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Die Proposition mit Kopula

Urteilscharakter, logisch-semantische Valenz und formalisierte Sprache

0513
2024
978-3-3811-0782-7
Gunter Narr Verlag 
Maria W. Z. Schädler
10.24053/9783381107827

Die Monographie analysiert Gedanken, Aussagen und Urteile mit Wahrheitswert. Sie thematisiert kritisch die Historie, die Mathematisierung und die sprachwissenschaftliche Diskussion von Sätzen mit Kopulaverben, denn die moderne Logik stützt gemäß der Autorin eine Aktualisierung des Sprachverständnisses, der Grammatikographie und ermöglicht sowohl mit der Prädikatenlogik Freges als auch mit dem λ-Kalkül Churchs eine originäre Anpassung formaler Sprache auf natürliche Sprache. Die Logik von Aussagenstrukturen wird mit der Valenztheorie, der Dependenzgrammatik und der Mathematik neu begründet und verstehbar. Linguist:innen, Informatiker:innen, Philosoph:innen und allen, die sich Gedanken über Gedanken machen, werden eine Revision der traditionellen Urteilslehre, die Eigenart von Gedanken gegenüber Urteilen, eine Entsprechung von Logik und Grammatik sowie der empirisch beweisbare Sinn des Verbs ,sein' vorgestellt.

<?page no="0"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Die Monographie analysiert Gedanken, Aussagen und Urteile mit Wahrheitswert. Sie thematisiert kritisch die Historie, die Mathematisierung und die sprachwissenscha liche Diskussion von Sätzen mit Kopulaverben, denn die moderne Logik stützt gemäß der Autorin eine Aktualisierung des Sprachverständnisses, der Grammatikographie und ermöglicht sowohl mit der Prädikatenlogik Freges als auch mit dem λ-Kalkül Churchs eine originäre Anpassung formaler Sprache auf natürliche Sprache. Die Logik von Aussagenstrukturen wird mit der Valenztheorie, der Dependenzgrammatik und der Mathematik neu begründet und verstehbar. Linguist: innen, Informatiker: innen, Philosoph: innen und allen, die sich Gedanken über Gedanken machen, werden eine Revision der traditionellen Urteilslehre, die Eigenart von Gedanken gegenüber Urteilen, eine Entsprechung von Logik und Grammatik sowie der empirisch beweisbare Sinn des Verbs sein vorgestellt. 588 Schädler Die Proposition mit Kopula Die Proposition mit Kopula Urteilscharakter, logisch-semantische Valenz und formalisierte Sprache Maria W. Z. Schädler ISBN 978-3-381-10781-0 <?page no="1"?> Die Proposition mit Kopula <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 588 <?page no="3"?> Maria W. Z. Schädler Die Proposition mit Kopula Urteilscharakter, logisch-semantische Valenz und formalisierte Sprache <?page no="4"?> Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / www.doi.org/ 10.24053/ 9783381107827 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. 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Dennoch drücken sie verschiedene Gedanken aus; denn, wer nicht weiß, dass der Morgenstern der Abendstern ist, könnte den einen für wahr, den andern für falsch halten. (Gottlob F. L. Frege, Einleitung in die Logik, 1906; Funktion und Begriff, 1891) <?page no="7"?> Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3 Erläuterungen zur Terminologie und Textgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . 30 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . 33 4.1 Die Grammatiken des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.1.1 Grammatiken mit binaristischer Syntaxbeschreibung . . . 35 4.1.2 Syntaktisch restrukturierende Grammatiken . . . . . . . . . . . 54 4.1.3 Syntaktisch und semantisch restrukturierende Grammatiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 4.2 Die spezifische Fachliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.2.1 Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.2.2 Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.3 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5 Kopula und logische Prädikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.1 Der Logos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5.3 Die Kopula Abaelards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes . . . . . . . . . . . 155 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik . . . . . . . . . . . 163 5.5.1 De Morgans Kopula . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 5.5.2 Die Russellsche Ambiguitätsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges . . . . . . . . . . . . . . 189 5.6.1 Semiotische Vorannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 5.6.2 Funktion f(x), Begriff Φ (x) und Aussagesätze . . . . . . . . . . . 202 5.6.3 Asserierte Wahrheitswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5.6.4 Beziehungen f(x, y) und Funktionen zweiter Stufe h(g(x)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 <?page no="8"?> 5.6.5 Extensionale Identität des Begriffsumfangs έ ( Φ ( ε )) und die Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 5.6.6 Bezeichnete Wahrheitswerte gesättigter Begriffe φ (s) . . . 236 5.7 Churchs λ -Abstraktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5.7.1 Die Theorie Russellscher Klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5.7.2 Die formalisierte Sprache mit λ -gebundenen Argumenten 252 5.7.3 Die Konzepthierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 5.7.4 Die Signifikation des Sinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz . . . . . . . . . . . . 266 5.8.1 Subjekts- und Objektsprädikative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5.8.2 Das Verb als mehrstelliges Prädikat im deutschen Aussagesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 5.8.3 Die syntaktische Schichtung und der Assertionsmoment zwischen Valenzträger und Valenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 6 Valenz und Semantik der Kopulae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive . . . . . . . . . . 299 6.1.1 Kerns Revision der Assertion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 6.1.2 Glinz ’ syntaktischer Rang der Kopulae . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 6.1.3 Erbens Valenz existenzbezeichnender Verben . . . . . . . . . . 309 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 6.2.1 Die kategorematische Bedeutung des Signifikanten und die Kopula als synkategorematisches Funktionswort . . . 313 6.2.2 Die Differenzierung von Prädikat und Kategorema . . . . . 320 6.2.3 Die Theorie der Argumentstellen im logischen Begriff als lexikalistische Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 6.3 Valenzpotenz und Valenzrealisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse . . . . . . . . . . . . . . . 345 6.4.1 Morphosyntaktische Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 6.4.1.1 Die Kopula und Statusrektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 6.4.1.2 Die Grammatizität und ‚ Sinnvolligkeit ‘ des sprachlichen Ausdrucks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 6.4.2 Logisch-semantische Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 6.4.2.1 Extensionale logische Valenz und syntaktische Realisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 6.4.2.2 Logische Valenz und Funktionenschreibweise . . . . . 384 6.4.3 Pragmatisch-kommunikative Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 6.4.3.1 Komposition kontextunabhängiger signifizierender Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 6.4.3.2 Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 8 Inhalt <?page no="9"?> 6.5 Die Tiefenstruktur als unscharfe mentale Repräsentation . . . . . . 401 6.6 Innere und äußere Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 6.7 Der Abbildungscharakter der sprachlichen Äußerung . . . . . . . . . 409 6.7.1 Das Wesen der Konnexionen und dependentielle Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 6.7.1.1 Das Stemma aus Konnexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 6.7.1.2 Der Valenzträger als Kopf endozentrischer Struktur 417 6.7.1.3 Die Projektion morphosyntaktischer Valenz und die Perkolation logisch-semantischer Valenz . . . . . . . . . . 421 6.8 Das binäre Prinzip und die Exozentrik der Konstituenz . . . . . . . 424 6.8.1 Das Θ -Kriterium in der Konstituentenstruktur . . . . . . . . . 424 6.8.2 Lexikalische Kasus als Qualität logisch-semantischer Valenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 6.9 Die Notwendigkeit von Begriffen Φ (x) für endozentrische Projektion und Perkolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 6.10 Eine Interpretation der Konnexionen in der Konstituentenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 7 Empirischer Teil: Datenerhebung und Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 7.1 Der wörterbuch- und corpusbasierte, quantitativ-qualitative Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 7.1.1 Die Corpora und das Teilprojekt E-VALBU des Leibniz-IDS Mannheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 7.1.2 Methodologische Erläuterungen zur Corpusrecherche . . 453 7.2 Auswahl und Zuordnung der Kopula-Prädikativ-Komplexe . . . . 461 7.3 Konnexionelle Relationsbescheibungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 7.3.1 Valenzbeziehungen nach Jacobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 7.3.2 Die Bedeutungsrelationen nach Zifonun et al. . . . . . . . . . . 476 7.3.3 Die Formrelationen nach Zifonun et al. . . . . . . . . . . . . . . . . 481 7.4 Die linguistischen Testverfahren zur Analyse der Kopula- Prädikativ-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 7.4.1 Nicht anwendbare linguistische Testverfahren . . . . . . . . . 490 7.4.2 Anwendbare linguistische Testverfahren . . . . . . . . . . . . . . . 491 7.4.2.1 Die Bestimmung der Stellungs- und Unterglieder (PER; TOP; ANA; ABL; FLX) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 7.4.2.2 Die Bestimmung des Verbbezugs und SGS (FLX; TOP; TEL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 7.4.2.3 Die Bestimmung von Kasusrektion und Kongruenz (ABL; EIN; KON; KGZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 Inhalt 9 <?page no="10"?> 7.4.2.4 Die Bestimmung der syntaktischen Komposition (ELM; + OEZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 7.5 Abhängigkeitsstrukturen nach Kunze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 7.6 Der deskriptive λ -Kalkül in der IS und der TIS . . . . . . . . . . . . . . . 540 7.6.1 Exkurs: Semantische Formalismen bilateraler Signifikationstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 7.6.2 Die Komposition und der Abstraktionsoperator λ . . . . . . 552 7.6.2.1 Die Funktionsapplikation und die Alternative (1) . . 559 7.6.2.2 Die Konzeptfunktion Δ οβα . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564 8 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569 9 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 10 Anhang: Beleganalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 10.1 bezeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 10.2 Zusammenfassung zu dem Verb bezeichnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 10.3 bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 10.4 Zusammenfassung zu dem Verb bleiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 670 10.5 gelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 10.6 Zusammenfassung zu dem Verb gelten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693 10.7 heißen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 697 10.8 Zusammenfassung zu dem Verb heißen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 10.9 nennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 10.10 Zusammenfassung zu dem Verb nennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 10.11 scheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 10.12 Zusammenfassung zu dem Verb scheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 10.13 schimpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 10.14 Zusammenfassung zu dem Verb schimpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 10.15 sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 10.16 Zusammenfassung zu dem Verb sein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 10.17 werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 10.18 Zusammenfassung zu dem Verb werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 855 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 10 Inhalt <?page no="11"?> Vorwort O Du, mein holder Abendstern, wohl grüsst ’ ich immer Dich so gern. (Wolframs Lied, Tannhäuser) Die vorliegende Untersuchung mit dem Titel Die Proposition mit Kopula. Urteilscharakter, logisch-semantische Valenz und formalisierte Sprache entstand als Inauguraldissertation für ein Promotionsvorhaben zur Erlangung des Doktorgrades (Dr. phil.) im Fach Linguistik am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik mit dem Schwerpunkt Lexikographie im Department Germanistik und Komparatistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. An erster Stelle danke ich meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Stefan J. Schierholz, der mich durch seine Sachlichkeit, seine Wissenschaftlichkeit und Geradheit in der akademischen Tätigkeit für die Linguistik begeistert hat. Herr Prof. Dr. Stefan J. Schierholz hat dankenswerterweise meinen eigens unterbreiteten Themen- und Titelvorschlag für die Dissertation angenommen und mir gewährt, eigenständig zu arbeiten. Dem Interdisziplinären Zentrum für Lexikographie, Kollokation und Valenz an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg bin ich für die zahlreichen interessanten Veranstaltungen und dem Projekt Wörterbücher für Sprach- und Kommunikationswissenschaft unter der Chefredaktion von Herrn Prof. Dr. Stefan J. Schierholz, begründet von Herrn Prof. Dr. Stefan J. Schierholz und Herrn Prof. Dr. Herbert E. Wiegand, für die Möglichkeit, praktische Erfahrungen mit der Lexikographie zu sammeln, dankbar. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Jörg Zirfas, der mein Interesse an Anthropologie, an dem Verhältnis zwischen Natur- und Geisteswissenschaften, an der Kultur- und Geistesgeschichte sowie Pädagogik gefördert hat. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Rosario La Sala und der Bibliothekarin Frau Margit Schwarz, die mir behilflich waren, einige Kürzel der Quellenangaben in philosophischen Werken zu entziffern, so dass ich die Primärliteratur auffinden konnte. Darüber hinaus danke ich meiner Grundschullehrerin Frau Christine Spiegel sowie meinen Gymnasiallehrern für Französisch und Erdkunde Frau Eva-Maria Klose und Herrn Rudolf Sperl, da sie meine Freude am Lernen unterstützt haben. Im privaten Umfeld danke ich meinen Eltern, die mir zum Schreiben eine Mansarde zur Verfügung stellten, aus deren Dachfenster ich den <?page no="12"?> Morgenstern und den Abendstern sehen konnte. Schließlich danke ich Verwandten, Freunden, Kommilitonen und ungezählten Bewohnern meines Heimatstädtchens für die gelegentlichen freundlichen Zusprüche hinsichtlich meines Promotionsvorhabens. Erlangen, im Februar 2024 Maria W. Z. Schädler 12 Vorwort <?page no="13"?> Abkürzungsverzeichnis Abkürzungen von Fachbegriffen A Angabe AB ein als solcher ausgezeichneter Begriff ABL Ablese- und Listentest ABST Abstraktum ADJ Adjektiv ADK Adkopula ADV Adverb ( ≠ Adverbial) ADVP Adverbphrase adv. Mod. adverbielle Modifikation AJK Adjunktor AJKP Adjunktorphrase AKK (im) Akkusativ Akk. Akkusativ AKT x Aktualisierung x ANA Anaphorisierungstest AP Adjektivphrase (nach Dürscheid) ARG Argumenthaftigkeit (nach Jacobs) ART bestimmter oder unbestimmter Artikel ASS Aussagesatz ASSOZ Assoziiertheit (nach Jacobs) AUTOKOD autonome Kodierung (nach Zifonun et al.) a. abstrakt (r. a. oder t. a.) a., r., z. abstrakt, räumlich oder zeitlich BET Beteiligtheit (nach Jacobs) BET Sachverhaltsbeteiligung (nach Zifonun et al.) BEZ Bezeichnung (z. B. Berufsbezeichnung) BVx Bedeutungsvariante x (nach E-VALBU) COSMAS engl.: Corpus Search, Management and Analysis System DAT (im) Dativ d. diskret d. r. direktiv räumlich E Ergänzung EIN Einsetztest EN Eigenname ELM Eliminierungstest EXO Exozentrizität (nach Jacobs) <?page no="14"?> E-VALBU elektronisches Valenzwörterbuch der deutschen Sprache als Teilprojekt des Leibniz-IDS Mannheim f falsch f 1 intensional falsch/ ungültig; ungrammatisch/ nicht wohlgeformt f 2 extensional falsch fem. femininum FIX Fixiertheit (nach Zifonun et al.) FL flektiert, Flexion ohne Steigerung/ Komparation FLX Flexionstest FOSP formale Spezifizität (nach Jacobs) GN Gattungsname GEN (im) Genitiv Gen. Genitiv HV Handlungsverb IDS Institut für deutsche Sprache IIQG induktiv hergeleitete intensionale Qualität einer Gesetzmäßigkeit INSP Inhaltliche Spezifizität (nach Jacobs) IS Intensionsstruktur IQG intensionale Qualität einer Gesetzmäßigkeit KA Koordinationsart KGZ Kongruenztest KHF Kohärenzfeld KLV Kleines Valenzlexikon deutscher Verben (nach Engel/ Schumacher (1976)) KON Konstanztest KONJ Konjunktion KONST Konstanz (nach Zifonun et al.) KONT Sachverhaltskontextualisierung (nach Zifonun et al.) KOP Kopula Kop Kopulapartikel (nach Engel) KopP Kopulapartikelphrase (nach Engel) KS Kopulasatz KTR kasustransparent KV Koordinationsvalenz; Koordinationsvalenzstruktur KV x Koordinationsvalenz x; Koordinationsvalenzstruktur x KZ Koordinationszahl k. kontinuierlich K-O-K Kopula-Objektsprädikativ-Komplex K-P-K Kopula-Prädikativ-Komplex K-S-K Kopula-Subjektsprädikativ-Komplex LAx Lesart x (nach E-VALBU) LEX. lexikalischer Kasus l. r. lokal räumlich 14 Abkürzungsverzeichnis <?page no="15"?> mask. maskulinum N Nomen neutr. neutrum NF Normalform NOT Notwendigkeit (nach Jacobs) NOM (im) Nominativ Nom. Nominativ NP Nominalphrase NP KASUS Nominalphrase in einem bestimmten Kasus OBJ Objekt P Präposition Part. I Partizip I Part. II Partizip II PART-I Partizip-I-Form PART-I-P Phrase mit einem Kopf als PART-I-Form PER Permutationstest PERSP Perpektivierung (nach Zifonun et al.) Pl. Plural PP Präpositionalphrase PP KASUS Präpositionalphrase in einem bestimmten Kasus PRON Pronomen PROP Pronominalphrase ph. z. phasal zeitlich p. z. punktuell zeitlich REKT Rektion (nach Zifonun et al.) r. räumlich (d. r. oder l. r.) r. a. räumlich abstrakt S Substantiv SBPx Satzbauplan x Sg. Singular SGS Satzgliedstatus SN Sammelname STR. struktureller Kasus STTS Stuttgart-Tübingen Tagset SUBJ Subjekt SW substantivisches Schlagwort s. c. lat.: salva congruitate s. v. lat.: salva veritate TAGGED-T- Archiv Archiv deutschsprachiger Corpora am Leibniz-IDS Mannheim, welches mit dem STTS getaggt ist TEL Telizitätstest TIS typisierte Intensionsstruktur TOP Topikalisierungstest Abkürzungen von Fachbegriffen 15 <?page no="16"?