασι μανέντα ἀπολέσθαι κακῶς - VI, 84.1). Dagegen wird die spartanische Erklärungsversion für Kleomenes ’ Wahnsinn durch die dreimalige Verwendung einer Form von μαίνεσθαι hervorgehoben: Die Spartaner sind der Meinung, dass Kleomenes durch seinen Kontakt zu den Skythen bzw. seinem daraus resultierenden Hang zum Genuss von ungemischten Wein wahnsinnig geworden sei ( αὐτοὶ δὲ Σπαρτιῆταί φασι ἐκ δαιμονίου μὲν οὐδενὸς μανῆναι Κλεομένεα , Σκύθῃσι δὲ ὁμιλήσαντά μιν ἀκρητοπότην γενέσθαι καὶ ἐκ τούτου μανῆναι - VI, 84.1 / ἐκ τούτου δὲ μανῆναί μιν νομίζουσι Σπαρτιῆται - VI, 84.3). 1102 Nachdem Kambyses kurz danach dem Sohn des Prexaspes aus weiter Entfernung einen Pfeil direkt ins Herz geschossen hat (III, 35.3) und nun der Meinung ist, dadurch bewiesen zu haben, nicht wahnsinnig zu sein, legt ihm der Text in der direkt wiedergegebenen Rede zu Prexaspes sogar ausdrücklich οὐ μαίνομαι in den Mund, um zu betonen, dass sich Kambyses eben nicht für wahnsinnig hält, wie das Volk ihm vorwirft ( Πρήξασπες , ὡς μὲν ἐγώ τε οὐ μαίνομαι Πέρσαι τε παραφρονέουσι , δῆλά τοι γέγονε - III, 35.4). 1103 Der Text lässt offen, was der tatsächliche Ursprung von Kambyses ’ Wahnsinn ist: So wütete Kambyses gegen seine engsten Verwandten, sei es nun wegen des Apis oder aus einem anderen Grund (Übersetzung: Ley-Hutton [2007b]) ( ταῦτα μὲν ἐς τ οὺς οἰκηιοτάτους ὁ Καμβύσης ἐξεμάνη , εἴ τε δὴ διὰ τὸν Ἆπιν εἴτε καὶ ἄλλως - III, 33.1). 1104 Der Text verwendet μανίη bzw. μαίνεσθαι nicht nur an den Stellen, die Kambyses ’ und Kleomenes ’ Wahn betreffen, um schädlichen Wahnsinn auszudrücken, sondern auch an folgenden Stellen: In I, 109.2 beschreibt Harpagos Astyages, der ihm den Befehl gegeben hat, den jungen Kyros zu töten, als wahnsinnig: Denn er betont, er werde diesen Befehl verweigern, auch wenn Astyages noch unverständiger und wahnsinniger werden sollte, als er es bereits ist ( οὐδ᾽ εἰ παραφρονήσει τε καὶ μανέεται κάκιον ἢ νῦν μαίνεται - I, 109.2). In I, 212.2 beschreibt Tomyris Wahnsinn als vernichtende Wirkung von Wein ( τῷ περ αὐτοὶ ἐμπιπλάμενοι μαίνεσθε - I, 212.2). Dagegen ist für Amasis Trinken in Gemeinschaft ein wichtiges Mittel, um nicht unbemerkt wahnsinnig zu werden ( λάθοι ἂν 324 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="325"?> Text das bakchische Rasen, das nicht generell als negativ zu deuten ist, sowohl mit βακχεύειν als auch mit μαίνεσθαι ausdrückt. 1105 Doch an keiner weiteren Stelle ist mit Mania in den Historien ein ‚ angenehmer ‘ Wahn verbunden. Während zwischen der Mania als bakchisches Rasen und starkem Weinkonsum durch den Gott Dionysos lediglich eine indirekte Verbindung existiert, gibt es neben der spartanischen Erklärung von Kleomenes ’ Wahnsinn (VI, 84) noch eine weitere Textstelle in den Historien, in der eine direkte Verbindung zwischen Wein und Mania zu finden ist. Denn im ersten Buch der Historien ἤτοι μανεὶς ἢ ὅ γε ἀπόπληκτος γενόμενος - II, 173.4). In IX, 34 verfallen die Frauen von Argos in schädlichen Wahnsinn ( γυναικῶν μανεισέων - IX, 34.1 / ἐμαίνοντο - IX, 34.2; siehe dazu Anm. 1105). Darüber hinaus werden an fünf weiteren Stellen μανίη oder μαίνεσθαι verwendet, um den Wahnsinn zu beschreiben, der sich in einer vermeintlich unvernünftigen und unüberlegten Handlung widerspiegelt: In VI, 112.2 bewerten die Perser im Rahmen der Schlacht bei Marathon die Athener als wahnsinnig, die nur in geringer Anzahl und ohne Deckung herbeistürmen ( μανίην τε τοῖσι Ἀθηναίοισι ἐπέφερον καὶ πάγχυ ὀλεθρίην - VI, 112.2); in VIII, 10.1 wird den Griechen erneut von den Persern im Rahmen der Kämpfe bei Artemision Wahnsinn unterstellt, da sie mit einer recht kleinen Flotte anfahren ( πάγχυ σφι μανίην ἐπενείκαντες ἀνῆγον καὶ αὐτοὶ τὰς νέας - VIII, 10.1); in VIII, 77.1 wird ein Götterspruch zitiert, der den Persern nach der Zerstörung Athens eine wahnsinnige Hoffnung unterstellt ( ἐλπίδι μαινομένῃ λιπαρὰς πέρσαντες Ἀθήνας - VIII, 77.1) - allerdings athetiert Wilson das Kapitel VIII, 77; in VIII, 140 α .3 rät Alexander den Athener, sich mit dem persischen Großkönig zu verbünden und nicht so wahnsinnig zu sein, sich im Krieg weiter zur Wehr zu setzen ( τί μαίνεσθε πόλεμον βασιλέϊ ἀνταειρόμενοι ; - VIII, 140 α .3), und in IX, 55.2 bezeichnet Pausanias Amompharetos als wahnsinnig und nicht bei Sinnen, da er dem Beschluss der Griechen nicht folgen möchte, den momentanen Lagerplatz zu verlassen, der u. a. aufgrund der schlechten Versorgungslage aufgegeben werden muss ( ὁ δὲ μαινόμενον καὶ οὐ φρενήρεα - IX, 55.2). 1105 So machen die Skythen den Griechen wegen des bakchischen Rasens ( βακχεύειν - IV, 79.3) (im Dionysoskult) Vorwürfe, da man keinen Gott erfinden dürfe, der die Menschen dazu bringt, wahnsinnig zu sein ( ὅστις μαίνεσθαι ἐνάγει ἀνθρώπους - IV, 79.3). Die Griechen allerdings erwidern, dass auch der König der Skythen, Skyles, von diesem Rasen ergriffen ist und im Wahnsinn dem Bakchos dient ( καὶ βακχεύει τε καὶ ὑπὸ τοῦ θεοῦ μαίνεται - IV, 79.4). Da Dionysos sowohl eine schädliche als auch eine nützliche Mania bewirken kann (vgl. dazu Lonsdale [1993], S. 78 f.), kann allein aus dem Wort nicht geschlossen werden, um welche Art von Mania es sich hier handelt. Für das kultische bakchische Rasen ist bekannt, dass diejenigen, die sich diesem bereitwillig hingeben, eine wohltuend Mania zu erwarten haben, wohingegen diejenigen, die es ablehnen, eine schädliche erleben (vgl. Lonsdale [1993], S. 78). Der Kontext ist also entscheidend. Da Skyles in der Darstellung der Historien freiwillig in den Dienst des bakchischen Dionysos eingeweiht werden möchte (IV, 79.1 - 2), kann bei ihm von einem unschädlichen Rasen ausgegangen werden, auch wenn ihm der Dienst an Dionysos schließlich sein Leben kostet, da die Skythen fremde Sitten strikt ablehnen (IV, 80). Eine schädliche Art dieses Rasens spricht der Text in IX, 34 an, als die Frauen von Argos in wahnsinniges Rasen geraten sind ( γυναικῶν μανεισέων - IX, 34.1 / ἐμαίνοντο - IX, 34.2) und nur durch die Hilfe von Melampus von dieser Krankheit ( τῆς νούσου - IX, 34.1) befreit werden können. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 325 <?page no="326"?> macht Tomyris Kyros zum Vorwurf, er hätte ihren Sohn nur durch die Wirkung des Weins bezwungen. Dabei handle es sich um eine Wirkung, die auch die Perser selbst, wahnsinnig mache, und daher solle sich Kyros auch nicht eines Erfolgs rühmen ( εἰ ἀμπελίνῳ καρπῷ , τῷ περ αὐτοὶ ἐμπιπλάμενοι μαίνεσθε [ … ], τοιούτῳ φαρμάκῳ δολώσας ἐκράτησας παιδὸς τοῦ ἐμοῦ - I, 212.2). Der Wahnsinn zeige sich laut Tomyris darin, dass man unkontrolliert böse Worte von sich gäbe ( μαίνεσθε οὕτως ὥστε κατιόντος τοῦ οἴνου ἐς τὸ σῶμα ἐπαναπλέειν ὑμῖν ἔπεα κακά - I, 212.2). 1106 Ein Zusammenhang zwischen Weinkonsum und dem Ausbruch von Mania besteht also an zwei voneinander sowohl kulturell als auch zeitlich unabhängigen Textstellen in Herodots Historien. Trunkenheit durch ungeregelten Weinkonsum bedeutet in den Historien also Kontrollverlust, Unbesonnenheit und Wahnsinn. 1107 Im geordneten Rahmen und bewusst eingesetzt allerdings kann Trunkenheit auch hilfreich und nützlich sein, wie an König Amasis deutlich wird. Für die Untersuchung der Symposia bei Herodot erlangt man durch die Ereignisse, die vor dem Hintergrund der beschriebenen Trinkverhalten von Kambyses, Kleomenes und Amasis stehen, vor allem Hinweise zu den Folgen von Weinkonsum in der Darstellung der Historien. Dabei variieren diese Auswirkungen stark. Rage, Unbedachtheit, Enthemmtheit, Verlust der Selbstkontrolle, Wahnsinn, aber auch Entspannung, Gelöstheit und Kraftspende können als Ursachen für die Taten der unterschiedlichen Könige herausgelesen werden. Sieht man also im ungeregelten Weinkonsum Kambyses ’ und Kleomenes ’ Untaten begründet, wird ersichtlich, dass übermäßiger Weinkonsum und die damit betrogenen Sinne auch zu negativen Auswirkungen im Staat führen können. Es wird hier somit auf staatlicher Ebene sichtbar, welche Folgen geregelter und welche Folgen ungeregelter Weinkonsum haben können. So greift der Text in seiner Darstellung von Kambyses und Kleomenes das bereits in der frühgriechischen Lyrik gängige Vergleichsmotiv vom Verhalten im Symposion und im Staat auf seine besondere Weise wieder auf und baut es in seine Darstellung ein, 1108 indem er das maßlose Trinkverhalten nicht nur im metaphorischen Sinn, sondern als direkten negativen Einfluss auf das Verhalten der Könige Kleomenes und Kambyses darstellt. Beim maßlosen Konsum kommt es zu Übermut und Regelbruch, was das Scheitern der sympotischen Gemeinschaft und direkt übertragen auf die Ebene des Staates eine schlechte 1106 Darin wird die negative Seite der enthemmenden Wirkung von Wein deutlich; zu den Auswirkungen von Wein siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.4. 1107 Siehe dazu auch Kap. 4.2.1. 1108 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.4. 326 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="327"?> Herrschaft zur Folge hat. Anhand von Amasis ’ geregeltem Trinkverhalten zeigt der Text das Gegenteil auf. 4.1.3.2 Normbruch beim Symposion - der tanzende Hippokleides Nun möchte ich auf eine Anekdote in Herodots Historien eingehen, in der weniger der Weinkonsum als vielmehr das Symposion selbst zentral für die Darstellung eines Verhaltens wird. Denn dieses Symposion wird sogar gezielt veranstaltet, um die Charaktere bzw. die Verhaltensweisen der Teilnehmer zu prüfen. Dabei handelt es sich um das Symposion bei der Verlobungsfeier von Agariste, der Tochter des Kleisthenes von Sikyon (VI, 129 - 130). Die dortigen Symposiasten sind demnach die Freier der Agariste. Im Mittelpunkt steht dabei der Athener Hippokleides, dessen Charakter durch sein Verhalten beim Symposion auf eine Weise ersichtlich wird, die nicht nur den Verlauf dieses Banketts beeinflusst, sondern die ihn aus Kleisthenes ’ Sichtweise auch als Schwiegersohn disqualifiziert. Anders als bei Kambyses, Kleomenes und Amasis steht Hippokleides ’ Verhalten aber nicht direkt mit seinem Trinkverhalten in Verbindung, sodass das Symposion hier keine allgemeinen Verhaltensweisen beeinflusst, sondern es stattdessen durch seine Atmosphäre ermöglicht, besondere Charakterzüge einer Person zu Tage zu fördern. Aus diesem Grund wird dieses Symposion in den Historien im Vergleich zu den Trinkgelagen bei Kleomenes und Amasis verhältnismäßig ausführlich dargestellt. Ich möchte dieses Symposion bei Kleisthenes in Sikyon nun in drei Schritten analysieren. Als Erstes soll der Kontext des Banketts geklärt werden, woraufhin als Zweites dessen Ablauf untersucht werden soll. Dabei werde ich noch nicht genauer auf den Grund für Kleisthenes ’ Abscheu gegen den Tanz des Hippokleides, was das entscheidende Vorkommnis bei diesem Symposion ist, eingehen. Denkbare Beweggründe für Hippokleides ’ Tanz und mögliche Ursachen für Kleisthenes ’ Abneigung arbeite ich in einem gesonderten dritten und damit letzten Schritt heraus. Dabei wird auch berücksichtigt, inwiefern die Bewertung des Tanzes von unterschiedlichen Erwartungen an das Symposion abhängt. 4.1.3.2.1 Kontext des Symposions Der Text erklärt im sechsten Buch, dass sich die Berühmtheit des Alkmeonidengeschlechts in Griechenland besonders auf eine Geschichte zurückführen lasse (VI, 126.1), 1109 in der ein Symposion eine zentrale Rolle spielt. Kleisthenes von 1109 Direkt nach der Erzählung von Agaristes Verlobungsfeier betont der Text erneut, dass das Alkmeonidengeschlecht auf diese Weise in Griechenland bekannt wurde ( καὶ οὕτω Ἀλκμεωνίδαι ἐβώσθησαν ἀνὰ τὴν Ἑλλάδα - VI, 131.1). In diesem Kontext ist es dem Text 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 327 <?page no="328"?> Sikyon lädt nach seinem Sieg bei den olympischen Spielen alle an der Ehe mit seiner Tochter interessierten Griechen in seine Stadt ein und organisiert unter den Freiern einen Wettbewerb mit der Intention, den besten Schwiegersohn und damit Ehemann für Agariste zu finden (VI, 126.2). Die ankommenden Freier werden nun im Text aufgezählt, wobei neben deren Namen auch deren Herkunft - oft mit dem Hinweis auf die Abstammung aus einer vornehmen Familie - erwähnt werden und bei einigen jeweils zudem eine Eigenschaft, die sie besonders auszeichnet (VI, 127). Sie verkörpern, sofern sie genauer beschrieben werden, mindestens ein bestimmtes Merkmal, das auf den Lebensstil von Aristokraten passt, welcher, wie Janice Bierbas-Richter schreibt „ bestimmte Formen und Rituale gesellschaftlichen Umgangs [beinhaltete], die nahezu alle Lebensbereiche umfaßten, auf denen die eigene Überlegenheit gegenüber anderen Mitgliedern der Gesellschaft demonstriert werden konnte “ . 1110 Unter dann auch möglich, auf die Abstammung des Kleisthenes von Athen und des Perikles einzugehen (VI, 131). Zuvor hat er bereits von Alkmeon berichtet, der für den Reichtum seiner Familie gesorgt hat (VI, 125; siehe dazu Anm. 1163). 1110 Bierbas-Richter (2016), S. 281. Bierbas-Richter zählt zu diesen aristokratischen Merkmalen mit direktem Verweis auf die von Stein-Hölkeskamp (1989, S. 119) beschriebene Auffassung aristokratischer Lebensformen und weiteren Verweisen auf Stahl ([1987], S. 96/ Anm. 158 sowie [2003], S. 49 - 75, bes. 53 - 74) „ die Abkunft aus einer vornehmen Familie, die Fähigkeit zur Entfaltung von außergewöhnlichem Luxus “ (Bierbas-Richter [2016, S. 281]), „ athletische und musische Agone, Symposien, Gastfreundschaft, Geschenketausch, Wertschätzung von Körperkraft, Schönheit und Weisheit [und] ‚ Panhellenismus ‘ [ … ] “ (Stein-Hölkeskamp [1989], S. 119). Stahl (2003, S. 54) hebt im Zuge dessen hervor, dass „ der Gedanke des Sich-Hervortuns [ … ] sogar so weit [ging], daß auch ein herausragender Frevel jemanden auszeichnen konnte “ , wobei er auf den Vater des Freiers Leokedes, Pheidon, verweist, der in Olympia die Kampfrichter verjagt hatte und dann selbst die Spiele veranstaltete, was Pheidon in der Darstellung der Historien zum größten Frevler aller Griechen machte ( ὑβρίσαντος μέγιστα δὴ Ἑλλήνων ἁπάντων - VI, 127.3). Müller (2006a, S. 240) weist darauf hin, dass sich die Darstellung des Pheidon von Argos als größter Frevler aller Griechen, gut in diese Erzählung einfüge, da diese „ im Dienst der Rühmung des Kleisthenes steht, eines eingeschworenen Gegners von allem, was aus Argos kommt “ , wobei er auf V, 67 - 68 verweist. Müller (2006a, S. 240) fährt fort, dass demnach der Aufritt des Leokedes, des Sohnes des Pheidon, als Freier „ unter diesen Umständen wie eine Provokation “ gewirkt haben müsse und „ seine Brautwerbung wie der erste Schritt eines Versuchs, die alte argivische Herrschaft über die Stadt wiederherzustellen. “ Parker (1994, S. 417 f.) gibt zwei Erklärungen dafür an, weshalb Leokedes als Freier aus Argos anwesend ist: Entweder stehe dahinter der Versuch, den Streit zwischen Argos und Sikyon durch eine Heirat beizulegen, oder die Feindseligkeiten zwischen Argos und Sikyon beginnen zeitlich erst nach Kleisthenes ’ Ablehnung des Freiers Leokedes. Parker (1994, S. 418) zieht die zweitgenannte Möglichkeit vor, indem er McGregor (1941, S. 276) folgt, der es ebenso für möglich hält, die Hochzeitsfeier vor den Krieg zwischen Argos und Sikyon zu datieren. Mit Blick auf die Herkunft der Freier bemerkt Parker (1994, S. 424), dass alle Gegenden, aus denen Freier nach Sikyon kamen, wohl diejenigen waren, „ in which the tyrant ’ s influence was most sought after and in 328 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="329"?> den dreizehn Freiern befinden sich auch die Athener Megakles und Hippokleides, wobei nur Megakles aus dem Geschlecht der Alkmeoniden stammt (VI, 127.4). 1111 Während des einen Jahres, das diese dreizehn Freier bei Kleisthenes verbringen (VI, 126.2), beabsichtigt der Brautvater, die Freier im Hinblick auf vier Eigenschaften zu überprüfen: ἀνδραγαθία (= „ männliche Werthaftigkeit “ ) 1112 , ὀργή (= „ Temperament “ ) 1113 , παίδευσις (= „ Bildung “ ) 1114 und τρόπος (= „ Charakter “ ) 1115 ( μετὰ δὲ κατέχων ἐνιαυτὸν διεπειρᾶτο αὐτῶν τῆς τε ἀνδραγαθίης καὶ τῆς ὀργῆς καὶ παιδεύσιός τε καὶ τρόπου - VI, 128.1). 1116 Dabei legt er Wert darauf, sowohl mit jedem Einzelnen ins Gespräch zu kommen als auch mit allen gemeinsam ( καὶ ἑνὶ ἑκάστῳ ἰὼν ἐς συνουσίην καὶ συνάπασι - VI, 128.1). 1117 Die Jüngeren erprobt Kleisthenes zwar auch an den Sporteinrichtungen, aber am meisten Gewicht behält die Prüfung des Verhaltens beim - nach Wilsons which a connexion to Cleisthenes was considered highly advantageous. “ Scott (2005, S. 422) hält zwar die Anwesenheit des Leokedes als Sohn von Pheidon für unrealistisch, betont aber, dass generell gegen einen Freier aus Argos aufgrund von Kleisthenes ’ offener Einladung nichts einzuwenden sei; vgl. auch Hornblower/ Pelling (2017), S. 279; West (2015), S. 16. Zudem hebt Hornblower (2014, S. 218) hervor, dass Agaristes Freier „ come from places which for the most part make good sense in the light of the early lists of Olympic victors. “ Für eine ausführliche Beschreibung der Freier siehe Alexander (1959), S. 130 - 134; Scott (2005), S. 421 - 424; Duplouy (2006), S. 81 - 84; Müller (2006a), S. 232 - 249; Hornblower (2014); West (2015), S. 14 - 18; Hornblower/ Pelling (2017), S. 277 - 281. 1111 Für Hippokleides ’ Abstammung aus dem Philaiden-Geschlecht vgl. z. B. How/ Wells (1912b), S. 119; Legrand (1963), S. 119.; Davies (1971), S. 294 f.; Lonsdale (1993), S. 219; Parker (1994), S. 417; McQueen (2000), S. 217; Nenci (2007), S. 308; Lavelle (2014), S. 313; West (2015), S. 18. Legrand (1963, S. 119) verweist zudem auf die gemeinsame Abstammung von Philaiden und Kypseliden; dazu auch Davies (1971), S. 295 f. Der Text erwähnt Hippokleides ’ Zugehörigkeit zu den Philaiden allerdings nicht. 1112 Übersetzung von ἀνδραγαθία nach Müller (2006a), S. 252. 1113 Übersetzung von ὀργή nach Brodersen (2015). Auch How/ Wells (1912b, S. 119) sowie McQueen (2000, S. 217) geben hier als Bedeutung von ὀργή „ temper “ bzw. „ disposition “ an. Zum Bedeutungsfeld von ὀργή siehe auch Anm. 951. 1114 Übersetzung von παίδευσις nach Feix (1963), Brodersen (2015) und Müller (2006a), S. 252. 1115 Übersetzung von τρόπος nach Feix (1963) und Müller (2006a), S. 252. 1116 Scott (2005, S. 424) bemerkt, dass das Vokabular, das für die Erprobung der Freier verwendet wird, an die aristokratischen Ideale der homerischen Welt erinnere: „ family, honour, physical prowess “ (diesbezüglich verweist Scott auf Donlan [1980], S. 1 - 34). 1117 Auch wenn der Text an einer anderen Stelle in den Historien (= II, 78) συνουσίη verwendet, um ein Symposion zu umschreiben (vgl. Kap. 2.2.5.4), ist hier aus dem Kontext nicht herauszulesen, dass es bereits vor dem Symposion am Tag der Verlobung zu weiteren Symposia kommt, wobei ein Symposion natürlich als Ort für die Unterhaltungen, die Kleisthenes führen möchte, denkbar ist. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 329 <?page no="330"?> Lesart - ‚ Zusammensein ‘ ( καὶ τό γε μέγιστον , ἐν τῇ συνεστοῖ διεπειρᾶτο - VI, 128.1). 1118 Da man erfährt, dass Kleisthenes seine Beurteilung der Charaktere die ganze Zeit über ununterbrochen fortführt, gehört auch das gemeinsame Mahl als Ort für die Bewertung dazu ( ὅσον γὰρ κατεῖχε χρόνον αὐτούς , τοῦτον πάντα ἐποίεε < ταῦτα > καὶ ἅμα ἐξείνιζε μεγαλοπρεπέως - VI, 128.1). Im Mittelpunkt von Kleisthenes ’ Prüfung steht also das Verhalten in Gemeinschaft und damit die soziale Kompetenz der Freier. 1119 Ob nun unter ἐν τῇ συνεστοῖ ausschließlich das gemeinsame Mahl gemeint ist, bleibt lediglich eine gerechtfertigte Vermutung, zumal besonders das Gastmahl im weiteren Verlauf zum zentralen Punkt der Entscheidung wird. 1120 In welchem Umfang aber das tägliche Mahl eingenommen wird und ob es insgesamt häufiger zu Symposia kommt, stellt der Text nicht dar. Kleisthenes erweist sich jedenfalls als großartiger Gastgeber, worin er einem Merkmal des tugendhaften Aristokraten nachkommt. 1121 Dass er die Freier als Gäste aufgenommen hat, wird am Vokabular deutlich, das der Text verwendet. So umschreibt er die Bewirtung, die Kleisthenes den Freiern zukommen lässt, durch ξεινίζειν und deren Groß- 1118 Zur Analyse von συνεστοῖ und weiterer überlieferter Lesarten siehe Kap. 2.2.5.4. 1119 Vgl. Hornblower/ Pelling (2017, S. 282), die mit Verweis auf West (2015, S. 19) hervorheben, dass die Bedeutung der „ social skills “ bei diesem Wettbewerb im Zentrum steht, wobei sie auf die hier verwendeten und nur in geringem Abstand voneinander entfernt stehenden drei Wörter verweisen, die mit dem Präfix συν zusammengesetzt sind (= ἐς συνουσίην καὶ συνάπασι · [ … ] ἐν τῇ συνεστοῖ - VI, 128.1). 1120 Scott (2005, S. 425) weist darauf hin, dass ἐν τῇ συνεστοῖ „ generally “ mit „ at (communal) dinner “ übersetzt wird. Man sei laut Scott (ebd.) mit Blick auf das Geschehen in VI, 129 versucht zu glauben, dass Kleisthenes dieser Test am wichtigsten war, um zu überprüfen, ob sich seine Gäste auch noch unter Alkoholeinfluss zu benehmen wissen. Als alternative Lesart ist hier συνεστίῃ überliefert, die die gemeinsame Aktivität klar als Bewirtung definieren würde (vgl. dazu die Ausführungen S. 127 f. in der vorliegenden Arbeit). 1121 Vgl. Stahl (2003), S. 59 sowie Anm. 1110. Dass Kleisthenes seinen Pflichten als Gastgeber nachkommt, wird auch daran deutlich, dass er sich gegenüber allen Freiern in der Darstellung der Historien gleich verhält. Denn obwohl der Text offenlegt, dass die beiden Athener seine Favoriten sind, ist von keiner Bevorzugung der beiden die Rede (VI, 128.2). Sogar den Freier aus Argos, einer verfeindeten Stadt (V, 67 - 68), namens Leokedes, der zudem auch der Sohn von Pheidon ist, den der Text wiederum als größten Frevler Griechenlands bezeichnet (VI, 127.3; vgl. dazu auch Anm. 1110), nimmt Kleisthenes in gleicher Weise auf und ermöglicht somit zumindest dem Anschein nach einen gerechten Wettbewerb (vgl. dazu Scott [2005], S. 420; Müller [2006a], S. 241. Müller [ebd.] zählt die „ höfliche Korrektheit im Umgang mit allen Freiern zu den Tugenden des Herrschers von Sikyon “ ). 330 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="331"?> zügigkeit und Üppigkeit durch das Adverb μεγαλοπρεπέως 1122 ( ἐξείνιζε μεγαλοπρεπέως - VI, 128.1). 1123 Mit der Wettbewerbsveranstaltung verwendet Kleisthenes bereits eine typisch aristokratische Betätigung, 1124 um das Verhalten seines künftigen Schwiegersohns zu bemessen. Mit Sport und dem Symposion liefert er dann als Wettbewerbsdisziplinen weitere typische Tätigkeitsbereiche von Aristokraten. 1125 Das Symposion wird also zur Disziplin des Wettbewerbs unter den Freiern, wo das Verhalten als Wettbewerbskriterium im Vordergrund steht, und zugleich wird das Symposion aber auch selbst zum Ort für einen Wettbewerb unter den Symposiasten, wo wiederum die Leistung in z. B. musischen Darbietungen entscheidend ist. 1126 Damit ergibt sich eine Doppelung aristokratischen Auftretens: der typisch aristokratische Wettbewerb in typisch aristokratischen Betätigungen. Kleisthenes scheint offensichtlich ausschließen zu wollen, einen reichen Bürger aus der Aufsteigerschicht als Schwiegersohn zu erwählen, der sich in den typischen aristokratischen Werten nicht bewähren kann. Denn viele Merkmale eines Aristokraten können auch von Personen einer sozial geringeren Herkunft sozusagen ‚ erarbeitet ‘ werden. 1127 Damit der Charakter der Männer auch bei ihrem Verhalten während des Mahls bzw. Symposions bewertet werden kann, muss angenommen werden, dass es konventionelle Regeln als Beurteilungsmaßstab gibt, die die Freier zu beachten haben. Bis zum letzten Tag scheinen Hippokleides und der Alkmeonide Megakles bei diesem Wettbewerb insgesamt am besten abzuschneiden. Besonders Hippokleides entspricht Kleisthenes ’ Erwartungen durch seine „ männliche Werthaftigkeit “ 1128 ( κατ᾽ ἀνδραγαθίην - VI, 128.2) und wegen seiner guten Abstammung aufgrund seiner Verwandtschaft mit den Kypseliden von Korinth 1122 Alle Mähler, die in Herodots Historien mit den Ausdrücken μεγαλοπρεπείη oder μεγαλοπρεπής beschrieben werden, sind besonders prachtvoll und großzügig; siehe dazu Anm. 869. 1123 Papakonstantinou (2010, S. 75) bemerkt mit Blick auf die Verwendung von ξεινίζειν an dieser Stelle: „ Herodotus ’ source squarely and deliberately placed Agariste ’ s bridal contests in a long tradition of elite xenia. “ Zur Verwendung von ξεινίζειν in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.9 1124 Siehe dazu die Literaturverweise in Anm. 200. 1125 Vgl. Stahl (1987), S. 87, S. 96/ Anm. 158; Stein-Hölkeskamp (1989), S. 118 f.; Stahl (2003), S. 63 - 70; Papakonstantinou (2010), S. 71; Bierbas-Richter (2016), S. 281. 1126 Zum Wettbewerb als Bestandteil des Symposions siehe auch die Ausführungen in Kap. 2.2.2 sowie in Kap. 2.2.3.2. 1127 Vgl. dazu Bierbas-Richter (2016), S. 281 mit Verweis auf Stein-Hölkeskamp (1989), S. 231, S. 86 - 93. Damit hängt auch die Öffnung des Symposions für weitere Teile der Gesellschaft außerhalb der Aristokratie zusammen (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.2). 1128 Übersetzung von ἀνδραγαθία nach Müller (2006a), S. 252. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 331 <?page no="332"?> (VI, 128.2). 1129 Dadurch, dass dieser Wettbewerb im Kontext eines Berichts über die Berühmtheit des Alkmeonidengeschlechts steht, verrät der Text bereits, dass Megakles die Ehe mit Agariste gewinnen muss. 1130 Damit ist den Lesern klar, dass Hippokleides seinen Vorsprung im Wettbewerb verlieren muss. 4.1.3.2.2 Ablauf des Symposions Obwohl Kleisthenes als Gastgeber seine Gäste das ganze Jahr über bereits sehr großzügig bewirtet (VI, 128.1), veranstaltet er am Tag der Entscheidung ( ὡς δὲ ἡ κυρίη ἐγένετο τῶν ἡμερέων τῆς τε κατακλίσιος τοῦ γάμου καὶ ἐκφάσιος αὐτοῦ Κλεισθένεος τὸν κρίνοι ἐκ πάντων - VI, 129.1) 1131 ein noch größeres Mahl als sonst. Zusätzlich zu den Freiern bewirtet er dabei nach einem Opfer von 100 Rindern auch alle Sikyonier ( θύσας βοῦς ἑκατὸν ὁ Κλεισθένης εὐώχεε αὐτούς τε τοὺς μνηστῆρας καὶ Σικυωνίους πάντας - VI, 129.1). Durch die Verwendung von εὐωχέειν wird deutlich, dass es sich dabei um ein großes und aufwendiges Gastmahl handelt. 1132 Kleisthenes kann auf diese Weise seine hervorragende Stellung als Aristokrat und seinen Wohlstand besonders gut zur Schau stellen, da er es sich nicht nur leisten kann, die dreizehn Freier ein Jahr lang zu bewirten, sondern zusätzlich ein Festmahl für so viele Personen zu veranstalten. 1133 Anschließend an das Mahl ( ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἐγίνοντο - 1129 Für nähere Informationen zur Verwandschaft des Hippokleides mit den Kypseliden siehe How/ Wells (1912b), S. 119; Davies (1971), S. 295 f.; McQueen (2000), S. 218; Scott (2005), S. 425; Lavelle (2014), S. 320; Hornblower/ Pelling (2017), S. 282. 1130 Vgl. Müller (2006a), S. 242. 1131 Coulet (1994, S. 61/ Anm. 17) betont, dass es sich bei κατάκλισις um ein im 5. Jahrhundert sehr selten verwendetes Wort für ‚ Festmahl ‘ handelt. Zur umstrittenen Deutung von κατάκλισις τοῦ γάμου siehe Müller (2006a), S. 253 f. mit Anm. 102. Müller (2006a, S. 253) lehnt hier die gewöhnliche Bedeutung „ Hochzeitsmahl “ ab, da das Festmahl der Entscheidung vorausgehe und „ das große Gelage des ‚ Entscheidungstages ‘ ( κυρίη ἡμέρη ) noch kein Hochzeitsmahl “ sei und darüber werde auch nicht entschieden, sondern es finde die Entscheidung „ über die (künftige) ‚ eheliche Bettgenossenschaft ‘“ statt (ebd., S. 253 f.). Hornblower/ Pelling (2017, S. 282) dagegen übersetzen κατάκλισις τοῦ γάμου hier mit „‘ the celebration of the marriage feast ’“ (vgl. auch Scott [2005], S. 426) und betonen dazu: „ Hdt. writes as if the announcement and the marriage would be part of the same celebration - scarcely credible, but an understandable story-telling simplification “ (Hornblower/ Pelling [2017], S. 282). Zur Überlegung, ob durch κατάκλισις darauf geschlossen werden kann, dass die Gäste bei dieser Feier liegen, siehe die Ausführungen in Anm. 1160. 1132 Zur Verwendung von εὐωχέειν in Herodots Historien vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10. 1133 Vgl. Scott (2005), S. 426; West (2015), S. 13, S. 21; Bierbas-Richter (2016), S. 291; siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.2 sowie Schmitt Pantel (1992), S. 53 - 59 und Papakonstantinou (2010, S. 76 f.), der mit Blick auf die Größe und den Aufwand, den Kleisthenes für diese Verlobungsfeier und die Freier seiner Tochter auf sich nimmt, bemerkt: „ [ … ] Cleisthenes intended not simply to replicate but to exceed existing 332 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="333"?> VI, 129.2) 1134 wird mit dem Symposion begonnen, das der Text hier als πόσις (VI, 129.2) bezeichnet. 1135 Die typische Zweiteilung eines griechischen Gastmahls in Deipnon und Symposion ist demnach gegeben. 1136 Kleisthenes unternimmt mit dieser Art von Verlobungsfeier nichts Ungewöhnliches, da die Verlobung im Rahmen eines Symposions einem alten Brauch des frühen Griechenlands entspricht. 1137 (including Homeric) blueprints of elite behavior “ (Papakonstantinou [2010], S. 76). Stein- Hölkeskamp (1989, S. 117 f.) verweist auf die Darstellung dieser Verlobungsfeier als Beispiel dafür, mit „ welchem unerhörten Aufwand manche Aristokraten Hochzeitsfeierlichkeiten in ihrer Familie vorbereiteten und ausrichteten “ (ebd., S. 117); Stein- Hölkeskamp hebt zudem hervor (1989, S. 118), dass Kleisthenes sogar extra Sportstätten für den sportlichen Wettkampf unter den Freiern errichten lässt (VI, 126.3); vgl. auch Müller (2006a), S. 260/ Anm. 123; Bierbas-Richter (2016), S. 219. 1134 Zur mehrfach gebrauchten Wendung ἀπὸ δείπνου γίγνεσθαι / εἶναι in Herodots Historien, mit der der Text das Ende des Mahlabschnitts bezeichnet, siehe Kap. 2.2.5.6 mit Anm. 480. 1135 Zur Verwendung von πόσις in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.2. 1136 Siehe dazu Kap. 2.2.3.1. 1137 Vgl. Robertson (1991), S. 25, S. 27. Für weitere Beispiele von Erzählungen über ‚ Verlobungssymposia ‘ im frühen Griechenland siehe Robertsons Aufsatz ‚ The betrothal symposium in early Greece ‘ (1991) im Gesamten. Robertson (ebd., S. 26) sieht in dem in Herodots Historien dargestellten Wettbewerb der Freier mit ‚ Verlobungssymposion ‘ bei Kleisthenes von Sikyon „ a clear historical instance “ . Zur Frage, ob dieses Symposion als historisch oder fiktiv zu bewerten ist, siehe z. B. auch McGregor (1941), S. 268 - 270; Alexander (1959), S. 129 f.; Parker (1994), S. 423/ Anm. 114; Müller (2006a), S. 263 - 276; Papakonstantinou (2010), S. 73 f.; Lavelle (2014), S. 321 f., S. 331 f.; Bierbas-Richter (2016), S. 282 - 284 mit jeweils weiteren Literaturhinweisen. How/ Wells (1912b, S. 117) sind der Meinung, dass die Hochzeit an sich Tatsache ist, die Details aber seien fiktiv; vgl. auch West (2015), S. 33. Stein-Hölkeskamp (1989, S. 118 f./ Anm. 64) weist diesbezüglich auf Folgendes hin: „ Der Tanz des Hippokleides und die Behauptung Herodots, daß Kleisthenes ausgerechnet diese Darbietung zum Anlaß genommen habe, den Hippokleides nicht zu seinem Schwiegersohn zu wählen, sind in der Forschung selbst in denjenigen Darstellungen für unhistorisch erachtet worden, die andere Details der Erzählung durchaus akzeptieren “ und verweist dafür beispielsweise auf McGregor (1941), S. 269. Die Historizität dieses Wettbewerbs ist auch dadurch infrage gestellt, dass die Darstellung desselben häufig u. a. mit der mythischen Brautwerbung um Helena in Verbindung gebracht wird; diese Verbindung erwähnt z. B. Grote (1847), S. 52 f./ Anm. 1; McGregor (1941, S. 270), der darin aber keine Minderung des Wahrheitsgehaltes dieser Erzählung sieht; ebenso Alexander (1959, S. 129), der McGregors Deutung zustimmt; Parker (1994), S. 423; Stein-Hölkeskamp (1989), S. 119; McQueen (2000), S. X - XI, S. 213; Scott (2005), S. 420; Müller (2006a), S. 229 mit Anm. 13; Papakonstantinou (2010), S. 74; Hornblower (2014), S. 219; Lavelle (2014), S. 321, S. 331; West (2015), S. 20; Hornblower/ Pelling (2017), S. 276; darüber hinaus wird auch häufig ein Bezug zum Mythos von Hippodameia hergestellt: vgl. dazu Lonsdale (1993), S. 218 f.; Müller (2006a), S. 249 mit Anm. 88, S. 260 - 262; Papakonstantinou (2010), S. 74; Hornblower (2014), S. 220; Hornblower/ Pelling (2017), S. 276. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 333 <?page no="334"?> Wie viele Teilnehmer nun das Symposion bei Kleisthenes zählt, wird nicht berichtet. Sicher ist lediglich, dass daran die dreizehn Freier und Kleisthenes teilnehmen und damit ausschließlich Männer, was den generellen griechischen Konventionen entspricht. 1138 Agariste selbst tritt abgesehen von ihrem Namen in der Erzählung nicht in Erscheinung. 1139 Ob nun auch die Bürger von Sikyon Teilnehmer oder zumindest Zuschauer beim gemeinsamen Trinken sind oder ob diese lediglich beim Mahl anwesend sind, sagt der Text nicht aus, sodass der Rahmen nicht explizit definiert wird. Blieben die Sikyonier nicht nur zum Mahl, sondern auch zum Symposion, würde die Teilnehmerzahl die übliche Anzahl eines griechischen Symposions von höchstens 30 Teilnehmern beträchtlich übersteigen. 1140 Da allerdings der Text weder sagt, dass die Sikyonier nach dem Mahl den Ort verlassen, noch, dass sie sich aktiv am Symposion beteiligen, kann beides nicht ohne Weiteres angenommen werden. So entsteht die Vorstellung, dass es sich hier um ein Symposion handelt, dessen aktiver Teilnehmerkreis sich zwar auf Agaristes Freier und Kleisthenes beschränkt, zusätzlich aber noch eine große Menge an Zuschauern - die Sikyonier - vor Ort bleiben. Diesem Verständnis folgend würde der üblichen Teilnehmerzahl eines griechischen Symposions Genüge geleistet. Der Raum des Symposions, über den der Text ebenfalls nichts aussagt, müsste aufgrund der vielen Zuschauer in diesem Fall jedoch sehr groß sein. 1141 Nicht unerwähnt bleiben soll hier auch, dass diese Anekdote häufig mit der indischen Fabel über einen tanzenden Pfau in Verbindung gebracht wird, der sich ebenfalls durch seinen Tanz seine Gunst verspielt und damit nicht die Hand der Tochter des Goldschwankönigs bekommt (vgl. dazu z. B. die Ausführungen von Macan [1895], 304 - 311; McGregor [1941], S. 269/ Anm. 6; McQueen [2000], S. XI; Müller [2006a], S. 264 - 266 mit genauer Angabe zur Fabel in Anm. 135; West [2015], S. 24 - 30; Bierbas-Richter [2016], S. 284/ Anm. 22; Hornblower/ Pelling [2017], S. 275 f.). 1138 Siehe dazu Kap. 2.2.3.3.1. 1139 Vgl. dazu Müller (2006a), S. 262 f.; West (2015), S. 19. 1140 Zur gewöhnlichen Teilnehmeranzahl beim Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. West (2015, S. 22) geht von nur 14 Symposiasten (Freier und Kleisthenes) aus, was einer Anzahl entspricht, die zu den gewöhnlichen symposiastischen Konventionen passt. Müller allerdings geht davon aus, dass alle Sikyonier beim Symposion anwesend sind (vgl. Müller [2006a], S. 254/ Anm. 106 - vgl. dazu Anm. 1148 in der vorliegenden Arbeit); vgl. auch Papakonstantinou (2010), S. 73. Scott (2005, S. 426) schlägt vor, diese Veranstaltung als eine Kreuzung (= „ cross “ ) aus Symposion und öffentlichem Fest zu deuten. Kleisthenes demonstriere dabei „ his wealth, generosity and rank “ (ebd.). Siehe dazu auch Anm. 1133. 1141 Dafür, dass dieses Symposion nicht unter freiem Himmel, sondern in einem Raum vorzustellen ist, gibt der Text in VI, 129.3 einen Hinweis. Denn durch die Verwendung der Verben εἰσφέρειν und εἰσέρχεσθαι wird deutlich, dass der gewünschte Tisch für Hippokleides in etwas - also einen Raum - ‚ hinein ‘ -gebracht werden muss ( ἐκέλευσε 334 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="335"?> Die Erwartungen, die in diesem Symposion vorherrschen, sind je nach Perspektive unterschiedlich. Kleisthenes erwartet sich dabei wohl, noch ein letztes Mal das Verhalten der Freier zu bewerten, die Freier dagegen, sich ein letztes Mal als besonders gute Schwiegersöhne zu präsentieren und so die endgültige Wahl für sich zu entscheiden, indem sie sich so angepasst wie möglich verhalten. Die vorliegende Ausgangssituation für dieses Symposion lässt also noch kein ungünstiges Ende des Trinkgelages erahnen. Auch eine entscheidende ‚ innere Voraussetzung ‘ der Symposiasten, die untereinander bestehende Gleichheit, 1142 ist durch die gleichen Erwartungen der Freier und deren Gleichbehandlung durch ihren Gastgeber zu Beginn des Symposions gegeben. 1143 Denn von einem bevorzugten Verhalten gegenüber einzelnen Freiern ist nicht die Rede, auch wenn die beiden Athener und insbesondere Hippokleides als Favoriten benannt werden (VI, 128.2). 1144 Ob Kleisthenes zusätzlich die Rolle des Symposiarchen übernimmt und genaue Regeln über den Ablauf des Symposions vorgibt, erwähnt der Text nicht. 1145 Über Platzwahl, Sitzordnung, Art und Menge des Trinkens erhält der Rezipient ohnehin keine Informationen. Dies deutet darauf hin, dass der Weinkonsum nicht als entscheidender Auslöser für das spätere, regellose Verhalten des Hippokleides dargestellt werden soll. Was der Rezipient aber erfährt, ist, dass ebenfalls dem griechischen Brauch entsprechend während des Symposions unter der versammelten Trinkgemeinschaft ein Wettbewerb in musischen und gesprochenen Darbietungen abgehalten wird ( οἱ μνηστῆρες ἔριν εἶχον ἀμφί τε μουσικῇ καὶ τῷ λεγομένῳ ἐς τὸ < τῶν οἰκετέων > τινὰ τράπεζαν ἐσενεῖκαι - VI, 129.3 / ἐσελθούσης δὲ τῆς τραπέζης - VI, 129.3). 1142 Siehe dazu Kap. 2.2.3.3.2. 1143 Zur Gleichbehandlung aller Freier siehe Anm. 1121. Davon auszunehmen ist Kleisthenes, der im Vergleich zu den Freiern als Sieger in Olympia (VI, 126.2), Wettbewerbsleiter, Gastgeber, möglicher Schwiegervater und Tyrann von Sikyon eine erhöhte Position einnimmt (vgl. dazu Müller [2006a], S. 260; W ę cowski [2014], S. 70; Bierbas-Richter [2016], S. 292 - 294, S. 297). 1144 Hippokleides sticht unter den anderen Freiern wegen seiner Verwandtschaft zu den Kypseliden ( ὅτι τὸ ἀνέκαθεν τοῖσι ἐν Κορίνθῳ Κυψελίδῃσι ἦν προσήκων - VI, 128.2) und seiner „ männlichen Werthaftigkeit “ ( κατ᾽ ἀνδραγαθίην - VI, 128.2; Übersetzung von ἀνδραγαθία nach Müller [2006a], S. 252) hervor. Nenci (2007, S. 308) bemerkt, dass an dieser Stelle ersichtlich werde, dass die herodoteische Vorstellung von Adel nicht nur auf Abstammung (= γένος ) beruhe, sondern auch auf ἀνδραγαθία . So macht Nenci (ebd.) darauf aufmerksam, dass ἀνδραγαθία zum entscheidenden Kriterium wird, wenn das γένος gleich zu bewerten ist. Da Megakles aus der Familie der Alkmeoniden stammt und ebenfalls aus Athen kommt (VI, 127.4), muss hier zusätzlich die ἀνδραγαθία des Hippokleides hervorgehoben werden, in der er sich bis zu diesem Zeitpunkt auch im Vergleich zu Megakles als besser erwiesen haben muss. 1145 Zur Rolle eines Symposiarchen siehe Kap. 2.2.3.3.2. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 335 <?page no="336"?> μέσον - VI, 129.2) 1146 . Vorträge vor der gesamten Runde sowie musikalische Darbietungen sind typische Charakteristika eines Symposions. 1147 Hippokleides gelingt es dabei durch seine Darbietungen, die Aufmerksamkeit der Symposionsteilnehmer auf sich zu lenken ( κατέχων πολλὸν τοὺς ἄλλους ὁ Ἱπποκλείδης - VI, 129.2). 1148 Ob ihm dies durch ein besonders kunstvolles Rezitieren, einen besonders bewegenden Inhalt oder eine andere Fähigkeit 1146 Dabei kann aus der Formulierung ἐς τὸ μέσον geschlossen werden, dass die Darbietungen für alle Symposiasten gleich gut hörbar sind - vgl. dazu How/ Wells (1912b, S. 119: „ for all to hear “ ) sowie Legrand (1963, S. 120), der darauf hinweist, dass daran deutlich wird, dass der Vortrag nicht nur für die Ohren des Klinenpartners, sondern „ à celles de toute l ’ assistance “ bestimmt war; dazu auch Scott (2005, S. 426): „ to the assembled company “ ; Hornblower/ Pelling (2017, S. 283): „‘ speaking in company ’“ . Sowohl Scott als auch Hornblower/ Pelling verweisen hier auf Theognis, der mit der Formulierung εἰς τὸ μέσον ebenfalls bereits betont, dass Gespräche im Symposion für alle zu hören sein sollen: ὑμεῖς δ᾽ εὖ μυθεῖσθε παρὰ κρητῆρι μένοντες , / ἀλλήλων ἔριδας δὴν ἀπερυκόμενοι , / εἰς τὸ μέσον φωνεῦντες , ὁμῶς ἑνὶ καὶ συνάπασιν · / χοὔτως συμπόσιον γίνεται οὐκ ἄχαρι (Thgn. 493 - 496 West); vgl. auch Slater (1990), S. 218 mit Anm. 58; Ford (2002), S. 38 f.; W ę cowski (2014), S. 69. Ford (2002, S. 39) macht außerdem darauf aufmerksam, dass diese Formulierung nicht speziell auf das Symposion zu reduzieren ist: „ So, too, singing to display one ’ s character [ … ] for the assembled company (eis to meson) was a playful imitation of proffering one ’ s view publicly “ . Dabei verweist Ford auf IV, 97.5 in Herodots Historien, als Koës Dareios bei seinem Feldzug gegen die Skythen rät, die bestehende Schiffsbrücke nicht abzureißen, um den Rückweg zu sichern (IV, 97.3 - 5). Koës sagt dort in direkter Rede, er möchte seine Ansicht öffentlich vorbringen, was der Text ebenfalls mit ἐς μέσον (IV, 97.5) ausdrückt. 1147 Vgl. dazu Coulet (1994, S. 66/ Anm. 37: „ C ’ est le seul passage dans Hérodote où l ’ on a un échantillon des divertissements ‘ normaux ’ d ’ après dîner. “ ) sowie Schäfer (1997), S. 18 - 20. Schäfer (1997, S. 18) hebt hervor, dass u. a. der „ Liedvortrag zur Leier “ und „ die Austragung von regelrechten Wortgefechten “ typische Bestandteile sind, die zu „ den agonistischen Auseinandersetzungen beim frühgriechischen Symposion gehörten “ . Siehe dazu auch Kap. 2.2.3.2. 1148 Über die Bedeutung von κατέχειν an dieser Textstelle herrscht Uneinigkeit. Während es bereits von Stein (1894, S. 222) mit ‚ fesseln ‘ übersetzt wird und sich sowohl Feix (1963) als auch Brodersen (2015) durch ihre Übersetzung ‚ in den Bann ziehen ‘ für eine ähnliche Bedeutung entscheiden - auch How/ Wells (1912b, S. 119) und McQueen (2000, S. 218) ziehen diese Bedeutungsrichtung von κατέχειν hier vor - , wählen u. a. Nenci (2007) und Müller (2006a, S. 254/ Anm. 106) als Bedeutung ‚ übertreffen ‘ . Auch Hornblower/ Pelling (2017, S. 283) halten die Bedeutung „‘ greatly outdoing the others ’“ für am wahrscheinlichsten. Müller (2006a, S. 254/ Anm. 106) begründet die Wahl von „ übertreffen “ damit, dass mit „ die anderen “ ( τοὺς ἄλλους - VI, 129.2) hier nur die anderen Freier gemeint sein können. Beim Bezug auf die gesamte Zuhörerschaft - Müller geht also davon aus, dass alle Sikyonier beim Symposion als „ Auditorium “ anwesend sind - müsste es daher „ alle “ heißen und nicht wie hier „ die anderen “ (ebd.). Mit beiden Übersetzungen ist auf jeden Fall ausgedrückt, dass Hippokleides bisher noch auf positive Weise unter den Freiern hervorsticht. Für weitere Deutungsmöglichkeiten siehe Scott (2005), S. 426 f. 336 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="337"?> gelingt, wird nicht definiert. Die Aufmerksamkeit, die er bislang auf sich zieht, ist noch keineswegs negativ konnotiert. Man erfährt nun auch, dass ein Aulosspieler Teil dieses Symposions ist, sodass auch die gewöhnliche musikalische Begleitung im griechischen Symposion gegeben ist. 1149 Denn Hippokleides, der ja ohnehin bereits im Mittelpunkt steht, fordert diesen nun auf, ihm ein Lied zu spielen ( ὁ Ἱπποκλείδης ἐκέλευσέ 1150 οἱ τὸν αὐλητὴν αὐλῆσαι ἐμμέλειαν - VI, 129.2) 1151 , zu dem er zu 1149 Für den Aulosgebrauch im Symposion vgl. Anm. 272. Lonsdale (1993, S. 77) betont, dass der Aulos ähnlich wie auch Wein unwillkürliche Bewegungen „ of an uncontrollable nature “ evoziere; vgl. dazu auch Lavelle (2014), S. 326 f. Ob überhaupt oder inwieweit Hippokleides ’ Bewegungen tatsächlich unbeabsichtigt waren, erörtere ich anhand unterschiedlicher Thesen in Kap. 4.1.3.2.3. 1150 Doch Hippokleides hat nicht das Recht dazu, dem Flötenspieler einen Befehl zu geben, denn er ist weder Gastgeber noch „ le président du banquet “ (Coulet [1994], S. 66); vgl. auch Hornblower/ Pelling (2017, S. 283): „ part of his offence was that it was for the piperpaying host, not a guest, to call the tune. “ Siehe dazu auch Anm. 1224. 1151 Ἐμμέλεια bezeichnet „ als terminus technicus des tragischen Vokabulars [ … ] eine Weise von besonderem Ernst, Würde und Schwermut “ (Kinzl [1980], S. 182); vgl. auch Legrand (1963), S. 120; Coulet (1994), S. 66 f.; Bierbas-Richter (2016), S. 287/ Anm. 33 mit Verweis auf Scott (2005), S. 427, der hier wiederum wie auch bereits Kinzl (1980, S. 182/ Anm. 19) auf Plat. leg. 816b verweist, wo der Tanz in die kriegerische πυρρίχη und die friedliche ἐμμέλεια unterteilt wird ( καὶ δύο δὴ τῶν ὀρχήσεων τῶν καλῶν εἴδη κατεστήσατο , τὸ μὲν πολεμικὸν πυρρίχην , τὸ δὲ εἰρηνικὸν ἐμμέλειαν , ἑκατέρῳ τὸ πρέπον τε καὶ ἁρμόττον ἐπιθεὶς ὄνομα - Plat. leg. 816b). Lawler (1964, S. 83) weist darauf hin, dass unterschiedliche Meinungen darüber existieren, ob es sich bei ἐμμέλεια nur um den Auftritt des Chores in der Tragödie handelt oder ob dieser Ausdruck auf den gesamten tragischen Tanz angewendet werden kann (vgl. Ley [2003], S. 474). How/ Wells (1912b, S. 119) erwähnen zwar, dass ἐμμέλεια „ strictly “ mit „‘ tragic dance ’“ zu übersetzen sei, geben hier aber als Bedeutung „‘ dance tune ’“ an (vgl. auch Shuckburgh [1889], S. 185; McQueen [2000], S. 218; Hornblower/ Pelling [2017], S. 283). Müller (2006a, S. 254 f./ Anm. 107) dagegen versteht ἐμμέλεια , die sowohl eine „ gemäßigte Tanzweise “ (ebd., S. 255/ Anm. 107; vgl. Plat. leg. 816b) als auch einen „ Tanz der Satyrn “ (mit Verweis auf Aischylos fr. 424a Radt) ausdrücken könne, für diese Stelle „ in einem neutralen Sinn “ (ebd., S. 255/ Anm. 107). Nenci (2007, S. 309) dagegen hält es für möglich, dass der erste Tanz wirklich ‚ ernsthaft ‘ gewesen sei, um die komische Entwicklung von Hippokleides ’ Tänzen zu betonen. Auch Lonsdale (1993, S. 220) stützt sich bei der Deutung von ἐμμέλεια auf die oben genannte Textstelle von Platons Ausführungen in den Nomoi (Plat. leg. 816b), wo ἐμμέλεια zu den „ pacific dances “ eingeordnet wird, und hebt hervor, dass sie „ for a tragic chorus or for civic rites “ geeignet seien. Er fügt zu ἐμμέλεια das Adjektiv „ solemn “ hinzu (Lonsdale [1993], S. 220). Auch Lavelle (2014, S. 327 f.) sieht mit einer ἐμμέλεια einen wohl „ slow, sober, and stately “ Tanz verbunden, der mit einem tragischen Chor assoziiert wurde. In dieser Bedeutung würde der Text ἐμμέλεια zwar mit Blick auf Hippokleides ’ Lebenszeit anachronistisch verwenden (vgl. Kinzl [1980], S. 184; Ley [2003], S. 475 f.), für Herodots Rezipienten des 5. Jh. v. Chr. allerdings kann wohl bereits angenommen werden, dass sie die Bedeutung von ἐμμέλεια kennen (vgl. Ley [2003], S. 475). Ley (2003, S. 475) hebt hervor: „ The evidence of the aulos in combination with solo dancing could well point to a tragic model in his mind for this emmeleia [ … ]. In other 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 337 <?page no="338"?> tanzen beginnt ( πειθομένου δὲ τοῦ αὐλητέω ὀρχήσατο - VI, 129.2). Bereits die Formulierung, der Flötenspieler möge ihm ( οἱ - VI, 129.2) - und eben nicht allen Symposiasten - ein Lied spielen, macht offensichtlich, dass sein Verhalten gerade dabei ist, sowohl die sympotische Gemeinschaft als auch die agonistische Struktur zu durchbrechen. 1152 Kleisthenes betrachtet die Sache in jeder Hinsicht argwöhnisch ( ὁ Κλεισθένης δὲ ὁρέων ὅλον τὸ πρῆγμα ὑπώπτευε - VI, 129.2). Durch die prädikative Stellung von ὅλον macht der Text deutlich, dass es der Gesamteindruck von Hippokleides ist, der Kleisthenes missfällt. Doch gerade der Gesamteindruck ist für einen Aristokraten und damit auch für den Wettbewerb um Agariste entscheidend, was an den unterschiedlichen Bereichen deutlich wird, die Kleisthenes als Wettbewerbsdisziplinen festgelegt hat. 1153 Der Text schildert die Szene sehr lebhaft, indem er erwähnt, wie Hippokleides nach seinem ersten Tanz erst einmal eine Weile pausieren muss ( μετὰ δὲ ἐπισχὼν ὁ Ἱπποκλείδης χρόνον - VI, 129.3). Für die Vorbereitungen der nächsten Tanzeinlagen ist eine Unterbrechung ohnehin unumgänglich. Von einer Reaktion der Mitsymposiasten wird in dieser kurzen Pause nichts erwähnt, sodass eine versteinerte Stille impliziert wird. Während Hippokleides zuvor zu der Melodie der ἐμμέλεια noch auf dem Boden tanzte, lässt er nun einen Tisch hereinbringen ( ἐκέλευσε < τῶν οἰκετέων > τινὰ τράπεζαν ἐσενεῖκαι - VI, 129.3). Beide Befehle, also die Aufforderung an den Flötenspieler (VI, 129.2) und nun auch noch die Ansage, man möge ihm einen Tisch bringen, widersprechen den Regeln des Symposions - schließlich ist Hippokleides Gast und damit nicht berechtigt, solchen Einfluss auf den Symposionsablauf zu words, Herodotos seems to understand emmeleia here as a form of music accompanying solo dances (orchesis), and he is writing in the second half of the fifth century, contemporaneously with Sophokles and Euripides. “ Wegen der zugleich mit der Veränderung der Tanzformen des Hippokleides ansteigenden Abneigung von Kleisthenes ist es, wie auch Nenci (2007, S. 309) annimmt, aus kontextuellen Gründen sehr wahrscheinlich, dass unter ἐμμέλεια an dieser Textstelle eine ruhigere Tanzform zu verstehen ist, als es bei den darauffolgenden lakonischen und attischen σχημάτια und dem späteren obszönen Tanz auf dem Kopf der Fall ist (VI, 129.3 - 4). Sicher anzunehmen ist auch, dass es sich bei all seinen Tänzen um Solotänze handelt. 1152 Vgl. dazu Lonsdale (1993, S. 220): „ In effect, he flouts the agonistic element established by Cleisthenes and transforms the contest into a spectacular exhibition. He loses a sense of the collective context of the gathering as he shifts to perform narcisstic solo dances which are to his own liking, but totally inappropriate for a banquet. “ Coulet (1994, S. 66) bemerkt: „ Hippocléidès décide tout seul de danser et assez brusquement semble-t-il, alors qu ’ on en était à une joute musicale et langagière ‘ en commun ’ ( ἐς τὸ μέσον ). “ 1153 Vgl. dazu die Ausführungen Kap. 4.1.3.2.1. 338 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="339"?> nehmen, geschweige denn, dem Personal des Gastgebers Befehle zu erteilen. 1154 Hippokleides ’ Bruch mit dieser Konvention zeigt, wie sich seine zuvor noch positiv bewertete Sonderstellung in eine negative Richtung verändert. Aus diesem Halbsatz ( ἐκέλευσε < τῶν οἰκετέων > τινὰ τράπεζαν ἐσενεῖκαι - VI, 129.3) kann zudem eine weitere Information über dieses Symposion bzw. über die verwendeten Einrichtungsgegenstände gewonnen werden. Bisher war der gewünschte Tisch offenbar noch nicht im Symposionsraum. Da das Symposion bereits vor Hippokleides ’ Bitte im Gange war, ist es aber unwahrscheinlich, dass sich bisher noch überhaupt kein Tisch im Raum befunden hatte. 1155 Eine Erklärung dafür, dass Hippokleides dennoch möchte, dass einen Tisch hereingebracht wird, ist, dass für diesen der typische Symposionstisch nicht hoch genug war, um seine Tanzkünste besonders deutlich präsentieren und selbst aus der Gruppe der Symposiasten hervorragen zu können. 1156 Zudem ist fraglich, ob ein so kleiner Tisch, der lediglich als Ablagefläche für Trinkgefäße oder kleine Speisen beim Symposion gedacht ist, stabil genug ist, um seine elanvollen Tanzdarbietungen auszuhalten. 1157 Aus der Annahme, es handele sich um einen niedrigen Symposionstisch kann wiederum geschlossen werden, dass das Symposion - wie im Griechenland dieser Zeit bereits möglich - im Liegen abgehalten wird. Dieses Symposion kann durch den olympischen Sieg des Kleisthenes, durch seine Lebenszeit sowie die Lebenszeiten des Hippokleides bzw. Megakles auf die erste Hälfte des 6. Jh. v. Chr. datiert werden, auch wenn die Meinungen zu einer jahrgenauen Datierung auseinandergehen. 1158 Da sich die Entwicklung vom Sitzen zum Liegen im 1154 Diese Aufforderungen offenbaren also Hippokleides ’ Schamlosigkeit. Hornblower/ Pelling betonen mit Verweis auf Hippokleides ’ vorherigen Befehl an den Flötenspieler, er solle ihm seine gewünschte Melodie spielen (VI, 129.2; siehe dazu Anm. 1150): „ giving instructions to a musician was one thing, giving instructions to the household slaves and taking liberties with the furniture was a notch worse “ (Hornblower/ Pelling [2017], S. 283). 1155 Auch beim Symposion war üblicherweise ein Tisch vorhanden (vgl. Dalby [1996], S. 23; Murray [2009], S. 515 f.). 1156 Müller (2006a, S. 255) hebt zwei Funktionen des neu hereingebrachten Tisches hervor: „ Er verschärft mit der Minimierung der Tanzfläche die artistischen Anforderungen der Aufführung, und er ist das Podest, das den Einzigartigen aus den Vielen für alle sichtbar heraushebt “ . Diese Erhebung - sogar über seinen Gastgeber - ist symbolisch zu deuten (vgl. Bierbas-Richter [2016], S. 289). 1157 Denn als einzige Speisen während des Symposions wurde Nachtisch serviert (vgl. dazu Kap. 2.2.3.1). Auf den von Schmitt Pantel (1992, Annexe 5) gesammelten zahlreichen Symposionsabbildungen sind solche klein und instabil wirkenden Symposionstische mehrfach erkennbar. 1158 Zur Datierung dieser Verlobungsfeier siehe z. B. McGregor (1941), S. 276 - 279; Alexander (1959), S. 132; Davies (1971), S. 295, S. 372; Rosen (1978), S. 6; Kinzl (1979), S. 302 mit Anm. 18; Kinzl (1980), S. 182; Schäfer (1997), S. 27; Stahl (2003), S. 50; Scott (2005), S. 420; 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 339 <?page no="340"?> Symposion erst in der ersten Hälfte des 6. Jh. v. Chr. vollzog, 1159 und im Text nicht eindeutig darüber berichtet wird, bleibt dies lediglich eine Vermutung. 1160 Auf diesem Tisch tanzt Hippokleides nun zunächst lakonische und anschließend attische Figuren ( ὀρχήσατο Λακωνικὰ σχημάτια , μετὰ δὲ ἄλλα Ἀττικά - VI, 129.3). 1161 Wohl nicht nur mit diesen lakonischen Figuren ist eine gewisse skurrile Akrobatik verbunden. 1162 Schließlich steigert er sich sogar bis Duplouy (2006), S. 80; Müller (2006a), S. 267 f. mit Anm. 143; Papakonstantinou (2010), S. 72; Lavelle (2014), S. 322; Bierbas-Richter (2016), S. 279; Hornblower/ Pelling (2017), S. 275. 1159 Zur Entwicklung vom Sitzen zum Liegen im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5 mit Anm. 351. 1160 Neben dem niedrigen Tisch kann auch die Formulierung ἡ κυρίη ἐγένετο τῶν ἡμερέων τῆς τε κατακλίσιος τοῦ γάμου (VI, 129.1) andeuten, dass während dieser Feier gelegen wird. Darauf, dass die Ansicht, durch κατάκλισις τοῦ γάμου werde das ‚ Hochzeitsbankett ‘ umschrieben, umstritten ist, wurde bereits hingewiesen (siehe dazu Anm. 1131). Die wörtliche Bedeutung von κατάκλισις lässt auf ein Symposion schließen, das im Liegen abgehalten wird (vgl. dazu κατάκλισις in LSJ, S. 894: „ making one to lie down [ … ] II. (from Pass.) lying at table [ … ] “ bzw. κατακλίνω in LSJ, S. 894: „ lay down [ … ], having made them recline [ … ], Hdt. 1.126 [ … ] “ ); auch McQueen (2000, S. 218) verweist hier auf diese wörtliche Bedeutung von κατάκλισις . Allerdings umfasst κατάκλισις τοῦ γάμου hier auch das Festessen mit den Sikyoniern, bei dem es aufgrund der hohen Anzahl an Personen kaum vorstellbar ist, dass sie dabei liegen. Denn dass es sich auf das anschließende Symposion bezieht, an dem nur die Freier als aktive Teilnehmer im Text erkenntlich werden, ist aufgrund der Erwähnung ganz zu Beginn des Verlobungstages unwahrscheinlich. Scott (2005, S. 426) weist ebenfalls darauf hin, dass κατάκλισις in der Bedeutung „ lying on couches “ ein Symposion andeuten kann; vgl. auch W ę cowski (2014), S. 36. Allerdings stellt Scott (2005, S. 426) hier auch infrage, ob Festteilnehmer bei einem großen öffentlichen Fest lagen. 1161 Zu dem Ausdruck σχημάτια , der hier als Bezeichnung der Tanzfiguren verwendet wird, vgl. die Ausführungen von Lawler (1954), bes. S. 150 - 156; Ley (2003), S. 476 f. Lonsdale (1993, S. 220) ist der Meinung, dass Herodot gezielt das Diminutiv σχημάτια anstatt σχήματα gebrauche, um die Trivialität von Hippokleides ’ Tänzen zu betonen ( - „ with pejorative force “ ). 1162 Scott (2005, S. 427) betont, dass fast alle Tänze, die als attisch oder lakonisch beschrieben werden und uns bekannt sind, mit religiösen Kulten oder anderen besonderen Anlässen verbunden sind. Dabei verweist Scott u. a. auf den lakedaimonischen Waffentanz, die Pyrriche (ebd., S. 427 f.; vgl. auch Shuckburgh [1889], S. 186). Auch Lavelle (2014, S. 328) ist der Meinung, dass die lakonischen σχημάτια diesen Waffentanz miteinschließen könnten. Darüber hinaus nennt er weitere Möglichkeiten von akrobatischen lakonischen Tanzformen, die hier angesprochen sein könnten (vgl. ebd.). Für Athen sind Tänze einerseits von Tragödien- und Komödienaufführungen, andererseits in Verbindung mit einigen Festen und Kulten bekannt (vgl. Scott [2005], S. 428 mit Literaturverweisen). Vor diesem Hintergrund bemerkt Scott (2005, S. 328): „ If Hippocleides was doing (or parodying) them, the fact that it was at a wedding would be offensive to Greek taste. “ Lawler (1964, S. 107 f.) betont, dass zur Vorbereitung auf den Militärdienst auch in Athen die Pyrriche trainiert wurde, wobei im Vergleich zu Sparta „ more stress seems to have been laid upon form and grace than was the custom in Sparta. “ Coulet (1994, S. 67) hebt hervor, dass der Text zwar die genaue Art der lakonischen und attischen Tänze nicht 340 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="341"?> hin zum Kopfstand mit gestikulierenden Beinen als wären sie Hände ( τοῖσι σκέλεσι 1163 ἐχειρονόμησε 1164 - VI, 129.3). Die sich daraus ergebende Entblößung näher beschreibt, dass man aber vermuten könne, dass Hippokleides z. B. einen Kordax- Tanz ausführt - ähnlich wie Philokleon in Aristophanes ’ Wespen (Aristoph. Vesp. 1474 - 1537). Auch Legrand (1963, S. 120) hat bei den lakonischen σχημάτια auf die Pyrriche und bei den attischen σχημάτια auf den Kordax-Tanz verwiesen und sieht damit schon hier von den lakonischen hin zu den attischen σχημάτια eine „ progression dans le laisser-aller “ ; vgl. dazu Coulet (1994), S. 66 f.; Nenci (2007), S. 309. Dazu auch Hornblower/ Pelling (2017, S. 283): „ the latter were probably more comic than the Spartan; there is a graduated escalation of inappropriateness “ . 1163 Griffiths (2001, S. 167 f.) erkennt hier eine Verbindung zu VI, 125, wo der Text berichtet, wie die Alkmeoniden zu ihrem Reichtum kommen (VI, 125.5): Kroisos beschenkt Alkmeon mit Gold und zwar mit so viel Gold, wie dieser auf einmal mit bzw. an seinem Körper tragen kann ( δωρέεται χρυσῷ τὸν ἂν δύνηται τῷ ἑωυτοῦ σώματι ἐξενείκασθαι ἐσάπαξ - VI, 125.2). Um möglichst viel transportieren zu können, legt Alkmeon besonders weite Kleidung - u. a. eben auch weite Schuhe - an, um diese mit viel Gold zu füllen (VI, 125.3 - 4). Er kann schließlich nur noch mit schweren und schlurfenden Beinen Kroisos ’ Schatzkammer verlassen ( ἕλκων μὲν μόγις τοὺς κοθόρνους - VI, 125.4), da er vom Gewicht des Goldes zu Boden gedrückt wird (VI, 125.4). Kroisos bricht daraufhin in Gelächter aus (VI, 125.5). Griffiths (2001, S. 167 f.) weist also auf die Parallele dieser Erzählung zu Hippokleides ’ Tanz bei Kleisthenes hin (VI, 129.3), da „ both anecdotes climax with a memorable image of aristocratic legs in motion “ (ebd., S. 167). Der Unterschied besteht darin, dass Alkmeons Beinbewegungen durch Schwerfälligkeit hervortreten und Lachen bewirken (VI, 125.5), während Hippokleides ’ leichte und beschwingte Beinbewegungen Empörung hervorrufen (VI, 129.4) (vgl. Griffiths [2001], S. 167 f.). Griffiths erwähnt diesen Zusammenhang in seinem Aufsatz ‚ Kissing cousins. Some curious cases of adjacent material in Herodotus ‘ (2001), in dem er anhand einiger nebeneinanderstehender Textpassagen aus Herodots Historien nachweist, dass diese zwar nicht offensichtlich, aber durch unsichtbare Bande miteinander verbunden sind. 1164 Für χειρονομέειν bzw. χειρονομία bietet diese Stelle bei Herodot den besten Blick darauf, wie dieser Terminus von den Rezipienten im 5. Jh. v. Chr. wohl verstanden wurde (vgl. Ley [2003], S. 476): „ For the fifth-century audience, cheironomia should be generally descriptive of the movements of the hands (and arms) in dancing, and the term is only remarkable here because Hippokleides substitutes his feet and legs. “ (Ley [2003], S. 476). Hornblower/ Pelling (2017, S. 283) sehen darin „ a paradox to emphasise the upside-downness “ . Lonsdale (1993, S. 220 f.) bemerkt, dass Hippokleides hier nun völlig gegen die Konventionen beim Symposion verstößt. Zudem kann durch die Verwendung der χειρονομία Bezug auf den ersten Tanz des Hippokleides zur ἐμμέλεια gezogen werden; siehe dazu die Ausführungen in Anm. 1177. Olson (2018) beschäftigt sich intensiv mit der genauen Bedeutung der χειρονομία an dieser Stelle. Er empfindet die Angabe im LSJ zu χειρονομέω für diese Textpassage in den Historien (vgl. χειρονομέω in LSJ, S. 1985: „ gesticulate with the hands [ … ], of one standing on his head, Hdt. 6.129 [ … ] “ ) für nicht klar genug, um sich vorstellen zu können, wie Hippokleides sich hier genau bewegt (vgl. Olson [2018], S. 259 f.), und erschließt stattdessen unter Bezugnahme weiterer antiker Belegstellen für χειρονομέειν in erster Linie die Bedeutung eines Tanzes mit Bewegungen, die dem „ shadow-boxing “ ähnelten (vgl. ebd., S. 260 - 263): „ I. practice a dance-like form of shadow-boxing, normally to the accompaniment of a pipe [ … ]; nominally performed with the legs by someone standing 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 341 <?page no="342"?> seines Unterleibs - und das in erhöhter Position auf dem Tisch - ist auf diese Art und Weise einmalig in der überlieferten Literatur. 1165 Mit diesem hemmungslosen und despektierlichen Tanzstil durchbricht er endgültig die Erwartung des Kleisthenes an das Symposion und verspielt sich seine Chance auf den Sieg im Wettbewerb um die Braut. 1166 Durch seine erhöhte Position stellt er sich dabei nicht nur über seine Mitsymposiasten, sondern auch über seinen on his head, Hdt. 6.129 “ (ebd., S. 263). Die Vorstellung, wie sich Hippokleides genau bewegt, verdeutlicht Olson folgendermaßen: „ When Hippocleides stood on his head on the table at Cleisthenes ’ party, he likely wheeled his legs about as if he were riding a bicycle, an image unvailable to the Greeks “ (ebd., S. 252). 1165 Vgl. Scott (2005), S. 428. Griechen trugen keine Unterwäsche, was hier zwangsläufig die vollständige Entblößung zur Folge hat (vgl. Pekridou-Gorecki [1989], S. 95 f.; West [2015], S. 22; Bierbas-Richter [2016], S. 280/ Anm. 5; Hornblower/ Pelling [2017], S. 284). Hornblower/ Pelling (2017, S. 284) machen darauf aufmerksam, dass Hippokleides hier in einem unpassenden Kontext seine αἰδοῖα zur Schau stellt und es daher als schamlos bewertet wird. Denn es könne angenommen werden, dass Nacktheit an sich nicht neu für die Freier ist, die ja schon einige Zeit zusammen im Gymnasium trainierten (vgl. ebd.). Die Entblößung der Geschlechtsteile erwartet auch Ogden (1997, S. 117), der darin einen Zusammenhang mit der Verwendung von ἀπορχεῖσθαι ( Ὦ παῖ Τεισάνδρου , ἀπορχήσαό γε μὲν τὸν γάμον - VI, 129.4) sieht: „ the hapax aporchêsao also puns significantly on orcheis, ‘ testicles ’ : ‘ You have lost your marriage by displaying your testicles ’ , possibly even ‘ You have ballsed up your marriage. ’“ ; vgl. dazu McQueen (2000), S. 219; aber auch West (2015), S. 22/ Anm. 52; Hornblower/ Pelling (2017), S. 284. Im Text lässt sich diese Ansicht außer durch den ähnlichen Klang von ὄρχιες (att. ὄρχις ) und ὀρχεῖσθαι nicht belegen. Vielmehr spricht dagegen, dass Kleisthenes ja bereits nach den ersten Tänzen des Hippokleides abgeneigt dagegen war, ihm Agariste zur Ehefrau zu geben ( Κλεισθένης δὲ τὰ μὲν πρῶτα καὶ τὰ δεύτερα ὀρχεομένου ἀποστυγέων γαμβρὸν δή οἱ ἔτι γενέσθαι Ἱ πποκλείδεα - VI, 129.4), als dieser seinen nackten Unterleib noch nicht zur Schau gestellt hatte. Ob nun zusätzlich dieser Wortwitz beabsichtigt ist oder nicht, bleibt zwar ungewiss, aber Lavelle (2014, S. 329 f.) widerspricht dem mit folgender plausibler Begründung: „ While this interpretation is inventive, lively, and even witty, it is oblivious both to representations of Greek hand-stand dancing and what is humanly possibly. “ Lavelle (2014, S. 330) hebt mit Verweis auf antike Abbildungen hervor, dass Tänzer nur dann mit den Füßen Handgesten machen können, wenn sie mit ihrer Körperrückseite zum Publikum gedreht sind. Zwar ist durch diese Argumentation Ogdens Interpretation zu verwerfen, aber natürlich bleibt Hippokleides ’ Tanz dennoch despektierlich gegenüber seinem Gastgeber und den anderen Freiern, ob er nun seine nackte Körperrück- oder Körpervorderseite preisgibt. 1166 Lavelle bemerkt zudem, dass dieser Tanz durch Hippokleides ’ Entblößung homoerotisch suggestiv geworden sei: „ Hippokleides was apparently advertising for male penetration in the midst of what should have been his own wedding feast! “ (Lavelle [2014], S. 330 f.). Dazu kommt, dass Handgesten, für die Hippokleides hier seine Beine verwendet, ohnehin eher als feminine Aktivität betrachtet werden (vgl. Fitton [1973], S. 260; Lavelle [2014], S. 331). Durch seinen Tanz zerstört Hippokleides also seinen bis kurz zuvor noch bestehenden guten Ruf bei Kleisthenes, der sich besonders durch seine ἀνδραγαθία (= „ männliche Werthaftigkeit “ ; Übersetzung von ἀνδραγαθία nach Müller [2006a], S. 252) ausgezeichnet hat (VI, 128.2): „ his reputation for ἀνδραγαθία was instantly replaced by 342 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="343"?> Gastgeber. 1167 Was Hippokleides dazu bringt, das Symposion durch diese Art von Tanz zu stören, untersuche ich im folgenden Kapitel. 1168 Da Hippokleides eine zentrale Verhaltensnorm überschreitet, auf die Kleisthenes für die Wahl seines Schwiegersohnes größten Wert legt, nämlich das richtige Verhalten, unter anderem beim Mahl - 1169 hier beim Symposion - , und er damit auch dem Verhalten als Aristokrat nicht gerecht wird, 1170 zieht Kleisthenes Rückschlüsse daraus auf Hippokleides ’ Charakter. Denn gerade durch dieses hemmungslose und unüberlegte Verhalten zeigt er sich nach Kleisthenes ’ Urteil bezüglich der ἀνδραγαθία , 1171 ὀργή , παίδευσις und des τρόπος als ungenügend. Hippokleides erweist sich somit für Kleisthenes in jeder Hinsicht als ungeeigneter Schwiegersohn. 1172 Kleisthenes dagegen erfüllt zu Beginn von Hippokleides ’ Tänzen weiterhin die Erwartungen an einen Aristokraten und hält seine Emotionen im Zaum. Denn als Hippokleides zur ἐμμέλεια zu tanzen beginnt, bleibt er der gute Gastgeber, der er die ganze Zeit über war, und sieht zunächst kommentarlos, aber argwöhnisch zu ( ὑπώπτευε - VI, 129.2), als wüsste er bereits, dass es nicht bei diesem ruhigen Tanz bleiben würde. Und sogar, als Hippokleides beginnt auf dem Tisch wildere Formen - lakonische und attische σχημάτια - 1173 zu tanzen, hält sich Kleisthenes zurück, um nicht zügellos verbal gegen ihn loszubrechen ( οὐ βουλόμενος ἐκραγῆναι ἐς αὐτόν - VI, 129.4), 1174 obwohl er schon da großes Missfallen gegenüber der Vorstellung hatte, dass Hippokleides sein Schwiegersohn werden könnte ( Κλεισθένης δὲ τὰ μὲν πρῶτα καὶ τὰ μαλακία , its opposite “ (Lavelle [2014], S. 331). Damit verliert er den Vorsprung gegenüber Megakles (vgl. Anm. 1144). 1167 Vgl. dazu Anm. 1156. 1168 Siehe dazu Kap. 4.1.3.2.3. 1169 Vgl. dazu Kap. 4.1.3.2.1. 1170 Siehe dazu genauer die Ausführungen auf S. 354 f. 1171 Siehe dazu Anm. 1166. 1172 Durch sein Verhalten hat Hippokleides genau das von sich offenbart, was Kleisthenes für den Ehemann seiner Tochter unbedingt vermeiden möchte. Denn Kleisthenes sucht nach einer „ Verbindung mit Reichtum und Macht “ (Murray [1998], S. 267), um die Stellung der eigenen Familie zu festigen, und daher einen Schwiegersohn, „ der ihn nicht beschämen sollte “ (Murray [1998], S. 267). Wenn Hippokleides zwar Reichtum (VI, 127.4) und durch seine Verwandtschaft zu den Kypseliden auch Macht bieten könnte (VI, 128.2), so erfüllt er das Kriterium, Kleisthenes niemals zu beschämen, keineswegs. 1173 Siehe zu den lakonischen und attischen σχημάτια die Ausführungen in Anm. 1162. 1174 Denn einerseits würde er sich dann selbst von seinen Emotionen leiten lassen und hätte damit seine ὀργή , also sein ‚ Temperament ‘ (= Übersetzung nach Brodersen [2015]; zur Bedeutung von ὀργή siehe Anm. 951), worin er die Freier testet, selbst nicht mehr im Griff, andererseits ist er nach wie vor Gastgeber und daher verpflichtet dafür zu sorgen, dass sich seine Gäste wohl und sicher fühlen (vgl. dazu Kap. 2.1.2.1 sowie Anm. 1511). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 343 <?page no="344"?> δεύτερα ὀρχεομένου ἀποστυγέων γαμβρὸν δή οἱ ἔτι γενέσθαι Ἱπποκλείδεα - VI, 129.4). Als Grund dafür gibt der Text den Tanz und die damit verbundene Unverschämtheit an ( διὰ τήν τε ὄρχησιν καὶ τὴν ἀναιδείην - VI, 129.4). 1175 Anders als Hippokleides hält Kleisthenes also seine eigenen Emotionen im Zaum ( κατεῖχε ἑωυτόν - VI, 129.4). Als aber Hippokleides ’ Tanz noch exzessiver wird und damit für Kleisthenes der Gipfel der Unverschämtheit erreicht ist, wechselt zugleich Kleisthenes ’ Einstellung Hippokleides gegenüber von Argwohn zu Abscheu. Letztlich ist das Gestikulieren der Beine im Kopfstand der ausschlaggebende Grund dafür, dass auch Kleisthenes seine Emotionen nicht mehr zurückhalten kann ( οὐκέτι κατέχειν δυνάμενος - VI, 129.4). Der Tanz des Hippokleides entwickelt sich also in drei Schritten von einem gemäßigten Takt zu einem maßlosen und wilden Tanz. 1176 Mit eben diesen Schritten wird auch die größer werdende Abneigung des Brautvaters gegen Hippokleides verbildlicht und damit zugleich auch die schwindende Chance des Hippokleides, den Wettbewerb um die Braut zu gewinnen. 1177 Kleisthenes nimmt es nun in Kauf, zusammen mit Hippokleides ’ Tanz auch das Symposion zu unterbrechen. Hippokleides zerstört die Harmonie des Symposions, indem er nur auf sich achtet und die anderen Teilnehmer weder berücksichtigt noch ernst nimmt. 1178 1175 Zur engen syntaktischen Verbindung von ὄρχησις (= Tanz) und ἀναιδείη (= Unverschämtheit) an dieser Textstelle siehe die Ausführungen in Kap. 4.1.3.2.3. 1176 Vgl. Coulet (1994), S. 66 f. ( „ Ses danses, [ … ], sont de plus en plus endiablées “ [ebd.], S. 66); Nenci (2007), S. 309; Hornblower/ Pelling (2017), S. 283. 1177 Diese Entwicklung wird auch an den Bewegungen, die mit den Tänzen in Verbindung stehen, ersichtlich. Bei seinem ersten Tanz handelt es sich um den Tanz zu einer ἐμμέλεια (VI, 129.2); zur ἐμμέλεια siehe Anm. 1151. Lawler (1964, S. 82 f.) bemerkt, dass die „ cheironomia, the code of symbolical gestures “ (ebd., S. 82), für die ἐμμέλεια sehr wichtig war. Zur Verwendung von χειρονομία bzw. χειρονομέειν in VI, 129.3 siehe Anm. 1164. Auch Lavelle (2014, S. 328) weist darauf hin, dass eine ἐμμέλεια trotz „ its reputed stateliness “ auch mimische Gesten enthalte. Lavelle erwähnt dies, als er betont, dass Kleisthenes sogar dieser wohl würdevolle Tanz zur ἐμμέλεια nicht gefällt (ebd., S. 327 f.). Die Gesten könnten somit der ausschlaggebende Grund dafür gewesen sein, dass Kleisthenes bereits diesen Tanz kritisch beäugt. Verbindet der Rezipient des 5. Jh. v. Chr. nun auch mit einer ἐμμέλεια Gesten, ohne dass dies im Text erwähnt werden muss, so werden deren Vorstellungen vom ersten Tanz des Hippokleides bei dessen letzten Tanz auf skurrile Art und Weise verdreht, indem Hippokleides nun anstatt seiner Arme mit seinen Beinen in der Luft gestikuliert ( τοῖσι σκέλεσι ἐχειρονόμησε - VI, 129.3). An dieser Stelle wird das zugehörige Verb χειρονομέειν nun explizit verwendet, wodurch ein Bezug auf die nach dieser Annahme implizierten Gesten während der ἐμμέλεια hergestellt werden kann. So würde die Steigerung von dem noch ernsthaft umgesetzten Tanz zur ἐμμέλεια hin zu entgegengesetzten Bewegungen, die sich durch Abnormalität bzw. durch das Überschreiten des normalen Maßes im Kopfstand auszeichnen, auch an den skurril verdrehten Tanzbewegungen selbst ersichtlich werden. 1178 Vgl. dazu Lonsdale (1993), S. 220 bzw. Anm. 1152 in der vorliegenden Arbeit. 344 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="345"?> Wie Stephanie West formuliert, besteht hier kein Zweifel an der schockierenden Wirkung ( „ shocking effect “ ) von Hippokleides ’ Darbietung inmitten der Eleganz des Symposions. 