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Der Auxiliarisierungsprozess des lateinischen Verbs habere im Spätlatein

0115
2024
978-3-3811-0282-2
978-3-3811-0281-5
Gunter Narr Verlag 
Bianca Glasenapp
10.24053/9783381102822

Dieser Band untersucht Sprachwandelprozesse im Bereich der Verben, die sich über Jahrhunderte von der lateinischen zu den romanischen Sprachen vollzogen. Speziell werden zwei Entwicklungen des klassischen lateinischen Verbs habere in den Blick genommen: die Zusammensetzung einer Form von habere + PPP und habere + Infinitiv, aus denen sich in einigen romanischen Sprachen das Perfekt bzw. das Futur herausbildeten. Die Untersuchung füllt insofern eine Forschungslücke, als sie akribisch ein großes Datenkorpus analysiert, dabei unbekanntere lateinische Originaltexte heranzieht, die ermittelten Textstellen kategorisiert und einzelne Textstellen analysiert. Sie liefert dadurch neue Ergebnisse zur Grammatikalisierungsforschung, die bisher nicht im Fokus standen, aber bedeutsame Ansätze für weitere Forschungen bieten.

<?page no="0"?> Der Auxiliarisierungsprozess des lateinischen Verbs habere im Spätlatein von Bianca Glasenapp <?page no="1"?> Der Auxiliarisierungsprozess des lateinischen Verbs habere im Spätlatein <?page no="2"?> 14 Herausgegeben von Barbara Frank-Job und Ulrich Eigler <?page no="3"?> Bianca Glasenapp Der Auxiliarisierungsprozess des lateinischen Verbs habere im Spätlatein <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381102822 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach CPI books GmbH, Leck ISSN 0940-0303 ISBN 978-3-381-10281-5 (Print) ISBN 978-3-381-10282-2 (ePDF) ISBN 978-3-381-10283-9 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3 Theoretischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.1 Sprachwandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3.2 Grammatikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.2.1 Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3.2.2 Parameter der Grammatikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.2.3 Semantic bleaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2.4 Grammatikalisierung vs. Reanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.3 Grammatikalisierung von habere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3.3.1 habere + PPP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3.3.2 habere + Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.4 Diskurstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.4.1 Das Nähe/ Distanz-Modell von Koch/ Oesterreicher . . . . . 42 3.4.2 Auswahl der Diskurstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4 Die Korpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 4.1 Auswahl der Korpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4.2 Die Urkunden-Korpora . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 4.2.1 Französische Urkunden (TELMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.2.2 Burgundische Urkunden (CBMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.2.3 Langobardische Urkunden (CDL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.3 Das Predigtenkorpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 4.3.1 eHumanities Desktop . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 5 Methodischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.1 Lateinische Korpuslinguistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 <?page no="6"?> 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere-Konstruktionen . . . . . 72 6.1.1 Französische Urkunden (TELMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6.1.2 Burgundische Urkunden (CBMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 6.1.3 Langobardische Urkunden (CDL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 6.1.4 Predigten (eHumanities Desktop) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.2.1 habere + PPP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 6.2.1.1 Französische Urkunden (TELMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6.2.1.2 Burgundische Urkunden (CBMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6.2.1.3 Langobardische Urkunden (CDL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 6.2.1.4 Predigten (eHumanities Desktop) . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.2.2 habere + Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 6.2.2.1 Französische Urkunden (TELMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 6.2.2.2 Burgundische Urkunden (CBMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 6.2.2.3 Langobardische Urkunden (CDL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 6.2.2.4 Predigten (eHumanities Desktop) . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 7 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick . . . . . . . . . . . . 165 7.1 habere + PPP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7.2 habere + Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 7.3 Abschließendes Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 Anhang: Ergebnisse der Häufigkeiten von habere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Französische Urkunden (TELMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Burgundische Urkunden (CBMA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Langobardische Urkunden (CDL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Predigten (eHumanities Desktop) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 6 Inhalt <?page no="7"?> 1 Einleitung Das Latein der Spätantike und des Mittelalters und seine Neuerungen sowie seine Entwicklung hin zu den romanischen Sprachen wurden vielfach untersucht und standen schon seit dem frühen 19. Jahrhundert im Mittelpunkt zahlreicher Forschungsarbeiten. Als Spätlatein kann die lateinische Sprache ab etwa 200 n. Chr. bis zu den romanischen Sprachen bezeichnet werden. Es ist allerdings schwierig, in dieser Zeit von einer einheitlichen Sprache zu sprechen, da das Spätlatein verschiedene Dialekte repräsentiert, die sowohl im lexikalischen als auch im grammatischen oder syntaktischen Bereich allerhand Veränderungen hineinbringen, die nicht in allen Regionen und nicht zu allen Zeiten vorhanden sein müssen. Für das Latein dieser Zeit, das besondere Nähe zum Romanischen aufweist, hat sich der Begriff ‚ Vulgärlatein ‘ etabliert, was aufgrund der heutigen Bedeutung von ‚ vulgär ‘ irreführend sein kann. „ Das sogenannte Vulgärlatein “ (Coseriu 1978) bezeichnet, abgeleitet vom lateinischen Wort vulgus ( ‚ Volk, Leute, der gemeine Mann ‘ ), vielmehr die Sprache des Volkes oder die alltägliche Sprache bzw. ein Stück weit allgemein die gesprochene Sprache, in der der Ursprung der Neuerungen im Lateinischen vermutet wird. Wenngleich selbstverständlich keine direkten Belege für die gesprochene lateinische Sprache der Spätantike und des Mittelalters existieren, wie z. B. Tonaufnahmen, sind dennoch Dokumente vorhanden, die gewissermaßen Einblicke in die gesprochene Sprache geben, wie beispielsweise Grammatiken, Glossare oder Inschriften (vgl. Kiesler 2018: 37 - 45). In vielen anderen Texten können Spuren der gesprochenen Sprache vorhanden sein, wenn sie zum Beispiel viele nähesprachliche Elemente beinhalten (vgl. Coseriu 1978; Väänänen 1981: 3 - 26; Coseriu 2008). Das Spektrum der Innovationen im Spätlatein, die sich in den romanischen Sprachen fortsetzen, ist breit gefächert. Im lexikalischen Bereich wurden Worte verändert, setzten sich gegen Synonyme durch oder kamen gänzlich neu hinzu und sind noch heute in den romanischen Sprachen oder in Teilen davon gebräuchlich und auf das späte Latein zurückzuführen. So findet sich beispielsweise das klassische lateinische Adjektiv pulcher, ra, rum ( ‚ schön ‘ ) in der ursprünglichen Bedeutung in keiner romanischen Sprache wieder, stattdessen wurden das Adjektiv bellus, a, um ( ‚ hübsch ‘ ), das schon von Plautus als Diminutiv von bonus, a, um gebraucht wird, und das Adjektiv formosus, a, um ( ‚ ansehnlich ‘ ) in mehrere romanischen Sprachen übernommen, z. B. ital. bello, bella; frz. beau, belle; span. hermoso, hermosa (vgl. Coseriu 1978: 263 f.; <?page no="8"?> Vincent 1988: 74). Auch die Phonologie betreffend erscheinen zahlreiche Neuerungen, die teilweise bereits in den spätlateinischen Texten zu beobachten sind. Die Konsonanten ‚ b ‘ und ‚ v ‘ wurden beispielsweise im gesprochenen Latein bereits verwechselt, da sie ähnlich ausgesprochen wurden, wie z. B. in Pompeij entdeckt werden konnte (vgl. Kiesler 2018: 54). Im Übergang zu den romanischen Sprachen hat sich überwiegend ‚ v ‘ durchgesetzt, 1 z. B. ital. dovere ( ‚ müssen ‘ ) vom Lateinischen debere ( ‚ müssen ‘ ) oder frz. avoir ( ‚ haben ‘ ) vom Lateinischen habere ( ‚ haben ‘ ) (vgl. Väänänen 1981: 57 f.; Seidl 2003: 520). Auf morphologischer Ebene lassen sich ebenfalls zahlreiche Veränderungen feststellen, die vielfach diskutiert wurden. Ein Beispiel dafür ist das umfangreiche flektierte Kasussystem des klassischen Lateins, das zwischen fünf verschiedenen Deklinationen und sechs verschiedenen Kasus unterscheidet. In den meisten romanischen Sprachen hat sich dieses System nicht fortgeführt, sondern wurde reduziert, regularisiert und vereinfacht (vgl. Kiesler 2018: 57 - 60). Beispielsweise werden der Genitiv oder Dativ mit Hilfe einer Präposition angezeigt, wie es schon im Vulgärlatein beobachtet werden konnte (vgl. ebd.: 82; Müller-Lancé 2020: 227), z. B. span. para el padre ( ‚ für den Vater ‘ ) oder portug. do pai ( ‚ des Vaters ‘ ). Der Kasus Ablativ konnte sich in keiner romanischen Sprache erhalten (vgl. Väänänen 1981: 110 - 127; Vincent 1988: 41 - 44; Herman 1997: 133). 2 Im Bereich der Syntax existieren ebenfalls viele Neuerungen, die oftmals thematisiert und eingehend betrachtet wurden. Hier ist beispielsweise grundlegend die Änderung der Satzstruktur zu nennen. Das Lateinische war eine SOV-Sprache (Subjekt - Objekt - Verb), die den Sprechenden zudem viele Freiheiten beim Satzaufbau ließ (vgl. Szantyr/ Hofmann 1965: 403; Pinkster 1988: 255; Herman 1997: 103). Die romanischen Sprachen gelten hingegen allgemein als SVO-Sprachen (Subjekt - Verb - Objekt), die nur in bestimmten Konstruktionen von dieser Stellung abweichen, z. B. bei dem Gebrauch eines Pronomens im Französischen, welches dem Verb direkt vorangestellt wird: frz. nous les voyons (SOV, ‚ wir sehen sie ‘ ) (vgl. Pinkster 1988: 245 - 283; Raible 1992). Diese kurzen Beispiele aus verschiedenen Bereichen sind nur ein Bruchteil der zahlreichen Entwicklungen der lateinischen Sprache als Vorläufer der romanischen Sprachen. Neben diesen kurz erwähnten sowie zahlreichen weiteren Veränderungen haben sich zwei Entwicklungen durchgesetzt, die das ursprüngliche lateinische 1 Müller-Lancé merkt dazu an, dass im Altspanischen die Form <aver> ( ‚ haben ‘ ) auftaucht und diese im modernen Spanisch relatinisiert erscheint (vgl. Müller-Lancé 2020: 110; Cano Aguilar 2002: 93). 2 Eine Ausnahme stellt das Rumänische dar, das „ wohl unter slavischem Einfluss “ (Müller- Lancé 2020: 170) teilweise Endungen erhalten hat, wie den Vokativ auf -e oder den Dativ der a-Dekl. und 3. Dekl. (vgl. ebd.; Tagliavini 1998: 297). 8 1 Einleitung <?page no="9"?> Vollverb habere betreffen und die laut Jacob als die „ markantesten gemeinromanischen Entwicklungen im Bereich der Morphosyntax “ (Jacob 1994: 1) bezeichnet werden können. In spätlateinischen Schriftstücken lässt sich beobachten, dass das Verb zunehmend seinen Vollverbstatus verliert und einen Auxiliarisierungsprozess durchläuft und dadurch grammatikalisiert wird. Zum einen erscheint immer öfter 3 die analytische Konstruktion habere + Partizip Perfekt Passiv (PPP), die als Vorläufer des späteren romanischen Perfekts gilt. Während im klassischen Latein das Perfekt als synthetische Form aus Wortstamm, Perfektzeichen und Perfektendung besteht (z. B. voca-v-i, 1.Sg.Perf., ‚ ich habe gerufen ‘ ), setzt sich das Perfekt der romanischen Sprachen aus einem von habere abgeleiteten Hilfsverb und einem Partizip zusammen (z. B. span. he llamado oder ital. ho chiamato, ‚ ich habe gerufen ‘ ). 4 Zum anderen tritt eine Zusammensetzung aus habere + Infinitiv in Erscheinung, aus der sich im Übergang vom Lateinischen zu den romanischen Sprachen ein synthetisches Futur entwickelte. Im klassischen Latein war eine synthetische Futurform gebräuchlich, die wie das Perfekt aus Wortstamm, Futurzeichen und Personalendung bestand (z. B. voca-b-o, 1.Sg.Fut., ‚ ich werde rufen ‘ ). Im Spätlatein trat nebenher die Konstruktion aus habere + Infinitiv auf, die in der Form keinen nachweislichen Eingang in einer romanischen Sprache fand. In frühen romanischen Texten begegnet uns stattdessen eine aus Infinitiv + habere verschmolzene Futurform. 5 Seit vielen Jahrzehnten und schon mehr als ein Jahrhundert wurden diesbezüglich lateinische Textstücke vorwiegend bekannter, klassischer oder nachklassischer Autoren 6 , die diese Zusammensetzungen in ihren Werken verwendeten, auf ihren Gebrauch hin analysiert. Es wurde erforscht, ob und inwiefern diese Kollokationen bereits einen Bedeutungswandel durchlaufen haben. Auch im Rahmen der Grammatikalisierungstheorie wurde die Auxiliarisierung von habere oftmals thematisiert und diskutiert. Diese Dissertation hat ihren Ursprung im Rahmen des Forschungsprojektes ‚ Computational Historical 3 Auch in klassischen Texten tritt die Konstruktion bereits in Erscheinung, z. B. bei Cicero (vgl. Thielmann 1885b). 4 Eine Ausnahme stellt das Portugiesische dar, das das lateinische Verb tenere grammatikalisiert hat. 5 Der erste Beleg für eine solche frühromanische Futurform ist die Form „ prindrai “ ( ‚ ich werde nehmen ‘ ) in den Straßburger Eiden (842), die zweisprachig in Althochdeutsch und Altfranzösisch verfasst wurden. Zuvor tauchte in der Fredegar-Chronik die umstrittene Form „ daras “ auf, die möglicherweise als ‚ ich werde geben ‘ verstanden werden kann (vgl. Fruyt 2011: 806 - 808). 6 Da in den meisten Fällen davon ausgegangen werden kann, dass die lateinischen Texte vorwiegend von männlichen Personen verfasst wurden, wird in diesen Fällen auf die weibliche Form verzichtet. 1 Einleitung 9 <?page no="10"?> Semantics ‘ , welches drei romanistisch-linguistische, ein historisches und ein texttechnologisch/ informatisches Teilprojekt vereint. 7 In einem Aufsatz mit dem Titel „ Diskurstraditionelles im Sprachwandel: Korpuslinguistische Untersuchungen zum Spätlatein “ (2015) wurden erste Forschungsergebnisse von Barbara Frank-Job und mir präsentiert. In dieser Arbeit wird korpuslinguistisch die Ausbreitung nicht-klassischer Zusammensetzungen des lateinischen Verbs habere mit einem PPP oder mit einem Infinitiv in spätlateinischen Diskurstraditionen untersucht. Dabei stehen für mich als Latinistin und Historikerin in erster Linie die lateinischen Textquellen im Vordergrund, die vor dem Hintergrund der Sprachwandelsowie der Grammatikalisierungstheorie und der Korpuslinguistik die Basis dieser Untersuchung darstellen. Nach einer systematischen Suche nach Hinweisen auf die Ausbreitung der neuen habere- Konstruktionen innerhalb verschiedener Diskurstraditionen liegt der Fokus auf den ermittelten Kollokationen sowie ihrer Kontexte. Als Grundlage dient ein zusammengestelltes Korpus aus Diskurstraditionen der Spätantike und des Mittelalters, die sich in Bezug auf die Nähe- und Distanzsprache (vgl. Koch/ Oesterreicher 1985; 2011) unterschiedlich gestalten: zum einen wurden Urkunden aus dem 8. bis 12. Jahrhundert untersucht, zum anderen Predigten aus dem 3. bis 14. Jahrhundert. Schriftstücke der beiden genannten Diskurstraditionen, insbesondere die Urkunden, wurden in den bisherigen Untersuchungen zum Auxiliarisierungsprozess von habere kaum berücksichtigt. Somit stellen die vorwiegend unbekannten lateinischen Textquellen, von denen unzählige bisher kaum oder gar nicht eingehend wissenschaftlich betrachtet oder überhaupt digitalisiert und dadurch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind, eine interessante Grundlage für die Untersuchung der Ausbreitung und Verwendung der Kollokationen mit habere in lateinischen Schriften während der Entwicklung der romanischen Sprachen dar. Eine große Anzahl an Rechtstexten ist daher in das Korpus dieser Arbeit aufgenommen worden, darunter Urkunden aus Frankreich und Norditalien. Neben den Urkunden sind Predigten dem Korpus zugefügt, von denen viele bekannter sind und zum Teil bereits in Hinblick auf die Auxiliarisierung von habere untersucht wurden (vgl. Tara 2014). Diese sollen als eher nähesprachlich eingestufte Diskurstradition einen Kontrast zu den als distanzsprachlich geltenden Urkunden darstellen. Um Grammatikalisierungsprozesse über mehrere Jahrhunderte beurteilen zu können, muss nicht nur eine große Anzahl an Texten, sondern müssen Dokumente verschiedener Diskurstraditionen be- 7 Die dargestellten Untersuchungen entsprangen dem Teilprojekt 2.1 ‚ Identifying and describing phenomena of linguistic change: Possession / obligation ‘ . Zur Projektbeschreibung, vgl. https: / / comphistsem.org/ project.html. 10 1 Einleitung <?page no="11"?> trachtet werden. Denn Sprache unterliegt einem ständigen Wandel, der alle Äußerungsbereiche umfasst, aber vor allem in der Nähesprache seinen Ursprung hat. Von dort aus breitet er sich auf andere Diskursbereiche aus. Historisch dokumentiert ist nur seine Ausbreitung über verschiedene Diskurstraditionen hinweg, aber sprachliche Ausdrücke, z. B. Formeln, können an einzelne Diskurstraditionen gebunden sein. Dadurch können verschiedene Textsorten unterschiedliche Beiträge zum Sprachwandel liefern, weshalb die Berücksichtigung mehrerer Diskurstraditionen unbedingt erforderlich ist (vgl. Oesterreicher 2001; Frank-Job 2005). In dieser Untersuchung wird versucht, sämtliche in den Texten vorhandene Zusammensetzungen mit habere zu ermitteln, die den Entwicklungen von habere + PPP und habere + Infinitiv zugeordnet werden können. Kollokationen, die eindeutig klassisch zu verstehen sind und keine engere grammatische Verbindung aufweisen, werden im Voraus aussortiert und nicht in die Untersuchung aufgenommen. Die übrigen Kollokationen werden kategorisiert. Jeweils ein Beispiel der Kategorien wird in Abgrenzung zu den anderen eingehend analysiert. Der Blick soll dabei auf der Frage liegen, wie die Grammatikalisierung von habere in den beiden Diskurstraditionen zu bewerten ist, inwiefern die beiden Diskurstraditionen zum Auxiliarisierungsprozess von habere beigetragen haben und welche Unterschiede diesbezüglich bestehen. Nach einem groben Überblick über die bisherige Forschung zur Entwicklung von habere + PPP und habere + Infinitiv in Kapitel 2 folgen einige Erläuterungen zu den Prozessen des Sprachwandels und der Grammatikalisierung von habere, die für diese Untersuchung relevant sind (Kap. 3). Im Anschluss werden die vier Korpora vorgestellt, aus denen sich das Gesamtkorpus dieser Untersuchung zusammensetzt (Kap. 4). Alle Texte sind in Online-Datenbanken zu finden, die lateinische Originaltexte aufbereitet zur Verfügung stellen und die größtenteils frei nutzbar sind. Nach der Vorstellung der Korpora wird ein kurzer methodischer Einblick in die Analysemöglichkeiten lateinischer Textkorpora gegeben und das eigene Vorgehen anschaulich erläutert (Kap. 5). Um abschätzen zu können, welche Befunde die verschiedenen Korpora für die folgende Analyse bieten, mussten in einem ersten Schritt zunächst alle Textstellen mit dem Lemma habere ermittelt und in einem zweiten Schritt Kookkurrenzanalysen durchgeführt werden. Dazu wird die Umgebung der Treffer des lateinischen Verbs habere nach Formen untersucht, die in Verbindung mit habere dem Auxiliarisierungsprozess zugeordnet werden können. Diese Ergebnisse der Häufigkeiten werden im Kapitel 6.1 präsentiert. In einem weiteren Schritt erfolgt eine qualitative Analyse ausgewählter Kollokationen zu jedem einzelnen Korpus, die sich in ihrem Gebrauch und ihrem Entwicklungsstadium voneinander unterscheiden (Kap. 6.2). Abschließend werden die gesamten 1 Einleitung 11 <?page no="12"?> Ergebnisse des Analysekapitels zusammengefasst dargelegt und eine Einschätzung für die Bedeutung des Auxiliarisierungsprozesses von habere gegeben (Kap. 7). Korpuslinguistische Forschungsarbeiten, die sich der Grammatikalisierung von habere im Speziellen widmen, sind rar, obwohl die Thematik vielfach behandelt wurde. Daher soll diese Untersuchung neue Anstöße zur Erforschung des Gebietes sowie weiterer Forschungsansätze bieten. Vor allem die analysierten Urkundenkorpora können diesbezüglich als Ausgangspunkt dienen, wie im Verlauf der Arbeit aufgezeigt wird. 12 1 Einleitung <?page no="13"?> 2 Forschungsstand Eine korpuslinguistische Forschungsarbeit, in der Sprachwandelprozesse im Lateinischen hin zum Romanischen untersucht werden, umfasst natürlicherweise mehrere Forschungsbereiche, die an dieser Stelle nicht alle ausführlich und explizit geschildert werden können und sollen. Der Fokus wird hier auf die Erforschung des Vulgär- und Spätlateins mit seinen Veränderungen und Innovationen gelegt, insbesondere auf die Entwicklungen von habere + PPP und habere + Infinitiv. Aufsätze und Monographien, die speziell diesem Thema gewidmet sind, sind spärlich, sodass teilweise lediglich auf Forschungsarbeiten verwiesen werden kann, die diese beiden Entwicklungen nur in Ansätzen behandeln. Das Latein der Spätantike und des Mittelalters, das besondere Nähe zum Romanischen aufweist, „ [d]as sogenannte Vulgärlatein “ (Coseriu 1978; vgl. Kap. 1), wurde vielfach untersucht. Der Begriff geht auf Friedrich Diez zurück, der ihn in seiner ersten vergleichenden „ Grammatik der romanischen Sprachen “ (1836 - 38) bestimmte. Dabei griff er auf eine bereits lange bestehende Tradition zurück, die zwischen dem literarischen und dem umgangssprachlichen Latein unterschied (vgl. Coseriu 1978: 258). Die Forschung auf diesem Gebiet setzte im Anschluss an Diez im 19. Jahrhundert ein, in dem mehrere bedeutsame und teilweise immer noch viel zitierte Werke erschienen. Den Anfang markiert Hugo Schuchardts dreiteiliges Werk „ Der Vokalismus des Vulgärlateins “ (1866 - 1868), welches er bereits 1864 in lateinischer Sprache als Dissertation veröffentlichte und welches von Carlo Tagliavini als „ immer noch grundlegend[ … ] “ (1998: 446) sowie von Johann Sofer als „ teilweise überholt, doch keineswegs überflüssig “ (1963: 7) bezeichnet wird. Mit dieser umfangreichen Arbeit, die überwiegend auf Inschriften beruht und die Vokalveränderungen untersucht, legt er die Grundlage für die Erforschung der protoromanischen Sprachen. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Philipp Thielmann zwei umfangreiche Aufsätze, die sich nicht in die übliche vulgärlateinische Forschung einreihten, da sie eine einzelne, dennoch bedeutsame Entwicklung thematisieren. Für die Vulgärlatinisten, die sich vor allem der Wortkunde und den Lautveränderungen verschrieben hatten, stand dies zunächst weniger im Vordergrund. 1 Unter den Titeln „ Habere mit dem Infinitiv und die Entstehung des 1 B. Löfstedt bemerkt in einem kurzen Forschungsüberblick dazu knapp 100 Jahre nach Erscheinen von Thielmanns Aufsätzen, dass bei den Vulgärlatinisten Verbalsyntax und <?page no="14"?> romanischen Futurums “ (1885a) und „ Habere mit dem Part. Perf. Pass. “ (1885b) untersucht Thielmann jeweils in zwei Teilen die Kollokationen von habere mit dem Infinitiv und habere mit dem PPP. Dabei versucht er, möglichst umfassend sämtliche Vorkommnisse 2 in den Texten lateinischer Autoren seit Cicero 3 zu analysieren und ihren Gebrauch in Bezug auf den Zusammenhang zum romanischen Perfekt bzw. Futur zu kategorisieren. Er beschränkt sich in seiner Analyse auf die bekannten Schriftsteller, was seinerzeit bereits einen enormen Arbeitsaufwand bedeutet haben muss. Dass er nicht sämtliche, in lateinischer Sprache verfasste Schriftstücke analysieren konnte, versteht sich von selbst. Dennoch bietet er mit seinen Ausführungen über die beiden auftretenden Phänomene eine bedeutende Grundlage, die in aktuellen Forschungen immer noch herangezogen wird und auch für diese vorliegende Untersuchung eine wichtige Basis darstellt. So stellte er bereits vor mehr als 130 Jahren in seiner Einleitung zu den Ausführungen über die Zusammensetzung von habere mit dem PPP fest, dass „ es häufig lediglich dem subjektiven Ermessen überlassen bleibt, ob man in einer Verbindung von habere mit Part. Perf. Pass. ein wirkliches Perfekt finden oder dem habere seine selbständige Bedeutung belassen will “ (Thielmann 1885b: 373). Ähnliches beschreibt er zu den Kollokationen von habere mit dem Infinitiv. Dennoch untersucht er akribisch sämtliche Vorkommnisse und stellt Überlegungen an, welche Arten von Zusammensetzungen eher einen perfektivischen bzw. futurischen Sinn beschreiben und aus welchen dieser Arten sich schließlich die neuen romanischen Formen gebildet haben könnten. Zudem sieht er in den Urkunden eine bedeutende Rolle. Nach den Aufsätzen von Thielmann entstand lange Zeit keine weitere Forschungsarbeit, die die Grammatikalisierung von habere ausführlich untersucht. Dennoch wird die Thematik in den Untersuchungen zu lateinischen Sprachwandelerscheinungen immer wieder aufgegriffen, wenngleich sie nicht den Hauptgegenstand der Arbeiten darstellt. Unter zahlreichen weiteren Forschungsarbeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts 4 sind für diese Arbeit insspätlateinische Tempuslehre „ im Hintergrund geblieben ist “ (B. Löfstedt 1982: 203) und noch viel zu tun sei (vgl. ebd.: 203 f.). 2 Ausgeschlossen seien im Falle der PPP-Kollokationen Verwendungen, in denen das PPP eindeutig als Attribut verwendet wird und somit keine engere Verbindung zu habere aufweist; eingeschlossen werden hingegen teilweise Adjektive, die gleichermaßen ein PPP sein können. 3 Auch die schon bei Plautus vorkommenden Kollokationen lässt Thielmann nicht außer Acht, wenngleich er sie nicht in seine Analyse einbezieht, sondern nur am Rande erwähnt. 4 Für die vulgärlateinische Forschung ist speziell Einar Löfstedts Peregrinatio-Kommentar (1911) „ ein Meilenstein und ein Neubeginn “ (B. Löfstedt 1982: 200). Auch Benno 14 2 Forschungsstand <?page no="15"?> besondere zwei nennenswert, in denen lateinische Originaltexte auf ihren Sprachgebrauch hin analysiert werden, die auch im Korpus dieser Untersuchung aufgenommen und auf die Auxiliarisierung von habere analysiert wurden. Die französische Philologin Jeanne Vielliard (1927) und der amerikanische Romanist und Linguist Mario Pei (1932) betrachten in ihren Forschungsarbeiten die Sprache französischer Originalurkunden aus dem siebten bzw. achten Jahrhundert. 5 Für die übliche vulgärlateinische Forschung sind sie ebenfalls weniger bedeutsam, auch wenn B. Löfstedt feststellt, dass „ [u]nter Texten, die sowohl von Latinisten wie Romanisten bearbeitet werden sollten, [ … ] vielleicht in erster Linie die mittelalterlichen Urkunden zu erwähnen “ (1983: 463) seien. Er beschränkt sich dennoch auf die Wortkunde und Lautveränderung. 6 Vielliard und Pei stellen hingegen zahlreiche Auffälligkeiten und Merkmale in Bezug auf die Phonetik, Morphologie und Syntax zusammen. Die Auxiliarisierung von habere erhält jedoch bei beiden keine eingehendere Betrachtung. Zu diesem Thema notieren sie lediglich in wenigen Zeilen die wichtigsten Textstellen der von ihnen untersuchten Urkunden. Zu den Zusammensetzungen aus Infinitiv und habere als Vorläufer des Futurs bemerkt Pei, dass diese in den von ihm untersuchten Urkunden nicht erscheinen, mit Ausnahme einer Kollokation, die noch keinen futurischen Charakter besitze. Gleiches beschreibt Vielliard (vgl. Pei 1932: 183 f., 279; Vielliard 1927: 166). Die wenigen auftretenden Zusammensetzungen aus PPP und habere in den Urkunden des achten Jahrhunderts bewertet Pei als „ for the most part semiclassical, with the meaning ‚ to have something in a certain state ‘“ (Pei 1932: 288). Vielliard hingegen behauptet, dass einige, obgleich wenige Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv „ avec la valeur d ’ un parfait “ (Vielliard 1927: 238) gebraucht werden. Die Charakteristischsten dieser Zusammensetzungen listet sie kurz auf und fügt hinzu, dass habere in den meisten Kollokationen noch den Vollverbstatus behalte, wofür sie ebenfalls Beispiele anführt (vgl. ebd.: 239). Linderbauer (1922) liefert mit seiner Untersuchung der Benediktinerregel in diesem Forschungsbereich bedeutende Ergebnisse (vgl. B. Löfstedt 1983: 454 ff.). 5 Aufgrund der zeitlichen Begrenzung auf das 7. Jh. (Vielliard) und 8. Jh. (Pei) beschränken sie sich auf wenige Urkunden aus Frankreich. Vielliard zieht 60 Urkunden heran und Pei nur 47. Zudem erscheinen 13 Urkunden in beiden Untersuchungen, da Vielliard einige Dokumente in ihre Arbeit aufgenommen hat, die nicht mehr im siebten Jahrhundert verfasst wurden. 6 Dazu hebt er beispielsweise zwei hervor, die sich mit bestimmten Begrifflichkeiten bzw. dem Vokabular französischer Urkunden befasst haben, nämlich Kurt Baldinger (1960) und Manfred Bambeck (1968). 2 Forschungsstand 15 <?page no="16"?> Bis zu den 1960er Jahren wurden viele weitere vulgärlateinische Untersuchungen veröffentlicht, 7 die laut B. Löfstedt spärlicher wurden und oftmals nur noch wenig Neuerungen brachten. Die Latinist: innen mussten inzwischen mehr erbringen, als sich einen Text rauszusuchen und diesen „ einfach durchzukommentieren “ (B. Löfstedt 1982: 202), wie es ihre Vorgänger: innen am Anfang des Jahrhunderts taten. Vielfach seien die wichtigsten Texte bereits größtenteils ausgeschöpft gewesen (vgl. B. Löfstedt 1970/ 71; 1982; 1983). Gerhard Rohlfs veröffentlichte 1951 [²1956, ³1969] unter dem Titel „ Sermo vulgaris Latinus “ eine Auswahl an Textabschnitten aus allen literarischen Bereichen, die Entwicklungen hin zu den romanischen Sprachen in lateinischen Schriften enthielten, und beschränkte sich dadurch nicht auf einen einzelnen Autor. Diese Zusammenstellung ist seinerzeit mit einem beachtlichen Arbeitsaufwand verbunden gewesen. Im ‚ Index verborum ‘ hält er die vulgärlateinischen Wendungen fest, ohne sie zu kommentieren. Dort verweist er auch auf einige Textstellen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv oder mit einem Infinitiv. Tara (2014) schaut sich die von Rohlfs vermerkten Textstellen, insbesondere zu den Infinitivkonstruktionen, genauer an und schreibt ihnen zum Teil bereits einen temporalen Sinn zu (vgl. ebd.: 53 - 55). Eine bedeutsame neue Arbeit veröffentlichte 1963 (²1967 erweitert um eine kommentierte Textauswahl im Anhang; ³1981) der finnische Latinist und Romanist Veikko Väänänen, der „ als der führende Kenner auf diesem Gebiet gilt “ (B. Löfstedt 1990: 448) und dessen Arbeit als Zusammenfassung der bisherigen Forschung dienen kann (vgl. B. Löfstedt 1983: 453 f.). Unter dem Titel „ Introduction au latin vulgaire “ schaffte er es, eine Verbindung zwischen latinistischer und romanistischer Forschung herzustellen, welche in der Vergangenheit oftmals getrennt voneinander an demselben Untersuchungsgegenstand arbeiteten. Während auf latinistischer Seite der Blick eher auf das Lateinische im Vergleich zum klassischen Latein oder anderen spät- oder mittellateinischen Schriften gerichtet wurde, betrachteten die romanistischen Sprachwissenschaftler: innen vielmehr die Entwicklung des Lateins hin zu den romanischen Sprachen. Väänänen überwand diese Trennung, indem er zum einen die Entwicklung vom archaischen Latein zum Spätlatein darstellt und die Umstände der lateinischen Sprachentwicklung und Überlieferung, speziell des Vulgärlateins, genauer erläutert; zum anderen behandelt er ausführlich die sprachlichen Veränderungen sowohl unter Berücksichtigung lateinischer Textbelege als auch in Hinblick auf die verschiedenen Entwicklungen in den romanischen Sprachen. Er betrachtet dazu den lautlichen und lexikalischen 7 Einen Überblick gibt Tagliavini (1998) in seinen bibliographischen Anmerkungen, vgl. ebd.: 445 - 448. 16 2 Forschungsstand <?page no="17"?> Wandel, die Veränderung der grammatischen Formfunktionszuordnungen und Veränderungen auf syntaktischer Ebene. Auch die Entwicklungen von habere fehlen nicht in seinen Ausführungen, wenngleich sie in dieser umfassenden Zusammenfassung sprachlicher Entwicklungen nur einen sehr kleinen Teil einnehmen (vgl. Väänänen 1981: 139 - 141). In den 1980er Jahren sind mehrere bedeutende Untersuchungen veröffentlicht worden, die die Entwicklungen von habere in Zusammensetzung mit einem Partizip Perfekt Passiv und/ oder mit einem Infinitiv von ihrem lateinischen Ursprung bis hin zu den romanischen Sprachen erforschen. In seinem Aufsatz „ The ‚ Past Simple ‘ and the ‚ Present Perfect ‘ in Romance “ (1982) untersucht Martin Harris vergleichend den semantischen Wandel von feci und habeo factum vom Vulgärlatein bis in die heutigen romanischen Sprachen. Nach einer Einführung in die Funktionen der Vergangenheit unterteilt er die Entwicklung in vier Stufen, in denen er feci und habeo factum jeweils Funktionen der Vergangenheit zuordnet. Während er zu Beginn feci alle Funktionen der Vergangenheit zuschreibt, übernehme habeo factum diese schrittweise und im gleichen Zug verliere feci von Stufe zu Stufe verschiedene Funktionen. Laut Harris sind die beiden Ausdrücke der Vergangenheit somit niemals bedeutungsgleich und haben über lange Zeit nebeneinander existiert. Er wendet sein Modell im Anschluss auf die Vergangenheitsformen der verschiedenen romanischen Sprachen an. In demselben Band erschien ein Aufsatz von Nigel Vincent, der zusammen mit Martin Harris als Herausgeber fungierte. Vincent untersucht unter dem Titel „ The Development of the Auxiliaries ‚ habere ‘ and ‚ esse ‘ in Romance “ (1982) die Entwicklung von habere + PPP mit Hilfe der ‚ Case Grammar ‘ , welche seiner Meinung nach passendere Begriffe biete, um die Zusammengehörigkeit von habere und dem PPP als feste Konstruktion zu beurteilen und zu klassifizieren. Er beschreibt mit Hilfe dieser Begriffe, in welchen Zusammensetzungen habere + PPP zu Beginn auftraten und wie sich die weitere Entwicklung vollzog. Das untersucht er vergleichend zur Konstruktion esse + PPP, die im klassischen Latein das Perfekt Passiv darstellte. Anschließend betrachtet er die Verwendung von habere und esse in den heutigen romanischen Sprachen. Einen weiteren Artikel veröffentlichte Harm Pinkster 1987 unter dem Titel „ The Strategy and Chronology of the Development of Future and Perfect Tense Auxiliaries in Latin “ . Er vermutet, dass der Ursprung der neuen Perfekt- und Futurformen in der Konstruktion habere + Objekt + Praedikativum liegt, die zunehmend einen temporalen Sinn bekam, bei der schließlich Subjekt und Agens nicht mehr zu trennen waren. An lateinischen Beispielen erläutert er, wie aus habere + (Objekt + Partizip) die Konstruktion (habere + Partizip) + Objekt entstand und welche Zusammensetzungen diese Entwicklung begüns- 2 Forschungsstand 17 <?page no="18"?> tigten. Für die Konstruktion habere + Infinitiv stellt er ebenfalls Vermutungen an und erklärt die Entwicklung an Beispielen. Als Ergänzung greift er zum Schluss außerdem die Entwicklungen von tenere und stare auf, die sich teilweise in den romanischen Sprachen ebenfalls als Auxiliare durchgesetzt haben. Zu der Entwicklung von habere mit dem Infinitiv als Vorläufer des romanischen Futurs hat Suzanne Fleischman eine bedeutsame Forschungsarbeit mit dem Titel „ The Future in Thought and Language “ (1982) veröffentlicht, die immer noch maßgebend ist und wichtige Erläuterungen liefert, die für das entsprechende Analysekapitel dieser Arbeit grundlegend sind. Darin beschäftigt sie sich ausführlich mit den Besonderheiten des Futurs und den Problematiken, die diese Zeitform im Unterschied zu den Zeitformen ‚ Vergangenheit ‘ und ‚ Gegenwart ‘ in sich birgt. Unter Berücksichtigung unterschiedlicher Arten der Futurbildung und des -ausdrucks in verschiedenen und nicht ausschließlich romanischen Sprachen analysiert sie eingehend das lateinische Futur und die Futurformen romanischer Sprachen in ihren Entwicklungen über mehrere Jahrhunderte hinweg. Daraus ableitend hält sie Ergebnisse zur Synthese vs. Analyse und den Möglichkeiten der Futurentstehung fest. Fleischman stellt außerdem vier Entwicklungsstufen der habeo-Konstruktionen jeweils anhand eines englischen und französischen Beispiels heraus, ähnlich wie es Harris (1982) für die Vergangenheitsformen vorschlägt. In den 1990er Jahren veröffentlichte Daniel Jacob mit seiner Habilitationsschrift mit dem Titel „ Die Auxiliarisierung von habere und die Entstehung des romanischen periphrastischen Perfekts, dargestellt an der Entwicklung vom Latein zum Spanischen “ (1994) erstmals eine systematische Untersuchung der Konstruktion habere + PPP von ihrem Ursprung über ihre Anfänge im Altspanischen hin zu ihrer Verwendung im modernen Spanisch. Dabei betont er, dass es sich nicht um die „ Darstellung einer sprachlichen Entwicklung “ (Jacob 1994: 344) handele, sondern um „ ausgewählte Stationen “ (ebd.). Neben Überlegungen zur Wahl von habere als zukünftigen Bestandteil des Perfekts betrachtet er die lateinische Ausgangslage und kategorisiert drei Phasen der Entwicklung unter Berücksichtigung bestehender Annahmen sowie Kritikpunkten an diesen, indem er sie neu definiert. Dabei betont er, dass „ es sich bei diesen ‚ Phasen ‘ nicht um drei zeitlich hintereinandergeordnete Stadien handelt, sondern dass es zunächst um rein systematische Klassen von Gebrauchsweisen unserer Konstruktion geht “ (Jacob 1994: 140). Diese nutzt er für seine Analyse der haben-Konstruktionen. Neben der Untersuchung des haben-Perfekts in altspanischen Texten berücksichtigt er in Ansätzen die sein-Periphrase sowie kurz tenere + PPP und eröffnet dadurch weitere Forschungsansätze, die es zu untersuchen gilt. In einem zeitgleich erschienenen Aufsatz, der als Verschriftlichung eines Vortrags zum Vulgär- und Spätlatein entstand, mit dem Titel „ A 18 2 Forschungsstand <?page no="19"?> propos de la périphrase habeo + participe parfait passif “ (1995) präsentiert er ebenfalls in knapper Zusammenfassung seine Kritikpunkte an der bestehenden Erläuterung der Entwicklung der habere-Konstruktionen mit einem Partizip Perfekt Passiv. An einigen ausgewählten Beispielen, die bereits vielfach untersucht wurden, präsentiert er seine in der Habilitationsschrift detaillierter vorgestellten Entwicklungsphasen. In der aktuelleren Forschung sind zwei Veröffentlichungen aus Frankreich zu erwähnen, die sich mit der Grammatikalisierung von habere beschäftigen. Michelle Fruyt veröffentlichte im Jahr 2011 einen umfangreichen Aufsatz mit dem Titel „ Grammaticalization in Latin “ , in dem sie nach einigen grundlegenden Ausführungen und Überlegungen zur Grammatikalisierung zunächst auf zahlreiche andere Formen der Grammatikalisierung im Lateinischen eingeht und schließlich die Auxiliarisierung, genauer das ‚ semantic weakening ‘ , des Verbs habere behandelt. Nach kurzer Einleitung zu verschiedenen Formen der Auxiliarisierung von habere, wie der unpersönliche Gebrauch im Sinne des französischen ‚ il y a ‘ , thematisiert sie die Kollokationen des Verbs mit dem Partizip Perfekt Passiv. Sie stellt gleich zu Beginn heraus, dass „ [t]hese two constructions were not grammaticalized in Latin “ (Fruyt 2011: 788), räumt dabei allerdings ein, dass „ Latin does show some enlightening antecedents of the grammaticalization process and it allows us to reconstitute the intermediate stages of a progressive tendency toward grammaticalization “ (ebd.). Diese Stadien beschreibt sie genauer, ordnet ihnen romanische Beispiele sowie lateinische Zitate zu. Sie zieht dabei vor allem die klassischen Autoren Cicero, Livius und Caesar heran, aber auch Plautus und Augustinus sowie Gregor von Tours und Fredegar. Ähnlich geht Fruyt bei den Konstruktionen von habere mit einem Infinitiv vor. Nach kurzer Betrachtung der romanischen Futurbildungen untersucht sie wenige Verwendungen der Zusammensetzung im ‚ Itinerarium Egeriae ‘ und bei den christlichen Autoren. Außerdem analysiert sie die von Fredegar gebrauchte Form daras und frühe romanische Texte. Zu diesem Phänomen hält sie in Bezug auf die von ihr untersuchten Textstellen fest, dass „ the construction has not yet been fully grammaticalized as a temporal periphrasis “ (ebd.: 801). Fruyt verweist in ihrem Aufsatz auf eine zu der Zeit noch unveröffentlichte Dissertation ihres Lehrstuhls an der Pariser Universität, die eine korpuslinguistische Analyse der Verwendung der Konstruktionen von habere + Partizip Perfekt Passiv und habere + Infinitiv im Lateinischen darstellt. Drei Jahre später veröffentlichte George Bogdan Tara diese unter dem Titel „ Les périphrases verbales avec ‚ habeo ‘ en latin tardif “ (2014). Darin untersucht er im Anschluss an die Untersuchungen von Thielmann (1885a; 1885b) bekannte Textstellen mit habere + PPP und habere + Infinitiv verschiedener lateinischer Autoren vom 2 Forschungsstand 19 <?page no="20"?> klassischen Latein bis zum Ende des Spätlateins. Seit der Arbeit von Thielmann ist eine solch umfassende Analyse lateinischer Textstellen zum Auxiliarisierungsprozess von habere nicht erneut erfolgt. Tara zieht für die Untersuchung das Korpus CLCLT-5 heran, das archaische, klassische, nachklassische und spätlateinische Schriften des 8. Jahrhunderts enthält. Außerdem nimmt er die Texte von Gregor von Tours und Fredegar (7. Jahrhundert) hinzu, welche das Korpus nicht einschließt. Tara analysiert sämtliche Vorkommnisse der Kollokationen von habere + PPP oder habere + Infinitiv 8 in den herangezogenen Werken auf ihren Grammatikalisierungsgrad und kommt zu dem Schluss, dass sich, entgegen vielfacher Annahme, die Grammatikalisierung von habere noch nicht in den lateinischen Texten vollzog (vgl. Tara 2014). In etwa zeitgleich veröffentlichte Adam Ledgeway 2012 eine vergleichende Untersuchung mit dem Titel „ From Latin to Romance “ zur morphosyntaktischen Entwicklung und Typologie der romanischen Sprachen. Darin widerspricht er der gängigen Theorie, dass der grundlegende Unterschied zwischen dem Lateinischen und den romanischen Sprachen rein in den synthetischen und analytischen Strukturen liegt, indem er in seinem Ansatz verschiedene Strukturen der lateinischen Sprache und der romanischen Sprachen berücksichtigt. Dabei versucht er, unterschiedliche frühere Ansätze zu vereinen und zu ergänzen. Diese Überlegungen wendet er anschließend auf die morphosyntaktischen Entwicklungen vom Lateinischen zum Romanischen an. In seinen Ausführungen greift er auch das Auftreten der Konstruktionen mit habere auf. Die Kollokationen mit PPP betrachtet er, im Gegensatz zu gängigen Ansätzen, die den Ursprung in resultativen Periphrasen sehen, als „ integrated change in the verb system within a more general active/ stative realignment already underway in classical Latin “ (Adam 2012: 317). Zuletzt ist ein Beitrag von Lieven Danckaert und Gerhard Schaden zu nennen, der bisher nur als Vortragsmanuskript mit dem Titel „ Syntax and Semantics of Latin HAVE-statives “ (2021) veröffentlicht wurde. Danckaert und Schaden untersuchen die Ausgangslage von Syntax und Semantik der lateinischen habere-Konstruktion mit einem PPP. Dazu betrachten sie verschiedene Grundbedeutungen und -strukturen des Verbs habere, auf deren Grundlage sie die ursprünglichen Konstruktionen analysieren und den Beginn des Wandels nachzeichnen. Sie kommen zu dem Schluss, dass „ the Latin construction ‚ HABERE + NP.ACC. + PaPa.ACC ‘ is not yet a full-fledged perfect, but rather a grammatically passive structure whose main verb is habere “ (Danckaert/ Schaden 2021: 26). 8 Tara berücksichtigt auch die Entwicklungen von habeo als Ersatz für mihi est und necesse habeo (vgl. Tara: 239 - 248). 20 2 Forschungsstand <?page no="21"?> Der grobe Überblick relevanter Forschungsarbeiten zeigt, dass die Entwicklungen von habere im Lateinischen und Spätlateinischen zwar verstärkt Beachtung gefunden haben, aber nur in wenigen Fällen vorliegende Textstellen untersucht wurden. In diesen wenigen Fällen wurden zudem oftmals nur vielfach zitierte Textstellen zur Analyse herangezogen. Ein Großteil der Forschungsarbeiten wirft den Blick eher auf die theoretischen Hintergründe als auf die konkrete Entwicklung. Diesen soll diese Arbeit einerseits entgegenstehen, indem sie den Fokus auf die vorhandenen lateinischen Konstruktionen legt, und diese andererseits ergänzen, indem sie die theoretischen Grundlagen bestätigt bzw. widerlegt. 2 Forschungsstand 21 <?page no="22"?> 3 Theoretischer Hintergrund 3.1 Sprachwandel „ Es gehört zu den grundlegenden Eigenschaften natürlicher Sprachen, daß sie in sich variabel und daß sie in beständigem Wandel begriffen sind. “ (Frank-Job 2005: 171) Sprache unterliegt einem ständigen Wandel. Sie ist zwar einerseits Resultat, „ [i]n dem Maße aber, wie eine Sprache als solche weiterfunktioniert, ist das Ergebnis nie endgültig “ (Coseriu 1974: 24), denn „ [i]st das Ergebnis ‚ endgültig ‘ , dann sprechen wir gerade von einer ‚ toten Sprache ‘“ (ebd.). In der Vergangenheit wurde Sprache oftmals als statisch betrachtet, gegen deren Natur der Sprachwandel spräche. Vielmehr muss Sprache als „ unaufhörliches Schaffen “ (ebd.: 56) verstanden werden, da sie im Sprechen besteht und durch die Sprechenden immer wieder neu geschaffen wird. Zwar richten sich diese nach gewissen Normen, die zur Fixierung der Sprache dienen, dennoch bietet ihnen die Sprache als System verschiedene Möglichkeiten, sich auszudrücken, was die Dynamik der Sprache ausmacht. Jede: r Sprechende kann also Sprachschöpfer: in für andere Sprechende sein, die die Neuschöpfungen übernehmen können. Aufgrund der Dynamik der Sprache lässt sich erklären, warum es zu Veränderungen der Sprache kommt: „ Die Sprache wandelt sich gerade, weil sie ‚ nicht fertig ist ‘ , sondern durch die Sprachtätigkeit ständig ‚ geschaffen wird ‘ . “ (Coseriu 1974: 58 f.). Dabei haben die Sprechenden nicht den Vorsatz, die Sprache bewusst zu verändern, sondern nutzen das ihnen zur Verfügung stehende System und passen die Sprache gegebenenfalls ihren Ausdruckserfordernissen an, wenn sich keine Ausdrucksmöglichkeit bietet. Warum aber verändern sich einige Dinge, andere hingegen nicht oder nur selten? Dort sind zwei Veränderungen zu unterscheiden: einerseits diejenigen, die zur Verschiedenartigkeit führen, andererseits diejenigen, die zur Vereinheitlichung führen. Im ersten Fall könnten Sprechende Formen durch neue Formen ersetzen, um eine Verwechslung auszuschließen; im zweiten Fall könnte ein Sprecher unregelmäßige Formen durch nach der Norm gebildete regelmäßige Formen ersetzen. Eine Neuerung und deren Übernahme vollziehen sich allerdings immer nur dort, wo es nötig ist. Es werden somit nur die „ schwachen Punkte “ (ebd.: 119) verändert. Erst bei der vollständigen Übernahme <?page no="23"?> einer Neuerung in den Gebrauch einer Sprachgemeinschaft kann von einem Sprachwandel die Rede sein (vgl. Coseriu 1974). Wird der Blick an dieser Stelle und unter diesem Aspekt auf die vorliegende Untersuchung zur Entwicklung der lateinischen periphrastischen Perfekt- und Futurformen geworfen, kann bereits vermerkt werden, dass in diesem Fall ein merklicher Schritt hin zu regelmäßigen Formen und gleichzeitig zur Unterscheidung einzelner Formen passierte. Im klassischen Latein existierten sechs verschiedene synthetische Perfektbildungen, 1 die Lateinlernende heute teils mühevoll auswendig lernen müssen, da es zahlreiche Unregelmäßigkeiten gibt. Zum Teil unterschied sich die Perfektform nur durch Betonung von der Präsensform oder sogar gar nicht, wodurch in der Schriftsprache keine eindeutige Trennung der Formen möglich war: Perfektbildung 1.Sg.Präs. 1.Sg.Perf. v-Perfekt voco ‚ ich rufe ‘ vocavi ‚ ich habe gerufen ‘ u-Perfekt teneo ‚ ich halte ‘ tenui ‚ ich habe gehalten ‘ s-Perfekt dico ‚ ich sage ‘ dixi ‚ ich habe gesagt ‘ Dehnungsperfekt lego ‚ ich lese ‘ l ē gi ‚ ich habe gelesen ‘ Reduplikationsperfekt curro ‚ ich laufe ‘ cucurri ‚ ich bin gelaufen ‘ Stammperfekt defendo ‚ ich verteidige ‘ defendi ‚ ich habe verteidigt ‘ Tab. 1: Beispiel lat. Perfektbildung Bei der klassischen Perfektbildung kommt es vor allem in der 3.Pers.Sg. und 1. Pers.Pl. zu Überschneidungen von der Präsens- und Perfektform. In vielen 1 Die unterschiedlichen Perfektbildungen kommen zustande, da das lateinisches Perfektsystem „ the result of the collapse of the Proto-Indo-European aorist and perfect “ (Weiss 2020: 434) ist. Das führte dazu, dass einerseits die Reduplikation, die Zeichen des PIE- Perfekts war, andererseits das Tempuszeichen -s-, die Dehnung und der gleichbleibende Stamm, die Zeichen des PIE-Aorists waren, sich zu verschiedenen Perfektbildungen im Lateinischen entwickelten. Die u-/ v-Perfektbildung, die im Lateinischen die produktivste Art der Perfektbildung darstellte, geht auf eine Mischung aus Aoriststamm und Perfektstamm (vgl. ebd.: 434 - 440; Meiser 2003). 3.1 Sprachwandel 23 <?page no="24"?> Fällen unterscheiden sich die Formen nur durch einen Konsonanten oder eine Dehnung: dicit ≠ dixit legit ≠ l ē git defendit ≠ defendit ‚ er sagt ‘ ≠ ‚ er hat gesagt ‘ ‚ er liest ‘ ≠ ‚ er hat gelesen ‘ ‚ er verteidigt ‘ ≠ ‚ er hat verteidigt ‘ Beim Futur gibt es hingegen nicht so viele verschiedene Bildungsweisen und die Art der Bildungsweise lässt sich vereinfacht anhand der Konjugationsklasse bestimmen, die Formen ähneln zum Teil aber den präsentischen Formen: Futurbildung 1.Sg.Präs., 2.Sg.Präs. 1.Sg.Fut., 2.Sg.Fut. bo/ bi/ bu-Futur voco, vocas … ‚ ich rufe, du rufst …‘ vocabo, vocabis … ‚ ich werde rufen, du wirst rufen …‘ a/ e-Futur dico, dicis … ‚ ich sage, du sagst …‘ dicam, dices … ‚ ich werde sagen, du wirst sagen …‘ Tab. 2: Beispiel lat. Futurbildung Problematisch war außerdem die Unterscheidung einiger Perfekt- und Futurformen. Wie eingangs bereits erwähnt, ähnelten sich die Konsonanten ‚ b ‘ und ‚ v ‘ in der gesprochenen Sprache und wurden oftmals verwechselt. 2 Dies führte insbesondere bei den regelmäßig gebildeten Verben der a-Konjugation zu phonetisch gleichen Formen: lauda-v-it ( ‚ loben ‘ -3.Sg.Perf.) ‚ Er/ sie/ es hat gelobt. ‘ lauda-b-it ( ‚ loben ‘ -3.Sg.Fut.) ‚ Er/ sie/ es wird loben. ‘ Wird der Blick nach diesen Beispielen zurück auf den Sprachwandel gewandt, lässt sich anhand der klassischen Perfekt- und Futurbildung bereits erkennen, dass die Bildung der synthetischen Formen auf ein uneinheitliches System mit vielen Unregelmäßigkeiten und Überschneidungen zurückzuführen ist. Dass ein solches System mit der Zeit einen Wandel durchlaufen sollte, ist wenig verwunderlich. 2 Erste Belege für die Vermischung von ‚ b ‘ und ‚ v ‘ bzw. konsonantisches ‚ u ‘ finden sich bereits bei Eunus und werden „ a feature of many sub-elite documents after this date “ (Clackson/ Horrocks 2008: 242). 24 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="25"?> Bei der Durchsetzung sprachlicher Ausdrücke nehmen außerdem die verschiedenen Diskurstraditionen eine besondere Rolle ein, da bereits ein bestimmter Zusammenhang zwischen der Wahl einer Sprache oder Sprachvarietät und der Wahl einer Diskurstradition besteht. „ Diskurstraditionen, verstanden als konventionalisierte und kulturell bestimmte Zugriffsweisen auf Wirklichkeit, die in der Kommunikation mit anderen ausgehandelt, bestätigt und weitergetragen werden, spielen daher eine zentrale Rolle für die Verbreitung und kollektive Akzeptanz sprachlicher Neuerungen. “ (Frank-Job 2005: 180). Besonders bedeutsam sind hierfür häufig auftretende sprachliche Ausdrücke. Da viele sprachliche Neuerungen textsortenspezifische Entwicklungsunterschiede aufweisen können, ist es von besonderer Wichtigkeit, die Ausbreitung von Wandelerscheinungen unter der Berücksichtigung unterschiedlicher Diskurstraditionen zu untersuchen (vgl. Oesterreicher 2001: 1569 f.; Frank-Job 2005: 179 - 182). 3 Die Diskurstraditionen tragen außerdem eine besondere Bedeutung beim Ausbau der Schriftsprache. Oftmals prägen sich bestimmte textsortenspezifische Wortbedeutungen, die bedenkenlos aus einer einzelnen Diskurstradition in den Alltagssprachgebrauch übernommen werden. Diskurstraditionen können somit einerseits als „ Manifestation von Übernahmen sprachlicher Neuerungen, deren Ursprung in Formen der Nähesprache zu vermuten ist “ (Frank- Job 2005: 186) verstanden werden, andererseits sind sie selbst für die Ausbreitung und Verbreitung der Innovationen verantwortlich (vgl. Frank-Job 2005: 182 - 188; Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 4). Die Bedeutung der Diskurstraditionen und die Auswahlkriterien für die verwendeten Diskurstraditionen werden noch genauer erläutert (vgl. Kap. 3.4). 3.2 Grammatikalisierung 3.2.1 Begriffsbestimmung Der Begriff ‚ grammaticalisation ‘ wurde erstmals von Antoine Meillet ([1912], 1921: 148) in seiner Abhandlung mit dem Titel „ L ’ évolution des formes grammaticales “ über die Entstehung grammatischer Formen verwendet, doch finden sich bereits bei Wilhelm von Humboldt (1822) erste Hinweise auf einen solchen Prozess. Seither wurde der Begriff vielfach definiert, sodass sich spätestens mit 3 Der Begriff der Diskurstraditionen und die Auswahl verschiedener Diskurstraditionen für diese Untersuchung wird noch erläutert (vgl. Kap. 3.4). 3.2 Grammatikalisierung 25 <?page no="26"?> Lehmann ([1982], 1995) eine vollständige Theorie des grammatischen Wandels, die so genannte Grammatikalisierungstheorie, entwickelte, die in den vergangenen Jahrzehnten einen erheblichen Aufschwung erlebte (vgl. Lehmann 1985; 2004; Hopper/ Traugott 2003: 19 - 38). Grammatikalisierung ist ein Sprachwandelvorgang, den Lehmann ([1982], 1995) als „ a process in which something becomes or is made grammatical “ (ebd.: 9) beschreibt, sowie „ a process in which something becomes or is made more grammatical “ (ebd.), was er als „ grammaticality “ (ebd.) bezeichnet. In gleicher Weise erklären Hopper/ Traugott (2003) Grammatikalisierung als Entwicklung eines grammatischen Zeichens aus einem lexikalischen Zeichen. Als lexikalisch bezeichnen sie die Elemente, „ die die Hauptbedeutung eines Satzes tragen und eine eigene lexikalische Semantik besitzen “ (Ferraresi 2014: 3). Dazu zählen Nomen, Verben, Adjektive und Adverbien. Als grammatisch werden die Zeichen beschrieben, die eine Verbindung oder Relation darstellen und die Interpretierbarkeit der lexikalischen Elemente ermöglichen. Grammatische Elemente können einerseits als gebundene, andererseits als freie Morpheme auftreten. Oftmals zeigt sich die Tendenz, dass lexikalische Elemente bei der Grammatikalisierung phonologisch abgeschwächt und zu gebundenen Morphemen werden, was als Grammatikalisierungspfad dargestellt werden kann: content item > grammatical word > clitic > inflectional affix (Hopper/ Traugott 2003: 7) Ein lexikalisches Element muss nicht zwingend alle Stationen durchlaufen, um als grammatikalisiert zu gelten (vgl. Hopper/ Traugott 2003: 4 - 18). Der Pfad demonstriert aber die Unidirektionalität der Grammatikalisierung, die laut Lehmann oftmals betont wurde (vgl. Lehmann [1982], 1995: 16; Givón 1975: 96; Langacker 1977: 103 f.; Vincent 1980: 56 - 60; Haspelmath 1999). 3.2.2 Parameter der Grammatikalisierung Um den Grad der Grammatikalisierung zu bestimmen, entwickelte Lehmann ([1982], 1995) ein Raster, das verschiedene Eigenschaften oder Parameter beinhaltet. Sein Raster ist folgendermaßen aufgebaut: paradigmatic syntagmatic weight integrity structural scope cohesion paradigmaticity bondedness variability paradigmatic variability syntagmatic variability Tab. 3: Parameter der Grammatikalisierung von Lehmann 1995: 123 26 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="27"?> Lehmann teilt sein Raster in eine paradigmatische und eine syntagmatische Dimension ein. Er untersucht die beiden Dimensionen bezüglich ihrer Autonomie anhand folgender Faktoren: Mit ‚ weight ‘ ist nach der Bedeutung des Zeichens in seinem Paradigma und in der Syntax gefragt. Je mehr es sich von den anderen Zeichen seiner Klasse unterscheidet und je größer seine Bedeutung in seinem Syntagma ist, desto autonomer ist das Zeichen. Diese Autonomie verringert sich jedoch, wenn ein Element mit einem anderen Element kontrahiert, wodurch es grammatikalisiert auftritt. Diesen Faktor bezeichnet Lehmann als Kohäsion. Zuletzt wird die Variabilität geprüft. Je variabler, also austauschbarer, ein Zeichen ist, desto autonomer ist es. Bei dieser Einteilung ist zu berücksichtigen, dass einige Parameter positiv, andere negativ korrelieren. Steigt der Grammatikalisierungsgrad an, so steigt auch die Kohäsion, das Gewicht und die Variabilität verringern sich (vgl. Lehmann [1982], 1995: 121 - 126). Zu der paradigmatischen Dimension gehören Elemente derselben Klasse, worunter die verschiedenen Wortarten verstanden werden können. Jedes Zeichen wird genau einer Wortart zugeordnet und kann nicht mehrfach zugeordnet werden. Die Integrität bezeichnet die semantische und phonologische Unversehrtheit eines Elements. Wenn sich ein Zeichen beispielsweise semantisch entleert oder phonologisch verändert, wird es grammatischer. Mit Paradigmatizität ist die Einordnung in ein bestimmtes Paradigma, sowie in eine konkrete Subkategorie dieses Paradigmas gemeint. Ist eine Zuordnung zu mehreren Paradigmen oder Subkategorien möglich, hat das Element bereits an Autonomie verloren. Ebenso spielen die Größe des Paradigmas und formale und funktionale Homogenität eine wichtige Rolle. Zuletzt ist anhand der Variabilität der Grammatikalisierungsgrad zu erfassen. Dort steht die Frage nach der Freiheit und der Obligation bei der Auswahl eines Zeichens im Vordergrund (vgl. ebd.: 126 - 143). Bei der syntagmatischen Dimension wird nach der Bedeutung, der Kohäsion und der Variabilität eines Zeichens auf der Satzebene gefragt. Der ‚ structural scope ‘ bezeichnet den Geltungsbereich eines Elements im Satz, der mit zunehmendem Grammatikalisierungsgrad abnimmt. Es wird dabei nach allen von dem Zeichen regierten anderen Zeichen gefragt. Bei der Gebundenheit ist es wieder umgekehrt: Je gebundener ein Element ist, beispielsweise durch Klitisierung oder Agglutination, desto grammatischer ist es. Zum Schluss muss wieder die Variabilität geprüft werden, dieses Mal in Bezug auf die Freiheit innerhalb der Satzkonstruktion, z. B. die Umstellung der Wortstellung (vgl. ebd.: 143 - 160). 3.2 Grammatikalisierung 27 <?page no="28"?> 3.2.3 Semantic bleaching Das sogenannte „ bleaching model “ (Heine/ Claudi/ Hünnemeyer 1991: 40), das erstmals in Ansätzen bei Givón (1973) erwähnt wurde, ist eine Unterkategorie der Grammatikalisierung, die den involvierten Mechanismus näher beleuchtet. Sie beschreibt den Grammatikalisierungsprozess als Vorgang, bei dem der lexikalische Wert eines Elements ‚ ausbleicht ‘ und nur der grammatische Gehalt übrigbleibt. Das geschieht beispielsweise aufgrund des häufigen Gebrauchs eines Elements, denn „ ritualization is the creation of (a) language “ (Haiman 1994: 5; vgl. Haiman 1994). In der Vergangenheit wurde ‚ semantic bleaching ‘ häufig als holistisches Modell zur Beschreibung von Grammatikalisierungsvorgängen verstanden, bis erkannt wurde, dass es nur auf einige Entwicklungen zutrifft, vor allem in späteren Stadien der Grammatikalisierung (vgl. Detges 1999: 31 - 33; Hopper/ Traugott ²2003: 94 - 98). Ähnliche Modelle wurden zuvor bereits unter unterschiedlichen Bezeichnungen von mehreren Forschenden in Untersuchungen zum Sprachwandel herangezogen. So spricht beispielsweise Lehmann von einer ‚ semantic depletion ‘ (Lehmann [1982], 1995: 127), Guillaume und Guimier nennen es ‚ semantic weakening ‘ (Guillaume 1964: 73 - 86; Guimier 1985: 158) und Heine/ Reh bezeichnen die Entwicklung als ‚ desemanticization ‘ (Heine/ Reh 1984), um nur einige Beispiele zu nennen. 4 All diesen Konzepten unterliegt aber dasselbe Verständnis eines „ source concept “ (Heine/ Claudi/ Hünnemeyer 1991: 40), welches zunächst eine vollständige Semantik des Ausdrucks besitzt, wohingegen der Output des Prozesses als eine Form verstanden wird, deren semantischer Wert entleert oder ausgeblichen ist. Detges (1999) unterscheidet drei verschiedene Formen: ‚ bleaching ‘ kann erstens als Prozess verstanden werden, „ in dessen Verlauf ein Element allmählich auf seinen ‚ Bedeutungskern ‘ reduziert wird. “ (Detges 1999: 31). Zweitens kann es aber auch die Reduzierung auf eine nebensächliche Bedeutungskomponente bedeuten oder es kann sich drittens eine morphosyntaktische Verallgemeinerung vollziehen (vgl. Detges 1999: 31 - 33). 3.2.4 Grammatikalisierung vs. Reanalyse Die Reanalyse wurde häufig als Synonym zur Grammatikalisierung gebraucht oder als Unterkategorie derselben verstanden (vgl. Lord 1976: 179; Heine/ Reh 1984: 95; Heine/ Claudi/ Hünnemeyer 1991: 219; Hopper/ Traugott ²2003: 32), sie 4 Weitere Beispiele sind: „ semantic bleaching “ (Givón 1975; Lord 1976: 183, 189), „ fleshing out “ (Sweetser 1988) oder „ generalization of weakening of semantic content “ (Bybee/ Pagliuca 1985: 59 - 63). 28 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="29"?> ist jedoch als eigenständiges Phänomen des Sprachwandels zu betrachten. Grammatikalisierung beschreibt einen Vorgang, bei dem ein Element zu einem grammatischen oder einem grammatischeren Element wird. Sie bezeichnet somit das Resultat eines Sprachwandels. Die Reanalyse hingegen stellt einen Vorgang dar, bei dem ein: e Hörer: in eine von einem: r Sprecher: in getätigte Aussage neu interpretiert. Sie informiert also darüber, wie sich der Sprachwandel vollzieht. Nach Detges/ Waltereit (2002) kann ersteres als „ speakers` strategies “ (ebd.: 152) und letzteres als „ listeners` strategies “ (ebd.) bezeichnet werden. Die beiden Phänomene sind unabhängig voneinander, eine Reanalyse tritt nicht immer zusammen mit einer Grammatikalisierung auf. Ein wichtiger Unterschied ist die Unidirektionalität, die der Grammatikalisierung inhärent ist, der Reanalyse aber nicht zugeschrieben werden muss (vgl. Haspelmath 1998; Lang/ Neumann-Holzschuh 1999; Detges/ Waltereit 2002). Langacker (1977) definierte Reanalyse als „ change in the structure of an expression or class of expressions that does not involve any immediate or intrinsic modification of its surface manifestation “ (ebd.: 58). Oftmals ist somit der Wandel nicht auf den ersten Blick zu beobachten, sondern erst durch den Austausch eines festen Bestandteils des ursprünglichen Ausdrucks durch einen anderen. Der konkrete Zeitpunkt oder Ablauf des Wandels lässt sich dadurch aber nicht beschreiben. Dafür sind verschiedene weitere Aspekte von Bedeutung. Ein Beispiel für einen Reanalyseprozess ist das romanische Futur, dessen Entwicklung in dieser Arbeit im Vordergrund steht, neben der des romanischen Perfekts, die ebenfalls mit einer Reanalyse einhergeht (vgl. Ramat 1982). Ursprünglich bestand das Futur im klassischen Latein aus einer einzelnen synthetischen Form (vgl. Kap. 3.1), die sich aus Verbstamm, Futurzeichen und Personalendung zusammensetzte, z. B.: voca-b-o (Stamm, Futurzeichen, 1.Pers.Sg.) ‚ Ich werde rufen. ‘ Mit der Zeit hat sich eine Konstruktion entwickelt, die zunehmend verwendet wurde und für die weitere Entwicklung des romanischen Futurs von Bedeutung gewesen sein und die klassische synthetische Form möglicherweise ersetzt haben soll: Habeo (haben-1..Sg.Präs. ‚ Ich habe zu rufen. ‘ vocare. rufen-Inf.) 3.2 Grammatikalisierung 29 <?page no="30"?