> TRANSF Kasustransfer (nach Zifonun et al.) t. a. textuell abstrakt V Verb VALBU Valenzwörterbuch der deutschen Sprache (nach Schumacher et al. (2004)) ViF Verben in Feldern (nach Schumacher (1986)) VT Valenzträger VV Vorgangsverb w wahr w 1 intensional wahr/ gültig; grammatisch/ wohlgeformt w 2 extensional wahr ZADJ bestimmtes oder unbestimmtes Zahladjektiv ZV Zustandsverb z zeitlich (ph. z. oder p. z.) [Person, Numerus, Genus, Kasus] syntaktische Kategorie + OEZ operationalisierbarer Endozentrikbegriff 16 Abkürzungsverzeichnis <?page no="17"?> Symbolverzeichnis f(); Ω () Funktion; einstelliges Prädikat; Begriff f( , [ … ]); Ω ( , [ … ]) Beziehung; mehrstellige Funktion; mehrstelliges Prädikat f(x); Ω (x) gesättigte Funktion; gesättigter Begriff; gesättigtes Prädikat; Gedanke (nach Frege) f(x, y [ … ]); Ω (x, y [ … ]) gesättigte Beziehung; mehrstellige, gesättigte Funktion; mehrstelliges, gesättigtes Prädikat; Gedanke (nach Frege) id Identitätsfunktion Δ o βα Konzeptfunktion (nach Church) ˄ und ˅ oder > paraphrasiert zu (nach Dürscheid) ≡ identisch; kongruent ≈ ungefähr gleich; ergibt gerundet; Doppeltilde ≠ nicht gleich =: definiert (als) mit Definition rechtsseitig : = definiert (als) mit Definition linksseitig + plus - minus ─ Inhaltsstrich; Waagrechter; wahr/ gültig (nach Frege); (w 1 ) allgemein gültig (nach Frege) den gleichen Begriffsumfang bezeichnend (nach Frege); wertekongruent ├ Urteilsstrich (nach Frege) ┬ falsch (nach Frege); nicht (nach Frege) (Anm.: Dieses Zeichen kann die Ausdrücke falsch und nicht alternativ symbolisieren, je nachdem, wo das Zeichen steht.) ∃ es existiert; Existenzquantor ∃ ! es existiert genau ein ∄ es existiert nicht ∀ für alle; Allquantor : gilt | mit der Eigenschaft / / substituiert (mit) Symbolverzeichnis 17 <?page no="18"?> % Prozent ⇔ Äquivalenzpfeil ↔ einfacher Äquivalenzpfeil ⇒ Folgepfeil → Implikationspfeil; anschließender Pfeil (nach Matsekh-Ukrainsky); paraphrasiert/ transformiert zu; projiziert auf ↛ nicht abgebildet/ aktualisiert auf; nicht paraphrasiert/ transformiert zu 2 Element von = 2 nicht Element von Æ leere Menge \ geschnitten [ vereinigt echte Teilmenge von Teilmenge von ∞ unendlich; Unendlichkeit -; ~ nicht έ Markierung des Begriffsumfangs hinsichtlich des Arguments ε ; Markierung der Extension (nach Frege) λ Abstraktor/ Abstraktionsoperator Lambda; Markierung der Intension (nach Church) {; } Mengenklammern [; ] Intervallklammern; Klammern zur Angabe der Koordinationszahl und Koordinationsart; eckige Klammern * Asterisk; Markierung eines grammatikalisch falschen bzw. eines ungrammatischen/ nicht wohlgeformten Ausdrucks (f 1 ); im Fußnotentext die Markierung einer Anmerkung (? ) fragwürdig grammatisch/ wohlgeformt ʘ Sonne (nach Frege); astronomisches Symbol für die Sonne ℝ Menge der reellen Zahlen ℕ Menge der natürlichen Zahlen {m; n; o; p; q; r; s; t; u; v; w; x; y; z} Menge der Funktionsnamen in Kap. 10 {a; b; c; d; e; f; g; h; i; j, k; l} Menge der Argumentnamen in Kap. 10 18 Abkürzungsverzeichnis <?page no="19"?> ι 0 Typsymbol für Entitäten auf Gegenstandsebene (nach Church) α = { ι 1 } Typsymbol für Individuen, Konzepte von Individuen vom Typ ι 0 (nach Church) β = { ι 1 + 1 } Typsymbol für Individuen, Konzepte von Individuen vom Typ ι 1 = α (nach Church) γ = { ι 1 + 1 + 1 } Typsymbol für Individuen, Konzepte von Individuen vom Typ ι 1 + 1 = β (nach Church) δ = { ι 1 + 1 + 1 + 1 } Typsymbol für Individuen, Konzepte von Individuen vom Typ ι 1 + 1 + 1 = γ (nach Church) ο ; ο 0 Typsymbol für Wahrheitswerte (nach Church) ο 1 Typsymbol für Konzepte von Wahrheitswerten vom Typ ο 0 (nach Church) ( βα ) Typsymbol für Funktionen mit Argumenten vom Typ α und Werten vom Typ β (Notation nach Schönfinkel) ( γβα ) Typsymbol für Binärfunktionen mit Argumenten vom Typ α und Werten vom Typ γβ , d. h. der Wert ist eine Funktion (Notation nach Schönfinkel) id Typsymbol für eine Identitätsfunktion id id βα Typsymbol für eine Identitätsfunktion id, welche Funktionen vom Typ βα auf Funktionen vom Typ βα abbildet K Kongruenz; Kasusrektion einer Präposition K x Kongruenzverhältnis x; Kasusrektion einer Präposition x κ Name der Funktion eines nicht inhaltsleeren Verbs sein oder eines ambigen Zeichens sein ω Buchstabe, der einen Wahrheitswert unbestimmt andeutet [[x, y]] Koordinationsart mit einer Argumentstellenbelegung der Qualität x und y [x] Koordinationszahl x Symbolverzeichnis 19 <?page no="21"?> 1 Einleitung Das Sein ist. Es ist nicht auf etwas hin. Es verfolgt kein Ziel, sondern lebt sich aus nach Zielen und Gesetzen und Gestaltungskräften, die rätselhaft bleiben. (Albert L. P. Schweitzer) Die Linguistik erforscht Themen zur Sprache im weiteren Sinn, wobei die Sprachlehre und Grammatik seit dem Altertum eine der sieben freien Künste (lat.: septem artes liberales; studia liberalia) stellt. Dies hat zur Folge, dass einzelne Thesen der Grammatik seit mehreren Hunderten oder Tausenden von Jahren vertreten werden, eng mit der historischen Entwicklung der Philosophie und Logik verwoben sind und teilweise Anachronismen in der gegenwärtigen Linguistik erzeugen. Da die natürliche Sprache als soziales Kommunikationsmittel in verschiedensten Situationen, als Kulturgut und als Instrumentarium des alltäglichen und wissenschaftlichen Gebrauchs stets vor neue Herausforderungen gestellt ist, eröffnen sich jedoch auch immer aktuelle Forschungsfelder in der Linguistik. Die Reflexion hinsichtlich des Instrumentariums, mit welchem wissenschaftliche Thesen, Hypothesen und Konklusionen formuliert werden, nämlich eben die Reflexion bezüglich einer natürlichen oder einer formalen Sprache, befähigt die Sprachwissenschaft bzw. die Linguistik zu wissenschaftlichen Einsichten, die anderen Wissenschaften nicht zugänglich sind, wenn keine vergleichbare Reflexion über die natürliche oder formale Sprache durch die Wissenschaftler dieser anderen Wissenschaften vorgenommen wird. Demzufolge kann die Linguistik ebenso wie die Mathematik als eine besondere Wissenschaft gewertet werden, die als Hilfswissenschaft für sämtliche andere Wissenschaften notwendig ist. Ebenso ist eine besondere Reflexion über die Sprache in anderen Bereichen, z. B. dem Bildungssektor, den kulturellen Einrichtungen und den verwaltenden Institutionen einer Gesellschaft gefragt. Eine dem aktuellen Stand der Forschung entsprechende Sprachauffassung sowie Syntax- und Semantikbeschreibung ist essentiell für die Erfassung und Deskription wissenschaftlicher Errungenschaften als auch die Verwendung der Sprache im Allgemeinen, da hierfür Präzision, Kalkül und scharfe Begriffe im natürlich- und formalsprachlichen Ausdruck benötigt werden. Ebenso wie das einstellige Prädikat der klassischen Aussagenlogik nicht überwunden, sondern zu einem potentiell mehrstelligen Prädikat erweitert <?page no="22"?> wird, ist in der Grammatik die binäre Syntaxbeschreibung einer Subjekt- Prädikatbzw. Konstituentenstruktur durch eine potentiell mehrgliedrige Struktur mittels Integrierung valenztheoretischer Ansätze zu ergänzen. Die Motivation zu diesem Unterfangen für das Deutsche wurde bereits von zahlreichen Grammatikern und Sprachwissenschaftlern im 20. Jahrhundert bekundet und war eigentlich schon vor dem 20. Jahrhundert bekannt, doch die Umsetzung erfordert viele Jahrzehnte und eine besondere Gründlichkeit in der Theoriebildung, um Inkohärenzen, Widersprüche und Konflikte in der Vermengung valenztheoretischer oder prädikatenlogischer Ansätze mit Thesen der klassischen Aussagenlogik und traditionellen Grammatikschreibung binaristischer Syntaxdeskription zu vermeiden. Oft wurde dabei übersehen, dass hierfür auch der Ansatzpunkt in der Ontologie sprachlicher Ausdrücke und deren Inhalte gesucht werden muss, da die moderne Logik mit der britischen neuen Analytik Booles und der Mengenalgebra De Morgans sowie ob der analytischen Philosophie Russells, Wittgensteins, Quines, Davidsons u. a., mit Freges Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung in der Nachfolge Leibniz ’ , Kants und Hegels steht und eine neuartig zugängliche intensionale Dimension neben den semiotischen Dimensionen des Materialismus, Positivismus, Atomismus und Dualismus erschließt. Bei den Elementen dieser im vorangehenden Satz erwähnten intensionalen Dimension, namentlich die ungesättigten ein- und mehrstelligen Funktionen (auch: Prädikate; Begriffe; Beziehungen) sowie die (schrittweise) gesättigten, aber hinsichtlich ihrer Extension unausgewerteten Funktionen (auch: Prädikate; Begriffe; Beziehungen), handelt es sich nicht um gänzlich Metaphysisches, sondern um herleitbare, erfassbare, deskribierbare und formalisierbare sowie funktional applizierbare Entitäten von praktischem Nutzen und Erkenntniswert. Die somit ermittelte Relationaliät und Referenzialität stellt die Intentionalität natürlich- und formalsprachlicher Zeichen heraus, die desgleichen in der frei gewählten Gerichtetheit der Aufmerksamkeit des menschlichen Bewusstseins als auch mittelbar in der durch ein menschliches Agens festgelegten automatischen Ausführung eines Befehls oder Algorithmus des maschinellen Rechners vorhanden ist. Dabei geht anthropologisch betrachtet die Entwicklung der natürlichen Sprache des Menschen sämtlichen weiteren kulturellen und zivilisatorischen Errungenschaften der Menschheit, z. B. der technischen Entwicklung, voraus. Eine Relationalität und Referenzialität erzeugende Intentionalität ist also nicht nur sekundär in der potentiellen Mehrstelligkeit von logischen Prädikaten (auch: Funktionen; Begriffen; Beziehungen) sowie in der Komposition von Prädikat (auch: Funktion; Begriff; Beziehung) und Argument deskriptiver, formalsprachlicher Notation, sondern primär als Konnexionsstruktur in der Syntax und Semantik der natürlichsprachlichen deutschen 22 1 Einleitung <?page no="23"?> Aussagesätze präsent, welche die Sachverhalte in der außersprachlichen Wirklichkeit bezeichnen. Diese Sprachauffassung stellt eine Weltauffassung dar, die ein Erfassen und komponierendes Begreifen der innersprachlichen und außersprachlichen Signifikate praktiziert und sich von einer Art Weltanschauung, welche eine Trennung und Benennung extensionaler Gegenstände und Sachverhalte vornimmt, unterscheidet. So versucht eine morphosyntaktische und intensionallogische Sprachbetrachtung aus dem Begreifen innerer Strukturverhältnisse der Sprache die Sinne einfacher Zeichen sowie die Sinnstrukturen komplexer Zeichen und ihre jeweilige Bezeichnung zu erforschen, während eine Sprachbetrachtung, die von der extensionalen Ebene, einem Denotat und damit der angenommenen, benannten Bedeutung der einfachen oder komplexen sprachlichen Entitäten ausgeht, eine aktuelle, pragmatisch-kommunikative Semantik sprachlicher Ausdrücke zu bestimmen versucht. Wenn dabei die Sinnebene als begrifflich anerkannt und von der Bedeutungsebene unterschieden wird, geraten die beiden methodischen Ansätze aufgrund ihrer fundamental verschiedenen Herangehensweise und Zielsetzung nicht in Konflikt, sondern können einander ergänzen. Hoffmann konkludiert in seinem Aufsatz Der Mensch und seine Sprache - eine anthropologische Skizze: „ Ein geschlossenes System aus Signalen, genetisch, qua Instinkt verankert, mit festen Zuordnungen zwischen Zeichen und Dingen, ohne die Offenheit und Dynamik menschlicher Sprache, hätte die kulturelle Evolution des menschlichen Geistes, die auf Kooperation, Entgrenzung von situativen Fesseln, Gedächtnis und Tradierung beruht, nicht befördern können. “ 1 Um den Beitrag der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit des Menschen zu Kultur und Zivilisation einzusehen, muss jedoch nicht notwendig eine Evolutionstheorie oder ein Darwinismus vertreten werden 2 , sondern es ist hinreichend zu erkennen, dass die menschliche natürlich- und formalsprachliche Ausdrucksfähigkeit eine Komplexität der Welt und des Lebens erfassbar, begreifbar und bewältigbar macht. Die Theorie der Kopula geht auf Abaelard (* 1079 in Le Pallet bei Nantes; † 21. April 1142 in Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône) im 11. und 12. Jahrhundert n. Chr. zurück und ist durch die von ihr geprägten Rezeption der traditionellen Syllogistik nach Aristoteles in die klassische Aussagenlogik gelangt. Die Grammatik als Lehre vom Satz und damit der Proposition hat spätestens seit der Frühscholastik sowie auch im 19., 20. und 21. Jahrhundert in ihrer Verbundenheit mit der Logik die These der Kopula immer wieder 1 H OFFMANN (2007: 34) 2 Vgl. z. B. die Theorien von Jean-Baptiste de Lamarck; Carl von Linné; Jakob J. von Uexküll u. a. 1 Einleitung 23 <?page no="24"?> aufgegriffen. Die moderne Prädikatenlogik, welche durch mehrstellige Prädikate sowie eine Distinktion von intensionaler und extensionaler Logik gekennzeichnet ist, erfordert nun, wie in der vorliegenden Studie vorgeschlagen, eine Aktualisierung der Grammatikographie, die insbesondere eine genaue Analyse und Überprüfung der Theorie der Kopula und der traditionellen Urteilslehre verlangt. Die Annahmen der traditionellen Theorie der Kopula führen zu nachfolgenden Auffälligkeiten, die als problematisch wahrgenommen werden können: 1. Eine Heterogenität der Gruppe der Realisierungsformen von Prädikativen, 2. ein unterschiedliches semantisch-syntaktisches Verhalten und ein nicht regelhafter Satzgliedstatus der unter den Begriff Prädikativ subsumierten Einheiten, 3. eine Ambiguität oder inhaltliche Blässe/ Leere des Verbs sein, 4. eine Augmentation der Anzahl der Kopulae oder kopulaähnlichen Verben und 5. die propositionale binäre/ tertiäre Gliederung der deutschen Aussagesätze mit Kopula-Prädikativ-Komplex. Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um die Überprüfung der mehr als 800 Jahre alten Theorie der Kopula. Deshalb muss die vorliegende Untersuchung zu Zwecken der Theoriebildung wegen der erwähnten Komplexität der Thematik ab avo vorgehen, um die Argumentation, welche eine in der Grammatikschreibung etablierte sowie interdisziplinär verankerte Lehrmeinung, nämlich die der Kopula und der traditionellen Prädikative, überprüfen möchte, auf ein nachvollziehbares Fundament zu stellen. Zunächst wird hierfür im theoretischen Teil der Studie die Problemstellung verdeutlicht, indem die historische Entwicklung der philosophischen sowie grammatischen Theorie der Kopula erörtert, und ihr Eingang in die Logik und Mathematik erklärt wird. Diese theoretische Grundlegung weist darauf hin, dass die Theorie der Kopula primär mit einer traditionellen Urteilslehre einhergeht und hieraus sekundär Thesen zum Status des logischen Prädikats als auch anschließend zum traditionellen Prädikativ in der Grammatikschreibung sowie der Syntax- und Semantikforschung abgeleitet wurden. Des Weiteren arbeiten die theoretischen Ausführungen heraus, dass das Verständnis des Prädikativs in der traditionellen Grammatikschreibung oft unreflektiert in valenztheoretisch orientierte Grammatiken transferiert wurde und sich in Dependenzgrammatiken wiederfindet, da das Prädikativ mit den Argumenten in den Valenzstellen assoziiert wird, woraus sich aufgrund des Assertionsmoments der traditionellen Urteilslehre Konflikte in der Theoriebildung ergeben, die in der vorliegenden Studie entdeckt, erörtert und aufgelöst werden sollen. Die vorliegende Studie erkennt eine 24 1 Einleitung <?page no="25"?> Motivation zur Überprüfung und Potential zur Revision dieser Thesen zum traditionellen Kopula-Prädikativ-Komplex insbesondere in der Mehrstelligkeit von Prädikaten (auch: Funktionen; Begriffe; Beziehungen) sowie in der modernen Prädikatenbzw. Relationslogik nach Frege. Aus diesem Grund wird Freges Sprachphilosophie, der Fregeschen Theorie zur logischen Grundlagenforschung der Mathematik sowie deren Rezeption und Weiterentwicklung durch Church besondere Aufmerksamkeit gewidmet, um die Erkenntnisse dieser Wissenschaftler zur Aufstellung der Rahmenbedingungen für die vorliegende Studie, eine Isolierung und Operationalisierung des Forschungsgegenstands sowie eine praktische Untersuchungsmethode nutzbar zu machen. Gemäß der Fregeschen Theorie wird anschließend die Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung in traditionell, konstituenten- oder phrasenstrukturell sowie valenztheoretisch orientierten Grammatiktheorien reflektiert, während die zentrale Stellung des finiten Verbs in der Struktur eines deutschen Aussagesatzes oder Kohärenzfeldes profiliert wird. Überdies wird hierbei eine innersprachliche Strukturanalyse des sprachlichen Ausdrucks fokussiert, während Außersprachliches identifiziert und als extensionale oder pragmatisch-kommunikative Aspekte von der morphosyntaktischen sowie intensionallogisch-semantischen Deskription separiert wird. In diesem Prozess verfolgt die vorliegende Arbeit außerdem das Vorhaben, eine Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung nach Frege in der Grammatikographie und linguistischen Forschung zu evozieren. In der vorliegenden Studie müssen zum Verständnis der Begriffsebene die philosophischlogischen Grundlagen und die Mathematisierung der Syllogistik Aristoteles ’ dargelegt als auch die Nachzeichnung der historischen Entstehung der grammatiktheoretischen Thesen zum Kopula-Prädikativ-Komplex nach Abaelard und Arnaulds/ Nicoles Logik von Port-Royal mit zahlreichen direkten und indirekten Zitaten untermauert werden. Aufgrund der Observation der Autorin der vorliegenden Studie, dass die Sprachphilosophie und logische Theorie der mathematischen Grundlagenforschung Freges bereits seit über einem Jahrhundert auf oft unvollständige oder ungenaue Weise in die Linguistik übertragen wurde, ist eine extensive Erörterung der Inhalte des Werks Freges von Nöten und eine detaillierte Wiedergabe sowie Aufbereitung Freges Ausführungen unvermeidbar. Da dies ebenso auf die Ambiguitätsthese Russells zutrifft, welche in die Linguistik aufgenommen wurde und weil diese wiederum nicht ohne die Ambiguititästhese De Morgans abzuhandeln ist, gilt dasselbige auch für die Thesen De Morgans und Russells. Zur Erläuterung und Berichtigung ist es notwendig, teilweise längere wörtliche Zitate anzuführen. Als wegweisend für den in der vorliegenden Studie vorgestellten Ansatz ist der Strukturalismus in der Linguistik nach De Saussure, insbesondere die europä- 1 Einleitung 25 <?page no="26"?> ische Tradition des linguistischen Strukturalismus, welche den Inhalt von Zeichen mitberücksichtigt, der Perspektivwechsel auf den Satz in den Grammatiktheorien P āṇ inis, Meiners, Kerns, Porzigs, Erbens, Tesnières, Glinz ’ , Helbigs, Engels, Judes, Eroms ’ und Tarvainens, welcher zur Entwicklung der Valenztheorie und Dependenzgrammatik beitrug und die sprachphilosophische sowie damit semiotische Grundlegung in Petrus Helias ’ , Thomas ’ von Erfurt, Beckers, Freges und Hjelmslevs Werken zu nennen. Außerdem wurde die vorliegende Untersuchung insbesondere durch die wissenschaftliche Arbeit Schierholz ’ , Wiegands, Uzonyis, Kunzes, Nikulas, Bechs, Langackers und die Grammatik der deutschen Sprache von Zifonun et al. angeregt. 