1179 So zerstört er die sympotische Atmosphäre, indem er nur auf sich schauend einen schockierenden Anblick für seine Mitsymposiasten in Kauf nimmt, sie auf diese Weise aus der sympotischen Stimmung reißt und zurück in die Realität versetzt. Als Kleisthenes ihm verdeutlicht, dass er sich die Hochzeit wörtlich ‚ weggetanzt ‘ habe ( Ὦ παῖ Τεισάνδρου , ἀπορχήσαό γε μὲν τὸν γάμον - VI, 129.4), erwidert er scheinbar unbeeindruckt, dass es ihm egal sei ( Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ - VI, 129.4). 1180 Einzig sein Verhalten beim Symposion verhindert seine Verlobung mit Agariste. Sein Satz, ‚ das macht Hippokleides keinen Kummer ‘ , beendet nun das Symposion. 1181 1179 West (2015), S. 22. 1180 Für diesen Ausspruch gibt Lavelle (2014, S. 324) mehrere Erklärungsmöglichkeiten an: Es könne ein Versuch des Hippokleides sein, sein Gesicht zu wahren, indem er verdeutlicht ‚ Ich wollte das Mädchen ohnehin nicht ‘ oder es wäre auch als ein „ arrogant rebuff to the tyrant “ möglich zu deuten, indem Hippokleides hervorhebt, dass sein Tanz wichtiger sei als dessen Tochter, die er ohnehin nie wirklich gewollt hätte. Dabei allerdings wären diese Antworten klarsichtiger und zielgerichteter als, wie Lavelle schreibt, „ the implication of heavy drinking leads us to imagine “ (Lavelle [2014], S. 324 f.). Die mögliche Deutung dieses Ausspruchs des Hippokleides dahingehend, dass Hippokleides an der Ehe mit Agariste ohnehin kein Interesse hat, spricht auch Scott (2005, S. 429) an: „ We may speculate whether, behind the story, lurks an unwillingness on the part of Hippocleides to marry Agariste. “ Lavelle (2014, S. 325) erwähnt auch, dass es sich um eine durch Tanz und Trunkenheit animierte leichtsinnig dahingesprochene Antwort handeln könnte, die mehr einer Nebenbemerkung entspricht: „ Something like ‘ I can ’ t be bothered now, I ’ m dancing ’“ (ebd.). Oder es könnte eben auch ein „ very brief moment of lucidity and selfrealization amidst the haze of inebriation “ sein, also ein Eingeständnis, dass er tatsächlich nicht bei Verstand ist und es daher sinnlos ist, ihn anzusprechen (vgl. ebd.). Mit Blick auf den Kontext der Geschichte allerdings verwirft Lavelle die ersten beiden erwähnten Deutungen, da er davon ausgeht, dass der Autor diese Worte nicht wählte, damit sie Hippokleides in irgendeiner Weise gutheißen, vielmehr spiegelt sich darin eine starke Trunkenheit wider (vgl. ebd., S. 325 f.). Lavelle beschäftigt sich auch insgesamt mit der Frage, ob dieses Sprichwort von Hippokleides nicht in einem anderen Kontext ausgesprochen wurde oder vielleicht auch einen ganz anderen Ursprung hat (siehe dazu ebd., S. 325 f. sowie 340 f.). Lavelle spricht in seiner Analyse dieses Ausspruchs allerdings nicht an, dass die Formulierung, es sei ihm egal, darauf hinweist, dass sich Hippokleides dabei bewusst sein muss, gezielt etwas als unwichtig für sich selbst zu bezeichnen, was normalerweise in den Bereich der aristokratischen Normerwartung zählt, nämlich sich als der Beste zu erweisen (vgl. zu Hippokleides ’ Bruch mit diesem Ideal S. 354 f. in der vorliegenden Arbeit und zu dieser Deutung von Hippokleides ’ Ausspruch vgl. die Ausführungen in Anm. 1201). Unabhängig von all diesen Deutungen stellt dieser vom Text wiedergegebene Ausspruch Hippokleides in den Mittelpunkt und brüskiert den Gastgeber Kleisthenes (siehe dazu auch S. 356 f.). 1181 Hier erklärt der Text zugleich den Ursprung dieses Sprichworts ( ἀπὸ τούτου μὲν τοῦτο ὀνομάζεται - VI, 130.1). Hornblower/ Pelling (2017, S. 285) sehen darin ein Motiv für 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 345 <?page no="346"?> Dieser knappe Dialog zwischen Hippokleides und Kleisthenes ist zugleich auch agonistisch. 1182 Als Kleisthenes Hippokleides ’ Niederlage in diesem Wettbewerb bekanntgibt, gelingt es Hippokleides durch seine Aussage, es sei ihm egal, seine Reputation zu wahren. 1183 Denn Hippokleides übertrifft Kleisthenes ’ Diktum, er habe sich die Hochzeit ‚ weggetanzt ‘ , durch ein eigenes Diktum. Auf diese Weise behält er neben seiner Ehre auch das letzte Wort im Agon. Hippokleides wird so zum Gewinner, auch wenn ihm der eigentliche Siegespreis, die Braut Agariste, nicht zuteilwird. 1184 Das Symposion aber scheitert an Hippokleides ’ unpassendem Verhalten, das sich jedoch überhaupt erst durch das Symposion zeigen kann. Denn von Beginn an gilt er zusammen mit Megakles als Favorit (VI, 128.2). Noch kurz vor seinem Tanz lenkt Hippokleides die Aufmerksamkeit aller auch auf sich ( κατέχων πολλὸν τοὺς ἄλλους ὁ Ἱπποκλείδης - VI, 129.2) - zu diesem Zeitpunkt aber noch auf eine positive Art - , sodass er hier auch noch auf positive Weise unter den Symposiasten hervorsticht. Erst, als er zu tanzen beginnt und sein Tanz aus Kleisthenes ’ Blick immer unanständiger wird, wird aus der Bewunderung schließlich Empörung. Hippokleides erweist sich also am Ende des Symposions als unerwünschter Alleinunterhalter. Der gemeinschaftliche Aspekt dieses Symposions kann daher immer weniger in Erscheinung treten. Dass Hippokleides die sympotische Atmosphäre durch sein Verhalten zerstört hat, zeigt sich im Text schließlich daran, dass er schildert, wie Kleisthenes nun für Ruhe sorgen muss ( Κλεισθένης δὲ σιγὴν ποιησάμενος - VI, 130.1), 1185 bevor er dann das Ergebnis seines Wettbewerbs verkünden und seine Tochter mit Megakles diesen Exkurs. Zur Aitiologie dieses Ausspruchs sowie zu dessen Rezeption siehe Miletti (2010), S. 142 - 144. 1182 Vgl. dazu auch W ę cowski (2014, S. 70), der bezüglich der Antwort von Hippokleides auf Kleisthenes ’ Absage hervorhebt, dass dadurch ersichtlich werde, dass dieser Wortwechsel eigentlich einen Agon „ of witty sympotic repartees “ darstelle. 1183 Hippokleides ’ Ausspruch und damit auch sein Name (vgl. Müller [2006a], S. 259; West [2015], S. 22) bleiben im Gedächtnis und damit ist es nicht mehr entscheidend, wenn er sich, wie Duplouy schreibt, durch seine grotesken Tanzschritte zuvor lächerlich gemacht hat (Duplouy [2006, S. 31]: „ D ’ abord, tout acte inconsidéré pouvait à tout moment ruiner une renomée progressivement gagnée, comme l ’ apprit à ses dépens le malheureux Hippokleidès à qui Clisthène de Sicyone, après l ’ avoir longtemps encensé, refusa finalement la main de sa fille dès qu ’ il se fut ridiculisé par quelques pas de danse grotesques “ ; vgl. auch ebd., S. 81). 1184 Vgl. Müller (2006a, S. 259): „ Seine Reaktion auf die Disqualifizierung durch den Brautvater als Kampfrichter ist von der Art, daß sie in ihrer unbekümmerten Frechheit Hippokleides zum heimlichen Sieger macht “ . 1185 Dazu auch Hornblower/ Pelling (2017, S. 285): „ a neat ellipse of thought: Hdt. does not need to mention that there was uproar and loud hilarity until Kleisthenes reasserted his authority by calling the room to order “ . 346 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="347"?> verloben kann (VI, 130.2). Dabei wirkt Kleisthenes wieder gefasst und in keiner Hinsicht mehr beeinträchtigt durch Hippokleides ’ vorangegangene Schamlosigkeit. 1186 Er erwähnt Hippokleides selbst zwar mit keinem Wort mehr, schließt ihn aber auch nicht aus, als er sich nun an die Freier wendet und sie alle lobt ( ἐγὼ καὶ πάντας ὑμέας ἐπαινέω - VI, 130.1) sowie am liebsten niemanden abweisen möchte ( καὶ πᾶσι ὑμῖν , εἰ οἷόν τε εἴη , χαριζοίμην ἄν , μήτε ἕνα ὑμέων ἐξαίρετον ἀποκρίνων μήτε τοὺς λοιποὺς ἀποδοκιμάζων - VI, 130.1). Im Text wird diese oberflächliche Beruhigung der emotionsgeladenen Stimmung an der parallelen Konstruktion des Satzes (Verneinung - Objekt - Partizip - Verneinung - Objekt - Partizip) ersichtlich, die in sich einen entgegengesetzten Inhalt wiedergibt. Durch die parallele Syntax hebt der Text die beiden Partizipien ἀποκρίνων und ἀποδοκιμάζων hervor, deren Verbindung sich durch das gleiche Präfix ἀπο zeigt. Durch die Betonung dieser Vorsilbe wird wiederum eine Verbindung zu einem besonders entscheidenden Wort in der Darstellung dieses Wettbewerbs hergestellt: ἀπορχήσαο (VI, 129.4). Auch die Abscheu des Kleisthenes gegenüber Hippokleides ’ Verhalten drückt der Text zuvor durch ein Verb mit dem Präfix ἀπο aus, nämlich durch ἀποστυγέειν (VI, 129.4). Durch diese Art von Wortkette gelingt es dem Text auch in der ruhig wirkenden Phase zu zeigen - Kleisthenes hatte ja nach dem Abbruch des gescheiterten Symposions für Ruhe gesorgt (VI, 130.1) - , dass das für Kleisthenes unverschämte Verhalten des Hippokleides nach wie vor über der Atmosphäre dieser Szene liegt. Zudem betont der Text durch die Vielzahl von Wörtern mit ἀπο als Vorsilbe oder auch der Präposition ἀπό , die über die gesamte Erzählung von Agaristes Verlobungsfeier verteilt verwendet werden, 1187 auch die Distanz, die zwischen den agierenden Personen bzw. Personengruppen immer wieder erkennbar wird. 1188 So besteht eine Distanz zwischen den Freiern, die aus unterschiedlichen Orten Griechenlands kommen, außerdem eine Distanz zwischen dem Brautvater und den Freiern, da dieser 1186 Scott (2005, S. 429) bezeichnet Kleisthenes ’ Rede in Anbetracht der Tatsache, dass Hippokleides ’ Verhalten ein Schlag gegen Kleisthenes ’ τιμή gewesen sein musste, „ a masterpiece of diplomacy to rectify that “ . 1187 Denn neben diesen vier Wörtern ( ἀποστυγέειν / ἀπορχέεσθαι - VI, 129.4 / / ἀποκρίνειν / ἀποδοκιμάζειν - VI, 130.1) finden sich in der Darstellung des Verlobungswettbewerbs (VI, 126 - 130) weitere Wörter mit dem Präfix ἀπ ( ο )- ( ἀπικνέεσθαι in VI, 127.1 / zweimal in VI, 127.4 / VI, 128.1 / VI, 128.2; ἀπελαύνεσθαι in VI, 130.2; ἀποδημίη in VI, 130.2) sowie häufig die Präposition ἀπό (in VI, 126.2 / VI, 127.1 / VI, 127.2 / zweimal in VI, 127.3 / zweimal in VI, 127.4 / VI, 128.2 / VI, 129.2 / VI, 130.1). 1188 Die Betonung der Distanz zeigt sich in der Bedeutung von ἀπό , einer Präposition, mit der ursprünglich die Angabe eines Ausgangspunktes und damit Entfernung und Trennung verbunden ist (vgl. ἀπό in LSJ, S. 191: „ Orig. sense, from “ ; zu den Bedeutungsnuancen und der Bedeutungsentwicklung von ἀπό als Präfix siehe auch Strömberg [1946], S. 23 - 48). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 347 <?page no="348"?> hierarchisch über ihnen steht, 1189 sowie die Distanz zwischen Hippokleides und den anderen Freiern, unter denen Hippokleides hervorragt, und schließlich die Distanz zwischen Kleisthenes und Hippokleides, die sich vor allem in der unterschiedlichen Bewertung von Hippokleides ’ Tanz zeigt. Diese betonte Distanz ist mit dem Gleichheitsideal in einem griechischen Symposion nicht vereinbar. So hebt der Text auf diese Weise einen entscheidenden Grund dafür hervor, weshalb dieses Symposion scheitert. Nun, als Kleisthenes also wieder für Ruhe gesorgt hat, ist auch seine Selbstbeherrschung wiederhergestellt, sodass er sich wieder äußerlich ruhig und ganz in der Manier des aristokratischen Brautvaters, der seine Emotionen unter Kontrolle hat, zeigen kann, indem er den abgewiesenen Freiern sogar noch eine Abfindung verspricht (VI, 130.2) und nicht einmal Hippokleides davon ausschließt. Der Text lässt Kleisthenes im Gegenteil sogar in direkter Rede betonen, dass er beabsichtigt jedem der abgewiesenen Freier - und dazu zählt auch Hippokleides - ein Silbertalent zu geben ( τοῖσι μὲν ὑμέων ἀπελαυνομένοισι τοῦδε τοῦ γάμου τάλαντον ἀργυρίου ἑκάστῳ δωρεὴν δίδωμι - VI, 130.2). 1190 4.1.3.2.3 Hippokleides ’ Tanz Welche Strategie Hippokleides aber mit seinem Verhalten verfolgt und aus welchen Gründen Kleisthenes dieses für anstößig hält, erklärt der Text seinen Lesern nicht direkt. 1191 Tanzen war in der Zeitstellung von Herodots Historien keineswegs verwerflich und noch nach Platon sogar ein Ausdruck von 1189 Vgl. dazu Anm. 1143. 1190 Müller (2006a, S. 257 f.) hebt auch die Klugheit hervor, die hinter diesem Vorgehen des Kleisthenes steht: Kleisthenes versucht durch die Aufwandsentschädigung die Gefahr zu unterbinden, die von den Freiern, die er abweisen und nach Hause schicken muss, ausgehen könnte; vgl. auch West (2015), S. 23. Duplouy (2006, S. 83) ist der Meinung, dass sich Kleisthenes durch seine ein Jahr andauernde Gastfreundschaft und dem geschenkten Silbertalent ein Netzwerk von Schuldnern aufbaut; Bierbas-Richter (2016, S. 293/ Anm. 54) erscheint Duplouys Ansicht allerdings „ etwas zu weitgehend. “ 1191 In Anm. 1137 wurde bereits mit Literaturverweisen auf eine mögliche Parallele zur indischen Fabel über den tanzenden Pfau hingewiesen. Müller (2006a, S. 264) schreibt diesbezüglich: „ Und selbst die akrobatische Aristie des Hippokleides mit der vertanzten Hochzeit scheint die Variation eines literarischen Motivs zu sein, dessen ursprüngliche Fassung sich in einer indischen Tierfabel erhalten hat. “ Doch unabhängig davon, ob es sich bei Hippokleides ’ Tanz eventuell um eine Variation eines bereits bestehenden literarischen Motivs handelt, wirkt der in den Historien beschriebene Tanz des Hippokleides auf den Sikyonier Kleisthenes äußerst anstößig, sodass nun untersucht werden soll, weshalb Kleisthenes im Kontext der Historien eine derart große Abscheu gegen Hippokleides ’ Tanz entwickelt. 348 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="349"?> Bildung. 1192 Auch zu einem typischen griechischen Symposion gehört das Tanzen. 1193 Das Tanzen an sich kann also nicht ohne Weiteres als Grund für Kleisthenes ’ skeptische Betrachtung ( ὁ Κλεισθένης δὲ ὁρέων ὅλον τὸ πρῆγμα ὑπώπτευε - VI, 129.2) angenommen werden. Dennoch nennt der Text Hippokleides ’ Tanz als Ursache dafür, dass Hippokleides für Kleisthenes nicht mehr als Schwiegersohn infrage kommt. Denn noch bevor sich Hippokleides auf den Kopf stellt und mit seinen Beinen gestikuliert, ist Kleisthenes sowohl wegen dessen Tanz als auch aufgrund dieser Unverschämtheit von der Idee abgeneigt, ihm seine Tochter zur Frau zu geben ( ἀποστυγέων γαμβρὸν δή οἱ ἔτι γενέσθαι Ἱπποκλείδεα διὰ τήν τε ὄρχησιν καὶ τὴν ἀναιδείην - VI, 129.4). 1194 Durch die τε … καί -Konstruktion sind hier ὄρχησις (= Tanz) und ἀναιδείη (= Unverschämtheit) eng verbunden, 1195 wodurch der Text zeigt, dass die Unverschämtheit des Hippokleides in seinem Tanz begründet liegt. Wenn Tanzen an sich aber nicht verwerflich ist, muss der Grund für das Missfallen darin liegen, auf welche Art Hippokleides tanzt. Es wird beschrieben, dass Hippokleides so tanzt, wie es ihm gefällt, Kleisthenes aber der ‚ ganzen Sache ‘ argwöhnisch gegenübersteht ( καί κως ἑωυτῷ μὲν ἀρεστῶς ὀρχέετο , ὁ Κλεισθένης δὲ ὁρέων ὅλον τὸ πρῆγμα ὑπώπτευε - VI, 129.2). 1196 Daran wird deutlich, dass sich Hippokleides bewusst so bewegt, wie er sich bewegt. Aus welchen Gründen Kleisthenes nun letztlich Abscheu gegen Hippokleides ’ Tanz hegt und ob sich Hippokleides auch im Klaren darüber ist, gegen Kleisthenes ’ Erwartungen zu 1192 Vgl. Scott (2005, S. 427) mit Verweis auf Plat. leg. 654a ( ΑΘ . Οὐκοῦν ὁ μὲν ἀπαίδευτος ἀχόρευτος ἡμῖν ἔσται , τὸν δὲ πεπαιδευμένον ἱκανῶς κεχορευκότα θετέον ; [ … ] ΑΘ . Ὁ καλῶς ἄρα πεπαιδευμένος ᾄδειν τε καὶ ὀρχεῖσθαι δυνατὸς ἂν εἴη καλῶς - Plat. leg. 654a - b) sowie Coulet (1994, S. 66), die auf Xenophons Symposion verweist, wo Sokrates selbst von seiner Begeisterung für das Tanzen berichtet (vgl. Xen. symp. 2, 16 - 19). 1193 Für den Tanz als Bestandteil des Symposions vgl. die Literaturhinweise in Anm. 273. 1194 Müller (2006a, S. 255/ Anm. 107) kritisiert Stahls Warnung bezüglich Hippokleides ’ Tanz davor, „ unser heutiges Empfinden, wonach die Vorführung des Hippokleides selbstverständliche Grenzen des gesellschaftlichen Anstandes verletzt, [ … ] - auch nicht stillschweigend - ins Spiel “ kommen zu lassen (Stahl [1987], S. 51/ Anm. 28). Müller (2006a, S. 255/ Anm. 107) fragt sich zu Recht, was unter „ unser heutiges Empfinden “ zu verstehen sei „ und wer [ … ] Anstoß am ersten Tanz des Hippokleides [nähme], dessen Melodie als ἐμμέλεια bezeichnet wird? Und wieso darf man was nicht? “ (ebd.; zur Bedeutung von ἐμμέλεια siehe Anm. 1151). Müller (2006a, S. 255/ Anm. 107) betont, Stahl hätte übersehen, dass διὰ τὴν ἀναιδείην im Text steht. 1195 Vgl. Hornblower/ Pelling (2017, S. 284): „ in effect a hendiadys for ‘ shameless dancing ’ . “ 1196 Durch die Stellung des δέ direkt nach Κλεισθένης wird der Kontrast von Kleisthenes zu ἑωυτῷ (= Hippokleides) in dieser μέν … δέ -Konstruktion besonders betont (vgl. Hornblower/ Pelling [2017], S. 283). 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 349 <?page no="350"?> handeln, ist im Text nicht eindeutig ausgesagt. So gibt es diesbezüglich unterschiedliche Hypothesen, auf die ich im Folgenden eingehen möchte. 1197 Eine aufgrund des Symposionskontexts naheliegende Erklärung, die voraussetzt, dass Hippokleides nicht bewusst handelt, ist die Annahme, er habe bereits zu viel Wein getrunken, auch wenn der Text dies nicht explizit aussagt. 1198 Im Text wird erwähnt, dass das Symposion schon weiter vorangeschritten sei ( προϊούσης δὲ τῆς πόσιος - VI, 129.2), als Hippokleides den Aulosspieler auffordert, seinen Musikwunsch zu erfüllen, woraus geschlossen werden kann, dass schon reichlich Wein geflossen ist. 1199 Zu hoher Weinkonsum wäre aufgrund seiner enthemmenden Wirkung denkbar. 1200 Ob dies aber der Grund für Hippokleides ’ unpassenden Tanz ist, bleibt eine Vermutung. Da hier also keine explizite Verbindung zwischen Tanz und Wein erwähnt wird, macht der Text nicht kenntlich, dass Hippokleides ’ Verhalten als unkontrolliert zu betrachten ist, was der Fall wäre, wenn der Text es eindeutig auf Betrunkenheit zurückführte. Dafür, dass sich Hippokleides bewusst ist, was er tut, spricht auch 1197 Dabei werde ich mich auf Erklärungen konzentrieren, die aus dem Text der Historien erschließbar sind. Eine Zusammenfassung und auch Problematisierung der Überlegungen aus althistorischer und archäologischer Sicht durch Kinzl und Schäfer zu Hippokleides ’ Tanz bietet Bierbas-Richter (2016), S. 286 - 289. Für weitere Hypothesen bezüglich Hippokleides ’ Tanz siehe zudem die kompakte Zusammenfassung von Bierbas-Richter (2016), S. 288 f./ Anm. 43 + 44. 1198 Vgl. dazu Coulet (1994 S. 67), die annimmt, dass Hippokleides ’ unverschämtes Verhalten sicherlich durch den Wein noch gesteigert wurde, auch wenn der Text dies nicht ausdrücklich sagt; Bierbas-Richter (2016, S. 288 f./ Anm. 43) weist auch darauf hin, dass der Grund für Hippokleides ’ Tanz und Verhalten zum Teil mit seiner Trunkenheit begründet wird, und verweist dabei z. B. auf Murray (2009), S. 517, Hobden (2013), S. 89 und mit Bezug auf den Kopfstand auch auf Scott (2005), S. 428. Bierbas-Richter (2016, S. 288/ Anm. 43) gibt dazu allerdings zu bedenken, dass „ die Griechen trinkfest [waren] und über das gebotene Maß [ … ] nach einem einjährigen Aufenthalt in Sikyon ebenfalls keine Unklarheit bestanden haben [dürfte]. “ Siehe dazu auch Müller (2006a), S. 256/ Anm. 111. Doch auch Ogden (1997, S. 117) und Papakonstantinou (2010, S. 77 - 80) nennen lediglich den starken Weinkonsum als Auslöser für Hippokleides ’ Tanz. Zudem deutet Lavelle (2014, S. 324 - 326) Hippokleides ’ Ausspruch u. a. vor dem Hintergrund von dessen Trunkenheit (siehe dazu auch Anm. 1180) und Bowie (2003, S. 106) schreibt: „ Hippocleides, in somewhat ‘ Scythian ’ manner drunkenly dances away his victory “ . Papakonstantinou (2010, S. 80) sieht in Hippokleides ’ maßlosem Weinkonsum einen Verstoß gegen die sozialen Konventionen in einem sympotischen Kontext und betont, dass ein individueller Rausch und dessen Folgen im Verhalten als Zeichen einer ungehobelten und sozial verkommenen Persönlichkeit wahrgenommen werden, „ that should be excluded from the narrow circle of the ruling elite. “ 1199 Vgl. Coulet (1994), S. 67. Hippokleides sei also möglicherweise nicht in der Lage gewesen, der Trunkenheit zu widerstehen, was jeder anständige Gast aber tun sollte (Coulet [1994], S. 67). 1200 Zur Wirkung von Wein, die auch im ausgelassenen Singen und Tanzen bestehen kann, siehe Kap. 2.2.3.4. 350 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="351"?> seine Aussage am Ende des Symposions, als ihn Kleisthenes darauf aufmerksam macht, dass er durch sein Verhalten die Ehe mit Agariste vertanzt habe (VI, 129.4). Denn Hippokleides erwidert darauf lediglich Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4) und macht so deutlich, dass er - zumindest am Ende - wissentlich gegen die Erwartungen des Gastgebers Kleisthenes verstößt, zumal er aus einer vornehmen Familie stammt und damit um die aristokratischen Verhaltensnormen weiß. 1201 Dass Hippokleides aber bereits bei seinem ersten Tanz gegen Kleisthenes ’ Erwartungen handelt, wird daran ersichtlich, dass dieser die ‚ ganze Sache ‘ ( ὅλον τὸ πρῆγμα - VI, 129.2) von Anfang an skeptisch beäugt (VI, 129.2). Seine Tanzeinlage wird bei seinem zweiten Tanz wild und erinnert spätestens durch seinen Kopfstand beim dritten Tanz an Akrobatik. 1202 Auffällig ist, dass Hippokleides bei seinem zweiten und dritten Tanz ähnlich tanzt wie ein als κυβιστητήρ bezeichneter akrobatischer Tänzer, wie er auch in den Epen 1201 Denn der Ausspruch weist darauf hin, dass sich Hippokleides offensichtlich bewusst ist, dass sein Verhalten der Normerwartung an einen Aristokraten widerspricht, sich immer als der Beste zu erweisen. Wenn er dies nicht wüsste, könnte es ihm auch nicht gleichgültig sein, seinen Sieg vertanzt zu haben; zu dieser Wertvorstellung der Aristokraten siehe S. 354 sowie die Literaturverweise Anm. 200. Bierbas-Richter (2016, S. 288 f.) widerspricht der Annahme, dass sich Hippokleides ’ Verhalten möglicherweise aufgrund einer fehlenden Kenntnis der Symposionskultur in Sikyon erklären lasse, damit, dass sich Hippokleides ja bereits ein Jahr lang in Sikyon bei Kleisthenes aufgehalten hatte, bevor er mit diesem Tanz beginnt, und damit genügend Erfahrung über die Konventionen und Sitten der sikyonischen Kultur und auch über die Erwartungen von Kleisthenes selbst sammeln konnte. So zwinge diese Überlegung „ zu der Annahme, daß er offenbar genau wußte, was er tat “ (Bierbas-Richter [2016], S. 289). Bierbas-Richter (2016, S. 297 f.) stellt schließlich eine weitere Theorie auf: Möglicherweise habe dem Aristokraten Hippokleides die Hierarchisierung am Hofe von Kleisthenes missfallen, sodass letztlich der Ausspruch des Hippokleides, Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4), „ weniger als eine Entfernung von der Wettbewerbsethik oder als Abweichung oder Ausdruck eines schlechten Verlierertums zu verstehen [ist], sondern vielmehr als eine klare Positionierung, die etwas freier übersetzt etwa lauten könnte: ‚ Aristie ja, aber nicht um jeden Preis. ‘“ (ebd., S. 298). Allerdings erwähnt der Text keine absichtliche Provokation des Hippokleides gegenüber Kleisthenes, vgl. dazu S. 355 f. und dort für diese Interpretation von Bierbas-Richter auch Anm. 1224. Für mögliche weitere Deutungen dieses Ausspruchs des Hippokleides siehe Anm. 1180. 1202 Nicht erst der Kopfstand, sondern bereits seine zuvor getanzten lakonischen σχημάτια (VI, 129.3) zeichnen sich wohl durch eine skurrile Akrobatik aus; vgl. dazu Anm. 1162. Doch Hippokleides durchbricht auch diesbezüglich die gewohnten Muster bei seinem letzten Tanz: Coulet (1994, S. 67) verweist darauf, dass es zwar eine akrobatische Figur gegeben habe, bei der man mit dem Kopf nach unten und den Füßen in der Luft das Gleichgewicht hielt, dass es sich dabei aber nicht um einen Tanz gehandelt habe, sondern um einen Akt professioneller Akrobatik, bei dem man sich nicht auf den Kopf und auf einen Tisch gestützt habe - wie es Hippokleides hier tut - , sondern auf den Boden und auf die Hände. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 351 <?page no="352"?> Homers auftritt, 1203 der gemäß seinem Wortbestandteil κύβη bzw. κυβιστᾶν 1204 auch Kopfstände durchführt. 1205 In dieser Hinsicht kann sein Tanz auch so gedeutet werden, dass sich Hippokleides als Vertreter der Aristokratie an den epischen Mythen zu orientieren versucht, an die dieses ‚ Verlobungssymposion ‘ angelehnt zu sein scheint. 1206 Hippokleides ’ Tanz allerdings durchbricht die angemessene Form der typisch archaischen Muster beim Symposion durch seinen Kopfstand mit gestikulierenden Beinen und entblößtem Unterleib auf obszöne Weise, sodass diese These zu verwerfen ist, wenn darin nicht eine bewusste Emanzipation des Atheners von den alten aristokratischen Werten gesehen werden soll. 1207 Zentral für die Deutung seines Verhaltens bleibt die Aussage Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4). Denn durch diese macht der Text klar, dass sich der junge und dynamische Hippokleides nicht um die Normen des älteren Kleisthenes kümmert. Das Symposion hätte Raum geboten, über unterschiedliche Regeln zu verhandeln oder zu diskutieren, was hier allerdings einerseits durch Hippokleides ’ Desinteresse an Kleisthenes ’ Wertvorstellung und andererseits an Kleisthenes ’ strikter Abscheu gegen Hippokleides ’ Verhalten scheitert. Regeln unterstehen einem Wandel, 1208 was sich auch an der Entwicklung des griechischen Symposions über die Jahrhunderte hinweg zeigt. 1209 Die 1203 Vgl. Hom. Il. XVIII, 604/ 5 sowie Hom. Od. IV, 18. 1204 Vgl. κύβη in LSJ, S. 1004: „ head, only as etym. of κυβιστάω“ sowie κυβιστάω in LSJ, S. 1004: „ tumble head foremost “ . 1205 Zu den κυβιστητῆρες siehe auch Wegner (1968), S. 43 sowie Schäfer (1997), S. 15 - 18. Bierbas-Richter (2016, S. 288/ Anm. 43) verweist im Zuge ihrer Zusammenfassung von mehreren Ansätzen, die Hippokleides ’ Art zu Tanzen zu erklären versuchen, u. a. auch auf Schäfers Ausführungen zu akrobatischen Tänzen und Reigen, die er den in den homerischen Epen erkennbaren aristokratischen Werten zuordnet (Schäfer [1997], S. 18), woraus Bierbas-Richter als mögliche Vermutung schließt, „ daß Hippokleides deshalb so tanzte, weil er sich an das Vorbild der Epen anlehnen wollte “ (Bierbas-Richter [2016], S. 288/ Anm. 43). Hippokleides ’ Tanz wäre dann ein sichtbares Zeichen dafür, dass sich die griechische Aristokratie des 6. Jh. v. Chr., wie Schäfer formuliert, „ in einem hohen Maße an den gesellschaftlichen Wervorstellungen und Verhaltensidealen der homerischen Frühzeit orientiert hat “ (Schäfer [1997], S. 22). 1206 Siehe dazu Anm. 1137 sowie 1205. 1207 Müller (2006a, S. 256 mit Anm. 110) betont, dass der „ Tanz als eine höfisch-aristokratische Arete [ … ] im ‚ Kopftanz ‘ des Hippokleides zur komödienhaften Virtuosität [degeneriert], der es an männlicher Ernsthaftigkeit mangelt. Die Charis einer spielerischen Körperbeherrschung wird zum akrobatischen Getändel “ . Dafür, dass wohl bereits der Tanz von attischen und lakonischen σχημάτια (VI, 129.3) als anstößig aufgefasst wurde, siehe Anm. 1162. 1208 Vgl. dazu Lundgreen (2011), S. 36 f. 1209 Zu den Entwicklungen des griechischen Symposions, dessen Exklusivität mit der Zeit abnimmt, da auch nicht-aristokratische Gesellschaftsgruppen - und somit auch andere Charaktere - daran teilnehmen, vgl. die Ausführungen in Kap. 2.2.2; Scott (2005, S. 424) 352 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="353"?> Verlobungsfeier bei Kleisthenes wird auf die erste Hälfte des 6. Jh. v. Chr. datiert, 1210 eine Zeit, in der man begann, im Symposion anstatt zu sitzen auf Klinen zu liegen, was für die Vertreter der traditionellen Tugenden der Aristokratie, zu denen Kleisthenes von Sikyon gehört, wie ein Zeichen von Verweichlichung gewirkt haben könnte. 1211 Burkhard Fehr weist darauf hin, dass in einer solchen Situation insbesondere junge Aristokraten - wie Hippokleides - versucht gewesen sein mussten, weitere Grenzen der alten Normen, nach denen sie erzogen waren, infrage zu stellen, sich daher ähnlich wie Akletoi zu verhalten und auf diese Weise die traditionelle Moral zu verändern. 1212 Für diese Deutung ist es unerheblich, ob die Freier bei diesem Symposion tatsächlich liegen. Entscheidend ist die generelle Entwicklung in dieser Zeit. Anhand dieses Symposions werden also zugleich Informationen über das gewohnte, konservative Symposion in Sikyon gewonnen, deren traditionelle Normen durch den Tanz des jungen Atheners Hippokleides durchbrochen werden. Damit erklärt sich der Maßstab des Hippokleides, dass er so tanzt, wie er es für sich selbst als gut und richtig empfindet ( καί κως ἑωυτῷ μὲν ἀρεστῶς ὀρχέετο - VI, 129.2). Vor dem Hintergrund, dass es sich hier um ein Symposion im Rahmen eines Wettbewerbs bei einer Verlobungsfeier handelt, erweist sich Hippokleides ’ egozentrisches Verhalten als besonders unpassend. Denn mit Hippokleides ’ alleinigem Tanzen ist ein gemeinsamer Wettbewerb nicht vereinbar. 1213 Der Wettbewerb scheitert zusammen mit dem Symposion durch Hippokleides ’ Egozentriertheit. Zudem ist für die Verlobungsfeier das Finale des Wettbewerbs entscheidend, bei dem ein Bräutigam gefunden werden soll, der Kleisthenes ’ Familie Stabilität verspricht. Aber gerade die Kontinuität ist es, verweist darauf, dass im 6. Jh. v. Chr. die aristokratischen Ideale wie Familie, Ehre und körperliche Tüchtigkeit (vgl. Donlan [1980], S. 1 - 34 bzw. Anm. 1116 in der vorliegenden Arbeit) an Bedeutung verlieren. Häufig werde dies mit dem Aufstieg der Hoplitenklasse in Verbindung gebracht; siehe dazu S. 73 f. mit den Verweisen in Anm. 200. Daher könne nach Scott (2005, S. 424) diese Erzählung als Versuch angesehen werden, jene traditionellen Werte aufrechtzuerhalten. 1210 Zur Datierung dieser Verlobungsfeier vgl. die Literaturhinweise in Anm. 1158. 1211 Fehr (1990, S. 191) betont, dass Kleisthenes die Freier nicht eine solch lange Zeit getestet hätte, wenn nicht irgendeine soziokulturelle Veränderung eingetreten wäre, der ihn einen drohenden moralischen Verfall vermuten ließ. Dabei verweist er eben auf die vor Kurzem eingeführte Sitte, auf Klinen liegend anstatt zu sitzen das Symposion zu vollziehen, worin Kleisthenes ein Zeichen des beginnenden Niedergangs der altehrwürdigen aristokratischen Sitten gesehen haben könnte (vgl. ebd., S. 192). Zum Übergang vom Sitzen zum Liegen im Symposion siehe Kap. 2.2.3.5. 1212 Fehr (1990), S. 192. Fehr (ebd.) bemerkt dazu auch: „ [ … ] the traditional virtues of the aristocratic education, would possibly be regarded as a corset too tight for the easygoing, sensual atmosphere of the banquet on klinai. “ Zu den Akletoi siehe auch Kap. 2.2.3.3.2. 1213 Vgl. dazu die Verweise in Anm. 1152. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 353 <?page no="354"?> die Hippokleides infrage stellt, da er nur auf sich selbst achtet. Damit macht er einen gemeinsamen Wettbewerb mit den anwesenden Freiern unmöglich und scheint stattdessen einen eigenen Wettkampf zu gewinnen. Sein Siegespreis ist nicht die Braut, sondern der Ruhm, der ihm dadurch zuteilwird, dass sich sein geschicktes Diktum Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4) weiterverbreitet und fortexistiert. Bemerkenswert an der starken Individualisierung des Hippokleides, ist auch, dass er als Aristokrat normalerweise dem Ideal unterliegt, immer der Beste sein zu müssen, 1214 und sich demnach ständig „ permanenten Bewährungssituationen “ 1215 stellen muss, in denen er sich stets vor anderen behaupten muss, um sich immer wieder neu zu beweisen. 1216 Hippokeides tanzt nun aber in erster Linie so, wie es ihm selbst gefällt ( καί κως ἑωυτῷ μὲν ἀρεστῶς ὀρχέετο - VI, 129.2). Hätte er zum Ziel, einen besonders guten Eindruck auf seine Zuschauer zu machen, hätte er bei genauer Prüfung den argwöhnischen Blick ( ὑπώπτευε - VI, 129.2) 1217 des Kleisthenes bemerken können. In diesem Moment löst sich Hippokleides also aus den Ketten der sozialen Erwartungen an einen Aristokraten. Denn durch seinen Tanz, der keinen Normen entspricht außer seinem eigenen Belieben, nimmt sich Hippokleides initiativ aus dem Kreis der Symposiasten heraus, bricht nicht nur mit den Erwartungen an einen Aristokraten, sondern wird zudem auch zum Störfaktor der Verlobung. 1218 Damit lässt er die Verhaltensregeln, auf die Kleisthenes bei der Freierwahl Wert legt, außer Acht. Er scheitert somit an etwas, das für Kleisthenes zum wichtigsten Bestandteil des Freierwettbewerbs gehört und (in z. B. Wilsons Textausgabe) an ἐν τῇ συνεστοῖ διεπειρᾶτο (VI, 128.1) erkennbar wird: an seinem Verhalten in der Gemeinschaft. 1219 Anstatt sich anzupassen, testet Hippokleides dort Grenzen aus, indem er sich bewusst den Erwartungen zu widersetzen scheint und sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Dies wird neben der Aufforderung an den 1214 Vgl. Bierbas-Richter (2016, S. 282), die darauf hinweist, dass das Verhalten des Hippokleides vor dem Hintergrund des Aristie-Ideals der Aristokraten besonders verwundernswert wirkt. Zu diesem aristokratischen Ideal bzw. der damit verbundenen aristokratischen „ Wettbewerbsethik “ (Stein-Hölkeskamp [1989], z. B. S. 7/ Anm. 1) siehe die Literaturhinweise in Anm. 200. 1215 Bierbas-Richter (2016), S. 282. 1216 Vgl. Bierbas-Richter (2016, S. 282) mit Verweis auf Donlan (1980), S. 15 - 18; Stahl (1987), S. 91, S. 257; Stein-Hölkeskamp (1989), S. 120. „ Wenn sich die griechischen Aristokraten nicht selbst profilierten und in Szene setzten, dann existierten sie schlichtweg nicht “ (Bierbas-Richter [2016], S. 282). 1217 Vgl. dazu ὑποπτεύω in LSJ, S. 1892: „ II. [ … ] 3. c. acc. rei, look with suspicion or apprehension on, τὸ πρῆγμα Id. [= Hdt.] 6.129 “ . 1218 Vgl. dazu Anm. 1152. 1219 Zur Analyse von συνεστοῖ und weiterer überlieferter Lesarten siehe Kap. 2.2.5.4. 354 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="355"?> Flötenspieler, ihm - ungeachtet der anderen Symposiasten - eine Melodie zu spielen ( ὁ Ἱπποκλείδης ἐκέλευσέ οἱ τὸν αὐλητὴν αὐλῆσαι ἐμμέλειαν - VI, 129.2), 1220 der indirekten Aussage, er tanze sich selbst zu Gefallen ( καί κως ἑωυτῷ μὲν ἀρεστῶς ὀρχέετο - VI, 129.2), und der direkten Aussage, ‚ das macht Hippokleides keinen Kummer ‘ ( Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ - VI, 129.4), 1221 dass er die Hochzeit vertanzt hat, auch durch seine erhöhte Position auf dem hereingebrachten Tisch (VI, 129.3) deutlich. Die nötige Voraussetzung für ein gelingendes Symposion, die Gleichheit zwischen den Symposiasten, scheitert allerdings nicht nur an Hippokleides ’ Verhalten. Auch Kleisthenes steht durch seinen Rang als Brautvater und Tyrann von Sikyon hierarchisch über den anderen Symposiasten. 1222 So bewertet Marek W ę cowski dieses Symposion zu Recht deshalb als problematisch, da Kleisthenes als mächtiger Tyrann derjenige ist, der im Alleingang über den Sieger im Wettbewerb entscheidet, diesen ‚ beherrscht ‘ und damit das Ideal der sympotischen Gleichheit zerstört. 1223 Doch Hypothesen, die in Hippokleides ’ Verhalten eine bewusste Provokation gegen Kleisthenes sehen, 1224 belegt der Text nicht. Denn dass Hippokleides mit seinem Tanz gezielt beabsichtigt, gegen die Ansprüche des Kleisthenes zu 1220 Vgl. dazu Anm. 1150. 1221 Vgl. dazu Anm. 1201. 1222 Vgl. dazu Anm. 1143. 1223 Vgl. W ę cwoski (2014), S. 70. W ę cowski (ebd.) bezeichnet dieses Bankett als „ hubristic “ und „ tyrannical “ und damit als „ anti-symposion “ . 1224 Vgl. z. B. Bierbas-Richter (2016, S. 297), die es für möglich hält, Hippokleides ’ Verhalten als „ Ablehnung einer Form der Statuskonstituierung “ zu deuten. Demnach verweigerte Hippokleides „ dem Tyrannen die Statusanerkennung und vernichtete seinen Machtanspruch “ (ebd.). Somit stellt er sich als einziger Freier gegen die „ Hierarchisierung “ (ebd.), die Kleisthenes durch seinen Auftritt u. a. als Oikosvorsteher, Gastgeber und Brautvater entstehen lässt (vgl. ebd. sowie die Literaturhinweise in Anm. 1143 in der vorliegenden Arbeit). So „ drehte er als statusbewußter Mann den Spieß um “ und auf diese Weise „ wurde schließlich Kleisthenes vorgeführt “ (Bierbas-Richter [2016], S. 297); siehe dazu auch Anm. 1201. Lonsdale (1993, S. 221 f.) geht sogar noch einen Schritt weiter und ist der Meinung, dass Hippokleides seine Tanzformen als wirksames Mittel sehe, um seinen jugendlichen Groll gegen Kleisthenes auszudrücken, der als Brautvater die absolute Kontrolle über das Schicksal seiner Tochter und die eiserne Kontrolle über seinen künftigen Schwiegersohn ausübt. Lonsdale (1993, S. 220) hebt auch hervor, dass Hippokleides die Rolle des Kleisthenes als Veranstalter dieses Wettbewerbs und Symposions usurpiert, als er den Flötenspieler auffordert, ihm eine bestimmte Melodie zu spielen (VI, 129.2) und sich anschließend auch noch einen Tisch bringen lässt (VI, 129.3); vgl. Lavelle (2014), S. 327/ Anm. 51. Coulet (1994, S. 66) und Hornblower/ Pelling (2017, S. 283) - vgl. Anm. 1150 - sehen in seinem Befehl an den Flötenspieler, ihm eine bestimmte Melodie zu spielen, ebenso ein Fehlverhalten. Doch daran wird vor allem die Selbstzentrierung des Hippokleides ersichtlich. Eine gezielte Missachtung gegenüber Kleisthenes erwähnt der Text nicht. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 355 <?page no="356"?> handeln, ist mit der Formulierung, dass Hippokleides zu Beginn seiner eigenen Meinung nach schön tanze (VI, 129.2), schwer vereinbar. Schließlich bedeutet dies, dass er seine Tanzfiguren nicht gezielt so wählt, um Kleisthenes zu beleidigen, sondern lediglich darauf achtet, auf eine Weise zu tanzen, wie sie ihm selbst zusagt. Dabei ist es für ihn unerheblich, wie diese Tänze von Kleisthenes oder auch den anderen Zuschauern bewertet werden. Auch an keiner späteren Stelle ist im Text die Rede davon, dass er gezielt Kleisthenes ’ Reaktion beobachtet, was zu erwarten wäre, würde er bewusst zum Ziel haben, Kleisthenes zu brüskieren. So scheint er dies eher ungewollt zu bewirken, auch wenn er darüber keineswegs betrübt zu sein scheint. Damit wird sein Charakter als selbstbewusst und eigensinnig dargestellt. Doch unabhängig davon, ob Hippokleides diese Herabsetzung des Kleisthenes forciert, macht der Text deutlich, wie sein Verhalten auf Kleisthenes wirkt. Schließlich stellt Hippokleides seinen Gastgeber zumindest im Rahmen des Symposions durch sein Verhalten bloß, da er für dessen Scheitern verantwortlich ist - auch wenn er diese Bloßstellung wohl nicht beabsichtigt. Die Demütigung spiegelt sich darin wider, dass das Festmahl mit anschließendem Symposion, das Megakles als Gewinner des Wettbewerbs berühmt machen und Kleisthenes ’ Ruhm mehren sollte, 1225 schließlich Hippokleides ’ Namen - und damit den eines Familienmitglieds der Philaiden - 1226 durch den Ausspruch Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4) verewigt, da gemäß der Darstellung der Historien dieses Sprichwort auf diese Anekdote zurückgeht (VI, 130.1). 1227 Ein 1225 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.2.2 mit Anm. 1133. 1226 Für Hippokleides ’ Abstammung aus dem Philaiden-Geschlecht vgl. die Literaturhinweise in Anm. 1111. 1227 Vgl. Müller (2006a), S. 259; West (2015), S. 22 f. Den Gedanken, Hippokleides habe durch diesen geschickten Ausspruch zwar nicht die Braut, aber den Wettkampf um κλέος gewonnen, lässt Lavelle (2014, S. 332 f.) außer Acht, als er nach der wahrscheinlichsten Quelle für diese Geschichte sucht. Die Philaiden schließt er als Quelle aus, da diese in späteren Generationen Hippokleides keineswegs als Schandfleck angesehen hätten, der Tanz des Hippokleides ihn in Herodots Historien aber als „ addled and extremely vulgar “ darstelle (Lavelle [2014], S. 332). Stattdessen schließt Lavelle (ebd.) unter anderem aus der Aussage im Text, die athenischen Freier seien von Kleisthenes als beste Freier bewertet worden (VI, 128.2), und daraus, dass letztlich der Alkmeonide Megakles über den Philaiden Hippokleides triumphierte, dass die Alkmeoniden die wahrscheinlichste Quelle seien (ebd., S. 332 f.). Außerdem betont Lavelle, dass sich Hippokleides ’ Tanz gut in eine Tradition „ of scurrility directed at Athenian rivals and political enemies of the Alkmeonidai “ einfüge, die sich dadurch auszeichne, dass die Gegner der Alkmeoniden von diesen eben häufig so dargestellt werden, dass sie sich durch unmoralisches und verdorbenes Verhalten, häufig sexuelles Fehlverhalten, auszeichnen (ebd., S. 334); vgl. dazu die weiteren Ausführungen von Lavelle (2014), S. 334 - 338. Ein ebensolches Fehlverhalten sei aus Hippokleides ’ Tanz erkennbar, das zugleich Megakles als moralisch überlegen darstelle (Lavelle [2014], S. 338). Damit sei Hippokleides „ one more victim of 356 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="357"?> Sprichwort repräsentiert wiederum eine Norm, sodass der Text zeigt, wie Hippokleides durch seinen Normenverstoß eine neue Norm produziert. Denn wenn aus diesem Ausspruch ein Sprichwort werden kann, wird seine Normverletzung durch den Tanz anerkannt. Durch seinen geschickten Ausspruch bewahrt sich Hippokleides also nicht nur seine Ehre, 1228 sondern gewinnt auch κλέος , und hat zudem noch den Erfolg, durch das Übertreten der Normen von Kleisthenes, seine eigene Norm durchzusetzen. Somit verlässt Hippokleides diesen Wettbewerb weniger als Verlierer, sondern eher als disqualifizierter Teilnehmer, der den Siegespreis - die Verlobung mit Agariste - durch sein Diktum und den damit verbundenen Ruhm mindestens kompensiert. Dagegen wirkt der Alkmeonide Megakles, obwohl er schließlich den Wettbewerb gewinnt, eher wie eine passive Figur. 1229 In der Darstellung der Historien werden die Alkmeoniden durch diese Geschehnisse beim Wettbewerb um die Braut Agariste in Griechenland bekannt (VI, 126.1 / VI, 131.1). Das bedeutet, dass die Berühmtheit der Alkmeoniden auf der Disqualifizierung des mit den Alkmeonid calumny; Megakles, one more beneficiary “ (ebd.). Auch Papakonstantinou (2010, S. 74) führt diese Anekdote, wie sie bei Herodot geschildert ist, auf Quellen zurück, die mit den alkmeonidischen Traditionen und Genealogien vertraut waren und, da sie ihre Haltung zumindest gegenüber Kleisthenes hier als neutral bis positiv darstellten, sei es „ quite likely that Herodotus ’ narrative approximates the way Cleisthenes himself wanted the whole episode of Agariste ’ s betrothal perceived. “ Dass der Sieg des Megakles allerdings auf eine Weise eintritt, die in erster Linie den Philaiden Hippokleides berühmt macht und Megakles selbst sowie damit die Alkmeoniden trotz des Siegs nicht in das beste Licht rückt (siehe dazu Anm. 1229), wird bei diesen Gedanken nicht berücksichtigt. 1228 Darauf, dass Hippokleides durch diesen Ausspruch den Redeagon gegen Kleisthenes gewinnt und so seine Reputation wahren kann, wurde bereits hingewiesen (siehe dazu S. 345 f.). 1229 Müller (2006a, S. 259) bemerkt, dass Megakles nicht aus eigener Initiative zu Agariste und damit zu Ruhm kommt, sondern lediglich durch die Entscheidung von Kleisthenes; vgl. dazu auch Thomas (1989), S. 269 f. Thomas (1989, S. 269) betont darüber hinaus, dass Megakles nur die zweite Wahl war (VI, 128.2). Außerdem weist Thomas (ebd.) insgesamt darauf hin, dass es sich bei der Darstellung der Alkmeoniden im Rahmen des Verlobungswettbewerbs um Agariste nicht um „ a clear glorification of the Alcmaeonid Megacles “ handele. Auch die kurz zuvor erzählte Geschichte über Alkmeons Besuch bei Kroisos (VI, 125), womit der Reichtum der Alkmeoniden begründet sein soll (VI, 125.5; siehe dazu Anm. 1163), sei kaum eine ruhmvolle Erzählung für das Geschlecht der Alkmeoniden, da schließlich ihr „ eponymous ancestor in Croesus ’ treasury “ (Thomas [1989], S. 267) bekannt gemacht werde (ebd., S. 266 f.); siehe dazu insgesamt die Ausführungen von Thomas (1989, S. 266 - 270). Griffiths (2001, S. 168) folgt Thomas ’ Ansicht, wobei er explizit aussagt, dass diese beiden Erzählungen gegen die Alkmeoniden verfasst seien: „ [ … ] they are both stories told against the Alcmaeonids “ . Lavelle (2014, S. 334) dagegen sieht in der Erzählung über Agaristes Verlobungsfeier ein Glied „ of a chain of positive publicity for the Alkmeonidai in Herodotos “ ; siehe dazu die Ausführungen in Anm. 1227. 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 357 <?page no="358"?> Kypseliden verwandten Philaiden Hippokleides beruht. Der Leser erfährt zwar, dass Hippokleides der Sohn des Teisandros ist (VI, 127.4 / VI, 129.4), woraus dessen Abstammung aus dem Geschlecht der Philaiden erschlossen werden kann, 1230 explizit erwähnt wird dies allerdings nicht. Dies erzeugt den Anschein, dass bei dieser Anekdote wohl nicht die Konkurrenz zwischen Alkmeoniden und Philaiden im Vordergrund stehen soll, sondern das Verhalten der Privatperson Hippokleides, welches ihn paradoxerweise selbst vom Favoriten zum Verlierer macht und zugleich den Alkmeoniden Megakles zum Sieger, wenn auch nur in passiver Rolle. 1231 Anstößig für Kleisthenes ’ Normverständnis ist es also, dass Hippokleides tanzt, wie es ihm gefällt, dass sich dieser durch den Tisch nicht nur symbolisch über ihn stellt und dass er akrobatische und obszöne Figuren tanzt. Was nun tatsächlich der genaue Auslöser für Kleisthenes ’ Abneigung gegen Hippokleides ’ Tanz ist, lässt der Text offen. Offensichtlich ist aber, dass Hippokleides durch seine Tänze gleichzeitig - wenn auch unbewusst - seine Grenzen austestet und es letztlich die Obszönität durch die Entblößung bei seinem letzten Tanz ist, die die Selbstkontrolle des Kleisthenes zerstört. Insgesamt ist es das Symposion, das es Hippokleides ermöglicht, seinen selbstbewussten und eigensinnigen Charakterzug zu zeigen. Selbst wenn Hippokleides am Anfang dieses Symposions beabsichtigt haben sollte, Kleisthenes ’ Normen zu folgen, so bemüht er sich am Ende offensichtlich nicht mehr darum, sein Verhalten an die erwarteten Konventionen anzupassen. Hippokleides erweist sich daher als Gegenteil des idealen aristokratischen Schwiegersohns, den Kleisthenes sucht. 4.1.3.2.4 Fazit: Normbruch beim Symposion - der tanzende Hippokleides Im Unterschied zu Kambyses, Kleomenes und Amasis, deren Charaktere anhand ihrer Verhalten beim Trinken analysiert werden, wird der Athener Hippokleides in erster Linie durch sein Benehmen in der Situation eines 1230 Diese Anekdote soll ohnehin die wachsende Berühmtheit der Alkmeoniden erklären, die diese durch Kleisthenes von Sikyon erhalten (VI, 126.1), sodass es nicht verwundert, dass der Text Megakles ’ Herkunft aus dem Alkmeonidengeschlecht erwähnt, Hippokleides ’ Abstammung von den Philaiden dagegen übergeht. 1231 Müller (2006a, S. 259) sieht hier einen „ Paradigmenwechsel “ : Mit Hippokleides werde ein „ Repräsentant der alten Adelswelt [ … ] gestürzt und stattdessen kommt der Vertreter einer aufstrebenden [ … ] Familie zum Erfolg. Aber dieser Wechsel geschieht nicht ohne eine gewisse Sympathie für das abgelöste Alte und dessen unzeitgemäße Juvenilität “ . Dabei sei das „ Ergebnis, daß - auf der Ebene der Erzählung - so etwas wie ein Patt daraus wird. Vom Ende der Geschichte her ergibt sich eine paradoxe Konstellation: Im Mittelpunkt des erzählerischen Interesses steht nicht der Sieger, sondern der Verlierer “ (ebd.). 358 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="359"?> Symposions charakterisiert. Bei ihm ist es nicht sein Trinkverhalten, das Normen durchbricht, sondern sein Tanz. Die unterschiedlichen Thesen darüber, weshalb und auf welche Weise Hippokleides durch seinen Tanz das Symposion stört und zum Abbruch bringt, zeigen, wie vielfältig die Regeln sind, die dort gelten können und wie bedacht alle Symposiasten sein müssen, um all diese Regeln beachten zu können. Neben den Regeln im Symposion wie das richtige Verhältnis von Wein und Wasser, das Maßhalten beim Weintrinken und die Sitzbzw. Liegepositionen, gilt es, die kulturellen Besonderheiten zu beachten sowie die zeitlichen Gepflogenheiten. Durch Hippokleides ’ eigensinnigen Tanz wird besonders die Gleichberechtigung der Symposiasten gestört und damit eine wichtige Voraussetzung der sympotischen Atmosphäre. An diesem Symposion wird zudem deutlich, welche Konsequenzen ein Bruch mit den vorherrschenden Normen mit Blick auf die weitere Zukunft haben kann. Denn Hippokleides gelingt es durch seinen klugen Ausspruch, ‚ das macht Hippokleides keinen Kummer ‘ ( Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ - VI, 129.4), nach seiner Normverletzung, nicht nur seine Reputation zu wahren, sondern auch eine neue Norm zu schaffen - schließlich wird sein Diktum zum anerkannten Sprichwort. Dass sich dieser Ausspruch so schnell verbreitet und als Sprichwort 100 Jahre fest überdauerte, verweist zudem auf den Öffentlichkeitscharakter des Symposions. Zwar sind die aktiven Teilnehmer dieses Symposions nur auf die Freier und Kleisthenes beschränkt, Zuschauer allerdings, die die Vorfälle ebenfalls weitererzählen können, gibt es durch die wohl noch anwesenden Sikyonier genügend. 1232 Dass dieses Sprichwort ausgehend von einem Symposion so lange Zeit erhalten bleibt, verweist auf den Charakter des Symposions als Ort der Mnemosyne. 1233 1232 Zur Frage, ob alle Sikyonier nicht nur am Mahl, sondern auch am Symposion teilnehmen, siehe die Ausführungen in Kap. 4.1.3.2.2. Auch das berühmte Gastmahl bei Attaginos (IX, 15.4 - 16.5) sticht durch seine hohe Anzahl an Teilnehmern hervor (siehe dazu die Ausführungen in Kap. 3.1.2.1), sodass in der Darstellung der Historien ein Zusammenhang zwischen der allgemeinen Bekanntheit der Vorgänge während eines Symposions und der Teilnehmerzahl erkennbar wird. 1233 An einer weiteren Stelle in den Historien wird das Symposion zum Ausgangsort eines zum Sprichwort gewordenen Imperativs (vgl. Hornblower/ Pelling [2017], S. 285). Dort wird von den Symposia zwischen dem Spartanerkönig Kleomenes und einigen Skythen berichtet, bei denen Kleomenes das Trinken von ungemischtem Wein erlernt, worin die Spartaner die Ursache seines Wahnsinns sehen (VI, 84). Der Text merkt dort an, dass die Spartaner seit diesem Ereignis Ἐπισκύθισον (VI, 84.3) ( - Reich ihn auf skythische Art! - Übersetzung: Feix [1963]) sagen, wenn sie einen stärkeren Wein trinken möchten ( ἔκ τε τόσου , ὡς αὐτοὶ λέγουσι , ἐπεὰν ζωρότερον βούλωνται πιεῖν , Ἐπισκύθισον λέγουσι - VI, 84.3). Ausführlicher wird diese Darstellung in Kap. 4.1.3.1.2 untersucht. Sowohl die Redewendung Ἐπισκύθισον in VI, 84.3 als auch das Sprichwort Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ 4.1 Symposions- und Mahldarstellung als Mittel zur Illustration 359 <?page no="360"?> Dieses in den Historien verhältnismäßig ausführlich beschriebene Symposion liefert aufgrund der Geschehnisse währenddessen, aber auch wegen der wohl großen Zuschauerzahl in der Darstellung der Historien einen plausiblen Grund dafür, weshalb das Geschlecht der Alkmeoniden zu seiner großen Bekannheit in ganz Griechenland kommt. So können die Alkmeoniden durch den Normbruch des Philaiden Hippokleides berühmt werden, ohne dass sie selbst viel dazu beitragen. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen Nach der Analyse der veranschaulichenden und charakterisierenden Funktion von Essen und Trinken in Herodots Historien möchte ich nun dazu übergehen, dargestellte Situationen herauszuarbeiten, in denen Essen und Trinken eine Handlung erst in Gang setzen oder zu Hilfsmittel dafür werden, dass ein Vorhaben in die Tat umgesetzt werden kann. Dabei sind besonders zwei Aspekte, die mit dem Symposion verbunden sind, ausschlaggebend: erstens maßloser Weinkonsum und zweitens Nachlässigkeit - sei es durch Ablenkung oder durch trügerisches Vertrauen. In den Historien sind diese Situationen nicht immer kombiniert, sodass ich zunächst alle Textpassagen analysieren möchte, in denen Akteure durch übermäßigen Weinkonsum wehrlos werden. Nach einem Exkurs über die Relevanz des Themas ‚ Ablenkung ‘ bzw. ‚ Instrumentalisierung von bestimmten Gegebenheiten ‘ in Situationen wie Proviantpausen bzw. in Zeiten von Nahrungsmittelknappheit in der herodoteischen Darstellung von - vor allem - Feldzügen, beschäftige ich mich mit der Frage, inwiefern in den Historien das Fest als öffentlicher Raum funktionalisiert wird. Dabei sollen Unterschiede herausgearbeitet werden, die zwischen der dargestellten Ablenkung durch öffentliche Feste und der durch Symposia bestehen. Unter dem letzten Punkt soll schließlich geklärt werden, inwiefern das Symposion bzw. das Gastmahl in den Historien für eine List instrumentalisiert wird. in VI, 129.4 haben nach Herodots Historien ihren Ursprung also in einem Symposion, was einerseits auf dessen öffentlichen Charakter hinweist und andererseits dessen Funktion als Ort der Mnemosyne hervorhebt. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass Ἐπισκύθισον (VI, 84.3) nicht den Namen einer Privatperson enthält, auf die es zurückgeführt werden kann, wie es dagegen bei dem Sprichwort Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4) der Fall ist. Somit wird durch den Ausdruck Ἐπισκύθισον in VI, 84.3 die Trinkgewohnheit des skythischen Volkes bekannt, während durch das Sprichwort in VI, 129.4 Hippokleides als Privatperson berühmt wird. 360 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="361"?> 4.2.1 Auswirkungen von Wein als Mittel zum Zweck Wie bereits oben erläutert, dient maßloser Weinkonsum in den Historien an einigen Stellen der Klärung von negativen Persönlichkeitsmerkmalen. 1234 Dass dessen enthemmende Wirkung aber nicht nur das Verhalten beeinflusst, sondern in Zeiten von Krieg und Unsicherheit auch gefährliche Situationen provozieren kann, liegt auf der Hand. Insbesondere die Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit der agierenden Personen durch Wein spielt in Herodots Historien häufig eine entscheidende Rolle. 1235 Denn zu viel Wein führt zu Müdigkeit und berauscht, sodass die im Krieg so wichtigen Koordinations- und Aktionsfähigkeiten nicht mehr gegeben sind. 1236 An vier Stellen in Herodots Historien wird Wein gezielt eingesetzt, um den Kontrollverlust der Trinkenden zu provozieren. Bei all diesen Textstellen ist der Wein bzw. dessen übermäßiger 1234 Siehe dazu Kap. 4.1.3. Zu den Auswirkungen von Wein siehe Kap. 2.2.3.4. 1235 Coulet (1994, S. 63) nennt als eine Funktion der Gastmähler in Herodots Historien deren gezielte Organisation, um die Reaktionsfähigkeit der Teilnehmer durch Essen und Wein auszulöschen. Dabei verweist sie (ebd.) zunächst auf die Erzählung über die Vernichtung einiger Massageten, als die Perser einen Plan des Kroisos erfolgreich in die Tat umsetzen (I, 207.6 - 7 / I, 211). Dass auch an anderen Textstellen in Herodots Historien ersichtlich wird, wie Wein die Reaktionsfähigkeit einschränkt, bemerkt Coulet an anderer Stelle, wobei sie auch auf II, 121 δ / V, 18 / VI, 129 / VI, 84 verweist (vgl. Coulet [1994], S. 68 f. bzw. Anm. 1004 in der vorliegenden Arbeit). Nicht immer wird dabei der Zustand der Trunkenheit gezielt herbeigeführt. 1236 Diese gezielte Verwendung von Wein erscheint bei Herodot nicht das erste Mal in der griechischen Literatur. Denn bereits Odysseus gebraucht Wein auf diese Art für eine rettende List in der Darstellung von Homers Odyssee. Dabei handelt es sich um einen ganz besonders köstlichen und starken Wein, den Odysseus vom Apollonpriester Maron bekommen hat (Hom. Od. IX, 196 - 211). Zusammen mit einigen Speisen nimmt Odysseus diesen Wein mit in die Höhle des Kyklopen Polyphem (Hom. Od. IX, 212 - 218). Als er zusammen mit seinen Gefährten dann von Polyphem gefangen gehalten wird, gibt er dem unwissenden Kyklopen so viel von diesem Wein zu trinken, bis dieser betrunken einschläft, sodass seine Gefährten und er Polyphem blenden und schließlich erfolgreich die Höhle verlassen können (Hom. Od. IX, 345 - 461). Wein kann zum erfolgreichen Instrument werden, wenn seine Wirkung von der Gegenseite unterschätzt wird. Eine Übersteigerung des Weingenusses kann daher fatale Folgen nach sich ziehen. Auch Coulet (1994, S. 63) sieht sich speziell mit Blick auf den Plan des Kroisos, durch den die Massageten überwältigt werden können (vgl. Anm. 1235), an diese Anekdote in der Odyssee erinnert, in der Odysseus den Kyklopen mit Wein betäubt (Hom. Od. IX, 345 - 374), der wie auch die Massageten in Herodots Historien den Wein - zumindest diesen Wein (Hom. Od. IX, 357 - 359) - nicht kennt und zu viel trinkt. Coulet (ebd.) betont jedoch, dass der wesentliche Unterschied „ une différence de perspective “ sei, denn Herodots Sympathie gehöre denjenigen, die getäuscht werden. Dass der gefährliche Konsum von Wein bzw. Alkohol im Übermaß nicht nur in der griechischen Literatur thematisiert wird, zeigt z. B. Burkert (1991, S. 11 f.), indem er Beispiele aus der orientalischen Mythologie anführt. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 361 <?page no="362"?> Konsum entscheidend, wohingegen der Raum oder die Umgebung, wo getrunken wird, unerheblich bleiben. Daher sind bei dieser Analyse auch Situationen berücksichtigt, deren Kontexte nicht explizit Symposia darstellen. Zuerst möchte ich mich mit den zwei Stellen befassen, an denen der Wein gewissermaßen zum ‚ Kriegsinstrument ‘ wird. Beide befinden sich im ersten Buch der Historien. Dort wird die Trunkenheit durch Wein als Möglichkeit genutzt, die Feinde wehrlos zu machen, um sie dann erfolgreich überwältigen zu können. Doch auch außerhalb eines direkten kriegerischen Kontexts wird in den Historien Wein durch seine Wirkungen zum ‚ Instrument ‘ . Denn besonders für Berufsgruppen wie Wächter, deren Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigt werden darf, stellt Wein ein Risiko dar. Die beiden Erzählungen, bei denen es durch Weinkonsum zur Störung der Kontrollfähigkeit von Wachposten kommt, werde ich als Zweites untersuchen. 4.2.1.1 Wein als Kriegsinstrument Wie erfolgreich Wein eingesetzt werden kann, zeigt der Text in der Erzählung vom Sieg der Meder über die Skythen. Er berichtet, die Skythen seien nach 28jähriger Herrschaft besiegt worden (I, 106.1). Das Ereignis jedoch, bei dem die Meder gemäß den Historien die Herrschaft von den Skythen zurückerobern, ist kein Krieg, wie man vielleicht erwarten würde, sondern ein Gastmahl. Der medischen Rückeroberung der Herrschaft liegt also eine Einladung zum Mahl bei den Medern unter ihrem König Kyaxares zugrunde ( ξεινίσαντες - I, 106.2). Bei diesem Gastmahl gelingt es den Medern, die Skythen so betrunken zu machen, dass sie diese ohne Probleme töten können ( καταμεθύσαντες 1237 1237 Der Text verwendet in Herodots Historien an keiner Stelle μεθύσκειν , um auszudrücken, dass jemand jemanden betrunken macht, sondern stets das Kompositum καταμεθύσκειν (I, 106.2 / II, 121 ε .4 / III, 4.3); vgl. dazu καταμεθύσκω in LSJ, S. 900: „ causal, make drunk “ . Durch das Präfix κατα wird die Bedeutung von μεθύσκειν verstärkt (vgl. κατά in LSJ, S. 883: „ E. κατά in COMPOS., [ … ] V. freq. only to strengthen the notion of the simple word “ ), sodass der Text hervorhebt, dass eine wirklich starke Trunkenheit herbeigeführt wird. Nicht nur in I, 106.2, sondern auch in den beiden anderen Fällen, in denen in Herodots Historien καταμεθύσκειν verwendet wird, um auszudrücken, wie jemand betrunken gemacht wird, handelt es sich jeweils um eine List, bei der die gezielt hervorgerufene Trunkenheit entscheidend ist: In II, 121 ε .4 wird innerhalb der Erzählung über den Meisterdieb betont, dass der Dieb selbst seine List, die Wächter betrunken gemacht zu haben, für besonders klug hält (zu dieser Erzählung siehe Kap. 4.2.1.2 sowie Anm. 1289), und in III, 4.3 wird die List des Phanes beschrieben, der ebenfalls durch das gezielte Herbeiführen von Trunkenheit seine Wächter überlisten und fliehen kann (zur Analyse dieser Textstelle siehe Kap. 4.2.1.2). Um auszudrücken, dass jemand jemanden betrunken macht, wird in den Historien zum Teil auch lediglich die Situation umschrieben, wie es z. B. in I, 211 der Fall ist, als die 362 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="363"?> κατεφόνευσαν - I, 106.2). 1238 Der Leser erfährt, dass es sich um ein sehr großes Gastmahl handelt, denn es werden nicht nur ein paar wenige Skythen eingeladen, sondern die Mehrheit der Skythen, und so wird auch die Mehrheit der Skythen auf diese Weise ‚ hingerichtet ‘ ( καὶ τούτων μὲν τοὺς πλεῦνας Κυαξάρης τε καὶ Μῆδοι ξεινίσαντες καὶ καταμεθύσαντες κατεφόνευσαν - I, 106.2). 1239 Für die Darstellung dieses Vorfalls sind weitere Informationen zum Gastmahl nicht nötig, weshalb dessen Beschreibung nur in wenigen Worten erfolgt. 1240 Allein durch die Umschreibung der Bewirtung mit ξεινίζειν wird ersichtlich, dass die Skythen zu Gästen werden. 1241 Aufgrund des verpflichtenden Schutzes, der Gästen durch die Konventionen der Gastfreundschaft zuteilwird, 1242 ist es nicht verwunderlich, dass die Skythen dieser Einladung ohne Bedenken folgen, obwohl sie sich gegenüber den Medern zuvor frevelhaft verhalten haben ( καὶ τὰ πάντα σφι ὑπό τε ὕβριος καὶ ὀλιγωρίης ἀνάστατα ἦν - I, 106.1). 1243 Die Ermordung kommt für die Skythen somit völlig unerwartet. Bereits zuvor berichtet der Text von einem verhängnisvollen Mahl zwischen Kyaxares und den Skythen, das ebenfalls in die Regierungszeit des Kyaxares einzuordnen ist (I, 73.5 - 6). 1244 Er erwähnt dieses Ereignis bereits an dieser früheren Stelle, da es in den dortigen Bericht über die Lyder (I, 6 - 94) gehört. Denn die Geschehnisse, die durch dieses Gastmahl ausgelöst werden, entfachen einen Krieg zwischen Lydern und Medern (I, 74). Die Trennung der chronologisch zusammengehörenden Geschehnisse in I, 73 und I, 103 - 106 ist daher dem zusammenhängenden Bericht über die Lyder geschuldet. Der Text führt nach dem Kyaxares-Mahl in I, 73 den begonnen Erzählstrang über den Unter- Massageten vollgegessen und angefüllt mit Wein einschlafen ( πληρωθέντες δὲ φορβῆς καὶ οἴνου ηὗδον - I, 211.2). 1238 Dass die Skythen im Zeithorizont von Herodots Historien als maßlose Trinker bekannt sind, da sie Wein ungemischt genießen, wird in den Historien deutlich, wenn die Erklärung der Spartaner für Kleomenes ’ Wahnsinn angeführt wird. Denn diese sehen den Grund dafür in seiner von den Skythen erlernten Sitte, ungemischten Wein zu trinken (VI, 84); siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.2. 1239 Durch die Verwendung des Präfixes κατα verstärkt der Text hier nicht nur die Bedeutung von μεθύσκειν (vgl. Anm. 1237), sondern auch von φονεύειν . 1240 Erkennbar ist allerdings, dass dieses Gastmahl, das einen Machtwechsel bewirkt, in die von Bowie als typisch bewertete Motivik von östlichen Banketten passt (vgl. dazu Bowie [2003], S. 102 f. bzw. Anm. 931 in der vorliegenden Arbeit). 1241 Zur Bedeutung von ξεινίζειν in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.9. 1242 Vgl. dazu Kap. 2.1.2.1. 1243 Hobden (2013, S. 85/ Anm. 46) betont, dass diese Geschichte einem Muster folge, bei dem „ hybristic autocrats “ durch übermäßigen Alkoholkonsum in tödliche Gefahr gelockt werden (siehe auch Anm. 1030); vgl. dazu auch Hobden (2013), S. 181. 1244 Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 155) bemerkt, dass es sich hier um eine berühmte Erzählung handle, die Herodot in zwei Teile spalte. Auf das Kyaxares-Mahl werde ich in Kap. 4.2.3.2.1 genauer eingehen. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 363 <?page no="364"?> gang der lydischen Herrschaft unter Kroisos fort. Erst nachdem er diese Darstellung zu Ende gebracht hat, geht er ab I, 95 dazu über, die Vorgeschichte und Herkunft des Kyros zu erläutern und berichtet dafür zunächst weiter über die Meder ausgehend von der Zeit des Deiokes (I, 96). Nach Deiokes ’ Sohn Phraortes (I, 102) folgt Kyaxares auf den Thron (I, 103.1). Nun berichtet der Text von Kyaxares ’ Leistungen und auch davon, dass er als König der Meder gegen die Lyder Krieg führte (I, 103.1 - 2), von welchem eben in I, 74 berichtet wird. Mit Bezug auf Ninivehs Belagerung kommt der Text wieder auf die Skythen zu sprechen, die zu dieser Zeit gegen Kyaxares und die Meder vorrücken (I, 103.3). Als es zum Zusammenstoß kommt, unterliegen die Meder den Skythen im Kampf (I, 104.2), sodass die 28 Jahre andauernde Skythenherrschaft gemäß den Historien zu dieser Zeit begonnen hat. 1245 Nun berichtet der Text noch, wie diese Skythenherrschaft schließlich durch den oben beschriebenen Vorfall wieder beendet wird, als nämlich die Skythen betrunken und damit wehrlos von den Medern getötet werden können (I, 106.2). Die beiden Textstellen, I, 73.5 - 6 und I, 106.2, werden somit durch ein jeweils scheiterndes Gastmahl geschickt miteinander in Verbindung gesetzt. 1246 Der beschriebene Sturz der Skythen aufgrund eines Gastmahls (I, 106.2) erinnert den Rezipienten an das Vergehen der Skythen an Kyaxares noch vor ihrer Herrschaft über die Meder (I, 73.5 - 6). Damals ist es allerdings Kyaxares, der während eines Mahls durch Skythen getäuscht wird und unbewusst eines der Kinder verzehrt, die er den Skythen anvertraut hatte. Auch wenn der Text dies nicht explizit erwähnt, erscheint der Verlust der Herrschaft der Skythen durch gezielt herbeigeführte Trunkenheit wie eine späte Rache des Kyaxares. Das wiederum entspricht dem typischen Kreislauf von Aktion und Rache in Herodots Historien. Ein fatales Mahl, bei dem die Speise Folgen hat, wird durch ein zweites fatales Mahl, bei dem der Weinkonsum Schaden bringt, bestraft. Auffällig bleibt dabei, dass die Rollen unverändert sind: Kyaxares ist stets der Gastgeber und die Skythen bleiben Gäste. Im Zuge des Kyaxares-Mahls sind sie in erster Linie sogar Schutzsuchende (I, 73.3). Dabei täuschen einmal die Skythen und einmal rächt sich - ebenfalls durch Täuschung - der Gastgeber Kyaxares. Beide Male werden dabei die gewöhnlichen Konventionen der 1245 Die historische Datierung dieser 28 Jahre andauernden Skythenherrschaft ist umstritten (vgl. How/ Wells [1912a], S. 107). Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 155) nimmt diese für die Zeit von ca. 618 bis 590 v. Chr. an; zur fraglichen Historizität dieser Skythenherrschaft im Gesamten siehe Brown (1988), S. 82 sowie Bowie (2003), S. 102 f. 1246 Bowie (2003, S. 103) bemerkt, dass diese beiden Textpassagen die Skythenherrschaft eingrenzen: „ [ … ] the marginal period is started, if we follow his chronology, by a false banquet, but then ended by a further banquet, the whole cast into a ritual pattern “ (Bowie [2003], S. 103). 364 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="365"?> Gastfreundschaft gebrochen, die Schutz für Gast und Gastgeber versprechen. 1247 Es zeigt sich hierbei außerdem, dass zwischen der kompletten Abstinenz und der schädlichen Trunkenheit das richtige Maß entscheidet, ob der Weinkonsum erfreulich oder schädlich ist. Bereits Corinne Coulet hat anhand von Beispielen darauf hingewiesen, dass Wein in Herodots Historien dazu eingesetzt wird, jemanden ins Verderben zu stürzen oder zu täuschen. 1248 Dafür führt sie neben der Anekdote über den Meisterdieb (II, 121 δ ), auf die ich später genauer eingehen möchte, 1249 als weiteren Fall unter anderem die Erzählung von der Gefangennahme des Spargapises, des Sohns der Massagetenkönigin Tomyris, an (I, 211). Dieser geht voraus, dass Kyros einen Feldzug gegen die Massageten plant. Tomyris, die Massagetenkönigin, stellt es Kyros frei, in ihr Land einzudringen und dort zu kämpfen, andernfalls wäre sie auch dazu bereit, in sein Land einzumarschieren (I, 206.2 - 3). Im Gegensatz zu allen anderen rät Kroisos, dass Kyros ins Land der Massageten vordringen und dort Folgendes unternehmen solle: Die Lyder sollen den Massageten ein großzügiges Mahl bereiten ( τούτοισι ὦν τοῖσι ἀνδράσι τῶν προβάτων ἀφειδέως πολλὰ κατακόψαντας καὶ σκευάσαντας προθεῖναι ἐν τῷ στρατοπέδῳ τῷ ἡμετέρῳ δαῖτα - I, 207.6), viel ungemischten und damit starken Wein servieren und zusätzlich noch viele andere Speisen ( πρὸς δὲ καὶ κρητῆρας ἀφειδέως οἴνου ἀκρήτου καὶ σιτία παντοῖα - I, 207.6). Dass die Massageten persische Güter, zu denen Kroisos auch Wein rechnet, nicht kennen bzw. damit bisher noch keine Erfahrung gemacht haben ( Μασσαγέται εἰσὶ ἀγαθῶν τε Περσικῶν ἄπειροι καὶ καλῶν μεγάλων ἀπαθέες - I, 207.6), weiß Kroisos für seinen Plan, die Massageten zu besiegen, zu nutzen. Durch die Wortwahl wird deutlich, dass man den Umgang mit Wein zunächst lernen und erfahren muss. Die Massageten sind also unerfahren im richtigen Gebrauch von Wein ( ἄπειροι ) und haben daher die negative Wirkung von Wein bisher noch nie erfahren oder gar erlitten ( ἀπαθέες ). Ein absichtlich für die List im Lager zurückgelassener Teil des persischen Heeres wird dann den Massageten zum Töten preisgegeben (I, 207.7). Der Plan sieht vor, dass die Massageten anschließend beginnen, zu speisen und trinken, sodass die Perser im letzten Schritt die Gelegenheit bekommen, große Taten unter Beweis zu stellen ( ἡμῖν τὸ ἐνθεῦτεν λείπεται ἀπόδεξις ἔργων μεγάλων - I, 207.7), was bedeutet, die Massageten zu töten und damit das Heer zu schwächen. Kyros folgt dem Ratschlag des Kroisos und geht genau nach diesem Plan vor. Die Massageten, unter denen sich später auch Spargapises befindet, töten nun 1247 Siehe dazu Kap. 2.1.2.1. 1248 Coulet (1994), S. 68; vgl. auch ebd., S. 63 sowie Anm. 1235 in der vorliegenden Arbeit. 1249 Siehe dazu Kap. 4.2.1.2. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 365 <?page no="366"?> den extra dafür abgestellten schwachen Teil des persischen Heeres, sehen das Mahl ( τὴν προκειμένην ἰδόντες δαῖτα - I, 211.2) und beginnen zu speisen, nachdem sie sich hingelegt hatten ( κλιθέντες ἐδαίνυντο - I, 211.2). Diese Textstelle zeigt also, dass für die Massageten in der Darstellung der Historien angenommen wird, dass sie wie auch die Griechen im Liegen speisen. 1250 Das Mahl bezeichnet der Text hier als δαίς und das Essen durch eine Form von δαινύναι , wodurch das Teilen der Mahlzeit und des Weins unter den Massageten hervorgehoben wird. 1251 Daraus wiederum kann geschlossen werden, dass alle dort anwesenden Massageten ohne Ausnahme von den Speisen nehmen und vom ungemischten Wein trinken. Da es sich bei den dort speisenden und trinkenden Massageten laut Text um ein Drittel des Massagetenheeres handelt ( ἐπελθοῦσα τῶν Μασσαγετέων τριτημορὶς τοῦ στρατοῦ - I, 211.2), wird klar, dass es sich nicht um ein kleines Gelage handeln kann, das man sich wie ein Symposion vorzustellen hat, sondern um eine große Anzahl von speisenden und trinkenden Soldaten. Dass ἐδαίνυντο auch das Trinken des Weins umfasst, wird daran deutlich, dass sie letztlich angefüllt von Speis und Trank sind, als sie einschlafen ( πληρωθέντες δὲ φορβῆς καὶ οἴνου ηὗδον - I, 211.2). Dass sie den ungemischten Wein ohne Bedenken trinken, macht ihre diesbezügliche Unerfahrenheit ersichtlich. Sich der Wirkung des starken Weins nicht bewusst schlafen sie ein, weshalb sie von den Persern ohne Schwierigkeiten überwältigt und zum Teil getötet, zum Teil wie auch Spargapises gefangen genommen werden können. Während bei der Erzählung des Siegs der Meder über die Skythen die Betrunkenheit als Auswirkung des Weins geschildert wird, wird hier das Einschlafen zum fatalen Effekt des übermäßigen Weinkonsums. Das Einschlafen, das durch den Wein herbeigeführt wird, ist in den literarischen Darstellungen nicht immer mit negativen Folgen verbunden. So gilt dieser Schlaf an sich auch als sorgenlindernd, da er die alltäglichen Strapazen vergessen lässt. 1252 Doch an dieser Textstelle in den Historien sind die Aus- 1250 Die Massageten wenden sich dem vorbereiteten Mahl also „ in a proper manner “ zu, indem sie sich hinlegen und dann zu speisen beginnen (Bowie [2003], S. 104). 1251 Zur Bedeutung von δαίς und δαινύναι siehe Kap. 2.2.5.5. 1252 Vgl. dazu Eur. Bacch. 381 - 385: (378b: ὃς τάδ᾽ἔχει [ … ]) ἀποπαῦσαί τε μερίμνας , / ὁπόταν βότρυος ἔλθηι / γάνος ἐν δαιτὶ θεῶν , κισ - / σοφόροις δ᾽ ἐν θαλίαις ἀν - / δράσι κρατὴρ ὕπνον ἀμφιβάλληι (vgl. Anm. 330). Hier wird beschrieben, wie Dionysos Wein als ‚ Sorgenlöser ‘ bringt, der aber zugleich auch Schlaf bewirkt. Zudem auch Eur. Bacch. 278 - 283: ὃς δ᾽ ἦλθ᾽ ἔπειτ᾽ , ἀντίπαλον ὁ Σεμέλης γόνος / βότρυος ὑγρὸν πῶμ᾽ ηὗρε κἀσηνέγκατο / θνητοῖς , ὃ παύει τοὺς ταλαιπώρους βροτοὺς / λύπης , ὅταν πλησθῶσιν ἀμπέλου ῥοῆ ς , / ὕπνον τε λήθην τῶν καθ᾽ ἡμέραν κακῶν / δίδωσιν , οὐδ᾽ ἔστ᾽ ἄλλο φάρμακον πόνων (vgl. Anm. 329). Siehe zu den Auswirkungen von Wein insgesamt Kap. 2.2.3.4. 