> Das Verb habere war ursprünglich ein transitives Verb der Possession. Es ist aber schon früh in Verbindung mit einem Infinitiv in diversen Texten zu finden, beispielsweise bei Cicero: „ Habeo etiam dicere, quem contra morem maiorum minorem annis LX de ponte in Tiberim deiecerit. “ (Cic. S. Rosc. 100). In den meisten vorhandenen Textstellen aus früherer Zeit ist die habere-Form dem Infinitiv vorangestellt und oftmals auch von ihm getrennt. Später erscheinen aber Konstruktionen dieser Art: Vocare (rufen-Inf. ‚ Ich habe zu rufen. ‘ habeo. haben-1.Sg.Präs.) In diesem Fall hat bereits eine kaum merkliche Reanalyse stattgefunden, vor allem da Latein eine Sprache war, die den Sprechenden einige Optionen bezüglich der Syntax offenließ. Mit der Zeit wurde somit aus zwei unabhängigen Bestandteilen eine zusammengehörige Konstruktion, die nur noch in dieser Reihenfolge als Konstruktion gewertet werden konnte. Später verschmolzen Infinitiv und Prädikat, wodurch sich eine synthetische Futurform in den verschiedenen romanischen Sprachen bildete (vgl. Hopper/ Traugott ²2003: 52 - 55). 3.3 Grammatikalisierung von habere Die lateinische Sprache bietet zahlreiche Untersuchungsmöglichkeiten in Hinblick auf Sprachwandelphänomene, da durch viele tradierte Schriften Veränderungen der Sprache über mehrere Jahrhunderte gut dokumentiert sind. So ist beispielsweise die französische Verneinung (z. B. ne … pas oder ne … personne) aus dem Lateinischen abzuleiten, ebenso lässt sich die Grammatikalisierung der romanischen Artikel aus dem Lateinischen beobachten. Auch im Bereich der Verben sind viele Neuerungen zu entdecken (vgl. Selig 1992; Detges/ Waltereit 2002; Fruyt 2011: 707 - 786). Im Zusammenhang mit dem lateinischen Verb habere sind vor allem zwei Grammatikalisierungsprozesse bekannt: die Entwicklung von habere + Partizip Perfekt Passiv zum romanischen periphrastischen Perfekt (z. B. frz. j ’ ai écrit oder span. he escrito) und die Agglutination eines Infinitivs + habere zum synthetischen romanischen Futur (z. B. frz. je dirai oder span. (yo) diré). 5 5 Es gibt einige Ausnahmen, z. B. das heutige Rumänisch, welches velle grammatikalisiert hat und ein periphrastisches Futur aus dem Hilfsverb „ vrea “ und einem Infinitiv bildet (vgl. Fleischman 1982: 114). 30 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="31"?> Das Verb habere durchlief zuvor bereits weitere Entwicklungen und übernahm zusätzliche Funktionen. Das Lexem entstand im archaischen Latein und drückte bis in die klassische Zeit den Besitz konkreter Gegenstände aus, wie seine spätlateinischen Konkurrenten tenere und possidere. Mit abstrakten Begriffen konnte es ebenfalls konstruiert werden, oftmals trat in diesen Zusammensetzungen aber die Konstruktion esse + Dativus possessivus auf. Zunehmend weitete sich der Gebrauch von habere auf andere Bereiche aus, wodurch der ursprüngliche Ausdruck allmählich verdrängt wurde. Dazu soll insbesondere der passive Charakter der esse-Konstruktion beigetragen haben, zumal es eine ansteigende Entwicklung von passiven zu aktiven und von intransitiven zu transitiven Wendungen gab (vgl. García-Hernández 1993). Des Weiteren breiteten sich der Gebrauch der Form habet als unpersönlicher Ausdruck im Sinne der französischen Wendung ‚ il y a ‘ sowie die Zusammensetzungen von habere mit unpersönlichen Ausdrücken aus, wie zum Beispiel necesse habeo (vgl. García-Hernández 1993: 194 f.; Fruyt 2011: 786 - 788). Insbesondere im Spätlatein erlebte das Verb einen starken Aufschwung. Die Entwicklung des lateinischen Perfekts und Futurs von der Synthese zur Analyse ist kein Einzelfall. Auch in anderen Bereichen ist Gleiches zu beobachten, beispielsweise beim lateinischen Genitiv und Dativ, die zunehmend durch eine Präpositionalphrase ersetzt wurden, was sich in den romanischen Sprachen fortsetzt. Werden solche Entwicklungen über einen noch größeren Zeitraum betrachtet, angefangen beim Indoeuropäischen bis zu den heutigen romanischen Sprachen, lässt sich außerdem eine „ typological repetition “ (Pulgram 1963: 35) beobachten. Am Beispiel des lateinischen und des sich daraus gebildeten französischen Futurs ist folgender Entwicklungszyklus festzustellen, der von der Analyse zur Synthese zur Analyse usw. führt: *ama bho → amabo → amare habeo → j ’ aimerai → je vais aimer → je *vaisaimer (Pulgram 1963: 37) Ursprünglich muss im Indoeuropäischen eine analytische Futurform bestanden haben, deren Elemente in ihrer Entwicklung zum Lateinischen agglutinierten. Die später entstandene analytische Form mit habere, die die vorherige Konstruktion mit der Zeit ersetzen soll, durchlief während der Entstehung der französischen Sprache denselben Prozess, indem Infinitiv und Hilfsverb fusionierten und sich zu einer synthetischen Form herausbildeten. Im neueren Französisch lässt sich insbesondere in der gesprochenen Sprache ein neuer Ausdruck des Futurs entdecken, und zwar eine periphrastische Konstruktion aus dem Hilfsverb ‚ aller ‘ und dem Infinitiv. Soll die Kette fortgesetzt werden, könnte möglicherweise davon ausgegangen werden, dass die aktuelle analytische Konstruktion des französischen Futurs mit der Zeit erneut aggluti- 3.3 Grammatikalisierung von habere 31 <?page no="32"?> nieren und sich zu einer synthetischen Form entwickeln wird (vgl. Pulgram 1963). 3.3.1 habere + PPP Ursprünglich bestand im klassischen Latein keine grammatische Beziehung zwischen einem PPP und dem Verb habere, da das Partizip als Attribut an das Bezugswort gebunden war und gleichermaßen ausgelassen werden konnte, ohne dass der Satz ungrammatisch geworden wäre. Die Agenten mussten somit nicht identisch sein. Eine Ausnahme bildeten allerdings die zusammengesetzten Formen des Perfekt Passivs, die mit esse als Auxiliar und einem PPP konstruiert wurden, ebenso eine aktive futurische Konstruktion aus dem Partizip Futur Aktiv und esse. Es existierten dadurch bereits aktive und passive analytische Partizipialkonstruktionen. Das lateinische Verb habere besaß hingegen den Vollverbstatus mit der Bedeutung ‚ haben/ besitzen ‘ und wurde nicht als Hilfsverb gebraucht. Zunehmend änderte sich die Bedeutungsnuance, sodass bei einigen Kollokationen mit habere der Agens des Prädikats auch als Agens des Partizips verstanden werden konnte, denn „ only in the case of identity of Subject and Agent there may be reason to assume that the expression is a periphrastic perfect form “ (Pinkster 1987: 201). Außerdem ‚ entleerte ‘ sich die Bedeutung des Verbs habere oder ‚ blich aus ‘ , was in der Grammatikforschung als ‚ semantic bleaching ‘ (vgl. Kap. 3.2.3) bezeichnet wird. Dadurch lag der inhaltliche Fokus auf der Bedeutung des Partizips, denn „ [j]e mehr nun die selbständige Bedeutung von habere dabei zurücktritt, je mehr Gewicht auf den im Partizip liegenden Thätigkeitsbegriff gelegt wird, um so mehr nähert sich der zusammengesetzte Ausdruck der Bedeutung des einfachen Perfekts. “ (Thielmann 1885b: 375). Schließlich trat ein aspektueller und temporaler Wert (Abgeschlossenheit/ Vergangenheit) hinzu, der sich im romanischen periphrastischen Perfekt fortsetzt, wodurch „ the construction which expressed the possession of the result of an action (the construction pivot was habeo) finally signifies the past action itself (the pivot is now the verb in the participle and habeo expresses tense only): ‚ I own the result of a past action ‘ → ‚ I performed that action in the past ‘“ (Salvi 1987: 230 f.). Der Kasusverlust, bei dem die Kongruenz von PPP und Bezugswort verloren ging, stellte die letzte Entwicklungsstufe dar, bei der eine vollständig ausgebildete Perfektform vorlag. Das Partizip endete in diesem Fall auf die neutrale Endung -um, die allerdings generell häufig vorkam und somit nicht in allen Fällen erkennbar war (vgl. Ramat 1982; Fleischman 1983; Pinkster 1987; Salvi 1987; Detges 2000; Fruyt 2011). Als Grund für diesen semantischen Wandel stellt Pinkster die Zusammensetzung mit bestimmten Verben fest: 32 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="33"?> „ It has been observed that, at least initially, most of the predicates in the construction [ … ] denote two-place activities that imply a change in the Object, mostly resulting in a (new) state - that is, most predicates refer to terminative (or: resultative) states of affairs. “ (Pinkster 1987: 200). Zur Entwicklung der Konstruktion zu einer periphrastischen Perfektform trugen maßgeblich Verben der Kommunikation und der Wahrnehmung bei „ where reference to an Agent seems out of place “ (Vincent 1982: 77). Kollokationen wie beispielsweise cognitum habeo für cognovi oder perspectum habeo für perspexi waren bereits im klassischen Latein austauschbar, wenn „ der in der Gegenwart erreichte Zustand betont werden [soll] “ (Menge 2005: § 137). Dadurch war der Anfang gegeben, der zu einem Bedeutungswandel und der weiteren Entwicklung führen konnte. Konstruktionen ohne direktes Objekt können ebenfalls als Auslöser für die Auxiliarisierung von habere betrachtet werden: „ There are a few examples of habere + PPP where an appropriate Object governed by habere is lacking altogether. These cases prove that habere is a mere auxiliary. “ (Pinkster 1987: 204). Erste Ursprünge dieser Kollokation finden sich bereits in vorklassischer Zeit (vgl. Thielmann 1885b: 834; Szantyr/ Leumann 1997: 319). Die neuen Formen verdrängten die alten synthetischen Perfektformen nicht durch ihr Aufkommen, sondern existierten über viele Jahrhunderte nebeneinander. Auch können sie nicht bedeutungsgleich gewesen sein, da durch die klassischen Formen eine vollständig abgeschlossene Handlung der Vergangenheit beschrieben wurde, während die periphrastischen Konstruktionen für die Beschreibung von Handlungen oder Momente der Vergangenheit gebraucht wurden, die den aktuellen Zeitpunkt einschließen oder im Moment des Sprechens noch relevant sind. Ein deutliches Merkmal zur Unterscheidung der beiden Kategorien liegt also in der „ present relevance “ (Harris 1982: 44). Da die ‚ present relevance ‘ von der Sicht der Sprechenden abhängig ist, ist die Wahl einer der beiden Kategorien teilweise subjektiv und variabel. Im klassischen Latein existierte nur eine synthetische Perfektform, die beide Funktionen übernehmen konnte. Erst in mehreren Etappen wurde ein temporaler Wert durch die neue analytische Konstruktion hinzugewonnen, deren Hauptaufgabe der Ausdruck der gegenwärtigen Relevanz war. Harris (1982) stellt dazu ein vierstufiges Modell vor, in dem er der klassischen Form feci und der Konstruktion habeo factum jeweils konkrete zeitgleiche Bedeutungen zuordnet: 1. FECI retains all the functions it had in common VL [Vulgar Latin], [ … ]. HABEO FACTUM remains restricted to present stages resulting from past actions, and is not used to describe past actions themselves, [ … ]. 3.3 Grammatikalisierung von habere 33 <?page no="34"?> 2. FECI retains most of the functions it had in VL, including reference to recent past events and to events occurring at a period of time still in progress. HABEO FACTUM does however begin to develop the semantic values which we have labelled ‚ present perfect ‘ , but at first only in highly specific circumstances; in addition to meeting the primary criterion of taking place or at least starting in the past but having present relevance, an appropriate use of the compound form will also be aspectually marked as durative or repetitive [ … ]. 3. FECI is restricted to preterite functions, with HABEO FACTUM assuming, in addition to the functions outlined above, the archetypal ‚ present perfect ‘ value of ‚ past action with present relevance ‘ . [ … ] 4. FECI is restricted to formal registers and may ultimately be lost entirely, HABEO FACTUM assuming, in addition to the ‚ present perfect ‘ functions just mentioned, those which we have labelled ‚ preterite ‘ ( ‚ aorist ‘ ). [ … ] (Harris 1982: 49 f.) Eindeutige Gründe für den Beginn eines solchen Wandels sind schwer zu identifizieren, es wurde aber bereits dargelegt, dass beispielsweise Gründe der Vereinheitlichung und/ oder Vereinfachung insbesondere in Bezug auf die lateinische Perfektbildung eine Rolle gespielt haben könnten (vgl. Kap. 3.1). Somit könnte ein Anstoß dafür in der Nähesprache liegen. Analytische Formen sind leichter zu produzieren und zu verarbeiten, wodurch sie geeigneter für die spontane Nähesprache sind. Möglicherweise kann in diesem Fall der Nähesprache eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Ausbreitung der neuen periphrastischen Konstruktionen zugeschrieben werden. Sicherlich sind aber mehrere Faktoren an dieser Entwicklung beteiligt (vgl. Harris 1982; Vincent 1982; Pinkster 1987; Salvi 1987). 3.3.2 habere + Infinitiv Das klassische lateinische Futur wurde durch synthetische Formen zum Ausdruck gebracht, wie oben bereits ausführlich erläutert wurde (vgl. Kap. 3.1; Kap. 3.2.4). In spätlateinischen Schriften wurden zunehmend expressivere Alternativen geläufig, wodurch periphrastische Konstruktionen mit Modalverben wie velle oder debere entstanden. 6 Es entwickelten sich außerdem Zusammensetzungen mit habere und einem Infinitiv. Schon in klassischer Zeit existierten analytische Ausdrücke, die einen futurischen Nebensinn enthielten, wie Kollokationen eines Partizips Futur Aktiv oder eines Gerundivs mit esse, die „ were mobilized as tense functors in those specific grammatical environments 6 velle und debere sind nur zwei von vielen Modalverben, die für periphrastische Futurkonstruktionen gebraucht wurden. Eine vollständige Liste findet sich bei Fleischman (1982: 50 - 52). 34 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="35"?> in which an explicit posterior marker was lacking “ (Fleischman 1982: 36). Nach und nach breiteten sich zudem Infinitivkonstruktionen aus, von denen sich insbesondere die Kollokationen mit habere zum Futur der romanischen Sprachen entwickelten. Die Auxiliarisierung von habere in dieser Konstruktion wird von Fleischman (1982) anhand eines englischen und französischen Beispiels folgendermaßen erläutert: Phase 1: I have a letter to mail / j ’ ai une lettre à poster Phase 2: I have a letter to write / j ’ ai une lettre à écrire Phase 3: I have to write a letter / j ’ ai à écrire une lettre Phase 4: I have to write / j ’ ai à écrire (Fleischman 1982: 58 f.) In der ersten Phase besteht für Fleischman noch der Vollverbstatus mit der Bedeutung ‚ haben, besitzen ‘ , auch wenn durch den Infinitiv bereits ein obligatorischer Nebensinn ausgedrückt werde. In einer zweiten Phase sei die Bedeutung von ‚ have ‘ bzw. ‚ avoir ‘ durch den Austausch des Infinitivs „ bleached out “ (Fleischman 1982: 58), denn „ I cannot possess an unwritten letter “ (ebd.). Der inhaltliche Fokus liegt nun nicht mehr auf dem Besitz, sondern auf dem Schreiben des Briefes. Schließlich habe eine syntaktische Umordnung oder Reanalyse stattgefunden, durch die ‚ have to ‘ bzw. ‚ avoir à ‘ nun als Auxiliare fungieren, die eine Obligation bezeichnen (Phase 3). In der letzten Phase könne sogar das Objekt ausgelassen werden, ohne dass der Satz ungrammatisch wirke (vgl. Fleischman 1982). Auch andere Forschende beschreiben ähnliche Abläufe und Modelle. Bybee/ Pagliuca/ Perkins (1991) beispielweise erklären am Beispiel des Englischen die semantische Entwicklung von Futurformen, die auf einen modalen Gebrauch zurückzuführen sind, anhand von vier so genannten FUTAGEs: FUTAGE 1 umfasst alle Futurformen mit Agens-orientierter Verwendung, worunter Wünsche, obligative Ausdrücke und Ausdrücke der Fähigkeit zu verstehen sind. Das nächste Stadium (FUTAGE 2) schließt erneut Agens-orientierte Modalität ein, „ but the particular modality - intention, willingness and root possibility - have generalized from the more specific source meaning “ (ebd.: 26). Auf der dritten Stufe (FUTAGE 3) sind Futurformen, die ‚ Futur ‘ als einzige Bedeutung aufweisen, anzusiedeln. In FUTAGE 4 sind schließlich Futurformen inbegriffen, die einen epistemischen Gebrauch beinhalten (vgl. ebd.: 25 - 29). Das Aufkommen der neuen analytischen Formen vollzog sich allerdings nicht aufgrund des Verfalls der alten synthetischen Formen. Auch verdrängten und ersetzten sie diese nicht ohne weiteres, sondern existierten über längere Zeit nebeneinander. Mögliche Gründe dafür wurden oben schon erläutert (vgl. 3.3 Grammatikalisierung von habere 35 <?page no="36"?> Kap. 3.1). In diesem Fall kann wiederum auf einen möglichen Unterschied zwischen der spontanen Nähesprache, für die analytische Formen einfacher und geeigneter erscheinen, und der Distanzsprache verwiesen werden. Außerdem können sie nicht zu jeder Zeit vollständig bedeutungsgleich und austauschbar gewesen sein, da „ [t]he grammaticization of cantare habeo as a future marker was, like all such changes, a lengthy process “ (Fleischman 1982: 50). Anfangs war die neue periphrastische Konstruktion kein Ausdruck eines reinen Futurs, sondern drückte eine Möglichkeit, Notwendigkeit oder Obligation aus und war somit Ausdruck eines Aspektes. Die Wahl der Form muss hier von den Sprechenden abhängig gewesen sein, wie es auch bezüglich des Perfekts der Fall war. Erst allmählich kann sich die Übernahme gleicher Funktionen des klassischen Futurs vollzogen haben (vgl. Fleischman 1982: 50 - 66; dies. 1983). Zuvor oder zeitgleich soll außerdem eine weitere Konstruktion aufgetreten sein: eine Zusammensetzung aus habere + Gerundivum. Wie bereits erwähnt, übernahm das Verb habere zunehmend Funktionen des klassischen Hilfsverbs esse, so dass der ursprünglich passive Ausdruck Gerundivum + esse + Dativ durch die aktive Wendung mit habere ersetzt wurde. Die Kollokation war ebenfalls ein Ausdruck der Notwendigkeit, der zwar über Jahrhunderte vorhanden und gebräuchlich war, sich jedoch nicht durchsetzen konnte und schließlich durch die Konstruktion Infinitiv + habere gänzlich abgelöst wurde (vgl. Thielmann 1885a: 66 - 70; García-Hernández 1993: 196 f.). Die Entstehungs- und Verbreitungskontexte der neuen Futurformen werden in der Forschung unterschiedlich gesehen. Die drei am häufigsten genannten Ansätze, die als Auslöser für die neuen Konstruktionen beschrieben werden, sollen kurz erläutert werden: • Der morphologisch-phonologische Erklärungsversuch führt zum einen die Ähnlichkeit der klassischen synthetischen Formen des Futurs mit den klassischen synthetischen Formen des Perfekt Aktivs bzw. den präsentischen Formen als Grund für die Entwicklung der neuen Konstruktionen an. In einigen Fällen konnte es zu Verwechslungen kommen, wie beispielsweise bei laudavit (Perf.) und laudabit (Fut.) oder dicis (Präs.) und dices (Fut.). 7 Zum anderen wird die Tatsache als Faktor angesehen, dass es zwei verschiedene 7 Die Verwechslung von Futur und Perfekt trifft überwiegend auf die Verben der a- Konjugation zu, welche meist ein regelmäßiges v-Perfekt bilden und das Futur mit dem Erkennungszeichen ‚ -bo/ -bi-/ -bu- ‘ . Ähnliche Formen von Präsens und Futur weisen dagegen alle Verben der kons. Konjugation auf, die das Futur immer aus „ -a-/ -e- „ bilden. Es kommt außerdem hinzu, dass die beiden Konsonsten ‚ b ‘ und ‚ v ‘ nicht nur ähnlich klingen, sondern dass ‚ v ‘ in einigen Teilen der Romania das ‚ b ‘ zunehmend verdrängte und ersetzte (vgl. frz. ‚ avoir ‘ oder port. ‚ haver ‘ ), wobei dieser Vorgang zum Teil bereits 36 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="37"?> Bildungen des Futurs mit derselben Funktion gab: das Futur auf -bo und das Futur auf -am. Dadurch wurden bereits in klassischer Zeit hybride Formen gebildet, wie dicebo oder audibo für dicam und audiam. Es handelt sich hierbei also um eine „ Unterscheidungsnotwendigkeit “ (Coseriu 1974: 133; Fleischman 1982: 41 - 43). • Der semantisch-stilistische Ansatz wird oftmals Vossler (1922) zugeschrieben, „ whose formulation is perhaps the most extreme “ (Fleischman 1982: 45). In diesem Erklärungsversuch wird die fehlende Expressivität der klassischen synthetischen Futurform als Auslöser für die Entwicklung neuer Formen gesehen. Es habe sich nämlich „ aufgrund des Vorwiegens einer bestimmten Geisteshaltung “ (Coseriu 1974: 133) durchgesetzt, die Coseriu als „ Ausdrucksnotwendigkeit “ (ebd.) bezeichnet: „ Denn immer steht der gemeine Mann den kommenden Dingen eher wollend, wünschend, hoffend und fürchtend als rein beschaulich, erkennend oder gar wissend gegenüber. “ (Vossler 1922: 179). • Ein weiterer Erklärungsversuch, der historisch-kulturelle Ansatz, wird vor allem von Coseriu (1974) vertreten, der das Christentum als „ historisch bestimmende[n] Umstand “ (Coseriu 1974: 148) für die Entstehung des spätlateinischen Futurs betrachtet. Das Latein der christlichen Autoren seit Augustinus ist ein bewusst gewählter ‚ sermo humilis ‘ , der der Alltagssprache des Volkes nahe sein soll, was zu der Vermutung passt, dass sich die analytischen Formen vor allem über die Nähesprache verbreitet haben. Coseriu stützt seine These durch das zahlreiche Auftreten von Kollokationen aus habere und einem Infinitiv in den bekannten Schriften der Kirchenväter (z. B. Augustinus) und in weiteren christlichen Texten. 8 Dort sollen sie überwiegend in prophetischen Aussagen verwendet worden sein (vgl. Fruyt 2011: 803 - 806; Tara 2014: 298 - 329). Dieser Erklärungsversuch geht mit dem semantisch-stilistischen Ansatz einher: „ Die Erneuerung des lateinischen Futurs muß also unter die vielen Sprachveränderungen eingereiht werden, die durch die neuen vom Christentum hervorgerufenen Ausdrucksbedürfnisse veranlaßt wurden. “ (Coseriu 1974: 149). Die beiden ersten Ansätze können nicht als alleinige Faktoren für die Erneuerung des lateinischen Futurs stehen, da sie unzureichend sind. Es muss also davon ausgegangen werden, dass mehrere Faktoren ineinandergriffen und zur Entwicklung neuer Formen führten, die einerseits den Verfall der alten auch im Lateinischen beobachtet werden kann. Gleiches gilt für die Lautveränderung von ‚ e ‘ zu ‚ i ‘ . 8 Die zahlreichen Vorkommnisse dieser Konstruktion in christlichen Texten können durch diese Untersuchung bestätigt werden (vgl. Kap. 6). 3.3 Grammatikalisierung von habere 37 <?page no="38"?> synthetischen Formen und andererseits das Aufkommen neuer analytischer Formen begünstigte (vgl. Coseriu 1974: 114 f.; 132 - 151; Fleischman 1982: 40 - 50). Weshalb gerade eine Konstruktion aus habere und einem Infinitiv entstand und sich schließlich durchsetzte, ist schwierig zu beantworten. Erste Belege der Zusammensetzung finden sich bereits im 1. Jh. v. Chr., beispielsweise bei Cicero und Lukrez: „ habeo etiam dicere quam … de ponte in Tiberim deiecerit “ (Cic. S. Rosc. 100) und „ item in multis hoc rebus dicere habemus “ (Lukr. 6, 711). Modale Infinitivkonstruktionen sind jedoch vielfach belegt. Oftmals wurden zwei Einflussbereiche als Ursprung vermutet, welche beide allerdings als unzureichend erklärt werden müssen: Da erstens keine Kollokationen dieser Art in den Komödien des Plautus und Terenz oder im Roman des Petronius aufzufinden sind, nimmt Coleman (1971) einerseits an, dass die Entstehung nicht ausschließlich über die gesprochene Umgangssprache verlaufen sein kann; zudem findet sich die Kollokation teilweise in Textpassagen, die gerade als sehr literarisch beschrieben werden können. Da zweitens Cicero und Lukrez die beiden klassischen Autoren waren, die diese Zusammensetzung deutlich häufiger als andere Autoren gebrauchten, beide allerdings nicht für die Verwendung von Gräzismen bekannt waren, vermutet er andererseits, dass die Entwicklung nicht nur auf eine ähnliche griechische Konstruktion zurückgeführt werden darf; wenngleich zu dieser Zeit zahlreiche Übersetzungen aus dem Griechischen entstanden, wurde die griechische Vorlage dennoch nicht durchgehend mit habere + Infinitiv wiedergegeben, ebenso will er einer so bedeutenden und grundlegenden Sprachveränderung nicht einen ausschließlich fremdsprachlichen Einfluss einräumen: „ Here we may simply note that although the Greek construction has priority, the Latin one can be adequately accounted for within the native grammatical system and exhibits a functional range that corresponds to the Greek one only in part at the outset, and thereafter rapidly diverges. “ (Coleman 1975: 116; vgl. ders. 1971: 215 - 217, 228 f.). 9 Auch wenn die Entstehung und Verbreitung nicht vollständig zu erklären ist, so findet Thielmann dennoch eine Begründung dafür, dass sich ausgerechnet diese Phrase durchsetzte: „ Die Beantwortung dieser Frage finde ich darin, dass keine andere der verschiedenen Zusammenstellungen so sehr die Möglichkeit bot, durch allmähliches Zusammenwachsen der beiden Teile eine dem Anscheine nach synthetische Bildung 9 Ähnliche Vermutungen, dass auch das spätere romanische Perfekt aus habere + PPP aus dem Griechischen entlehnt sein könnte, weist Coleman entschieden zurück (vgl. Coleman 1975: 113 - 116). 38 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="39"?> herzustellen. War einmal die Stellung von habere nach seinem Inf. durchgedrungen, so war bei dem vokalischen Aus- und Anlaut der beiden Wörter (denn h bildete ja keine Schranke) eine enge Zusammenziehung derselben ermöglicht, zumal ja die lautliche Beschaffenheit von habeo die Möglichkeit einer starken Reduktion dieses zweiten Teiles der Zusammensetzung bot. “ (Thielmann 1885a: 166). Ein möglicher Faktor der Modellierung des Futurs könnten auch fehlende Ausdrücke für die Zukunft der Vergangenheit sein. Diese Lücke im Sprachsystem könnte durch die neu gebildeten Formen zu schließen versucht worden sein. Ob aber zuerst die Vergangenheitsformen von habere oder die präsentischen Formen in Zusammensetzungen mit Infinitiven entstanden, ist unklar. Dass sich aber eine der beiden Varianten aus der jeweils anderen abgeleitet haben könnte, ist nachvollziehbar. Bassols vermutet, dass die Vergangenheitsformen als Vorlage gedient haben, da diese in früheren Texten eindeutig dominierten (vgl. Bassols de Climent 1948: 305). Neben der Entstehung von habebam/ habui + Infinitiv als Futur der Vergangenheit trat außerdem die bereits im klassischen Latein gebräuchliche Konstruktion -urus eram/ fui seit Livius wieder verstärkt auf. Wahrscheinlich setzte sich erstere Zusammensetzung aber wegen der unzureichenden Formen für das Passiv der PFA-Konstruktion durch (vgl. Coleman 1971: 223 f.). Des Weiteren wurde vielfach konstatiert, dass in spätlateinischen Schriften überwiegend passive Infinitive erscheinen, 10 weshalb ebenfalls oftmals vermutet wurde, dass sich die Kollokation aufgrund unzureichender passiver Futurausdrücke, die teilweise mit dem PFA + iri formuliert wurden, durchsetzte (vgl. Thielmann 1885a; Coleman 1971: 224 f.). Zuletzt muss nochmal aufgegriffen werden, dass zunächst die Kollokation habere + Infinitiv geläufig war, die oftmals durch Syntagmen unterbrochen wird. Erst später häuft sich die Konstruktion Infinitiv + habere. Als allgemein anerkannt in der Literatur gilt die Annahme, dass es eine Differenz in der Bedeutung von habere + Infinitiv und Infinitiv + habere gegeben haben muss: Die erste Kollokation wird im Sinne einer ‚ Möglichkeit ‘ oder ‚ Fähigkeit ‘ ( ‚ können ‘ ) verstanden, wohingegen letztere eine ‚ Notwendigkeit ‘ oder ‚ Obligation ‘ ( ‚ müssen ‘ ) darstellen soll. Aus der zweiten Konstruktion, die erst später gehäuft aufgetreten ist, sollen sich schließlich die Futurformen gebildet haben, welche bereits näher an die Synthetisierung der romanischen Form herankommen, von welcher erstere noch weiter entfernt ist. Außerdem sollen Zusammensetzungen der ersten Art Beobachtungen zufolge wesentlich häu- 10 Diese Entwicklung vollzog sich insbesondere über Tertullian (150 - 220 n. Chr.), der in seinen Schriften in Bezug auf die Infinitivkonstruktion mit habere „ alle Dämme und Deiche durchbrochen “ (Thielmann 1885a: 61) hat und zu seiner erheblichen Erweiterung beitrug (vgl. Thielmann 1885a: 60 - 63). 3.3 Grammatikalisierung von habere 39 <?page no="40"?> figer aufgetreten und öfter mit Syntagmen zwischen habere und dem Infinitiv kombiniert worden sein, welche bei Konstruktionen der zweiten Art selten vorgekommen sein sollen (vgl. Thielmann 1885a). 3.4 Diskurstraditionen Der Begriff der Diskurstraditionen ist schon lange ein „ zentrales Konzept der synchronen und diachronen Sprachwissenschaft ebenso wie der Sprachtheorie “ (Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 1). Er wurde von Peter Koch in seiner unveröffentlicht gebliebenen Habilitationsschrift im Jahr 1987 eingeführt und ist zu Beginn bewusst recht offengehalten worden. Koch selbst umschrieb Diskurstraditionen zunächst als „ Textsorten, Gattungen, Stile, rhetorische Genera, Gesprächsformen, Sprechakte usw. “ (Koch 1997: 45). Inzwischen sind viele Forschungsarbeiten veröffentlicht worden, die den Begriff der Diskurstradition konkretisieren, die Besonderheiten herausstellen und von anderen Begriffen abgrenzen. Es sollen kurz einige Grundlagen dieses großen Konzeptes umrissen werden. In seiner „ Textlinguistik “ erläutert Coseriu seine Auffassung der Sprache „ als einer universellen menschlichen Tätigkeit, die unter Befolgung historisch vorgegebener Normen individuell ausgeübt wird “ (1981: 7). Er unterscheidet dazu drei Ebenen, die auch von Koch und anderen immer wieder aufgegriffen werden: die universelle Ebene als „ das Sprechen oder ‚ die Sprache im allgemeinen ‘“ (ebd.); die historische Ebene, die die Einzelsprachen betrifft; und die „ Ebene der Texte, der Redeakte bzw. der Gefüge von Redeakten “ (ebd.), die Koch später als aktuelle/ individuelle Ebene bezeichnet (vgl. Koch 1997: 44). Im weiteren Verlauf seiner Arbeit führt Coseriu seine Überlegungen zu dem Drei-Ebenen-Modell aus (vgl. Coseriu 1981: 35 - 40) und merkt in Bezug auf die dritte Ebene an, dass „ Texte auch ganz besondere Traditionen [haben], und zwar unabhängig von einer bestimmten Sprache “ (ebd.: 40). Er unterscheidet dabei zum einen einzelsprachliche Traditionen, wie beispielsweise wiederkehrende „ feste Formeln, z. B. für Anrede, Begrüßung oder ähnliches “ (ebd.), und zum anderen übereinzelsprachliche Traditionen, wie beispielsweise spezielle Muster für literarische Gattungen (vgl. ebd.). Coserius Drei-Ebenen-Modell wird insbesondere von Koch immer wieder als Basis aufgegriffen und erweitert. In seinem Aufsatz zum sprachtheoretischen Status und der Dynamik der Diskurstraditionen (1997) fügt er einen vierten Bereich hinzu, den er bereits in den Überlegungen zu „ Traditionen des Sprechens “ von Brigitte Schlieben-Lange eingeführt sieht (vgl. Schlieben-Lange 1983: 138 - 161; vgl. Koch 1997: 45): 40 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="41"?> Ebene Bereich Normtyp Regeltyp universal Sprechtätigkeit (vgl. Anm. 3 und 4) Sprechregeln historisch Einzelsprache Sprachnormen Sprachregeln historisch Diskurstradition Diskursnormen Diskursregeln Individuell/ aktuell Diskurs Abb. 1: Die vier Bereiche der Sprache als Ergänzung zu Coserius Drei-Ebenen-Modell von Koch 1997: 45 Koch weist den Ebenen jeweilige Bereiche, Normen - sofern möglich 11 - und Regeln zu und unterteilt die historische Ebene in die Bereiche Einzelsprache und Diskurstradition. Im weiteren Verlauf erläutert er die Besonderheiten des von ihm eingeführten vierten Bereichs und die Abgrenzungen zu den anderen Bereichen. Eine zentrale Rolle spielt außerdem das „ Konzept des universell gültigen Kontinuums der Konzeption sprachlicher Äußerungen zwischen den Polen der Nähe und der Distanz [ … ], das als multidimensionaler Raum zusammenspielender Parameter von Kommunikationsbedingungen verstanden wird “ (Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 3; vgl. Koch/ Oesterreicher 1985; ²2011). Oesterreicher bestimmt diesbezüglich die Diskurstraditionen als „ konventionalisierte Kristallisationskerne von bestimmten Parameterwerten der [ … ] Kommunikationsbedingungen und mehr oder weniger strikt vorgeprägten Versprachlichungsanforderungen einerseits sowie von bestimmten gesellschaftlich determinierten inhaltlich-thematischen Wissenskomplexen andererseits “ (Oesterreicher 1997: 25). Er weist den Diskurstraditionen damit ebenfalls die historische Ebene zu. Kabatek (2011) sieht in diesem Punkt allerdings noch eine weitere Unterscheidung in eine primäre Historizität der Einzelsprachen und eine sekundäre Historizität, „ für die vielleicht der Begriff der Tradition angemessener ist, [die] als kulturelle 11 In den im Schema angegebenen Anmerkungen 3 und 4 vermerkt Koch folgendes: „ Ich zögere etwas, auf der universalen Ebene von ‚ Normen ‘ zu sprechen, also ‚ Sprechnormen ‘ anzusetzen, da ‚ Normen ‘ üblicherweise als historisch-konventionelle Größen angesehen werden [ … ]. Der Terminus ‚ Normen ‘ wird in der linguistischen Literatur aber teilweise auch auf die Ebene der Sprechtätigkeit angewandt [ … ]. “ (Koch 1997: 45, Anmerkung 3). Anm Er erläutert weiter: „ [ … ]; unter ‚ Regeln ‘ verstehe ich, einem verbreiteten Usus folgend, eher partikuläre Handlungsmuster, während ‚ Normen ‘ ganze Komplexe von Regeln darstellen [ … ]. Bei dem Begriff ‚ Regel ‘ sehe ich - anders als beim Begriff ‚ Norm ‘ [ … ] - keine Probleme in der Anwendung auf die universale Ebene in Form von ‚ Sprechregeln ‘ . Statt von ‚ Sprechnormen ‘ würde ich lieber von ‚ Komplexen von Sprechregeln ‘ sprechen. “ (ebd.: 46, Anmerkung 4). 3.4 Diskurstraditionen 41 <?page no="42"?> Tradition anderen Kulturtraditionen (etwa der Architektur, der Tradition des Kochens oder der Tradition sprachbegleitender Gesten) vergleichbar [ist], das Besondere jedoch ist im Falle der Sprache, dass primäre und sekundäre Historizität in einem Objekt zusammenfallen “ (Kabatek 2011: 92). Zur Beziehung der Diskurstraditionen zu den Regeln der Einzelsprachen erläutert Oesterreicher außerdem, dass „ Diskurstraditionen keineswegs in den Regeln einer Einzelsprache enthalten sind, daß sie aber teilweise den Einsatz bestimmter Sprachvarietäten und Verbalisierungsmuster selegieren “ (Oesterreicher 1997: 20). Stattdessen dienen Diskurstraditionen als „ Filter, der aus allen möglichen Äußerungen die üblichen bzw. die für einen Kommunikationstyp besonders angemessenen bzw. prestigeträchtigen und vorbildlichen Formen auswählt “ (Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 4; vgl. Koch 1988: 341 f.). Dabei können Diskurstraditionen aber auch Innovationen hervorbringen und zu deren Verbreitung beitragen, indem sie offen sind und Neuerungen zulassen, die beispielsweise der besseren Expressivität dienen. So kann also die „ Diskurstradition selbst zum Motor für Veränderungen im Sprachsystem werden “ (Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 4). Allerdings kann das Festhalten an den Mustern der Diskurstraditionen auch das Gegenteil bewirken, nämlich die Konservierung sprachlicher Gestaltung über einen langen Zeitraum (vgl. ebd.). Durch zahlreiche Untersuchungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu sämtlichen Bereichen der Diskurstraditionen im Sprachwandel und Sprachgebrauch zeigte sich, dass „ eine Differenzierung des Konzepts Diskurstradition in unterschiedliche Abstraktionsgrade sinnvoll ist “ (Winter-Frömel/ López Serena/ Octavio de Toledo y Huerta/ Frank-Job 2015: 5). Inzwischen haben einige Autor: innen nach Wilhelm (2001) die Differenzierung zwischen Diskursuniversen (nach Coseriu 1981), Diskurstraditionen als Muster für die Gestaltung von Texten/ Diskursen und diskurstraditionellen Äußerungsformaten als Muster für bestimmte Äußerungen oder Textteile übernommen. 3.4.1 Das Nähe/ Distanz-Modell von Koch/ Oesterreicher Die Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit brachte in der Sprachwissenschaft lange Zeit Probleme und Widersprüchlichkeiten mit sich. Oftmals wurde nur zwischen ‚ gesprochen/ mündlich ‘ und ‚ geschrieben/ schriftlich ‘ unterschieden. Diese Kriterien erwiesen sich als unzureichend, wenn beispielsweise ein zuvor niedergeschriebener Text laut vorgetragen oder gesprochene Sprache anhand von Sprechblasen in einem Comic dargestellt werden würde. Für dieses Problem veröffentlichte Ludwig Söll 1974 eine Lösung (vgl. Söll ³1985), die von Koch/ Oesterreicher (2011) aufgegriffen wurde. 42 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="43"?> Söll unterschied zwei Aspekte: zum einen das Medium der Realisierung (graphisch/ phonisch), zum anderen die Konzeption (gesprochen/ geschrieben). Abb. 2: Mündlichkeit und Schriftlichkeit - konzeptionell und medial von Koch/ Oesterreicher 2011: 3 Auf der Ebene des Mediums ist eine klare Trennung zwischen dem graphischen und phonischen Kode, es kann nur entweder graphisch oder phonisch sein. Bei der Konzeption ist die Trennung durchlässiger und eher als Kontinuum zu betrachten. Außerdem sind nicht alle vier Bereiche als gleichberechtigt anzusehen, jedoch sind alle Kombinationen möglich, wobei die Kombinationen ‚ gesprochen ‘ und ‚ phonisch ‘ sowie ‚ geschrieben ‘ und ‚ graphisch ‘ häufiger zusammen auftreten. Dennoch sind die Kombinationen ‚ gesprochen ‘ und ‚ graphisch ‘ sowie ‚ geschrieben ‘ und ‚ phonisch ‘ nicht ausgeschlossen, für die Koch/ Oesterreicher in der Neuauflage ihrer Forschungsarbeit beispielhaft für ersteres den Festvortrag und für letzteres den chat anführen (vgl. Koch/ Oesterreicher ²2011: 3 f.). Vor dem Hintergrund der Arbeit Sölls haben Peter Koch und Wulf Oesterreicher erstmals 1985 ein Nähe/ Distanz-Modell erarbeitet (vgl. Oesterreicher/ Koch 2016; Hennig/ Feilke 2016; Grübl/ Gruber/ Scharinger 2021), indem sie Parameter für die Kommunikationsbedingungen und Versprachlichungsstrategien in gesprochener vs. geschriebener Sprache aufgestellt haben. Bezüglich der Kommunikationsbedingungen sind folgende zehn Parameter zu bestimmen, die bis auf f) alle gradueller Natur sind (nach Koch/ Oesterreicher 1985; ²2011): a) Grad der Öffentlichkeit (Zahl der Rezipienten, Existenz und Größe des Publikums) b) Grad der Vertrautheit der Partner (gemeinsame Kommunikationserfahrung, gemeinsames Wissen, Ausmaß an Institutionalisierung usw.) c) Grad der emotionalen Beteiligung (auf den/ die Partner (Affektivität) und der/ den Kommunikationsgegenstand (Expressivität)) d) Grad der Situations- und Handlungseinbindung von Kommunikationsakten e) Referenzbezug (Nähe der bezeichneten Gegenstände und Personen) 3.4 Diskurstraditionen 43 <?page no="44"?> f) Physische Nähe der Kommunikationspartner (face-to-face vs. räumliche und zeitliche Distanz) g) Grad der Kooperation (direkte Mitwirkungsmöglichkeiten des/ der Rezipienten) h) Grad der Dialogizität (Möglichkeit und Häufigkeit einer spontanen Übernahme der Produzentenrolle) i) Grad der Spontaneität j) Grad der Themenfixierung Anhand dieser Parameter des Nähe/ Distanz-Modells lässt sich nun eine Vielzahl von Kommunikationsformen beschreiben und zwischen den Polen ‚ gesprochen ‘ (maximale kommunikative Nähe) und ‚ geschrieben ‘ (maximale kommunikative Distanz) einordnen. 3.4.2 Auswahl der Diskurstraditionen Vor diesem Hintergrund der vorherigen Ausführungen wurden für diese Arbeit zwei Diskurstraditionen ausgewählt: Urkunden und Predigten. Erstere lassen sich folgendermaßen einordnen: Die Urkunden sind, unabhängig ihres Entstehungsortes und der dort zum Entstehungszeitpunkt vorhandenen Einzelsprachen und Varietäten sowie der Muttersprache des Verfassers, in lateinischer Sprache verfasst. Der Gebrauch des Lateinischen in den Urkunden war üblich, Latein galt als gültige Urkundensprache. Als Zeitraum kann grob das spätlateinische Mittelalter angegeben werden, in dem sich die Schreiber grundlegend an der klassischen lateinischen Sprache orientiert haben, die gesprochene Sprache sich jedoch weiterentwickelt und sich zunehmend von dem geschriebenen Latein unterschieden hat. Der Verfasser einer Urkunde war eine Person, die der lateinischen Urkundensprache mächtig war. Sie musste nicht selbst mit dem Urkundeninhalt in Verbindung stehen, sondern konnte eine neutrale dritte Person sein. Die Urkunden wurden geschrieben und graphisch realisiert. Anhand der Parameter des Nähe/ Distanz-Modells lassen sich die Urkunden in einem konzeptionellen Relief nach Koch/ Oesterreicher (2011) darstellen und wie folgt bestimmen: 44 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="45"?> Abb. 3: Konzeptionelles Relief Urkunde nach Koch/ Oesterreicher 2011 a) öffentlich, aber für den privaten Gebrauch; b) keine absolute Fremdheit; c) keine emotionale Komponente; d) keine Situations- und Handlungseinbindung; e) Referenzbezug auf die Sprecher-origo vorhanden; f) physische Distanz; g) geringe Kooperationsmöglichkeit bei der Produktion; h) Monologizität; i) keine Spontaneität; j) Themenfixierung. In vielen Bereichen werden die Urkunden eindeutig auf der Seite der kommunikativen Distanz eingeordnet. Diese Einordnung spiegelt sich in den oftmals starren Formulierungen der Urkunden wider, die besonders in bestimmten Teilen der Urkunde (z. B. im Protokoll oder im Eschatokoll) aus formelhaften Wendungen besteht, die von dem Verfasser übernommen wurden. Zwischen den beiden Parteien und ggf. dem Schreiber als dritte Person besteht kein engeres Vertrauensverhältnis, in einigen Fällen sogar das Gegenteil. Es handelt sich um einen konkreten festgelegten Sachverhalt, der dargelegt wird und auf den kein weiterer Einfluss mehr genommen werden kann. Die zweite gewählte Diskurstradition lässt sich derart bestimmen: Die Predigten sind ebenfalls unabhängig ihres Entstehungsortes und der dort zum Entstehungszeitpunkt vorhandenen Einzelsprachen und Varietäten sowie der Muttersprache des Verfassers in lateinischer Sprache verfasst. Latein galt als Sprache der Gebildeten und der Kirche, noch heute ist Latein die Amtssprache des Vatikans. Als Zeitraum ist das spätlateinische Mittelalter anzugeben, allerdings orientieren sich die kirchlichen Verfasser noch stärker an der klassischen lateinischen Sprache, als es bei den Urkundenschreibern der Fall war. Obwohl die Predigt an sich phonisch realisiert wird, liegt sie uns heute graphisch vor, da wir sie andernfalls natürlich nicht mehr vorliegen hätten. Eine 3.4 Diskurstraditionen 45 <?page no="46"?> Predigt konnte frei gesprochen oder vorab geschrieben und dann phonisch realisiert werden. Die Niederschrift der Predigten kann auf verschiedene Weisen erfolgen, d. h. dass der Scheiber der Predigt nicht identisch mit dem Prediger sein muss, aber es durchaus sein kann (vgl. Kap. 4.3). Die Predigten wurden bereits von Koch/ Oesterreicher selbst in einem konzeptionellen Relief dargestellt und in ihr Nähe/ Distanz-Modell eingeordnet: Abb. 4: Konzeptionelles Relief Predigt von Koch/ Oesterreicher 2011: 9 „ a) Öffentlichkeit; b) keine absolute Fremdheit; c) klar emotionale Komponenten; d) kaum Situations- und Handlungseinbindung; e) geringer Referenzbezug auf die Sprecher-origo; f) physische Nähe; g) keine Kooperationsmöglichkeit bei der Produktion; h) Monologizität; i) geringere Spontaneität; j) Themenfixierung “ (Koch/ Oesterreicher ²2011: 8). Die Predigten gestalten sich nicht als das komplette Gegenteil, sie sind allerdings deutlich stärker in Richtung der kommunikativen Nähe einzuordnen als die Urkunden. Zwar sind sie aufgrund ihrer vorherigen Produktion durch eine Einzelperson in einigen Punkten der kommunikativen Distanz zuzuordnen, dadurch dass sie aber in der Regel für den mündlichen Vortrag vor einem Publikum bestimmt waren und teilweise bewusst ein niederer Stil verwendet wurde, stellen sie hinsichtlich einiger Punkte einen deutlichen Gegensatz zu den Urkunden dar. Häufig wird in den Predigten die Anrede in der zweiten Person gebraucht, die neben der verständlicheren und einfacheren Ausdrucksweise von den Verfassern dazu genutzt wurde, ihren Adressat: innen ihre Lehren näherzubringen und sie davon zu überzeugen. 46 3 Theoretischer Hintergrund <?page no="47"?> Die Urkunden und Predigten unterscheiden sich in Bezug auf die Parameter der kommunikativen Nähe und Distanz nicht in allen Punkten, in einigen sind sie aber gegensätzlich. Hinsichtlich ihrer Konzeption und ihres Mediums lässt sich folgendes festhalten: Es handelt sich zum einen um eine Diskurstradition, die in der Regel geschrieben und graphisch realisiert wird, und zum anderen um eine Diskurstradition, die oftmals gesprochen (teilweise auch vorab aufgeschrieben) und phonisch realisiert wird. Gemeinsam ist ihnen die vorgesehene lateinische Sprache, wie oben erläutert wurde. 3.4 Diskurstraditionen 47 <?page no="48"?> 4 Die Korpora Während uns aus der Antike und den früheren Jahrhunderten oftmals nur eine zählbare Anzahl an Schriftstücken vorliegt, die nachvollziehbar erfasst sind, breitete sich die europäische Schriftkultur insbesondere vom 10. bis 14. Jahrhundert stark aus. Um 1200 ist ein sprunghafter Anstieg der Schriftlichkeit in ganz Europa zu beobachten, der einen Übergang vom großen Mangel an schriftlichen Quellen hin zu einer unüberschaubaren Masse darstellt. Vor allem die Entstehung neuer Quellentypen und Gattungen trägt zur Ausweitung und zu einem „ tiefgreifenden, grundlegenden Wandel “ (Keller 1990: 180) bei, wie beispielsweise das Aufkommen neuer literarischer Texte und Wissenschaften oder die schriftliche Fixierung rechtlicher oder verwaltungstechnischer Vorgänge, die zuvor nicht dokumentiert wurden (vgl. Keller 1990). Mit der Aufbereitung und Sammlung lateinischer Quellen aus dem Mittelalter begannen bereits die Humanisten, wobei kritische Editionen erst ab dem späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert gebräuchlich wurden. Die wohl bekanntesten und wichtigsten Quellensammlungen zur mittelalterlichen Geschichte sind die Monumenta Germaniae Historica (MGH), deren kritische Editionen vorrangig die maßgeblichen sind. Diese gehen auf die Gründung einer Gesellschaft des Freiherrn vom Stein im Jahr 1819 zurück, deren Ziel die Erstellung einer Gesamtausgabe der mittelalterlichen Quellen zur deutschen Geschichte war. Bis heute wird sie laufend bearbeitet und erweitert und ist zu großen Teilen bereits online zugänglich. 1 Neben der MGH existieren natürlich weitere Sammlungen zur deutschen Geschichte sowie zur außerdeutschen Geschichte. 2 Speziell zu den Urkunden existiert seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Frankreich die Sammlung „ Chartes et diplômes relatifs à l ’ histoire de France “ (1908 ff.) 3 und in Italien die „ Regesta chartarum Italiae “ (1907 ff.). 4 Auch zur Kirchen- 1 URL der Online-Version: https: / / www.dmgh.de/ . 2 Einen groben Überblick über die wichtigsten Quellensammlungen und die Editionen der MGH bietet Goetz (2014: 96 - 109). Ein detaillierter Überblick über die Quellensammlungen mit Angabe des Inhalts der Einzelbände findet sich im Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 1: Series collectionum, Rom 1962; Addimenta (1962 - 1972), Rom 1977. 3 Chartes et diplômes relatifs à l ’ histoire de France, hg. V. d. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Paris 1908 ff. (Pippin I., Karl der Kahle, Ludwig II./ Ludwig III./ Karlmann, Odo, Karl der Einfältige, Provence, Robert und Rudolf, Ludwig IV., Lothar und Ludwig V., Philipp I., Ludwig VI., Heinrich II., Philipp II. August, Henri le Libéral). 4 Regesta chartarum Italiae, 53 Bde., Rom 1907 ff. <?page no="49"?> geschichte sind verschiedene Quellensammlungen in den vergangenen Jahrhunderten zusammengestellt worden. Eine der ältesten und wohl bekanntesten, aber in weiten Teilen bereits überholten Sammlung ist Mignes „ Patrologiae cursus completus seu bibliotheca universalis … Series latina “ (kurz: „ Patrologia Latina “ (PL), 1844 ff.); 5 eine andere Quellensammlung stellt das „ Corpus Christianorum “ dar, welches seit 1953 existiert, immer noch erweitert wird und Teile von Mignes PL ersetzt 6 (Quirin 1985: 110 - 126; Boshof/ Düwell/ Kloft 1997: 201 - 210; Goetz 2014: 96 - 109). In vielen Fällen sind diese Quellensammlungen allerdings immer noch schwer zugänglich und zu unübersichtlich, um sie systematisch und vor allem zeitsparend in Hinblick auf bestimmte Fragestellungen untersuchen zu können. Seit einigen Jahren sind Sammlungen lateinischer Originaltexte vermehrt auf CD-ROMs oder als Datenbanken im Internet verfügbar. Sie werden in vielen Fällen von Universitäten verwaltet und zur Verfügung gestellt, sind aber nicht immer für jeden kostenlos und frei nutzbar (vgl. Sehlmeyer 2002; Goetz 2014: 106). Somit existieren inzwischen zunehmend Datenbanken, die lateinische Quellen aus Spätantike und Mittelalter in digitalisierter Form anbieten, in denen zum Teil mit Hilfe der Datenbanksysteme Kookkurrenzanalysen oder zumindest lexikalische Suchen durchgeführt werden können. Eine dieser Datenbanken entstand in dem Vorgängerprojekt des Forschungsprojektes ‚ CompHistSem ‘ , in dessen Rahmen diese Dissertation entsteht. Das System soll im weiteren Verlauf des Kapitels kurz vorgestellt werden. Neben dieser Datenbank finden sich inzwischen zahlreiche andere Websites, die digitalisierte lateinische Textkorpora mit Funktionen zur Recherche zur Verfügung stellen, von denen ebenfalls die verwendeten Systeme in diesem Kapitel kurz vorgestellt werden. 4.1 Auswahl der Korpora Für den Vergleich der Ausbreitung nicht-klassisch verwendeter habere-Konstruktionen wurden zwei Diskurstraditionen gewählt, die sich in Bezug auf das Nähe/ Distanz-Modell (Koch/ Oesterreicher 1985; ²2011) möglichst unterscheiden, wie bereits in Kap. 3.4.2 erläutert wurde. Die konkrete Auswahl der vier verwendeten Korpora erfolgte mitunter aus Gründen der Verfügbarkeit. Dass 5 Jacques Paul Migne, Patrologiae cursus completus seu bibliotheca universalis … Series latina (Migne PL), 221 Bde. U. 4 Registerbde., Paris 1844 ff. 6 Corpus Christianorum. Series latina (CCL oder CCSL), hg. Von den Benediktinermönchen der Abtei St. Peter in Steenbrugge, bisher 194 Bde., Turnhout 1953 ff. 4.1 Auswahl der Korpora 49 <?page no="50"?> Korpora digital vorhanden und für lexikalische Recherchen gut aufbereitet sind, ist nicht immer der Fall und bildete die Grundvoraussetzung für die Benutzung eines Korpus. Während die Rechtstexte in einigen Ländern bereits zahlreich digitalisiert und zur Nutzung aufbereitet worden sind, laufend bearbeitet und erweitert werden, ist dies in anderen Ländern keineswegs etabliert. Ein großer Teil mittelalterlicher Urkunden befindet sich noch immer unerschlossen in Archiven. Die Predigten, die in dieser Untersuchung verwendet wurden, sind hingegen ausreichend digital zugänglich und teilweise bereits aufbereitet. Das liegt mitunter daran, dass die Schriften zum Teil bekannte Werke viel zitierter Kirchenväter sind. Die gewählte Datenbank, auf der das verwendete Korpus zu finden ist, ist allerdings nur mit einem Benutzerkonto zugänglich, welches die Zuständigen der Datenbank für wissenschaftliche Arbeiten einrichten können. Die Urkundenkorpora sind hingegen frei zugänglich. Bei der Auswahl spielte keine Rolle, wie umfassend oder groß angelegt die einzelnen Korpora sind, da der Fokus nicht auf quantitativen Ergebnissen liegt. Auch kleinere Datenbanken konnten für die Fragestellung interessante Resultate liefern. Wenn sich die Korpora in einzelnen Punkten voneinander unterscheiden, wird dies in der Analyse erwähnt und in Hinblick auf die Ergebnisse berücksichtigt. Durch die Auswahl dreier verschiedener Urkundenkorpora soll außerdem ein Vergleich innerhalb einer Diskurstradition gezogen werden. Da die Schriften zum einen aus ganz Frankreich und im Speziellen aus Burgund und zum anderen aus Norditalien stammen, besteht zudem die Möglichkeit, Unterschiede innerhalb einer Region sowie zwischen verschiedenen Regionen festzustellen. Zuletzt sei noch erwähnt, dass auf Feinheiten bezüglich der Begriffsbestimmung bei der Wahl der Korpora keine Rücksicht genommen wurde und die vorhandenen Dokumente ohne Ausschluss übernommen wurden. Somit findet sich in den Urkundenkorpora eine Mischung aus verschiedenen Arten von Urkunden, Testamenten, Zeugenaussagen, Verhandlungsprotokollen etc. Ebenso wird bei den Predigten keinerlei Unterschied verschiedener Arten von Predigten gemacht. Diese können vollständig oder in Teilen z. B. in Brief- oder Dialogform geschrieben sein. Sofern sich diesbezüglich Besonderheiten ergeben, wird das an entsprechender Stelle berücksichtigt. 4.2 Die Urkunden-Korpora Noch in heutiger Zeit sind insbesondere Schriftstücke, die der Diskurstradition der Urkunden angehören, einwandfrei und in großer Anzahl erhalten. Auch wenn nicht immer das Original überliefert ist, sind ebenso die beglaubigten 50 4 Die Korpora <?page no="51"?> Kopien rechtsgültig. Die hohe Zahl an tradierten Rechtsdokumenten ist der sorgfältigen Aufbewahrung in den Archiven zuzuschreiben, in die sie aufgrund ihres Charakters aufgenommen und gesammelt wurden. Urkunden wurden in damaliger Zeit deutlich höher geschätzt, als es heutzutage der Fall ist, in der „ der moderne Vordruck [ … ] höchstens einen Stempel aufweist und an Stelle der Unterschrift eines Kanzlers allenfalls die eines Subalternbeamten “ (Kirn 1955: 244). Diese „ fast abergläubische Hochachtung vor dem Geschriebenen “ (ebd.) im Mittelalter lässt sich dadurch erklären, dass das Lesen und Schreiben nicht jedem geläufig und den Gebildeten vorbehalten war. Dementsprechend kann dieser Diskurstradition in früherer Zeit eine viel größere Bedeutung beigemessen werden. Viele der überlieferten Urkunden stehen heutzutage digitalisiert und in Datenbanken aufbereitet im Internet zur Verfügung. Allerdings sind noch immer nicht alle Bestände aus den mittelalterlichen Archiven gänzlich erschlossen, wodurch keine vollständige Übersicht über den gesamten Bestand mittelalterlicher Urkunden vorliegt und sich nur vermuten lässt (vgl. Goetz 2014: 149 f.). Drei verschiedene Datenbanken, die rechtliche Dokumente bestimmter Regionen erfasst und aufbereitet haben, sollen in diesem Kapitel vorgestellt werden. Der vorhandene und erschlossene Bestand an Rechtsdokumenten fällt je nach Ort und Zeit unterschiedlich aus. Dass aus einigen Regionen oder Jahrzehnten mehrere Urkunden überliefert wurden, aus anderen weniger Schriften vorhanden sind, kann nach Esch (1985) als „ der ‚ normale ‘ historische Verlauf “ (ebd.: 530) bezeichnet werden, bei dem der Bestand an Schriften natürlicherweise reduziert wird. Außerdem ist anhand der Notarsimbreviaturen ersichtlich, dass die uns heute noch zur Verfügung stehenden Schriftstücke lediglich einen Bruchteil des tatsächlichen damaligen Bestandes darstellen. Was davon überlebt, ist nach Esch der Überlieferungschance und dem Überlieferungszufall zuzuschreiben. So hatten beispielsweise wichtige Dokumente, die Besitz attestierten, eine größere Chance über längere Zeit aufbewahrt und schließlich tradiert zu werden als andere, für die betroffenen Personen weniger bedeutsame Schriften. Aus diesem Grund liegen uns heutzutage zahlreiche Besitzurkunden vor. Ebenso stammt ein Großteil der Urkunden aus kirchlichem Besitz, da die Rechtstexte, die die Kirchen oder Diözesen betrafen, in deren Archiven aufgenommen und aufgehoben wurden. Die Quellen haben somit häufig einen „ klerikalen Zuschnitt “ (Goetz 2014: 110). Durch Zufall können andererseits einige Schriftstücke, die ebenfalls aus genannten Gründen aufgehoben worden wären, zerstört worden sein, zum Beispiel durch einen Brand. Andere Dokumente hingegen können durch glückliche Umstände bis in die heutige Zeit überlebt haben, obwohl sie normalerweise für die Betroffenen 4.2 Die Urkunden-Korpora 51 <?page no="52"?> nicht weiter relevant waren. Die Überlieferung ist somit ungleichmäßig und fragmentarisch (vgl. Esch 1985). Urkunden gewannen ab dem 12. Jahrhundert auch vor Gericht an Bedeutung, da sie damals schon als wichtigstes Beweisstück von Besitztümern galten. Das lässt sich einerseits an der wachsenden Zahl an Urkunden allgemein beobachten, andererseits an der Tatsache, dass wichtige juristische Belange nicht mehr nur in ein- oder zweifacher Ausfertigung festgehalten wurden, sondern sich zunehmend die Mehrfachausfertigung etablierte. Außerdem bildeten sich viele neue Urkundentypen heraus, da vorherige mündliche Absprachen vermehrt dokumentiert wurden. So trat das Tauschgeschäft verstärkt zurück und begünstigte die erhöhte Verschriftlichung von Kaufverträgen; durch die zahlreichen Käufe wiederum verschuldeten sich die Menschen, was ebenfalls zur schriftlichen Fixierung führte. 7 Des Weiteren wurden Testamente und Einkünfte neuerdings dokumentiert und Protokolle angefertigt. Die größte Verbreitung der Schriftlichkeit vollzog sich allerdings über die Pachtverträge, die es zuvor kaum, wenn überhaupt, gab. Das Pachtwesen brachte sowohl in soziokultureller als auch in rechtlicher Hinsicht einen „ tiefgreifenden Wandel “ (Behrmann 1994: 152) mit sich. Zuletzt ist die vermehrte Schriftlichkeit auch auf eine scheinbar größer werdende Anzahl gerichtlich gelöster rechtlicher Konflikte zurückzuführen. Insgesamt lässt sich als Grund des „ Überlieferungsbooms “ (Behrmann 1994: 4) rechtlicher Schriften im 12. und 13. Jahrhundert die „ wachsende[ … ] Ausrichtung des gesellschaftlichen Bewusstseins auf juristische Erfordernisse “ (ebd.: 251) anführen. Doch durch den Bevölkerungsanstieg und der damit verbundenen erhöhten Nachfrage nach Land, Wasser und Nahrung ist auch die „ Entwicklung eines ökonomischen Bewußtseins “ (Trede 2000: 122) zu beobachten. Trotz hoher Kosten für die Erstellung von Urkunden bestand ein zunehmend größer werdendes Interesse an der Verschriftlichung, um im Falle einer Auseinandersetzung eigene Besitzansprüche geltend machen zu können. Schriftliche Dokumente und deren sorgfältige Aufbewahrung dienten somit in erster Linie der „ Sicherung der neuen Rechtsverhältnisse “ (ebd.: 2). Es bildete sich insgesamt ein „ neuer, bewußterer Umgang mit schriftlichen Aufzeichnungen “ (ebd.: 36) heraus, zumal einige Schriftstücke trotz ihrer Abgeschlossenheit zum Teil noch jahrelang aufbewahrt und bis in die heutige Zeit überliefert wurden (vgl. Behrmann 1994; Trede 2000). Die Beurkundung erfolgte im späteren Mittelalter oftmals schon durch einen Notar (notarius), der im Auftrag des Ausstellers schrieb. Es war aber keine 7 Im Gegensatz zu den Kaufverträgen wurden Schuldurkunden nur in einfacher Ausfertigung erstellt, was sich aus ihrer Bedeutung heraus erklärt, da an der Rückzahlung der Schulden in erster Linie die Gläubiger interessiert waren (vgl. Behrmann 1994: 133 - 152). 52 4 Die Korpora <?page no="53"?> Pflicht einen solchen zu beauftragen. An einem rechtlichen Dokument waren immer zwei Personen oder Parteien beteiligt: Aussteller und Empfänger. Diese konnten identisch sein, wenn der oder die Aussteller einen schriftlichen Beweis für sich selbst festhalten wollte. Eine dritte Person stellte gegebenenfalls der Schreiber dar. Die Dokumente konnten entweder subjektiv aus Sicht des Ausstellers formuliert werden, wenngleich der Aussteller nicht der Schreiber war, oder objektiv in der dritten Person. Sie wurden auf Latein verfasst, da das Lateinische als Rechtssprache galt. Sie spiegelt somit oftmals nicht die Sprache derer wider, die die Urkunde aufsetzen ließen. Es ist aber anzunehmen, dass bereits einige Wendungen der Volkssprachen Einzug in die lateinische Urkundensprache nahmen. Rechtsdokumente, die in den Volkssprachen geschrieben wurden, existieren erst ab dem 12./ 13. Jahrhundert, wobei England eine Ausnahme bildet, da dort bereits Urkunden in Altenglisch aus früherer Zeit überliefert wurden (vgl. Bresslau 1969: 4 f.; Vogtherr 2008: 35 - 42, 75 - 80). Die mittelalterliche Urkunde bedient sich, wie Goetz erläutert, einer gewissen Form und antiker Vorlagen: „ Es macht das Wesen der Urkunde aus, dass sie nach festen, aus der spätrömischen Tradition stammenden, aber nach Aussteller, Ort und Zeit wechselnden Formen erstellt wurde. “ (Goetz 2014: 158). Auch wenn einige Neuerungen Einzug in das mittelalterliche Urkundenwesen erhalten haben, sind dennoch Spuren des ursprünglich römischen Typs zu erkennen. So werden beispielsweise die späteren Rechtsdokumente in zwei Gruppen eingeteilt: notitia und carta. Erstere beinhalten Rechtsgeschäfte, die nachträglich schriftlich fixiert werden und als Beweisurkunden bezeichnet werden können; sie bezeichnen tatsächlich vollzogenes Recht. Letztere hingegen sind so genannte dispositive Urkunden, die einen zukünftigen Vorgang festsetzen; ob deren Umsetzung wirklich vollzogen wurde, lässt sich aus der Urkunde meist nicht erschließen. Allerdings gibt es Abweichungen und Fälle, in denen die Bezeichnungen nicht sorgfältig getrennt werden können. Zu den Beweisurkunden zählen außerdem brevia und memoratoria und zu den dispositiven Urkunden gehören auch testamenta und epistolae. Die Form des Briefes wurde ebenfalls für Rechtsdokumente gewählt. Die Begriffe wurden allerdings nicht lange sauber getrennt. Bereits ab dem 9. Jahrhundert wurde der Sprachgebrauch ungenau. Oftmals wurden carta, cartula und notitia als allgemeine Bezeichnungen für Urkunden verwendet (vgl. Bresslau 1969: 49 - 52; Goetz 2014: 149 - 157). Des Weiteren werden mittelalterliche Urkunden nach ihren Ausstellern unterschieden. Es existieren die Königs-, die Papst- und Privaturkunden. Sie alle folgten in der Regel strengen formalen Vorschriften, wobei allerdings die 4.2 Die Urkunden-Korpora 53 <?page no="54"?> Privaturkunden häufig von der Form abwichen. Eine Urkunde wird in zwei Hauptbestandteile aufgeteilt: dem Text oder Kontext und dem Protokoll. Der Text/ Kontext bildet den mittleren Teil und ist der Hauptteil, der das eigentliche Rechtsgeschäft beinhaltet. Protokoll nennt man die Formeln am Anfang und am Ende der Urkunde. Dabei werden die Anfangsformeln als Protokoll im eigentlichen Sinne bezeichnet und die Schlussformeln als Eschatokoll. Am Beispiel der Königsurkunde sei hier ein typischer innerer Aufbau mittelalterlicher Urkunden vorgestellt, deren Bestandteile in den vorhandenen Urkunden allerdings nicht immer zwingend vollständig sind oder ineinander verschränkt sein können: • Das Protokoll: Die Urkunde beginnt mit einem vorangestellten Protokoll, das dreierlei beinhaltet. Zunächst wird in der Invocatio die religiöse Absicht des Rechts erläutert, die oftmals durch die Formel „ in nomine sanctae et individuae trinitatis “ ausgedrückt wird. Es folgt die Intitulatio, die auf die Gnade Gottes verweist und die Auftraggeber des Dokumentes nennt. Diese wird in vielen Fällen durch den Ausdruck „ Dei gratia “ oder „ divina favente “ kundgetan und als Devotionsformel bezeichnet. Zuletzt offenbart die Inscriptio die Empfänger, die jedoch nicht in jedem Fall genannt werden können. Das Protokoll kann in verschiedenen Urkunden wortgleich sein, da es formelhaft ist, sofern die Urkunden denselben Aussteller nennen. • Der Kontext: Der Hauptteil der Urkunde beginnt mit der Arenga, die eine Begründung der Urkundentätigkeit liefert. Es folgt die Promulgatio, in der verkündet wird, dass der Inhalt des Rechtsdokumentes bekannt gemacht werden soll. In der Narratio werden die Umstände und gegebenenfalls die Vorgeschichte beschrieben, bis schließlich in der Dispositio der eigentliche Rechtsvorgang konkretisiert wird. Diese stellt somit den Mittelpunkt der Urkunde dar. Danach folgen im Hauptteil noch die Sanctio, in der oft formelhaft die Bestrafung im Falle des Nicht-Einhaltens festgehalten wird, sowie die Corroboratio, in welcher ebenfalls formelhaft Beglaubigungsmittel aufgezählt werden, der Siegelbefehl gegeben wird und eventuelle Zeugenlisten angehängt werden. • Das Eschatokoll: Den Abschluss der Urkunde bildet das Eschatokoll. Dieses enthält die Signumszeile, Subscriptiones genannt, die sämtliche Unterschriften aufweist, ein mögliches Erkennungszeichen des Ausstellers, was als Recognitio bezeichnet wird, sowie das Ausstellungsdatum und eine abschließende Apprecatio, den Segenswunsch. Die Königsurkunden wurden außerdem nach Diplomen (später Privilegien) und Mandaten unterschieden, dies ist jedoch ab dem 12. Jahrhundert nicht immer klar zu erkennen. Natürlicherweise gab es zwischen den einzelnen 54 4 Die Korpora <?page no="55"?