26 1 Einleitung <?page no="27"?> 2 Zielsetzung Das Seiende ist der Zahl nach unbegrenzt. Denn zwischen den einzelnen Dingen liegen stets andere und zwischen jenen wieder andere. (Zenon der Ältere von Elea) Die vorliegende Untersuchung strebt an, die Konnexionsstruktur und logischsemantische Valenz in Kopula-Prädikativ-Komplexen im schriftlichen Gebrauch zu analysieren, um den Status des Verbs sein als sogenannte Kopula sowie den Status der traditionellen Subjekts- und Objektsprädikative festzustellen, eine Entsprechung von Logik und Grammatik vorzustellen, eine Distinktion von Sinn und Bedeutung nach Frege in die Linguistik einzuführen und um für die Valenztheorie sowie die dependenzgrammatische Forschung im Deutschen eine stabile Basis neuer Erkenntnisse zu erarbeiten. Dies soll nach der Operationalisierung des Forschungsgegenstands der Kopula-Prädikativ- Komplexe sowie der Herleitung einer geeigneten Methode zur Ermittlung des Inhalts der Kopula bzw. des Verbs sein mittels einer deduktiven Prüfung unter Hinzuziehung induktiver Methoden an empirisch erhobenen Datenmengen sprachlichen Materials erfolgen. Bei der vorliegenden Studie und Analyse wird die Anwendung einer indirekten Forschungsmethode, welche durch unbeweisbare, gesetzte Rahmenbedingungen auf die Existenz oder Nichtexistenz des Forschungsgegenstands selbst oder seine Eigenschaften schließt, vermieden. So soll in der vorliegenden Studie z. B. nicht durch die Rahmenbedingung eines Sprachvergleichs indirekt auf die Existenz einer verdeckten Kopula oder die Eigenschaften eines im Ausdruck materialisierten Verbs sein geschlossen werden. Deshalb wird in der vorliegenden Untersuchung nicht aus gelehrten, mathematisch oder empirisch unbewiesenen Thesen eines anderen Fachbereichs, z. B. der Theologie, eine Interpretation der Kopula bzw. des Verbs sein im Deutschen konkludiert. Die vorliegende Studie versteht sich nicht als Versuch, anhand von beispiel- oder vereinzelt corpusbeleggestützter Darstellung auf die Qualitäten syntaktischer oder semantischer Einbettungen der betreffenden Verben oder auf die Eigenschaften derselbigen zu schließen, wobei die zu diesem illustrativen Zweck selegierten Beispiele oder Belege weder empirisch, d. h. der induktiven Methode sowie der Berücksichtigung einer breiten und umfangreichen empirischen Basis beipflichtend erhoben, noch als Forschungsgegenstand angemessen <?page no="28"?> isoliert und ohne Kontrollexperimente als auch Vergleichsdaten in der deduktiven Prüfung präsentiert werden. Stattdessen argumentiert die vorliegende Untersuchung mit der Korrespondenztheorie anhand eines Verhältnisses zwischen Theorie und Realität des sprachlichen Materials. Es handelt sich bei der vorliegenden Studie um eine einzelsprachlich orientierte, synchrone, sprachwissenschaftliche Untersuchung der deutschen Sprache und um eine wörterbuch- und corpusbasierte Forschung der kritischen Grammatikographie mit einer neueren corpuslinguistischen Methode bestehend aus einer Abfrageprozedur sowie einer Auswertung und Untersuchung. Als Kontrollexperimente und Vergleichsdaten zur Analyse der Kopulae und ausgewählten kopulaähnlichen Verben (bleiben; gelten; heißen; scheinen; sein; werden) dienen die Analyse der mitausgewählten Objektsprädikativverben (bezeichnen; heißen; nennen; schimpfen) sowie die Analyse vielfältiger potentieller Realisierungsformen der Objekts- oder Subjektsprädikative (ADJ(P)n; ADK(P)n; ADV(P)n; AJKPn; N(P)n; PART-I-(P)n; PPn), so dass unterschiedliche Ergebnisse erhalten werden können. Für die Datenerhebung wird der wörterbuch- und corpusbasierte, quantitativ-qualitative Ansatz 3 gewählt. Die intendierten Untersuchungen der vorliegenden Studie basieren somit auf einer ausreichend großen Menge empirischer Sprachdaten, welche die Sekundärdaten in der vorliegenden Studie bilden. Anhand dieser werden die grammatikographischen Analysen nicht nur exemplarisch, sondern systematisch-empirisch durchgeführt. 4 Dabei kommen 1. eine empirische Datenerhebung, 2. eine morphosyntaktische Analyse, 3. operationale Testverfahren des linguistischen Strukturalismus und 4. das Valenzmodell sowie die ‚ Bedeutungsvarianten ‘ nach Helbig zum Einsatz. Die Interdisziplinarität beschränkt sich auf eine Hinzuziehung der Philosophie zu explikativen sowie der Logik und Mathematik zu erklärenden als auch methodischen Zwecken. So schließt die vorliegende Studie aus, dass es sich bei der angewandten Methode bereits um das Ergebnis der empirischen Studie bzw. der Beleganalyse handelt, indem die 5. Theorie mathematischer Funktionen sowie der injektiven, surjektiven und bijektiven Abbildungen, 6. die mehrstelligen Prädikate der modernen Logik, 3 L EMNITZER / Z INSMEISTER (2015: 34 - 37) 4 Vgl. S CHIERHOLZ (2001: 1) 28 2 Zielsetzung <?page no="29"?> 7. der Funktionenbegriff nach Frege, 8. das Leibniz-Gesetz sowie 9. der λ -Abstraktor bzw. der deskriptive λ -Kalkül nach Church 5 , seine linksassoziative β -Reduktion und zu Teilen die Definition der α -Äquivalenz aus der Mathematik und deren logischer Grundlagenforschung für die Ziele der vorliegenden Studie originär möglichst akkurat in die Linguistik übertragen werden. Dabei geht die vorliegende Untersuchung bewusst nicht a priori von der unbegründeten Annahme einer Existenz oder Nichtexistenz eines Homomorphismus zwischen Syntax und Semantik aus, sondern bemüht sich lediglich, die Begriffstheorie sowie Funktionenschreibweise logischer Prädikate in der deskriptiven Notation zunächst zu begründen und daraufhin probat anzuwenden. Die Darstellung der Analyseergebnisse erfolgt mit Hilfe 1. eines Dependenzstemmas in Tabellenform 6 2. des deskriptiven λ -Kalküls (Intensionsstruktur (IS); typisierte Intensionsstruktur (TIS); Normalform (NF)). Das Experimentieren mit dem sprachlichen Material klärt die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz traditioneller Kopula-Prädikativ-Komplexe a posteriori seitens einer Sinnebene und ordnet a priori jedem verbalen Signifikanten ein potentielles Signifikat zu, um die Konnexionsstrukturen und logischsemantische Valenz in Kopula-Prädikativ-Komplexen zu untersuchen. Es ergibt sich schließlich nachfolgende mehrteilige zentrale Fragestellung: 1. Sind die Sprachzeichen des Verbs in verschiedenen syntaktischen und semantischen Einbettungen als Zeichenketten homonym mit verschiedenen Signifikaten? Existieren inhaltsleere Signifikanten des Verbs ohne Signifikat? Konnotieren mehrere Signifikanten des Verbs ein einziges bestimmtes Signifikat? 2. Welche syntaktischen Funktionen üben die Einheiten in Position der traditionellen Subjekts- und Objektsprädikative in verschiedenen syntaktischen und semantischen Einbettungen aus? 3. Wie verhalten sich Zeichenkette, Sinnstruktur und Urteilscharakter einer natürlich- oder formalsprachlichen Äußerung zueinander? 4. Welche Strukturen sind in Aussagesätzen bzw. Kohärenzfeldern der natürlichen Sprache auffindbar, und wie können die Prädikatenlogik Freges sowie der deskriptive λ -Kalkül Churchs als formalisierte Sprache akkurat zur Beschreibung dieser natürlichsprachlichen Strukturen verwandt werden? 5 C HURCH (1951) 6 Vgl. K UNZE (1972: 14 - 17) 2 Zielsetzung 29 <?page no="30"?> 3 Erläuterungen zur Terminologie und Textgestaltung Wenn die Begriffe nicht richtig sind, so stimmen die Worte nicht; stimmen die Worte nicht, so kommen die Werke nicht zustande. (Konfuzius) Die Fachterminologie ist entweder vorausgesetzt oder im Fließtext erklärt, und die einleitenden Anmerkungen hierzu können nur unvollständig sein. In der vorliegenden Untersuchung wird zwischen Zeichen, Sinn und Bedeutung unterschieden. Die Termini Inhalt und Semantik werden hierbei derart verwendet, dass sie sowohl die Bedeutung als auch den Sinn umfassen können. Der Begriff Konnotation bezieht sich auf den Sinn eines Sprachzeichens, der Begriff Denotation referiert auf die Bedeutung desselbigen. Der Fachterminus Signifikant meint das Zeichen oder die Wortform, während das Signifikat ebenfalls entweder dem Sinn oder der Bedeutung zuzuordnen ist. Der Begriff Designat wurde aufgrund seiner potentiellen Assoziierbarkeit mit seinem Gegenbegriff Denotat in einem bilateralen Zeichenmodell weitgehend vermieden. Die Fachtermini Polysemie und Ambiguität werden als gleichbedeutend verwendet und stehen in der vorliegenden Studie für die Termini Polysemantizität, Mehrdeutigkeit sowie für die Mehrdeutigkeit als Implikation einer angenommenen Unbzw. Unterbestimmtheit (auch: Unbzw. Unterdeterminiertheit) oder Unbzw. Unterspezifiziertheit eines Zeichenträgers. Der grammatische Fachbegriff Prädikativ wird beibehalten, muss jedoch von dem Begriff des logischen Prädikats sowie des grammatischen Prädikats unterschieden werden, weswegen ein in traditionellen Grammatiken syntaktisch oder semantisch hergeleitetes Prädikativ im empirischen Teil der Studie sowie in der Schlussbemerkung und im Anhang traditionelles Prädikativ genannt wird. Ebenfalls werden logisches Subjekt sowie grammatisches Subjekt differenziert, wobei ein logischer Gegenstand auch durch eine Person, d. h. ein Individuum repräsentiert werden kann. Der Terminus Argumentstelle bezeichnet in der vorliegenden Studie gemäß der in der Mathematik üblichen Ausdrucksweise grundsätzlich jede sättigbare Leerstelle einer Funktion bzw. eines Prädikats, eines Begriffs oder einer Beziehung, nicht nur diejenigen Valenzstellen obligatorischer Ergänzungen. Die Benennung Beziehung gilt auch für logische Prädikate in Funktionendarstellung mit mehr als zwei Argumentstellen. Der Terminus logisches Prädikat <?page no="31"?> stellt den aussagen- und prädikatenlogischen Aspekt heraus, während der Terminus Funktion darauf hinweist, dass die Notation überdies der Mathematik entlehnt ist, und die Termini Begriff und Beziehung reflektieren eine Assoziation mit den Einheiten der natürlichen Sprache sowie der Begriffslogik. In den meisten Fällen sind in der vorliegenden Untersuchung für den betreffenden, mit den Termini logisches Prädikat, Funktion und Begriff bzw. Beziehung benannten Forschungsgegenstand die Bezeichnungen beliebig wählbar, da sie an der betreffenden Textstelle einander in der Sache entsprechen. Der Terminus Begriff wird an einigen Stellen statt der Termini einstelliger Begriff und mehrstellige Beziehung benutzt, da der Terminus Begriff grundsätzlich eine Entität der Begriffslogik sowie der Begriffsebene bzw. der Sinnebene bezeichnet, welche nach Frege mit einer Funktion assoziiert werden kann. Eine höherstufige Beziehung wird deshalb z. B. auch höherstufiger Begriff genannt. Die Termini Form und Ausdruck werden zumeist als gleichbedeutend verwendet. Des Weiteren wird in der vorliegenden Studie eine Differenzierung zwischen den Termini Komposition und Synthese vollzogen und das Adjektiv assertiv aus der Sprechakttheorie unter Präferenz des Adjektivs assertorisch nicht verwendet. Die morphosyntaktische Qualität setzt sich zusammen aus den morphosyntaktischen Merkmalen und der Wortart. Aufgrund der Theorie der verdeckten Kopula umfasst die Bezeichnung Kopula-Prädikativ-Komplex auch Verb-Objektsprädikativ-Komplexe, welche mit einem sogenannten Objektsprädikativverb gebildet sind. Bezüglich der Gestaltung und Typographie gilt es folgende Bemerkungen zu treffen. Auf eine Auszeichnung fremdsprachlicher Fachausdrücke (z. B. Accomplishments; BECOME-Lesart) wurde aufgrund fehlender typographischer Optionen verzichtet. Grammatikalisch falsche und nicht wohlgeformte Ausdrücke sind mit einem direkt vorangehenden Asterisk gekennzeichnet, während ein Fragezeichen in Klammern unmittelbar vor grammatikalisch fragwürdigen Ausdrücken steht. Eine veraltete Rechtschreibung in wörtlichen Zitaten und in aus diesen übernommenen, im Fließtext kursiv verfassten Exzerpten wurde nicht auf die aktuelle Rechtschreibung korrigiert, sondern im Original belassen. Es wird darauf hingewiesen, dass bei der wörtlichen Zitierung von Teilsätzen und Phrasen gemäß der typographischen Regeln nach Samac/ Prenner/ Schwetz zu Beginn und am Ende des Zitats keine Klammern mit Punkten eingefügt sind. 7 In Absätzen mit mehreren wörtlichen Zitaten wurde damit eine Beruhigung des Schriftbildes erreicht. Auslassungen in wörtlichen Zitaten sind grundsätzlich anhand der Substitution [ … ] markiert. Die sich in Position des Tiefindex befindlichen Angaben sind entweder kursiviert oder nicht kursiviert. Es sind nur diejenigen Tiefindizes 7 S AMAC / P RENNER / S CHWETZ (2009: 104) 3 Erläuterungen zur Terminologie und Textgestaltung 31 <?page no="32"?> kursiv, welche eine Eigenschaft des zugehörigen Zeichenträgers anzeigen (z. B. NP AKK ), während Tiefindizes, welche die Eigenschaften anderer Zeichenträger angeben, z. B. Rektionsverhältnisse, unkursiviert sind (z. B. geben DAT, AKK ). Auszeichnungen in Kapitälchen sind ausschließlich den Literaturangaben vorbehalten, weswegen generell Kapitälchen in wörtlichen Zitaten stillschweigend in Versalien umgewandelt wurden. Für eine optische Hervorhebung der ermittelten traditionellen prädikativen Verhältnisse in der formalen Notation wurde in der Beleganalyse im Anhang des empirischen Teils der Studie (s. 10) die Schriftauszeichnung als Fettschrift und Unterstreichung der involvierten Entitäten gewählt. Im empirischen Teil der Untersuchung (s. 7; 10) werden Fachbegriffe vermehrt abgekürzt. Einige Abkürzungen und Symbole fachwissenschaftlicher Literatur anderer Autoren, die im Forschungsüberblick vorgestellt wird, sind dortig kurz erklärt, aber teilweise nicht in das Abkürzungs- oder das Symbolverzeichnis mitaufgenommen, da sie keine Relevanz oder Verwendung im theoretischen und empirischen Teil der vorliegenden Untersuchung haben. Die nummerierten und unnummerierten Beispiele dienen ausschließlich als linguistischer Forschungsgegenstand und geben keine Ansichten der Autorin vorliegender Monographie wieder. Die poetisch zu verstehenden Mottos unter den Überschriften als auch die Haltungen ihrer Verfasser tangieren nicht sachlich den Inhalt dieser Monographie und sind ebenfalls nicht mit der Autorin derselbigen zu identifizieren. 32 3 Erläuterungen zur Terminologie und Textgestaltung <?page no="33"?> 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur In dieselben Fluten steigen wir und steigen wir nicht: Wir sind und sind nicht. (Heraklit) Im Folgenden wird ein Überblick über den Forschungsstand zu dem Gegenstand der Untersuchung, den Kopulae und kopulaähnlichen Verben in Kopula- Prädikativ-Komplexen im Deutschen dargelegt. Obwohl die vorliegende Untersuchung aufgrund des Konzepts der verdeckten Kopula (s. 5.3; 5.4) in Kopula- Objektsprädikativ-Komplexen Objektsprädikativverben mitumfasst, betrifft ein Untersuchungsergebnis insbesondere das Verb sein und die Theorie der Kopula. Im Forschungsüberblick sind demzufolge vor allem Studien zu den sogenannten Kopulaverben sein, werden und bleiben relevant. Die Philosophie- und Logikgeschichte ist für die Begutachtung der Fachliteratur von entscheidender Bedeutung, kann jedoch aufgrund verschiedener Prädikatsauffassungen nicht im Rahmen einer Vorstellung der sprachwissenschaftlichen und linguistischen Forschung zu Kopula-Prädikativ-Komplexen thematisiert werden, so dass diese Komponente im darauffolgenden Kapitel 5 Kopula und logische Prädikation detaillierter dargestellt wird. Da somit in der vorliegenden Studie der Fokus des Interesses auf der Theorie der Kopula und dem logisch-semantischen Status der Kopulae und kopulaähnlichen Verben liegt, wird für eine Präsentation der Forschung zu Kopula-Prädikativ-Komplexen eine Herangehensweise gewählt, welche die Kopula oder das kopulaähnliche Verb vor dem Prädikativ priorisiert. Die Prädikative stellen aufgrund ihrer definitorischen Abhängigkeit vom Konzept der Kopula sowie ihrer Affinität zum logischen Prädikat einer Proposition in sprachwissenschaftlicher Literatur eine formal sehr heterogene Kategorie dar, denn die logisch-philosophischen, semantischen und syntaktischen Untersuchungen bezüglich der Subjekt-Prädikat-Struktur, der Kopula sowie des Verhältnisses zwischen Prädikativ und Kopula gehen von variierenden Vorannahmen aus, ziehen demzufolge verschiedene Schlussfolgerungen und sollen deshalb hier nicht zum Ausgangspunkt eines strukturierten Forschungsüberblicks gemacht werden. Sämtliche Literatur zu Prädikativen ist semantisch-syntaktisch und hierbei insbesondere an der binaristischen Syntaxbeschreibung orientiert, mit Ausnahme einiger valenztheoretischer Publikationen, welche auch lexikalische Eigenschaften oder einen Argumentstatus <?page no="34"?> traditioneller prädikativer Entitäten ansprechen. Eine Vorstellung von Forschungsliteratur zu Prädikativen im Deutschen sowie einen Vorschlag zur Klassifikation derselbigen bietet Dolinskas Dissertation Zur Klassifizierung der Prädikative 8 . 4.1 Die Grammatiken des Deutschen Exemplarisch für Interpretationen der Kopulae, kopulaähnlichen Verben und Objektsprädikativverben sowie für verschiedene Auffassungen der Kopula- Prädikativ-Komplexe in deutschen Grammatiken wird im Folgenden eine Auswahl älterer und neuerer Grammatiken vorgestellt. Diese Auswahl von Grammatiken zur deutschen Sprache lässt sich anbetrachts der logisch-semantischen Struktur in Kopula-Prädikativ-Komplexen als Untersuchungsschwerpunkt der vorliegenden Studie primär in zwei Gruppen unterteilen: 1. Diejenigen Grammatiken, welche eine binaristische Syntaxbeschreibung vornehmen, auf welche im Text als sogenannte traditionelle Grammatiken referiert wird (s. 4.1.1); 2. jene Grammatiken, welche eine Syntaxbeschreibung vorschlagen, die Aspekte mit dem Potential aufzeigt, eine traditionelle binaristische Auffassung eines deutschen Aussagesatzes zu restrukturieren (s. 4.1.2; 4.1.3). Diese Einteilung erfolgt primär aufgrund der Analyse des Kopula-Prädikativ- Komplexes in den einschlägigen Grammatiken und nicht anhand der Analyse anderer syntaktischer und semantischer Deskriptionen, wie z. B. attributive Verhältnisse in Substantivgruppen oder Valenzverhältnisse, welche für adjektivische oder substantivische Nomen angenommen werden. Einige Grammatiken, die prima facie eine Zwischenstellung einnehmen, jedoch aus Sicht der Analysemethode der vorliegenden Studie nicht ausreichend konsequent restrukturierende Ansätze präsentieren und in einer binaristischen Syntaxbeschreibung verhaftet bleiben, werden im folgenden Überblick nicht explizit vorgestellt, da sie vor dem Hintergrund des theoretischen Rahmens der vorliegenden Studie zum Teil Widersprüche aufweisen oder keine kohärente Argumentation und Systematik verfolgen, was zu der Verdeutlichung der Zielsetzung der vorliegenden Studie nichts Konstruktives beiträgt. Stattdessen werden Ansätze dieser und weiterer Grammatiken an geeigneter Stelle im Text erklärend erwähnt und dortig Aspekte derselbigen dargelegt. Darüber hinaus sind die Grammatiken nach ihrem Erscheinungsdatum geordnet. Sämtliche 8 D OLINSKA (2012) 34 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="35"?