366 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="367"?> wirkungen des Schlafs problematisch. Denn sowohl die Betrunkenheit als auch das Einschlafen behindern die Verteidigungsfähigkeit und führen zum gleichen Ergebnis. Tomyris betont in ihrer Anklage an Kyros den hinterhältigen Sieg des Persers ( δολώσας - I, 212.2). Anstatt mit Waffengewalt hätte Kyros mit Gift ( φαρμάκῳ - I, 212.2) gesiegt. Auffallend ist die Verwendung des Wortes φάρμακον . Denn wie ein φάρμακον kann der Umgang mit Wein positive und negative Folgen nach sich ziehen. Tomyris sieht im Wahnsinn eine Folge des Weins ( μαίνεσθε - I, 212.2). 1253 Auffällig ist auch, dass Tomyris als Frau den Krieg mit Waffen verteidigt, während Kyros als Mann durch Gift siegt. 1254 Dass dies nicht als Heldentat gelten dürfte, zeigt sich an den Worten der Frau, er könne darauf nicht stolz sein ( μηδὲν ἐπαρθῇς τῷ γεγονότι τῷδε πρήγματι - I, 212.2). An dieser Stelle dient der Wein somit zunächst als Instrument, das zum Sieg verhilft, allerdings zugleich auch als Darstellungsmittel des Textes, um Kyros als feig zu charakterisieren und seinen in den Historien zu diesem Moment entstehenenden Ruf eines fanatischen Königs zu verstärken, der sein Ziel um jeden Preis erreichen will. 1255 Dieses Bild widerspricht dem des weisen Kyros am Ende der Historien (IX, 122). 1256 1253 Der Text lässt Tomyris hier aussagen, dass sich dieser Wahnsinn darin zeige, dass man böse Worte von sich gibt ( εἰ ἀμπελίνῳ καρπῷ , τῷ περ αὐτοὶ ἐμπιπλάμενοι μαίνεσθε οὕτως ὥστε κατιόντος τοῦ οἴνου ἐς τὸ σῶμα ἐπαναπλέειν ὑμῖν ἔπεα κακά , τοιούτῳ φαρμάκῳ δολώσας ἐκράτησας - I, 212.2). Hier wird also eine weitere negative Wirkung übermäßigen Weinkonsums in den Historien angesprochen (vgl. dazu auch Kap. 4.1.3.1.4). Dass Wahnsinn aber insgesamt als Folge von unmäßigem Weinkonsum in den Historien angenommen wird, wird an der Darstellung der Charaktere von Kambyses und Kleomenes besonders deutlich, die ich in Kap. 4.1.3.1.1 bzw. 4.1.3.1.2 untersuche. 1254 In der antiken griechischen Mythologie ist das Vergiften eher für Frauen typisch. Besonders bekannt sind dafür Medea, die Glauke bzw. Krëusa und deren Vater Kreon tödlich vergiftet (z. B. Eur. Med. 1125 - 1128), oder Deianeira, die - wenn auch aus Versehen - Herakles durch Gift umbringt (z. B. Soph. Trach. 749 - 812), oder auch Kirke, die Odysseus ’ Gefährten durch ein ‚ giftiges ‘ Mahl ihre Heimat vergessen lässt, bevor sie diese in Schweine verwandelt (Hom. Od. X, 234 - 236). Auch in der Darstellung von Herodots Historien tötet Kyros die Massageten nicht direkt durch den Wein. Aber dessen Auswirkungen haben letztlich die gleichen todbringenden Folgen wie die direkte Wirkung von Gift: Der Tod tritt unerwartet ein, ohne dass sich die ‚ Vergifteten ‘ wehren können. So bezeichnet Tomyris den Wein mit Recht als φάρμακον (I, 212.2). Zu weiteren als wehrhaft dargestellten Frauen in Herodots Historien siehe Anm. 1559. 1255 So deutet er zuvor auch seinen Traum falsch, in dem er Dareios mit zwei Flügeln sieht, wobei dieser mit einem der Flügel Asien und mit dem anderen Europa beschattet (I, 209). Er wendet sich nicht an professionelle Traumdeuter, sondern sieht sich selbst in der Lage, zu erkennen, wovor ihn die Götter warnen möchten (I, 209.4 - 5). Doch die Eigendeutung misslingt (I, 210.1) und so steuert er sein Heer und sich selbst gegen die Massageten und damit in sein Verderben. 1256 Dass Kyros und dessen Herrschaft zur Lebenszeit des Herodot verklärt wird, wird in den Historien in III, 89.3 deutlich, als die Sicht der Perser wiedergegeben wird, die Kyros als 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 367 <?page no="368"?> Der Erfolg, den die Wirkung des Weins Kyros und den Persern hier bringt, besteht allerdings nur für kurze Zeit. Denn Kyros ’ unmäßiger Expansionsdrang endet in einer Niederlage gegen die Massageten und in seinem eigenen Tod. 1257 Dies veranschaulicht die in den Historien von Tomyris dargebrachte „ Sättigungsmetapher “ 1258 : Sie sucht die Leiche des Kyros, füllt einen Schlauch mit Menschenblut ( ἀσκὸν δὲ πλήσασα αἵματος ἀνθρωπηίου - I, 214.4) und steckt anschließend seinen Kopf in diesen Schlauch ( ἐναπῆκε αὐτοῦ τὴν κεφαλήν ἐς τὸν ἀσκόν - I, 214.4). Auf diese Weise demütigt sie Kyros ’ Leichnam ( λυμαινομένη δὲ τῷ νεκρῷ - I, 214.4) und erfüllt ihre zuvor ausgesprochene Drohung, Kyros mit Menschenblut zu sättigen ( ἥλιον ἐπόμνυμί τοι τὸν Μασσαγετέων δεσπότην , ἦ μέν σε ἐγὼ καὶ ἄπληστον ἐόντα αἵματος κορέσω - I, 212.3). 1259 In der später über den Sohn des Schatzmeisters des Königs Rhampsinit berichteten Erzählung wird deutlich, dass ἀσκοί verwendet werden, um Wein zu transportieren (II, 121 δ .1), und auch bei Homer tritt ἀσκός in diesem Zusammenhang auf. 1260 Die ohnehin schon aufgrund ihrer optischen Ähnlichkeit vorhandene Beziehung zwischen Wein und Blut wird durch die Verwendung von ἀσκός nochmals eindrücklich betont. Dadurch wird ein Bezug zwischen der List des Kyros durch Wein und der Rache der Tomyris durch Blut hergestellt. 1261 Wein wird hier also in Verbindung mit dem im Kampf vergossenen Blut gebracht, wodurch die vernichtende Wirkung von Wein verbildlicht wird, der sowohl zu Beginn von Kyros ’ Leben durch den Traum des Astyages, aus dem Schoß von Kyros ’ Mutter Mandane würde ein Weinstock πατήρ bezeichnen, während sie Dareios als κάπηλος und Kambyses als δεσπότης beschreiben; vgl. dazu Sancisi-Weerdenburg (1989), S. 130. 1257 Bowie (2003, S. 107 f.) stellt Kyros in einer Reihe mit Kroisos, Kambyses, Dareios und Xerxes, die in der Darstellung der Historien alle Rückschläge erleiden, nachdem sie Grenzen zu weit überschritten haben. 1258 Müller (2009), S. 177. So bemerkt Müller, dass dies die „ Bestrafung für seinen unmäßigen Imperialismus “ sei, die so „ durch einen hoch symbolischen Akt [erfolgt] “ . 1259 Zu davon abweichenden überlieferten Berichten über Kyros ’ Tod siehe Bowie (2003), S. 104/ Anm. 30; Asheri et al. (2007), S. 216. 1260 Vgl. ἀσκός in LSJ, S. 258: „ skin, hide [ … ]; but usually, skin made into a bag, esp. wineskin, [ … ] Il. 3.247, Od. 6.78 [ … ] “ : Hom. Il. III, 245 - 247a: κήρυκες δ᾽ ἀνὰ ἄστυ θεῶν φέρον ὅρκια πιστά , / ἄρνε δύω καὶ οἶνον ἐΰφρονα , καρπὸν ἀρούρης , / ἀσκῶι ἐν αἰγείωι · [ … ] / / Hom. Od. VI, 76 - 78: μήτηρ δ᾽ ἐν κίστηι ἐτίθει μενοεικέ᾽ ἐδωδήν / παντοίην , ἐν δ᾽ ὄψα τίθει , ἐν δ᾽ οἶ νον ἔχευεν / ἀσκῶι ἐν αἰγείωι · κούρη δ᾽ ἐπεβήσετ᾽ ἀπήνης . 1261 Vgl. auch Hazewindus (2004), S. 174 f.; Bowie (2003, S. 104): „ [ … ] a victory through wine is avenged by an insult involving a wine-skin. “ Die Ähnlichkeit von Blut und Wein spielt in der Antike eine wichtige Rolle: So kommt es langsam zu einem Wandel, in dem bei manchen Ritualen, wie beim Schluss von Bündnissen oder beim Totenopfer, Blut durch Wein ersetzt wird (vgl. dazu Kircher [1910], S. 82 - 87). Hier allerdings wird nicht die kraftspendende Eigenschaft von Blut und Wein hervorgehoben und miteinander in Verbindung gesetzt, sondern die vernichtende. 368 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="369"?> über ganz Asien hinweg wachsen (I, 108.1), als auch hier am Ende seines Lebens mit Kyros in Verbindung steht. 1262 4.2.1.2 Wein als Betäubungsmittel für Wächter Mit der Erzählung über die Gefangennahme des Spargapises ist die Erzählung über den Sohn von Rhampsinits Schatzmeister, dem sogenannten Meisterdieb, auf besondere Weise verbunden. Denn in beiden Darstellungen wird gezielt durch Wein Schlaf erwirkt, um einen Plan in die Tat umsetzen zu können. 1263 Der Schatzmeister des Rhampsinit informiert seine beiden Söhnen kurz vor seinem Tod über einen von ihm eingerichteten heimlichen Gang, der in die Schatzkammer des Königs führt. Dort nun können sich die Brüder mehrere Male bereichern (II, 121 α ). Als jedoch einer der Brüder in eine Falle tritt, die dort vom König angebracht wurde, fordert dieser seinen Bruder auf, ihm den Kopf abzuschlagen, damit er nicht erkannt werde. Der Bruder gehorcht und köpft ihn (II, 121 β ). 1264 Nachdem der König die kopflose Leiche findet, lässt er diese aufhängen und bewachen. Der überlebende Bruder wird daraufhin von seiner Mutter dazu genötigt, den Leichnam des Bruders zurückzuholen (II, 121 γ ). 1265 Damit ihm dies alleine gelingen kann, ist er auf eine List angewiesen. Ganz in familiärer Tradition fällt es ihm auch nicht schwer, auf eine gute Idee zu kommen: 1266 Dafür verkleidet er sich zunächst als Weintransporteur und geht mit Eseln in Richtung der Wächter, die den Leichnam seines Bruders bewachen (II, 121 δ .1). Dort angekommen öffnet er heimlich zwei bis drei der transportierten Weinschläuche, wodurch er unter vorgetäuschtem Wehklagen den Wein zum Auslaufen bringt (II, 121 δ .1). Die Wachen kommen schnell herbei 1262 Vgl. Bowie (2003, S. 104/ Anm. 30): „ Vinous imagery links the beginning and end of Cyrus ’ life [ … ]. “ 1263 Vgl. auch Coulet (1994), S. 68. 1264 West (2007, S. 324) hebt an dieser Geschichte die Solidarität innerhalb dieser Familie hervor. Denn nicht nur der Bruder opfert sich, sondern bereits zuvor hat ja ihr Vater die List beim Bau der Kammer einzig für die Versorgung seiner Söhne angewendet und selbst davon nicht profitiert (II, 121 α ) (vgl. ebd.). 1265 Der Auslöser für die Rettung des Leichnams liegt in der Philia der Mutter zu ihrem toten Sohn begründet, nicht in der Philia, die zwischen den Brüdern besteht (siehe dazu Anm. 421). Denn obwohl der Text dies nicht explizit erwähnt, kann darauf geschlossen werden, da eben die Mutter ihren noch überlebenden Sohn aufs Äußerste dazu nötigt, ihren toten anderen Sohn zurückzubringen. Es ist die Philia, die die Handlung hier stark beeinflusst und lenkt. 1266 Hier erweist „ sich der überlebende Sohn der Klugheit des Vaters und der Entschlossenheit des Bruders würdig “ (Müller [2006c], S. 162). So dachte sich sein Vater den geheimen Einstieg in die Schatzkammer aus (II, 121 α .1) und sein Bruder blieb, obwohl er in der Falle gefangen war, besonnen und sah ein, nur durch die eigene Köpfung seinen Bruder retten zu können (II, 121 β .2). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 369 <?page no="370"?> und fangen den Wein mit Gefäßen auf (II, 121 δ .2). In seiner Rolle spielt der Bruder zunächst vor, verärgert über das Geschehene zu sein, lässt sich dann aber von den Wächtern trösten und sogar zum Lachen bringen (II, 121 δ .3 - 4). Daraufhin überlässt er den Wachen einen der mit Wein gefüllten Schläuche, worauf sich diese gleich hinlegen und trinken möchten ( τοὺς δὲ αὐτοῦ ὥσπερ εἶχον κατακλιθέντας πίνειν διανοέεσθαι - II, 121 δ .4). Das Angebot der Wachen, noch dazubleiben und mitzutrinken ( ἐκεῖνον παραλαμβάνειν καὶ κελεύειν μετ᾽ ἑωυτῶν μείναντα συμπίνειν - II, 121 δ .4), nimmt der Bruder an. Die Gemeinschaft wird hier gleich doppelt betont: erstens durch die Präposition μετά (= hier: ‚ zusammen mit ‘ ) 1267 und zweitens durch die Verwendung von συμπίνειν . 1268 Nun beginnt ein ‚ provisorisches ‘ Symposion. Συμπίνειν bezeichnet hier lediglich den Vorgang des Trinkens in Gesellschaft und weist ansonsten nicht auf das typische griechische Symposion hin. Das gemeinsame Trinken der Wächter zusammen mit dem Bruder entspricht kaum dessen Ansprüchen. Denn hier handelt es sich um ein spontan entstandenes Trinkgelage in Ägypten ohne jegliche rituelle Vorbereitung, das zwar allein unter Männern stattfindet, die aber als nicht näher beschriebene Wächter nicht aus der aristokratischen Schicht stammen und damit nicht den typischen Teilnehmern eines griechischaristokratischen Symposions entsprechen. 1269 Zwar trinken die ägyptischen Wächter ganz nach griechischer Sitte im Liegen ( κατακλιθέντας - II, 121 δ .4), da aber weder Unterlagen oder gar Klinen zur Verfügung stehen, legen sich die Wächter auf den Boden. Der Text betont dies, indem er aussagt, die Wachen legen sich an Ort und Stelle, wie und wo sie waren, hin ( αὐτοῦ ὥσπερ εἶχον - II, 121 δ .4). Außer ihrem Gespräch gibt es natürlich auch keinerlei Vorträge, Dichtungsdarbietungen oder andere Auftritte. Zum konventionellen griechischen Symposion fehlen auch die gewöhnlichen Räumlichkeiten und Ausstattungen, die hier aber weder für die Erzählökonomie nötig noch in dieser Situation möglich sind. Insgesamt ist das Bild, das der Text beschreibt, dennoch klar ein Symposion im Sinne eines Treffens zum gemeinsamen Trinken. Abgesehen von den äußeren Voraussetzungen gemäß dem Maßstab des idealtypischen griechischen Symposions ist alles vorhanden, was ein Trinkgelage ausmacht: fröhliche Teilnehmer, Gleichheit, Gemeinschaft und reichlich Wein. Die List des Meisterdiebs erscheint auch deshalb klug, da im Verständnishorizont des typisch griechischen Rezipienten von Herodots Historien der 1267 Vgl. μετά in LSJ, S. 1108: „ A. WITH GEN. [ … ] I. in the midst of, among, between [ … ] II. in common, along with, by aid of (implying a closer union than σύν ) “ . 1268 Zur Bedeutung von συμπίνειν siehe Kap. 2.2.5.1. 1269 Dafür, dass die Teilnehmer eines griechischen Symposions gewöhnlich wohlhabend waren, siehe Kap. 2.2.3.3.1. 370 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="371"?> Meisterdieb dazu verpflichtet ist, wenn er an diesem - wenn auch provisorischen - Symposion teilnimmt auch mitzutrinken, wenn er bleiben möchte. 1270 So macht er sich nicht verdächtig, falls er sich längere Zeit bei den Wächtern aufhält. Wenngleich der Text nicht erwähnt, dass der Meisterdieb selbst wohl nur in Maßen Wein zu sich nimmt, ist dies anzunehmen, da seine Sinne nicht beeinträchtigt werden. 1271 Bei diesem gemeinschaftlichen Trinken, das der Text mit dem Substantiv πόσις (II, 121 δ .5) bezeichnet, 1272 kann auf eine heitere Atmosphäre geschlossen werden. Denn der Umgang zwischen den Wächtern und dem überlebenden Bruder wird als freundlich beschrieben ( φιλοφρόνως ἠσπάζοντο - II, 121 δ .5). Daher überlässt der Bruder ihnen noch einen zweiten Weinschlauch. Dass diese fröhliche Stimmung Teil der List sein muss, ist für den Rezipienten offensichtlich, der ja weiß, dass es sich dabei um eine Trinkgemeinschaft zwischen Dieb und Wächtern handelt. Der Dieb muss innerlich gefasst auf den richtigen Moment warten, um den Leichnam seines Bruders unbemerkt mitnehmen zu können, und täuscht daher durch seine Freundlichkeit Gelassenheit vor, wie er auch bereits all seine bisherigen Emotionen vorgetäuscht hat. Die Wächter dagegen sind die Einzigen, die sich der Gefahr in dieser Situation nicht bewusst sind und aufgrund der besonderen Atmosphäre dieses spontanen Symposions sogar ihre Pflicht vernachlässigen. Die Größe und der Aufwand eines Sym- 1270 Zur Verpflichtung des Mittrinkens im griechischen Symposion siehe Klinghardt (1996), S. 115, der auf Cic. Tusc. V, 41.118 verweist: „ mihi quidem in vita servanda videtur illa lex, quae in Graecorum conviviis optinetur: ‘ aut bibat ’ inquit ‘ aut abeat. ’“ Dass bei den Griechen eine starke Verpflichtung zum Mittrinken bestand, zeigt sich also in sprichwörtlichem Gebrauch noch in der römischen Literatur. 1271 Dass er sich beherrscht, um für die Umsetzung seines Plans nüchtern genug zu bleiben, ist ein Zeichen von Selbstbeherrschung; vgl. dazu Neitzel (1993), S. 235. Neitzel (ebd.) weist darauf hin, dass die Handlungen des Meisterdiebs insgesamt besonders seine ἐγκράτεια hervorheben, die in den „ drei Etappen des Agons “ offenbart wird: So zeigt sich seine Selbstbeherrschung als Erstes „ gegenüber dem Geld bzw. dem Gott Plutos “ in der Schatzkammer, da er im Gegensatz zu seinem Bruder draußen wartet und daher nicht in die Falle gerät (II, 121 β .2), als Zweites „ gegenüber der Trauer ( λύπη ) und dem Wein, dem Gott Dionysos “ und als Drittes dann „ gegenüber der Lust ( ἡδονή ), gegenüber der Macht der Aphrodite “ (Neitzel [1993], S. 235). Denn nachdem er auch die letzte Herausforderung des „ Weisheitsagon[s] “ (Müller [2006c], z. B. S. 161, S. 164; siehe dazu die Ausführungen in Anm. 1289) bestanden hat, weicht er sofort von der Königstochter zurück, die ihn durch erotische Handlungen festzuhalten versucht (II, 121 ε ); vgl. dazu die Erläuterungen Neitzels in seinem Aufsatz ‚ Prinzessin und Meisterdieb bei Herodot (2, 121 ε ) ‘ (1993) und dort besonders S. 223 - 233. Der Meisterdieb beweist seine Besonnenheit mit Blick auf das hier dargestellte Symposion also darin, dass er nüchtern genug bleibt, um seinen Plan in die Tat umsetzen zu können. In seinem Fall wird Nüchternheit zum Zeichen von Besonnenheit. 1272 Zur Verwendung von πόσις in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.2. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 371 <?page no="372"?> posions sind also für dessen entspannte und gelassene Atmosphäre nicht entscheidend. Wein ist der einzige Luxus, den sie dort genießen, und Wein ist es, der die Wächter ihre Pflicht vernachlässigen lässt. Denn abgesehen von der Unterbrechung ihrer Arbeit durch das Symposion setzen die Folgen des starken Weinkonsums noch während ihres Wachdienstes - an Ort und Stelle - ein und machen das weitere Ausüben ihrer Pflicht unmöglich. So werden die Wächter stark betrunken und schlafen ein ( δαψιλέϊ δὲ τῷ ποτῷ χρησαμένους τοὺς φυλάκους ὑπερμεθυσθῆναι καὶ κρατηθέντας ὑπὸ τοῦ ὕπνου αὐτοῦ ἔνθα περ ἔπινον κατακοιμηθῆναι - II, 121 δ .5). Dadurch, dass der Trank als reichlich beschrieben wird ( δαψιλὲς ποτόν ) und zu einer starken Betrunkenheit ( ὑπερμεθυσθῆναι ) 1273 führt, wird deutlich, dass es sich um ein Trinken handelt, das das normale gesunde Maß übersteigt. Auch hier wie zuvor, als sich die Wächter an Ort und Stelle zum Trinken hingelegt haben, betont der Text, dass sie an eben diesem Ort auch einschlafen ( ὑπὸ τοῦ ὕπνου αὐτοῦ ἔνθα περ ἔπινον κατακοιμηθῆναι - II, 121 δ .5). Damit ist hervorgehoben, wie dieses zumindest für die Wächter fröhlich erscheinende Gelage scheitert: am übermäßigen Weinkonsum zur falschen Zeit. Denn die Wächter schlafen am Ort des Symposions ein, der damit zugleich zum Ort der Scham für sie wird. 1274 Für den Dieb dagegen läuft alles nach Plan. Er nutzt das offensichtliche Unwissen oder zumindest den Leichtsinn der Wächter im Hinblick auf Wein aus und ermöglicht es sich, durch das Initiieren dieses Symposions den Leichnam seines Bruders zurückzuholen. Er lädt diesen nun auf die Esel ( ἐπιθέντα δὲ τὸν νέκυν ἐπὶ τοὺς ὄνους ἀπελαύνειν ἐπ᾽ οἴκου - II, 121 δ .6), wie er zu Beginn die Weinschläuche aufgeladen hat ( ἀσκοὺς πλήσαντα οἴνου ἐπιθεῖναι ἐπὶ τῶν ὄνων καὶ ἔπειτα ἐλαύνειν αὐτούς - II, 121 δ .1), ganz so, als hätte er einen Tausch vollzogen und für den Wein seinen Bruder zurückbekommen. Diese kurze Teilerzählung innerhalb der Meisterdiebnovelle erscheint damit ringförmig komponiert. Auch wenn es sich hier nicht um eine Situation im Krieg handelt, kann dennoch eine Parallele zu den bereits besprochenen Situationen in den Historien gezogen werden, deren Handlungen ebenfalls durch die Wirkung von Wein beeinflusst sind. Während der Text bei der Beschreibung des Siegs der Meder über die Skythen die Betrunkenheit erwähnt, die sie wehrlos macht (I, 106.2), ist 1273 Durch die Aoristform ὑπερμεθυσθῆναι wird verdeutlicht, dass ein Zustand von exzessiver Trunkenheit erreicht ist; vgl. dazu ὑπερμεθύσκομαι in LSJ, S. 1866: „ get excessively drunk “ . 1274 Vgl. dazu auch Coulet (1994, S. 68 f.), die die Anekdote des Meisterdiebs als Beispiel dafür anführt, dass übermäßiger Weinkonsum mehrfach in Herodots Historien den agierenden Personen zum Verhängnis wird; vgl. dazu Anm. 1004. 372 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="373"?> es bei dieser Erzählung über den Meisterdieb wie auch bei der Gefangennahme des Spargapises (I, 211.2 - 3) das Einschlafen, das - auch wenn es aus der Trunkenheit folgt - letztlich als Grund für die Wehrlosigkeit angegeben wird. Immer ist es übermäßiger Weinkonsum, der in unterschiedlichen Situationen gefährlich werden kann. Während die Massageten die Folgen des ungemischten Weins nicht kennen (I, 207.6), ist bei den beiden Wachposten der Ägypter jedoch nicht die Rede davon, dass sie keine Erfahrung mit der Wirkung von Wein hätten. Außerdem sind sie auch nicht zu einem Mahl geladen wie die Skythen bei den Medern (I, 106.2), die daher nicht mit einem Überfall rechnen, sondern befinden sich im Dienst. Sie hätten also, da sie sich ihrer Verpflichtung bewusst waren, rechtzeitig zu trinken aufhören oder gar nicht erst damit beginnen dürfen. Selbst als sie schon sehr betrunken sind, trinken sie so lange weiter, bis sie schließlich einschlafen. Durch die glückliche Atmosphäre in der Situation dieses Trinkgelages, bei dem jedoch der bewachte geköpfte Leichnam des Bruders im Hintergrund der Szenerie vorzustellen ist, wird ein indirekter Bezug zu dem in II, 78 geschilderten ägyptischen Symposionsbrauch erkennbar, gemäß dem ein - in diesem Fall - hölzerner Leichnam an die Endlichkeit des Menschen erinnern und zum Genuss des Augenblicks aufrufen soll. 1275 Auch die Wächter genießen den Moment und denken nicht darüber nach, welche Folgen dieses spontane Trinkgelage für sie haben könnte. Dass also der Genuss des Augenblicks im falschen Moment problematisch sein kann, wird in der Darstellung der Historien durch diesen intratextuellen Bezug eindrücklich dargestellt. So können die Wächter, ohne dass sie von Ort und Stelle weggelockt werden müssen, außer Gefecht gesetzt werden. Dass ihr Verhalten daher beschämend ist, zeigt sich auch daran, dass der Meisterdieb zur Darstellung der Schmach ( ἐπὶ λύμῃ - II, 121 δ .6) die rechten Wangen der Wächter rasiert. Das Scheitern dieses Symposions ist somit auf den Leichtsinn der wohl ungeübten oder zumindest leichtsinnigen Wächter als Symposiasten zurückzuführen. Man kann fragen, ob sich hinter dieser Darstellung nicht auch eine Kritik an den bereits seit dem 6. Jh. v. Chr. immer mehr werdenden nichtadligen Teilnehmern oder Veranstaltern von Symposia in Griechenland verbirgt, durch die diese ursprünglich aristokratische Einrichtung an Exklusivität verliert. 1276 Ich möchte nun noch auf eine weitere Situation in den Historien eingehen, bei der Trunkenheit wieder gezielt herbeigeführt wird und in gleicher Weise für die Wächter schmachvoll ist, auch wenn es dort nicht direkt als Schande benannt wird. Dieser Vorfall ereignet sich auf dem Feldzug des Kambyses gegen Ägypten, als Amasis Pharao war. Phanes, ein Söldner von Amasis (III, 4.1), 1275 Vgl. zu diesem Brauch die Ausführungen in Kap. 3.3.2. 1276 Vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 2.2.2. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 373 <?page no="374"?> flieht in Richtung Persien, da er aus einem in den Historien nicht näher geschilderten Grund über diesen aufgebracht ist (III, 4.2). Sein Ziel ist es, ein Gespräch mit Kambyses zu führen. Aufgrund der vielen Informationen, die Phanes Kambyses liefern könnte, lässt ihn Amasis durch Eunuchen festsetzen (III, 4.2). Durch eine, wie der Text aussagt, weise Idee ( σοφίῃ - III, 4.2) gelingt es Phanes allerdings, sich zu befreien, indem er die Wächter betrunken macht ( καταμεθύσας - III, 4.3) 1277 . Ohnehin wird Phanes im Zuge seiner ersten Erwähnung in den Historien sogleich als intelligent und tapfer im Krieg charakterisiert ( οὔνομα δέ οἱ ἦν Φάνης , καὶ γνώμην ἱκανὸς καὶ τὰ πολέμια ἄλκιμος - III, 4.1) 1278 . Er entkommt zu den Persern, denen er für den Feldzug gegen Ägypten nun wichtige und entscheidende Informationen liefern kann. 1279 Hier wird im Gegensatz zur Erzählung über den Meisterdieb (II, 121 δ ) nicht genauer beschrieben, wie es Phanes gelingt, die Wächter betrunken zu machen, doch beide Male handelt es sich um den klugen und gezielten Einsatz von Trunkenheit als Waffe, um die Wächter unfähig dafür zu machen, ihren Dienst auszuüben. Phanes entkommt der sicheren Strafe für seinen Verrat jedoch nicht und muss später mitansehen, wie seine Kinder über einem Mischkrug getötet werden, und, nachdem deren Blut mit Wein und Wasser gemischt worden ist, wie alle Soldaten von diesem Blutgemisch trinken (III, 11. 2 - 3). 1280 Die ägyptischen Söldner rächen sich an Phanes also nicht nur, indem sie dessen Kinder töten, sondern auch dadurch, dass sie zugleich symbolisch Macht über 1277 Zur Verwendung von καταμεθύσκειν in Herodots Historien siehe Anm. 1237. 1278 Vgl. dazu γνώμη in LSJ, S. 354: „ II. organ by which one perceives or knows, intelligence “ . Durch die Formulierung γνώμην ἱκανός macht der Text deutlich, dass Phanes dazu fähig ist, seinen Verstand bzw. seine Intelligenz richtig und auf geeignete Art und Weise einzusetzen. 1279 Vgl. Ruberto (2009, S. 88): „ nel racconto erodoteo, la sua defezione da Amasi è presentata come la chiave di volta del successo della spedizione di Cambise in Egitto. “ 1280 In den Historien wird von weiteren Bräuchen berichtet, bei denen Blut getrunken wird. In I, 74.5 wird erwähnt, dass die Lyder und Meder ihre Schwüre wie die Griechen leisten und dazu noch ihre Arme aufritzen und dann gegenseitig ihr Blut auflecken. Eine Vermischung von Blut und Wein trinken laut der Historien auch die Skythen, um einen Treuebund zu besiegeln (IV, 70). Auf diese Weise wird ein unzertrennliches Band zwischen den beiden Bündnispartnern gebildet - eine Blutsbrüderschaft (vgl. dazu Pfister [1953], S. 1121 - 1123; Cunliffe [2019], S. 217; siehe dazu auch Hartog [1988], S. 113 - 119). Kircher (1910, S. 83 f.) sieht in dem „ Blut-Weinbund “ eine „ Modifikation des Blutbundes, die als vermittelndes Glied “ zwischen dem durch das Trinken von Blut und dem durch Wein geschlossenen Pakt anzusehen sei. Bei den Skythen erwähnt der Text in den Historien zudem den Brauch, dass sie das Blut von demjenigen trinken, den sie als Erstes in ihrem Leben niedergeschlagen haben (IV, 64.1). Diese skythische Sitte wird in einer Reihe von schockierend wirkenden Vorgehensweisen gegenüber den getöteten Feinden beschrieben (vgl. dazu Anm. 909). 374 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="375"?> die Kinder und damit auch über Phanes als deren Vater erhalten, indem sie vom Blut der Kinder trinken. 1281 Phanes ’ Vergehen, bei dem ein Trank eine zentrale Rolle spielt, wird somit mit einem Trank gerächt. 1282 Der Rache der Ägypter wiederum folgt sogleich ihre militärische Niederlage gegen Kambyses (III, 11.3). Darin lässt sich eine Parallele zur Erzählung über die Niederlage des Kyros gegen die Massageten erkennen. Denn wie dem Mord an Phanes ’ Kindern folgt dem durch die Perser provozierten Tod von Tomyris ’ Sohn die Niederlage der jeweiligen Initiatoren (III, 11.3 bzw. I, 214.2 - 3). Beide Male gibt es zudem einen Bezug zum Trinken von Blut. In III, 11.2 - 3 trinken die ägyptischen Söldner vom Blut der Kinder des Phanes und in I, 214.4 - 5 lässt Tomyris den toten Kyros mit Menschenblut sättigen. Niemals wird das Trinken von Blut in Herodots Historien in Verbindung mit der griechischen Kultur beschrieben. Es handelt sich somit aus Sicht der Historien um einen ‚ barbarischen ‘ Akt. 1283 Die dargestellte Rache an Phanes wirkt für die Griechen daher noch grausamer und der Expansionsdrang des Kyros, den Tomyris nun symbolisch mit Blut zu sättigen versucht, besonders extrem. Obwohl das übermäßige Konsumieren von Wein in Herodots Historien negative Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit der Menschen hat, kann nicht gesagt werden, dass es in griechischen literarischen Darstellungen generell als Zeichen unkriegerischer Völker gilt. 1284 Der herodoteische Text berichtet jedoch von keinem Ereignis, bei dem der Konsum von Wein positive 1281 Cunliffe (2019, S. 260) begründet das Bluttrinken der Skythen (IV, 64.1) mit dem Glauben daran, auf diese Weise als Sieger Macht über den Feind zu erhalten (vgl. auch Kircher [1910], S. 78; How/ Wells [1912a], S. 327; Asheri et al. [2007], S. 628; bzw. Anm. 909). Das Trinken von Blut beim Treuebundschluss (IV, 70) folge außerdem der gleichen Idee, „ that blood is potent “ (Cunliffe [2019], S. 260). Für die stärkende Wirkung von Blut siehe auch Kircher (1910), S. 77 - 81; Pfister (1953), S. 1121; Hofmann/ Vorbichler (1979), S. 83 - 85. 1282 Wie auch beim Kyaxares-Mahl (siehe dazu Kap. 4.2.3.2.1) und Harpagos-Mahl (siehe dazu Kap. 4.2.3.2.2) wird auch hier in einer Racheaktion ein Kind getötet und danach ‚ konsumiert ‘ ; vgl. dazu Bowie (2003, S. 105): „ The themes are familiar: strong feelings lead to revenge through the death of sons, in the context of (here) drinking, and the subsequent military defeat of a great nation. “ Diese Thematik, die für östliche Bankette typisch ist (vgl. Bowie [2003], S. 102 f. bzw. Anm. 931 in der vorliegenden Arbeit), trifft also auch auf diese Vorgänge zu. 1283 Siehe dazu Burkert (2011), S. 99. 1284 Vgl. dazu Murray (1991). Murray verweist in seiner Untersuchung u. a. auf eine Stelle in Platons Nomoi (ebd., S. 87): ἔτι γὰρ οὖν εἴπωμεν πλείω περὶ ἁπάσης μέθης · οὐ γὰρ σμικρόν ἐστιν τὸ ἐπιτήδευμα οὐδὲ φαύλου διαγνῶναι νομοθέτου . λέγω δ᾽ οὐκ οἴνου περὶ πόσεως τὸ παράπαν ἢ μή , μέθης δὲ αὐτῆς πέρι , πότερον ὥσπερ Σκύθαι χρῶνται καὶ Πέρσαι χρηστέον , καὶ ἔτι Καρχηδόνιοι καὶ Κελτοὶ καὶ Ἴβηρες καὶ Θρ ᾷκες , πολεμικὰ σύμπαντα ὄντα ταῦτα γένη , ἢ καθάπερ ὑμεῖς (Plat. leg. 637d). Skythen, Perser, Karthager, Kelten, Iberer und Thraker pflegen demnach das Trinken von Alkohol in großen Mengen und gelten dennoch als kriegerische Völker. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 375 <?page no="376"?> Auswirkungen auf den Kampf hat. Eine gezielte Verwendung von Alkohol als Motivationsmittel für Soldaten im Kampf, wie er in der Neuzeit noch auf dem Schlachtfeld eingesetzt wurde, 1285 gibt es somit in der Darstellung der Historien nicht. Bei Herodot bewirkt Weingenuss häufig sogar das Gegenteil von Motivation, nämlich eine von Spannung gelöste Pflichtvergessenheit. 4.2.1.3 Fazit: Auswirkungen von Wein als Mittel zum Zweck In diesem Kapitel wurden Textstellen analysiert, in denen der exzessive Weinkonsum Einfluss auf die Handlung nimmt. Dabei kann die Instrumentalisierung der Auswirkungen von Wein einerseits die Darstellung des geschichtlichen Verlaufs direkt beeinflussen, andererseits aber auch indirekt zum Mittel dafür werden, um Personen zu charakterisieren. Die Charakterisierung erfolgt dann nicht durch die Bewertung des Weinkonsums der jeweiligen Person, wie es bei den im Kapitel zuvor analysierten Textstellen der Fall ist, 1286 sondern durch deren Fähigkeit, die Auswirkungen von Wein für sich selbst zunutze zu machen. Es ist aber nicht der Weinkonsum an sich, der dafür entscheidend ist, sondern der unmäßige Weinkonsum, durch dessen Auswirkungen Wein zu einer Art Gift wird und damit zum Werkzeug einer List. Einfluss auf den in den Historien dargestellten geschichtlichen Verlauf hat die Trunkenheit, die bewirkt, dass die Skythen ihre Herrschaft über die Meder verlieren (I, 106.2). Das trifft auch auf die List des Söldners Phanes zu, der aus ägyptischer Gefangenschaft entkommt, indem es ihm gelingt, seine Wächter betrunken zu machen, und auf diese Weise Kambyses viele entscheidende Informationen für den Feldzug gegen Ägypten übermitteln kann (III, 4). Gemäß der Darstellung der Historien ist es Kambyses auf diese Weise möglich, erfolgreich durch die arabische Wüste nach Ägypten zu gelangen und Memphis schließlich einzunehmen (III, 7.1 - 13.3). Dagegen dient die Erzählung über die Gefangennahme des Spargapises (I, 211) eher der Charakterisierung des Kyros. Zwar gelingt es Kyros, den Sohn der Massagetenkönigin festzusetzen und einen Teil des Massagetenheeres zu zerstören, indem er diese durch Wein trunken macht, aber in Erinnerung bleibt vor allem die Reaktion der Massagetenkönigin Tomyris nach Kyros ’ Tod, die in Kyros ’ List einen Beweis für dessen Feigheit sieht, seinen ‚ blutrünstigen ‘ Expansionsdrang tadelt (I, 212) und ihn demütigt, indem er seinen Leichnam durch einen Weinschlauch mit Blut sättigt (I, 214.4 - 5). Der dargestellte geschichtliche Verlauf ändert sich durch dieses Massagetensymposion allerdings nicht. Denn selbst wenn Kyros durch diese 1285 Vgl. Murray (1991), S. 85. 1286 Siehe dazu Kap. 4.1.3.1. 376 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="377"?> List ein Drittel des massagetischen Heeres töten kann, wird er später selbst von den Massageten besiegt und verliert auf diese Weise sein Leben. Auffällig sind in den angesprochenen Textpassagen die intratextuellen Bezüge. So wird zwischen den Skythen und Medern unter Kyaxares ein Mahl (I, 73.5 - 6) mit einem Mahl gerächt (I, 106.2), 1287 so findet bei Tomyris ’ Rache für Kyros ’ List durch Wein (I, 211) ein Weinschlauch Verwendung (I, 214.4 - 5) 1288 und Phanes ’ Verrat, für den ein Trank eine entscheidende Rolle spielt (III, 4.3), wird mit einem Trank gerächt (III, 11.2 - 3). Durch diese Bezüge zwischen Tat- und Rachedarstellungen, ruft der Text den Rezipienten jeweils bei der Beschreibung der Rache immer auch die vorausgegangene Tat wieder in Erinnerung, von der er bereits an früherer Stelle in den Historien berichtet hat. In der Novelle über den Meisterdieb spielt Rache dagegen keine Rolle. In erster Linie dient der Wein hier als Mittel dazu, die Klugheit des Meisterdiebs in der Darstellung der Historien herauszustellen. 1289 Der durch die Szenerie des 1287 Zur Verbindung von I, 73.5 - 6 und I, 106.2 durch die dort dargestellten Gastmähler vgl. Bowie (2003), S. 103 bzw. Kap. 4.2.1.1 in der vorliegenden Arbeit. 1288 Zu dieser Verbindung von I, 211 und I, 214.4 - 5 vgl. Bowie (2003), S. 104 bzw. auch die Ausführungen in Kap. 4.2.1.1. 1289 Der Meisterdieb bewertet in der Darstellung der Historien seine List, die Wächter betrunken gemacht zu haben, wodurch er den Leichnam seines Bruders zurückholen konnte, auch selbst als sehr kluge Tat. Denn auf Nachfrage berichtet er später der Tochter des Rhampsinit, dass es seine frevelhafteste Tat gewesen sei, seinem Bruder den Kopf abgeschnitten zu haben, und seine klügste, die Wächter betrunken gemacht zu haben ( σοφώτατον δὲ ὅτε τοὺς φυλάκους καταμεθύσας - II, 121 ε .4) und dann die Leiche seines Bruders an sich nehmen konnte; vgl. Neitzel (1993), S. 234. Zur Verwendung von καταμεθύσκειν in Herodots Historien siehe Anm. 1237. Müller (2006c, S. 164) erkennt in der Handlung der Meisterdiebnovelle eine „ strukturierte Einheit “ . Zwischen der „ potentielle[n] Inbesitznahme der königlichen Schatzkammer durch den Baumeister “ und der „ Vermählung des Sohnes mit der Königstochter “ liegt der in drei Phasen unterteilte „ Weisheitsagon “ (Müller [2006c], S. 164), den Müller in seinem Aufsatz ‚ Das Schatzhaus des Rhampsinit ‘ erläutert (vgl. ebd., S. 161 - 164): Das Aufeinandertreffen der Tochter des Rhampsinit und des Meisterdiebs wird dabei zum dritten Teil gezählt (II, 121 ε ), während die Geschehnisse in der Schatzkammer (II, 121 α-β ) als erster und das Zurückholen der Leiche durch den geschickten Plan des Meisterdiebs, die Wächter betrunken zu machen (II, 121 γ-δ ), als zweiter Abschnitt betrachtet wird. In jedem Abschnitt dieser Erzählung, die zum „ Weisheitsagon “ (Müller [2006c], z. B. S. 161, S. 164) wird, siegt die Klugheit des Meisterdiebs. Doch Müller macht darauf aufmerksam, dass der dritte Abschnitt als Höhepunkt der Klimax, die sich vom ersten bis zum dritten Teil dieses Wettkampfes mit Rhampsinit um „ Einfallsreichtum “ (= πολυτροπίη ) (Müller [2006c], S. 163) ergibt, zeige, dass der Meisterdieb inzwischen sogar ohne Not die Herausforderung annehme, um sich mit dem König in Klugheit messen zu können ( βουληθέντα πολυτροπίῃ τοῦ βασιλέος περιγενέσθαι - II, 121 ε .3) (vgl. Müller [2006c], S. 163). Denn keineswegs werde er gezwungen, zu Rhampsinits Tochter zu gehen und sich damit dem Risiko auszusetzen, erkannt zu werden, als diese, wie der Text darstellt, von ihrem Vater die Anweisung bekommen habe, in einem Gemach zu verweilen 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 377 <?page no="378"?> Trinkgelages, bei dem sich der geköpfte Leichnam des Bruders im Hintergrund befindet, bestehende intratextuelle Bezug zu dem in II, 78 dargestellten ägyptischen Symposionsbrauch, bei dem ein hölzerner Leichnam vor Ort ist und zum Genuss des Augenblicks ermahnen soll, zeigt vor allem auf, dass die Wächter ein solch unbeschwertes und fröhliches Trinkgelage in einer unpassenden Situation abhalten, wodurch sich der Genuss des Augenblicks als problematisch erweist. Somit hat diese Novelle keinen Einfluss auf die Darstellung des Geschichtsverlaufs, da sie für den Handlungsfortgang unerheblich ist. Wie auch Kyros bei seiner List gegen die Massageten instrumentalisiert der Meisterdieb die Auswirkung von Wein für seinen Plan. Doch während Kyros ’ Vorgehen von Tomyris als feig bewertet wird, bekommt der Meisterdieb - auch wenn die erste Reaktion des Rhampsinit Verärgerung ist (II, 121 ε .1) - nach ein paar weiteren klugen Einfällen Zuspruch von diesem. Denn der Text berichtet, dass Rhampsinit durch die vielen klugen Einfälle den Meisterdieb für denjenigen Menschen hält, der am meisten wisse. Er habe gesagt, dass die Ägypter für besser als alle anderen gehalten werden und der Meisterdieb sogar noch besser als alle Ägypter sei ( ὡς πλεῖστα ἐπισταμένῳ ἀνθρώπων· Αἰγυπτίους μὲν γὰρ τῶν ἄλλων προκεκρίσθαι , ἐκεῖνον δὲ Αἰγυπτίων - II, 121 ζ .2). Auch Phanes ’ List bewertet der Text als klug ( σοφίῃ γάρ μιν περιῆλθε ὁ Φάνης - III, 4.2). Während die Skythen (I, 106.2) und viele Massageten (I, 211.3) im kriegerischen Kontext durch unmäßigen Weinkonsum schließlich ihr Leben verlieren, genügt es dem Meisterdieb (II, 121 δ ) und Phanes (III, 4.2 - 3), die Wächter für kurze Zeit außer Gefecht zu setzen. Die Folgen des Weinkonsums variieren also je nach Ziel der Akteure und die Bewertung der List je nach Sichtweise der Betrachtenden. Zudem hätten gerade der Meisterdieb und auch Phanes ohne List keine Möglichkeit gehabt, ihr jeweiliges Ziel zu erreichen. Schließlich befinden sie sich - im Gegensatz zu Kyros bei den Massageten - in einer isolierten Situation, in der sie alleine versuchen müssen, sich gegen viele durchzusetzen. Somit ( κατίσαι ἐπ᾽ οἰκήματος - II, 121 ε .2) und dort keinen Freier, der zu ihr komme, abzulehnen, sich aber jeweils vor dem Geschlechtsverkehr nach der frevelhaftesten und klügsten Tat des jeweiligen Freiers zu erkundigen (II, 121 ε .2). Derjenige, der sich dann als eben jener gesuchte Dieb zu erkennen gebe, solle sie festhalten und nicht gehen lassen (II, 121 ε .2). Zudem gestehe der Meisterdieb in dieser Situation freimütig seine Tat (II, 121 ε .4), bevor er erneut aus dieser Situation durch eine weitere sehr kluge Tat entkommt (II, 121 ε .4 - 5); vgl. Müller (2006c), S. 163. Müller (2006c, S. 163/ Anm. 32) verweist auf Horn (1995, S. 139), der diesen Wettstreit zwischen Meisterdieb und König als „‚ Schachspiel ‘“ bezeichnet. Dass Rhampsinit seine Tochter zur Prostitution in einem Bordell und damit zur Hingabe an alle Männer, die zu ihr kommen, zwingt, wird von Neitzel anhand einer Analyse von „ Herodots Formulierung des königlichen Auftrags “ (Neitzel [1993], S. 215) abgelehnt, was er in seinem Aufsatz ‚ Prinzessin und Meisterdieb bei Herodot (2, 121 ε ) ‘ (1993) u. a. intensiv erläutert und begründet. 378 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="379"?> werden sie als klug bewertet, Kyros dagegen als feig, da er doch mit einem Heer diesen Feldzug bestreitet und damit auch von Anfang an die Möglichkeit des offenen Kampfes gehabt hätte. Für die in diesem Kapitel analysierten Textpassagen gilt schließlich, dass Trunkenheit und durch übermäßigen Weinkonsum bedingter Schlaf nur dann instrumentalisiert werden, wenn diese Wirkungen zuvor auch gezielt provoziert worden sind. 1290 Die erwähnten betrunkenen Personengruppen (Skythen, Massageten, Wachen) sind also immer auch im Verlauf der Historien betrunken geworden. Damit zeigt sich hier eine gezielte Instrumentalisierung des Weins in der Darstellung der Historien. Exkurs: Ernährung beim Feldzug - ein notwendiges Risiko Die Instrumentalisierung von bestimmten Gegebenheiten, die mit der Ernährung im Allgemeinen zusammenhängen, spielt auch sonst in den Historien eine für den Handlungsverlauf relevante Rolle - besonders bei der Darstellung von einigen Feldzügen. Darauf möchte ich an dieser Stelle im Rahmen eines Exkurses eingehen. Während in der Darstellung der Historien die Folgen von übermäßigem Weinkonsum mehrfach bewusst von den agierenden Personen provoziert werden, damit sie ihre Pläne erfolgreich in die Tat umsetzen können, stellen reine Proviantpausen als Unterbrechungen der momentanen Tätigkeit, ohne dass sie extra initiiert werden müssen, und unabhängig davon, was konsumiert wird, geeignete Situationen dar, um überraschende Überfälle zu ermöglichen. Denn die damit verbundenen Ablenkungen durch die Unterbrechungen eines Feldzugs, von Kriegshandlungen oder des Wachdiensts bieten dadurch, dass die Konzentration für einen Moment geschwächt wird, Gelegenheiten für Überfälle. Gerade in kriegerischen Situationen kann dies zur Lebensgefahr werden. Darüber hinaus wird in den Historien auch noch eine zweite negative Auswirkung erkennbar, die die notwendige Ernährung auf das Kriegsgeschehen haben kann. Denn ein Versorgungsengpass mit Nahrungsmitteln kann riskante Aktionen erzwingen, um Nahrungsmittel zu beschaffen. Diese Aktionen wiederum können bewusst instrumentalisiert werden und so fatale Folgen für jeden Feldzug haben, wodurch der Handlungsfortgang der Historien beeinflusst wird. Diese beiden Einflussfaktoren von Nahrung auf das Kriegs- 1290 Nur bei einem Symposion (V, 18 - 20) in der Darstellung der Historien wird ein Überfall aufgrund von betrunkenen Symposiasten erst währenddessen provoziert und damit u. a. deren bereits bestehende Trunkenheit für einen Plan funktionalisiert; siehe dazu Kap. 4.2.3.4. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 379 <?page no="380"?> geschehen möchte ich nun anhand von Beispielen aus Herodots Historien erläutern. a) Proviantpause als Verhängnis Den Spartanern gelingt es durch einen klugen Einfall, die Speisevorbereitung der gegnerischen Argeier zu ihren Gunsten auszunutzen, als sie unter Kleomenes ’ Führung gegen Argos ziehen. Das Orakel in Delphi hatte ihnen zuvor die Einnahme von Argos vorhergesagt (VI, 76.1). Der Text berichtet, dass die Argeier in dieser Situation zwar keine Angst vor einem Kampf haben, sich aber davor fürchten, durch eine List besiegt zu werden ( ἐνθαῦτα δὴ οἱ Ἀργεῖοι τὴν μὲν ἐκ τοῦ φανεροῦ μάχην οὐκ ἐφοβέοντο , ἀλλὰ μὴ δόλῳ αἱρεθέωσι - VI, 77.1), wie es ihnen von der Pythia prophezeit worden ist (VI, 77.2). 1291 So stellen sie sich den Spartanern gegenüber und beschließen, stets genau dasselbe auszuführen, wie der Herold der Spartaner ausruft ( ὅκως ὁ Σπαρτιήτης κῆρυξ προσημαίνοι τι Λακεδαιμονίοισι , ἐποίευν καὶ οἱ Ἀργεῖοι τὠυτὸ τοῦτο - VI, 77.3). Gerade dadurch, dass sie mit diesem Verhalten versuchen, die Prophezeiung zu umgehen, ermöglichen sie den vorläufigen Sieg der Spartaner. Als Kleomenes nämlich erkennt, dass die Argeier immer das Gleiche ausführen, was der spartanische Herold verkündet, lässt er ihn ausrufen, Frühstück zu bereiten, was für die Spartaner allerdings das Zeichen für den Angriff auf die Argeier ist ( παραγγέλλει σφι , ὅταν σημήνῃ ὁ κῆρυξ ποιέεσθαι ἄριστον 1292 , τότε ἀναλαβόντας τὰ ὅπλα χωρέειν ἐς τοὺς Ἀργείους - VI, 78.1). 1293 So werden die 1291 Die ersten beiden Verse dieser Prophezeiung lauten: ἀλλ᾽ ὅταν ἡ θήλεια τὸν ἄρσενα νικήσασα / ἐξελάσῃ καὶ κῦδος ἐν Ἀργείοισιν ἄρηται [ … ] (VI, 77.2): Doch wenn die Weibliche dann den Männlichen besiegt hat / und ihn vertreibt und Ruhm erringt bei den Argeiern [ … ] (Übersetzung: Brodersen [2015]). So ist die Interpretation der Argeier, eine Frau könne einen Mann nur durch eine List besiegen, möglich (vgl. How/ Wells [1912b], S. 94; Scott [2005], S. 299). Davon unabhängig kann ‚ das Weibliche ‘ aber auch als Sparta gedeutet werden, da das grammatikalische Genus von Sparta weiblich ist ( ἡ Σπάρτη ), wohingegen Argos durch seinen gleichnamigen Helden ‚ das Männliche ‘ repräsentiert (vgl. McQueen [2000], S. 163). Für weitere Erklärungsmöglichkeiten dieses Orakelspruchs siehe How/ Wells (1912b), S. 94 f.; Nenci (2007), S. 242 f. 1292 Zur Bedeutung von ἄριστον siehe Anm. 494. 1293 Diese List, die Gegenseite durch irreführende Vorgaben an die eigene Seite zu täuschen und damit in Sicherheit zu wiegen, ist nach Griffiths eine „ well-known technique “ (Griffiths [1989], S. 57). Hier ist diese Technik, die Kleomenes geschickt einsetzt, besonders eindrücklich dargestellt, da die Argeier gerade dadurch, dass sie immer das tun, was die Spartaner machen, zu verhindern versuchen, durch eine List besiegt zu werden, so aber diese List erst ermöglichen. An anderer Stelle in den Historien gelingt dagegen ein Plan, der dem der Argeier sehr ähnlich ist (vgl. Griffith [1989], S. 57). Denn im Zuge der Darstellung über das Zusammentreffen von Skythen und Amazonen berichtet der Text, wie die Skythen ihre jüngsten Männer dazu anweisen, immer das zu tun, was die Amazonen täten ( ποιέειν τά περ ἂν καὶ ἐκεῖναι ποιέωσι - IV, 111.2), wenn 380 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="381"?> Argeier mit einem Angriff überrascht, als sie ihre Mahlzeit bereiten ( ἄριστον γὰρ ποιευμένοισι τοῖσι Ἀργείοισι ἐκ τοῦ κηρύγματος ἐπεκέατο - VI, 78.2), und können leicht in die Flucht geschlagen und zu ihrem Verderben in den Hain des Argos getrieben werden (VI, 78.2). Bis zu diesem Zeitpunkt ist Kleomenes ’ kluger Einfall, mit dem er die Argeier in die Flucht schlägt, mit keinem Frevel gegen göttliches Recht verbunden. Er nutzt lediglich die Vorgehensweise der Argeier und den Moment des Speisens zu seinen Gunsten. Doch nun tötet er zahlreiche der im Hain Schutz suchenden Argeier mithilfe einer List (VI, 79) und verbrennt schließlich sogar als besonders schwerwiegendes Unrecht den heiligen Hain (VI, 80). Letztlich sieht er sich nicht dazu legitimiert, die Stadt Argos einzunehmen und kehrt somit trotz des zunächst erfolgreichen Überfalls auf die Argeier insgesamt ohne Erfolg, dafür aber mit der Last zahlreicher Frevel nach Sparta zurück (VI, 80 - 82). 1294 Nun möchte ich noch auf einen Überfall eingehen, der dem bisher erwähnten sehr ähnlich ist, 1295 aber nicht direkt beim Mahl geschieht. Denn Peisistratos gelingt es mit einem ähnlichen Trick, die Athener aus der Stadt in die Flucht zu schlagen, ehe sie seine erneute Machtergreifung in Athen verhindern können (I, 63 - 64). Völlig unvorbereitet für einen Kampf trifft er die Athener nach dem Essen schlafend oder beim Würfelspiel an ( Ἀθηναῖοι δὲ οἱ ἐκ τοῦ ἄστεος πρὸς ἄριστον τετραμμένοι ἦσαν δὴ τηνικαῦτα καὶ μετὰ τὸ ἄριστον μετεξέτεροι αὐτῶν { οἱ μὲν } πρὸς κύβους , οἱ δὲ πρὸς ὕπνον - I, 63.1). 1296 Auch die vermeintlich sichere Stimmung nach einer Mahlzeit bietet somit in Herodots Historien einen günstigen Zeitpunkt für einen gegnerischen Angriff. Denn das Essen selbst ist hier nicht der Zeitpunkt des Angriffs, steht aber in Verbindung mit dem anschließenden Würfelspiel und Schlaf. Die Athener befinden sich in ihrer Ruhepause und sind daher gegen Angriffe nur in geringem Maße gerüstet. So gelingt es Peisistratos leicht, viele Athener in die Flucht zu schlagen (I, 63.1). Im Gegensatz zu den Spartanern nutzt Peisistratos diese List gegenüber den Argeiern (VI, 78.2) nicht, um die Feinde zu töten, sondern zunächst lediglich, um seine Gegner zu vertreiben. Mit einer sofortigen Verfolgung der Athener durch seine Söhne unterbindet er, dass sich die Geflohenen gegen ihn zusie angreifen, aber zu fliehen (IV, 111.2). Ziel ist es hier nicht, eine List zu vermeiden, sondern auf diese Weise den Amazonen zu vermitteln, nicht in böser Absicht zu kommen, da sie mit ihnen Kinder zeugen möchten (IV, 111.2). Dieser Plan geht auf und letztlich kommt es zur gewünschten Verbindung und zu einem gemeinsamen Leben (IV, 112 - 116). 1294 Zur Darstellung von Kleomenes und seinen Freveltaten in Herodots Historien siehe Kap. 4.1.3.1.2. 1295 Hier wird die Gegenseite ebenfalls zunächst in Sicherheit gewiegt, um sie dann im Angriff überraschen zu können; vgl. Griffith (1989), S. 57. 1296 Zur Bedeutung von ἄριστον siehe Anm. 494. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 381 <?page no="382"?> sammenschließen (I, 63.2). Er lässt den fliehenden Athenern zudem ausrichten, dass jeder zuversichtlich sein könne und in sein eigenes Gebiet zurückkehren solle ( θαρσέειν τε κελεύοντες καὶ ἀπιέναι ἕκαστον ἐπὶ τὰ ἑωυτοῦ - I, 63.2). 1297 Da diese darauf eingehen und ihm bereits wortwörtlich gehorchen ( πειθομένων δὲ τῶν Ἀθηναίων - I, 64.1), gelingt es ihm, seine Alleinherrschaft erneut zu festigen (I, 64.1). An einer weiteren Textstelle werden Kambyses ’ Soldaten während einer Mahlzeit überrascht. In III, 26 berichtet der Text, wie der Feldzug von Kambyses ’ Soldaten gegen die Ammonier scheitert, da sie - nach Version der Ammonier ( λέγεται δὲ καὶ τάδε ὑπ᾽ αὐτῶν Ἀμμωνίων - III, 26.3) - in der Wüste beim Frühstück ( ἄριστον αἱρεομένοισι αὐτοῖσι - III, 26.3) 1298 von einem Sandsturm verschüttet werden. Natürlich ist die Mahlzeit an sich hier nicht Grund für das Scheitern, sondern der Sandsturm als Naturgewalt. 1299 Der Text erwähnt dabei nicht, ob diese Naturgewalt von den Ammoniern als göttliche Rache angesehen wird. Da Kambyses das Heer allerdings nicht nur gegen die Ammonier selbst ausschickt, sondern auch mit dem Auftrag versieht, das Orakel des Zeus Ammon zu verbrennen, zeigt sich, dass das Ziel des nun gescheiterten Feldzugs zumindest in der Darstellung Herodots in einem Vergehen gegen ein Heiligtum bestand. Doch unabhängig von der Frage, weshalb sich dieser Sandsturm entwickelt haben könnte, ist es auffällig, dass die Ammonier davon berichten, die persischen Soldaten seien während eines Mahls verschüttet worden. Es tut ja nichts zur Sache, ob sich die Soldaten zu dem Zeitpunkt des Sandsturms im Marsch befinden oder nicht, da sie gegen eine solche Naturgewalt wohl auch unabhängig vom Speisen keine Überlebenschance gehabt hätten. Hier ist es nicht die mangelnde Wehrkraft, die aus Unaufmerksamkeit bei einer Nahrungsaufnahme folgt, sondern die damit verbundene zeitliche Verzögerung. Ob sie der Sandsturm ohne Rast vielleicht nicht getroffen hätte, sagt der Text zwar nicht aus, sicher ist aber, dass in der Darstellung der Historien ihr Vorrücken in der Wüste zwangsläufig durch ihr Naturbedürfnis, sich zu ernähren, gebremst wird. 1300 1297 In diesen Worten ist die Aufforderung impliziert, sich um die persönlichen Angelegenheiten zu kümmern und sich aus der Politik rauszuhalten (vgl. Asheri et al. [2007], S. 125). 1298 Zur Bedeutung von ἄριστον siehe Anm. 494. 1299 How/ Wells (1912a, S. 263) weisen darauf hin, dass häufig davon ausgegangen wird, dass dieser Sturm wohl deshalb so verheerend ist, da er die Wasserquellen austrocknet, und nicht, da er etwas unter Sand begräbt. In diesem Fall wäre es wieder die Mangelversorgung mit Nahrung bzw. Trinkwasser, die einen in den Historien dargestellten Feldzug verheerend trifft; vgl. dazu Punkt b) in diesem Exkurs. 1300 Dass es sich hier nicht um ein Festmahl handelt, das die Soldaten in der Wüste abhalten, sondern um eine nötige Proviantpause, ist offensichtlich. Schließlich befinden sie sich 382 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="383"?> b) Nahrungsmittelknappheit als Ursache des Scheiterns Nahrungsmittelpausen sind unumgänglich. Gibt es nicht genügend Proviant, ergeben sich noch größere Probleme, die ebenfalls in den Historien dargestellt werden. Dass ein ganzer Feldzug aufgrund eines Mangels an Nahrungsmitteln scheitern kann, wird nirgends in den Historien so drastisch dargestellt wie beim Feldzug der Perser unter Kambyses gegen die Aithiopier (III, 25). 1301 Zudem wird an einer späteren Textstelle beschrieben, wie Artabanos viele Soldaten zurücklassen muss, da sie unter anderem an Hunger leiden (IX, 89.4). Im Zuge der Darstellung der Schlacht von Plataiai berichtet der Text, wie die Perser die Wasserquelle der Griechen verschmutzen, sodass diese unter Wassermangel leiden (IX, 49.2 - 3). 1302 Denn auch der nahe Fluss Asopos kann wegen der dort lauernden persischen Reiterei nicht mehr als Trinkquelle dienen (IX, 49.3). Die Perser instrumentalisieren also die Versorgungssituation, um die Griechen unter Druck zu setzen. Da die Griechen zudem unter einem Mangel an Nahrungsmitteln leiden (IX, 50), beschließen sie letztlich, an einen anderen Ort aufzubrechen, um Wasser finden und diejenigen, die zur Nahrungsbeschaffung ausgeschickten worden sind, in Empfang nehmen zu können (IX, 51). Viele der dort versammelten Griechen nehmen den Aufbruch zum Anlass, zur Stadt Plataiai zu ziehen und nicht zu dem ausgemachten Ort (IX, 52). Wie der Text schreibt, sind sie froh, der persischen Reiterei entkommen zu sein, und fliehen daher nach Plataiai ( οἱ δὲ ὡς ἐκινήθησαν ἔφευγον ἄσμενοι τὴν ἵππον πρὸς τὴν Πλαταιέων πόλιν - IX, 52). Die Versorgungsknappheit hier beeinflusst den Plan der Griechen somit insofern, als durch das Aufbrechen zugleich auch die Flucht der Bundesgenossen eingeleitet wird, die auf diese Weise die Lakedaimonier und Athener im Stich lassen ( προδεδόμεθα ὑπὸ τῶν συμμάχων ἡμεῖς τε οἱ Λακεδαιμόνιοι καὶ ὑμεῖς οἱ Ἀθηναῖοι - IX, 60.1). Als dann die mitten in einem Feldzug und mitten in der Wüste, wo der Feldzug des Kambyses gegen die Aithiopier an Nahrungsknappheit scheitert (III, 25.6 - 7). 1301 Siehe dazu Kap. 2.2.5.7, wo der Bericht über diesen fatalen Feldzug des Kambyses gegen die Aithiopier (III, 25) als längeres Textbeispiel für die Analyse der in Herodots Historien verwendeten unterschiedlichen Ausdrücke für ‚ essen ‘ angeführt wird. Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 425) ist der Meinung, dass diese Nahrungsmittelknappheit der Perser im Kontrast zu dem sogenannten ‚ Sonnentisch ‘ bei den Aithiopiern stehen könnte, und verweist auf Balcer (1987, S. 85): „ This lack of food motif is in literary balance with the abundance of food on the mythical ‘ Table of the Sun. ’“ In den Historien beschreibt der Text den ‚ Sonnentisch ‘ als Wiese, auf die über Nacht Fleischstücke gelegt werden. Alle, die möchten, können dann am Tag kommen und essen (III, 18). Hunger müssen die Einwohner der aithiopischen Stadt mit dem ‚ Sonnentisch ‘ also nicht leiden; zum ‚ Sonnentisch ‘ siehe auch Hofmann/ Vorbichler (1979), S. 111 - 116; Balcer (1987), S. 82 f. 1302 Zuvor verlegten die Griechen ihr Lager gezielt in die Ebene von Plataiai, da sie dort aufgrund der Quelle Gargaphia genügend Wasser erwarten (IX, 25.2). Dies wissen nun die Perser für sich zu nutzen, indem sie die Quelle ungenießbar werden lassen. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 383 <?page no="384"?> Athener zudem noch daran gehindert werden, den Lakedaimoniern militärische Unterstützung zu schicken (IX, 61.1), stehen diese zusammen mit den Tegeaten den Persern nun allein gegenüber (IX, 61 - 64). Auch bei der Belagerung von Sestos durch die Athener führt der Lebensmittelmangel dazu, dass die Perser unter Artaÿktes und Oiobazos nach langer Bedrängnis die Stadt doch aufgeben müssen (IX, 118). Der Text lässt den Mangel an Nahrung dadurch besonders drastisch erscheinen, dass er beschreibt, die Perser hätten bereits die Gurte ihrer Lagerstätten aufgegessen ( ὥστε τοὺς τόνους ἕψοντες τῶν κλινέων ἐσιτέοντο - IX, 118.1). Die Flucht der Perser gelingt zunächst, schließlich jedoch werden alle eingeholt, gefangen genommen oder getötet (IX, 119). 1303 1303 Anders als Artaÿktes und Oiobazos handelt in den Historien Boges bei einer Belagerung durch die Athener unter Kimon. Trotz der Möglichkeit zum Waffenstillstand und somit zur friedlichen Rückkehr nach Asien (VII, 107.1) gibt Boges die Stadt nicht auf. Als jedoch keine Lebensmittel mehr vorhanden sind ( ὡς δ᾽ οὐδὲν ἔτι φορβῆς ἐνῆν ἐν τῷ τείχεϊ - VII, 107.2), sieht er sich gezwungen, seine Ehefrau, seine Kinder, Nebenfrauen und Sklaven zu verbrennen. Daraufhin entsorgt er alles Gold und Silber im nahen Fluss und stürzt sich schließlich selbst ins Feuer (VII, 107.2). Wegen dieser Aktion, die zugleich ein Treuebeweis ist, steht er bei Xerxes in hohem Ansehen (VII, 107.1). Auch hier ist es die Lebensmittelunterversorgung, die zu einer entscheidenden Aktion in der Darstellung der Historien führt. Bei der Belagerung Babylons dagegen, von der der Text im dritten Buch berichtet, ist es keine Nahrungsmittelknappheit, die letztlich die Eroberung zur Folge hat: In III, 150 erwähnt der Text, wie die Babylonier von den Persern abfallen, als diese gegen Samos ziehen. Um der folgenden Belagerung standhalten zu können, töten die Babylonier alle Frauen Babylons, damit sie weniger Verpflegung benötigen ( ἵνα μή σφεων τὸν σῖτον ἀναισιμώσωσι - III, 150.2), mit Ausnahme ihrer Mütter und einer ihrer Frauen, die ihnen Essen zubereiten soll (III, 150.2). Auf diese Weise wird die Nahrungsmittelknappheit - wie auch schon bei der Eroberung durch Kyros (I, 190 - 191) - nicht der Grund für die Eroberung durch die Perser. Wieder ist es eine List, auf die zurückgegriffen werden muss (III, 152 - 159.1). Und doch ist die Planung für die nötige Versorgung mit Nahrung der Auslöser dafür, dass viele persische Frauen getötet werden (III, 150.2). Eine gute Vorbereitung auf eine Belagerung können, da sie vorgewarnt sind (V, 33.4; siehe dazu Anm. 181), auch die Naxier treffen, indem sie mit Nahrungsmitteln vorsorgen ( παρεσκευάσαντο δὲ ὡς πολιορκησόμενοι καὶ σῖτα καὶ ποτά - V, 34.1), sodass die Belagerung durch Aristagoras und seine Verbündeten auf Dauer zu teuer wird und letztlich scheitert (V, 34). Ebenso wäre auch die Belagerung der Peisistratiden in Athen durch die Spartaner gescheitert, da auch die Peisistratiden mit Essen und Trinken vorgesorgt hatten ( οἵ τε Πεισιστρατίδαι σίτοισι καὶ ποτοῖσι εὖ παρεσκευάδατο - V, 65.1), hätten die Spartaner nicht die Kinder der Peisistratiden in die Hände bekommen, für deren Herausgabe sich die Peisistratiden letztlich ergeben (V, 65). Noch einige weitere Male wird in den Historien die (drohende) Mangelversorgung mit Nahrungsmitteln als Grund für taktische Entscheidungen oder die Auflösung einer Belagerung dargestellt: So wird in VII, 170 von der Belagerung von Kamikos durch die Einwohner Kretas berichtet, die diese letztlich nach fünf Jahren aufgeben müssen, da sie selbst unter Hunger leiden ( τέλος δὲ οὐ δυναμένους οὔτε ἑ λεῖν οὔτε παραμένειν λιμῷ συνεστεῶτας , ἀπολιπόντας οἴ χεσθαι - VII, 170.2). An anderer Stelle rät Artemisia Xerxes noch kurz vor der Schlacht 384 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="385"?> An den letzten beiden Darstellungen zeigt sich, dass das Grundbedürfnis nach Essen und Trinken während eines Feldzugs auch indirekt zur Gefahr werden kann. Denn nur deshalb müssen die Griechen aufbrechen und einen neuen Lagerplatz suchen, wobei einige Bundesgenossen Spartas und Athens diese Möglichkeit ausnutzen können, um zu fliehen. So stehen die Lakedaimonier und Tegeaten letztlich alleine den Persern gegenüber. Ebenso müssen nur aus diesem Grund die Perser die belagerte Stadt Sestos verlassen und sich in Lebensgefahr begeben. Dieser indirekte Einfluss von Nahrungsmittelknappheit zeigt sich an weiteren Stellen in den Historien. Als die Skythen ihre Freiheit im Kampf gegen die Perser verteidigen, beschließen sie, immer dann einen Angriff zu unternehmen, wenn die persischen Soldaten Nahrungsmittel suchen ( σῖτα δὲ ἑκάστοτε ἀναιρεομένοισι ἐπιτίθεσθαι - IV, 128.2). Entscheidend bei diesem Plan sind zwei Punkte: erstens die Ablenkung vom Kampfgeschehen und zweitens das Verlassen des sicheren Lagers zur Nahrungssuche. Natürlich handelt es sich hier um eine lebensnotwendige Nahrungsaufnahme, die das Suchen der Lebensmittel ( σῖτα ἀναιρεῖσθαι ) unumgänglich macht. 1304 Letztendlich gelingt es den Skythen nicht, die Perser auf diese Weise zu besiegen. Aber zumindest kann die skythische Reiterei die persische immer wieder zurück zu deren Fußvolk drängen, vor dem sich die Skythen allerdings fürchten und daher zurückreiten (IV, 128.3). Die Skythen verfolgen ohnehin eine Zermürbungstaktik gegenüber den persischen Eindringlingen. 1305 Die Überfälle während der Nahrungsmittelbeschaffung sind für diese Taktik sehr zielführend, da sie die Perser bei einer lebenswichtigen Tätigkeit stören. Insgesamt ist die Gesamtstrategie der Skythen letztlich erfolgreich und die Perser ziehen sich zurück (IV, 134 - 135). An anderer Stelle in den Historien wird deutlich, dass die Zeit der Nahrungssuche besonders im Krieg eine Schwachstelle darstellt. So wird Histiaios, der zuvor in keiner Schlacht gefasst werden konnte, erst, als er nach Abbruch der Belagerung von Thasos (VI, 28.1) auf Lesbos ankommt und dort wegen bei Salamis, keine Seeschlacht zu wagen (VIII, 68). Sie erwähnt dabei, dass die Griechen ohnehin nicht lange auf der Insel ausharren könnten, da sie ja keine Lebensmittel bei sich hätten ( οὔτε γὰρ σῖτος πάρα σφι ἐν τῇ νήσῳ ταύτῃ - VIII, 68 β .2). Auch Alexander von Makedonien rät den Athenern kurz vor der Darstellung der Schlacht bei Plataiai, keinen Kampf zu beginnen, wenn die Perser sich weiter zurückhielten (IX, 45), denn sie hätten nur noch Lebensmittel für wenige Tage ( ὀλιγέων γάρ σφι ἡμερέων λείπεται σιτία - IX, 45.2). 1304 Zur Verwendung von σῖτος in der Bedeutung ‚ Grundnahrungsmittel ‘ siehe Kap. 2.2.5.7. 1305 Vgl. Corcella zu IV, 130 (in Asheri et al. [2007], S. 664): „ [ … ] the Scythians are playing a cat-and-mouse game, leading Darius wherever they wish in anticipation of the finishing stroke. “ Siehe dazu auch Männlein-Robert (2012), S. 117; Cunliffe (2019), S. 42 f., S. 256 f. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 385 <?page no="386"?> Proviantknappheit auf dem Festland Nahrung holen muss ( ἐκ Λέσβου δὲ λιμαινούσης οἱ τῆς στρατιῆς πέρην διαβαίνει ἐς τὸν Ἀταρνέα ὡς ἀμήσων τὸν σῖτον - VI, 28.2), mitsamt seinem Heer von einer persischen Streitmacht unter dem Befehl des Feldherrn Harpagos überfallen und gefangen genommen. Der größte Teil seines Heeres wird vernichtet (VI, 28.2). Er selbst wird kurz danach von Harpagos und Artaphernes gekreuzigt und geköpft (VI, 30). Hier ist es wieder die unumgängliche Nahrungsmittelbeschaffung, die Histiaios in eine gefährliche Situation bringt und ihm schließlich zum Verhängnis wird. 1306 An einer weiteren Stelle in den Historien ist die Nahrungsmittelknappheit auf andere Art Ursache für den Tod vieler Soldaten (VIII, 117.2). Beim Rückzug der Perser aus Griechenland quält sie starker Hunger (VIII, 115.2). Erst in Abydos finden sie dann plötzlich wieder reichlich Nahrung und beginnen, ohne Ordnung zu essen und Wasser zu trinken, das für sie ungewohnt ist ( ἐνθαῦτα δὲ κατεχόμενοι σιτία τε πλέω ἢ κατ᾽ ὁδὸν ἐλάγχανον , οὐδένα τε κόσμον ἐμπιπλάμενοι καὶ ὕδατα μεταβάλλοντες ἀπέθνῃσκον τοῦ στρατοῦ περιεόντος πολλοί - VIII, 117.2). 1307 Daran sterben viele Soldaten des Heeres, die den Zug bisher überlebt hatten (VIII, 117.2). Die Folge aus der zuvor bestehenden Nahrungsmittelknappheit (VIII, 115.2) animiert sie nämlich dazu, zu schnell 1306 Dass auch Wasserholen gefährlich sein kann, zeigt der Text, als er von der athenischen Rechtfertigung für die Vertreibung der Pelasger aus Attika berichtet (VI, 137): Bevor die Athener die Pelasger aus Attika vertreiben, werfen sie ihnen vor, immer wieder ihre Kinder, die an der Quelle Enneakrunos Wasser holten, überfallen zu haben (VI, 137.3). Die Überfälle sind in ihrer Darstellung unabhängig davon, ob die Rechtfertigung der Athener der Wahrheit entspricht oder nicht, plausibel, da die Kinder auf ihrem Weg zur Wasserquelle schutzlos und damit in einer gefährlichen Situation sind. Der Text berichtet an anderer Stelle, wie Herakles in der Bucht von Magnesia zurückgelassen wurde, nachdem er auf der Argonautenfahrt dazu ausgeschickt worden war, Wasser zu holen (VII, 193.2). Zwar ist Herakles keinem Überfall ausgesetzt, aber dennoch hat das Wasserholen für ihn gravierende Folgen. Dass Wassermangel auch als Druckmittel ausgenutzt werden kann, z. B. um Geld einzutreiben, wird im dritten Buch der Historien deutlich, wenn berichtet wird, wie Dareios als persischer König den Mangel von Wasser instrumentalisiert (III, 117). Denn da der Fluss Akes seit der persischen Herrschaft einigen Völkern nicht mehr wie zuvor als Wasserzufluss dient - der persische König hat Schleusen errichten lassen - , leiden diese im Sommer unter Wassermangel (III, 117.1 - 4). So kommen die Bewohner der betroffenen Gegenden zum Königspalast und bitten unter Klagen, dass die Schleusen geöffnet werden (III, 117.5). Der König öffnet diese dann nur so lange wie nötig (III, 117.5 - 6). Der Text gibt hier markiert als Herodots persönliche Aussage wieder, dass - wie er gehört habe ( ὡς δ᾽ ἐγὼ οἶδα ἀκούσας - III, 117.6) - der König dafür Geld verlangt (III, 117.6). 1307 How/ Wells (1912b, S. 274) sowie Bowie (2007, S. 209 f.) verweisen für diese Textstelle auf Hippokrates ’ Ausführungen in seiner Schrift περὶ ἀέρων ὑδάτων τόπων (7 - 9), wo er die unterschiedlichen Arten von Wasser und ihren jeweiligen Effekt auf die Gesundheit beschreibt. 386 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="387"?> und unbedacht zu essen und zu trinken. Damit bringt ihnen die Unterversorgung mit Nahrungsmitteln auf indirekte Weise den Tod. Direkter Auslöser dafür ist hier das Essen und Trinken an sich. In diesem Fall liegt es nicht daran, dass die Soldaten dadurch abgelenkt sind oder aufgrund von zu wenig Nahrung drohen zu verhungern, sondern maßlos und Ungewohntes konsumieren. Viele Soldaten, die den Kampf überlebt hatten ( ἀπέθνῃσκον τοῦ στρατοῦ τοῦ περιεόντος πολλοί - VIII, 117.2), sterben so auf ruhmlose Art und Weise. c) Fazit: Ernährung beim Feldzug - ein notwendiges Risiko Drei Situationen lassen sich zusammenfassen, die basierend auf der notwendigen Nahrungsaufnahme in Herodots Historien auf Feldzügen als gefährlich dargestellt werden: Nahrungsmittelmangel, Nahrungsmittelpausen und Nahrungsmittelbeschaffung. Der Mangel an Verpflegung wird in den Historien zum Grund für das Scheitern eines Feldzugs und verantwortet den Tod vieler Soldaten oder ist zumindest ein Grund dafür, dass Soldaten im Stich gelassen werden müssen (III, 25: fataler Feldzug gegen die Aithiopier / IX, 89.4: Zurücklassen vieler Soldaten durch Artabanos unter anderem wegen Unterversorgung). Die notwendige Befriedigung des Bedürfnisses nach Nahrung ist in den Historien auch mit Gefahren verbunden, die nicht von Feinden ausgehen, sondern von der Natur selbst (III, 26.3: Kambyses ’ Soldaten werden in der Wüste beim Frühstück von einem Sandsturm überrascht). Ein andermal zieht das Stillen dieses Bedürfnisses später tödliche Folgen nach sich (VIII, 117.2: Perser sterben durch ungeordneten Konsum). Schlechte Ernährung und mangelnde Versorgung von Soldaten illustrieren einen Feldzug, dessen Gelingen in großer Gefahr ist, und können die beinahe ausweglose Situation der Soldaten so eindrücklich wie kaum eine andere Gegebenheit anzeigen. Mangelernährung verbildlicht also eine bedrückende Situation, die auf schlechter Planung beruhen kann wie z. B. beim Aithiopienfeldzug (III, 25). Die Gefahr der Nahrungsmittelknappheit ist bei einem Feldzug, bei dem die Heimat verlassen werden muss, natürlich besonders groß (III, 25 / VIII, 115.2). Bei zwei Darstellungen in den Historien zwingt die Lebensmittelknappheit, aus einer bestimmten Situation auszubrechen, was ebenfalls letztlich gravierende Folgen nach sich zieht (IX, 49 - 64: Lakedaimonier stehen am Ende mit den Tegeaten alleine den Persern gegenüber / IX, 118 - 119: belagertes Sestos muss aufgegeben werden und Flucht misslingt). Im Gegensatz zu den Überfällen bei der Nahrungsmittelsuche ist der Grund für den Aufbruch hier nicht, Nahrungsmittel aufzutreiben, sondern er besteht darin, dass die momentane Lage, die aufgrund der Lebensmittelknappheit aussichtslos ist, gezwungener- 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 387 <?page no="388"?> maßen insgesamt verändert werden muss, und das bedeutet hier z. B. die Verlegung des Lagers bzw. die Auflösung der Belagerung. Bei Pausen für die Nahrungsmittelaufnahme und dem Problem der Nahrungsmittelbeschaffung sind nicht die dort konsumierten Güter Grund dafür, dass es zu überraschenden Situationen und Überfällen kommt, die den Akteuren zum Verhängnis werden, sondern es ist die Ablenkung von der normalen Tätigkeit - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - , die unvermeidbar zu einer Beeinträchtigung der Konzentration führt. Daher ist es im Gegensatz zu einigen Darstellungen von Situationen, in denen Trunkenheit gezielt herbeigeführt wird, 1308 unerheblich, was und wie konsumiert wird. Entscheidend bleibt, wo und wann gegessen bzw. Nahrung beschafft wird. So kommt es bei Proviantpausen (I, 63.1: Peisistratos gegen Athener / VI, 78: Spartaner gegen Argeier) bzw. bei der Beschaffung von Nahrungsmitteln in den Historien (IV, 128.2: Skythen gegen Perser / VI, 28.2: Perser gegen Histiaios mit Heer) mehrfach zu Überfällen. Um Machtgewinn geht es bei Peisistratos ’ Vorgehen gegen die Athener in der Stadt sowie beim Überfall der Spartaner auf die Argeier. Die Skythen wenden diese Taktik an, um sich gegen die persische Invasion zur Wehr zu setzen, und die Perser nutzen die Situation, um Histiaios endlich gefangen nehmen zu können. Im Gegensatz zu den Vorfällen zwischen den Griechen (I, 63.1: Peisistratos gegen Athener / VI, 78: Spartaner gegen Argeier) haben weder die Skythen (IV, 128.2) das Ziel, durch diese Taktik direkt an mehr Macht zu kommen, noch die Perser (VI, 28.2). Zusammenfassend lässt sich nun nach diesem Exkurs mit Bezug auf das Symposion festhalten, dass Proviantpausen und Nahrungsmittelsuchen zumindest insofern in ihrer Wirkung mit einem Symposion vergleichbar sind, als diese jeweils - wenn auch in unterschiedlichem Rahmen - von der momentanen Tätigkeit ablenken. Dabei ist die Ablenkung bei der Nahrungsaufnahme und Nahrungssuche allerdings lebensnotwendig, wohingegen das Feiern von Symposia und öffentlichen Festen in einem anderen, friedlichen Kontext steht, der die Akteure die Gefahr eines Überfalls ausblenden lässt. 4.2.2 Das Fest als Gefahr Nicht nur Pausen zur Nahrungsmittelaufnahme oder Nahrungsbeschaffung, sondern auch öffentliche Feste stellen in Herodots Historien Einflussfaktoren eines Kriegsgeschehens dar. 1309 Diese Situationen können jeweils gezielt ge- 1308 Siehe dazu Kap. 4.2.1. 1309 Unter ‚ Fest ‘ , ‚ Feierlichkeit ‘ oder ‚ Feiertag ‘ verstehe ich in dieser Arbeit Überbegriffe für die gesamte in den jeweiligen Stellen der Historien beschriebene Veranstaltung, die als 388 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="389"?> nutzt werden, um ein Vorhaben in die Tat umzusetzen, müssen zuvor aber im Normalfall nicht eigens dafür initiiert werden. Denn zum einen sind Aufnahme und Beschaffung von Nahrungsmitteln lebenswichtig und müssen daher von Zeit zu Zeit durchgeführt werden und zum anderen handelt es sich bei den öffentlichen Festen um Feierlichkeiten, die an festgelegten Tagen veranstaltet werden. Bei diesen Gelegenheiten sind es somit die Situationen an sich, die an einigen Stellen in den Historien für Überfälle instrumentalisiert werden. Der Konsum von Wein und die Auswirkungen von Trunkenheit spielen dabei anders als bei einigen Symposionsdarstellungen keine Rolle, obwohl Wein auch bei öffentlichen griechischen Festen getrunken wurde. 1310 Um nun untersuchen zu können, inwiefern die in den Historien dargestellten Feste Gefahren in sich bergen, möchte ich alle Feste in den Fokus stellen, soweit sie der Text als Mittel für die Umsetzung einer Tat oder als Beweggrund für eine Handlung anführt und sie so auch Einfluss auf den dargestellten geschichtlichen Verlauf nehmen lässt. 