> Ländern Abweichungen. Die Papsturkunden ähnelten bezüglich des inneren Aufbaus den Königsurkunden. Sie wurden allerdings häufig in Briefform verfasst. Eine deutliche Ausnahme bilden die Constituta, in denen die Verhandlungen und Beschlüsse der Synoden festgehalten wurden. Die Privaturkunden orientierten sich an den Königsurkunden, enthielten aber oftmals nicht alle Bestandteile. In späterer Zeit wurden außerdem oftmals Zeugen der Beurkundung nach dem Kontext aufgelistet. In einigen Dokumenten finden sich dementsprechend lange Unterschriftenlisten (vgl. Bresslau 1969: 45 - 85; Vogtherr 2008: 63 - 73; Goetz 2014: 158 - 161). 4.2.1 Französische Urkunden (TELMA) Die französische Datenbank TELMA ( „ Traitement électronique des manuscrits et des archives “ ) des französischen Forschungszentrums CNRS bietet Zugang zu 4927 digitalisierten „ Chartes originales antérieures à 1121 conservées en France “ . 8 Die Homepage umfasst sämtliche Arten von Urkunden seit Beginn des 7. Jahrhunderts, 9 wie beispielsweise Urkunden über Schenkungen, Käufe oder Testamente. Diese sollen bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich in Frankreich verfasst worden sein. 10 Die Wahl der Begrenzung der veröffentlichten Urkunden auf das Jahr 1121 11 begründen die Urheber: innen der Datenbank mit ihrer Kenntnis über zahlreiche Abschriften seit den 1120er-Jahren durch das Zisterzienserkloster und das Kloster von Prémontre. Auf dieser Homepage sollen aber - soweit es im Bereich des Möglichen liegt - keine Duplikate veröffentlicht werden. Es kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass zweifelhafte oder sogar gefälschte Dokumente unter den Digitalisaten seien. Dennoch möchten die Betreibenden der Website die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur lexikalischen Suche zur Verfügung stellen. 12 Die Datenbank TELMA bietet eine öffentliche Suchfunktion an, mit deren Hilfe nach Wortformen im Text gesucht werden kann. Die Suche kann zudem 8 Die Datenbank weist insgesamt 4932 Dokumente auf, von denen fünf ohne Inhalt sind. 9 Vier der 4927 Dokumente stammen aus früherer Zeit (aus den Jahren 324, 450, 564 und 575). Die Dokumente häufen sich erst ab dem Jahr 620, sodass es sinnvoller erscheint, den Beginn auf das 7. Jahrhundert zu datieren. 10 342 Urkunden wurden nachweislich außerhalb Frankreichs ausgestellt: Die meisten davon im heutigen Deutschland (151 Urkunden) und Italien (138 Urkunden), was durch die Ausdehnung des Frankenreiches zu erklären ist (zum Frankenreich, vgl. Schneider 2001). Des Weiteren stammen 27 Dokumente aus Belgien, 12 aus der Schweiz, 7 aus Großbritannien, 4 aus Spanien und 3 aus den Niederlanden. 11 Es finden sich dennoch 171 Dokumente aus den Jahren 1122 bis 1200. 12 Diese Informationen geben die Urheber: innen der Datenbank auf ihrer eigenen Homepage (URL: www.cn-telma.fr/ originaux/ index/ ; Stand 2016). 4.2 Die Urkunden-Korpora 55 <?page no="56"?> verfeinert werden, beispielsweise durch die Eingrenzung auf einen bestimmten Zeitraum und/ oder durch die Eingabe einer Diözese oder weiterer Suchangaben. 13 4.2.2 Burgundische Urkunden (CBMA) Ergänzend zu den französischen Originalurkunden, die sich in der französischen Datenbank TELMA befinden, bietet die von Nicolas Perreaux aufgebaute Datenbank CBMA ( ‚ Chartae Burgundiae Medii Aevi ‘ ) 14 für burgundische Urkunden viele weitere Dokumente zur Untersuchung. Der Bestand umfasst insgesamt 12.756 Urkunden oder andere rechtliche Dokumente, wie beispielsweise Testamente, aus dem 6. bis 17. Jahrhundert, sowie einige undatierte Schriften aus der Region Burgund. Die Website wurde ursprünglich von Perreaux eingerichtet, um korpuslinguistische Suchanfragen für seine bereits eingereichte Dissertation schneller zu bearbeiten. 15 Es ist möglich, z. B. anhand des Titels, des Jahres oder des Autors nach Urkunden zu suchen oder nach einzelnen Wörtern oder Sätzen. Diese Suchfunktionen und das gesamte, von ihm genutzte Korpus stellte Perreaux anschließend der Öffentlichkeit zur Verfügung. Inzwischen hat das ‚ ARTFL Project ‘ ( ‚ Project for American and French Research on the Treasury of the French Language ‘ ) die Datenbank übernommen, eine Zusammenarbeit des französischen Centre National de la Recherche Scientifique und der Univerity of Chicago. 16 Die Untersuchung wurde im Jahr 2016 in der ursprünglichen Datenbank von Perreaux durchgeführt. Um Doppelungen auszuschließen und die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wurden für die Untersuchung der burgundischen Urkunden als Ergänzung zu den französischen Urkunden der Datenbank TELMA vorab einige Dokumente aussortiert. Zunächst wurden 464 jüngere Dokumente, die nach dem Jahr 1300 entstanden sind, ausgeschlossen, sodass sich der Zeitraum auf das 6. bis 13. Jahrhundert begrenzen lässt. Außerdem wurden 688 weitere Urkunden der Datenbank CBMA nicht in die Untersuchung aufgenommen, da diese teilweise ohne Inhalt sind, derselbe Inhalt zwei- oder mehrfach in der Datenbank selbst erscheint oder bereits in der Datenbank 13 Es kann nach den folgenden Angaben gesucht werden: Nummer des Dokuments (nummeriert durch die Betreiber der Datenbank), Ort der Aufbewahrung der Urkunde, Genre, Originalität der Urkunde, Datum, Ort der Ausstellung, Region der Ausstellung, Diözese, Material, Überlieferungszustand, Siegel, Autor und/ oder Begünstigter. 14 URL: http: / / philologic.cbma-project.eu/ ; Stand August 2016. 15 Perreaux erforschte ‚ Wasser ‘ als semantisches Feld in den burgundischen Urkunden. 16 URL: https: / / artfl-project.uchicago.edu/ . 56 4 Die Korpora <?page no="57"?> TELMA vorhanden ist und somit schon untersucht wurde. Dadurch ergibt sich ein Korpus, das insgesamt 11.604 Urkunden umfasst. 4.2.3 Langobardische Urkunden (CDL) Die Zeit vom 8. bis 12. Jahrhundert ist in Norditalien vom allgemeinen Anstieg der Schriftlichkeit geprägt, der auch in den ländlichen Regionen zu beobachten ist. Italien bietet aufgrund der bis in die Antike reichenden Schrifttradition „ für Forschungen über mittelalterliche Schriftlichkeit ein besonders ergiebiges Untersuchungsfeld “ (Behrmann 1994: 2). Insbesondere die Textgattung ‚ Urkunde ‘ war wegen ihrer zentralen soziokulturellen Bedeutung stark verbreitet und weitete sich zunehmend aus. Die Homepage „ Codice diplomatico della Lombardia medievale “ (kurz: „ Codice diplomatico “ oder CDL) 17 beinhaltet ‚ documentazione ‘ aus dem 8. bis 12. Jahrhundert aus den Kirchen, Klöstern und Kanzleien der Lombardei, welche nach ihrer Herkunft geordnet zu finden sind. Sie entstand im Jahr 2000 im Rahmen eines Projektes der Università di Pavia unter der Leitung von Michele Ansani. Die Seite bietet ein großes lateinisches Korpus, das laut den Betreibern der Website weder chronologisch noch von der Qualität her als homogen bezeichnet werden kann, welches aber der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist. Die Betreiber der Homepage greifen bei der Zusammensetzung ihres Korpus auf bereits bestehende Editionen zurück, wie beispielsweise die „ Codice diplomatico langobardo “ (1929; 1933) von Luigi Schiaparelli und weitere Ausgaben. Sie stellen erstmals eine digitale Version zur Verfügung. Die Website wurde seit ihrer Entstehung fortan überarbeitet, mit neuen Funktionen ausgestattet und um weitere Dokumente ergänzt. Für die Nutzer: innen stehen zwei Suchfunktionen zur Verfügung: Die ‚ ricerca semplice ‘ ermöglicht die schnelle Suche nach einzelnen Wörtern innerhalb der Dokumente; die ‚ ricerca avanzata ‘ gestattet zusätzlich eine gezieltere Suche nach Personen, Institutionen, Regionen und/ oder einem konkreten Zeitraum. 18 Der CDL umfasst insgesamt 5555 Dokumente, die sieben Regionen innerhalb der Lombardei zugeordnet sind. 19 17 URL: http: / / www.lombardiabeniculturali.it/ cdlm/ . 18 Alle Informationen zum Projekt und zur Website „ Codice diplomatico della Lombardia medievale “ der Università di Pavia sind auf der Homepage (URL: http: / / www.lombardiabeniculturali.it/ cdlm/ ) nachzulesen. 19 Die Dokumente sind folgendermaßen unterteilt: ‚ area bergamasca ‘ (798 Dokumente), ‚ area bresciana ‘ (590 Dokumente), ‚ area comasca ‘ (216 Dokumente), ‚ area cremonese ‘ (445 Dokumente), ‚ area lodigiana ‘ (377 Dokumente), ‚ area milanese ‘ (2070 Dokumente), ‚ area pavese ‘ (1059 Dokumente). 4.2 Die Urkunden-Korpora 57 <?page no="58"?> Sofern Verweise auf bestimmte Dokumente aus dem Gesamtkorpus der langobardischen Urkunden der Universität Pavia gegeben werden, bauen sich diese folgendermaßen auf: Region + Archiv + Dokumentennummer. Die Region wird dabei auf die beiden Anfangsbuchstaben gekürzt (z. B. MI für ‚ area milanese ‘ ), die Nummerierung ist der Datenbank entnommen. Sämtliche Verweise auf Urkunden können auf der Homepage unter gleicher Einteilung nachvollzogen werden. 20 4.3 Das Predigtenkorpus Die ersten ‚ echten ‘ Predigten tauchten im 2. Jahrhundert auf, obgleich uns heutzutage nur eine geringe Anzahl aus dieser Zeit bekannt ist, auch wenn das Predigen bereits selbstverständlich war. „ Eigentlich gibt nur Origines ( † 253/ 4) uns ein wirklich individuelles Bild eines Predigers aus dieser Zeit. “ (Schütz 1972: 11). Er habe oft täglich gepredigt, die meisten seiner Predigten habe er zudem aus dem Stegreif gehalten, während Stenographen sie mitgeschrieben haben. Die Niederschriften wurden später von Hieronymus, Rufin und Hilarius von Poitiers ins Lateinische übersetzt, entsprechen jedoch nicht immer dem griechischen Originaltext (vgl. Schütz 1972: 8 - 14). Es existierten zu Beginn zwei Arten von Predigten nebeneinander, sermo und homilia, wobei letzteres als allgemeines Wort für Predigt galt: „ Homilie ist stets eine Predigt, welche wesentlich Texterklärung ist, und Sermon eine solche, welche mit oder ohne Text einen besonderen Gegenstand behandelt “ (Cruel 1966: 2; vgl. ebd.: 2 - 5). Als Predigt wurde die Ansprache des Predigers an seine Zuhörenden verstanden. Dabei war weder der Inhalt der Ansprache noch die Identität des Predigers oder seiner Zuhörer von Bedeutung. Durch die viel verbreiteten Schriften der Kirchenväter Augustinus von Hippo und Ambrosius von Mailand wurde der Begriff etabliert als „ leading technical term for the message of instruction or exhortation delivered by a Christian preacher within the context of public worship “ (Hall 2000: 204). Mit der großen Produktivität der Kirchenväter ab Beginn des vierten Jahrhunderts wurden Sammlungen angelegt, die von einfachen Priestern als Predigtvorlagen verwendet werden konnten. Teils wurden Sammlungen einer Person zusammengestellt, teils Sammlungen mit Schriften mehrerer Schreiber 20 URL: http: / / www.lombardiabeniculturali.it/ cdlm/ edizioni/ . 58 4 Die Korpora <?page no="59"?> und teils existierten nur vereinzelte Kopien der Gesamtwerke, die zu einer Sammlung zusammengefasst wurden. Die Geschichten hinter diesen Sammlungen zu verstehen, ist oftmals schwierig, da sie sehr komplex und undurchsichtig sind. Verschriftlicht wurden die Predigten in dieser Zeit oftmals von Stenographen, die tatsächlich vorgetragene Predigten mitschrieben. Von sogenannten librarii wurden sie lesbar abgeschrieben und zu Sammlungen zusammengefasst (vgl. Schütz 1972: 36 f.). Inhaltlich drehten sich viele Predigten um Sünden und nicht-christliche Sichtweisen sowie die Lösungen daraus. Gelegentlich lassen sich in unterschiedlichen Regionen unterschiedliche Denkweisen oder Handhabungen entdecken. Teilweise spiegeln sich in den Predigten politische und soziale Themen wider (vgl. Hall 2000). Große Bedeutung hatten für die Predigten die Reformen Karl des Großen im 8./ 9. Jahrhundert, die zudem zu „ a virtual explosion of sermon-writing and collecting activity “ (Hall 2000: 221) führten. In dem Capitulare (789) und der Admonitio generalis (802) wird festgelegt, dass eine regelmäßige Predigt gehalten werden muss, die vorgeschriebenen Themen entsprechen muss. Dadurch waren neue Predigten und Predigtsammlungen für jeden Priester vonnöten (vgl. Schütz 1972: 46 - 48; Hall 2000). Ab dem 12. Jahrhundert lässt sich die Predigt konkreter nach Inhalt und Aufbau definieren. Außerdem werden zum einen die klösterlichen Predigten und zum anderen die Predigten der Lehrmeister und Kanoniker unterschieden. Erstere wurden ausschließlich von Mönchen und Äbten gehalten, ggf. von Nonnen oder Äbtissinnen (z. B. in Frauenklöstern). 21 Die klösterliche Predigt im 12. Jahrhundert beginnt in der Regel mit einer biblischen oder liturgischen Lesung, anschließend werden ein oder zwei Schlüsselwörter aufgegriffen und analysiert. Die Lesung ist stets der Ausgangspunkt der Predigt. Sie betrifft das Leben im Kloster und in nur wenigen Fällen das Leben außerhalb der Kirche. Kienzle zeigt dazu einen beispielhaften Aufbau der klösterlichen Predigt (Kienzle 2000: 285): • Biblische oder liturgische Lesung (teilweise paraphrasiert oder Rückblick auf frühere Predigt) • Feststellung der liturgischen Saison/ Feiertag • Erarbeitung des Hauptaspekts durch folgende Methoden: - Interpretation der Bedeutung einzelner Sätze/ Wörter - Referenzen zu anderen Schriften durch Wortassoziation - Relevanz für das monastische Leben 21 Ob auch weibliche Kirchenmitglieder Predigten verfassten oder hielten, ist nicht genau bestimmbar, zumindest aber nicht auszuschließen (vgl. Kienzle 2000: 288 f.). 4.3 Das Predigtenkorpus 59 <?page no="60"?> - Gelegentlicher Gebrauch anderer Quellen: Hagiographie, exempla, Bastiarium • Ermahnung zur Anwendung der Botschaft ins eigene Leben • Erarbeitung eines weiteren Aspekts • Ermahnung • Erarbeitung eines dritten Aspekts etc. • Ermahnung • Finales Gebet und/ oder Lobgesang Wie die Predigten entstanden und niedergeschrieben wurden, lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen. Teilweise ist erkennbar, dass ein Zuhörer eine Unterhaltung oder einen Monolog nachträglich niedergeschrieben hat, teilweise ist aber darauf zu schließen, dass es sich eher um ein literarisches Werk handelt, aus dem allenfalls kleinere Passagen tatsächlich mündlich vorgetragen wurden. Ein Hinweis darauf kann schon die Länge oder die Komplexität der Predigt liefern, im Gegensatz dazu muss die Ansprache einer zweiten Person nicht zwangsläufig bedeuten, dass ein mündlicher Diskurs stattgefunden hat. Auch die Sammlung verschiedener Predigten verlief immer noch sehr unterschiedlich. Zum Teil wurden bereits spezielle Predigtbücher zusammengestellt, teilweise finden sich einige Predigten innerhalb von Briefen. Zumindest bestand in dieser Zeit bereits ein sehr schneller und reger Austausch der Schriften zwischen verschiedenen Klöstern. Inhaltlich handelten die Predigten vorrangig vom monastischen Leben und gaben Anweisungen für das gute monastische Leben, nur selten hatten sie außermonastische Einflüsse (vgl. Kienzle 2000). Die Predigten der Lehrmeister und Kanoniker, die neben den monastischen Predigten im 12. Jahrhundert existierten, müssen separat betrachtet werden. Sie unterscheiden sich insbesondere inhaltlich voneinander, aber auch in Bezug auf die Adressaten und den formalen Aufbau. Überwiegend handelten sie von Tugenden und Laster, ein aufkommendes dominantes Thema war zudem die ‚ Imitatio Christi ‘ . Theologische Kontroversen oder zeitgenössische Geschehnisse erhielten keinen oder nur sehr wenig Raum in den Predigten, sie fokussierten sich vielmehr auf spirituelle Themen. Die außermonastischen Schreiber richteten ihre Schriften immer häufiger an Laien und nutzten sie für säkuläre Zwecke, jedoch waren die Adressaten nach wie vor in den meisten Fällen Geistliche. Wer angesprochen war, lässt sich oft nur über den Titel erkennen (z. B. ad cleros). Ausgangspunkt bildete eine biblische Textpassage, von der allerdings beispielsweise durch Allegorien oder Wortassoziationen schnell Abstand genommen wurde, während der Schreiber den Blick auf das eigentliche Thema richtete. Oftmals wurde im weiteren Verlauf ein weiteres 60 4 Die Korpora <?page no="61"?> biblisches Zitat eingefügt, das der Predigt einen zweiten Schwerpunkt gab. Immer häufiger wurden zudem Exempla gebraucht und teilweise sogar in Reimformen geschrieben. Durch gleiche Quellen, verwandte Themen und eher homogene Adressaten sind sich die Predigten der Lehrmeister und Kanoniker auch ohne spezielles Regelwerk oder Formeln ähnlich. Ob die Schriften tatsächlich vorgetragen wurden, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Ebenfalls kann aber vermutet werden, dass sehr lange Predigten wahrscheinlich nicht mündlich vorgetragen wurden. Die niedergeschriebenen Predigten dienten als Vorlagen für andere Prediger jener und der nachfolgenden Zeit, auch wenn die Ausbreitung und Aufbereitung in Sammlungen sich in diesem Fall sehr unterschiedlich gestaltete. Wiederum existierten Sammlungen in großen Editionen, teilweise waren sie nach Autoren gesammelt oder in einer Sammlung von Einzeltexten verschiedener Autoren, andererseits tauchten sie zerstückelt und ohne Namen und Datum auf (vgl. Zier 2000). 4.3.1 eHumanities Desktop Der eHumanities Desktop 22 , welcher in einem interdisziplinären Forschungsprojekt 23 mehrerer Universitäten entstanden ist und fortlaufend erweitert und bearbeitet wird, bietet registrierten Nutzer: innen 24 Zugriff auf unterschiedliche spätlateinische Texte. Neben der digitalisierten ‚ Patrologia Latina ‘ und der MGH enthält es verschiedene Korpora spätlateinischer Urkunden, Heiligenviten und Gesetzestexte sowie einzelne Texte aus der Antike, Spätantike und dem Mittelalter. Darunter befinden sich außerdem 308 Dokumente, die von Linguist: innen und Historiker: innen des Projektes in Kooperation als Predigten klassifiziert wurden. Diese wurden von 146 nachgewiesenen 25 verschiedenen christlichen Autoren aus dem 4. bis 13. Jahrhundert verfasst, die zum Teil bekannte Kirchenväter waren. Der eHumanities Desktop stellt einige umfangreichere Recherchefunktionen zur Verfügung. Neben der einfachen Suche nach einer Wortform kann eine expandierte Suche unter dem Lemma nach ausgewählten verschiedenen Wortformen des Lemmas in Anspruch genommen werden. Dabei können abwei- 22 URL: hudesktop.hucompute.org; für ausführlichere Beschreibungen, vgl. Gleim/ Mehler/ Waltinger/ Menke 2009; Gleim/ Warner/ Mehler 2010. 23 Das Projekt vereinigte drei romanistisch-linguistische, ein historisches und ein texttechnologisch/ informatisches Teilprojekt. 24 Die Datenbank ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Eine Registrierung erfolgt nur auf Anfrage. 25 34 Dokumente konnten keinem Autor zugeordnet werden und bei 31 weiteren Predigten ist ein mutmaßlicher Autor im System hinterlegt. 4.3 Das Predigtenkorpus 61 <?page no="62"?> chende Schreibformen des Lemmas oder seiner Wortform direkt berücksichtigt werden. Des Weiteren ist es möglich, Kookkurrenzanalysen durchführen zu lassen, wodurch sich beispielsweise die Häufigkeit des Auftretens des lateinischen Verbs habere mit Partizipien oder Infinitiven bestimmen lässt. Für die Durchführung einer expandierten Lemma-Suche oder einer Kookkurrenzanalyse ist es allerdings vorteilhaft, wenn das verwendete Korpus bereits vollständig - oder zumindest in großen Teilen - annotiert ist, um die Korrektheit und Vollständigkeit der Suchen und Analysen zu sichern. Das System soll im nächsten Kapitel in Bezug auf die Kookkurrenzanalyse noch ausführlicher vorgestellt werden (vgl. Gleim/ Waltinger/ Ernst/ Mehler/ Feith/ Esch 2009; Gleim/ Mehler/ Waltinger/ Menke 2009). 62 4 Die Korpora <?page no="63"?> 5 Methodischer Hintergrund 5.1 Lateinische Korpuslinguistik Dank des Internets wurden in den letzten Jahren immer mehr lateinische Texte einem breiten Publikum zugänglich und für Untersuchungen nutzbar gemacht. Fortwährend kommen immer neue digitalisierte Schriftstücke in lateinischer Sprache hinzu. Mit Hilfe des Computers können heutzutage spezielle Suchanfragen sofort bearbeitet und Ergebnisse schnellstmöglich angezeigt werden. McGillivray bezeichnet den Fortschritt der Computerlinguistik als „ new way of looking at language “ (McGillivray 2013: 5). Die früher sehr aufwendige Forschung, beispielsweise nach bestimmten Phänomenen der lateinischen Sprache, in gedruckten Büchern gehört dadurch längst der Vergangenheit an. Denn „ Latin (and Historical) Liguistics can benefit hugely from a computationallyoriented motivation in its methods “ (ebd.: 3). Auch wenn inzwischen zahlreiche lateinische Texte online zu finden sind, ist bisher nur eine dürftige Anzahl an Tools verfügbar, die automatisierte Analysen erstellen können. Dies liegt zum Beispiel daran, dass die lateinische Sprache eine sehr umfangreiche Morphologie und eine teilweise freie Syntax hat, wodurch die Erstellung eines Tools einen wesentlich größeren Aufwand erfordert als es beispielsweise für die englische Sprache der Fall ist. Hinzu kommt, dass lateinische Texte aus verschiedenen Jahrhunderten verfügbar sind und mit diesen Programmen bearbeitet werden sollen. Da sich die lateinische Sprache natürlicherweise im Laufe der Zeit veränderte, müssen viele verschiedene Neuerungen oder altertümliche Ausdrücke berücksichtigt werden. Zuletzt ist ein kommerzieller Aspekt Schuld daran, dass für das Lateinische wenig Programme zu Verfügung stehen. Während Tools für moderne Sprachen in ganz unterschiedlichen Bereichen genutzt werden können, besteht das Interesse an Analysen der lateinischen Sprache vorwiegend unter Historiker: innen und Altphilolog: innen. Die Programme werden somit nur von einem kleinen Teil genutzt. Barbara McGillivray stellt in ihrer Monographie „ Methods in Latin Computational Linguistics “ (2013) die verfügbaren Tools für die lateinische Sprache vor und gibt Hinweise für die Erstellung solcher Tools. Anhand „ a corpus-based foray into Latin preverbs “ (ebd.: 127) demonstriert und kommentiert McGillivray eine korpuslinguistische Untersuchung (vgl. McGillivray 2013). <?page no="64"?> Durch die Nutzung computerliguistisch aufgebauter Korpora werden natürlich nicht nur der Arbeitsaufwand des manuellen Durchsuchens gedruckter Literatur ausgeräumt, was bereits eine große Arbeitserleichterung darstellt, sondern weitergehende, schnellere und zuverlässigere Analysen zugelassen, was einen „ ernormen Erkenntnisgewinn “ (Frank-Job 2011: 12) bedeutet. Die Voraussetzung für die umfangreiche Nutzung ist allerdings, dass das Korpus vollständig aufbereitet ist. Dafür ist zunächst grundlegend, dass es lexikalisch annotiert ist, wofür bereits Lexika zur Nutzung zur Verfügung stehen (vgl. McGillivray 2013: 31 - 60). Des Weiteren müssen alle morphologischen und syntaktischen Informationen vorliegen. Auch Valenz ist „ a central topic in the investigation of computational approaches to Latin verbs “ (ebd.: 32). In diesem Punkt liegt zugleich eine gewisse Problematik, da heutzutage Muttersprachler: innen fehlen und man Valenzen nur anhand der zur Verfügung stehenden lateinischen Literatur festlegen kann, die dadurch nicht zwangsläufig gesichert sein müssen (vgl. ebd.). Es stehen inzwischen einige Datenbanken zur Verfügung, die Korpusanalysen lateinischer Texte ermöglichen. Leider können viele dieser Systeme bisher keine aufwendigeren automatisierten Anfragen bearbeiten, wie beispielsweise Kookkurrenzanalysen, die über die Suche nach einzelnen Formen hinausgehen, da zu diesem Zweck oft noch morphologische und/ oder syntaktische Annotationen fehlen. Die Aufbereitung eines vollständig annotierten Korpus von beachtlicher Größe erfordert sehr großen Arbeitseinsatz vieler Mitarbeiter: innen und die enge Zusammenarbeit von Informatiker: innen und Linguist: innen bzw. Latinist: innen. Für ein vollständig annotiertes Korpus ist nämlich einerseits die Zuordnung einer flektierten Form zu einem Lemma notwendig, die durch ein Computersystem automatisiert erfolgen kann. Dafür müssen jedoch die nötigen lexikalischen Informationen vorliegen und alle Flexionsendungen dem System bekannt sein, um sie zuordnen zu können. Es ist andererseits notwendig, dass mögliche Doppelungen bei Flexionsendungen unter Beachtung der Syntax und Valenz einer einzigen Form zugeordnet werden. Um das anhand eines Beispiels zu verdeutlichen, wird angenommen, dass in einem lexikalisch gut aufbereiteten System die Wortform scriptum innerhalb eines Satz annotiert werden soll. Folgendes könnte anhand des Lexikons bestimmt werden: 64 5 Methodischer Hintergrund <?page no="65"?> als Substantiv: scriptum, i n.: Nom. Sg. scriptum, i n.: Akk. Sg. als Adjektiv: scriptus, a, um: Akk. Sg. m. scriptus, a, um: Nom. Sg. n. scriptus, a, um: Akk. Sg. n. als Partizip Perfekt Passiv: scribere, scribo, scripsi, scriptum: PPP Akk. Sg. m. scribere, scribo, scripsi, scriptum: PPP Nom. Sg. n. scribere, scribo, scripsi, scriptum: PPP Akk. Sg. n. als Supinum: scribere, scribo, scripsi, scriptum: Supinum I Tab. 4: Beispiel lexikalische Annotation der Form scriptum Das System würde in diesem Fall acht mögliche Annotationsvorschläge machen. Ob das Beispiel scriptum aber als Substantiv, Adjektiv oder vom Verb scribere abgeleitet als Partizip oder Supinum verwendet wird, lässt sich nur anhand weiterer syntaktischer Informationen und ggf. nur aus dem Zusammenhang erschließen (vgl. Kap. 6.2). Das System müsste für solch eine Zuordnung zahlreiche weitere Informationen zu verschiedenen Wortformen und ihrer Satzfunktionen kennen. Alternativ müsste ein: e Sprachkundige: r manuell die vom System zugeordneten Doppelungen sichten und die entsprechend passende Form auswählen. Vielleicht lässt dieses Beispiel bereits erkennen, was für ein großer Arbeitsaufwand die Erstellung und Aufbereitung eines vollständig annotierten lateinischen Korpus ist (vgl. McGillivray 2013). Da ein solches Datenbanksystem in dieser Vollständigkeit zu den untersuchten Korpora bisher nicht existiert, bleibt für eine verlässliche Analyse in dieser Arbeit in vielen Fällen nur der manuelle Weg. Wie in dieser Untersuchung methodisch vorgegangen wurde, soll im Folgenden erläutert werden. 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung Da in den meisten verwendeten Datenbanken entsprechende Funktionen fehlen, die automatisierte Kookkurrenzanalysen ermöglichen, musste in dieser Untersuchung die Durchsicht der automatisiert ermittelten Textstellen von habere manuell vorgenommen werden. Das war in allen zusammengestellten Korpora der Fall. Anhand des Korpus der französischen Originalurkunden (TELMA) soll das Vorgehen kurz veranschaulicht werden: Zu Beginn wurden einfache Wortsuchanfragen in den Systemen gestellt (vgl. Abb. 5 und 6), um das Vorkommen sämtlicher Konjugationsformen des Verbs 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung 65 <?page no="66"?> habere zu ermitteln. Die angezeigten Ergebnistextstellen wurden zur Sicherung in einer Tabelle abgespeichert (vgl. Tab. 5). 1 Ebenso wurde das Vorhandensein aller gängigen bekannten, abweichenden Graphemvarianten der Formen von habere mit Hilfe der Wortsuche überprüft und die gefundenen Textstellen ebenfalls gesichert. Dazu zählten insbesondere Graphemvarianten, bei denen das anlautende h fehlt, welche vor allem in den Dokumenten aus Frankreich gehäuft auftauchten, sowie Graphemvarianten, bei denen das e durch i oder b durch v ersetzt wurde. Auch andere Wortformen, die möglicherweise durch Rechtschreibfehler oder schlechte Handschriften entstanden sind, wurden nach Möglichkeit berücksichtigt. 2 Die folgenden zwei Abbildungen zeigen beispiel- Abb. 5: Suchfunktion der französischen Datenbank TELMA; URL: http: / / telma.irht.cnrs. fr/ outils/ originaux/ recherche/ 1 Zum Zeitpunkt der Bearbeitung des Korpus wurde auf der Ergebnisseite ein kleiner Textabschnitt angezeigt, das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Anstelle des Textabschnitts stehen dort nur noch zwei Striche (vgl. Abb. 6). Der Text kann nur noch über den Link ‚ Voir cette charte ‘ eingesehen werden. Für die Speicherung und Sichtung der Ergebnisse war die Anzeige eines Textausschnittes sehr hilfreich und zeitsparend. 2 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund von Rechtschreibfehlern bei der Digitalisierung manch eine Textstelle nicht berücksichtigt werden konnte. Dazu wäre die manuelle Durchsicht des gesamten Korpus vonnöten gewesen, was den Rahmen deutlich überstiegen hätte und nicht der Anspruch war. 66 5 Methodischer Hintergrund <?page no="67"?> haft die Suchfunktion und die Ergebnisliste in der französischen Datenbank TELMA der Wortform habeo. Der vollständige Text der einzelnen Dokumente kann über einen Link ( ‚ Voir cette charte ‘ ) eingesehen werden. 3 Abb. 6: Auszug aus der Ergebnisliste der Suchanfrage habeo in der französischen Datenbank TELMA; URL: http: / / telma.irht.cnrs.fr/ outils/ originaux/ resultat/ Nachdem alle Ergebnisse gespeichert worden waren, wurde jede Textstelle einzeln und manuell auf Kookkurrenzen mit Partizipien und Infinitive durchsucht. Das diente der systematischen Suche nach Spuren der Ausbreitung der 3 Die Suchfunktionen der anderen Urkundendatenbanken sind ähnlich aufgebaut. Bei der italienischen Datenbank CDL wird zwischen einer einfachen Wortsuche und einer erweiterten Suche anhand weiterer Eingaben (z. B. Jahr oder Ort) unterschieden. Die beiden Suchen können aber nachträglich kombiniert werden. Die Ergebnislisten gestalten sich ebenfalls ähnlich. 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung 67 <?page no="68"?> sprachlichen Neuerungen. Entsprechende Zusammensetzungen, die eine mögliche nicht-klassische Konstruktion darstellen könnten, wurden zur weiteren Bearbeitung gefiltert und in gesonderte Ergebnistabellen übernommen. Als Beispiel ist hier ein Auszug aus der Tabelle mit den ersten fünf Textstellen, die alphabetisch sortiert wurden: 4 Dokument TELMA Kontext vor Koll. Kollokation Kontext nach Koll. Charte 4781 Ex parte Domini nostri Jhesu Christi qui pro nobis [in crucis ligno] affixus fuit, in cujus honore h ȩ c [etia]m basilica constat dicata et ex nostra sit absolutus ab ipso die quo suam vigiliam fecerit [de tertia] parte majorum peccatorum unde penitentiam habet acceptam usque ad ipsum diem revertentis [anni] vel datarum in quo dedica[tis … ] licentiam intrandi [ … ] ecclesias per totum ipsum annum, et communicandi, et pacem accipiendi, et tondendi, et radendi [et lini vesti]endi et [filiolos] de sacro fonte suscipiendi. Charte 4781 Denique illos qui de minoribus peccatis sunt confessi, et habent acceptam p ȩ nitentiam, [si] venerint ad dedicationem predict ȩ ȩ cclesi ȩ , aut semel [in an]no cum sua vigilia et cum adjutorio ad operam ȩ cclesi ȩ Sanct ȩ Mari ȩ , … Charte 4781 Et si in toto illo anno mortui vel mortu ȩ fuerint, sint absoluti vel absolut ȩ ex parte omnipotentis Dei et omnium sanctorum ex nostra ab omnibus peccatis majoribus et minoribus de quibus sunt confessi et habent acceptam p ȩ nitentiam. 4 Im Anhang befindet sich eine vollständige Tabelle aller ermittelten habere-Kollokationen, jedoch ohne Kontext. Anhand der Dokumentennummer oder auch der Kollokation besteht die Möglichkeit, über die Suchfunktionen der jeweiligen Datenbanken die Textstelle zu finden. 68 5 Methodischer Hintergrund <?page no="69"?> Dokument TELMA Kontext vor Koll. Kollokation Kontext nach Koll. Charte 1780 Primitus Valliculas ubi ex maxima jam parte eundem aedificatum habemus monasterium, Lausa cum suis adjacentiis, Cainiacum integerrimae cum omnibus suis appendiciis, Fontanicule, Columbarius, Jaunciacus, Nucarioli, Villanova, Metsonus, Braciacus, Visiacus, Scaticus, Villamannisca. Charte 1618 Ab alia pecia de terra qui jacet prope locus ibi Becaricia dicitur, et ubi Petrus, qui vocatur Grasello, suum proprium edificium edificatum abet; Tab. 5: Auszug aus der selbst erstellten Ergebnistabelle der französischen Datenbank TELMA zu den Kollokationen einer habere-Form mit einem PPP Zeitgleich wurde eine weitere Tabelle mit den absoluten Zahlen erstellt, die einen groben Überblick über die Menge der Ergebnisse geben soll. Dazu wird hier ein Auszug mit den Ergebnissen der präsentischen Formen der Datenbank TELMA präsentiert (vgl. Anhang): 5 gesamt PPP Infinitiv 6.054 214 27 habeo 256 3 1 habes 14 1 - habet 643 16 3 habemus 290 19 3 habetis 15 - - habent 169 4 1 habeor - - - haberis - - - habetur 146 52 - habemur - - - habemini - - - 5 Eine vollständige Tabelle, auch zu den anderen Korpora, befindet sich ebenfalls im Anhang (Kap. 9). 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung 69 <?page no="70"?> gesamt PPP Infinitiv habentur 73 34 - habeam 18 1 - habeas 53 1 1 habeat 501 17 6 habeamus 51 2 - habeatis 105 - - habeant 790 21 6 habear - - - habearis - - - habeatur 243 2 - habeamur 1 - - habeamini 1 - - habeantur 37 - - Tab. 6: Auszug aus der selbst erstellten Tabelle zum Überblick über die Textstellen mit habere in absoluten Zahlen der französischen Datenbank TELMA Nach diesem Schritt war die systematische Suche nach Spuren der Ausbreitung der habere-Konstruktionen in den einzelnen Datenbanken abgeschlossen und ein grober Überblick über die Häufigkeiten gegeben. Es folgte die konkrete Untersuchung des Kontextes, bei welcher alle ermittelten Textstellen von Wortformen von habere in einer nicht-klassischen Zusammensetzung in verschiedene in der Literatur beschriebene Entwicklungsstadien eingeteilt wurden. Zu jedem Stadium wurde ein möglichst anschauliches Beispiel für jede Datenbank ausgewählt und auf verschiedene Aspekte hin im Analysekapitel (Kap. 6.2) untersucht. Die einzige verwendete Datenbank, die bereits Funktionen zur Verfügung stellt, mit deren Hilfe automatisierte Kookkurrenzanalysen möglich sind, ist der nur registrierten Nutzer: innen zugängliche eHumanities Desktop. In diesem System ist eine Wortsuchanfrage nach jeder einzelnen konjugierten Form von habere nicht nötig, da anhand des Lemmas habere mit Hilfe einer expandierten Suche sämtliche zugehörigen Wortformen und deren Textstellen ermittelt werden können. Darunter fallen auch abweichende Graphemvarianten, die dem Lemma habere als solche zugeordnet wurden. Außerdem ist es möglich, in einer Kookkurrenzanalyse die Textstelle um eine Wortform des Verbs habere auf das Vorkommen einer bestimmten anderen Form, z. B. eines Partizips oder eines Infinitivs, automatisch untersuchen zu lassen. Die Datenbank liefert dann nur Ergebnisse, in denen die gewünschten Angaben erfüllt sind. 70 5 Methodischer Hintergrund <?page no="71"?> Für eine vollständige Kookkurrenzanalyse muss in diesem Datenbanksystem aber vorausgesetzt sein, dass jedes Wort, das im bearbeiteten Korpus erscheint, gänzlich und richtig bestimmt wurde. Dies muss, wie bereits beschrieben, in den meisten Fällen manuell überprüft werden. Ist eine lückenlose und korrekte Bestimmung nicht gegeben, könnten Textstellen übersehen und nicht berücksichtigt werden, wodurch ein unvollständiges Ergebnis vorliegen würde. Da die vom eHumanities Desktop verwendeten Predigten zum Zeitpunkt der Untersuchung noch viele unbestimmte Wortformen enthielten, wurde auch in diesem Fall zur Sichtung möglicher nicht-klassisch verwendeter Konstruktionen das gleiche Vorgehen wie bei den anderen Datenbanken angewendet, um ein möglichst vollständiges Resultat zu erzielen. Die angebotenen Funktionen konnten in diesem Fall leider noch nicht eingesetzt werden. 5.2 Methodisches Vorgehen dieser Untersuchung 71 <?page no="72"?> 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere- Konstruktionen Um zu Beginn einen Überblick über vorhandene Häufigkeiten nicht-klassischer Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv oder einem Infinitiv zu bekommen, wurden für diese Untersuchung in den einzelnen Korpora jeweils sämtliche Textstellen herausgesucht, die eine konjugierte Form des lateinischen Verbs habere beinhalten. Dazu zählen 109 verschiedene klassische Wortformen 1 und nach Möglichkeit alle enthaltenen abweichenden Graphemvarianten, die nicht in jedem Korpus auftreten. Abweichende Formen sind beispielsweise Graphemvarianten von habere, bei denen das ‚ h ‘ weggefallen ist (z. B. abet statt habet) oder das ‚ e ‘ durch ein ‚ i ‘ ersetzt wurde (z. B. habiat statt habeat). Diese Abweichungen treten insbesondere in den Urkundenkorpora aus Frankreich auf. 2 Alle ermittelten Textstellen, in denen klassische oder von der klassischen Graphemvariante abweichende Formen von habere erscheinen, wurden auf einen nicht-klassischen Gebrauch des lateinischen Verbs untersucht. Ein nicht-klassischer Gebrauch liegt in den Fällen vor, in denen zwischen der habere-Form und einem Partizip Perfekt Passiv oder einem Infinitiv eine engere grammatische Verbindung bestehen könnte, wodurch die Kollokation mit dem Auxiliarisierungsprozess in Zusammenhang gebracht werden kann. Diese Textausschnitte wurden erfasst und sollen in einer detaillierteren Untersuchung im Anschluss betrachtet werden. 1 Die klassischen Formen umfassen fünf Tempora (Präsens, Imperfekt, Perfekt, Plusquamperfekt und Futur), die jeweils im Indikativ und Konjunktiv (außer das Futur, welches nur im Indikativ existiert) sowie im Aktiv und Passiv untersucht wurden. Fünf Formen doppeln sich, nämlich die Formen des Konjunktiv Perfekts und des Futur II. Dort unterscheiden sich lediglich die 1. Pers. Sg. (habuerim und habuero). 2 In der folgenden Untersuchung wurden die abweichenden Graphemvarianten den klassischen Formen zugeordnet. Zu den abweichenden Graphemvarianten von habere insbesondere in den früheren Jahrhunderten geben Pei und Vielliard nähere Informationen, vgl. Pei (1932): 20 - 25; Vielliard (1927): 18 - 22, 75 f. <?page no="73"?> 6.1.1 Französische Urkunden (TELMA) In den 4.927 französischen Originalurkunden der Datenbank TELMA erscheinen insgesamt 6.054 konjugierte Formen, die auf das lateinische Verb habere zurückzuführen sind. Von den 109 klassischen Konjugationsformen kommen 47 in diesem Korpus nicht vor. Dabei handelt es sich überwiegend um die analytischen passiven Formen der Vergangenheit oder synthetische passive Formen der 1. und 2. Personen. Hinzu kommen außerdem 72 weitere abweichende Wortformen, überwiegend die Graphemvariante ohne ‚ h ‘ , von denen mehrere allerdings nur ein einziges Mal auftreten. In den 6.054 Textstellen mit habere konnten insgesamt 241 Kollokationen ermittelt werden, die mit einem PPP oder einem Infinitiv eine engere grammatische Verbindung eingehen, was knapp 4 % der Textstellen mit habere ausmacht. Darunter sind 214 Konstruktionen, in denen eine flektierte Form von habere eine engere Verbindung mit einem Partizip Perfekt Passiv aufweisen könnte, und 27 Kollokationen von habere und einem Infinitiv, die ebenfalls nicht-klassisch gebraucht worden sein könnten. Die nachfolgende Tabelle zeigt einen kleinen Ausschnitt der ermittelten Zahlen: gesamt PPP Infinitiv gesamt 6.054 214 27 habet 643 16 (7,5 %) 3 3 (11,1 %) habemus 290 19 (8,9 %) 3 (11,1 %) habetur 146 52 (24,3 %) 0 habentur 73 34 (15,9 %) 0 habeat 501 17 (7,9 %) 7 (25,9 %) habebat 597 3 (1,4 %) 2 (7,4 %) Tab. 7: Auszug aus den Ergebnissen in absoluten Zahlen der französischen Urkunden Insgesamt fällt auf, dass im Vergleich zu den 6.054 Textstellen mit einer Form von habere eine geringe Anzahl nicht-klassischer Verwendungen vorliegt. Insbesondere Textstellen, in denen habere mit einem Infinitiv kombiniert wird, 3 Die Prozentangabe beschreibt den Anteil an Kollokationen der entsprechenden flektierten habere-Form von den gesamten Kollokationen dieser Kategorie dieses Korpus. 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere-Konstruktionen 73 <?page no="74"?> sind in den französischen Originalurkunden kaum zu finden, was sich auf den Charakter der Urkunden zurückführen lässt, der weniger futurisch ist. Dennoch sind die 214 Kollokationen mit einem PPP und die 27 Kollokationen mit einem Infinitiv eine bemerkenswerte Entdeckung und sollen exemplarisch genauer untersucht werden. Die Tabelle soll im Einzelnen zeigen, dass die meisten Zusammensetzungen mit einem Partizip Perfekt Passiv oder einem Infinitiv mit präsentischen Formen von habere bestehen, weshalb diese Wortformen exemplarisch ausgewählt wurden. Insgesamt treten 28 verschiedene habere-Formen mit einem PPP oder einem Infinitiv zusammen auf, worunter knapp die Hälfte präsentisch sind. Des Weiteren soll die Auswahl in der Tabelle demonstrieren, dass auch Formen der ersten und zweiten Personen trotz des unpersönlichen Charakters der Urkunden vielfach auftreten. So weist beispielsweise die Wortform habemus 19 Kollokationen mit einem PPP und 3 Kollokationen mit einem Infinitiv auf, die nicht-klassisch verwendet worden sein könnten. Außerdem dürfen die Vergangenheitsformen nicht unberücksichtigt bleiben, denn diese treten ebenfalls in Verbindung mit Partizipien oder einem Infinitiv auf, wie das Beispiel habebat veranschaulicht. Zuletzt ist ebenfalls interessant und es sticht deutlich heraus, dass insbesondere passive Formen von habere sich oftmals mit Partizipien zusammensetzen, wie in der obigen Tabelle die Wortformen habetur und habentur zeigen. Diese beiden umfassen gemeinsam bereits über 40 % aller ermittelten Kollokationen mit einem PPP, die dem Auxiliarisierungsprozess zugeordnet werden können. Insgesamt setzen sich 95 der 214 PPP-Konstruktionen mit einer passiven habere-Form zusammen. Sie wird als Kennzeichen für das Passiv verwendet, obwohl dieses bereits durch das Partizip Perfekt Passiv angezeigt wird. Dadurch wird die klassisch verwendete Form est ersetzt, die ursprünglich in Kombination mit dem PPP das analytische Passiv darstellte (vgl. Kap. 6.2.1.1). Mit einem Infinitiv tritt keine passive Form von habere auf. 6.1.2 Burgundische Urkunden (CBMA) Das Korpus der burgundischen Urkunden, ergänzend und als Vergleich zu den französischen Urkunden der Datenbank TELMA, enthält deutlich mehr Dokumente und Textstellen, in denen das Verb habere auftritt. In den 11.604 untersuchten Urkunden erscheinen insgesamt 10.997 konjugierte Formen von habere oder orthografische Abweichungen des Verbs. Ähnlich wie bei dem Korpus der französischen Urkunden, kommen 42 der 109 klassischen Formen nicht vor, wobei es sich ebenfalls mehrheitlich um passive Formen handelt. Außerdem lassen sich in den rechtlichen Schriften aus Burgund 48 verschiedene Wortformen entdecken, die abweichende Graphemvarianten von habere 74 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="75"?> belegen, darunter größtenteils die Graphemvariante ohne ‚ h ‘ . Obwohl dieses Korpus eine deutlich höhere Anzahl an Wortformen von habere aufweist, zeigt sich bezüglich der nicht-klassischen Verwendungen des Verbs ein ähnliches und sogar geringeres Ergebnis. Insgesamt konnten in den 10.997 Textstellen 197 Kollokationen ermittelt werden, darunter 172 Zusammensetzungen aus habere und einem Partizip Perfekt Passiv sowie 25 Zusammensetzungen mit einem Infinitiv, die mit dem Auxiliarisierungsprozess in Verbindung gebracht werden können. Die nachfolgende Tabelle gibt einen kleinen Einblick in die ermittelten Zahlen der burgundischen Urkunden: gesamt PPP Infinitiv gesamt 10.997 172 25 habeo 607 11 (6,4 %) 1 (4 %) habet 2.229 10 (5,8 %) 6 (24 %) habetur 124 27 (15,7 %) 0 habeant 647 8 (4,7 %) 2 (8 %) habeatur 384 20 (11,6 %) 0 habuerunt 172 2 (1,2 %) 1 (4 %) Tab. 8: Auszug aus den Ergebnissen in absoluten Zahlen der burgundischen Urkunden Wie bereits bei den französischen Urkunden, finden sich im Korpus der burgundischen Urkunden nur wenige Konstruktionen mit einem Infinitiv. Außerdem fällt die Anzahl an Zusammensetzungen mit einem PPP geringer aus, vor allem in Hinblick auf die größere Anzahl an Textstellen mit habere. Insgesamt machen die 197 der 10.997 Textstellen einen Anteil von gerade einmal knapp 1,8 % aus, was im Vergleich zu den französischen Urkunden nicht einmal die Hälfte ist, obwohl fast 5.000 flektierte Formen von habere mehr in den Urkunden aus Burgund vorkommen. Die Bandbreite der unterschiedlichen habere-Formen, die sich mit einem PPP oder Infinitiv zusammensetzen, ist dafür aber etwas größer. Insgesamt treten 35 verschiedene Flexionsformen in möglicherweise nicht-klassischen Konstruktionen auf, was im Vergleich zu den 28 der französischen Urkunden und 25 der langobardischen Urkunden etwas mehr sind. 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere-Konstruktionen 75 <?page no="76"?> Bezüglich der Vorkommnisse einzelner habere-Formen zeigen sich aber ähnliche Ergebnisse. Es kommen viele Formen der dritten Personen vor, die zudem einige nicht-klassische Verwendungen belegen könnten. Dennoch sind Formen der ersten und zweiten Personen vertreten, wie in der obigen Tabelle zu den burgundischen Urkunden das Beispiel habeo demonstriert, das in mehr als 6 % der insgesamt 172 Konstruktionen in einer engeren Verbindung mit einem PPP auftritt. Ebenso erscheinen viele Vergangenheitsformen, die ebenfalls Konstruktionen mit habere aufweisen, wie durch das Beispiel habuerunt gezeigt wird. Besonders hervorzuheben ist, dass auch in den rechtlichen Schriften aus Burgund zahlreiche passive Formen von habere auftreten. Den beiden in der obigen Tabelle beispielhaft aufgegriffenen Flexionsformen habetur und habeatur sind bereits mehr als ein Viertel der Kombinationen mit einem Partizip Perfekt Passiv zuzuweisen. Ein vermehrtes Auftreten von passiven habere- Formen mit einem PPP konnte schon bei den französischen Urkunden beobachtet werden, in denen PPP-Konstruktionen mit passiven habere-Formen fast die Hälfte aller Textstellen eines Partizips Perfekt Passiv mit habere ausmachen. Das gleiche Ergebnis zeigt sich in den burgundischen Urkunden, in denen 79 der insgesamt 171 ermittelten Konstruktionen (46,2 %) mit passiven Formen zusammengesetzt werden. Damit bestätigt die Untersuchung der Rechtstexte aus Burgund die große Verbreitung dieser Art der Konstruktion, die offensichtlich entweder im Gebiet Frankreichs oder in den Urkunden aus dem französischen Gebiet üblich gewesen sein muss. In den langobardischen Urkunden sind diese Konstruktionen hingegen kaum vorhanden (vgl. Kap. 6.1.3). 6.1.3 Langobardische Urkunden (CDL) In dem dritten untersuchten Urkundenkorpus, dem „ Codice diplomatico della Lombardia medievale “ (CDL) als Vergleich zu den Urkunden aus Frankreich, wurden in den 5.555 Rechtsdokumenten insgesamt 5.430 konjugierte Formen von habere ermittelt. Darunter sind abweichende Graphemvarianten zusammengefasst, bei denen es sich auch in diesem Korpus um habere-Formen ohne ‚ h ‘ handelt. Insgesamt erscheinen hier nur 48 verschiedene Flexionsformen von habere und somit tauchen 61 von insgesamt 109 unterschiedlichen Wortformen nicht auf. Das ist im Vergleich zu den anderen beiden Urkundenkorpora eine etwas geringere Anzahl an unterschiedlichen Wortformen. Die Menge an habere-Textstellen im Vergleich zu der Anzahl an Schriftstücken entspricht aber den Ergebnissen der beiden anderen Korpora. Bezüglich der Ermittlung möglicher nicht-klassischer Konstruktionen weist dieses Korpus jedoch ein deutlich anderes Ergebnis auf: Insgesamt wurden 1.290 Textstellen festgehal- 76 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="77"?> ten, in denen eine Form von habere mit dem Auxiliarisierungsprozess in Verbindung gebracht werden könnte. Das entspricht fast einem Viertel der Kollokationen (23,8 %). Auch die Art der Zusammensetzungen stellt einen Gegensatz zu den Ergebnissen der anderen Korpora dar. Denn die 1.290 habere-Stellen teilen sich auf nur 330 Konstruktionen mit einem Partizip Perfekt Passiv und auf bemerkenswerte 960 Konstruktionen mit einem Infinitiv auf. Dies stellt einen gravierenden Unterschied zu den französischen Korpora dar. Auch bei den Urkunden aus der Lombardei soll ein Blick auf die Verteilung der Häufigkeiten auf die verschiedenen Flexionsformen von habere geworfen werden: gesamt PPP Infinitiv gesamt 5.430 330 960 habeo 199 90 (27,3 %) 6 (0,6 %) habet 1.434 65 (19,7 %) 456 (47,5 %) habent 865 75 (22,7 %) 457 (47,6 %) habeant 711 15 (4,5 %) 21 (2,2 %) habebat 398 2 (0,6 %) 0 habuit 148 5 (1,5 %) 0 Tab. 9: Auszug aus den Ergebnissen in absoluten Zahlen der langobardischen Urkunden Bei diesem Korpus wurden ebenfalls sechs Flexionsformen ausgewählt, die möglichst aussagekräftig sind. Insgesamt wurden Kollokationen mit 25 verschiedenen habere-Formen ermittelt, die einen nicht-klassischen Gebrauch nachweisen könnten. Bezeichnend ist, dass darunter fast ausschließlich aktive Formen der ersten und dritten Personen sind. Lediglich zwei Zusammensetzungen mit einem Partizip Perfekt Passiv treten mit den Wortformen [h]abes und habeatis auf, zwei weitere mit habetur, in gleicher Verwendung, wenngleich in verschiedenen Schriftstücken, und eine mit habeatur. In den Urkunden aus französischem Gebiet hingegen finden sich einige Konstruktionen mit passiven habere-Formen. Das konnte im Vergleich hier nicht beobachtet werden. 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere-Konstruktionen 77 <?page no="78"?> Des Weiteren treten die Zahlen der präsentischen Formen deutlich hervor, wie die oben abgebildete Tabelle veranschaulicht. Besonders eindeutig ist dies an den Textstellen der Kategorie ‚ Infinitiv ‘ zu erkennen, bei welcher die vier aufgelisteten habere-Formen im Präsens bereits in 940 der insgesamt 960 Konstruktionen (97,9 %) erscheinen. 4 Dort fallen vor allem habet und habent ins Auge mit 456 bzw. 457 Kollokationen mit einem Infinitiv. Ähnlich, wenngleich nicht so eindeutig, gestaltet es sich bei den Zusammensetzungen aus Wortformen von habere mit einem PPP. Auch hier sind es überwiegend präsentische Formen, wie ebenfalls die ausgewählten Flexionsformen in der obigen Tabelle zeigen. Von den insgesamt 330 PPP-Konstruktionen setzen sich 272 mit einer Form im Präsens zusammen (82,4 %) und nur 58 mit Wortformen anderer Tempora. 6.1.4 Predigten (eHumanities Desktop) In den 308 Predigten wurden ebenso alle klassischen Flexionsformen sowie abweichende Graphemvarianten von habere auf nicht-klassische Verbindungen mit einem Partizip Perfekt Passiv oder einem Infinitiv untersucht. Im Ganzen konnten 20.587 konjugierte habere-Formen ermittelt werden und somit eine deutlich größere Anzahl als in den Urkundenkorpora. Sie verteilen sich auf 77 unterschiedliche Wortformen. Nur 32 Flexionsformen treten in diesem Korpus überhaupt nicht auf, was eine größere Verteilung auf unterschiedliche Wortformen bedeutet, als es bei den drei Urkundenkorpora der Fall war. Die Wortformen, die nicht vorkommen, sind fast ausschließlich passive Formen. 5 Andere Graphemvarianten konnte nicht ermittelt werden. Dies liegt möglicherweise daran, dass viele dieser Predigten von bekannten Kirchenvätern stammen, deren Schriften vielfach gelesen, kopiert und vermutlich im Zuge dessen korrigiert wurden. Bezüglich der Untersuchung möglicher nicht-klassischer Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv oder einem Infinitiv konnten in den kirchlichen Texten 1.076 Verbindungen ermittelt werden. Die Summe ähnelt den Ergebnissen aus der Lombardei, ist jedoch in Hinblick auf die Gesamtzahl der habere-Textstellen deutlich geringer, da es nur 5,2 % der Kollokationen ausmacht. Interessant ist aber, dass sich die ermittelten möglicherweise nicht-klassisch verwendeten Konstruktionen relativ ausgeglichen mit einem PPP (insgesamt 566) oder mit einem Infinitiv 4 Insgesamt treten 954 Konstruktionen aus Infinitiven mit einer präsentischen Form von habere und somit nur sechs mit Formen anderer Tempora auf (1x habebant, 1x haberet, 1x haberent, 2x habuerit und 1x habuerat). 5 Nur drei aktive Formen des Plusquamperfekts tauchen ebenfalls nicht auf: habueram, habueratis und habuissemus. 78 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="79"?> (insgesamt 508) zusammensetzen. Nachfolgend ist wiederum ein kleiner Ausschnitt der Ergebnisse zu den Häufigkeiten abgebildet: gesamt PPP Infinitiv gesamt 20.587 566 508 habeo 662 14 (2,5 %) 86 (16,9 %) habes 1.375 55 (9,7 %) 16 (3,1 %) habet 6.063 93 (16,4 %) 169 (33,3 %) habetur 339 10 (1,8 %) 0 habeat 1.101 31 (5,5 %) 24 (4,7 %) habebat 1.019 50 (8,8 %) 21 (4,1 %) habebit 375 2 (0,4 %) 6 (1,2 %) Tab. 10: Auszug aus den Ergebnissen in absoluten Zahlen der Predigten Bei diesem Korpus wurden sieben Flexionsformen gewählt, die einen kleinen Überblick über das Auftreten möglicher nicht-klassisch verwendeter Zusammensetzungen mit bestimmten habere-Formen geben sollen, da das Vorkommen unterschiedlicher Flexionsformen deutlich größer ist. Insgesamt erscheinen 38 unterschiedliche konjugierte Formen von habere in möglicherweise nicht-klassischen Kollokationen, was im Vergleich die meisten sind, wobei bei den Predigten generell die Bandbreite der verwendeten habere-Formen größer ist als bei den drei Urkundenkorpora. Die Wortform habeo tritt in insgesamt 100 Textstellen mit einem PPP oder einem Infinitiv zusammen, was im Vergleich zur Gesamttrefferzahl von 662 eine bezeichnende Zahl ist. Auffällig sind hierbei die 86 Kollokationen mit einem Infinitiv, die jedoch überwiegend auf das wiederholte Auftreten dreier Zitate zurückzuführen sind. 6 6 Dies sind zwei Zitate aus dem Johannesevangelium und eines aus dem Lukasevangelium: adhuc multa habeo vobis dicere (Joh 16.12), welches teilweise mit verändertem Satzbau oder ähnlichen Wörtern auftritt; ego cibum habeo manducare (Joh. 4.32), das ebenfalls teilweise leicht verändert erscheint; und baptismo habeo baptizari (Lk 12.50), bei welchem das Substantiv baptismo in einigen Textstellen durch das Synonym baptisma ersetzt wird. 6.1 Spurensuche der Ausbreitung der habere-Konstruktionen 79 <?page no="80"?> Bemerkenswert ist in diesem Korpus und in der hier abgebildeten Tabelle die Flexionsform habes. Habes erscheint in den kirchlichen Texten mehr als doppelt so oft wie habeo, welches sich ebenfalls sowohl in den kirchlichen als auch in den rechtlichen Texten in vielen interessanten Kollokationen wiederfindet und auch in den Urkunden vielfach vertreten ist. Bei den Urkundenkorpora sticht hingegen keine zweite Person besonders hervor. Dies lässt sich vermutlich einerseits auf den persönlichen Charakter der Predigten, andererseits auf den zunehmend unpersönlichen Charakter der Wortform habes zurückführen. Des Weiteren erscheint die Wortform habet am häufigsten, genauer in 93 Zusammensetzungen mit einem Partizip Perfekt Passiv und in 169 Kollokationen mit einem Infinitiv, was einem Drittel der gesamten ermittelten Infinitiv- Konstruktionen entspricht. Zudem finden sich auch in den Predigten Zusammensetzungen eines PPPs mit Passivformen sowie Zusammensetzungen von PPP oder Infinitiv mit habere-Formen im Konjunktiv oder der Vergangenheit. Interessant sind zuletzt noch einige Konstruktionen aus einer Futurform und einem PPP oder einem Infinitiv, in der Tabelle repräsentiert durch habebit. Diese Konstruktionen sollen ebenfalls im nachfolgenden Analysekapitel genauer thematisiert werden. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 6.2.1 habere + PPP Nicht alle ermittelten Kollokationen belegen einen fortgeschrittenen Gebrauch in der Entwicklung zu einer temporalen Perfektkonstruktion. Die wichtigste Voraussetzung für einen solchen Fortschritt ist die Agensidentität von Prädikat und Subjekt. Doch nicht in jeder aufgenommen Textstelle kann eindeutig belegt werden, dass diese besteht, auch wenn es mitunter anzunehmen ist. Diese Zusammensetzungen werden in der Kategorie ‚ Mehrdeutige Agensidentität ‘ zusammengefasst. Dem gegenüber stehen die Kollokationen, bei denen die Agensidentität eindeutig aus dem Zusammenhang belegbar ist und die in der Kategorie ‚ Eindeutige Agensidentität ‘ betrachtet werden. Davon ausgenommen und separat behandelt werden jedoch Konstruktionen, die beispielsweise mit Verben der Kognition und Kommunikation, Verben des Besitzwechsels oder mit passiven habere-Formen zusammengesetzt sind. Diese bilden jeweils eigene Kategorien, da in diesen Fällen Besonderheiten hervorzuheben sind, die in den entsprechenden Kapiteln behandelt werden. Gelegentlich treten Erscheinungen auf, die nur auf einzelne Korpora zutreffen. Diese werden gegebenenfalls in einer entsprechenden zusätzlichen Kategorie bei einem Einzelkorpus festgehalten. 80 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="81"?> Anhand ausgewählter Beispiele sollen im Anschluss zu jedem Korpus einzelne Zusammensetzungen unterschiedlicher Kategorien und Entwicklungsstadien untersucht werden. Zur Bestimmung des Grammatikalisierungsgrads wird bei der Analyse auf die Einteilung von Harris (1982) in vier Entwicklungsstufen zurückgegriffen, ohne den Entwicklungsstand der klassischen synthetischen Perfektform zu berücksichtigen (vgl. Kap. 3.3.1). Auch Ergebnisse von Thielmann (1885b) und Tara (2014) zu Zusammensetzungen mit Partizipien bestimmter Verben werden berücksichtigt. In vielen Fällen ist nicht abschließend zu beurteilen, wie die analysierten Kollokationen von den Verfassern und Adressaten verwendet und verstanden wurden. Bei nicht eindeutig bestimmbaren Konstruktionen werden mögliche Optionen aufgezeigt. Es wird versucht, jeweils eine abschließende Einschätzung zu treffen. In ambivalenten Fällen wird dabei in der Regel eher von einem klassischeren Verständnis ausgegangen. 6.2.1.1 Französische Urkunden (TELMA) In den französischen Originalurkunden der Datenbank TELMA konnten insgesamt 214 Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv ermittelt werden. Die Partizipien lassen sich auf 71 verschiedene Verben zurückführen, wobei Komposita als separate Verben gezählt werden. Es finden sich einige Kollokationen, die zum Teil einerseits durch ihren häufigen Gebrauch in ähnlichen Kontexten als Formel bezeichnet werden können, andererseits in den Formelsammlungen der Merowinger und Karolinger erscheinen (vgl. Zeumer 1963; Bresslau 1969: 45 - 49). Folgende Besonderheiten lassen sich bei genauerer Betrachtung der einzelnen Zusammensetzungen bereits vorab feststellen: • Am häufigsten finden sich Zusammensetzungen aus einer Wortform von habere und einem PPP des Verbs scribere oder eines seiner Komposita 7 (49 von 214 Textstellen: 22,9 %). 42 dieser Kollokationen setzen sich mit einer passiven Form von habere zusammen, die überwiegend im Präsens steht. Der Grund für den wiederholten Gebrauch des Verbs lässt sich leicht erklären: An vielen Stellen wird Rückbezug auf in dieser oder einer anderen Urkunde Geschriebenes genommen. Ob es sich um eine Formel handelt, ist nicht geklärt. Diese Frage wird in der Analyse erneut aufgegriffen. • Das Gleiche lässt sich für Kollokationen eines Partizip Perfekt Passivs von inserere und einer passiven Form von habere feststellen, von denen insgesamt zwölf erscheinen. 7 Dabei handelt er sich um die Komposita conscribere (4x), describere (4x), praescribere (1x), subscribere (13x) und subterscribere (1x). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 81 <?page no="82"?> • Das Verb evindicare tritt nach scribere am zweithäufigsten auf, genauer in 21 der 214 Textstellen. Oftmals steht es in Verbindung mit dem PPP des Verbs elitigare, in zwei Fällen mit confirmare. 8 Diese Wendung ist ausschließlich im 7. und 8. Jahrhundert zu entdecken und weist sehr unterschiedliche Graphemvarianten auf. Die Wortform von habere steht in allen Verbindungen im Konjunktiv Präsens. • Eine weitere Formel bilden die mehrmaligen Verwendungen der Partizipien concessum und indultum, die teils einzeln, teils gemeinsam gebraucht werden und ebenfalls überwiegend in früherer Zeit auftauchen. • Des Weiteren treten das Partizip cognitum bzw. insbesondere seine Komposita incognitum und percognitum mehrfach in Verbindung mit der Wortform habetur auf. 9 Diese Verwendung wird durch die Formelsammlungen wiederholt belegt. • Zuletzt ist noch ein Beispiel zu nennen, das in den Formelsammlungen zwar als Formel belegt, in den französischen Urkunden jedoch nur dreimal aufzufinden ist. Dabei handelt es sich um die Kollokation compertum habemus bzw. in abweichender Graphemvariante conpertum habemus, die in zwei verschiedenen Urkunden auftaucht (Charte 410 und 4953). 10 8 „ habiat evindecatum “ (Charte 4473), „ habiant evindecatas “ (Charte 4460), „ habiant evindegatas “ (Charte 4470), „ abiat evindecata “ (Charte 4464), „ habeant evindecatas … elidegatas “ (Charte 2922 und 2923), „ habeant evindegatas … elidegatas “ (Charte 2922 und 2923), „ habeant evindicatas … elidicatas “ (2x Charte 2945), „ habiat evendecatum … elidiatum “ (Charte 2946), „ habiat evindecatum … elidiatum “ (Charte 4471), „ habiat evindecatum … helitiatum “ (Charte 4476), „ habiat evindegatas … elidigatas “ (Charte 4480), „ habiat evindicatas … elidiatas “ (Charte 2921), „ habiant aevindecatum … aelidiatum “ (Charte 4479), „ habiant evindecata … elidiata “ (Charte 4485), „ habiant evindecatum … elidiatum “ (Charte 4481 und 4482) und „ habeant confirmatum … evindicatum “ (Charte 2924 und 2934). 9 „ habetur cognitum “ (Charte 4840), „ habetur incognitum “ (Charte 983, 2361 und 2960) und „ habetur percognitum “ (Charte 2001 und 4490). 10 Zu den Parallelen in den Formelsammlungen der Merowinger und Karolinger (vgl. Zeumer 1963): zu „ habetur incognitum “ bzw. „ habetur percognitum “ , vgl. beispielhaft S. 17 (Formulae Andecavenses, Nr. 40), S. 80 (Marculfi formularum liber II, Nr. 9) und S. 93 (Marculfi formularum liber II, Nr. 29) bzw. S. 138 (Formulae Turonenses, Nr. 6), S. 143 (Formulae Turonenses, Nr. 15) und S. 148 (Formulae Turonenses, Nr. 24); zu evindicare und elitigare, vgl. S. 157 (Formulae Turonenses, Nr. 39), S. 161 (Addimenta e codicibus formularum Turonensium, Nr. 6) und S. 233 (Formulae Salicae Bignonianae, Nr. 13); zu concessum und indultum, vgl. S. 24 (Formulae Andecavenses, Nr. 56), S. 56 (Marculfi formularum liber I, Nr. 20), S. 66 (Marculfi formularum liber I, Nr. 35), S. 201 (Cartae Senonicae, Nr. 35), S. 273 (Formulae Salicae Lindenbrogianae, Nr. 9) und S. 281 (Formulae Salicae Lindenbrogianae, Nr. 20); zu „ compertum habemus “ finden sich ebenfalls Belege in den Formelsammlungen, vgl. S. 47 (Marculfi formularum liber I, Nr. 8). 82 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="83"?> In den meisten anderen Textstellen erscheinen Verben, die seltener verwendet werden, dennoch aber in verschiedenen Kontexten auftreten. Hierbei handelt es sich meist um Verben des Gebens und Erwerbens, des Erschaffens und des Feststellens. 