> Grammatiken werden neben ihrer Vorstellung im Forschungsüberblick detaillierter im theoretischen Teil der vorliegenden Studie besprochen. Insbesondere wesentlich restrukturierende Impulse in den Syntaxbeschreibungen der Grammatiken von Kern, Glinz und Erben werden ausführlich im theoretischen Teil der Studie behandelt. 4.1.1 Grammatiken mit binaristischer Syntaxbeschreibung Paul erwähnt die Kopula als Verbindungsglied zwischen Subjekt und „ nominalem Prädikat “ 9 , das durch die Verben sein oder werden repräsentiert werden kann. Sodann nennt er eine Kritik an dieser Auffassung, die sich in der Position äußert, das Verb auch in derartigen Kopulasätzen als Prädikat und das sogenannte nominale Prädikat als Bestimmung des Verbs anzuerkennen. Doch Paul erwidert diese Kritik mit dem Argument 10 , dass es zweifellos sei, dass „ ein Satz wie der Affe ist ein Säugetier nicht aufgefaßt wird als ‚ der Affe existiert als ein Säugetier ‘ , vielmehr ist das Verbum inhaltsleer und ein Säugetier wird in direkte Beziehung zu der Affe gesetzt. “ 11 Des Weiteren geht Paul von einer historischen Ausdehnung des Gebrauchs der Kopula aus, einen Zustand oder den Eintritt eines Zustands zu beschreiben und vergleicht derart gebildete Kopulasätze mit anderen Formen aus Sprichwörtern, die das nominale Prädikat in Auslassung der Kopula direkt an das Subjekt fügen (z. B. Träume Schäume; Bescheidenheit das schönste Kleid) und Kontruktionen mit der Formulierung je - je (desto) (z. B. je länger, je lieber; je eher, desto besser). Dies ist für Paul der Nachweis, dass die Kopula entbehrlich ist. Dennoch seien mit der Kopula „ gewisse Vorteile “ 12 verbunden. Diese behaupteten Vorteile sowie die Frage, weswegen die Kopula als sprachliches Zeichen realisiert wird, obwohl dieses inhaltsleer sein soll, thematisiert Paul nicht ausführlicher. Das nominale Prädikat geht nach Paul ein logisches Verhältnis mit dem Subjekt ein, das sich in einer Identifikation (z. B. der Mann ist mein Vater), in einer Einreihung und in der Zuordnung eines Charakteristikums (z. B. der Mann ist ein Schneider) äußert. Paul vergleicht dieses Verhältnis mit den frei an Substantive angeschlossenen attributiven Adjektiven. 13 Prädikative Adjektive stellt Paul mit Adverben und präpositionellen Bestimmungen auf eine Stufe (z. B. das ist so/ anders; er ist hier). Außer den Verben sein und werden schreibt Paul schließlich 9 P AUL (1968 [1919]a: 40) 10 P AUL (1968 [1919]a: 40 ff.) 11 P AUL (1968 [1919]a: 41) 12 P AUL (1968 [1919]a: 41) 13 P AUL (1968 [1919]a: 40 ff.) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 35 <?page no="36"?> auch anderen Verben den „ Charakter einer Kopula “ 14 zu. Dies sind die Verben bleiben und mhd. bestân, aber auch die Verben scheinen, dünken und heißen. Paul setzt das Verhältnis zwischen nominalem Prädikat und Subjekt dem Verhältnis zwischen Attribut und Substantiv gleich, da die Kopula auslassbar sei. 15 Darüber hinaus konstatiert Paul, dass jedwedes Verb nicht zu den notwendigen Bestandteilen eines Satzes gehöre. 16 Unter dem Begriff Prädikatsergänzungen erfassen Schulz/ Griesbach „ Satzfunktionsteile, die außerhalb der Prädikate an der Bezeichnung eines Geschehens/ Seins teilnehmen “ 17 , und fahren fort: „ Es sind zumeist ganz bestimmte Verben, die im Zusammenspiel mit Prädikatsergänzungen ins Prädikat treten. Ihnen verbleiben dann nur strukturale bzw. funktionale Aufgaben. Sie haben ihren Wortinhalt, den sie in anderen Zusammenhängen zum Ausdruck bringen, weitgehend aufgegeben und werden deshalb als Funktionsverben betrachtet. “ 18 Anderweitig definieren Schulz/ Griesbach die Gruppe der Verben mit Prädikatsergänzungen nicht, so dass verschiedenste Verben mit sogenannten austauschbaren Prädikatsergänzungen (z. B. Belgien liegt in Westeuropa) und festen Prädikatsergänzungen (z. B. er setzte die Maschine in Betrieb) auftreten. 19 Unter dem Begriff der austauschbaren Prädikatsergänzungen erwähnen Schulz/ Griesbach fünf Konstruktionen, die mit bekannten Kopulae und kopulaähnlichen Verben gebildet werden. Dies sind zunächst die Lokalergänzungen, die bei Geschehen die Richtung oder das Ziel nennen (z. B. er bleibt in der Stadt), die Temporalergänzungen, die bei zeitgebundenem Geschehen/ Sein den Zeitraum oder den Zeitpunkt angeben (z. B. es ist neun Uhr; sie blieben drei Tage) sowie die Modalergänzungen, welche bei Geschehen/ Sein die Art und Weise, den Zustand oder den Status aufzeigen (z. B. Peter ist krank; der Mann ist des Diebstahls verdächtig; wir sind deiner Meinung). Darüber hinaus führen Schulz/ Griesbach den Prädikatsnominativ „ nach Verben wie sein, werden, bleiben, sich dünken, heißen und scheinen “ 20 an, der auf das Subjekt bezogen ist (z. B. dieses Gebäude ist ein Museum; ich werde Ingenieur; er dünkt sich ein Held; Herr Müller bleibt Vorsitzender des Vereins) und der nach einigen Verben mit der Konjunktion als angeschlossen ist (z. B. der Verkauf des Hauses stellte sich später als ein großer Fehler heraus). Des Weiteren erläutern Schulz/ Griesbach den Prä- 14 P AUL (1968 [1919]a: 45) 15 P AUL (1968 [1919]a: 45) 16 P AUL (1968 [1919]b: 364) 17 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 323) 18 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 323) 19 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 323 ff.) 20 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 327) 36 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="37"?> dikatsakkusativ, welcher mit den kopulaähnlichen Verben nennen, heißen, schelten, schimpfen, schmähen, taufen u. a. einen Komplex bildet (z. B. er nennt mich seinen Freund; wir glauben ihn Herrn der Lage; sie tauften ihr Boot ‚ Schneller Pfeil ‘ ) und der ähnlich wie der Prädikatsnominativ nach einigen Verben mit den Konjunktionen als und für auftritt (z. B. ich betrachte ihn als einen ehrlichen Menschen). 21 Konstruktionen, welche Dolinska z. T. als Depiktive und Resultative 22 , d. h. als freie Prädikative listet, finden bei Schulz/ Griesbach nicht unter dem Begriff der Prädikatsergänzung, eines AcI oder gar eines Prädikativs Erwähnung, sondern werden als Objektergänzungen bezeichnet, die jedoch mit Kopula-Konstruktionen umschrieben werden (z. B. ich sehe ihn fröhlich - er ist fröhlich; ich fand das Buch im Schrank - das Buch war im Schrank; er fühlte den Schmerz im Magen - der Schmerz war im Magen; wir hören die Kinder im Zimmer - die Kinder sind im Zimmer; sie färbt ihr Kleid grün - das Kleid wird grün). 23 Objektergänzungen, welche „ die Beschaffenheit der mit dem Objekt genannten Person oder Sache “ 24 bezeichnen, führen Schulz/ Griesbach auf attributive Konstruktionen zurück (z. B. wir pflücken die Tomaten reif - die reifen Tomaten), wobei derartige Objektergänzungen nach bestimmten Verben ebenfalls mit den Anschlusselementen als oder für angefügt werden (z. B. wir kennen diesen Mann als ehrlich - dieser Mann ist ehrlich). 25 Heidolph/ Flämig/ Motsch nennen lediglich diejenigen Verben, welche Subjektsprädikative zu sich nehmen, Kopulae. Die Kopula fassen sie gegenüber anderen Verben als „ semantisch leer “ 26 auf. Heidolph/ Flämig/ Motsch erwähnen, dass ausschließlich bei „ bestimmten Verben “ 27 Adjektiv-, Substantiv- oder Präpositionalgruppen auftreten 28 , welche die syntaktische Funktion eines Prädikativs übernehmen und gemeinsam mit dem Verb das Prädikat P bilden. 29 Hierbei unterscheiden Heidolph/ Flämig/ Motsch zwischen Prädikativen, die sich auf das Subjekt beziehen (z. B. der Baum wird sehr hoch) und Prädikativen, die sich auf das Akkusativobjekt beziehen (z. B. man hat ihn einen Verräter genannt). 30 Nach Heidolph/ Flämig/ Motsch kann das Prädikativ, wenn es relationale 21 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 327) 22 D OLINSKA (2012: 115 - 144) 23 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 342) 24 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 342) 25 S CHULZ / G RIESBACH (1978: 342 f.) 26 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 250) 27 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 249) 28 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 456 ff., 617, 254 ff., 370 ff., 431 ff.) 29 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 249) 30 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 249 f.) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 37 <?page no="38"?> semantische Merkmale enthält, Valenzträger für Adverbialbestimmungen und Objekte werden, ist aber selbst syntaktisch vom Kopulaverb gefordert. 31 Nach Heidolph/ Flämig/ Motsch ist demzufolge das Prädikativ und nicht das Kopulaverb das einzige Satzglied, das gegenüber anderen Satzgliedern Valenzträger sein kann (z. B. die Familie war dortsässig; wir waren auf Veränderungen gefaßt; ich bin diesen Ärger los). 32 Somit legen Heidolph/ Flämig/ Motsch auch dar, dass Prädikative in Sätzen mit einem Akkusativobjekt in der Regel ihre Valenzstelle nicht im Subjekt, sondern in diesem Akkusativobjekt haben und dass sich diese Prädikative gegenüber dem Akkusativobjekt genau so verhalten, wie sich prädikative Adjektive mit Kopulaverb zum Subjekt verhalten. An dieser Stelle nennen Heidolph/ Flämig/ Motsch nicht nur Sätze mit Verben des Bezeichnens und Benennens (z. B. man hat ihn einen Verräter genannt), sondern auch Konstruktionen mit Verben, die sogenannte „ Resultats-Prädikative “ 33 anschließen (z. B. Helga macht die Scheiben blank). Heidolph/ Flämig/ Motsch konstatieren, dass Substantivgruppen, die als Prädikative fungieren oder in prädikativen Präpositionalgruppen enthalten sind, auf denselben Gegenstand referieren wie die Substantivgruppe, welche die Bezugsphrase des Prädikativs, d. h. das Subjekt oder das Akkusativobjekt des Satzes, darstellt. 34 Eine genauere Differenzierung zwischen der innersprachlichen Referenz des Prädikativs auf seine Bezugsphrase im Aussagesatz und der Referenz der Substantivgruppen auf Denotate findet bei Heidolph/ Flämig/ Motsch an dieser Stelle nicht statt, doch fügen Heidolph/ Flämig/ Motsch hinzu, dass prädikative Substantive nicht auf Gegenstände referieren, wenn sie eine qualifizierende Funktion haben. 35 Angeblich trifft diese Referenzlosigkeit auf Substantive in bestimmten Ausdrücken zu (z. B. etwas zur Kenntnis bringen; etwas in Ordnung bringen). Derartige Konstruktionen gelten bei Heidolph/ Flämig/ Motsch als Streckformen. Nach Heidolph/ Flämig/ Motsch können prädikative Präpositional- und Substantivgruppen in Form von sogenannten Streckform-Prädikativen fungieren, denn sie selektieren ihre Referenz auf Gegenstände und weisen ähnliche Valenzeigenschaften wie Prädikative auf. 36 Heidolph/ Flämig/ Motsch schreiben außerdem den zugeordneten Verben eine kopulative Funktion als sogenannte Streckformen oder Funktionsverben zu 37 , die in Verbindung mit 31 Vgl. H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 250); zu semantischen Selektionsbeschränkungen, s. 5.8.3, 6.4.2, 6.4.2.1. 32 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 250 f., vgl. 440) 33 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 251) 34 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 251) 35 Vgl. L ANG (1969), zit. nach H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 441) 36 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 252 f., 431 f., 440, 441 f.) 37 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 433) 38 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="39"?> dem Streckform-Prädikativ das komplexe Prädikat eines Satzes bilden, das dann als Komplex selektiv auf das Substantiv in Subjekt- oder auf das als latentes Subjekt fungierende Substantiv in Objektposition referiert (z. B. etwas zur Durchführung bringen; Anerkennung finden). In einer Streckform dienen nach Heidolph/ Flämig/ Motsch die Präpositionsgruppen bezüglich Akkusativobjekten (z. B. etwas zum Abschluss bringen) und die Substantivgruppen bezüglich Dativobjekten (z. B. jemandem Hilfe leisten) als Valenzträger, welche auch Leerstellen für weglassbare Ergänzungen eröffnen können (z. B. in Verwirrung (über etwas) geraten; Abschied (von jemandem) nehmen). Drei verschiedene Transformationen belegen nach Heidolph/ Flämig/ Motsch die Ähnlichkeit sogenannter Streckform-Prädikative mit regulären Subjekts- und Objektsprädikativen und begründen die syntaktische Funktion der Streckformen als Prädikativ anstatt als Präpositionalobjekt oder als adverbiale Richtungsbestimmung. 38 Das Prädikativ ist bei Heidolph/ Flämig/ Motsch generell als Funktionsname einer Wortgruppe genannt, die als mehrfunktionale Wortgruppe fungiert, deren direkt übergeordnete Wortgruppe die aktuelle Funktion der Wortgruppe in einem bestimmten Fall festlegt. Das Prädikat selbst ist hierbei eine einfunktionale Wortgruppe, die nicht mehrfunktional einsetzbar ist. 39 Das Prädikativ zu einem Akkusativobjekt gilt bei Heidolph/ Flämig/ Motsch nicht ebenfalls als Akkusativobjekt, sondern als Prädikativ mit Bezug auf ein Akkusativobjekt (z. B. man nannte ihn einen Scharlatan). Deshalb müssen derartige Konstruktionen nach Heidolph/ Flämig/ Motsch von Sätzen abgegrenzt werden, die zwei Akkusativobjekte aufweisen (z. B. er lehrte mich das Segeln). Der AcI wird bei Heidolph/ Flämig/ Motsch als einziges einheitliches Objekt aufgefasst (z. B. Peter sieht mich kommen). 40 Des Weiteren führen Heidolph/ Flämig/ Motsch die Adverbialbestimmung als Nebenfunktion einer Adjektiv- oder Adverbgruppe an, so dass die Funktionen Adverbialbestimmung und Prädikativ einander ausschließen und miteinander konkurrieren. 41 Hierbei stehen Adjektive als Subjektsprädikative (z. B. das Kind ist gesund) mit kopulativen Verben (z. B. sein; werden; bleiben; scheinen). Ebenso wird Formulierungen, die Heidolph/ Flämig/ Motsch in Kopulasätze umformen, prädikativer Charakter zugeschrieben (z. B. der Raum steht leer - ‚ ist leer ‘ ). Adjektivische Objektsprädikative bilden nach Heidolph/ Flämig/ Motsch Verbindungen mit besonderen Verben (z. B. finden; heißen; nennen; sehen; schelten; schimpfen) und werden ebenfalls in Kopulakonstruktionen transformiert (z. B. Peter nennt den Sturz seines Freundes recht 38 Zu den Transformationen mit Beispielen, s. H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 440 ff.). 39 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 178) 40 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 236 f.) 41 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 456 f.) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 39 <?page no="40"?> gefährlich - ‚ der Sturz ist gefährlich ‘ ). Demzufolge können Adjektive nach Heidolph/ Flämig/ Motsch auch mit anderen Verben (z. B. essen; lassen; liefern; machen; streichen; schienen; schlagen) komplexe Prädikate als Prädikative bilden (z. B. man streicht den Fußboden braun; man isst Apfel ungeschält; man lässt Speisen unberührt). Hierbei geben manche Adjektive ihre Selbständigkeit auf und gelten bei Heidolph/ Flämig/ Motsch als Verbzusätze bzw. Kompositionsglieder (z. B. schlägt tot/ totschlagen; erhält aufrecht/ aufrechterhalten) oder stehen mit intransitiven Verben als Resultativbestimmungen, die transitivierend einen Objektbezug herstellen (z. B. sich die Füße wund laufen; sich krank lachen). 42 Heidolph/ Flämig/ Motsch konstatieren: „ Es hängt von dem besonderen Valenztyp des Verbs ab, ob ein Prädikativ auftritt oder nicht. Für das Verb aber ist das Prädikativ valenznotwendig oder -unmöglich. “ 43 Im Gegensatz zu den adjektivischen Verbzusätzen führen Heidolph/ Flämig/ Motsch Adjektive und Konjuktionalphrasen mit dem Anschlusselement als und Substantiv als valenzunabhängige, sogenannte prädikative Attribute 44 an, die mit einem Vollverb auftreten und das Subjekt oder Akkusativobjekt lediglich „ zur Zeit des vom Verb bezeichneten Geschehens “ 45 charakterisieren, somit an dessen Telizität oder Atelizität gekoppelt sind 46 (z. B. die Urlauber kehren gut erholt zurück (d. h. gut erholte Urlauber)). Nach Heidolph/ Flämig/ Motsch sind diese Attribute prädikativ, da sie sich in eine prädikative Struktur mit einer Kopula umformen lassen (z. B. er isst die Würstchen warm - er isst die Würstchen, wenn/ solange sie warm sind). 47 An dieser Stelle führen Heidolph/ Flämig/ Motsch an, in Sätzen mit objektbezogenen Prädikativen repräsentiere die Bezugsphrase Akkusativobjekt generell eine latente Subjektfunktion, die durch Umformungen oder Aufsplittung des Satzes in zwei Sätze mit Kopula und Prädikativ sichtbar gemacht werden kann (z. B. man trinkt den Kaffee heiß - man trinkt den Kaffee. Der Kaffee ist heiß). 48 Die Transformationsregel lässt sich jedoch nicht auf alle objektbezogenen Prädikative anwenden, so gelten bei Heidolph/ Flämig/ Motsch wiederum einige Konstuktionen als Prädikativkonstruktionen, obwohl sie nicht durch Umformungen oder Aufsplittung in zwei Sätze mit Kopula-Prädikativkonstruktion transformiert werden können (z. B. man hat ihn einen Verräter genannt; sie haben ihn zu ihrem Präsidenten gemacht/ gewählt; man hat ihn als 42 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 617) 43 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 249) 44 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 582, 618) 45 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 618) 46 Vgl. H ELBIG / B USCHA (2001: 464) 47 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 390) 48 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 583) 40 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="41"?> Vertrauensmann bestätigt; er wird als talentiert/ als ein Talent betrachtet). 49 Schließlich merken Heidolph/ Flämig/ Motsch an, dass das Verb sein „ nicht als Kopula zu betrachten [ist], wenn es die Identifizierung der Referenten zweier Substantivgruppen bezeichnet. [ … ] In diesen Sätzen ist sein sowohl syntaktisch als auch semantisch Träger der Valenz. “ 50 (z. B. Paris ist die Hauptstadt von Frankreich; Klaus ist der Anstifter des Streichs). 