1311 Feste, die z. B. rein deskriptiv in den ethnographischen Berichten erwähnt werden, oder Feste, die rein als Zeit- und Ortsangabe dienen, werden hier daher nicht berücksichtigt. Als Grundlage für die weiteren Überlegungen zu den Festen in den Historien möchte ich zu Beginn die besondere Stimmung, die bei einem Fest vorherrscht und die es von alltäglichen Situationen abhebt, genauer untersuchen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den antiken griechischen Festen. Im Fazit dieses Kapitels werden schließlich die Unterschiede zusammengefasst, die es zwischen der Ablenkung durch öffentliche Feste und der Ablenkung durch Symposia gibt. 4.2.2.1 Das öffentliche Fest als Besonderheit im Alltag In Herodots Historien sind es ausschließlich griechische Feste, die von den agierenden Personen gezielt instrumentalisiert werden. Daher möchte ich nun kurz darauf eingehen, was speziell für die Griechen im Zeithorizont des herodoteischen Geschichtswerks mit öffentlichen Festen verbunden war. öffentliches Fest organisiert ist, unabhängig davon, in welchem Abschnitt des Festes sich dieses zur Zeit des beschriebenen Geschehens befindet. Denn für die Unterscheidung der Funktion eines Festes zu der des Symposions in Herodots Historien genügt dies. 1310 Speis und Trank sind auch bei griechischen Festen sehr wichtig (vgl. dazu Parker [2011], S. 176 f.). In den Historien wird z. B. berichtet, dass beim Theophanie-Fest in Delphi Wein in einem silbernen Mischkrug, einem Geschenk von Kroisos, gemischt wird (I, 51.2) und dass beim Fest zu Ehren von Artemis in Bubastis mehr Wein verbraucht wird als im ganzen restlichen Jahr zusammen (II, 60.3). Dennoch werden die Auswirkungen von Wein in der Darstellung der Historien nie als Ursache für das ‚ Scheitern ‘ eines Festes genannt. 1311 Zum Einfluss von Festen auf die Kriegsführung der Griechen im 4./ 5. Jh. v. Chr. siehe Popp (1959), S. 75 - 144. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 389 <?page no="390"?> Bei einem griechischen Fest handelte es sich nicht um ein beliebiges Treffen von feiernden Menschen. Nach den Worten Christoph Auffarths bilden „ die Elemente der Feste [ … ] ein ‚ komplexes Ritual ‘ aus einer Vielzahl von Riten; schon das Opfer (als Auftakt eines Festes) ist eine komplexe Abfolge von Handlungen aus Prozession, Gebet, Libation, Schlachtung. “ 1312 Ein Fest war in unterschiedlicher Ausprägung immer ein soziales Ereignis, das, wie Richard Kannicht herausarbeitet, auch „ weitgehend die Grundsituation der literarischen Praxis “ bildete. 1313 Gerade an der engen Verbindung zwischen griechischer Festlichkeit und Poesie wird die besondere Atmosphäre des Festes erkennbar. 1314 Anders als das Symposion waren öffentliche Feste zwar auf bestimmte Tage festgelegt, ermöglichten aber genauso wie das Symposion einen Ausbruch aus dem Alltag. 1315 Beinahe immer herrschte dort eine fröhliche und ausgelassene Stimmung. 1316 Dabei gewährten die Feste veränderte Situationen, in denen es zum Teil erlaubt oder nötig war, untypischen Bräuchen zu folgen. 1317 Diese ‚ Alterität ‘ führte zur Intensivierung des Erlebens während 1312 Auffarth (1999), S. 36. 1313 Kannicht (1989), S. 31. Zum ‚ Fest ‘ allgemein sei auf den gesamten Sammelband von Haug/ Warning (Hgg.), Das Fest (München 1989), verwiesen. 1314 Zum Zusammenhang zwischen Fest und Poesie bei den Griechen siehe Kannicht (1989) im Gesamten. Kannicht (1989, S. 31) hebt hervor, dass „ sich (vom Epigramm abgesehen) kaum eine literaturgeschichtlich ausgeformte Gattung der archaischen und klassischen Poesie anführen [lässt], deren Darbietung oder Aufführung funktional nicht mehr oder weniger eng mit einem festlichen Anlaß verknüpft gewesen wäre “ . Zu einem solchen festlichen Anlass zählte das öffentliche Fest genauso wie das Symposion; zur Bedeutung des Symposions für die Entwicklung der Literatur siehe Kap. 2.2.3.2. 1315 Feste schaffen Erholung von den Strapazen der gewöhnlichen, alltäglichen Aufgaben (vgl. dazu Meier [1989], S. 575 f.). Burkert (1992, S. 245) betont, dass Feste auch Marker im Zeitablauf darstellen und sich vom Alltag abheben: „ From the earliest times on, ritual activity concentrates on special occasions that stand out from everyday life and serve as markers in the flux of time - the festivals. “ Vgl. dazu auch Burkert (2011), S. 157, S. 344 - 346. Harder (1962, S. 121) hebt hervor, dass das Fest „ die Notwendigkeiten des Alltags aus[löscht] und [ … ] die elementare Gebundenheit des Menschen und seine Not für den erhöhten Augenblick außer Kraft zu setzen [vermag] “ . 1316 Dass sich das griechische Fest durch Freude und eine fröhliche sowie ausgelassene Stimmung auszeichnet, hebt u. a. Harder (1962, S. 121) hervor, indem er das Fest als „ für die griechische Religion so charakteristisch “ bezeichnet und zugleich hervorhebt, dass es diese Religion „ zu einer Religion der Freude “ mache. Vgl. auch Parker (2011), S. 176 f. „ Festivals involving lamentation are mentioned as exceptions to the general tone of good cheer “ (ebd., S. 177). 1317 Vgl. dazu Parker (2011), S. 176, S. 205 - 211; vgl. auch die Darstellung des ägyptischen Festes für Artemis in Bubastis (II, 60) in Herodots Historien. In diesem Zusammenhang kann zudem auf das isolierte und übermäßige Trinken am zweiten Tag der Anthesterien verwiesen werden (vgl. Anm. 231). Auffarth (1999, S. 38) betont: „ auch Elemente der Umkehrung und des Exzesses bestätigen strukturell die Normalordnung. “ Die Aufhebung von Unterschieden oder die Umkehrung der sozialen Hierarchie (vgl. Meier 390 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="391"?> eines öffentlichen Festes, so wie dies auch beim nicht-öffentlichen Symposion der Fall ist. 1318 Die im positiven Sinne gedachte ‚ Entspannung ‘ , die mit dem Fest in Verbindung steht, führt im negativen Sinn aber zugleich zu Unkonzentriertheit und letztlich wie auch Trunkenheit zum Vergessen alltäglicher Pflichten. 1319 Das gesteigerte Erleben der dort geschaffenen freudigen Festsituation war also durch den Preis der Aufmerksamkeit für die Realität erkauft. Anhand einer Erzählung in Herodots Historien soll untermauert werden, dass Feste eine besondere Situation im Alltag darstellen sollen: In V, 92 η .1 - 3 schildert der Text in der Rede des Korinthers Sokleës gegen die Tyrannenherrschaft Perianders Vergehen gegen die Frauen in Korinth. Periander, der Tyrann von Korinth, lässt verkünden, dass sich alle Frauen im Tempel der Hera einfinden sollen (V, 92 η .3). Die Frauen kommen kurz danach in ihrer schönsten Garderobe ‚ wie zu einem Fest ‘ ( αἱ μὲν δὴ ὡς ἐς ὁρτὴν ἤισαν κόσμῳ τῷ καλλίστῳ χρεώμεναι - V, 92 η .3). Durch den Vergleich ὡς ἐς ὁρτήν wird deutlich, dass sich die Menschen gewöhnlich auch durch das Tragen von schöner Kleidung an die besondere Situation des Festes anpassen. 1320 So wird an der äußeren Erscheinung der Menschen selbst erkennbar, dass sich der Festtag vom Alltag abhebt. 1321 Da als Treffpunkt das Heiligtum der Hera gewählt ist, ahnen die Frauen nicht, dass Periander mit dieser Einladung einen Hintergedanken verfolgt. Denn ein Tempel verspricht durch den Schutz der Götter immer auch Sicherheit. Doch anstatt ein Opferfest für Hera zu veranstalten, lässt Periander dort alle Frauen entkleiden und die Kleidung für seine tote Frau Melissa verbrennen (V, 92 η .3). 1322 Periander scheint zu wissen, dass die Frauen [1989], S. 572) sowie eine Lockerung der gewöhnlichen Rollenverteilung war für die Zeit eines Festes ebenso häufig gegeben (vgl. Burkert [2011], S. 157); vgl. dazu auch Parker (2011), S. 211 - 213. 1318 Vgl. dazu S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. 1319 Vgl. Burkert (2011, S. 157): „ die zweckgerichtete Arbeit setzt aus, die übliche Rollenverteilung lockert sich in allgemeiner ‚ Entspannung ‘ (ánesis) “ . Allerdings sieht Burkert hierin keine Entspannung durch Untätigkeit, sondern er betont, dass „ das Festprogramm neue Rollen bereit “ habe (Burkert [2011], S. 157). Die Ablenkung beruht also nicht auf Nachlässigkeit, sondern auf der Konzentration auf andere Tätigkeiten. 1320 Siehe dazu Pekridou-Gorecki (1989), S. 121 - 123. 1321 Vgl. Pekridou-Gorecki (1989), S. 121. Der Text berichtet auch davon, dass die Ägypter schöne Kleidung tragen, wenn sie das Fest beim Erscheinen des Apisstiers feiern (III, 27.1); siehe die Ausführungen in Kap. 4.2.2.2.4. 1322 Periander geht ohne Skrupel gegen die Frauen vor, da er sich erhofft, seine getötete Frau Melissa endlich besänftigen zu können (V, 92 η .1). Denn zuvor hatte Periander versucht, durch ein Totenorakel von seiner ermordeten Frau die Auskunft zu bekommen, wo er den von einem Gastfreund hinterlegten Pfand finden könne. Diese verweigerte ihm die Auskunft, da sie friere und nackt sei (V, 92 η .2). Durch das Verbrennen der Kleidung der Korintherinnen gelingt es ihm, die tote Melissa milder zu stimmen, sodass er die gewünschte Auskunft erhält (V, 92 η .4). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 391 <?page no="392"?> bedenkenlos und in ihren schönsten Kleidern und Schmuck kommen, wenn sie erwarten, ein Opferfest zu Ehren eines Gottes zu begehen. Schöne Kleidung für ein Fest zu tragen, war somit keine Ausnahme. 1323 Mit diesem Vorwissen kann festgestellt werden, dass das Heraion als Sammelpunkt geschickt gewählt ist. Dass neben der Kleidung auch die fröhliche und ausgelassene Stimmung einen Festtag vom Alltag abhebt, trifft in den Historien nicht nur auf die mit Griechenland verbundenen Feste zu. Dies zeigt sich besonders in der herodoteischen Darstellung der Eroberung Babylons. Die Stadt wird während der Belagerung durch die Perser in einem glücklichen Zustand beschrieben. Im Gegensatz zu den an Getreidemangel leidenden Persern haben die Babylonier keine Schwierigkeiten mit der Belagerungssituation (I, 190.2), sodass es am Ende ein hilfreicher Einfall des Kyros ist, dem es die Perser zu verdanken haben, Babylon doch noch mit Erfolg einnehmen zu können. 1324 Kyros lässt den Flusspegel des Euphrat senken, indem er diesen in einen Stausee umleitet (I, 191.3). So können die Perser an den Stellen in die Stadt eindringen, an denen auch der Fluss in die Stadt ein- und austritt (I, 191.2). Die Perser gelangen somit unter Kyros ’ Führung in die Stadt und nehmen die Babylonier ohne Schwierigkeiten gefangen. Der Text betont durch einen Irrealis ausdrücklich, dass die Perser nicht imstande gewesen wären, Babylon einzunehmen, wenn die Babylonier den Plan des Kyros früher erfahren oder bemerkt hätten ( εἰ μέν νυν προεπύθοντο ἢ ἔμαθον οἱ Βαβυλώνιοι τὸ ἐκ τοῦ Κύρου ποιεύμενον , οἱ δ᾽ ἂν περιιδόντες τοὺς Πέρσας ἐσελθεῖν ἐς τὴν πόλιν διέφθειραν κάκιστα - I, 191.5). Aber die Größe der Stadt verhindert - nach Meinung der Einheimischen - , dass die Babylonier rechtzeitig auf die Perser aufmerksam werden ( ὑπὸ δὲ μεγάθεος τῆς πόλιος , ὡς λέγεται ὑπὸ τῶν ταύτῃ οἰκημένων - I, 191.6). Denn die Menschen im Zentrum erfahren erst spät von der Gefangennahme ihrer Nachbarn in den Außenbezirken (I, 191.6). Im Gegenteil: Sie sind trotz Belagerung ganz und gar nicht besorgt, sondern tanzen und feiern ausgelassen ein Fest, das der Text nicht genauer beschreibt ( ἀλλά ( τυχεῖν γάρ σφι ἐοῦσαν ὁρτήν ) χορεύειν τε τοῦτον τὸν χρόνον καὶ ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι , ἐς ὃ δὴ καὶ τὸ κάρτα ἐπύθοντο - I, 191.6). 1325 Dass die Belagerungssituation von den Baby- 1323 Vgl. Anm. 1320. 1324 Der Text umschreibt diesen Plan später mit dem Ausdruck σόφισμα und damit als geschickten Einfall (vgl. dazu σόφισμα in LSJ, S. 1622: „ II. clever device, ingenious contrivance “ ). Denn er berichtet, dass, als Dareios in seiner Herrschaftszeit versucht, Babylon erneut zu erobern, alle Versuche gescheitert seien und eben auch dieser kluge Plan (= σόφισμα ), den Kyros damals erfolgreich angewandt hat ( ἀλλ᾽ οὐδ᾽ ὣς ἐδύνατο ἑλεῖν σφεας , ἄλλοισί τε σοφίσμασι πειρησάμενος καὶ δὴ καὶ τῷ Κῦρος εἷλέ σφεας , καὶ τούτῳ ἐπειρήθη - III, 152). 1325 Durch die Verwendung von γάρ ( ἀλλά ( τυχεῖν γάρ σφι ἐοῦσαν ὁρτήν ) χορεύειν - I, 191.6) wird das Tanzen der Babylonier mit dem Feiern des Festes begründet. Auffällig 392 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="393"?> loniern vor dem Einfall der Perser in die Stadt nicht für besonders gefährlich eingeschätzt wird, wird daran verbildlicht, dass sie in diesen Zeiten ausgelassen bei einem Fest tanzen ( χορεύειν ) und es ihnen an nichts zu fehlen scheint ( ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι ) 1326 . Im Text findet sich kein Hinweis darauf, dass ein Fest Grund für eine verminderte Aufmerksamkeit der Babylonier und damit Ursache für die Einnahme der Stadt ist. Stattdessen hebt der Text die ausgelassene Stimmung hervor, die in Babylon trotz der Belagerung vorherrscht. 1327 Dass sie ist, dass die Babylonier auch während der späteren, im dritten Buch geschilderten persischen Belagerung unter Dareios in guter Verfassung sind. Das macht der Text auch an dieser Stelle dadurch deutlich, dass er berichtet, wie die Babylonier im Belagerungszustand tanzen und zudem über Dareios und sein Heer spotten ( οἱ Βαβυλώνιοι κατωρχέοντο καὶ κατέσκωπτον Δαρεῖον καὶ τὴν στρατιὴν αὐτοῦ - III, 151.1). Es handelt sich bei diesem durch κατορχέεσθαι ausgedrückten Tanzen um ein triumphales und zugleich despektierliches Tanzen unabhängig von einem Fest (vgl. dazu κατορχέομαι in LSJ, S. 930: „ dance in triumph over one, treat despitefully, Hdt. 3.151 [ … ] “ ). Hier tanzen die Babylonier im Gegensatz zur ersten Belagerung also bewusst vor den Persern, um ihre überlegene Lage trotz der Belagerungssituation darzustellen. 1326 Mit der Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι drückt der Text das intensivierte Erleben von Freude beim Fest aus. Zur Bedeutung von εὐπαθείη bzw. der Wendung ἐν εὐπαθείῃσι εἶναι siehe die Ausführungen in Anm. 831. 1327 How/ Wells (1912a, S. 147) sind der Meinung, dass dieses Fest mit dem im 5. Kapitel des Buches Daniel im Alten Testament beschriebenen „‘ feast ’“ übereinstimmt. Dieses Gastmahl wird vom babylonischen König Bel š azar kurz vor der Eroberung Babylons veranstaltet (Dan 5). Dabei kommt es zu gottesverachtenden Handlungen. Denn zusammen mit seinen Gästen trinkt Bel š azar aus heiligen Gefäßen und rühmt dabei Götzenbilder (Dan 5, 22 - 23). Die Eroberung Babylons durch die Perser wird im Buch Daniel daher als Strafe Gottes gedeutet, wobei die genauen Vorgänge während der Eroberung nicht explizit erwähnt werden. Das Kapitel 5 endet mit der Prophezeiung, Bel š azar werde sein Königreich an die Meder und Perser verlieren, und schließlich mit der Beschreibung vom Tod Bel š azars (Dan 5, 24 - 30). Dan 6 beginnt mit dem Hinweis, dass nun ein Meder die Herrschaft über Babylon übernommen hat (Dan 6, 1). Das Fest bzw. Gastmahl von Bel š azar ist also aufgrund des gottlosen Verhaltens Bel š azars in der Darstellung des Alten Testaments der Auslöser für die Eroberung Babylons. Das in Herodots Historien beschriebene Fest dagegen, auf dessen Kontext der Text nicht näher eingeht, ist im Gegensatz zu Bel š azars Gastmahl im Alten Testament nicht als ursächlich für die Eroberung Babylons dargestellt. Auch Xenophon berichtet von einem Fest, das in Babylon gefeiert wird, als Kyros die Stadt erobert (Xen. Kyr. VII, 5.15 / VII, 5.25); vgl. auch Asheri et al. (2007), S. 208. Hier wird beschrieben, dass Kyros seinen Plan zur Eroberung gleich umsetzt, als er davon hört, dass dieses Fest gefeiert wird ( ὁ δὲ Κῦρος ἐπειδὴ ἑορτὴν τοιαύτην ἐν τῇ Βαβυλῶνι ἤκουσεν εἶναι , ἐν ᾗ πάντες Βαβυλώνιοι ὅλην τὴν νύκτα πίνουσι καὶ κωμάζουσιν , ἐν ταύτῃ , ἐπειδὴ τάχιστα συνεσκότασε , λαβὼν πολλοὺς ἀνθρώπους ἀνεστόμωσε τὰς τάφρους πρὸς τὸν ποταμόν - Xen. Kyr. VII, 5.15). In Xenophons Darstellung wird das Fest also sogar zum Auslöser dafür, dass die Perser mit der Eroberung beginnen. Kyros treibt zum Angriff, um die Babylonier möglichst unvorbereitet anzutreffen ( Οὐκ ἂν μέλλειν δέοι , ἔφη ὁ Κῦρος , ἀλλ᾽ ἰέναι , ἵνα ἀπαρασκεύους ὡς μάλιστα λάβωμεν τοὺς ἄνδρας - Xen. Kyr. VII, 5.25). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 393 <?page no="394"?> gerade in einem solchen Zustand der festlichen Freude besiegt werden, lässt die Katastrophe der Eroberung für sie noch dramatischer wirken. Das Fest dient dem Text somit der Untermalung der noch glücklichen Situation der Babylonier, wenngleich er es nicht explizit als Ursache für die erfolgreiche persische Eroberung anführt. Obwohl Freude und Ausgelassenheit wie bei den meisten Festen auch im Symposion gegeben sind, sind das öffentliche Fest und Symposion in ihrer Struktur sehr unterschiedlich. Ein besonders wichtiger Unterschied ist, dass das Symposion im nicht-öffentlichen Bereich stattfand und dort Platz für eine begrenzte Anzahl von Personen bot, während das Fest gewöhnlich öffentlich und nicht auf Initiative von Einzelpersonen organisiert wurde. 1328 Daher ist zu erwarten, dass die Geschehnisse bei Festen in den Historien im Gegensatz zu den Vorgängen im Symposion einen größeren Teil einer Bevölkerung betreffen und nicht durch Einzelpersonen ausgelöst werden. 1329 Darüber hinaus berichtet der Text aber auch von Festen, bei denen die Teilnahme auf bestimmte Personengruppen festgelegt ist. So erwähnt er z. B. Feste, die ausschließlich von Frauen begangen werden. 1330 Zudem bezeichnet der Text manche Feste als ‚ Mysterien ‘ - oder Geheimkulte. Zumindest bei einigen von ihnen kann davon ausgegangen werden, dass sie neben der Geheimhaltung auch bestimmten Einweihungsritualen unterliegen und somit als Partizipierende nur Eingeweihte infrage kommen. 1331 Obwohl die Teilnahme Anders als in der Darstellung von Herodots Historien wird bei Xenophon explizit ausgedrückt, dass das Fest ablenkt und damit die Eroberung vereinfacht. 1328 Vgl. Burkert (1991), S. 18; Konstan (1997), S. 46. Vgl. dazu Auffarth (1999, S. 38): „ Antike Religion stellt sich dar in ihrer Aufführung, tradiert sich, wird geäußert und erinnert auf Festen, bedarf der Öffentlichkeit und der Gruppe. Feste werden immer kollektiv gefeiert [ … ]. “ Vgl. dazu auch Meier (1989), S. 590 f.; Burkert (2011), S. 413; zur Bedeutung der griechischen Feste für das Erleben der Gemeinschaft siehe Meier (1989), S. 576 f.; Flower (2018), S. 435; zu Parallelen und Unterschieden zwischen Symposien und Kultfeiern siehe auch Köster (2011), S. 91 - 98. 1329 Inwiefern diese These zutrifft, wird im Kapitel 4.2.2.2 untersucht. 1330 Hierfür möchte ich zwei Beispiele anführen, die sich in der Darstellung der Historien auf jeweils unterschiedliche Art und Weise als verhängnisvoll erweisen: Zum einen handelt es sich dabei um die Feier der Thesmophorien in Ephesos (VI, 16.2) und zum anderen um den Kult für Artemis in Brauron (VI, 138.1). Bei beiden sind nur Frauen in die kultischen Handlungen involviert. Welche Rollen diese Feste in den Historien spielen, untersuche ich für die Thesmophorien in Ephesos in Kap. 4.2.2.2.4 und für das Fest in Brauron in Kap. 4.2.2.2.1. 1331 Burkert (1990, S. 14) betont, dass nicht alle Geheimkulte ‚ Mysterien ‘ seien. Mysterien seien „ in einer ersten Annäherung “ als „ Initiationsrituale “ zu bestimmen (ebd., S. 15). In den Historien werden Geheimkulte bzw. Mysterien auf unterschiedliche Weise umschrieben. Dabei findet sich aber keine Bezeichnung, die stets für Mysterienkulte nach Burkerts Definition verwendet wird. Den Kult um Demeter bzw. die Thesmophorien ( τὴν 394 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="395"?> - wenn auch auf andere Art und Weise - wie beim Symposion begrenzt war, 1332 kann der herodoteische Erzähler im Gegensatz zu den ihm wohl durchaus οἱ Ἕλληνες Θεσμοφόρια καλέουσι - II, 171.2) umschreibt der Text als τελετή ( τῆς Δήμητρος τελετῆς πέρι - II, 171.2 / αἱ τὴν τελετὴν ταύτην ἐξ Αἰγύπτου ἐξαγαγοῦσαι - II, 171.3 / ἡ τελετή - II, 171.3). Häufig werden die Thesmophorien als Mysterien bezeichnet, da sie durch das „ Fernbleiben der Männer [ … ] etwas Geheim-Unheimliches “ an sich hatten und es „ Initiationsriten, teletaí “ gab (Burkert [2011], S. 365). So kann durch τελετή die Einweihung in einen Mysterienkult verstanden werden (vgl. dazu τελετή in LSJ, S. 1771: „ ( τελέω ) rite, esp. initiation in the mysteries [ … ] Hdt. 2.171 [ … ] “ ). Insgesamt aber kann die „ Wortgruppe “ um τελέειν „ praktisch für jede Art ritueller Feier verwendet werden, nicht nur für persönliche geheime Weihen “ (Burkert [1990], S. 16; dazu auch Burkert [2011], S. 413). Durch τελετή umschreibt der Text in den Historien auch den Kult um Dionysos ( τὴν τελετήν - IV, 79.1+2), wobei hier gezielt auf eine Initiationsweihe hingedeutet wird, die an der kurz zuvor erwähnten Formulierung Διονύσῳ Βακχείῳ τελεσθῆναι (IV, 79.1) ersichtlich wird. Denn die „ Wortgruppe “ um τελέειν ist, wie Burkert (1990, S. 16) bemerkt, dann eindeutig in Richtung Initiation zu interpretieren, „ wenn das Verbum mit persönlichem Akkusativ verwendet wird und der Name eines Gottes im Dativ dazutritt: [ … ]. So heißt denn Διονύσωι τελεσθῆναι soviel wie in die Dionysos-Mysterien eingeweiht zu werden. “ Weitere Geheimkulte, auf deren genauen Ablauf der Text nicht eingeht, werden unabhängig von einer möglichen, aber nicht erwähnten Einweihung zumeist als τὰ ὄργια oder τὰ μυστήρια bezeichnet ( τὰ Καβείρων ὄργια - II, 51.2 / τὰ ὄργια - II, 51.3 / ἐν τοῖσι ἐν Σαμοθρηίκῃ μυστηρίοισι - II, 51.4 / τῶν ὀργίων - II, 81.2 / μυστήρια - II, 171.1 / ὄργια - V, 61.2) und einmal als ἱροργίαι (V, 83.3), wobei bei diesen religiösen Begehungen das hinzugenommene Adjektiv ἄρρητοι (= wörtl. ‚ unsagbar ‘ ; vgl. ἄρρητος in LSJ, S. 247; dazu auch Burkert [1990], S. 16) entscheidend ist, um ἱροργίαι von den zuvor genannten anderen ἱροργίαι abzugrenzen und als Geheimkulte zu definieren ( ἦσαν δὲ καὶ τοῖσι Ἐπιδαυρίοισι αἱ αὐταὶ ἱροργίαι · εἰσὶ δέ σφι καὶ ἄρρητοι ἱροργίαι - V, 83.3). An anderer Stelle wird der Priester bei den Mysterien der unterirdischen Götter als ἱροφάντης bezeichnet ( ἱροφάνται τῶν χθονίων θεῶν - VII, 153.2 / ἱροφάνται τῶν θεῶν - VII, 153.3 / ἐὼν Τηλίνεω τοῦ ἱροφάντεω ἀπόγονος - VII, 154.1). Doch ausgerechnet der als Mysterienkult berühmte Eleusinische Kult - Burkert (1990, S. 12) bezeichnet diese Mysterien als „‚ die Mysterien ‘ [für die Athener] schlechthin “ - wird in den Historien mit keinem dieser Ausdrücke umschrieben. Über den Eleusinischen Kult berichtet der Text nur indirekt, indem er ein Gespräch zwischen dem verbannten Athener Dikaios und Demaratos über diese Mysterien wiedergibt (VIII, 65). Der herodoteische Erzähler selbst möchte nur in sehr diskreter Weise über Mysterien bzw. Geheimkulte berichten (siehe Anm. 1333). So bewahrt er eine persönliche Distanz durch die Wiedergabe von Dikaios ’ Bericht. Dikaios bezeichnet dabei den Eleusinischen Kult als ὁρτή (zweimal in VIII, 65.4) und umschreibt ihn auch als τὰ ἱρά (VIII, 65.2). Doch Dikaios fügt hinzu, dass sich jeder Grieche, der möchte, in diesen Kult einweihen lassen könne ( καὶ αὐτῶν τε ὁ βουλόμενος καὶ τῶν ἄλλων Ἑλλήνων μυεῖται - VIII, 65.4), sodass doch offensichtlich wird, dass es sich um einen Mysterienkult handelt. Den zu diesem Kult gehörigen Iakchosruf bezeichnet der Text zudem als μυστικὸς Ἴακχος (VIII, 65.1). Eine genaue Erläuterung der ursprünglichen Wortbedeutung von ‚ Mysteria ‘ liefert Clinton (2007), S. 343. 1332 In VIII, 65.2 wird deutlich, dass zwar nur Personen, die in die Mysterien eingeweiht sind, daran teilnehmen dürfen, die Möglichkeit zur Einweihung aber - zumindest in Eleusis - jedem Griechen offenstand ( καὶ αὐτῶν τε ὁ βουλόμενος καὶ τῶν ἄλλων Ἑλλήνων μυεῖται 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 395 <?page no="396"?> bekannten Abläufen während eines Symposions kaum von allen Geschehnissen und Voraussetzungen für die Teilnahme an solchen geheimen Kulten berichten. Außerdem gibt der Text zu erkennen, dass er dies auch nicht möchte, selbst wenn er Kenntnis davon hat. 1333 Im Gegensatz zum Symposion können folglich diese Feste in Herodots Historien, deren internen Ablauf der herodoteische Erzähler nicht erwähnen möchte, nicht als Orte für Aktionen von oder gegen bestimmte Privatpersonen während der Feier dargestellt werden. Die öffentlich organisierten Feste bieten jedoch einen plausiblen Raum für Überfälle auf eine größere Anzahl von Personen. 4.2.2.2 Das Feiern von Festen als Schwachpunkt in der Verteidigung Die Feste, die in Herodots Historien Auswirkungen auf den dargestellten geschichtlichen Verlauf haben, sollen nun gegliedert nach vier unterschiedlichen Schwerpunkten analysiert werden. Zuerst werde ich auf die Feste eingehen, die in den Historien von den Akteuren gezielt abgewartet werden, um dort einen Überfall zu wagen. Unter dem zweiten Punkt soll speziell ein Fest analysiert werden, das als gezielte Erfindung für die Umsetzung eines Plans erwähnt wird. Drittens werden die Textstellen untersucht, an denen Feste für die Verzögerung von Hilfeleistungen verantwortlich gemacht werden. Als Letztes möchte ich noch auf Folgen von Festen eingehen, die in der Darstellung der Historien jeweils auf einem Missverständnis beruhen und daher ungeplant sind. 4.2.2.2.1 Bestehende Feste als hilfreiche Ablenkungsmittel Nachdem der Text von den zwölf Städten Ioniens (I, 142 - 148) berichtet hat, zählt er die elf Städte der Aioler auf. Dabei erwähnt er, dass auch die Aioler einst zwölf Städte gehabt, aber eine davon, Smyrna, an die Ionier verloren hätten - VIII, 65.4); vgl. dazu Burkert (1992), S. 264: „ Yet the Mysteries were open to the public “ ; Bremmer (2014), S. 2 f. So werden die Mysterien auf eine ähnliche Art wie die Symposia zwar nur mit einer bestimmten Gruppe von Teilnehmern abgehalten, die Teilnahme stand aber grundsätzlich jedem offen, der die geforderten Voraussetzungen erfüllte (siehe zu den Voraussetzungen für die Einweihung in die Eleusinischen Mysterien Bremmer [2014], S. 2 - 5). Für die Voraussetzungen zur Teilnahme am Symposion siehe Kap. 2.2.3.3. 1333 So möchte der herodoteische Erzähler z. B. nicht von den als μυστήρια bezeichneten Handlungen im ägyptischen Saïs berichten, auch wenn er darüber Bescheid weiß ( περὶ μέν νυν τούτων εἰδότι μοι ἐπὶ πλέον ὡς ἕκαστα αὐτῶν ἔχει , εὔστομα κείσθω - II, 171.1). Ebenso verschweigt er bewusst detaillierte Informationen zum ägyptischen Demeterkult bzw. zu den griechischen Thesmophorien ( καὶ τῆς Δήμητρος τελετῆς πέρι , τὴν οἱ Ἕλληνες Θεσμοφόρια καλέουσι , καὶ ταύτης μοι πέρι εὔστομα κείσθω , πλὴν ὅσον αὐτῆς ὁσίη ἐστὶ λέγειν - II, 171.2). Für eine ausführliche Untersuchung der Frage, weshalb Herodot in der Darstellung der Historien bestimmte kultische und mythische Elemente bewusst verschweigt, siehe Gödde (2007). 396 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="397"?> (I, 149.1). Der Text berichtet, wie sich Flüchtlinge aus Kolophon während eines Festes dieser Stadt bemächtigen (I, 150): Da die Einwohner von Smyrna ihre Stadt für das Fest verlassen ( τοὺς Σμυρναίους ὁρτὴν ἔξω τείχεος - I, 150.1), können die Flüchtlinge währenddessen Smyrna problemlos und ohne Kampf in ihren Besitz bringen. Der Text erwähnt, dass es sich dabei um ein Fest zu Ehren von Dionysos handelt, geht aber nicht genauer auf dessen Ablauf ein ( ποιευμένους Διονύσῳ - I, 150.1), der für die beschriebenen Geschehnisse auch unerheblich bleibt. Besonders bemerkenswert ist jedoch, dass es sich bei den gegen Smyrna agierenden Personen um Schutzsuchende handelt, die von den Einwohnern, die sie später hintergehen, Aufnahme und Sicherheit bekommen. Zwar bezeichnet sie der Text an keiner Stelle als Hiketeis, sondern als οἱ φυγάδες (I, 150.1), aber seine Beschreibung, sie seien bei einem Aufstand unterlegen gewesen und daher aus ihrer Heimat Kolophon vertrieben worden (I, 150.1), macht sie offensichtlich zu Schutzsuchenden. Die Einwohner von Smyrna verhalten sich dementsprechend so, wie es ihre religiöse Verpflichtung erfordert, und gewähren den Vertriebenen Aufnahme und Schutz. 1334 Die Vertriebenen aber nutzen ihre Rechte als Schutzsuchende und ihre Gastrechte sowie das damit verbundene Vertrauen aus und hintergehen auf diese besonders hinterhältige Weise ihre Schutz- und Gastgeber. Aber gerade durch dieses unerwartet frevelhafte Vorgehen haben sie Erfolg. Der Text berichtet von keiner Bestrafung oder göttlichen Rache und bewertet auch das Verhalten der Flüchtlinge nicht als frevelhaft. Im Vordergrund steht stattdessen die taktisch unerwartete, jedoch geglückte Strategie. 1335 Auch ein weiterer Vorfall beim Fest am Vorgebirge Sunion, das die Athener alle fünf Jahre feiern ( καὶ ἦν γὰρ δὴ τοῖσι Ἀθηναίοισι πεντετηρὶς ἐπὶ Σουνίῳ - VI, 87), zeigt, dass Feierlichkeiten einen geeigneten Rahmen für Überfälle schaffen, die ansonsten nicht leicht umzusetzen wären. Bei diesem Fest zu Ehren von Poseidon wurde eine Regatta veranstaltet. 1336 In den Historien selbst jedoch werden zu diesem Fest außer der Tatsache, dass es alle fünf Jahre gefeiert wird, erneut keine Hintergründe erwähnt. Das liegt daran, dass der Text von diesem Fest überhaupt nur deshalb berichtet, da die Aigineten während dieses 1334 Zu den Rechten von Schutzflehenden siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1. 1335 Vgl. dazu Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 179): „ [ … ] he probably chose it [= diese Erzählversion] because the stratagem appealed to him. “ 1336 Siehe zu diesem Fest How/ Wells (1912b), S. 99; Deubner (1969), S. 215; Parke (1987), S. 144; Cawkwell (1993, S. 512) mit Verweis u. a. auf Lys. 21, 5 ( νενίκηκα δὲ τριήρει μὲν ἁμιλλώμενος ἐπὶ Σουνίῳ ). Parke (1987, S. 144) zweifelt an u. a. Deubners Meinung (Deubner [1969], S. 215), dass dieses Fest mit Regatta im Monat Poseideon stattgefunden habe, da dieser Monat ungefähr unserem Dezember entspreche. Günstige Witterungsbedingungen für eine Regatta sind in diesem Monat somit nicht zu erwarten. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 397 <?page no="398"?> Festes ein Schiff der Athener überfallen und die athenische Besatzung gefangen nehmen (VI, 87). Bei dem Schiff, das überfallen wird, handelt es sich um das Schiff mit den vornehmsten Athenern ( τὴν θεωρίδα νέα εἷλον πλήρεα ἀνδρῶν τῶν πρώτων Ἀθηναίων - VI, 87). Die genaueren Hintergründe des Festes sind für dieses erzählte Geschehen jedoch nicht von Belang. Der Überfall und die Gefangennahme der Athener selbst sind in nur fünf Worten umschrieben ( λαβόντες δὲ τοὺς ἄνδρας ἔδησαν - VI, 87), sodass dieser Vorgang - wie die Einnahme Smyrnas durch die Flüchtlinge aus Kolophon (I, 150) - unerwartet und daher problemlos und ohne Gegenwehr zu verlaufen scheint. Der Beweggrund für die Aigineten war es, Rache dafür zu nehmen, dass die Athener die bei ihnen gefangenen Aigineten trotz Bitten nicht herausgegeben hatten (VI, 87). 1337 Dieses Ereignis ist nun der entscheidende Auslöser für den endgültigen Ausbruch eines Krieges zwischen Athen und Aigina (VI, 88 - 94.1). Den Athenern wird noch ein weiteres Mal in den Historien eines ihrer Feste zum Verhängnis. Es handelt sich dabei wieder um einen geplanten Racheakt. Die Pelasger beabsichtigen, sich an den Athenern zu rächen ( βουλόμενοι τοὺς Ἀθηναίους τιμωρήσασθαι - VI, 138.1), da sie von diesen aus Attika vertrieben worden sind (VI, 137). Die Pelasger machen sich dafür ihr Wissen über den athenischen Festkalender zunutze ( εὖ τε ἐξεπιστάμενοι τὰς Ἀθηναίων ὁρτάς - VI, 138.1) und warten das Fest der Artemis in Brauron ab, bei dem sie ihren Plan in die Tat umsetzen möchten. Als das besagte Fest stattfindet, gelingt es den Pelasgern, dort viele athenische Frauen zu rauben und sie als Nebenfrauen mit nach Lemnos zu nehmen (VI, 138.1). Das Wissen der Pelasger über die athenischen Feste scheint ihnen nicht nur insofern zu nutzen, als sie wissen, wann überhaupt Feste gefeiert werden, sondern ihr Wissen geht sogar so weit, dass sie gezielt ein Fest auswählen können, bei dem sie Frauen bzw. Mädchen möglichst ungeschützt antreffen. 1338 Denn es handelt sich dabei um Kultfeier- 1337 Die Athener verwehren kurz zuvor die Herausgabe der Gefangenen, als der Spartaner Leotychidas darum bittet (VI, 86). Zu den Gefangenen siehe VI, 73. 1338 Der Kult in Brauron wird zu großen Teilen nur von Frauen durchgeführt (vgl. dazu Anm. 1339), sodass es nicht verwunderlich ist, dass die Frauen so leicht - ohne beschriebenen Widerstand der Männer - geraubt werden können (vgl. Brelich [1969], S. 241). Allerdings gilt dies nicht für das große Fest der Artemis von Brauron. Denn dabei handelt es sich um ein „ Pan-Attic festival “ , an dem alle Mitglieder der Gesellschaft teilnehmen konnten (Nielsen [2009], S. 112). Die Initiationsriten für die Mädchen dagegen fanden im Geheimen statt (Nielsen [2009], S. 113). Dabei handelte es sich um junge, unverheiratete Mädchen (siehe Anm. 1339). Allerdings ist es nicht ganz gesichert, ob nur junge Mädchen an dem Kult teilgenommen haben oder auch Jungen; denn in diesem Heiligtum wurden auch Statuen von Jungen in dem Heiligtum entdeckt (vgl. Mejer [2009], S. 71). Zu welchem Zeitpunkt nun genau der Überfall der Pelasger stattfindet, ist in den Historien ohnehin nicht explizit beschrieben, da jedoch keine 398 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="399"?> lichkeiten, an denen unverheiratete Frauen vertreten sind, die diesem Kult beiwohnen müssen, ehe sie zu Ehefrauen werden. 1339 Außerdem befinden sich die Athenerinnen bei der Kultausübung außerhalb der schützenden Stadtmauern. 1340 So können die Pelasger die jungen Athenerinnen ungeschützt von der Stadt und wehrhaften Männern bei ihren Kultfeierlichkeiten für Artemis in Brauron gefangen nehmen und sich zudem sicher sein, dass die Mädchen, die sie rauben, noch jung und unverheiratet sind. Doch dieser erfolgreiche und wohldurchdachte Überfall hat für die Pelasger unglückliche Folgen. Denn die jungen entführten Athenerinnen sind nicht dazu bereit, ihre athenische Herkunft zu vergessen. Den Kindern aus dieser pelasgisch-athenischen Verbindung bringen die Frauen die attische Sprache und die athenischen Sitten bei ( γλῶσσάν τε τὴν Ἀττικὴν καὶ τρόπους τοὺς Ἀθηναίων ἐδίδασκον τοὺς παῖδας - VI, 138.2). Die Kinder isolieren sich daraufhin als Gruppe von ihren pelasgischen Altersgenossen und erweisen sich zudem als ihnen weit überlegen ( πολλῷ ἐπεκράτεον - VI, 138.2). Da sie sich bereits im Kindesalter in Konflikten gegenseitig unterstützen und füreinander Rache nehmen ( ἐβοήθεόν τε πάντες καὶ ἐτιμώρεον ἀλλήλοισι - VI, 138.2), töten die pelasgischen Väter die Kinder der Athenerinnen aus Angst vor deren Verteidigungsversuche von Männern erwähnt sind, kann davon ausgegangen werden, dass zum Zeitpunkt des Überfalls auch keine (wehrhaften) Männer anwesend sind. 1339 Vgl. dazu Burkert (1992, S. 257): „ virgins had to be ‘ consecrated ’ to Artemis of Brauron or Munichia before marriage [ … ]; serving as ‘ bears ’ (arktoi), of Artemis at Brauron, they probably had to spend some time in seclusion, with games and dances, until they were restored to their normal state at the festival of Brauronia. “ Deubner (1969, S. 207) allerdings vermutet, dass es sich bei dem Fest der Brauronia um den „ Auftakt zu einer längeren Dienstzeit der ἄρκτοι“ gehandelt haben könnte. Zum Kult der Artemis von Brauron siehe u. a. auch Kahil (1965); Deubner (1969), S 207 f.; Brelich (1969), bes. S. 240 - 279; Kahil (1977); Parke (1987), S. 214 - 217; Pettersson (1992), S. 40; Nielsen (2009); Parker (2011), S. 204; Burkert (2011), S, 155 f., S. 234, S. 394; Hornblower/ Pelling (2017), S. 299. Parke (1987, S. 217) verweist diesbezüglich auf den Chor in Aristophanes ’ Lysistrate, der an einer Stelle den sakralen Lebensweg griechischer Frauen mit den zugehörigen Diensten aufzählt und dabei auch den Dienst als ἄρκτος für Artemis erwähnt (Aristoph. Lys. 641 - 647: ἑπτὰ μὲν ἔτη γεγῶσ᾽ εὐθὺς ἠρρηφόρουν · [= 641 - 642] / εἶτ᾽ ἀλετρὶς ἦ δεκέτις οὖσα τἀρχηγέτι · [= 643 - 644] / καὶ χέουσα τὸν κροκωτὸν ἄρκτος ἦ Βραυρωνίοις · / κ ἀκανηφόρουν ποτ᾽ οὖσα παῖς καλὴ ᾽χουσ᾽ / ἰσχάδων ὁρμαθόν ·); vgl. auch Hedrick Jr. (2007), S. 290 f. 1340 Es gab ein Heiligtum der Artemis Brauronia außerhalb von Athen in Brauron, aber auch eines auf der Akropolis in Athen (siehe dazu Parke [1987], S. 215; Nielsen [2009], S. 84; Mejer [2009], S. 61). Ort für den Kult und das große offizielle Fest, das für die Artemis von Brauron alle vier Jahre stattfand (vgl. z. B. Parke [1987], S. 215; Nielsen [2009], S. 108), war allerdings das Heiligtum in Brauron (siehe dazu Nielsen [2009], S. 101 - 112). Der in den Historien dargestellte Vorfall beim Fest der Artemis ereignet sich also außerhalb der schützenden Mauern Athens ( ἐλόχησαν Ἀρτέμιδι ἐν Βραυρῶνι ἀγούσας ὁρτὴν τὰς τῶν Ἀθηναίων γυναῖκας - VI, 138.1). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 399 <?page no="400"?> späterem Verhalten als erwachsene Männer (VI, 138.3 - 4). Zugleich töten sie auch ihre athenischen Nebenfrauen (VI, 138.4). Diese Erzählung dient dem Text unter anderem als Erklärung, weshalb in ganz Griechenland furchtbare Taten ‚ lemnische ‘ genannt werden ( τὰ σχέτλια ἔργα πάντα Λήμνια καλέεσθαι - VI, 138.4). 1341 Ungeachtet ihres Wahrheitsgehalts kann aus dieser Erzählung geschlossen werden, dass das Fest einen solchen Raub ohne großen Aufwand ermöglicht. Ohne List hätten die Pelasger gegen die Athener nur schwerlich Aussicht auf Erfolg gehabt - zumindest, wenn den Schilderungen in den Historien Glauben geschenkt wird. Denn den Kräfteunterschied zwischen Athenern und Pelasgern macht der Text bei der späteren Beschreibung der Kinder der pelasgischen Väter deutlich: Die Kinder der entführten athenischen Frauen seien den rein pelasgischen Nachkommen überlegen und empfänden es, aus den Worten des Textes zu schließen, nur als gerecht, dass sie über die Pelasger herrschen ( καὶ δὴ καὶ ἄρχειν τε τῶν παίδων οἱ παῖδες ἐδικαίευν καὶ πολλῷ ἐπεκράτεον - VI, 138.2). Nur durch ihr Wissen über das athenische Fest gelingt es den Pelasgern also, einen Plan zu fassen und umzusetzen, bei dem die Kräfteverhältnisse unerheblich sind. Diese Anekdote wie auch die zuvor beschriebene Darstellung der Eroberung von Smyrna (I, 150) und die des Überfalls auf das athenische Schiff am Vorgebirge Sunion (VI, 87) fügen sich in die in den Historien immer wieder ausgedrückte Weltsicht, dass sich niemand seiner momentan glücklichen und friedlichen Lage allzu sicher sein sollte, selbst dann nicht, wenn er in voller Kraft steht und keinen Angriff zu befürchten glaubt. 1342 Zudem lässt gerade diese Ausgelassenheit und Sorglosigkeit, die bei Festen vorherrscht, die plötzliche Wandlung in eine große Katastrophe noch drastischer erscheinen. 4.2.2.2.2 Einführung eines Festbrauchs als Mittel zum Zweck In allen bisher untersuchten Textstellen werden Feste erwähnt, die bereits seit längerer Zeit bestehen. Auch wenn diese Feste für die Umsetzung eines Plans funktionalisiert werden, wird keines davon so dargestellt, als dass es extra zu einem bestimmten Zweck, wie z. B. zur Ablenkung, organisiert und veranstaltet wird. An einer Stelle in den Historien jedoch wird von einem Festbrauch berichtet, der gezielt für die Umsetzung eines Plans eingeführt wird. 1341 Der Text merkt an, dass diese Bezeichnung zum einen auf diese Untat zurückgehe, zum anderen auf eine aus der weit zurückliegenden Vergangenheit, als Thoas und seine Männer von ihren eigenen Frauen umgebracht wurden (VI, 138.4). 1342 Zum Aspekt der Vergänglichkeit eines momentanen Glückszustands in Herodots Historien vgl. Anm. 625. 400 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="401"?> Periander, der Tyrann von Korinth, beabsichtigt, 300 Söhne der vornehmsten Männer Kerkyras zu Alyattes nach Sardes zu führen, um sie, als Rache für den Mord an seinem Sohn Lykophron (III, 53.7), entmannen zu lassen (III, 48.2 / III, 49.2). Die von ihm dazu abgesandten Männer legen auf der Reise nach Sardes einen Zwischenstopp auf Samos ein. Die Samier aber bringen die Knaben aus Kerkyra zum Tempel der Artemis und lassen nicht zu, dass sie als Schutzflehende von dort weggebracht werden (III, 48.2 - 3). Die Korinther versuchen daraufhin, die Knaben aus Kerkyra von der Nahrungsmittelversorgung abzuschneiden ( σιτίων δὲ τοὺς παῖδας ἐργόντων τῶν Κορινθίων - III, 48.3). 1343 Den Samiern aber gelingt es, auch diese Herausforderung zugunsten der Jünglinge zu überwinden. Sie veranstalten ein Fest ( ὁρτή - III, 48.3) und führen dabei den Brauch ein ( ἐποιήσαντο νόμον - III, 48.3), jeden Abend ( νυκτὸς γὰρ ἐπιγενομένης - III, 48.3) Sesam- und Honiggebäck darzubringen, während Jungen und Mädchen Tänze aufführen ( ἵστασαν χοροὺς παρθένων τε καὶ ἠιθέων , ἱστάντες δὲ τοὺς χοροὺς τρωκτὰ σησάμου τε καὶ μέλιτος ἐποιήσαντο νόμον φέρεσθαι - III, 48.3) 1344 . Dieses Gebäck dient den Knaben aus Korinth als Nahrung ( ἵνα ἁρπάζοντες οἱ τῶν Κερκυραίων παῖδες ἔχοιεν τροφήν - III, 48.3) 1345 . So verhindern die Samier, dass die Jungen aus Kerkyra verhungern. Dadurch, dass kein Tier geopfert wird, kann davon ausgegangen werden, dass eine längere Versorgung der Knaben gewährleistet werden kann, ohne dass es zu kostspielig wird. 1346 Denn laut Text führen die Samier diesen Festbrauch jeden Abend auf dieselbe Weise durch, solange bis die Korinther schließlich nachgeben, die Knaben auf Samos zurücklassen und selbst abreisen (III, 48.4). Hier wird das veranstaltete Fest durch die Einführung eines damit verbundenen Brauchs nicht wie die bisher untersuchten Feste als Ablenkung 1343 Spätestens an dieser Stelle zeigt sich das frevelhafte Verhalten der Korinther, die den Befehl des Kypseliden Periander ausführen. Sie stören sich nicht daran, dass die Jünglinge zu Schutzsuchenden am Tempel geworden sind, sondern hätten die jungen Männer ohne Zögern und Scheu vor den Göttern vom Altar weggezogen, wenn die Einwohner von Samos sie nicht davon abgehalten hätten ( μετὰ δὲ οὐ περιορῶντες ἀπέλκειν τοὺς ἱκέτας ἐκ τοῦ ἱροῦ - III, 48.3). Und als sie dann von dem Versuch ablassen, mit körperlicher Gewalt gegen die Schutzsuchenden vorzugehen, versuchen sie, sie auszuhungern (III, 48.3). Zur Hikesie siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1. 1344 Der Text verwendet hier ( τὰ ) τρωκτά , um die Art der Speise aus Sesam und Honig zu beschreiben, die an die Knaben aus Kerkyra verteilt wird. ( Τὰ ) τρωκτά ist auf τρώγειν zurückzuführen (vgl. dazu τρωκτός in LSJ, S. 1832; Frisk [1991], S. 938 f.). Aufgrund der Grundbedeutung von τρώγειν (= ‚ knabbern ‘ bzw. ‚ nagen ‘ ; vgl. Anm. 527) kann vermutet werden, dass es sich um ein aus Sesam und Honig hergestelltes Gebäck von härterer Konsistenz handelt. 1345 Zur Verwendung von τροφή in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.8. 1346 Davies (1988, S. 368) macht darauf aufmerksam, dass diese Art von Gebäck in ganz Griechenland als Opfer neben den teureren Tieropfern verbreitet war. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 401 <?page no="402"?> für einen Überfall instrumentalisiert, 1347 sondern für die Rettung der gefangenen Knaben. Der Text gibt diese Erzählung als Aitiologie für den Ablauf eines noch bis in Herodots Lebenszeit gefeierten Festes zu erkennen ( ἐποιήσαντο οἱ Σάμιοι ὁρτήν , τῇ καὶ νῦν ἔτι χρέωνται κατὰ ταὐτά - III, 48.3). 1348 Robert Parker führt diese Episode als Beispiel dafür an, dass eigenartige Rituale anstatt durch Bezugnahme auf einen Mythos zum Teil auch mit pseudohistorischen Erklärungen begründet werden. 1349 Darüber hinaus erklärt der Text mit dieser Erzählung die Feindschaft zwischen Samos und Korinth (III, 49.2). 1350 Diese Anekdote zeigt auf eine besondere Weise, wie sehr in der griechischen Gesellschaft Religion mit allen Bereichen des öffentlichen, aber auch nicht- 1347 Siehe dazu Kap. 4.2.2.2.1. 1348 Zwischen dieser Erzählung und einer weiteren aitiologischen Darstellung in den Historien ist eine Verbindung erkennbar: Im zweiten Buch berichtet der Text von Anysis, dem blinden König der Ägypter, der wegen des Einfalls der Aithiopier unter Sabakos fliehen muss (II, 137.1 - 2). Anysis flieht in die Sumpfgebiete und überlebt lediglich durch die Nahrungsversorgung, die er ohne Sabakos ’ Kenntnis von Ägyptern erhält (II, 140.1). Zudem lässt er sich auch Asche bringen, mit der er sich dort eine Insel aufschüttet, auf der er fünfzig Jahre lebt, bevor er wieder die Herrschaft übernehmen kann (II, 140.1). Auch er ist auf fremde Hilfe angewiesen, um an Nahrung zu gelangen. Da allerdings im Gegensatz dazu für die Jünglinge aus Kerkyra eine heimliche Ernährung nicht möglich ist, muss durch die Einführung des Festbrauchs eine Situation geschaffen werden, die diese realisierbar macht. Beide Male entsteht neben der verbotenen Ernährung etwas Neues: Die Insel Elbo (II, 140.2) bzw. ein Festbrauch (III, 48.3). Dabei ist es jeweils die Notwendigkeit zur Nahrungsaufnahme, die für eine Aitiologie in der Darstellung der Historien von entscheidender Bedeutung ist. 1349 Parker (2011), S. 219 f. Parker ist der Meinung, dass dies wahrscheinlich die „ aitia of the commoner type “ ersetze (ebd., S. 220). 1350 Davies (1988, S. 368) wertet diese Erzählung als unhistorisch, „ not just because Herodotus ’ chronological indications are notoriously incompatible with each other, nor because an alternative tradition credits the Cnidians with the rescue (Plut. Mor. 860 C), but because the story reads like a classic aetiological legend, repeated none too critically by Herodotus from his Samian friends and informants. “ Er sieht aber dennoch einen großen Wert in dieser Erzählung (vgl. ebd., S. 368 f.). So schreibt er u. a.: „ First, it is a concentrated vignette of Greek religious ideas and customs. Age-groups of boys and girls (or youths or men or women) who dance and sing together in choroi in honour of a god recall the final scene on the shield of Achilles (Iliad XVII.590 - 616), provide context and subject matter for Alcman ’ s Partheneion, form the basic element in the performance of all dithyrambic and dramatic poetry, and throughout Greece carry the social weight of symbolizing membership of a community “ (Davies [1988], S. 368). Zur Frage, ob es Samier oder Knidier waren, die die Knaben letztlich nach Kerkyra zurückbrachten, siehe How/ Wells (1912a), S. 269; Asheri et al. (2007), S. 447. Beide Kommentare verweisen wie Davies auf Plut. mor. 860 B - C (= in De Herodoti Malignitate). Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 447) ist der Meinung, die unterschiedlichen Versionen dieser Erzählung „ may be a sign of the popular aetiological origin of the entire story. 402 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="403"?> öffentlichen Lebens, verwoben ist - so auch mit der Politik. 1351 In der Darstellung der Historien verhindert die innovative Einführung eines religiösen Festbrauchs sogar die Umsetzung einer feindlichen politischen Entscheidung, worin eine Entwicklung der strikten Kultausübung hin zur einer mehr an der Gesellschaft orientierten Religion erkannt werden kann. 1352 Doch noch immer wird den religiösen Verpflichtungen ein hohe Priorität zugewiesen, wie im nächsten Kapitel ersichtlich wird. 4.2.2.2.3 Fest als Mittel der Verzögerung Oft konnten Feste und Feiertage für militärische Erfolge hinderlich sein, da während der Festlichkeiten gewöhnlich nicht gekämpft werden durfte. 1353 Militärische Unterstützung konnte durch sie gewollt oder ungewollt aufgeschoben werden oder sogar ausfallen. 1354 An drei Stellen in den Historien wird davon berichtet, dass die Spartaner wegen eines Festes ihre versprochene Unterstützung im Kampf verzögern. So geschieht dies z. B. bei der Schlacht von Marathon. Der Text erläutert, dass die Spartaner ihre Hilfe aufschieben müssen, da sie nicht gegen ihren Nomos 1351 Zwar wurden Kult und Religion im antiken Griechenland oft in der Öffentlichkeit gelebt, z. B. durch das Begehen von öffentlichen Opferfesten, aber auch das nicht-öffentliche Symposion war ein Ort der Kultausübung (siehe dazu Köster [2011], S. 91 - 98). Zum Zusammenhang zwischen Religion und Politik im antiken Griechenland siehe Bruit Zaidman/ Schmitt Pantel (1994), S. 66 - 111; Hedrick Jr. (2007), bes. S. 289 - 292; Parker (2011), S. 40 - 63. Vgl. auch Parke (1987, S. 9): „ [ … ] die ‚ alten ‘ Griechen [kannten] auch keine strengen Unterscheidungen zwischen Tätigkeiten religiöser und weltlicher Art “ ; vgl. zudem Davies (1988). Davies (1988, S. 370) hebt allerdings hervor, dass sich in dieser Anekdote eine Gesellschaft zeigt, die einerseits als in Kult und Ritual eingebettet und andererseits als autonomer politischer Akteur verstanden werde; siehe dazu Anm. 1352. 1352 Vgl. dazu Davies (1988), S. 369 f. Es zeige sich insgesamt einerseits eine „ gradual and partial emancipation “ des Staates von den Institutionen des Kultes und andererseits eine „ equally gradual and partial reorientation and redefinition “ der kultischen Institutionen und Bräuche in einer Weise, die für die staatliche Organisation zweckmäßiger war (Davies [1988], S. 371). Dies wird an dieser Stelle in Herodots Historien erkennbar, schließlich wird hier ein religiöser Brauch in den Dienst der Politik gestellt. 1353 Vgl. z. B. Harder (1962), S. 121. Popp (1959, S. 87) erwähnt speziell für die Spartaner und ihre religiösen Traditionen, dass „ der Nomos [ … ] den politischen Absichten vorging “ ; denn eine kriegerische Unternehmung könne nicht erfolgreich sein, wenn man dabei eine Gottheit vernachlässigt (ebd.); vgl. auch ebd., S. 92. 1354 Meier (1989, S. 569) betont, dass für uns eine solche Beeinflussung durch Feste schwer nachvollziehbar sei: „ Besonders markant sind etwa die Gelegenheiten, bei denen sie in der Ereignisgeschichte eine für uns schwer verständliche Rolle gespielt haben “ , und verweist als Beispiel auf die verzögerte militärische Unterstützung durch die Karneien und die olympischen Spiele, als Xerxes 480 v. Chr. gegen Griechenland zog. Von dieser Verzögerung wird auch in Herodots Historien berichtet (VII, 206). Diese Textstelle wird nun u. a. im Folgenden analysiert. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 403 <?page no="404"?> handeln möchten ( ἀδύνατα δέ σφι ἦν τὸ παραυτίκα ποιέειν ταῦτα οὐ βουλομένοισι λύειν τὸν νόμον - VI, 106.3). Erst im nächsten Satz wird etwas genauer erklärt, was dieser Nomos beinhaltet: Da der neunte Tag des Monats ist, dürfen die Spartaner nicht ausrücken, sondern müssen bis zum nächsten Vollmond warten ( ἦν γὰρ ἱσταμένου τοῦ μηνὸς εἰνάτη , εἰνάτῃ δὲ οὐκ ἐξελεύσεσθαι ἔφασαν μὴ οὐ πλήρεος ἐόντος τοῦ κύκλου - VI, 106.3). Die Rezipienten müssen sich nun aus dieser Angabe erschließen, was unter diesem Nomos zu verstehen ist. Harald Popp gibt dafür zwei mögliche Erklärungen: „ Entweder bestand dieser Nomos bei den Lakedaimoniern darin, daß sie immer, d. h. in jedem Monat, nicht vor Vollmond - genauer gesagt vom 9. des Monats bis zum Vollmond - ausziehen durften, oder es handelt sich hier um einen ganz bestimmten Monat, für den dieser Brauch galt. “ 1355 Möglich wäre es, dafür den Monat Karneios anzunehmen, sodass der mit den dort stattfindenden Karneien verbundene Nomos infrage kommt, 1356 der militärische Handlungen untersagte. 1357 In jedem Fall können die Spartaner aufgrund dessen nicht sofort Unterstützung schicken, als die Athener um Hilfe bitten, auch wenn sie sie ihnen grundsätzlich zusagen (VI, 106.3). Der Text selbst erwähnt allerdings an dieser Stelle kein Fest, das zu dieser Zeit gefeiert wird. Finden nun tatsächlich die Karneien statt, kann es mehrere Ursachen haben, weshalb der Text den Namen des Festes nicht erwähnt. Der 1355 Popp (1959), S. 77; siehe dazu Popps Ausführungen (ebd.), S. 76 - 81. 1356 Zu den Karneien siehe Nilsson (1906), S. 118 - 129; Pettersson (1992), S. 57 - 72; Richter (2009); Burkert (2011), S. 354 - 358; Flower (2018), S. 437 f. 1357 Vgl. Popp (1959), S. 79 - 81. How/ Wells (1912b, S. 108 f.) sind der Ansicht, Herodot meine wohl, dass diese Regel speziell für den Monat Karneios gelte, in dem die Karneien vom siebten bis zum 15. Tag gefeiert werden und keine Kriegshandlungen erlaubt waren. Außerdem geben How/ Well (ebd., S. 108) an, durch μὴ οὐ ( εἰνάτῃ δὲ οὐκ ἐξελεύσεσθαι ἔφασαν μὴ οὐ πλήρεος ἐόντος τοῦ κύκλου - VI, 106.3) könnte ausgedrückt werden, dass die Spartaner am neunten Tag nicht ausrücken dürfen, „‘ unless the moon be full that day ’“ . Dass allerdings nur am neunten Tag des Monats ein Verbot zum Ausrücken in den Kampf vorlag, halten How/ Wells (ebd.) für unwahrscheinlich, da am neunten Tag des griechischen Mondmonats noch kein Vollmond sein konnte. Stattdessen werde hier ausgedrückt, dass sie vom neunten Tag im Monat Karneios an bis zum 15. nicht in den Krieg ausrücken dürfen (How/ Wells [1912b], S. 108); vgl. auch Popp (1959), S. 77/ Anm. 2. Burkert (2011, S. 355) betont, dass das genaue Datum innerhalb des Monats „ nicht mehr festzustellen “ sei. Pettersson (1992, S. 58/ Anm. 328) dagegen stimmt der These nicht zu, es handele sich bei dem hier erwähnten Nomos um einen mit den Karneien verbundenen Nomos, indem er auf Euripides ’ Alkestis verweist, wo aus den Versen geschlossen werden kann, dass ein Teil der Karneien an einem Vollmondtag gefeiert wird. Somit könne es sich bei dem in den Historien hier erwähnten Monat nicht um den Karneios handeln, da die Spartaner in diesem Monat auch am Tag des Vollmonds nicht in den Krieg ziehen (ebd.); vgl. Eur. Alc. 445 - 451. Zur Waffenruhe bei den Karneien vgl. auch Nilsson (1906), S. 119 f. sowie Burkert (2011), S. 354. 404 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="405"?> herodoteische Erzähler kann dieses als allgemein bekannt eingeschätzt haben und den Namen aus literarisch ökonomischen Gründen bewusst ausgelassen haben. 1358 Da der Text die Worte der Spartaner indirekt wiedergibt (VI, 106.3), kann zudem vermutet werden, dass er die Spartaner gezielt den Namen des Festes verschweigen lässt, da sie eben nicht den Eindruck erwecken möchten, ihr Fest der militärischen Unterstützung vorzuziehen. So beschränken sie sich auf die Angabe, am neunten Tag des Monats nicht in den Krieg ziehen zu dürfen. Dies würde auch erklären, weshalb der Text bei der Schlacht bei den Thermopylen die Karneien aus objektiver Perspektive direkt als Grund für die dortige Verzögerung der Hilfeleistung nennt (VII, 206.1), diesen Grund aber bei der Schlacht von Marathon durch die indirekte Wiedergabe einer Äußerung der Spartaner verschweigen lässt. Es wird aber auch gegen die These argumentiert, dass es sich hier um den Monat Karneios handelt, was dann zur Folge hat, dass der genannte Nomos nicht in Bezug zu den Karneien aufgefasst werden kann. 1359 In diesem Fall müsste ein anderer Hintergrund als die Karneien für Spartas verzögerte militärische Unterstützung angenommen werden. Unabhängig davon, ob die Verzögerung nun durch die Karneien oder durch einen davon unabhängigen Nomos ausgelöst wird, ist es offensichtlich, dass deswegen eine sehr wichtige Schlacht der Perserkriege ohne spartanische Hilfe entschieden werden muss, 1360 auch wenn der Text nach der Schilderung der Schlacht bei Marathon zumindest betont, dass sich die Spartaner - sobald es ihnen möglich war - sehr beeilen und daher auch schnell, aber dennoch zu spät nach Attika kommen (VI, 120). Wie bereits erwähnt, werden in den Historien die Karneien bei einer anderen bedeutenden Schlacht der Perserkriege eindeutig als Ursache für eine Verspätung der Spartaner dargestellt und zwar bei der Schlacht bei den Thermo- 1358 Vgl. dazu auch Popp (1959), S. 81. 1359 Siehe dazu Anm. 1357, wo Petterssons (1992, S. 58/ Anm. 328) Argument gegen die These, es handle sich hier um den Monat Karneios, angeführt ist. 1360 Vgl. Popp (1959), S. 76. Diese Tatsache spricht dafür, dass die Spartaner nur gezwungenermaßen ihre militärische Hilfe aufschieben und das Fest nicht nur als Vorwand vorbringen (vgl. dazu Popp [1959], S. 82 f.). Denn eine Niederlage der Athener hätten die Spartaner wohl kaum erhofft, schließlich würden die Perser dann bald gegen sie selbst in den Kampf ziehen (ebd., S. 82); vgl. dazu auch die weiteren Ausführungen von Popp (1959), S. 82 - 84. Doch es gibt auch andere Erklärungen für die verzögerte Hilfe der Spartaner: So beschäftigt sich Wallace in seinem Aufsatz ‚ Kleomenes, Marathon, the Helots, and Arkadia ‘ (1954) mit einem in Platons Nomoi erwähnten Helotenaufstand im Jahr 490 v. Chr., der dort als Grund für das Zuspätkommen der Spartaner bei Marathon angegeben wird (Plat. leg. 692d und 698e); vgl. auch Forrest (1980), S. 91 f., Cartledge (2002), S. 132 f. sowie de Ste. Croix (2004), S. 436. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 405 <?page no="406"?> pylen (VII, 206.1). Während die anderen Griechen zusagen, den Kämpfern um Leonidas nach den olympischen Spielen zu Hilfe zu kommen (VII, 206.2), hebt der Text die Spartaner aus der Gesamtheit aller Griechen hervor. Diese sagen zwar zu, ihr restliches Heer zu schicken, schieben diese Unterstützung aber bis nach dem Fest der Karneien auf (VII, 206.1). 1361 Um zu verheimlichen, dass sie ihre militärische Hilfe aufschieben, schicken sie zumindest eine Vorhut ( τούτους μὲν τοὺς ἀμφὶ Λεωνίδην πρώτους ἀπέπεμψαν Σπαρτιῆται - VII, 206.1), damit ihre Bundesgenossen nicht auf die Seite der Perser wechseln ( ἵνα τούτους ὁρῶντες οἱ ἄλλοι σύμμαχοι στρατεύωνται μηδὲ καὶ οὗτοι μηδίσωσι , ἢν αὐτοὺς πυνθάνωνται ὑπερβαλλομένους - VII, 206.1). Hier betont der Text explizit, dass das Fest der Karneien sie daran hindert ( Κάρνεια γάρ σφι ἦν ἐμποδών - VII, 206.1), pünktlich am Kampf teilzunehmen. Dennoch bleibt dies im Text ohne Bewertung, sodass das Handeln der Spartaner damit nicht direkt in Kritik steht. Es ist in diesem Fall ohnehin unwahrscheinlich, dass die Spartaner das Fest lediglich als Vorwand verwenden, um keine Unterstützung liefern zu müssen. Schließlich kommen sie aufgrund dieses Festes ihren eigenen Landsleuten um Leonidas nicht rechtzeitig zu Hilfe. 1362 Es sind außerdem nicht nur die Spartaner, sondern auch die anderen Griechen, die aus ähnlichen Gründen ihre Hilfe aufschieben ( ὣς δὲ καὶ οἱ λοιποὶ τῶν συμμάχεων ἐνένωντο καὶ αὐτοὶ ἕτερα τοιαῦτα ποιήσειν - VII, 206.2): So erfährt Leonidas weder von den Spartanern wegen der Karneien rechtzeitige Unterstützung noch von den anderen Griechen, die gerade das olympische Fest feiern ( ἦν γὰρ κατὰ τὠυτὸ Ὀλυμπιὰς τούτοισι τοῖσι πρήγμασι συμπεσοῦσα - VII, 206.2). Wie die Spartaner weisen in der Darstellung der Historien also auch die griechischen Bundesgenossen den religiösen Verpflichtungen eine hohe Priorität zu. Denn während der Olympien herrschte Waffenruhe und das Verletzen der Waffenruhe bedeutete zugleich auch, den Willen 1361 Auch in Thukydides ’ Darstellung werden die Spartaner aufgrund der Karneien daran gehindert, an Unternehmungen teilzunehmen (Thuk. V, 54.2 / V, 75.2+5); vgl. Richter (2009), S. 219; siehe dazu auch Popp (1959), S. 92 - 106. 1362 Vgl. dazu die Ausführungen von Popp (1959), S. 88 - 90. Als die Peloponnesier erfuhren, dass Leonidas und seine Truppe bei den Thermopylen gefallen waren, kommen sie zusammen, um den Isthmos zu schützen (VIII, 71). Der Text zählt nun diejenigen der Griechen auf, die sich an der Verteidigung des Isthmos beteiligen. Darunter befinden sich auch die Lakedaimonier (VIII, 72). Nach der Aufzählung fügt der Text hinzu, dass das olympische Fest und die Karneien inzwischen vorbei sind (VIII, 72). Damit begründet er, dass die Spartaner nun nach Abschluss ihrer Festlichkeiten auch zur Hilfe bereit seien (vgl. Popp [1959], S. 127). Zudem nennt der Text hier auch das olympische Fest, das nicht speziell von den Spartanern gefeiert wird. Damit zeigt sich, dass es nicht nur typisch für die Spartaner ist, wegen eines Festes eine militärische Hilfe aufzuschieben. 406 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="407"?> der Götter zu missachten. 1363 Besonders auch die Athener legten hohen Wert auf ihre Feste. 1364 Und obwohl durch das olympische Fest auch die anderen Griechen ihre militärische Hilfe von einem Fest abhängig machen, ist keine negative Bewertung dieses Aufschubs im Text erkennbar. Der Aufschub der Hilfe wird lediglich damit kommentiert, dass man nicht damit gerechnet hätte, dass die Schlacht bei den Thermopylen so schnell entschieden werde ( οὐκ ὦν δοκέοντες κατὰ τάχος οὕτω διακριθήσεσθαι τὸν ἐν Θερμοπύλῃσι πόλεμον ἔπεμπον τοὺς προδρόμους - VII, 206.2). Als die Peloponnesier schließlich erfahren, dass Leonidas und seine Truppe bei den Thermopylen gefallen sind, kommen sie zusammen, um den Isthmos zu schützen (VIII, 71). Der Text zählt nun die Städte der Griechen auf, die sich an der Verteidigung des Isthmos beteiligen. Darunter befinden sich auch die Lakedaimonier (VIII, 72). Nach der Aufzählung fügt der Text hinzu, dass das olympische Fest und die Karneien inzwischen vorbei sind (VIII, 72). Damit begründet er, dass die Spartaner genau wie die anderen Griechen nun nach Abschluss ihrer Festlichkeiten ebenfalls zur Hilfe bereit sind. Aber es sind eben die Spartaner, bei denen der Text als einzige Griechen explizit mehrmals herausstellt, dass sie ihre militärische Hilfe verzögern. An einer dritten vergleichbaren Situation in den Historien zeigt sich, dass es nicht nur die Karneien sind, die von den Spartanern über die Kriegshandlungen gestellt werden: Die Athener werfen den Spartanern vor, aufgrund der Hyakinthien die drängende Hilfe für die Athener aufzuschieben (IX, 11.1), 1365 als sich die Perser bereits in Böotien mit Kurs auf Athen befinden (IX, 6). Die Athener können die Hilfe der Spartaner nicht mehr abwarten, müssen alles in Sicherheit bringen, Athen verlassen und nach Salamis übersetzen (IX, 6). Sie schicken nun Gesandte nach Sparta, um sich zu beschweren, dass die Spartaner nicht geholfen hatten, die Perser abzuwehren, und um damit zu drohen, sich mit den Persern zu 1363 Siehe Popp (1959), S. 126 f. Zum heiligen Frieden während des olympischen Festes siehe auch Bruit Zaidman/ Schmitt Pantel (1994), S. 117. 1364 Vgl. dazu Burkert (2011), S. 384 f. Burkert verweist (ebd.) u. a. auf Demosth. or. 4, 35 - 36. Denn an Demosthenes ’ erster Rede gegen Philipp wird deutlich, dass das Feiern von Festen auch in Athen einen hohen Stellenwert hatte (4, 26; 4, 35 - 36). So wirft Demosthenes den Athenern vor, sich in erster Linie um ihre Feste zu kümmern anstatt um ihre kriegerischen Unternehmungen (vgl. dazu Burkert [1987], S. 27 f. mit Verweisen auf weitere Textstellen, die auf die große Bedeutung der Feste in Athen hinweisen). Burkert (1987, S. 29) betont zudem: „ Der Militärdienst der attischen Epheben bestand, wie die Inschriften zeigen, vor allem in der Begleitung und Durchführung der Feste, in die das Jahr sich gliedert. Was immer ein Demosthenes davon hielt: die Stadt versteht sich als Festgemeinschaft “ ; vgl. dazu auch Müller (1996), S. 195 f. mit weiteren Verweisen. 1365 Zum Ablauf und Hintergrund der Hyakinthien siehe Nilsson (1906), S. 129 - 140; How/ Wells (1912b), S. 288 f.; Popp (1959), S. 106 f.; Bruit Zaidman (1990), bes. S. 164; Pettersson (1992), S. 9 - 41; Burkert (2011), S. 38; Parker (2011), S. 188 - 190; Flower (2018), S. 438 f. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 407 <?page no="408"?> verbünden (IX, 6). Der Text berichtet im Zusammenhang mit der Verzögerung der Spartaner, dass die Spartaner die Mauer am Isthmos fast fertiggestellt hätten und außerdem sehr beschäftigt mit dem Fest der Hyakinthien gewesen seien ( οἱ γὰρ δὴ Λακεδαιμόνιοι ὅρταζόν τε τοῦτον τὸν χρόνον καί σφι ἦν Ὑακίνθια , περὶ πλείστου δ᾽ ἦγον τὰ τοῦ θεοῦ πορσύνειν - IX, 7.1). Die Athener schicken somit Gesandte und machen den Spartanern den Vorwurf, Athen im Stich gelassen zu haben, obwohl sie kurz zuvor die Hilfe gegen die Perser zugesagt hätten (IX, 7 β .1). Außerdem werfen die Athener den Spartanern vor, durch die Verzögerung absichtlich erreichen zu wollen, die Mauer durch den Isthmos fertig bauen zu können (IX, 7 β .1). Durch den Bau der Mauer erhoffen sich die Spartaner, nicht mehr auf die Athener angewiesen zu sein (vgl. IX, 8.2). Die athenischen Gesandten berichten in ihrer Rede zudem davon, dass die Perser nach wie vor bereit seien, ein Bündnis mit ihnen zu schließen, das ihnen zwar Nutzen bringen würde, sie aber dennoch ablehnen - aus Scheu vor Zeus Hellenios und da sie Griechenland nicht im Stich lassen wollen (IX, 7 α ). Die Athener fordern nun auf dem schnellsten Wege eine militärische Unterstützung gegen die Perser in Attika, um weitere Verluste zu vermeiden (IX, 7 β .2). Die Spartaner zögern ihre Antwort zehn Tage lang hinaus, sodass sie die Mauer am Isthmos tatsächlich noch fertigstellen können (IX, 8.1). Dennoch fürchten die Spartaner ein Bündnis der Athener mit den Persern (IX, 9.2) und beschließen daher, nun ein Heer von 5000 Mann unter der Führung von Pausanias zu Hilfe zu schicken (IX, 10.1). Da die athenischen Gesandten dies noch nicht erfahren haben, werfen sie den Spartanern vor, durch das Feiern der Hyakinthien die Bundesgenossen zu verraten ( Ὑμεῖς μέν , ὦ Λακεδαιμόνιοι , αὐτοῦ τῇδε μένοντες Ὑακίνθιά τε ἄγετε καὶ παίζετε , καταπροδόντες τοὺς συμμάχους - IX, 11.1). Die Spartaner dagegen begründen die Verzögerung ihrer militärischen Unterstützung an keiner Stelle mit diesem Fest. Für Sparta scheint das Feiern der Hyakinthien so selbstverständlich zu sein, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, das Fest auszulassen - auch nicht aus militärischen Gründen. 1366 Die Spartaner entschließen sich erst dazu, ein Heer zu schicken, nachdem sie zu der Erkenntnis gekommen waren, dass ein Bündnis der Athener mit den Persern sehr schädlich für sie sei und auch ihre Mauer am Isthmos dadurch keinen ausreichenden Schutz mehr böte (IX, 9.2 - 10.1). Warum die Spartaner nun ihre Antwort an die Athener um genau zehn Tage aufschieben (IX, 8.1), wird vom Text selbst nicht explizit geklärt. 1367 Mit der Feier der Hyakinthien, wie es in der Darstellung der Historien die Athener vorwerfen (IX, 11.1), lässt sich der zehntägige Aufschub nicht sicher 1366 Vgl. dazu Burckhardt (1956, S. 151): „ [ … ] ihre Hyakinthien wenigstens gehören zum Dasein wie das Atemholen “ . 1367 Vgl. dazu Popp (1959), S. 110 - 112. 408 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="409"?> erklären. Denn die Hyakinthien beanspruchten zwar mindestens drei, wohl aber keine zehn Tage. 1368 Allein mit diesem Fest lässt sich die verzögerte Hilfe der Spartaner um zehn Tage somit nicht begründen. Es scheint, als ob die Athener hier durch diese Argumentation den Spartanern eine besonders große Unzuverlässigkeit im Kampf vorwerfen möchten, indem sie das Bild vermitteln, die Spartaner zögen das Feiern dem Kampf vor. Dies ist erstaunlich, da das Feiern von Festen auch in Athen eine hohe Priorität hatte. 1369 Durch den Ausdruck παίζετε (IX, 11.1) im Vorwurf der Athener lässt sie der Text das Geschehen des zweiten Tages der Hyakinthien hervorheben: der Ausgelassenheit bei Tanz, Musik und Prozessionen. 1370 Das erweckt den Eindruck, als würden die Spartaner keinen Anteil am Schicksal ihrer hellenischen Bundesgenossen nehmen, auch wenn das Fest ganz unabhängig von der Kriegssituation stattfindet. Gegen diesen Vorwurf spricht, dass sich die Spartaner in der Darstellung der Historien bei der Schlacht von Marathon bemüht hatten, gleich nach den Karneien aufzubrechen, um den Athenern noch rechtzeitig beistehen zu können (VI, 120). Auch wenn die Spartaner ihre Feierlichkeiten dem militärischen Einsatz vorziehen, ist der Vorwurf, sie täten dies absichtlich und verrieten damit ihre Bundesgenossen, demensprechend nicht gerechtfertigt. Die Spartaner selbst nennen in den Historien kein einziges Mal direkt ein Fest als Grund für das Aufschieben ihrer militärischen Hilfe, um vermutlich eben diesen Verdacht zu vermeiden. Letztlich bekommen die Spartaner durch ihre Verzögerungen in den Historien zwei Charakterzüge zugewiesen: Erstens gelten sie als besonders strikt im Beachten religiös bedingter Regeln, 1371 wobei sich natürlich der Verdacht regt, dass sie ihren Festen die oberste Priorität zuweisen, um somit z. B. auf bestimmte Feldzüge verzichten zu können, wenn es ihnen für die momentane Lage günstiger erscheint. 1372 Zweitens werden sie dadurch - mit welchen Intentionen auch immer diese Verzögerungen entstehen - als zögerlich und unzuverlässig charakterisiert. 1373 1368 Zur umstrittenen Frage nach der Dauer der Hyakinthien siehe Popp (1959), S. 107/ Anm. 100; Pettersson (1992), S. 10 mit Anm. 11. Während dieses Festes herrschte Waffenruhe (vgl. Nilsson [1906], S. 130). Der Text selbst allerdings gibt aus erzählökonomischen Gründen keine weiteren Informationen zu den Hyakinthien. 1369 Vgl. dazu Anm. 1364. 1370 Vgl. How/ Wells (1912b), S. 290; Bruit Zaidman (1990), S. 164, S. 166; vgl. zur Verwendung von παίζειν an dieser Textstelle auch Popp (1959), S. 110/ Anm. 115. 1371 Zur besonders hohen Bedeutung religiöser Rituale und Festlichkeiten bei den Spartanern vgl. Flower (2018), S. 428 - 430, S. 435. 1372 Vgl. dazu Flower (2018), S. 428 - 430, S. 435. 1373 Die Spartaner werden auch in Thukydides ’ Darstellung in einer Rede der Korinther als Zauderer charakterisiert, als die Korinther sie endlich zum Kriegseintritt gegen Athen überreden möchten (Thuk. I, 68 - 71); vgl. auch Anm. 1361. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 409 <?page no="410"?> 4.2.2.2.4 Fest mit ungeplanten Folgen In den Historien wird deutlich, dass ein Fest auch unabhängig von einer Situation im Krieg sowohl für die Feiernden als auch für Personen, die nicht zur Festgemeinde gehören, gefährlich werden kann. An einer Textpassage wird ein Fest sogar einigen Personen zum Verhängnis, ohne dass es eine der agierenden Personen gezielt beabsichtigt: Nach der Seeschlacht vor Milet flüchten sich einige Chier nach Mykale, soweit sie entkommen können (VI, 16.1). Sie versuchen dann auf dem Landweg weiterzukommen und treffen in der Gegend von Ephesos ausgerechnet zu der Zeit ein, als die Frauen die Thesmophorien feiern ( ἐόντων τῇσι γυναιξὶ αὐτόθι Θεσμοφορίων - VI, 16.2). 1374 Da sie im Verdacht stehen, die Frauen überfallen zu wollen, werden sie von den Einwohnern von Ephesos getötet (VI, 16.2). Mit der Darstellung des Überfalls der Pelasger auf die Athenerinnen, die gerade in Brauron das Fest der Artemis feiern und dort entführt werden (VI, 138.1), 1375 stellt der Text an späterer Stelle einen Bezug zu den Geschehnissen in VI, 16.2 her. Eine starke Parallele findet sich dabei neben den rein von Frauen ausgeführten Kulten auch darin, dass die jungen Athenerinnen ihr Zuhause für die Zeit der Kultausübung genauso verlassen wie die Frauen, die die Thesmophorien feiern. Der Text gibt dem Leser so ein Beispiel dafür, dass es tatsächlich zu Vorfällen bei Festen, die von Frauen gefeiert werden, kommt. Somit erinnert der Text den Rezipienten durch die Darstellung der Entführung der Frauen in Brauron an den bereits geschilderten Vorfall bei Ephesos und 1374 Zu den Thesmophorien siehe Nilsson (1906), S. 313 - 325; Deubner (1969), S. 50 - 60; Parke (1987), S. 123 - 131; Burkert (1992), S. 252, S. 257; Burkert (2011), S. 364 - 370; Bremmer (2014), S. 170 - 177. Der Text selbst erwähnt, dass Griechen und Ägypter dieses Fest zu Ehren von Demeter feiern, wobei nur die Griechen den Namen Thesmophorien verwenden (II, 171.2); zur Umschreibung des Festes als τελετή vgl. Anm. 1331. Der herodoteische Erzähler möchte davon allerdings nur soviel berichten, wie er nach göttlichem Recht sagen darf ( καὶ ταύτης μοι πέρι εὔστομα κείσθω , πλὴν ὅσον αὐτῆς ὁσίη ἐστὶ λέγειν - II, 171.2; vgl. Anm. 1333): Es sei von den Töchtern des Danaos aus Ägypten zu den pelasgischen Frauen gekommen (II, 171.3). Später sei das Fest zusammen mit den Peloponnesiern durch die Dorer fast völlig verdrängt worden und wurde nur noch von den zurückgebliebenen Peloponnesiern und Arkadern bewahrt (II, 171.3). Weitere Informationen liefert der Text nicht. Als Mann kann Herodot ohnehin zumindest keine persönlichen Erfahrungen mit diesem Kult gesammelt haben. Denn von den drei Tagen, in denen die Frauen zusammen die Thesmophorien feiern und dabei sozusagen einen eigenen Staat gründen und dessen ‚ Präsidentinnen ‘ wählen, sind Männer strikt ausgeschlossen (vgl. Burkert [1992], S. 257). Zum gezwungenen Ausschluss von Männern aus Demeterkulten siehe auch Parke (1987), S. 27 und speziell bei den Thesmophorien siehe ebd., S. 124, S. 131; Asheri et al. (2007), S. 368; Hedrick Jr. (2007), S. 291; Parker (2011), S. 208; Burkert (2011), S. 365; Bremmer (2014), S. 170. 