11 Häufig treten Verben aber nur ein einziges Mal in Verbindung mit einer Wortform von habere auf, die in den Auxiliarisierungsprozess eingeordnet werden kann, andere hingegen zwei- oder dreimal in ähnlichen Formulierungen. 6.2.1.1.1 Beispiel 1: Mehrdeutige Agensidentität Girardus Brunellus dedit nobis dimidiam partem terr ȩ su ȩ de Seonvilla pro quibusdam convenientiis quas in aliis litteris scriptas habemus. Girardus Brunellus gab uns die Hälfte seines Landes von Seonvilla für Einigungen, welche wir in anderen Schriften als Geschriebene haben / aufgeschrieben haben. (Gerhard Brunell, 1071. Charte 3235) Das erste ausgewählte Textbeispiel stammt aus einer sehr kurzen Schenkungsurkunde aus dem 11. Jahrhundert. Diese enthält neben zwei Sätzen zum rechtlichen Inhalt nur die Corroboratio, in der die anwesenden Zeugen aufgezählt werden. Der in dem obigen Satz genannte Girardus Brunellus verschenkt die Hälfte seines Landes von Seonvilla und verkauft die andere Hälfte für 14 Silberpfund (XIIII libras). Die Empfänger des geschenkten Landes sind die Mönche von Marmoutier, wie es den Annotationen der Datenbank zu entnehmen ist. Die Textstelle steht zu Beginn des Dokumentes. Die Konstruktion aus dem Partizip scriptas und dem Prädikat habemus ist eine der sieben Zusammensetzungen des Verbs scribere mit aktiven Formen von habere. Sie steht syntaktisch eng miteinander verbunden am Ende des Satzes und das Partizip scriptas ist KNG-kongruent zum Relativpronomen quas, welches sich auf die zuvor im Hauptsatz genannten quibusdam convenientiis bezieht. Subjekt zum Prädikat in der 1. Person Plural müssen die im Text nicht erwähnten Mönche von Marmoutier sein, welche die Adressaten der Urkunde sind und denen Girardus sein Land vermacht. Von der Syntax ausgehend betrachtet, scheint ein engerer Zusammenhang zwischen dem Partizip und dem Prädikat zu bestehen als zu dem Bezugswort quas, das durch den Einschub in aliis litteris vom PPP getrennt wird. Eine Trennung von Bezugswort und PPP durch den Einschub eines Ablativs ist jedoch nicht ungewöhnlich, da dieser 11 Verben des Gebens und Erwerbens: accipere (3x), acquirere (2x), dare (8x), donare (2x), emere, excambiare, recipere, recuperare, venundare; Verben des Erschaffens: aedificare (3x), condere und Komposita (5x), complantare, construere (7x), facere (8x), fundare (2x), restaurare (2x); Verben des Feststellens: annotare, constituere, exprimere, ponere (2x), statuere. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 83 <?page no="84"?> weitere Informationen liefert. Dass scriptas und habemus zusammenstehen, ist somit möglicherweise der klassischen lateinischen Syntax geschuldet. Unter Berücksichtigung der Wortbedeutung könnte diese Konstruktion ambivalent zu verstehen sein. Das Partizip könnte einerseits als Prädikativum zu quas aufgefasst werden, andererseits als Prädikat in Verbindung mit dem Hilfsverb habemus. Im ersten Fall müsste habemus als Vollverb in der Bedeutung ‚ haben, besitzen ‘ verstanden werden. Das Objekt des Besitzes würde durch das Relativpronomen im Akkusativ ausgedrückt werden, welches die zuvor genannten Einigungen (quibusdam convenientiis) beschreibt, die vorab in anderen Dokumenten bereits getroffen wurden. Der Agens des Partizips würde unbekannt bleiben. Es wäre anhand des Kontextes nicht festzustellen, wer für die Verschriftlichung und das Aufsetzen der anderen Urkunden (aliis litteris) verantwortlich ist. Im zweiten Fall hingegen hätte habemus den Vollverbstatus bereits verloren und wäre semantisch ausgeblichen (vgl. Kap. 3.2.3). Es würde kein Besitz mehr ausgedrückt werden, sondern die Zusammensetzung scriptas habemus würde den nun abgeschlossenen Vorgang des Schreibens vermitteln. Voraussetzung dafür wäre die Agensidentität von Prädikat und Subjekt, wodurch angenommen werden müsste, dass die Mönche von Marmoutier die Verschriftlichung der Einigungen vollzogen oder zumindest veranlasst hätten. Andernfalls könnte die Konstruktion keine temporale Perfektform darstellen. Durch die Kongruenz und die klassische Syntax ließe sich verstehen und vermuten, dass es noch in klassischer Weise verwendet wurde. Zudem ist es inhaltlich sinnig, dass mit diesem Relativsatz vermittelt werden soll, dass die Mönche im Besitz der Niederschrift über die zuvor getroffenen Einigungen sind, nicht aber, dass sie selbst die Einigungen niedergeschrieben haben. Wie die Konstruktion zu verstehen ist, lässt sich nicht final klären, sofern nicht eindeutig ausgeschlossen werden kann, dass die Mönche selbst nicht für die Verschriftlichung der früheren Einigungen verantwortlich waren. Die Zusammensetzung kann als erster Brückenkontext bezeichnet werden, bei dem der Besitz einer vorangehenden abgeschlossenen Handlung im Vordergrund steht. Jedoch bleibt bei einem solchen Verständnis die grundlegende Frage nach der Agensidentität offen. Nach der Kategorisierung von Harris (1982) in vier verschiedene Entwicklungsstufen könnte die obige Konstruktion unter Voraussetzung der Agensidentität allenfalls in die erste Stufe eingeordnet werden. In dieser behält die Form von habere den präsentischen Charakter bei im Sinne eines Resultats einer vergangenen Handlung. Da aber die Agensidentität nicht abschließend geklärt werden kann, kann diese Zuordnung nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Es besteht die Möglichkeit, dass die Konstruktion noch klassisch verwendet wurde. 84 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="85"?> In den französischen Originalurkunden der Datenbank TELMA sind einige Kollokationen aus einer Form von habere und einem Partizip Perfekt Passiv ambivalent und können nicht exakt gedeutet werden. Insgesamt sind 34 von 214 PPP-Konstruktionen ähnlich zu verstehen wie scriptas habemus, die sich mit 19 verschiedenen Verben zusammensetzen. Dazu zählen beispielsweise die anderen sechs Kollokationen mit einem Partizip von scribere und einer aktiven Form von habere oder Zusammensetzungen mit den Partizipien aedificatum oder constructum, die beide jeweils dreimal auftreten. In diesen Fällen ist ebenfalls nicht zu klären, wer für den Bau oder die Errichtung eines Gebäudes oder Gegenstandes verantwortlich und somit Agens des Partizips ist, wodurch keine eindeutige Agensidentität vorliegt. Des Weiteren existieren viele Konstruktionen, die nur ein einziges Mal in den französischen Originalurkunden auftauchen. 12 6.2.1.1.2 Beispiel 2: habere im Sinne von ‚ halten ‘ als fortdauernder Zustand Nos quidem, in Dei nomine, [Vualdo] et uxor mea Sierada, pro amore et bona voluntate que circa vos abemus, cedimus adque donamus vobis res que in falcidia nobis reservatam abeammus, oc est quarta porcio secundum legem nostram romanam; [ … ]. Wir nämlich, in Gottes Namen, Waldo und meine Frau Sierada, für die Liebe und die gute Gesinnung, welche wir hinsichtlich euch haben, verzichten und schenken euch das Vermögen, von dem wir die Falcidische Quart 13 für uns aufgespart haben/ behalten, das ist der vierte Anteil gemäß unserem römischen Gesetz; [ … ]. (Waldo und seine Frau Sierada, Mai 880. Charte 1578) 12 Nachfolgend eine Liste aller weiterer Textstellen, die ähnliche Konstruktionen darstellen: „ aedificatum habemus “ (Charte 1780), 2x „ edificatum abet “ (Chartes 1617 und 1618), „ habet assignatum “ (Charte 2456), „ coadunatam habebant “ (Charte 4290), „ commendata habemus “ (Charte 2814), „ abemus complantatos “ (Charte 5008), „ aberet … congregatos “ (Charte 1249), „ conlatum habebant “ (Charte 3966), „ conscriptas … habeant “ (Charte 1065), „ conscriptum habebant “ (Charte 1480), 2x „ habet … constructam “ (Charte 1183), „ constructam haberet “ (Charte 145), „ copulatam habemus “ (Charte 3034), „ dedicatum haberent “ (Charte 2644), 2x „ deputatas habent “ (Chartes 1772 und 2360), „ deputatas habebant “ (Charte 201), „ habebant dispersas “ (Charte 2959), „ emendatum habeam “ (Charte 1755), „ emendatum habuero “ (ebd.), „ emendatum habuerit “ (Charte 2644), „ emendatum … habuerit “ (Charte 845), „ habemus excambiatam “ (Charte 2354), „ exploratum haberent “ (Charte 1057), „ habebam … nominatos “ (Charte 3125), „ receptum habeant “ (Charte 748), „ habeat restauratum “ (Charte 845), „ habet scriptas “ (Charte 1635), „ scriptum habemus “ (Charte 3367), „ scriptum habeant “ (Charte 2011), „ habeant scriptum “ (Charte 3652), „ traditam … habebat “ (Charte 4171) und „ traditum abet “ (Charte 497). 13 Die Falcidische Quart bezeichnet nach einem römischen Gesetz (Falcidia lex), das im Jahr 40 v. Chr. erlassen wurde, den Anteil, der jedem Erben mindestens zusteht (vgl. Brockhaus ‘ Kleines Konversations-Lexikon, 5. Aufl., Bd. 1, Leipzig 1911: 555). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 85 <?page no="86"?> Das nächste Beispiel stammt aus einer Schenkungsurkunde, die im Jahr 880 verfasst wurde. In dieser vermachen Waldo und seine Frau Sierada dem Ehepaar Erlulfus und Odoara drei Viertel ihres gegenständlichen Besitzes, der sich im Bezirk von Vienne befindet. Das letzte Viertel halten sie zurück, da dieses nach einem alten römischen Gesetz (vgl. Anm. 13) für die Erben bestimmt ist. Der Beispielsatz folgt direkt nach der Anrede und stellt den Beginn des Hauptteils dar, in dem das zu verschenkende Vermögen und der zurückgehaltene Anteil genauer erläutert werden. Die PPP-Konstruktion, die in diesem Fall aus dem Partizip reservatam und der von der gängigen Graphemvariante abweichenden Form abeammus (eigentlich habeamus) besteht, steht am Ende des durch que 14 eingeleiteten Relativsatzes, durch welchen das verschenkte Vermögen (donamus vobis res) konkretisiert wird. Das Partizip und das Prädikat sind erneut syntaktisch eng verbunden. Durch die feminine Akkusativendung -am lässt sich erschließen, dass ein Viertel aufgrund des Falcidischen Gesetzes (in falcidia … quarta porcio) aufbewahrt werden soll. Das Subjekt zu abeammus ist das am Anfang stehende nos, also Vualdo et uxor mea Sierada. Wie das vorherige Beispiel, kann diese Textstelle zunächst auf zwei verschiedene Arten verstanden werden. Erneut könnte der Gebrauch einer neuen Perfektkonstruktion angenommen werden, bei der die Kollokation einen Ausdruck der abgeschlossenen Vergangenheit darstellt. Es sprechen jedoch Hinweise gegen eine reine Vergangenheitsform und lassen eine andere Verwendung vermuten. Die Bedeutung des Besitzes ist bei abeammus nämlich noch nicht ausgeblichen. Während Waldo und Sierada drei Viertel ihres Vermögens verschenken, behalten sie das letzte Viertel vorerst, welches sie laut Gesetz ihren Erben vermachen müssen. Sie sind somit weiterhin Eigentümer der so genannten Falcidischen Quart. Dementsprechend kann das Partizip nicht als abgeschlossene Handlung gewertet werden, da sie in diesem Fall nicht das Resultat abschließend besitzen, sondern das restliche Vermögen zunächst persönlich für die später stattfindende Vererbung in der Gegenwart und 14 Das Relativpronomen que entstand durch den Prozess der Monophthongisierung und ist ursprünglich auf quae zurückzuführen. Mit der Zeit wurde que aber zu einem Universalrelativpronomen und somit auch dann eingesetzt, wenn das klassische Paradigma eine andere Form bevorzugt hätte (vgl. Kiesler 2018: 89; Müller-Lancé 2020: 254). Das ist hier der Fall, denn korrekterweise wäre die feminine Akkusativform quam zu erwarten. Die Urkunde ist insgesamt von einem Latein geprägt, das oftmals von der klassischen Graphemvariante abweicht, wie schon die zwei Formen von habere (abemus und besonders abeammus), sowie die Konjunktion adque (statt atque) und das Substantiv porcio (statt portio) in diesem Satz kenntlich machen. 86 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="87"?> Zukunft aufbewahren wollen. Die Konstruktion reservatam abeammus bezeichnet somit eine Dauer oder einen Zustand. Schon Thielmann (1885b) entdeckte in seiner Untersuchung zu Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv Zusammensetzungen mit Verben wie beispielsweise reservare, claudere oder recondere, die einen Zustand oder eine Dauer ausdrücken. Er schlug für solche Konstruktionen die Bedeutung ‚ halten ‘ für habere vor, die üblicherweise durch tenere ausgedrückt wird. Die Form von habere gibt dabei die Zeit vor, sodass die Beispielkonstruktion reservatam abeammus präsentisch zu verstehen ist (vgl. Thielmann 1885b: 375 f.). Auch Jacob (1994) verweist nach Happ (1967) auf Konstruktionen aus habere + PPP in der Bedeutung ‚ etw./ jmd. in einem Zustand halten ‘ , die vor allem bei Plautus vielfach verbreitet ist (vgl. Jacob 1994: 149; Happ 1967). Aufgrund des Kontextes, der konkrete Hinweise zum Gebrauch der Konstruktion gibt, kann eine eindeutige Bewertung gegeben werden. Da das Aufbewahren des letzten Viertels nicht als abgeschlossene Handlung der Vergangenheit betrachtet werden kann, sondern gegenwärtig ist, muss die Verwendung als reiner Ausdruck der Vergangenheit an dieser Stelle ausgeschlossen werden. Das Prädikat kann im Sinne von ‚ halten ‘ verstanden werden und das Partizip beschreibt den Zustand, in dem das Objekt gehalten werden soll. In das Modell von Harris (1982) könnte diese Konstruktion aber durch den durativen Aspekt bereits der zweiten Stufe zugeteilt werden. Das Prädikat abeammus ist präsentisch zu verstehen und drückt in Verbindung mit dem Partizip reservatam ein in der Vergangenheit beginnendes und anhaltendes Resultat aus. Diese Verwendung von habere + PPP erscheint in den französischen Originalurkunden der Datenbank TELMA insgesamt nur viermal. Neben dem untersuchten Beispiel taucht in derselben Urkunde eine zweite Konstruktion mit reservatam auf, die das Aufbewahren der Falcidischen Quart bezeichnet, das bereits erwähnt wurde. 15 Daneben existieren zwei weitere Textstellen mit anderen Partizipien, die ähnlich gewertet werden können. Das ist erstens die Kollokation habimus recondetas (klassisch habemus reconditas), die in einer Schenkungsurkunde der Eheleute Vuademerus und Ercamberta an mehrere Kirchen aus dem Jahr 691 vorkommt (Charte 4494), und zweitens die Zusammensetzung retentum habeo in einer Schenkungsurkunde des Priesters Amalfridus an die Abtei von Cluny aus dem Jahr 976 (Charte 2538). 15 „ [ … ], sicut superius jam diximus de ipsa quarta falcidia, quot nobis reservatam abeamus tres partes vobis cedimus et quarta parte nobis in falcidia resservamus, [ … ] “ (Charte 1578). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 87 <?page no="88"?> 6.2.1.1.3 Beispiel 3: Agensidentität von Partizip und Prädikat Non multo post tempore transacto, cum Guillelmus Normanni ȩ comes Cenomannicam urbem haberet adquisitam, tenuerunt iterum de hac re utrique monachi placitum ante illum. Als nicht viel Zeit vergangen war, nachdem Wilhelm, Herzog der Normandie, die Cenomannische Stadt als dazu Erworbene / dazu erworben hatte, traten beide Mönche wiederum mit ihren Anliegen in dieser Sache vor jenen. (Wilhelm, Herzog der Normandie, 22. September 1066. Charte 2803) Die dritte Textstelle stammt aus der Entscheidung eines Rechtsstreits aus dem Jahr 1066, die von dem Herzog der Normandie, bekannt als Wilhelm der Eroberer und späterer König Englands, getroffen und bekräftigt wurde. Der Streit entstand zwischen den Mönchen von Marmoutier und den Mönchen von Saint-Pierre de la Couture. Streitgegenstand war eine Burg in der Nähe des Schlosses von Laval. Der Beispielsatz findet sich in der Narratio der Urkunde, in der der Tatbestand erläutert wird. Herzog Wilhelm, der Eigentümer und Herrscher der nahegelegenen Stadt Le Mans (Cenomannicam urbem) 16 war, tritt hier als Vermittler der beiden Parteien auf. Die dritte ausgewählte Konstruktion ist die Kollokation haberet adquisitam. Wie es schon in den vorherigen Beispielen der Fall war, ist das Partizip kongruent zum Akkusativobjekt Cenomannicam urbem. Das Prädikat und das Partizip sind erneut syntaktisch eng verbunden. Zudem trennt haberet das PPP und sein Bezugswort voneinander, was syntaktisch betrachtet für eine stärkere Verbindung von adquisitam zu haberet spricht. Subjekt des Prädikates ist die im Text genannte Person namens Wilhelm (Guillelmus Normanni ȩ comes). Die Form haberet ist in diesem Textbeispiel zunächst zweideutig: Zum einen könnte sie in Verbindung mit dem Akkusativobjekt einen gängigen Ausdruck des Besitzes darstellen, zum anderen könnte sie zusammen mit adquisitam eine neue analytische Perfektkonstruktion bilden. Für die erste Variante spricht die Tatsache, dass der Temporalsatz den Herzog als Eigentümer charakterisieren soll, der aus diesem Grund zwischen den Streitparteien vermittelt und ihr Anliegen beurkundet. Das Partizip hätte in diesem Fall eine attributive Funktion, durch die der Vorgang des Erwerbens zwar angesprochen, aber nicht näher vertieft wird. Wenn man die Kollokation hingegen perfektivisch verstehen möchte, ist zunächst die Identität von Subjekt und Agens des Partizips zu 16 Mit dem Ausdruck Cenomannica urbs ist wahrscheinlich die Stadt Le Mans gemeint. Als Cenomania wurde die ehemalige Provinz Maine bezeichnet, die ungefähr das heutige Gebiet von Sarthe und Mayenne umfasst. Le Mans war die Hauptstadt der Provinz (vgl. Graesse/ Benedict/ Plechl 1972: 482). 88 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="89"?> klären. Da davon ausgegangen werden kann, dass Wilhelm als anschließender Besitzer die Stadt selbst erwarb, ist die Agensidentität gegeben und damit die grundlegende Voraussetzung für ein Verständnis als Ausdruck der Vergangenheit. In diesem Fall steht der vorherige Erwerb der Stadt im Vordergrund der Aussage. Dennoch klingt darin der Besitz als Resultat des Erwerbens an, wodurch Zweifel entstehen, dass der Fokus ausschließlich auf dem eigentlichen Vorgang liegt. Wäre jedoch der vorherige Erwerb irrelevant, so könnte adquisitam ausgelassen werden. Da es aber hinzugefügt wurde, ist sowohl der Kauf als auch der anschließende Besitz im Fokus. Es wird somit das Ergebnis einer vorausgehenden Handlung präsentiert. Nach Harris (1982) kann erneut eine Einordnung in die zweite Stufe erfolgen, gegebenenfalls sogar in die dritte Stufe, da das Prädikat durch das Auslassen des Partizips den Aspekt des Erwerbs nicht vermitteln könnte. Demnach hat ein Ereignis stattgefunden, das betont werden soll und das anschließend von Bedeutung ist. Der Unterschied zum ersten Beispiel liegt hier in der Agensidentität, die eindeutig gegeben ist, wodurch die Konstruktion in ihrer Entwicklung zum neuen analytischen Perfekt fortgeschrittener erscheint. Wenngleich die Zusammensetzung noch nicht als reine Vergangenheitsform betrachtet werden kann, ist sie dennoch eindeutig einer Vorstufe zuzuordnen. Diese Art der Konstruktion ist ebenfalls mehrfach vorhanden. Durch die zahlreichen Kauf- oder Schenkungsurkunden sind des Öfteren Ausdrücke zu finden, die den Besitz als Resultat eines vorherigen Kaufes oder sonstigen Erwerbs bezeichnen. Insgesamt konnten 32 Kollokationen ermittelt werden, die in ähnlicher Weise verwendet wurden. Diese bestehen aus Zusammensetzungen mit Partizipien von acht unterschiedlichen Verben. Zu diesen zählen 19 formelhafte Wiederholungen mit dem PPP evindicatum, welches in den meisten Fällen mit dem Partizip elitigatum 17 kombiniert wird. Neben den Begriffen des Erwerbs sind dieser Verwendung außerdem sechs Konstruktionen mit dem Partizip von facere hinzuzuzählen, bei denen das Resultat der vorherigen Handlung im Anschluss besessen wird. 18 17 Das Partizip elitigatum kommt in den französischen Urkunden nicht in der korrekten Graphemvariante vor. Stattdessen werden Formen wie elidiatum oder elidigatum verwendet. Ebenso tauchen mehrere abweichende Graphemvarianten von evindicatum auf. 18 Folgende Kollokationen können ähnlich wie das untersuchte Beispiel verstanden werden: „ habet acceptam “ (Charte 4781), 2x „ habent acceptam “ (ebd.), „ aquisitam habet “ (Charte 1144), „ empta habebant “ (Charte 4942), „ habiat evindecatum “ (Charte 4473), „ habiant evindecatas “ (Charte 4460), „ habiant evindegatas “ (Charte 4470), „ abiat evindecata “ (Charte 4464), 2x „ habeant evindecatas atque elidegatas “ (Chartes 2922 und 2923), 2x „ habeant evindegatas atque elidegatas “ (ebd.), 2x „ habeant evindicatas atque elidicatas “ (Charte 2945), „ habiat evendecatum adque elidiatum “ (Charte 2946), „ habiat evindecatum adque elidiatum “ (Charte 4471), „ habiat evindecatum adque helitiatum “ (Charte 4476), 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 89 <?page no="90"?> Zuletzt sei noch auf die Verwendung des Imperfekts bei haberet hinzuweisen, wodurch die Zusammensetzung in die Vorvergangenheit versetzt würde, sofern sie als analytische Verbform verstanden würde. Sie stellt dann eine periphrastische Form des Plusquamperfekts dar. Der Gebrauch des Konjunktivs ist hingegen unbedeutend, da dieser durch die Subjunktion cum gefordert wird. Der Gebrauch einer solchen Konstruktion deutet aber nicht darauf hin, dass sich die Zusammensetzung aus habere + PPP bereits etabliert hat, sondern erweitert das bisher vorhandene Spektrum an Ausdrücken. In den 214 Textstellen der französischen Originalurkunden treten häufiger Kollokationen von Partizipien mit einer habere-Form der Vergangenheit zusammen, was der gängigen Entwicklung zugeschrieben werden kann (vgl. Pinkster 1987: 203 f.). 6.2.1.1.4 Beispiel 4: Verben der Kognition und Kommunikation Ad quod plurimum prodesse non incognitum habemus causas bene dispositas ad cognitionem tam presentium quam post futurorum etiam scripto transmittere. Zudem haben wir erkannt / dieses als Erkanntes, dass es am meisten nützt, geschlichtete Rechtsstreitigkeiten zur Kenntnis der Gegenwärtigen als auch später der Zukünftigen schriftlich zu überliefern. (Odos Mutter und Schwester und der Mundschenk Odoardus, 1119. Charte 4953) Das nächste Textbeispiel ist ein Auszug aus einer Urkunde aus dem Jahr 1119. Zuvor hatte Odo, Sohn des Walterus von Dormans, der Abtei von Saint-Jeandes-Vignes in Soissons zwei Altäre zusammen mit anderen Gütern geschenkt, was Philipp I. bestätigt und besiegelt hatte. Seine Mutter und Schwester aber bemächtigten sich gemeinsam mit dem Mundschenk Odoardus dieser Güter. Durch den Eingriff des Bischofs Lisiardus und der Gräfin Adela mussten sie der Abtei den Altar und einen Zehnt jedoch zurückgeben, bekamen im Gegenzug allerdings einen lebenslänglichen Titel, zwei Felder und eine Wiese. Der Satz folgt nach dem Protokoll der Urkunde, das eine kurze Invocatio enthält. Man kann ihn der Arenga zuordnen, die eine Begründung des folgenden Haupttextes liefert, die hier gegeben wird. Dabei greift der Verfasser möglicherweise auf einen formelhaften Ausdruck zurück. „ habiat evindegatas adque elidigatas “ (Charte 4480), „ habiat evindicatas adque elidiatas “ (Charte 2921), „ habiant aevindecatum adquae aelidiatum “ (Charte 4479), „ habiant evindecata adque elidiata “ (Charte 4485), 2x „ habiant evindecatum adque elidiatum “ (Chartes 4481 und 4482), „ habet factum “ (Charte 4179), „ factum habeat “ (Charte 2204), „ habebamus factam “ (Charte 2530), „ factum … habuerit “ (Charte 2204), „ abeo … factum “ (Charte 2582), „ factas abemus “ (Charte 991), „ recuperatum habeas “ (Charte 3839) und „ tolltum haberet “ (Charte 2759). 90 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="91"?> Die Konstruktion besteht in diesem Fall aus dem Prädikat habemus und dem Partizip incognitum, welches durch das vorangestellte non doppelt verneint wird, wodurch es aktiv im Sinne von cognitum verstanden werden muss. Von der Kollokation ist die kurze AcI-Konstruktion plurimum prodesse abhängig, die wiederum eine Infinitivkonstruktion nach sich zieht, welche durch die Zusammensetzung aus PPP und habere vom AcI getrennt wird. Ein Bezugswort des Partizips ist nicht vorhanden, was für eine engere Verbindung zum Prädikat spricht, es ließe sich allerdings das Pronomen id als Bezugswort hinzuzudenken. Das Subjekt wird nicht genannt, sondern durch die Endung des Prädikates gekennzeichnet, womit die Auftraggeber der Urkunde gemeint sein müssen. Von der Wortbedeutung her muss eindeutig Agensidentität von Prädikat und Partizip bestehen, da ein unterschiedlicher Agens bei einem Verb der Kognition auszuschließen ist. Dadurch kann zum einen angenommen werden, dass es sich hier bereits um eine temporal zu verstehende Perfektkonstruktion handele, zumal sich die neuen habere-Konstruktionen insbesondere über die Verben der Kognition und Kommunikation ausgebreitet haben sollen (vgl. Pinkster 1987: 204 f.). Zum anderen ist nicht abzustreiten, dass incognitum von den Schreibern und Lesern möglicherweise substantiviert verstanden worden sein könnte. Auch wenn incognitum nicht mehr ausgelassen werden kann, da der Satz ungrammatisch wäre, bezeichnet die Kollokation vordergründig nicht den Vorgang einer früheren Handlung, sondern das Resultat eines vorherigen Geschehens. Somit ist zu verstehen, dass Odos Mutter und Schwester sowie Odoardus als dritter Beteiligter eine Erkenntnis besitzen, die durch die folgenden Infinitivkonstruktionen konkretisiert wird. Auch Tara (2014) merkt im Anschluss an Thielmann (1885b) an: „ [L]es constructions du type cognitum habeo s ’ approchent, de manière beaucoup plus évidente, des périphrases verbales de parfait, que toute autre structure où habeo apparaît avec le participe d ’ un verbe qui appartient à une autre classe semantique “ (Tara 2014: 95). Er stellt aber weiter fest, dass die Konstruktionen präsentisch zu verstehen sind. Dennoch sind Kollokationen mit Partizipien des Verbs cognoscere oder noscere sowie deren Komposita weit verbreitet (vgl. Thielmann 1885b: 517 - 523; Tara 2014: 94 - 98). In die Einteilung von Harris (1982) lässt sich eine solche Konstruktion der ersten Stufe zuordnen. Sie beschreibt den gegenwärtigen Zustand der Erkenntnis und der Fokus liegt weniger auf dem Zeitpunkt des Erkennens, sondern auf der gegenwärtigen gewonnenen Erkenntnis selbst (vgl. Menge 2005: § 137). Diese wird durch die abhängigen Infinitivkonstruktionen konkretisiert. Wenngleich die Zusammensetzungen von habere mit Partizipien kognitiver oder 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 91 <?page no="92"?> kommunikativer Verben die Entwicklung der neuen Perfektkonstruktionen angetrieben haben sollen, da ihnen die vorausgesetzte Agensidentität inhärent ist, stellen sie noch keine Perfektformen dar, die ausschließlich die Vergangenheit beschreiben. Insbesondere das obige Beispiel zeigt, dass diese Konstruktionen nicht zwingend einem fortgeschritteneren Entwicklungsstadium zuzuordnen sind. In den französischen Urkunden finden sich neben dem Beispiel incognitum habemus 25 weitere Kollokationen, die ähnlich zu betrachten sind, darunter beispielsweise die formelhaften Wendungen mit dem Partizip compertum oder concessum, die bereits erwähnt wurden. Zudem sind einige einmalig erscheinende Zusammensetzungen von habere-Formen mit Verben der Kognition oder Kommunikation vorhanden. Bei einigen Kollokationen könnte allerdings davon ausgegangen werden, dass sie, im Gegensatz zum Beispiel incognitum habemus, bereits grammatikalisierter gebraucht und verstanden wurden. 19 6.2.1.1.5 Beispiel 5: Verben des Besitzwechsels Nos insuper quoque totam ipsam terram c[ultam] et incultam, quam Ricardus, noster caballarius, cum nostro consilio, cambiavit per vineam quam habebat donatam ad sanctum Victorem et ad sanctum Poncium, pro anima mulieris sue, ad proprium alodem, donamus similiter sancto Victori. Darüber hinaus schenken wir ebenso Sankt Viktor auch das ganze bewohnte und unbewohnte Land, welches Ricardus, unser Pferdeknecht, auf unseren Rat hin gegen den Weinberg tauschte, den er an Sankt-Viktor und an Sankt-Poncius verschenkt hatte, für die Seele seiner Frau, zum eigenen Besitz. (Poncius Silvanus und andere, 1042. Charte 4048) Das nächste Textbeispiel ist einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 1042 entnommen. In dieser wird die Übergabe der Kirche Sankt-Poncius in Annot sowie mehrerer Ländereien in der Umgebung an die Abtei Sankt-Viktor in Marseille dokumentiert. Die Auftraggeber: innen der Urkunde sind neben dem 19 Es handelt sich um folgende Konstruktionen: „ cognita abebant “ (Charte 497), 2x „ compertum habemus “ (Chartes 410 und 4953), „ conpertum habemus “ (ebd.), 2x „ concessas habemus “ (Chartes 4 und 5031), „ concessum habeat “ (Charte 2940), 3x „ habeat … concessum “ (Chartes 1144, 2001 und 2022), „ habeant … concessum “ (Charte 3769), „ concessum habuit “ (Charte 3771), „ habiant concessum “ (Charte 4484), „ habirent concessum “ (Charte 4469), „ indultum atque concessum habeat “ (Charte 2968), „ habeant concessum atque indultum “ (Charte 2936), „ habiat concessa adque indulta “ (Charte 4466), 2x „ habiat concessum adque indultum “ (Chartes 4463 und 4487), „ habirit concessum adque indultum “ (Charte 4481), 2x „ habeant confirmatum vel evindicatum “ (Chartes 2924 und 2934), „ constitutum habemus “ (Charte 2984), „ designatum habemus “ (Charte 4625) und „ probatum abeo “ (Charte 3781). 92 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="93"?> erstgenannten Poncius Silvanus noch eine Reihe weiterer Personen. 20 Der Grund für die Schenkung ist die Hoffnung auf Erlösung der Seelen und Vergebung der Sünden durch Gott. 21 Im Hauptteil des Dokumentes werden sämtliche Schenkungen der einzelnen Personen detailliert aufgezählt und konkretisiert. Dort steht der obige Beispielsatz, in dem die Abgaben der zu Beginn genannten Geronda und ihrer Söhne (Geronda quoque predicta, consanguinea nostra, et filii ejus Vuido et Leontius, Bertrannus et Grifo, Poncius) 22 festgelegt werden. Der Satz beginnt mit dem Hauptsatz, in dem zunächst das Subjekt (nos) und der Gegenstand der Schenkung genannt werden. Mit nos sind Geronda und ihre Söhne bezeichnet. Der Hauptsatz wird durch einen Nebensatz, eingeleitet durch quam, unterbrochen, wodurch der zu schenkende Besitz konkretisiert wird. Von diesem Relativsatz ist ein zweiter Relativsatz abhängig, der ebenfalls mit quam beginnt. Die PPP-Konstruktion steht zu Beginn des zweiten durch quam eingeleiteten Relativsatzes, durch den der zuvor genannte Weinberg (vineam) genauer definiert wird, den der Pferdeknecht Ricardus für Geronda und ihre Söhne gegen Ländereien eintauschte. Das Partizip donatam ist KNG-kongruent zum Relativpronomen, von dem es durch das Prädikat habebat getrennt wird. Als Subjekt zu habebat fungiert der im ersten Relativsatz genannte Ricardus. Die Wortbedeutung des Partizips spielt in diesem Fall eine große Rolle, da der unterschiedliche Gebrauch der Konstruktion zu gegensätzlichen Aussagen führt. Wenn keine engere Verbindung zwischen PPP und Prädikat und somit eine klassische Verwendung angenommen werden würde, besäße Ricardus als Folge etwas, das ihm geschenkt wurde. Die Bedeutung des Besitzes bei habebat wäre eindeutig vorhanden. Wenn die Kollokation habebat donatam als neue Perfektkonstruktion betrachtet werden würde, müsste Ricardus selbst Agens des Partizips sein und somit derjenige, der den Weinberg (vineam quam) 20 Diese Personen werden im Protokoll in der Intitulatio namentlich aufgezählt: „ nos Poncius Silvanus, et Ugo et Wilelmus atque Milo, cum uxore sua et filiis suis ȩ ldeberto et Milo et Petro, Constantino, Poncio et Wilelmo; Jonam et fratres ejus Poncius, Sulpicius, et uxor sua Gerunda, cum filiis suis Guidone, Bertran[no, Le]oncio, Grifone et Poncio; Hermenrigus et frater ejus Poncius; et Antoninus, Girunculus, Autrannus, Pontius et Atharnulfus, et mater eorum Ermengarda “ (Charte 4048). 21 „ pro redemptione animarum nostrarum et genitorum ac genitricium o[mniumque parentum nostr]orum, et ut omnipotens Deus det nobis remissionem omnium peccatorum nostrorum “ (Charte 4048). 22 Geronda wird hier als Verwandte (consanguinea nostra), vermutlich vom erstgenannten Poncius, bezeichnet. In der Intitulatio wird sie Gerunda geschrieben, ebenso werden ihre Söhne an dieser Stelle Vuido statt Guido und Leontius statt Leoncius genannt. Diese Graphemvarianten sind gängige Abweichungen, die dieselben Personen bezeichnen sollen. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 93 <?page no="94"?> verschenkt hatte. In diesem Fall könnte durch habebat kein Besitz mehr vermittelt werden, da Ricardus den Gegenstand verschenkt hätte und folglich nicht mehr Eigentümer wäre. Der Relativsatz liefert in dieser Textstelle einen eindeutigen Hinweis auf den Gebrauch, denn durch die Präposition ad + Akkusativ 23 wird hier der Empfänger der Schenkung vermittelt (ad sanctum Victorem et ad sanctum Poncium). Demzufolge muss angenommen werden, dass Ricardus der Agens des Partizips ist, nicht aber der anschließende Besitzer. Dementsprechend stellt die Konstruktion einen temporalen Ausdruck dar, da habebat keinen Besitz mehr anzeigt und vollständig semantisch ausgeblichen ist. Somit bezeichnet die Textstelle eine vergangene Handlung, nämlich die Schenkung eines Weinbergs, die anschließend durchgeführt und abgeschlossen wurde. Werden die vier Entwicklungsstufen von Harris (1982) hinzugezogen, so lässt sich diese Konstruktion in die vierte Stufe einordnen. Die Kollokation habebat donatam beschreibt einen abgeschlossenen Vorgang, ohne dass durch habebat ein Resultat ausgedrückt wird oder eine „ present relevance “ (Harris 1982: 50) besteht. Auch Tara stellt fest, dass Kollokationen aus habeo + dare „ le principal argument sémantique de la lexicalisation et même de la grammaticalisation de la construction “ (Tara 2014: 75) darstellen müssten. Im Korpus seiner Untersuchung erscheint jedoch nur eine Zusammensetzung mit dem Partizip deditum, welche er im Anschluss an Thielmann im Sinne eines Adjektivs auffasst (vgl. Thielmann 1885b: 402; Tara 2014: 75 f.). 24 Es gibt nur wenige Textstellen in den französischen Urkunden, die eine Zusammensetzung aus habere und einem PPP aufweisen, die durch kleinere Hinweise temporal gedeutet werden können. Diese könnten belegen, dass die Konstruktion bereits bekannt und verbreitet war. Der gegensätzliche Sinn legt nahe, dass Zeitgenossen die Zusammensetzungen nicht anders auffassen konnten. In den Dokumenten der Datenbank TELMA sind es vor allem Kollokationen von habere mit Partizipien der Verben des Gebens, die einen Besitzwechsel mit sich bringen. Insbesondere der Dativ (oder die spätlateinische Konstruktion aus ad + Akkusativ als Ersatz des Dativs) gibt bei diesen Konstruktionen eindeutige Hinweise auf den Gebrauch. Auch eine Kollokation 23 Eine Folge des zunehmenden Kasusschwunds im Spätlatein ist die Übernahme der Funktionen des Dativs durch die Präposition ad + Akkusativ, die in dieser Textstelle zu finden ist. In den romanischen Sprachen setzt sich diese Funktion fort, wie beispielsweise die französische Präposition à zeigt (vgl. Kiesler 2018: 82; Müller-Lancé 2020: 227) 24 Es handelt sich um eine Textstelle von Terenz: „ Prius quam hanc uxorem duxi, habebam alibi animum amori deditum [ … ] “ (Ter. Hec. 294). Thielmann fasst deditum in diesem Fall als Attribut zu animum auf im Sinne von obstrictum oder addictum (vgl. Thielmann 1885b: 402). 94 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="95"?> von habere mit dem Partizip des Kommunikationsverbs respondere ist in den französischen Urkunden anhand des Dativs, der die Adressaten mitteilt, eindeutig zu bestimmen. 25 6.2.1.1.6 Beispiel 6: habere im Passiv Quod quomodo factum fuerit, in alia carta plenius scriptum habetur. Wie dieses gemacht wurde, ist in einer anderen Urkunde ausführlicher geschrieben worden / wird als Geschriebenes gehalten. (Raineldis, ihr zweiter Ehemann Tetbaudus Frescengerius und ihr Sohn Sigebrannus, 1120. Charte 4854) Die letzte ausgewählte Textstelle, in der eine Kollokation einer passiven Form von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv erscheint, stammt aus der Bekräftigung einer Schenkung. Nachdem Raineldis nach dem Tod ihres ersten Ehemannes Gorinus ein Stück Land bei Crances an Sankt-Pierre in Chemillé verschenkt hatte, wie in einem anderen Dokument urkundlich festgehalten wurde (Charte 4655), versuchten ihr zweiter Ehemann Tetbaudus Frescengerius und sie anschließend den Zehnt wieder an sich zu reißen. Davon ließen sie jedoch wieder ab, als sich eine unausweichliche Konfrontation andeutete. Gleichzeitig wird im zweiten Teil der Urkunde ihre Anfechtung bezüglich der Schenkung eines anderen Zehnts durch ihren Sohn Sigebrannus mit der Begründung abgewiesen, dass diese nicht gültig sei, da er noch ein Kind war. Die Urkunde beginnt sehr abrupt, indem zu Anfang die vorherige Schenkung (hoc donum suprascriptum) genannt wird sowie die Personen, die diese Schenkung leisten und erhalten (concessit monachis habendum Tetbaudus Frescengerius, et uxor ejus cum filiis eorum). Der Beispielsatz folgt direkt nach dem einleitenden Satz des Dokuments. Er verweist auf die frühere Urkunde, in der die Schenkung festgehalten wurde. In dieser Textstelle wird das Partizip scriptum mit der passiven Form habetur kombiniert. Wenn diese Konstruktion als neue analytische Perfektform betrachtet werden würde, muss sie einen Ausdruck des Perfekt Passivs darstellen, da durch die Zusammensetzung mit einer aktiven Form eine aktive Konstruktion entsteht und somit zum Ausdruck des Passivs auf eine passive Form 25 Weitere Kollokationen, die einen temporalen Wert haben könnten, sind Folgende: „ circumdatum abemus “ (Charte 497), 2x „ habet datos vel datas “ (Chartes 4064 und 4777), „ habemus datas “ (Charte 4163), „ datam habebamus “ (Charte 5), „ datas habebamus “ (Charte 9), „ datum abes “ (Charte 4112), „ datum abebat “ (Charte 1782), „ haberent indultas “ (Charte 5023), 3x „ insertum abet “ (Charte 1782), „ iuratum abebant “ (Charte 497), „ juratum habebant “ (Charte 3966), 3x „ juratum habuerit “ (Chartes 3163, 3164 und 3165), „ juratas … abet “ (Charte 4112), „ responsum … habuerunt “ (Charte 4965) und „ abuerat venundatas “ (Charte 2795). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 95 <?page no="96"?> zurückgegriffen werden muss. Dadurch wird das Passiv gewissermaßen doppelt markiert, der ursprüngliche passive Wert des Partizips reicht als Marker nicht mehr aus. Die Kollokation scriptum habetur könnte einerseits schon als neue passive Perfektkonstruktion gewertet werden, bei der das Prädikat habetur die ursprünglich gebräuchliche Form est ersetzt. Die Übernahme der Funktionen von esse durch habere war ein übliches Phänomen in der spätlateinischen Sprache (vgl. Benveniste 1966: 187 - 207; García-Hernández 1993; Tara 2014: 63 - 66), sodass die Verdrängung des Hilfsverbs esse im Perfekt Passiv als gängige Entwicklung eingestuft werden kann. Laut Tara sind solche Kollokationen aus einer passiven Form von habere + PPP immer äquivalent zu den Konstruktionen aus PPP + esse, behalten aber ein Stück weit ihren possessiven Wert: „ Dans la construction habeo + participe parfait passif, habere au passif est équivalent de l ’ auxiliaire esse de la voix passive. Si, du point de vue syntaxique, les deux verbes jouent le même rôle, ils sont différents en ce qui concerne leur sémantisme parce que habere conserve, par opposition à esse, une faible valeur de ‚ possession ‘ . “ (Tara 2014: 158; vgl. auch García-Hernández 1989: 301). Für die Konstruktion könnte somit angenommen werden, dass sie einerseits bereits eine temporale Bedeutung hat und der Fokus auf dem vergangenen Ereignis liegt; andererseits könnte die Zusammensetzung scriptum habetur als Ausdruck des Zustands oder der Dauer aufgefasst werden. In diesem Fall wäre das Prädikat im klassischen Sinne als ‚ halten ‘ zu verstehen, wie es im zweiten Beispiel reservatam abeammus der Fall war (vgl. Kap. 6.2.1.1.2), und die Konstruktion drückt etwas Gegenwärtiges aus. Zuletzt könnte die Zusammensetzung mit dem PPP von scribere formelhaft gewesen sein, wie Thielmann überlegt (vgl. Thielmann 1885b: 514). Tara hingegen widerspricht dieser Meinung, da die Konstruktionen in ihren Zusammensetzungen variieren, was die Ergebnisse dieser Untersuchung bestätigen (vgl. Tara 2014: 75; Kap. 6.2.1.1.1). Nach Harris (1982) kann aufgrund des durativen Aspekts die Einordnung in die zweite Stufe erfolgen. Dennoch lässt sich bei diesem Textbeispiel sowie bei den anderen Zusammensetzungen einer passiven Form von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv der Gebrauch nicht eindeutig beurteilen. Durch die zahlreichen Vorkommnisse in den französischen Urkunden und die Tatsache, dass das PPP und das Prädikat bereits eine engere Verbindung eingegangen sind, ist zu vermuten, dass diese Kollokationen zumindest zur Ausbreitung der neuen analytischen Perfektkonstruktionen beigetragen haben. Am häufigsten erscheinen Zusammensetzungen mit dem Partizip von scribere oder eines seiner Komposita (conscribere, describere, praescribere, subscribere und subterscribere), wie eingangs bereits erwähnt wurde. In vielen Textstellen werden diese in 96 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="97"?> ähnlichen Formulierungen verwendet, um auf andere Dokumente (siehe Beispiel) oder zuvor (superius) oder darunter (subtus) Geschriebenes zu verweisen. Der Großteil der anderen Kollokationen mit passiven Formen von habere erscheint nur einmalig in den französischen Urkunden. Insgesamt sind es 95 Zusammensetzungen eines Partizips und einer passiven habere-Form. 26 6.2.1.2 Burgundische Urkunden (CBMA) In den burgundischen Urkunden der Datenbank CBMA konnten 171 Textstellen ermittelt werden, in denen eine Wortform von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv kombiniert wurde. Ähnlich wie bei den Urkunden aus dem gesamten Frankreich, handelt es sich um Partizipien von 72 verschiedenen Verben. Wiederum lassen sich einige Besonderheiten und Auffälligkeiten feststellen, die zum Teil mit denen der französischen Urkunden übereinstimmen: 26 Es erscheinen folgende weitere Konstruktionen von habere im Passiv mit einem PPP: „ annotata … habentur “ (Charte 3173), „ annullata et subtracta habebatur “ (Charte 204), „ habetur cognitum “ (Charte 4840), 2x „ conditus habetur “ (Chartes 350 und 3004), „ condita habentur “ (Charte 4423), „ habetur concessum “ (Charte 207), „ habetur … conscripta “ (Charte 3500), „ habetur … conscriptum “ (Charte 2855), „ habetur consecrata “ (Charte 1591), 2x „ constructa habetur “ (Chartes 19 und 1796), „ constructus habetur “ (Charte 2044), „ habentur … construct ę“ (Charte 4610), 3x „ descriptum habetur “ (Chartes 2082, 2955 und 2956), „ descripta habentur “ (Charte 353), 2x „ dicata habetur “ (Chartes 140 und 2367), „ dicata … habetur “ (Charte 142), „ emendata … haberetur “ (Charte 2644), „ exaratum habetur “ (Charte 163), „ excommunicatus haberetur “ (Charte 2814), „ habetur expressum “ (Charte 3020), „ fundata et consecrata … habetur “ (Charte 3764), „ habetur fundatum “ (Charte 719), „ habetur humatum “ (Charte 2022), „ inclausus habetur “ (Charte 2988), 3x „ habetur incognitum “ (Chartes 983, 2361 und 2960), „ inditum habebatur “ (Charte 4041), „ habetur inserta “ (Charte 138), „ habetur … inserta “ (Charte 4026), 4x „ insertum habetur “ (Chartes 137, 158, 159 und 4798), „ inserta habentur “ (Charte 164), 4x „ habentur inserta “ (Chartes 4462, 4588, 4656 und 4697), „ abetur insertus “ (Charte 611), 2x „ habetur percognitum “ (Chartes 2001 und 4490), „ habentur posita “ (Charte 1735), „ habentur … positi “ (Charte 4387), „ prescriptum habetur “ (Charte 4231), 2x „ pretitulatum habetur “ (Chartes 4207 und 4208), „ reconditum … habetur “ (Charte 2071), „ restauratum habeatur “ (Charte 2644), 2x „ scripta habetur “ (Chartes 1735 und 4616), 5x „ scriptum habetur “ (Chartes 2470, 2836, 2955, 2956 und 4888), 2x „ habetur scriptum “ (Chartes 2305 und 3894), 3x „ scripta habentur “ (Chartes 2306, 4583 und 4587), 4x „ habentur scripta “ (Chartes 1575, 3206, 4541 und 4826), „ scripti habentur “ (Charte 2740), „ habentur scripti “ (Charte 4034), 2x „ scriptum habebatur “ (Chartes 3894 und 4052), „ habetur sepultus “ (Charte 606), „ statutus habetur “ (Charte 737), „ subditi haberentur “ (Charte 165), „ subjectus habetur “ (Charte 204), „ habeatur subjecta “ (Charte 305), 8x „ subscripta habentur “ (Chartes 427, 1229, 1263, 1330, 1686, 2207, 3123 und 4754), 2x „ habentur subscripta “ (Chartes 346 und 1970), 2x „ subscripti habentur “ (Chartes 678 und 4246), „ subscripti … habentur “ (Charte 1439), „ subterscripta habentur “ (Charte 3634) und „ tractatus habetur “ (Charte 1508). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 97 <?page no="98"?> • Auch in den Rechtsdokumenten aus Burgund treten Zusammensetzungen von habere mit dem Partizip scriptum oder eines seiner Komposita 27 am häufigsten auf, jedoch ist die Gesamtzahl deutlich geringer und weniger auffällig (16 von 171 Kollokationen: 9,4 %). Alle Partizipien setzen sich mit passiven Formen von habere zusammen, wie es in den französischen Urkunden in vielen Textstellen beobachtet werden konnte. • Nach scribere erscheinen mehrere Kollokationen von passiven Formen von habere mit Partizipien des Verbs inserere. Gleiches konnte bei den französischen Urkunden festgestellt werden. Insgesamt tauchen zehn Zusammensetzungen auf sowie eine weitere mit dem Partizip des Kompositums subinserere, das ebenfalls mit einer passiven habere-Form kombiniert wird. • Eine weitere Übereinstimmung besteht in den mehrfach auftauchenden Zusammensetzungen von habere mit dem PPP concessum. Dieses erscheint in den französischen Urkunden oftmals in Verbindung mit dem Partizip indultum, was in den burgundischen Urkunden nicht beobachtet werden kann. 28 Es finden sich aber sechs Textstellen mit Partizipien von concedere und einer Wortform von habere. Diese Konstruktionen konnten bereits in den Formelsammlungen der Merowinger und Karolinger entdeckt werden (vgl. Anm. 10). • Was in den französischen Urkunden nicht beobachtet werden konnte, in den Urkunden aus Burgund aber auffällig ist, sind Zusammensetzungen aus dem Partizip notum und den Formen habeatur (12x) oder haberetur (2x) in 14 verschiedenen Rechtsdokumenten. Diese werden formalhaft verwendet, um entweder zu Beginn der Urkunde in der Promulgatio eine Willenserklärung abzugeben (notum habeatur) oder am Ende des Dokuments in der Corroboratio die Beglaubigung auszudrücken (notum haberetur). Der Gebrauch ersetzt in diesen Fällen das ursprünglich übliche notum sit (vgl. Zeumer 1963). In den französischen Urkunden ist diese Formel konkret nicht zu entdecken, dafür Kollokationen von habere mit dem PPP cognitum oder den Komposita incognitum sowie percognitum. Drei Konstruktionen mit dem PPP von cognoscere sind auch in den burgundischen Urkunden zu finden, von denen 27 Zu den vorkommenden Komposita zählen in diesem Fall nur describere (1x) und subscribere (1x). 28 Es erscheint allerdings die Konstruktion „ indultam haberent “ ( „ Tei-0880_PerrecylesForges_12495.xml “ ) in den Urkunden aus Burgund, die jedoch nicht mit dem Partizip concessum kombiniert wird. 98 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="99"?> zwei im Sinne von notum habeatur und eine im Sinne von notum haberetur gebraucht werden. 29 • Es erscheinen außerdem insgesamt zehn Zusammensetzungen von unterschiedlichen Formen von habere mit dem Partizip suspectum, die in verschiedenen Dokumenten in Erscheinung treten. Diese Kollokationen werden mit aktiven und passiven Formen kombiniert. Sie werden sehr unterschiedlich gebraucht und sind keiner gängigen Formel zuzuordnen. • Eine weitere Besonderheit stellen neun Kollokationen von habere mit dem Partizip incartatum dar. Die Zusammensetzungen bestehen immer mit aktiven Verben, die überwiegend in der ersten Person stehen. Sie erscheinen in unterschiedlichen Dokumenten und können möglicherweise als formelhaft bezeichnet werden. • Zuletzt sind an dieser Stelle noch sechs Konstruktionen mit dem PPP excusatum zu erwähnen, von denen fünf mit der Wortform habeatis zusammengesetzt werden. Sie stammen aus verschiedenen Urkunden aus den Jahren 1238 bis 1245, weshalb nicht auf eine verbreitete Formel geschlossen werden kann. Die übrigen habere-Konstruktionen setzen sich mit unterschiedlichen Partizipien zusammen, die oftmals nur ein einziges Mal vorkommen. Wie es schon bei den französischen Urkunden beobachtet werden konnte, bestehen in den Dokumenten aus Burgund viele Kollokationen mit Verben des Gebens und Erwerbens, des Erschaffens und des Feststellens, jedoch in geringerer Anzahl. 30 Der Großteil setzt sich mit Verben verschiedener Bereiche zusammen. Es sollen wieder ausgewählte Textbeispiele näher betrachtet und auf ihren Entwicklungsstand hin analysiert werden. In der folgenden Untersuchung wird in gleicher Weise vorgegangen wie bei der vorherigen Analyse der französischen Urkunden. Es wird außerdem jeweils ein Vergleich zu den Schriften aus ganz Frankreich angestellt. 29 „ cognitum habemus “ ( „ Tei-1132_Yonne_7882.xml “ ) und „ cognitum habebatur “ ( „ Tei- 1115_Cluny_5338.xml “ ) werden zu Beginn in der Promulgatio verwendet, „ cognitum … haberetur “ ( „ Tei-1203_SaintBenoitsurLoire_11754.xml “ ) wird für „ notum haberetur “ in der Corroboratio eingesetzt. 30 Verben des Gebens und Erwerbens: acquirere/ adquirere (3x), corripere, dare (2x), delegare, exemere, recipere, reddere und redemere; Verben des Erschaffens: aedificare/ edificare (7x), construere (4x), facere (3x), fundare und munire; Verben des Feststellens: annotare (3x), confirmare, definire, deputare, solidare und statuere. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 99 <?page no="100"?> 6.2.1.2.1 Beispiel 1: Mehrdeutige Agensidentität Quarum rerum atque villarum nomina hæc sunt: …… … .. Cableia quoque in pago Tornotrinsi, ubi fratres monasterium constructum habent, ubi et sanctus Martinus corpore quasi peregrinus jacuit, cum Comisiaco villa, cum omnibus rebus ad easdem villas pertinentibus … .. Die Namen dieser Gegenstände und Dörfer sind: …… … .. auch Cableia im Bezirk von Tonnerre, wo die Brüder ein Kloster errichtet haben / ein errichtetes Kloster haben, wo auch der heilige Martin mit dem Körper wie ein Fremder lag, mit dem Dorf Comisiacus, mit anderen Gegenständen, die sich bis zu denselben Dörfern erstrecken … .. Karl III. der Einfältige, König von Frankreich, 903. ( „ Tei-0903_Yonne_7783.xml “ ) Das erste ausgewählte Textbeispiel der burgundischen Urkunden stammt aus einer Königsurkunde Karls III., König von Frankreich. Sie beinhaltet die Aufrechterhaltung zuvor gewährter Gebiete und Gegenstände an Robert, dem Abt von Sankt-Martin in Tours und Cousin seines Vorgängers Odo, und seine Mönche. Die Urkunde ist nicht vollständig erhalten. In der aufgegriffenen Textstelle fehlen genauere Angaben über die abgegebenen Besitztümer. Nur zwei Orte (Cableia und Comisiaco villa) und der Hinweis auf die Abgabe mehrere Gegenstände, die sich an diesen Orten befinden (cum omnibus rebus ad easdem villas pertinentibus), sind gesichert. Weitere Textbelege fehlen. Durch den ebenfalls nicht überlieferten Text nach dem ausgewählten Beispiel stellt dieser Satz den Abschluss des Hauptteils dar. Es folgt am Ende lediglich das Datum. Die Konstruktion aus dem Partizip constructum und dem Prädikat habent steht syntaktisch eng verbunden am Ende des ersten durch ubi eingeleiteten Nebensatzes. Das PPP ist KNG-kongruent zu seinem Bezugswort monasterium, welches ebenfalls eng mit diesem verbunden ist. Subjekt zu habent sind die zu Beginn des kurzen ubi-Satzes erwähnten fratres. Der Agens des Partizips bleibt unerwähnt, ebenso ein möglicher Grund für die Errichtung des Klosters. Es könnte einerseits davon ausgegangen werden, dass die fratres selbst das Gebäude bauten oder zumindest den Bau veranlassten. In diesem Fall läge bei constructum habent eine Konstruktion mit Agensidentität vor, die zum einen den reinen Vorgang oder zum anderen das Resultat der vorherigen Handlung ausdrücken könnte. Andererseits ist es gleichermaßen möglich, eine Agensidentität von Prädikat und Partizip auszuschließen, wodurch jemand Unbekanntes für die Errichtung verantwortlich wäre. Unter diesen Umständen hätten constructum und habent keine grammatikalische Verbindung, da das PPP als Attribut zu seinem Bezugswort monasterium fungieren würde. Der exakte Gebrauch ist anhand des Satzes allein nicht nachzuvollziehen, weil keine genaueren Angaben vorliegen. Wird allerdings von einem klassi- 100 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="101"?> schen Gebrauch ausgegangen, bei dem zwischen constructum und habent keine engere Verbindung bestand, stellt sich die Frage, weshalb der Verfasser das Partizip überhaupt hinzufügt. Das PPP wäre in diesem Fall redundant und müsste nicht speziell genannt werden. Das legt die Vermutung nahe, dass die fratres nicht nur Subjekt, sondern auch Agens des Partizips sind, wodurch die Kollokation als neue Perfektkonstruktion gewertet werden könnte. Werden hier wieder die vier Entwicklungsstufen, die Harris (1982) der habere-Konstruktion zuspricht, herangezogen, kann diese Kollokation, genau wie das erste Beispiel der französischen Urkunden, in die erste Stufe eingeordnet werden. Der Fokus liegt auf dem gegenwärtigen Zustand des Besitzes, während das vergangene Ereignis des Errichtens vermutlich lediglich eine zusätzliche Information ist. In den französischen Urkunden erscheinen drei Konstruktionen mit einem Partizip des Verbs construere und einer aktiven Form von habere, die gleichermaßen eingeordnet wurden. Es ist bei mehreren Zusammensetzungen nicht einwandfrei zu klären, ob bereits Agensidentität vorliegt, welche als Voraussetzung für eine neue Perfektkonstruktion gilt, oder ob ein klassischer Gebrauch zu vermuten ist, bei dem das PPP und das Prädikat keine engere Verbindung zueinander eingehen. In den burgundischen Urkunden ist das bei insgesamt 47 von 172 Kollokationen der Fall (27,3 %), in den französischen Urkunden erscheinen etwas weniger solcher Textstellen (34 von 214 Kollokationen: 15,9 %). Darunter ist eine weitere Kollokation mit dem Partizip constructam und mehrere Zusammensetzungen mit edificatum (eigentlich aedificatum), die auch in den Dokumenten der Datenbank TELMA auftauchen. Außerdem sind viele einzelne Konstruktionen dieser Art des Gebrauchs zuzuordnen, bei denen nicht aufgrund des Kontextes oder ähnlicher Verwendung auf den konkreten Gebrauch geschlossen werden kann. 31 31 Folgende Textstellen sind ähnlich verwendet: „ commendatum habeo “ ( „ Tei-0876_Saint- BenoitsurLoire_11487.xml “ ), „ haberet … commendatos “ ( „ Tei-1259_Cluny_6469.xml “ ), „ commendatum habebit “ ( „ Tei-1166_Cluny_5646.xml “ ), „ commissum habemus “ ( „ Tei- 0835_SaintMarcellesChalon_10495.xml “ ), „ constructam haberet “ ( „ Tei-0887_DijonSaintEtienne_12886.xml “ ), „ habeant … dedicatam “ ( „ Tei-0907_MaconSaintVincent_399.xml “ ), „ deminutam … habebant “ ( „ Tei-1051_MaconSaintVincent_530.xml “ ), „ duplicatam habebimus “ ( „ Tei-1180_SaintBenoitsurLoire_11681.xml “ ), „ edificatam habeas “ ( „ Tei-9999_MaconSaintVincent_303.xml “ ), 2x „ habeat edificata “ ( „ Tei-0998_Cluny_3029.xml “ ; „ Tei- 1003_Cluny_3145.xml “ ), „ edificatam habeatis “ ( „ Tei-0968_MaconSaintVincent_290. xml “ ), „ habeant ӕ dificatam “ ( „ Tei-1020_Cluny_3296.xml “ ), „ edificatum abet “ ( „ Tei- 0967_Cluny_3712.xml “ ), „ edificatum abeas “ ( „ Tei-0965_Cluny_3672.xml “ ), „ emendatum habeam “ ( „ Tei-1110_Cluny_5319.xml “ ), „ emendatum habuero “ (ebd.), 2x „ incartatas habeo “ ( „ Tei-0886_MaconSaintVincent_120.xml “ ; „ Tei-0928_MaconSaintVincent_334. xml “ ), „ incartatum habet “ ( „ Tei-0892_MaconSaintVincent_305.xml “ ), „ incartatum habui “ ( „ Tei-0864_MaconSaintVincent_60.xml “ ), „ incartatum abeo “ ( „ Tei-0908_Cluny_1509. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 101 <?page no="102"?> 6.2.1.2.2 Beispiel 2: habere im Sinne von ‚ halten ‘ als fortdauernder Zustand Preterea, karissimus in Christo filius noster, Lodoicus, illustris Francorum rex, ad exemplar patris sui, duas portas, quas in claustro ecclesie antiquitus solebatis habere, stabiles manere constituit et ut in duobus introitibus, quos in eodem claustro apertos et sine portis habebatis, portas facere vobis concessit. Außerdem setzte unser teuerster Sohn unter Christus, Ludwig, der berühmte König der Franken, nach dem Vorbild seines Vaters fest, dass zwei Türen, welche ihr im Gebäude der Kirche seit alter Zeit zu haben pflegtet, dauerhaft bleiben, sowie er euch gewährte, in zwei Eingänge, welche ihr in demselben Gebäude geöffnet und ohne Türen hatte/ hieltet, Türen zu machen. Papst Alexander III, 1165. ( „ Tei-1165_Yonne_8260.xml “ ) Das zweite Textbeispiel einer Kollokation aus einem PPP und einer Form von habere stammt aus einem Privileg des Papstes Alexander III. aus dem Jahr 1165. Darin wird erstens festgelegt, dass der Papst die Domkapitel von Sens und das Kloster Sankt-Peter in Schutz nimmt. Ebenso bestätigt er ein von Erzbischof Heinrich aufgesetztes Statut in Bezug auf das Einkommen der Präbende und das von König Ludwig dem Jüngeren erlassene Privileg aus dem Jahr 1120 ( „ Tei- 1120_Yonne_7839.xml “ ), welches das Abschließen des Klosters durch zwei Tore und das Errichten einer Mauer sowie eines Grabens um das Kloster erlaubt. An dieser Stelle findet sich der oben zitierte Textausschnitt, der eben dieses Privileg Ludwigs aufgreift. Des Weiteren bestätigt Papst Alexander anerkannte Rechte zur Wahl des Ältesten und zählt zuletzt alle dem Domkapitel von Sens unterstellten Kirchen und Kapellen auf. Das Partizip apertos und das Prädikat habebatis sind in diesem Fall syntaktisch voneinander getrennt. Das PPP ist KNG-kongruent zu dem Relativxml “ ), „ incartatum abet “ ( „ Tei-0900_Cluny_1480.xml “ ), 2x „ incartatum abemus “ ( „ Tei- 0938_Cluny_1905.xml “ ; „ Tei-0953_Cluny_2268.xml “ ), „ abeamus incartatum “ ( „ Tei- 0893_Cluny_1464.xml “ ), „ infixum haberent “ ( „ Tei-0930_MaconSaintVincent_38.xml “ ), „ oblatum habebunt “ ( „ Tei-1176_Yonne_8379.xml “ ), „ habebant … obligatam “ ( „ Tei- 1231_Autuneveche_1311.xml “ ), „ habet paratas “ ( „ Tei-1282_Autuneglise_829.xml “ ), „ habent paratam “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7228.xml “ ), „ paratam habeat “ ( „ Tei-1065_Cluny_4824.xml “ ), „ paratos haberent “ ( „ Tei-0901_Autuneglise_660.xml “ ), „ paratum habuerunt “ ( „ Tei-1085_DijonSaintEtienne_12763.xml “ ), „ perditam habent “ ( „ Tei- 0954_MaconSaintVincent_422.xml “ ), „ perditam haberent “ ( „ Tei-0873_SaintMarcellesChalon_10519.xml “ ), „ habuerunt perditas “ ( „ Tei-1219_Yonne_8862.xml “ ), „ placatum habeat “ ( „ Tei-1031_Cluny_4276.xml “ ), „ placatum habeant “ ( „ Tei-1078_Cluny_4935.xml “ ), „ habeant productam “ ( „ Tei-1100_Citeaux_13181.xml “ ), „ recommendatos habeamus “ ( „ Tei- 1274_Autuneveche_1115.xml “ ), „ habeam sigillatas “ ( „ Tei-1291_Autuneveche_1281. xml “ ), „ habebit … statutam “ ( „ Tei-1188_Cluny_5753.xml “ ), „ habet … subditam “ ( „ Tei- 1132_Citeaux_13274.xml “ ), „ subditam … haberet “ ( „ Tei-1170_Cluny_5660.xml “ ) und „ habeat … subiectos “ ( „ Tei-1283_Yonne_9338.xml “ ). 102 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="103"?> pronomen quos, das sich wiederum auf die zuvor genannten zwei Eingänge (duobus introitibus) bezieht und diese genauer definiert. Grammatikalisch ist es mit der Präpositionalphrase sine portis gleichzusetzen, mit der apertos durch die Konjunktion et verbunden wird. Durch diesen Einschub wird es von habebatis getrennt. Die Handlung des Öffnens ist, wie Tara feststellt, „ une action momentanée “ (Tara 2014: 162). Dieser Aspekt lässt zunächst vermuten, dass die Konstruktion ein vergangenes Ereignis beschreibt. Tara merkt aber für ein ähnliches Beispiel zugleich an, dass „ l ’ emploi de l ’ imparfait de habeo donne l ’ idée de durée “ (ebd.). Durch den Kontext lässt sich für das obige Beispiel annehmen, dass in diesem Fall nicht die Handlung des Öffnens im Vordergrund stehen soll, wodurch der Gebrauch als temporale Perfektkonstruktion ausgeschlossen werden kann. Vielmehr ist in diesem Fall eine andere Funktion zu vermuten, nämlich die Beschreibung eines Zustandes oder einer Dauer. Das Prädikat habebatis müsste demnach im Sinne von ‚ halten ‘ verstanden werden. Die Konstruktion drückt dadurch keine vergangene Aktion aus, sondern die Beschaffenheit, die über längere Zeit Bestand hat. Gleiches erläutert Thielmann (1885b) in seiner Untersuchung zu Kollokationen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv. Diese Funktion tritt seiner Meinung nach immer bei Verben auf, die einen Zustand oder eine Dauer beschreiben (vgl. ebd: 375 f.; vgl. Kap. 6.2.1.1.2). In der Textstelle wird der Gebrauch von habebatis als ‚ halten ‘ durch die Verwendung des Imperfekts verstärkt, das im klassischen Latein oftmals die Funktion ‚ Dauer/ Zustand ‘ in der Vergangenheit übernimmt. Dass die Handlung des Öffnens nicht im Vordergrund stehen kann, lässt sich außerdem durch den Hauptsatz erklären, der den Relativsatz umschließt, zu dem die habere-Kollokation gehört. Dort wird beschrieben, dass den Adressaten der Urkunde die Erlaubnis erteilt wird, in vorhandene Öffnungen, die nicht geschlossen werden können, Türen einzubauen. Somit ist der Fokus auf den Vorgang der Öffnung aufgrund des Inhalts nicht möglich. In das Modell der Entwicklungsstufen nach Harris (1982) ließe sich diese Konstruktion demnach nicht einordnen, da keine vorherige Handlung erfolgte. Dies ist ein Einzelbeispiel, das demonstrieren soll, dass in manchen Fällen nur anhand inhaltlicher Angaben erläutert werden kann, wie eine Konstruktion zu verstehen ist. In den französischen Urkunden wurde anhand des Beispiels von reservatam abeammus aufgezeigt, dass sich Kollokationen finden, in denen habere einen durativen Aspekt hat und gleichzeitig eine vorangegangene Handlung ausgedrückt wird, auch wenn es nur wenige Beispiele sind. In diesen Textstellen ist die Form von habere im Sinne von ‚ halten ‘ zu verstehen. Dies trifft auf ebenfalls wenige Konstruktionen in den burgundischen Urkunden zu. Es betrifft drei Einzelbeispiele sowie jeweils sechs Konstruktionen mit den Partizipien excu- 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 103 <?page no="104"?> satum und suspectum, die dieser Art der Funktion zugeordnet werden können. Neben dem obigen Beispiel ist eine Konstruktion zu nennen, die in dem Privileg des Königs Ludwig zu finden ist, auf das die gewählte Textstelle zurückzuführen ist. Die Kollokation apertos et sine portis habebant ist gleichermaßen klassisch zu betrachten und ohne temporalen Aspekt ( „ Tei-1120_Yonne_7839. xml “ ). 