51 Die Grammatik der deutschen Sprache von Jung 52 spricht von Prädikativen, welche mit den sogenannten kopulativen Verben (z. B. sein; werden; scheinen; bleiben; heißen) oder mit Verben des Nennens (z. B. nennen; schelten; taufen; heißen) gemeinsam das Prädikat eines Satzes bilden. Hierbei verbinden sich manche dieser Verben mit dem Prädikativ durch ein Fügewort (als; für; zu) (z. B. wir halten den Mitarbeiter für einen gewissenhaften Menschen). An dieser Stelle erwähnt Jung Verben, die nicht zu der von ihm aufgestellten Liste der kopulativen Verben oder zu den Verben des Nennens gehören und fügt hinzu, dass einige reflexive und reflexiv gebrauchte Verben (z. B. sich dünken; sich fühlen; sich erweisen; sich nennen; sich zeigen) als auch bestimmte Bedeutungsvarianten einiger Verben (z. B. arbeiten; finden; machen; sehen; stehen; liegen; sterben) mit Prädikativen auftreten (z. B. er erweist sich zuverlässig; er zeigte sich als ein tapferer Mann; er arbeitet als Angestellter; die Gäste fanden die Speisen wohlschmeckend; wir sehen die Freunde fröhlich). Das Prädikativ muss nach Jung von Objekten unterschieden werden, da sich deren Bedeutung auf das Verb, die Bedeutung des Prädikativs jedoch stattdessen auf das Subjekt oder das Objekt des Satzes beziehe. Diesen Sachverhalt nennt Jung die syntaktisch-semantische Beziehung des Prädikativs, das dementsprechend als Subjektsprädikativ oder Objektsprädikativ gilt. 53 Jung merkt an, dass Schwankungen zwischen Prädikatsnominativ und Prädikatsakkusativ möglich sind, da sich das Prädikativ nach Jung bei unechten reflexiven Verben unmittelbar auf das Reflexivpronomen als Akkusativ und mittelbar auf das Subjekt im Nominativ beziehe (z. B. er zeigte sich als aufrichtiger (als aufrichtigen) Freund). In diesen Fällen entscheidet nach Jung der Sprecher, ob der Akkusativ oder der Nominativ stehen soll, je nachdem als zu welcher Bezugsphrase „ gehörig “ 54 das Prädikativ empfunden wird. Jung konstatiert, dass bei echten reflexiven Verben, deren Reflexivpronomen nicht austauschbar ist (z. B. sich benehmen; sich betragen; sich 49 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 251) 50 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 250) 51 H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 250) 52 J UNG (1984) 53 J UNG (1984: 68 f.); zu den Formen des Prädikativs nach Jung, s. J UNG (1984: 69 f.). 54 J UNG (1984: 72) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 41 <?page no="42"?> bewerben), der Nominativ stehen muss (z. B. er benahm sich als fairer Sportsmann) und bei nichtreflexiv gebrauchten, transitiven Verben der Akkusativ steht (z. B. die Belegschaft wählte ihn als Delegierten). 55 Das prädikative Attribut muss nach Jung vom Prädikativ unterschieden werden, da es bei „ vollbedeutenden Verben “ 56 steht, und da es „ ohne Änderung der Verbbedeutung weggelassen werden oder als Attribut zum Subjekt oder Objekt des Satzes treten oder in einen Nebensatz ausgegliedert werden [kann] “ 57 . Sowohl das Prädikativ als auch das prädikative Attribut „ bezeichnen immer Merkmale, die vom Subjekt oder Objekt des Satzes bezeichnet werden “ 58 (z. B. er liebt den Kaffee heiß (= liebt heißen Kaffee, Attribut)). Modalbestimmungen hingegen drücken nach Jung „ Merkmale der Prozesse aus, die vom Verb im Satz bezeichnet werden “ 59 (z. B. er liebt das Mädchen heiß (= heißes Lieben bzw. heiße Liebe, Modalbestimmung)). Die Abgrenzung zwischen Modalbestimmung und der Angabe eines Merkmals der Bezugsphrase durch das Prädikativ ist nicht immer möglich und nach Jung nicht anhand einer wie-Frage zu entscheiden. Jung unterschiedet vier Bedeutungen des Prädikativs. Erstens, das Prädikativ kennzeichnet als Prädikatssubstantiv einen Namen, die Funktion oder die Begriffsklasse der Bezugsphrase (z. B. mein Freund heißt Fritz). Zweitens, das Prädikativ nimmt die Einordnung in eine Gattung vor (z. B. Tischlerei ist ein Handwerk). Drittens, die Zuordnung Subjekt - Prädikatssubstantiv stellt ein Werturteil dar (z. B. er ist ein Prachtkerl). Viertens kann nach Jung das Prädikativ als Prädikatsadjektiv ein Merkmal der Bezugsphrase kennzeichnen, wobei es möglich ist, dass ihm ein Substantiv im Genitiv oder eine Präpositionalfügung nahesteht (z. B. der Boden war hart; die Tür bleibt geöffnet; der Lehrer schilt den Jungen faul). 60 Bezüglich des Prädikatsadverbs 61 nennt Jung kein Beispiel, doch er erwähnt schließlich, dass kein Prädikativ an das Verb angeschlossen wird, wenn das Verb sein die Bedeutung existieren, leben, wohnen oder bestehen aus hat, sondern dass es sich in diesen Fällen um eine Adverbialergänzung handelt (z. B. er war lange unterwegs; der Tisch ist aus Eichenholz). Wenn das Verb sein die Bedeutung gehören aufweist, so schließt es nach Jung ebenfalls kein Prädikativ, sondern ein Objekt an (z. B. der Garten ist meinen Eltern). Das Verb bleiben kann nach Jung die Bedeutung verweilen besitzen, was dazu führt, dass 55 J UNG (1984: 72) 56 J UNG (1984: 71) 57 J UNG (1984: 71) 58 J UNG (1984: 71) 59 J UNG (1984: 71) 60 J UNG (1984: 70 f.) 61 J UNG (1984: 68) 42 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="43"?> es ebenfalls in diesen Fällen kein Prädikativ, sondern eine Adverbialergänzung (z. B. ich bleibe dort/ daheim/ zu Hause) anschließt. 62 Nach Zifonun et al. 63 sind Kopulae (z. B. sein; werden; bleiben) und kopulaähnliche Verben (z. B. heißen; gelten; aussehen; nennen; finden; halten für) Verben, die „ einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Aufbau der Satzbedeutung [leisten]: sie denotieren über die bloße Existenz des Subjekts- Denotats hinaus nur Komponenten wie Veränderung, (gruppenbezogene) Gültigkeit oder Modus der Existenz. Erst zusammen mit der Prädikativbedeutung denotieren sie ein vollständiges Prädikat. “ 64 Außerdem fassen Zifonun et al. bestimmte verfestigte Prädikate, bestehend aus Kopulaverb und einer Präpositionalphrase als Funktionsverbgefüge mit Kopula auf, in welchen wie bei adverbialen Prädikativen die Nominalphrase einer Selektion bezüglich Numerus, Artikel, Attribuierung, Verwendungsmöglichkeiten von Präpositionaladverbien als Verweisformen sowie Erfragbarkeit unterliegt (z. B. an der Reihe sein; auf Achse sein). In den Funktionsverbgefügen mit Kopula gilt das Verb als auch die Präpositionalphrase als desemantisiert, und es liegt, im Gegensatz zu adverbialen Prädikativen, nach Zifonun et al. Präpositionskonstanz vor. Derartige Präpositionalphrasen gelten nach Zifonun et al. nicht als Argument, sondern als „ Bestandteil[e] eines semantisch einfachen, aber formal komplexen idiomatischen Prädikats “ 65 und besitzen keinen echten Komplementstatus. Außerdem nennen Zifonun et al. transitiv-kausative Strukturen mit resultativer Lesart, deren Akkusativkomplement der semantischen Selektion des Verbs unterliegt sowie Bezugsphrase eines Verbgruppenadverbials ist, als Komplementklasse (z. B. der Prinz küsst Dornröschen wach/ aus dem Schlaf). 66 Des Weiteren erwähnen Zifonun et al. sogenannte spezifizierte Prädikate als Verbgruppenadverbiale mit Komplementbezug, welche das Prädikat genauer bestimmen (z. B. sie brachte die Suppe heiß herein). Bezüglich der spezifizierten Prädikate unterscheiden Zifonun et al. zwischen Konstruktionen mit Verben, welche als Vollverb interpretiert werden und in welchen die Spezifikation das Vollverb betrifft (z. B. die Kleinen schliefen fest) und Konstruktionen, welche mit Hilfsverben oder einem als Kopula aufgefasstem Verb gebildet sind (z. B. Janis ist sehr stark; Friedrich war ganz König). Eine Spezifikation wird bei Letzteren 62 J UNG (1984: 68 f.); Jung nennt auch eine prädikative Bedeutungsbeziehung zwischen Bestimmungs- und Grundwort eines Kompositums, z. B. Gastdirigent - der Dirigent ist ein Gast (J UNG (1984: 69)). 63 Z IFONUN et al. (1997a) 64 Z IFONUN et al. (1997c: 1106) 65 Z IFONUN et al. (1997c: 1113 f.) 66 Z IFONUN et al. (1997c: 1113 f., 1116) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 43 <?page no="44"?> nach Zifonun et al. nur in Bezug auf das Adjektiv, das Substantiv bzw. die Substantivgruppe oder das Adverbiale anerkannt, da die Hilfs- und Kopulaverben als nicht spezifizierbar gelten. 67 Auf den Fall derartiger Konstruktionen mit einem ausgezeichneten Vollverb (z. B. die Kinder schliefen sehr fest), für welche ebenfalls angenommen werden kann, dass lediglich das Adverbiale, das Adjektiv oder eine Substantivgruppe spezifiziert werden, ohne dass eine Spezifikation des Vollverbs erfolgt, gehen Zifonun et al. an dieser Stelle nicht ein. Zifonun et al. konstatieren, dass Verbgruppenadverbiale keinen attributiven Charakter besitzen, denn im Unterschied zu Elementen, welche ein Nomen näher bestimmen und aus diesem Grund terminologisch als Attribut gelten, betonen Zifonun et al., dass sich das Adjektiv als Verbgruppenadverbial (z. B. hungrig in das Kind kam hungrig nach Hause) neben dem nominalen Komplement auf das Prädikat bezieht. 68 Schließlich wird eingeräumt, dass die Ansatzpunkte für Spezifikationen in komplexen Prädikaten variabel oder schwer feststellbar sind (z. B. sie gaben ihm schnell Bescheid) und dass eine Zuordnung auch durch die Stellung in der linearen Abfolge im Satz erreicht werden kann (z. B. schnell und zufrieden fuhren sie nach Hause vs. schnell fuhren sie zufrieden nach Hause). 69 Zifonun et al. separieren Kopulaverben (z. B. sein; werden; bleiben) von Hilfs-, Funktions- und Modalverben als spezifische Verbguppe, die „ kombiniert mit einem unflektierten Adjektiv, einer Adkopula, einem Adverb oder einem Substantiv, die phrasal erweitert sein können, als Komplement ( ‚ Prädikativ ‘ ) den Prädikatsausdruck (groß werden, quitt sein, dort sein, Bäcker bleiben) “ 70 bilden. Zudem nennen Zifonun et al. existimatorische Verben, die Aspekte der Wahrnehmung ausdrücken (z. B. ansehen; betrachten; bezeichnen; empfinden; verstehen als). 71 Die Adkopula (z. B. fit; gewillt; leid; pleite; quitt; schade; schuld u. a.) ist nicht flektierbar und nicht attributiv verwendbar, kann jedoch unter Umständen als Adverbial fungieren (z. B. barfuß in sie geht barfuß). Hierbei bildet nach Zifonun et al. die Kopula mit der Adkopula ein minimales Prädikat. 72 Insgesamt zeigen Prädikative die vielfältigsten Realisierungsmöglichkeiten aller Komplementtypen 73 und „ bilden formal eine relativ uneinheitliche Kategorie, die sich aber semantisch recht gut 67 Z IFONUN et al. (1997b: 707 ff.) 68 Z IFONUN et al. (1997c: 1190) 69 Z IFONUN et al. (1997b: 708 f.) 70 Z IFONUN et al. (1997b: 53) 71 Z IFONUN et al. (1997c: 1381) 72 Z IFONUN et al. (1997b: 55) 73 Zu den Formen der Prädikativkomplemente nach Zifonun et al., s. Zifonun et al. (1997c: 1076 f.). 44 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="45"?> als eine Klasse beschreiben läßt. “ 74 Hierbei stellen die Prädikative keine Argumente, da sie Bestandteil des Prädikats sind und aus diesem Grund keinen Sachverhaltsbeteiligten denotieren können. Das Prädikat wird von Kopula und Prädikativ zusammen gebildet wobei semantische Restriktionen nur vom Prädikativ als dem lexikalisch spezifizierten Element ausgehen können. Eine autonome Kodierung tritt nur bei prädikativen Zuschreibungsrelationen auf, die von einer adverbialtypischen Relation überlagert werden. Besondere Aufmerksamkeit widmen Zifonun et al. den sogenannten adverbialen Prädikativen. Zifonun et al. definieren dazu die Subklassen situativer (z. B. lokal: der Nikolaus ist vor der Tür/ draußen/ bei uns; z. B. temporal: Weihnachten ist am 24. Dezember/ morgen/ diesen Montag), direktiver (z. B. Jockel ist aus Mannheim), dilativer (z. B. die Übung ist von 9 bis 11), kausaler (z. B. die ganze Mühe ist nur wegen dir/ weil du nicht da warst), finaler (z. B. dies Konzert ist für Elise/ zum Entspannen), komitativer (z. B. Ober, das Bier ist ja ohne Schaum) und konditionaler (z. B. Humor ist, wenn man trotzdem lacht) adverbialer Prädikative. 75 Zifonun et al. merken an, dass in derartigen adverbialen Konstruktionen das entsprechende Kopulaverb in der Regel nicht in Kommutation mit anderen Kopulaverben steht und Bedeutungsnuancen aufweist, „ die über das Denotat der bloßen Eigenschaftszuschreibung hinausgehen. Vielmehr läßt sich die Kopula hier mit Existenzverben oder Situierungsverben paraphrasieren, die jeweilige Bedeutungsnuance wird dabei durch den semantischen Subtyp des Prädikativkomplements gesteuert. “ 76 Bei adverbialen Prädikativen mit Kopula ist nach Zifonun et al. festzustellen, dass es sich „ um semantisch relativ blasse Prädikate, die über die Existenz des Subjekt-Denotats hinaus oft nur einen Modus des Existierens spezifizieren “ 77 , handelt. Bezüglich aller anderen Realisierungsformen der Prädikative ist nach Zifonun et al. keine autonome Kodierung zu beobachten, weswegen Valenzbindungseigenschaften zwischen Kopula oder kopulaähnlichem Verb und Prädikativkomplement nicht angenommen werden. Nach Zifonun et al. prädizieren Prädikativkomplemente über den von einem Subjekt oder Akkusativkomplement denotierten Gegenstand, wobei eine Eigenschaftszuweisung durch eine Mengenzuordnung des Gegenstands oder eine Einordnung des Gegenstands oder einer Teilmenge in eine Klasse erfolgt. Den Ausdruck einer Gleichsetzung von Gegenständen oder Mengen hingegen weisen Zifonun et al. entschieden zurück. Nach Zifonun et al. etablieren Identitätsaussagen (z. B. sie ist seine Mutter; Menschen sind sprachfähige Säu- 74 Z IFONUN et al. (1997c: 1105) 75 Z IFONUN et al. (1997c: 1110 - 1113) 76 Z IFONUN et al. (1997c: 1112) 77 Z IFONUN et al. (1997c: 1112) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 45 <?page no="46"?> getiere), eine der Eigenschaftszuschreibung verschiedene Relation, die dem Prädikativ echten Argumentstatus verleiht und in welcher dasselbige kein Teil eines Prädikats ist. Schließlich merken Zifonun et al. an, dass die von den Kopulaverben ausgehenden Bindungsrelationen noch ungeklärt sind. Dennoch nehmen Zifonun et al. eine besondere Art von Fixiertheit der Prädikativkomplemente zu den Kopulae und kopulaähnlichen Verben an, die sich darin äußert, dass bei Eliminierung des Prädikativkomplements angeblich der Restausdruck ungrammatisch wird oder einer Bedeutungsveränderung unterliegt, so dass die Eliminierung in Existenzaussagen (z. B. ich denke, also bin ich; stirb und werde; wenn ich nicht wäre! ) resultiert. 78 Götze spricht in seiner Grammatik der deutschen Sprache 79 von Konstruktionen, die er mit „ Verb + Subjekt + Einordnungsergänzung “ 80 , „ Verb + Subjekt + Akkusativergänzung + Einordnungsergänzung “ 81 , „ Verb + Subjekt + Artergänzung “ 82 , „ Verb + Subjekt + Akkusativergänzung + Artergänzung “ 83 sowie „ Verb + Subjekt (+ Akkusativergänzung) + Infinitivergänzung “ 84 umschreibt. Die Einordnungsergänzung steht mit dem Verb und dem Subjekt für den sogenannten Gleichsetzungsnominativ, das Subjektsprädikativ, das Prädikatsnomen oder das Prädikativ. Nach Götze wurde die Bezeichnung Einordnungsergänzung gewählt, da es sich um konstitutive Bestandteile eines Satzes handelt, mit denen eine Person, ein Ding oder ein Abstraktum einer Klasse zugeordnet wird (z. B. Vera ist Lehrerin; Köttgeisering ist ein Dorf). Wie das im vorigen Satz genannte Beispiel zeigt, steht nach Götze die Einordnungsergänzung als Berufsangabe mit dem Nullartikel. Die Einordnungsergänzung tritt mit den Verben sein, werden, bleiben sowie mit zahlreichen weiteren Verben (z. B. arbeiten; sich ausgeben; sich erweisen; gelten etc.), welche die Elemente als, wie, nach, zu und in anschließen (z. B. das Eis zerfloss zu Wasser), auf. Die Erweiterung um die Akkusativergänzung kann mit oder ohne Präposition oder Vergleichselement auftreten. Die Verben finden, heißen, nennen, rufen, schimpfen, taufen bilden diesen Komplex ohne Präposition oder Vergleichsergänzung (z. B. wir nennen ihn einen großen Künstler), die Verben erklären und halten schließen die Einordnungsergänzung mit den Elementen für oder als an (z. B. wir erklären seine Worte für Blödsinn; ich halte das für eine Zustimmung). 78 Z IFONUN et al. (1997c: 1106 f.) 79 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999) 80 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 465) 81 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH . (1999: 466 f.) 82 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 468 f.) 83 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 468 f.) 84 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 471 ff.) 46 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="47"?> Resultative Verben treten mit den Elementen zu, in und aus auf (z. B. wir betrachten das als Nebensache; sie haben ein blühendes Land in eine Wüste verwandelt). Hierzu nennt Götze zahlreiche resultative Verben (z. B. umbauen; zusammenbinden; schrauben; kleben; verbessern; verändern; umschulen; ausbilden; zerdrücken). Bezüglich der Konstruktionen mit einer Artergänzung merkt Götze an, dass dabei die Valenz des Verbs sowie die Valenz des Adjektivs zusammentreffen (z. B. sie ist intelligent; die Tochter gilt als hübsch; sie essen die Fische gebraten). Götze identifiziert die Artergänzung als Attribut zum Akkusativ und verneint einen Verbbezug. 85 Zudem sind die Verben sein, werden, bleiben, scheinen usw. nach Götze „ weitgehend bedeutungsentleerte[n] Hilfsverben “ 86 , so dass es sich nach Götze nicht um eine Artergänzung des Verbs handeln kann, sondern das Subjekt oder andere Ergänzungen werden als Ergänzung der Adjektivvalenz eingestuft (z. B. sie ist intelligent; er war seiner Frau sicher; mein Freund ist überlegen; wir sind die Sorgen los; wir sind stolz auf unsere Kinder). 87 Die deutsche Grammatik von Wellmann 88 erwähnt das Subjektsprädikativ als Gleichsetzungsnominativ (z. B. Hans wird/ ist/ bleibt Elektriker) und schlägt für einige Beispielsätze einen Substitutionstest vor (z. B. das Buch gilt als leicht verständlich mit dem Substitutionstest: das Buch ist leicht verständlich/ gilt als solches). Nach Wellman erzeugen die Verben sein, werden, bleiben, scheinen, heißen, sich fühlen als, gelten als und erscheinen als Subjektsprädikative, ebenso beziehen sich grammatisch freie Adverbien nach Wellman semantisch auf das Subjekt und können mit in einer Probe umschrieben werden (z. B. Mutter stellt den Braten mürrisch auf den Tisch mit der Umschreibung: die mürrische Mutter). 89 Das Objektsprädikativ gilt nach Wellman als Gleichsetzungsakkusativ und tritt mit den Veben nennen, benennen, bezeichnen (als), ansehen (als) und halten (für) auf (z. B. das Geißblattgewächs nennt man auch ‚ Jelängerjelieber ‘ mit dem Substitutionstest: Man nennt es auch so). Auch Adjektive fasst Wellman in derartigen Sätzen syntaktisch als freie Adverbien auf, semantisch jedoch bezögen sie sich auf das Akkusativobjekt (z. B. Mutter stellt den Braten kalt auf den Tisch mit der Umschreibung: den kalten Braten). Dennoch und in scheinbarem Widerspruch dazu appelliert Wellman für eine Unterscheidung zwischen der rein attributiven und der rein prädikativen Verwendung eines 85 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 198, 466 ff.) 86 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 468 f.) 87 G ÖTZE / H ESS -L ÜTTICH (1999: 468 f., 471 ff.) 88 W ELLMANN (2008) 89 W ELLMANN (2008: 189) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 47 <?page no="48"?> Adjektivs (z. B. wir sind frei). Wenn derartige prädikative Adjektive von kausativen oder nicht kausativen Handlungsverben angeschlossen werden, beziehen sie sich nach Wellmann auf das Akkusativobjekt. 