1375 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.2.2.1. 410 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="411"?> zeigt, dass der Verdacht der Epheser nicht unbegründet ist. 1376 Allerdings haben die Chier im Gegensatz zu den Pelasgern keine böse Absicht. Wären sie zu einer anderen Zeit gekommen und nicht zufällig zur Zeit der Thesmophorien, hätten sie als Schutzsuchende wohl einen anderen Empfang erfahren. Dabei ist auffällig, dass die geheimen Kultausübungen, die bei den häufig als Mysterien bezeichneten Thesmophorien nicht beschrieben werden können, 1377 auch ohne genaue Darstellung auf den dargestellten historischen Ablauf einwirken. Es ist nicht die Kultausübung an sich und auch keine Fehlinterpretation der Feier durch die Fremden, die hier zu einem fatalen Ende führt, sondern es ist die falsche Deutung aus einer dritten Perspektive: nämlich aus der Sicht der Männer von Ephesos, die die Chier beobachten, wie sie sich der Feier der Thesmophorien nähern. Das hier veranstaltete Fest beeinflusst daher die Wahrnehmung. Die nicht am Fest beteiligten Männer zeigen im Gegensatz zu den fröhlich feiernden Festteilnehmerinnen eine höhere Aufmerksamkeit und eine überhöhte Vorsicht, die den Chiern zum Verhängnis wird ( οὗτοι μέν νυν τοιαύτῃσι περιέπιπτον τύχῃσι - VI, 16.2). Das blutige Ende der Chier wiegt besonders schwer, da sie sich zuvor in der Schlacht bei Milet anders als viele andere Ionier tapfer dem Kampf gestellt hatten und diesem schließlich unter großen Verlusten entkommen konnten (VI, 14.3 - 15.2), um dann Opfer eines solchen Missverständnisses zu werden. An anderer Stelle wird den Feiernden selbst aufgrund eines Missverständnisses das eigene Fest zum Verhängnis. Der Text berichtet, dass die Ägypter 1376 Die These, dass Zusammenhänge zwischen einzelnen Textpassagen in Herodots Historien bestehen, die durch unsichtbare Bande auf unterschiedliche Weise miteinander verbunden sind und auf die der Text gar nicht oder zumindest nicht explizit eingeht, erörtert Griffiths anhand einiger ausgewählter Passagen in seinem Aufsatz ‚ Kissing cousins. Some curious cases of adjacent material in Herodotus ‘ (2001). Griffiths untersucht dort Passagen, die im Text nebeneinanderstehen und vordergründig von ganz unterschiedlichen Dingen handeln; vgl. dazu Anm. 1163. Die hier angesprochenen Textstellen VI, 16.2 und VI, 138.1 liegen im Text zwar recht weit auseinander, ihre thematische Verbindung aber ist offensichtlich: Beide Textstellen geben auf unterschiedliche Weise zu erkennen, dass Frauen der Gefahr eines Überfalls ausgesetzt sind, wenn sie außerhalb der Stadt ein Fest feiern. Hier handelt es sich um eine typische Technik des Textes in Herodots Historien, dass erst später etwas geschildert wird, was eine frühere Textpassage erklärt; vgl. dazu auch die im Text dargestellten Erklärungen für Kambyses ’ Wahnsinn, die rückwirkend seine vielen unbedachten Freveltaten begründen (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.1), sowie Kleomenes ’ Gewohnheit, ungemischten Wein zu trinken, von der explizit zumindest als eine mögliche Erklärung für seine Wahnsinnstaten erst nach der Darstellung aller seiner Untaten berichtet wird (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.3.1.2). 1377 Zur Bewertung der Thesmophorien als Mysterienkult siehe Anm. 1331. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 411 <?page no="412"?> immer dann, wenn ihnen der Apisstier erscheint, ein fröhliches Fest feiern (III, 27). 1378 Dafür ziehen sie ihre schönsten Kleider an und verbringen die Zeit in fröhlicher Feststimmung ( εἵματά τε ἐφόρεον τὰ κάλλιστα καὶ ἦσαν ἐν θαλίῃσι - III, 27.1). Dass mit diesem Fest eine Ausgelassenheit und Fröhlichkeit verbunden ist, wird hier explizit benannt: Die Feiernden befinden sich laut Text ἐν θαλίῃσι (III, 27.1). Mit θαλία wird Feststimmung impliziert und zudem ist mit diesem Begriff auch Überfluss verbunden, der dort in allem herrscht. 1379 Eben diese gute Stimmung wird den Festteilnehmern nun zum Verhängnis. An dieser Textstelle erweist sich allerdings nicht die damit einhergehende Ablenkung als problematisch, sondern die falsche Interpretation der Feststimmung. Denn der Apisstier sei genau in dem Moment erschienen, als gleichzeitig Kambyses nach seinen missglückten Feldzügen gegen die Aithiopier (III, 25) und Ammonier (III, 26) nach Memphis kommt (III, 27.1). Es ist kaum zu vermeiden, dass das Aufeinandertreffen der enttäuschten Stimmung des Kambyses und der fröhlichen Feststimmung nun zu einem Missverständnis führt. Schließlich kennt der Perser Kambyses diesen Festbrauch nicht und sieht den Grund für diese Freudenfeier in seinem soeben verlorenen Feldzug ( πάγχύ σφεας καταδόξας ἑωυτοῦ κακῶς πρήξαντος χαρμόσυνα ταῦτα ποιέειν - III, 27.2), weshalb er die Feierlichkeit als Provokation empfindet. 1380 Die Vorsteher von Memphis versuchen ihm zu erklären, aus welchem Grund diese Freudenstimmung tatsächlich vorherrscht ( οἱ δὲ ἔφραζον ὥς σφι θεὸς εἴη φανεὶς διὰ χρόνου πολλοῦ ἐωθὼς ἐπιφαίνεσθαι , καὶ ὡς ἐπεὰν φανῇ , τότε πάντες Αἰγύπτιοι κεχαρηκότες ὁρτάζοιεν - III, 27.3). Damit erhält auch der Rezipient der Historien eine Erläuterung zu diesem ägyptischen Festbrauch. Kambyses allerdings ändert seine Ansicht trotz der Erklärung nicht und lässt die Vorsteher als Lügner hinrichten (III, 27.3). Nun ruft Kambyses die Priester herbei, die ihm das Gleiche erklären wie zuvor schon die Vorsteher (III, 28.1). Daraufhin beabsichtigt der persische Großkönig, sich selbst davon zu überzeugen, ob denn der besagte Apisstier ein Gott ist, lässt ihn holen (III, 28.1) und verwundet ihn (III, 29.1). Dadurch, dass er den Apisstier verwunden kann, ist er sich sicher, kein göttliches Wesen vor sich zu haben (III, 29.2). 1381 Er spottet gegen die Priester 1378 Zu Apis und dem zugehörigen Kult siehe in Herodots Historien II, 153 und III, 28.2 - 3 sowie Bonnet (1952), S. 46 - 51; Hölbl (1981), S. 177 - 179; Asheri et al. (2007), S. 428. 1379 Zur Bedeutung von θαλίη siehe Anm. 367. Vgl. dazu auch die Verwendung von θαλίη in Xenophan. fr. 1, 12 D.-K: Dort beschreibt es den wörtlich ‚ blühenden Zustand ‘ in einem Symposion, bei dem es an nichts fehlt; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.6.1. 1380 Vgl. auch Schelske (2021), S. 188. 1381 McPhee (2018, S. 91) macht darauf aufmerksam, dass dieser Test nur aus Sicht eines Nicht-Ägypters sinnvoll sei, für den es keine Überschneidungen zwischen den Kategorien Gott und Tier sowie Göttlichkeit und Verletzbarkeit geben kann; vgl. Georges (1994), 412 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="413"?> und lässt sie auspeitschen sowie alle feiernden Ägypter töten (III, 29.2). Der Apisstier stirbt an seiner Wunde (III, 29.3) und das Fest für die Ägypter ist vorbei ( ὁρτὴ μὲν δὴ διελέλυτο Αἰγυπτίοισι - III, 29.3). Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die ausgelassene Stimmung ungewollt Ursprung des Zorns von Kambyses wird, dessen Charakter es nicht zulässt, rational über die Geschehnisse nachzudenken. Dadurch sterben die Vorsteher von Memphis, die Priester werden ausgepeitscht und die Feiernden letztendlich getötet. Das Fest wird durch Kambyses ’ Fehldeutung zerstört und so zum Gegenteil davon, was es ursprünglich war: Es wird vom Freudenfest zur Katastrophe für die Feiernden, aber auch für Kambyses, der aufgrund dieser Handlung nach Meinung der Ägypter dem Wahnsinn verfällt ( Καμβύσης δέ , ὡς λέγουσι Αἰγύπτιοι , αὐτίκα διὰ τοῦτο τὸ ἀδίκημα ἐμάνη - III, 30.1). 1382 4.2.2.3 Fazit: Das Fest als Gefahr Wie oben angenommen, 1383 sind von den dargestellten Auswirkungen aller Geschehnisse bei den hier besprochenen Festen nicht Einzelpersonen, sondern stets größere Teile einer Bevölkerung betroffen. Anders als bei den Symposionsdarstellungen, wo mehrmals gezielt einzelne Personen z. B. durch übermäßigen Weinkonsum in ruhiger und nicht-öffentlicher Atmosphäre wehrlos gemacht werden können, 1384 kann für die hier analysierten Feste festgestellt werden, dass stets nur die entstehenden Räume selbst durch die damit verbundene Ablenkung zum Mittel gegen die in ihnen Agierenden werden. Außerdem ist zu beobachten, dass Überfälle, die in der Darstellung der Historien bei Festen geschehen, von außen initiiert sind und nicht von innen durch Teilnehmer, worin sich diese Festszenen wiederum von den Symposions- und Gastmahlszenen unterscheiden. 1385 Wird ein Fest in der Darstellung der Historien also zum Ort eines Überfalls, ist daher eine Schilderung des Verlaufs der Feierlichkeit weniger entscheidend, als es bei der Darstellung einiger Symposia der Fall ist, bei denen z. B. gezielt Wein als Mittel eingesetzt wird, um Trunkenheit und damit Wehrlosigkeit zu erzeugen. 1386 Das Wissen über die genauen Abläufe während eines solchen Festes ist daher für die Logik der S. 192 f.; Widengren (1965, S. 137) betont, dass die altpersische Religion „ keine Symbole der Gottheit in Gestalt von Statuen oder Tieren “ kannte. 1382 Zur Analyse des in den Historien dargestellten wahnsinnigen Charakters von Kambyses siehe Kap. 4.1.3.1.1. 1383 Siehe S. 394. 1384 Vgl. dazu besonders Kap. 4.2.1. 1385 Vgl. dazu Kap. 4.2.3. 1386 Vgl. dazu Kap. 4.2.1 sowie Kap. 4.2.3.4. An keiner Stelle in der Darstellung der Historien spielt dagegen bei einem Fest für die Umsetzung eines Plans Weinkonsum eine Rolle; vgl. dazu Anm. 1310. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 413 <?page no="414"?> Erzählung nicht nötig. Deshalb können auch Mysterienfeiern auf diese Weise in den Historien Einfluss auf den Erzählverlauf nehmen. Es zeigt sich, dass das Feiern von Festen in der Darstellung der Historien besonders aufgrund der damit verbundenen Ablenkung zur Gefahr werden kann. Eine solche Ablenkung hat in den Historien an einigen Stellen negative Folgen für die Feiernden (I, 150.1: Eroberung von Smyrna / VI, 87: Gefangennahme von Athenern bei Sunion / VI, 138.1: Gefangennahme von Athenerinnen in Brauron). Bei den Vorfällen in Sunion und in Brauron handelt es sich jeweils um Aktionen gegen die Athener, um Rache zu nehmen bzw. Ausgleich für Verluste zu schaffen. Bei der Eroberung von Smyrna dagegen geht es um Machtzuwachs, nicht um Rache. Auffällig ist, dass die Überfälle auf Festteilnehmer in Herodots Historien stets nur von Griechen organisiert und auch nur gegen Griechen ausgeführt werden. Gezielte Gefangennahmen von Feiernden treten in den Historien sogar noch reduzierter nur bei athenischen Festen auf (VI, 87 / VI, 138.1). Dieses Vorgehen kann daher in Herodots Historien den Griechen als gezielt eingesetzte Angriffstaktik zugeschrieben werden. Denn niemals sind es z. B. die Perser, die auf die Idee kommen, ein Fest zu instrumentalisieren. Im Gegensatz zu den vielen ägyptischen und griechischen Festen, die öffentlich zelebriert werden, berichtet der Text mit dem Magophonia-Fest ( μαγοφόνια - III, 79.3) ohnehin von lediglich einem persischen Fest. Bei diesem Magophonia-Fest wird die Tötung der beiden Mager in Erinnerung gerufen und gefeiert, die die Herrschaft über Persien ohne Recht an sich gerissen hatten (III, 79). Unabhängig davon, in welchem Rahmen die Perser für gewöhnlich Feste feiern, 1387 kennen sie - wie 1387 Georges (1994, S. 195) stellt die persischen Festgewohnheiten den griechischen und ägyptischen gegenüber: „ Among Persians, celebrations were individual and private. “ Dabei verweist er auf I, 133.1 (ebd.). Der Text stellt in I, 133.1 den Geburtstag eines Persers als wichtigen Feiertag dar, indem er beschreibt, dass dieser Tag durch ein besonderes Mahl gefeiert wird (siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 4.1.2.1). Zudem berichtet er, dass der Geburtstag des Großkönigs ein besonderer Tag ist, an dem das Königsmahl ( βασιλήιον δεῖπνον - IX, 110.2) stattfindet. An diesem Tag haben alle Perser Anteil, da sie der Großkönig beschenkt (IX, 110.2; siehe dazu Kap. 4.2.3.2.3). Als Fest, ὁρτή , wie in den Historien häufig größere Feste umschrieben werden (I, 31.2 / I, 147.2 / I, 148.1+2 / I, 150.1 / I, 183.2 / I, 191.6 / II, 40.1 / II, 42.6 / II, 47.2 / II, 48.1+2 / II, 60.3 / II, 61.1 / II, 62.1 / II, 63.4 / II, 122.2 / II, 151.1 / III, 29.3 / III, 48.3 / III, 79.3 / III, 97.2 / IV, 7.2 / IV, 76.3+4 / IV, 180.2 / IV, 186.2 / V, 67.4 / V, 92 η .3 / zweimal in VI, 138.1 / zweimal in VIII, 65.4), bezeichnet der Text das Königsmahl allerdings nicht; vgl. dazu ἑορτή in LSJ, S. 601: „ feast, festival, holiday “ . Doch das Bild der hauptsächlich auf das Private beschränkten persischen Festkultur stimmt wohl nur mit der Darstellung überein, die der Text in den Historien von persischen Festen vermittelt. Denn auch die Perser kannten öffentliche Feste, wie z. B. das große Fest Mithras, Mithrak ā na, das zur Zeit der Achämeniden gefeiert wurde (siehe dazu Widengren [1965], S. 120 f., S. 228). Widengren (1965, S. 140 f.) hält es für möglich, dass es 414 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="415"?> auch die Ägypter und die Griechen - ihre eigenen Feste genau, wohingegen sie zu Kenntnissen über Feste anderer Kulturen nur durch Nachforschungen gelangen. So ist es, unabhängig von einem religiösen Skrupel gegenüber Kultfeiern, daher nicht verwunderlich, dass sowohl Perser als auch Ägypter und weitere Völker beim Vorgehen gegen andere Völker auf andere Maßnahmen zurückgreifen. Dies zeigt, dass der herodoteische Erzähler in den Historien keine Funktionalisierungen von öffentlichen Festen, die er selbst nicht näher kennt, beschreibt. So wird außer den Griechen keinem Volk ein eigenes öffentlich veranstaltetes Fest zum Verhängnis. Die Griechen dagegen, mit deren Festen der herodoteische Erzähler sowie seine Leser persönlich vertraut sind, können in der Darstellung der Historien, soweit sie eben Kenntnis von den Festen anderer Poleis haben, diese gezielt instrumentalisieren. Feste fremder Kulturen dagegen instrumentalisieren auch die Griechen an keiner Textstelle. Die Instrumentalisierung von Festen setzt also ein gewisses Vorwissen voraus. Denn bei Festen liegen einerseits geregelte Abläufe vor und andererseits sind diese auf bestimmte Tage festgelegt. 1388 Für die persische Eroberung Babylons spielt das zu dieser Zeit stattfindende Fest in Herodots Historien nur eine Nebenrolle. Denn dieses wird nicht explizit als Grund dafür angeführt, dass es den Persern gelingt, die dadurch abgelenkten Babylonier zu überraschen und ihre Stadt zu erobern. Der Text stellt durch die Angabe, die Babylonier würden ein Fest feiern, vor allem dar, dass sie trotz sich bei dem in den Historien erwähnten Magophonia-Fest (III, 79.3) nicht um ein ‚ neues ‘ Fest handelt, sondern um das Mithrak ā na-Fest. Der Text umschreibt das Megaphonia- Fest als ὁρτή (III, 79.3). Obwohl nur ein größeres persisches Fest in den Historien erwähnt wird, wäre es falsch, daraus Rückschlüsse auf die gesamte persische Festkultur zu ziehen. Es ist insgesamt schwierig, eine homogene religiöse Ausrichtung im persischen Reich zur Zeit der achämenidischen Großkönige festzustellen (siehe dazu Henkelman [2008], S. 58 - 63). Henkelman (2008, S. 59) erläutert, man müsse im Fall des Achämenidenreichs von einer „‘ Persian religion ’“ sprechen „ and define that as the heterogeneous unity of religious beliefs and cultic practices that emerged from a long Elamite-Iranian coexistence and that were considered as native by the inhabitants of Achaemenid F ā rs and its rulers “ ; vgl. auch Hutter (2019), S. 9. Da Feste aber stark mit Religion verbunden sind, ist es demnach ebenso schwierig, ein einheitliches Bild über die Feierlichkeiten in Persien zu erlangen. Schon für das achämenidische Königshaus ist es nicht sicher, welcher religiösen Ausrichtung dieses als zugehörig bezeichnet werden kann; zur ungeklärten Frage, ob die Achämeinden selbst dem Zoroastrismus angehörten oder nicht, vgl. die Ausführungen von Widengren (1965), S. 142 - 149 und Skjærvø (2013), S. 562 f. 1388 Im Gegensatz dazu sind Momente der Nahrungsmittelbeschaffung während eines Feldzugs kulturell unabhängig. So verwundert es nicht, dass in der Darstellung der Historien solche Situationen nicht nur beim Vorgehen gegen ein Volk der eigenen Kultur ausgenutzt werden; vgl. dazu z. B. die Taktik der Skythen, die Perser immer bei der Aufnahme von Nahrung anzugreifen (IV, 128.2), sowie den Überfall der Perser auf Histiaios und sein Heer, als dieser versucht, Nahrung zu beschaffen (VI, 28.2). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 415 <?page no="416"?> Belagerungssituation ein glückliches Leben führen. So sind sich die Einwohner Babylons nicht im Klaren, dass sie sich in größter Gefahr befinden, sondern tanzen und erfreuen sich am Fest. Es ist die List des Kyros, den Flusspegel abzusenken, die zum Erfolg führt (I, 191). Sparta wird in den Historien als einzige Polis herausgestellt, die aufgrund ihrer Festkulte mehrmals eine militärische Unterstützung verzögert (VII, 206.1 und evtl. VI, 106.3: Karneien / IX, 7.1+11.1: Hyakinthien). So wird verbildlicht, dass religiöse Rituale, auch wenn sie in allen griechischen Poleis einen hohen Stellenwert einnehmen, bei den Spartanern besonders intensiv gepflegt werden. Der an die Spartaner gerichtete Vorwurf durch die Athener, die Spartaner würden aufgrund des Feierns der Hyakinthien ihre Bundesgenossen verraten (IX, 11.1), ist aufgrund der Geschehnisse bei den Thermopylen nicht überraschend, trifft jedoch, wie oben ausgeführt, 1389 in der dort dargestellten Situation wohl nicht die Wahrheit. Denn die Verzögerung der spartanischen Hilfe, als die Perser in Attika eingefallen waren, wird in der Darstellung der Historien in erster Linie nicht mit den Hyakinthien begründet, sondern mit anderen, taktischen Argumenten. Aber dennoch sind es eben explizit die Spartaner, die zu spät kommen, und so verstärkt es das Bild des - aus welchen Gründen auch immer - abwartenden und zu langsam reagierenden Spartas, wobei mit der Verzögerung jedes Mal Feste in Verbindung stehen. 1390 In Herodots Historien nehmen Feste somit mehrfach und auf unterschiedliche Weise Einfluss auf den geschichtlichen Verlauf. Dies wird sowohl daran ersichtlich, dass durch Feste Verzögerungen von militärischer Unterstützung begründet werden, als auch daran, dass Feste instrumentalisiert werden, um einen erfolgreichen Überfall durchzuführen. Auch die gezielte Einführung eines Festbrauchs nimmt Einfluss auf den dargestellten Geschichtsverlauf. Eine solche Initiative wird den Samiern und damit den Griechen zugeschrieben. Denn durch das Einführen eines Festbrauchs gelingt es den Samiern, einen Plan der Feinde, ebenfalls Griechen (= Korinther), zu vereiteln und die Knaben aus Kerkyra zu ernähren (III, 48.2 - 4). Es hat sich zudem gezeigt, dass es zu einem Missverständnis kommt, wenn in der Darstellung der Historien zwei Völker unterschiedlicher Kulturen während eines Festes aufeinandertreffen. Denn kulturell bedingte Bräuche sind fremden Völkern meist unbekannt. So entsteht ein fatales Missverständnis bei der Feier um den Apisstier in Ägypten (III, 27 - 29). Aber auch innerhalb einer Kultur sind 1389 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.2.2.3. 1390 Auch die Athener kommen um einen Tag später als ausgemacht nach Aigina und damit zu spät, um den Aigineten Nikodromos bei seinem Aufstand gegen die Aigineten zu unterstützen (VI, 88 - 90). Ein Fest spielt dabei jedoch keine Rolle. 416 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="417"?> Missverständnisse möglich, wenn falsche Konstellationen in der Zeit vorliegen. So treffen die Chier ausgerechnet zu der Zeit in der Gegend um Ephesos ein, als dort die Thesmophorien gefeiert werden. Die Epheser deuten nun das Ansinnen der Chier falsch und töten sie (VI, 16.2). Es zeigt sich bei diesen beiden Fehlinterpretationen, dass einmal die Angehörigen der Feiernden fäschlicherweise die fremden Ankömmlinge verdächtigen (VI, 16.2) und einmal die fremden Ankömmlinge die Festgemeinde (III, 27 - 29). Aus unterschiedlichen Perspektiven kann ein Fest daher zu Missverständnissen führen. Bei den Thesmophorien kommt hinzu, dass der Text bereits an einer früheren Stelle in den Historien zu erkennen gibt, dass der herodoteische Erzähler von den Geschehnissen während dieses Festes nicht detailliert berichten will (II, 171.2). Daher kann diese Feier in den Historien nur auf den Handlungsverlauf Einfluss nehmen, wenn dabei von den Vorgängen während des Festes nicht berichtet werden muss, also z. B. indem es wie hier zu einem Missverständnis bedingt durch eine bestimmte Zeitkonstellation kommt. Dass die beiden Feste in den Historien, mit denen jeweils eine Fehldeutung verbunden ist (III, 27 - 29 / VI, 16.2), und die Feste, die als Gründe für die Verzögerung von militärischer Unterstützung angeführt werden (VII, 206.1 und evtl. VI, 106.3 / IX, 7.1+11.1), im Kontext eines Krieges stehen, zeigt zudem, dass Fest und Krieg nicht problemlos vereinbar sind. In den Historien wird bei den Symposions- und Festszenen eine Übereinstimmung in der jeweils damit verbundenen Ablenkung von den alltäglichen Pflichten erkennbar, die auf diese Weise eine Intensivierung des Augenblicks bewirkt. Damit bieten beide Situationen einen geeigneten Raum für überraschende Vorfälle, außerordentliche Ereignisse oder verbildlichende Geschehnisse. Auffällig ist, dass es in der Darstellung der Historien bei Festen, wenn sie zu Orten für Überfälle werden, nur selten zum Mord kommt: Die Argeier entführen lediglich die Athener (VI, 87) und die Pelasger Athenerinnen (VI, 138.1). Smyrna wird zwar von den Männern aus Kolophon erobert, die Einwohner aber nicht bekämpft. Diese gehen letztlich sogar eine Vereinbarung mit den Ioniern aus Kolophon ein (I, 150). Es handelt sich dabei in jedem Fall um ein geplantes und taktisches Vorgehen. Im Gegensatz dazu kommt es beim Gastmahl bzw. Symposion, wenn diese Situationen für einen Überfall instrumentalisiert werden, häufig zum Mord, was im folgenden Kapitel untersucht wird. 1391 Der wohl auffälligste Unterschied zwischen Symposion und Fest liegt, wie bereits festgestellt, 1392 darin, dass das Symposion eine nicht-öffentliche Ein- 1391 Siehe dazu besonders Kap. 4.2.3.2.1, Kap. 4.2.3.3 und Kap. 4.2.3.4. 1392 Vgl. dazu S. 394. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 417 <?page no="418"?> richtung mit begrenzter Teilnehmeranzahl ist, während das gewöhnliche Fest seinen Platz in der Öffentlichkeit hat. Für Straf- oder Racheaktionen gegen Personen, die einer Einzelperson Unrecht zugefügt haben, bieten daher das Symposion bzw. das Gastmahl in den Historien geeignetere Orte. 1393 Feierlichkeiten dagegen ermöglichen es, ganze Städte zu involvieren oder ganze Völker zu charakterisieren, wie z. B. die zaudernden Spartaner wegen des Aufschubs von militärischer Hilfeleistung aufgrund von Festlichkeiten. 4.2.3 Das Gastmahl als Ort trügerischen Sicherheitsgefühls Durch die Darstellung eines Gastmahls oder Symposions erschafft der Text einen nicht-öffentlichen Raum, dessen vertrauensvolle Atmosphäre für Aktivitäten geeignet ist, die vor der Öffentlichkeit verschlossen bleiben sollen. 1394 Denn das Gefühl, sich in einem geregelten Raum zu befinden und durch die Institution der Gastfreundschaft geschützt zu sein, verspricht zwar Sicherheit, macht zugleich aber nachlässig und damit verletztlich. Das Vertrauen eines Gastfreundes auszunutzen, ist frevelhaft, aber zielführend. Denn Freunde sind, wie schon Theognis schreibt, leichter zu hintergehen als Feinde (Thgn. 1219 - 1220 West): 1395 ἐχθρὸν μὲν χαλεπὸν καὶ δυσμενῆ ἐξαπατῆσαι Κύρνε· φίλον δὲ φίλωι ῥάιδιον ἐξαπατᾶν . Einen Feind zu betrügen ist sogar für den, der ihm übel gesonnen ist, schwer, Kyrnos, einem Freund aber ist es leicht den Freund zu betrügen. (Übersetzung: Hansen [2005]) Im Folgenden möchte ich zunächst anhand von drei Beispielen herausarbeiten, inwiefern in der Darstellung der Historien das Vertrauen funktionalisiert wird, das in einer (Gast-)Freundschaft vorherrscht (Kap. 4.2.3.1). Anschließend untersuche ich mehrere Darstellungen von Gastmählern, die auf unterschiedliche Art und Weise zu zentralen Bestandteilen von Racheplänen werden (Kap. 4.2.3.2) oder als Gelegenheiten genutzt werden, um ein Verbrechen unmittelbar in die Tat umzusetzen (Kap. 4.2.3.3). Schließlich möchte ich auf eine im Text explizit als Symposion beschriebene Situation eingehen, bei der es ebenfalls zu einem Verbrechen kommt (Kap. 4.2.3.4). Im Vordergrund dieser Untersuchungen soll die Frage stehen, inwiefern die Gastmähler in der Darstellung von Herodots Historien eine geeignete Szenerie für die Umsetzung von Racheplänen oder 1393 Siehe dazu besonders Kap. 4.2.3.2, Kap. 4.2.3.3 und Kap. 4.2.3.4. 1394 Vgl. dazu Kap. 2.2.3.6.2. 1395 Vgl. Blondell (1989), S. 34. 418 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="419"?> Überfällen bieten, und welche besondere Rolle dabei dem Symposion zukommt, das der Text als Ort für einen Überfall (nur) speziell in einem Fall anführt. 4.2.3.1 Das ausgenutzte Vertrauen unter Freunden Ich möchte nun also zuerst auf drei Erzählungen in den Historien eingehen, in denen die Akteure das Vertrauen ihres Freundes und Tischgenossen (Dareios - Histiaios), ihres Gastes (Paionios 1396 - Hermotimos) oder Gastfreundes (Themison-Etearchos) ausnutzen. 4.2.3.1.1 Dareios und Histiaios Der Text berichtet im fünften Buch, wie Dareios nach Histiaios schicken lässt, um ihn als Berater zunächst zu sich nach Sardes zu ordern (V, 24.1 - 2). Histiaios vertraut Dareios ’ Worten, fühlt sich geehrt, dessen Berater werden zu können, und reist nach Sardes ( τούτοισι τοῖσι ἔπεσι πιστεύσας ὁ Ἱστιαῖος καὶ ἅμα μέγα ποιεύμενος βασιλέος σύμβουλος γενέσθαι ἀπίκετο ἐς τὰς Σάρδις - V, 24.2). Dort schmeichelt ihm Dareios, wobei er ihn als verständigen und wohlwollenden Freund bezeichnet ( ἀνὴρ φίλος συνετός τε καὶ εὔνοος - V, 24.3). Gleichzeitig schlägt er Histiaios vor, als Tischgenosse ( σύσσιτος - V, 24.4) 1397 und Berater ( σύμβουλος - V, 24.4) mit ihm nach Susa zu gehen. 1398 Histiaios bricht daraufhin zusammen mit Dareios auf (V, 25.1). Er ahnt noch nicht, dass Dareios die enge Bindung lediglich benutzt, um ihn dauerhaft von Thrakien fernzuhalten. 1399 Histiaios hatte einst die thrakische Gegend Myrkinos von Dareios zum Lohn für seinen Einsatz zum Erhalt der Schiffbrücke über den Bosporus erhalten (V, 11). Diese Brücke ermöglichte Dareios ’ Heer den Rückzug aus dem Land der Skythen. Megabazos bemerkt allerdings, dass Histiaios 1396 Anders als z. B. Hude, der die Lesart Πανιώνιος verwendet, entscheidet sich Wilson in seiner Textausgabe für Παιώνιος . 1397 Zur Bedeutung von σύσσιτος siehe Anm. 919. 1398 Siehe dazu auch die Ausführungen von Ruberto (2009), S. 60 - 62, S. 67 f. 1399 Austin (1990, S. 302) hebt die Loyalität hervor, die Dareios gegenüber denjenigen aufbringt, die ihm gute Dienste erweisen und denen er daher vertraut. Dieser Charakterzug des Dareios zeigt sich auch in dessen Aussage in Herodots Historien: Nichts sei für ihn wertvoller als ein verständiger und wohlwollender Freund ( ἐγνωκὼς ὅτι κτημάτων πάντων ἐστὶ τιμιώτατον ἀνὴρ φίλος συνετός τε καὶ εὔνοος - V, 24.3). Auch wenn die Freundschaft zu Histiaios, wie es der Text in Herodots Historien zu erkennen gibt, zum Mittel des Dareios wird, Histiaios dauerhaft aus Thrakien fortzubekommen (V, 23 - 24), erhält dieser eine starke und einflussreiche Vertrauensposition bei Dareios (vgl. Austin [1990], S. 302), allerdings ohne weiterhin eine direkte Machtposition zu besitzen (vgl. Herman [1987], S. 39 f.). Dafür, dass mit der Ehre, Tischgenosse des Großkönigs zu werden, zugleich auch eine enge Bindung an den Großkönig gegeben ist, vgl. Briant (2002), S. 318 f.; Flower/ Marincola (2002), S. 129 bzw. Anm. 919 in der vorliegenden Arbeit. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 419 <?page no="420"?> bereits eine Mauer um Myrkinos errichten lässt, und warnt Dareios, da er befürchtet, Histiaios könnte einen Aufstand planen (V, 23). Um dies zu verhindern, versucht Dareios, Histiaios nun in Susa festzuhalten (V, 24). Letztendlich geht Dareios ’ Plan allerdings zu seinen eigenen Ungunsten aus. Denn da es Histiaios später für ein großes Unglück hält, sich dauerhaft in Susa aufhalten zu müssen ( συμφορὴν ποιεύμενος μεγάλην τὴν ἑωυτοῦ κατοχὴν τὴν ἐν Σούσοισι - V, 35.4), stachelt er von dort den eh schon wankenden Aristagoras durch eine geheime Botschaft zum Abfall der Milesier von den Persern an (V, 35). Der Ionische Aufstand beginnt. 4.2.3.1.2 Paionios und Hermotimos Dass es jedoch in der Darstellung der Historien auch zum Erfolg führen kann, wenn Vertrauen instrumentalisiert wird, wird an einer Anekdote im achten Buch ersichtlich: Paionios und Hermotimos treffen sich nach vielen Jahren wieder. Es wird beschrieben, dass Paionios seinen Lebensunterhalt damit verdient, schöne Knaben zu kaufen, sie zu kastrieren und als Eunuchen in Sardes und Ephesos teuer weiterzuverkaufen (VIII, 105.1). Hermotimos war einst einer dieser Knaben (VIII, 105.1). Er erkennt seinen Peiniger wieder, beginnt mit ihm zunächst ein freundliches Gespräch ( ἐπιγνοὺς δὲ ἔλεγε πρὸς αὐτὸν πολλοὺς καὶ φιλίους λόγους - VIII, 106.2), wobei er aufzählt, welche Vorteile er ihm verdanke, und verspricht, ihm etwas Gutes als Gegenleistung zukommen zu lassen ( οἱ ὑπισχνεύμενος ἀντὶ τούτων ὅσα μιν ἀγαθὰ ποιήσει - VIII, 106.2). Paionios solle zudem seine Angehörigen herbeiholen ( ἢν κομίσας τοὺς οἰκέτας - VIII, 106.2). Aufgrund der freundlichen Worte des Hermotimos wittert Paionios offenbar keine Gefahr und holt seine Frau und seine Kinder (VIII, 106.2). In welchem Rahmen genau dieses Treffen stattfindet, beschreibt der Text nicht. Der Rezipient erfährt lediglich den geographischen Ort des Geschehens, Atarneus (VIII, 106.1). Dadurch, dass Paionios aber, wie Hermotimos später sagt, von den Göttern in seine Hand ausgeliefert worden sei ( οἵ σε [ … ] ὑπήγαγον ἐς χεῖρας τὰς ἐμάς - VIII, 106.3), liegt die Vermutung nahe, dass er und seine Familie sich ohne Schutz durch die Öffentlichkeit in Hermotimos ’ Haus befinden. Als Hermotimos nun Paionios und dessen Kinder in seiner Gewalt hat, zwingt er Paionios, seine vier Söhne zu kastrieren, und anschließend die Söhne, ihren Vater (VIII, 106.3 - 4). Die Verpflichtung des Gastgebers zum Schutz des Gastes wird hier um der Rache willen gebrochen. 1400 Der Text selbst bezeichnet Hermotimos ’ Vergeltung als μεγίστη τίσις (VIII, 105.1) und hebt damit deren verheerende Dimension für Paionios hervor. Nach antiker 1400 Zu dieser Verpflichtung siehe Kap. 2.1.2.1. 420 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="421"?> Moral ist Rache im richtigen Maß gerechtfertigt. 1401 So wie es die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit zwischen Gast und Gastgeber gibt, lässt sich auf konträrer Seite eine Art Gegenseitigkeit zwischen Verbrechen und Gegenschlag ausmachen. 1402 Der Text besagt hier zum einen in Hermotimos ’ Rede, dass die Götter Paionios auf gerechte Weise in Hermotimos ’ Hände zur Rache ausgeliefert haben ( ἐδόκεές τε θεοὺς λήσειν οἷα ἐμηχανῶ τότε · οἵ σε ποιήσαντα ἀνόσια , νόμῳ δικαίῳ χρεώμενοι , ὑπήγαγον ἐς χεῖρας τὰς ἐμάς - VIII, 106.3), zum anderen, dass mit Hermotimos, der nun als Mensch die göttliche Rache (= τίσις ) stellvertretend für die Götter ausführt, Rache für seine Vergehen über Paionios kommt ( Παιώνιον μέν νυν οὕτω περιῆλθε ἥ τε τίσις καὶ Ἑρμότιμος - VIII, 106.4). 1403 Rache zu nehmen ist für Hermotimos offensichtlich gerechtfertigt. Ob die Rache aber auch in ihrem Ausmaß angemessen ist, lässt der Text offen, da er nicht erwähnt, ob bzw. welche Auswirkungen Hermotimos ’ Tat hat. 1404 An anderer Stelle in den Historien führt der Text dagegen eindrucksvoll am Schicksal von Pheretime aus (IV, 205), dass übertriebene Rache gravierende Folgen nach sich zieht: Pheretime lässt durch Unterstützung des persischen Satrapen in Ägypten, Aryandes, ein persisches Heer gegen Barka ziehen, den Ort, an dem ihr Sohn Arkesilaos starb (IV, 164.4). Denn durch eine Belagerung versucht sie, den oder die Mörder ihres Sohnes ausfindig zu machen (IV, 200). Durch einen listigen Eid gelingt es den Persern, in die Stadt zu gelangen (IV, 201). Pheretime lässt die Hauptschuldigen kreuzigen, deren Frauen misshandeln und alle anderen ebenfalls Schuldigen gibt sie den Persern als Sklaven (IV, 202). Pheretime stirbt nach dieser Rache einen furchtbaren Tod: Sie wird von Maden zerfressen (IV, 205). Der Text betont, dass überhöhte Rachsucht den Neid der Götter provoziere ( ὡς ἄρα ἀνθρώποισι αἱ λίην ἰσχυραὶ τιμωρίαι πρὸς θεῶν ἐπίφθονοι γίνονται - IV, 205). 1405 Ein Gegenschlag für die übertriebene Rache ist also erforderlich, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und den 1401 Vgl. dazu Gehrke (1987), S. 129 f. Zur Rache in Herodots Historien siehe De Romilly (1971); Fisher (2002), S. 214 - 217; Rengakos (2011), S. 371. 1402 Vgl. dazu Gehrke (1987), S. 131 f. Die Rache(pflicht) sei besonders verbindlich, da sie „ in ein im griechischen Normenkodex wichtiges Beziehungsfeld eingebettet ist, in eine Art von Erwiderungsmoral “ (Gehrke [1987], S. 131); vgl. dazu auch Blondell (1989), S. 26 - 51, bes. S. 31. Zu Gegenseitigkeit der Gastfreundschaft siehe Kap. 2.1.2.2. 1403 Vgl. How/ Wells (1912b), S. 271; Rengakos (2011, S. 371): „ Grundlegend ist bei Herodot der Glaube an einen kreisförmigen, gesetzmäßigen historischen Prozess [ … ]. Ein Grundelement dieses Prozesses ist auf menschlicher Ebene die Rache für erlittenes Unrecht und auf göttlicher die Bestrafung von Unrecht ( τίσις ). “ 1404 Vgl. Fisher (2002), S. 215 1405 Vgl. Blondell (1989, S. 56), die in der Darstellung von Pheretimes Rache ein Beispiel dafür sieht, dass überzogene Rache als abscheulich dargestellt wird und der göttlichen Missbilligung unterliegt; vgl. auch Fisher (2002), S. 214 f. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 421 <?page no="422"?> φθόνος der Götter zu besänftigen. 1406 Für die Rache von Hermotimos jedoch erwähnt der Text keine Folgen, obwohl er dabei die Regeln der Gastfreundschaft bricht. 1407 Damit erweckt der Text den Eindruck, dass Hermotimos ’ Rache das angemessene Maß nicht überschreitet. Es zeigt sich somit, dass ein Vergehen gegen die gastfreundschaftlichen, religiösen Verpflichtungen in der Darstellung der Historien nicht in jeder Situation als Frevel bewertet wird. 1408 4.2.3.1.3 Themison und Etearchos Die Gastfreundschaft zwischen Themison und Etearchos, von der der Text im vierten Buch im Zuge der Wiedergabe der Erzählung der Kyrenaier (IV, 154.1) über ihren König Battos und die Gründung ihrer Stadt berichtet, liegt ebenso einem Vertrauensbruch zugrunde. Der Stiefmutter von Etearchos ’ Tochter Phronime gelingt es durch Verleumdungen, ihren Gatten zu überreden, seine Tochter zu töten (IV, 154.2). Etearchos fasst einen Plan und lädt nun Themison ein, der aus Thera stammt, sich aber als Händler in Oaxos aufhält ( ἦν γὰρ δὴ Θεμίσων ἀνὴρ Θηραῖος ἔμπορος ἐν τῇ Ὀαξῷ - IV, 154.3). Etearchos nimmt ihn auf und lässt ihn schwören, auszuführen, worum auch immer er ihn bitte ( τοῦτον ὁ Ἐτέαρχος παραλαβὼν ἐπὶ ξείνια ἐξορκοῖ ἦ μέν οἱ διηκονήσειν ὅ τι ἂν δεηθῇ - IV, 154.3) 1409 . Diesen Eid leistet Themison somit, nachdem er gastfreundschaftlich aufgenommen worden war, 1410 sodass der Eid als Gegenleistung für die Aufnahme angesehen werden kann. Da Themison als Gast von seinem Gastgeber normalerweise nichts zu befürchten hat, scheint er keinerlei Bedenken zu haben, gegenüber Etearchos diesen Eid abzulegen. Diese Anekdote erinnert stark an die Erzählung von Ariston und Agetos (VI, 62). 1411 Denn dort verpflichtet sich Agetos gegenüber seinem Freund Ariston, einen beliebigen Wunsch zu erfüllen. Im Unterschied zu der Beziehung zwischen Etearchos und Themison besteht allerdings zwischen Ariston und Agetos keine gastfreundschaftliche Verpflichtung. Es ist die Philia, auf die Agetos vertraut 1406 Zum φθόνος in Herodots Historien vgl. Anm. 635. 1407 Hornblower (2003, S. 43) bewertet die Rache des Hermotimos ’ als überzogen, als „ dramatic escalation “ . Mit Blick auf die Bestrafung von Pheretimes übertriebener Rache durch die Götter bemerkt er (ebd.), dass den Göttern „ excessive revenges “ vielleicht nur dann missfielen, wenn diese durch Frauen ausgeführt werden. 1408 Vgl. dazu die Ausführungen zum Entwicklungsprozess der Bedeutung von Gastfreundschaft, der auch in Herodots Historien erkennbar wird, auf S. 59 - 61 mit Literaturverweisen. 1409 Zur Formulierung ἐπὶ ξείνια παραλαμβάνειν als Ausdruck einer gastfreundschaftlichen Aufnahme siehe Kap. 2.2.5.9. 1410 Zur Verpflichtung durch einen Eid siehe Anm. 422; Themison muss sein durch Eid gegebenes Versprechen einhalten, wenn er eine göttliche Strafe vermeiden möchte. 1411 Zur Erzählung von Ariston und Agetos siehe Kap. 2.2.4.2. 422 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="423"?> und enttäuscht wird. Bei Etearchos und Themison ist es dagegen die Xenia, die das trügerische Vertrauen schürt. 1412 Jedoch zeigt sich, dass Etearchos keinerlei Skrupel hat, seinem Gastfreund einen mörderischen Auftrag aufzubürden. Er beauftragt Themison daher, seine Tochter ins Meer zu stürzen ( καταποντῶσαι - IV, 154.3). 1413 Dieser möchte den Mord an Phronime nicht begehen, ist aber durch seinen Eid gebunden und fühlt sich daher von seinem Gastfreund durch diesen Eidbetrug ( τῇ ἀπάτῃ τοῦ ὅρκου - IV, 154.4) hintergangen. Der Missbrauch der Gastfreundschaft wird besonders daran deutlich, da der Text beschreibt, dass Themison die Gastfreundschaft zu Etearchos aufkündigt ( ὁ δὲ Θεμίσων περιημεκτήσας τῇ ἀπάτῃ τοῦ ὅρκου καὶ διαλυσάμενος τὴν ξεινίην ἐποίεε τοιάδε - IV, 154.4), bevor er sich auf den Weg macht, um seinen bereits geleisteten Eid zu erfüllen. Während die Xenia zwischen Themison und Etearchos gezielt aufgelöst wird, wird über die Philia zwischen Ariston und Agetos nichts weiter erwähnt. Dass sie nach Aristons List (VI, 62) weiterbesteht, ist allerdings unwahrscheinlich. Dieses gastfreundschaftliche Verhältnis besteht hier zwischen zwei Partnern unterschiedlicher sozialer Schichten. Themison gehört als ἔμπορος (IV, 154.3) im Gegensatz zum βασιλεύς Etearchos (IV, 154.1) nicht dem aristokratischen Stand an. 1414 Zudem befinden sie sich auch nicht in einer gleichen Lebenssituation, die die Gastfreundschaft trotz sozialer Ungleichheit sichern könnte. Die Voraussetzung für die ideale Harmonie in einer gastfreundschaftlichen Beziehung ist somit nicht gegeben. 1415 Das Scheitern dieser Gastfreundschaft und deren daraus resultierende Auflösung wird zwar in der Darstellung der Historien nicht mit dem sozialen Unterschied der Gastfreunde begründet, dennoch ist auffällig, dass Etearchos gezielt Themison, den Kaufmann aus 1412 Dass eine gastfreundschafltiche Verbindung auch auf staatlicher Ebene instrumentalisiert werden kann, zeigt der Text, als er davon berichtet, wie Kambyses versucht, ein Gastfreundschaftsangebot an den Aithipierkönig vorzutäuschen (III, 17.2 / III, 21.1). Allerdings schlägt Kambyses ’ Plan, die Aithiopier auf diese Weise auszuspionieren, fehl, da der Aithiopierkönig die Kundschafter durchschaut (III, 21.2). 1413 Zur Strafe des καταποντισμός siehe Corcella (in Asheri et al. [2007], S. 681) mit Verweis auf Glotz (1906), S. 86 - 88 und Gallini (1963). 1414 Vgl. Herman (1987), S. 34/ Anm. 74; Köster (2011), S. 140/ Anm. 746. Der Emporos gehörte als Mann, der im Seehandel tätig ist, dem Handelsstand an (vgl. Austin/ Vidal-Naquet [1984], S. 44, S. 257) und damit einer Schicht, die ihren Lebensunterhalt durch einen Beruf erwirtschaften musste. Er hatte in der Regel nur ein geringes Einkommen und musste sich häufig zunächst verschulden, um eine Handelsladung zu kaufen (vgl. Mossé [1993], S. 54 f.), „ in der Hoffnung, daß ihnen von den erzielten Gewinnen nach Begleichung von Schulden und Zinsen so viel übrigbliebe, daß sie wieder mit einer neuen Ladung in See stechen konnten “ (Mossé [1993], S. 55). 1415 Vgl. dazu Kap. 2.1.2.2 mit Anm. 162. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 423 <?page no="424"?> Thera, zu sich einlädt und es wagt, die Gastfreundschaft leichtfertig aufs Spiel zu setzen. 1416 Im Gegensatz zum Treffen zwischen Paionios und Hermotimos erwähnt der Text hier, dass Themison von Etearchos gastfreundschaftlich eingeladen wird und daher auch eine Bewirtung anzunehmen ist ( παραλαβὼν ἐπὶ ξείνια - IV, 154.3). 1417 Dass das Gespräch zwischen Themison und Etearchos und die Eidabnahme im Kontext eines Gastmahls vorzustellen ist, ist hier also durch die Formulierung ἐπὶ ξείνια παραλαμβάνειν impliziert. Die genauere Beschreibung dieses möglichen Gastmahls ist für den Text allerdings überflüssig und daher auch nicht gegeben. Auf jeden Fall sind sich die Rezipienten der mit dem Gastmahl und Gastfreundschaft verbundenen Regeln bewusst, die hier von Etearchos durchbrochen werden. Themison befindet sich im Zwiespalt zwischen dem Erfüllen seines Eides sowie seiner Pflicht als Gastfreund und allgemeinen Erwägungen zur Menschlichkeit. 1418 Er findet schließlich eine kluge Lösung, mit der er den Eid - er solle Etearchos ’ Tochter ins Meer werfen - erfüllt, den Mord aber umgeht, indem er Phronime an Seile gebunden nach dem Eintauchen in das Meer wieder hervorholt ( κατῆκε ἐς τὸ πέλαγος , ἀνασπάσας δὲ ἀπίκετο ἐς τὴν Θήρην - IV, 154.4). Diese Erzählung verdeutlicht also, dass eine ritualisierte Institution wie die Gastfreundschaft aufgrund der gegenseitigen Verpflichtungen leicht ausgenutzt werden kann - gerade dann, wenn einer der beiden Partner auf deren Bestand keinen Wert legt. Diese Gefahr besteht daher vor allem bei Partnern unterschiedlicher sozialer Schichten. Der Zwang, seinen Gastfreund zu schützen und ihm nicht eine solche Last aufzubürden, ist für Etearchos offensichtlich nicht gegeben. 1419 Er weiß aber um die Konventionen der Gastfreundschaft und instrumentalisiert sie für seine Zwecke, sodass er in Themison auf diese Weise eine praktische Möglichkeit findet, den auf Lügen basierenden Rat seiner Gattin auszuführen. Davon abgesehen wird durch diese Geschichte Battos, dem zukünftigen Gründer von Kyrene (IV, 155 - 158), eine besondere Lebensgeschichte zugeschrieben. Denn durch die Erzählung des außergewöhnlichen Lebens von Battos ’ Mutter Phronime, die nur dank Themisons klugem Einfall überlebt, wird zugleich auch das Leben ihres Sohnes besonders. 1416 Vgl. Köster (2011), S. 140/ Anm. 746. 1417 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.9. 1418 Vgl. Herman (1987), S. 123. 1419 Dass er damit einen Frevel begeht, erwähnt der Text nicht. Vgl. dazu die Ausführungen zum Entwicklungsprozess der Bedeutung von Gastfreundschaft, der auch in Herodots Historien erkennbar wird, auf S. 59 - 61 mit Literaturverweisen. 424 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="425"?> 4.2.3.2 Das Gastmahl als Instrument der Rache Die mit einer gastfreundschaftlichen Beziehung verbundenen Konventionen werden in der Darstellung der Historien also mehrmals für die Umsetzung eines Plans missbraucht. Aber auch Gastmähler selbst stellt der Text als entscheidende Bestandteile von Racheakten dar. 1420 Diese Rachetaten zeichnen sich durch unterschiedliche Beweggründe aus und variieren in der Art ihrer Umsetzung. So berichtet der Text einerseits von Mählern, bei denen das Essen als Rachemittel instrumentalisiert wird (Kyaxares-Mahl - I, 73.5 - 6 / Harpagos- Mahl - I, 119), andererseits aber auch von einem bestimmten Brauch, der mit einem Mahl in Verbindung steht, und ausgenutzt wird (IX, 110 - 111). Bei der Untersuchung dieser Gastmähler sollen auch die Folgen aus diesen Racheaktionen Beachtung finden, die teils sehr gravierend sind. Das Gastmahl wird damit nicht nur zum Bestandteil einer Rachetat in einer abgeschlossenen Erzählung, sondern beeinflusst auch die Entwicklung des dargestellten geschichtlichen Verlaufs. Bei den einzelnen Gastmählern soll zudem herausgearbeitet werden, welche Informationen der Text über deren Struktur und Ablauf darlegt. 4.2.3.2.1 Das Kyaxares-Mahl Eines dieser Gastmähler, die Einfluss auf die Entwicklung des weiteren Erzählverlaufs nehmen, ist das Mahl beim Mederkönig Kyaxares, das oben bereits angesprochen wurde. 1421 Der Text berichtet davon, um zu klären, wie Astyages zum Schwager des Kroisos geworden ist ( γενόμενον γαμβρὸν Κροίσῳ ὥδε - I, 73.2). Die entscheidende Rolle dabei spielen Skythen, die zuvor als Schutzflehende zu den Medern gekommen und dort von König Kyaxares aufgenommen worden sind (I, 73.3). 1422 Der Text hebt hervor, dass Kyaxares diesen Skythen nicht nur Aufnahme gewährt, sondern sie sogar so sehr schätzt ( περὶ πολλοῦ ποιεόμενος αὐτούς - I, 73.3), dass er ihnen die Ausbildung seiner Kinder anvertraut (I, 73.3). Als die Skythen nun einmal erfolglos von der Jagd heimkommen, reagiert Kyaxares, der generell leicht in Zorn gerät, wie der Text bemerkt (( ἦν γὰρ , ὡς διέδεξε , ὀργὴν 1423 ἄκρος ) - I, 73.4), unangemessen hart 1420 Auch Coulet (1994, S. 62 f.) bemerkt mit Blick auf das Harpagos-Mahl (I, 119) und das Gastmahl der Nitokris (II, 100.2 - 3), dass die Gastmähler im Rahmen dieser Erzählungen dazu dienen, Rache zu üben; vgl. dazu Bowie (2003, S. 104/ Anm. 28): „ For the symposium as a place of revenge, cf. Nitocris ’ avenging of the death of her brother [ … ] “ . Für das Harpagos-Mahl siehe Kap. 4.2.3.2.2 und für das Gastmahl der Nitokris Kap. 4.2.3.3. 1421 Siehe Kap. 4.2.1.1, wo die Verbindung des Kyaxares-Mahls mit dem in I, 106.2 ebenfalls als instrumentalisiert dargestellten Gastmahl zwischen Skythen und Medern untersucht wird. 1422 Zur Hikesie siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.1. 1423 Zur Bedeutung von ὀργή siehe Anm. 951. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 425 <?page no="426"?> ( τρηχέως κάρτα περιέσπε ἀεικείῃ - I, 73.4). Da sich die Skythen dadurch unwürdig behandelt fühlen ( ὥστε ἀνάξια σφέων αὐτῶν πεπονθότες - I, 73.5), planen sie eine grausame Tat. So schlachten sie eines der Kinder, die sie unterrichten, bereiten es Kyaxares wie ein Tier zum Mahl vor und lassen es ihm servieren ( σκευάσαντες δὲ αὐτὸν ὥσπερ ἐώθεσαν καὶ τὰ θηρία σκευάζειν - I, 73.5). Dieser isst nun zusammen mit seinen Gästen ( καὶ οἱ παρεόντες δαιτυμόνες - I, 73.6) von dem Fleisch ( τῶν κρεῶν τούτων ἐπάσαντο - I, 73.6) 1424 . Das Essen selbst wird damit offensichtlich zum Akt der Rache, sodass der Text dies nicht explizit ausdrücken muss. Das Vergehen der Skythen wirkt dadurch besonders schändlich, da sie zuvor durch Kyaxares als Schutzsuchende Aufnahme erfahren haben (I, 73.3). Auch wenn der Vorgang dieses Gastmahls nur auf einen halben Satz beschränkt ist ( καὶ γὰρ Κυαξάρης καὶ οἱ παρεόντες δαιτυμόνες τῶν κρεῶν τούτων ἐπάσαντο , [ … ] - I, 73.6), erfährt der Leser dennoch etwas über die dortige Situation. So wird die Anwesenheit anderer Gäste erwähnt, die als δαιτυμόνες bezeichnet werden. Durch die Verwendung dieses Ausdrucks hebt der Text das ‚ Teilen ‘ des Essens bzw. das gemeinsame Essen hervor. 1425 Somit wird den Lesern implizit bewusst, dass jeder der Anwesenden von dem Menschenfleisch isst. Neben Kyaxares werden also auch die anderen Gäste von den Skythen hintergangen, sodass auch von ihnen zu erwarten ist, dass sie Kyaxares ’ weiteres Vorgehen gegen diese Skythen unterstützen. Da der Text bereits zuvor erwähnt hat, dass er durch diese Erzählung erklären möchte, wie Astyages zum Schwager des Kroisos wird (I, 73.2), muss nun noch ein Bezug zu den Lydern hergestellt werden. Dies geschieht bereits durch die zweite Hälfte des Satzes, dessen erste Hälfte das Gastmahl umschreibt ( καὶ οἱ Σκύθαι ταῦτα ποιήσαντες Ἀλυάττεω ἱκέται ἐγένοντο - I, 73.5). Die Skythen hatten sich also nach dem Kyaxares-Mahl als Schutzflehende zu Alyattes, dem König der Lyder, begeben und Aufnahme erhalten (I, 73.6). Aufgrund dessen entsteht ein Krieg zwischen den Medern und Lydern (I, 74.1). Im sechsten Jahr dieses Krieges kommt es zu einer Sonnenfinsternis (I, 74.2), deren wundersame Erscheinung die beiden Kriegsparteien zum schnellen Friedensschluss drängt (I, 74.3). Dieser Friedensschluss wird durch die Ehe zwischen Alyattes ’ Tochter und damit Kroisos ’ Schwester Aryenis und Kyaxares ’ Sohn Astyages bekräftigt (I, 74.4). Ohne dem Kyaxares-Mahl wäre es nicht zu diesem Krieg zwischen Medern und Lydern gekommen und damit nicht zur Verschwägerung zwischen Kroisos und Astyages. Unter anderem aufgrund dieser Beziehung wiederum beabsichtigt Kroisos gemäß den Historien 1424 Zur Bedeutung von πατέεσθαι siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.7. 1425 Zur Bedeutungsanalyse von δαιτυμόνες siehe Kap. 2.2.5.5. 426 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="427"?> Astyages zu rächen, den der Perser Kyros zuvor besiegt hatte (I, 73.1 - 2 / I, 75.1 - 2). Die Voraussetzungen dafür, dass es Kyros gelingt, die Meder unter Astyages zu besiegen, liefert ein weiteres Mahl, das sogenannte Harpagos- Mahl. 4.2.3.2.2 Das Harpagos-Mahl Auch beim Harpagos-Mahl sind es die Geschehnisse beim Speisen im Rahmen eines Gastmahls, die für den Fortgang der Erzählung unentbehrlich sind. Dieses von Astyages organisierte Gastmahl ist kein zum Vergnügen veranstaltetes Bankett, sondern gezielt für die Bestrafung des Harpagos und zur Rehabilitierung von Astyages ’ Macht bereitet. 1426 Wie Hartmut Erbse formuliert, dient das Harpagos-Mahl als Erklärung dafür, warum später „ ausgerechnet ein Meder als Feldherr im Dienste des persischen Königs tätig ist. “ 1427 Durch Harpagos ’ Hilfe gelingt es Kyros, die Meder zu besiegen und damit das persische Großreich zu begründen. Ich möchte zunächst auf die Vorgeschichte eingehen, die klärt, was Astyages dazu veranlasst, an Harpagos Rache nehmen zu wollen. Harpagos hatte einige Jahre zuvor den Befehl des Astyages, Kyros, den Sohn seiner Tochter Mandane und eines Persers, zu töten (I, 108.4), nicht ausgeführt. Durch den Tod des Kyros hätte Astyages sein aus zwei Träumen (I, 107 / I, 108.1 - 3) gedeutetes Schicksal, er werde seine Herrschaft an seinen Nachkömmling verlieren, umgehen wollen. Astyages bewirkt allerdings gerade durch seine eigenen verzweifelten Versuche, seinem Schicksal zu entrinnen, dessen Erfüllung. Denn Harpagos fürchtet die Rache der Mandane (I, 109) und bringt daher das Königskind zu Mitradates, einem von Astyages ’ Rinderhirten, und befiehlt diesem, Kyros zu töten (I, 110). Aber auch Mitradates tötet das Kind nicht, sondern zieht Kyros heimlich bei sich auf (I, 111 - 113). So überlebt Kyros und wird nach einiger Zeit aufgrund seines königlichen Verhaltens im Kindesalter wiedererkannt (I, 114.1 - 116.1). Der Mederkönig lässt Kyros nach Absprache mit den Traumdeutern, in der Annahme, dass dieser nicht mehr im realen Leben herrschen werde, da er schon im Spiel König war, leben und schickt ihn nach Persien zu seinen leiblichen Eltern (I, 120 - 121). Gegenüber Harpagos verbirgt Astyages zunächst seinen Groll darüber ( Ἀστυάγης δὲ κρύπτων τόν οἱ ἐνεῖχε χόλον διὰ τὸ γεγονός - I, 118.1), dass dieser seinen Befehl missachtet hat (I, 118.1), und lädt ihn stattdessen mit der 1426 Müller (2009, S. 184 f.) ist der Meinung, dass Herodot als „ Kulisse “ für diese Erzählung gezielt ein Bankett ausgewählt habe, das nach seiner „ eigenen Lebenswelterfahrung “ als „ Plattform für Rangdarstellung und -konstitution “ Astyages ’ „ Autorität “ wiederherstellen konnte. 1427 Erbse (1992), S. 33. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 427 <?page no="428"?> heimlichen Absicht, Harpagos ’ Sohn zu schlachten und seinem Vater als Speise vorzusetzen, zum gemeinsamen Mahl ( πάρισθί μοι ἐπὶ δεῖπνον - I, 118.2). Er bittet Harpagos daher, seinen Sohn zu Kyros zu schicken (I, 118.2). Harpagos ahnt nichts vom Zorn des Astyages und denkt, unter gutem Vorzeichen zum Mahl geladen zu sein ( ἐπὶ τύχῃσι χρηστῇσι ἐπὶ δεῖπνον ἐκέκλητο - I, 119.1) 1428 . Astyages unterstützt diese Ansicht, indem er sagt, das Schicksal hätte sich zum Guten gewendet ( ὡς ὦν τῆς τύχης εὖ μετεστεώσης - I, 118.2). Die Beschreibung des Gastmahls ist etwas ausführlicher, als es beim Kyaxares-Mahl (I, 73.5 - 6) der Fall ist. Der Text gibt bekannt, dass neben Harpagos noch andere Gäste ( δαιτυμόνες - I, 119.4) geladen sind, deren Anzahl und Identität nicht genau genannt werden. Diese Gäste werden beim Harpagos-Mahl wie auch schon beim Kyaxares-Mahl (I, 73.6) als δαιτυμόνες bezeichnet. 1429 Doch im Gegensatz zum Mahl des Kyaxares, bei dem die Gäste ebenfalls vom Fleisch des Kindes essen, gibt der Text hier explizit zu erkennen, dass es nur Harpagos ist, der vom menschlichen Fleisch seines Sohnes isst, während den anderen Gästen und Astyages Lammfleisch serviert wird ( τοῖσι μὲν ἄλλοισι καὶ αὐτῷ Ἀστυάγεϊ παρετιθέατο τράπεζαι ἐπίπλεαι μηλέων κρεῶν , Ἁρπάγῳ δὲ τοῦ παιδὸς τοῦ ἑωυτοῦ - I, 119.4). Das Teilen, das durch den Begriff δαιτυμόνες impliziert wird, liegt beim Harpagos-Mahl also weniger darin begründet, dass die Mahlteilnehmer das Essen teilen, sondern darin, dass jedem das zugeteilt wird, was ihm gebührt. 1430 In diesem Fall gebührt Harpagos aus Sicht des Astyages als Strafe das Fleisch seines Sohnes. Anders als beim Kyaxares-Mahl trifft die Rache durch das kannibalische Mahl hier nur Harpagos und nicht die gesamte Mahlgemeinschaft. Dieses Gastmahl wird fünfmal als δεῖπνον bezeichnet (I, 118.2 / I, 119.1 / I, 119.4 / I, 129.1 / I, 129.3). Auf diese Weise hebt der Text hervor, dass das Essen im Vordergrund steht. 1431 Ob es noch zu einem Symposion zwischen Astyages und den anderen Gästen kommt, ist nicht ausgesagt, aber auch unerheblich. Denn Harpagos, der bei diesem Gastmahl die zentrale Rolle spielt, verlässt den Ort nach dem Mahl, als er erkannt hat, was er gegessen hatte (I, 119.7). Für die Handlung ist somit der genaue Ablauf des Gastmahls nicht entscheidend. Entscheidend ist das, was gegessen wird. Daher wird auch das Zubereiten des grausamen Mahls genau beschrieben ( Ἀστυάγης δέ , ὥς οἱ ἀπίκετο ὁ Ἁρπάγου παῖς , σφάξας αὐτὸν καὶ κατὰ μέλεα διελὼν τὰ μεν ὤπτησε , τὰ δὲ ἥψησε τῶν 1428 Zur Formulierung ἐπὶ δεῖπνον καλέειν siehe Kap. 2.2.5.6. 1429 Zur Bedeutungsanalyse von δαιτυμόνες siehe Kap. 2.2.5.5. 1430 Vgl. dazu Anm. 477. 1431 Zur Bedeutungsanalyse von δεῖπνον siehe Kap. 2.2.5.6. 428 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="429"?> κρεῶν , εὔτυκα δὲ ποιησάμενος εἶχε ἕτοιμα - I, 119.3). 1432 Auch das Servieren wird separat erwähnt, wobei eben hervorgehoben wird, dass nur für Harpagos das Fleisch seines Sohnes aufgetischt wird (I, 119.4). 1433 Dass es sich um Kannibalismus handelt, bekräftigt der Text dadurch, dass er die ‚ Speise ‘ als βορή bezeichnet, als er den Zeitpunkt beschreibt, an dem Harpagos genug gegessen hat ( ὡς δὲ τῷ Ἁρπάγῳ ἐδόκεε ἅλις ἔχειν τῆς βορῆς - I, 119.5). Durch βορή wird gewöhnlich der Fraß wilder Tiere bezeichnet und steht damit auf den Menschen übertragen oft in Verbindung mit einem kannibalischen Mahl. 1434 Auf diese Weise macht der Text den Wissensvorsprung der Rezipienten deutlich, die sich im Gegensatz zu Harpagos bereits bewusst sind, dass dieser seinen eigenen Sohn verspeist hat. Astyages gibt Harpagos schließlich zu erkennen, was sich hinter der Speise, die er gegessen hat, verbirgt, indem er Kopf, Hände und Füße von Harpagos ’ Sohn hereinbringen lässt. Der Text lässt Astyages nun indirekt fragen, ob Harpagos erkenne, welches Tier er gegessen habe ( εἰ γινώσκοι ὅτευ θηρίου κρέα βεβρώκοι - I, 119.6). Als Ausdruck für ‚ essen ‘ wird hier nun das mit βορή verwandte βιβρώσκειν verwendet, was auch als ‚ fressen ‘ übersetzt werden kann und meist in Verbindung mit wilden Tieren steht. 1435 Auf diese Weise lässt der Text durch seine Wortwahl, Astyages den Harpagos auf besonders erniedrigende Weise reizen. Denn zudem bezeichnet Astyages Harpagos ’ Sohn als θηρίον . Eine weitere Bezeichnung für dieses Mahl, die der Text dem Astyages in den Mund legt, als er sich in einer indirekten Frage erkundigt, ob Harpagos sich am Mahl erfreut habe, ist θοίνη ( Ἀστυάγης εἴρετό μιν εἰ ἡσθείη τι τῇ θοίνῃ - I, 119.5). Bei einer θοίνη liegt der Schwerpunkt auf dem gemeinsamen und festlichen Speisen. 1436 Die Bezeichnung des Harpagos-Mahls als Festessen durch θοίνη wirkt in Anbetracht dessen, dass Harpagos seinen Sohn isst, sarkastisch, wodurch der Text die Grausamkeit der Tat nochmals intensiv betont. 1437 1432 Schmitt Pantel (1992, S. 432) macht darauf aufmerksam, dass ausgerechnet dieses Mahl von den in Herodots Historien dargestellten persischen Mahlzeiten dasjenige ist, welches einem griechischen Opfermahl am ähnlichsten sei. Die „ normalité des gestes “ allerdings verdeutliche die enorme Grenzüberschreitung dabei, nämlich, dass das Opfer ein Mensch sei (ebd.). 1433 Coulet (1994, S. 62) hebt hervor, dass nur hier in Herodots Historien das Mahl selbst genauer beschrieben wird. 1434 Zur Bedeutung von βορή siehe die Ausführungen auf in Kap. 2.2.5.8. 1435 Zur Bedeutung von βιβρώσκειν siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.7. 1436 Zur Bedeutung von θοίνη sowie θοινᾶν siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.5.10. 1437 Das Verb θοινᾶν verwendet der Text insgesamt nur ein einziges Mal in den Historien und zwar, um das Vorgehen des Astyages, ebenfalls beim Harpagos-Mahl, zu umschreiben. Die Bezeichnung fällt allerdings erst später in den Historien - nach dem Sieg der Perser 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 429 <?page no="430"?> Harpagos allerdings bleibt trotz allem ruhig, sagt, er erkenne, was er gegessen habe, und betont, alles, was der König tue, tue er ihm zu Gefallen ( ὁ δὲ καὶ γινώσκειν ἔφη καὶ ἀρεστὸν εἶναι πᾶν τὸ ἂν βασιλεὺς ἔρδῃ - I, 119.7). Damit schafft Harpagos die Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung seines Racheplans. Denn Astyages vertraut trotz dieses grausamen Vergehens gegen ihn auf Harpagos. Durch diese Tat ermöglicht Astyages also den weiteren Verlauf seines eigenen Schicksals. Denn Harpagos ’ Rache besteht nun darin, Kyros von einem Kampf gegen Astyages zu überzeugen und dessen Erfolg zu gewährleisten (I, 123 - 124). Astyages bedenkt nicht, was er Harpagos durch dieses Mahl angetan hat und ernennt ihn - wie der Text beschreibt, von einer Gottheit verblendet ( ὥστε θεοβλαβὴς ἐὼν - I, 127.2) - 1438 zum Feldherrn im anstehenden Kampf gegen die Perser. Harpagos kann nun seinerseits seinen Racheplan in die Tat umsetzen, unterstützt Kyros und besiegelt auf diese Weise Astyages ’ Sturz (I, 128.3) und damit zugleich den Sturz des Mederreichs. Astyages selbst werden nun indirekt die Worte in den Mund gelegt, dass er Harpagos dafür tadle, dass er so töricht sei und wegen eines Deipnons ( τοῦ δείπνου εἵνεκεν - I, 129.3) den Sturz des ganzen Mederreichs in Kauf genommen habe, obwohl er auch selbst als Meder hätte König werden können (I, 129.3 - 4). Auf Macht allerdings scheint Harpagos keinen Wert zu legen. Ihm war es offensichtlich in erster Linie wichtig, Astyages den größten Schaden zuzufügen. Die Darstellung des Harpagos-Mahls dient dem Text demnach in erster Linie als funktionelles Mittel, um die Ursache für das Ende der Mederherrschaft zu erklären. 1439 Für den in Herodots Historien dargestellten geschichtlichen Verlauf über die Meder - , wenn davon berichtet wird, wie Harpagos den gefangenen Astyages nun nach dem Mahl fragt, bei dem dieser ihn mit dem Fleisch seines Sohnes bewirtet hat ( καὶ εἴρετό μιν πρὸς τὸ ἑωυτοῦ δεῖπνον , τό μιν ἐκεῖνος σαρξὶ τοῦ παιδὸς ἐθοίνησε - I, 129.1). Hier greift der Text Astyages ’ Bezeichnung für das Mahl (= θοίνη ) aus I, 119.5 wieder auf, lässt den Sarkasmus nun aber aus der Sicht des Harpagos sprechen, dem es gelungen war, Astyages als Rache für das kannibalische Mahl zu Fall zu bringen. 1438 Vgl. dazu auch VIII, 137.4. Dort bezeichnet der Text den makedonischen König als θεοβλαβής , als er den drei Brüdern das Sonnenlicht in böswilliger Absicht zum Lohn gibt, womit er aber ungewollt auch sein Königtum übergibt (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.1 mit Anm. 817); vgl. dazu Bowie (2007, S. 226), der mit Blick auf VIII, 137.4 zu θεοβλαβής bemerkt: „ i. e. the gods made him say something that had an outcome very different from what he intended “ . Anschließend verweist Bowie (ebd.) auf I, 127.2: Denn auch Astyages bewirkt dadurch, dass er verblendet durch eine Gottheit Harpagos als Feldherr gegen Kyros einsetzt, das Ende seiner Herrschaft. 1439 Schmitt Pantel (1992, S. 432) gibt an, dass durch dieses kannibalische Mahl der Beginn der Linie der persischen Könige markiert sei. Xerxes ’ Abstammungslinie mit dem Siegel des Mordes und Kannibalismus zu versehen, sei ein Mittel, von Anfang an die persische Unterlegenheit und Niederlage anzukündigen (ebd.). Coulet (1994, S. 62/ Anm. 26) aller- 430 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="431"?> sind also sowohl das Kyaxaresals auch das Harpagos-Mahl entscheidende Geschehnisse. Auffällig ist, dass das Harpagos-Mahl aufgrund der daraus resultierenden Unterwerfung der Meder durch den Perserkönig Kyros wiederum in Verbindung mit dem Kyaxares-Mahl steht. Denn schließlich soll das Kyaxares-Mahl erklären, wie es dazu kommt, dass Astyages Schwager des Kroisos wird und Kroisos daher daran gelegen ist, Kyros ’ Sieg über Astyages zu rächen. Da Kyaxares der Vater des Astyages ist, sind die Akteure des Kyaxares-Mahls und des Harpagos-Mahls verwandschaftlich miteinander eng verbunden. Auf diese Weise kann das Kyaxares-Mahl auch eine Generation vor das Harpagos- Mahl eingeordnet werden. Beide Mähler finden also bei den jeweiligen Mederkönigen statt und bei beiden wird das Fleisch eines Kindes serviert. 1440 Ein Unterschied liegt darin, dass der Mederkönig Kyaxares durch das Mahl geschädigt wird, wohingegen sein Sohn Astyages, der zur Zeit des Harpagos- Mahls König der Meder ist, beim Mahl Schaden zufügt. Später allerdings muss er dafür büßen. Fiona Hobden bezeichnet das Motiv eines solchen kannibalischen Festmahls, das ebenso sowohl beim mythischen Tantalosals auch Thyestes-Mahl zu finden ist, als „ pattern of punishment-offence followed by retribution “ 1441 , wobei jeweils Machtkonflikte unterschiedlicher Art dargestellt werden. 1442 4.2.3.2.3 Das Königsmahl des Xerxes Auf eine andere Art und Weise wird in Herodots Historien das sogenannte Königsmahl des Xerxes ( βασιλήιον δεῖπνον - IX, 110.2) zum instrumentalidings widerspricht Schmitt Pantel, da diese Tat nicht den Beginn des Perserreichs, sondern das Ende des Mederreichs markiere. 1440 Bei der Darstellung des Harpagos-Mahls wird also in erster Linie das Kyaxares-Mahl in Erinnerung gerufen (vgl. Bowie [2003], S. 103 f.). Bowie (2003, S. 102 - 104) stellt zudem zu Recht fest, dass diese beiden Mähler für die östlichen Bankette in den Historien typisch sind, die sich durch empfundene Beleidigung, Zorn, Rache, Bestrafung, den Tod von Söhnen, damit durch das Ende von Familien und Machtwechsel auszeichnen; vgl. zu dieser von Bowie als typisch bewerteten Motivik der östlichen Bankette in der Darstellung von Herodots Historien Bowie (2003), S. 102 f. bzw. Anm. 931 in der vorliegenden Arbeit. 1441 Hobden (2013), S. 193. 1442 Ebd., S. 192 f. Mit Blick auf das Kyaxares-Mahl betont Hobden (2013, S. 193/ Anm. 73), dass die Skythen nach der Tat ja zu den Lydern fliehen, die dann an ihrer Stelle Krieg führen (I, 73.6 - 74): „ Unlike in the case of Harpagus, no resolution is met. “ Darauf, dass das Kyaxares-Mahl und/ oder das Harpagos-Mahl an den Mythos um Tantalos und/ oder Thyestes erinnern, verweisen auch How/ Wells (1912a), S. 93; Paul (1991), S. 161; Schmitt Pantel (1992), S. 431 f.; Coulet (1994), S. 62; Asheri et al. (2007), S. 161 f.; Burkert (1972, S. 125) sieht im Harpagos-Mahl eine Entsprechung des Thyestes-Mahls „ im medischpersischen Milieu “ . 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 431 <?page no="432"?> sierten Raum für einen Racheakt. Denn dieses Gastmahl, das am Geburtstag des Großkönigs veranstaltet wird (IX, 110.2), ermöglicht es Xerxes ’ Ehefrau Amestris, Rache an der Ehefrau von Xerxes ’ Bruder Masistes zu nehmen. Am Tag des Königsmahls erfordert es nämlich ein Brauch ( ὑπὸ τοῦ νόμου - IX, 111.1), dass von Xerxes kein Wunsch abgeschlagen werden darf ( ὅτι ἀτυχῆσαι τὸν χρηίζοντα οὔ σφι δυνατόν ἐστι βασιληίου δείπνου προκειμένου - IX, 111.1). Ich möchte nun zunächst auf den Kontext dieses Königsmahls eingehen. Amestris sinnt auf Rache, da sie Masistes ’ Ehefrau unberechtigter Weise die Schuld an dem Liebesverhältnis ihres Ehemannes Xerxes mit Artaÿnte gibt, der Tochter des Masistes und damit Xerxes ’ Nichte (IX, 110.1). Zuvor hatte Xerxes vergeblich versucht, Masistes ’ Ehefrau für sich zu gewinnen (IX, 108.1). Wie nun das Verhältnis zwischen Xerxes und Artaÿnte Amestris bekannt wird, schildert der Text genau. Eines Tages schenkt Amestris Xerxes ein selbstgewebtes schönes Gewand (IX, 109.1). Xerxes freut sich, zieht dieses Gewand an und geht damit zu seiner Geliebten Artaÿnte (IX, 109.1). Diese fordert er nun auf, einen beliebigen Wunsch zu äußern ( ταύτῃ ἐκέλευσε αὐτὴν αἰτῆσαι ὅ τι βούλεταί οἱ γενέσθαι - IX, 109.2), woraufhin sich Artaÿnte den von Amestris für Xerxes gewebten Umhang erbittet (IX, 109.2). Obwohl Xerxes ihr als Alternativen ganze Städte, Gold und sogar ein Heer vorschlägt, gibt Artaÿnte nicht nach (IX, 109.3). 1443 Xerxes überlässt ihr schließlich den Mantel, was zum Auslöser des Unglücks wird, das nun seinen Lauf nimmt. 1444 Der Text kündigt den Lesern durch seine Aussage, es sei Artaÿnte vorbestimmt, ihre ganzen 1443 Zur Frage, inwiefern ein Heer als Geschenk für Artaÿnte passend ist, siehe die Ausführungen von Sancisi-Weerdenburg (1988). 1444 Brosius (1996, S. 75) bezeichnet die Gabe eines medischen Gewands im Vergleich zu anderen materiellen Geschenken als „ the most splendid “ und Boedeker (2011, S. 220) sieht in der Weitergabe des geschenkten selbstgewebten Gewands an seine Geliebte eine große Erniedrigung von Amestris: „ In Homeric epic and beyond, a grand robe is among the most feminine and queenly of gifts, redolent of Helen ’ s parting gift to Temelachus (Od. 15.104 - 8, 123 - 9) or Penelope ’ s shroud for Laertes. The queen ’ s weaving, with all its resonance, is demeaned by her husband, turned into a gift for his mistress. “ Wichtig ist aber vor allem, dass Xerxes ihr zugleich mit dem Mantel „ ein ‚ Zeichen ‘ seiner Herrschaft “ überlässt (Wiesehöfer [1998], S. 86). Wiesehöfer sieht darin die Initiative von Amestris ’ Tat begründet: Sie nimmt Rache für ihren Sohn, den Kronprinzen (vgl. ebd.). Auch Sancisi-Weerdenburg (1993, S. 29) hebt hervor, dass das königliche Gewand nur vom König getragen werden dürfe und bemerkt: „ What Artaynte asks for in the tale is not only a beautiful garment but the kingship with it. “ Im Bezug auf die griechische Darstellung dieser Erzählung sagt Sancisi-Weerdenburg (ebd.): „ This element was easily overlooked by Greeks who were not familiar with the workings and connotations of sacral kingship. In Greek version, therefore, the robe is surrounded by emotional feelings that completely hide its original meaning. “ Dies trifft auf die Darstellung in Herodots Historien zu. Denn dass Xerxes mit dem Mantel zugleich auch seine Herrschaft verliert, erwähnt der Text nicht. 432 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="433"?> Familie mitsamt dem Haushalt ins Unglück zu stürzen ( τῇ δὲ κακῶς γὰρ ἔδεε πανοικίῃ γενέσθαι - IX, 109.2), an, dass diese Anekdote wohl kein gutes Ende nehmen wird. 1445 So verhält sich Artaÿnte nicht diskret mit ihrem Geschenk, sondern trägt den Mantel stolz in die Öffentlichkeit ( ἡ δὲ περιχαρὴς ἐοῦσα τῷ δώρῳ ἐφόρεέ τε καὶ ἀγάλλετο - IX, 109.3) 1446 . Als Amestris bemerkt, dass Artaÿnte nun den Mantel besitzt, hegt sie keinen Groll gegen diese, sondern gegen ihre Mutter - Masistes ’ Ehefrau (IX, 110.1). Dennoch bleibt Amestris besonnen, hält ihren Zorn zurück und wartet bewusst den Tag des Königsmahls ab. Denn durch den besagten Brauch beim Königsmahl ist es ihr möglich, die Frau des Masistes für sich als Geschenk zu fordern, um sie anschließend misshandeln zu können. 1447 Dass Xerxes lediglich gezwungenermaßen den beharrenden Bitten ( ἐκείνης τε λιπαρεούσης - IX, 111.1) seiner Ehefrau nachkommt und ihr die Gattin des Masistes ausliefert, macht der Text deutlich, da er beschreibt, dass Xerxes den Wunsch für ungeheuer ( δεινόν - IX, 110.3) und unangebracht ( ἀνάρσιον - IX, 110.3) hält, da sie die Frau seines Bruders und unschuldig ist (IX, 110.3). Diese Situation erinnert an Etearchos ’ Verhalten gegen Themison im vierten Buch der Historien. 1448 Während dort Etearchos die Gastfreundschaft missbraucht, um Themison dazu bringen zu können, einen folgenschweren Eid zu leisten, durch den Themison schließlich 1445 Vgl. dazu auch die Umschreibung des Schicksals des Kandaules ( χρῆν γὰρ Κανδαύλῃ γενέσθαι κακῶς - I, 8.2), des Apries ( ἐπεὶ δέ οἱ ἔδεε κακῶς γενέσθαι - II, 161.3) und des Skyles ( ἐπείτε δὲ ἔδεέ οἱ κακῶς γενέσθαι - IV, 79) durch den Text (vgl. How/ Wells [1912b], S. 334; Flory [1978], S. 151; Flower/ Marincola [2002], S. 294; Hazewindus [2004], S. 102 f.; Asheri et al. [2007], S. 82, S. 361). 1446 Wenn der Text in den Historien περιχαρής verwendet, um Freude auszudrücken, handelt es sich fast immer um eine unheilvolle Freude; vgl. dazu die Ausführungen in Anm. 955 sowie Flory (1978), bes. S. 150. 1447 Siehe dazu Bowie (2003, S. 101/ Anm. 17), der hier betont: „ The story has the same structure as those of Esther and Semiramis, in which a women makes a feast to gain her way “ ; vgl. auch Bauer (2005), S. 12 - 14; Asheri/ Vannicelli (2006), S. 328, S. 330 f. Ester möchte ihr bedrohtes Volk, das Volk der Juden, retten. Dadurch, dass ihr ihr Ehemann Ahasveros bei einem von ihr veranstalteten Bankett zugesteht, einen beliebigen Wunsch zu äußern (Est. 7, 1 - 2), kann sie die Juden retten (Est. 7, 3 - 10); vgl. dazu auch Burkert (1991), S. 14 f. Sowohl Amestris als auch Ester gelingt es also während eines Banketts, ihr jeweiliges Ziel zu erreichen. Anders als bei Amestris existiert beim Bankett der Ester allerdings keine Bindung, die auf einem Brauch beruht. Aber als Ort des Wunsches spielt das wohlwissend von Ester dafür organisierte Bankett dennoch eine entscheidende Rolle. Denn bereits zuvor veranstaltete Ester ein Mahl für Ahasveros (Est. 5, 4 - 5) und auch dort hatte er ihr bereits einen Wunsch freigegeben (Est. 5, 6). Ester wünscht sich dort zunächst nur, dass der König auch zu ihrer zweiten Einladung kommt (Est. 5, 7 - 8). Erst dort äußert sie dann ihren Wunsch. Damit zeichnet sie sich ebenso wie Amestris, die das Königsmahl gezielt erwartet, durch Geduld und Weitsicht aus. 1448 Siehe zum Konflikt zwischen Etearchos und Themison Kap. 4.2.3.1.3. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 433 <?page no="434"?> gezwungen werden soll, gegen seinen eigenen Willen die Tochter seines Gastgebers zu ertränken (IV, 154.3), nutzt Amestris den Brauch beim Königsmahl aus, um Xerxes dazu zu zwingen, die Frau des Masistes an sie auszuliefern. So gibt Xerxes, wenn auch sehr ungern, nach ( κάρτα δὴ ἀέκων κατανεύει - IX, 111.1). Er handelt somit nicht leichtfertig, sondern fühlt sich durch die Bindung an den Brauch dazu verpflichtet, Amestris ’ Wunsch zu erfüllen. 1449 Dennoch zeigt sich in seinem Nachgeben erneut die Schwäche seiner Überzeugungskraft, wie es bereits zuvor der Fall war, als er seiner Geliebten Artaÿnte das Gewand von Amestris übergibt, obwohl er das drohende Übel ahnt (IX, 109.3). Denn dass es in ähnlichen gezwungenen Situationen auch Möglichkeiten gibt, den Zwang zu umgehen, wird eben an Themisons klugem Einfall deutlich, der es ihm ermöglicht, den verpflichtenden Eid zu erfüllen, ohne den von Etearchos geforderten Mord begehen zu müssen (IV, 154.4). 