32 6.2.1.2.3 Beispiel 3: Agensidentität von Partizip und Prädikat Infra istas terminaciones quidquid ad ipso curtilo aspiciunt vel aspicere videntur, [ … ] 33 , tibi et fratri tuo Rodberto, et unum de infantibus vestris, concedimus in precaria, ad meliorandum, et alias res que vos ibidem adquisitas habetis vel inantea adquirere potueritis, [ … ] 34 . Was auch immer sie innerhalb dieser Begrenzungen bis zum Hof selbst sehen oder zu sehen scheinen, [ … ], gestehen wir dir und deinem Bruder Rodbertus und einem von euren Kindern als auf Widerruf gewährte Besitztümer zu, um sie zu verbessern, und andere Dinge, die ihr ebenda erworben habt oder künftig erwerben könnt, [ … ]. Gerald, Bischof von Mâcon, 898. ( „ Tei-0898_Cluny_1477.xml “ ) Bei dem nächsten Textbeispiel handelt es sich um einen Satz aus einer Urkunde aus dem Jahr 898, in der festgehalten wird, dass Bischof Gerald von Mâcon den Brüdern Bodo und Robert einen curtilum im Bezirk von Colonicas auf Widerruf gewährt. Die als Beispiel gewählte Textstelle steht in der Narratio im Hauptteil der kurz gehaltenen Urkunde, die die genaue Beschreibung des Sachverhalts beinhaltet. Zuvor wurde bereits detailliert beschrieben, um welchen Hof es sich handle, was daraufhin konkretisiert wird. 32 Folgende Textstellen sind neben den bereits zitierten Konstruktionen mit apertos ähnlich verwendet: „ correptam habet “ ( „ Tei-1100_Citeaux_13181.xml “ ), „ habeat excusatos “ ( „ Tei- 1245_Cluny_6298.xml “ ), „ excusatam habeatis “ ( „ Tei-1240_Cluny_6207.xml “ ), „ habeatis excusatam “ ( „ Tei-1240_Cluny_6219.xml “ ), „ habeatis … excusatam “ ( „ Tei-1239_Cluny_6183.xml “ ), „ habeatis excusatos “ ( „ Tei-1238_Cluny_6173.xml “ ), „ habeatis … excusatum “ ( „ Tei-1244_Cluny_6261.xml “ ), „ implicitam habuit “ ( „ Tei-0775_DijonSaintBenigne_12044.xml “ ), „ habet repositum “ ( „ Tei-1061_CharitesurLoire_7635.xml “ ), „ habeo … suspectum “ ( „ Tei-1283_Autuneveche_1267.xml “ ), „ habeatis … suspectos “ ( „ Tei-1262_Cluny_6502.xml “ ), „ habebat suspectum “ ( „ Tei-1283_Autuneveche_1266.xml “ ), „ suspectos haberent “ ( „ Tei-1212_CharitesurLoire_7560.xml “ ), „ suspectos habuerit “ ( „ Tei-1241_Saint- BenoitsurLoire_11997.xml “ ) und „ suspectum habuerit “ ( „ Tei-1219_Yonne_8862.xml “ ). 33 „ hoc sunt campis, pratis, cum arboribus et omnibus adjacenciis “ . 34 „ ad actores Sancti Vincentii perveniant; ea tenore conscribimus vel firmamus, et per singulos annos festivitate Sancta Maria denarios VIII persolvatis, et, si inde neglegentes fueritis, cum lege restauretis. “ . 104 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="105"?> Die Konstruktion adquisitas habetis steht syntaktisch verbunden am Ende des ersten Teils des durch que eingeleiteten Relativsatzes, der durch die Konjunktion vel fortgeführt wird. Grammatikalisch orientiert sich das PPP an seinen Bezugswörtern alias res, auf die sich auch das Pronomen que (vgl. Anm. 14) bezieht, welches im klassischen Latein quas lauten müsste. Das Partizip adquisitas gibt somit den Erwerb anderer Dinge an. Das Prädikat habetis steht in der zweiten Person Plural und das Subjekt vos wird sogar explizit im Relativsatz genannt. Die angesprochenen Personen, namentlich die Brüder Bodo und Robert, sind demzufolge Besitzer einer oder mehrerer Gegenstände. Semantisch betrachtet ist die Agensidentität in diesem Fall kaum auszuschließen, da derjenige, der anschließend etwas besitzt, in der Regel derjenige ist, der zuvor etwas erworben hat. Es wäre ungewöhnlich, davon auszugehen, dass jemand anderes anstelle des späteren Eigentümers einen Erwerb tätigt, um ihn danach nicht persönlich zu beanspruchen. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass der Agens von adquisitas mit dem Subjekt vos übereinstimmt, was als grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung einer neuen Perfektkonstruktion gilt. Wird der Blick genauer auf die Funktion der Kollokation adquisitas habetis geworfen, lässt sich feststellen, dass das Prädikat bis zu gewissem Maße den Vollverbstatus beibehält, da die Bedeutung des Besitzes noch vorhanden ist. Dennoch ist dieser Besitz nur als Ergebnis einer früheren Handlung zu verstehen, er ist somit Resultat des vorherigen Erwerbs. Die Zusammensetzung aus habere und einem Partizip Perfekt Passiv kann, wie das dritte Beispiel haberet adquisitam in den französischen Originalurkunden, nach Harris (1982) in die zweite oder sogar dritte Stufe eingeordnet werden. Der Aspekt des Erwerbs wird betont und hat „ present relevance “ (Harris 1982: 50), während der anschließende Besitz gegenwärtig fortdauert. Aus den französischen Urkunden wurde ein Textbeispiel analysiert, das ebenfalls eine Konstruktion aus dem Partizip Perfekt Passiv von acquirere und einer konjugierten Form von habere beinhaltet. Dort können 32 von insgesamt 214 Kollokationen in gleicher Weise verstanden werden. In den Dokumenten aus Burgund sind es deutlich weniger, was auf eine geringere Anzahl an Zusammensetzungen mit Verben des Erwerbs zurückzuführen ist. Neben dem diskutierten Textbeispiel können nur drei weitere Konstruktionen ähnlich verstanden werden. Es handelt sich dabei um die Kollokationen „ habet … receptos “ ( „ Tei-1100_Cluny_5184.xml “ ), „ redemptum … habuisset “ ( „ Tei- 1108_Cluny_5297.xml “ ) und „ habent tractum “ ( „ Tei-1236_Yonne_9059.xml “ ), die jeweils Einzelbeispiele sind. Alle drei sind ebenfalls resultativ zu verstehen, da der Besitz noch vorhanden ist und aus einer vorherigen Handlung folgt. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 105 <?page no="106"?> 6.2.1.2.4 Beispiel 4: Verben der Kognition und Kommunikation Cognitum habemus et tenemus certum quia lucrum bonum sibi procul dubio tessaurizat qui servis ac ministris Christi, ne deficiant in via, sumptus necessarios amministrat. Wir haben erfahren und halten für sicher, weil dieser sich den guten Gewinn zweifelhaft aus der Ferne verschafft, der die notwendigen Kosten für die Sklaven und Diener Christi verwaltet, damit sie nicht vom Weg abkommen. Erzbischof Heinrich, 1132. ( „ Tei-1132_Yonne_7882.xml “ ) Das vierte Textbeispiel findet sich in einer Bestätigung des Erzbischofs Heinrich von Sens aus dem Jahr 1132. Darin bekräftigt er sämtliche Bestimmungen seines Vorgängers Daimbert zugunsten der Abtei Sankt-Johannes von Sens und erteilt außerdem ein einjähriges Nutzungsrecht der Präbenden der ihr unterstellten Domherren. Der Beispielsatz folgt direkt nach dem sehr kurz gehaltenen Protokoll, das nur die typische Invocatio und die Intitulatio enthält. Die Konstruktion aus einer Form von habere und einem Partizip Perfekt Passiv stellt den Beginn der Promulgatio dar, die üblicherweise mit der Formel notum sit beginnt. Es wurde oben bereits festgestellt, dass cognitum habemus in diesem Fall die gängige Formel ersetzt (vgl. Kap. 6.2.1.2; Anm. 29). Die PPP-Konstruktion steht direkt am Anfang des Satzes und ist syntaktisch miteinander verbunden. Das Partizip cognitum hat in diesem Fall kein Bezugswort, es könnte aber ein elliptisches id hinzugedacht werden. Das Subjekt wird durch die Flexion des Prädikates angezeigt und nicht speziell genannt. Der übliche Ausdruck der Willenserklärung (notum sit) ist unpersönlich und wird an dieser Stelle durch eine persönlich konstruierte Zusammensetzung ausgetauscht. Aufgrund der Wortbedeutung des Partizips die Agensidentität von PPP und Prädikat, welche die grundlegende Voraussetzung für den Gebrauch als temporale Perfektkonstruktion ist, gegeben. Das Verb cognoscere gehört zur Gruppe der Verben der Kognition, über die sich neben den Verben der Kommunikation die neuen periphrastischen Perfektformen verbreitet haben sollen, da bei diesen Verben eindeutig dieselbe Person oder dieselben Personen sowohl Subjekt des Prädikates als auch Agens des Partizips sein müssen. Es bleibt noch zu beurteilen, ob die Kollokation bereits temporal verstanden werden darf. Einerseits könnte der Vorgang des Erfahrens im Fokus stehen, andererseits spricht der durch die Konjunktion et mit cognitum habemus verbundene Ausdruck tenemus certum für ein präsentisches Verständnis von habemus. Dadurch könnte der aus der Handlung resultierende Besitz einer vorherigen Erfahrung im Vordergrund stehen, also die gegenwärtige Kenntnis. 106 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="107"?> Das Partizip cognitum könnte somit substantiviert gebraucht und verstanden worden sein, wodurch habemus weiterhin als Vollverb fungierte. In der Analyse der französischen Urkunden wurde ein ähnliches Beispiel untersucht (non incognitum habemus). Schon dort wurde festgehalten, dass eine solche Konstruktion nicht zwingend fortgeschrittener in der Entwicklung sein muss, wenngleich die Agensidentität vorausgesetzt werden kann und Kollokationen mit Verben der Kognition und Kommunikation eine entscheidende Rolle eingenommen haben sollen. Da hier die gegenwärtige Kenntnis vordergründig ist und nicht das vergangene Ereignis des Erkennens, kann diese Zusammensetzung nach der Einteilung von Harris (1982) der ersten Stufe zugeordnet werden. Das bedeutet allerdings nicht, dass dieses Einzelbeispiel für sämtliche Konstruktionen mit Verben der Kognition und Kommunikation gelten kann. In einem anderen Dokument findet sich beispielsweise der Nebensatz: „ quod adhuc multi auditum habent “ ( „ Tei-0866_SaintBenoitsurLoire_11486.xml “ ). Bei auditum ist aufgrund der Bedeutung ungewöhnlich, einen substantivierten Gebrauch anzunehmen, was stärker auf einen temporalen Wert hinweist, da bei audire ein konkreter Moment des Hörens existiert, wohingegen eine Erkenntnis (cognitum) über einen längeren Zeitraum gewonnen werden kann. Eine solche Textstelle wird in der Analyse der langobardischen Urkunden genauer betrachtet, in denen mehrere Ausdrücke dieser Art erscheinen. In den Texten aus Burgund ist dies die einzige Kollokation. Das obige Beispiel cognitum habemus wurde einerseits ausgewählt, weil es eine Parallele zu dem Beispiel der französischen Urkunden (non incognitum habemus; vgl. Kap. 6.2.1.1.4) darstellt und neben ähnlichen Ausdrücken vermehrt formelhaft in den burgundischen Urkunden erscheint; andererseits, weil es durch die mögliche Substantivierung des Partizips eine gewisse Sonderstellung bei den habere-Konstruktionen mit Verben der Kognition und Kommunikation einnimmt, die nicht unbeachtet gelassen werden sollte. Somit können die Konstruktionen dieser Kategorie, selbst wenn sie noch keinen temporalen Ausdruck darstellen, als Brückenkontexte aufgefasst werden, die dem Endstadium in manchen Fällen nahekommen. Neben dem genannten Beispiel mit dem Partizip cognitum erscheinen in den burgundischen Urkunden 13 weitere Kollokationen einer Form von habere mit dem Partizip eines Verbs der Kognition oder Kommunikation. 35 Bei den 35 Die anderen 13 Konstruktionen mit Verben der Kognition oder Kommunikation in den burgundischen Urkunden sind Folgende: „ auditum habent “ ( „ Tei-0866_SaintBenoitsur- Loire_11486.xml “ ), 3x „ commemoratum habeo “ ( „ Tei-0876_SaintBenoitsurLoire_11487. xml “ ), „ concessas habemus “ ( „ Tei-0875_TournusSaintPhilibert_9381.xml “ ), „ concessas habeat “ ( „ Tei-0815_MaconSaintVincent_58.xml “ ), 2x „ concessas habeant “ ( „ Tei-0878_MaconSaintVincent_62.xml “ ; „ Tei-0878_MaconSaintVincent_100.xml “ ), „ habeant conces- 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 107 <?page no="108"?> Urkunden aus ganz Frankreich konnte ein ähnliches Ergebnis festgestellt werden. 6.2.1.2.5 Beispiel 5: Verben des Besitzwechsels [ … ] 36 ; et istas res quæ superius delegatas habeo, habeat Richildis in usum quamdiu advixerit, postea revertantur ad ipsos superius denominatos quia sic traditiones ei factas habeo. [ … ]; und diese Dinge, die ich oben übertragen habe, soll Richildis in Gebrauch halten, solange sie lebt, später sollen sie auf die oben Benannten zurückfallen, weil ich so die Übergaben für sie gemacht habe. Eckhard, 876. ( „ Tei-0876_SaintBenoitsurLoire_11487.xml “ ) Das nächste Textbeispiel stammt aus einer umfangreichen Urkunde eines Mannes namens Eckhard aus dem Jahr 876, der sich um das Wohl seiner eigenen Seele sowie der Seelen seiner Angehörigen sorgt und daher testamentarisch Verfügungen trifft. Er hält darin ausführlich fest, welche Dinge welcher Person übergeben werden sollen. Der Textausschnitt findet sich im Hauptteil in der Mitte des Dokuments, nachdem er Bestimmungen für seine Eltern, seinen Bruder und seine erste Ehefrau Albegunde getroffen hat. Er ordnet darin an, was seiner zweiten Ehefrau Richildis zuteilwerden soll, für welchen Zeitraum sie die ihr zugeteilten Besitztümer behalten darf und was im Anschluss mit diesen geschehen soll. sam “ ( „ Tei-0863_Yonne_7756.xml “ ), „ concessum habet et confirmatum “ ( „ Tei-1147_Saint- BenoitsurLoire_11617.xml “ ), „ confirmatas habuisset “ ( „ Tei-0887_DijonSaintEtienne_12887.xml “ ), „ denominatum habeo “ ( „ Tei-0876_SaintBenoitsurLoire_11487.xml “ ) und „ repromisum abuit “ ( „ Tei-0870_Cluny_1428.xml “ ). 36 „ Et de nostra capella dono Richildi crucem auream cum lignum Domini, et altario majore parato, et buxta iburnea quæ non est sculpta, et calice argenteo minore, et pallio defundato, et drapo cum sirico, et linteo et casulas duas, una persa, alia virida, albas II, subcinctas II, stolas II, mappulas II, corporales II, ampullam cum patena argentea, et fanono viridi cum brusdo, et de egliso I, et uno cum sirico amnistrare, turibulo minore, schilla, candellabro aureo I, missale plenario cum Evangeliis et Epistolis I, textum minorem I, dispositum super Evangelium majorem I, antiphonarias volumina II, batrino ad luminaria, drappo plumato a forma I, tapeto I, sedello ad aqua benedicta I, donate illo balteo majore, quia de suis gemmis maxime est factus, et illo sigillo de amatixto ubi aquila sculpta est et quicquid de gemmis habemus et gangana sirica cum spondale et tapete I, et burrene meliore I, cum faciunculo I, furcella argentea cum cusilares II, et illo balteo minore cum gemmis, et filias argenteas II; aliquid de auro qui remansit fracto et aliquid de petras quæ ad ipsum opus habemus, faciat Richildis cruce a Siviaco “ . 108 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="109"?> Die PPP-Konstruktion mit einer Form von habere steht hier in einem durch qu ӕ eingeleiteten Relativsatz, der die istas res genauer definiert, welche Richildis gebrauchen darf. Das Partizip delegatas ist grammatikalisch an sein Bezugswort istas res angepasst. Das Relativpronomen, welches das Objekt erneut aufgreift, ist nicht mehr klassisch korrekt verwendet. Stattdessen wird die ursprüngliche Form quas durch das Pronomen que bzw. in diesem Fall in der Graphemvariante qu ӕ ersetzt, wie es schon in anderen Textstellen beobachtet werden konnte. Das Prädikat steht in der 1. Person Singular. Subjekt ist somit der Verfasser Eckhard selbst. Wird nun die Frage nach der Agensidentität von Partizip und Prädikat gestellt, ist anzumerken, dass im Fall von delegatas ein gegensätzlicher Sinn entstehen würde. Würde angenommen werden, dass es sich um denselben Agenten handle, so wäre Eckhard derjenige, der etwas übertragen habe. Die Bedeutung des Besitzes bei habere wäre in diesem Fall nicht mehr vorhanden, da der Übertrag oder die Weggabe einer Sache dem widerspräche. Würde stattdessen davon ausgegangen werden, dass habeo und delegatas unterschiedliche Agenten hätten, so müsste Eckhard nun etwas besitzen, das ihm zuvor übertragen worden wäre. Unter Berücksichtigung des Kontextes ist an dieser Stelle eindeutig nachzuvollziehen, ob die Identität der Agenten angenommen werden darf oder nicht. Da Eckhard istas res selbst besaß und nun an seine Ehefrau Richildis weitergeben möchte, kann für delegatas kein anderer Agens in Frage kommen als der Verfasser selbst. Es ist also zuzustimmen, dass einerseits Agensidentität besteht und andererseits durch habeo kein Besitz mehr ausgedrückt wird. Des Weiteren kommt hinzu, dass durch das Adverb superius ein temporaler Aspekt vermittelt wird. Die istas res wurden nämlich bereits im Dokument erwähnt und übertragen, wodurch der Vorgang in die Vergangenheit einzuordnen ist, die gewissermaßen durch superius angedeutet wird. Zuletzt kann außerdem behauptet werden, dass durch die Konstruktion delegatas habeo ausschließlich die vergangene Handlung im Vordergrund steht. Das Subjekt Eckhard besitzt nicht mehr das Resultat eines Vorgangs, da Richildis die neue Eigentümerin ist. Diese Kollokation kann, wie erläutert, als temporale Perfektkonstrukion verstanden werden. Sie hat die letzte Entwicklungsstufe nach Harris (1982) erreicht. Diese Art der Verwendung erscheint noch einige Male in den burgundischen Urkunden, wie es bereits in den französischen Urkunden der Datenbank TELMA beobachtet werden konnte. Es betrifft überwiegend Zusammensetzungen mit Verben, die einen Besitzwechsel mit sich bringen, wie es im gegebenen Beispiel der Fall ist. Insgesamt sind elf weitere Kollokationen zu entdecken, die als temporale Perfektkonstruktionen eingestuft werden können. Eine dieser Zusammensetzungen steht am Ende des obigen Beispielsatzes: 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 109 <?page no="110"?> factas habeo. Die anderen zehn Konstruktionen sind in neun unterschiedlichen Dokumenten zu finden. 37 6.2.1.2.6 Beispiel 6: habere im Passiv Si quis vero contra insurrexerit, hoc ei veniat ut habetur scriptum in prima carte. Wenn sich aber jemand dagegen erheben sollte, soll ihm dieses widerfahren, wie es im ersten Teil der Urkunde geschrieben wurde / als Geschriebenes festgehalten wird. Eustorgius, 1025. ( „ Tei-1025_Cluny_3360.xml “ ) Das letzte Textbeispiel der burgundischen Urkunden, welches eine Konstruktion aus einem Partizip Perfekt Passiv und einer passiven Form von habere aufweist, stammt aus einer kurzen Schenkungsurkunde eines Privatmannes namens Eustorgius aus dem Jahr 1025. Dieser übergibt der Abtei von Cluny eine Kirche, die dem heiligen Florus geweiht ist. Die Konstruktion steht im letzten Satz vor den Unterschriften. Der Satz lässt sich der Sanctio zuordnen, in der die Strafandrohung für den Fall, dass jemand diese Schenkung vereiteln wolle, festgehalten wird. Die möglichen Strafen werden an dieser Stelle nicht genannt, stattdessen wird auf die Sanctio in prima carta verwiesen, welche nicht vorliegt. Zum Partizip scriptum fehlt in diesem Satz das Bezugswort und es ist neutral. Das Prädikat steht in diesem Satz im Passiv, wodurch die Zusammensetzung hier eine passive Perfektkonstruktion darstellen müsste, sofern sie bereits als solche betrachtet werden darf. Alternativ könnte habetur wieder im Sinne von ‚ halten ‘ verstanden werden. Dadurch könnte die Kollokation zwar als nichtklassisch bezeichnet werden, sie würde jedoch noch keine temporale Perfektkonstruktion darstellen. Die möglichen Varianten und die in der Literatur vertretenen Annahmen wurden bereits unter dem letzten Beispiel der französischen Urkunden ausführlich erläutert, bei dem ebenfalls eine Kollokation mit dem PPP von scribere gewählt wurde. Diese treffen auch hier zu (vgl. Kap. 6.2.1.1.6). Durch die zahlreichen Vorkommnisse in den Urkunden aus Burgund und ganz Frankreich kann aber vermutet werden, dass sich die Zusammensetzungen in die Entwicklung der neuen Temporalformen einordnen lassen und zu deren Verbreitung beitrugen. 37 Es sind folgende weitere Textstellen gleichermaßen einzustufen: „ conlatam habebamus “ ( „ Tei-0903_NeversSaintCyr_7238.xml “ ), „ habebat datum “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7144.xml “ ), „ datum … abuerit “ ( „ Tei-1086_Cluny_5029.xml “ ), „ habent dissipatas “ ( „ Tei-0941_MaconSaintVincent_71.xml “ ), „ factum habemus “ ( „ Tei-1049_Cluny_4476. xml “ ), „ habebat factum et laudatum “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7144.xml “ ), „ firmatam habeant “ ( „ Tei-1080_Cluny_4979.xml “ ), „ indultam haberent “ ( „ Tei-0880_PerrecylesForges_12495.xml “ ), „ habuero redditos “ ( „ Tei-1049_Cluny_4675.xml “ ) und „ solutum habeat “ ( „ Tei-1107_DijonSaintBenigne_12441.xml “ ). 110 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="111"?> Neben dieser Zusammensetzung treten 78 weitere Kollokationen von Partizipien mit passiven Formen von habere in den burgundischen Dokumenten auf. Darunter sind 13 andere Konstruktionen mit Partizipien des Verbs scribere. Auch mit den Partizipien notum (14x) und insertum (10x) treten mehrere passive Formen zusammen. Insgesamt bestehen Verbindungen mit 30 unterschiedlichen Verben, von denen 19 nur ein einziges Mal mit Formen von habere zusammengesetzt werden. 38 38 Folgende Konstruktionen sind ähnlich verwendet: „ habetur adnotatum “ ( „ Tei- 0898_SaintBenoitsurLoire_11495.xml “ ), 2x „ annotata habentur “ ( „ Tei-1077_Yonne_7813.xml “ ; „ Tei-1078_Cluny_4936.xml “ ), „ cognitum habebatur “ ( „ Tei-1115_Cluny_5338.xml “ ), „ cognitum … haberetur “ ( „ Tei-1203_SaintBenoitsurLoire_11754.xml “ ), „ consecrata habetur “ ( „ Tei-0584_DijonSaintBenigne_12027.xml “ ), „ habetur consignatum “ ( „ Tei-0920_Autuneglise_664.xml “ ), 2x „ constructa habetur “ ( „ Tei-0888_Cluny_1446.xml “ ; „ Tei-1072_Cluny_4866.xml “ ), „ corroborata habeantur “ ( „ Tei-0877_Yonne_8103.xml “ ), „ corroborata haberentur “ ( „ Tei-0937_MaconSaintVincent_403.xml “ ), „ dedicatum habetur “ ( „ Tei-0927_Cluny_1765.xml “ ), „ defense … habentur “ ( „ Tei-1071_SaintBenoitsurLoire_11546.xml “ ), „ definitum habetur “ ( „ Tei-0867_NeversSaintCyr_7253.xml “ ), „ deputate habentur “ ( „ Tei-0878_SaintBenoitsurLoire_11491.xml “ ), „ descriptum habetur “ ( „ Tei- 1074_MaconSaintVincent_513.xml “ ), „ dirutus ac destructus habebatur “ “ ( „ Tei-0948_MaconSaintVincent_98.xml “ ), „ exaratum habetur “ ( „ Tei-9999_DijonSaintEtienne_12921. xml “ ), 2x „ excommunicatus habeatur “ ( „ Tei-0930_MaconSaintVincent_8.xml “ ; „ Tei- 0930_MaconSaintVincent_406.xml “ ), „ excommunicati habeantur “ ( „ Tei-1245_Cluny_6290.xml “ ), „ habeatur exemptus “ ( „ Tei-1245_Cluny_6281.xml “ ), „ habetur fundatum “ ( „ Tei-0855_Yonne_7746.xml “ ), „ humata habeantur “ ( „ Tei-0888_Yonne_7773.xml “ ), „ insertum habetur “ ( „ Tei-0863_Yonne_7755.xml “ ), 3x „ habetur insertum “ ( „ Tei-0869_DijonSaintEtienne_12881.xml “ ; „ Tei-0876_SaintBenoitsurLoire_11490.xml “ ; „ Tei-0948_Macon- SaintVincent_98.xml “ ), „ inserta habentur “ ( „ Tei-0950_MaconSaintVincent_102.xml “ ), „ inserte habentur “ ( „ Tei-0962_Cluny_3623.xml “ ), „ habentur inserta “ ( „ Tei-1063_Cluny_4810.xml “ ), „ inserta habeantur “ ( „ Tei-0932_Cluny_1821.xml “ ), 2x „ habebatur insertum “ ( „ Tei-0884_Yonne_7770.xml “ ; „ Tei-0886_Yonne_7772.xml “ ), „ munita habeatur “ ( „ Tei-1139_CharitesurLoire_7622.xml “ ), 10x „ notum habeatur “ ( „ Tei-0928_MaconSaint- Vincent_280.xml “ ; „ Tei-0930_MaconSaintVincent_8.xml “ ; „ Tei-0930_MaconSaintVincent_406.xml “ ; „ Tei-0943_Cluny_2055.xml “ ; „ Tei-0951_PerrecylesForges_12514.xml “ ; „ Tei-0968_MaconSaintVincent_92.xml “ ; „ Tei-0968_MaconSaintVincent_408.xml “ ; „ Tei- 0968_MaconSaintVincent_414.xml “ ; „ Tei-0968_MaconSaintVincent_480.xml “ ; „ Tei- 1143_Yonne_7934.xml “ ), 2x „ notum … habeatur “ ( „ Tei-0952_Cluny_2247.xml “ ; „ Tei- 0974_Cluny_3873.xml “ ), 2x „ notum haberetur “ ( „ Tei-1213_SaintBenoitsurLoire_11787. xml “ ; „ Tei-1221_SaintBenoitsurLoire_11846.xml “ ), „ habentur posita “ ( „ Tei-1100_Cluny_5165.xml “ ), „ habetur sacrata “ ( „ Tei-0900_Autuneglise_644.xml “ ), „ scripta habetur “ ( „ Tei-1100_Cluny_5165.xml “ ), 7x „ scriptum habetur “ ( „ Tei-1077_MaconSaintVincent_13. xml “ ; „ Tei-1124_Cluny_5398.xml “ ; „ Tei-1146_TournusSaintPhilibert_9446.xml “ ; „ Tei- 1147_SaintBenoitsurLoire_11617.xml “ ; „ Tei-1155_DijonSaintEtienne_12976.xml “ ; „ Tei- 1186_Yonne_8470.xml “ ; „ Tei-1192_Yonne_8550.xml “ ), 2x „ habetur scriptum “ ( „ Tei- 1103_DijonSaintEtienne_12774.xml “ ; „ Tei-1162_DijonSaintEtienne_12990.xml “ ), 3x „ scripta habentur “ ( „ Tei-0833_Cluny_1420.xml “ ; „ Tei-0994_Cluny_2835.xml “ ; „ Tei- 1147_Cluny_5550.xml “ ), „ habetur sepultus “ ( „ Tei-0854_TournusSaintPhilibert_9375. xml “ ), „ solidata habeantur “ ( „ Tei-0968_MaconSaintVincent_397.xml “ ), „ subinserti haben- 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 111 <?page no="112"?> 6.2.1.3 Langobardische Urkunden (CDL) In den Urkunden aus der Lombardei finden sich im Vergleich zu den beiden Korpora aus französischem Gebiet mehr Konstruktionen mit einem Partizip Perfekt Passiv und einer habere-Form als in den anderen Urkundenkorpora. Dennoch setzen sich die 330 Kollokationen mit nur 56 unterschiedlichen Verben zusammen, was einerseits weniger ist und woraus andererseits schon ersichtlich ist, dass sich möglicherweise einige oftmals wiederholte Phrasen oder Formeln entdecken lassen. Bevor Einzelbeispiele der langobardischen Urkunden auf den Entwicklungsstand des Auxiliarisierungsprozesses von habere untersucht werden, können wieder einige Feststellungen zur Verbreitung der Konstruktion gemacht werden: • Besonders auffällig sind die zahlreichen Verwendungen der Partizipien visum und auditum in Verbindung mit einer Wortform von habere. Insgesamt konnten 63 Zusammensetzungen mit dem PPP von videre und 25 Kombinationen mit dem PPP von audire ermittelt werden. In zwei weiteren Konstruktionen erscheinen beide Formen durch ein et verbunden nebeneinander. Sie treten ausnahmslos mit den Wortformen habeo (76 Kollokationen) und habet (12 Kollokationen) auf. Des Weiteren erscheinen sie ausschließlich in Dokumenten, die Zeugenaussagen beinhalten, was die vielen Kombinationen mit der 1. Pers. Sg. erklärt. Obwohl sich die Verwendung dieser Konstruktion auf wenige Urkunden beschränkt (13 verschiedene Dokumente), ist die Masse an Zusammensetzungen von besonderer Bedeutung, da sie eine Redewendung der gesprochenen Sprache oder eine Formel darstellen könnte, die üblich in Zeugenaussagen gewesen sein könnte. • Eine weitere Auffälligkeit bilden die häufigen Kollokationen einer habere- Form mit detentum (54 Treffer). 39 In diesem Fall sind nur drei verschiedene Urkunden betroffen, die alle aus den Jahren 1186 oder 1189 aus Brescia stammen (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114; Nr. 124; Nr. 125). Zudem tur “ ( „ Tei-1031_MaconSaintVincent_235.xml “ ), „ subiecta habeatur “ ( „ Tei-0932_Cluny_1821.xml “ ), „ subiectus habeatur “ ( „ Tei-0870_TournusSaintPhilibert_9377.xml “ ), „ subiectus abeatur “ ( „ Tei-0976_Cluny_3913.xml “ ), „ subnotati habentur “ ( „ Tei-1050_CharitesurLoire_7579.xml “ ), „ subscripta habentur “ ( „ Tei-1059_CharitesurLoire_7541.xml “ ), „ habetur suspectus “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7228.xml “ ), „ suspectus … habeatur “ ( „ Tei-1208_Autuneveche_986.xml “ ), „ suspectus haberer “ ( „ Tei-1216_Yonne_8803.xml “ ) und „ suspectus haberetur “ ( „ Tei-1216_Yonne_8808.xml “ ). 39 Daneben finden sich außerdem einige Formen, die neben oder anstelle von detentum aufgeführt werden: usatum taucht zweimal neben detentum auf, einmal mit einem dritten Partizip possessum; siebenmal ersetzt tenutum das PPP detentum, zweimal in Verbindung mit usatum et possessum; fünfmal steht anstelle dessen usatum und zwölfmal Kombinationen aus pascolatum/ buscatum/ segatum/ raxatum/ gozutum. 112 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="113"?> behandeln sie dieselbe Streitigkeit zwischen kirchlichen und weltlichen Vertretern aus der Gemeinde Serle um die Besitzansprüche an zwei Bergen. Dadurch scheint die Repräsentativität der Konstruktion zwar eingeschränkt, dies kann durch die Tatsache revidiert werden, dass in diesen drei Schriften neben den 54 detentum-Konstruktionen noch 89 andere Zusammensetzungen aus einer Wortform von habere und einem Partizip Perfekt Passiv zu finden sind. Festzuhalten ist somit nur, dass diese spezielle Kollokation aus habere und detentum oder ähnlichen Partizipien (vgl. Anm. 39) auf die Thematik dieser Urkunde beschränkt ist. • Zuletzt erscheinen factum (40 Kollokationen) und datum (20 Kollokationen) mehrfach in den langobardischen Urkunden. Diese treten allerdings in sehr unterschiedlichen Kontexten auf und können dadurch nicht als formelhaft betrachtet werden. Lokal und zeitlich können die Kollokationen nicht eingegrenzt werden, auch wenn der Großteil aus der ‚ area milanese ‘ stammt, welche das größte Unterkorpus darstellt. Die vielen Kombinationen aus den Partizipien von dare und facere und einer Wortform von habere aus unterschiedlichen Regionen und Zeitabschnitten lassen aber den Schluss zu, dass diese Konstruktionen nicht ungewöhnlich gewesen sind und gehäuft Anwendung gefunden haben. Zu allen oben genannten Textstellen wird in der Einzelanalyse ein Textbeispiel aufgegriffen, das eingehender untersucht werden soll, damit nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der häufig auftretenden Konstruktionen festgestellt werden kann. Es wird dabei gleichermaßen vorgegangen, wie bei den französischen und burgundischen Urkunden. Da jedoch in diesem Korpus keine Kollokationen auftreten, bei denen habere im durativen Sinne als ‚ halten ‘ zu verstehen ist, werden hier nur fünf Kategorien von Einzelbeispielen untersucht. In einigen Fällen werden dafür allerdings zwei Textbeispiele herangezogen. Gelegentlich werden Vergleiche zu den Analysen der beiden anderen Korpora gezogen. 6.2.1.3.1 Beispiel 1: Mehrdeutige Agensidentität „ Nos credimus quod comune de Serlis habent detentum et usatum istum montem, [ … ] 40 , et ita habent divisam erbam istius montis illi de Serlis, ut dixi, set montem, quod sciam, numquam diviserunt. “ „ Wir glauben, dass die Gemeinde Serlis diesen Berg vorenthalten und genutzt hat / diesen vorenthaltenen und genutzten Berg besitzt, [ … ], und so haben jene aus 40 Es wurde ausgelassen: „ [ … ] unde agitur, | pro monasterio Sancti Petri, cuius alodium est, [ … ] “ . 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 113 <?page no="114"?> Serlis die Wiese dieses Berges geteilt / besitzen einen Teil der Wiese / besitzen die Wiese, die geteilt worden war, wie ich sagte, aber den Berg, wie ich weiß, haben sie niemals geteilt. Attestationes testium, Brescia, 1. Juni 1189 (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124) Die erste Textstelle stammt aus einem Auszug aus einer Zeugenaussage zu dem bereits erwähnten Streitfall in Serle (vgl. Kap. 6.2.1.3), bei dem zwei Parteien um den Besitz eines Berges streiten. Sie beinhaltet gleich zwei habere-Konstruktionen, wobei erstere zudem zwei Partizipien einschließt, die gehäuft in drei Urkunden aus den Jahren 1186 und 1189 vorkommen. Immer wieder wird von verschiedenen Zeugen oder dem Verfasser der Urkunde die erste Zeile des Satzes - in einigen Fällen leicht verändert 41 - wiederholt. Die Partizipien detentum und usatum sind kongruent zu istum montem. Sie stehen zwischen dem Prädikat habent sowie dem Akkusativobjekt und könnten aufgrund der Syntax mit beiden eine engere Verbindung eingehen. Für einen nicht-klassischen Gebrauch gibt es dadurch zunächst keine Anhaltspunkte. Auch anhand der Bedeutung von detentum et usatum oder habent lässt sich kein sicherer Schluss ziehen, dass die Agenten der Partizipien und des Prädikats dieselben sein müssen. Stattdessen könnte habent hier vielmehr die ursprüngliche Bedeutung ‚ haben, besitzen ‘ aufweisen, besonders wenn ähnliche Textstellen mit einer Konstruktion aus habere und detentum zum Vergleich hinzugezogen werden. Dort heißt es beispielsweise: „ [ … ] visum habeo quod monasterium et illi de monasterio habent detentum montem Dravonum, unde agitur, per suum alodium [ … ] “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124). In diesem Fall ist es nicht die Gemeinde von Serle (comune de Serlis), die den vorenthaltenen Berg hat/ besitzt (habent detentum … illum montem), sondern das Kloster, welches den detentum montem Dravonum sogar als Eigentum (per suum alodium) besitzt. Dieser Vergleich zeigt eine Verwendung von habere im klassischen Sinne auf. Die deutliche nicht-klassische Verwendung von habere ist in der ersten Konstruktion dieses Beispiels nicht nachzuweisen, da man weder anhand der Grammatik oder der Syntax noch mit Hilfe der Semantik auf eine Agensidentität oder einen temporalen Gebrauch schließen kann. Der Vergleich zu einer ähnlichen Textstelle lässt hingegen sogar vermuten, dass in diesem Fall 41 Das meint, dass in einigen Fällen z. B. ego credo statt nos credimus steht oder der Verfasser der Urkunde den Zeugen vor seiner wörtlich zitierten Aussage als „ interrogatus si comune de Serlis [teilweise als illi bezeichnet] habet detentum …“ benennt. Auch usatum erscheint nur in einer weiteren Kollokation, ersetzt jedoch in fünf anderen Textstellen detentum. 114 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="115"?> eindeutig eine klassische Verwendung des Partizips und des Prädikats habent als Vollverb vorliegt. Für die zweite Konstruktion aus habere und PPP in dieser Textstelle gilt Ähnliches: Das Partizip divisam ist KNG-kongruent zu seinem Bezugswort erbam. Durch die Wortbedeutung lässt sich ebenfalls kein temporaler Wert feststellen. Dieses Beispiel scheint eher einen klassischen oder höchstens semiklassischen Gebrauch von habere aufzuweisen. Denn in diesem Fall kann noch weiter gegangen werden, da der Agens des Partizips keine der beiden Parteien gewesen sein muss, die sich um den Besitz des Berges streiten. Die Teilung der Wiese könnte beispielsweise durch ein gerichtliches Urteil zustande gekommen sein. Dafür spricht das im set-Satz verwendete diviserunt, welches die klassische Perfektform der dritten Person Plural im Indikativ Aktiv ist. Wären illi de Serlis also tatsächlich diejenigen, die die Wiese geteilt hätten, so hätte die Person, die die Aussage machte, oder die Person, die diese schriftlich festhielt, dort bereits diviserunt benutzen können. Da aber habent divisam gewählt wurde, kann demzufolge darauf geschlossen werden, dass zwei verschiedene Informationen zum Ausdruck gebracht werden sollten (vgl. Harris 1982). Die beiden Konstruktionen der ersten ausgewählten Textstelle weisen bisher keine konkreten Anzeichen für einen eindeutig nicht-klassischen oder sogar temporalen Gebrauch auf, da das grundlegende Merkmal der Agensidentität nicht eindeutig gegeben ist. In das Modell von Harris (1982) können sie somit allenfalls in die erste Stufe eingeordnet werden. Durch beide Beispielkonstruktionen wird ein gegenwärtiger Besitz ausgedrückt. Dies trifft auf einen Großteil der ermittelten Kollokationen aus einem PPP und einer habere-Form in den langobardischen Urkunden zu. Insgesamt wurden 109 der 330 Kollokationen dieser Kategorie zugeordnet. 42 42 Folgende Kollokationen können gleichermaßen eingeordnet werden: alle weiteren Kollokationen von habere mit detentum (in einem Fall detentam) und usatum (insgesamt 58x in BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114, Nr. 124, Nr. 125); zwölf Zusammensetzungen aus habent (einmal habeo) und pascolatum und/ oder buscatum (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114, Nr. 117, Nr. 124, Nr. 125); fünf Verbindungen aus habent und tenutum (statt tentum), dreimal in Verbindung mit usatum (ebd., Nr. 114, Nr. 125); „ habet … acatatum “ (ebd., Nr. 97); „ apertos … habeamus “ (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 3); „ clausum habet “ (LO, Mensa Vescovile, Nr. 59); „ confirmatas habet “ (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 137); „ commissas habeo “ (CR, Mensa Vescovile I, Cartula donationis et oblationis); „ completum abuerit “ (BE, Pergamene aa. 1059 (? )-1100, Nr. 63); „ conquistatum abes “ (BE, Pergamene aa. 1002-1058 di Bergamo, Nr. 24); „ conquistatum abemus “ (ebd., Nr. 200); „ consecratam abuero “ (CR, Mensa Vescovile I, Cartula promissionis); „ habuit … constitutum “ (MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 54); 2x „ habebit disbrigatam “ (PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro I, Breve finis et refutationis); „ habent … divisam “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 106); „ habent … divisas “ (ebd., Nr. 124); 2x „ habeat electam “ (MI, S. Ulderico di Milano, Nr. 1); „ ellectos habent “ (MI S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 99); „ habeant … 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 115 <?page no="116"?> 6.2.1.3.2 Beispiel 2: Agensidentität von Partizip und Prädikat [ … ] 43 , quos [denarios] dedit ipse prepositus in emptione decime de loco Carnate quam emptam habet ipse prepositus. [ … ], diese [Denaren] gab der Probst (selbst) bei dem Kauf eines Zehnts vom Ort Carnate, welchen der Probst (selbst) als Gekauften / gekauft hat. Libellum, Vimercate, Dezember 1155 (MI, S. Stefano di Vimercate, Nr. 57) „ Domine, ego habeo emptum terram satis in loco Buchezate ab Alberto Salvatico [ … ] 44 . “ „ Herr, ich habe als Gekauftes / gekauft genug Land am Ort Buchezate von Albertus Salvaticus [ … ]. “ Testes, Milano, 10. Oktober 1190 (MI, S. Maria del Monte di Velate II, Nr. 163) Als zweites Beispiel werden gleich zwei Textstellen herangezogen, in denen habere jeweils mit einem Partizip des Verbs emere zusammengesetzt wird. Die erste der beiden Textstellen ist einem ‚ Libellum ‘ entnommen, in dem die Schenkung gegen die jährliche Abgabe eines bestimmten Betrages festgehalten wird, den der erwähnte Probst der Kirche St. Stefan in Vimercate für den Kauf des oben genannten Zehnts von Carnate verwendet. Die zweite Passage stammt aus einer schriftlich festgehaltenen Zeugenaussage des Erzpriesters Landulfus gegen Petrus Garafonus aus Varese. Diese beiden Beispiele sind Zusammensetzungen aus einer präsentischen Form von habere und dem Partizip Perfekt Passiv des Verbs emere, die typisch für Urkunden sind (vgl. Tara 2014: 85). Im ersten Fall steht das PPP emptam im femininen Akkusativ Singular. Es passt sich in KNG an sein Bezugswort (quam) expletum “ (ebd., Nr. 53); „ habent … hedificata “ (PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro II, Nr. 214); „ haberet … impeditam vel invasatam “ (MI, S. Maria del Monte di Velate II, Nr. 136); „ habet investitum “ (LO, Mensa Vescovile, Nr. 133); 3x „ habet positos “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114, Nr. 124, Nr. 125); „ refectas et cohopertas habuerit “ (MI, monastero S. Ambrogio III, Nr. 64); „ habebant … reservatum “ (MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 116); „ roncatam habet “ (PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro II, Nr. 74); „ scriptas abeo “ (CR, Mensa Vescovile I, Cartula iudicati); „ habeo … sigillatum “ (MI, Chiesa Maggiore, Nr. 30); drei Zusammensetzungen aus solutum und habeat (LO, Mensa Vescovile, Nr. 67, Nr. 113, Nr. 114); „ habuit sotiatam “ (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 22); „ habuerit … susceptam “ (MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 140) und „ haberet … vindemiatas “ (MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 140). 43 „ Quia tali superius legitur et ad hoc confirmandum libellum accepit ipse prepositus exinde a suprascriptis Iohanne et Ponzeliono argenti denariorum bonorum solidos quadraginta et tres et denarios octo, [ … ] “ . (MI, S. Stefano di Vimercate, Nr. 57). 44 „ [ … ] et non possum solvere pretium n(is)i vendidero unum | clausum quod tenent Gafaroni in capite mercati de Varisio per me. “ (MI, S. Maria del Monte di Velate II, Nr. 163). 116 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="117"?> an, was bedeuten könnte, dass quam, welches decime konkretisiert, gekauft wurde, ohne dass näher bestimmt wird, von wem der Zehnt gekauft wurde. Wird aber der Hauptsatz in Bezug auf den Inhalt des Relativsatzes betrachtet, scheint der gesamte Relativsatz redundant, da bereits im vorherigen Satz herausgestellt wird, dass der prepositus einen bestimmten Betrag zahlte ([denarios] dedit), um den Zehnt von Carnate zu kaufen (in emptione decime de loco Carnate). Eventuell wollte der Verfasser an dieser Stelle hervorheben, dass ipse prepositus nicht nur den Kaufpreis zahlte, sondern auch derjenige ist, der den Zehnt nun besitzt. Dabei wird der Probst durch das Pronomen ipse zudem verstärkt hervorgehoben. 45 Das würde allerdings dafür sprechen, dass habet hier noch im ursprünglichen Sinne als ‚ besitzen ‘ verstanden werden darf. Die Verbindung zwischen dem Partizip und dem Prädikat habet im ersten Beispiel ist nicht eindeutig zu klären. Einerseits könnte das PPP substantiviert aufgefasst werden in dem Sinne, dass etwas (in diesem Fall decime, welches durch quam spezifiziert wird) erworben wurde und anschließend im Besitz des Probstes ist; andererseits könnte durch die Agensidentität von Prädikat und PPP eine engere Verbindung von habet und dem Partizip angenommen werden, wodurch in dieser Konstruktion zum einen der Vorgang des Kaufes, zum anderen der Besitz des Kaufes als Resultat vermittelt wird. Das zweite Beispiel in diesem Textauszug enthält ebenfalls eine Kombination aus habere (in diesem Fall habeo) und einem Partizip Perfekt Passiv von emere (hier emptum). Diese Textstelle wird hinzugezogen, um einige Unterschiede zum ersten Fall herauszustellen, die eine andere Verwendung oder ein anderes Entwicklungsstadium der Konstruktion aus habere + PPP des Verbs emere erkennen lassen. Zunächst ist auffällig, dass die Stellung von Partizip und Prädikat vertauscht ist; zudem steht das Prädikat an zweiter Stelle nach dem Subjekt, was auf die Entwicklung des Lateinischen von einer SOV-Sprache zur SVO-Sprache im Mittelalter zurückzuführen ist (vgl. Ramat 1982; Raible 1992). Das Auftreten der neuen Syntax ist möglicherweise dadurch zu erklären, dass hier eine mündliche Äußerung vorliegt, die schriftlich festgehalten wurde. Durch die syntaktische Reanalyse ist die habere-Konstruktion dem späteren romanischen Perfekt bereits ein Stück näher als zuvor emptam habet (vgl. Ramat 1982). Ein weiterer Unterschied ist die Endung des Partizips, welches in diesem Fall maskulinum (Akkusativ) oder neutrum (Akkusativ oder Nominativ) ist. Das Bezugswort (terram) ist Akkusativ femininum und würde im klassischen Latein 45 Das Pronomen ipse entwickelte sich vor allem in juristischen Texten zu einem anaphorischen Determinanten, behielt seine klassische Bedeutung als ‚ dieser und kein anderer ‘ jedoch bei (vgl. Selig 1992). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 117 <?page no="118"?> nicht mit emptum in Verbindung gebracht werden, da keine KNG-Kongruenz besteht. Dadurch kann angenommen werden, dass das PPP mit habere bereits als analytische Perfektform gebraucht worden ist, die neutral ist und keinen direkten Bezug mehr zum Objekt herstellt, wie es Ramat in seiner typologischen Untersuchung zur Entwicklung von habere + PPP darstellt: „ Das äußere Zeichen dieser ‚ reanalysis ‘ ist das Aufgeben der Kongruenz beim PPP “ (Ramat 1982: 377). Ähnliches stellt Tara bei seiner Analyse fest, kann in dem von ihm untersuchten Korpus jedoch keinen Beleg entdecken: „ Cette condition essentielle de la grammaticalisation de la construction habeo + p. p. p. n ’ est jamais remplie dans les exemples de notre corpus. “ (Tara 2014: 168). Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass ebenfalls argumentiert werden könnte, dass emptum eine KNG-Kongruenz zum Adverb satis aufweise, welches als Akkusativ neutrum aufgefasst werden könnte. Grammatisch müsste terram dann allerdings als Genitivattribut zu satis fungieren, wobei diese Missachtung auf die falsche Verwendung von Kasusendungen und den allgemeinen Kasusverlust im Spätlatein zurückgeführt werden könnte (vgl. Kiesler 2018: 57 - 65). Dadurch könnte aber ebenso gut begründet werden, dass sich die Person, die die Aussage machte, oder die Person, die diese schriftlich festhielt, eher an dem nebenstehenden terram orientieren würde als sich an die KNG-Kongruenz zu dem weiter entfernt stehenden satis zu halten. Das würde auf die fehlende Kongruenz von Partizip und Objekt, die oben diskutiert wurde, hinweisen. Möglich ist des Weiteren, dass habeo emptum hier als starre Formel gebraucht wurde, wie es Tara als typisch für die juristische Sprache beschreibt (vgl. Tara 2014: 85). Das könnte die fehlende Kongruenz ebenfalls erklären. Eine dritte Besonderheit liegt in der Bedeutung von habeo und emptum. Selbst wenn angenommen werden würde, dass emptum einen Bezug zu satis aufweise und als ‚ genug (Land), das gekauft worden ist ‘ zu verstehen sei, während habeo noch einen Vollverbstatus als ‚ besitzen ‘ habe, würde man aufgrund der Wortbedeutung nicht annehmen, dass habeo und emptum zwei verschiedene Agenten hätten. Denn warum sollte jemand anderes Land kaufen, welches das Subjekt ego nun besitzt? Demzufolge kann in diesem Beispiel Agensidentität von Prädikat und Partizip vorausgesetzt werden, wodurch habeo in diesem Fall als Auxiliar fungiert. In dem zweiten Beispiel kann die Agensidentität in beiden präsentierten Textstellen angenommen werden, was zunächst die Grundvoraussetzung für eine engere Verbindung zwischen habere-Form und Partizip gilt. Die Textstelle habeo emptum kann zudem schon ein Hinweis auf den Kongruenzverlust beim Gebrauch der neuen Perfektkonstruktion sein. Da insbesondere bei Verben des 118 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="119"?> Erwerbs der anschließende fortdauernde Besitz nicht abzustreiten ist (vgl. Thielmann 1885b: 375), kann davon ausgegangen werden, dass in solchen Fällen noch keine rein temporale Konstruktion vorliegt. Wenn diese beiden Kollokationen den Entwicklungsstufen von Harris (1982) zugeordnet werden, muss erstere Konstruktion emptam habet der ersten Stufe zugeteilt werden, da der Vorgang des Kaufes bereits im Hauptsatz beschrieben wurde und die Konstruktion im Nebensatz vermutlich vorwiegend den Besitz betonen soll. Die zweite Kollokation habeo emptum kann hingegen der dritten Entwicklungsstufe zugewiesen werden. Hier wird der Vorgang des Kaufens deutlicher betont und kann als „ past action with present relevance “ (Harris 1982: 50) betrachtet werden. Diese beiden Beispiele zeigen, dass oftmals nur kleinere Hinweise im Text Aufschluss über den Gebrauch und den Grammatikalisierungsgrad der Kollokationen geben. Gleichermaßen können Kollokationen mit den gleichen Verben unterschiedlich verwendet worden sein. Neben den beiden Konstruktionen mit dem Verb emere können dieser Kategorie noch 87 weitere Textstellen der langobardischen Urkunden zugeschrieben werden. 46 46 Weitere Textstellen sind: 2x „ acquisitum habuerit “ (MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 37, Nr. 38); 2x „ acquisitam habuerit “ (ebd.); 2x „ acquisitatam habuerit “ (ebd.); „ habet … adquisitum “ (MI, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 97); „ adimpletum habuerit “ (MI, S. Maria del Monte di Velate I, Nr. 51); 6x „ habemus [ … ] clamatum “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114); „ habet comperatam “ (LO, Mensa Vescovile, Nr. 49); „ conductum habent “ (MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 227); „ datos et solutos habuerint “ (MI, S. Lorenzo, Nr. 17); „ datum vel scriptum habeat “ (MI, monastero S. Ambrogio III/ 2, Nr. 22); „ datum et commutatum et receptum habent “ (MI, S. Vittore di Velate, Nr. 140); „ designatas habeo “ (BE, S. Sepolcro di Astino I, Nr. 18); „ designatum habet “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 86); „ emendatum non abuerimus “ (CR, Mensa Vescovile I, Cartula precarie); „ habet emptam “ (MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 83); „ habet emptas “ (ebd., Nr. 116); „ habebit emptum “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 139); 40 Zusammensetzungen aus habere und dem PPP von facere (BE, Pergamene aa. 1002-1058, Nr. 264; BE, S. Sepulcro di Astino, Nr. 63; BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114, Nr. 117, Nr. 124, Nr. 125; CO, S. Maria e Val Perlana, S. Benedotte di Lenno, Nr. 121; LO, S. Pietro di Abbadia Cerreto, Nr. 26, 2x Nr. 30, Nr. 34, Nr. 45, Nr. 47; MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 116; MI, Chiesa Maggiore, Nr. 15, Nr. 18; MI, S. Maria del Monte di Velate II, Nr. 135; MI, S. Maria di Chiaravalle I, Nr. 73; 4x MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 42; MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 30, Nr. 66, Nr. 91, Nr. 100, Nr. 202; MI, monastero S. Ambrogio III/ 2, 2x Nr. 51, Nr. 94; MI, S. Tommaso, Nr. 17; MI, S. Vittore di Varese, Nr. 88; PA, S. Felice, Nr. 15, Nr. 21; PA, S. Maria del Senatore, Nr. 22, Nr. 85; PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro I, Breve refutationis et finis, Breve sententie); drei Zusammensetzungen mit inquisitum (CR, S. Tommaso, Nr. 9; MI, S. Lorenzo, Nr. 10; MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 19); „ habet levatum “ (MI, monastero S. Ambrogio III/ 1, Nr. 48); „ habuerit mundiatam “ (MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 43); „ habent pignoratos “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124); „ prestitos habeo “ (PA, S. Felice, Nr. 22); 13 Zusammensetzung aus habere und dem PPP von recipere (2x CR, Mensa Vescovile I, Noticia pro securitate; MI, S. Maria del Monte di Velate I, Nr. 91, Nr. 149; MI, S. Maria di Chiaravalle I, Nr. 21, Nr. 38; MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 7, Nr. 9, Nr. 38, Nr. 51; MI, S. Stefano di 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 119 <?page no="120"?> 6.2.1.3.3 Beispiel 3: Verben der Kognition und Kommunikation „ Ego recordor annos XL, et visum habeo, a trigintasex annis infra, populum et clericos de Casolate annuatim ire ad letanias ad ecclesiam Sancti Ambrosii, et auditum habeo a meis maioribus quod ipsa ecclesia habuit mansum I terre [ … ] 47 . “ „ Ich erinnere mich 40 Jahre zurück, und ich habe gesehen, innerhalb von 36 Jahren, dass das Volk und die Geistlichen von Casolate jährlich zum Gebet zur Kirche des Sankt Ambrosius gehen, und ich habe von meinen Vorfahren gehört, dass die Kirche selbst ein Mansum des Landes hatte [ … ]. “ Dicta testium, Morimondo, vor dem 19. April 1186 (MI, S. Maria di Morimondo II, Nr. 278) Im nächsten Beispiel erscheinen zwei Kollokationen mit habere, die aus einer Zeugenaussage stammen. In diesen ‚ Dicta testium ‘ werden die Aussagen zu einem Streitfall gesammelt festgehalten. Ein Bürger sagt in diesem Fall gegen das Kloster St. Maria di Morimondo aus, das verschiedene Besitztümer bestreitet. Die Zusammensetzungen von habere und visum bzw. auditum wurden bereits erwähnt, da sich viele Konstruktionen dieser Art in den langobardischen Urkunden finden. Ihr Vorkommen beschränkt sich allerdings auf wenige Dokumente, die allesamt Zeugenaussagen enthalten, wie bereits erläutert wurde. Eventuell ist dadurch ein Rückschluss auf die gesprochene Sprache gegeben, es kann sich jedoch um eine für Zeugenaussagen typische Redewendung oder Formel handeln. Die beiden Partizipien treten nicht mit einem Bezugswort auf, stattdessen ist von der Konstruktion mit habere ein AcI (nach visum habeo) bzw. ein Nebensatz mit quod (nach auditum habeo) abhängig. 48 Es könnte zwar ein id als Bezugswort hinzugedacht werden, das KNG-kongruent zu den Partizipien wäre, in diesem Fall lassen aber die Bedeutungen von videre und audire darauf schließen, dass Prädikat und Partizip denselben Agenten (nämlich ego) teilen und somit Agensidentität angenommen werden kann. Nur a meis maioribus könnte an einen klassischen passiven Ausdruck erinnern, bei welchem durch die Präposition a/ ab + Ablativ der Agens des Partizips ausgedrückt wird. Dennoch würde es in Kombination mit habeo wenig Sinn ergeben, etwas zu besitzen ([id] Vimercate, Nr. 53; MI, S. Vittore al Corpo di Milano, Nr. 5; MI, S. Vittore di Varese, Nr. 37); „ refutatas habent “ (MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 61) und „ tollectum habent “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124). 47 „ inter stratam de Albariate et stratam [ … ] et decimam eiusdem mansi, et sedimen I iuxta ecclesiam, in parte cuius plantata est vinea a monachis et factum fossatum, et quod Muzaluganici habitaverunt in sedimine I prefate plebis, ibi ubi fit ecclesia nova Morimundi, aut ibi prope. “ . 48 Fast alle Verbindungen ziehen einen AcI oder einen Nebensatz mit quod nach sich. Die wenigen anderen Zusammensetzungen sind von der Art ‚ ut auditum/ visum habeo ‘ . 120 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="121"?> habeo), das nur von den Vorfahren gehört worden sei (a meis maioribus auditum). Zwar könne etwas von den maioribus gehört worden sein, was von diesen an das Subjekt ([ego]) weitergegeben wurde, doch letztendlich hätte dieser es ebenfalls selbst gehört. Somit kann eine engere Verbindung von auditum und habeo verstanden werden und ein ‚ semantic bleaching ‘ (vgl. Kap. 3.2.3) von habere vorliegen, welches nicht mehr als Vollverb gelten kann. Die Verben videre und audire sind außerdem Verben der Sinneswahrnehmung und gehören damit neben den Verben der Kommunikation zu der Gruppe, über die sich die Konstruktion habere + PPP vor allem verbreitet haben soll. Die vorangehende Analyse bestätigt diese Vermutung, da visum habeo bzw. auditum habeo nicht getrennt voneinander mit zwei unterschiedlichen Agenten verstanden werden können. Im Unterschied zu den beiden Beispielen mit Partizipien der Kognition oder Kommunikation der Urkunden aus französischen Regionen kann bei audire und videre zwar immer noch das Resultat und damit der gegenwärtige Besitz im Vordergrund stehen, es existiert jedoch jeweils ein konkreter Moment des Hörens oder Sehens, der dieser Konstruktion impliziert ist und einen temporalen Wert zum Ausdruck bringt. So lässt sich die Beurteilung festhalten, dass Kollokationen dieser Art bereits als temporal verstanden werden können. In der Einteilung nach Harris (1982) sind diese Konstruktionen der vierten Stufe zuzuordnen. In diesem Textauszug erscheinen zwei Kollokationen mit habere und einem Partizip Perfekt Passiv, die als direkte lateinische Vorläufer des romanischen Perfekts identifiziert werden können. Durch die Bedeutung der Wörter ist die Übereinstimmung des Agens von Partizip und Prädikat in diesen beiden Fällen nachweisbar und ein konkretes vergangenes Ereignis wird impliziert. Die beiden habeo-Formen können als auxiliarisiert verstanden werden. Durch zahlreiche weitere Konstruktionen von habere mit Partizipien von audire und videre und einige andere Konstruktionen dieser Art können insgesamt 96 Kollokationen dieser Kategorie zugeordnet werden. 49 Dabei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass darunter Kollokationen sein können, die in ihrem Grammatikalisierungsgrad noch nicht als fortgeschritten bezeichnet 49 Weitere Kollokationen dieser Art finden sich in folgenden Dokumenten: 88 weitere Zusammensetzungen mit Partizipien von audire und videre (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 114, Nr. 124, Nr. 125; LO, Mensa Vescovile, Nr. 59, Nr. 128, Nr. 138; MI, S. Lorenzo, Nr. 1; MI, canonica S. Ambrosio, Nr. 118; MI, S. Maria di Morimondo II, Nr. 278; MI, Chiesa Maggiore, Nr. 30; MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 165, Nr. 234; PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro II, Nr. 95); „ habuissent dictum “ (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 149); 3x „ dictum habet “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 86); „ dictum habeo “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124); „ abuit dictum “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 144) und „ dissuasatum habent “ (LO, S. Pietro di Abbatia Cerreto, Nr. 30). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 121 <?page no="122"?> werden können, wie es durch die Beispiele zu den Zusammensetzungen mit Verben der Kognition und Kommunikation der französischen und burgundischen Urkunden gezeigt wurde. 6.2.1.3.4 Beispiel 4: Verben des Besitzwechsels At si ad terminum suprascriptum decem annorum Romaldus non habet datos suprascriptos denarios [ … ] 50 . Aber wenn Romaldus bis zu dem oben genannten Termin in zehn Jahren die oben genannten Denaren nicht gegeben hat [ … ]. Breve recordationis, Bobbiate, Februar 1081 (MI, S. Maria del Monte di Velate I, Nr. 51) Der vierte Textauszug stammt aus einem ‚ Breve recordationis ‘ . In dieser Urkunde werden die Zahlung eines vorangegangenen Kaufes festgehalten sowie entsprechende Folgen bei der Einhaltung 51 oder Folgen für den Fall, dass die Zahlungen nicht geleistet werden. 52 Die Leistung ist von dem im Text genannten Romaldus zu erbringen. Die Zusammensetzung besteht aus dem Prädikat habet und dem Partizip datos. Das Partizip weist in diesem Fall eine Kongruenz zu dem direkt folgenden Akkusativobjekt suprascriptos denarios auf. Romaldus ist Subjekt zum Prädikat. Gleichzeitig muss er derjenige sein, der die Denaren zahlen soll, wodurch feststeht, dass in diesem Fall Agensidentität besteht. Bei einer Zusammensetzung von habere und dare kommt außerdem hinzu, dass sie eine gegensätzliche Bedeutung haben, die laut Tara „ le principal argument sémantique de la lexicalisation et même de la grammaticalisation de la construction “ (Tara 2014: 75) sind. Die Überlegungen von Thielmann (1885b) und Tara (2014) sowie die Beschaffenheit von Zusammensetzungen mit dare wurden oben bereits ausführlich erläutert und treffen in diesem Beispiel zu (vgl. Kap. 6.2.1.1.5). Zusammensetzungen von habere mit einem Partizip von dare erscheinen mehrfach in den langobardischen Urkunden. Bei der obigen Beispielkonstruktion ist Agensidentität anzunehmen. Durch die gegensätzliche Bedeutung bei Verben des Gebens ist zudem zu vermuten, 50 „ vel eius her(es) sic(ut) supra legitur, de ic in antea ia(m)dicta car(ta) vendic(ioni)s firma et valida sit et | ia(m)dictus Vualbertus et suus heres faciant de suprascriptis rebus que leguntur in car(ta) vendic(ioni)s a presenti die proprietario | nomine quiquit voluerint. “ (MI, S. Maria del Monte di Velate I, Nr. 51). 51 „ [ … ] suprascripta carta vindicionis sit vacua et nullum roborem in se habeat. “ (MI, S. Maria del Monte di Velate I, Nr. 51). 52 „ [ … ] de ic in antea iamdicta carta vendicionis firma et valida sit et iamdictus Vualbertus et suus heres faciant de suprascriptis rebus que leguntur in carta vendicionis a presenti die proprietario nomine quiquit voluerint. “ (ebd.). 122 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="123"?> dass der semantische Fokus auf dem Partizip liegt, während die Form von habere semantisch ausgeblichen ist. Da durch habet keinerlei fortdauernder Besitz mehr ausgedrückt wird, kann angenommen werden, dass es sich um einen reinen Ausdruck der Vergangenheit handelt. Nach der Einteilung von Harris (1982) hat dieses Beispiel die höchste Stufe erreicht, wie es bei den Beispielkollokationen der französischen und burgundischen Urkunden der Fall war mit Verben, die einen Besitzwechsel mit sich bringen. Während in den Urkunden der französischen Regionen nur wenige Einzelbeispiele ermittelt werden konnten, die einen ähnlichen Gebrauch vermuten lassen, sind es in der Lombardei einige. Insgesamt trifft es auf 27 Konstruktionen zu, darunter 20 weitere Kollokationen mit einem Partizip des Verbs dare, die in insgesamt 17 verschiedenen Schriften erscheinen. 53 6.2.1.3.5 Beispiel 5: habere im Passiv [ … ] 54 , sicut per predictam Ansam reginam a piissimo Desiderio rege et suis successoribus regibus et imperatoribus ibidem concessum et corroboratum habetur, [ … ] 55 . [ … ], sowie durch die genannte Königin Ansa von dem sehr frommen König Desiderius und ihm nachfolgenden Königen und Herrschern ebenso für gewährt und bestätigt gehalten wird / gewährt und bestätigt wurde, [ … ]. Nicolai II papae privilegium, Rom, 5./ 6. Mai 1060 (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 80) 53 Folgende Dokumente enthalten weitere Zusammensetzungen dieser Art: 20 Kollokationen von habere mit dem PPP von dare (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 124, Nr. 125; LO, Mensa Vescovile, Nr. 211; MI, S. Maria del Monte di Velato I, Nr. 51; MI, S. Maria di Chiaravalle I, Nr. 84; MI, S. Maria di Chiaravalle II, Nr. 57, Nr. 87, Nr. 227; MI, S. Giorgio al Palazzo, Nr. 36; MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 123; MI, S. Maria di Morimondo II, Nr. 334; MI, monastero S. Ambrosio III, Nr. 64; MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 74, Nr. 111; MI, Chiesa Maggiore, Nr. 44; PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro II, Nr. 74); „ factas habebant “ (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 117); 2x „ habet laboratum “ (MI, Chiesa Maggiore, Nr. 30; PA, S. Pietro in Ciel d ’ Oro II, Nr. 74); „ solutos non habuerint “ (MI, S. Maria di Chiaravalle I, Nr. 21); „ venditos habet “ (MI, S. Stefano di Vimercate, Nr. 31); „ habet venditas “ (MI, canonica S. Ambrogio, Nr. 116) und „ habent venditam “ (MI, monastero S. Ambrogio III, Nr. 16). 54 „ Pariterque concedimus et confirmamus eidem venerabili monasterio districtum servorum et liberorum, et decimas et primitjas (j) | omnium laborum vestrorum (k) seu ad basilicas et cellas in terris eiusdem monasterii constructas pertinentja, [ … ] “ . 55 „ et a nostris predecessoribus Sanct ę Rom(ane) Ecclesie pontificibus. Confirmamus insuper quasdam cortes (l) eidem venerabili loco, videlicet: Sermionem, Cervanigam, N[u]velariam, Berciacum, Machonem vicum, Gosenagum, | Barbadam, Alfianum, Montecellum, Voum, Calvatonem, Ciconariam, Miliarinam, Semidam, cum omnibus earum pertinentjs, seu etjam omnes alias cortes, villas, castella, cellas seu ecclesias in terris eiusdem monasterii constructas, et omnia | eidem monasterio pertinentja. “ . 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 123 <?page no="124"?> Dieses letzte Textbeispiel der langobardischen Urkunden ist einem Privileg des Papstes Nicolaus II. entnommen und enthält eine der drei Kollokationen einer passiven habere-Form mit einem Partizip Perfekt Passiv. Der Auszug stammt aus einem Zugeständnis gewisser Privilegien an das Kloster San Salvatore und S. Giulia durch den Papst Nicolaus II. Nach der Nennung der zugestandenen Sonderrechte folgt der obige Satz, in welchem das Privileg durch weitere Personen bestätigt wird. Die Textpassage kann der Corroboratio zugeordnet werden. Die beiden Partizipien concessum und corroboratum stehen ohne Bezugswort, sind neutral und bezeichnen die vorherige Übertragung gewisser Privilegien. Das Prädikat habetur ist eine passive Form. Der mögliche Gebrauch einer solchen Konstruktion wurde bereits erläutert und kann für dieses Beispiel gelten (vgl. Kap. 6.2.1.1.6). Die Kollokation kann zum einen das klassische lateinische Perfekt Passiv mit esse ersetzen oder zum anderen könnte habetur im Sinne von ‚ halten ‘ verstanden werden. Auch im klassischen Latein wurde habetur bereits mit der Bedeutung ‚ halten ‘ verwendet (vgl. Happ 1967: 96; Jacob 1994: 149 f.). Ein elliptisches id könnte hinzugedacht werden. An späterer Stelle im gleichen Dokument erscheint außerdem der klassische Ausdruck concessum et corroboratum est. 56 Dass beide Varianten auftreten, kann zwei verschiedene Gründe haben: einerseits könnten sie nebeneinander existieren und austauschbar sein; andererseits könnte dies ein Hinweis auf einen unterschiedlichen Gebrauch der zwei Konstruktionen sein. Die Frage kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. In der Zusammensetzung von habetur mit einem PPP (oder in diesem Fall zwei Partizipien) könnte habetur bereits als Hilfsverb, welches esse ersetzt, oder aber noch als Vollverb verstanden werden. Sofern die Konstruktion nicht als grammatikalisiert betrachtet wurde, ließe sie sich nach Harris (1982) in die zweite Entwicklungsstufe einordnen. In dieser bleibt ein präsentischer durativer Aspekt vorhanden, der dieser Kollokation zugeschrieben werden kann. In den langobardischen Urkunden erscheinen kaum Zusammensetzungen mit passiven habere-Formen. Es konnten insgesamt nur drei ermittelt werden. In den Urkunden aus den französischen Regionen war der Gebrauch sehr ver- 56 „ Si quis autem temerarie, quod non obtamus, contra hoc nostrum privilegium (cc) venire temptaverit, et sicuti a nostr[a aposto]lica auctoritate concessum et corroboratum est, permanere non dimiserit, sciat se anathematis vinculo | innodatum a Patre et Filio et Spiritu Sancto et ab auctoritate beati Petri principis apostolorum, necnon et cum d[iabolo et I]ud[a] traditore d(omi)ni nostri Iesu Christi eterni incendii supplicio concremandum, et insuper sciat se daturum triginta (dd) auri | libras, medietatem nostro sacro palatjo et medietatem prefato monasterio. “ (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 80). 