90 Wenn daraus eine „ ganz neue Bedeutung hervorgeht, werden sie auch zusammen geschrieben: j-n festnehmen, etw. festsetzen, [ … ], gesundbeten. Bei dieser Zusammenschreibung ist eine absolute (nicht komparierbare) Bedeutung des Adjektivs gemeint. “ 91 In allen anderen Fällen bezieht sich nach Wellman das Adjektiv formal auf das Prädikat, semantisch jedoch als prädikatives Subjekt-Attribut (z. B. meine Tante kam gesund in Baden-Baden an Probe: die zu diesem Zeitpunkt gesunde Tante) auf das Subjekt oder als prädikatives Objekts-Attribut (z. B. ich esse den Fisch auch roh Probe: ich esse auch rohen Fisch) auf das Objekt. 92 Welke erwähnt in den Beispielen seiner Valenzgrammatik des Deutschen 93 lediglich das Verb sein als Kopulaverb, welches ein Subjektsprädikativ anschließt (z. B. Emil ist froh). Als Prädikative listet Welke Subjekts- und Objektsprädikative sowie freie Prädikative. 94 Dabei erklärt Welke: „ Subjekts- und Objektsprädikativa sind einerseits Argumente des übergeordneten Prädikats. Andererseits sind sie, wie der Name Prädikativum sagt, (in semantischer Hinsicht) wie das freie Prädikativ Prädikate zu Argumenten (dem Subjekt oder dem Akkusativobjekt). “ 95 In der Analyse einer Subjektsprädikativkonstruktion (z. B. Emil ist froh) gesteht Welke dem Verb sein einen Status als Valenzträger zu und wertet das Subjekt sowie das Prädikativ als Argumente in valenziellen Leerstellen der Kopula. In seiner Analyse der Subjektsprädikativkonstruktionen bezieht Welke die Valenz des Verbs sowie des prädikativen Adjektivs mit ein und zeichnet das Subjekt auch als Argument des prädikativen Adjektivs aus. Dies kennzeichnet Welke mit der Abkürzung <kop> (für: kopiere), und notiert damit, dass eine valenzielle Leerstelle zur Sättigung durch das Subjekt mit der Valenz der Kopula und ein zweites Mal mit der Valenz des als Argument der Kopula fungierenden prädikativen Adjektivs, gegeben ist. 96 Die Abgrenzung zwischen Objektsprädikativ und freiem Prädikativ ist bei Welke jedoch immer klar formuliert. So fasst Welke einige Objektsprädikativkonstruktionen in Sätzen als relativ frei hinzutretend auf (z. B. Karlchen isst den ganzen Teller 90 W ELLMANN (2008: 205) 91 W ELLMANN (2008: 205) 92 W ELLMANN (2008: 205) 93 W ELKE (2011) 94 W ELKE (2011: 224) 95 W ELKE (2011: 224) 96 W ELKE (2011: 109) 48 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="49"?> leer; er isst sich durch den Brei). 97 Schließlich erwähnt Welke, dass eine Valenzgebundenheit des Objektsprädikativs durch eine Bedeutungsvariation des regierenden Verbs verursacht sein kann (z. B. Emil nennt/ findet Anton; Emil nennt/ findet Anton blöd; Emil betrachtet das Bild; Emil betrachtet das Bild als gefälscht). 98 Weiter führt Welke aus: „ Teil der Unterscheidung von freien Prädikativa und Objektsprädikativa scheint der Umstand zu sein, dass Objektsprädikativa Argumente sind. Wenn aber viele Objektsprädikativa nicht-lizenzierte Argumente sind und sich nur durch die semantisch begründete Argumentbindung auszeichnen, ist auch die Unterscheidung zwischen freien Prädikativa und Objektsprädikativa problematisch. Die formalen Kriterien der Valenztheorie, Obligatheit und Subkategorisierung (Rektion), versagen weitgehend. Auch Obligatheit liegt nicht vor, im Gegensatz zu statischen Lokaladverbien, die ebenfalls nicht subkategorisieren, in einigen Fällen jedoch obligatorisch sind: [ … ] Emil wohnt in Berlin. “ 99 So gelangt Welke zu der Ansicht, dass „ Adjektive [ … ] als Objektsprädikativa nur unter der Sonderbedingung obligatorische [sind], dass sie zusammen mit einem Akkusativobjekt und dem betreffenden übergeordneten Verb genau den Typ von Resultativkontruktionen bilden, der von der Valenztheorie bislang nicht erfasst wird, weil beide, das Akkusativobjekt und das Objektsprädikativ, nicht lizenziert [auch: nicht valenzgebunden] sind: Emil quatscht seinen Freund besoffen. “ 100 Dennoch gelten nach Welke auch einige Objektsprädikative in Resultativkonstruktionen als nicht lizenziert (z. B. er hobelt das Brett; er hobelt das Brett glatt). Des Weiteren bemerkt Welke die semantische Selektion des Akkusativobjekts, welches als Bezugsphrase für das Objektsprädikativ dient (z. B. Emil isst den Teller leer vs. Emil isst den Apfel) und dass prädikative Adjektive in einem Satz mit Direktiv nur als freies Prädikativ realisiert werden können (z. B. er malt das Bild; er malt das Bild auf die Tapete). 101 Schließlich resümiert Welke, dass „ resultative Objektsprädikativ-Konstruktionen als nicht-lizenzierte Argumenterweiterungen “ 102 zu gelten haben. Betreffs der freien Prädikative konstatiert Welke: „ Bei einem Adjektiv, das als freies Adjektiv und Modifikator verwendet wird, fügt ein Hörer dem syntaktischen Bezug des Adjektivs auf das Verb durch konzeptionelle Anpassung eine semantische Interpretation hinzu. Das Adjektiv erhält dadurch zu dem syntaktischen auch einen semantischen Bezug auf das 97 W ELKE (2011: 181 f.); einige Objektsprädikativkonstruktionen stuft Welke als resultativ ein, s. W ELKE (2011: 181 f.) 98 W ELKE (2011: 218, 224 f.) 99 W ELKE (2011: 224 f.) 100 W ELKE (2011: 225) 101 W ELKE (2011: 226, 228, 232) 102 W ELKE (2011: 231) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 49 <?page no="50"?> Verb. Es erhält des Weiteren einen nur semantischen, weil formal-syntaktisch nicht indizierten Bezug auf das Subjekt oder Objekt des Satzes. Objektsprädikativa und freien Prädikativa ist gemeinsam, dass eine konzeptionelle Anpassung notwendig ist. “ 103 Zuletzt beschließt Welke, für die Fälle von Konstruktionen mit freiem Dativ, freiem Akkusativ, freiem Direktivum und Objektsprädikativ, den „ festen Boden der projektionistischen Grammatiktheorie zu verlassen und eine Lösung durch Integration des konstruktionsgrammatischen Ansatzes zu suchen. “ 104, 105 Im argumentativen Rahmen der Konstruktionsgrammatik kommt Welke zu dem Schluss, dass es sich bei freien Dativen, nicht-lizenzierten Direktiven und nicht-lizenzierten Objektsprädikativen um Argumente und nicht um freie Angaben handelt. Die Hauptargumente hierfür sind nach Welke, dass es sich bei Objektsprädikativkonstruktionen um idiomatisch und ideosynkratisch eingeschränkte Konstruktionen mit geringen Variationsmöglichkeiten handele und dass deshalb nach Welke eine semantische Anpassung des Verbs an die zu realisierende Konstruktion vorgenommen werden muss, die nicht bei jedem beliebigen Verb möglich sei. 106 Eisenberg 107 definiert die Kopulaverben über ihr Vorkommen mit einem adjektivischen oder substantivischen Prädikatsnomen und grenzt sie von Vollverben und Modalverben ab. Zu den Kopulaverben zählt Eisenberg ausschließlich die Verben sein, werden und bleiben. 108 Die Semantik dieser Verben gibt Eisenberg kurz folgendermaßen an: „ Schreibt man sein als Kopula eine Funktion ganz allgemeiner Art zu wie ‚ Prädikation besteht ‘ , dann hat werden die Bedeutung ‚ Prädikation tritt ein ‘ und bleiben die Bedeutung ‚ Prädikation besteht weiter ‘ . Werden hat mit dem ingressiven/ inchoativen und bleiben mit dem durativen jeweils ein spezielles Bedeutungselement gegenüber dem neutraleren sein, sie sind gegenüber sein semantisch markiert “ 109 Für detaillierte Erklärungen zur Semantik der Verben sein, werden und bleiben verweist Eisenberg lediglich auf Maienborn 110 und Steinitz 111 (s. 4.2.1; 4.2.2). Darüber hinaus erwähnt Eisenberg, dass Kopulaverben, insbesondere das Verb sein, außer mit einem Prädikatsnomen in zahlreichen anderen Kontexten (z. B. ich 103 W ELKE (2011: 236) 104 W ELKE (2011: 237) 105 Zu den Projektionsverhältnissen in Welkes Grammatiktheorie, vgl. 6.9. 106 W ELKE (2011: 245, 247 f.) 107 E ISENBERG (2013) 108 E ISENBERG (2013: 85) 109 E ISENBERG (2013: 85) 110 M AIENBORN (2003) 111 S TEINITZ (1999) 50 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="51"?> denke, also bin ich; Gott ist; er ist des Wahnsinns; das Problem ist zu lösen; die Tür ist offen/ geöffnet/ geöffnet worden) 112 auftreten, wofür er auf die Listen möglicher Konstruktionen in Helbig 113 und Zifonun et al. 114 (s. a. 4.1.1; 4.1.2) verweist. 115 Ungeachtet der Referenz auf obig genannte Literatur zur Semantik der Kopulae, erklärt Eisenberg: „ Ob man hier andere Verben sein neben der Kopula ansetzen, oder bei einem einzigen Verb bleiben sollte lassen wir offen “ 116 . Anschließend führt Eisenberg eine Reihe von Verben an, welche den Kopulaverben „ syntaktisch und semantisch ziemlich nahe “ 117 kommen. Hierzu nennt Eisenberg die Verben aussehen, sich dünken, klingen und schmecken, welche nach Eisenberg ein adjektivisches Prädikatsnomen zu sich nehmen, die Verben heißen und sich dünken, welche nach Eisenberg einem substantivischen Prädikatsnomen vorangehen und die Verben sich vorkommen, sich erweisen und gelten, welche nach Eisenberg ein Adjektiv oder einen Nominativ mit dem Adjunktor als anschließen. Das Verb scheinen zählt Eisenberg explizit nicht zu dieser Gruppe. 118 Eisenberg teilt die Ansicht traditioneller Grammatiken, dass „ Kopula und Prädikatsnomen [ … ] gemeinsam die Funktion [haben], die das Vollverb alleine hat “ 119 und dass das Prädikatsnomen „ inhaltlich ‚ eigentliches ‘ Prädikat und gleichzeitig Valenzträger im Kopulasatz “ 120 ist. Nach Eisenberg herrscht des Weiteren keine prädikative Kongruenzbeziehung zwischen Subjekt und Prädikatsnomen, da nach Eisenberg Genus und Numerus des Prädikatsnomens „ im allgemeinen Fall unabhängig vom Subjekt “ 121 sind und dies entsprechend Eisenbergs Begrifflichkeit nicht als Kongruenz, sondern als „ Kategorienidentität “ 122 zu bezeichnen ist. Das syntaktische und semantische Verhalten der Kopulaverben beschreibt Eisenberg dahingehend, dass eine „ ausgeprägte Rektionsbeziehung vom Prädikatsnomen auf das Subjekt “ 123 besteht, das Prädikatsnomen die Funktion eines syntaktischen Kerns ausübt und das Kopulaverb die Eigenschaften eines syntaktischen Kopfes hat, welcher jedoch lediglich zweistellig markiert ist, aber außer „ der Korrespondenz hinsichtlich Person und 112 E ISENBERG (2013: 85 f.) 113 H ELBIG (2004 [1978]) 114 Z IFONUN et al. (1997c: 1105 - 1117) 115 E ISENBERG (2013: 85) 116 E ISENBERG (2013: 86) 117 E ISENBERG (2013: 86) 118 E ISENBERG (2013: 86) 119 E ISENBERG (2013: 89) 120 E ISENBERG (2013: 89) 121 E ISENBERG (2013: 86) 122 E ISENBERG (2013: 86) 123 E ISENBERG (2013: 86) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 51 <?page no="52"?> Numerus “ 124 keinen Einfluss auf die Form des Subjekts hat. Eisenberg begründet dies semantisch, indem er anmerkt, das Kopulaverb sei mit jeder Form von Subjekt verträglich, welches das Prädikatsnomen zulasse. 125 An dieser Stelle ist jedoch zu notieren, dass dies eine Beobachtung, aber keine Begründung für eine angeblich fehlende semantische Korrespondenz zwischen Kopulaverb und syntaktischem Subjekt ist, denn es ist ebenso möglich, dass das Kopulaverb statt inhaltlicher Blässe eine derartige inhaltliche Fülle aufweist, die dazu führt, dass in Eisenbergs Beobachtung jedes Subjekt mit dem Kopulaverb verträglich ist. Eisenberg hingegen schließt aus dieser Beobachtung, dass das Kopulaverb zwar das Prädikatsnomen regiert, jedoch nicht das Subjekt regiert. 126 Eisenberg verweist also bezüglich der Semantik der Kopulaverben auf Maienborn und Steinitz 127 und schließt die Möglichkeit, dass den Kopulaverben und insbesondere dem Verb sein ein Inhalt zugeschrieben wird, welcher „ kontextuell determinierbar “ 128 ist, nicht aus. Eisenberg resümiert: „ Verglichen mit dem Vollverb ist die Stellung des Kopulaverbs schwach, verglichen mit dem Objekt ist die Stellung des Prädikatsnomens stark. Das Prädikatsnomen ist nicht nur selbst Ergänzung, sondern es hat auch Einfluss auf andere Ergänzungen und verhält sich in dieser Hinsicht ähnlich wie ein Vollverb. “ 129 Dennoch räumt Eisenberg ein: „ Die formale Trennung von syntaktischem Prädikat und dem, was man semantisch den prädizierenden Ausdruck nennt, macht diesen einfachen Satztyp strukturell unübersichtlich “ 130 . Nach der Dudengrammatik 131 werden die Verben sein, werden und bleiben als Kopulaverben ausgezeichnet. Eine weiter gefasste Gruppe stellen die Prädikativverben dar, welche mit den Kopulaverben als auch den Verben scheinen und dünken Subjektsprädikative anschließen sowie die Prädikativverben nennen, finden und heißen, die zusammen mit der Subgruppe der Kausativverben machen und halten Objektsprädikative anbinden. 132 Des Weiteren gilt heißen als ein Verb, das Konstruktionen mit einem Subjektsprädikativ bildet und die Verben taufen, schelten, schimpfen und schmähen werden als Verben mit 124 E ISENBERG (2013: 87) 125 E ISENBERG (2013: 87) 126 E ISENBERG (2013: 87) 127 M AIENBORN (2003); S TEINITZ (1999) 128 E ISENBERG (2013: 86) 129 E ISENBERG (2013: 88) 130 E ISENBERG (2013: 90) 131 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016) 132 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 432) 52 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="53"?> Objektsprädikativen genannt. 133 Einige dieser Verben mit Prädikativen erkennt die Dudengrammatik als Verben der persönlichen Einschätzung (z. B. gelten; finden; dünken; halten für; betrachten als). Die Dudengrammatik distanziert sich ausdrücklich davon, Prädikative nur in Konstruktionen mit Kopulaverben anzunehmen und die freien prädikativen Angaben zu den Adverbialen der Art und Weise zu zählen. Statt dessen unterscheidet die Dudengrammatik zwischen prädikativen Ergänzungen (z. B. Anna ist Studentin; Anna ist gesund) und prädikativen Angaben (z. B. Anna muss als Studentin viel lesen; Anna kehrte gesund zurück) sowie zwischen adverbialen Ergänzungen (z. B. Anna ist in Paris) und adverbialen Angaben (z. B. Anna besuchte in Paris viele Museen) derart, dass jeweils die Ergänzungen mit dem Kopulaverb auftreten. 134 Dieses Kopulaverb gilt gemäß der Dudengrammatik als „ weitgehend inhaltsleer[ … ][es] Verb “ 135 oder als „ semantisch weitgehend leer, so dass die Bedeutung der ganzen Verbindung hauptsächlich von den Prädikativen bestimmt wird. Aus diesem Grund werden solche Konstruktionen aus Kopulaverb und Prädikativ als komplexe Prädikate angesehen. “ 136 Die eigentlichen Kopulae unterscheiden sich gemäß der Dudengrammatik nur darin, „ ob sie die Aussage des Prädikativs neutral (sein), als erst sich entwickelnd (werden) oder als fortbestehend (bleiben) charakterisieren. “ 137 Als Bezugsphrase des Prädikativs führt die Dudengrammatik Nominalphrasen im Nominativ in Subjektposition des Satzes (z. B. Anna ist Schriftstellerin), Nominalphrasen im Akkusativ als Akkusativobjekt (z. B. sie nennen Anna eine Schriftstellerin; der Verein wählte Otto zu seinem Vorsitzenden), Nominalphrasen im Dativ als Dativobjekt (z. B. als gutem Beobachter fiel dem Ornithologen das seltsame Verhalten des Buntspechts sofort auf), Nebensätze (z. B. dass Otto nicht kommen kann, halte ich für sehr bedauerlich) oder Attribute (z. B. Ottos Erfolg als Versicherungsvertreter beruht nicht nur auf seinem Charme) an. Außerdem erwähnt die Dudengrammatik sogenannte depiktive Prädikative, die zumeist als freie Angaben hinzutreten und eine zusätzliche Eigenschaft der Bezugsphrase angeben (z. B. die Muscheln lagen ungeöffnet auf dem Tisch) oder einen Ergänzungen ähnlichen Status aufweisen (z. B. das Brett diente mir als Unterlage; Otto lebt geschieden). Zudem ordnet die Dudengrammatik Prädikative in Konstruktionen mit kausativen, einigen transitiven und intransitiven Verben als Resultative ein (z. B. Otto macht den Tisch sauber; Otto putzt den Tisch sauber; der Hund bellte die Kinder wach). Dabei notiert die Dudengrammatik, dass Resultativkonstruktionen auch adverbial sein können (z. B. der Vogel flog 133 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 984) 134 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 802) 135 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 801) 136 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 866) 137 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 801) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 53 <?page no="54"?> auf das Dach). 138 Nach der Dudengrammatik können grundsätzlich Nominalphrasen im Akkusativ, Adjektivphrasen, Adverbphrasen, Präpositionalphrasen und Konjunktionalphrasen sowohl Prädikative als auch als Adverbiale repräsentieren. 139 Insbesondere bezüglich der Adjektivphrasen erklärt die Dudengrammatik: „ Zu bedenken ist, dass sich der prädikative und der adverbiale Gebrauch nicht immer eindeutig voneinander unterscheiden lassen. “ 140 Die semantische Gemeinsamkeit zwischen Prädikaten mit einem finiten Verb als Kern und Prädikativen, welche kein finites Verb als Kern aufweisen, besteht gemäß der Dudengrammatik darin, dass das Prädikativ wie das Prädikat eine Aussage über eine oder mehrere andere Phrasen macht. 141 Die Dudengrammatik nennt die Verben sein und bleiben nicht nur als Prädikativbzw. Kopulaverben, sondern auch als temporal-modale Hilfsverben und als Verben mit Spezialfunktionen. Ebenso werden die Verben sein und bleiben als Funktionsverben genannt. Das Verb werden tritt als Kopulaverb, Passivhilfsverb sowie (modal-)temporales Hilfsverb auf und das Verb sein kann als Kopulaverb, Funktionsverb, passivisches Modalitätsverb, Passiv-, Zustands(reflexiv)- oder Perfekthilfsverb fungieren. Darüberhinaus erklärt die Dudengrammatik das Verb sein auch als intransitives Vollverb (z. B. die Kinder sind im Garten/ unten). 142 4.1.2 Syntaktisch restrukturierende Grammatiken Kunze 143 nennt als Kopulaverben sein, werden, bleiben und scheinen, welche Prädikatsnomina und prädikative Ergänzungen als Subjektsprädikative zu sich nehmen. Als Realisierungsformen der Subjektsprädikative erfasst Kunze die Substantivgruppe im Nominativ und Genitiv als Prädikatsnomen (z. B. er ist ein guter Sportler gewesen; er ist guter Dinge), die Ergänzung adverbialen Charakters (z. B. er ist hier), die nach Kunze als Präpositionalgruppe mit relativ festen Präpositionen benannte Präpositionalgruppe (z. B. das ist von Bedeutung), die flektierte oder unflektierte Adjektivgruppe (z. B. sein Zeugnis war das beste; er schien müde), die Partizipgruppe als Spezialfall einer komplexen Verbgruppe (z. B. dieses Ereignis ist völlig unbeachtet geblieben), die Infinitivgruppe mit oder ohne dem Element zu als weiteren Spezialfall einer komplexen Verbgruppe 138 Zu einer semantischen Einteilung der Prädikative in vier Gruppen, s. D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 356 f., 800 f., 803 ff.) 139 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 807 f.) 140 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 845) 141 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 799) 142 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 423 ff.) 143 K UNZE (1975) 54 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="55"?