1450 Xerxes aber findet keinen Ausweg und lässt es schließlich zu, dass seine unschuldige Schwägerin misshandelt wird. So muss Xerxes später durch die Rache seines Bruders büßen, während Themison schuldlos bleibt. Hartmut Erbse sieht in dieser Erzählung Xerxes ’ „ Feigheit gegenüber der eigenen Gemahlin, seine Gewissenlosigkeit gegenüber der zuvor umworbenen Schwägerin und schließlich die Roheit gegenüber seinem Bruder “ offenbart. 1451 Denn nachdem er Amestris ’ Bitten nachgegeben hat, schildert der Text ein Gespräch zwischen Xerxes und Masistes, bei dem Xerxes versucht, seinen Bruder davon zu überzeugen, seine Frau zu verlassen und Xerxes ’ Tochter zu heiraten (IX, 111.2). Masistes aber möchte mit seiner Ehefrau verheiratet bleiben (IX, 111.3 - 4) und lehnt ab ( ποιήσω μέντοι τούτων οὐδέτερα - IX, 111.4). Xerxes ist über diesen Ungehorsam erzürnt ( Ξέρξης δὲ θυμωθεὶς λέγει τάδε - IX, 111.5) und verbietet ihm nun, weiterhin mit seiner Frau verheiratet zu bleiben. Auch seine Tochter werde Masistes nicht mehr zur Ehefrau bekommen, damit er lerne, zu nehmen, was man ihm gebe ( ὡς μάθῃς τὰ διδόμενα δέκεσθαι - IX, 111.5). Die Misshandlung von Masistes ’ Ehefrau ist für Xerxes damit akzeptabel geworden. Für ihn wird sie zum Mittel der Strafe an Masistes, der seinen Worten nicht gehorchte und aus Xerxes ’ Sicht somit keine weitere 1449 Vgl. Wolff (1964, S. 52): „ Und Xerxes steht nun, wie eben vor der Geliebten, so jetzt vor der Frau, gebunden durch den Zwang des eigenen ‚ Wortes ‘ . Aber dort war der Zwang nur der Zwang der Liebe und des Liebesschwurs, hier ist es der Zwang des königlichen Nomos. “ Müller (2006b, S. 295): „ [ … ] und wie vorher durch seinen Eid, so ist der König diesmal durch ein ungeschriebenes Gesetz, das mit dem Festritual des Tages verbunden ist, zur Erfüllung des Wunsches genötigt. “ 1450 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.3.1.3. 1451 Erbse (1992), S. 90. 434 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="435"?> Rücksicht verdient. 1452 Nach diesem Gespräch mit Masistes lenkt der Text seine Aufmerksamkeit sogleich auf die Misshandlung von Masistes ’ Ehefrau durch Amestris (IX, 112), womit er die Darstellung des Königsmahls kommentarlos beendet. Das Königsmahl selbst wird aus Gründen der Erzählökonomie insgesamt nicht genauer beschrieben. Denn da lediglich der mit dem Mahl verbundene Brauch für die Erzählung entscheidend ist, bleibt der Ablauf des Mahls unerheblich. Gleichzeitig betont der Text auf diese Weise den Brauch als das einzige für die Handlung in den Historien entscheidende Detail dieses Königsmahls. Zur Bezeichnung dieses Mahls verwendet der Text δεῖπνον , wodurch der Abschnitt des Essens betont und kein an das Deipnon anschließendes Symposion impliziert wird, 1453 welches für den Handlungsverlauf auch nicht nötig ist. Der Text erwähnt zudem nicht, wer an diesem Königsmahl außer Xerxes teilnimmt. 1454 Aus der dargestellten Handlung kann jedoch erschlossen werden, dass seine Ehefrau Amestris anwesend ist, da sie Xerxes während des Königmahls sofort um etwas bitten kann, ohne ihn extra dafür aufsuchen zu müssen, wohingegen er seinen Bruder Masistes zu sich holen lassen muss ( μεταπεμψάμενος τὸν ἀδελφεὸν - IX, 111.1), um sein Anliegen vorbringen zu können. 1455 Außerdem ist erkennbar, dass im Zentrum des Königsmahls eindeutig der Großkönig steht, woran ein wichtiger Unterschied, zwischen dem königlichen Bankett der persischen Großkönige und dem griechischen Symposion auch in Herodots Historien ersichtlich wird. Den Unterschied hebt Angus Bowie deutlich hervor: Während das königliche Bankett als „ near-eastern banquet “ die Macht und Erhabenheit des Königs 1452 Vgl. Heni (1976), S. 53. 1453 Zur Verwendung von δεῖπνον in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.6. Auch am Hof der Achämeniden waren Symposia nach dem Mahl aber generell nicht ungewöhnlich (vgl. dazu Granger [2002], S. 129). 1454 Heni (1976, S. 50/ Anm. 134) verweist darauf, dass zwar normalerweise lediglich seine Mutter und Ehefrau am Tisch des Großkönigs speisten (vgl. auch Anm. 1502), aber ist der Meinung, dass „ dieser Brauch an dem Festtag kaum gegolten “ habe. Dass Masistes nicht am Königsmahl teilnimmt begründet Heni damit, dass „ es die Geschichte nicht brauchen kann “ (ebd.). Für die generelle Gästeanzahl am „ Royal Table “ gibt es unterschiedliche Annahmen, die von einem allein speisenden König bis hin zu 15.000 Gästen variieren (vgl. dazu Sancisi-Weerdenburg [1989], S. 133). 1455 In III, 32.3 - 4 berichtet der Text von einer weiteren Episode, in deren Darstellung die Ehefrau am persischen Hof gemeinsam mit dem Großkönig zu Tisch sitzt ( ὡς τραπέζῃ παρακατημένων - III, 32.3). Zwar erwähnt der Text nicht explizit, ob sie momentan essen, aber da die Frau einen Salat in die Hand nehmen kann, deutet er zumindest an, dass sich diese gerade beim Mahl befinden (III, 32.3 - 4); vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.1. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 435 <?page no="436"?> als Individuum repräsentiere und aufwerte, betone das griechische Symposion die Gleichheit der Trinkenden. 1456 Obwohl Xerxes bei seinem Königsmahl also im Zentrum der Macht steht, 1457 fühlt er sich letztlich an die Pflichten gebunden, die konventionell mit diesem Brauch zusammenhängen, und entscheidet nicht nach seinem Willen. Hätte sich Xerxes bereits zuvor gegen den Wunsch von Artaÿnte durchgesetzt, hätte er einen starken Charakter bewiesen, und hätte er dann sogar Amestris ’ Wunsch abgelehnt, dann wäre er als besonders menschlich und bestimmt gezeichnet worden. Denn er hätte sich damit gegen den Brauch aufgelehnt, um seine unschuldige Schwägerin nicht ausliefern zu müssen und sie so vor der Misshandlung zu bewahren. 1458 Wieder einmal schadet sich Xerxes in der Darstellung der Historien selbst, indem er sich dazu verpflichtet, fremde Wünsche zu erfüllen. 1459 1456 Bowie (2003), S. 99. Vgl. dazu auch Granger (2002, S. 138 f.): „ Royal dinners were more than mere degustation. They were social and political statements symbolic of the value of the king ’ s power “ (Granger [2002], S. 138). 1457 Bowie (2003, S. 101 f.) sieht in diesem Bankett die zentrale Machtposition des Königs im achämenidischen Königreich veranschaulicht. So betont Bowie (2003, S. 102): „ he is at the centre of relations and his gifts are not negotiable, but at the same time he is constrained to maintain loyalty by distributing gifts and granting requests, however inconvenient, and where there is a potential threat brutal treatment is necessary. “ 1458 Dass sich Xerxes in der Darstellung der Historien nicht an eine Bitte allein gebunden sieht oder sich dazu verpflichtet fühlt, aus Machtdemonstration jedem Wunsch nachzukommen, zeigt der Fall von Pythios. Auch ihm verspricht er, zu erfüllen, worum auch immer er ihn bitte ( ἔφη τε ὑποργήσειν καὶ δὴ ἀγορεύειν ἐκέλευε ὅτευ δέοιτο - VII, 38.2). Letztlich allerdings erfüllt er diese Bitte nicht (VII, 39). Der Unterschied ist, dass Pythios im Gegensatz zu Artaÿnte und auch Amestris als vorsichtiger Bittsteller kommt, während Xerxes Artaÿnte von sich aus einen Wunsch freigibt und sich Amestris durch den Brauch des Königsmahls auf der sicheren Seite weiß (vgl. dazu Heni [1976], S. 35 mit Anm. 65, S. 43). 1459 Sowohl Pythios (VII, 38.2; vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2.2) als auch Artaÿnte (IX, 109.2) gewährt er einen freien Wunsch. Beide wünschen sich etwas, womit Xerxes nicht rechnete ( Ξέρξης δὲ πᾶν μᾶλλον δοκέων μιν χρηίσειν ἢ τὸ ἐδεήθη - VII, 38.2 / ὁ δὲ πᾶν < ἂν > μᾶλλον δοκέων κείνην αἰτῆσαι < ἢ τό περ ᾔτησε > ὑπισχνέετο καὶ ὤμοσε - IX, 109.2); vgl. dazu Heni (1976), S. 35 mit Anm. 65, S. 43. Während er Artaÿnte verspricht und sogar schwört ( ὑπισχνέετο καὶ ὤμοσε - IX, 109.2), ihren Wunsch zu erfüllen, sagt er es Pythios lediglich zu ( ἔφη τε ὑποργήσειν - VII, 38.2). Letztlich ist er an den Schwur gebunden und schenkt Artaÿnte das Gewand, Pythios ’ Wunsch dagegen erfüllt er nicht. Amestris sagt er zwar nicht freiwillig zu, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, um den sie ihn bittet, aber der Brauch des Königsmahls zwingt ihn dazu. Während Xerxes diese drei Wünsche verabscheut und es ihm dennoch nur bei einem möglich ist, ihn zu umgehen, kommt er an anderer Stelle in der Darstellung der Historien der Bitte des Persers Artaÿktes freiwillig nach. Doch auch hier wird Xerxes getäuscht ( διεβάλετο - IX, 116.2). Denn Artaÿktes sagt Xerxes in seiner Bitte lediglich, dass er gerne das Haus eines Griechen hätte, der gegen ihn in den Krieg gezogen sei. Um was es sich dabei genau 436 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="437"?> Dass Xerxes also gerade hier beim Mahl, an dem seine Macht und Stärke symbolisiert werden soll, durch seine Nachgiebigkeit seiner Ehefrau Amestris unterliegt, ist vielsagend. Kurz zuvor verdeutlicht der Text durch die Wiedergabe eines Vorwurfs gegen den Feldherrn Artaÿntes, welch große Beschimpfung es grundsätzlich für einen Perser sei, für feiger als eine Frau zu gelten ( παρὰ δὲ τοῖσι Πέρσῃσι γυναικὸς κακίω ἀκοῦσαι δέννος μέγιστός ἐστι - IX, 107.1). 1460 Xerxes erscheint hier also keineswegs mehr den Ansprüchen eines Großkönigs gerecht zu werden. Dazu kommt, dass der Text diesen Einblick in Xerxes ’ Privatleben erst nach den persischen Niederlagen in Plataiai und Mykale gibt und zwar genau zwischen der Darstellung des persischen Rückzugs nach Sardes 1461 und der Heimkehr der Griechen. 1462 Xerxes hat nun den Krieg gegen die Griechen verloren und auf persönlicher Ebene das Vertrauen in seine Geliebte und in seine Ehefrau eingebüßt sowie bereits zuvor das in seinen Gastfreund Pythios (VII, 38 - 39), dessen Großzügigkeit er zunächst stark gelobt handelt, verschweigt er (IX, 116.3). Artaÿktes erhält dadurch die Möglichkeit, über den heiligen Bezirk des Protesilaos in Elaios zu verfügen. So plündert und schändet er diesen (IX, 116.2 - 3). Auch hier, an der letzten Stelle der Historien, an der Xerxes als Akteur auftritt, wird sein Vertrauen missbraucht. Dies zeigt zum einen seinen Leichtsinn, zum anderen aber auch seine Gutgläubigkeit. Wiesehöfer (1998, S. 84) hebt hervor, dass Xerxes aber nicht alle Entscheidungen selbst trifft, sondern z. B. zum Krieg gegen Hellas letztlich umgestimmt werde. Damals sind es Traumerscheinungen, die ihn schließlich doch dazu treiben, in den Krieg zu ziehen (VII, 12 - 19); vgl. dazu auch Wiesehöfers weitere Ausführungen ebd. bzw. Anm. 1464 in der vorliegenden Arbeit. Hier nun am Ende der Historien mag für den Leser, wie Flower (2006, S. 283) es formuliert, der Eindruck entstehen, dass „ Xerxes is caught in a web of necessity and is more an object of pity than of fear or indignation. “ Dennoch unterstreicht diese Erzählung zudem nochmals vor allem Xerxes ’ negative Charakterzüge und zeichnet ihn in erster Linie als labil, unbedacht großzügig, überschwänglich, leichtgläubig, affektvoll und aufbrausend, despotisch und unberechenbar (vgl. zu diesen Charakterzügen Henis Ausführungen [1976, S. 33 - 41], der diese Charakteristika v. a. in Xerxes ’ Verhalten gegenüber Pythios herausarbeitet). Zur Instabilität von Xerxes ’ Charakter vgl. auch Asheri/ Vannicelli (2006), S. 327 und zu Xerxes ’ Charakter in der Darstellung der Historien allgemein Sancisi-Weerdenburg (2002), bes. 583 - 588 sowie Schelske (2021), S. 203 - 226. 1460 Der Text berichtet, Masistes habe dem Feldherrn Artaÿntes nach der Niederlage bei Mykale vorgeworfen, feiger als eine Frau zu sein ( γυναικὸς κακίω φὰς αὐτὸν εἶναι - IX, 107.1). Er reizte Artaÿntes so sehr, dass dieser ihn getötet hätte, hätte ihn nicht Xeinagoras davon abgehalten (IX, 107.2). 1461 Der Text gibt bekannt, dass sich Xerxes seit seiner Flucht aus Athen in Sardes aufhält (IX, 107.3 - 108.1). 1462 Während die Peloponnesier um Leotychidas, gleich nachdem sie erfahren haben, dass die Brücke in Abydos bereits zerstört ist, nach Griechenland zurückkehren (IX, 114), belagern die Athener unter der Führung von Xanthippos zuvor noch Sestos und erobern es schließlich (IX, 114.2 - 120). Danach aber kehren auch sie nach Griechenland zurück (IX, 121). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 437 <?page no="438"?> hatte (VII, 29). 1463 Xerxes muss zulassen, dass seine Schwägerin, die ihm viel bedeutet und der er trotz der abweisenden Haltung ihm gegenüber aus Rücksicht auf seinen Bruder bisher nichts angetan hat (IX, 108.1), misshandelt wird, und verliert kurz darauf auch noch seinen Bruder (IX, 113). 1464 Das Königsmahl des Xerxes entspricht also einem nach Angus Bowies Maßstäben typischen östlichen Bankett in Herodots Historien, da es in Beleidigung, Wut und Rache endet und letztlich sogar zum Tod von Xerxes ’ Bruder führt, 1465 woran Xerxes 1463 Zu den Geschehnissen um die Gastfreundschaft zwischen Xerxes und Pythios siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.2.2. 1464 In Herodots Historien wird von Xerxes ’ Tod nicht berichtet. Die Erzählung über seine Ermordung durch Artabanos, einem einflussreichen Amtsträger am Hof und Anführer seiner Leibgarde (vgl. FGrHist III 688 F 13, 33 von Ktesias von Knidos), wirkt allerdings wie eine Folie seines Lebens, wie es in den Historien dargestellt wird: Einerseits begeht er in seiner Lebenszeit selbst viele frevelhafte Taten, so z. B. die Auspeitschung und Beleidigung des Hellesponts (VII, 35) oder die Zerstörung von Athens Akropolis (VIII, 53.2), sodass er wie ein übermütiger und unzubändigender Herrscher wirkt (vgl. Wiesehöfer [1998], S. 77). Andererseits sind es oft ihm nahestehende Personen, die ihn in Schwierigkeiten bringen. Der Rat seines Onkels Artabanos ist es letztlich, der ihn gegen die Griechen in den für die Perser verheerenden Krieg ziehen lässt, auch wenn Artabanos ’ Rat auf einer Traumerscheinung basiert (VII, 18). Oft handelt er „ unter dem Einfluß ‚ göttlicher ‘ Eingebungen, die sich für ihn als fatal erweisen “ , falsch (Wiesehöfer [1998], S. 84). So hebt Wiesehöfer (ebd.) hervor, dass es mehrfach so erscheine, als ob Xerxes immer die falsche Wahl treffe, was er auch mache, sodass man „ nicht zu Unrecht, auch vom ‚ tragischen ‘ Xerxes Herodots gesprochen “ habe. Darüber hinaus wird sein Vertrauen mehrfach von ihm nahestehenden Personen missbraucht: So verrät Demaratos, dem er in der Darstellung der Historien blind zu vertrauen scheint (VII, 237.3), seinen Plan, gegen die Spartaner in den Krieg zu ziehen (VII, 239) - ob aus Wohlwollen oder Schadenfreude, lässt der Text offen (VII, 239.2). Letztlich gerät er durch sein blindes Vertrauen in Katastrophen und das wird nirgends so deutlich wie in der Anekdote über das Königsmahl. Denn dort wird er von seiner Ehefrau überlistet und zuvor bereits von seiner Geliebten düpiert, woraus letztlich folgt, dass sein Bruder einen Aufstand gegen ihn organisiert. So verwundert auch sein Lebensende nicht, sondern wirkt eben wie eine Folie seines in Herodots Historien dargestellten von Freveln und beinahe Naivität geprägten Lebens, in dem er niemandem vertrauen kann: die Ermordung des Despoten durch ein Attentat eines vertrauten hohen Beamten am eigenen Hof. Zu den Umständen von Xerxes ’ Tod und damit verbundenen Unklarheiten siehe Briant (2002), S. 565 - 567. Speziell zum wohl fälschlichen Vorwurf, Dareios, Xerxes ’ eigener Sohn, sei darin verwickelt gewesen, vgl. Wolff (1964), S. 53 - 55 sowie Flower/ Marincola (2002), S. 293 (mit Verweisen, u. a. auf FGrHist III 688 F 13, 33 von Ktesias von Knidos), S. 294. Boedecker (2011, S. 221) macht im Zuge dessen darauf aufmerksam, dass diese Anekdote als Teil eines Machtkampfes gesehen werden könnte, der zeitlich über die Historien hinausreiche. Herodots Erzählung aber stelle in erster Linie „ a family drama spurred by disastrous male/ female relationships, with devastating results for the royal family “ dar (ebd.). 1465 Vgl. Bowie (2003), S. 102. Zu der von Bowie als typisch bewerteten Motivik von östlichen Banketten in Herodots Historien siehe auch Anm. 931 in der vorliegenden Arbeit. 438 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="439"?> selbst die Schuld trägt. 1466 Anhand dieses Mahls verbildlicht der Text also, wie Xerxes nun sowohl im kriegerischen als auch familiären Bereich scheitert. 1467 Amestris selbst macht sich nicht schuldig. So unmoralisch ihr Wunsch auch ist, sie begeht kein Verbrechen und handelt zumindest in der Darstellung der Historien nicht gegen die Konventionen, da die Wünsche, die beim Königsmahl erfüllt werden müssen, nicht eingeschränkt werden ( ἀτυχῆσαι τὸν χρηίζοντα οὔ σφι δυνατόν ἐστι - IX, 111.1). Ihr gelingt es auf diese Art und Weise, eine Tat ausführen zu lassen, die anders wohl nicht straflos geblieben wäre und sie ohne Hilfe nicht vollziehen hätte können. Sie selbst erscheint dadurch zwar als grausam, 1468 aber zugleich als klug und bedacht. 1469 4.2.3.3 Der Raum des Gastmahls als Mittel der Gewalt Nun kommt es in der Darstellung der Historien während eines Gastmahls nicht nur zu Verbrechen, deren tatsächliche Umsetzung außerhalb des Gastmahls stattfindet wie z. B. das Schlachten der Kinder beim Kyaxares- (I, 73.5) und Harpagos-Mahl (I, 119.3) oder die Verstümmelung von Masistes ’ Ehefrau (IX, 112), die auf den ausgenutzten Brauch bei Xerxes ’ Königsmahl zurückgeht (IX, 110.2 - 111.1), sondern es kommt auch zu geplanten gewalttätigen Überfallen der Gastgeber auf ihre Gäste während eines Gastmahls, das somit selbst als Mittel für die Umsetzung eines Gewaltverbrechens dargestellt wird. Die 1466 Xerxes bestraft wiederholt Unschuldige: So z. B. Pythios (VII, 38 - 39; siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.1.2.2) oder die Baumeister der ersten Schiffsbrücke, nachdem diese von einem Sturm zerstört worden ist (VII, 35.3) (vgl. dazu Heni [1976], S. 34). 1467 Vgl. dazu Hazewindus (2004, S. 118): „ The failure of Xerxes reinforces the picture of him as a loser “ . So führt Hazewindus (ebd.) an, dass Xerxes die Frau, die er möchte, nicht bekommen kann, und dass er den Wunsch seiner Konkubine, den Wunsch von Amestris sowie den Wunsch seines Bruders, seine Frau behalten zu dürfen, nicht ändern kann; überlegen zeige sich hier eindeutig Amestris (ebd.). Flower (2006, S. 283) hebt zudem hervor, dass diese Erzählung mehr als jede andere in Herodots Historien die Schwächen der Autokratie hervorhebe, und sieht damit Otanes ’ Behauptung über die Monarchie in der Verfassungsdebatte verwirklicht: Ein König rüttle an der alten Ordnung, wende Gewalt gegen Frauen an und töte ohne rechtlichem Urteil (III, 80.5). 1468 Der Text verwendet in VII, 114.2 ausgerechnet die Darstellung eines Opfers der Amestris als Beispiel dafür, dass die Perser gewöhnlich lebende Menschen begraben: Als Dankesopfer ( τῷ ὑπὸ γῆν λεγομένῳ εἶναι θεῷ ἀντιχαριζομένην - VII, 114.2) für sich ( ὑπὲρ ἑωυτῆς - VII, 114.2) lässt sie also im hohen Alter vierzehn Kinder lebendig begraben. Bereits hier zeigt sich, dass ihre eigenen Interessen für sie im Vordergrund stehen, auch wenn der Text selbst dieses Verhalten nicht explizit als negativ bewertet; vgl. Dewald (1981), S. 119/ Anm. 21 sowie auch Flower/ Marincola (2002), S. 295. Dewald (1981, S. 108) betont, dass sich Herodot eines offenkundigen moralischen Urteils über Amaestris enthalte: „ The reflection sometimes cited as his, that what Amestris proposed to do was a ‘ perverse and terrible deed ’ (9.110), is in fact Xerxes ’ reported thought [ … ] “ (ebd.). 1469 Vgl. dazu Dewald (1981), S. 119/ Anm. 21; Bauer (2005), S. 10. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 439 <?page no="440"?> Ermordung eines Gastes durch den Gastgeber ist natürlich ein gravierender Verstoß gegen die konventionellen Pflichten eines Gastgebers bzw. Gastfreundes und aufgrund der religiösen Sanktion durch Zeus Xenios ein großer Frevel gegen die Götter. 1470 Mit einem solchen Vergehen rechnet somit niemand. Bei den beiden Gastmählern, die in der Darstellung der Historien gezielt als Mittel funktionalisiert werden, um unmittelbar Gewalttaten an den ahnungslosen Gäste verüben zu können, handelt es sich erstens um das Gastmahl der ägyptischen Königin Nitokris (II, 100.2 - 3) und zweitens um das Gastmahl von Sesostris ’ Bruder (II, 107). Nitokris nutzt das Gastmahl als Ort der Rache, wie es bereits schon bei drei der bisher untersuchten Gastmählern der Fall war (Kyaxares-Mahl - I, 73.5 - 6; Harpagos-Mahl - I, 119; Königsmahl des Xerxes - IX, 110 - 111). 1471 Im Gegensatz zu diesen allerdings instrumentalisiert Nitokris eben nicht einen bestimmten Bestandteil des Gastmahls - wie das Speisen bzw. einen damit zusammenhängenden Brauch - , sondern den nicht-öffentlichen Raum. 1472 Sie wird somit bewusst und geplant zur Mörderin sowie an anderer Stelle der Bruder des Königs Sesostris, der ebenfalls den nicht-öffentlichen Raum eines Gastmahls für seine Zwecke ausnutzt (II, 107). Mit Blick auf diese Parallele möchte ich nun diese beiden Gastmahldarstellungen untersuchen. Der Text geht in seinen Ausführungen über die ägyptischen Könige und deren Bauwerke unter anderem näher auf die einzige einheimische ägyptische Königin ein (II, 100.1), auf Nitokris. Diese kommt an die Herrschaft, nachdem ihr Bruder getötet worden war (II, 100.2), und beschließt, Rache für ihren Bruder zu nehmen ( τὴν ἔλεγον τιμωρέουσαν ἀδελφεῷ - II, 100.2). Ihr Vorgehen bezeichnet der Text als List ( δόλῳ - II, 100.2), die damit beginnt, die betreffenden Ägypter in eine von ihr neu angelegte unterirdische Kammer unter dem Vorwand, diese einweihen zu wollen, zur Bewirtung einzuladen ( καλέσασαν δέ μιν Αἰγυπτίων τοὺς μάλιστα μεταιτίους τοῦ φόνου ᾔδεε , πολλοὺς ἱστιᾶν - 1470 Vgl. dazu Herman (1987), S. 66 sowie Kap. 2.1.2.1. Herman (1987, S. 66) verweist hier auf eine Stelle in Aischines ’ Rede gegen Ktesiphon, wo die Folter und Tötung eines Mannes durch Demosthenes, mit dem dieser zuvor noch gegessen, getrunken und Trankspenden dargebracht hatte, in der Rede als ἀσέβημα bezeichnet wird und damit als Verbrechen gegen die Götter ( καὶ περὶ τούτων ἐν ἅπασιν Ἀθηναίοις ἐξελεγχθεὶς ὑπ᾽ ἐμοῦ καὶ κληθεὶς ξενοκτόνος , οὐ τὸ ἀσέβημα ἠρνήσω - Aischin. Ctes. 3, 224); vgl. dazu ἀσέβημα in LSJ, S. 255: „ impious or profane act, sacrilege “ . 1471 Zur Analyse dieser Gastmähler siehe Kap. 4.2.3.2. Als Beispiel dafür, dass das Symposion zum Ort der Rache werden kann, verweist Bowie (2003, S. 104/ Anm. 28) ebenfalls auf dieses Bankett bei Nitokris; vgl. auch Coulet (1994), S. 62 f. bzw. Anm. 1420 in der vorliegenden Arbeit. 1472 Darin unterscheiden sich die in diesem Kapitel analysierten Gastmähler auch von den in Kap. 4.2.1.1 untersuchten, bei denen die Trunkenheit, nicht der besondere Raum des (Gast-)Mahls, entscheidend für die Überfalle ist. 440 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="441"?> II, 100.3). Am offiziellen Anlass vom Nitokris ’ Einladung - der Einweihung der Kammer - sowie daran, wie diese Einladung vom Text ausgedrückt wird, ist zu erkennen, dass reine Gastfreundschaft nicht Nitokris ’ Ansinnen ist. Denn der Text fügt zu καλέειν hier nicht ἐπὶ ξείνια hinzu und die Bewirtung drückt er durch ἱστιᾶν und nicht durch das mit Xenia in Verbindung stehende ξεινίζειν aus. 1473 Von einer gastfreundschaftlichen Aufnahme kann hier also nicht die Rede sein. Die Ägypter allerdings schöpfen keinerlei Verdacht, obwohl sie wissen, dass sie einst den Bruder ihrer Gastgeberin getötet haben. Sie scheinen sich sicher zu sein, dass die Gastgeberin ihre Pflichten gegenüber ihren Gästen einhält. Während die Gäste speisen ( δαινυμένοισι - II, 100.3) 1474 , leitet Nitokris einen Fluss durch einen versteckten Tunnel in die Kammer und tötet sie auf diese Weise. Anschließend nimmt sie sich selbst das Leben, um der Rache zu entgehen ( ὅκως ἀτιμώρητος γένηται - II, 100.4), und wirft sich dafür in eine Kammer voller Asche (II, 100.4). Das sei alles, was über diese Königin gemeldet worden sei ( ταύτης μὲν πέρι τοσαῦτα ἔλεγον - II, 100.4). Nitokris ’ einziges durch die Historien überliefertes Lebenswerk besteht somit in der Rache an den Mördern ihres Bruders, für deren Umsetzung das Gastmahl das entscheidende Mittel ist. An einer zweiten Stelle im Rahmen seiner Ausführungen über Ägypten berichtet der Text von einem weiteren Gastmahl, das zum Vorwand für eine List wird. Auch wenn der Text den Grund für die Tat des Bruders des Königs Sesostris nicht explizit erwähnt, so legt er doch durch den Kontext nahe, dass Sesostris ’ Bruder auf diese Weise versucht, die Herrschaft über Ägypten zu behalten, die ihm Sesostris während seiner Eroberungsfeldzüge anvertraut hat (II, 107.1). So lädt er seinen Bruder und dessen Kinder zu einem gemeinsamen Mahl ein ( ἐπὶ ξείνια αὐτὸν καλέσαντα καὶ πρὸς αὐτῷ τοὺς παῖδας - II, 107.1), als Sesostris gerade auf dem Rückweg in Daphnai war. Der Text weist also bereits hier explizit darauf hin, dass Sesostris auch seine Kinder mitbringt. Zudem impliziert er durch die Einladungsformel ἐπὶ ξείνια καλέειν , dass es sich um ein Gastmahl handelt, für das die Grundsätze und Regeln der Xenia, der Gastfreundschaft, angenommen werden können. 1475 Davon unabhängig sollte zwischen Brüdern ohnehin eine natürliche Philia bestehen, die gegenseitiges 1473 Zur Umschreibung eines Gastmahls durch ( τὰ ) ξείνια sowie für die Bedeutung von ξεινίζειν siehe Kap. 2.2.5.9; zur Bedeutung von ἱστιᾶν siehe Kap. 2.2.5.10. 1474 Durch die Umschreibung der Gäste als δαινύμενοι weist der Text auf den gemeinschaftlichen Charakter des Mahls hin; vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.5. 1475 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.9. Zu den Grundsätzen der Gastfreundschaft siehe vor allem Kap. 2.1.2. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 441 <?page no="442"?> Wohlwollen erwarten lässt. 1476 Da Sesostris ’ Bruder aber entgegen seiner Verpflichtung als Gastgeber und seiner naturgemäß angenommenen Philia zu seinem Bruder handelt, endet das Gastmahl anders als es die Voraussetzungen erwarten lassen. Denn während dieses Mahls zündet der Bruder das Haus an, sodass Sesostris und seine Familie in eine aussichtlose Lage geraten. Erst an dieser Stelle erwähnt der Text auch die Anwesenheit von Sesostris ’ Ehefrau. Er hebt nun sogar nachdrücklich hervor, dass Sesostris sogar seine Frau zum Gastmahl mitgebracht hat ( καὶ γὰρ δὴ καὶ τὴν γυναῖκα αὐτὸν ἅμα ἄγεσθαι - II, 107.2), was zeigt, dass die Anwesenheit von Frauen bei einem Gastmahl für den griechischen Erzähler eine Besonderheit war. 1477 Für die Ehefrau erwähnt der Text nicht, dass sie auch wie Sesostris und seine Kinder von Sesostris ’ Bruder eingeladen worden ist, sondern lediglich, dass Sesostris sie mitgenommen hat (II, 107.2). 1478 Ob sie bei dem Gastmahl auch ums Leben kommt oder nicht, spielt für den Plan von Sesostris ’ Bruder ohnehin keine Rolle. Für den Verlauf dieses mörderischen Gastmahls allerdings bekommt sie eine entscheidende Funktion, sodass auch ihr Auftreten, wenngleich später und unabhängig von der Einladung, vom Text angeführt werden muss. Sie wird nämlich zur bedachten Ratgeberin von Sesostris in dieser aussichtslosen Situation. Sie rät ihrem Gatten, zwei ihrer Kinder zu ‚ opfern ‘ , über die ihnen ein Weg aus den Flammen gebahnt werden könne (II, 107.2). Sesostris hört auf ihren Rat, sodass die Familie bis auf zwei der Kinder entkommen und überleben kann (II, 107.2). 1479 Im Gegensatz zur Rache der Nitokris scheitert das Vorhaben von Sesostris ’ Bruder, da Sesostris überlebt. 1476 Vgl. dazu Anm. 421. 1477 Bei den Griechen war ein geschlechtergemischtes Speisen zwar nicht ungewöhnlich, aber das gemeinsame Trinken beim Symposion, dem gewöhnlich zweiten Abschnitt eines Gastmahls, war allein Männern vorbehalten; vgl. dazu Kap. 2.2.3.3.1. Zudem weist die Anwesenheit von Frau und Kindern darauf hin, dass diese Sesostris auf seinem Feldzug begleitet haben; schließlich findet dieses Gastmahl auf seinem Rückweg statt (II, 107.1). Darüber, ob dies einer ägyptischen Tradition entspricht, gibt es unterschiedliche Meinungen. Während Armayor die Anwesenheit von Frau und Kindern mit einer orientalischen Tradition verbindet (Armayor [1980], S. 58) und das Verhalten der Frau gegenüber ihren Kindern mit dem der Medea im griechischen Mythos (ebd., S. 60), erkennt Liotsakis (2014, S. 508 f.) dahinter durchaus eine ägyptische Tradition. 1478 Dass auch Sesostris ’ Kinder miteingeladen sind, wird zu Beginn dieser Textpassage explizit ausgedrückt ( τοῦτον ἐπὶ ξείνια αὐτὸν καλέσαντα καὶ πρὸς αὐτῷ τοὺς παῖδας - II, 107.1). Da Sesostris ’ Bruder Sesostris und seine Nachkommen einlädt, liegt der Verdacht nahe, damit sichergehen zu wollen, die Herrschaft über Ägypten behalten zu können. 1479 Für eine knappe Zusammenfassung möglicher Interpretationen dieser Episode siehe Liotsakis (2014), S. 507 f. 442 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="443"?> Die Absicht von Sesostris ’ Bruder ist es, mithilfe dieses Mordplans an größere Macht zu gelangen. Nitokris dagegen ist einzig daran interessiert, ihren Bruder zu rächen. Nitokris handelt entsprechend der Verpflichtungen, die sich aus ihrer sozialen Verbindung zu ihrem Bruder ergeben, während Sesostris ’ Bruder diese hinter seinen Machtwillen stellt. Während Nitokris ’ Philia zu ihrem Bruder somit äußerst positiv dargestellt ist, ist am Verhalten des Sesostris zu seinem Bruder keine Philia erkennbar. An diesen beiden ähnlich konzipierten ägyptischen Gastmahldarstellungen gelingt es dem Text also durch einen intratextuellen Bezug, die bestmöglichste Philia unter Geschwistern mit dem niederträchtigsten Verhalten unter denselben zu kontrastieren. Um letztlich dem Kreislauf der Rache und Gegenrache zu entkommen, begeht Nitokris nach ihrer Tat sogar Suizid. Denn auch wenn die Rache an sich gerechtfertigt ist, 1480 verletzt sie dabei genau wie Sesostris ’ Bruder die konventionellen Regeln des Gastrechts. Der Text selbst bezeichnet Nitokris ’ Tat jedoch nicht als Frevel, sondern lediglich als List ( δόλῳ - II, 100.2), was wiederum darauf hinweist, 1481 dass das Vergehen gegen die Gastfreundschaft in der Darstellung der Historien nicht mehr generell als religiöses Vergehen bewertet wird. Zwar bezeichnet der Text auch die Tat von Sesostris ’ Bruder nicht als Frevel, hebt aber dessen Vergehen gegen die Gastfreundschaft hervor, indem er - im Gegensatz zur dargestellten Bewirtung der Nitokris - das Mahl für Sesostris durch ξείνια beschreibt, wodurch die gastfreundschaftliche Beziehung und auch die damit verbundenen Gastrechte hervorgehoben werden. 1482 Sesostris ’ Bruder bekommt später zudem die Rache von Sesostris zu spüren, was in den Historien nicht weiter ausgeführt, sondern lediglich durch τεισάμενος τὸν ἀδελφεόν (II, 108.1) ausgedrückt wird. Damit schließt der Text diese Erzählung ab und wendet sich nun Sesostris ’ Leistungen zu (II, 109 - 110). 4.2.3.4 Das Symposion als Auslöser einer Katastrophe Bei allen bisher in Kapitel 4.2.3 untersuchten Szenen kommt es durch einen gezielten Plan zu Überfällen oder Racheaktionen, bei denen das Gastmahl eine entscheidende Rolle spielt. Bei all diesen Gastmählern ist es unerheblich, ob auch ein Symposion folgt, sodass der Text auch keines erwähnt. Denn sowohl beim Kyaxares-Mahl (I, 73.5 - 6) als auch beim Harpagos-Mahl (I, 119) ist das Speisen für die Umsetzung des Plans entscheidend und bei Xerxes ’ Königsmahl (IX, 110 - 111) ein mit dem gesamten Mahl verbundener Brauch. Für Nitokris ’ 1480 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 4.2.3.1.2 mit den Anm. 1401 und Anm. 1402. 1481 Vgl. dazu die Ausführungen zum Entwicklungsprozess der Bedeutung von Gastfreundschaft, der auch in Herodots Historien erkennbar wird, auf S. 59 - 61 mit Literaturverweisen. 1482 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.9. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 443 <?page no="444"?> Racheplan (II, 100.2 - 3) und Sesostris ’ Verbrechen (II, 107) ist es unerheblich, was während des Gastmahls geschieht, da die Überschwemmung durch den Fluss bzw. das Feuerlegen am Gebäude entscheidend ist. Daher verspricht das Symposion im Rahmen der einzigen Darstellung von einem Überfall in den Historien, den der Text explizit in den Kontext eines Symposions stellt, auch eine entscheidende Rolle dabei zu spielen, dass der Überfall in die Tat umgesetzt werden kann. 1483 Dabei handelt es sich um ein Symposion bei einem Gastmahl zwischen Persern und Makedonen, von dem der Text im fünften Buch der Historien berichtet (V, 18 - 20). Ich möchte die Analyse dieses ausführlich dargestellten Gastmahls in drei Punkte gliedern. Erstens werde ich den Verlauf des Gastmahls näher untersuchen, anschließend die Ursachen herausarbeiten, die zu dessen Scheitern führen und schließlich die Funktionen benennen, die die Darstellung dieses Gastmahls für Herodots Historien bietet. Dabei soll insgesamt besonders darauf geachtet werden, weshalb hier ausgerechnet ein Symposion zum Auslöser eines Konflikts wird und zugleich zum Ort für dessen zwar gewaltsame, aber erfolgreiche Bewältigung. 4.2.3.4.1 Verlauf des Gastmahls Dass ein Gastmahl, das ohne Hintergedanken veranstaltet wird, und demnach wohlwollende Gastgeber hat, eine begrenzte Teilnehmeranzahl sowie üppige Speisen und Getränke bietet, trotz dieser günstigen Voraussetzungen in einer Katastrophe enden kann, macht der Text an einem Gastmahl zwischen Makedonen und Persern (V, 18 - 20) deutlich, dessen Symposion zu den am ausführlichsten beschriebenen Symposia in Herodots Historien zählt. Dabei wird ersichtlich, wie schnell sich an einem solch intimen Ort die als harmonisch empfundene Realität ins Unerwartete verändern kann. Dieses Gastmahl steht im Kontext des Berichts über Megabazos ’ Feldzug in thrakisches und makedonisches Gebiet (V, 1 - 22) und damit kurz bevor der Text ab V, 23 auf die Vorgeschichte des Ionischen Aufstands zu sprechen kommt. Sieben persische Gesandte werden von Megabazos zum Makedonenkönig Amyntas geschickt, um als Zeichen der Unterwerfung, Erde und Wasser zu 1483 Hobden untersucht dieses Symposion (V, 18 - 20) in ihrem Buch ‚ The symposion in ancient Greek society and thought ‘ (2013), als sie sich in ihrem vierten Kapitel mit mehreren in der griechischen (und auch nahöstlichen) Literatur überlieferten Symposia befasst, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise als Gelegenheit für einen Überfall ausgenutzt werden (vgl. dazu auch die Ausführungen in Kap. 1.1). Dabei stellt sie besonders einen Bezug zu Xen. hell. V, 4.4 - 6 her, bei dem es während der Aphrodisia zu einem sehr ähnlichen Vorfall kommt, und vergleicht u. a. die einzelnen Details (vgl. Hobden [2013], S. 171 - 176); siehe dazu auch Anm. 1562. 444 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="445"?> fordern (V, 17.1 / V, 18.1). 1484 Amyntas gewährt ihnen diese Bitte kampflos und lädt sie dazu ein, seine Gäste zu sein (V, 18.1). Der Text verwendet für die Einladung die Formulierung ἐπὶ ξείνια καλέειν (V, 18.1), wodurch die mit der Aufnahme verbundenen gastfreundschaftlichen Pflichten betont werden. 1485 Dass die für das griechische Gastmahl bekannte typische konvivale Abfolge (Deipnon - Symposion) auch für die Makedonen gilt, wird an der Formulierung zu Beginn des Symposions deutlich: ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἐγίνοντο , διαπίνοντες εἶπαν οἱ Πέρσαι τάδε · (V, 18.2) Der Abschnitt des Symposions wird hier also durch διαπίνοντες umschrieben. Später wird Alexander, Amyntas ’ Sohn, dieses noch als πόσις bezeichnen (V, 19.1). 1486 Für den Abschnitt des Mahls verwendet der Text den Ausdruck δεῖπνον . 1487 Doch nur die Geschehnisse während des Symposions sind bei diesem Gastmahl offensichtlich entscheidend und erwähnenswert, da alles, was der Rezipient über das Deipnon erfährt in einem Halbsatz zusammengefasst ist: παρασκευασάμενος δὲ δεῖπνον μεγαλοπρεπὲς ἐδέκετο τοὺς Πέρσας φιλοφρόνως . (V, 18.1) Mit dem Adjektiv μεγαλοπρεπής (= prachtvoll) hebt der Text hervor, wie großzügig Amyntas die Perser bewirtet. 1488 Die Aufnahme selbst wird zwar durch eine Form des unkonnotierten Verbs δέχεσθαι dargestellt ( ἐδέκετο - V, 18.1), 1489 durch das Adverb φιλοφρόνως allerdings wird die Aufnahme als herzlich gekennzeichnet, wodurch ersichtlich wird, dass Amyntas die Perser 1484 Zum Übergaberitual von Erde und Wasser siehe allgemein Kuhrt (1988); Munn (2009); Klinkott (2016) sowie Anm. 1570 in der vorliegenden Arbeit. Nenci (1994, S. 176) fasst zusammen, dass es sich dabei um einen Akt der ‚ Unterwerfung ‘ handelte, der aber keine Steuerabgabepflicht, militärische Besetzung oder Anwesenheit eines persischen Satrapen zur Folge hatte. Dieses Übergaberitual wird in den Historien an zahlreichen weiteren Stellen erwähnt (IV, 126 / IV, 127.4 / IV, 132.1 / V, 73.2 / VI, 48.2 / VI, 49.1 / VI, 94.1 / zweimal in VII, 32 / VII, 131 / VII, 133.1 / VII, 138.2 / VII, 163.2 / VII, 233.1 / VIII, 46.4; vgl. auch Kuhrt [1988], S. 87 f.; Klinkott [2016], S. 145 f.). 1485 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.5.9. 1486 Zur Verwendung von πόσις in Herodots Historien siehe Kap. 2.2.5.2. 1487 Zur mehrfach gebrauchten Wendung ἀπὸ δείπνου γίγνεσθαι / εἶναι in Herodots Historien, mit der der Text das Ende des Mahlabschnitts bezeichnet, siehe Kap. 2.2.5.6 mit Anm. 480. 1488 Zur Bedeutungsanaylse von μεγαλοπρεπείη bzw. μεγαλοπρεπής siehe Anm. 869. 1489 Zur Analyse von δέχεσθαι als Ausdruck der gastlichen Aufnahme siehe Kap. 2.2.5.10. Noch zwei weitere Male umschreibt der Text jeweils in einer direkten Rede durch die Sprechenden (Perser in V, 18.2 / Alexander in V, 20.4) die Aufnahme der Perser bei Amyntas mit δέχεσθαι ( σύ νυν , ἐπεί περ προθύμως μὲν ἐδέξαο , μεγάλως δὲ ξεινίζεις - V, 18.2 / εὖ ὑμέας ἐδέξατο καὶ τραπέζῃ καὶ κοίτῃ - V, 20.4). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 445 <?page no="446"?> freundlich gesinnt, also ohne Hintergedanken, bei sich aufnimmt. 1490 Da Amyntas den Persern zudem die Gabe von Erde und Wasser zusagt (V, 18.1), 1491 sind die Voraussetzungen des nun an das Mahl anschließenden Symposions also durchaus günstig. Auch die Anzahl der Gastmahlteilnehmer liegt im Rahmen der normalen Konventionen. Denn es handelt sich um sieben persische Gesandte, 1492 die zudem nach Megabazos auch noch die Angesehensten im Heer sind ( Μεγάβαζος δὲ [ … ], πέμπει ἀγγέλους ἐς Μακεδονίην ἄνδρας ἑπτὰ Πέρσας , οἳ μετ᾽ αὐτὸν ἐκεῖνον ἦσαν δοκιμώτατοι ἐν τῷ στρατοπέδῳ - V, 17.1). Auf Seiten der Makedonen werden außer dem Gastgeber Amyntas und seinem Sohn Alexander zunächst keine weiteren Symposionsteilnehmer erwähnt. Einige zum Symposion zugehörige Elemente und Konventionen, die aber für den Handlungsablauf hier nicht entscheidend sind, werden nicht erwähnt. So z. B. das Mischverhältnis des Weins, das Verteilen der Becher, die Art der Unterhaltung und die musikalische Begleitung. Ebenso werden keine Regeln mit Bezug auf das Trinken explizit angesprochen. Denn es ist auch nicht entscheidend, ob überhaupt bzw. welche Trinkregeln gelten. Von Bedeutung ist der übermäßige Weinkonsum, den der Text durch διαπίνοντες (V, 18.2) impliziert. 1493 1490 Ein weiteres Mal beschreibt der Text in Herodots Historien auf diese Art eine wohlwollende Aufnahme von Gästen: Als Periander seinen älteren Sohn zu den Geschehnissen bei dessen Großvater Prokles befragt, berichtet dieser, dass Prokles ihn und seinen Bruder freundlich aufgenommen habe ( φιλοφρόνως ἐδέξατο - III, 51.1). Aber auch die Aufnahme von Gegenständen kann φιλοφρόνως sein. So nimmt Kambyses die Geschenken der Libyer freundlich gesinnt entgegen ( φιλοφρόνως ἐδέξατο - III, 13.4), während er die der Kyrenaier bemängelt, vermutlich weil sie ihm zu gering waren ( μεμφθείς - III, 13.4). Φιλοφρόνως bezeichnet also ein positives Gefühl, das der Empfänger in dem Moment der Anbzw. Aufnahme empfindet. Amyntas tritt also nicht nur äußerlich freundlich auf, sondern empfindet tatsächlich zunächst Wohlwollen gegenüber seinen Gästen. 1491 Klinkott (2016, S. 136) betont, dass die Übergabe von Erde und Wasser aus (halb-)freiem Willen geschehen sollte, sodass es sich „ konzeptionell also [um] ein Geschenk ( δῶρα ) “ handelt und nicht um etwas Erbrachtes ( φόρος ). So wird an dieser Textstelle ausgesagt, dass die persischen Gesandten um Erde und Wasser bitten ( αἴτεον ἐλθόντες [ … ] γῆν τε καὶ ὕδωρ - V, 18.1) und die Makedonen dieses geben, nicht erbringen ( ὁ δὲ ταῦτά τε ἐδίδου - V, 18.1). Zu δῶρα und φόρος im Achämenidenreich siehe Wiesehöfer (1998), S. 98 - 102. 1492 Badian (1994, S. 108) bemerkt, dass Herodot die Namen der Gesandten hier nicht nenne, obwohl er sonst gerne bedeutende Männer namentlich aufliste wie z. B. die sieben Verschwörer gegen den falschen Smerdis in III, 70 oder Agaristes Freier in VI, 127. Zur Bedeutsamkeit der Zahl Sieben bei den Persern siehe Errington (1981), S. 142; Horváth (2004), S. 76. 1493 Zur Bedeutung von διαπίνειν und dem damit implizierten starken Weinkonsum siehe Kap. 2.2.5.3. 446 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="447"?> Wieder stellt der Text ein Gespräch in den Historien explizit im Rahmen eines Symposions dar. 1494 Eine Vorstellung der einzelnen Perser findet allerdings nicht statt. Damit macht der Text klar, dass auf Seiten der Perser nicht die Einzelpersonen, sondern die Perser als Gruppe und damit als Vertreter des gesamten persischen Volkes entscheidend sind. Mit Verweis auf ihr Gastrecht ( ἐπεί περ προθύμως μὲν ἐδέξαο , μεγάλως δὲ ξεινίζεις - V, 18.2) 1495 zum einen, zum anderen auf ihre Herrschaft ( διδοῖς τε βασιλέϊ Δαρείῳ γῆν τε καὶ ὕδωρ - V, 18.2) fordern die Perser nun, dass auch Frauen - sowohl Konkubinen als auch die rechtmäßigen Ehefrauen ( καὶ τὰς παλλακὰς καὶ τὰς κουριδίας γυναῖκας ἐσάγεσθαι - V, 18.2) - hereingebracht werden sollen, wie es in Persien Brauch sei ( ἡμῖν νόμος ἐστὶ τοῖσι Πέρσῃσι - V, 18.2). 1496 Bei den Makedonen gebe es diesen Brauch allerdings nicht, sondern dort seien - wortwörtlich wiedergegeben - Männer von den Frauen getrennt, wie Amyntas den Persern erklärt ( Ὦ Πέρσαι , νόμος μὲν ἡμῖν γέ ἐστι οὐκ οὗτος , ἀλλὰ κεχωρίσθαι ἄνδρας γυναικῶν - V, 18.3). Den Zusatz ‚ beim Symposion ‘ seien Männer von den Frauen getrennt, muss sich der Rezipient ergänzen. Denn darin stimmen sie mit den Griechen überein. 1497 Diese kulturelle Äquivalenz zwischen Makedonen und Griechen wird später im Text dadurch untermauert, dass sich Amyntas ’ Sohn Alexander selbst als Grieche bezeichnet ( ἀνὴρ Ἕλλην - V, 20.4) und damit auf seine Abstammung verweist, die auf den laut Herodots Historien aus Argos stammenden Perdikkas, den Gründer von Makedonien, zurückgeht 1494 Für das Gastmahl als vom Text bewusst gewählten Rahmen für die Darstellung eines Gesprächs in Herodots Historien siehe die Ausführungen in Kap. 3.1 und für die gezielte Verortung im Symposion bes. Kap. 3.1.2. 1495 Indem der persische Gesandte Amyntas zu Beginn des Symposions als Xenos, hier Gastfreund bzw. Gastgeber, anspricht ( Ξεῖνε Μακεδών - V, 18.2), wird er von ihm zugleich auf seine gastfreundschaftlichen Pflichten hingewiesen. Durch die gastfreundschaftliche Aufnahme bei Amyntas wird die Bedeutungsnuance von Xenos als Gastfreund bzw. Gastgeber klar. Fremd ist er nach der Bewirtung nicht mehr. Zur Bedeutung von Xenos in Herodots Historien siehe die Ausführungen in Kap. 2.1.1.3 und speziell zur Verwendung von Xenos in der Anrede siehe Anm. 118. 1496 Durch die direkte Rede macht der Text die Ansichten der sprechenden Personen besonders deutlich und gestaltet sie lebendiger. So zeigt er, dass diese Aufforderung, die hier durch die Imperativkonstruktion ἕπεο νόμῳ τῷ ἡμετέρῳ (V, 18.2) ausgesprochen wird, mit Nachdruck geschieht. 1497 Vgl. dazu Hall (2001, S. 171), der Amyntas ’ Erwiderung an die Perser, dass es ihrem Brauch widerspreche, ihre Frauen nun hereinzuholen, als eine klare Anspielung auf die typisch griechische Institution des Symposions sieht, von dem die Frauen ausgeschlossen waren; vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. Mit der Frage, ob makedonische Frauen tatsächlich nicht am Symposion teilnehmen bzw. - wenn doch - auf welche Art und Weise, beschäftigt sich Carney (2015). Doch für die Darstellung der Historien steht durch die Aussage des Amyntas fest, dass es der makedonischen Sitte widerspricht, wenn Frauen am Symposion teilnehmen. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 447 <?page no="448"?> (VIII, 137 - 139). 1498 Auch wenn die Frage nach der makedonischen Identität im 1498 Im achten Buch der Historien berichtet der Text, dass der Gründer der Makedonendynastie und Nachfahre des Temenos Perdikkas ursprünglich zusammen mit seinen Brüdern aus Argos geflohen ist (VIII, 137.1); siehe dazu die Ausführungen in Kap. 4.1.1.1. Darauf scheint sich Amyntas ’ Sohn Alexander als Nachkomme des Perdikkas in seiner Aussage in V, 20.4 zu stützen. Allerdings existieren zwei Städte, die Argos genannt werden: Während Masaracchia für das in VIII, 137.1 angesprochene Argos das peloponnesische Argos (vgl. dazu Masaracchia [1996], S. 226) annimmt, hält Bowie (2007, S. 226) das Argos im südlichen Makedonien für wahrscheinlicher. Bowie (2007, S. 226) jedoch bemerkt diesbezüglich: „ The claimed relationship with the more famous Argos could have been an attempt to lend prestige to Temenid rule “ ; vgl. dazu auch Masaracchia (1996), S. 226. Doch der Text in den Historien beweist die griechische Herkunft der makedonischen Könige auch dadurch, dass er berichtet, Alexander habe an den olympischen Spielen teilnehmen dürfen, da er durch seine Herkunft aus Argos beweisen konnte, Grieche zu sein (V, 22.2). Die Nähe Alexanders zu den Griechen wird im Text zudem angedeutet, als er diesen hilfreiche Ratschläge für den Kampf gegen die Perser gibt (VII, 173.3 / IX, 44 - 45) oder als athenischer Proxenos und εὐεργέτης bezeichnet wird (VIII, 136.1; siehe dazu auch Kap. 2.1.1.2.3); vgl. dazu Erbse (1992), S. 99 - 104, Fearn (2007a), S. 30 - 34 sowie Fearn (2007b), bes. S. 119 - 127. Im siebten Buch schickt Alexander Boten zu den Griechen mit dem Rat, abzuziehen, damit sie nicht im Tempetal überrollt werden (VII, 173.3). Hier bezeichnet der Text ihn zumindest als Makedone, der den Griechen als guter Ratgeber erscheint und sich ihnen als wohlgesinnt erweist (( χρηστὰ γὰρ ἐδόκεον συμβουλεύειν , καί σφι εὔνοος ἐφαίνετο ἐὼν ὁ Μακεδών ) - VII, 173.3). Der Text fügt - als persönliche Ansicht des Herodot dargestellt - noch hinzu, dass die Griechen seiner Meinung nach aus Entsetzen aufbrechen, weil sie erfahren haben, dass es noch einen anderen Paß nach Thessalien gibt (VII, 173.4). Zahrnt (2011, S. 771) nimmt an, dass Alexander die Griechen „ zugleich mit seiner Warnung von der Alternativroute in Kenntnis gesetzt “ hatte, „ nicht weil er sie heimlich unterstützte, wie er später Herodot glauben machen konnte, sondern weil er ein Interesse daran haben mußte, daß das persische Heer sich nicht länger als unbedingt nötig in seinem Land aufhielt “ (Zahrnt [2011], S. 771 mit weiteren Literaturhinweisen). Als Begründung verweist Zahrnt (ebd.) auf die aufwendige Versorgung, die die Städte den Persern zukommen lassen mussten (VII, 118 - 120). In VIII, 140 gibt der Text eine Rede wieder, die Alexander den Griechen von Mardonios überbringt (VIII, 140 α .1). Mardonios wählt Alexander sorgfältig als Übermittler aus, erstens nämlich ist er mit den Persern durch die Ehe seiner Schwester Gygaie mit dem Perser Bubares verschwägert (VIII, 136.1), was Alexander offensichtlich vertrauenswürdig für ihn macht, und zweitens ist er Wohltäter und Proxenos Athens (VIII, 136.1). Durch die Rede erhofft sich Mardonios, die Athener zu einem Bündnis zu überreden und auch Alexander selbst rät den Athenern, dieses Angebot anzunehmen (VIII, 140 β .4). Zahrnt (2011, S. 772) bemerkt zu Recht, dass Alexander keine andere Wahl hatte, als Mardonios ’ Wunsch so gut wie möglich zu erfüllen „ angesichts seiner Stellung als Untertan des Großkönigs und der Anwesenheit persischer Truppen in seinem Land “ . Gegen Ende der Perserkriege (IX, 44 - 45) berichtet der Text, wie Alexander den Griechen allerdings das geplante Vorgehen und die Lage der Perser verrät - wohl in der Hoffnung, seine Zukunft zu sichern (vgl. Fearn [2007a], S. 33 mit Verweis auf Badian [1994], S. 118 f. sowie Flower/ Marincola [2002], S. 188); Erbse (1992, S. 101) ist allerdings der Meinung, dass es aufgrund der Gefahr, der sich Alexander aussetzt, um den Griechen Informationen über die Perser zu verraten, keinen Grund gebe, „ an seiner Aufrichtigkeit zu 448 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="449"?> Allgemeinen umstritten ist, 1499 führt der Text zumindest das makedonische Königshaus auf eine griechische Abstammung zurück. Dadurch dass der Text also Alexanders griechische Abstammung hervorhebt, betont er wiederum den in Herodots Historien beständigen Kontrast zwischen Persern und Griechen. Denn Alexanders griechische Sitten widersprechen denen der Perser. Es ist allerdings fraglich, ob bei den Persern Frauen und Männer tatsächlich gemeinsam am Symposion teilnahmen. Normalerweise erwähnt der Text in Herodots Historien solche Besonderheiten in den ethnographischen Beschreibungen, was er im Fall der Perser nicht tut. 1500 Obwohl der Text über die Perser also nicht explizit aussagt, dass Frauen beim Symposion zugelassen sind, spricht er auch nie davon, dass sie dabei getrennt von den Männern sind. Daher sind in Herodots Historien die Rollen der Frauen im persischen Symposion nicht klar definiert. Mehrfach verweisen Kommentatoren hier auf eine Texstelle in Plutarchs Quaestiones Convivales, aus der zu lesen ist, dass die Perser zwar nicht mit ihren Ehefrauen, aber mit ihren Konkubinen gemeinsam trinken ( καὶ τοὺς Πέρσας ὀρθῶς φασι μὴ ταῖς γαμεταῖς ἀλλὰ ταῖς παλλακίσι συμμεθύσκεσθαι καὶ συνορχεῖσθαι - Plut. mor. 613 A). 1501 Die Perser scheinen zweifeln. “ In dieser Rede betont Alexander zudem, von griechischer Abstammung zu sein ( αὐτός τε γὰρ Ἕλλην γένος εἰμὶ τὠρχαῖον - IX, 45.2), um sein Wohlwollen gegenüber Griechenland, dessen Freiheit ihm am Herzen liegt, zu begründen (IX, 45.2). Er handele für die Griechen ( Ἑλλήνων εἵνεκα - IX, 45.3). Dass er sich aber dennoch als Alexander der Makedone ausweist ( εἰμὶ δὲ Ἀλέξανδρος ὁ Μακεδών - IX, 45.3), deutet darauf hin, dass er zwischen Makedonen und Griechen eine genealogische Verbindung sieht. Rosen (1978, S. 6) allerdings betont, dass die Herkunft der Makedonendynastie aus Argos „ unhistorisch “ sei und eine Erfindung Alexanders I. aus „ politischen Gründen “ . Siehe dazu auch ebd., S. 6 - 10. Zahrnt (2011, S. 775) bemerkt, dass eine Mehrheit der Meinung sei, „ daß die Episoden, bei denen Alexandros Sympathien für die Sache der Griechen gezeigt haben soll, erfunden oder zumindest umgedeutet sind “ (siehe dazu Zahrnts Literaturhinweise ebd., Anm. 37). 1499 Die Makedonen werden teils als eigenes Volk betrachtet, als Griechen oder auch als „ an intermediate group “ (Engels [2010], S. 84) zwischen Griechen und anderen Völkern (vgl. Engels [2010], bes. S. 84 - 89). In der Darstellung der Historien allerdings stammen zumindest die Könige der Makedonen von Argeiern - also Griechen - ab (VIII, 137.1); vgl. dazu auch Anm. 1498 sowie Mitchell (2007), S. 204; Engels (2010), S. 84, S. 90. Sancisi- Weerdenburg (2001, S. 329) bemerkt, dass das Griechentum der Makedonen auch bei den Griechen selbst zumindest umstritten war. Mitchell (2007, S. 205) betont, dass der Status der Randvölker der griechischen Welt schwankte: „ Sometimes they were brought inside the circle of those who belonged, at others they were not “ (Mitchell [2007], S. 205). Zur Frage nach der Identität der Makedonen siehe auch Hall (2001); Fearn (2007b); Asirvatham (2008). 1500 Vgl. Erbse (1992), S. 103. 1501 Vgl. z. B. Stein (1894), S. 17; How/ Wells (1912b), S. 7; Nenci (1994), S. 178; vgl. auch Brosius (1996), S. 94; Granger (2002), S. 139. Dass bei den Persern Polygamie herrscht und sie eine große Anzahl von Nebenfrauen haben, erfährt der Rezipient bereits im ersten 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 449 <?page no="450"?> somit Frauen zwar nicht grundsätzlich vom Symposion auszuschließen, dabei aber zu differenzieren. 1502 Allerdings ist aus dem Argument des persischen Gesandten, bei ihnen würden auch Frauen am Deipnon teilnehmen, ohnehin nicht zwingend zu erschließen, dass der Begriff Deipnon hier auch ein Symposion miterfasst ( ἐπεὰν δεῖπνον προτιθώμεθα μέγα - V, 18.2). Denn mehrfach wird δεῖπνον in Herodots Historien auch nur für den ersten Abschnitt eines Gastmahls, für das Mahl, gebraucht. 1503 Dies ist sogar kurz zuvor bei ebendiesem Gastmahl der Fall, wenn der Text eindeutig den Abschnitt des Mahls, der erst beendet werden muss, bevor das Symposion beginnen kann, als Deipnon bezeichnet Buch der Historien ( γαμέουσι δὲ ἕκαστος αὐτῶν πολλὰς μὲν κουριδίας γυναῖκας , πολλῷ δ᾽ ἔτι πλεῦνας παλλακὰς κτῶνται - I, 135). Doch ob diese Behauptung der historischen Wahrheit entspricht, ist fraglich (vgl. dazu Hall [1989], S. 201); zur persischen Polygamie in Herodots Historien siehe Boedeker (2011), S. 222 - 224. Zudem lebten auch die makedonischen Könige polygam (vgl. Carney [1996], S. 567). Die von den persischen Gesandten hier angesprochene Polygamie der Perser ist ohnehin nicht die Ursache für den auftretenden Konflikt. Die Ursache dafür ist stattdessen, dass die Perser die laut Amyntas bestehende Sitte der Makedonen, dass ihre Frauen - rechtmäßige Ehefrauen sowie Konkubinen - nie am Symposion teilnehmen, nicht respektieren. 1502 Vgl. dazu auch Horváth (2004), S. 76 f. Horváth verweist hier (ebd.) auf eine weitere Textstelle Plutarchs (aus den Coniugalia Praecepta): Τοῖς τῶν Περσῶν βασιλεῦσιν αἱ γνήσιαι γυναῖκες παρακάθηνται δειπνοῦσι καὶ συνεστιῶνται· βουλόμενοι δὲ παίζειν καὶ μεθύσκεσθαι ταύτας μὲν ἀποπέμπουσι , τὰς δὲ μουσουργοὺς καὶ παλλακίδας καλοῦσιν [ … ] (Plut. mor. 140 B). Demnach verlassen die Ehefrauen der persischen Könige nach dem Essen das Gastmahl. Nun sind als Frauen nur noch Mätressen und Künstlerinnen anwesend (vgl. auch Brosius [1996], S. 94; Granger [2002], S. 139, die zudem jeweils auf Herakleides von Kyme [FGrHist III 689 F 2] sowie auf Plut. vitae parallelae - Artaxerxes 5 +26 verweisen). Horváth (2004, S. 77) sieht diesen Austausch auch bei Herodot in V, 20 gegeben - „ aber anstatt der Mätressen kommen verkleidete Jünglinge “ herein (ebd.). Brosius (1996, S. 94 f.) allerdings gibt zu bedenken, dass es wohl eher eine griechische Fehlinterpretation persischer Sitten sei, dass lediglich die Konkubinen am Symposion teilnehmen, während die legitimen Ehefrauen nach dem Mahl den Raum verlassen (vgl. auch Rhodes [2019], S. 167). Darauf, dass die Ehefrau und die Mutter des Großkönigs mit ihm gewöhnlich speisen, weist Plutarch in vitae parallelae - Artaxerxes 5 hin sowie auf das gemeinsame Speisen mit der Ehefrau auch Herakleides von Kyme (FGrHist III 689 F 2) (vgl. Heni [1976], S. 50/ Anm. 134; Brosius [1996], S. 95; Granger [2002], S. 128, S. 139; Ruberto [2009], S. 55 f.). Zur Teilnahme von Frauen an persischen Mählern und Symposia allgemein siehe Brosius (1996), S. 94 - 97. Harrison (2019, S. 510 f.) schließt sich u. a. ebenfalls mit Blick auf Plut. mor. 140 B, Herakleides von Kyme (FGrHist III 689 F 2) sowie Plut. vitae parallelae - Artaxerxes 5 Rawlinsons Ansicht an (vgl. Rawlinson [1859], S. 229), dass die Perser wohl bewusst ihren Nomos gebrochen haben (vgl. auch Nenci [1994], S. 178 sowie Anm. 1553 in der vorliegenden Arbeit). Harrison (2019) untersucht in seinem Aufsatz ‚ A Persian marriage feast in Macedon? ‘ Parallelen zwischen diesem Symposion bei Herodot und Arrians Darstellung der Massenhochzeit Alexanders des Großen in Susa (Arr. an. VII, 4.4 - 8). 1503 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap 2.2.5.6. 450 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="451"?> ( παρασκευασάμενος δὲ δεῖπνον μεγαλοπρεπὲς - V, 18.1 / ὡς δὲ ἀπὸ δείπνου ἐγίνοντο - V, 18.2). Der Text scheint das Argument des Persers bewusst doppeldeutig zu formulieren, damit dieser so seinen Wunsch, dass nun Frauen hereingebracht werden, begründen kann, auch wenn in Persien Frauen gewöhnlich nur beim Mahl teilnehmen sollten. In diesem Fall würde der Perser auch für die Griechen nichts gänzlich Ungewöhnliches fordern. Denn das geschlechtergemischte Speisen beim Deipnon, d. h. das Speisen zwischen Ehemann und Ehefrau, war auch bei den Griechen nicht selten. 1504 Doch der hier beschriebene Kontext ist nicht mit dem in Griechenland gewöhnlichen Speisen zwischen Ehemann und Ehefrau vereinbar. So geraten die Frauen erstens eindeutig in ein Symposion, deren Teilnehmer für sie zweitens fremde Männer sind. Unabhängig davon, ob es der Wahrheit entspricht, dass persische Frauen gewöhnlich am Symposion teilnahmen, zeigt sich an dieser Symposionsdarstellung, dass diese Sitte nicht ohne Konsequenzen auf das griechische bzw. hier makedonische Symposion übertragen werden kann. Die soziale Sphäre der griechischen Frauen beschränkte sich auf den Oikos und damit ist eine Teilnahme an einem sozialen Ereignis wie dem Symposion nicht vereinbar. 1505 Diese Unvereinbarkeit zeigt sich später an der stummen und wehrlosen Rolle der makedonischen Frauen im weiteren Verlauf des Symposions. Bei den Persern dagegen wurden Frauen - zumindest die Frauen am Königshof - in die sozialen Angelegenheiten eingebunden. 1506 1504 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.1. Dabei war es der Frau jedoch nicht erlaubt zu liegen (vgl. Anm. 304). So verwundert es auch nicht, dass sich die Frauen hier, so wie sie es gewohnt sind, zu den Männern setzen, als sie dann eintreten ( ἵζοντο - V, 18.3 / ἵζεσθαι - V, 18.4). Auch die als Frauen verkleideten Makedonen setzen sich später auf Anweisung Alexanders neben die Perser ( παρίζει - V, 20.5). In seiner Aussage betont der persische Gesandte auch, dass die Frauen als Parhedroi teilnehmen sollen ( καὶ τὰς παλλακὰς καὶ τὰς κουριδίας γυναῖκας ἐσάγεσθαι παρέδρους - V, 18.2), also im engen Sinne als ‚ Personen, die neben ihnen sitzen ‘ (vgl. dazu πάρεδρος in LSJ, S. 1332: „ sitting beside, [ … ] Hdt. 5.18 “ .). Zur umstrittenen Frage, ob die Makedonen als griechisch anzusehen sind, siehe Anm. 1499. 1505 Vgl. Brosius (1996), S. 96. 1506 Vgl. ebd. Siehe dazu auch die Ausführungen von Sancisi-Weerdenburg (1988). Dass die persischen Frauen am Hof der Großkönige in politische Angelegenheiten miteingebunden wurden, wird auch in Herodots Historien ersichtlich. Flower (2006, S. 283 f.) weist darauf hin, dass Herodot in seiner Ethnographie im ersten Buch nicht auf die politische Stellung der persischen Frauen eingehe, sondern dass der politische und soziale Einfluss der Frauen eher erst im Laufe der Historien deutlich werde: So wird z. B. in III, 134 beschrieben, wie Atossa Dareios auffordert, gegen Griechenland in den Krieg zu ziehen. Wie stark Atossas Einfluss dabei auf die persische Politik ist, wird deutlich, wenn davon berichtet wird, dass nicht der älteste Sohn Artabazanes, sondern Atossas Sohn Xerxes Dareios ’ Nachfolger wurde, was auch unabhängig des Rates von Demaratos (VII, 3.2 - 3) 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 451 <?page no="452"?> Amyntas ist nun im Zwiespalt: Folgt er seinen Pflichten als Gastgeber und Untertan der Perser, verstößt er zugleich gegen einen wichtigen griechischen Brauch beim Symposion, durch den die Besonderheit der Ehe gewahrt wird, indem eben die legitimen Ehefrauen nicht wie Kurtisanen behandelt werden. 1507 Doch weil er sich durch die Herrschaft der Perser dazu genötigt fühlt ( ἐπείτε δὲ ὑμεῖς ἐόντες δεσπόται - V, 18.3), erfüllt Amyntas letztlich den Wunsch der Perser. Er lässt die makedonischen Frauen holen und sich den Persern zunächst gegenübersetzen (V, 18.3). Als die Perser nun die schönen Frauen ( γυναῖκας εὐμόρφους - V, 18.4) erblicken, sagen sie mehrmals ( ἔλεγον - V, 18.4) 1508 zu Amyntas, dass diese Handlung nicht klug gewesen sei ( τὸ ποιηθὲν τοῦτο οὐδὲν εἶναι σοφόν - V, 18.4). In diesen Worten, die in indirekter Rede wiedergegeben werden, wird eine Wendung hin zur Katastrophe ersichtlich. Es wäre besser gewesen, wenn sie gar nicht erst gekommen wären, als wenn sie wie jetzt nur gegenüber von ihnen säßen ( μὴ παριζομένας ἀντίας ἵζεσθαι - V, 18.4). Schmerzlich sei dies für ihre Augen ( ἀλγηδόνας σφίσι ὀφθαλμῶν - V, 18.4). 1509 Die damit verbundene Forderung, die Frauen sollen sich neben die Perser setzen, ist deutlich erkennbar, wenngleich nicht explizit ausgesprochen. Gezwungenermaßen ( ἀναγκαζόμενος - V, 18.5) 1510 kommt Amyntas somit auch geschehen wäre, da Atossa die ganze Macht in ihren Händen hatte ( ἡ γὰρ Ἄτοσσα εἶχε τὸ πᾶν κράτος - VII, 3.4); vgl. dazu auch Boedeker (2011), S. 216 f., S. 218. Ein weiteres Beispiel für den Einfluss persischer Frauen auf politische Geschehnisse wird in Herodots Historien an der Darstellung von Xerxes ’ Gattin Amestris ersichtlich (IX, 110 - 112; siehe dazu Kap. 4.2.3.2.3); für diese Beispiele siehe auch Flower (2008), S. 283 f. 1507 Vgl. Schmitt Pantel (1992), S. 467 f. sowie Schmitt Pantel (2001, S. 169): „ Le roi de Macédoine est ainsi pris entre deux traditions: la coutume du repas d ’ hospitalité grec qui a une valeur sacrée et le nomos perse qu ’ il doit observer comme conséquence de sa sujétion au royaume perse. “ 1508 Der iterative Aspekt des Imperfekts hebt hier die Kontinuität und damit den Nachdruck des Bedauerns der Perser darüber hervor, dass die Frauen nicht in ihrer Reichweite sitzen; vgl. Horváths Übersetzung von ἔλεγον (Horváth [2004], S. 70): „ Die Perser [ … ] äußern dabei immer wieder ( ἔλεγον ) gegenüber Amyntas “ . 1509 Man nimmt an, dass der Ausdruck ἀλγηδών ὀφθαλμῶν orientalischen Ursprungs ist; vgl. How/ Wells (1912b), S. 7; Nenci (1994), S. 178 f.; Horváth (2004). Horváth (2004, S. 76) sieht in diesen Worten nicht nur „ eine kühne Wendung [ … ], mit der der geschickte Erzähler die Liebeslust kennzeichnet “ , sondern er bringt mit dem Wort ὀφθαλμός auch den „ iranische [n] Titel des persönlichen Stellvertreters oder Beauftragten des persischen Großkönigs “ (ebd., S. 75) in Verbindung und vermutet einen verborgenen Bezug „ auf eine alte orientalische Tradition “ (ebd., S. 75). Damit trage diese Stelle in Herodots Historien „ die Zeichen dieser Herrschaftsideologie “ (ebd., S. 76). 1510 Zur Verwendung von ἀνάγκη und dessen Wortfamilie in Herodots Historien siehe Munson (2001) bzw. speziell für den Zwang zu kämpfen auch Anm. 626. Häufig sind die Urheber eines Zwangs, der in den Historien auf andere ausgeübt wird, despotische Herrscher oder auch sich despotisch verhaltende andere Charaktere wie hier die persischen Gesandten (vgl. dazu Munson [2001], S. 36 - 38). 452 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="453"?> dieser zweiten, indirekten Bitte nach, die Frauen mögen neben ihnen Platz nehmen. 1511 Durch die genaue Schilderung dieses von den Persern initiierten Platzwechsels gibt der Text einen impliziten Vorverweis darauf, dass dieser Verlauf kein gutes Ende nehmen wird. Denn die Gäste greifen in die vom Gastgeber gewünschte Sitzordnung ein und schüren durch die Verteilung der Plätze den Ausgangspunkt des Konflikts. 1512 Zwar entstehen durch die ungeregelte Platzverteilung keine Streitereien zwischen den einzelnen Teilnehmern, aber da die Frauen so nah an den persischen Gesandten sitzen, kommt es zu Übergriffen. Denn die Perser beginnen, die Brüste der makedonischen Frauen zu berühren und versuchen sogar - immer wieder - 1513 sie zu küssen ( αὐτίκα οἱ Πέρσαι μαστῶν τε ἅπτοντο οἷα πλεόνως οἰνωμένοι καί κού τις καὶ φιλέειν 1514 ἐπειρᾶτο - V, 18.5). Diese Übergriffe werden überhaupt erst durch die von den Persern gewünschte Sitzordnung ermöglicht, der Amyntas nur gezwungenermaßen zustimmte. Nun muss er zusehen, wie die Perser ihre Position ausnutzen. Doch noch immer hält ihn starke Furcht vor den Persern zurück, auch wenn ihm die 1511 Vgl. dazu auch Eur. Alc. 753 - 755: Hier berichtet Admets Diener, wie Herakles als Gast unbewusst unpassende Forderungen stellt, die ihm dennoch erfüllt werden. Denn auch wenn die Diener ihn für unverschämt halten, beharrt Admet als Gastgeber darauf, dass es seinem Gast gut geht und verschweigt ihm daher sogar den wahren Grund der Trauer in seinem Haus; siehe dazu Anm. 152. 1512 Um Differenzen zu vermeiden, die die Harmonie des Symposions beeinträchtigen können, sollte die Platzwahl beim Gastmahl immer durch den Gastgeber oder einen Symposiarchen angewiesen werden (vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.2 mit den dortigen Literaturverweisen). 1513 Der iterative Aspekt (von ἅπτοντο und ἐπειρᾶτο ) betont die Intensität, mit der die Perser versuchen, sich an den makedonischen Frauen zu vergreifen. Auch in V, 20.5 wählt der Text die Imperfektform ἐπειρῶντο , was den erneut intensiven Versuch der Perser hervorhebt, die Frauen zu berühren. Während der erste Versuch der Perser durch das Einschreiten von Alexander nicht gelingt, endet der zweite Versuch in ihrer Ermordung. 1514 Für φιλέειν in der Bedeutung ‚ küssen ‘ bei Herodot siehe auch I, 134.1 und II, 41.3. Dabei handelt es sich laut Frisks etymologisches Wörterbuch (Frisk [1991], S. 1018) um eine nachhomerische Bedeutung neben der ursprünglichen Bedeutung „ Freund sein, mit Freundschaft, Zuneigung, Liebe behandeln, lieben, bewirten, pflegen “ (vgl. dazu auch Benveniste [1969], S. 344). In IV, 176 umschreibt der Text ‚ lieben ‘ mit offensichtlich sexueller Konnotation durch φιλέειν , als er im Rahmen der Sittenbeschreibung der Gindanen davon berichtet, dass die Frau, die am meisten Knöchelriemen bekommen hat, die beste sei. Denn diese sei von den meisten Männern ‚ geliebt ‘ worden ( φιληθεῖσα - IV, 176); zu dieser Sitte siehe Anm. 1546. Ein weiteres Mal verwendet der Text φιλέειν noch in der Bedeutung ‚ lieben ‘ , aber ohne explizit sexueller Konnotation: In V, 5 berichtet er von polygamen Thrakerstämmen, bei denen es Sitte ist, dass die Frauen nach dem Tod ihres Mannes darum wetteifern, welche dieser am meisten geliebt habe ( ἐφιλέετο μάλιστα ὑπὸ τοῦ ἀνδρός - V, 5). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 453 <?page no="454"?> Lage sehr missfällt ( Ἀμύντης μὲν δὴ ταῦτα ὁρέων ἀτρέμας εἶχε , καὶπερ δυσφορέων , οἷα ὑπερδειμαίνων τοὺς Πέρσας - V, 19.1). Es ist davon auszugehen, dass dieses Gastmahl in einem Haus stattfindet, also innerhalb der persönlichen Sphäre einer Familie. Es ist also ein Ort, an dem auch die Reinheit und Ehre der Frauen geschützt wird. 1515 Da die Perser nicht davor zurückschrecken, diese Grenze und damit die Ehre der Frauen zu missachten, entehren sie zugleich auch die makedonischen Männer. Denn „ sexual possession “ ist ein besonders starkes Symbol des Sieges, nach Elizabeth D. Carney eine Art zweiter Sieg über die Männer, zu denen die Frauen gehörten. 1516 Die Perser verletzen ihre Gastgeber und zerstören damit das gastfreundschaftliche Verhältnis, das durch das Symposion gefestigt werden hätte können. Anstatt Freundschaft entsteht Feindschaft. Begründet werden die Übergriffe durch den reichlichen Weingenuss ( οἷα πλεόνως οἰνωμένοι - V, 18.5). 1517 Aber anders als an vielen Stellen in Herodots Historien, an denen die Auswirkungen des Weins sozusagen als ‚ Waffe ‘ gezielt eingesetzt werden und so einen bestimmten Handlungsablauf ermöglichen, 1518 nimmt der Wein in dieser Handlung eine passive Rolle ein. Denn er schafft eine für die Makedonen ungewollte, enthemmte Stimmung, in der sich die Perser dazu berechtigt und ermutigt fühlen, sich an den Frauen der Makedonen zu vergreifen. 1519 Der übermäßige Wein ‚ entgrenzt ‘ hier den geregelten Sonder- 1515 Vgl. Cohen (1991), S. 83; Konstan (1997), S. 89. 1516 Carney (1996), S. 564; vgl. auch de Moraes/ da Silva (2016), S. 37. 1517 Vgl. dazu Coulet (1994, S. 68 f.), die die Enthemmung der Perser in diesem Symposion als Beispiel dafür anführt, dass übermäßiger Weinkonsum in Herodots Historien den agierenden Charakteren immer wieder zum Verhängnis wird; vgl. dazu Anm. 1004. Fearn (2007b, S. 113) sieht hier die in I, 133.3 - 4 geschilderte Behauptung, die Perser würden betrunken die besten Entscheidungen treffen und am nächsten Tag nüchtern nochmals überprüfen (siehe dazu Kap. 3.2), demontiert; vgl. dazu die Ausführungen in Anm. 685. 1518 Vgl. dazu die in Kap. 4.2.1 untersuchten Textstellen. 1519 Dafür, dass Weinkonsum eine enthemmende Wirkung hat, die im richtigen Maß und für sich genommen positiv zu bewerten ist, siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.4. Hier führt der zu starke Weinkonsum allerdings zu einer zu weitgehenden Enthemmung, sodass die Perser keinen Skrupel vor sexuellen Übergriffen auf die Ehefrauen ihrer Gastgeber haben. Bezüglich der Wirkung des Weins auf Sexualität möchte ich hier exemplarisch noch zwei Passagen anderer literarischer Darstellungen anführen. So spricht in Euripides ’ Kyklops Silenos vor Odysseus von Freuden, die der Wein mit sich bringt. Er spielt dabei auf sexuelle Vergnügungen mit Frauen an, die durch den Weinkonsum erleichtert werden. Dazu kommt Tanz und Sorglosigkeit durch Vergessen ( ὡς ὅς γε πίνων μὴ γέγηθε μαίνεται · / ἵν᾽ ἔστι τουτί τ᾽ ὀρθὸν ἐξανιστάναι / μαστοῦ τε δραγμὸς καὶ †παρεσκευασμένου† / ψαῦσαι χεροῖν λειμῶνος ὀρχηστύς θ᾽ ἅμα / κακῶν τε λῆστις - Eur. Cycl. 168 - 172a). Ein ähnlicher Gedanke ist auch aus den Worten des Hirten in Euripides ’ Bakchen zu schließen, der Pentheus gerade von dem Treiben der Frauen im 454 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="455"?> raum des Symposions. So wird die im Symposion besondere Atmosphäre des intensivierten Erlebens von den Persern durch übermäßigen Weinkonsum und Missachten der makedonischen Sitten auf ungeregelte Weise ausgelebt. 1520 Im weiteren Verlauf nun zeigt sich, dass dieses Symposion die makedonische Herrschaft verbildlicht, die momentan durch die Perser dominiert wird. Dabei wird der Mut des jungen Alexanders veranschaulicht, der, im Gegensatz zu seinem sich fürchtenden Vater, nicht davor zurückschreckt, bei ungerechtem Verhalten - auch gegen die eigenen Herrscher - zurückzuschlagen (V, 19.1). 1521 Der Gegensatz deutet sich schon in der Syntax durch die Reihung Ἀμύντης μὲν [ … ]· Ἀλέξανδρος δὲ [ … ] (V, 19.1) an. Beide ertragen den Anblick der Übergriffe nur schwer ( δυσφορέων / βαρέως φέρων - V, 19.1), doch während sich Amyntas nicht rührt ( ἀτρέμας εἶχε - V, 19.1) 1522 , kann sich Alexander nicht bakchantischen Wahn und von ihrer Unverwundbarkeit berichtet (Eur. Bacch. 677 - 774). Er versucht, Pentheus davon zu überzeugen, Dionysos als Gott anzuerkennen, der den Menschen den Wein gebracht hat (Eur. Bacch. 771 - 772). Dabei spricht er, dass es ohne Wein keine ‚ Kypris ‘ gebe und auch keine anderen Freuden für die Menschen ( οἴνου δὲ μηκέτ᾽ ὄντος οὐκ ἔστιν Κύπρις / οὐδ᾽ ἄλλο τερπνὸν οὐδὲν ἀνθρώποις ἔτι - Eur. Bacch. 773 - 774). Auch bei den persischen Gesandten in Herodots Historien scheint der Weingenuss offensichtlich ihre sexuelle Lust zu verstärken. 1520 Zu dieser besonderen Atmosphäre des Symposions als Sonderraum vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. 1521 Da Amyntas nachgibt und die makedonischen Gewohnheiten hinter die persischen zurückstellt, zeigt der Text, dass die Perser das politische Vorrecht haben, dem sich Alexander dann allerdings entgegenstellt (vgl. Hobden [2013], S. 175 f.). Hobden bemerkt hier (2013, S. 175) auch: „ [ … ] in this tale the difference between Macedonian and Persian dining customs becomes a site for negotiating power. “ Dabei verweist Hobden auf Bowie (2003, S. 106), der dieses Geschehen bei Amyntas ’ Bankett als eines der beiden „ significant events at banquets “ in Herodots Historien bezeichnet, die jeweils den Aufstieg einer bedeutenden griechischen Familie markieren. Hier werde nämlich Alexander, der den Grundstein für das künftige makedonische Großreich legt, im Rahmen eines Banketts eingeführt, und außerdem werde durch diese Szene Alexanders künftige, etwas wechselhafte Beziehung zu den Persern eingeleitet (Bowie [2003], S. 106). Das zweite Event dieser Art erkennt Bowie (ebd.) in Agaristes ’ Verlobungsfeier bzw. dem dort stattfindenden Wettbewerb, der als Disziplin auch das Verhalten beim Bankett umfasst, wo letztlich der Alkmeonide Megakles und Vorfahre des Perikles als Ehemann ausgewählt wird (VI, 126 - 131; vgl. zu diesem Symposion die Ausführungen in Kap. 4.1.3.2). 