124 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="125"?> breitet. Dort setzten sich jeweils fast die Hälfte der Konstruktionen mit einer passiven habere-Form zusammen. 57 6.2.1.4 Predigten (eHumanities Desktop) In den untersuchten Predigten konnten insgesamt 566 unterschiedliche Verwendungen einer Wortform von habere in Verbindung mit einem Partizip Perfekt Passiv ermittelt werden. Die Kollokationen erstrecken sich über 147 verschiedene Verben, von denen sich allerdings nur neun durch häufigere Treffer hervorheben. Die erhöhte Anzahl lässt sich in manchen Fällen auf die Verwendung in Zitaten aus der Bibel zurückführen, welche zum Teil wörtlich übernommen und zum Teil leicht verändert gebraucht werden. • Das Partizip peccatum erscheint in Verbindung mit einer Wortform von habere am häufigsten in den untersuchten Predigttexten. In insgesamt 146 Textstellen tritt eine Zusammensetzung auf, die in 67 Fällen dem Zitat aus dem ersten Brief des Johannes entspricht: „ si dixerimus quoniam peccatum non habemus “ (1 Jo 1.8). Der einzige Unterschied zu dem Zitat, der bei fast allen 67 Textstellen auftritt, ist die Verwendung von quia statt quoniam. In den restlichen Kollokationen wird das Zitat teilweise nur geringfügig abgewandelt durch eine andere Person (z. B. habeo oder habet, oder in Vergangenheitsformen) oder teilweise in einem ganz anderen Kontext gebraucht. Die Wortform peccatum nimmt allerdings eine Sonderstellung ein. Zwar lässt sie sich von dem Verb peccare als Partizip Perfekt Passiv ableiten, jedoch kann sie als neutrales Substantiv gebraucht werden. Das würde bedeuten, dass keine neuen nicht-klassische Konstruktionen bezüglich des Auxiliarisierungsprozesses von habere vorliegen würden (vgl. Tara 2014: 119). Ein Beispiel zu diesen Zusammensetzungen wird als eigene Kategorie unten detaillierter erläutert und in Hinblick auf seine Verwendung sowie den Auxiliarisierungsprozess analysiert. • Nach peccatum tritt das PPP von scribere in insgesamt 45 Textstellen in einer engeren Verbindung mit einer habere-Form auf. Diese Kollokationen lassen sich nicht ausschließlich auf ein Bibelzitat zurückführen, weisen aber in vielen Fällen auf ein folgendes Zitat aus der Bibel hin, z. B.: „ habes in Evangelio hoc scriptum “ aus einer Schrift von Ambrosius von Mailand (014_1912.xml). Der Gebrauch gestaltet sich sehr unterschiedlich und wird ebenfalls beispielhaft im Verlauf dieses Kapitels eingeordnet. 57 Es existiert eine weitere Textstelle mit habetur und den Partizipien concessum et corroboratum in einem anderen Privileg des Papstes Nicolaus II (BR, S. Guilia di Brescia I, Nr. 81). Die dritte Kollokation einer passiven Form mit einem PPP ist factum habeatur (BE, Pergamene di Bergamo aa. 1059 (? )-1100, Nr. 207). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 125 <?page no="126"?> • Des Weiteren kommen in den Predigttexten 31 Konstruktionen aus einer habere-Form mit dem PPP von aperire vor. Die meisten dieser Kollokationen lassen sich auf ein Zitat aus dem vierten Buch Moses zurückführen: „ qui cadens apertos habet oculos “ (Num 24.16). Gelegentlich wird das Substantiv oculos durch aures (und apertos angepasst zu apertas) getauscht. Außerdem wird die Wortform habet durch verschiedene andere habere-Formen, andere Personen oder Tempora ersetzt. Doch sind zudem wenige gänzlich andere Zusammensetzungen aus apertum und habere zu finden, die nicht auf das Zitat hinweisen. Dafür kommen zehn Konstruktionen mit dem PPP von claudere hinzu, in denen, beispielsweise durch clausos, das Gegenteil ausgedrückt wird. Diese erscheinen gelegentlich in Verbindung mit einem anderen Substantiv. Das betrifft ebenso fünf Komposita von claudere. Im Falle der Konstruktionen mit einem Partizip Perfekt Passiv von aperire ist hinzuzufügen, dass z. B. apertos klassisch ein Adjektiv sein könnte. Die Verwendung wird ebenfalls an entsprechender Stelle aufgegriffen und analysiert. • Nun seien kurz noch drei weitere Zitate genannt, die wörtlich oder in Abwandlung häufiger in den Predigten vorkommen: Aus dem Lukasevangelium wird einige Male „ habes multa bona posita “ (Lk 12.19) zitiert, in den Predigten jedoch meist mit reposita statt posita (insgesamt 14 Textstellen). Daneben erscheinen 24 weitere Kollokationen mit dem PPP positum oder einem anderen Kompositum. Als zweites wird in sechs Fällen das Zitat „ vas et aliquid in utensilia praeparatum “ (Num 31.20) stark abgewandelt gebraucht, welches im Original nicht in Verbindung mit habere auftritt. Mit dem PPP von praeparare oder parare setzt sich außerdem in 17 weiteren Textstellen eine Wortform von habere zusammen. Die habere-Formen und der Inhalt variieren. Zuletzt soll noch auf den wiederholt auftretenden Ausdruck praecinctos habeat lumbos hingewiesen werden. Dieser findet sich insgesamt neunmal anaphorisch verwendet in einer Aufzählung bei Fulgentius von Ruspe, doch 13 weitere Textstellen (darunter dreimal accinctos statt praecinctos) in den Schriften von sechs anderen Autoren lassen auf ein Zitat schließen, welches sich jedoch nicht in der Form in der Bibel findet. Die Wortform habeat gebraucht allerdings nur Fulgentius, in den anderen Schriften steht praecinctos bzw. accinctos mit anderen habere-Formen, darunter überwiegend die dritten Personen im Präsens, Imperfekt (Indikativ und Konjunktiv) oder Perfekt, einmal mit der Wortform habeamus. Auch in diesem Korpus treten viele Konstruktionen aus habere und einem Partizip Perfekt Passiv oft nur ein einziges Mal zusammen auf. In anderen Fällen erscheinen zwei oder sogar mehrere verschiedene oder ähnliche Verbindungen, die nicht alle einzeln thematisiert werden können. Überwiegend 126 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="127"?> werden nun Kollokationen vorgestellt, die besonders hervortreten. Dabei wird gleichermaßen vorgegangen, wie bei den drei Urkundenkorpora. In einigen Fällen wird auf die vorherige Analyse zu anderen Korpora verwiesen, um Doppelungen zu vermeiden. Die Analyse der Textstellen mit peccatum werden den anderen Kategorien als erstes Beispiel vorangestellt. Zusammensetzungen mit habere im Sinne von ‚ halten ‘ konnten nicht ermittelt werden, sodass diese Kategorie dagegen wegfällt. 6.2.1.4.1 Beispiel 1: habere + peccatum Quis est enim qui non habet peccatum? Wen gibt es nämlich, der keine Sünde / nicht gesündigt hat? Augustinus von Hippo, Sermones de Scripturis, 4./ 5. Jh. (038_6046.xml) Das erste Textbeispiel stammt aus einer Schrift von Augustinus von Hippo und stellt eine Zusammensetzung mit peccatum dar, wie bereits oben erwähnt wurde. Dies ist eine von 51 Textstellen, die in den Schriften des Augustinus zu finden sind. Insgesamt gebrauchen 32 nachweislich verschiedene Schreiber eine Zusammensetzung aus einer habere-Form und peccatum, welches in allen 146 Textstellen mit der Endung -um auftritt. Die Wortform peccatum kann zum einen Partizip Perfekt Passiv von peccare, zum anderen ein neutrales Substantiv sein. Somit könnte habet in Verbindung mit dem Substantiv peccatum einerseits im ursprünglichen Sinn als ‚ haben, besitzen ‘ aufgefasst werden, andererseits als temporaler Ausdruck oder zumindest Vorläufer eines solchen Ausdrucks zusammen mit dem PPP von peccare. Auch Tara (2014) stellt diesen Umstand fest und erklärt, dass lediglich kleinere Hinweise auf einen konkreten Gebrauch schließen lassen: „ Dans la variété des contextes où [la construction] apparaît, il est presque impossible de séparer les cas où peccatum est un substantif (objet direct de habere au sens possessif) de ceux où il est le participe du verbe peccare. La présence de certains déterminants adjectivaux (nullum, maius etc.) à côté de peccatum témoigne de sa nature nominale. “ (Tara 2014: 119). Fruyt (2011) untersucht, in Anlehnung an Tara (2014), eine Textstelle, die zwei Verbindungen einer Form von habere mit peccatum aufweist: „ si ergo et parentes eius habuerunt peccatum, et iste habuit peccatum “ (Aug. in Joh. tract. 44.3). Sie interpretiert diese Zusammensetzungen folgendermaßen: „ we ’ re living in a sin, as a result of the fact that they had committed a sin “ (Fruyt 2011: 797). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 127 <?page no="128"?> Sie merkt aber ebenfalls an, dass „ this habeo construction is syntactically and morphologically ambiguous here, since it could well be habeo as a light verb [ … ] and the noun peccatum, -i neuter in the object position “ (ebd.: 797 f.; vgl. Tara 2014: 119). Einen Hinweis auf den konkreten Gebrauch als Substantiv lässt sich anhand des Kontextes nicht entdecken. Doch selbst wenn angenommen wird, dass diese Wendung in erster Linie als klassische Zusammensetzung aus Prädikat und Akkusativobjekt aufgefasst worden ist, könnte sie dennoch einen Brückenkontext darstellen. Durch das häufige Vorkommen dieser Kollokation könnte sie von einigen Hörern oder späteren Lesern anders verstanden worden sein. Somit ist nicht vollständig auszuschließen, dass peccatum habere zur Entwicklung einer temporalen Konstruktion aufgrund seiner zahlreichen Vorkommnisse in kirchlichen Texten, insbesondere bei bekannten Kirchenvätern wie Augustinus, beigetragen hat. Nach Harris (1982) könnte das obige Beispiel, sofern das Partizip von peccare abgeleitet wird, in die zweite Stufe eingeordnet werden. Anhand des Kontextes lässt sich darauf schließen, dass kein konkreter Moment des Sündigens gemeint ist, sondern ein fortdauernder Zustand, bereits vom Sündigen betroffen zu sein, was sich nicht mehr rückgängig machen lässt. Diese Einordnung muss nicht auf alle Textstellen mit habere zutreffen. In anderen Fällen ist möglicherweise anhand des Kontextes ein anderer Gebrauch anzunehmen. Insgesamt sind aber, wie bereits erwähnt, 146 Konstruktion mit peccatum im untersuchten Predigtenkorpus zu finden. 58 6.2.1.4.2 Beispiel 2: Mehrdeutige Agensidentität Arborem fici habebat quidam plantatam in vinea sua (Luc. XIII,6). Jemand hatte einen Feigenbaum auf seinem Weinberg als Gepflanzten / gepflanzt. Bernard von Clairvaux, Sermones in Cantica canticorum, 11./ 12. Jh. (183_4291.xml) 58 Weitere Zusammensetzungen einer Form von habere und peccatum finden sich in den Dokumenten 024_5750.xml, 038_6046.xml (44x), 038_6047.xml (3x), 038_6048.xml (2x), 039_6049.xml, 039_6050.xml, 039_6053.xml (3x), 039_6056.xml (2x), 040_6212.xml, 054_6622.xml (2x), 057_6670.xml (2x), 057_6671.xml, 059_6747.xml, 065_6976.xml, 065_6997.xml, 076_7400.xml (2x), 087_7825.xml, 089_8062.xml, 094_8189.xml (4x), 110_514.xml (4x), 118_732.xml (7x), 129_1123.xml, 155_3078.xml (4x), 155_3098.xml (5x), 157_3169.xml (4x), 158_3207.xml, 160_3378.xml, 162_3406.xml, 165_3555.xml (3x), 171_3764.xml (4x), 174_3939.xml, 174_3940.xml, 178_4030.xml, 183_4242.xml, 183_4248.xml, 183_4255.xml, 183_4291.xml, 184_4322.xml, 184_4336.xml, 194_4708.xml, 195_4726.xml (2x), 198_4834.xml, 198_4822.xml, 204_5085.xml (2x), 208_5183.xml (11x), 209_5184.xml (2x), 212_5349.xml (5x), 217_5395.xml (3x). 128 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="129"?> Das zweite Beispiel ist ein Zitat aus einem Gleichnis aus dem Lukasevangelium, das von vier verschiedenen Predigern in unterschiedlichen Kontexten aufgegriffen wird. Neben Bernard von Clairvaux findet es sich noch in den Schriften des Petrus Chrysologus (4./ 5. Jh.; 052_6558.xml), Haimo von Halberstadt (9. Jh.; 118_732.xml) und Bruno von Segni (11./ 12. Jh.; 165_3555.xml). In diesem Zitat wird auf das Gleichnis des Feigenbaums Bezug genommen. Dort wird der Besitz eines Feigenbaumes, der keine Früchte trägt und deshalb gefällt werden soll, thematisiert. Das Partizip plantatam ist in diesem Fall KNG-kongruent zu seinem Bezugswort arborem (fici), von dem es durch das Prädikat habebat und das Subjekt getrennt wird. Von der Syntax her wird es deutlich vom Bezugswort getrennt, wodurch es sich zum einen anhand der teils sehr freien klassischen lateinischen Satzstellung dennoch attributivisch zu seinem Bezugswort auffassen ließe. Dabei wird offengelassen, wer den Baum gepflanzt hat und somit Agens des Partizips ist. Die Bibel, aus der dieses Zitat der Predigt entstammt, lässt das Partizip in der deutschen Einheitsübersetzung 59 sogar aus und impliziert dadurch den Gebrauch als Attribut. Dies ist möglich, weil davon ausgegangen werden kann, dass niemand einen ungepflanzten Baum auf seinem Weinberg besitzt. Zum anderen könnte das Partizip im fortgeschrittenen Stadium der Grammatikalisierung schon temporal verstanden worden sein. Dafür müsste zunächst die Agensidentität von Prädikat und Partizip bestehen. Allerdings gibt es keine konkreten Hinweise, ob das Subjekt selbst oder jemand anderes den Baum gepflanzt hat. Solange keine eindeutige Agensidentität besteht, kann nicht sicher bewertet werden, dass ein temporaler Wert vorliegt. Wird der Kontext näher betrachtet, lässt sich feststellen, dass der Fokus deutlich auf dem Besitz des Baumes, nicht auf dem Ereignis des Einpflanzens liegen muss, welches nur ein zweitrangiges Vorgeschehen ist. Nach Harris (1982) können diese Kollokationen somit in die erste Stufe eingeordnet werden, da der konkrete Besitz die Hauptaussage liefert. Ähnlich wie es schon in den Urkundenkorpora der Fall war, finden sich in den untersuchten Predigten überwiegend Konstruktionen, die im Sinne „ denoting a state which is the consequence of an earlier process “ (Fruyt 2011: 797) interpretiert werden können. Der Aspekt des Besitzes ist eindeutig vorhanden und steht im Vordergrund. In vielen Fällen kann die Agensidentität nicht eindeutig bestätigt werden. Dadurch ist es ebenfalls möglich, dass zwischen Prädikat und Partizip noch keine engere grammatikalische Verbindung vor- 59 Die Bibel. Altes und Neues Testament. Einheitübersetzung, Herder: Freiburg/ Basel/ Wien. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 129 <?page no="130"?> liegt. Insgesamt wurden 260 von 566 ermittelten Textstellen dieser Kategorie zugeordnet. 60 60 Weitere Kollokationen sind folgende: „ habemus adimpletum “ (054_6622.xml); „ habeat advocatos/ advocatum “ (178_4030.xml, 183_4273.xml); „ aggravatas habent “ (207_5158. xml); „ caelatas habent “ (076_7400.xml); „ calceatos habet/ habemus “ (118_732.xml (2x)); Kombinationen aus accinctos oder praecinctos und habere (020_4951.xml, 065_6990.xml (9x), 118_732.xml (5x), 132_1277.xml, 160_3366.xml, 171_3764.xml, 205_5132.xml (4x)); „ collatum habemus “ (093_8187.xml); „ compactos … habebat “ (010_52.xml, 094_8189.xml); „ habes … congestam “ (066_7012.xml); „ consecratas habet “ (208_5183.xml); „ constitutum habeat “ (039_6053.xml, 057_6670.xml); „ habet constructos/ constructas “ (039_6056.xml, 209_5185.xml); „ consutum habuerit “ (054_6624.xml); „ habeat contextam “ (217_5394.xml); „ habet coopertum “ (198_4822.xml); „ correctum … habuit “ (038_6048.xml); „ habet/ habeat … delegatum “ (118_732.xml, 155_3078.xml, 208_5183.xml); „ habet … denominatas “ (118_732. xml); „ depressa haberent “ (174_3939.xml); Verbindungen von habere mit deputatum oder deputatos (089_8026.xml, 118_732.xml, 155_3078.xml, 208_5183.xml); Verbindungen mit dictum (014_1912.xml, 014_1930.xml, 198_4822.xml (2x)); „ habebit … dissuta “ (171_3764. xml (2x)); „ habuit … induta “ (118_732.xml); „ habent distortum “ (171_3764.xml); „ habent … divisum “ (211_5306.xml); „ editum habeamus “ (057_6677.xml); „ editam habemus “ (165_3555.xml); „ emendata … habeant “ (147_2506.xml); Kombinationen aus habere und einem PPP von exprimere oder imprimere (Dokumente 014_1930.xml, 094_8189. xml, 144_2325.xml, 184_4294.xml, 195_4727, 198_4822.xml, 208_5183.xml, 212_5349.xml); Verbindungen des Partizips von facere oder Komposita und habere (025_5755.xml, 038_6046.xml, 094_8189.xml, 132_1289.xml, 133_1359.xml, 158_3207.xml, 174_3939.xml, 198_4822.xml); Zusammensetzungen von habere und einem PPP von figere oder Komposita (054_6624.xml, 066_7012.xml, 171_3764.xml (3x), 174_3940.xml, 196_4765.xml); „ habet fractam/ fractum “ (147_2506.xml, 171_3764.xml); „ habet ( … ) effusum “ (183_4291. xml, 202_5013.xml); „ infusum … habebant “ (054_6622.xml); „ illuminatum … habes “ (198_4822.xml); „ illustratum habemus “ (165_3555.xml); „ habent … incisos “ (171_3764. xml); „ intentam habuit “ (174_3940.xml); „ inunctam habet “ (155_3078.xml); „ involutam habet “ (178_4030.xml); Kombinationen aus einem PPP von adjungere oder conjungere und habere (157_3169.xml, 177_4019.xml, 178_4030.xml); Verbindungen von habere und einem Partizip von eligere (038_6046.xml, 166_3634.xml, 183_4291.xml, 208_5183.xml); „ habet … liberatum “ (155_3098.xml); Zusammensetzungen des PPPs von (re)ligare und habere (118_732.xml, 178_4030.xml, 198_4822.xml); „ lotos/ lotas habebat/ habet “ (110_514. xml, 217_5394.xml); Kombination aus einem Partizip von miscere oder Komposita und habere (177_4019.xml, 184_4294.xml (3x), 195_4716.xml, 205_5132.xml, 208_5183.xml); „ notatam habet “ (054_6624.xml); „ numeratos habet “ (038_6046.xml); „ obturatum habent “ (177_4019.xml); „ habes … occisum “ (040_6136.xml); Verbindungen aus habere und einem PPP von occulere/ occultare (038_6046.xml, 184_4294.xml, 198_4822.xml); „ occupatos … habet “ (195_4726.xml); „ ordinatas habuit “ (171_3764.xml); Zusammensetzungen des PPPs von (prae)parare und habere (005_6411.xml, 038_6046.xml, 039_6053.xml, 040_6212.xml, 057_6678.xml, 110_514.xml, 115_669.xml (2x), 118_732.xml (6x), 135_1432.xml, 157_3169. xml, 171_3764.xml (2x), 175_3974.xml, 208_5183.xml (3x), 212_5349.xml); „ placatos habebit “ (183_4242.xml); „ plicatum habes “ (202_5013.xml); „ habuit pollutum “ (198_4822.xml); Kombinationen des Partizips von ponere oder Komposita und habere (025_5755.xml, 038_6046.xml (4x), 039_6053.xml (2x), 039_6055.xml, 040_6212.xml (2x), 048_6376.xml, 052_6558.xml (2x), 054_6622.xml, 057_6677.xml, 065_6997.xml, 089_8060. xml, 094_8189.xml, 118_732.xml, 139_1782.xml, 144_2325.xml, 171_3764.xml (2x), 130 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="131"?> 6.2.1.4.3 Beispiel 3: Agensidentität von Partizip und Prädikat „ Non est mihi voluntas circa vos, dicit Dominus, et sacrificium acceptum non habeo de manibus vestris, quoniam [ … ] 61 “ (Mal. XLI). „ Ich habe keine Zuneigung zu euch, spricht der Herr, und ich habe das Opfer aus euren Händen nicht angenommen / ich halte das Opfer aus euren Händen nicht für angenehm, weil [ … ] (Mal. 1,10). “ Ivo von Chartres, 11./ 12. Jh. (162_3406.xml) Im nächsten Beispiel erscheint eine Kollokation von habere mit acceptum in einer Schrift des Kirchenreformers und Bischofs Ivo von Chartres aus dem 11./ 12. Jahrhundert. Es handelt sich bei dieser Textstelle um ein Zitat aus dem Buch des Propheten Maleachi. Der Prophet behandelt in diesem Abschnitt das 171_3815.xml (2x), 174_3940.xml, 182_4220.xml, 183_4291.xml, 184_4294.xml, 195_4716. xml, 208_5183.xml (2x), 209_5184.xml, 211_5306.xml, 217_5394.xml, 217_5395.xml, 217_5396.xml); Verbindungen aus habere und einem PPP von probare (158_3207.xml, 173_3919.xml, 174_3939.xml); „ promissum habes/ habebant “ (110_514.xml, 118_732.xml); „ promptas habet “ (118_732.xml); „ purgatum habent “ (039_6053.xml, 162_3406.xml); Zusammensetzung des Partizips von abscondere oder recondere und habere (040_6131. xml, 057_6671.xml, 094_8189.xml (2x), 129_1108.xml, 144_2325.xml, 171_3764.xml, 183_4291.xml, 184_4294.xml, 188_4496.xml, 198_4822.xml, 208_5183.xml, 209_5184.xml, 211_5306.xml, 217_5395.xml); Verbindungen aus habere und einem PPP von revelare (025_5755.xml, 184_4294.xml); „ saginatum habuit “ (039_6053.xml); Kombinationen eines PPPs von scribere oder Komposita mit habere (005_6411.xml, 014_1930.xml (5x), 025_5755.xml, 038_6046.xml (2x), 039_6050.xml, 043_6283.xml, 054_6622.xml, 057_6670.xml (2x), 057_6671.xml (2x), 076_7400.xml (2x), 115_669.xml, 118_732.xml (2x), 135_1432.xml, 142_2147.xml, 144_2325.xml (3x), 155_3098.xml (2x), 177_4019.xml, 183_4252.xml, 185_4369.xml (2x), 195_4716.xml, 195_4727, 183_4277.xml, 198_4822. xml (3x), 208_5183.xml (7x), 217_5395.xml, 217_5397.xml (2x)); „ habent … sculptam/ sculptas “ (209_5185.xml (2x)); „ habet servatam “ (039_6049.xml); „ signata habeo “ (198_4822.xml); „ assignata habetis “ (183_4291.xml); Verbindungen aus habere und einem PPP von significare (039_6053.xml, 194_4708.xml); „ habent simulatum “ (184_4294.xml); Zusammensetzungen aus einem Partizip von solvere und habere (118_732.xml, 175_3974. xml, 184_4321.xml, 208_5183.xml); „ habebant despectos “ (157_3169.xml); Kombinationen eines PPPs von suspicere und habere (048_6376.xml, 183_4241.xml (2x), 183_4274.xml, 185_4369.xml, 205_5132.xml, 212_5349.xml); Verbindungen von habere und einem PPP von subdere (026_5775.xml, 174_3939.xml, 198_4822.xml); Zusammensetzungen von habere und einem Partizip von subicere (025_5755.xml, 026_5775.xml, 147_2506.xml); „ tensas habet “ (177_4019.xml); „ habent tectum “ (183_4285.xml); „ habebat tinctum “ (202_5013.xml); Kombinationen eines PPPs von velare und habere (025_5755.xml, 076_7400.xml, 166_3634.xml (3x)); „ habebat … venundatum “ (212_5349.xml); Verbindungen eines Partizips von vincire und habere (118_732.xml, 165_3555.xml (2x), 217_5395.xml (2x)). 61 „ [ … ] a solis ortu usque in occasum clarificatum est nomen meum apud gentes, et in omni loco odores incensi offeruntur nomini meo, et sacrificium mundum, quoniam magnum est nomen meum apud gentes “ . 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 131 <?page no="132"?> Fehlverhalten der Priester und lässt Gott antworten. In der Bibeltextstelle erscheint die Zusammensetzung aus acceptum und habeo nicht. 62 Das Partizip acceptum wird lediglich durch die Verneinung non vom Prädikat habeo getrennt. Sein Bezugswort sacrificium steht ihm direkt vorangestellt. Aufgrund der syntaktischen Stellung ist zunächst keine Auffälligkeit festzustellen. Die Bedeutung des Verbs accipere lässt aber vermuten, dass der Agens des Prädikats auch der Agens des Partizips sein muss. Dadurch ist die Grundvoraussetzung der Agensidentität gegeben. Die Bedeutung des Besitzes ist bei einem Verb wie accipere ebenfalls anzunehmen. Denn durch die Annahme wird der fortdauernde anschließende Besitz impliziert. Interessant ist in diesem Beispiel, dass die Annahme durch non abgelehnt wird. Dies lässt auf einen konkreten Moment des Ablehnens schließen, wobei der anschließende ‚ Nicht-Besitz ‘ (non habeo) ebenfalls die gegenwärtige Folge eines vergangenen Ereignisses darstellen kann. Nach Harris (1982) könnte für dieses Beispiel aufgrund des konkreten vergangenen Moments die Einordnung in der dritten Stufe erfolgen. In der Zusammensetzung mit acceptum kann noch ein gänzlich anderes Verständnis in Betracht kommen, bei der acceptum als Adjektiv ( ‚ willkommen, erwünscht, angenehm ‘ ) fungiert. In diesem Fall müsste habeo im Sinne von ‚ halten für ‘ verstanden werden. Dies bestätigt die originale Bibeltextstelle, in der die Konstruktion nicht geschrieben steht. Stattdessen wird das Prädikat suscipiat verwendet, welches ähnlich zu verstehen ist wie acceptum non habeo im soeben beschriebenen Sinne. Auch Tara (2014) schlägt den Gebrauch als Adjektiv für eine Textstelle bei Augustinus vor, die ebenfalls im untersuchten Predigtenkorpus erscheint: „ Hoc enim vult, hoc illi gratum est; inde gaudet, hoc acceptum habet “ (Aug. Psalm. 316, 15; 038_6048.xml; vgl. Tara 2014: 125). In diesem Beispiel von Augustinus wird es durch den parallelen Aufbau und die Verwendung der präsentischen Formen umso deutlicher, dass die Zusammensetzung mit acceptum keinen vergangenen Moment beschreiben kann. Dieses Beispiel zeigt erneut, dass es in manchen Fällen einer sehr genauen Untersuchung bedarf und einige Textstellen nur unter Berücksichtigung des Kontextes oder anderer Hinweise beurteilt werden können. Im untersuchten Predigtenkorpus erscheinen noch einige weitere Kollokationen, bei denen die Agensidentität eindeutig angenommen werden darf. Dies bedeutet nicht, dass in diesen Zusammensetzungen habere als ‚ halten für ‘ verstanden werden muss. 62 Im lateinischen Text wird die Stelle mit „ Mal. XLI “ zitiert, dies entspricht nicht der heutigen Nummerierung. Der zitierte Satz lässt sich auf die Textstelle Mal. 1,10 zurückführen: „ non est mihi voluntas in vobis dicit Dominus exercituum et munus non suscipiam de manu vestra “ . 132 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="133"?> In einigen Fällen lässt sich die Konstruktion als „ past action with present relevance “ (Harris 1982: 50) bewerten, wie es für die obige Textstelle zunächst beispielhaft beschrieben wurde. Insgesamt können 62 Kollokationen unter dieser Kategorie zusammengefasst werden. 63 6.2.1.4.4 Beispiel 4: Verben der Kognition und Kommunikation Cum aliquid veri auditum habetis, credite in veritatem, ut renascamini in veritate. Wenn ihr etwas Wahres gehört habt, vertraut in die Wahrheit, damit ihr in Wahrheit wiedergeboren werdet. Haimo von Halberstadt, 9. Jh. (118_732.xml) Das vierte Beispiel findet sich in einer Schrift des Haimo von Halberstadt, der im neunten Jahrhundert lebte. Es wird wieder eine Konstruktion mit dem Partizip auditum untersucht, die insbesondere in den Urkunden der Lombardei gehäuft zu finden war und bereits thematisiert wurde. In diesem Fall ist das PPP kongruent zu seinem Bezugswort aliquid, von welchem es durch den Genitiv veri getrennt wird. Syntaktisch ist es eng verbunden mit dem Prädikat habetis. Die Frage nach der Agensidentität lässt sich bei dem Verb audire schnell beantworten, da aufgrund der Semantik angenommen werden muss, dass jemand nicht im Besitz von etwas sein kann, das von jemand anderem gehört wurde. Somit wäre diese Grundvoraussetzung gegeben. Da audire ein Verb der Sinneswahrnehmung ist, nimmt es zudem eine Sonderstellung ein, wie bereits erläutert wurde. Es kann daher angenommen werden, dass die in der zweiten Person angesprochenen Personen, die Hörer oder Leser der Predigt, diejenigen 63 Diese Verwendung findet sich außerdem in folgenden Textstellen: weitere Verbindungen aus einem PPP von accipere oder concipere und habere (038_6046.xml, 038_6048.xml, 110_514.xml (2x), 171_3764.xml, 198_4834.xml, 211_5306.xml); „ habeamus adeptum “ (118_732.xml); „ apertos habet “ oder ähnliche Konstruktionen aus dem PPP von aperire und habere (038_6046.xml, 057_6671.xml, 057_6678.xml, 076_7400.xml (2x), 118_732.xml (4x), 155_3078.xml (2x), 163_3518.xml, 171_3764.xml (3x), 174_3939.xml, 175_3974.xml, 177_4019.xml (2x), 178_4030.xml, 183_4272.xml, 184_4294.xml, 185_4369.xm, 205_5132. xml (2x), 208_5183.xml (4x), 211_5306.xml, 212_5349.xml); „ habet assumptum “ (183_4285. xml); Zusammensetzungen aus dem PPP von claudere oder Komposita und habere (014_1928.xml, 038_6046.xml (3x), 038_6047.xml, 054_6622.xml, 065_6997.xml (2x), 094_8189.xml, 131_1235.xml, 174_3940.xml, 174_3941.xml, 184_4294.xml, 207_5158.xml); Verbindungen des PPPs von erigere und habere (057_6671.xml, 190_4631.xml, 212_5350. xml); „ exactam habemus “ (185_4369.xml); „ habeam fatigatos “ (038_6046.xml); „ glorificatum habebat “ (151_2892.xml); „ habet inventum “ (205_5132.xml); „ mandatam haberet “ (198_4822.xml); „ habetis … ostensum “ (039_6053.xml); Kombinationen aus habere und einem PPP von praedestinare (110_514.xml, 158_3207.xml); „ habes … transfiguratum “ (183_4291.xml). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 133 <?page no="134"?> sind, die aliquid veri gehört haben. Es ist wiederum anzunehmen, dass ein vergangenes Ereignis beschrieben werden soll, wodurch eine rein temporale Konstruktion verstanden werden kann. Zusammensetzungen mit auditum wurden bereits zum dritten Beispiel der langobardischen Urkunden ausführlich erläutert (vgl. Kap. 6.2.1.3.3). In die Einteilung von Harris (1982) kann diese Kollokation erneut der vierten Stufe zugeordnet werden. Auch in den Predigttexten lassen sich noch weitere Kollokationen aus einer Form von habere und Verben der Kognition oder Kommunikation entdecken, die ähnlich zu beschreiben sind. Im Vergleich zu den zahlreichen Vorkommnissen in den langobardischen Urkunden ist der Anteil in den kirchlichen Texten aber wieder deutlich geringer, wie es auf die Urkunden aus Frankreich und Burgund zutraf. Insgesamt konnten mit dem obigen Beispiel 20 Konstruktionen dieser Kategorie zugeordnet werden. 64 6.2.1.4.5 Beispiel 5: Verben des Besitzwechsels Et rogo, frater, [ … ] 65 si inimicum haberes tibi infestissimum, [ … ] 66 et ego tunicam tuam auferrem et illi tribuerem: nonne acrius irascereris pro eo quod ego illi haberem datam, quam pro eo quod a te ablatum? Und ich frage dich, Bruder, [ … ] wenn du einen Erzfeind hättest, [ … ] und ich dein Gewand wegnehmen und jenem geben würde: würdest du etwa nicht heftiger zürnen, dass ich es jenem gegeben habe als dass ich es dir weggenommen habe? Rather von Verona, Sermones, 9./ 10. Jh. (136_1471.xml) Das fünfte Beispiel ist ein Auszug aus der Predigtsammlung des Bischofs Rather von Verona aus dem zehnten Jahrhundert, der von Feindschaft handelt. In diesem Fall sind mit dem Prädikat haberem zwei Partizipien zusammengesetzt. Das Partizip datam ist kongruent zu tunicam, das bereits im vorherigen Satz steht. Syntaktisch könnte diese Trennung und im Gegensatz dazu die enge Verbindung zu haberem darauf schließen lassen, dass datam die tunicam zwar 64 Folgende Kollokationen können ähnlich beurteilt werden: Verbindungen des PPP von cognoscere oder Komposita mit habere (052_6558.xml, 056_6663.xml, 094_8189.xml, 110_514.xml, 129_1108.xml, 165_3555.xml, 174_3939.xml 178_4030.xml, 208_5183.xml); Zusammensetzungen eines PPP von comperire und habere (057_6670.xml, 155_3098.xml (2x) 165_3555.xml, 195_4716.xml (2x)); „ desideratam … haberet “ (183_4278.xml); „ deliberatum haberent “ (118_732.xml); „ excusatum me habeo “ (039_6050.xml); „ exploratum habemus “ (054_6624.xml); „ responsum habet “ (211_5306.xml). 65 „ [ … ], quicumque talis es, mei utique similis, [ … ] “ . 66 „ [ … ], si utique totius honoris, ipsius etiam vitae tuae insidiatorum nequissimum, [ … ] “ . 134 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="135"?> inhaltlich genauer beschreibt und wiederaufgreift, was auch anhand der Kasusendung abzulesen ist, aber eine engere grammatische Verbindung mit haberem eingeht. Das Partizip ablatum hingegen lässt anhand seiner Endung nicht den Schluss zu, dass es sich ebenfalls auf tunicam beziehe. Sinngemäß und durch den parallelen Aufbau ist tunicam jedoch als Bezugswort auszumachen. Aufgrund der Syntax und der fehlenden Kongruenz ist allerdings anzunehmen, dass es sich enger an haberem orientiert als an seinem Bezugswort. Die Bedeutung des Verbs dare unterstreicht die Annahme, dass datam nicht adjektivisch oder substantivisch gebraucht worden sein kann, weil dadurch ein gegensätzlicher Sinn entstehen würde. Die Agensidentität ist also anzunehmen. Gleiches gilt für das Verb auferre, das ebenfalls einen Besitzwechsel mit sich bringt. Es wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass Tara (2014) Zusammensetzungen mit dare als vollständig grammatikalisiert betrachtet, jedoch keine in dem von ihm untersuchten Korpus ermitteln kann (vgl. ebd.: 75). Für dieses Beispiel lässt sich seine Annahme wiederum bestätigen. Der Dativ illi und die chiastische Konstruktion zu auferrem und tribuerem lassen außerdem darauf schließen, dass die Kollokation temporal eingestuft werden kann. Nach der Einteilung von Harris (1982) ist in diesem Fall wieder die vierte und somit höchste Stufe im Grammatikalisierungsprozess erreicht. Interessant ist darüber hinaus, dass das zweite Partizip ablatum nicht kongruent zum Bezugswort tunicam ist, obwohl es sich sinngemäß auf dieses beziehen muss. Aufgrund des temporalen Aspekts und der vorherigen Verwendung von datam und auferrem 67 scheint das neutrale ablatum ausreichend zu sein, um verständlich zu machen, worauf es sich bezieht. Der Verlust der Kasusangleichung des Partizips an das Bezugswort ist zudem ein Zeichen für ein fortgeschrittenes Stadium der Entwicklung der neuen periphrastischen Perfektformen (vgl. Ramat 1982: 377). Eine solche Konstruktion kann bereits als Beleg für die Verwendung des späteren romanischen Perfekts in der lateinischen Sprache im 10. Jahrhundert angesehen werden. Diese Textstellen sind allerdings selten und teilweise nur bei genauer Untersuchung aufzufinden. Daher konnte in den untersuchten kirchlichen Dokumenten nur diese eine Kollokation ermittelt werden, in der es konkrete Hinweise auf den temporalen Gebrauch einer auxiliarisierten Form von habere und einem Partizip Perfekt Passiv gibt. 67 Dagegen ersetzt datam das Verb tribuerem, weshalb der Bezug zu tunicam durch die Endung möglicherweise erst deutlich gemacht werden musste. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 135 <?page no="136"?> 6.2.1.4.6 Beispiel 6: habere im Passiv Ad hoc delapsa est humana perversitas, ut vir habeatur victus a libidine, et vir non habeatur victor libidinis. Außerdem ist die menschliche Verkehrtheit herabgesunken, so dass ein Mann für besiegt gehalten wird / besiegt wird von seiner Begierde, und der Mann nicht für den Sieger über die Begierde gehalten wird / nicht Sieger über die Begierde ist. Augustinus von Hippo, Sermones de Scripturis, 4./ 5. Jh. (038_6046.xml) Die letzte Textstelle ist erneut aus den Predigten des Augustinus aus dem vierten oder fünften Jahrhundert. Auch bei den kirchlichen Texten wird zum Schluss die Konstruktion eines Partizips mit einer passiven habere-Form aufgegriffen, wie es schon bei den drei Urkundenkorpora der Fall war. Wie bereits mehrfach erläutert, kann habeatur victus somit einerseits eine Konstruktion des Perfekt Passivs darstellen, die klassisch mit dem Partizip Perfekt Passiv und einer Form von esse gebildet wurde. In der Textstelle wird der passive Aspekt nicht nur durch das PPP, sondern auch durch die Endung des Hilfsverbs ausgedrückt. Da durch eine aktive Form von habere in Verbindung mit einem PPP eine aktive Form ausgedrückt werden soll, muss dementsprechend bei einem passiven Ausdruck eine passive Form verwendet werden. Das Partizip wird dabei an das Bezugswort angepasst und muss dadurch immer im Nominativ stehen. Die habere-Form lässt sich andererseits wieder im Sinne von ‚ halten für ‘ verstehen. Dadurch wäre ein klassischer Gebrauch nicht ausgeschlossen. Der zweite Teil des Satzes bestätigt diese Annahme in diesem Fall. Dort wird erneut habeatur verwendet, als Parallelismus zum vorherigen Teil, und mit dem Substantiv victor zusammengebracht, das mit dem Genitiv libidinis ein Polyptoton zu victus a libidine darstellt. Durch genauere Betrachtung ist also auch hier festzustellen, wie die Konstruktion zu verstehen ist. Zusammensetzungen mit passiven habere-Formen erscheinen in den Predigten seltener. Dennoch konnten neben der oben genannten Kollokation 17 weitere Kollokationen ermittelt werden. Es ist nicht auszuschließen, dass einer oder mehreren dieser Konstruktionen bereits ein temporaler Wert zugeschrieben werden kann. Dazu ist oftmals die konkrete Betrachtung des Kontextes notwendig. 68 68 Alle anderen Textstellen mit passiven Formen von habere sind: „ cautum habetur “ (157_3169.xml); „ habetur incognitum “ (039_6053.xml); „ coinquinatus habetur “ (163_3518.xml); „ compertum habeatur “ (165_3555.xml); „ habebatur deducta “ (178_4030. xml); „ excusata … habeatur “ (183_4252.xml); „ habetur exstinctus “ (058_6700.xml); „ habetur … fixus “ (066_7012.xml); „ habetur irrisus “ (052_6558.xml); „ habebatur collectum “ 136 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="137"?> 6.2.2 habere + Infinitiv Nachfolgend werden ausgewählte Beispiele von Kollokationen einer habere- Form mit einem Infinitiv zu jedem der vier Korpora eingehender betrachtet, die ebenfalls unterschiedlichen Kategorien zugeordnet werden. Diese werden in erster Linie nach der Syntax festgelegt, sodass zu jedem Korpus die Kategorien ‚ habere + Infinitiv ‘ und ‚ Infinitiv + habere ‘ betrachtet werden. Darüber hinaus werden zu einzelnen Korpora weitere Kategorien ergänzt, die Besonderheiten der habere-Formen betreffen, sofern diese im jeweiligen Korpus auftreten. Daher sind auch im zweiten Teil der Analyse zu den Infinitivkonstruktionen die Kategorien nicht überall gleich, sondern den Gegebenheiten der Korpora angepasst. Bei der Bestimmung der Entwicklungsstadien soll insbesondere die Einteilung von Fleischman (1982) herangezogen werden, die die Entwicklung von habere-Formen mit einem Infinitiv in vier Phasen unterteilt. Auch Beobachtungen von Thielmann (1885a) und Tara (2014) in ihren korpuslinguistischen Untersuchungen werden gegebenenfalls herangezogen, wenn diese für die gewählten Beispiele relevant sind. 6.2.2.1 Französische Urkunden (TELMA) In den französischen Originalurkunden finden sich nur 27 Zusammensetzungen aus Infinitiven und Wortformen von habere, was Pei (1932) in seiner Untersuchung zu Urkunden aus Frankreich aus dem 8. Jahrhundert folgendermaßen erklärt: „ The use of the future is avoided in our texts, probably by reason of their legal nature, which deals with established facts and is not colloquial. “ (ebd.: 279). Die Konstruktionen setzen sich mit 26 verschiedenen Verben zusammen, lediglich vacare habeant bzw. in abweichender Graphemvariante vaccare habeant erscheint zweimal (Charte 2131 und 2133), jedoch in ähnlicher Verwendung. Der Bereich der Verben kann in diesem Fall nicht genauer eingegrenzt werden, zudem lassen sich keine gängigen Formeln oder Redewendungen ableiten. Bemerkenswert ist aber, dass sich dennoch einige unterschiedliche Zusammensetzungen aus verschiedenen Jahrhunderten ermitteln lassen. Zumal die Textgattung eher Beschlossenes als Zukünftiges festhält, ist es umso bezeichnender, dass 27 Textstellen zu finden sind. (054_6622.xml); „ ligatus habebitur “ (020_4925.xml); „ habetur occulta “ (052_6558.xml); „ habetur … opposita “ (171_3764.xml); „ recondita … habentur “ (098_8433.xml); „ habetur scriptum “ (038_6047.xml); „ scripta habentur “ (118_732.xml); „ habetur … descriptum “ (136_1471.xml). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 137 <?page no="138"?> Der Großteil der Infinitive (22 von 27 Textstellen) treten in Verbindung mit einer Form des Präsens Aktivs von habere auf, wobei 14 davon im Konjunktiv stehen. Im klassischen Latein existieren keine synthetischen Futurformen im Konjunktiv, allenfalls die Zusammensetzung eines Partizips Futur Aktiv mit einer Form von esse kann unter bestimmten Voraussetzungen (z. B. im indirekten Fragesatz) im Konjunktiv stehen. Bei den habere-Konstruktionen kann dieser durch eine Konjunktion bedingt sein. Die restlichen fünf Kollokationen bestehen entweder mit einer habere-Form im Imperfekt (requirere habebam, habebat dotare und tenere habebat) oder im Perfekt Konjunktiv (facere habuerint und accepere abuerit). 6.2.2.1.1 Beispiel 1: habere + Infinitiv Et nullus heredum meorum habeat contra hac traditionem generare calumniam; [ … ] 69 . Und keiner meiner Erben habe/ werde gegen diese Tradition böswillige Kritik (zu) erheben; [ … ]. (Fulrad, Abt von Saint-Denis, Oktober 777. Charte 2952) Das erste Textbeispiel einer Infinitivkonstruktion mit habere stammt aus dem Testament des Fulrad, dem Abt von Saint-Denis, zugunsten von der Abtei von Saint-Denis. Nachdem zu Beginn der Urkunde sein Anliegen offenbart wurde, werden im Haupttext sämtliche Besitztümer und wichtige Bestimmungen zu diesen aufgezählt. Danach gibt Fulrad bekannt, dass sein Eigentum an seine Abtei übertragen werden soll, woraufhin der obige Beispielsatz und eine Sanctio folgen. Zuletzt wird das Testament mit dem Eschatokoll abgeschlossen, das zahlreiche Unterschriften enthält. Das Prädikat habeat und der Infinitiv generare werden durch die Präpositionalphrase contra hac traditionem voneinander getrennt, was nicht für eine engere grammatikalische Verbindung spricht, zumal das spätere romanische Futur eine synthetische Form ist, die aus der Konstruktion Infinitiv + habere, in eben dieser Reihenfolge, entstand. Auch von der Bedeutung und dem Kontext her lässt sich erschließen, dass in diesem Fall keine futurische Aussage vorliegt, sondern vielmehr eine Vorschrift oder Bedingung für die Zukunft gestellt wird. Es ist dieser Konstruktion somit zwar ein futurischer Nebensinn inhärent, der jedoch nicht vordergründig ist. Die Form habeat könnte hier modal im Sinne von ‚ sollen ‘ oder ‚ dürfen ‘ verstanden werden. 69 „ et si conaverit, inferat unacum sociante fisco auro liberas L argentum pondua C coactus exsolvat, et quod repetit evindicare non valeat, stipulatione subnexa. “ . 138 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="139"?> Nach dem Modell von Fleischman (1982) könnte man diese Kollokation in der zweiten Phase verorten. Von der deutschen Übersetzung her ließe sich sogar die Einordnung in der ersten Phase vertreten, in der der Infinitiv noch ausgelassen werden kann, ohne dass die Konstruktion unvollständig wäre, jedoch ist die Zusammensetzung ‚ calumniam habere ‘ nicht klassisch. Im Lateinischen ist also ein Infinitiv als Ergänzung zu calumniam erforderlich, wodurch gleichzeitig dem Prädikat habeat nicht mehr die klassische Bedeutung zugeschrieben werden kann. Es ist also bereits zum Teil „ bleached out “ (Fleischman 1982: 58), wie es Fleischman bezüglich der zweiten Phase erklärt. Die Kollokationen von habere mit einem Infinitiv in den französischen Originalurkunden können kaum als Futurformen identifiziert werden. Sie müssen entweder im Sinne einer Fähigkeit/ Möglichkeit ( ‚ können ‘ ) oder Notwendigkeit/ Obligation ( ‚ müssen ‘ ) aufgefasst werden. Thielmann (1885a) stellt bei der Untersuchung der Infinitivkonstruktionen bei Cicero fest, dass es bezüglich des Bedeutungsunterschieds einen Zusammenhang mit der Stellung habere + Infinitiv (Fähigkeit/ Möglichkeit) oder Infinitiv + habere (Notwendigkeit/ Obligation) gebe (vgl. ebd.: 54). Das kann für dieses Beispiel nicht bestätigt werden, da trotz der Voranstellung des Prädikates - die Interposition kann dabei unberücksichtigt gelassen werden - eine Vorschrift vorgegeben wird, die nicht im Sinne einer Fähigkeit oder Möglichkeit verstanden werden kann. Möglicherweise hat sich seine Feststellung nicht im weiteren Verlauf fortgesetzt. Die Obligation wird in diesem Fall nicht nur durch die Konstruktion aus Infinitiv und habere vermittelt, sondern auch durch den Konjunktiv Präsens des Prädikats habeat. Der modale Sinn ist somit doppelt markiert. Möglicherweise war dem Verfasser des Testaments die indikative Kollokation habet … generare nicht expressiv genug, um die Notwendigkeit seiner Vorschrift auszudrücken. Ebenso wählte er keine klassische Variante, beispielsweise den einfachen Konjunktiv generet oder eine Infinitivkonstruktion mit einem klassischen Modalverb. Es wäre denkbar, dass die Zusammensetzungen aus habere + Infinitiv diese ursprünglichen Ausdrücke bereits verdrängt und ihre Funktionen übernommen hatten. Neben dieser Konstruktion werden von den insgesamt 27 Kollokationen 16 weitere Zusammensetzungen ähnlich verwendet. Sie können ebenfalls im Sinne einer Möglichkeit/ Fähigkeit oder Notwendigkeit/ Obligation verstanden werden. In allen Fällen ist der Infinitiv nachgestellt, also noch nicht in ‚ richtiger Reihenfolge ‘ . Auch Interpositionen, die die Kollokationen von habere und dem Infinitiv unterbrechen, erscheinen in mehreren Textstellen. Es tritt aber nicht überall der Konjunktiv von habere auf oder er ist in einigen Fällen auf eine Subjunktion zurückzuführen, die den Konjunktiv im klassischen Latein er- 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 139 <?page no="140"?> fordert. Somit sind nicht alle Zusammensetzungen mit einer Form im Konjunktiv als verstärkende Obligation zu verstehen, wie es im obigen Beispielsatz der Fall ist. 70 6.2.2.1.2 Beispiel 2: Infinitiv + habere Noverint igitur omnes quoniam ammonitione et suggestione quorumdam nostrorum ab ȩ cclesia SANCTI GERMANI, per singulos annos, duos aven ȩ modios et equum unum in exercitu regis ex debita consuetudine requirere habebam, sed canonici illius loci, nostram adeuntes presentiam, consuetudinem illam omnino negabant, et nullum redditionis inditium se vidisse asserebant, [ … ] 71 . Daher sollen alle wissen, dass ich auf Ermahnung und Anregung einiger unserer Männer von der Kirche des heiligen Germanus, für jeweils ein Jahr, zwei Scheffel Hafer und ein Pferd für das Heer des Königs nach dem üblichen Brauch zu verlangen hatte, aber die Kanoniker jenes Ortes, die unserer Anwesenheit beiwohnten, verleugneten jenen Brauch gänzlich, und sie behaupteten, dass sie kein Anzeichen des Zurückgebens gesehen hatten, [ … ]. (Gerbert, Bischof von Paris, 1119. Charte 2159) Das zweite Beispiel ist einem Dokument entnommen, in dem Gerbert, der Bischof von Paris, die Kirche Saint-Germain-l ’ Auxerrois von einer jährlichen Abgabe von zwei Scheffel Hafer und einem Pferd für die Armee des Königs befreit. Nach einem kurzen Protokoll wird der Sachverhalt dargelegt, zu dem die obige Textpassage gehört. Der Infinitiv requirere und das Prädikat habebam stehen in diesem Fall nebeneinander am Ende eines durch quoniam eingeleiteten Nebensatzes und werden nicht durch eine Interposition getrennt, wie es im ersten Beispielsatz der Fall war. Der Infinitiv ist hier bereits nachgestellt, so wie es für die spätere Entwicklung zum romanischen Futur Voraussetzung ist. Von der Bedeutung und dem Kontext her kann hier angenommen werden, dass es sich nicht um eine rein futurische Aussage, sondern um eine Verpflichtung im Sinne einer 70 Weitere Zusammensetzungen sind Folgende: „ habeant … auferre “ (Charte 561); „ habet … avere “ (Charte 3810); „ habeas castigare “ (Charte 807); „ habeant … dare “ (Charte 4393); „ habet denegare “ (Charte 4983); „ habeo dicere “ (Charte 4165); „ habebat dotare “ (Charte 832); „ habet esse “ (Charte 4589); „ habiat evindicare “ (Charte 4461); „ habeant exorare “ (Charte 2032); „ habeat … invitare “ (Charte 2938); „ habemus … redimere “ (Charte 4221); „ habeat … repetere “ (Charte 821); „ habemus sentire “ (Charte 1892) und „ habeant vivere “ (Charte 189). 71 „ [ … ],illud quidem pretendentes et sepius inculcantes quod, si ab illa non consuetudinis sed nov ȩ exactionis requisitione vel redditione non desisterem, predictus locus usque ad ipsam parietum destructionem gravaretur, et a nobis in extremo examine procul dubio requireretur. “ 140 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="141"?> Obligation oder um eine bestehende Möglichkeit handelt, die der Verfasser hatte. Das Prädikat wird somit als Modalverb gebraucht, was auf eine semantische Ausbleichung hinweist. Zudem liegt der Fokus der Bedeutung bereits auf dem Infinitiv, ohne den der Satz zwar nicht ungrammatisch wäre, aber einen anderen Sinn bekommen würde. Es ist also anzunehmen, dass sich hier bereits ein Wandel vollzogen hat, wenngleich er noch nicht abgeschlossen ist. Nach Fleischman (1982) könnte diese Konstruktion in die dritte Phase eingeordnet werden, in der die Kollokation zwar noch nicht futurisch ist, aber bereits eine syntaktische Reanalyse stattgefunden hat. Beachtlich ist in diesem Fall außerdem der Gebrauch einer Form im Imperfekt von habere. Wie schon erwähnt, fehlten im klassischen Latein entsprechende Formen für das ‚ future-of-the-past ‘ , was ein möglicher Faktor der Modellierung des Futurs gewesen sein könnte. Diese Lücke im Sprachsystem soll durch die neu entstandene Konstruktion zu schließen versucht werden. Es wird vermutet, dass sich die Entwicklung deshalb zunächst über Konstruktionen mit habere-Formen der Vergangenheit vollzogen habe, was aber in den wenigen Infinitivkonstruktionen in den französischen Urkunden nicht belegt werden kann (vgl. Kap. 3.3.2). Es kann aber festgehalten werden, dass der Verfasser nicht auf einen klassischen Ausdruck der Obligation zurückgriff, wie beispielsweise eine Infinitivkonstruktion mit einem Modalverb. Der Schreiber entschied sich für die neue habere-Konstruktion, wodurch vermutet werden kann, dass habere seinen Vollverbstatus bereits verloren hat. In den französischen Urkunden der Datenbank TELMA erscheinen vier weitere Zusammensetzungen mit Infinitiven und Formen von habere in der Vergangenheit. Zwei sind ebenfalls mit einer Imperfektform konstruiert und ähnlich verwendet. Zwei andere Infinitive setzen sich mit Formen des Perfekt Konjunktivs zusammen. Der Konjunktiv ist in beiden Fällen durch die Subjunktion si bedingt, wodurch die Kollokationen ebenso in ähnlicher Weise wie das obige Beispiel verwendet wurden. Bis auf eine Zusammensetzung ist der Infinitiv jeweils vorangestellt, also in ‚ richtiger Reihenfolge ‘ . Für die Konstruktion „ habebat dotare “ (Charte 832) gilt, dass noch keine syntaktische Reanalyse stattgefunden hat und sie somit noch einem früheren Stadium zugeordnet werden muss. 72 Neben den vier Kollokationen, in denen ein vorangestellter Infinitiv mit einer habere-Form der Vergangenheit zusammengesetzt wird, können sieben weitere Kollokationen mit präsentischen habere- 72 Neben „ requirere habebam “ und „ habebat dotare “ setzen sich folgende drei Kollokationen aus einem Infinitiv und einer habere-Form der Vergangenheit zusammen: „ accepere abuerit “ (Charte 4498), „ facere habuerint “ (Charte 3335) und „ tenere habebat “ (Charte 477). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 141 <?page no="142"?> Formen demselben Entwicklungsstadium zugeordnet werden. Insgesamt können also elf Konstruktionen gleichermaßen bewertet werden. 73 6.2.2.2 Burgundische Urkunden (CBMA) Wie in den französischen Originalurkunden, erscheinen in den Urkunden aus Burgund nur 25 Konstruktionen aus dem Verb habere und einem Infinitiv. Die Zusammensetzungen bestehen mit 24 unterschiedlichen Infinitiven. Nur das Verb exercere erscheint zweimal in einer Kollokation mit einer Wortform von habere, einmal jedoch als passiver Infinitiv exerceri und in unterschiedlichen Kontexten. Es lassen sich erneut keine Formeln oder Redewendungen ausmachen. Doch nicht nur die Infinitivformen, sondern auch die Wortformen des Verbs habere variieren stark. Insgesamt treten zwölf verschiedene Formen mit einem Infinitiv zusammen, darunter sechs Konstruktionen mit habet. Neben den präsentischen Formen, die auch im Konjunktiv vorkommen, erscheinen außerdem Futur- und Perfektformen, jedoch keine Imperfektformen, die in den Originalurkunden aus ganz Frankreich entdeckt werden konnten. Als Grund für das seltene Vorkommen lässt sich erneut der eher untypische Gebrauch des Futurs in Urkunden nennen (vgl. Pei 1932: 279). Nachfolgend sollen nun wieder einige Konstruktionen detaillierter untersucht und in die Entwicklung des neuen Futurs eingeordnet werden, wie es schon zu den Kollokationen der französischen Originalurkunden erfolgte. Gelegentlich können Parallelen oder Vergleiche zur vorherigen Analyse gezogen werden. 6.2.2.2.1 Beispiel 1: habere + Infinitiv Donavimus etiam sepedictis fratribus representationem presbiteri qui in parrochiis illis per successionem temporum nonnisi ad nutum cisterciensium ex indulgentia nostra habet substitui. Wir haben auch an die oft genannten Brüder die Auswahl der Priester gewährt, die in jenen Amtsbezirk durch die zeitliche Nachfolge nur auf Wunsch der Zisterzienser durch unsere Nachsicht eingesetzt zu werden haben. Engelbert, Bischof von Chalon-sûr-Saône, 1177. ( „ Tei-1177_Citeaux_13435.xml “ ) Das erste Beispiel der burgundischen Urkunden stammt aus einem Dokument, in dem Bischof Engelbert von Cahlon-sûr-Saône die Spende von 20 Gold- 73 Es handelt sich neben dem untersuchten Textbeispiel und den drei genannten Konstruktionen in der vorherigen Fußnote um folgende Zusammensetzungen: „ cavere habent “ (Charte 96); „ considerare habemus “ (Charte 4123); „ contendere habeat “ (Charte 2788); „ luminare habeat “ (Charte 380); „ vacare habeat “ (Charte 2131); „ vaccare habeat “ (Charte 2133) und „ velle habeant “ (Charte 401). 142 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="143"?> münzen seines Vorgängers bekräftigt, die von den Kirchen von Epernay und Broindon gesammelt werden sollen. Er fügt weitere zehn Goldmünzen hinzu, die Epernay an Broindon zu zahlen hat. Die Zisterzienser können über diese Summen frei verfügen und haben außerdem das Recht, ihre Priester frei einzusetzen, wie in dem obigen Beispielsatz festgehalten wurde. Das Prädikat und der Infinitiv stehen syntaktisch eng verbunden am Ende des Satzes. Der Infinitiv ist in diesem Fall nachgestellt, wodurch noch keine syntaktische Reanalyse vollzogen ist, die für die weitere Entwicklung zum romanischen Futur maßgeblich ist. Semantisch liegt der Fokus aber bereits auf dem Infinitiv, ohne den es kein sinnvoller Satz mehr wäre. Der Konstruktion kann jedoch kein rein futurischer Sinn zugeschrieben werden, sondern allenfalls ein futurischer Nebensinn, der einem Modalsatz inhärent ist. Statt eines gängigen Modalverbs hat der Verfasser sich in diesem Fall für die Form habent entschieden. Dies belegt zumindest, dass eine zusammengehörige Konstruktion gebraucht wurde, in der die habere-Form nicht mehr im klassischen Sinne verwendet wurde und semantisch bereits ausgeblichen ist. Die Konstruktion ist im Sinne einer Notwendigkeit/ Obligation oder Fähigkeit/ Möglichkeit zu verstehen. Beide Varianten sind möglich. Zieht man Fleischmans (1982) Modell der Entwicklung in vier Phasen hinzu, ließen sich die obigen Kollokationen in die zweite Phase einordnen. Das bedeutet, dass sie nicht mehr getrennt voneinander verstanden werden können oder der Infinitiv ausgelassen werden kann, sie jedoch noch keinen futurischen Ausdruck darstellen. Außerdem hat noch keine syntaktische Reanalyse stattgefunden. Zuletzt bleibt noch zu erwähnen, dass in diesem Textbeispiel die habere-Form mit einem passiven Infinitiv zusammengesetzt wird. Wie den Konstruktionen mit habere-Formen der Vergangenheit, wurde den passiven Infinitiven eine besondere Stellung in der Entwicklung der neuen periphrastischen Futurformen zugeschrieben. Es wird vermutet, dass aufgrund der fehlenden passiven Formen des Partizips Futur Aktivs eine zusätzliche Konstruktion geschaffen wurde, mit der das Passiv vereinfacht ausgedrückt werden konnte (vgl. Kap. 3.3.2). Sofern die 26 Kollokationen, die im Korpus der burgundischen Urkunden ermittelt werden konnten, überhaupt Rückschlüsse darauf erlauben, lässt sich zumindest festhalten, dass in vier Textstellen davon passive Infinitive gebraucht wurden. Von den insgesamt nur 25 ermittelten Textstellen, in denen eine habere-Form mit einem Infinitiv zusammen erscheint, können die meisten ähnlich interpretiert werden, so wie die Kollokation im obigen Textbeispiel. Insgesamt erscheinen 15 Zusammensetzungen, in denen der Infinitiv noch nachgestellt und/ oder durch eine Interposition vom Prädikat getrennt ist und dadurch demselben Entwicklungsstadium zugeordnet werden können. Einige setzen 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 143 <?page no="144"?> sich mit präsentischen Konjunktivformen zusammen, wobei der Konjunktiv zum Teil aufgrund einer Subjunktion erforderlich ist, zum Teil als Verstärkung des modalen Gebrauchs gewertet werden kann. Bei der Untersuchung der französischen Originalurkunden wurde solch ein Fall bereits genauer analysiert und es folgt ein Textbeispiel der burgundischen Urkunden. 74 6.2.2.2.2 Beispiel 2: Infinitiv + habere Ubi compertum fuerit quod molendini, quos abbas de novo edificavit, nocere habeant molendinis et pratis monacorum, abbas hanc eis querelam laude et consilio magistrorum qui id probare habuerint emendabit. Sobald festgestellt werden wird, dass die Mühlen, die der Abt neu gebaut hat, den Mühlen und Wiesen der Mönche zu schaden haben, wird der Abt ihre Beschwerde durch Lob und den Rat der Lehrmeister, die dieses zu prüfen hatten, ausbessern. Alanus, Bischof von Auxerre, 1158. ( „ Tei-1158_CharitesurLoire_7624.xml “ ) In dem zweiten Textbeispiel erscheinen gleich zwei Infinitivkonstruktionen mit habere, die von ihrem Entwicklungsstadium her gleichermaßen eingestuft werden können. In diesem Rechtsdokument beendet Alanus, der Bischof von Auxerre, die Streitigkeiten zwischen den Mönchen von La Charité und dem Abt von Saint-Satur. Es werden verschiedene Regelungen getroffen, in denen beispielsweise Ländereien aufgeteilt oder einer Partei zugesprochen werden. Unter anderem wird in dem obigen Textbeispiel geklärt, dass die neu gebauten Mühlen des Abtes nicht zum Schaden der Mönche errichtet werden durften. Die beiden Konstruktionen setzen sich gleichermaßen zusammen aus einem vorangestellten Infinitiv und einer habere-Form, die syntaktisch eng verbunden sind. Somit ist im Vergleich zum vorherigen Beispiel hier bereits die syntaktische Reanalyse vollzogen und die Kollokation erscheint in ‚ richtiger ‘ Reihenfolge. In beiden Fällen liegt der Fokus der Bedeutung ebenfalls auf 74 Folgende Kollokationen sind neben dem Beispiel diesem Entwicklungsstadium zuzuordnen: „ habet cognoscere et absolvere “ ( „ Tei-9999_Senschapitre_13114.xml “ ); „ habeat conservari “ ( „ Tei-1211_Cluny_5892.xml “ ); habent … deservire “ ( „ Tei-1188_Cluny_5752.xml “ ); „ habent equitare vel ire “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7228.xml “ ); „ exercere … habebit “ ( „ Tei- 1173_DijonSaintEtienne_13026.xml “ ); „ habeat ordinare “ ( „ Tei-1112_DijonSaintBenigne_12452.xml “ ); „ habemus partiri “ ( „ Tei-1228_Yonne_8979.xml “ ); „ habet persolvere “ ( „ Tei-1100_Cluny_5200.xml “ ); „ habent … petere “ ( „ Tei-9999_ParayleMonial_7228.xml “ ); „ posse … habeat “ ( „ Tei-0941_Cluny_1937.xml “ ); „ habet reficere et retinere “ ( „ Tei-1280_Cluny_6734.xml “ ); „ habet saisire “ ( „ Tei-1172_SaintBenoitsurLoire_11665.xml “ ); „ habet … subire “ ( „ Tei-1280_Cluny_6734.xml “ ); „ habuerunt sustinere “ ( „ Tei-1245_Cluny_6296. xml “ ) und „ tradere … habuero “ ( „ Tei-1112_SaintMarcellesChalon_10561.xml “ ). 144 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="145"?> dem Infinitiv, die Form von habere ist somit bereits ausgeblichen und die Konstruktion ist untrennbar verknüpft. Semantisch kann die Kollokation noch nicht als futurisch betrachtet werden. Vielmehr sind die habere-Formen in diesen beiden Fällen modal im Sinne einer Notwendigkeit/ Obligation oder Fähigkeit/ Möglichkeit zu verstehen. Wenn man die beiden Konstruktionen nach Fleischman (1982) betrachtet, sind sie in die dritte Entwicklungsstufe einzuordnen, die als direkter Vorläufer des Futurs gewertet werden kann. Bei beiden Kollokationen ist die Form von habere ebenfalls von besonderer Bedeutung. Im Fall von nocere habeant besteht die Zusammensetzung mit einem präsentischen Konjunktiv. Dieser könnte durch die indirekte Aussage bedingt oder aber vom Verfasser bewusst gewählt worden sein, um die durch die Konstruktion bereits dargestellte Möglichkeit noch deutlicher zu betonen. In dem Fall wäre sie doppelt markiert durch die Konstruktion aus Infinitiv und habere sowie den Konjunktiv Präsens. Für die zweite Kollokation probare habuerint gilt Ähnliches, da in diesem Fall der Konjunktiv Perfekt gebraucht wurde. Hinzu kommt, dass eine Form der Vergangenheit mit einem Infinitiv zusammengesetzt wird. Wie schon bei der Untersuchung der Infinitivkonstruktion der Urkunden aus ganz Frankreich erwähnt wurde, wird vermutet, dass die habere-Formen der Vergangenheit eine spezielle Rolle in der Entwicklung des Futurs eingenommen haben, da es im klassischen Latein an Formen für das ‚ future-of-the-past ‘ fehlte (vgl. Kap. 3.3.2). Dies kann durch die wenigen Textstellen, die in den burgundischen Dokumenten ermittelt werden konnten, nicht belegt werden, da neben dieser nur eine weitere Zusammensetzung mit einer Perfektform auftritt, in der allerdings das Prädikat dem Infinitiv vorangestellt ist. Unter den 26 Textstellen konnten neben den beiden untersuchten Kollokationen fünf weitere ermittelt werden, die ebenfalls mit einem dem Prädikat vorangestellten Infinitiv ohne Interposition konstruiert wurden und dadurch in eine fortgeschrittene Entwicklungsstufe eingeordnet werden können. Darunter sind zwei Konstruktionen, in der ebenfalls ein präsentischer Konjunktiv vorkommt. Die drei anderen setzen sich mit indikativen präsentischen Formen zusammen. 75 75 Die fünf weiteren Kollokationen sind Folgende: „ consacrare habeo “ ( „ Tei-1069_Cluny_4843.xml “ ); „ exerceri habeat “ ( „ Tei-1274_Cluny_6658.xml “ ); garentire habemus “ ( „ Tei- 1156_Yonne_8092.xml “ ); „ obvenire abent “ ( „ Tei-1087_Cluny_5036.xml “ ) und „ respondere habeant “ ( „ Tei-1169_Yonne_8300.xml “ ). 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 145 <?page no="146"?> 6.2.2.2.3 Beispiel 3: habere im Passiv Domnus itaque presul per consilium canonicorum, quia de eorum ratione eodem res videbantur esse et ad mensam eorum fuerant destinate, concessit illis quod postulabant, prescriptas scilicet capellas cum rebus et decimis et alias res que hic inferre habentur, [ … ]. Daher gewährte ihnen der Herr Vorsteher auf Rat der Kanoniker, weil die Dinge ihrer Meinung nach von gleicher Art zu sein schienen und sie an deren Tisch bestimmt waren, was sie forderten, nämlich die oben genannten Kapellen mit Gütern und Zehnten und andere Dinge, die hier anzuführen sind, [ … ]. Flotbertus und seine Mutter Cristina, 937. ( „ Tei-0937_MaconSaintVincent_423.xml “ ) Das nächste Textbeispiel findet sich in einem Dokument, in dem der Bischof Maimbodus diverse Güter dem Flotbertus und seiner Mutter Cristina auf deren Bitten hin gewährt, darunter Kapellen und Höfe, wie im obigen Beispielsatz zu lesen ist. Aus welchem Grund diese Dinge den beiden zugesprochen werden, ist nicht bekannt. Die Infinitivkonstruktion steht in dieser Textpassage am Ende eines mit qu(a) e eingeleiteten Relativsatzes, der sich auf die alias res aus der Aufzählung der Forderungen von Flotbertus und Cristina bezieht. 76 Der Infinitiv ist dem Prädikat vorangestellt und syntaktisch sind die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung zum romanischen Futur gegeben. Semantisch ist erneut davon auszugehen, dass es sich um eine Modalkonstruktion handelt, durch die eine Notwendigkeit/ Obligation ausgedrückt wird. In diesen Punkten unterscheidet sich dieses Beispiel nicht vom Vorherigen und es kann in dasselbe Entwicklungsstadium eingeordnet werden. Neu und interessant ist hingegen die Zusammensetzung mit einer passiven habere-Form. Solch eine Kollokation erscheint kein zweites Mal in einem der untersuchten Korpora. Die Konstruktion kann im modalen Sinn verstanden werden, wie bereits erwähnt wurde, und das Passiv steht hier für einen unpersönlichen Ausdruck, bei dem nicht konkretisiert wird, von wem die alias res in diesem Dokument angeführt werden sollen. Alternativ hätte der Verfasser auf eine passive Form eines Modalverbs zurückgreifen können. Ob diese Art der Zusammensetzung gängig war, lässt sich anhand dieser Untersuchung nicht feststellen. 