> (z. B. alles [zu] verstehen, heißt alles [zu] verzeihen) sowie den Nebensatz (z. B. er bleibt, wie der war). 144 Hierbei wird das Prädikatsnomen hinsichtlich seiner Unterordnung wie ein Objekt behandelt und ist somit direkt dem kopulativen Verb untergeordnet. Die Formen adverbialen Charakters sowie die Präpositionalgruppen, welche als Prädikative fungieren, werden wie Adverbiale untergeordnet, d. h. aufgrund ihres Bezugs auf die Kopula sind diese adverbialen Formen der Kopula ebenfalls direkt untergeordnet. Partizipien und Infinitive zu den Kopulae verhalten sich nach Kunze beziehentlich ihrer Unterordnungen wie komplexe Verbgruppen. Als Verben mit Objektsprädikativen erwähnt Kunze exemplarisch die Verben nennen, wählen zu, halten für, machen, fühlen sich, betrachten als und bezeichnen als. Die Realisierungsformen der Objektsprädikative zu diesen Verben veranschlagt Kunze als Gleichsetzungsakkusativ (z. B. wir nannten ihn den Meister des Parketts), als Präpositionalgruppen (z. B. wir wählten ihn zum Vorsitzenden), als Adjektivgruppen (z. B. das macht ihn traurig) und als prädikative Ergänzungen der Form als + Substantiv- oder Adjektivgruppe (z. B. er fühlt sich als Held). Bezüglich dieser als Objektsprädikative fungierenden als-Gruppen und Präpositionalgruppen konstatiert Kunze, dass diese dem Verb direkt untergeordnet seien. Zu den akkusativischen Objektsprädikativen, welche Kunze Gleichsetzungsakkusative nennt, äußert er sich betreffs ihrer Unterordnungsbeziehung nicht explizit, fasst jedoch zusammen, dass sämtliche Prädikative zu obig genannten Verben, welche Objektsprädikative anschließen, von dem Verb regiert werden. 145 Des Weiteren führt Kunze sogenannte satzgliedbezogene prädikative Ergänzungen an, die nicht an bestimmte Verben gebunden und nach Kunze mit Appositionen zu einzelnen Satzgliedern vergleichbar sind, welche sich auf das Subjekt oder das Objekt beziehen können (z. B. er starb jung; sie liebt die Milch heiß). Im Gegensatz zu Appositionen ordnet Kunze diese sogenannten gliedbezogenen prädikativen Ergänzungen nicht dem Glied unter, auf das sie sich beziehen, sondern ordnet sie wie diejenigen Glieder unter, auf die sie sich beziehen. Kunze begründet diese Einordnung mit der relativen Verschiebbarkeit dieser Ergänzungen, welche ihnen in gewissem Maß Satzgliedstatus zuerkennt, mit ihrem Auftreten im vollständigen Satz und nicht als internes Element einer Substantivgruppe und mit ihrer unscharfen Abgrenzung zu bestimmten Adverbialien (z. B. er ging schimpfend hinaus (prädikativ); er ging langsam hinaus (adverbial)). Nach Kunze erscheinen diese gliedbezogenen prädikativen Ergänzungen in ihrer Unterordnung wie satzgliedbezogene Adverbiale. 146 144 K UNZE (1975: 125) 145 K UNZE (1975: 126) 146 K UNZE (1975: 126 - 129) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 55 <?page no="56"?> Helbig/ Buscha nehmen in Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht 147 eine Klassifizierung der Verben nach syntaktischen Kriterien vor, welche die Kopulaverben von Hilfsverben, Modalverben, modifizierenden Verben und Funktionsverben gesondert als Nicht-Vollverben aufführt. Demzufolge bilden die Kopulaverben das Prädikat des Satzes nicht eigenständig und weisen gegenüber anderen Verben funktionelle Besonderheiten und charakteristische Umgebungen auf. Die exemplarische Auflistung verschiedener charakteristischer syntaktischer Einbettungen der unterschiedlichen Verbgruppen im Satz indiziert hierbei entgegen Helbigs/ Buschas Klassifikationssystem, dass die Kopulaverben keine spezifischen Umgebungen besitzen, da sie sämtliche aufgeführte verschiedene Konstruktionen mit Infinitiven mit oder ohne dem Element zu, Akkusativ- oder Präpositionalgruppen, Partizipien, Substantiven im Nominativ sowie Adjektive erschließen. 148 Als Kopulaverben gelten nach Helbig/ Buscha sein, werden und bleiben, insofern sie „ zusammen mit einem Adjektiv (Partizip, Adverb) oder Substantiv (als Prädikativ) das Prädikat bilden. “ 149 Helbig/ Buscha erwähnen außerdem kopulaähnliche Verben, welche lexikalische, nichtfinite Prädikatsteile eines mehrteiligen Prädikats anschließen (z. B. bedeuten in dieses Ereignis bedeutet eine Niederlage). 150 Die Kopulaverben erklären Helbig/ Buscha demzufolge als „ semantisch relativ leer “ 151 , jedoch wird angemerkt, dass Kopulaverben „ nicht schlechthin bedeutungsleer “ 152 sind, sondern „ nur eine sehr allgemeine Bedeutung [haben], die bei sein durativ ist (Bezeichnung eines Zustands), bei werden inchoativ (Zustandsveränderung, Eintreten eines neuen Zustands), bei bleiben + kontinuativ (Andauern eines Zustands) [ist]. “ 153 Die nichtverbalen nicht-finiten Teile des mit der Kopula oder dem kopulaähnlichen Verb gebildeten mehrteiligen Prädikats heißen bei Helbig/ Buscha Prädikative (auch: Subjektsprädikative) und Objektsprädikative. 154 Die Subjektsprädikative stehen bei den Verben sein, werden oder bleiben als Substantive oder substantivische Nomen im Nominativ (z. B. er ist Student), als Adjektiv oder Partizip-I/ II-Form (z. B. die Lava bleibt lange glühend), als Präposition mit Substantiv (z. B. diese Frage ist von Bedeutung) oder als Adverb bzw. als Präposition mit einem Adverb (z. B. diese Erzieherin ist dort). Hierzu notieren Helbig/ Buscha, dass temporale und 147 H ELBIG / B USCHA (2001) 148 H ELBIG / B USCHA (2001: 45) 149 H ELBIG / B USCHA (2001: 45) 150 H ELBIG / B USCHA (2001: 449) 151 H ELBIG / B USCHA (2001: 450) 152 H ELBIG / B USCHA (2001: 45) 153 H ELBIG / B USCHA (2001: 45) 154 H ELBIG / B USCHA (2001: 450 - 454) 56 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="57"?> lokale Adverbien nicht notwendig als Prädikative aufzufassen sind, sondern als Adverbialbestimmungen interpretiert werden können. Für diesen Fall schlagen Helbig/ Buscha vor, das finite Verb des Satzes nicht als Kopulaverb zu verstehen, und stattdessen mehrere Bedeutungsvarianten betreffender Verben anzunehmen, welche jene Varianten in Konstruktionen mit Adverbialbestimmungen von den Kopulae abspalten. Das Objektsprädikativ bezieht sich nach Helbig/ Buscha auf das Objekt und tritt nur mit einer beschränkten Anzahl von Verben (z. B. nennen; finden; halten für; bezeichnen als) auf (z. B. er nennt sie ein Vorbild). Die morphosyntaktischen Stellungsglieder, welche Objektsprädikative repräsentieren, sind Substantive oder substantivische Pronomen im Akkusativ (z. B. der Journalist nannte Hamburg das Tor zur Welt), Adjektive oder Partizipien bzw. mit einer Präposition angeschlossene Adjektive oder Partizipien (z. B. er findet sie liebenswert; ich halte seine Worte für entscheidend), Präpositionen mit einem Substantiv (z. B. Alle finden es in Ordung) oder Adverbien (z. B. man nennt ihn so). Des Weiteren nennen Helbig/ Buscha Prädikative in passivischen Sätzen, welche den Objektsprädikativen in aktivischen Sätzen entsprechen (z. B. sie wird ein Talent genannt). Diese Form wird mit allen morphosyntaktischen Gliedern gebildet, welche das Objektsprädikativ in aktivischen Sätzen stellen, außer den Partizipien. Helbig/ Buscha konstatieren, dass sich in passivischen Sätzen das Prädikativ nicht unmittelbar auf das Subjekt bezieht, sondern lediglich mittelbar über das Verb eine semantische Prädikation über die Bezugsphrase erwirkt (z. B. nennen in der Student wird begabt genannt mit der Attributierungstransformation: der begabt genannte Student transformiert in *der begabte Student). 155 Darüber hinaus zählen Helbig/ Buscha nichtverbale Anteile in Konstruktionen mit kausativen Verben (z. B. der Alkohol machte ihn müde) zu den Objektsprädikativen und differenzieren Adverbialbestimmungen (z. B. sie isst die Möhren schnell) von Konstruktionen, welche nach Helbig/ Buscha als prädikativ gelten und die als prädikative Attribute identifiziert werden (z. B. sie isst die Möhren roh). 156 Letztere sind nach Helbig/ Buscha frei hinzufügbare oder weglassbare Entitäten in Form von Adjektiven, Adverbien oder Präpositionalgruppen mit Substantiven oder substantivischen Pronomen, welche mit Bezug auf das Subjekt (z. B. gesund in er kommt gesund an) oder mit Bezug auf das Objekt (z. B. im dunklen Anzug in er traf ihn im dunklen Anzug) auftreten. Die Abgrenzung der prädikativen Attribute nach Helbig/ Buscha sowohl gegenüber dem einfachen Attribut (z. B. fröhlich in das fröhliche Mädchen kommt nach Hause), als auch gegenüber der Adverbialbestimmung (z. B. eilig in man trug ihn eilig vom Sportplatz), ist dabei durch die Feststellung 155 H ELBIG / B USCHA (2001: 451 ff.) 156 H ELBIG / B USCHA (2001: 454) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 57 <?page no="58"?> eines semantischen Zweifachbezugs möglich, da sich das prädikative Attribut nach Helbig/ Buscha als „ ein sekundäres Prädikat “ 157 einerseits auf das Subjekt oder Objekt und andererseits mittels eines zeitlichen Verhältnisses auf das Prädikat bezieht. 158 Eroms 159 spricht vom Nominalergänzungen (auch: Gleichsetzungsergänzung; substantivisches Prädikatsnomen; Einordnungsergänzung) (z. B. ich bin ein Berliner; er ist aus Überzeugung Wagnerianer), die nicht nur als Nominalphrasen, sondern auch als Pronomina (z. B. er ist wie du), Nebensätze (z. B. der Mensch ist, was er isst) und Anaphern (z. B. der Mensch ist nun einmal so) auftreten können. 160 Eroms erörtert die Bedeutung dieser substantivischen Prädikative bezüglich des Subjekts oder des Akkusativobjekts als „ Einordnungsklasse “ 161 , wodurch „ logisch [ … ] mit diesen Sätzen eine Inklusion des Subjektreferenten in eine Allaussage formuliert [wird]. “ 162 Im Fall eines Bezugs des Prädikativs auf das Akkusativobjekt wird eine solche Einordnung für den Akkusativreferenten erklärt. 163 Darüberhinaus deutet Eroms substantivische Prädikative mengentheoretisch: „ Die an Subjektstelle genannte Menge wird als echte Teilmenge der im Prädikatbereich genannten angegeben. In der Assertion des J. F. K. Ich bin ein Berliner wird die Prädikation formuliert, ‚ zu der Menge der Berliner ‘ zu gehören. “ 164 Das Verb sein gilt nach Eroms in diesen Sätzen als Auxiliar, Kopula und „ verbaler Binder “ 165 . Kopulaähnliche Verben bilden eine Vielzahl von anderen Formen, deshalb „ kann das verbale Prädikat als jeweils spezifische Modifikation der Einordnungsrelation bzw. eine Anreicherung des Prädikats verstanden werden. “ 166 Des Weiteren können die nach Eroms als Gleichsetzungskonjunktionen bezeichneten Wörter als und wie das Prädikativ einleiten (z. B. er gilt als echter Berliner; er wird erst noch Berliner/ bleibt dann aber Berliner; er verhält/ benimmt sich wie ein Berliner). Eine Interpretation als Gleichsetzungsnominativ oder Gleichsetzungsakkusativ erklärt Eroms jedoch als weniger angemessen als eine Interpretation, welche ein Subsumtionsverhältnis benennt, da eine Gleichsetzung nur in sehr seltenen Fällen auftrete (z. B. 157 H ELBIG / B USCHA (2001: 465) 158 H ELBIG / B USCHA (2001: 464 f.) 159 E ROMS (2000) 160 E ROMS (2000: 205 f.) 161 E ROMS (2000: 205) 162 E ROMS (2000: 205) 163 E ROMS (2000: 206) 164 E ROMS (2000: 205) 165 E ROMS (2000: 205) 166 E ROMS (2000: 205) 58 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="59"?> Konrad I. war der erste deutsche König). Zur Analyse der Adjektivalergänzungen (auch: Artergänzung; adjektivisches Prädikatsnomen) unterteilt Eroms sämtliche Subjektsprädikativ-Konstruktionen mit adjektivischen Prädikativen zunächst in drei Gruppen: Erstens jene mit der Kopula sein (z. B. sie ist schön), welche er auch in dieser Verbindung als Auxiliar identifiziert; Zweitens, Konstruktionen mit kopulaähnlichem Verb, welche teilweise das Adjektiv mit der Konjunktion als anschließen (z. B. sie gilt als freundlich); Drittens, Konstruktionen mit beliebigen Verben (z. B. man zahlt hier anständig; er kleidet sich modisch). Da letztere Gruppe keine Auffassung des Adjektivs als Teil des Prädikats erlaubt, sondern statt dessen das Adjektiv nach Eroms als Leerstellenbesetzung eines Verbs aufzufassen ist, schließt Eroms von diesen Konstruktionen auf jene Konstruktionen mit Kopulae oder kopulaähnlichen Verben: 167 „ Die Unterschiede [ … ] sind nicht so gravierend, dass zwei unterschiedliche Typen angesetzt werden müssten. “ 168 Eroms resümiert, dass es sich bei Subjektsprädikativ-Konstruktionen mit adjektivischen Prädikativen um eine einzige Gruppe handelt, in welchen die adjektivischen Ergänzungen „ eine Zwitterstellung zwischen unabhängigen Gliedern und Prädikatsteilen haben “ 169 , in jedem Fall jedoch der Subjektstelle im Satz die semantische Rolle Thema zuweisen. Für den Komplex des Verbs in Verbindung mit dem adjektivischen Prädikativ befindet Eroms keine spezifische semantische Rolle als zutreffend. Des Weiteren erwähnt Eroms jene Valenzen, die vom adjektivischen Prädikativ ausgehen können, nimmt diese jedoch nur für Verbindungen mit den Kopulae sein und werden an, die nach Eroms miteinander kommutieren. An das prädikative Adjektiv gebunden sind in diesen Fällen Akkusativergänzungen (z. B. sie ist sein ewiges Nörgeln leid), Genitivergänzungen (z. B. ich bin des Treibens müde), Dativergänzungen (z. B. das war ihr gänzlich neu) und Präpositionalergänzungen (z. B. sie war auf die Begegnung neugierig). So unterscheidet Eroms zwischen diesen Leerstellen eröffnenden adjektivischen Prädikativen in Konstruktionen mit den Verben sein oder werden, Konstruktionen, in welchen der Dativ nicht vom Adjektiv abhängig sei (z. B. er begegnet ihr freundlich) und Konstruktionen, in welchen Eroms dem adjektivischen Prädikativ einen eigentlichen Angabenstatus zuordnet (z. B. er behandelt sie zuvorkommend), obwohl der linguistische Geschehenstest (z. B. *er behandelt sie - das geschieht zuvorkommend) nach Eroms ’ Einschätzung als negativ zu beurteilen ist. 170 Zudem geht Eroms auf Komparative (z. B. der Großglockner ist höher als 167 E ROMS (2000: 205 - 208) 168 E ROMS (2000: 208) 169 E ROMS (2000: 208) 170 E ROMS (2000: 208 ff.) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 59 <?page no="60"?> der Großvenediger) und Superlative (z. B. der Montblanc ist am höchsten) in prädikativen Strukturen ein. In diesen Prädikativkonstruktionen nimmt das Verb mit dem Prädikativ nach Eroms die Rolle eines Rhemas ein, und das Prädikativ ist als Ergänzung zu werten. Als Prädikative, welche sich auf ein Objekt und insbesondere auf das Akkusativobjekt beziehen, listet Eroms adjektivische freie Prädikative mit angeblich positiv zu wertendem Ergebnis des linguistischen Geschehenstests und demzufolge mit Angabenstatus zu beliebigen Verben, weswegen Eroms diese freien Prädikative adverbiale Prädikative nennt (z. B. der Kellner bringt die Suppe warm herein; der Kellner bringt die Suppe herein - dies geschieht warm). 171 Außerdem erwähnt Eroms Objektsprädikative im Rahmen seiner Erläuterungen zu sogenannten veralteten echten Prädikativkonstruktionen mit verbalen Partizipien (z. B. man glaubte das Haus zerstört). Als eine „ echte Objektsprädikativlesart “ 172 führt Eroms den Beispielsatz ich bekomme das Hemd als gewaschenes an. Nach Eroms „ [handelt] es sich bei den Objektsprädikativen um eine ‚ Ist-Prädikation ‘ [ … ], die einen Zustand oder Vorgang, zentriert auf das Objekt, bezeichnet “ 173 . Die Verben sein und bleiben stuft Eroms demgemäß als Auxiliare ein. Das Verb sein präsentiert nach Eroms als Kopula in Konstruktionen wie dem Perfekt (z. B. er ist gelaufen), dem Zustandspassiv (z. B. er ist gelesen) oder der Kopula-Prädikativ-Konstruktion mit adjektivischem Prädikativ (z. B. er ist ehrgeizig) einen Charakter als Hilfsverb, während Konstruktionen mit substantivischem Prädikatsnomen (z. B. er ist Lehrer) dem Verb sein Vollwertigkeit zuzuerkennen scheinen, die sich nach Eroms dennoch von der Vollwertigkeit beliebiger anderer Verben (z. B. er arbeitet als Lehrer) unterscheidet: 174 „ Dennoch wird man davon sprechen dürfen, dass die Kopula enthaltenden Sätze letztendlich das Gleiche ausdrücken, das heißt in einer vergleichbaren Situation synonyme Ausdrücke darstellen können. Bei ihnen ist die semantische Masse nur anders verteilt. Im Grunde sind alle angeführten Sätze logisch einwertig; ein einstelliges Prädikat wird einem Argument zugewiesen. [ … ] Nur die Sprache signalisiert Zweiwertigkeit. Dieser Widerspruch ist aber nur scheinbar, denn in dem Signal, dass über das Hilfsverb sein zwei sprachliche Entitäten miteinander verbunden werden, liegt ein Hinweis darauf, dass genau dies die sprachlich intendierte Ordnungsstruktur ist. Zumindest darf man daraus schließen, dass das hier benötigte Verb primär ein ordnender Relator ist. “ 175 171 E ROMS (2000: 211 f.) 172 E ROMS (2000: 398) 173 E ROMS (2000: 398) 174 E ROMS (2000: 137 ff.) 175 E ROMS (2000: 139) 60 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="61"?> Eroms geht hinsichtlich der von der Kopula ausgehenden Bindungen von struktureller Valenz aus, welche er als bloße grammatische Bindung definiert: „ Keine der angeführten Konstruktionen ermöglicht die Weglassung des zweiten, gebundenen Elements, sein ist in diesem Sinne obligatorisch nicht fakultativ, zweiwertig. “ 176 Das Verb bleiben gilt bei Eroms ebenfalls als Auxiliar (z. B. die Tür bleibt geschlossen; das bleibt zu erledigen; er bleibt hier; die Verordnung bleibt bestehen), doch die lexikalische Bedeutung des Verbs bleiben ist nach Eroms in allen Fällen konkreter als diejenige des Verbs sein. 177 Das Verb werden zählt Eroms zu den „ modalverbverdächtige[n] Verben “ 178 . Nach Eroms verhält sich das Verb werden in einigen Konstruktionen (z. B. er wird Journalist; er wird tätig) syntaktisch wie ein Modalverb, ist jedoch in vielfältige Paradigmen eingebunden und zeigt deshalb seine „ volle Valenz “ 179 . Engel 180 listet die Kopulaverben oder kopulaähnlichen Verben nicht als eigenständige Verbgruppe neben Auxiliar-, Partizip-, Modal-, Modalitäts-, Infinitiv-, Finit- und Funktionsverben, stattdessen wird eine gesonderte Erwähnung unterlassen. Engel identifiziert die Kopulae und kopulaähnlichen Verben anhand des Auftretens mit einer Prädikativergänzung 181 sowie der Konstituierung einer eigenen Nebengruppe der Prädikativergänzungen, nämlich die der Kopulapartikel (z. B. abhold; angst; feind; gewahr; egal; los; klipp und klar; tipptopp; schnuppe etc.), welche jedoch nicht nur bei Kopulae und kopulaähnlichen Verben (z. B. bleiben; sein; werden; scheinen; finden), sondern auch bei einigen anderen Verben (z. B. gehen; machen; tun) stehen können. Kopulapartikel sind unflektierbare, unveränderliche Wörter, die nur als Prädikativergänzungen und nicht als Attribute eines Nomens fungieren können. 182 Engel argumentiert für eine weitgehend semantische Motivierung der Satzstruktur, so dass die Ergänzungen vorwiegend aufgrund semantischer und weniger aufgrund syntaktischer Kriterien vom zentralen Verb gefordert werden. 