1522 Nenci (1994, S. 179) und Rhodes (2019, S. 168) verweisen bzgl. ἀτρέμας ἔχειν auf VIII, 16.1, als der Text von der Schlacht bei Artemision berichtet: Während die persischen Schiffe auf die griechische Flotte zusegeln, bleiben die griechischen Schiffe ruhig ( ἀτρέμας εἶχον - VIII, 16.1). Wie auch bei Amyntas ist dieses Ruhehalten kein Zeichen von Unbedachtheit, sondern Besonnenheit. Letztlich gelingt es den Griechen trotz der geringeren Schiffsanzahl sogar einen unentschiedenen Ausgang in der Schlacht zu erzielen (VIII, 16). Für die genaue Bedeutungsanalyse von ἀτρέμας ἔχειν in Herodots Historien müssen nun auch die anderen Textstellen, in denen diese Wendung verwendet wird, berücksichtigt werden. In VIII, 14.1 sind es die Perser, die nach großen Verlusten ihre Schiffe ruhig 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 455 <?page no="456"?> mehr zurückhalten ( οὐδαμῶς ἔτι κατέχειν - V, 19.1) 1523 . Amyntas ’ Regungslosigkeit kann zum einen durch seine Furcht vor den Persern ( ὑπερδειμαίνων - V, 19.1) begründet werden, zum anderen aber auch mit seinem Bewusstsein, dass alles, was er nun gegen die Perser in Angriff nähme, eine Grenze überschritte und eine Regel bräche, was er trotz des Verhaltens seiner Gäste auf jeden Fall vermeiden möchte. Auch Alexander kennt die Pflichten, an die sich sein Vater gebunden fühlt, und verspricht ihm - bestimmt nicht ohne versteckter Andeutung - , den Gästen alles Nötige zukommen zu lassen ( πάντα τὰ ἐπιτήδεα παρέξω τοῖσι ξείνοισι - V, 19.1), sobald er - Amyntas - gegangen sei, um sich auszuruhen (V, 19.1). Amyntas ahnt, dass sein Sohn etwas gegen die persischen Gesandten im Schilde führt, und mahnt ihn, zu ertragen, was vorgeht, und so ihr Leben zu retten (V, 19.2). Auffällig ist hier die Häufung der halten ( ἀτρέμας τε εἶχον - VIII, 14.1), in der Hoffnung in Ruhe gelassen zu werden. Ἀτρέμας ἔχειν bedeutet also auch, fest auf seinem Standpunkt zu bleiben (vgl. auch IX, 53.4 / IX, 54.1). Für Ruhigbleiben im Sinne von ‚ nicht in den Kampf eintreten ‘ bzw. ‚ keinen Kampf beginnen ‘ , verwendet der Text auch das Verb ἀτρεμίζειν ( ἀτρεμιεῖν - VIII, 68 β .2). Wird dieses negiert, dient es mehrfach als Umschreibung für die ständig um sich greifenden Meder bzw. Perser ( οὐκ ἀτρεμίζουσαν - I, 185.1 / οὐκ ἀτρεμίζοντα - I, 190.2 / οὐδαμά κω ἠτρεμίσαμεν - VII, 8 α .1) und für den Schild des bei den Athenern gerühmten Sophanes, der nie stillsteht ( ἐπ᾽ ἀσπίδος [ … ] οὐδαμὰ ἀτρεμιζούσης - IX, 74.2). Auf eine Person bezieht sich ἀτρεμίζειν in VII, 18.3, als Artabanos nach seiner Traumerscheinung (VII, 17) Xerxes doch zum Zug gegen die Griechen rät. Er sagt, dass er in Erinnerung an die vielen Fehlschläge bei Feldzügen von Xerxes ’ Vorfahren (VII, 18.2) gedacht hätte, Xerxes würde für glücklich gepriesen werden, wenn er Ruhe hält ( ἀτρεμίζοντά σε - VII, 18.3). Aber das Traumgesicht zeige, dass ein Gott den Untergang der Griechen wolle (VII, 18.3). Zusammengefasst lässt sich für ἀτρέμας ἔχειν und ἀτρεμίζειν in Herodots Historien also aussagen, dass es sich um ein bewusstes Zurückhalten handelt, um einen Kampf bzw. einen Konflikt zu verhindern. Das trifft auch auf Amyntas ’ Verhalten zu. 1523 Diese Phrase verwendet der Text in ähnlicher Form (= οὐκέτι κατέχειν ) auch in seiner Darstellung von Agaristes Verlobungsfeier (VI, 129.4), um auszudrücken, dass sich Kleisthenes bei Hippokleides ’ Tanz nicht mehr zurückhalten kann (vgl. Hornblower [2013], S. 113; Hornblower/ Pelling [2017], S. 284; Rhodes [2019], S. 168; zu Agaristes Verlobungsfeier siehe Kap. 4.1.3.2). In beiden Fällen müssen die Akteure ein schamloses Verhalten mitansehen: Kleisthenes betrachtet Hippokleides ’ Kopftanz (VI, 129.4) und Alexander, wie sich die Perser an den makedonischen Frauen vergreifen. Nachdem sich Kleisthenes als guter Gastgeber zunächst noch ebenso wie Alexander, der zugleich auch noch Untergebener seiner persischen Gäste ist, eine Zeit lang zurückgehalten haben, sind diese jeweiligen Anblicke für sie zu empörend. Die Emotionen werden zu stark, sie greifen ein und beenden die schamlosen Situationen. Hornblower/ Pelling (2017, S. 284) weisen diesbezüglich auf einen möglichen strukturellen Zweck dieser wiederholten Phrase hin: „ they stake out the beginning and end of the unit made up of bks. 5 - 6, which form the centre and hinge of the entire Histories “ . Außerdem bemerken Hornblower/ Pelling (ebd.), dass sowohl bei Kleisthenes ’ Gastmahl als auch bei dem der Makedonen eine üppige gastliche Aufnahme einen überraschenden Höhepunkt habe. 456 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="457"?> Wörter mit dem Wortstamm ‚ jung ‘ bzw. ‚ neu ‘ . Zum einen begründet der Text Alexanders Handeln damit, dass er jung sei ( νέος τε ἐὼν - V, 19.1), zum anderen befürchtet Amyntas, dass Alexander umstürzlerische Pläne hat ( νεώτερα πρήγματα / ποιέειν τι νεώτερον / νεοχμῶσαι - V, 19.2). Alexander ist noch kein König, weswegen auch weniger Verantwortung auf seinen Schultern lastet. Gewohnt, nicht an Konsequenzen denken zu müssen, führt er daher seine persönliche Rachetat aus. Mit dem jungen Alexander sind also offensichtlich Neuerungen verbunden. Er löst demnach mit seiner selbstbewussten Entschlossenheit die Vorsicht ab und, um wieder auf die bildliche Ebene zu gelangen, zugleich die Herrschaft seines Vaters. 1524 Amyntas geht und ist damit in die Rolle dessen getreten, der gehorcht und nicht mehr befiehlt ( ἀμφὶ δὲ ἀπόδῳ τῇ ἐμῇ πείσομαί τοι - V. 19.2). 1525 Durch οἰχώκεε (V, 20.1) betont der Text nach Amyntas ’ Rede nochmals dessen Abgang. Der Dialog zwischen Vater und Sohn markiert also einen Bruch. Mit Amyntas ist Vergangenheit und Unterwerfung verbunden, mit Alexander dagegen Gegenwart und Widerstand. 1526 Amyntas ist nun aus dem Handlungsgeschehen genommen und Alexander tritt in den Vordergrund. Der Text lässt ihn sogleich direkt zu den Persern sprechen, wobei er ihnen zugesteht, dass ihnen die Frauen für die Nacht zur 1524 Auch hier wird ein Entwicklungsprozess der gastfreundschaftlichen Werte ersichtlich; zu dieser Entwicklung siehe S. 59 - 61 mit Literaturverweisen. Denn während sich Amyntas als Vertreter der älteren Generation streng daran hält, nicht gegen die gastfreundschaftlichen Konventionen zu verstoßen, wiegt für den jungen Alexander ein anderer Wert entscheidend mehr: Die Wahrung der Ehre der Makedonen. 1525 Vgl. Erbse (1992, S. 103): „ Die Schwäche des Vaters ist offensichtlich als Folie zu dem Heldengeist des Kronprinzen konzipiert. “ Amyntas wirkt im Gegensatz zu Alexander unbestreitbar zurückhaltend. Zum einen ist es Furcht, die seine Zurückhaltung erklärt, zum anderen aber beruht sie auf Bedachtheit (V, 19.2). Im Gegensatz zu Alexander, der noch kein großes Unheil erlebt hat ( κακῶν ἀπαθής - V, 19.1), fußt Amyntas ’ Entscheidung, sich ruhig zu verhalten, auf Abwägungen. Es ist also in erster Linie kein negatives Bild, das der Text von Amyntas zeichnet. Denn auch wenn er im Gegensatz zu seinem Sohn die Rolle des äußerlich Schwächeren einnimmt, sind es moralische und existenzielle Beweggründe, die ihn zu seiner Zurückhaltung treiben. Aus dieser Passivität sticht Alexander durch seine Tatkraft hervor. De Moraes/ da Silva (2016, S. 37 f.) sehen eine Parallele in der Darstellung von Alexanders Handeln in Herodots Historien und dem des Odysseus in Homers Odyssee: Wie die Freier auf Ithaka besetzen die Perser den Palast und respektieren die angebotene Gastfreundschaft nicht. Odysseus verkleidet sich als Bettler und tötet die Freier. Alexander nutzt ebenso die Taktik der Verkleidung und lässt die Perser töten. Am Ende kommt es beide Male zum Blutvergießen. Odysseus ist ein beliebter Held des trojanischen Zyklus und mit diesem ist nun Alexander literarisch verbunden (vgl. de Moraes/ da Silva [2016], S. 37 f.). Da Alexanders Handeln an Odysseus ’ Tat erinnert, wirkt dieses heldenhaft und nicht übertrieben. 1526 Vgl. de Moraes/ da Silva (2016), S. 37. Zur Bedeutung Alexanders I. für den Aufstieg Makedoniens siehe Rosen (1987). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 457 <?page no="458"?> Verfügung stehen werden ( Γυναικῶν τουτέων , ὦ ξεῖνοι , ἔστι ὑμῖν πολλὴ εὐπετείη , καὶ εἰ πάσῃσι βούλεσθε μίσγεσθαι καὶ ὁκόσῃσι ὦν αὐτέων - V. 20.1). Nun erfährt der Rezipient, dass es sich bereits um späten Abend handelt. Denn die nun anbrechende Schlafenszeit nimmt Alexander zum Vorwand, dass sich die Frauen waschen sollen, bevor sie für die Nacht zu den Persern zurückkehren werden. Außerdem sehe er den Persern auch bereits ihren Rausch an ( νῦν δὲ , σχεδὸν γὰρ ἤδη τῆς κοίτης ὥρη προσέρχεται ὑμῖν καὶ καλῶς ἔχοντας ὑμέας ὁρῶ μέθης - V, 20.2). Dennoch bestimmt er nicht einfach, um keinen Missmut bei den Persern zu provozieren, sondern fragt indirekt, ob die Perser damit einverstanden seien ( εἰ ὑμῖν φίλον ἐστί - V, 20.2). Diese rechnen mit keinem Übel und stimmen zu ( συνέπαινοι γὰρ ἦσαν οἱ Πέρσαι - V, 20.3). Alexander schickt die Frauen nach draußen und dann zurück in ihren Bereich des Hauses, die Gynaikeia, wo sie sicher sind ( ἐς τὴν γυναικηίην - V, 20.3). Bevor die Perser in dieser Situation also noch einen Schritt weitergehen können, wodurch sich das Symposion in eine, wie es Corinne Coulet bezeichnet, Orgie verwandelt hätte, 1527 wird die Situation durch Alexanders Eingreifen unterbrochen. Anstatt der Frauen lässt er nun bartlose, als Frauen verkleidete und mit Dolchen ausgerüstete Männer bei den Persern Platz nehmen. Nochmals spricht Alexander zu ihnen und umschreibt dabei die Bewirtung durch πανδαισίῃ τελείῃ ἱστιῆσθαι (V, 20.4). Er hebt damit hervor, dass die Makedonen gänzlich alles mit den Persern teilen, sogar ihre Frauen, und deutet damit zugleich an, dass den Persern das zukommen wird, was ihnen gebührt. 1528 Der Rezipient erkennt an der Formulierung zudem, dass Alexander diese vorzügliche Bewirtung nur dem Schein nach bestehen lässt, denn er spricht: Ὦ Πέρσαι , οἴκατε πανδαισίῃ τελείῃ ἱστιῆσθαι [ … ] (V, 20.4). Der Text lässt ihn nicht sagen, ‚ ihr habt eine vollkommene Bewirtung erfahren ‘ , sondern betonen, dass sie (lediglich) scheinen, auf vollkommene Art und Weise bewirtet worden zu sein. 1529 Dann fährt er gegenüber den Persern mit dem Versprechen fort, dass sie nun erkennen könnten, ganz und gar von den Makedonen geehrt zu werden, wie sie es verdienten ( ὡς παντελέως μάθητε τιμώμενοι πρὸς ἡμέων τῶν πέρ ἐστε ἄξιοι - V, 20.4). Aus dem Text ergibt es sich also, dass die Perser nach Alexanders Ermessen den Tod verdient hätten. Auch hier ist die Zweideutigkeit in 1527 Vgl. Coulet (1994, S. 64/ Anm. 32): „ C ’ est le seul banquet de l ’ Enquête qui tourne à l ’ orgie “ . 1528 Vgl. zu dieser Deutung von πανδαισίη die Ausführungen in Anm. 477. 1529 Durch die Verwendung von ἱστιῆσθαι betont der Text hier nochmals, dass die Perser mitten im Innersten des Hauses des Makedonenkönigs freveln. Denn zu ἱστιῆσθαι gehört das Substantiv ἱστίη , das als Herdfeuer auf das Zentrum des Hauses hindeutet (vgl. Anm. 553; zur Bedeutungsanalyse von ἱστιᾶν in Herodots Historien siehe auch die weiteren Ausführungen in Kap. 2.2.5.10). 458 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="459"?> Alexanders Worten für den Rezipienten deutlich erkennbar, 1530 für die persischen Gesandten jedoch nicht. Denn Alexander hebt hervor, als Makedone nicht den Rang eines Königs, sondern nur eines Satrapen ( Μακεδόνων ὕπαρχος - V, 20.4) 1531 zu haben und zeigt damit, dass es für die Perser keinen Grund zur Skepsis gibt. Die durch einen Imperativ ( ἀπαγγείλητε - V, 20.4) formulierte Aufforderung, sie sollen ihrem Großkönig melden, dass er sie mit Tisch und Bett aufgenommen habe ( εὖ ὑμέας ἐδέξατο καὶ τραπέζῃ καὶ κοίτῃ - V, 20.4), lässt ebenfalls kein drohendes Verbrechen erahnen. Wie könnten sie ihm tot von ihrer guten Aufnahme berichten? Auch der Verweis Alexanders auf seine griechische Herkunft ( ὡς ἀνὴρ Ἕλλην - V, 20.4) lässt die Perser nicht skeptisch werden. An dieser direkt wiedergegebenen zweideutig und durchdacht formulierten Rede Alexanders wird ersichtlich, wie sicher sich Alexander mit seinem Entschluss ist, sich und seinen Stolz den Persern nicht auszuliefern. Auffällig ist auch, dass sich Alexander gerade hier als Grieche bezeichnet, 1532 als er bereits einen gewalttätigen Racheplan gegen die persischen Gesandten gefasst hat. Alexander lässt also neben jeden Perser einen als Frau verkleideten Makedonen Platz nehmen (V, 20.5). Sobald die Perser nun versuchen, die vermeintlichen Frauen zu berühren, werden sie von diesen getötet (V, 20.5). Da der Text von keinen Verteidigungsversuchen der Perser berichtet, wird ersichtlich, wie unerwartet dieser Angriff für die Perser in dieser Situation gewesen sein muss. Mit ihnen wird auch ihr ganzes Gefolge getötet (V, 21.1). Sie verschwinden sozusagen vom Erdboden ( ἠφάνιστο - 21.1). 1533 Zudem werden 1530 Vgl. Schmitt Pantel (1992, S. 467), die Alexanders Rede hier als „ un discours fort ambigu “ bezeichnet. 1531 Zur Diskussion über den Titel ὕπαρχος siehe Nenci (1994), S. 180 f. Badian (1994, S. 114) sieht in ὕπαρχος „ Herodotus ’ standard term for a satrap, a word he does not actually use “ ; vgl. auch Flower/ Marincola (2002), S. 299; Fearn (2007b), S. 102; Rhodes (2019), S. 168. Asheri (in Asheri et al. [2007], S. 507) bemerkt: „ In Herodotus ὕπαρχος indicates ‘ the governor ’ . The term can refer to a satrap (e. g. III 70,3; 126,2; IV 166,1; V 25,1; 73,2; 123; VI 1,1; 30,1; 33,3; 42,1; VII 6,1; IX 113,2); to a subordinate governor (V 27,1; VII 33; 105; 194,1; IX 116,1); to the vassal-king of Macedonia (V 20,4); to military commanders (VII 26,2; 106,1). “ 1532 Zur griechischen Identität Alexanders siehe die Ausführungen in Anm. 1498. 1533 Nenci (1994, S. 181) weist auf eine besondere Parallele zwischen Athenern, Spartanern und Makedonen in den Historien hin: Sie alle töten in der Darstellung von Herodots Historien Gesandte. Harrison (2019, S. 512) ist mit Blick auf die Quelle dieser Erzählung der Meinung, dass es sich wohl um das Produkt einer mündlichen Deformation handele, die in Analogie „ to the traditions of the Spartan and Athenian killing of Persian heralds “ entstanden sei. Klinkott (2016, S. 160) sieht in dem Gesandtenmord der Makedonen eine Vorwegnahme der „ Vorgänge in Sparta und Athen “ (VII, 133). In VII, 133 erklärt der Text, weshalb Xerxes keine Boten zu den Athenern und Spartanern schickt, um um Erde und Wasser zu bitten. Denn als Dareios dies vormals getan hatte, wurden die Gesandten dort 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 459 <?page no="460"?> die Perser, die nach ihren Kameraden suchen, mit Gold bestochen und der Anführer des persischen Suchkommandos, Bubares, erhält Alexanders Schwester zur Frau (V, 21.2). So gelingt es Alexander, durch diesen klugen Schachzug ( σοφίῃ - V, 21.2) seine Tat erfolgreich zu verschweigen ( ἐσιγήθη - V, 21.2), wie der Text der Historien häufig gezielt verschweigt, was vergessen werden soll. 1534 Denn das, worüber nicht geredet wird, gerät in Vergessenheit. 1535 Dass es Alexander durch seinen klugen Einfall ( σοφίῃ - V, 21.2) aber überhaupt gelingen kann, dass die Vorkommnisse bei diesem Symposion zwischen Persern und Makedonen vor der Öffentlichkeit verschwiegen und damit verborgen bleiben können, ermöglicht die begrenzte Teilnehmerzahl und der nicht-öffentliche Charakter dieses Symposions. Es gelingt Alexander also, das Symposion aus der allgemeinen Erinnerung zu tilgen. Paradox ist, dass der Text nachdrücklich hervorhebt, dass die Geschehnisse erfolgreich verschwiegen wurden, selbst aber davon zu berichten weiß. 1536 Dies spricht dafür, dass der Text diese Symposionsdarstellung gezielt als Mittel der Erzählung verwendet. in einen Brunnen bzw. in eine Schlucht geworfen und aufgefordert, daraus Erde und Wasser zu bringen (VII, 133.1). Sowohl bei den Makedonen als auch bei den Athenern und Spartanern werden die persischen Gesandten getötet. Doch während die perserfeindlichen Athener und Spartaner diese Tötung vollziehen, um den Persern deutlich zu verstehen zu geben, dass sie sich ihnen nicht untergeben werden, töten die Makedonen, die bereits Erde und Wasser gegeben haben, die Gesandten aus Persien nicht aus Gründen des Freiheitswillens, sondern wegen der persönlichen Ehrverletzung, die sie durch die Übergriffe auf ihre Frauen erdulden müssen. Obwohl die Intentionen also unterschiedlich sind, ist eine Anspielung auf die Morde in Athen und Sparta durchaus erkennbar. 1534 So nennt er z. B. den Namen eines frevelhaften Eunuchen, der nach dem Tod seines Herren viel Geld stiehlt und flieht, gezielt nicht, obwohl er ihn kennt (IV, 43.7). 1535 Vgl. dazu das Proöm der Historien, in denen der Text Herodots Absicht bekundet, mit diesem Werk die Taten der Menschen darzulegen, damit sie eben nicht in Vergessenheit geraten ( ὡς μήτε τὰ γενόμενα ἐξ ἀνθρώπων τῷ χρόνῳ ἐξίτηλα γένηται - I, Proöm). 1536 Denn die Darstellungen des herodoteischen Erzählers basieren nach eigener Aussage zu großen Teilen auf mündlichen Berichten. Er gibt wieder, was gesagt wurde: λέγειν τὰ λεγόμενα . Vgl. dazu z. B. II, 123.1: Τοῖσι μέν νυν ὑπ᾽ Αἰγυπτίων λεγομένοισι χράσθω ὅτεῳ τὰ τοιαῦτα πιθανά ἐστι· ἐμοὶ δὲ παρὰ πάντα τὸν λόγον ὑπόκειται ὅτι τὰ λεγόμενα ὑπ᾽ ἑκάστων ἀκοῇ γράφω . / II, 130.2 - 131.1: αἵτινες μέντοι εἰσί , οὐκ ἔχω εἰπεῖν πλὴν ἢ τὰ λεγόμενα . οἱ δὲ τινες λέγουσι [ … ]. / IV, 187.3: λέγω δὲ τὰ λέγουσι αὐτοὶ Λίβυες . / IV, 195.2: ταῦτα εἰ μὲν ἔστι ἀληθέως οὐκ οἶδα , τὰ δὲ λέγεται γράφω . / VI, 53.1: ταῦτα μὲν Λακεδαιμόνιοι λέγουσι μοῦνοι Ἑλλήνων , τάδε δὲ κατὰ τὰ λεγόμενα ὑπ᾽ Ἑλλήνων ἐγὼ γράφω [ … ]. / VI, 137.1: τοῦτο γὰρ οὐκ ἔχω φράσαι , πλὴν τὰ λεγόμενα , ὅτι Ἑκαταῖος μὲν ὁ Ἡγησάνδρου ἔφησε ἐν τ οῖ σι λόγοισι λέγων ἀδίκως· / VII, 152.3: ἐγὼ δὲ ὀφείλω λέγειν τὰ λεγόμενα , πείθεσθαί γε μὲν οὐ παντάπασιν ὀφείλω [ … ]. / VIII, 8.2: ὅτεῳ μὲν δὴ τρόπῳ τὸ ἐνθεῦθεν ἔτι ἀπίκετο ἐς τοὺς Ἕλληνας , οὐκ ἔχω εἰπεῖν ἀτρεκέως , θωμάζω δὲ εἰ τὰ λεγόμενά ἐστι ἀληθέα· λέγεται γὰρ ὡς [ … ]. 460 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="461"?> 4.2.3.4.2 Ursache der Eskalation Das verheerende Ende dieses Symposions fußt auf fehlenden Grundvoraussetzungen im Teilnehmerkreis und daraus resultierenden Regelverletzungen. Denn die Homogenität der Gruppe, eine wichtige Grundlage für ein ideales Symposion, 1537 ist bei diesen Teilnehmern aus mehreren Gründen nicht gegeben. 1538 So resultiert Ungleichheit daraus, dass sowohl Männer als auch Frauen am Symposion teilnehmen, die Frauen aber keineswegs gleichgestellte Teilnehmer sind, sondern zum Unterhaltungsprogramm für die Perser werden. 1539 Zudem wird aus einem zunächst herrschaftsfreien Raum ein beherrschter gemacht. László Horváth sieht hier mit Recht eine Verbindung zur Verfassungsdebatte im dritten Buch der Historien. 1540 Otanes bezeichnet dort in seinen Ausführungen gegen die Monarchie drei Punkte als die schlimmsten Merkmale eines Alleinherrschers. Er zerstöre die alte Ordnung, vergewaltige Frauen und töte ohne rechtlichem Urteil ( νόμαιά τε κινέει πάτρια καὶ βιᾶται γυναῖκας καὶ κτείνει τε ἀκρίτους - III, 80.5). 1541 Zwei der drei Punkte verwirklichen sich - zumindest in Ansätzen - in diesem Symposion. Die Perser in der Rolle der Herrschenden missachten die kulturellen Bräuche der Makedonen, wobei sie außerdem die Regel brechen, dass es bei der Teilnahme an einem Bankett in einem fremden Land gilt, die Gepflogenheiten dieses Landes zu respektieren, 1542 1537 Zur Homogenität der Symposiasten als Voraussetzung für ein gelingendes Symposion siehe die Ausführungen in Kap. 2.2.3.3.2. 1538 Hobden (2013, S. 193) bemerkt, dass beim Symposion generell die Möglichkeit des Betrugs und die Sorge um die Vertrauenswürdigkeit der Trinkgefährten gegeben sei, wenn die erwartete Treue eines Einzelnen durch die Verfolgung persönlicher Ziele gefährdet werde, dass aber gerade königliche bzw. despotische Bankette, bei denen die Positionen von Gastgeber und Gästen ohnehin ungleich sind, in dieser Hinsicht besonders beunruhigend seien. 1539 Der Text macht dies gleich zu Beginn ersichtlich, als er den persischen Gesandten fordern lässt, dass die Frauen als Parhedroi - nicht als Sympotai - hereingeführt werden sollen ( καὶ τὰς παλλακὰς καὶ τὰς κουριδίας γυναῖκας ἐσάγεσθαι παρέδρους - V, 18.2); also wörtlich als ‚ Nebensitzerinnen ‘ (vgl. dazu πάρεδρος in LSJ, S. 1332: „ sitting beside, [ … ] Hdt. 5.18 “ .). 1540 Vgl. Horváth (2004), S. 73. 1541 Vgl. auch Lavelle (2014, S. 335): „ Abuse of women and boys was routine for Archaic Greek tyrants, their hybris symptomatic of their depravity and disregard for social convention. “ Vgl. dazu Eur. Suppl. (452 - 455): Theseus attackiert gegenüber dem thebanischen Herold die Tyrannenherrschaft. Unter anderem spricht er an, dass sich Tyrannen an Frauen, die keusch erzogen werden, nach Belieben vergreifen: ἢ παρθενεύειν παῖδας ἐν δόμοις καλῶς , / τερπνὰς τυράννοις ἡδονάς ὅταν θέληι , / δάκρυα δ᾽ ἑτοιμάζουσι ; μὴ ζώιην ἔτι / εἰ τἀμὰ τέκνα πρὸς βίαν νυμφεύσεται . Für Beispiele solcher Vergehen gegen Frauen in Herodots Historien siehe Anm. 1543. 1542 Vgl. Coulet (1994), S. 64. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 461 <?page no="462"?> und vergreifen sich an deren Frauen. 1543 Das hier gezeichnete Bild eines Alleinherrschenden zeigt sich in den überheblichen Persern bestätigt. Der entstandene beherrschte Raum widerspricht der im Symposion geforderten Gleichheit. Dass diese Zusammenkunft letztlich in einem Blutvergießen endet, zeigt, was die Folge sein kann, wenn in solch intimer Atmosphäre unterschiedliche Machtverhältnisse aufeinandertreffen. Zudem treten die Regeln der Gastfreundschaft in den Hintergrund, da aufgrund der Ungleichheit zwischen Gast und Gastgeber auch die Harmonie der Gastfreundschaft ins Wanken gerät. Im Rahmen dieser Symposionsdarstellung wird somit ein weiteres Mal in den Historien die Problematik einer gastfreundschaftlichen Beziehung zwischen ungleichen Partnern thematisiert. 1544 Denn getrieben vom exzessiven Weinko- 1543 Vgl. dazu Hobden (2013, S. 175): „ In the treatment of the Macedonian women at the banquet, the Persians assert their dominance. “ Auch an anderen Stellen in Herodots Historien wird dargestellt, wie Tyrannen bzw. überlegene Völker Gewalt gegen Frauen anwenden; vgl. dazu auch Hobdens Beispiele (2013, S. 174 f.), die sich allerdings nicht nur auf Herodots Historien beziehen: „ [ … ] in the historiographical tradition the sexual denigration of decent women is a hallmark of the autocratic ruler “ (ebd., S. 174). Das berühmteste Beispiel dafür ist in Herodots Historien wohl die Darstellung der Frauenraube (I, 1 - 3). Darüber hinaus berichtet der Text in I, 146.2 davon, wie athenische Kolonisten karische Frauen rauben und deren Eltern töten. Eine weitere Frauenentführung wird im zweiten Buch der Historien erwähnt: Zwei Priesterinnen werden von Phoinikern aus Theben weggeführt (II, 54.1). Ein gewalttätiges Vorgehen gegen die Frauen des eigenen Volkes durch Periander, den Tyrannen von Korinth, beschreibt der Text in V, 92 η .1 - 3. (Zu diesem Ereignis siehe auch die Ausführungen in Kap. 4.2.2.1.) Außerdem wird hier als zusätzliche Information erwähnt, dass Periander mit seiner Frau Melissa noch nach ihrem Tod Geschlechtsverkehr hatte, was ebenfalls mit Gewalt verbunden ist (V, 92 η .3), schließlich war er auch ihr Mörder (III, 50.1). Diese Erzählung wird im Rahmen einer Hasstirade auf die Tyrannenherrschaft durch den Korinther Sokleës wiedergegeben, als die Spartaner beabsichtigen, Hippias als Tyrannen zurück nach Athen zu bringen, um Athen zu schwächen (V, 92). Außerdem werden Frauen in der Darstellung der Historien im Krieg oft Opfer des eigenen Volkes. In I, 176.1 werden die lykischen Frauen und Kinder durch ihre Männer verbrannt, da die Lykier in eine aussichtslose Belagerung geraten sind, und in III, 150.2 töten die Babylonier viele ihrer Frauen, damit ihre Vorräte für eine längere persische Belagerung ausreichen. Ein weiterer Zwischenfall, der in diesem Zusammenhang genannt werden soll, wird in VI, 16 beschrieben: Als sich nach der Seeschlacht bei Milet einige Chier nach Mykale retten und von dort über das Festland in die Gegend um Ephesos kommen (VI, 16.1), feiern die Frauen dort gerade die Thesmophorien. Die Epheser befürchten, die Chier beabsichtigen auf ihre Frauen loszugehen und töten die Chier (VI, 16.2). Die Befürchtung ist nicht unbegründet, wie die Rezipienten später im Text erfahren: Denn in VI, 138.1 berichtet der Text, dass Pelasger viele Athenerinnen rauben, als diese gerade das Fest der Artemis in Brauron feiern (vgl. dazu die Ausführungen auf in Kap. 4.2.2.2.1). Dass es beim Zug der Perser im Land der Phoker zu Vergewaltigungen von Frauen mit Todesfolge kommt, erwähnt der Text in VIII, 33. 1544 Vgl. dazu Kap. 2.1.2.2 mit Anm. 162. 462 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="463"?> sum scheuen sich die Perser nicht, ihre Vorrechte auszunutzen. Die Regeln, die sie aufstellen, zerstören die Gleichheit, schaffen eine Hierarchie und bringen ihnen Rechte ein, die die Ehre der Makedonen verletzen. Die Perser respektieren als Gäste die Regeln der Gastgeber nicht und belästigen dabei sogar deren legitimen Ehefrauen und Konkubinen. 1545 Voraussetzung für diese These ist allerdings, dass sich die Perser der Regeln der Makedonen bewusst sind. Denn das Verhalten der Perser ist nicht in jedem Kulturbereich verwerflich. Diesbezüglich besteht eine weitere Ungleichheit in diesem Symposion: die Ungleichheit zwischen den Kulturen. Als starker Kontrast zu der hier thematisierten makedonischen bzw. griechischen Sitte, die Reinheit der Frauen zu wahren, ist ein Brauch zu nennen, den die Historien den Nasamonen im vierten Buch zuschreiben. Demnach ist es bei den Nasamonen Sitte, dass sie in ihrer Hochzeitsnacht Gästen ihre Frauen anbieten ( πρῶτον γαμέοντος Νασαμῶνος ἀνδρὸς νόμος ἐστὶ τὴν νύμφην νυκτὶ τῇ πρώτῃ διὰ πάντων διεξελθεῖν τῶν δαιτυμόνων μισγομένην - IV, 172.2). Zudem stehen bei diesen die Frauen grundsätzlich allen für Geschlechtsverkehr zur Verfügung ( γυναῖκας δὲ νομίζοντες πολλὰς ἔχειν ἕκαστος ἐπίκοινον αὐτέων τὴν μῖξιν ποιεῦνται - IV, 172.2). Diese Sichtweise vertreten in der Darstellung der Historien auch die Massageten ( γυναῖκα μὲν γαμέει ἕκαστος , ταύτῃσι δὲ ἐπίκοινα χρέωνται - I, 216.1), die libyschen Auseer ( μῖξιν δὲ ἐπίκοινον τῶν γυναικῶν ποιέονται , οὔτε συνοικέοντες κτηνηδόν τε μισγόμενοι - IV, 180.5) und die Agathyrsen ( ἐπίκοινον δὲ τῶν γυναικῶν τὴ ν μῖξιν ποιεῦνται - IV, 104), die den Skythen benachbart sind (IV, 100.2). 1546 Der Zug der Perser gegen Libyen (IV, 145 - 205), wo die Nasamonen und die Auseer leben, liegt nicht weit zurück, wodurch zu erwarten ist, dass die Perser vor kurzem mit den dortigen Sitten in Kontakt gekommen sind. Dazu kommt, dass die Perser gegenüber fremden Bräuchen keine Abscheu empfinden, sondern sie laut Text sogar übernehmen, wenn sie ihnen zusprechen ( ξεινικὰ δὲ νόμαια Πέρσαι προσίενται 1545 Vgl. de Moraes/ da Silva (2016), S. 37. 1546 Zur Gemeinsamkeit der ἐπίκοινος μίξις bei Massageten, Auseern, Agathyrsen und Nasamonen sowie zu Thesen über die Ursache dieses Brauchs siehe Andó (1980). Erwähnt werden soll hier zudem die Darstellung eines Brauchs der libyschen Adyrmachiden in den Historien (IV, 168.2): Bei diesen wird jede Frau, die kurz vor der Heirat steht, zunächst dem König vorgestellt. Wenn ihm die Frau gefällt, entjungfert er sie (IV, 168.2). An anderer Stelle berichtet der Text über die Gindanen, dass bei diesen jede Frau mit vielen Männern Verkehr hat (IV, 176). Die Frauen der Gindanen binden sich nach jedem Geschlechtsverkehr mit einem weiteren Mann ein weiteres Knöchelband um. Je mehr sie davon tragen, umso höher werden sie geschätzt (IV, 176). Zur Polyandrie der Gindanen siehe Andó (1980), S. 97. Während diese Bräuche also innerhalb dieser Völker als üblich angesehen werden, können sie bei anderen Völkern Ablehnung oder gar Abscheu hervorrufen. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 463 <?page no="464"?> ἀνδρῶν μάλιστα - I, 135). Der übermäßige Weinkonsum und die damit verschwindenden Hemmungen lassen die Perser nicht mehr intensiv über ihr Handeln nachdenken. 1547 Durch diese Zusammenhänge kann angenommen werden, dass der Text implizieren möchte, dass sich die Perser an die Bräuche der Nasamonen erinnern, die ihnen momentan brauchbar zu sein scheinen, aber nicht darüber nachdenken, welche Auswirkungen ihr Handeln nach diesen für die Makedonen fremden Sitten zur Folgen haben kann. Da es unüblich ist, zu Beginn eines Symposions solche kulturell begründeten Regeln zu definieren, ist es vorstellbar, dass die Perser unbewusst gegen diese Regeln verstoßen, indem sie falsche Bräuche als für dort angemessen halten. Amyntas weist die Perser lediglich zu Beginn darauf hin, dass bei den Makedonen Frauen und Männer getrennt voneinander speisen. Sobald diese Regel aber durchbrochen ist, verhalten sich die makedonischen Gastgeber ruhig. Amyntas schweigt offensichtlich, da er sich seiner Rolle und damit seiner Pflichten als Gastgeber und Untertan bewusst ist, und Alexander, da sein persönlicher Racheakt bereits beschlossen ist. Er verspricht den Persern daher sogar, die Frauen stünden ihnen für die Nacht zur Verfügung (V, 20.1 - 2), um bei ihnen keinerlei Misstrauen zu erwecken. Zudem spricht er sie dabei als Xenoi an (V, 20.1) und lässt dadurch nicht erahnen, dass die Perser aus seiner Sicht ihr Gastrecht verspielen, wenn sie tatsächlich beabsichtigen, mit den makedonischen Frauen, die Nacht zu verbringen. Vielmehr sollen sie nur darüber entscheiden, mit wie vielen Frauen sie verkehren möchten ( καὶ εἰ πάσῃσι βούλεσθε μίσγεσθαι καὶ ὁκόσῃσι ὦν αὐτέων . τούτου μὲν πέρι αὐτοὶ ἀποσημανέετε - V, 20.1 - 2). Dadurch dass die durch Wein ausgelassenen Perser nun nicht mehr explizit darauf hingewiesen werden, dass ihre Absicht mit den Bräuchen der Makedonen kollidiert, ist nach dem ersten Regelbruch somit auch ein interkulturelles Missverständnis durch unterschiedliche Regelerwartungen nicht auszuschließen. 1548 Dieses Symposion zeigt grundsätzlich, in welcher Katastrophe ein solches interkulturelles Missverständnis enden kann - nicht nur wie hier zwischen Makedonen und Persern, sondern immer dann, wenn unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen, ohne die Bräuche der jeweils anderen zu kennen. 1549 1547 Auch Kambyses ’ Wahnsinn, als dessen Ursprung der Text Kambyses ’ übermäßigen Weinkonsum andeutet, schränkt in der Darstellung der Historien dessen Achtung vor fremden Kulturen ein; siehe dazu Kap. 4.1.3.1.1. 1548 Fearn (2007b, S. 106) betont ebenso, dass die Perser nicht darauf hingewiesen werden, dass ihr Verhalten empörend ist. Auch wenn Fearn (ebd.) das Geschehen nicht explizit als kulturelles Missverständnis deutet, stellt er dennoch die Frage, ob Alexanders Rachemord an den Persern u. a. unter diesen Voraussetzungen tatsächlich gerechtfertigt ist. 1549 Welche Folgen eine Sittenverletzung in der Darstellung von Herodots Historien haben kann, wird schon in I, 8 - 12 in der Erzählung über Gyges und Kandaules deutlich (vgl. Horváth [2004], S. 72/ Anm. 9). Da Gyges seine Königin nackt gesehen hat, ist er 464 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="465"?> Wie entgegengesetzt Konventionen unterschiedlicher Kulturen sein können, zeigt der Text in Herodots Historien besonders eindrücklich anhand der voneinander abweichenden Bestattungsritualen der Griechen und Kallatier. 1550 Der Text berichtet, wie Dareios einmal in Griechenland fragen lässt, für wie viel Geld die Griechen ihre verstorbenen Väter essen würden. Diese sind empört und beteuern, für kein Geld der Welt ihre toten Väter zu verspeisen (III, 38.3). Entgegengesetzt dazu reagieren die Kallatier, die es gewohnt sind, ihre toten Eltern zu essen. 1551 Dafür lehnen es diese entschieden ab, ihre Eltern nach deren Tod zu verbrennen (III, 38.4). 1552 Wenn nun solch verschiedene Bräuche ohne Vorwarnung miteinander in Konfrontation geraten, kann es schnell zum Missverständnis kommen, dessen Folgen in diesem Symposion verbildlicht werden. Vernachlässigt man die Annahme, es handle sich bei diesem Symposion um ein Missverständnis, und lehnt zudem die These ab, es bestünde der persische Brauch, dass Frauen am Symposion teilnehmen, muss davon ausgegangen werden, dass die Perser von Anfang an gezielt kulturelle Eigenheiten erfinden, um zu ihrem Ziel zu kommen, das darin besteht, ihr Verlangen nach den makedonischen Frauen zu befriedigen. In diesem Fall wären die Übergriffe das geplante Resultat aus einer Instrumentalisierung von kulturellen Praktiken. 1553 gezwungen, deren Ehemann Kandaules, zu töten oder selbst getötet zu werden. Auch hier endet die Sittenverletzung mit dem Tod. Dass es auch beim Feiern von Festen zu Missverständnissen mit fatalen Folgen kommen kann, wird in den Historien an zwei Stellen dargestellt; siehe dazu Kap. 4.2.2.2.4. 1550 Auch Coulet (1994, S. 64/ Anm. 33) verweist mit Blick auf diese Thematik bes. auf III, 38. 1551 Die Kallatier sind nicht die Einzigen in der Darstellung von Herodots Historien, bei denen es Brauch ist, Tote zu verspeisen, siehe dazu Anm. 755. 1552 Der Text lässt nun Herodot selbst Pindar zitieren ( καὶ ὀρθῶς μοι δοκέει Πίνδραος ποιῆσαι νόμον πάντων βασιλέα φήσας εἶναι - III, 38.4). Die dazu gehörigen Verse (1 - 4a) von Pind. fr. 169a Maehler lauten: Νόμος ὁ πάντων βασιλεύς / θνατῶν τε καὶ ἀθανάτων / ἄγει δικαιῶν τὸ βιαιότατον / ὑπερτάτᾳ χειρί . - Nomos, der Sterblichen all wie / Unsterblichen König, er lenkt / als Recht dies fordernd, das Gewaltsame mit / allzwingender Hand. (Übersetzung: Werner [1967]). Anschließend (4b - 61) führt Pindar dafür als Beweise Herakles ’ Aufgaben, die Rinder des Geryones und die Rosse des Diomedes zu rauben, an. Herodot beachtet den Kontext von Pindars Versen allerdings nicht (vgl. Asheri et al. [2007], S. 437), sondern beschränkt sich beim Zitieren auf die Aussage über die Macht des Nomos, dem alle Menschen und Götter untergeordnet sind, sodass ein Verstoß dagegen zu verständnisloser Abneigung führt. 1553 Horváth (2004, S. 76 f.) vertritt die These, dass ein persischer Brauch, nach dem auch Frauen am Symposion teilnehmen, nicht existiere (vgl. dazu auch Anm. 1502). Die Gesandten „ treten also ihr eigenes, persisches Gewohnheitsrecht mit Füßen “ , um die makedonischen Frauen für sich zu erlangen (Horváth [2004], S. 77). Auch Erbse (1992, S. 103) ist der Meinung, dass die Behauptung der Perser gegenüber den Makedonen „ nichts anderes als eine plumpe Schwindelei [sei], mit der sie die Makedonen einschüchtern, um selbst rasch zu ihrem Vergnügen zu kommen. “ Vgl. dazu auch die 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 465 <?page no="466"?> Ob unbewusst durch ein interkulturelles Missverständnis oder bewusst durch das Ausnutzen der übergeordneten Stellung oder das Erfinden von kulturellen Bräuchen, es kommt zu einem Regelbruch, der schließlich zum Scheitern des Symposions und zu einer Katastrophe führt. Gerade die friedliche Atmosphäre des geregelten Sonderraums Symposion, den die Perser durch ihr übermäßiges Trinken ‚ entgrenzen ‘ und so im weiteren Verlauf übergriffig werden, 1554 ermöglicht es Alexander wiederum, sich gegen diesen vermeintlichen Regelbruch zu wehren. Im Gegensatz zu den bisher untersuchten Gastmahlszenen in diesem Kapitel 4.2.3, entwickelt sich die Ursache des Konflikts, der Alexander dazu bewegt, einen Plan zum Überfall beim Symposion zu schmieden, erst beim Gastmahl selbst und dort explizit während des Symposions. Dieses Gastmahl wird also nicht als Mittel dargestellt, das gezielt für die Umsetzung eines Plans veranstaltet wird. 1555 In dieser Darstellung zeigt der Text, wie Alexander als Initiator des Überfalls die bereits vorherrschende sympotische Atmosphäre für die Umsetzung seines Plans nutzen kann. Eine knappe Mahlszene oder nicht näher ausgeführte Gastmahlszene ohne Symposion, in deren Rahmen die bereits zuvor in Kapitel 4.2.3 erwähnten Überfälle stehen, würde hier also weder dafür ausreichen, die Ursache des Konflikts darzustellen, noch die gelingende Umsetzung des daraus resultierenden Plans von Alexander. So stellt der Text diesen Vorfall explizit in den Kontext eines Symposions. Alexander gelingt es sogar, die sympotische Atmosphäre und die mit dem Symposion zusammenhängenden Konventionen für seinen Plan gegen die Perser so geschickt zu instrumentalisieren, dass die Perser keinen Verdacht schöpfen. Denn die sympotische Atmosphäre ermöglicht es eben durch das dortige gesteigerte Erleben des ‚ Hier und Jetzt ‘ , dass die Symposiasten mögliche Gefahren völlig ausblenden. 1556 Der übermäßige Weinkonsum steigert den Verlust der Vorsicht zusätzlich. Auch in seinen Worten gibt Alexander keinen Anlass für Misstrauen. Denn indem er verspricht, den Persern alle Gaben der Gastfreundschaft zukommen zu lassen und die Perser als Xenoi bezeichnet, gelingt es ihm, Loyalität und Gastfreundschaft vorzutäuschen. Ausführungen bezüglich der doppeldeutigen Formulierung des Persers, bei ihnen würden Frauen am Deipnon teilnehmen, auf S. 450 f. in der vorliegenden Arbeit. 1554 Vgl. dazu S. 454 f. 1555 Vgl. Coulet (1994, S. 63): „ il n ’ a pas, [ … ], été organisé en vue de perdre ou de tromper quelqu ’ un. “ 1556 Zu dieser besonderen Atmosphäre des Symposions als Sonderraum vgl. S. 23 mit Anm. 37 bzw. bes. auch die Zusammenfassung in Kap. 2.2.6. 466 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="467"?> Darüber hinaus nutzt Alexander dadurch, dass er Männer als Frauen verkleidet, die bekannten Geschlechterrollen, um Wehrlosigkeit vorzuspielen und damit einen Kampf mit den Persern zu vermeiden. 1557 Dabei ist zu bemerken, dass der Text in den Historien kein Bild von ausnahmslos schwachen Frauen zeichnet: 1558 So sind es Amestris (IX, 110 - 112) und Nitokris (II, 100.2 - 3), die aus unterschiedlichen Beweggründen zu aktiven Rächerinnen werden, und es ist Sesostris ’ Frau, die in einer Extremsituation eine auch für sie schwerwiegende Entscheidung trifft (II, 107.2). 1559 Bei dem Symposion von Amyntas jedoch 1557 Dass Frauen in der Darstellung der Historien nichts mit Kämpfen zu tun haben sollen, wird in IV, 162 besonders deutlich. Pheretime, die Mutter des aus Kyrene vertriebenen Königs Arkesilaos, erbittet sich in Salamis von Euelthon ein Heer, um mit ihrem Sohn zurück nach Kyrene gelangen zu können (IV, 162.2 - 3). Euelthon beschenkt sie mit vielem, nicht aber mit einem Heer (IV, 162.4). Nach erneuter mehrfacher Bitte schickt er Pheretime letztlich eine Spindel, einen Rocken und Wolle und sagt, mit solchem werden Frauen beschenkt, nicht mit einem Heer ( τοιούτοισι γυναῖκας δωρέεσθαι ἀλλ᾽ οὐ στρατιῇ - IV, 162.5). Erst nach der Ermordung ihres Sohnes hat Pheretime bei Aryandes in Ägypten Erfolg und erhält ein Heer (IV, 167), mit dem sie schließlich den Mord an ihrem Sohn rächen lässt (IV, 200 - 202). Darüber hinaus berichtet der Text im neunten Buch, dass die Perser die Griechen als ‚ weibisch ‘ bezeichnen, nachdem sie ihnen im Kampf große Schäden zugefügt haben ( γυναῖκάς σφεας ἀπεκάλεον - IX, 20), und an anderer Textstelle beleidigt Masistes den Feldherrn Artaÿntes, indem er ihm vorwirft, feiger als eine Frau zu sein ( γυναικὸς κακίω φὰς αὐτὸν εἶναι - IX, 107.1), was für die Perser als größte Beschimpfung gilt ( παρὰ δὲ τοῖσι Πέρσῃσι γυναικὸς κακίω ἀκοῦσαι δέννος μέγιστός ἐστι - IX, 107.1). Auch in VII, 153 wird die männliche Tapferkeit der weiblichen Schwäche gegenübergestellt. Denn der Text gibt als Herodots persönlich markierte Ansicht wieder, wie er sich darüber wundert ( θῶμά μοι ὦν καὶ τοῦτο γέγονε πρὸς τὰ πυνθάνομαι - VII, 153.4), dass es Telines, der als weibischer Schwächling ( θηλυδρίης τε καὶ μαλακώτερος ἀνήρ - VII, 153.4) galt, gelungen ist, Männer, die aus Gela fliehen mussten, zurückzuführen (VII, 153.2 - 3). Herodot würde sich hierfür einen tapferen und kräftigen Mann vorstellen ( πρὸς ψυχῆς τε ἀγαθῆς καὶ ῥώμης ἀνδρηίης - VII, 153.4). Zuvor betont Xerxes im Gespräch mit Artabanos, dass dessen Befürchtungen, die Ionier könnten abfallen, grundlos seien, da die Ionier ihre Frauen, Kinder und Besitztümer im persischen Land zurückgelassen haben (VII, 52.2). Mit Xerxes ’ Aussage impliziert der Text, dass Frauen, Kinder und Besitz bei einem Abfall der Ionier von Persien den Persern schutzlos ausgeliefert sind. 1558 Zum Thema ‚ Frauen ‘ in Herodots Historien siehe z. B. Tourraix (1976); Dewald (1981); Blok (2002); Hazewindus (2004); Ambühl (2018) mit weiteren Literaturhinweisen auf S. 26 f./ Anm. 16. 1559 Siehe zur Darstellung von Nitokris und Sesostris ’ Gattin in den Historien Kap. 4.2.3.3 und zu Amestris Kap. 4.2.3.2.3. Ein weiteres Beispiel für wehrhaftes Verhalten von Frauen in der Darstellung der Historien ist z. B. in IX, 5.3 zu finden: Nachdem Lykides den Athenern geraten hatte, auf das persische Bündnisgesuch (siehe IX, 4) einzugehen, wird er von den Athenern gesteinigt (IX, 5.1 - 2). Lykides ’ Frau und seine Kinder werden anschließend von den athenischen Frauen gesteinigt (IX, 5.3). Der Text betont, dass sie dies aus freiem Willen ( αὐτοκελέες - IX, 5.3) vollziehen. Ebenso sind es Frauen, denen durch eine List die Befreiung der Minyer gelingt (IV, 146; siehe dazu Kap. 4.2.3.4.3). Darüber hinaus wird in 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 467 <?page no="468"?> übernehmen die Frauen eine durchwegs passive Rolle, sie hören auf Befehle, sprechen selbst kein Wort und der Text erwähnt auch keine Abwehrversuche ihrerseits. Der Text demonstriert hier offensichtlich, wie die erwartete Rolle der Frauen ist, nämlich wehrlos und abhängig. Nicht nur die Gäste, sondern auch die Gastgeber übertreten hier die Regeln der Gastfreundschaft. Die Gäste, indem sie ihre Macht ausspielen und ihre Gastgeber nicht respektieren, und die Gastgeber in Person des Alexander, da er seine Gäste töten lässt. Die Gäste büßen also ihr Vergehen mit dem Tod, wohingegen der Text von keiner Strafe berichtet, durch die Alexanders Vergehen vergolten wird. Zudem bezeichnet der Text Alexanders Handeln auch an keiner Stelle als frevelhaftes Verbrechen. Alexanders persönliche Rache erscheint daher - trotz Verstoß gegen die gastfreundschaftlichen Pflichten - nach Maßstäben des Textes nicht übertrieben. 1560 V, 87.2 beschrieben, wie Athenerinnen aus Zorn darüber, dass ihre Ehemänner, die die Kultbilder von den Aigineten zurückholen wollten, nicht überlebt haben, den einzig überlebenden Mann töten. Sie verwenden dafür allerdings keine kriegerischen Waffen, sondern offensichtlich weibliche Utensilien, nämlich ihre Kleiderspangen ( κεντεύσας τῇσι περόνῃσι τῶν ἱματίων - V, 87.2). In VI, 138.4 berichtet der Text außerdem davon, dass Thoas und seine Gefährten durch ihre Frauen ums Leben gekommen seien. Auf welche Weise dies geschehen sein soll, sagt der Text nicht aus. Zudem werden in Herodots Historien auch Frauen erwähnt, die im Krieg aktiv sind. So lenken z. B. die Frauen der Zaueken im Krieg den Wagen (IV, 193). Auch von den kämpferischen Amazonen berichten die Historien (IV, 110 - 117) sowie von Artemisia, die für die Perser in den Krieg zieht und sich als tapfere Kämpferin und Strategin erweist (VII, 99 / VIII, 68 - 69 / VIII, 87 - 88 / VIII, 101 - 103). Natürlich darf bei der Aufzählung von Frauen mit wehrhaften Verhalten in der Darstellung der Historien die Massagetenkönigin Tomyris nicht fehlen, die gegen Kyros und die Perser siegt (I, 205 - 214). Für dieses und weitere Beispiele von Frauen, durch deren Interaktion mit den persischen Königen die historischen Geschehnisse in der Darstellung der Historien beeinflusst werden, siehe Boedeker (2011), bes. 211 - 222. Dafür, dass persische Frauen in politische Angelegenheiten eingebunden wurden, vgl. die Ausführungen in Anm. 1506. Wie ungewöhnlich es für Athener ist, dass Frauen in den Krieg ziehen, zeigt sich an ihrer vom Text in VIII, 93 dargestellten Empörung, gegen eine Frau kämpfen zu müssen ( δεινὸν γάρ τι ἐποιεῦντο γυναῖκα ἐπὶ τὰς Ἀθήνας στρατεύεσθαι - VIII, 93.2); vgl. dazu auch Boedeker (2011), S. 229. Auch in VII, 99.1 wird dies als Besonderheit hervorgehoben. Hier gibt der Text als persönlich markierte Aussage Herodots wieder, gerade deshalb von Artemisia zu berichten, weil er sehr bewundert, dass sie als Frau in den Krieg zieht ( Ἀρτεμισίης δέ , τῆς μάλιστα θῶμα ποιεῦμαι ἐπὶ τὴν Ἑλλάδα στρατευσαμένης γυναικός - VII, 99.1); vgl. zu den wehrhaften Frauen in Herodots Historien Dewald (1981), bes. 109 - 112; Ambühl (2018), bes. S. 26 - 31. 1560 Vgl. dazu auch die Ausführungen zum Entwicklungsprozess der Bedeutung von Gastfreundschaft, der auch in Herodots Historien erkennbar wird, auf S. 59 - 61 mit Literaturverweisen. Zu den Folgen übertriebener Rache in der Darstellung der Historien vgl. die Ausführungen zum Schicksal der Pheretime in Kap. 4.2.3.1.2. 468 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="469"?> 4.2.3.4.3 Funktionen Für den weiteren Erzählverlauf der Historien ist dieses Symposion bei Amyntas nicht entscheidend. Denn aufgrund des erfolgreichen Vertuschens kann es auch keinen Einfluss auf den dargestellten Geschichtsverlauf nehmen. Dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um ein historisches Geschehen handelt, sondern um eine gezielt eingesetzte Erzählung. 1561 Dafür spricht auch, dass sich das Motiv von Männern, die als Frauen verkleidet feindliche Personen zu überwältigen versuchen, in antiken literarischen Darstellungen noch öfter wiederholt. 1562 Auch in den Historien selbst gibt es eine weitere Erzählung, in dem sich 1561 Zur Debatte um die Historizität dieser Vorgänge am Hof des Amyntas siehe Errington (1981); Badian (1994), S. 108 - 114; Sieberer (1995), S. 258 - 261; Horváth (2004), S. 71 f.; Zahrnt (2011), S. 761 - 765; Hornblower (2013), S. 109 jeweils mit weiteren Literaturverweisen. Errington (1981, S. 141 f.) betrachtet die komplette Erzählung bis auf die Hochzeit zwischen Bubares und Gygaie als unhistorisch. Für Rosen (1987, S. 30/ Anm. 10) geht Errington allerdings zu weit, der „ mit der literarischen Einkleidung der Erzählung auch deren historischen Kern verwirft “ . Zahrnt bemerkt (2011, S. 762): „ Diese [Geschichte] wurde zweifellos erst nach der Niederlage der Perser bei Plataiai und nach ihrem Abzug aus Europa in die Welt gesetzt, und zwar zu dem Zweck, jene Zeit in einem anderen Licht erscheinen zu lassen, in der Alexandros I., der sich später als Freund und Förderer der Griechen ausgab, in Wahrheit ein zur Heeresfolge verpflichteter Untertan des Großkönigs gewesen war “ ; vgl. dazu auch Anm. 1575. Erringtons These, diese Erzählung sei von Anfang bis Ende erfunden, steht Zahrnt allerdings kritisch gegenüber (Zahrnt [2011], S. 763). Nach Mutmaßung Fearns bildet u. a. ein nur fragmentarisch überliefertes Enkomion des Bakchylides auf Alexander I. (Bakchyl. 20 B Maehler) den Hintergrund für Herodots Erzählungen über Alexander (vgl. Fearn [2007a], S. 67 f.). Zu diesem Enkomion des Bakchylides sowie dem Zusammenhang zwischen diesem und den Darstellungen von Alexander I. in Herodots Historien (insbesondere V, 17 - 22) siehe Fearn (2007a), S. 27 - 86. 1562 Sowohl Nenci (1994, S. 177) als auch How/ Wells (1912b, S. 7) verweisen in ihren Kommentaren u. a. auf folgende Textstellen, in denen Analogien zu dieser Erzählung erkennbar sind: Paus. IV, 4.3: Hier wird ein Überfall der Lakedaimonier auf die Messenier beschrieben. Bartlose junge Männer verkleiden sich als Frauen und bewaffnen sich mit Dolchen, um die Messenier beim Ruhen anzugreifen. Dieser Plan scheitert und die jungen Männer werden getötet; Plut. vitae parallelae - Solon 8: Diese Erzählung steht im Kontext von Kämpfen der Athener gegen die Megarer um Salamis. Solon ist es gelungen, die bereits müde gewordenen Athener zum Weiterkämpfen zu animieren. Er schickt nun einen vertrauenswürdigen Mann als vermeintlichen Deserteur nach Salamis, während die Frauen gerade dabei sind, das Opferfest für Demeter zu begehen. Der Mann berichtet den Megarern, dass sie nun die ersten Frauen der Athener gefangen nehmen könnten. Solon ordnet in der Zwischenzeit den Frauen an, sich zurückzuziehen, und stellt anstelle von ihnen dort bartlose Männer als Frauen verkleidet auf. Die Megarer werden getötet oder versklavt und die Athener nehmen Salamis ein; Xen. hell. V, 4.4 - 6 (vgl. auch Bowie [2003], S. 106/ Anm. 35; Hobden [2013], S. 171 - 176 bzw. Anm. 1483; Rhodes [2019], S. 168): Der thebanische Flüchtling Melon und Phillidas, ein Sekretär der Polemarchen um Archias, schmieden Pläne, um gegen die Polemarchen vorzugehen (Xen. hell. V, 4.2 - 3). Im Rahmen eines aphrodisischen Festes am Ende der Amtszeit der Polemar- 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 469 <?page no="470"?> Männer im Zuge einer List als Frauen verkleiden, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. 1563 Als nämlich die Minyer, nachdem sie in Lakedaimon als Nachkommen der Argonauten aufgenommen worden waren (IV, 145.2 - 5), nicht mehr nur Aufenthalt, sondern unter anderem auch Anteil am Königtum fordern, nehmen die Lakedaimonier sie gefangen und beabsichtigen, sie zu töten (IV, 146.1 - 2). Die Frauen der Minyer besuchen ihre Männer im Gefängnis (IV, 146.3 - 4). Dort tauschen sie ihre Kleidung und erreichen so, dass die Minyern unbemerkt fliehen können (IV, 146.4). Die Verwendung dieses Motivs deutet also auf eine gezielt konstruierte Anekdote hin. Durch die Retardierung der Handlung kann der Text anhand dieser Symposionsszene verschiedene kulturelle Aspekte und Charakterzüge illustrieren. Es sind nicht nur die Charaktere des mutigen jungen Alexanders, der sich den seiner Kultur fremden Forderungen der Perser nicht beugt, und seines im Kontrast zu ihm stark zurückhaltend wirkenden Vaters Amyntas, die durch dieses Symposion verbildlicht werden, sondern es lassen sich auch Informationen für die Charakterisierung der Perser in der Darstellung der Historien gewinnen. Die persischen Gesandten agieren während dieses Gastmahls durchwegs als οἱ Πέρσαι , sodass sich deren Auftreten nicht wie bei Alexander und Amyntas auf eine bestimmte Person bezieht, sondern auf die Perser im Allgemeinen. Sogar ihre Aussagen werden nicht nur von einem Perser getätigt, sondern von ‚ den Persern ‘ ( εἶπαν οἱ Πέρσαι τάδε - V, 18.2 / οἱ Πέρσαι [ … ] ἔλεγον - V, 18.4). Auf diese Weise sorgt der Text dafür, dass aus dem übermütigen Verhalten der persischen Gesandten Rückschlüsse auf das Verhalten aller Perser in der Darstellung der Historien gezogen werden. So spiegelt sich im Symposion zwischen den Makdedonen und Persern der politische und militärische Konflikt zwischen Persern und Griechen - Alexander betont ja seine griechische Abstammung ( ὡς ἀνὴρ Ἕλλην - V, 20.4) - wider, der sich im Laufe des fünften Buches der Historien im Ionischen Aufstand noch verdeutlichen wird. Wie bereits bei seinen Darstellungen der Trinkverhalten von Kleomenes, Kambyses und Amasis und deren Auswirkungen auf ihr chen, verspricht Phillidas ihnen, Frauen zu ihnen zu bringen. Als die Polemarchen dann bereits recht betrunken sind, fordern sie ihn auf, die Frauen zu holen. Phillidas lässt Melon und seine Leute als Frauen verkleiden und eintreten. Sie setzen sich neben die Polemarchen und schlagen sofort zu (Xen. hell. V, 4.4 - 6). Bei diesen Textbeispielen ist immer die Rede von einer List, bei der Männer, die sich als Frauen verkleiden, beabsichtigen, feindliche Männer zu töten, - teils mit Erfolg (Plutarch, Xenophon), teils ohne (Pausanias). Während How/ Wells (1912b, S. 7) unter anderem aufgrund dieser Analogien die Historizität der Erzählung über die persische Gesandtschaft bei Amyntas in Herodots Historien infrage stellen, sieht Nenci (1994, S. 177) darin keinen Grund für deren komplette Abstreitung. 1563 Vgl. Sieberer (1995), S. 258/ Anm. 391. 470 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="471"?> jeweiliges politisches Handeln, 1564 greift der Text hier wiederum das in der frühgriechischen Lyrik gängige Vergleichsmotiv vom Verhalten im Symposion und im Staat auf geeignete Weise für seine Darstellung wieder auf. 1565 Die Rezipienten wissen im Gegensatz zu den im Text dargestellten agierenden Personen in diesem Symposion bereits, dass die Perser auch in den anstehenden Kriegen letztendlich unterliegen werden. Deutet man nun dieses Symposion symbolisch mit Blick auf die Zukunft der Perser, so kann man folgern, dass ihr Übermut, der sich im Symposion im zügellosen Verhalten der persischen Gesandten gegenüber den Makedonen widerspiegelt, und außerhalb in ihrem grenzenlosen Expansionsstreben zu finden ist, sie zu Fall bringen wird. Dieses Symposion dient also als Vorverweis auf die persische Niederlage in den Perserkriegen. Dafür dass der Text dieses Gastmahl gezielt verwendet, um den Charakter der Perser darzustellen, spricht auch, dass Amyntas ’ Symposion zusammen mit einem weiteren Symposion, deren Gäste ebenfalls Perser sind, dem Symposion bei Attaginos (IX, 15.4 - 16.5), 1566 die Perserkriege einrahmt. Das übermütige Verhalten der Perser bei Amyntas ’ Gastmahl ist bei Attaginos ’ Gastmahl nicht mehr erkennbar. Dort spricht der Perser bereits vom baldigen Tod der meisten seiner persischen Kameraden. Die Bedenkenlosigkeit, die die Perser bei Amyntas ’ Gastmahl noch ausdrücken, hat sich im Laufe des Krieges also in Unsicherheit und Kummer verwandelt. Nicht nur durch ihre Platzierung im Text, sondern auch terminologisch gehören diese beiden Symposia zusammen. Denn nur im Rahmen dieser beiden Erzählungen verwendet der Text das Verb διαπίνειν ( διαπίνοντες - V, 18.2 / διαπινόντων - IX, 16.2). 1567 Abgesehen davon kann der Text durch seine Darstellung des Aufeinandertreffens von persischer und makedonischer Kultur in diesem Symposion kulturelle Kontraste zwischen Persern und Makedonen bzw. Griechen eindrücklich illustrieren. So kann er die jeweilige ethnische Identität hervorheben, wozu es eben einer Außengruppe bedarf, von der sich eine ethnische Gruppe durch einen Vergleich abgrenzen und dadurch definieren kann. 1568 Dieses 1564 Vgl. dazu Kap. 4.1.3.1. 1565 Vgl. dazu die Ausführungen in Kap. 2.2.3.4. 1566 Zum Gastmahl bei Attaginos siehe Kap. 3.1.2. 1567 Vgl. dazu Fearn (2007a), S. 30/ Anm. 9. Zur Bedeutung von διαπίνειν siehe Kap. 2.2.5.3. 1568 Vgl. Hall (1997), bes. S. 32 mit weiteren Literaturverweisen sowie S. 47; de Moraes/ da Silva (2016), S. 30. Hall (1989, S. 1) betont, dass die griechischen Schriften über Barbaren in der Regel als „ exercise in self-definition “ angesehen werden, da die Barbaren als Gegenteil des idealen Griechentums gelten. Vgl. auch de Moraes/ da Silva (2016, S. 31), die diesbezüglich auf VIII, 144.2 verweisen, wo die grundlegenden Kriterien für die Definition der ethnischen Identität der Griechen festgelegt werden: Denn nach Aussage der Athener würden sie niemals die anderen Griechen, mit denen sie in Blut, Sprache, 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 471 <?page no="472"?> Symposion drückt durch den katastrophalen Verlauf des Banketts sogar eine gewisse Unvereinbarkeit der persischen und griechischen Sitten aus. 1569 Auf politischer Ebene veranschaulicht das Symposion bei Amyntas, dass die Perser nach der Übergabe von Erde und Wasser gegenüber ihren Untertanen Vorrechte für sich beanspruchen. 1570 Es entsteht dabei ein ungleiches Verhältnis, da die Völker, die Erde und Wasser übergeben, den persischen Großkönig als übergeordnet auffassen. 1571 Die Übergriffe auf die Frauen wären dann nicht nur das Resultat eines interkulturellen Missverständnisses oder Machtmissbrauchs, sondern auch die radikale Verbildlichung des Verlusts eines Teils der wohlgehüteten eigenen Identität durch die Übergabe von Erde und Wasser. 1572 Religion und Sitten übereinstimmen, verraten und mit den Persern ein Bündnis schließen. Fearn (2007a, S. 30 f.) ist der Meinung, Herodot habe dieses Symposion als wesentlich griechisch gekennzeichnet - „ in opposition to Persian practices. “ Hobden (2013, S. 173/ Anm. 32) betont, dass die Darstellung der Perser in dieser Textpassage ein weiteres Licht auf die griechische Wahrnehmung der persischen Trinkgewohnheiten als ‚ anders ‘ werfe. 1569 Schmitt Pantel (1992, S. 466) bezeichnet dieses Bankett als „ la mise en scène de la différence radicale entre barbares et grecs “ . Und zudem betont Schmitt Pantel (1992, S. 467 f.), dass das Bankett und seine Folgen einen Unterschied offenbaren, der so radikal sei, dass er nur zum Tod führen könne. 1570 Vgl. dazu Hobden (2013), S. 175 f. ( „ In the treatment of the Macedonian women at the banquet, the Persians assert their dominance “ , ebd., S. 175) bzw. Anm. 1521. Nach Klinkott (2016, S. 161) sind es vier Aspekte, mit denen Herodot das Motiv der Übergabe von Erde und Wasser schrittweise erkläre: „ Ausmaß “ , „ Bedeutungshintergrund “ , „ Folgen bei einer Zusage “ und „ Folgen bei Widerstand “ (vgl. dazu insgesamt ebd., S. 154 - 161). Der Aspekt der „ Folgen bei einer Zusage “ sieht Klinkott an diesem Symposion zwischen Persern und Makedonen verbildlicht (vgl. Klinkott [2016], S. 161). Vgl. auch ebd., S. 160: „ Die Konsequenz, daß mit der Übergabe von Erde und Wasser eine Unterordnung unter die persischen Gesetze einhergeht, wird in der Rede der persischen Gesandten beim Festmahl unmißverständlich formuliert “ (V, 18.2: σύ νυν , ἐπεί περ προθύμως μὲν ἐδέξαο , μεγάλως δὲ ξεινίζεις , διδοῖς τε βασιλέϊ Δαρείῳ γῆν τε καὶ ὕδωρ , ἕπεο νόμῳ τῷ ἡμετέρῳ .). Ob mit der Übergabe von Erde und Wasser letztendlich ein Bündnis oder tatsächlich eine Unterwerfung verbunden ist, ist allerdings unklar (vgl. Klinkott [2016], S. 160 f.). Unabhängig davon erlaube die Übergabe von Erde und Wasser laut Klinkott (2016, S. 161) „ in einem innergriechischen Diskurs eine politische Stigmatisierung “ , die die betreffenden Völker insofern kennzeichnet, als sie „ den Großkönig ungehindert durch ihre Gebiete ziehen ließen und ihn mit seinem Heer versorgten “ ; vgl. auch ebd., S. 165 - 174. Klinkott (2016, S. 174) hebt zudem hervor, dass zwar die Erlaubnis, durch ihr Land zu ziehen, und die Versorgung des persischen Heeres nach Zusage von Erde und Wasser verpflichtend waren, dass die Völker aber auf diese Weise eine Unterwerfung und Zerstörung ihres Landes vermeiden und ihre politische Selbstständigkeit bewahren konnten; vgl. dazu auch Anm. 1484 sowie Anm. 1491. Generell ist es in der Forschung umstritten, ob Makedonien zum persischen Vasallenstaat oder „ zu einem tributpflichtigen Untertanen “ wurde (Zahrnt [2011], S. 762 mit Literaturhinweisen). 1571 Vgl. Kuhrt (1988), bes. S. 95 f.; Kramer (2004), S. 260; Klinkott (2016), S. 166. 1572 Vgl. Klinkott (2016), S. 160. 472 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="473"?> Dennoch zeigt dieses Symposion an einer zentralen Stelle in den Historien - kurz vor dem Ionischen Aufstand - , dass die Makedonen in ihrer Ausrichtung gespalten sind. 1573 Sie geben den Persern zwar Erde und Wasser, aber wahren dennoch ihre eigenen Interessen und Sitten und lassen sich Ungerechtigkeiten der sie beherrschenden Perser nicht bieten. Das gilt besonders für Alexander selbst. Es geht ihm nicht darum, die Unterwerfung durch die Perser zu vergelten, sondern deren schmachvolles Verhalten beim Symposion zu bestrafen. So scheint das Verhalten der persischen Gesandten für ihn keine Auswirkung auf seine in den Historien dargestellte politische Einstellung gegenüber den Persern zu haben. 1574 Denn der Text berichtet, wie sich dieser jeweils für die Seite einsetzt, die für ihn momentan aus unterschiedlichen Beweggründen die nützlichere zu sein scheint. So wirbt er später bei den Athenern sogar für ein Bündnis mit den Persern, als ihm die persische Seite überlegen zu sein scheint (VIII, 140). 1575 Dennoch bleibt er auch stets Freund der Griechen und gibt ihnen Ratschläge. 1576 Sein Verhalten zeigt also eine große Ambiguität. 1577 1573 Fearn (2007b, S. 98) bemerkt, dass die Kapitel 17 - 21 einen wichtigen Platz im fünften Buch der Historien einnehmen, da sie eine Brücke zwischen der gescheiterten Invasion des Dareios gegen die Skythen im vierten Buch und der anschließenden persischen Invasions Griechenlands ab dem fünften Buch bilden; sie schließen unmittelbar an Megabazos ’ Deportation der Paionier von Thrakien nach Persien an. Die makedonische Herrscherfamilie werde also in einer Weise eingeführt, die sich auf die Beziehungen zu Persien konzentriert (ebd.). 1574 Die Makedonen machen dieses Ereignis beim Symposion nicht zum Ausgangspunkt einer Revolution gegen die Perser (vgl. Hobden [2013], S. 175). 1575 Darin, dass Alexanders Verhalten im späteren Verlauf der Historien von seinem Patriotismus in V, 17 - 22 abweicht, sehen How/ Wells (1912b, S. 7) einen Hinweis darauf, dass es sich um eine erfundene Erzählung handeln muss. So sind How/ Wells (ebd.) der Meinung, dass diese Darstellung die Freundschaft von Alexander zu Athen beweisen möchte. Auch Errington (1981, S. 143) und in Anlehnung an ihn auch Scaife (1989, S. 132) vermuten hier eine nach den Perserkriegen von Alexander selbst erfundene Anekdote, um seine Freundschaft zu Griechenland zu betonen; vgl. zu dieser möglichen Intention der Erzählung auch Badian (1994), S. 109, S. 113 f.; Horváth (2004), S. 71 f.; Fearn (2007b), S. 115; Zahrnt (2011), S. 762; Hobden (2013), S. 175. Erbse (1992, S. 102) lehnt diese These ab. Zur Debatte um die Historizität dieser Erzählung siehe Anm. 1561. 1576 Siehe dazu Anm. 1498. 1577 Vgl. dazu Fearn (2007b). Mit Blick auf dieses Symposion bei Amyntas hebt Fearn (2007b, S. 114 f.) hervor, dass die Theatralik der Ermordung der persischen Gesandten die Darstellung der Makedonen und des Alexanders nicht weniger, sondern eher noch ambivalenter und konstruierter erscheinen lasse. Obwohl es das erklärte Ziel der Erzählung sei, Alexander als anti-persisch und philhellenisch darzustellen (vgl. Anm. 1575), unterminieren die Details der Erzählung selbst dieses Ziel und stellen es infrage (Fearn [2007b], S. 115). 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 473 <?page no="474"?> Die konvivalen Regeln bleiben in diesem Symposion zum Teil erhalten, soweit sie sich auf die intime und enthemmte Atmosphäre beziehen: Es gibt Wein, die Teilnehmeranzahl ist beschränkt und die typische konvivale Abfolge ist auch gegeben. Andere Regeln allerdings werden - gezielt durch Ausübung der Macht oder gar Machtmissbrauch oder unbewusst durch ein interkulturelles Missverständnis - gebrochen. So sollen Frauen am Symposion teilnehmen, die Platzverteilung wird entgegen dem Willen der Gastgeber entschieden, Gleichheit herrscht nicht vor und die Unversehrtheit der Gäste ist ebenso wie die der Gastgeber aufgrund der Ehrverletzung nicht gewährleistet. So werden Gegenreaktionen provoziert. Doch nur durch den Erhalt des konvivalen Rahmens kann dieses Symposion zum illustrativen Schauplatz für die genannten persönlichen und politischen Verhaltensweisen sowie für kulturelle Besonderheiten werden. Letztlich sind die Auswirkungen des Symposions nur für die persischen Gesandten katastrophal, da Amyntas und Alexander aufgrund der erfolgreichen Verschweigens der Vorkommnisse von Racheaktionen verschont bleiben und so ihren Einfluss nicht verlieren, sondern ihn sogar mehren. 1578 4.2.3.5 Fazit: Das Gastmahl als Ort trügerischen Sicherheitsgefühls Bereits die Untersuchung der Texstellen in Kapitel 4.2.1 hat gezeigt, dass in der Darstellung der Historien Trunkenheit mehrfach zur Wehrlosigkeit führt und diese Wirkung von Weinkonsum auch gezielt instrumentalisiert wird. An anderen Textstellen sind es öffentliche Feste, die den Alltag auf ähnliche Weise wie Symposia durchbrechen, Pflichten vergessen lassen und somit geeignete Räume für Überfälle bilden (Kap. 4.2.2). Sowohl durch die Folgen von falschem Weinkonsum als auch durch die Ablenkung aufgrund von Festen entsteht Wehrlosigkeit. So verwundert es nicht, dass Bankettszenen, bei denen Ablenkung vom Alltag und Weinkonsum kombiniert auftreten, - ob intensiver beschrieben oder nicht - oft Schauplätze der Gewalt und Orte der List in den Historien darstellen. Wenn der Text in Herodots Historien von einem Vorfall bei einem Gastmahl oder explizit bei einem Symposion berichtet, dann liegt dabei der Schwerpunkt - im Gegensatz zu den Vorfällen bei öffentlichen Festen - auf den agierenden Einzelpersonen. 1579 Es ist daran ersichtlich, dass der Text für die Räumlichkeiten der beschriebenen Überfälle, ob sie historisch belegt sind oder 1578 Vgl. Bowie (2003, S. 107): „ His [= Alexander ’ s] banquet involves the death of Persians, but all is resolved and his family ’ s power is progressively established. “ Vgl. dazu Anm. 1521. 1579 Vgl. dazu neben den in diesem Kapitel (4.2.3) untersuchten Gastmahl- und Symposionsdarstellungen auch diese in Kap. 4.1.3 sowie Kap. 4.2.1. 474 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="475"?> nicht, keine beliebigen Orte auswählt, sondern die mit dem jeweiligen Raum verbundenen Konventionen berücksichtigt und für seine Aussage verwertet. So wird das Gastmahl bzw. Symposion zum Schauplatz für heimliche, persönlich motivierte Racheaktionen von Einzelpersonen - und nicht das öffentliche Fest. Für die Gastmähler in Herodots Historien, die zu Orten von Verbrechen werden, möchte ich nun zusammenfassend festhalten, dass deren Gelingen oder Scheitern besonders vom Wahren bzw. Missachten der dortigen Regeln abhängt. Denn da das Einhalten der Regeln erwartet und vorausgesetzt wird, kann der Text Abweichungen davon, ob sie gezielt oder unbewusst geschehen, als Ursache für deren Scheitern anführen. So sind beim Gastmahl besonders drei Aspekte dafür entscheidend, weshalb ein Vergehen sowohl für den Gastgeber als auch für die Gäste besonders unerwartet ist: Erstens werden - im Gegensatz zu öffentlichen Festlichkeiten - die gastfreundschaftlichen Regeln vorausgesetzt, zweitens sind die Teilnehmer durch die abgeschlossene und sicherheitsversprechende Atmosphäre abgelenkt und drittens kann - besonders beim Symposion - der falsche und maßlose Umgang mit Wein zum einen unpassendes und unerwartetes Verhalten, zum anderen Wehrlosigkeit erwirken und damit negative Folgen nach sich ziehen. 1580 Werden die konventionellen Regeln allerdings eingehalten, bestehen dabei keine Gefahren. Dass die gastfreundschaftlichen Regeln in Herodots Historien mehrfach missachtet und die Regeln für die eigenen Zwecke instrumentalisiert werden, hat sich vor allem dann gezeigt, wenn die Gastfreunde unterschiedlichen sozialen Ständen angehören, wie es z. B. bei Themison und Etearchos der Fall ist (IV, 154.3 - 4), oder wenn die Gastfreundschaft zwischen nicht gleichberechtigten Völkern besteht, wie z. B. zwischen den herrschenden Persern und den beherrschten Makedonen (V, 18 - 20). Dass die nicht-öffentliche Sphäre eines Gastmahls in der Darstellung von Herodots Historien auf unterschiedliche Art und Weise funktionalisiert wird, zeigen die im Text als unerwartet dargestellten Umsetzungen geplanter Verbrechen im Rahmen eines Gastmahls, sei es aus Rachegründen wie bei den Skythen gegen Kyaxares (I, 73.5 - 6), bei Astyages gegen Harpagos (I, 119) sowie bei Nitokris gegen die Mörder ihres Bruders (II, 100.2 - 3), aus Gründen reinen Machtstrebens wie bei Sesostris ’ Bruder (II, 107) oder aus Gründen der Verteidigung, wie es bei Alexander gegen die aufdringlichen persischen Gesandten der Fall ist (V, 18 - 20). Bei all diesen Plänen werden zudem die Regeln der Gastfreundschaft ausgenutzt, indem sie ihre Gäste auf unterschiedliche Art und Weise ‚ in die Falle locken ‘ . Amestris nutzt für ihren Racheplan gegen die Frau des Masistes nicht die Situation beim 1580 Gastmahlszenen, bei denen gezielt der Weinkonsum instrumentalisiert wird, werden in Kap. 4.2.1 untersucht. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 475 <?page no="476"?> Speisen oder die gastfreundschaftliche Verpflichtung aus, sondern einen Brauch, der mit dem Königsmahl verbunden ist (IX, 110 - 111). Entscheidend für die Umsetzung der Rachepläne der Skythen gegen Kyaxares (I, 73.5 - 6) und des Astyages gegen Harpagos (I, 119) sind dagegen die Speisevorgänge und für das Vorhaben der Nitokris (II, 100.2 - 3) sowie von Sesostris ’ Bruder (II, 107) der Ort, an dem sich die Gäste treffen. Der Text zeigt durch die vielfältigen Darstellungen dieser gezielt instrumentalisierten Gastmähler, dass dort von Menschen gemachte Gefahren auf unterschiedliche Art und Weise drohen: Kannibalismus (I, 73.5 - 6 / I, 119), organisierte Überflutung (II, 100.2 - 3), gelegtes Feuer (II, 107) und menschliche Konventionen (IX, 110 - 111). Bei all diesen Gastmählern ist es unerheblich, ob es nach dem Mahl noch zu einem Symposion kommt, da sich die entscheidenden Racheaktionen entweder mit dem Speisen (I, 73.5 - 6 / I, 119) oder mit dem Gastmahl im Gesamten (IX, 110 - 111) begründen lassen oder der Ablauf des Gastmahls für die Aktionen völlig unerheblich ist, da die Gefahr von außen auf die Teilnehmer zukommt (II, 100.2 - 3 / II, 107). Somit berichtet der Text in diesen Fällen mit Blick auf die Erzählökonomie auch nicht von den genauen weiteren Abläufen der jeweiligen Gastmähler und schon gar nicht von möglichen Symposia nach den Mählern. Nur ein einziges Mal stellt der Text einen Überfall beim Gastmahl in den Historien explizit in den Kontext eines Symposions. Dabei handelt es sich um das Gastmahl zwischen Makedonen und persischen Gesandten (V, 18 - 20). Insgesamt grenzt sich dieser Vorfall von den anderen bereits in diesem Kapitel untersuchten Verbrechen beim Gastmahl insofern ab, als sich nur im Rahmen dieses Gastmahls die Ursache des sich dort anbahnenden Konflikts, der schließlich erst den Überfall provoziert, aus dem Verlauf des Gastmahls bzw. hier eben explizit des Symposions selbst ergibt. Vor allem die Folgen des zu üppigen Weinkonsums und das sich daraus entwickelnde ausgelassene, forsche und rücksichtslose Verhalten der Perser am Hof des Amyntas sowie das Überlegenheitsgefühl der Perser als Herrscher gegenüber den Makedonen und ihr kulturelles Desinteresse an der makedonischen Kultur lassen das Symposion - sei es aufgrund eines Missverständnisses oder aus purer Ignoranz - scheitern. Hier ist es keine vorher geplante Falle wie bei Nitokris und Sesostris und kein unumgänglicher Brauch wie bei Xerxes ’ Königsmahl, wodurch die Umsetzung von Alexanders Plan ermöglicht wird, sondern es ist die sympotische Atmosphäre selbst, die die Perser im Rahmen des Symposions in einem Zustand gesteigerten Erlebens versetzt und zugleich mögliche unerwartete Aktionen von außen völlig ausblenden lässt. Indem der Text diesen Vorfall in den Kontext des Sonderraums Symposion stellt, können die Rezipienten die Atmosphäre, in der dieser Vorfall geschieht, einordnen und damit verstehen, weshalb die persischen Gesandten ohne Misstrauen, Gegenwehr und lange Vorausplanung getötet werden können, 476 4 Symposion und Mahl als Illustrationsmittel und Einflussfaktoren auf den Erzählverlauf <?page no="477"?> wobei niemand jemals etwas darüber erfahren wird. Letztlich kann dieses Symposion insgesamt als katastrophal bezeichnet werden und es ist das einzige Symposion in Herodots Historien, bei dem die sympotische Atmosphäre für das Töten von Menschen instrumentalisiert wird. 4.2 Trinken, Feiern, Essen - Möglichkeiten, etwas in Bewegung zu setzen 477 <?page no="478"?