76 Auf den Gebrauch von que wurde bereits hingewiesen (vgl. Anm. 70). 146 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="147"?> 6.2.2.2.4 Beispiel 4: habere im Futur In primis pro domino nostro piissimo rege Dagoberto et ejus nobilissima stirpe tam præterita, quam futura et omnibus christianis regibus, et pro me peccatore et omnibus antecessoribus et successoribus meis, qui in hac sancta sede sederunt, vel sedere habebunt; [ … ]. Insbesondere für unseren gnädigsten Herrn, König Dagobertus, und seine edelste und Familie, sowohl die Früheren, als auch die Zukünftigen, und alle christlichen Könige, und für mich Sünder und alle meine Vor- und Nachfahren, die auf diesem heiligen Stuhl saßen oder zu sitzen haben werden; [ … ]. Palladius, 634. ( „ Tei-0634_Yonne_7717.xml “ ) Die letzte Textstelle ist einer Urkunde aus dem 7. Jahrhundert entnommen. Nach einem kurzen Protokoll erklärt der Bischof Palladius, dass er mit der Zustimmung des Königs Dagobert in einem Vorort von Auxerre ein Kloster gegründet habe, welches er mit drei Kirchen ausstattete und für die Mädchen und Frauen bestimmte. Er regelt in dem Dokument noch weitere Bestimmungen, die für das Kloster gelten sollen, unter anderem, dass Adort Messen gehalten werden sollen im Namen des Königs und seiner Vor- und Nachfahren, wie es in dem obigen Textauszug beschrieben wird. In diesem Textbeispiel stehen der Infinitiv sedere und das Prädikat habebunt syntaktisch eng verbunden am Ende des Satzes und der Infinitiv ist in diesem Fall erneut nachgestellt, so wie es Voraussetzung für die spätere Verschmelzung der beiden Formen zum synthetischen romanischen Futur ist. Dieser Kollokation kann im Gegensatz zu den vorherigen untersuchten Textbeispielen tatsächlich ein futurischer Sinn zugeschrieben werden. Dieser ist jedoch durch das bereits im Futur stehende Prädikat habebunt bedingt. In Verbindung mit dem Infinitiv sedere ist der Konstruktion ein modaler Nebensinn inhärent, der eine Möglichkeit/ Fähigkeit oder Notwendigkeit/ Obligation ausdrückt. In diesem Fall wären beide Varianten verständlich. Die Kollokation sedere habebunt wird hier parallel zu sederunt verwendet, mit dem sie durch vel verbunden wird. Beide gehören dem Relativsatz an, der den Ablativ omnibus antecessoribus et successoribus meis genauer definiert. Das Prädikat sederunt bezieht sich dabei auf die zuvor genannten Vorfahren (antecessoribus), während sedere habebunt die Nachfahren (successoribus) beschreibt. Der Verfasser hätte parallel zur Perfektform sederunt anstelle einer zusammengesetzten Konstruktion aus einem Infinitiv und habere im Futur auf die Futurform sedebunt zurückgreifen können. Diese wäre ausreichend, um das Futur auszudrücken. Anscheinend genügte ihm sedebunt jedoch nicht. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass sich eine Konstruktion mit habere bereits 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 147 <?page no="148"?> durchgesetzt oder begonnen hatte, sich durchzusetzen. In dem Fall wäre das Futur bei habebunt allerdings unnötig, könnte aber darauf zurückzuführen sein, dass dem Verfasser die neue Futurform allein noch nicht expressiv genug war. Eine dritte Möglichkeit für den Gebrauch der Konstruktion könnte der modale Nebensinn sein. Neben dem Ausdruck des Futurs durch habebunt kann die Kollokation eine Möglichkeit/ Fähigkeit oder Notwendigkeit/ Obligation ausdrücken, so wie es zunächst in den meisten Beispielen der Fall war. Eventuell war das die hauptsächliche Funktion der Konstruktion zur Zeit des Verfassens, sodass ihre Verwendung dadurch zu begründen ist. Berücksichtigt man in diesem Fall wieder das Modell zur Einordnung der Konstruktionen in vier Entwicklungsphasen von Fleischman (1982), lässt sich die Kollokation der dritten Phase zuordnen. Auf dieser Stufe soll sich bereits eine syntaktische Reanalyse vollzogen haben, so wie es durch die Stellung von Infinitiv und Prädikat hier gegeben ist. Des Weiteren soll die Konstruktion vorrangig eine Obligation ausdrücken, was ebenfalls vermutet werden kann. Der futurische Sinn ist hier auf die Prädikatsendung zurückzuführen, nicht auf die Konstruktion selbst, auch wenn letztere Option nicht gänzlich auszuschließen ist, insbesondere durch die Parallele zu sederunt, dem kein obligativer Nebensinn zugeschrieben werden kann. Neben dieser Kollokation erscheinen noch zwei weitere Zusammensetzungen aus einem Infinitiv und einer habere-Form im Futur. In einer Textstelle findet sich ebenso die syntaktische Stellung von Infinitiv und Prädikat, in einer anderen Textstelle steht das Objekt und die Verneinung dazwischen. In letzterem Fall lässt sich somit noch nicht von einer syntaktischen Einheit als Konstruktion sprechen, sodass diese Zusammensetzung noch nicht als fortgeschritten eingestuft werden kann, sondern nach Fleischman (1982) nur in die zweite Phase einzuordnen ist. 77 6.2.2.3 Langobardische Urkunden (CDL) Im Gegensatz zu den anderen beiden Urkundenkorpora aus französischen Regionen belegt dieses Korpus neue Ergebnisse, wie bereits erläutert wurde (vgl. Kap. 6.1). Dem vergleichsweise geringen Vorkommen in den anderen Urkundentexten stehen 961 Infinitivkonstruktionen mit habere aus den langobardischen Urkunden gegenüber. Diese treten allerdings mit nur 86 verschiedenen Verben auf, die zudem häufig nicht alleine stehen, sondern in unterschiedlichen Kombinationen neben einer Wortform von habere erschei- 77 Die anderen beiden Kollokationen sind folgende: „ emendare habebit “ ( „ Tei-1128_Cluny_5424.xml “ ) und „ exercere … habebit “ ( „ Tei-1173_DijonSaintEtienne_13026.xml “ ). 148 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="149"?> nen. 78 Es werden erneut einzelne Textbeispiele auf ihren Entwicklungsstand hin überprüft und analysiert. Vorab können einige Besonderheiten und Auffälligkeiten festgehalten werden, die Aufschluss über die Verbreitung der Konstruktion geben können: • Am auffälligsten sind die 257 Textstellen von defendere et guarentare 79 und einer Wortform von habere, die zudem immer wieder in einem ähnlichen Kontext zu finden sind. Sie setzen sich ausschließlich mit präsentischen Formen von habere zusammen und stammen, bis auf fünf Ausnahmen aus der ‚ area lodigiana ‘ , alle aus der Region um Mailand. Darüber hinaus sind die beiden Infinitive einzeln in Kollokationen mit habere oder mit anderen Verben kombiniert vertreten. 80 In diesen Zusammensetzungen erscheinen sie auch in den Korpora anderer Teilregionen. • Des Weiteren kann eine Kombination aus agere et causari (in einigen Fällen causare) aufgezählt werden, welche ebenfalls in 145 Textstellen gemeinsam neben einer habere-Form und in 107 Fällen mit weiteren Infinitiven kombiniert auftaucht. Dazu gehören überwiegend Kollokationen mit contradicere (55x), placitare (53x), guerriare (52x), imbrigare (15x) und fatigare (14x). 81 • Zuletzt müssen noch andere Konstruktionen mit attendere (83x), observare (79x), stare (71x) und permanere (51x) erwähnt werden, die - wie die Zahlen schon zeigen - ebenso vermehrt erscheinen. Dabei tauchen häufig Kombinationen wie attendere et observare und stare et permanere auf. Die meisten Zusammensetzungen finden sich in den Dokumenten aus Pavia, einige stammen allerdings aus Mailand und wenige weitere Urkunden aus anderen Gebieten. Die genannten Kollokationen können zum Teil als Formeln bezeichnet werden, wie sie häufig in Urkunden vorkommen, da der Kontext der einzelnen Verben jeweils ähnlich ist. Sie erscheinen größtenteils in Urkunden, die den Besitz regeln, wie beispielsweise Kauf- oder Schenkungsurkunden. Das häufige Vorkommen 78 Solche Paarformeln oder Zwillings- oder Doppelformeln sind schon seit frühester Zeit in Urkunden vertreten und nicht ungewöhnlich (vgl. Dilcher 1961). In den langobardischen Urkunden erscheinen in einigen Kollokationen sogar bis zu sechs Infinitive neben der Form von habere. 26 der insgesamt 86 unterschiedlichen Verben treten nur in Kombination mit anderen Infinitiven und nicht einzeln mit habere auf. 79 Das Verb guarentare erscheint meist als latinisierte Form mit ‚ gu- ‘ , teilweise als germanische Form mit ‚ w- ‘ bzw. ‚ vu- ‘ , welche aber unter der latinisierten Form zusammengefasst werden; vgl. Stotz 1996: § 114. 80 Es finden sich mehrfach Konstruktionen mit defendere et guarentare et disbrigare oder defendere et disbrigare und weitere vereinzelte Kombinationen. 81 Darüber hinaus tritt commovere siebenmal auf und ducere, facere, molestare, removere und requirere jeweils einmal. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 149 <?page no="150"?> der Formel defendere et guarentare ist beispielsweise dadurch zu erklären, dass bei der Abgabe oder dem Verkauf von Land oftmals Schutz desselben im Gegenzug angeboten wird. Es handelt sich also um Lehnsverträge, die ab dem 11. Jahrhundert vermehrt in Italien auftraten und im 12. und 13. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebten (vgl. Spieß 2002). Die Formel attendere et observare beispielsweise findet sich dagegen in der Corroboratio der Urkunde, in welcher Beglaubigungen, der Siegelbefehl und die Zeugenliste aufgeführt werden. 82 Wie diese Formeln in Bezug auf die Auxiliarisierung des Verbs habere zu beurteilen sind, ist noch zu klären. Dazu soll unten ein Beispiel mit formelhafter Formulierung analysiert werden. Aufgrund der Quantität der Fundstellen ist bereits festzuhalten, dass sich die Konstruktion aus habere und einem Infinitiv durchaus über die formelhaften Urkunden verbreitet haben muss. Auch wenn die Formeln nicht jedem bekannt sein mussten und die exakte Bedeutung oftmals nicht gegenwärtig war (vgl. Dilcher 1961: 17 f.), so kann dennoch angenommen werden, dass diese Ausdrücke Vorbilder für ähnliche Konstruktionen waren, in denen habere mit anderen Infinitiven kombiniert wurde, und sich dadurch verbreiteten. 6.2.2.3.1 Beispiel 1: habere + Objekt + Infinitiv [ … ]: si quod ipsum monasterium claudere vellet prata sua ad hoc quod bestie non intrarent, vim habeat claudere suprascripta prata, [ … ]. [ … ]: Wenn also das Kloster selbst seine Wiese absperren will zu dem Zweck, dass keine wilden Tiere sie betreten können, so möge es die Macht haben, die oben beschriebene Wiese abzusperren, [ … ]. Auszug aus einem „ breve conventionis “ (12. Juni 1178) (CO, S. Maria e Val Perlana, S. Benedetto di Lenno, Nr. 78) Die erste Textstelle ist einem ‚ breve conventionis ‘ entnommen, in dem Rogerius, der Abt des Klosters Sankt Maria von Acquafreddo, mit Petrus, Insulanus und Johannes, Vertreter eines Krankenhauses auf der Insel Comacina, Vereinbarungen traf, die einen Weg zum Krankenhaus betreffen, der über die Ländereien des Klosters führt. In dem Dokument, das dem klassischen Aufbau einer Urkunde folgt, wird im Hauptteil festgehalten, dass der Weg zum Krankenhaus genutzt werden darf, wenngleich er im Besitz des Klosters ist. In dem obigen Textabschnitt wird konkretisiert, dass das Kloster dennoch die Möglichkeit hat, seine Ländereien gegen das Eindringen von Tieren zu befestigen, der Durchgang zum Krankenhaus aber garantiert bleiben muss. 82 Zur genaueren Einteilung der mittelalterlichen Urkunden, vgl. Kap. 4.2 (vgl. auch Bresslau 1969: 45 - 48; Fichtenau 1986). 150 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="151"?> In dem obigen Satz kommt zunächst keine der oben genannten formelhaften Wendungen vor. In diesem Fall erscheint die Form habeat mit dem nachgestellten Infinitiv claudere. Das Verb habere ist transitiv und besitzt in dem Textausschnitt ein direktes Objekt (vim), welches vorangestellt ist. Der Infinitiv claudere zieht ebenfalls ein Akkusativobjekt (suprascripta prata) nach sich. Da Prädikat und Infinitiv beide ein eigenes Objekt beherrschen, kann bereits ausgeschlossen werden, dass habeat und claudere hier als Einheit fungieren. Die habere-Form ist also noch im ursprünglichen Sinne als ‚ haben, besitzen ‘ zu verstehen. Die folgende Infinitivkonstruktion steht zwar in einer Abhängigkeit zur übergeordneten Konstruktion, dafür ist allerdings nicht habeat, sondern vim verantwortlich. Nach Fleischmans (1982) Modell zur Entwicklung der Konstruktion habere + Infinitiv könnte diese Kollokation somit höchstens in die erste Phase eingeordnet werden. Es wäre zudem möglich, die Kollokation nicht als zusammengehörige Konstruktion zu verstehen, da sich Prädikat und Infinitiv kein Objekt teilen. Man könnte vim habeat auch entsprechend der Konstruktion ‚ potestatem habeo ‘ behandeln, die ab dem klassischen Latein zunehmend anstelle der Phrase ‚ potestas mihi est ‘ gebraucht wird (vgl. García-Hernández 1993). Damit wäre sie zwar als Konstruktion zu werten, die Auxiliarisierungsprozesse von habere umfasst, in denen habere das klassische esse ersetzt, wäre aber für diese Untersuchung nicht weiter relevant. Dieses Beispiel soll aber verdeutlichen, dass trotz enger syntaktischer Verbundenheit von Prädikat und Infinitiv keine zusammengehörige Konstruktion in der konkreten Entwicklung zum romanischen Futur bestehen kann. Es ist zudem das einzige Beispiel dieser Art in den langobardischen Urkunden. 6.2.2.3.2 Beispiel 2: habere + Infinitiv [ … ] quod ab ipso termino sursum nichil habebant homines de Nuvolera dicere cum hominibus de Serlis nec cum Sancto Petro [ … ]. [ … ] dass die Menschen aus Nuvolera von dem Termin an nichts (mehr) mit den Menschen aus Serle oder mit Sakt Petrus zu sprechen hatten [ … ]. Auszug aus einer Zeugenaussage. (6. Juli 1175) (BR, S. Pietro in Monte di Serle, Nr. 85) Das zweite Beispiel stammt aus einer Zeugenaussage, die wiederum die Auseinandersetzung in Serle betrifft, die schon bei den Textstellen zum PPP und habere mehrfach erwähnt wurde. In diesem Fall handelt es sich allerdings um ein früheres Dokument, in dem der Richter Airaldus dem Notar Ambrosius den Auftrag gibt, die in seiner Anwesenheit vernommenen Zeugenaussagen 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 151 <?page no="152"?> zugunsten des Klosters St. Pietro in Monte zum Streit zwischen den Bürgern von Serle und den Bürgern von Nuvolera festzuhalten. Diese Textpassage weist mehrere Veränderungen zum ersten Beispiel auf. Zunächst hat das Prädikat habebant ebenfalls ein direktes Objekt (nichil), der Infinitiv jedoch nicht bzw. teilt dieser das Objekt des Prädikats. Würde man in diesem Fall den Vollverbstatus annehmen, könnte habebant im Zusammenhang mit der Präpositionalphrase cum hominibus de Serlis nec cum Sancto Petro aber nicht exakt dasselbe vermitteln, was zu verstehen ist, wenn der Infinitiv dicere hinzugezogen wird. Der Fokus der Bedeutung hat sich also bereits auf den Infinitiv verlagert, wodurch eine engere Verbindung von habere und dicere und eine Ausbleichung von habere anzuerkennen ist. Syntaktisch ist eine enge Verbindung allerdings noch nicht zu erkennen, da diese durch die Interposition des Subjektes homines de Nuvolera nicht zugelassen wird. Zieht man die Ausführungen zur Entwicklung von Fleischman (1982) hinzu, kann in diesem Fall die Entwicklung in die zweite Phase eingeordnet werden, da der inhaltliche Fokus bereits auf dem Infinitiv liegt und dieser nicht mehr ausgelassen werden kann, bisher aber keine syntaktische Reanalyse erfolgt ist. Von der Bedeutung her lässt sich allerdings noch nicht annehmen, dass eine futurische Aussage vorliegt. Vielmehr ist die Kollokation als eine Fähigkeit/ Möglichkeit oder Notwendigkeit/ Obligation zu verstehen, wie es bereits in den Untersuchungen zu den beiden anderen Korpora mehrfach bestimmt wurde. Das Futur ist nur im Nebensinn, der diesen Modalkonstruktionen inhärent ist, zu finden. Eine weitere Besonderheit an diesem Beispiel stellt die Form habebant dar, welche im Imperfekt steht. Wie bereits erläutert, wird in der Literatur vielfach dargelegt, dass die neue Konstruktion aus habere und einem Infinitiv anfangs überwiegend mit Formen der Vergangenheit aufgetreten sei. Darin wird ein Grund für die Entstehung der neuen Formen vermutet, die fortan die Rolle des ‚ future-of-the-past ‘ übernahmen, für das es zuvor keine Formen gab (vgl. Coleman 1971; Fleischman 1982). In den langobardischen Urkunden lässt sich dies nicht beobachten, da sich fast alle Infinitivkonstruktionen mit präsentischen habere-Formen zusammensetzen. Insgesamt erscheinen neben der Kollokation mit habebant fünf weitere Kollokationen, davon zwei mit Formen des Imperfekts Konjunktiv, zwei mit habuerit und eine mit habuerat. In allen diesen Fällen ist das Prädikat noch vorangestellt und teilweise syntaktisch vom Infinitiv getrennt, was die Annahme der Forschung ebenfalls zumindest nicht in den Rechtstexten der Lombardei bestätigen kann. 83 83 Die Textstellen mit Prädikaten in der Vergangenheit sind Folgende: „ haberet … facere “ (MI, S. Vittore al Corpo, Nr. 3); „ haberent causari “ (MI, S. Stefano di Vimercate, Nr. 57); 152 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="153"?> Was den Entwicklungsstand der Konstruktion angeht, lassen sich aber zahlreiche Textstellen gleichermaßen einordnen. In all diesen Zusammensetzungen ist entweder das Prädikat dem Infinitiv vorangestellt, der teilweise durch eine Interposition vom Prädikat syntaktisch getrennt ist, oder eine Interposition verhindert die syntaktische Einheit einer Kollokation, bei der der Infinitiv bereits vorangestellt ist. Insgesamt können 270 Kollokationen diesem Stadium der Entwicklung zugeordnet werden. 84 „ habuerit … appellare “ (MI, Monastero S. Ambrogio III/ 2, Nr. 94); „ habuerit … facere “ (MI, S. Maria di Morimondo I, Nr. 198) und „ habuerat … tenere “ (MI, S. Tommaso, Nr. 27). 84 Aufgrund der Vielzahl an Textbeispielen wird an dieser Stelle auf die Angabe des Dokumentennachweises verzichtet. Diese sind im Anhang aufgelistet und können anhand der Suchfunktion der Website gefunden werden (URL: https: / / www.lombardiabeniculturali.it/ cdlm/ strumenti/ semplice/ ). Neben den fünf bereits genannten Kollokationen können folgende zugeordnet werden: „ abent adquistare “ ; „ habent atendere “ ; „ habet adtendere et adimplere “ ; „ habent adtendere et observare “ ; „ habet componere “ ; 2x „ habent … componere “ ; „ habent componere “ ; 3x „ habent conponere “ ; „ habent consignare “ ; „ habent … consignare “ ; „ abemus dare et consigare “ ; „ dare … habet “ ; „ dare … habent “ ; „ habet dare “ ; „ abemus dare “ ; „ defendere … habet “ ; 2x „ defendere … habent “ ; „ habent defendere “ ; „ habent … defendere “ ; „ abeo defendere “ ; 5x „ habet defendere et guarentare “ ; 12x „ habent defendere et guarentare “ ; 2x „ defendere et guarentare … habent “ ; „ gualentare et defendere … habet “ ; „ habet disbrigare, defendere et gaurentare “ ; „ habet defendere et guarentare et expedire “ ; „ habent defendere et liberare “ ; „ habent designare et determinare “ ; „ disbrigare et defendere … habeat “ ; 2x „ disbrigare et defendere … habeant “ ; „ habent … dispiliare et desobligare “ ; „ habet dispiliare et disvasare “ ; „ habent dicere “ ; 4x „ habet facere “ ; „ habet … facere “ ; 6x „ habent facere “ ; „ habeant facere “ ; „ facere … habet “ ; „ facere … habent “ ; „ habent ferre “ ; „ habet firmare “ ; 2x „ habet … impedire “ ; „ abemus ingumberare “ ; „ observari … habemus “ ; „ habet … permanere “ ; 3x „ habent permanere “ ; „ habent refacere “ ; „ habent … relinquere “ ; „ abet remanire “ ; „ require … habet “ ; „ habent requirere “ ; „ habet resarcire “ ; „ habent resarcire “ ; „ abeo restarare “ ; „ abeo retinere et meliorare “ ; 13x „ restituere … habet “ ; „ habet … restituere “ ; 3x „ restituere … habent “ ; „ stare … habet “ ; „ stare … habent “ ; „ habent … stare “ ; 2x „ habet stare et permanere “ ; „ habet permanere et stare “ ; 3x „ habent stare et permanere “ ; 2x „ habent permanere et stare “ ; „ abemus trare et consignare “ und „ abemus … vetare “ . Außerdem können mehrere Zusammensetzungen mit dem Infinitiv agere dieser Kategorie zugeordnet werden, die in vielen Fällen mit dem Infinitiv causari/ causare und teilweise noch mit weiteren Infinitiven durch nec/ neque oder aut/ vel kombiniert werden: 26x „ habet agere “ ; 35x „ habet … agere “ ; 48x „ habent agere “ ; 26x „ habent … agere “ ; „ abet agere “ ; 4x „ abent agere “ ; 3x „ habeant agere “ ; 2x „ habeant … agere “ ; 2x „ agere nec causare … habent “ und „ agere nec causare nec contradicere … habent “ . 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 153 <?page no="154"?> 6.2.2.3.3 Beispiel 3: Infinitiv + habere Insuper dedit guadiam ipse Passagius eidem Petro ita quod defendere et guarentare habet suprascriptam petiam campi ab omni persona contradicente. Darüber hinaus gab Passagius selbst demselben Petrus Schutz, so dass er das oben beschriebene Stück Land vor jeder widersprechenden Person zu beschützen und zu bewahren hat. Auszug aus einem Kaufvertrag. (31. März 1167) (MI, S. Maria in Valle, Nr. 10) Das dritte Beispiel zeigt einen Textausschnitt mit der in den langobardischen Urkunden am häufigsten vorkommenden formelhaften Wendung aus einem Infinitiv und einer Form von habere. In dieser recht knappen ‚ cartula venditionis ‘ wird ein Kaufvertrag zwischen Passagius und seiner Frau Orfante aus Murinasci/ Mailand und Petrus Scanabeccus aus Rosate beurkundet. Ersterer verkauft dem Zweitgenannten ein Stück Land, für welches er gleichzeitig Schutz gewährleisten wird, wie in dem obigen Textauszug beschrieben wird. Zudem wird ein Bürge eingesetzt. Zunächst muss überprüft werden, inwieweit bzw. ob die Form habet noch als klassisches Vollverb betrachtet werden kann. Auch in diesem Fall zieht das Prädikat habet ein Akkusativobjekt (suprascriptam petiam) nach sich. Würde also der Vollverbstatus mit der Bedeutung ‚ haben, besitzen ‘ angenommen werden, würde das bedeuten, dass der Agens des Prädikats (in diesem Fall der im Hauptsatz genannte ipse Passagius) das oben beschriebene Stück Land (suprascriptam petiam campi) besitzen würde. Durch den vorangehenden Hauptsatz ist jedoch bereits bekannt, dass nun nicht mehr Passagius, sondern Petrus Eigentümer des Landes ist oder werden soll. Dadurch muss angenommen werden, dass die Bedeutung von habere ausgeblichen sein muss und der Fokus der Bedeutung bereits auf der Verteidigung liegt, die durch die beiden Infinitive ausgedrückt wird. Da der inhaltliche Fokus somit nicht mehr auf dem Prädikat habet liegt, kann man davon ausgehen, dass habere in diesem Beispiel bereits grammatikalisiert vorliegt. Werden erneut die Erläuterungen von Fleischman (1982) zur Entwicklung der Auxiliarisierung von habere hinzugezogen, lässt sich eine Einordnung in die dritte Phase rechtfertigen. Die Infinitive und die habere-Form bilden eine semantische Einheit, wobei defendere et guarentare nicht mehr ausgelassen werden kann, da es zur Veränderung der Aussage führen würde. Ebenso hat sich hier bereits eine syntaktische Umordnung oder Reanalyse vollzogen. Der Infinitiv und das Hilfsverb stehen schon in ‚ richtiger ‘ Reihenfolge, wenn man bedenkt, dass die Form von habere in den romanischen Sprachen als Flexionsendung in synthetischen Futurformen existiert. In vielen anderen Fällen ist 154 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="155"?> diese Umordnung aber noch nicht geschehen und die habere-Form steht vor dem Infinitiv (z. B. habet defendere et guarentare). Nach Fleischman oder der allgemeinen Forschung zum lateinischen Vorläufer des romanischen Futurs kann noch keine rein futurische Bedeutung angenommen werden. Diesen Konstruktionen kann lediglich ein prospektiver oder obligatorischer Sinn beigemessen werden. In den langobardischen Urkunden finden sich noch zahlreiche Textstellen mit derselben Konstruktion, die, wie oben beschrieben, als formelhaft bezeichnet werden kann und in diversen Abwandlungen vorkommt. Insgesamt können mit dem obigen Beispiel 685 von den 961 Kollokationen mit einem Infinitiv diesem Entwicklungsstadium zugeordnet werden. Das ist ein sehr beachtliches Ergebnis. 85 85 Es werden aufgrund der Masse an Zusammensetzungen wieder nur die Kollokationen ohne Dokumentennachweis aufgelistet. Zu defendere und guarentare können neben dem obigen Beispiel folgende Konstruktionen hinzugezählt werden: 106x „ defendere et guarentare habet “ ; 9x „ deffendere et guarentare habet “ ; 2x „ defendere et vuarentare habet “ ; „ defendere et varentare habet “ ; „ defendere et gualentare habet “ ; 3x „ defendere habet et guarentare “ ; „ guarentare et defendere habet “ ; 81x „ defendere et guarentare habent “ ; „ defendere et vuarentare habent “ ; „ defendere et guarantare habent “ ; „ defendere et gualentare habent “ ; 2x „ deffendere et guarentare habent “ ; „ defendere habent et guarentare “ ; „ defendere habent ac guarentare “ ; 3x „ guarentare et defendere habent “ ; 3x „ defendere et guarentare habeo “ ; „ defendere et guarentare habemus “ ; „ defendere et gualentare habeat “ ; 5x „ defendere et guarentare habeant “ ; 6x „ defendere et guarentare abet “ ; 2x „ defendere et vuarentare abet “ ; „ defendere et varentare abet “ ; „ defendere et guarentare abent “ ; „ defendere et guarentare et disbrigare habet “ ; 3x „ defendere et guarentare et disbrigare habent “ ; 2x „ defendere et guarentare et disbregare habent “ ; „ defendere et guarentare et disbregare habeat “ ; „ defendere et guarentare et disbrigare habeant “ ; „ defendere et guarentare et dispedire abent “ ; „ defendere et warentare et disspiliare habent “ ; 12x „ defendere habet “ ; „ deffendere habet “ ; 9x „ defendere habent “ ; „ guarentare habet “ und „ guarentare habent “ . Neben diesen Kollokationen können viele weitere dieser Kategorie zugeordnet werden: „ accedere habeant “ ; „ adducere habent “ ; „ adimplere habet “ ; 2x „ adinplere habent “ ; „ adimplere abent “ ; „ adimplere et suplere habet “ ; „ adiuvare habent “ ; „ admittere habet “ ; „ agere vel causari habet “ ; „ agere nec … fatigare habent “ ; „ agere nec causare vel placitare aut guerriare habent “ ; „ agere neque causare aut placitare vel vuerrriare habet “ ; „ agere nec causare nec vuerriare nec placitare habent “ ; „ agere nec causare nec placitare habent “ ; 2x „ attendere habet “ ; 6x „ adtendere habet “ ; „ atendere habet “ ; 2x „ attendere habent “ ; 5x „ adtendere habent “ ; 2x „ atendere habent “ ; 2x „ adtendere et adinplere habet “ ; „ atendere et adimplere habet “ ; „ adtendere et adimpiere habet “ ; 2x „ adtendere et adimplere habent “ ; 7x „ attendere et observare habet “ ; 14x „ adtendere et observare habet “ ; 9x „ attendere et observare habent “ ; 22x „ adtendere et observare habent “ ; „ attendere et osservare habent “ ; „ attendere et servare habent “ ; 4x „ componere habet “ ; 10x „ componere habent “ ; „ conponere habent “ ; „ componere abet “ ; „ componere abent “ ; „ custodire habet “ ; 11x „ dare habet “ ; 8x „ dare habent “ ; „ dare habeat “ ; „ dare abent “ ; „ dare et attendere habent “ ; „ dare et consignare habent “ ; „ dare et cosignare abet “ ; „ dare ac pagare habent “ ; „ dare et pagare habent “ ; „ dare ac persolvere habet “ ; „ dare ac reddere habet “ ; „ dare et reddere habent “ ; „ dare redere abet “ ; „ defendere et 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 155 <?page no="156"?> 6.2.2.4 Predigten (eHumanities Desktop) Im Korpus der lateinischen Predigten werden von den mehr als 20.000 Wortformen von habere 508 mit einem Infinitiv kombiniert. Die Zusammensetzungen variieren stark und treten mit insgesamt 207 verschiedenen Verben auf. Nur wenige Verben erscheinen häufiger in den Kollokationen mit habere. Einige davon sind auf zitierte Bibelverse zurückzuführen und sollen vorab kurz betrachtet werden, bevor eine genauere Analyse der Konstruktionen vorgenommen wird: • Besonders häufig erscheint eine Konstruktion aus habere und dicere, die auf ein Zitat aus dem Johannesevangelium zurückzuführen ist. In einigen Fällen wird das Zitat entsprechend gekennzeichnet, in manchen nicht. Insgesamt können 56 Textstellen ermittelt werden, davon lehnen sich 37 direkt an den Bibelvers „ multa habeo vobis dicere “ (Joh. XIV,12) an und sind zum Großteil wörtlich, zu einem kleinen Teil in veränderter Syntax zitiert. Zehn weitere Textstellen treten leicht verändert auf, in denen beispielsweise vobis durch tibi oder habeo durch habet ersetzt wird. Die restlichen Zusammensetzungen aus habere und dicere sind unabhängig von dem genannten Bibelzitat verwendet quietare habent “ ; „ desgumberare et guarentare atque quietare habent “ ; 12x „ disbrigare habet “ ; 12x „ disbrigare habent “ ; „ disbrigare abent “ ; 3x „ defendere et disbrigare habet “ ; 2x „ defendere et disbrigare habent “ ; 2x „ defendere et disbrigare habeant “ ; „ defensare habent “ ; „ defenxare habet “ ; „ deliberare habent “ ; „ dicere habent “ ; 2x „ dimittere habet “ ; „ dimittere habent “ ; „ disbrigare et adquietare habet “ ; „ disobligare habent “ ; 3x „ dispiliare habet “ ; „ dispilliare abet “ ; 7x „ dispiliare et disvasare habet “ ; „ dispilliare et disvasare habet “ ; „ dispiliare et desvasare habent “ ; „ disspiliare et disvasare abet “ ; „ dispeliare abet et disvasare “ ; „ disvasare habet “ ; „ disvasare abet “ ; „ disputare et disvassare habet “ ; 3x „ esse et permanere habet “ ; 4x „ esse et permanere habent “ ; 2x „ expedire et disvasare et defendere et guarentare habet “ ; 13x „ facere habet “ ; 12x „ facere habent “ ; „ firmare habet “ ; „ guardare et salvare et custodire et manutenere habet “ ; „ guardare et salvare et custodire habent et manutenere “ ; „ intenzonare abet “ ; „ ire habet “ ; „ iungere habet “ ; „ laborare habent “ ; „ liberare habet “ ; „ libere habeant “ ; „ manifestare habet “ ; „ manifestare habent “ ; „ manifestare ac designare habent “ ; „ mittere habet “ ; „ mittere habent “ ; „ mittere habeant “ ; 10x „ observare habet “ ; 12x „ observare habent “ ; „ observare et adtendere habet “ ; „ ostendere habent “ ; 2x „ pagare habet “ ; „ pagare habent “ ; 13x „ permanere habet “ ; 15x „ permanere habent “ ; 2x „ permanere habeant “ ; 2x „ persolvere habet “ ; „ pertinere abet “ ; „ pertinere seu obvenire abet “ ; „ prospicere abent “ ; „ recipere habet “ ; „ recipere habent “ ; „ reddere habet “ ; 4x „ reddere habent “ ; „ reddere habemus “ ; „ rendere abemus “ ; 2x „ requirere habet “ ; 4x „ requirere habent “ ; 2x „ restaurare habet “ ; „ restituere habet “ ; 6x „ restituere habent “ ; „ retinere habent “ ; „ salvare et gubernare habet “ ; „ salvare et prospicere habent “ ; „ scodere habent “ ; 3x „ solvere habet “ ; 2x „ solvere habent “ ; „ solvere abent “ ; „ solvere et pagare habet “ ; 25x „ stare habet “ ; 25x „ stare habent “ ; 3x „ stare et defendere habet “ ; 3x „ stare et permanere habet “ ; „ stare habet et permanere “ ; „ stare et permanere habent “ ; „ stare et permanere abet “ ; „ stare et permanere abent “ ; „ subtrahere habet “ ; „ tenere habent “ ; „ tenere abent “ ; „ trahere et consignare habent “ ; „ trahere et exscutere habet “ ; 2x „ trahere et excutere habent “ ; „ venire habet “ und „ venire habent “ . 156 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="157"?> worden. Eine dieser zitierten Textstellen wird beispielhaft im Anschluss analysiert. • Zwei weitere Kollokationen sind ebenfalls auf Bibelverse zurückzuführen, treten jedoch nicht so häufig auf, wie die Konstruktion mit dicere: Zum einen erscheint in dem Predigtenkorpus elfmal die Konstruktion habeo baptizari, die aus dem Lukasevangelium stammt (Luc. XII,50). Der Kollokation ist jeweils das Substantiv baptismus oder baptisma, überwiegend im Ablativ, vorangestellt. Zum anderen können neun Zusammensetzungen aus habeo und manducare ermittelt werden, die aus dem Johannesevangelium zitiert wurden (Joh. IV,32). In acht Fällen wird das zum Zitat gehörige cibum hinzugefügt, das in der Regel vorangestellt oder zum Teil zwischen Prädikat und Infinitiv gestellt wird, in einem Fall wird es durch das Substantiv esca (im Akkusativ escam) ersetzt. • Zuletzt bleibt noch eine Konstruktion zu erwähnen, die eine Kollokation aus einer habere-Form und einem Infinitiv in Verbindung mit dem Akkusativ potestatem darstellt. Diese Art erscheint in den untersuchten Predigten insgesamt 67-mal und ist zum Teil ebenfalls auf Bibelverse aus den Evangelien zurückzuführen. Auch wenn die Zusammensetzungen noch keine engere Verbindung zwischen Prädikat und Infinitiv vermuten lassen, so sind sie dennoch als Brückenkontext zu verstehen und sollen im Anschluss ebenfalls genauer betrachtet werden. Die Konstruktionen aus Infinitiv und habere sollen sich überwiegend über kirchliche Schriften ausgebreitet haben. Dort soll es vor allem für prophetische Aussagen über zukünftige Ereignisse, die aus Sicht der Prediger geschehen werden, gebraucht worden sein (vgl. Fruyt 2011). 86 Die 508 Textstellen, die dieser Kategorie zugeordnet wurden, scheinen die Annahme der Verbreitung durch die christlichen Texte zu bestätigen. Es werden nun einige Kollokationen genauer untersucht. 6.2.2.4.1 Beispiel 1: potestatem habere + Infinitiv Timete autem eum qui potestatem habet corpus et animam mittere in gehennam. Fürchtet aber diesen, der die Macht hat, den Körper und die Seele in die Hölle zu schicken. Zitat aus dem Matthäusevangelium bei Bernhard von Clairvaux, In psalmum Qui habitat, 11./ 12. Jh. (183_4252.xml) 86 Für detaillierte Informationen zur Ausbreitung der habere-Konstruktionen mit Infinitiv, vgl. Fleischman 1982. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 157 <?page no="158"?> Das erste Beispiel ist ein Zitat aus dem Matthäusevangelium in einer Schrift von Bernhard von Clairvaux. Es beinhaltet eine der schon erwähnten Konstruktionen mit potestatem. Das Prädikat und das Akkusativobjekt des Relativsatzes stehen syntaktisch eng verbunden, während der Infinitiv durch den Akkusativ corpus et animam vom Prädikat getrennt wird. Wie schon angedeutet, ist es bei diesen Konstruktionen möglich, den Infinitiv auszulassen, ohne dass der Satz ungrammatisch wäre. Die Kollokation potestatem habet kann für sich stehen und zieht oftmals eine Infinitivkonstruktion nach sich, in der der Infinitiv ebenfalls ein eigenes Akkusativobjekt besitzen kann, wie es im obigen Beispiel der Fall ist. Die Beispielkonstruktion kann somit noch nicht in die Entwicklung hin zum romanischen Futur eingeordnet werden. Nach Fleischmans Modell (1982) ließe sie sich allenfalls der ersten Phase zuordnen. Dennoch sind Häufungen solcher Konstruktionen nicht unbedeutend hinsichtlich der Ausbreitung der neuen periphrastischen Futurkonstruktionen. Zudem ist die Kollokation nicht klassisch. Ursprünglich setzte sich dieser Ausdruck mit einer Form von esse und einem Dativ zusammen. Im Fall der Beispielkonstruktion hätte dort ‚ potestas sibi est ‘ verwendet werden müssen. Somit kann der habere-Form hier dennoch eine nicht-klassische Verwendungsweise zugeschrieben werden, nämlich die zunehmende Übernahme der Funktionen von esse (vgl. Tara 2014: 239 - 247). Insgesamt konnten in den untersuchten Predigten 53 Formen von habere mit dem Akkusativ potestatem und einem Infinitiv ermittelt werden und zwölf weitere Textstellen, in denen sich habere in derselben Weise mit anderen Substantiven zusammensetzt. Hinzu kommen noch 13 Kollokationen, in denen habere nicht mehr mit dem Akkusativ potestatem verbunden ist, sondern mit in potestate und einem Infinitiv. Somit können 78 der insgesamt 508 Kollokationen aus habere und einem Infinitiv noch als klassisch gewertet werden. 87 Einige der 87 Es handelt sich um folgende Kollokationen mit potestatem: 4x „ habent potestatem claudere “ (144_2325.xml, 174_3940.xml, 202_5022.xml); „ potestatem habebat claudere “ (185_4369.xml); „ habeat potestatem … constituere “ (025_5755.xml); „ habebis potestatem … constituere “ (118_732.xml); „ haberet potestatem … copulare “ (118_732.xml); „ potestatem habeo crucifigere “ (178_4030.xml); „ habet potestatem … damnare et salvare “ (184_4322. xml); 2x „ potestatem habet … dimittere “ (110_514.xml, 157_3169.xml); 2x „ potestatem habeo dimittere “ (178_4030.xml); „ dimittere potestatem habent “ (157_3169.xml); „ habeant potestatem … discurrere vel … infestare “ (155_3078.xml); 3x „ edere … habent potestatem “ (178_4030.xml, 207_5158.xml, 211_5313.xml); „ habent potestatem … edere “ (171_3764. xml); 2x „ habent potestatem edere “ (171_3764.xml, 207_5158.xml); „ habent edere potestatem “ (207_5158.xml); „ habebunt potestatem … emittere “ (158_3207.xml); 5x „ habet potestatem … facere “ (038_6046.xml, 039_6053.xml, 040_6135.xml, 118_732.xml, 057_6670.xml); „ habet … potestatem … facere “ (038_6046.xml); „ potestatem habeat … facere “ (198_4822.xml); 6x „ habet potestatem mittere “ (039_6056.xml, 052_6558.xml, 094_8189.xml, 155_3078.xml, 212_5349.xml); 2x „ habet potestatem … mittere “ 158 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="159"?> Textstellen sind außerdem auf Bibelstellen zurückzuführen, 88 was das mehrfache Vorkommen erklärt. 6.2.2.4.2 Beispiel 2: habere + Infinitiv Adhuc multa habeo vobis dicere, sed non potestis portare modo. Ich habe euch noch vieles zu sagen, aber ihr könnt es noch nicht tragen. Zitat aus dem Johannesevangelium bei Gottfried von Admont, Homiliae dominicales, 12. Jh. (174_3939.xml) Das nächste Textbeispiel ist das bereits erwähnte Zitat aus dem Johannesevangelium, das sich in diesem Fall in den ‚ Homiliae dominicales ‘ von Gottfried von Admont findet und in vielen anderen Schriften anderer Autoren erscheint. In den letzten Kapiteln beschreibt der vierte Evangelist den Abschied Jesu von seinen Jüngern und gibt verschiedene Reden des Herren zu seinen Anhängern wieder. Im 16. Kapitel erklärt Jesus, dass sein Abschied herannaht, welcher aber (144_2325.xml, 185_4369.xml); „ potestatem habet mittere “ (183_4269.xml); 3x „ potestatem habet … mittere “ (144_2325.xml, 183_4252.xml, 183_4269.xml); 3x „ habet potestatem … occidere “ (038_6046.xml, 039_6049.xml); „ potestatem habet … occidere “ (038_6046.xml); 3x „ habet potestatem … perdere “ (038_6046.xml, 118_732.xml, 178_4030.xml); „ potestatem habeo ponere “ (157_3169.xml); „ potestatem habebat ponere “ (202_5013.xml) und „ potestatem … habent saevire “ (038_6046.xml). In diesen 13 Kollokationen wird habere mit in potestate zusammengesetzt: „ in potestate habet … aegrotare “ (038_6048.xml); „ aegrotare et convalescere … habet … in potestate “ (ebd.); „ habet in potestate … auferre “ (038_6047.xml); „ convalescere … habet in potestate “ (038_6048.xml); „ in potestate dare non habet “ (Dokument 6132); „ in potestate habuit dare “ (195_4716.xml); „ in potestate habeat dare vel auferre “ (208_5183.xml); „ in potestate habeo … esse “ (038_6048.xml); „ in qua potestate habeant inclinari “ (183_4291.xml); „ habet in potestate non perdere “ (038_6047.xml); „ habuit in potestate … ponere “ (118_732.xml); „ in potestate habebat … reddere “ (039_6049.xml) und „ venire … in potestate habemus “ (208_5183.xml). Hinzu kommen diese zwölf Kollokationen mit anderen Substantiven: „ habes aliquem aditum … corrigere “ (038_6046.xml); „ desiderium habent dissolvi et esse “ (212_5349.xml); „ desiderium habeat dissolvi “ (198_4822.xml); „ habeant libertatem … attendere “ (026_5775. xml); „ habet libertatem … videre “ (026_5775.xml); 2x „ mandatum habent … sumere “ (057_6677.xml, 067_7066.xml); 2x „ habet necessitatem … offerre “ (155_3078.xml, 208_5183. xml); „ necessitatem haberes ire et videre “ (212_5349.xml); „ propositum habebat … honorari “ (212_5349.xml) und „ propositum habuit … sustentari “ (174_3941.xml). 88 Das oben bereits analysierte Zitat erscheint mit 12 Kollokationen am häufigsten und stammt aus Luk 12.5, ein ähnlicher Ausdruck findet sich außerdem bei Mt 10.28, auf welchen wohl die Zusammensetzungen mit perdere und occidere zurückzuführen sind; „ habet potestatem figulus luti ex eadem massa facere “ (Röm 9.21) erscheint siebenmal teils wörtlich, teils mit veränderter Syntax in den Predigten; „ potestatem habeo crucifigere “ und „ potestatem habeo dimittere “ sind mit Joh 19.10 in Zusammenhang zu bringen, „ habent potestatem edere “ mit Hebr 13.10, und „ potestatem habeo ponere “ mit einer Konstruktion aus Akkusativobjekt und Gerundium bei Joh 10.18. 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 159 <?page no="160"?> notwendig ist, damit sie den Geist der Wahrheit empfangen können, der ihnen das mitteilen kann, was er noch nicht sagen kann. Dieses Bibelzitat erscheint in den Predigten mehrfach, teilweise mit abweichendem Satzbau oder ähnlichen Formen. Auch andere Zusammensetzungen mit dem Infinitiv dicere tauchen häufig auf. In diesem Fall besteht zwischen habeo und dicere eine engere Verbindung, wenngleich es syntaktisch noch nicht zu beobachten ist. Sie teilen sich ein Akkusativobjekt und der Fokus der Bedeutung liegt bereits auf dem Infinitiv, ohne den der Satz einen anderen Sinn bekommen würde. Das Prädikat ist somit bereits ausgeblichen. Allerdings ist hier noch nicht zu beobachten, dass der Infinitiv dem Prädikat vorangestellt ist, wie es für die fortschreitende Entwicklung zum romanischen Futur Voraussetzung ist. Außerdem werden Prädikat und Infinitiv durch vobis voneinander getrennt. Die Zusammensetzung aus habere und dicere ist noch nicht als rein futurisch zu verstehen, sondern kann vielmehr im Sinne einer Obligation/ Notwendigkeit oder Fähigkeit/ Möglichkeit verstanden werden. Wird die Einteilung von Fleischman (1982) in vier Entwicklungsphasen hinzugezogen, so kann diese Konstruktion in die zweite Phase eingeordnet werden, die genau die Punkte umfasst, die soeben dargelegt wurden. Neben dieser Beispielkonstruktion erscheinen in den untersuchten Predigten 30 weitere Konstruktionen, in denen habeo und dicere durch vobis getrennt stehen. Hinzu kommen noch 17 Kollokationen einer habere-Form mit dicere, die gleichermaßen gewertet werden können. In vielen Fällen handelt es sich ebenfalls um das oben genannte Zitat, welches nur in der Syntax oder im Gebrauch der Formen abweicht. Insgesamt können 314 Kollokationen diesem Entwicklungsstadium zugeordnet werden. In all diesen Konstruktionen ist das Prädikat dem Infinitiv vorangestellt sowie in vielen Fällen syntaktisch vom Infinitiv getrennt oder der vorangestellte Infinitiv wird syntaktisch noch vom Prädikat getrennt. 89 89 Aufgrund der Menge an unterschiedlichen Kollokationen wird an dieser Stelle wieder auf den Dokumentenverweis verzichtet. Dieser ist im Anhang aufgeführt. Weitere Kollokationen dieser Art sind folgende: „ habet abundare “ ; „ habes accedere “ ; „ habemus accipere “ ; „ habemus … accipere “ ; „ habet … accusare “ ; „ habebat adjicere “ ; „ habes agere “ ; „ habet amittere “ ; „ habemus amittere “ ; „ amittere … habuit “ ; „ habet apponere “ ; „ habent ascendere “ ; „ habet … assumere “ ; „ habet attribuere “ ; „ augeri … habet “ ; „ habebat augeri “ ; „ avocare … habet “ ; „ habeo baptizare “ ; 10x „ habeo baptizare “ ; „ habebat bibere “ ; „ cantare … habebant “ ; „ carere … habetis “ ; „ habebant circumferre “ ; „ habet collocare “ ; „ haberet … commisceri “ ; „ habeant commutare “ ; 2x „ habeat … compati “ ; „ habet … concupiscere “ ; „ habeo conferre “ ; „ confoveri … habent “ ; „ habeo confundi “ ; „ habeam conqueri “ ; „ habeo consummari “ ; „ habent consummari “ ; „ habes damnari “ ; „ habeo dare “ ; „ habet dare “ ; „ habeas dare “ ; „ habebant … dare “ ; „ habuit … decerpsisse “ ; „ habet dejicere atque destruere “ ; „ habet delectare “ ; „ habent … designare “ ; „ detrahere … habeant “ ; „ habet devorare “ ; 40x „ habeo … dicere “ ; 2x „ habeo 160 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="161"?> Bemerkenswert erscheint an dieser Stelle, dass in den wenigen Infinitivkonstruktionen mit habere in den französischen Urkunden eine ähnliche Textstelle erscheint: „ iterum vobis aliquid habeo dicere “ (Charte 4165). 90 In dieser Urkunde bekräftigt der Mönch Mainard mit Zustimmung des Bischofs Hugo von Senez im Hauptteil mehrere zuvor vollzogene Schenkungen. Die Zusammensetzung erinnert stark an die in den Predigten zahlreich vorkommende Kollodicere “ ; „ habet … dicere “ ; „ habemus dicere “ ; „ dici … habeat “ ; „ habebat … dicere “ ; „ haberem … dicere “ ; „ habuit … dicere “ ; „ habeat didicisse “ ; „ habeamus … dimittere “ ; „ habet … disputare “ ; „ habeo dividere “ ; „ habet docere “ ; „ habebat docere “ ; 2x „ habent edere “ ; „ edere … habent “ ; „ effugere … habebam “ ; „ habent egredi “ ; „ habeat … elevari “ ; „ habent emendari “ ; „ habes erubescere “ ; habent erubescere et dolere “ ; 3x „ esse … habet “ ; 16x „ habet esse “ ; 4x „ habet … esse “ ; „ habemus … esse “ ; 5x „ habent esse “ ; 3x „ habeat esse “ ; „ habeamus esse “ ; „ haberet … esse; 2x „ esse … habuit “ ; „ habet esse, vivere et sapere “ ; „ habebant evenire “ ; „ habet excludere “ ; „ haberet excusari “ ; „ habebant exercere “ ; „ habet existere “ ; „ haberet exponere “ ; „ habet exprimere “ ; „ habeo … facere “ ; „ habet facere “ ; „ habet … facere “ ; „ habent facere “ ; 2x „ habebam facere “ ; „ habebant … facere “ ; „ habent fieri “ ; 2x „ flere … habet “ ; „ fugisse … haberes “ ; „ habet geminare “ ; „ habent humiliare “ ; „ habebat … incarnari “ ; „ habet incendere “ ; „ induere … habet “ ; „ habet … innuere “ ; „ habeas … instituere “ ; „ habebat insurgere “ ; „ habet … intelligi “ ; „ habebat intelligi “ ; „ habet … introduci “ ; „ habemus … intueri “ ; „ habes invenire “ ; „ habet … invocare “ ; „ habetis irasci “ ; „ habet … irrigare “ ; „ iterare … habeant “ ; „ iterare … habebat “ ; .); „ habent judicari “ ; „ habent judicare “ ; „ habetis judicare “ ; „ habent … laborare “ ; 4x „ habeo … loqui et judicare “ ; „ habet loqui “ ; „ lucere … habet “ ; „ habeat … lucescere “ ; 6x „ habeo manducare “ ; 3x „ habeo … manducare “ ; „ habent metere “ ; „ habeat ministrare “ ; „ habent … minui “ ; „ minui … haberet “ ; „ mirari … habet “ ; „ habet misereri “ ; „ habeat misereri “ ; „ mitti … habet “ ; „ habet mori “ ; „ habent mori “ ; „ habet obedire “ ; „ habemus offerre “ ; „ habet orare “ ; „ habemus ostendere “ ; „ habeant percipere “ ; „ habeant perdere “ ; „ habet perire “ ; perpetrare … habetis “ ; „ perseverare … habeant “ ; „ ponere … habet “ ; „ habuit posse “ ; „ habuit … posse “ ; „ habet praecedere “ ; „ habet praeparare “ ; „ habent praesidere “ ; „ habes praestare “ ; „ habet … prodesse “ ; „ habes proficere “ ; „ proponere … habet “ ; „ habet providere “ ; „ providere … habet “ ; „ habent purgari “ ; „ quaerere … habet “ ; „ habet quaeri “ ; „ habet recedere “ ; „ habent recurrere “ ; „ habet reddere “ ; „ habemus redimere “ ; „ habet redire “ ; „ habent relaxare “ ; „ habet relinquere “ ; „ habuit remanere “ ; „ repleri … habent “ ; 2x „ respondere … habet “ ; „ habet respondere “ ; „ habent respondere “ ; „ habuit … respondere “ ; „ habet resurgere “ ; „ habes retribuere “ ; 5x „ habent retribuere “ ; „ sanare … habebat “ ; „ scire … habeas “ ; „ habeat scire “ ; „ scire … habebant “ ; „ scrutari … habemus “ ; „ sedere … habet “ ; „ haberet … sedere “ ; „ habet sequi “ ; „ habemus … servire “ ; „ habent siccare “ ; „ habent sollicitari “ ; „ habet … solvere “ ; „ habet sperare “ ; „ habeant stare “ ; 2x „ habet subsistere “ ; „ subsistere … habet “ ; „ succedere … habebat “ ; „ habeat superbire “ ; „ habent … suscipere “ ; „ habet suspicere “ ; „ habeo sustinere “ ; „ habebant tangere “ ; „ habent tegere “ ; „ habet … temperare “ ; „ timere … habet “ ; „ transire … habet “ ; „ habent transire et perire “ ; „ habeat … uti “ ; „ habeat vapulare “ ; „ velle … habeo “ ; „ habes velle “ ; 2x „ habuit velle “ ; „ habes vendere “ ; „ venire … habet “ ; „ habet videre “ ; „ habuit … videre “ ; „ habuere … videre “ ; „ habeo vivere “ ; „ habes … vivere “ ; „ habet vivere “ ; „ habent vivere “ und „ habent … vivere “ . 90 Der vollständige Satz lautet: „ Iterum vobis aliquid habeo dicere de hoc quod domnus Senecesis episcopus conqueritur de ecclesiis a vobis datis et a domno Amelio Senecensis episcopo diu uic ecclesi ȩ concessis, parrochialem scilicet ecclesiam de Argenciis et de Trouis cum omnibus suis pertinenciis. “ 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 161 <?page no="162"?> kation. Auch wenn eine einzige Textstelle nicht als Beleg für die Ausbreitung von Diskurstradition zu Diskurstradition ausreichen kann, ist dieser Befund dennoch hervorzuheben. Denn er zeigt, dass in diesem Fall die Übernahme und Übertragung von (möglicherweise oftmals) Gehörtem oder Gelesenem auf einen anderen Bereich, nämlich die Urkunden, erfolgte. Da es sich bei dem Aussteller der Urkunde um einen Kleriker handelt, ist anzunehmen, dass er mit der biblischen Schrift und daraus viel zitierter Textstellen vertraut war. 6.2.2.4.3 Beispiel 3: Infinitiv + habere Propter discipulos gaudebat; quia per resurrectionem Lazari confirmari habebat fides ipsorum in Christo: [ … ]. Er freute sich wegen seiner Schüler/ Jünger; weil ihr Glaube an Christus durch die Auferstehung des Lazarus gestärkt zu werden hatte: [ … ]. Auctor incertus (Augustinus Hipponensis? ), 4./ 5. Jh. (039_6053.xml) Das dritte Textbeispiel stammt aus der Predigt eines unbekannten Verfassers, bei dem es sich laut der Annotationen der Betreiber: innen der Datenbank möglicherweise um Augustinus von Hippo handeln könnte. Der Infinitiv und das Prädikat stehen bei dieser Beispielkonstruktion syntaktisch eng verbunden in der Mitte des quia-Satzes. Zudem ist der Infinitiv in diesem Beispiel vorangestellt, so wie es für die spätere Entwicklung Voraussetzung ist. Das sind wichtige Unterschiede zum vorherigen Beispiel, durch die dieser Konstruktion ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium zugewiesen werden kann. Nach dem Modell von Fleischman (1982) könnte diese Kollokation der dritten Phase zugeordnet werden, da bereits eine syntaktische Reanalyse vollzogen ist. Dennoch kann der Konstruktion noch kein futurischer Sinn zugeschrieben werden. Es kann immer noch ein obligativer Nebensinn verstanden werden. Zwei weitere Aspekte sind an dieser Zusammensetzung ebenfalls interessant: Zum einen steht das Prädikat im Imperfekt, zum anderen ist der Infinitiv passiv. Diesen beiden Aspekten wird eine besondere Bedeutung bei der Entwicklung und Ausbreitung der neuen Futurformen zugeschrieben. Konstruktionen mit passiven Infinitiven sollen anfangs überwiegend aufgetreten sein, weshalb angenommen wird, dass sich die Kollokationen dadurch ausgebreitet haben. Ebenso wurden Überlegungen aufgestellt, ob sich die Zusammensetzungen aufgrund fehlender Formen für einen Ausdruck des Futurs in der Vergangenheit entwickelt haben und die Formulierungen im Präsens erst daraus entstanden sein könnten (vgl. Fleischman 1982: 55 f.). Bassols de Climent (1948) vermutet beispielsweise, dass die Verbindungen mit Imperfekt- und Perfektformen als Vorlage für die Entstehung der präsentischen Zusammen- 162 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="163"?> setzungen dienten, weil jene in früherer Zeit deutlich dominiert haben (vgl. ebd.: 305). Nachgewiesen ist diese Annahme aber nicht. Während in den Urkundenkorpora nicht bestätigt werden konnte, dass sich insbesondere passive Infinitive mit habere-Formen zusammensetzten oder vermehrt habere-Formen der Vergangenheit mit Infinitiven zusammentraten, zeigt sich in den Predigten ein anderes Bild. Hier konnten viele Textstellen ermittelt werden, in denen diese Verwendungen zu beobachten sind. Diesem Stand der Entwicklung konnten ebenfalls einige Zusammensetzungen zugeordnet werden. Im Vergleich sind es weniger als bei dem vorherigen Textbeispiel. Insgesamt können mit der obigen Beispielkollokation 104 Konstruktionen, in denen der Infinitiv dem Prädikat direkt vorangestellt ist, dieser Kategorie zugeordnet werden. 91 91 Folgende Kollokationen können dieser Entwicklungsstufe zugeordnet werden: „ ab esse habent “ (195_4727); „ adjicere habeat “ (207_5158.xml); „ ardere habet “ (039_6053.xml); „ ardere habent “ (184_4341.xml); „ audire habet “ (177_4020.xml); „ audire habent “ (183_4291. xml); „ audire habeant “ (183_4260.xml); „ cibari habemus “ (183_4277.xml); „ clamare habeatis “ (183_4260.xml); „ cogitare habeamus “ (155_3098.xml); „ confiteri habeat “ (185_4369. xml); „ crescere et confortari habebat “ (094_8189.xml); „ conqueri habeamus “ (183_4285. xml); „ turbari et contristari habes “ (174_3940.xml); „ convenire habet “ (171_3764.xml); „ deficere habent “ (183_4291.xml); „ deleri habeant “ (183_4256.xml); „ demere habemus “ (165_3555.xml); „ deponere habes “ (038_6047.xml); 2x „ dicere habet “ (174_3940.xml, 185_4369.xml); „ dicere habent “ (174_3940.xml); 2x „ dici habent “ (038_6046.xml, 110_514.xml); „ dicere habeamus “ (183_4257.xml); „ dicere habuit “ (175_3974.xml); „ dici habuissent “ (177_4020.xml); „ dolere habet “ (162_3406.xml); „ edere habent “ (174_3939.xml); 3x „ esse habet “ (155_3078.xml, 174_3940.xml, 174_3941.xml); „ esse habent “ (194_4708. xml); „ esse habeat “ (065_6976.xml); „ esse haberet “ (ebd.); „ exigere habet “ (039_6056.xml); „ facere habet “ (183_4291.xml); „ fieri habet “ (175_3974.xml); 6x „ fieri habent “ (175_3974. xml, 212_5349.xml); „ finire habes “ (038_6046.xml); „ formidare habent “ (110_514.xml); „ impendere habeo “ (184_4332.xml); „ implere habet “ (196_4766.xml); „ inesse habet “ (208_5183.xml); „ intelligi habet “ (198_4834.xml); „ intendere habet “ (183_4291.xml); „ interrumpere habeat “ (ebd.); „ invenire habet “ (038_6046.xml); „ irrideri habet “ (ebd.); „ laborare habemus “ (174_3939.xml); „ laborare habetis “ (194_4708.xml); 2x „ moveri habet “ (175_3974.xml, 178_4030.xml); „ nasci habetis “ (040_6129.xml); „ scribi et numerari habent “ (157_3169.xml); „ occurrere habet “ (174_3939.xml); „ operari habet “ (175_3974.xml); „ clamare nec orare habent “ (157_3169.xml); „ pati habebat “ (026_5775.xml); „ pellere habuit “ (198_4822.xml); „ persolvere habeo “ (198_4822.xml); „ pertrahi habes “ (183_4291.xml); 2x „ plangere habet “ (039_6053.xml, 162_3406.xml); „ posse habeat “ (178_4030.xml); „ praescindi habent “ (038_6046.xml); „ proficere habet “ (174_3939.xml); „ psallere habeo “ (ebd.); „ regere habent “ (195_4716.xml); „ renumerare habet “ (198_4822.xml); 2x „ repleri habent “ (202_5013.xml, 208_5183.xml); „ resurgere habeant “ (208_5183.xml); „ resurgere habebat “ (065_6997.xml); „ resurgere habuit “ (174_3940.xml); „ sanari habet “ (038_6046.xml); „ scrutari habet “ (185_4369.xml); „ sequi habemus “ (057_6671.xml); „ significare habet “ (196_4766. xml); „ turbari et sollicitari habes “ (174_3940.xml); „ sperare habet “ (110_514.xml); „ subsistere habent “ (175_3974.xml); „ suscipere habuit “ (048_6376.xml); „ sustentare habent “ (194_4708.xml); „ tolerare haberent “ (174_3939.xml); „ tradi habent “ (183_4291.xml); 2x 6.2 Kategorisierung und Analyse der Textstellen 163 <?page no="164"?> 6.2.2.4.4 Beispiel 4: habere im Futur [ … ], inquam post hujus vitae terminum sine fine inconsolabiliter cruciari habebunt. [ … ], nach dem Ende ihres Lebens, sage ich, werden sie ohne Ende untröstbar gequält zu werden haben. Gottfried von Admont, Homiliae dominicales, 12. Jh. (174_3939.xml) Das letzte Beispiel findet sich in den ‚ Homiliae dominicales ‘ von Gottfried von Admont. Infinitiv und Prädikat stehen syntaktisch eng verbunden am Ende des Satzes. Der Infinitiv ist bereits vorangestellt, wodurch die Konstruktion als fortschrittlicher bezeichnet werden kann. Wird die Bedeutung dieser Kollokation betrachtet, lässt sich ein futurischer Ausdruck ausmachen. Dieser ist jedoch auf das Tempus des Prädikats zurückzuführen, welches eine Besonderheit darstellt. Denn der Infinitiv setzt sich hier mit einem Prädikat zusammen, das bereits im Futur steht. Das lässt vermuten, dass die Infinitivkonstruktion noch keinen futurischen Sinn innehatte, sondern dieser durch das Tempus des Prädikats ausgedrückt werden musste. Durch den Gebrauch der Kollokation könnte ein obligativer Sinn ausgedrückt werden, bei dem habebunt nicht mehr als Vollverb fungiert und bereits ausgeblichen ist. Sie lässt sich nach Fleischman (1982) in das dritte Entwicklungsstadium einordnen. Die Zusammensetzung mit einem Prädikat im Futur ließ sich bereits unter den wenigen Infinitivkonstruktionen im burgundischen Urkundenkorpus beobachten und wurde ausführlich untersucht (vgl. Kap. 6.2.2.2.4). In den Predigten finden sich gleich mehrere solcher Konstruktionen. Insgesamt werden zehn Infinitive mit habere-Formen kombiniert, die bereits im Futur stehen. Davon sind nicht alle bereits syntaktisch so geordnet, dass der Infinitiv dem Prädikat direkt vorangestellt ist. In vier Fällen ist der Infinitiv noch nachgestellt und dabei dreimal syntaktisch vom Prädikat getrennt; in zwei weiteren Fällen steht der Infinitiv zwar vor dem Prädikat im Satz, jedoch ebenfalls syntaktisch voneinander getrennt. 92 „ transire habent “ (195_4716.xml, 212_5349.xml); „ transire habuimus “ (118_732.xml); 2x „ vacare habet “ (174_3939.xml); „ vacare habent “ (198_4834.xml); „ velle habent “ (038_6046. xml); „ velle habuit “ (094_8189.xml); „ venire habet “ (038_6046.xml); „ venire haberet “ (157_3169.xml); „ videre habetis “ (038_6046.xml) und „ vinci habemus “ (ebd.). 92 Das sind folgende weitere Kollokationen: „ amare … habebit “ (177_4019.xml); „ habebit exsolvere “ (174_3939.xml); „ habebitis … gratulari “ (141_2001.xml); „ nosse … habebit “ (177_4019.xml); „ habebitis … perfrui “ (094_8189.xml); „ habebit … posse “ (208_5183.xml); „ pugnare habebunt “ (174_3941.xml); „ requiescere habebit “ (174_3939.xml) und „ succumbere habebis “ (ebd.). 164 6 Die Auxiliarisierung von habere in unterschiedlichen Diskurstraditionen <?page no="165"?> 7 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick 7.1 habere + PPP Die ermittelten Konstruktionen aus einer habere-Form mit einem Partizip Perfekt Passiv wurden bei allen untersuchten Korpora in Kategorien unterteilt und jeweils anhand eines Beispiels genauer betrachtet. Zum einen konnten dabei allgemeine Beobachtungen zum Grammatikalisierungsgrad verschiedener Konstruktionen festgehalten, zum anderen konnte durch Einzelbeispiele auf ein anderes Verständnis einer oder ähnlicher Konstruktionen verwiesen werden. Folgende Punkte lassen sich dazu allgemein zusammenfassen: • Insgesamt lässt sich behaupten, dass in allen vier Korpora viele Kollokationen aus einer habere-Form und einem Partizip Perfekt Passiv noch klassisch verstanden werden können. Dabei fungiert das PPP beispielsweise als Attribut zu seinem Bezugswort. Bei diesen Kollokationen ist das wichtigste Merkmal der Agensidentität von Prädikat und Partizip nicht eindeutig bestimmbar, trotzdem nicht vollständig auszuschließen. Diese Zusammensetzungen stellen einen ersten Brückenkontext dar, bei dem zum Teil allenfalls angenommen werden kann, dass sie einen gegenwärtigen Zustand beschreiben, der auf ein vergangenes Ereignis zurückzuführen ist. • Des Weiteren erscheinen in allen Korpora Kollokationen, bei denen die Agensidentität eindeutig anzunehmen ist, wodurch allein allerdings nicht nachgewiesen werden kann, dass es sich bei den Konstruktionen um temporale Ausdrücke handelt. Die habere-Formen sind in diesen Fällen noch nicht vollständig semantisch ausgeblichen, sodass die Bedeutung des Besitzes bisher nicht gänzlich aufgegeben wurde, sondern als Resultat der vergangenen Handlung fortbesteht. • Überdies erscheinen in allen Korpora einige Zusammensetzungen von habere mit Partizipien von Verben der Kommunikation oder Kognition. Da bei diesen aufgrund der Bedeutung eine Agensidentität bestehen muss, kann ihnen eine besondere Bedeutung auf dem Weg zu einer temporalen Perfektkonstruktion beigemessen werden, wie es allgemein angenommen wird. Bei einigen Verben, wie beispielsweise audire oder dicere, liegt der Fokus weniger auf dem Besitz als auf dem vorangegangenen Ereignis des Hörens oder Sehens, auch wenn die Bedeutung des anschließenden ‚ Besitzes ‘ des Gehörten oder <?page no="166"?> Gesehenen nicht gänzlich verblasst ist. Es gibt jedoch Unterschiede, wie an den Beispielen cognitum bzw. incognitum gezeigt wurde, bei dem nicht auszuschließen ist, dass das Partizip substantiviert gebraucht und verstanden worden sein könnte. • Außerdem konnte in allen vier Korpora mindestens eine Kollokation ermittelt werden, bei der sich eine habere-Form mit dem Partizip eines Verbs zusammensetzt, das aufgrund seiner Bedeutung klaren Aufschluss über die Agensidentität gibt, da es andernfalls einen gegensätzlichen Sinn ergeben würde. Dies betrifft insbesondere Verben, die einen Besitzwechsel beinhalten, wie beispielsweise dare oder donare. Durch den konkreten Ausdruck des Weggebens ist es nicht mehr möglich, habere in seiner Bedeutung ‚ haben, besitzen ‘ zu verstehen, sodass es in diesen Fällen bereits semantisch ausgeblichen sein muss und die Konstruktionen als temporale Ausdrücke zu verstehen sind. Das bestätigt die Annahme von Tara (2014), der im Korpus seiner Untersuchung keine Konstruktion mit dare ermitteln konnte. • Zuletzt erscheinen in allen Korpora Zusammensetzungen von Partizipien mit passiven Formen von habere. Diese können zweideutig analysiert werden: zum einen als passiver Ausdruck, bei dem habere im Sinne von ‚ halten ‘ verstanden wird, zum anderen als neue analytische Passivform, in der habere als Ersatz für die klassische Konstruktion des Perfekt Passivs mit esse gedeutet werden kann. Neben den Analysen zu einzelnen Konstruktionen und ihrem Grammatikalisierungsgrad lassen sich Besonderheiten zu den Ergebnissen einzelner Korpora festhalten. Wenngleich in allen vier untersuchten Korpora Konstruktionen von habere mit einem Partizip Perfekt Passiv in sämtlichen Entwicklungsstadien ermittelt werden konnten, so treten einige Erscheinungen in einem oder mehreren Korpora gehäuft auf, wohingegen sie in anderen Korpora seltener, kaum oder sogar gar nicht erfasst werden konnten. Das wirft insbesondere die eingangs gestellte Frage auf, ob sich gewisse Entwicklungen über bestimmte Diskurstraditionen ausgebreitet haben könnten. Zu den Urkundenkorpora kann dazu ein regionaler (ganz Frankreich vs. Burgund) und überregionaler Vergleich (Frankreich/ Burgund vs. Lombardei) gezogen werden. Dazu können folgende Aspekte festgehalten werden: • In den Urkunden aus Frankreich und in den burgundischen Urkunden bestehen nahezu die Hälfte aller ermittelten Konstruktionen mit einer passiven Form von habere. Auch wenn aufgrund der Verschiedenheit der Verben und der habere-Formen nicht auf eine gängige Formel geschlossen werden kann, so lässt sich dennoch vermuten, dass diese Zusammensetzungen entweder in der Urkundensprache oder sogar in der Alltagssprache, 166 7 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick <?page no="167"?