> 5 Ergebnisse Zum Abschluss der vorliegenden Arbeit möchte ich nun die einzelnen Ergebnisse aus den Kapiteln 3 und 4 zusammenführen. Es hat sich gezeigt, dass es sich bei Darstellungen der Gastmähler und Symposia in Herodots Historien um keine klar definierten Szenen handelt, sondern dass diese stets auf unterschiedliche Art und Weise variieren, um für die Erzählung nutzbar zu werden. Nur in wenigen Fällen bieten Gastmahldarstellungen in den Historien rein ethnographische Informationen. Dies ist vor allem bei Mählern der Fall, die in Kontexten von Begräbnissen oder als Totenmähler erwähnt werden. 1581 Alle weiteren Gastmahl- und Symposionsdarstellungen konnten dennoch trotz ihrer unterschiedlichen Strukturen in zwei großen Kategorien gefasst werden: Eine erste Kategorie (Kapitel 3) umfasst alle Darstellungen, deren Funktionen den zu erwartenden griechischen Konventionen eines Gastmahls bzw. Symposions entsprechen und auf diese Weise auf den Erzählverlauf der Historien wirken. Denn dabei handelt es sich um Szenen, an denen Gastmähler und Symposia als Orte der Kommunikation im Text fungieren und im Speziellen das Symposion durch seine besondere sympotische Atmosphäre eine Thematik in den Verlauf der Historien sinnvoll kontextualisiert, die eine tiefere Reflexion verlangt: das menschliche Dasein und seine Endlichkeit. Da im Erzählverlauf nichts nur aus Zufall berichtet wird, helfen die Gastmahl- und Symposionsszenen in Herodots Historien dem Text, bestimmten Situationen einen plausiblen Rahmen zu geben. Während ‚ reine ‘ Gastmahlszenen, deren Ablauf der Text nicht genauer schildert, kurze Gespräche und damit eine nur kleine Unterbrechung der Haupthandlung in einen geeigneten Kontext stellen, ohne dass der Erzählverlauf davon beeinträchtigt wird (Kap. 3.1.1 und Kap. 3.1.3), bildet das Symposion den äußeren Rahmen eines viel persönlicheren, ausführlicheren und thematisch tiefgründigeren Gesprächs, das das intensivierte Nachdenken der agierenden Gruppe benötigt (Kap. 3.1.2). Durch die Wahl einer Symposionsszene als ‚ Kulisse ‘ verstärkt der Text somit die dortigen Vorgänge und aktiviert auf diese Weise Emotionen, die unter anderen Umständen nicht dargestellt werden könnten. Es ist also zu erkennen, dass in Herodots Historien mehrfach Szenen in den Kontext von Symposia gestellt werden, in denen sich die Symposiasten mit Reflexionen über die menschliche Existenz befassen (Kap. 3.1.2 sowie Kap. 3.3), wobei jedoch eine direkte Un- 1581 Diese Mähler und Bankette sind in Anm. 755 zusammengefasst. <?page no="479"?> terhaltung zwischen Einzelpersonen über diese Thematik nur beim Symposion des Attaginos (IX, 15.4 - 16.5) wiedergegeben wird. Entscheidend ist hier, dass das Thema der Kürze und Abhängigkeit des menschlichen Lebens explizit das Leben der Symposiasten bei Attaginos als Schicksalsgemeinschaft betrifft. Dagegen stehen Reflexionen über das allgemeine menschliche Leben, die in einem Dialog zwischen Einzelpersonen wiedergegeben werden, in den Historien nie im Kontext eines Symposions. 1582 Außerdem ist ersichtlich, dass in den Historien Klagen über die allgemeinen Leiden im menschlichen Leben auch in einer Gruppe, wie es in V, 4 bei den Trausern ohne größerer Kontextualisierung beschrieben wird, nicht während eines Symposions geschieht. Wird also in den Historien im Symposion über das menschliche Leben reflektiert, ist stets die Gruppe der Symposiasten entscheidend, die direkt von diesen Reflexionen betroffen ist, wobei niemals über die allgemeinen Leiden im Leben geklagt wird. Das Erleben der sympotischen Situation als Gruppe sowie die verstärkte Wahrnehmung des Daseins im Moment stehen also im Vordergrund. Die Beratungsszenen der Perser beschäftigen sich in der Darstellung des Textes zwar nicht explizit mit Fragen zur Lebenskunst, aber auch bei diesen steht die gemeinschaftliche Beratung im Vordergrund und als Ort ist das Symposion gewählt (Kap. 3.2). Zudem dienen Gastmahl- und Symposionsszenen, die als Orte der Kommunikation in den Historien verwendet sind, immer auch der Charakterisierung der auftretenden Personen. Sowohl Gastmahlals auch Symposionsdarstellungen dieser ersten Kategorie wirken allerdings nur indirekt auf den Erzählverlauf der Historien, da das nicht-öffentliche Gastmahl und Symposion hier in erster Linie einen sinnvollen kontextuellen Rahmen bildet und auf diese Weise durch die besondere Atmosphäre eine Aussage indirekt verstärkt, die die dortigen Geschehnisse vermitteln. In eine zweite Kategorie (Kapitel 4) konnten die Gastmahl- und Symposionsdarstellungen eingeordnet werden, die auf unterschiedliche Art mit dem 1582 Vgl. z. B. das Gespräch zwischen Kroisos und Solon über das menschliche Glück (I, 30 - 33). Eine Symposion ist als Rahmen für dieses Gespräch nicht plausibel. Denn einerseits sieht sich Kroisos als glücklichster Mensch und zerstört durch diese Hybris eine entscheidende Voraussetzung des Symposions - das rechte Maß - , andererseits durchbricht auch Solon die sympotische Atmosphäre für seine Definition des glücklichsten Menschen, indem er auf Erzählungen über bereits verstorbene Menschen zurückgreift, um zu betonen, dass das menschliche Glück vor dem Tod nicht möglich zu bewerten ist und damit ein Gespräch über das Glück in der Gruppe sinnlos wird. Ein weiteres Beispiel ist die Unterhaltung zwischen Artabanos und Xerxes in Abydos (VII, 46 - 52). Dort schließt sich Xerxes selbst nicht in seine allgemeinen Reflexionen über die Vergänglichkeit des Lebens mitein (VII, 46.2). Ein Symposion, dass die Gleichheit der sich unterhaltenden Gruppe hervorheben würde, wäre daher für dieses Gespräch eben gerade nicht zielführend. 5 Ergebnisse 479 <?page no="480"?> übergeordneten Handlungsverlauf der Historien direkt in Verbindung stehen. Auf vielfältige Weise dienen sie der Veranschaulichung der Erzählung. So werden z. B. Bewirtungen mehrfach qualitativ und quantitativ charakterisiert und somit zu verbildlichenden Zwecken funktionalisiert, um darauf aufbauend Rückschlüsse auf die Lebenssituation eines Landes ziehen zu können. Auf diese Weise gelingt es dem Text, Aussagen, Beschlüsse oder Handlungen von Einzelpersonen oder ganzen Völkern in Herodots Historien nachvollziehbar darzustellen (Kap. 4.1.1). Auch aus der Art, wie unterschiedliche Völker (Griechen, Perser, Skythen) im Kontext eines Mahls oder Symposions bei Herodot Wertschätzung, Missachtung und Macht bzw. Stärke ausdrücken, können Informationen für die allgemeine Charakterisierung der Völker gewonnen werden (Kap. 4.1.2). Besonders durch die Erzählung von Polykrates, der durch ein Symposion von seinen Pflichten abgelenkt Oroites ’ Gesandten nicht beachtet und damit Oroites unbewusst zutiefst kränkt (III, 121), zeigt, dass auch in dieser Kategorie mit dem Symposion besonders starke Emotionen ausgedrückt werden können. Dass der Umgang mit den Emotionen beim Symposion mit der Art des Weinkonsums zusammenhängen kann, zeigt sich anhand weiterer Symposionsszenen, mit denen die unterschiedlichen Auswirkungen von Weinkonsum illustriert werden. Im Gegensatz zu den in Kapitel 3 und Kapitel 4.2 untersuchten Symposionsdarstellungen, die nur auf indirekte Weise der Charakterisierung der agierenden Personen dienen, fungieren die Darstellungen besonderer Trinkgewohnheiten und Verhalten beim Symposion als direkte Charakterisierungsmittel. Vor allem die Charaktere dreier berühmter Könige - Kambyses, Kleomenes, Amasis (Kap. 4.1.3.1) - stellt der Text in unmittelbaren Zusammenhang mit ihrem jeweiligen Trinkverhalten. Dabei spielt die Umgebung, in denen diese Könige ihr Trinkverhalten ausleben, eine entscheidende Rolle. Während der Text für den unmäßigen Weinkonsum von Kambyses, der aus dem Vorwurf der Philoinie als mögliche Erklärung seines Wahnsinns erschlossen werden kann, keinen Kontext erwähnt, berichtet er, dass Kleomenes zusammen mit problematischen Mitsymposiasten - Skythen - trinkt, die die Regeln des idealen griechischen Symposions durch ihren ungemischten Weinkonsum zerstören. Dieser ‚ falsche ‘ , nämlich ungemischte Weinkonsum, den sich Kleomenes durch seinen intensiven Kontakt zu den Skythen angewöhnt, wird als mögliche Ursache für seinen Wahnsinn angegeben. Dem Amasis wird zwar ebenfalls ein starker Hang zum Wein zugeschrieben, aber durch den Hinweis des Textes, dass er zusammen mit weiteren Symposiasten und nur zu einer strikt festgelegten Tageszeit trinkt, wird sein Trinken in den Kontext eines geregelten Symposions eingeordnet. Amasis zeichnet sich also durch ein geregeltes Trinkverhalten im Symposion und eine in den Historien als gut bewertete Herrschaft aus. An seiner Dar- 480 5 Ergebnisse <?page no="481"?> stellung als guter König zeigt sich, dass die sympotische Atmosphäre eine positive Wirkung auf ihn hat. Amasis erhält im Symposion durch die Ablenkung vom Alltag die nötige Erholung von seinen Verpflichtungen und unterliegt einer sozialen Kontrolle durch seine Mitsymposiasten. Auch in der Symposionsdarstellung im Rahmen von Agaristes Verlobungsfeier kann der Text Hippokleides und Kleisthenes charakterisieren, durch ihr Verhalten in der Gruppe beim Symposion gegenüberstellen und somit nochmals besonders nachdrücklich hervorheben. Es wird also ersichtlich, dass Symposia in Herodots Historien meist nicht in ihrer bestmöglichen Konstellation dargestellt werden. Stattdessen zeigt sich besonders häufig, wie weitreichend und manchmal auch gefährlich die Auswirkungen von falschem Verhalten und damit Regelverstößen innerhalb eines Symposions sein können. Der Text macht sich also sowohl die positiven Auswirkungen der sympotischen Atmosphäre für seine Erzählung nutzbar als auch die für die agierenden Personen negative. Mehrfach erweisen sich Gastmahl- und Symposionsszenen in Herodots Historien als geeignete Rahmenhandlungen für unerwartete Überfälle. Dabei stellt der Text heraus, wie die Auswirkungen von Wein (Trunkenheit und Schläfrigkeit) für Überfälle instrumentalisiert werden (Kap. 4.2.1), aber auch die nicht-öffentliche und vertrauensvolle Atmosphäre, die durch die allgemeine Erwartung an die Konventionen der Institution der Gastfreundschaft und an die Regeln beim Gastmahl und Symposion vorherrscht (Kap. 4.2.3). Während in Darstellungen von Überfällen bei öffentlichen Festen keine bestimmten Personen als Angriffsziele genannt werden (Kap. 4.2.2), sind es bei Darstellungen von Überfällen im Rahmen von Gastmählern oder Symposia gerade Einzelpersonen, die durch die Kontextualisierung in einem nicht-öffentlichen Setting entweder als Angreifer oder Opfer des Überfalls in den Vordergrund der Handlung treten. In diesen Darstellungen werden die agierenden Personen auf implizite Weise charakterisiert, die in vielen Fällen gegen die gastfreundschaftlichen Pflichten verstoßen. Während der Text ein ungeregeltes Trinkverhalten und damit den Verstoß gegen eine wichtige Voraussetzung des idealen griechischen Symposions stets negativ konnotiert, lässt er Vergehen gegen die bestehenden gastfreundschaftlichen Verpflichtungen meist unkommentiert. Es hat sich herausgestellt, dass die gastfreundschaftlichen Verpflichtungen in Herodots Historien nicht mehr stets als religiöse, sondern zum Teil als rein menschliche, ethische Verpflichtungen bewertet werden. 1583 Die Historien 1583 Dass die Entwicklung der griechischen Gastfreundschaft auch durch den wachsenden Gemeinsinn in der erstarkenden Polisstruktur beeinflusst wird (vgl. Herman [1987], S. 1 - 6), spielt in der Darstellung von Herodots Historien allerdings keine explizite Rolle; siehe zu dieser Entwicklung S. 59 - 61 mit Literaturhinweisen. 5 Ergebnisse 481 <?page no="482"?> stellen daher ein Dokument für die Verwandlungsprozesse der Gastfreundschaft dar. Schildert der Text, wie ein Gastgeber während eines Gastmahls bzw. Symposions ein Verbrechen plant, hat dies also nicht zwingend eine negative Charakterisierung des Gastgebers oder dessen Verachtung wegen eines religiösen Frevels zur Folge. Stattdessen sind die dargestellten Beweggründe der Tat entscheidend und damit eine Abwägung zwischen unterschiedlichen menschlichen Maximen. Als z. B. Nitokris gegen die gastfreundschaftlichen Verpflichtungen verstößt, um an den Mördern ihres Bruders Rache zu nehmen, verurteilt der Text ihr Vorgehen nicht, sondern lässt dies gänzlich unbewertet (II, 100.2 - 3). Die Umsetzung und Planung solcher Vorhaben lassen die agierenden Personen in den Historien mehrfach implizit eher als klug und bedacht denn als frevelhaft erscheinen. 1584 Durch die Reaktionen der Geschädigten wiederum zeichnet der Text auch deren Charaktere. Das gezielte Instrumentalisieren von Gastmählern wird sowohl den Skythen, Ägyptern, Persern als auch Makedonen bzw. Griechen in den Historien zugeschrieben und kann damit nicht als spezielles Vergehen eines bestimmten Volkes identifiziert werden. In diesem Zusammenhang hat sich zudem herausgestellt, dass nur in einem einzigen Fall in Herodots Historien ein Konflikt, der zum Auslöser eines Verbrechens in einer Gastmahlszene wird, während eines Gastmahls selbst entsteht. Dabei handelt es sich um einen Vorfall zwischen Makedonen und Persern, den der Text zudem explizit in den Abschnitt des Symposions stellt (V, 18 - 20). Dass an dieser Textstelle das Symposion als Rahmen notwendig ist, wird daran ersichtlich, dass nicht nur die Ursache des Konflikts durch die sympotische Atmosphäre gefördert wird, sondern dass diese auch die Umsetzung des Racheplans ermöglicht (Kap. 4.2.3.4). Wieder funktionalisiert der Text bewusst die sympotische Atmosphäre. In diesem Fall schlägt die dortige Situation des verdichteten Erlebens vor Ort durch den maßlosen Weinkonsum der persischen Gäste ins Negative um. Die Symposiasten durchbrechen durch mehrfachen Regelverstoß die Grenzen dieses Sonderraums und blenden zugleich drohende Gefahren aus. Diese Situation weiß wiederum der Makedone Alexander erfolgreich für die Umsetzung seines Plans zu nutzen. Dass der Text die Darstellungen von Symposia in Abgrenzung von nicht näher beschriebenen Gastmahlszenen stets gezielt wählt, ist zudem daran ersichtlich, dass in keiner der Symposionsszenen das vorherige Essen bzw. Deipnon eine Rolle spielt. Steht dagegen ein Geschehen beim Deipnon im Mittelpunkt, bleibt das Symposion unerwähnt (Kap. 4.2.3.2). Der Text berichtet 1584 Vgl. dazu bes. Kap. 4.2.3.3 sowie Kap. 4.2.3.4. 482 5 Ergebnisse <?page no="483"?> entsprechend der Erzählokonomie nur von den entscheidenden Vorgängen während eines Gastmahls und Symposions. Zusätzliche Informationen zur Vorbereitung, Einrichtung, weiteren Gästen oder auch Unterhaltungsprogrammen erwähnt der Text daher nur in seltenen Fällen, wenn sie eben für den Verlauf der Erzählung bzw. für das zu illustratierende Element entscheidend sind. Im Rahmen der Einzelanalysen hat sich nun herausgestellt, dass der herodoteische Erzähler besonders zwei zentrale Themen der frühgriechischen Lyrik wiederaufgreift und für seine Zwecke in den Symposionsszenen weiterführt: Dabei handelt es sich um das dort gängige Vergleichsmotiv vom Verhalten im Symposion und im Staat und um die Thematik des Todes. Ersteres ist bei den Charakterisierungen der Könige Kambyses, Kleomenes und Amasis erkennbar, da deren unterschiedliche Art zu Trinken im Symposion (bzw. bei der Darstellung von Kambyses ’ Trinkverhalten ohne genauere Kontextualisierung) Auswirkungen auf ihre jeweilige Art zu Herrschen hat. Der herodoteische Erzähler zeigt, dass das Trinkverhalten nicht nur im metaphorischen Sinn Einfluss auf das Herrscherverhalten hat, sondern demonstriert sowohl negative (Kambyses, Kleomenes) als auch positive (Amasis) Handlungen mit deren gewöhnlichen Trinkverhalten. Auf diese Weise verwendet der Text auch das Symposion beim Makedonenkönig Amyntas (V, 18 - 20), um das Verhalten der Perser in ihrer Funktion als Herrscher zu charakterisieren. Ihr Übermut beim Symposion, der ihre Ermordung zur Folge hat, spiegelt ihr grenzenloses Expansionsstreben wider, das in der persischen Niederlage enden wird. Die Thematik des Todes ist besonders in der Betonung der Endlichkeit des Lebens und dem damit verbundenen Aufruf zum Genuss des Lebens in den ägyptischen Symposia zu erkennen, die zum Ausdruck des intensivierten Erlebens des Daseins im ‚ Hier und Jetzt ‘ werden (Kap. 3.3.2). Es sind also die ägyptischen Symposia, die diese Thematik von einigen Fragmenten der frühgriechischen Lyrik weiterführen. Zwar wird in der Darstellung der Historien in keinem griechischen Symposion die Thematik der allgemeinen Endlichkeit des menschlichen Lebens reflektiert, in Zusammenhang mit Tod und Sterben allerdings stehen auch die griechischen Symposia. 1585 Dass die Mehrzahl aller Gastmähler und Symposia in Herodots Historien auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Tod in Verbindung gebracht werden 1585 So sterben die persischen Symposiasten während Amyntas ’ Gastmahl (V, 18 - 20). Auf Attaginos ’ Symposion folgt der baldige Tod der ebenfalls persischen Symposiasten (IX, 15.4 - 16.5). Polykrates ’ Symposion wird zum Auslöser für seine Ermordung (III, 121) und Kleomenes stirbt am Wahnsinn, dessen spartanische Erklärungsvariante auf seinem im Symposion angewöhnten Konsum von ungemischtem Wein beruht (VI, 84). 5 Ergebnisse 483 <?page no="484"?> können, ist bereits in früheren Publikationen herausgearbeitet worden. 1586 Die Ergebnisse der hier vorliegenden Arbeit stimmen darin überein. Es hat sich somit gezeigt, dass sich die Thematik des Todes in Verbindung mit einem Symposion nicht auf ein bestimmtes Volk in Herodots Historien festlegen lässt. Insgesamt findet sich nur eine Symposionsdarstellung, die in keiner Weise mit Tod in Verbindung gebracht werden kann: Dabei handelt es sich um die Darstellung des Symposions bei Agaristes Verlobungswettbewerb (VI, 129 - 130; Kap. 4.1.3.2). Zwar scheitert dieses ausführlich dargestellte griechische Symposion, endet aber nicht mit dem Tod der Symposiasten und ist auch kein Vorverweis auf deren baldigen Tod, wie es bei den anderen Symposia, die von Griechen veranstaltet werden, der Fall ist. 1587 Auffällig ist, dass ausgerechnet dieses Symposion bei Kleisthenes in Sikyon auch das einzige ist, an dem ausschließlich Griechen beteiligt sind. Zudem wird es zu einem Zweck veranstaltet, der typisch für die griechische Aristokratie war: für den Wettbewerb und die Betonung der elitären Gruppe. Dies wird im Text auch daran ersichtlich, dass nur in dieser Symposionsdarstellung jeder einzelne Symposiast namentlich vorgestellt und damit dessen Identität betont wird. 1588 Der Text nutzt dieses elitäre Symposion nun, um den problematischen Zusammenstoß zweier unterschiedlicher Normverständnisse darzustellen. Zudem verwendet der Text an dieser Stelle die Symposionsdarstellung als aitiologische Erzählung für das Sprichwort Οὐ φροντὶς Ἱπποκλείδῃ (VI, 129.4) und zeigt damit, wie weitreichend die Folgen der Geschehnisse beim Symposion sein können. Zwar ist das Symposion ein nicht-öffentlicher, aber eben kein geheimer Ort, sondern es bietet einen Raum, der einen gewissen Öffentlichkeitscharakter hat. So verbreitet sich das provokante Diktum des Hippokleides, ‚ Hippokleides sei dies egal ‘ , so weit, dass es zum Sprichwort wird. Das Symposion wird hier als Ort der Mnemosyne für die Historien nutzbar gemacht. Auch an einer weiteren Textstelle ist dies der Fall, als zurückgehend auf Kleomenes ’ skythische Angewohnheit, ungemischten Wein zu trinken, der Imperativ Ἐπισκύθισον (VI, 84.3) den Ursprung seiner nun sprichwörtlichen Verwendung findet. Auch das Symposion beim Thebaner Attaginos verwendet der Text nicht nur, um das tiefgründige Gespräch über den Tod und das Ausgeliefertsein des Menschen 1586 Bowie (2003) hat dies für die östlichen Bankette herausgearbeitet. Pavlidis (2012, S. 28) begrenzt dies nicht auf Gastmahldarstellungen bestimmter Völker (vgl. ebd., S. 23/ Anm. 23). 1587 Siehe dazu Anm. 1585. 1588 Berücksichtigt man auch die Gastmahldarstellungen ohne Symposion, so muss hier noch das Gastmahl bei Artabazos erwähnt werden (VII, 135), bei dem sowohl der Gastgeber Artabazos als auch die beiden anwesenden Spartaner Sperthies und Bulis vom Text namentlich benannt werden (VII, 134.2). 484 5 Ergebnisse <?page no="485"?> zwischen Persern und Griechen mitten im Krieg plausibel zu kontextualisieren, sondern auch in seiner Funktion als Ort der Mnemosyne (IX, 15.4 - 16.5). Denn der Perser gibt - wiedergegeben in direkter Rede - seinem thebanischen Homoklinos wörtlich ‚ Erinnerungsgaben ‘ ( μνημόσυνα ) mit auf den Weg und begründet dies durch die enge Verbindung, die durch das Symposion zwischen ihnen entstanden ist. Er sagt ihm die drohende Niederlage der Perser voraus, damit er, bevor er in Gefahr gerät, an seinen eigenen Vorteil ( τὰ συμφέροντα - IX, 16.2) denken kann. Das Symposion wird in den Historien also mehrfach als Ort der Mnemosyne funktionalisiert. Dabei berichtet der Text allerdings an keiner Stelle davon, dass in den Symposia an Vergangenes erinnert wird, sondern das Symposion selbst soll mit Blick auf die Zukunft Gegenstand künftiger Rückerinnerung werden oder ist es bereits durch die ‚ Versprichwörtlichung ‘ einer Aussage geworden. Im Kontext eines Symposions gelingt es dem herodoteischen Erzähler also, wertvolle Themen und bedeutsame Geschehnisse, die es verdienen, nicht in Vergessenheit zu geraten, plausibel mit dem Handlungstrang der Historien zu verflechten und sie so ganz nach seinem im Proöm geschilderten Vorhaben für die Nachwelt zu bewahren. Auffällig ist, dass die Gastgeber der drei am ausführlichsten beschriebenen Symposionsdarstellungen Griechen bzw. Makedonen sind. Dabei handelt es sich um das Symposion bei Agaristes Verlobungswettbewerb in Sikyon (VI, 129 - 130), um das bei Attaginos in Theben (IX, 15.4 - 16.5) und das Symposion bei dem von Griechen abstammenden Makedonen Amyntas (V, 18 - 20). Daran wird ersichtlich, dass der herodoteische Erzähler die ihm bekannten Vorgänge beim griechischen Symposion nicht ohne Weiteres auf andere Kulturen überträgt. Im Gegenteil ist er sich sogar bewusst, dass fremde Völker, wenn überhaupt, dann auf ihre eigene Weise Symposia veranstalten, wobei die jeweiligen Sitten und Gewohnheiten übernommen werden können. 1589 Die Übernahme von fremden Sitten in griechische Symposia allerdings erweisen sich in Herodots Historien stets als problematisch, wohingegen die Einführung der griechischen Symposia bei fremden Kulturen den Symposiasten keinen Nachteil bringt. 1590 Wenn der Text aber von Symposia fremder Kulturen 1589 So schildert der Text, dass Kleomenes die Sitte, ungemischten Wein zu trinken, von den Skythen übernimmt, als er sehr viel Zeit mit diesen verbringt (VI, 84.3). An anderer Stelle erklärt der Text, dass Salmoxis erst einen Andron errichten lassen muss, um die von den Griechen erlernte feine Lebensart in seiner Heimat Thrakien leben und weitergeben zu können (IV, 95.2 - 3). 1590 Schließlich ist nach Ansicht der Spartaner die von den Skythen übernommene Angewohnheit, ungemischten Wein zu trinken, die Ursache für Kleomenes ’ Wahnsinn (VI, 84) und bei Amyntas ’ Symposion wird die gezwungene Übernahme des vermeintlichen persischen Symposionsbrauchs, dass auch Frauen daran teilnehmen, zum Auslöser einer Katastrophe (V, 18 - 20). Die von Salmoxis erlernten und in Thrakien eingeführten 5 Ergebnisse 485 <?page no="486"?> berichtet, ist damit immer auch eine ethnographische Intention verbunden. 1591 Von typisch griechischen Symposionsbräuchen, die den griechischen Rezipienten ohnehin bekannt sind, berichtet der Text nicht gesondert. Griechische Symposionsdarstellungen führt der Text nur dann an, wenn dort die Erwartungen der Rezipienten an die Voraussetzung oder den Verlauf eines griechischen Symposions durchbrochen werden. 1592 So berichtet der Text vom Gespräch zwischen dem Perser und dem Griechen Thersandros bei Attaginos ’ Symposion, das durch die große Anzahl an Symposiasten den griechischen Konventionen widerspricht und zudem durch das intensivierte Gespräch zwischen Persern und Griechen besonders wird, da ein Perser die baldige persische Niederlage prophezeit (IX, 15.4 - 16.5). Auch das Verhalten des Hippokleides bei Agaristes ’ Verlobungsfeier, das die sympotische Gemeinschaft zerstört, widerspricht den Erwartungen griechischer Symposiasten (VI, 129 - 130) und beim katastrophalen Symposion zwischen Makedonen und Persern bei Amyntas wird bewusst eine griechische Regel umgangen, was eine fatale Entwicklung nach sich zieht (V, 18 - 20). Das nicht explizit erwähnte aber aus dem Kontext zu erschließende Symposion bei Polykrates hat ebenso fatale Folgen (III, 121), genau wie die Symposia zwischen Kleomenes und den Skythen (VI, 84.3). Das in Herodots Historien dargestellte ägyptische Symposion entspricht besonders den Vorstellungen eines gewöhnlichen griechischen Symposions. Zwar übernehmen die Ägypter anders als die Geten (IV, 95) die Symposionsbräuche in der Darstellung der Historien nicht explizit von den Griechen, 1593 nutzen aber die sympotische Atmosphäre für den Aufruf zum Genuss des Lebens im ‚ Hier und Jetzt ‘ , wobei es sich um eine für das griechische Symposion typische Thematik handelt. Hier zeigt sich eine nicht stimmige Übertragung des griechischen Symposions in einen ägyptischen Kontext, wo das Leben nach dem Tod durchaus einen hohen Stellenwert hat. Die dargestellten ägyptischen Bräuche zeugen daher von einer interpretatio Graeca. Das wird auch an der Verwendung des griechischen Begriffs Hetairos ersichtlich. Zwar trafen sich Hetairoi gewöhnlich im Symposion (Kap. 2.2.4), der Text bringt den Begriff Hetairos in Herodots Historien aber nur an einer Stelle direkt mit einem Symposion in Verbindung (III, 14.7) und das in einem ägyptischen Kontext, griechischen Symposia dagegen haben keine negativen Folgen für die Geten - auch wenn Salmoxis dort eine fragwürdige Lehre vermittelt (IV, 95). 1591 Vgl. z. B. I, 133.3 - 4 (Perser) / II, 78 (Ägypter) / IV, 65 - 66 (Skythen). 1592 Vgl. dazu bereits Paul (1991), bes. S. 158 f., S. 166; W ę cowski (2014), S. 69 f. 1593 Der Text berichtet ohnehin davon, dass die die Ägypter generell die Übernahme fremder Sitten ablehnen (II, 79.1) und daher auch keine griechischen Bräuche übernehmen (II, 91.1). 486 5 Ergebnisse <?page no="487"?> obwohl eine Hetairiebeziehung typisch griechisch ist. In dieser Hinsicht wird also eine griechische Vorstellung von Freundschaft auf einen ägyptischen Kontext transferiert. Außerdem werden sämtliche Ausdrücke, die mit dem zu Herodots Zeit noch nicht als Terminus technicus verwendetem τὸ συμπόσιον in direkter Verbindung stehen, mit einer Ausnahme nur im Kontext von ägyptischen Symposionsdarstellungen verwendet (Kap. 2.2.5.1). Durch die Kombination von σύν und πίνειν wird durch diese Ausdrücke die besondere Gemeinschaft beim Trinken hervorgehoben, wie sie das ideale griechische Symposion erfordert. Neben den ägyptischen Symposiasten werden nur noch die Symposiasten von Salmoxis ’ Symposia als o ἱ συμπόται bezeichnet. Es wird also ersichtlich, dass in Herodots Historien nur die ägyptischen Symposia sowie die eng an das griechische Symposion angelehnten Symposia des Geten Salmoxis, der als Sklave des Pythagoras die griechische Lebensweise erlernt hat, mit der besonderen sympotischen Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden. Bei den griechischen Symposionsdarstellungen in Herodots Historien, die ja von den gewöhnlichen Konventionen abweichen, wird dagegen die sympotische Gemeinschaft auf unterschiedliche Art und Weise beeinträchtigt. Bei Amyntas ’ Symposion ist der Grund dafür der Machtanspruch der Perser und bei Kleisthenes ’ Symposion Hippokleides ’ egozentrisches Verhalten. Bei dem anzunehmenden Symposion bei Polykrates werden außer Anakreon keine weiteren Symposiasten erwähnt und bei dem Symposion zwischen Skythen und Kleomenes berichtet der Text über den Umgang zwischen den Symposiasten nur, dass er zu häufig stattfindet und fatale Folgen für Kleomenes hat. Bei Attaginos ’ Symposion ist das gemeinschaftliche Erleben durch die große Anzahl der Symposiasten beeinträchtigt. Hier betont das Symposion stattdessen die Schicksalsgemeinschaft der Symposiasten über den Sonderraum des Symposions hinaus. Eindeutig von den griechischen Symposionsdarstellungen abweichend werden dagegen die skythischen Symposionssitten beschrieben. Die Skythen veranstalten nach Herodots Historien sowohl öffentliche (IV, 66) als auch nicht-öffentliche Symposia (IV, 65). Allerdings dienen ihnen diese nur der Präsentation der eigenen Tapferkeit. Das für ein ideales griechisches Symposion entscheidende Kriterium der Gleichheit und Gemeinschaft der Gruppe ist hier eindeutig nicht gegeben. Zudem geht Kleomenes ’ verheerender Hang zum Trinken ungemischten Weins gemäß der Darstellung der Historien auf seinen Umgang mit Skythen zurück. Maßlosigkeit und Selbstpräsentation sind also die beiden Eigenschaften, die mit skythischen Symposionsdarstellungen in Herodots Historien in Verbindung stehen. Die einzigen eindeutig im Text als Symposia identifizierbaren Treffen bei den Thrakern sind die des Geten Salmoxis, der die Veranstaltung derselben auch 5 Ergebnisse 487 <?page no="488"?> erst in Griechenland erlernen musste. Symposia in diesem Bereich der Welt, in Thrakien, erscheinen daher generell als ungewöhnlich. In Salmoxis ’ Symposia wird zwar das typisch griechische Motiv der Kürze des Lebens wiederaufgenommen, aber angelehnt an die pythagoreische Lehre umgedeutet. Die erlernten Symposia dienen den Geten also anders, als es bei den ägyptischen Symposia der Fall ist, nicht der Intensivierung des Erlebens durch die Annahme eines begrenzten Lebens, sondern durch das dort vermittelte Bewusstsein, dass das Leben ewig ist und man nach dem Tod in Glückseligkeit weiterexistiert. Dass den Medern in der Darstellung der Historien gemeinsames Trinken nicht fremd ist, zeigt der Text in I, 106.2, als er davon berichtet, wie die Meder unter Kyaxares die Skythen erfolgreich betrunken machen und damit die Herrschaft zurückgewinnen können. Doch genauere Hinweise über deren Symposionssitten ist den Historien nicht zu entnehmen. Für die Perser dagegen berichtet der Text in I, 133.3 - 4 explizit davon, dass sie Symposia veranstalten. Dort stellt der Text die persischen Symposia als Orte der Beratung und Beschlussfindung dar. Doch keine der persischen Beratungsszenen wird in den Historien explizit in den Kontext eines Symposions gestellt, wobei bei mehreren Beratungen dennoch Hinweise im Text erkennbar sind, die ein Symposion als Szenerie plausibel erscheinen lassen. Insgesamt werden in Herodots Historien nur an wenigen weiteren Textstellen Symposia erwähnt, die von Persern veranstaltet werden. So stellt Kyros seine Herrschaft symbolisch durch ein Bankett dar, bei dem auch Wein getrunken wird (I, 126.2 - 6), und auch für die List, mit der es Kyros gelingt, im ersten Schritt gegen die Massageten erfolgreich vorzugehen, ist ein gemeinsames Trinken, ein Symposion, von entscheidender Bedeutung (I, 211). Doch bei beiden Banketten ist im Text keine strikte Trennung von Deipnon und Symposion erwähnt. Dass die persischen Symposionsbräuche ohnehin von den griechischen abweichen und deren Kombination problematisch ist, wird während des Symposions zwischen Makedonen und Persern offensichtlich (V, 18 - 20). Um die sympotische Atmosphäre, die ideale griechische Symposia bieten, auch für die Perser nutzbar zu machen, muss der Text diese also an einem griechischen Symposion teilnehmen lassen: Während die Perser in Amyntas ’ Symposion diese besondere Atmosphäre durch ihr Verhalten zerstören, weiß der Perser in Attaginos ’ Gastmahl die in einem griechischen Symposion vorherrschende Parrhesia zu nutzen, um als Perser auf diese Weise seine eigene Meinung äußern zu können. Es hat sich also gezeigt, dass in der Darstellung der Historien nicht zwischen griechischen und nicht-griechischen Symposionsbräuchen unterschieden wird, sondern dass auch die dargestellten nicht-griechischen Symposia untereinander variieren und daher differenziert betrachtet werden müssen. So stellen z. B. die skythischen Symposia, die der Machtrepräsentation der Gastgeber dienen, 488 5 Ergebnisse <?page no="489"?> ein Gegenbild zum idealen griechischen gemeinschaftlichen Symposion dar, während bei den ägyptischen Symposionsszenen die sympotische Atmosphäre im Mittelpunkt steht und diese damit den griechischen Symposionsbräuchen entsprechen. Mag der Beweggrund zur Darstellung mancher Trink- und Symposionsbräuche für den herodoteischen Erzähler auch ethnographischer Natur gewesen sein, erfolgt dennoch eine implizite Charakterisierung der jeweiligen Völker durch einen - wenngleich unbewussten - Vergleich mit dem gewöhnlichen griechischen Symposion. Gastmahlszenen und Symposionsdarstellungen erfüllen also unterschiedliche Funktionen für die Erzählung in den Historien. Bezieht sich der Text explizit auf ein Symposion und nicht auf ein nicht näher beschriebenes Gastmahl, dann folgt die bewusste Instrumentalisierung der sympotischen Atmosphäre, die sich in ihrer idealen Form durch Gleichheit, Gemeinschaft und das intensivierte Erleben des Moments innerhalb eines geregelten Raums auszeichnet und dadurch wiederum durch das Ausblenden sämtlicher Gefahren ein Risiko darstellen kann. Auf diese Weise nutzt der Text durch die Verwendung einer Symposionsszene die Möglichkeit, ein Textgeschehen in einen für die Rezipienten bekannten Kontext einzubetten, wie z. B. Reflexionen über das menschliche Leben. Aber auch die Veranschaulichung einer Aussage, die implizite sowie explizite Charakterisierung einer Person oder eines ganzen Volkes oder unerwartete Überfälle können durch Symposionsszenen plausibel in den Erzählverlauf eingefügt werden, indem der Text die Symposiasten Regeln des Symposions durchbrechen oder einhalten lässt und über die Folgen davon berichtet. 5 Ergebnisse 489 <?page no="490"?> Literaturverzeichnis Abkürzungen LfgrE = Lexikon des frühgriechischen Epos, vorbereitet und herausgegeben vom Thesaurus Linguae Graecae. Begr. v. B. Snell, Göttingen 1979 - 2010 [Erscheinungsbeginn: 1955]. - Vol. 1: Α , Red.: Knebel, G./ Mette, H.-J./ Voigt, E.-M., 1979. - Vol. 2: Β - Λ , Red.: Meier-Brügger, M./ Voigt, E.-M., 1991. - Vol. 3: Μ - Π , Red.: Meier-Brügger, M., 2004. - Vol. 4: Ρ - Ω , Red.: Meier-Brügger, M., 2010. LSJ = Liddel, H. G./ Scott, R./ Stuart Jones, H./ McKenzie R. and many scholars: A Greek- English Lexicon, Oxford/ New York 9 1940 [with a revised supplement 1996]. 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Zierbarth (1896) = Zierbarth, E.: Das griechische Vereinswesen, Leipzig 1896. 514 Literaturverzeichnis <?page no="515"?> Index Locorum Aischin., Ctes. 3, 224 440 Aischyl., fr. 424a Radt 337 Alk. - fr. 38a Voigt 86, 108, 223 - fr. 70 Voigt 118 - fr. 140 Voigt 108, 178, 274 - fr. 333 Voigt 97 - fr. 335 Voigt 96 - fr. 346, 3 - 4a Voigt 95 - fr. 401 B Voigt 108 Alkm., fr. 19 PMG 100 Anakr. - fr. 2 West 86, 275 - fr. 356b PMG 302 - fr. 395 PMG 86 Aristoph. - Eccl. 136b - 143 125 - Lys. 641 - 647 399 - Nub. 1073 72 - Pax 1143 125 - Pax 1155 - 1156 125 - Vesp. 1208 - 1215 77 - Vesp. 1299 - 1449 77 - Vesp. 1474 - 1537 341 Aristot. - hist. an. IX, 17, 616b 201 - pol. 1324b17 - 18 265 Arr., an. VII, 4.4 - 8 450 Bakchyl., fr. 20 B Maehler 469 Cic., Tusc. V, 41.118 371 Demosth. - or. 4, 26 407 - or. 4, 35 - 36 407 Diog. Laert., VIII, 41 212 Eur. - Alc. 445 - 451 404 - Alc. 553 - 560 62 - Alc. 747 - 772 300, 453 - Andr. 552 - 553 227 - Bacch. 278 - 283 95, 366 - Bacch. 381 - 385 95, 366 - Bacch. 421 - 423 95 - Bacch. 677 - 774 95, 455 - Cycl. 168 - 172a 454 - Cycl. 336 - 338a 124 - Cycl. 445 - 709 79 - Med. 1125 - 1128 367 - Suppl. 452 - 455 461 Hdt. - I, 6 33, 38 - I, 20 45, 64, 243 - I, 21 120, 135, 243, 245, 260 - I, 22 39, 45, 135, 244 f., 260 - I, 27 39, 43 f. - I, 30 47 f., 147, 316 f., 321, 479 - I, 31 150 f., 284, 317, 414, 479 - I, 32 47 f., 172, 176, 221 f., 269, 317, 479 - I, 33 269, 317, 479 - I, 35 33 - 35, 46 f. - I, 41 152 - I, 42 47 - I, 43 46, 53 - I, 44 46, 53, 60, 111 f., 152 - I, 45 47 - I, 59 239 - I, 60 152 - I, 63 381 f., 388 - I, 64 382 - I, 69 33, 38 - 40, 43 f., 65 - I, 70 33, 38, 65 - I, 71 135 f., 138, 140 f., 245 - 248, 250 f., 254, 259 f. <?page no="516"?> - I, 73 57, 128, 137, 140 - 142, 283, 363 f., 377, 425 - 428, 431, 439 f., 443, 475 f. - I, 74 363 f., 374, 426 - I, 75 427 - I, 79 248 - I, 94 135 f. - I, 106 147, 302, 362 - 364, 372 f., 376 - 378, 425, 488 - I, 107 427 - I, 108 369, 427 - I, 109 324, 427 - I, 112 58, 427 - I, 113 58, 427 - I, 114 283, 427 - I, 118 131, 427 f. - I, 119 16, 80, 128, 131, 137, 139 f., 142, 144, 149 - 151, 284, 425, 428 - 430, 439 f., 443, 475 f. - I, 122 141, 152 - I, 126 130, 132, 134 f., 151, 153, 206 f., 241 f., 246, 249 f., 260 f., 488 - I, 127 242, 430 - I, 129 131, 149 - 151, 428, 430 - I, 133 82, 128, 131, 134 - 138, 140, 187 - 195, 222, 253, 256, 262, 278, 282, 414, 454, 486, 488 - I, 135 50, 244, 250, 450, 464 - I, 146 91, 136, 142, 272, 279, 462 - I, 150 152, 397 f., 400, 414, 417 - I, 155 248 f. - I, 162 128 - I, 172 28, 50, 90 f., 122 f., 126 - I, 173 50, 91 - I, 176 148, 462 - I, 188 121, 125, 135, 261, 278 - I, 190 135, 384, 392, 456 - I, 191 244, 384, 392 f., 414, 416 - I, 192 135, 141, 143, 236 - I, 202 135 f., 143, 188 - I, 207 128, 134 f., 172, 251, 259 f., 297, 303, 361, 365, 373 - I, 211 128, 143, 260, 297, 361 - 363, 365 f., 373, 376 - 378, 488 - I, 212 303, 324, 326, 367 f., 376 - I, 214 251, 260, 368, 375 - 377 - I, 216 136 - 139, 150 f., 215 - 217, 251, 463 - II, 18 121, 126, 140, 237 - II, 35 91, 137 f., 140 - II, 37 121, 135, 137 f., 140 f., 230, 235 - II, 60 230, 389 f., 414 - II, 70 135 - II, 77 135 f., 138 - II, 78 119 - 121, 127, 130, 218 - 225, 227, 230, 232, 329, 373, 378, 486 - II, 79 50, 119 f., 127, 130, 218 f., 224, 232, 486 - II, 83 226 - II, 100 128, 148, 150 f., 425, 440 f., 443 f., 467, 475 f., 482 - II, 107 145, 440 - 444, 467, 475 f. - II, 114 45, 49, 61 - II, 115 45, 49 f., 54, 69, 146 - II, 119 55, 61, 144 - II, 120 61, 293 - II, 121 120 - 123, 141, 224, 297, 361 f., 365, 368 - 374, 377 f. - II, 122 207, 219, 414 - II, 123 207 f., 219, 223, 460 - II, 129 225, 228, 231, 320 - II, 131 225, 460 - II, 133 120, 225 - 229, 231 - II, 140 135, 402 - II, 152 38, 226 - II, 161 33 f., 222, 299, 320, 433 - II, 162 313, 315, 317 - II, 169 51, 141, 313, 315, 320 f. - II, 171 395 f., 410, 417 - II, 172 128, 313 f., 321 - II, 173 33, 119 - 121, 224, 229 f., 309 - 312, 316, 320 - 325 - II, 174 121, 228 f., 312 - II, 175 313, 315 f., 320 f. - II, 176 313 - II, 177 222, 312, 316, 322 - II, 178 316 516 Index Locorum <?page no="517"?> - II, 180 313, 316 - II, 181 28, 38, 316 - II, 182 32, 43, 65, 146, 313, 316 - III, 1 318 - 320 - III, 4 48, 290, 319 f., 362, 373 f., 376 - 378 - III, 7 48, 51, 290, 376 - III, 8 31, 33, 49 - III, 11 124, 374 f., 377 - III, 13 446 - III, 14 112, 117, 119 f., 172, 222, 224, 287 f., 309, 486 - III, 16 137, 139 f., 144, 291, 318 - III, 17 34, 45, 289, 423 - III, 18 129, 383 - III, 19 138, 290 - III, 21 33 f., 45, 65, 138, 146, 287, 289, 423 - III, 22 122, 135 f., 138, 289 - III, 23 122, 135, 138, 251, 289 - III, 25 134 f., 137 - 140, 283, 289 f., 293, 323, 383, 387, 412 - III, 26 290, 293, 382, 387, 412 - III, 27 291, 301, 391, 412, 416 f. - III, 28 301, 412, 416 f. - III, 29 291, 293, 301, 412 - 414, 416 f. - III, 30 138, 287, 292 f., 296, 323, 413 - III, 31 287 - III, 32 238, 287, 435 - III, 33 286, 294 f., 323 f. - III, 34 282 f., 286, 293 f., 296, 311, 322 - 324 - III, 35 283 - 285, 294, 297, 323 f. - III, 36 285 f., 294 f., 320, 323 - III, 37 286, 292, 294, 323 - III, 38 136 - 140, 216, 292, 323, 465 - III, 39 32, 43, 65, 146, 277, 316 - III, 40 33 f., 45, 146, 172, 176, 269, 317 - III, 42 132, 269 f., 279, 317 - III, 43 32, 43, 45, 55, 64, 146, 270, 317 - III, 46 235, 270 - III, 48 57, 135, 143, 401 f., 414, 416 - III, 49 33, 38, 401 f. - III, 50 113, 462 - III, 51 113, 152, 446 - III, 52 113, 152, 222, 283 - III, 53 113, 401 - III, 65 288 - III, 70 117, 446 - III, 77 99, 191 - III, 78 99, 191 f. - III, 79 414 f. - III, 80 117, 190, 192, 314 f., 439, 461 - III, 88 39, 45, 65, 146 - III, 99 141, 150 f., 215 f. - III, 117 121, 386 - III, 121 99, 273 - 276, 279, 480, 483, 486 - III, 122 276 - III, 123 99, 274, 276 - III, 124 32 f., 276 f., 312 - III, 125 50, 116, 254 f., 268, 270, 276 f. - III, 126 268, 277 - III, 127 268, 277 f. - III, 128 268, 278, 299 - III, 132 270, 272, 279 - III, 148 50, 304 - 306 - III, 150 135, 384, 462 - III, 151 393 - III, 152 384, 392 - IV, 2 121, 125, 267, 301 - IV, 14 208 f. - IV, 15 209 - IV, 26 91, 129, 151, 153, 216 f., 266 - IV, 64 124, 268, 374 f. - IV, 65 33, 45, 146, 266 - 268, 279, 302, 486 f. - IV, 66 121, 126, 140, 265, 268, 278, 301 f., 486 f. - IV, 70 124 - 126, 153, 301 f., 374 f. - IV, 71 302 - IV, 73 33, 150 f., 215 f. - IV, 76 50, 200 f., 255, 414 - IV, 77 50, 201 - IV, 78 200 - IV, 79 200, 324 f., 395, 433 - IV, 80 50, 200, 325 Index Locorum 517 <?page no="518"?> - IV, 84 67, 284 - IV, 94 197 - 199, 211 - IV, 95 99, 119 f., 150 f., 196, 198 - 206, 211 - 215, 217, 220, 224, 226, 301, 485 f. - IV, 96 199, 213 f. - IV, 97 47, 336 - IV, 104 463 - IV, 111 380 f. - IV, 128 135, 283, 385, 388, 415 - IV, 143 141, 238 - IV, 154 43, 55, 64, 145, 422 - 424, 434, 475 - IV, 162 467 - IV, 172 121, 124, 128, 463 - IV, 176 453, 463 - IV, 180 414, 463 - IV, 199 124, 137, 139, 141 - IV, 205 421 - V, 4 220 - 222, 479 - V, 5 33, 453 - V, 8 150 f., 215 f., 222 - V, 17 445 f., 469, 473 - V, 18 16, 45, 47 f., 90, 94, 120, 123, 130 f., 133, 145 f., 153, 180, 193, 195, 254 f., 293, 297, 301, 361, 379, 444 - 447, 450 - 454, 461, 469 - 473, 475 f., 482 f., 485 f., 488 - V, 19 16, 45, 120, 122, 180, 195, 293, 297, 301, 379, 444 f., 454 - 457, 469, 473, 475 f., 482 f., 485 f., 488 - V, 20 16, 45, 47 f., 120, 129, 133, 148, 150 f., 153, 180, 195, 293, 297, 301, 379, 444 f., 447 f., 450 f., 453, 457 - 459, 464, 469 f., 473, 475 f., 482 f., 485 f., 488 - V, 21 459 f., 469, 473 - V, 22 448, 469, 473 - V, 23 271, 419 f., 444 - V, 24 33, 271, 279, 419 f. - V, 30 33 - 36, 43, 45 - V, 31 35 f., 222 - V, 32 35 f., 257, 284 - V, 33 35 f., 45, 69, 384 - V, 34 70, 122, 135, 384 - V, 35 271 f., 420 - V, 42 298, 304, 308, 323 - V, 49 47, 305 - V, 50 47, 305 - V, 51 50, 58, 305 - V, 63 45, 60, 69 - V, 65 122, 135, 384 - V, 66 50, 117 - V, 67 328, 330, 414 - V, 68 328, 330 - V, 70 33, 45, 70, 116 - V, 71 59, 70, 116 - V, 72 47, 70, 303 - V, 74 70, 296, 303 - V, 83 395 - V, 85 293 - V, 90 45, 60 - V, 91 45, 60 - V, 92 33, 49, 299, 391, 414, 462 - V, 105 131, 155 - VI, 16 295, 394, 410 f., 417, 462 - VI, 19 132, 237 - VI, 21 44, 55 f. - VI, 28 135, 385 f., 388, 415 - VI, 34 36, 145 - VI, 35 36 f., 50, 144, 146, 153, 320 - VI, 49 306, 445 - VI, 50 306 - VI, 52 135, 263 - VI, 57 33, 41, 128, 131 f., 136, 142, 239, 263 - 265, 278 f. - VI, 61 33, 114 f., 306 - VI, 62 114 f., 422 f. - VI, 65 296, 299, 305 - VI, 66 296 f., 303, 305 - VI, 67 222, 296 - VI, 74 297 - VI, 75 296 - 298, 303 - 306, 323 - VI, 76 306, 380 - VI, 77 306, 380 - VI, 78 306, 380 f., 388 - VI, 79 296, 303, 306, 381 - VI, 80 303, 306, 381 518 Index Locorum <?page no="519"?> - VI, 81 50, 303, 381 - VI, 84 121, 265, 267, 296, 298 - 302, 305 - 308, 311, 322 - 325, 359 - 361, 363, 483 - 486 - VI, 86 50, 148, 299, 398 - VI, 87 397 f., 400, 414, 417 - VI, 89 39 - VI, 94 156, 445 - VI, 106 404 f., 416 f. - VI, 108 57, 303, 307 - VI, 120 405, 409 - VI, 125 328, 341, 357 - VI, 126 15, 18, 74, 327 - 329, 333, 335, 347, 357 f., 455 - VI, 127 15, 18, 74, 147, 152, 328 - 330, 335, 343, 347, 358, 446, 455 - VI, 128 15, 18, 74, 127, 146, 148, 254 f., 283, 329 - 332, 335, 342 f., 346 f., 354, 356 f., 455 - VI, 129 15, 18, 74, 120, 122, 128, 130, 151, 297, 327, 330, 332 - 347, 349 - 356, 358 - 361, 455 f., 484 - 486 - VI, 130 15, 18, 74, 327, 345 - 348, 356, 455, 484 - 486 - VI, 131 327 f., 357, 455 - VI, 136 32 f., 293, 312 - VI, 137 386, 398, 460 - VI, 138 244, 295, 394, 398 - 400, 410 f., 414, 417, 462, 468 - VI, 139 244 - VII, 5 245, 260 - VII, 8 192, 456 - VII, 9 192 - VII, 10 176, 192 - VII, 27 66, 144, 147, 237 - VII, 28 66, 237 - VII, 29 45, 47 f., 66 f., 144, 146 f., 237, 438 - VII, 32 132, 237, 445 - VII, 38 66 f., 238, 436 f., 439 - VII, 39 33, 64, 66 - 68, 144, 238, 436 f., 439 - VII, 40 238 - VII, 44 174 f. - VII, 45 176 f. - VII, 46 140, 172, 175 - 177, 220 - 222, 479 - VII, 83 135, 262, 278 - VII, 99 468 - VII, 102 245, 250 - VII, 107 143, 384 - VII, 116 43 f., 65 - VII, 118 131, 153, 236 f., 259, 448 - VII, 119 131, 135 f., 143, 153, 236 f., 253, 259, 261 f., 271 f., 278, 448 - VII, 120 57, 131, 133 - 135, 236 f., 259, 448 - VII, 133 157, 445, 459 f. - VII, 134 157, 159, 484 - VII, 135 33, 144 f., 147 f., 150, 156 - 160, 166 - 168, 174, 180, 182 - 185, 242, 484 - VII, 153 395, 467 - VII, 170 384 - VII, 173 448 - VII, 187 135, 236 - VII, 190 252 f. - VII, 193 115 f., 386 - VII, 206 403, 405 - 407, 416 f. - VII, 237 45, 65, 146, 438 - VII, 239 307, 438 - VIII, 65 395 f., 414 - VIII, 68 135, 193, 385, 456, 468 - VIII, 69 174, 176, 193, 468 - VIII, 93 468 - VIII, 99 172, 175, 244 - VIII, 101 193, 468 - VIII, 102 193, 468 - VIII, 103 193, 468 - VIII, 105 420 - VIII, 106 420 f. - VIII, 115 135 - 137, 141, 386 f. - VIII, 117 135, 386 f. - VIII, 120 43 f., 53 - VIII, 136 42, 448 - VIII, 137 135, 239, 430, 448 f. - VIII, 138 239 f., 448 Index Locorum 519 <?page no="520"?> - VIII, 140 33, 38, 42, 315, 325, 448, 473 - VIII, 142 315 - VIII, 143 33, 43 - IX, 6 407 f. - IX, 7 408, 416 f. - IX, 8 408 - IX, 9 50, 408 - IX, 10 408 - IX, 11 50, 407 - 409, 416 f. - IX, 15 120, 130, 145, 156, 160 f., 163 - 165, 167, 171, 182 f., 185, 196, 207, 217, 252, 359, 471, 479, 483, 485 f. - IX, 16 47 f., 120, 123, 129 - 132, 156, 160 - 162, 164 - 180, 182 f., 185, 196, 207, 217, 226, 252, 271, 359, 471, 479, 483, 485 f. - IX, 20 467 - IX, 41 135, 143, 181, 191 f., 252 f. - IX, 42 191 f. - IX, 45 135, 385, 449 - IX, 49 284, 383, 387 - IX, 50 135, 383, 387 - IX, 51 135, 383, 387 - IX, 52 383, 387 - IX, 55 50, 325, 387 - IX, 60 383, 387 - IX, 61 384, 387 - IX, 63 252, 384, 387 - IX, 76 45, 57, 62, 68 - IX, 78 267 f. - IX, 79 47, 268 - IX, 80 253, 258 - IX, 82 16, 132 f., 149 f., 251 - 260 - IX, 85 43, 128 - IX, 89 145 f., 156, 181 - 183, 185, 383, 387 - IX, 91 47 f., 50 - IX, 107 437, 467 - IX, 108 432, 438 - IX, 109 284, 432 - 434, 436 - IX, 110 80, 131, 263, 414, 425, 431 - 433, 439 f., 443, 452, 467, 476 - IX, 111 80, 131, 263, 425, 432 - 435, 439 f., 443, 452, 467, 476 - IX, 112 435, 439, 452, 467 - IX, 116 239, 436 f. - IX, 118 135 f., 384, 387 - IX, 119 384, 387 - IX, 120 47, 239 - IX, 122 249, 251, 253 f., 260, 367 Herakleides von Kyme, FGrHist III 689 F 2 100, 450 Hes., erg. 745 72 Hom. - Il. I, 469 72 - Il. II, 432 72 - Il. III, 245 - 247a 368 - Il. VI, 119 - 236 59 - Il. IX, 453 - 473 118 - Il. XVIII, 604/ 5 352 - Il. XXII, 395 - 404 268 - Il. XXIV, 14 - 17 268 - Il. XXIV, 628 72 - Od. I, 1 78 - Od. I, 257 - 258 118 - Od. IV, 18 352 - Od. VI, 76 - 78 368 - Od. VI, 135 - 246 52, 63 - Od. IX, 45a 118 - Od. IX, 187 - 192 78 - Od. IX, 196 - 218 78, 361 - Od. IX, 266 - 278 56 f., 78 - Od. IX, 291 - 293, 311, 344 79 - Od. IX, 345 - 461 67, 79, 361 - Od. IX, 371 - 542 79 - Od. IX, 556 - 557 79 - Od. X, 234 - 236 367 - Od. X, 330 78 - Od. XI, 232 - 233 119 - Od. XIV, 56 - 59a 52 - Od. XIV, 462 - 466 96 - Od. XVI, 130 - 145 119 - Od. XXI, 293 - 298 97 Kritias, fr. 33 D. - K. 125 520 Index Locorum <?page no="521"?> Ktesias von Knidos, FGrHist III 688 F 13, 33 438 Lys. - I, 11 - 12 90 - XXI, 5 397 Mimn., fr. 6 West 86 Paus., IV, 4.3 469 Pind., fr. 169a Maehler 465 Plat. - leg. 637a - b 83 - leg. 637d 375 - leg. 637e 265 - leg. 652a 72 - leg. 654a - b 349 - leg. 671c - d 80 - leg. 672a 72 - leg. 692d, 698e 405 - leg. 756e - 758a 92 - leg. 816b 337 - leg. 909d - 910d 109 - leg. 918d - 919d 204 - Men. 71e 52 - Prot. 347c 72 - rep. 420e 72, 123 - symp. 172a - 173b 161 - symp. 172b+c, 173a 72 - symp. 176a 72 - symp. 176b 72 - symp. 223b 83 Plut. - mor. 140 B (Coniugalia Praecepta) 450 - mor. 357 F (De Iside et Osiride) 218 - mor. 613 A (Quaestiones Convivales) 449 - mor. 860 B - C (De Herodoti Malignitate) 402 - vitae parallelae - Artaxerxes 5 + 26 450 - vitae parallelae - Pericles 7 81 - vitae parallelae - Solon 8 469 Poll., VI, 19 123 Sappho, fr. 44 Voigt 115 Sol., fr. 4 West 98, 102 Soph., Trach. 749 - 812 367 Strab., VII, 3.5 211 Thgn. - 401 - 406 West 98 - 425 - 428 West 86, 220 - 479 - 483a West 97 - 493 - 496 West 336 - 497 - 498 West 97 - 499 - 502 West 96 - 611 - 616 West 98 - 693 - 694 West 98 - 825 - 830 West 75 - 837 - 840 West 97 - 973 - 978 West 223 - 1103 - 1104 West 75 - 1219 - 1220 West 418 Thuk. - I, 68 - 71 409 - I, 95 257 - I, 128 257 - I, 130 257 - I, 132 257 - V, 54 406 - V, 75 406 - VII, 73 72 Xenophan. - fr. 1 D.-K. 86, 102 - 105, 181 - fr. 22 D.-K. 167 Xen. - an. I, 8.25 271 - an. VII, 3.26 72 - hell. IV, 1.34 59 - hell. V, 4.2 - 6 444, 469 f. - Hier. 3, 7 114 - Kyr. VI, 2.26 - 29 246 - Kyr. VII, 5.15 393 - Kyr. VII, 5.25 393 - Kyr. VII, 5.59 105 - Lak. pol. 15, 4 264 - symp. 1, 8 90 Index Locorum 521 <?page no="522"?> - symp. 2, 16 - 19 349 - symp. 2, 24 95 - symp. 2, 25 - 26 97 - symp. 4, 8 83 - symp. 8, 24 96 - symp. 8, 41 72, 187 522 Index Locorum <?page no="523"?> Index Nominum et Rerum Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird in diesem Index durchgehend das generische Maskulinum verwendet. Abdera 43 f., 53, 57, 132, 236 Abydos 175, 386, 437, 479 Admet 61, 453 Adrastos 35, 46 f., 53, 60, 111 f., 152 Agamemnon 157 Agariste 15, 18, 74, 120, 127, 146 f., 254, 283, 327 - 329, 331 f., 334, 338, 342, 345 - 347, 351, 357, 446, 455 f., 481, 484 - 486 Agathyrsen 463 Agbatana 248, 288 Agetos 114 f., 117, 422 f. Ägypten/ Ägypter/ ägyptisch 34, 39, 43, 49 - 51, 53, 55, 61, 64 f., 91, 117, 119 - 121, 124, 126, 129, 138 f., 143 f., 207 f., 217 - 233, 235, 237 f., 269 f., 272, 287, 290 - 294, 308 f., 311 - 323, 370, 373 - 376, 378, 390 f., 396, 402, 410 - 416, 421, 440 - 443, 467, 482 f., 486 - 489 Aigina/ Aigineten 43, 58 f., 222, 253, 267, 283, 293, 306, 397 f., 416, 468 Aischines 440 Aithiopien/ Aithiopier/ aithiopisch 34, 65, 129, 134, 137, 139, 247, 251, 283, 287, 289 f., 293, 323, 383, 387, 402, 412, 423 Aithiopierkönig 34, 45, 287, 289, 423 Akletoi 94, 353 Alexander (Troja) 45, 49 f., 53 - 55, 60 f., 68 Alexander I. (Makedonien) 42 f., 48, 122, 129, 148, 195, 315, 325, 385, 445 - 449, 451, 453, 455 - 460, 464, 466 - 470, 473 - 476, 482 Alkaios 14, 72 f., 76, 85 f., 95 - 97, 107 f., 118 f., 178, 223, 274 Alkestis 61, 300 Alkman 100 Alkmeon 328, 341 Alkmeoniden 59 f., 116, 327, 329, 332, 335, 341, 356 - 358, 360 Alyattes 39, 243 f., 401, 426 Amasis 32, 34, 43 - 45, 48, 55, 64 f., 119, 121, 128, 225, 228 - 233, 269, 276, 280 - 282, 291, 300, 308 - 324, 326 f., 358, 373 f., 470, 480 f., 483 Amazonen 380 f., 468 Amestris 432 - 437, 439, 452, 467, 475 Ammonier 290, 293, 382, 412 Amyntas 42, 45, 48, 122 f., 131, 145 f., 148, 150 f., 180, 193, 297, 444 - 448, 450, 452 f., 455 - 457, 464, 467, 469 - 474, 476, 483, 485 - 488 Anacharsis 200 f., 255 Anakreon 86, 273 - 275, 302, 487 Andron 99, 154, 163, 191 f., 201, 203 f., 209, 214 f., 273 - 275, 485 Apis 287, 292, 412 Apisstier 291 - 293, 296, 301, 323, 391, 412 f., 416 Apoll 113, 172, 209, 264 Apries 34, 313, 315, 319 - 321, 433 Arabien/ Araber/ arabisch 39, 45, 48 f., 65, 138, 290, 376 Argonauten 115 f., 386, 470 <?page no="524"?> Argos/ Argeier 61, 239, 296, 303, 306 f., 323 - 325, 328 - 330, 380 f., 388, 417, 447 - 449 Aristagoras 34 - 36, 45, 58, 69, 284, 305, 384, 420 Aristeas 208 f. Ariston 114 f., 117, 303, 422 f. Aristophanes 19, 23, 77, 125, 341, 399 Arkadien/ Arkader 297, 323, 410 Artabanos 175 - 178, 192, 221, 238, 289, 383, 387, 438, 456, 467, 479 Artabazos 145 f., 156, 181 - 186, 191, 253, 484 Artaphernes 35 f., 152, 386 Artaÿktes 239, 384, 436 Artaÿnte 284, 432 - 434, 436 Artaÿntes 437, 467 Artemis 295, 389 f., 394, 398 f., 401, 410, 462 Artemisia 193, 384, 468 Artemision 173, 325, 455 Aryenis 426 Assyrien/ Assyrer 138, 236 Astyages 128, 130 - 132, 139, 142, 144, 149, 151, 241 f., 283 f., 324, 368, 425 - 431, 475 f. Athen/ Athener/ athenisch 16, 24, 30, 32, 36 f., 39 f., 42 f., 49, 53, 59 f., 75 - 77, 88, 91, 108 - 110, 117, 131 f., 152, 155, 157, 175, 222, 244 f., 258 f., 279, 293, 296, 303, 305 - 307, 315 f., 325, 327 - 330, 335, 340, 352 f., 358, 381 - 386, 388, 395, 397 - 400, 404 f., 407 - 410, 414, 416 f., 437 f., 448, 456, 459 f., 462, 467 - 469, 471, 473 Athenaios 18 Athene(-tempel) 58, 63, 118, 303, 313 Atossa 451 f. Attaginos 48, 120, 123, 128 - 132, 145, 156, 160 - 168, 170 - 183, 185 f., 196, 207, 217, 226, 252, 271, 359, 471, 479, 483 - 488 Attika/ attisch 26, 70, 80, 86, 154, 272, 303, 338, 340 f., 343, 352, 386, 398 f., 405, 407 f., 416 Atys 46 f., 111 f., 237 Aulos s. Flöte Aulosspieler s. Flötenspieler Auseer 463 Babylon/ Babylonier/ babylonisch 138, 236, 244, 284, 316, 384, 392 - 394, 415 f., 462 Barbar/ barbarisch 80, 158, 180, 208, 213, 265, 267 - 269, 277, 299 - 301, 305, 308, 311, 375, 471 f. Battos 422, 424 Biton s. Kleobis und Biton Blut 119, 121, 124 - 126, 268 f., 302, 368, 374 - 376, 471 Boiotien/ Boiotier/ boiotisch 36, 162, 165, 172, 186 Brauron 244, 295, 394, 398 f., 410, 414, 462 Bubares 448, 460, 469 Bubastis 230, 389 f. Buto 225 f., 288 Carpe-Diem-Motiv 86, 223 f., 232 Chilon 239 Chios/ Chier 58, 295, 410 f., 417, 462 Dareios 35, 45, 67, 117, 131, 137, 152, 155, 157, 191, 197, 214, 238, 270 - 272, 277 - 279, 282, 284, 289, 299, 306, 314, 317, 336, 367 f., 385 f., 392 f., 419 f., 438, 451, 459, 465, 473 Deiokes 364 Delphi 36, 60, 142, 209, 243 f., 264, 269, 296, 303, 307, 313, 380, 389 Demaratos 65, 152, 245, 250, 283, 296 f., 299, 303, 305 - 307, 395, 438, 451 Demeter(-kult) 58, 293, 394, 396, 410, 469 Demokedes 270 - 272, 279, 283 Demosthenes 407, 440 Dionysos/ dionysisch 97, 138, 200, 325, 366, 371, 395, 397, 455 Dolonker 36 f., 145 f., 153 Dorer 303, 410 Elephantine 121, 126, 138, 237, 315 524 Index Nominum et Rerum <?page no="525"?> Eleusis/ Eleusinische Mysterien 110, 296, 303, 395 Ephesos/ Epheser 295, 394, 410 f., 417, 420, 462 Etearchos 43, 55, 64, 145, 419, 422 - 424, 433 f., 475 Euripides 61, 79, 95, 124, 227, 338, 404, 454 Flöte/ Aulos 84 f., 337 Flötenspieler/ Aulosspieler 90, 337 - 339, 350, 355 frühgriechische Lyrik 14 f., 85 - 88, 96, 102, 170, 178 f., 206, 217, 221, 223, 227, 232, 326, 471, 483 Geschlechtsverkehr s. Sexualität Geten/ getisch 151, 197 - 199, 201, 203 - 206, 208 f., 211 - 215, 217, 220 f., 224, 231 f., 486 - 488 Harpagos 16, 80, 128, 131 f., 139, 142, 144, 149 - 151, 241, 284, 324, 375, 386, 425, 427 - 431, 439 f., 443, 475 f. Hegetorides 45, 57, 62, 68 Hellespont 181, 183, 199, 208, 212 f., 438 Hera(-tempel) 274, 303, 391 Herakleides von Kyme 100, 450 Herakles 61, 116, 300, 367, 386, 453, 465 Hermotimos 419 - 422, 424 Hetairie/ Hetairos/ ἑταῖρος 14, 25, 71 - 74, 76, 84, 86 f., 96, 106 - 118, 154, 167 f., 178, 189, 224, 287 f., 486 Hikesie 51, 56 - 59, 78, 305, 401, 425 Hippias (Peisistratide) 42, 152, 462 Hippokleides 122, 128, 280 f., 297, 327, 329, 331 - 360, 456, 481, 484, 486 f. Hippokrates 239, 386 Histiaios 34 f., 43 - 45, 270 - 272, 279, 385 f., 388, 415, 419 f. Homer/ homerisch 28, 31 f., 38, 52, 56 f., 59 f., 62 f., 67, 70, 72 - 74, 77 - 79, 84 f., 88, 100, 102, 107, 109, 118 f., 128, 130, 133, 187, 211, 255, 329, 333, 352, 361, 368, 432, 457 Homoklinos/ ὁμόκλινος 162, 180, 271, 485 Homositos/ ὁμόσιτος 136, 162, 261 f., 271 f. Homospondos/ ὁμόσπονδος 162, 169, 180, 271 Homotrapezos/ ὁμοτράπεζος 162, 169, 180, 270 - 272, 279 Hungersnot 135, 289 Hyakinthien 407 - 409, 416 Hydarnes 117, 145, 147 f., 150, 156 - 160, 166 - 168, 174, 180, 182 - 186, 242 interpretatio Graeca 208, 221, 223 f., 233, 486 Ionien/ Ionier/ ionisch 26, 28, 35, 39, 43, 144, 155, 173, 200, 203 f., 258, 276, 305, 321, 396, 411, 417, 467 Ionischer Aufstand 34, 305, 420, 444, 470, 473 Issedonen 91, 129, 151, 153, 216 f., 266 Iulius Pollux 123 Kallatier 137, 216, 465 Kambyses 34, 39, 45, 48, 51, 65, 112, 134, 137, 190, 230, 238, 256, 273, 276, 280 - 298, 300 f., 304, 308, 311 f., 314, 317 - 324, 326 f., 358, 367 f., 373 - 376, 382 f., 387, 411 - 413, 423, 446, 464, 470, 480, 483 Kannibalismus 139, 143, 150, 217, 428 - 431, 476 Karchedonier 290 Karer/ karisch 28, 91, 136, 142, 272, 279, 321, 462 Karneien 403 - 407, 409, 416 Kassandane 319 Kaunos/ Kaunier/ kaunisch 90 f., 122 f., 126 Kerkyra 40, 112, 401 f., 416 Kithara 85 Kleisthenes von Athen 75, 108 f., 116 f. Kleisthenes von Sikyon 18, 122, 127 f., 146, 151, 254, 327 - 335, 338 f., 341 - 349, 351 - 359, 456, 481, 484, 487 Kleobis und Biton 150 f., 284 Index Nominum et Rerum 525 <?page no="526"?> Kleomenes 45, 50, 58, 70, 230, 265, 267, 280 - 282, 295 - 308, 311 f., 321 - 327, 358 f., 363, 367, 380 f., 411, 470, 480, 483 - 487 Kline 48, 93, 99 - 101, 162, 164 f., 167, 171, 185, 244, 254, 258, 274, 353, 370 Kolophon 75, 152, 397 f., 417 Komödie/ komödienhaft 17, 19, 77, 340, 352 Königsmahl 80, 131, 263, 414, 431 - 436, 438 - 440, 443, 476 Kordax 341 Korinth/ Korinther 39, 57, 64, 113, 243, 331, 391, 401 f., 409, 416, 462 Kottabos 83 Krater/ κρητήρ (att. κρατήρ )/ Mischkrug 65, 81 f., 95, 102, 124, 126, 134, 258, 262, 265, 271, 302, 336, 365 f., 374, 389 Kroisos 35, 39 f., 43 f., 46 f., 53, 60, 65, 111 f., 128, 134 f., 147, 152, 172, 175, 221, 237, 245 - 248, 250 f., 253, 260, 269, 274, 285 - 288, 294 f., 303, 316 f., 320 f., 323, 341, 357, 361, 364 f., 368, 389, 425 f., 431, 479 Kroton/ Krotoniate 49, 55, 270, 272 Kyaxares 128, 142, 147, 283, 362 - 364, 375, 377, 425 f., 428, 431, 439 f., 443, 475 f., 488 Kypseliden 329, 331 f., 335, 343, 358, 401 Kyrene/ Kyrenaier 34, 38, 124, 138 f., 316, 320, 422, 424, 446, 467 Kyros II. 105, 121, 130, 134, 151 - 153, 206, 236, 238, 240 - 243, 246 - 251, 253 f., 260 f., 283 f., 289, 314, 317 - 319, 324, 326, 364 f., 367 - 369, 375 - 379, 384, 392 f., 416, 427 f., 430 f., 468, 488 Lachen/ Gelächter 149, 176, 255 - 257, 283, 291 f., 341, 370 Lakedaimon/ Lakedaimonier/ lakedaimonisch 39, 65, 125 f., 149, 152, 239, 245, 270, 303, 307, 313, 340, 383 - 385, 387, 404, 406 f., 469 f. Lakonien/ lakonisch 149, 255 - 258, 303, 338, 340 f., 343, 351 f. Lemnos/ lemnisch 32, 398, 400 Libation/ Trankspende 81 f., 103, 162, 169, 264, 271, 390, 440 Libyen/ Libyer/ libysch 121, 138, 152, 227, 446, 463 Lydien/ Lyder/ lydisch 45, 58, 64, 135, 147, 188, 237, 243 - 250, 253, 258, 260, 316 f., 363 - 365, 374, 426, 431 Lykophron 113, 152, 283, 401 Mager 191 f., 194, 288, 292, 414 Maiandrios 50, 274, 276, 304 f., 314 Makedonien/ Makedonen/ makedonisch 16, 42, 45, 48, 120, 122 f., 145 f., 153, 180, 195, 239 f., 254, 293, 301, 385, 430, 444 - 465, 471 - 473, 475 f., 482 f., 485 f., 488 Mandane 368, 427 Männersaal s. Andron Marathon 32, 325, 403, 405, 409 Mardonios 42, 145 f., 152, 160 f., 165, 172, 175, 181 f., 191 - 194, 245, 252 f., 255, 257, 260, 267, 284, 448 Masistes 432 - 435, 437, 439, 467, 475 Massageten/ massagetisch 128, 134, 138, 143, 150 f., 188, 216, 247, 250 f., 260, 289, 297, 303, 361, 363, 365 - 368, 373, 375 - 379, 463, 468, 488 Meder/ medisch 65, 128, 130, 147, 151, 241 f., 246, 275, 288, 302, 362 - 364, 366, 372 - 374, 376 f., 393, 425 - 427, 430 - 432, 456, 488 Megabates 36, 70, 257 Megabazos 238, 419, 444, 446, 473 Megakles (Sohn des Alkmeon) 329, 331 f., 335, 339, 343, 346, 356 - 358, 455 Megara/ Megarer 469 Meisterdieb 119 - 122, 283, 297, 362, 365, 369, 371 - 374, 377 f. Melissa 113, 391, 462 Memphis 112, 287, 291 f., 321, 376, 412 f. 526 Index Nominum et Rerum <?page no="527"?> Messene/ Messenier 263, 469 Milet/ Milesier 39, 45, 55 f., 64, 120, 132, 237, 243 - 245, 260, 272, 305, 410 f., 420, 462 Miltiades der Ältere 36 f., 146 Miltiades der Jüngere 32, 37, 293 Mischkrug s. Krater Missverständnis 26, 80, 82, 94, 227, 261, 273, 275, 278 f., 285, 396, 411 f., 416 f., 464 - 466, 472, 474, 476 Mitradates 58, 427 Mitrobates 273, 277 f. Mnemosyne/ μνημοσύνη 86 - 88, 104, 170, 359 f., 484 f. Mykale 410, 437, 462 Mykerinos 120, 225 - 233, 309, 320 Mysterien(-kult) 110, 200, 206, 209 f., 297, 394 - 396, 411, 414 Nasamonen/ nasamonisch 121, 128, 463 f. Nausikaa 62 f. Naxos/ Naxier 34 - 36, 43 f., 70, 384 Nil 121, 126, 228, 237 Nitokris 128, 148 - 151, 425, 440 - 443, 467, 475 f., 482 Nomaden/ nomadisch 100, 138, 267 Oiobazos 67, 284, 384 Olympisches Fest/ olympische Spiele 328 f., 335, 339, 403, 406 f., 448 Oroites 32, 116, 268, 270, 273 - 279, 480 Padaier 150 f., 216 Paian 81 f., 85, 103 Paionios 419 - 421, 424 Paktyes 58, 248 Parrhesia 179, 195, 488 Pausanias (Sparta) 16, 45, 57, 62, 68, 133, 149 f., 166, 252 - 260, 267 f., 325, 408, 470 Peisistratiden 45, 60, 310, 384 Peisistratos 37, 152, 239, 320, 381, 388 Pelasger/ pelasgisch 244, 386, 398 - 400, 410 f., 417, 462 Perdikkas 239 f., 447 f. Periander 45, 49, 64, 113, 152, 243, 283, 391, 401, 446, 462 Perserkriege 178, 259, 305, 405, 448, 471, 473 Persien/ Perser/ persisch 16 f., 21, 35, 39, 42, 45, 48 f., 51, 53, 57 - 59, 65, 67 f., 82, 100, 117, 120, 122, 128 - 131, 134 f., 138, 145 - 150, 153, 157 - 196, 206 f., 214, 217, 220, 226, 237 f., 240 - 263, 267 f., 270 - 275, 277 f., 282 - 294, 297, 299, 301, 303 - 307, 310, 313 f., 316 - 320, 322 f., 325 f., 361, 365 - 368, 374 f., 382 - 388, 392 - 394, 405 - 408, 412 - 416, 420 f., 427, 429 - 431, 435 - 439, 444 - 476, 479 f., 482 f., 485 - 488 Phäaken 56, 62 f., 73 Phanes 48, 51, 124, 290, 318, 320, 362, 373 - 378 Pheretime 421 f., 467 f. Philaiden 329, 356 - 358, 360 Phoiniker/ phoinikisch 290, 462 Phronime 422 - 424 Plataiai 43, 160 f., 165, 171, 173 f., 179 - 182, 184, 186, 191, 251 - 253, 258 f., 267, 383, 385, 437, 469 Platon 18, 80, 83, 92, 123, 161, 196, 200, 211, 337, 348, 375, 405 Plutarch 18, 81, 218, 449 f., 470 Polykrates 32, 34, 43 - 45, 55, 64 f., 116, 132, 254, 268 - 270, 273 - 279, 304, 314, 316 - 318, 480, 483, 486 f. Polyphem 56 f., 64, 67, 78 f., 361 Pontos 199, 208, 212 f. Prexaspes 282 - 284, 294, 297, 322 - 324 Psammenitos 112, 117, 119, 121, 287 f., 309 Pythagoras 198 - 201, 204, 207 - 214, 301, 487 Pythagoreer/ Pythagoreismus/ pythagoreisch 198 f., 204, 206, 208 - 212, 214, 232, 488 Pythios 45, 48, 64, 66 - 68, 147, 237 f., 436 - 439 Index Nominum et Rerum 527 <?page no="528"?> Rache 17, 61, 70, 94, 124, 139, 150 f., 268, 273, 275, 296, 299, 305, 319, 364, 368, 374 f., 377, 382, 397 - 399, 401, 414, 418, 420 - 422, 425 - 428, 430 - 432, 434, 438, 440 - 444, 457, 459, 464, 467 f., 474 - 476, 482 Rhampsinit 207, 219, 368 f., 377 f. Saïs 315, 396 Salamis 152, 175, 177, 193, 244, 385, 407, 467, 469 Salmoxis 119 f., 150 - 152, 196 - 217, 219 - 221, 224, 226, 231 f., 301, 485 - 488 Samos/ Samier/ samisch 34, 38, 43, 48, 50, 57, 64, 199, 209, 232, 235, 269 f., 273, 304, 313 f., 316, 318, 384, 401 f., 416 Sandanis 135, 138, 245 - 248, 250 f., 253, 260 Sardes 35, 65, 155, 172, 248, 250, 260, 269, 273, 401, 419 f., 437 Satyrspiel 19, 79 Schicksalsgemeinschaft 177, 180, 479, 487 Sesostris 145, 289, 440 - 444, 467, 475 f. Sestos 135, 384 f., 387, 437 Sexualität/ Geschlechtsverkehr 102, 195, 356, 378, 453 - 455, 462 f. Skolion 84 - 86, 107 f. Skylax 36, 45, 69 Skyles 200 f., 325, 433 Skythen/ skythisch 17, 33, 44, 120 f., 124 - 126, 147, 150 f., 153, 191, 197, 200, 203, 216, 247, 255, 264 - 269, 278 f., 283, 289, 298 - 303, 305, 308, 311, 324 f., 336, 359 f., 362 - 364, 366, 372 - 380, 385, 388, 415, 419, 425 f., 431, 463, 473, 475 f., 480, 482, 484 - 488 Smyrna 75, 152, 396 - 398, 400, 414, 417 Sokleës 391, 462 Sokrates 52, 82, 95 - 97, 123, 187, 349 Solon 48, 98, 102, 147, 196, 221, 269, 316 f., 321, 469, 479 Spargapises 251, 260, 303, 365 f., 369, 373, 376 Sparta/ Spartaner/ spartanisch 24, 33, 39 - 45, 49 f., 60, 65, 77 f., 114, 120, 128, 131 f., 142, 145, 147 f., 150, 152, 156 - 159, 166, 174, 184, 186, 235, 239, 242, 251, 255 f., 258, 260, 263 - 265, 268, 279, 283, 296 - 308, 315, 322 - 325, 340 f., 359, 363, 380 f., 384 f., 388, 398, 403 - 409, 416, 418, 438, 459 f., 462, 483 - 485 Susa 157, 159, 244, 270, 272, 279, 419 f., 450 Syloson 304 Symbola 62 Symposion-Literatur 13, 94, 172, 196 Syssitia 24, 77 f. Syssitos/ σύσσιτος 271, 279, 419 Talthybios 157 Tantalos 431 Tanz(en)/ Tänzer 83, 85, 90, 96, 128, 154, 188, 207, 281, 327, 333 f., 337 - 346, 348 - 359, 392 f., 401, 409, 416, 454, 456 Tegea/ Tegeaten 296, 384 f., 387 Theben/ Thebaner/ thebanisch 48, 109, 120, 123, 128, 132, 156, 160 - 163, 165 - 167, 169, 172 f., 181, 185 f., 191, 217, 253, 307, 461 f., 469, 484 f. Themison 43, 55, 64, 145, 419, 422 - 424, 433 f., 475 Theognis 15, 75 f., 86, 96 f., 105 f., 196, 336, 418 Thermopylen 49, 159, 267, 405 - 407, 416 Thersandros 48, 130, 132, 160 - 173, 175, 177, 179 f., 196, 207, 486 Thesmophorien 295, 394 - 396, 410 f., 417, 462 Thessalien/ Thessaler/ thessalisch 145 f., 156, 181 - 186, 296 f., 448 Thrakien/ Thraker/ thrakisch 36, 150 f., 182 f., 196 f., 199 - 201, 203 - 205, 208 f., 213 - 216, 219 - 221, 226, 239, 301, 375, 419, 444, 453, 473, 485, 487 f. Thrasybulos 45, 64, 120, 243 - 245 Thyestes 431 528 Index Nominum et Rerum <?page no="529"?> Tomyris 303, 324, 326, 365, 367 f., 375 - 378, 468 tragische Ironie 269 Tragödie 17, 19, 227, 337, 340, 504 Trankspende s. Libation Trauser 219 - 222, 479 ungemischter Wein 78, 82, 251, 265, 296 - 303, 305 - 308, 322, 324, 359, 363, 365 f., 373, 411, 480, 483 - 485, 487 Unsterblichkeit/ unsterblich 155, 196 - 199, 204 - 215, 217, 219 - 221, 223, 231 f., 262, 465 Wettbewerb/ Wettkampf 15, 73 - 75, 84 f., 89, 122, 127 f., 163, 264, 328, 330 - 333, 335, 338, 342, 344, 346 f., 351, 353 - 357, 377 f., 453, 455, 484 f. Xenophanes 77, 86, 101 - 105, 167 Xenophon 59, 95 f., 114, 187, 196, 246, 271, 349, 393 f., 470 Xerxes 20, 43 - 45, 48, 53, 57, 64 - 68, 80, 131 - 133, 135 f., 147, 152 f., 159, 174 - 178, 192 f., 221, 236 - 238, 245, 252, 254 - 256, 259 - 263, 267, 271, 283 f., 289, 307, 310, 314 f., 317, 368, 384, 403, 430 - 440, 443, 451 f., 456, 459, 467, 476, 479 Zeus 46, 52 f., 56, 60 f., 63, 82, 111 f., 124, 199, 277, 290, 382, 408, 440 Index Nominum et Rerum 529 <?page no="530"?> Classica Monacensia Münchener Studien zur Klassischen Philologie herausgegeben von Martin Hose und Claudia Wiener Die Classica Monacensia verstehen sich als Präsentationsforum für aktuelle Ergebnisse von Forschungsprojekten zur antiken Literatur, die an der LMU München entstanden sind. Seit mehr als 25 Jahren erscheinen in der Reihe Monographien, kommentierte Textausgaben und Sammelbände aus Themenbereichen der Griechischen und Römischen Antike. Der Schwerpunkt liegt dabei auf literaturwissenschaftlicher Forschung in Verbindung mit historischen und philosophischen Fragestellungen. Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ literaturwissenschaft/ reihen/ classica-monacensia/ Band 31 Regina Höschele Verückt nach Frauen Der Epigrammatiker Rufin 2005, XII, 156 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6205-0 Band 32 Gunther Martin Dexipp von Athen Edition, Übersetzung und begleitende Studien 2006, XII, 287 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6242-5 Band 33 Patrizia Marzillo Der Kommentar des Proklos zu Hesiods „Werken und Tagen“ Edition, Übersetzung und Erläuterung der Fragmente 2010, LXXXVIII, 458 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6353-8 Band 34 Helmut Löffler Fehlentscheidungen bei Herodot 2008, X, 242 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6381-1 Band 35 Gregor von Nazianz Über Vorsehung Περὶ Προνοίας Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Andreas Schwab 2009, 142 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6418-4 Band 36 Peter Grossardt Achilleus, Coriolan und ihre Weggefährten Ein Plädoyer für eine Behandlung des Achilleus-Zorns aus Sicht der vergleichenden Epenforschung 2009, XII, 159 Seiten €[D] 39,9,00 ISBN 978-3-8233-6483-2 Band 37 Regina Höschele Die blütenlesende Muse Poetik und Textualität antiker Epigrammsammlungen 2010, X, 375 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6552-5 <?page no="531"?> Band 38 Alexander Müller Die Carmina Anacreontea und Anakreon Ein literarisches Generationenverhältnis 2010, VIII, 300 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6575-4 Band 39 Andreas Patzer STUDIA SOCRATICA Zwölf Abhandlungen über den historischen Sokrates 2012, X, 370 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6579-2 Band 40 Maria Gerolemou Bad Women, Mad Women Gender und Wahnsinn in der griechischen Tragödie 2011, X, 442 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-6580-8 Band 41 Karin Mayet Chrysipps Logik in Ciceros philosophischen Schriften 2010, 340 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6581-5 Band 42 Nikolaos Vakonakis Das griechische Drama auf dem Weg nach Byzanz Der euripideische Cento Christos Paschon 2011, 184 Seiten €[D] 48,00 ISBN 978-3-8233-6582-2 Band 43 Evanthia Tsigkana Studien zu Euripides’ Elektra Das Motiv der Erwartung im griechischen Drama 2012, 320 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-6724-6 Band 44 Margot Neger Martials Dichtergedichte Das Epigramm als Medium der poetischen Selbstreflexion 2012, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6759-8 Band 45 Isabella Wiegand Neque libere neque vere Die Literatur unter Tiberius und der Diskurs der res publica continua 2013, XIV, 362 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6811-3 Band 46 Sophia Bönisch-Meyer/ Lisa Cordes/ Verena Schulz/ Anne Wolsfeld/ Martin Ziegert (Hrsg.) Nero und Domitian Mediale Diskurse der Herrscherrepräsentation im Vergleich 2014, VIII, 485 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6813-7 Band 47 Fabian Horn Held und Heldentum bei Homer Das homerische Heldenkonzept und seine poetische Verwendung 2014, IV, 388 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6837-3 Band 48 Jan-Markus Pinjuh Platons Hippias Minor Übersetzung und Kommentar 2014, 264 Seiten €[D] 68,00 ISBN 978-3-8233-6849-6 Band 49 Olga Chernyakhovskaya Sokrates bei Xenophon Moral - Politik - Religion 2014, XII, 279 Seiten €[D] 58,00 ISBN 978-3-8233-6863-2 <?page no="532"?> Band 50 Lukians Apologie Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Markus Hafner 2017, 159 Seiten €[D] 38,00 ISBN 978-3-8233-8071-9 Band 51 Manuel Caballero González Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur 2017, 628 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-6991-2 Band 52 Philipp Weiß Homer und Vergil im Vergleich Ein Paradigma antiker Literaturkritik und seine Ästhetik 2017, 392 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8110-5 Band 53 Andreas Patzer Von Hesiod bis Thomas Mann Dreizehn Abhandlungen zur Literatur- und Philosophiegeschichte 2018, 245 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8190-7 Band 54 Vicente Flores Militello tali dignus amico Die Darstellung des patronus-cliens - Verhältnisses bei Horaz, Martial und Juvenal 2019, 366 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8296-6 Band 55 Alexander Schütze, Andreas Schwab (eds.) Herodotean Soundings The Cambyses Logos 2023, 429 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-8329-1 Band 56 Margot Neger Epistolare Narrationen Studien zur Erzähltechnik des jüngeren Plinius 2021, 448 Seiten €[D] 88,00 ISBN 978-3-8233-8345-1 Band 57 Alexander Sigl Die Modellierung epikureischer personae in der römischen Literatur 2023, 511 Seiten €[D] 98,00 ISBN 978-3-8233-8503-5 Band 58 Maria Anna Oberlinner Intertextualität und Parodie in Ovids Remedia amoris 2023, 285 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-8233-8526-4 Band 59 Cagla Umsu-Seifert Olympiodors Kommentar zu Platons Alkibiades Untersuchung, Text, Übersetzung und Erläuterungen 2023, 690 Seiten €[D] 118,00 ISBN 978-3-8233-8590-5 Band 60 Manuela Wunderl Das Symposion bei Herodot 2023, 530 Seiten €[D] 108,00 ISBN 978-3-381-10111-5 Band 61 Björn Victor Sigurjónsson Sic notus Achilles? Episches Narrativ und Intertextualität in Statius’ Achilleis 2023, 314 Seiten €[D] 78,00 ISBN 978-3-381-10721-6