> aus der sie entlehnt worden sein könnten, in den französischen Regionen gebräuchlich waren. Für den norditalienischen Raum lässt sich dies hingegen nicht behaupten. In den langobardischen Urkunden konnten lediglich drei Zusammensetzungen mit passiven habere-Formen entdeckt werden, was nicht für eine weite Verbreitung spricht. Gleiches gilt für die Predigten, in denen ebenfalls nur wenige solcher Konstruktionen zu finden sind. • Im Korpus der Urkunden aus der Lombardei konnte eine Vielzahl an Kollokationen von habere mit den Partizipien auditum und visum ermittelt werden. Diesen Zusammensetzungen kann ein fortgeschrittener Grammatikalisierungsgrad zugeschrieben werden. Das Vorkommen dieser Kollokationen beschränkt sich auf nur 13 Dokumente, doch es lässt sich auf Textstellen zurückführen, die als Zeugenaussagen gekennzeichnet sind. Dies ist von besonderer Bedeutung, da es einen Rückschluss auf die gesprochene Sprache zulässt, die als Ursprung für Neuerungen in der Sprache gilt. Diese Textstellen könnten einerseits als Beleg dienen, dass sich die PPP-Konstruktionen mit habere in der Nähesprache bereits etabliert haben. Möglich wäre andererseits, dass es sich um gängige Formulierungen in Zeugenaussagen handelt. In den beiden anderen Urkundenkorpora erscheinen keine Belege für Zeugenaussagen und nur eine einzige Zusammensetzung mit auditum. Auch das Predigtenkorpus enthält nur eine Kollokation, obwohl die Sprache der Predigten sich oftmals an einem nähesprachlichen Stil orientiert. Dies wiederum würde die obige Annahme, es handele sich um einen nähesprachlichen Ausdruck, nicht zusätzlich bestätigen. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass nicht sämtliche nähesprachlichen Elemente Einzug in die Predigten erhalten haben oder dass gewisse sprachliche Besonderheiten regional bedingt sind. • Bei der Untersuchung des Predigtenkorpus fallen besonders die zahlreichen Zusammensetzungen mit peccatum auf. Auch wenn in vielen Fällen nicht sicher geklärt werden kann, ob peccatum als Substantiv oder als PPP von peccare gebraucht wurde, lässt das häufige Vorkommen neben ähnlichen Konstruktionen einen verbreiteten Gebrauch der Konstruktion vermuten. Zudem werden in verschiedenen Schriften Textstellen aus der Bibel zitiert, die zum Teil im Originaltext keine habere-Konstruktion beinhalten. Dieser Aspekt sowie die häufig auftretenden Zusammensetzungen in diesen teilweise vielfach bekannten Predigten könnten einerseits das Vorkommen in der Nähesprache belegen und andererseits zur Verbreitung beigetragen haben. Zusammensetzungen mit peccatum oder Zitate aus der Bibel erscheinen in den drei Urkundenkorpora nicht, was nicht überraschend wirkt. 7.1 habere + PPP 167 <?page no="168"?> 7.2 habere + Infinitiv Die Infinitivkonstruktionen wurden ebenfalls in allen vier Korpora in Kategorien aufgeteilt sowie auf ihren Entwicklungsstand hin analysiert und mögliche Besonderheiten wurden hervorgehoben. Folgende Punkte können allgemein festgehalten werden: • In der Untersuchung der Infinitivkonstruktion konnten einige Zusammensetzungen ermittelt werden, in denen die habere-Form zusammen mit einem Akkusativobjekt eine übergeordnete Konstruktion bildet, von der der Infinitiv abhängig ist. Diese Kollokation kann demnach noch klassisch eingestuft werden, da Infinitiv und Prädikat noch keine engere Verbindung eingehen. Ein Großteil der Zusammensetzungen bestand mit dem Substantiv potestas und war fast ausschließlich im Predigtenkorpus zu finden. In den Urkundenkorpora konnte lediglich eine Konstruktion ermittelt werden. • Des Weiteren erscheint eine Vielzahl an Kollokationen, in denen der Infinitiv und die Wortform von habere entweder keine engere syntaktische Verbindung eingehen und/ oder der Infinitiv dem Prädikat noch nachgestellt ist. Sie kann dadurch bisher keinen direkten Vorläufer der verschmolzenen synthetischen Futurform der romanischen Sprachen darstellen, für die die Voranstellung des Infinitivs essenziell ist. Dennoch kann der Infinitiv in diesen Konstruktionen nicht mehr ausgelassen werden, da der Fokus der Bedeutung bereits auf diesem liegt. Die Kollokation kann im Sinne einer Obligation/ Notwendigkeit oder Fähigkeit/ Möglichkeit verstanden werden. • Einige Kollokationen konnten einer fortgeschritteneren Entwicklungsstufe zugeordnet werden, bei der bereits eine syntaktische Reanalyse vollzogen und der Infinitiv dem Prädikat direkt vorangestellt ist. Von der Bedeutung her lässt sich immer noch kein futurischer Sinn feststellen, sondern ebenfalls ein obligativer Sinn. Dieser Kategorie können in den meisten Korpora deutlich weniger Kollokationen zugeteilt werden als der vorherigen, mit Ausnahme der Infinitivkonstruktionen in den langobardischen Urkunden. Dort können mehr als zwei Drittel der Kollokationen mit einem Infinitiv in dieses Entwicklungsstadium eingeordnet werden. • Außerdem wurde eine Kategorie gebildet, die nicht in der Entwicklung fortgeschrittener ist als die vorherige, sondern die eine andere Besonderheit aufweist. In wenigen Textstellen setzen sich Infinitive mit Futurformen von habere zusammen. Die Konstruktion an sich lässt sich in diesen Fällen nicht als futurisch bezeichnen, der futurische Sinn wird aber durch das Tempus des Prädikats ausgedrückt. 168 7 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick <?page no="169"?> • Zuletzt konnte ein einzelnes Textbeispiel ermittelt werden, in dem sich ein Infinitiv mit einer passiven habere-Form zusammensetzt. Die Verbreitung einer solchen Verwendung lässt sich durch diese Untersuchung und anhand der Literatur nicht bestätigen. Möglicherweise stellt dies eine Parallele zu den Konstruktionen mit passiven Infinitiven dar, die teilweise vorkommen. Im Anschluss wird der Blick wiederum auf die Besonderheiten einzelner Korpora oder einer Diskurstradition geworfen. Wie es in den allgemeinen Beobachtungen bereits angeklungen ist, sind manche Vorkommnisse nicht in allen Korpora vorhanden. Dies könnte einen Hinweis auf die mögliche Verbreitung innerhalb einer bestimmten Region (Frankreich/ Burgund vs. Lombardei) oder einer Diskurstradition (Urkunden vs. Predigten) sein. Folgende Punkte können diesbezüglich hervorgehoben werden: • Die Zusammensetzungen aus potestatem habere + Infinitiv kommen ausschließlich im Predigtenkorpus vor, auch wenn eine ähnliche Konstruktion mit vim in den langobardischen Urkunden ermittelt werden konnte. Sie sind zum Teil auf Bibelzitate zurückzuführen. Auch einige andere Kollokationen verschiedener Entwicklungsstadien lassen sich mit Textstellen in der Bibel in Zusammenhang bringen und werden teilweise als Zitate gekennzeichnet. Der gehäufte Gebrauch einfach formulierter Ausdrücke aus einer Schrift, der zur damaligen Zeit große Bedeutung zugeteilt wurde, lässt darauf schließen, dass diese durchaus einen Beitrag zur Ausbreitung geleistet haben könnten. Ein einziger Beleg konnte ermittelt werden, in dem ein an eine Bibeltextstelle angelehnter Ausdruck in einer Urkunde aus Frankreich erscheint. Da der heutige Bestand an Originalurkunden oftmals einen „ klerikalen Zuschnitt “ (Goetz 2014: 110) hat, wie eingangs erwähnt wurde, ist anzunehmen, dass die Aussteller dieser Dokumente mit gängigen Ausdrücken aus klerikalen Schriften vertraut waren. Wenngleich dieser eine Fall sicherlich kein eindeutiger Beleg für die Ausbreitung von Diskurstradition zu Diskurstradition sein kann, zeigt er dennoch, dass gewisse Wendungen übernommen und auf andere Bereiche übertragen worden sein können. • Anhand der geringen Anzahl an Infinitivkonstruktionen mit habere in den französischen und burgundischen Urkunden lässt sich diesbezüglich nur festhalten, dass diese entweder in der Urkundensprache in den französischen Regionen oder generell in der dortigen Sprache nicht gehäuft vertreten waren. • Die Kollokationen von habere mit einem Infinitiv in den Urkunden aus der Lombardei zeigen hingegen ein ganz anderes Bild. Diese erscheinen zahlreich in vielen verschiedenen Urkunden und sind teilweise formelhaft verwendet. Dadurch lässt dieser Umstand die Schlussfolgerung zu, dass die Zusammen- 7.2 habere + Infinitiv 169 <?page no="170"?> setzungen aus habere und einem Infinitiv zumindest in den Urkunden in Norditalien gebräuchlich waren. Möglicherweise ist, wie bei den Urkunden aus Frankreich und Burgund, daraus abzuleiten, dass sich der Gebrauch der Konstruktionen bereits in der Nähesprache dieser Region durchgesetzt hat. Das lässt sich allerdings nicht sicher durch diese Untersuchung bestätigen. 7.3 Abschließendes Fazit und Ausblick Nach dieser Untersuchung kann abschließend festgehalten werden, dass insbesondere unbekanntere lateinische Dokumente, wie beispielsweise die Urkunden oder weniger verbreitete Predigttexte, neue Ergebnisse hinsichtlich des Auxiliarisierungsprozesses von habere oder vieler anderer Entwicklungen bringen können, die anhand der bereits mehrfach analysierten Textstellen nicht feststellbar sind. Tara (2014) konnte in dem von ihm untersuchten Korpus bekannterer lateinischer Texte keine vollständige Grammatikalisierung von habere im Lateinischen nachweisen. Diese Behauptung trifft auf das in dieser Arbeit untersuchte Korpus nicht zu. Allerdings kann sie nur hinsichtlich der Konstruktionen mit einem Partizip Perfekt Passiv aufgestellt werden. Die Konstruktionen mit einem Infinitiv sind alle nur als Vorläufer des späteren romanischen Futurs zu betrachten. Da sich dieses synthetisch präsentiert, als Verschmelzung aus Infinitiv + habere, kann möglicherweise keine vollständige Grammatikalisierung in der lateinischen periphrastischen Zusammensetzung angenommen werden. Nicht gänzlich auszuschließen ist allerdings, dass sich, z. B. in den Urkundentexten, bereits miteinander verschmolzene Formen entdecken lassen. Zur Feststellung dieser Möglichkeit wäre aber eine umfangreiche Untersuchung notwendig. Auch wenn es sich somit nur um wenige Textstellen handelt, die als grammatikalisiert bezeichnet werden können, kann dieser Befund dennoch als Grundlage weiterer Forschungen dienen. Zur Ausbreitung der Kollokationen mit habere und einem PPP oder Infinitiv lässt sich festhalten, dass sich über die Urkunden einerseits teilweise formelhafte Wendungen verbreitet haben könnten, die möglicherweise Eingang in die Nähesprache gefunden haben. Andererseits könnten insbesondere die schriftlich festgehaltenen Zeugenaussagen aus der Lombardei einen Beleg für den gängigen Gebrauch der neuen periphrastischen Perfektkonstruktionen in der Nähesprache darstellen (z. B. auditum habeo). Vor allem in den langobardischen Urkunden können zahlreiche ähnlich verwendete Formulierungen ermittelt werden, sowohl hinsichtlich der PPPals auch der Infinitivkonstruktionen, während diese Entdeckung in den Urkunden aus Frankreich und Burgund nicht derart deutlich festzustellen ist. Dieser Aspekt könnte auf regionale Unter- 170 7 Zusammenfassung der Analyseergebnisse und Ausblick <?page no="171"?> schiede der Ausbreitung der neuen habere-Konstruktionen hinweisen. Dazu müssten weitere Diskurstraditionen einer Region mit Schriften aus dem 8. bis 12. Jahrhundert untersucht werden, sofern diese vorhanden und zugänglich sind. Das Predigtenkorpus hingegen enthält viele Zusammensetzungen aus habere und einem PPP oder einem Infinitiv, die aus der Bibel stammen oder auf Bibeltextstellen zurückzuführen sind. Insbesondere die Kollokationen mit peccatum oder dicere häufen sich. Aufgrund der Annahme, dass in Predigten oftmals ein einfacher Stil verwendet wurde, könnte dies einerseits Aufschluss darüber geben, dass diese Konstruktionen einen Beleg für den Gebrauch in der Nähesprache sind. Andererseits könnte angenommen werden, dass sich diese Kollokationen aufgrund ihres Gebrauchs in Ansprachen, die an die Bevölkerung gerichtet sein sollten, in der Nähesprache verbreitet haben könnten. Der Fund einer ähnlichen Textstelle im Korpus der französischen Urkunden unterstützt diese Vermutung. Insgesamt zeigt diese korpuslinguistische Untersuchung, dass die Forschung zu den Konstruktionen mit habere noch längst nicht ausgeschöpft ist und die Analyse unbekannterer lateinischer Textquellen aufzeigen kann, dass hinsichtlich der Entwicklung von habere neue Ergebnisse zu ermitteln sind. In vielen weiteren lateinischen Schriften, die bisher nicht hinsichtlich des Auxiliarisierungsprozesses untersucht wurden, könnten neue Hinweise auf die Ausbreitung und die Verwendung zu entdecken sein. In Diskurstraditionen wie den Urkunden können außerdem bezüglich anderer Entwicklungen im Spätlatein Beobachtungen zum Sprachwandel vom Lateinischen zum Romanischen gemacht werden. Die Berücksichtigung dieser weniger untersuchten Textquellen stellt eine interessante Forschungsgrundlage dar. 7.3 Abschließendes Fazit und Ausblick 171 <?page no="172"?> Literaturverzeichnis Baldinger, Kurt (1960). Die Bedeutung des Mittellateins für die Entstehung und Entwicklung der französischen Urkundensprache. 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Nachdr. 1963. Hannover: Hahnsche Buchhandlung. Zier, Mark (2000). Sermons of the twelfth century schoolmasters and canons. In: Kienzle, Beverly Mayne (Hrsg.). The Sermon. Turnhout: Brepols. 325 - 361. 180 Literaturverzeichnis <?page no="181"?> Anhang Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 1. Französische Urkunden (TELMA) gesamt PPP Infinitiv 6.054 214 27 habeo 256 3 1 habes 14 1 - habet 643 16 3 habemus 290 19 3 habetis 15 - - habent 169 4 1 habeor - - - haberis - - - habetur 146 52 - habemur - - - habemini - - - habentur 73 34 - habeam 18 1 - habeas 53 1 1 habeat 501 17 6 habeamus 51 2 - habeatis 105 - - habeant 790 21 6 habear - - - habearis - - - habeatur 243 2 - habeamur 1 - - <?page no="182"?> gesamt PPP Infinitiv habeamini 1 - - habeantur 37 - - habebam 98 1 1 habebas 3 - - habebat 597 3 2 habebamus 56 3 - habebatis - - - habebant 278 8 - habebar - - - habebaris - - - habebatur 21 4 - habebamur - - - habebamini - - - habebantur 17 - - haberem 9 - - haberes - - - haberet 150 5 - haberemus 27 - - haberetis 1 - - haberent 107 4 - haberer - - - habereris - - - haberetur 60 2 - haberemur 1 - - haberemini - - - haberentur 7 1 - habui 38 - - habuisti - - - habuit 353 1 - habuimus 57 - - habuistis 2 - - 182 Anhang <?page no="183"?> gesamt PPP Infinitiv habuerunt 113 1 - habitus sum - - - habitus es - - - habitus est 7 - - habiti sumus - - - habiti estis - - - habiti sunt 3 - - habuerim/ - o 37 1 - habueris 3 - - habuerit 97 6 1 habuerimus 10 - - habueritis 1 - - habuerint 61 - 1 habitus sim - - - habitus sis - - - habitus sit - - - habiti simus - - - habiti sitis - - - habiti sint - - - habueram 10 - - habueras - - - habuerat 73 1 - habueramus 5 - - habueratis - - - habuerant 46 - - habitus eram - - - habitus eras - - - habitus erat - - - habiti eramus - - - habiti eratis - - - habiti erant - - - Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 183 <?page no="184"?> gesamt PPP Infinitiv habuissem - - - habuisses - - - habuisset 18 - - habuissemus 2 - - habuissetis - - - habuissent 31 - - habitus essem - - - habitus esses - - - habitus esset - - - habiti essemus - - - habiti essetis - - - habiti essent - - - habebo 6 - - habebis 10 - - habebit 110 - - habebimus 28 - - habebitis 2 - - habebunt 85 - - habebor - - - habeberis - - - habebitur 3 - - habebimur - - - habebimini - - - habebuntur 5 - - 184 Anhang <?page no="185"?> 2. Burgundische Urkunden (CBMA) gesamt PPP Infinitiv 10.997 171 25 habeo 607 11 1 habes 20 - - habet 2.229 9 6 habemus 516 6 2 habetis 181 1 - habent 576 6 3 habeor - - - haberis 1 - - habetur 124 28 - habemur - - - habemini - - - habentur 51 14 1 habeam 104 2 - habeas 57 2 - habeat 540 8 4 habeamus 157 2 - habeatis 136 7 - habeant 647 8 2 habear - - - habearis 1 - - habeatur 384 20 - habeamur - - - habeamini - - - habeantur 40 5 - habebam 272 - - habebas 1 - - habebat 1.196 3 - Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 185 <?page no="186"?> gesamt PPP Infinitiv habebamus 196 1 - habebatis 4 1 - habebant 654 3 - habebar - - - habebaris - - - habebatur 27 4 - habebamur - - - habebamini - - - habebantur 7 - - haberem 15 - - haberes 2 - - haberet 165 3 - haberemus 29 - - haberetis 1 - - haberent 146 5 - haberer 1 1 - habereris - - - haberetur 56 4 - haberemur - - - haberemini - - - haberentur 6 1 - habui 132 1 - habuisti 1 - - habuit 373 2 - habuimus 103 - - habuistis 19 - - habuerunt 172 2 1 habitus sum - - - habitus es - - - habitus est 9 - - habiti sumus - - - 186 Anhang <?page no="187"?> gesamt PPP Infinitiv habiti estis - - - habiti sunt 3 - - habuerim/ - o 20 2 1 habueris 3 - - habuerit 130 3 - habuerimus 7 - - habueritis - - - habuerint 71 - 1 habitus sim - - - habitus sis - - - habitus sit - - - habiti simus - - - habiti sitis - - - habiti sint - - - habueram 8 - - habueras - - - habuerat 57 - - habueramus 7 - - habueratis - - - habuerant 50 - - habitus eram - - - habitus eras - - - habitus erat 2 - - habiti eramus - - - habiti eratis - - - habiti erant 1 - - habuissem 1 - - habuisses - - - habuisset 19 2 - habuissemus 2 - - habuissetis 2 - - Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 187 <?page no="188"?> gesamt PPP Infinitiv habuissent 13 - - habitus essem - - - habitus esses - - - habitus esset 5 - - habiti essemus - - - habiti essetis - - - habiti essent - - - habebo 29 - - habebis 3 - - habebit 294 2 2 habebimus 77 1 - habebitis 3 - - habebunt 222 1 1 habebor - - - habeberis - - - habebitur 9 - - habebimur - - - habebimini - - - habebuntur - - - 3. Langobardische Urkunden (CDL) gesamt PPP Infinitiv 5.430 330 961 habeo 199 90 6 habes 7 1 - habet 1.434 65 456 habemus 96 8 10 habetis 23 - - habent 865 75 457 188 Anhang <?page no="189"?> gesamt PPP Infinitiv habeor - - - haberis - - - habetur 10 2 - habemur - - - habemini - - - habentur - - - habeam 13 2 - habeas 5 - - habeat 647 16 5 habeamus 46 2 - habeatis 11 1 - habeant 711 15 21 habear - - - habearis - - - habeatur 25 1 - habeamur - - - habeamini - - - habeantur 3 - - habebam 3 - - habebas - - - habebat 398 2 - habebamus 7 - - habebatis - - - habebant 188 3 1 habebar - - - habebaris - - - habebatur 1 - - habebamur - - - habebamini - - - habebantur 1 - - Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 189 <?page no="190"?> gesamt PPP Infinitiv haberem 4 - - haberes 1 - - haberet 91 4 1 haberemus 1 - - haberetis - - - haberent 45 1 1 haberer - - - habereris - - - haberetur 2 - - haberemur - - - haberemini - - - haberentur - - - habui 6 - - habuisti - - - habuit 148 5 - habuimus 8 - - habuistis - - - habuerunt 70 - - habitus sum - - - habitus es - - - habitus est 2 - - habiti sumus - - - habiti estis - - - habiti sunt - - - habuerim/ -o 4 1 - habueris 2 - - habuerit 158 21 2 habuerimus 6 2 - habueritis 1 - - habuerint 92 8 - 190 Anhang <?page no="191"?> gesamt PPP Infinitiv habitus sim - - - habitus sis - - - habitus sit 1 - - habiti simus - - - habiti sitis - - - habiti sint - - - habueram - - - habueras - - - habuerat 14 - 1 habueramus - - - habueratis - - - habuerant 6 1 - habitus eram - - - habitus eras - - - habitus erat - - - habiti eramus - - - habiti eratis - - - habiti erant - - - habuissem 6 - - habuisses - - - habuisset 9 - - habuissemus - - - habuissetis - - - habuissent 14 1 - habitus essem - - - habitus esses - - - habitus esset - - - habiti essemus - - - habiti essetis - - - habiti essent - - - Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 191 <?page no="192"?> gesamt PPP Infinitiv habebo 1 - - habebis 1 - - habebit 25 3 - habebimus - - - habebitis - - - habebunt 19 - - habebor - - - habeberis - - - habebitur - - - habebimur - - - habebimini - - - habebuntur - - - 4. Predigten (eHumanities Desktop) gesamt PPP Infinitiv 20.587 566 508 habeo 662 14 86 habes 1.375 55 16 habet 6.063 93 169 habemus 1.367 92 18 habetis 556 16 7 habent 2.258 34 85 habeor - - - haberis 2 - - habetur 339 10 - habemur 4 - - habemini - - - habentur 114 2 - 192 Anhang <?page no="193"?> gesamt PPP Infinitiv habeam 156 3 1 habeas 172 5 3 habeat 1.101 31 24 habeamus 412 13 5 habeatis 120 1 1 habeant 422 5 13 habear 1 - - habearis 1 - - habeatur 114 3 - habeamur 4 - - habeamini 9 - - habeantur 42 - - habebam 20 - 3 habebas 39 - - habebat 1.019 51 21 habebamus 16 - - habebatis 5 - - habebant 384 22 7 habebar - - - habebaris 2 - - habebatur 34 2 - habebamur - - - habebamini - - - habebantur 17 - - haberem 19 2 1 haberes 72 - 2 haberet 569 13 9 haberemus 33 - - haberetis 16 3 - haberent 218 30 1 Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 193 <?page no="194"?> gesamt PPP Infinitiv haberer - - - habereris - - - haberetur 48 1 - haberemur 2 - - haberemini - - - haberentur 11 - - habui 77 3 - habuisti 46 - - habuit 1.445 40 21 habuimus 101 3 1 habuistis 33 2 - habuerunt 312 3 1 habitus sum - - - habitus es - - - habitus est 31 - - habiti sumus - - - habiti estis 1 - - habiti sunt 52 - - habuerim/ -o 66 - - habueris 44 - - habuerit 245 6 - habuerimus 21 - - habueritis 74 - - habuerint 56 - - habitus sim - - - habitus sis - - - habitus sit 13 - - habiti simus - - - habiti sitis - - - habiti sint 1 - - 194 Anhang <?page no="195"?> gesamt PPP Infinitiv habueram - - - habueras 5 - - habuerat 50 - - habueramus 1 - - habueratis - - - habuerant 11 - - habitus eram - - - habitus eras - - - habitus erat - - - habiti eramus - - - habiti eratis - - - habiti erant 3 - - habuissem 2 - - habuisses 4 - - habuisset 50 1 - habuissemus - - - habuissetis 2 - - habuissent 14 1 1 habitus essem - - - habitus esses - - - habitus esset - - - habiti essemus - - - habiti essetis - - - habiti essent 1 - - habebo 19 - - habebis 235 1 1 habebit 375 2 6 habebimus 68 - - habebitis 144 2 2 habebunt 140 - 3 Ergebnisse der Häufigkeiten von habere 195 <?page no="196"?> gesamt PPP Infinitiv habebor - - - habeberis 1 - - habebitur 10 1 - habebimur - - - habebimini - - - habebuntur 6 - - 196 Anhang <?page no="197"?> Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP accipere - acceptum habeo 131 f. - acceptum habet 132 - habent acceptam 68, 89 - habet acceptam 68, 89 acquirere - acquisitam habuerit 119 - acquisitatam habuerit 119 - acquisitum habuerit 119 - adquisitas habetis 104 f. - aquisitam habet 89 - haberet adquisitam 88, 105 - habet adquisitum 119 adimplere - adimpletum habuerit 119 - habemus adimpletum 130 adipisci, habeamus adeptum 133 advocare, habeat advocatos 130 aedificare - aedificatum habemus 69, 85 - edificatam habeas 101 - edificatam habeatis 101 - edificatum abeas 101 - edificatum abet 69, 85, 101 - habeant ӕ dificatam 101 - habeat edificata 101 - habent hedificata 116 aggravare, aggravatas habent 130 agitare, habet acatatum 115 annotare - annotata habentur 97, 111 - habetur adnotatum 111 annullare, annullata et subtracta habebatur 97 aperire - apertos habeamus 115 - apertos habebant 104 - apertos habebatis 102 - apertos habet 126, 133 assignare - assignata habetis 131 - habet assignatum 85 assumere, habet assumptum 133 audire - auditum habent 107 - auditum habeo 120 f., 170 - auditum habet 133 - auditum habetis 133 caelare, caelatas habent 130 calceare, calceatos habet 130 cavere, cautum habetur 136 circumdare, circumdatum abemus 95 claudere, clausum habet 115 coadunare, coadunatam habebant 85 cognoscere - cognita abebant 92 - cognitum habebatur 99, 111 - cognitum habemus 99, 106 f. - cognitum haberetur 99, 111 - habetur cognitum 82, 97 coinquinare, coinquinatus habetur 136 colligere, habebatur collectum 136 commemorare, commemoratum habeo 107 commendare - commendata habemus 85 - commendatum habebit 101 - commendatum habeo 101 - haberet commendatos 101 committere - commissas habeo 115 - commissum habemus 101 comparare, habet comperatam 119 comperire - compertum habeatur 136 <?page no="198"?> - compertum habemus 82, 92 - conpertum habemus 82, 92 compingere, compactos habebat 130 complantare, abemus complantatos 85 complere, completum abuerit 115 concedere - concessas habeant 107 - concessas habeat 107 - concessas habemus 92, 107 - concessum habeat 92 - concessum habet et confirmatum 108 - concessum habuit 92 - habeant concessam 108 - habeant concessum 92 - habeant concessum atque indultum 92 - habeat concessum 92 - habetur concessum 97 - habiant concessum 92 - habiat concessa adque indulta 92 - habiat concessum adque indultum 92 - habirent concessum 92 - habirit concessum adque indultum 92 - indultum atque concessum habeat 92 condere - condita habentur 97 - conditus habetur 97 conducere, conductum habent 119 conferre - collatum habemus 130 - conlatam habebamus 110 - conlatum habebant 85 confirmare - confirmatas habet 115 - confirmatas habuisset 108 - habeant confirmatum … evindicatum 82 congerere, habes congestam 130 congregare, aberet congregatos 85 conquirere - conquistatum abemus 115 - conquistatum abes 115 conscribere - conscriptas habeant 85 - conscriptum habebant 85 - habetur conscripta 97 - habetur conscriptum 97 consecrare - consecrata habetur 111 - consecratam abuero 115 - consecratas habet 130 - fundata et consecrata habetur 97 - habetur consecrata 97 consignare, habetur consignatum 111 constituere - constitutum habeat 130 - constitutum habemus 92 - habuit constitutum 115 construere - constructa habetur 97, 111 - constructam haberet 85, 101 - constructum habent 100 - constructus habetur 97 - habentur … construct ę 97 - habet constructam 85 - habet constructos 130 consuere, consutum habuerit 130 contexere, habeat contextam 130 cooperire - habet coopertum 130 - refectas et cohopertas habuerit 116 copulare, copulatam habemus 85 corrigere, correctum habuit 130 corripere, correptam habet 104 corroborare - concessum et corroboratum habetur 123 - corroborata habeantur 111 - corroborata haberentur 111 dare - datam habebamus 95 - datas habebamus 95 - datos et solutos habuerint 119 - datum abebat 95 - datum abes 95 198 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP <?page no="199"?> - datum abuerit 110 - datum et commutatum et receptum habent 119 - datum vel scriptum habeat 119 - habebat datum 110 - habemus datas 95 - haberem datam 134 - habet datos 95, 122 - habet datos vel datas 95 dedicare - dedicatum haberent 85 - dedicatum habetur 111 - habeant dedicatam 101 deducere, habebatur deducta 136 defendere, defense habentur 111 definire, definitum habetur 111 delegare - delegatas habeo 108 f. - habeat delegatum 130 deliberare, deliberatum haberent 134 deminuere, deminutam habebant 101 denominare - denominatum habeo 108 - habet denominatas 130 deprimere, depressa haberent 130 deputare - deputatas habebant 85 - deputatas habent 85 - deputate habentur 111 describere - descripta habentur 97 - descriptum habetur 97, 111 - habetur descriptum 137 desiderare, desideratam haberet 134 designare - designatas habeo 119 - designatum habemus 92 - designatum habet 119 despicere, habebant despectos 131 destruere, dirutus ac destructus habebatur 111 detinere - habent detentum 113 f. - habent detentum et usatum 113 - habet detentum 114 dicare - dicata … habetur 97 - dicata habetur 97 dicere - abuit dictum 121 - dictum habeo 121 - dictum habet 121 - habuissent dictum 121 disbrigare, habebit disbrigatam 115 dispergere, habebant dispersas 85 dissipare, habent dissipatas 110 dissuadere, dissuasatum habent 121 dissuere, habebit dissuta 130 distorquere, habent distortum 130 dividere - habent divisam 113, 115 - habent divisas 115 - habent divisum 130 donare, habebat donatam 92 - 94 duplicare, duplicatam habebimus 101 edere - editam habemus 130 - editum habeamus 130 effundere, habet ( … ) effusum 130 eligere - ellectos habent 115 - habeat electam 115 emendare - emendata habeant 130 - emendata haberetur 97 - emendatum … habuerit 85 - emendatum abuerimus 119 - emendatum habeam 85, 101 - emendatum habuerit 85 - emendatum habuero 85, 101 emere - empta habebant 89 - emptam habet 116 f., 119 - habebit emptum 119 - habeo emptum 116, 118 f. Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP 199 <?page no="200"?> - habet emptam 119 - habet emptas 119 evindicare - abiat evindecata 82, 89 - habeant confirmatum vel evindicatum 92 - habeant evindecatas … elidegatas 82 - habeant evindecatas atque elidegatas 89 - habeant evindegatas … elidegatas 82 - habeant evindegatas atque elidegatas 89 - habeant evindicatas … elidicatas 82 - habeant evindicatas atque elidicatas 89 - habiant aevindecatum … aelidiatum 82 - habiant aevindecatum adquae aelidiatum 90 - habiant evindecata … elidiata 82 - habiant evindecata adque elidiata 90 - habiant evindecatas 82, 89 - habiant evindecatum … elidiatum 82 - habiant evindecatum adque elidiatum 90 - habiant evindegatas 82, 89 - habiat evendecatum … elidiatum 82 - habiat evendecatum adque elidiatum 89 - habiat evindecatum 82, 89 - habiat evindecatum … elidiatum 82 - habiat evindecatum … helitiatum 82 - habiat evindecatum adque elidiatum 89 - habiat evindecatum adque helitiatum 89 - habiat evindegatas … elidigatas 82 - habiat evindegatas adque elidigatas 90 - habiat evindicatas … elidiatas 82 - habiat evindicatas adque elidiatas 90 exagere, exactam habemus 133 exarare, exaratum habetur 97, 111 excambiare, habemus excambiatam 85 excommunicare - excommunicati habeantur 111 - excommunicatus habeatur 111 - excommunicatus haberetur 97 excusare - excusata habeatur 136 - excusatam habeatis 104 - excusatum habeo 134 - habeat excusatos 104 - habeatis … excusatam 104 - habeatis excusatam 104 - habeatis excusatos 104 - habeatis excusatum 104 eximere, habeatur exemptus 111 explere, habeant expletum 116 explorare - exploratum habemus 134 - exploratum haberent 85 exprimere, habetur expressum 97 exstinguere, habetur exstinctus 136 facere - abeo factum 90 - factas abemus 90 - factas habebant 123 - factas habeo 108, 110 - factum habeat 90, 125 - factum habeatur 125 - factum habemus 110 - factum habuerit 90 - habebamus factam 90 - habebat factum 110 - habebat factum et laudatum 110 - habet factum 90 fatigare, habeam fatigatos 133 figere, habetur fixus 136 firmare, firmatam habeant 110 frangere, habet fractam 130 fundare, habetur fundatum 97, 111 glorificare, glorificatum habebat 133 humare 200 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP <?page no="201"?> - habetur humatum 97 - humata habeantur 111 illuminare, illuminatum habes 130 illustrare, illustratum habemus 130 impedire, haberet impeditam vel invasatam 116 implicare, implicitam habuit 104 incartare - abeamus incartatum 102 - incartatas habeo 101 - incartatum abemus 102 - incartatum abeo 101 - incartatum abet 102 - incartatum habet 101 - incartatum habui 101 incidere, habent incisos 130 includere, inclausus habetur 97 incognoscere - habetur incognitum 82, 97, 136 - incognitum habemus 90, 92, 107 indere, inditum habebatur 97 indulgere - haberent indultas 95 - indultam haberent 98, 110 infigere, infixum haberent 102 infundere, infusum habebant 130 inserere - abetur insertus 97 - habebatur insertum 111 - habentur inserta 97, 111 - habetur inserta 97 - habetur insertum 111 - inserta habeantur 111 - inserta habentur 97, 111 - inserte habentur 111 - insertum abet 95 - insertum habetur 97, 111 intendere, intentam habuit 130 inungere, inunctam habet 130 invenire, habet inventum 133 involvere, involutam habet 130 irridere, habetur irrisus 136 iurare - iuratum abebant 95 - juratas tibi abet 95 - juratum habebant 95 - juratum habuerit 95 laborare, habet laboratum 123 lavare, lotas habebat 130 levare, habet levatum 119 liberare, habet liberatum 130 ligare, ligatus habebitur 137 mandare, mandatam haberet 133 mundiare, habuerit mundiatam 119 munire, munita habeatur 111 nominare, habebam nominatos 85 noscere - notum … habeatur 111 - notum habeatur 98, 111 - notum haberetur 98 f., 111 notare, notatam habet 130 numerare, numeratos habet 130 obligare, habebant obligatam 102 obturare, obturatum habent 130 occidere, habes occisum 130 occolere, habetur occulta 137 offerre, oblatum habebunt 102 opponere, habetur opposita 137 ordinare, ordinatas habuit 130 ostendere, habetis ostensum 133 parare - habent paratam 102 - habet paratas 102 - paratam habeat 102 - paratos haberent 102 - paratum habuerunt 102 peccare - habet peccatum 127 - habuerunt peccatum 127 - habuit peccatum 127 - peccatum habemus 125 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP 201 <?page no="202"?> percognoscere, habetur percognitum 82, 97 perdere - habuerunt perditas 102 - perditam habent 102 - perditam haberent 102 pignorare, habent pignoratos 119 placare - placatos habebit 130 - placatum habeant 102 - placatum habeat 102 plantare, habebat plantatam 128 plicare, plicatum habes 130 polluere, habuit pollutum 130 ponere - habentur posita 97, 111 - habentur positi 97 - habes posita 126 - habet positos 116 praecingere, praecinctos habeat 126 praescribere, prescriptum habetur 97 praestare, prestitos habeo 119 praetitulare, pretitulatum habetur 97 probare, probatum abeo 92 producere, habeant productam 102 promere, promptas habet 131 promittere, promissum habes 131 purgare, purgatum habent 131 recipere - habet receptos 105 - receptum habeant 85 recommendare, recommendatos habeamus 102 recondere - habimus recondetas 87 - recondita habentur 137 - reconditum habetur 97 recuperare, recuperatum habeas 90 reddere, habuero redditos 110 redimere, redemptum habuisset 105 refutare, refutatas habent 120 reponere, habet repositum 104 repromittere, repromisum abuit 108 reservare - habebant reservatum 116 - reservatam abeammus 85, 87, 96, 103 - reservatam abeamus 87 respondere - responsum habet 134 - responsum habuerunt 95 restaurare - habeat restauratum 85 - restauratum habeatur 97 retinere, retentum habeo 87 sacrare, habetur sacrata 111 saginare, saginatum habuit 131 scribere - habeant scriptum 85 - habentur scripta 97 - habentur scripti 97 - habes scriptum 125 - habet scriptas 85 - habetur scriptum 97, 110 f., 137 - scripta habentur 97, 111, 137 - scripta habetur 97, 111 - scriptas abeo 116 - scriptas habemus 83 - 85 - scripti habentur 97 - scriptum habeant 85 - scriptum habebatur 97 - scriptum habemus 85 - scriptum habet 95 - 97 - scriptum habetur 95 - 97, 111 sculpere, habent sculptam 131 sepelire, habetur sepultus 97, 111 servare, habet servatam 131 sigillare - habeam sigillatas 102 - habeo sigillatum 116 signare, signata habeo 131 simulare, habent simulatum 131 sociare, habuit sotiatam 116 solidare, solidata habeantur 111 solvere 202 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP <?page no="203"?> - solutos habuerint 123 - solutum habeat 110 statuere - habebit statutam 102 - statutus habetur 97 subdere - habet subditam 102 - subditam haberet 102 - subditi haberentur 97 subicere - habeat subiectos 102 - habeatur subjecta 97 - subiecta habeatur 112 - subiectus abeatur 112 - subiectus habeatur 112 - subjectus habetur 97 subinserere, subinserti habentur 112 subnotare, subnotati habentur 112 subscribere - habentur subscripta 97 - subscripta habentur 97, 112 - subscripti … habentur 97 - subscripti habentur 97 subterscribere, subterscripta habentur 97 subtrahere, annullata et subtracta habebatur 97 suscipere, habuerit susceptam 116 suspicere - habeatis suspectos 104 - habebat suspectum 104 - habeo suspectum 104 - habetur suspectus 112 - suspectos haberent 104 - suspectos habuerit 104 - suspectum habuerit 104 - suspectus habeatur 112 - suspectus haberer 112 - suspectus haberetur 112 tegere, habent tectum 131 tendere, tensas habet 131 tinguere, habebat tinctum 131 tollere - tollectum habent 120 - tolltum haberet 90 tractare, tractatus habetur 97 tradere - traditam habebat 85 - traditum abet 85 trahere, habent tractum 105 transfigurare, habes transfiguratum 133 vendere - habent venditam 123 - habet venditas 123 - venditos habet 123 venundare - abuerat venundatas 95 - habebat venundatum 131 videre, visum habeo 114, 120 f. vincere, habeatur victus 136 vindemiare - haberet vindemiatas 116 Verzeichnis der Textstellen von habere + PPP 203 <?page no="204"?> Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv abesse, ab esse habent 163 abundare, habet abundare 160 accedere - accedere habeant 155 - habes accedere 160 accipere - accepere abuerit 138, 141 - habemus accipere 160 accusare, habet accusare 160 acquietare, disbrigare et adquietare habet 156 acquirere, abent adquistare 153 adducere, adducere habent 155 adicere - adjicere habeat 163 - habebat adjicere 160 adimplere - adimplere abent 155 - adimplere habet 155 - adinplere habent 155 - adtendere et adimplere habent 155 - adtendere et adinplere habet 155 - atendere et adimplere habet 155 - habet adtendere et adimplere 153 aditum habere, habes aliquem aditum corrigere 159 adiuvare, adiuvare habent 155 admittere, admittere habet 155 agere - abent agere 153 - abet agere 153 - agere nec causare habent 153 - agere nec causare nec contradicere habent 153 - agere nec causare nec placitare habent 155 - agere nec causare nec vuerriare nec placitare habent 155 - agere nec causare vel placitare aut guerriare habent 155 - agere nec fatigare habent 155 - agere neque causare aut placitare vel vuerrriare habet 155 - agere vel causari habet 155 - habeant agere 153 - habent agere 153 - habes agere 160 - habet agere 153 amare, amare habebit 164 amittere - amittere habuit 160 - habemus amittere 160 - habet amittere 160 appellare, habuerit appellare 153 apponere, habet apponere 160 ardere - ardere habent 163 - ardere habet 163 ascendere, habent ascendere 160 assumere, habet assumere 160 attendere - adtendere habent 155 - adtendere habet 155 - atendere habent 155 - atendere habet 155 - attendere habent 155 - attendere habet 155 - dare et attendere habent 155 - habent atendere 153 attendere et adimplere, adtendere et adimpiere habet 155 attendere et observare - adtendere et observare habent 155 - adtendere et observare habet 155 - attendere et observare habent 155 - attendere et observare habet 155 <?page no="205"?> - attendere et osservare habent 155 - habent adtendere et observare 153 - observare et adtendere habet 156 attribuere, habet attribuere 160 audire - audire habeant 163 - audire habent 163 - audire habet 163 auferre, habeant … auferre 140 augere - augeri habet 160 - habebat augeri 160 avere, habet avere 140 avocare, avocare habet 160 baptizare - habeo baptizare 160 - habeo baptizari 79, 157 bibere, habebat bibere 160 cantare, cantare habebant 160 carere, carere habetis 160 castigare, habeas castigare 140 causari, haberent causari 152 cavere, cavere habent 142 cibare, cibari habemus 163 circumferre, habebant circumferre 160 clamare, clamare habeatis 163 claudere, habeat claudere 150 cogitare, cogitare habeamus 163 cognoscere, habet cognoscere et absolvere 144 collocare, habet collocare 160 commiscere, haberet commisceri 160 commutare, habeant commutare 160 compati, habeat compati 160 componere - componere abent 155 - componere abet 155 - componere habent 155 - componere habet 155 - conponere habent 155 - habent componere 153 - habent conponere 153 - habet componere 153 concupiscere, habet concupiscere 160 conferre, habeo conferre 160 confirmare, confirmari habebat 162 confiteri, confiteri habeat 163 confortari, crescere et confortari habebat 163 confovere, confoveri habent 160 confundere, habeo confundi 160 conqueri - conqueri habeamus 163 - habeam conqueri 160 consacrare, consacrare habeo 145 conservare, habeat conservari 144 considerare, considerare habemus 142 consignare - abemus dare et consigare 153 - dare et consignare habent 155 - dare et cosignare abet 155 - habent … consignare 153 - habent consignare 153 - trahere et consignare habent 156 consummare - habent consummari 160 - habeo consummari 160 contendere, contendere habeat 142 contristare, turbari et contristari habes 163 convenire, convenire habet 163 cruciare, cruciari habebunt 164 custodire, custodire habet 155 damnare, habes damnari 160 dare - abemus dare 153 - dare abent 155 - dare habeat 155 - dare habent 153, 155 - dare habet 153, 155 - habeant dare 140 - habeas dare 160 - habebant dare 160 - habeo dare 160 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv 205 <?page no="206"?> - habet dare 153, 160 decerpere, habuit decerpsisse 160 defendere - abeo defendere 153 - defendere habent 153, 155 - defendere habet 153, 155 - deffendere habet 155 - habent … defendere 153 - habent defendere 153 - habent defendere et liberare 153 - stare et defendere habet 156 defendere et disbrigare - defendere et disbrigare habeant 156 - defendere et disbrigare habent 156 - defendere et disbrigare habet 156 - disbrigare et defendere habeat 153 defendere et guarentare - defendere et gualentare habeat 155 - defendere et gualentare habent 155 - defendere et gualentare habet 155 - defendere et guarantare habent 155 - defendere et guarentare abent 155 - defendere et guarentare abet 155 - defendere et guarentare et disbregare habeat 155 - defendere et guarentare et disbregare habent 155 - defendere et guarentare et disbrigare habeant 155 - defendere et guarentare et disbrigare habent 155 - defendere et guarentare et disbrigare habet 155 - defendere et guarentare et dispedire abent 155 - defendere et guarentare habeant 155 - defendere et guarentare habemus 155 - defendere et guarentare habent 153, 155 - defendere et guarentare habeo 155 - defendere et guarentare habet 154 f. - defendere et varentare abet 155 - defendere et varentare habet 155 - defendere et vuarentare abet 155 - defendere et vuarentare habent 155 - defendere et vuarentare habet 155 - defendere et warentare et disspiliare habent 155 - defendere habent ac guarentare 155 - defendere habent et guarentare 155 - defendere habet et guarentare 155 - deffendere et guarentare habent 155 - deffendere et guarentare habet 155 - expedire et disvasare et defendere et guarentare habet 156 - gualentare et defendere … habet 153 - guarentare et defendere habent 155 - guarentare et defendere habet 155 - habent defendere et guarentare 153 - habet defendere et guarentare 153, 155 - habet defendere et guarentare et expedire 153 defensare - defensare habent 156 - defenxare habet 156 deficere, deficere habent 163 deicere, habet dejicere atque destruere 160 delectare, habet delectare 160 delere, deleri habeant 163 deliberare, deliberare habent 156 demere, demere habemus 163 denegare, habet denegare 140 deponere, deponere habes 163 deservire, habent … deservire 144 desiderium habere - desiderium habeat dissolvi 159 - desiderium habent dissolvi et esse 159 designare - habent designare 160 - habent designare et determinare 153 - manifestare ac designare habent 156 detrahere, detrahere habeant 160 devorare, habet devorare 160 206 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv <?page no="207"?> dicere - dicere habeamus 163 - dicere habent 156, 163 - dicere habet 163 - dicere habuit 163 - dici habeat 161 - dici habent 163 - dici habuissent 163 - habebant dicere 151 - habebat dicere 161 - habemus dicere 161 - habent dicere 153 - habeo dicere 79, 140, 156, 159 - 161 - haberem dicere 161 - habet dicere 161 - habuit dicere 161 dimittere - dimittere habent 156 - dimittere habet 156 - habeamus dimittere 161 disbrigare - disbrigare abent 156 - disbrigare habent 156 - disbrigare habet 156 - habet disbrigare 153 disbrigare et defendere, disbrigare et defendere … habeant 153 discere, habeat didicisse 161 disobligare, disobligare habent 156 dispiliare - dispiliare habet 156 - dispilliare abet 156 - habent … dispiliare et desobligare 153 dispiliare et disvasare - dispeliare abet et disvasare 156 - dispiliare et desvasare habent 156 - dispiliare et disvasare habet 156 - dispilliare et disvasare habet 156 - disspiliare et disvasare abet 156 - habet dispiliare et disvasare 153 disputare, habet disputare 161 disvasare - disputare et disvassare habet 156 - disvasare abet 156 - disvasare habet 156 dividere, habeo dividere 161 docere - habebat docere 161 - habet docere 161 dolere, dolere habet 163 dotare, habebat dotare 138, 140 f. edere - edere habent 158, 161, 163 - habent edere 158, 161 effugere, effugere habebam 161 egredi, habent egredi 161 elevare, habeat elevari 161 emendare - emendare habebit 148 - habent emendari 161 equitare, habent equitare 144 erubescere - habent erubescere et dolere 161 - habes erubescere 161 esse - esse habeat 163 - esse habent 163 - esse haberet 163 - esse habet 161, 163 - esse habuit 161 - habeamus esse 161 - habeat esse 161 - habemus esse 161 - habent esse 161 - haberet esse 161 - habet esse 140, 161 - habet esse, vivere et sapere 161 evenire, habebant evenire 161 evindicare, habiat evindicare 140 excludere, habet excludere 161 excusare, haberet excusari 161 exercere - exercere habebit 144, 148 - exerceri habeat 145 - habebant exercere 161 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv 207 <?page no="208"?> exigere, exigere habet 163 exorare, habeant exorare 140 exponere, haberet exponere 161 exprimere, habet exprimere 161 exsistere, habet existere 161 exsolvere, habebit exsolvere 164 facere - facere habent 153, 156 - facere habet 153, 156, 163 - facere habuerint 138, 141 - habeant facere 153 - habebam facere 161 - habebant facere 161 - habent facere 153, 161 - habeo facere 161 - haberet facere 152 - habet … facere 153 - habet facere 153, 161 - habuerit facere 153 ferre, habent ferre 153 fieri - fieri habent 163 - fieri habet 163 - habent fieri 161 finire, finire habes 163 firmare - firmare habet 156 - habet firmare 153 flere, flere habet 161 formidare, formidare habent 163 fugere, fugisse haberes 161 garentire, garentire habemus 145 geminare, habet geminare 161 generare, habeat generare 138 gratulari, habebitis gratulari 164 guarentare - guarentare habent 155 - guarentare habet 155 humiliare, habent humiliare 161 impedire, habet impedire 153 impendere, impendere habeo 163 implere, implere habet 163 in potestate habere - aegrotare et convalescere habet in potestate 159 - convalescere habet in potestate 159 - habet in potestate auferre 159 - habet in potestate perdere 159 - habuit in potestate ponere 159 - in potestate dare habet 159 - in potestate habeat dare vel auferre 159 - in potestate habebat reddere 159 - in potestate habeo esse 159 - in potestate habet aegrotare 159 - in potestate habuit dare 159 - in qua potestate habeant inclinari 159 - venire in potestate habemus 159 incarnare, habebat incarnari 161 incendere, habet incendere 161 induere, induere habet 161 inesse, inesse habet 163 inferre, inferre habentur 146 ingomberare, abemus ingumberare 153 innuere, habet innuere 161 instituere, habeas instituere 161 insurgere, habebat insurgere 161 intellegere - habebat intelligi 161 - habet intelligi 161 - intelligi habet 163 intendere, intendere habet 163 intentionare, intenzonare abet 156 interrumpere, interrumpere habeat 163 introducere, habet introduci 161 intueri, habemus intueri 161 invenire - habes invenire 161 - invenire habet 163 invitare, habeat invitare 140 invocare, habet invocare 161 irasci, habetis irasci 161 ire, ire habet 156 irridere, irrideri habet 163 208 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv <?page no="209"?> irrigare, habet irrigare 161 iterare - iterare habeant 161 - iterare habebat 161 iudicare - habent judicare 161 - habent judicari 161 - habetis judicare 161 iungere, iungere habet 156 laborare - habent laborare 161 - laborare habemus 163 - laborare habent 156 - laborare habetis 163 liberare, liberare habet 156 libere, libere habeant 156 libertatem habere - habeant libertatem attendere 159 - habet libertatem videre 159 loqui - habeo loqui et judicare 161 - habet loqui 161 lucere, lucere habet 161 lucescere, habeat lucescere 161 luminare, luminare habeat 142 mandatum habere, mandatum habent sumere 159 manducare, habeo manducare 79, 161 manifestare - manifestare habent 156 - manifestare habet 156 manutenere - guardare et salvare et custodire et manutenere habet 156 - guardare et salvare et custodire habent et manutenere 156 metere, habent metere 161 ministrare, habeat ministrare 161 minuere - habent minui 161 - minui haberet 161 mirari, mirari habet 161 misereri - habeat misereri 161 - habet misereri 161 mittere - mittere habeant 156 - mittere habent 156 - mittere habet 156 - mitti habet 161 mori - habent mori 161 - habet mori 161 movere, moveri habet 163 nasci, nasci habetis 163 necessitatem habere - habet necessitatem offerre 159 - necessitatem haberes ire et videre 159 nocere, nocere habeant 144 f. novisse, nosse habebit 164 numerare, scribi et numerari habent 163 obedire, habet obedire 161 observare - observare habent 156 - observare habet 156 - observari habemus 153 obvenire - obvenire abent 145 - pertinere seu obvenire abet 156 occurrere, occurrere habet 163 offerre, habemus offerre 161 operari, operari habet 163 orare - clamare nec orare habent 163 - habet orare 161 ordinare, habeat ordinare 144 ostendere - habemus ostendere 161 - ostendere habent 156 pagare - dare ac pagare habent 155 - dare et pagare habent 155 - pagare habent 156 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv 209 <?page no="210"?> - pagare habet 156 - solvere et pagare habet 156 partiri, habemus partiri 144 pati, pati habebat 163 pellere, pellere habuit 163 percipere, habeant percipere 161 perdere, habeant perdere 161 perfrui, habebitis perfrui 164 perire, habet perire 161 permanere - esse et permanere habent 156 - esse et permanere habet 156 - habent permanere 153 - habet permanere 153 - permanere habeant 156 - permanere habent 156 - permanere habet 156 perpetrare, perpetrare habetis 161 perseverare, perseverare habeant 161 persolvere - dare ac persolvere habet 155 - habet persolvere 144 - persolvere habeo 163 - persolvere habet 156 pertinere, pertinere abet 156 pertrahere, pertrahi habes 163 petere, habent petere 144 plangere, plangere habet 163 ponere, ponere habet 161 posse - habebit posse 164 - habuit posse 161 - posse habeat 144, 163 potestatem habere - dimittere potestatem habent 158 - edere habent potestatem 158 - habeant potestatem discurrere vel infestare 158 - habeat potestatem constituere 158 - habebis potestatem constituere 158 - habebunt potestatem emittere 158 - habent edere potestatem 158 - habent potestatem claudere 158 - habent potestatem edere 158 f. - haberet copulare 158 - habet potestatem damnare et salvare 158 - habet potestatem facere 158 f. - habet potestatem mittere 158 - habet potestatem occidere 159 - habet potestatem perdere 159 - potestatem habeat facere 158 - potestatem habebat claudere 158 - potestatem habebat ponere 159 - potestatem habent saevire 159 - potestatem habeo crucifigere 158 f. - potestatem habeo dimittere 158 f. - potestatem habeo ponere 159 - potestatem habet dimittere 158 - potestatem habet mittere 157, 159 praecedere, habet praecedere 161 praeparare, habet praeparare 161 praescindere, praescindi habent 163 praesidere, habent praesidere 161 praestare, habes praestare 161 probare, probare habuerint 144 f. prodesse, habet prodesse 161 proficere - habes proficere 161 - proficere habet 163 proponere, proponere habet 161 propositum habere - propositum habebat honorari 159 - propositum habuit sustentari 159 prospicere - prospicere abent 156 - salvare et prospicere habent 156 providere - habet providere 161 - providere habet 161 psallere, psallere habeo 163 pugnare, pugnare habebunt 164 purgare, habent purgari 161 quaerere - habet quaeri 161 210 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv <?page no="211"?> - quaerere habet 161 quietare - defendere et quietare habent 156 - desgumberare et guarentare atque quietare habent 156 recedere, habet recedere 161 recipere - recipere habent 156 - recipere habet 156 recurrere, habent recurrere 161 reddere - dare ac reddere habet 155 - dare et reddere habent 155 - dare redere abet 155 - habet reddere 161 - reddere habemus 156 - reddere habent 156 - reddere habet 156 - rendere abemus 156 redimere, habemus redimere 140, 161 redire, habet redire 161 reficere - habent refacere 153 - habet reficere et retinere 144 regere, regere habent 163 relaxare, habent relaxare 161 relinquere - habent relinquere 153 - habet relinquere 161 remanere - abet remanire 153 - habuit remanere 161 renumerare, renumerare habet 163 repetere, habeat repetere 140 replere, repleri habent 161, 163 requiescere, requiescere habebit 164 requirere - habent requirere 153 - require habet 153 - requirere habebam 138, 140 f. - requirere habent 156 - requirere habet 156 resarcire - habent resarcire 153 - habet resarcire 153 respondere - habent respondere 161 - habet respondere 161 - habuit respondere 161 - respondere habeant 145 - respondere habet 161 restaurare - abeo restarare 153 - restaurare habet 156 restituere - habet restituere 153 - restituere habent 153, 156 - restituere habet 153, 156 resurgere - habet resurgere 161 - resurgere habeant 163 - resurgere habebat 163 - resurgere habuit 163 retinere - abeo retinere et meliorare 153 - retinere habent 156 retribuere - habent retribuere 161 - habes retribuere 161 saisire, habet saisire 144 salvare et gubernare, salvare et gubernare habet 156 sanare - sanare habebat 161 - sanari habet 163 scire - habeat scire 161 - scire habeas 161 - scire habebant 161 scodere, scodere habent 156 scribere, scriptum habet 111 scrutari - scrutari habemus 161 - scrutari habet 163 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv 211 <?page no="212"?> sedere - haberet sedere 161 - sedere habebunt 147 - sedere habet 161 sentire, habemus sentire 140 sequi - habet sequi 161 - sequi habemus 163 servare, attendere et servare habent 155 servire, habemus servire 161 siccare, habent siccare 161 significare, significare habet 163 sollicitare, habent sollicitari 161 solvere - habet solvere 161 - solvere abent 156 - solvere habent 156 - solvere habet 156 sperare - habet sperare 161 - sperare habet 163 stare - habeant stare 161 - habent stare 153 - stare habent 153, 156 - stare habet 153, 156 stare et permanere - habent permanere et stare 153 - habent stare et permanere 153 - habet permanere et stare 153 - habet stare et permanere 153 - stare et permanere abent 156 - stare et permanere abet 156 - stare et permanere habent 156 - stare et permanere habet 156 - stare habet et permanere 156 subire, habet subire 144 subsistere - habet subsistere 161 - subsistere habent 163 - subsistere habet 161 substituere, habet substitui 142 subtrahere, subtrahere habet 156 succedere, succedere habebat 161 succumbere, succumbere habebis 164 superbire, habeat superbire 161 supplere, adimplere et suplere habet 155 suscipere - habent suscipere 161 - suscipere habuit 163 suspicere, habet suspicere 161 sustentare, sustentare habent 163 sustinere - habeo sustinere 161 - habuerunt sustinere 144 tangere, habebant tangere 161 tegere, habent tegere 161 temperare, habet temperare 161 tenere - habuerat tenere 153 - tenere abent 156 - tenere habebat 138, 141 - tenere habent 156 timere, timere habet 161 tolerare, tolerare haberent 163 tradere - tradere habuero 144 - tradi habent 163 trahere, abemus trare et consignare 153 trahere et excutere - trahere et excutere habent 156 - trahere et exscutere habet 156 transire - habent transire et perire 161 - transire habent 164 - transire habet 161 - transire habuimus 164 turbare, turbari et sollicitari habes 163 uti, habeat uti 161 vacare - vacare habeant 137 - vacare habeat 142 - vacare habent 164 - vacare habet 164 212 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv <?page no="213"?> - vaccare habeant 137 - vaccare habeat 142 vapulare, habeat vapulare 161 velle - habes velle 161 - habuit velle 161 - velle habeant 142 - velle habent 164 - velle habeo 161 - velle habuit 164 vendere, habes vendere 161 venire - venire habent 156 - venire haberet 164 - venire habet 156, 161, 164 vetare, abemus vetare 153 videre - habet videre 161 - habuere videre 161 - habuit videre 161 - videre habetis 164 vincere, vinci habemus 164 vivere - habeant vivere 140 - habent vivere 161 - habeo vivere 161 - habes vivere 161 - habet vivere 161 Verzeichnis der Textstellen von habere + Infinitiv 213 <?page no="214"?> ScriptOralia herausgegeben von Barbara Frank-Job und Ulrich Eigler Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: http: / / www.narr-shop.de/ reihen/ s/ scriptoralia.html 118 Lore Benz (Hrsg.) ScriptOralia Romana Die römische Literatur zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 29 2001, 347 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-8233-5428-4 119 Ulrike Auhagen Der Monolog bei Ovid Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 30 1999, 244 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-5429-1 120 Stefan Pfänder Aspekt und Tempus im Frankokreol Semantik und Pragmatik grammatischer Zeiten im Kreol unter besonderer Berücksichtigung Von Französisch-Guayana und Martinique 2000, 282 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-8233-5430-7 121 Stefan Faller (Hrsg.) Studien zu Plautus’ Persa Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 31 2001, 315 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-8233-5431-4 122 Eckard Lefèvre Plautus’ Aulularia Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 32 2001, 227 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-8233-5432-1 123 Reinhard Wendt (Hrsg.) Sammeln, Vernetzen, Auswerten Missionare und ihr Beitrag zum Wandel europäischer Weltsicht 2001, 218 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-5433-8 124 Claus D. Pusch Morphosyntax, Informationsstruktur und Pragmatik Präverbale Marker im gaskognischen Okzitanisch und in anderen Sprachen mit CD-Rom 2001, X, 305 Seiten €[D] 69,- ISBN 978-3-8233-5434-5 125 Ulrike Auhagen (Hrsg.) Studien zu Platus’ Epidicus Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 33 2001, 349 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-8233-5435-2 126 Claus D. Pusch / Wolfgang Raible (Hrsg.) Romanistische Korpuslinguistik Romance Corpus Linguistics Korpora und gesprochene Sprache Corpora and Spoken Language 2002, VIII, 506 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-5436-9 <?page no="215"?> 127 Thomas Baier (Hrsg.) Studien zu Plautus’ Poenulus Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 34 2004, 320 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-6063-6 128 Rolf Friedrich Hartkamp / Florian Hurka (Hrsg.) Studien zu Plautus’ Cistellaria Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 35 2004, 491 Seiten €[D] 120,- ISBN 978-3-8233-6078-0 129 Rolf Friedrich Hartkamp Von leno zu Die Darstellung, Entwicklung und Funktion der Figur des Kupplers in der römischen Palliata und in der italienischen Renaissancekomödie Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 36 2004, 266 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6079-7 130 Claus D. Pusch / Johannes Kabatek / Wolfgang Raible (Hrsg.) Romanistische Korpuslinguistik II Romance Corpus Linguistics II Korpora und diachrone Sprachwissenschaft Corpora and Diachronic Linguistics 2005, VIII, 587 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6148-0 131 Sybille Paulus Wissenschaftliche Textsorten in der italienischen Renaissance Der Sprachwechsel aus dem Lateinischen in der astronomischen, meteorologischen und kosmologischen Literatur 2005, 434 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-6165-7 132 Katrin Eberle Plautus’ Aulularia in Frankreich Die Rezeption der Figur des Geizigen von Pierre de Larivey bis Albert Camus Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 37 2006, 226 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-6219-7 133 Eckard Lefèvre Plautus’ Rudens Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 38 2006, 223 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-6237-1 134 Marc-Olivier Hinzelin Die Stellung der klitischen Objektpronomina in den romanischen Sprachen Diachrone Perspektive und Korpusstudie zum Okzitanischen sowie zum Katalanischen und Französischen 2007, XIV, 286 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6346-0 135 Amina Kropp Magische Sprachverwendung in vulgärlateinischen Fluchtafeln ( ) Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 39 mit CD-Rom 2008, 341 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6436-8 136 Heiner Böhmer Grammatikalisierungsprozesse zwischen Latein und Iberoromanisch 2010, XII, 548 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-6564-8 <?page no="216"?> 137 Esther Strätz Sprachverwendung in der Chat- Kommunikation Eine diachrone Untersuchung französischsprachiger Logfiles aus dem Internet Relay Chat 2010, 207 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6611-9 138 Eckard Lefèvre Plautus’ Bacchides Reihe A: Altertumswissenschaftliche Reihe, Band 40 2011, 205 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6681-2 139 Anja Reinkemeyer Die Formenvielfalt des langage SMS im Wechselspiel zwischen Effizienz, Expertise und Expressivität Eine Untersuchung der innovativen Schreibweise in französischen SMS 2013, 350 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-6743-7 140 Santiago del Rey Quesada Diálogo y traducción Los Coloquios erasmianos en la Castilla del s. XVI 2015, 510 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-6925-7 141 Esme Winter-Froemel / Araceli López Serena / Álvaro Octavio de Toledo y Huerta / Barbara Frank-Job (Hrsg.) Diskurstraditionelles und Einzelsprachliches im Sprachwandel / Tradicionalidad discursiva e idiomaticidad en los procesos de cambio lingüístico 2015, X, 378 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-6945-5 142 Daniel Kallweit Neografie in der computervermittelten Kommunikation des Spanischen Zu alternativen Schreibweisen im Chatnetzwerk www.irc-hispano.es 2015, XII, 432 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-6926-4 143 Gabriella Parussa / Maria Colombo Timelli / Elena Llamas-Pombo (Hrsg.) Enregistrer la parole et écrire la langue dans la diachronie du français 2017, 188 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-6989-9 144 Teresa Gruber / Klaus Grübl / Thomas-Scharinger (Hrsg.) Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz? Mediale und konzeptionelle Aspekte sprachlicher Variation 2021, 359 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8236-2 145 Bettina Kluge / Wiltrud Mihatsch / Birte-Schaller (Hrsg.) Kommunikationsdynamiken zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit Festschrift für Barbara Job zum 60.-Geburtstag 2020, 320 Seiten €[D] 78,- 978-3-8233-8353-6 146 Bianca Glasenapp Der Auxiliarisierungsprozess des lateinischen Verbs habere im Spätlatein 2024, 213 Seiten €[D] 59,90 978-3-381-10281-5 <?page no="217"?> ISBN 978-3-381-10281-5 Dieser Band untersucht Sprachwandelprozesse im Bereich der Verben, die sich über Jahrhunderte von der lateinischen zu den romanischen Sprachen vollzogen. Speziell werden zwei Entwicklungen des klassischen lateinischen Verbs habere in den Blick genommen: die Zusammensetzung einer Form von habere + PPP und habere + Infinitiv, aus denen sich in einigen romanischen Sprachen das Perfekt bzw. das Futur herausbildeten. Die Untersuchung füllt insofern eine Forschungslücke, als sie akribisch ein großes Datenkorpus analysiert, dabei unbekanntere lateinische Originaltexte heranzieht, die ermittelten Textstellen kategorisiert und einzelne Textstellen analysiert. Sie liefert dadurch neue Ergebnisse zur Grammatikalisierungsforschung, die bisher nicht im Fokus standen, aber bedeutsame Ansätze für weitere Forschungen bieten.