183 Nach Engel konstituiert das Prädikativ eine eigene, semantisch vom zentralen Verb geforderte obligatorische Ergänzung und tritt bei den Verben sein, werden, bleiben u. a. sowie bei den Verben nennen, heißen, auffassen als, bezeichnen als, halten für und gelten als auf. Realisierungsformen der obligatorischen Prädikativergän- 176 E ROMS (2000: 139) 177 E ROMS (2000: 140) 178 E ROMS (2000: 147) 179 E ROMS (2000: 148) 180 E NGEL (2009) 181 E NGEL (2009: 103 f.) 182 E NGEL (2009: 421 f.) 183 E NGEL (2009: 94) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 61 <?page no="62"?> zung sind nach Engel Nominalphrasen im Nominativ (z. B. August war ein Feigling) oder im Akkusativ (z. B. man nannte August einen Feigling), Nominalphrasen mit dem Anschlusselement für (z. B. sie hielten ihn für einen Versager) oder Nominalphrasen mit dem Element wie (z. B. er war wie sein Vater), Adjektive oder Adjektivphrasen, die teilweise mit den Elementen als oder wie angeschlossen sind (z. B. Hanno gilt als unverbesserlich; Hanno war wie verhext), die Partikeln es und so (z. B. August war es tatsächlich; man nannte ihn damals wirklich so), Pronomen, die ebenfalls teilweise mit dem Element als auftreten (z. B. er galt als einer) und Nebensätze (z. B. werde, der du bist; bleib, wie du immer warst). 184 Die Prädikativergänzung ist dementsprechend nach Engel mit den Wörtern es, so, als solch-, als + Pronomen anaphorisierbar. 185 Engel weist eine Interpretation der Prädikativergänzung als „ Gleichsetzungsergänzung “ 186 aufgrund der Seltenheit von Ausdrücken, auf welche diese Bezeichnung im wortwörtlichen Sinn zutrifft (z. B. ich bin ich), zurück und spricht statt dessen davon, dass die Prädikativergänzung „ die Subjektsgröße bzw. die Akkusativgröße in eine Klasse ein[ordnet] “ 187 . 4.1.3 Syntaktisch und semantisch restrukturierende Grammatiken Beckers 188 Organism der Sprache erwähnt das Verb sein oder andere Verben in einer Rolle als Kopula in seinen Erläuterungen zum prädikativen Satzverhältnis nicht, obwohl nach Becker dieses Satzverhältnis nicht nur substantivische und adjektivische Prädikative sowie das Prädikat an sich umfasst, sondern auch den Konjunktiv, Indikativ, die Frage, der Konditional, den Imperativ und sonstige Zeit- und Modusformen einschließt. Eine binäre Teilung jedes einzelnen Satzes findet bei Becker insofern statt, als er das Subjekt als notwendig für jeden deutschen Satz ansieht und auch das unpersönliche Pronomen es (z. B. es friert mich) als solches wertet. 189 Hierbei ist das Prädikat eines Satzes nach Becker nicht nur ein Tätigkeitsausdruck, sondern auch ein Sein in Bezug auf das Subjekt: „ Damit aber das Prädikat sich zu einem wirklichen Gedanken gestalte, muß es auf ein Sein als das Subjekt der Thätigkeit [ … ] bezogen werden. Jedes Prädikat wird als eine Thätigkeit gedacht; es gibt aber keine Thätigkeit ohne ein Sein, also kein 184 E NGEL (2009: 103 f.) 185 E NGEL (2009: 92) 186 E NGEL (2009: 104) 187 E NGEL (2009: 104) 188 B ECKER (1841) 189 B ECKER (1841: 231) 62 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="63"?> Prädikat [ … ] ohne Subjekt [ … ]. Daher ist die Beziehung des Prädikates auf das Subjekt, und ihre Verbindung eine innere und nothwendige. “ 190 Becker unterscheidet zwischen einer prädikativen, einer attributiven und einer objektiven Beziehung der Satzbegriffe. 191 Hierbei werden die prädikative und die attributive Beziehung als gleichartig, als ein und dasselbe Verhältnis der Begriffe zueinander, erkannt. 192 Becker spricht notwendig von einem Sein im Satz, das nicht nur in Sätzen, welche mit dem Verb sein gebildet sind vorhanden ist, sondern auch in jenen Sätzen, welche beliebige andere Verben als finites Verb aufweisen. So wird ein Sein nach Becker auch in Konstruktionen mit dem prädikativen Genitiv bzw. in verblosen attributiven Konstruktionen angenommen. 193 Die Prädikation findet somit in gleicher Weise durch Prädikative (z. B. kühl sein) als auch durch andere Verben (z. B. brausen) statt: „ Der Satz, z. B. ‚ Der Wind brauset ‘ ‚ Es ist kühl ‘ ist der Ausdruck eines Gedankens, und der Gedanke ein Akt des menschlichen Geistes, durch welchen ein Sein als ein Besonderes in eine Thätigkeit als ein Allgemeines aufgenommen, und die Thätigkeit als die Thätigkeit des Seins angeschaut (von dem Sein prädiziert) wird. “ 194 Das prädikative Adjektiv und das prädikative Substantiv werden gemeinsam mit dem Verb sein als zusammengesetztes Prädikat aufgefasst: „ Obgleich der mit dem Aussagewort zusammengesetzte Ausdruck des Prädikates in der Bedeutung von dem Verb unterschieden ist; so muß er doch in dem Satze als ein mehr entwickeltes Verb und als nur ein Glied des Satzes, und das Aussagewort nur als Ausdruck der Beziehung - als ein der Endung des Verbs gleichbedeutendes Formwort - aufgefaßt werden. “ 195 Dabei wird das prädikative Adjektiv semantisch wie das prädikative Substantiv interpretiert. 196 Syntaktisch werden nach Becker die Konstruktionen mit dem Verb sein und einem prädikativen Adjektiv oder einem prädikativen Substantiv mit den zusammengesetzten Tempusformen oder mit anderen Modal- und Hilfsverbkonstruktionen verglichen. 197 Das Prädikat gilt bei Becker als Hauptbegriffswort: „ Da das Prädikat ist ein Allgemeines, und der Hauptbegriff des Satzes ist, so wird es immer als ein Artbegriff durch ein Begriffwort ausgedrückt. “ 198 Das Prädikat und damit das Verb sein in Verbindung mit dem Prädikativ, ist nach Becker das Zentrum 190 B ECKER (1841: 231) 191 B ECKER (1841: 192) 192 B ECKER (1841: 197 f.) 193 B ECKER (1841: 588 f.) 194 B ECKER (1841: 230) 195 B ECKER (1841: 234) 196 B ECKER (1841: 234) 197 B ECKER (1841: 234) 198 B ECKER (1841: 235) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 63 <?page no="64"?> des vollständigen Satzes, indem es einen Begriff darstellt, der Beziehungen eingeht: „ Der erste Akt der Intelligenz ist ein Gedanke, nicht ein Begriff ohne Beziehung; das erste Wort in der Sprache ist daher ein Satz: und wir sehen hier deutlich ein, warum in der Sprache das Prädikatwort - das Verb - der Anfangspunkt ist, von dem nothwendig die Entwicklung des ganzen Satzes und des ganzen Wortvorrathes ausgehen muß “ 199 . Im Folgenden soll außerdem dargelegt werden, dass Beckers Grammatik als syntaktisch und semantisch restrukturierend aufgefasst werden kann. Hierzu ist Beckers Trennung zwischen Anschauungsformen und Denkformen zu beachten. 200 Becker differenziert zwischen Anschauungsformen und Denkformen als zwei Dimensionen, welche in der Sprache Ausdruck finden, wobei die Darstellung der Denkformen in der Sprache der Darstellung der Anschauungsformen vorangeht. 201 Becker geht davon aus, dass die Formen aus der realen Welt in die Welt der Gedanken und Begriffe aufgenommen wurden: „ Wir haben gesehen, daß die reale Welt in den Denk- und Anschauungsformen in den Geist aufgenommen und so in eine geistige Welt der Begriffe und Gedanken umgeschaffen wird. “ 202 Becker nimmt jedoch an dieser Stelle keine Abbildungstheorie der außersprachlichen Wirklichkeit in die Sprache an, sondern weist den Denkformen eine eigene Dimension zu, die nach eigenen Gesetzen, Beziehungen und Verhältnissen geordnet ist und ebenso auf die Sprache einwirkt, wie die von den Denkformen losgelösten Anschauungsformen der außersprachlichen Wirklichkeit. 203 Statt eine vom Denken unabhängige Existenz der vollständigen Gedanken herzuleiten, wie dies Dedekind und Frege vorführen, nimmt Becker explizit nur von den Denkformen selbst, von den Anschauungsformen sowie von der außersprachlichen Wirklichkeit unabhängige Beziehungen und Verhältnisse der Denkformen, an. 204 Beckers Thesen kommen deshalb dennoch den Dedekindschen sowie Fregeschen nahe (s. 5.6.6). Becker notiert darüber hinaus, dass eine Methodik oder ein Formalismus der Darstellung der Formen des Denkens, die rein innerlich sind, fehlt. 205 Somit findet in Beckers Grammatik eine Unterscheidung zwischen Prädikation und Assertion statt, die, ungeachtet einer ausführlicheren philosophischen Grundlegung im Realismus oder Platonismus, eine grammatische Sprachbeschreibung ermöglicht, die eine Art innersprachliche Logik in obig näher erklärten Beziehungen und Verhältnissen der 199 B ECKER (1841: 232) 200 B ECKER (1841: 191) 201 B ECKER (1841: 191) 202 B ECKER (1841: 190) 203 Vgl. z. B. B ECKER (1841: 190) 204 B ECKER (1841: 191 - 193) 205 B ECKER (1841: 191) 64 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="65"?> Denkformen 206 , sozusagen in den Formen der Formen gegenüber der Materie erkennt und von extensionallogischen Annahmen sowie der Kopula Abstand nimmt. Aufgrund der zentralen Rolle des logischen Prädikats und des begrifflichen, grammatischen Prädikats in Beckers Theorie als auch der begriffslogischen Fundierung 207 wird das implizite Urteil hinsichtlich des extensionalen Wahrheitswertes eines monadischen Prädikats und seine Bedeutung umgangen. Demzufolge haben Beckers Sprachverständnis sowie grammatikologische Thesen theoretisch die Kapazität, sich an unterschiedliche Strukturen natürlicher Sprachen anzupassen, indem sie sich für eine Einführung mehrstelliger sowie höherstufiger Prädikate und damit moderner logischer als auch valenztheoretischer Ansätze in die Sprachbeschreibung eignen. Kern widmet der Kopula in seinem Werk Die deutsche Satzlehre 208 ein eigenes Kapitel, in welchem er unabhängig von detaillierten Ausführungen zu verschiedenen Formen eines verbalen Prädikats oder zu den Realisierungsformen des Prädikativs die Interpretation des Verbs sein und seiner Flexionsformen als bloße Kopula grundsätzlich ablehnt. Als Beispiel für ein Prädikativ zu der von ihm in Frage gestellten reinen Kopula sein erwähnt er exemplarisch vorwiegend den Prädikatsnominativ, d. h. das substantivische Prädikativ im Nominativ. 209 Kern argumentiert: „ In der durch das finite Verbum geschaffenen sprachlichen Form erscheint also die innige untrennbare Verbindung der zustandslosen Subsistenz (Substantiv) und des subsistenzlosen Zustandes (Infinitiv). Diese und nur diese Verbindung dürfte man als Kopula bezeichnen [ … ], wenn es nicht bei weitem vorzuziehen wäre, das so viele, so unsägliche Verwirrung bereitende Wort ganz aus der Grammatik zu entfernen. So ist das finite Verbum gar kein Satzteil in dem Sinne, wie es Objekt oder Subjektswort sind, es ist selber schon der Satz in seiner einfachsten Form, dem alles Übrige als Bestimmung sich anschliesst. “ 210 Kern nennt zwei mögliche Gründe, weshalb sich die Auffassung des Verbs sein bzw. der Wortform ist als Kopula in der Sprachwissenschaft und Grammatikschreibung etabliert hat. Erstens könnte nach Kern die Verkennung der eigentümlichen Natur des Präsens zur Erfindung der Kopula geführt haben, da diese Tempusform nicht nur das Gegenwärtige, sondern auch etwas stets Gültiges bezeichnet (z. B. im Herbste ziehen die Schwalben fort; Cäsar ist der 206 B ECKER (1841: 191 - 193) 207 Becker erklärt auch idiomatische Formen als zusammengesetzte Ausdrücke für einfache Begriffe, s. B ECKER (1841: 235) 208 K ERN (1888) 209 K ERN (1888: 93, 95) 210 K ERN (1888: 84 f.) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 65 <?page no="66"?> größte römische Feldherr). Dieser Sachverhalt wird dahingehend durch die Kopula scheinbar aufgelöst, da der Begriff des Seins in jenen Fällen geleugnet wird, wo nur an ein Sein in der Vorstellung, d. h. das Sein der allgemeinen Gültigkeit, welche keine gegenwärtige Wirklichkeit beschreibt, gedacht wird. Wie die bereits genannten exemplarischen Sätze zeigen, tritt diese Eigentümlichkeit jedoch nicht nur bezüglich der Präsensform des Verbs sein auf, sondern ist allen beliebigen Verben (z. B. ziehen) eigen. 211 Kern resümiert: „ Diese Möglichkeit besonders, dass das Sein von etwas ausgesagt werden kann und sehr oft ausgesagt wird, was ausser uns gar nicht existiert, oft überhaupt so nicht existiert hat, vielleicht so gar nicht existieren kann, hat das Gespenst der Kopula geschaffen, das hoffentlich nicht für alle Zeiten in den Grammatiken umgehen wird. Wenn nämlich das Sein als haftend an etwas ausgesprochen wird, das nur in unserer Vorstellung Realität hat, so kann natürlich dieses Sein auch kein anderes sein, als solches, das nur in unserer Vorstellung anzutreffen ist nicht da draussen in der wirklichen Welt. Alle Verba, die in Märchen vorkommen, sind so aufzufassen und behalten doch ihren vollen Inhalt. “ 212 Der zweite Grund für den nach Kern unwissenschaftlichen Entwurf einer Kopula auf Basis einer Unterscheidung zwischen dem eigentlichen Verb sein als Existenzverb (lat.: verbum existentiae) und der Kopula, kann nach Kern in der Prosodie liegen. Nach dieser Argumentation wird zwischen einer starken und einer schwachen Betonung des Verbs sein bzw. seiner Flexionsformen im Satz differenziert: Stark betont sei das Verb sein dieser Argumentation zufolge, wenn von der Existenz alleine und nicht von der damit verbundenen Qualität die Rede ist (z. B. Gott ist; die Willensfreiheit ist). Schwach betont hingegen seien das Verb sein und seine Flexionsformen als Kopula. Kern führt jedoch an, dass eine starke Betonung dem Verb sein auch dann zukommt, wenn die Verbalform in temporalem oder modalem Gegensatz zu einer vorangegangenen Verbform steht (z. B. er war sehr unglücklich; er wäre sehr unglücklich gegenüber einem Satz mit einem stark betonten sein, z. B. er ist sehr unglücklich). Außerdem werden das Verb sein und seine Flexionsformen auch in Sätzen stark betont, in welchen keine Rede von einem sogenannten realen Dasein ist, sondern nur von dem Sein in der Vorstellung 213 des Sprechers, der nicht intendiert, dieser 211 K ERN (1888: 88 f.) 212 K ERN (1888: 91) 213 Vgl. hierzu Freges Unterscheidung zwischen dem Terminus Vorstellung und dem Fregeschen Fachterminus Gedanke, s. 5.6.6. An dieser Stelle kann davon ausgegangen werden, dass Kern nicht zwischen Vorstellungen und Gedanken im Fregeschen Sinn unterscheidet, sondern die Benennung als Vorstellung umgangssprachlich gewählt ist, so dass von dieser Redensart nicht auf einen philosophischen Mentalismus oder eine psychologistische Auffassung von Begriffen seitens Kerns geschlossen werden soll. 66 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="67"?> Vorstellung objektive Realität zuschreiben zu wollen. So kann angesichts einer Leugnung (z. B. Hera ist nicht die Gemahlin Zeus ’ ; A ist kein Täter) mit starker Betonung die Verbform ist geäußert werden (z. B. Hera ist die Gemahlin Zeus ’ ; so ist es; ich sage dir, A ist der Täter, ich weiß es genau). 214 Kern konstatiert beziehentlich einer Unterscheidung nach Betonung, dass dieses Kriterium nicht haltbar ist und schließt mit den Worten: „ Dass übrigens das Verbum sein ohne prädikative, die Art des Seins ausdrückende Bestimmung oder eine hinzugefügte Raumbestimmung verhältnismäßig selten gebraucht wird, hat auch darin seinen Grund, dass über die absolute Existenz oder Nichtexistenz von Dingen im gewöhnlichen Leben wenig gesprochen wird; in der Regel kommt nur die relative, die auf die Zwecke des Redenden bezogene in Frage. “ 215 Diese rein kommunikative Tatsache begründet nach Kern die Seltenheit von grammatikalisch richtigen Sätzen, welche die absolute Existenz oder Nichtexistenz von Dingen oder Personen bekunden (z. B. Gott ist; die Willensfreiheit ist). Weiterhin stellt Kern zur Veranschaulichung seiner Thesen mehrere sprachwissenschaftliche Vergleiche zu anderen sprachlichen Ausdrücken auf. So gibt es nach Kern zahlreiche Verben, deren Inhalt verblasst ist, aber kein einziges Verb, das gar keinen Inhalt mehr hätte „ wie das in seltsamer Weise von dem Worte ‚ ist ‘ von vielen Grammatikern mit grosser Beharrlichkeit behauptet wird, so dass nun nicht mehr in dem Worte, wie in jedem finiten Verbum, die Kopula zu finden sei, sondern das ganze Wort gar nichts anderes mehr sein soll, als solche Kopula ohne jeden Begriffsinhalt. “ 216 Kern fügt hinzu: „ Eine überaus befremdende und verwirrende Lehre, wenn man sich vergegenwärtigt, dass der Hauptsatz eines ganzen Satzgefüges allein aus dem Worte ‚ ist ‘ bestehen kann, dass also unter Umständen eine Identität von Hauptsatz und Kopula in der Schule gelehrt werden müsste. “ 217 Kern vergleicht die beiden Sätze Freiheit ist nur in dem Reich der Träume sowie das Schöne blüht nur im Gesang und stellt die Frage, weswegen die Verbform ist lediglich eine Kopula darstellen soll, die Verbform blüht im zweiten Satz jedoch nicht, obwohl es sich bei jenem um eine Metapher handelt, „ bei welcher sich phantasielose Menschen kaum mehr vorstellen, als bei ‚ ist ‘“ 218 . Darüber hinaus erwähnt Kern, dass in den Sätzen hölzernes Eisen ist ein Unding oder ein viereckiger Kreis ist ein Widerspruch die Existenz des hölzernen Eisens oder des viereckigen Kreises mit genau derselben Klarheit und Nachdrücklichkeit behauptet wird, wie in dem Beispielsatz der Knabe ist im Garten die 214 K ERN (1888: 90 f., 94 f.) 215 K ERN (1888: 90) 216 K ERN (1888: 87) 217 K ERN (1888: 87) 218 K ERN (1888: 88) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 67 <?page no="68"?> Existenz des Knaben behauptet wird. 219 Einen weiteren Vergleich des Verbs sein stellt Kern mit dem Verb haben an: „ Ob also die Subsistenz, welcher ein Sein als anhaftend behauptet wird, eine wirkliche, gedachte, unmögliche, wünschenswerte, verabscheuungswürdige ist, hängt lediglich von dem Inhalt derselben ab, ist gar keine grammatische Frage, ist dem Begriff des Seins ebenso gleichgültig, als wenn als Objekt zum Verbum ‚ haben ‘ ein unermessliches Vermögen oder ein ungeheure Schuldenlast hinzugefügt wird. “ 220 Kern bemerkt, dass die Begriffe etwas oder alles ebenfalls einen weiten Umfang besitzen, dieselbigen jedoch nicht für gänzlich inhaltslose Begriffe erklärt werden: 221 „ Ich sollte meinen, das Verhältnis würde am klarsten erkannt, wenn man statt inhaltvoller Begriffe als Subjektswort und Prädikatsnominativ Buchstaben anwendet, die eben indifferente Repräsentanten für jeden möglichen Begriff sind. Wer könnte denn im Ernste bezweifeln, dass in dem Satze A ist B von einem Sein des A gesprochen wird und von einem B-sein und zwar von einem B-sein des A. Wenn irgendwo aber, so erschiene doch hier gewiss das Wort ‚ ist ‘ als das, was man Kopula zu nennen pflegt. Und doch ist es mir, ich gestehe es offen, geradezu unmöglich, mich in die Gedankenwelt dessen zu versetzen, der allen Ernstes behaupten wollte, in dem Satze sei überhaupt von gar keinem Sein die Rede. Man lasse eben nur die Subsistenzbegriffe, wie es hier durch Buchstaben geschieht, noch mehr verblassen, als den ungemein weiten und darum aller Anschaulichkeit entbehrenden Begriff des Seins, dann wird selbst dem hartnäckigsten Verfechter der Kopula wohl klar werden, dass auch der umfangreichste Begriff immer noch einen Inhalt hat. “ 222 Kern notiert schließlich, dass es unmöglich wäre, einen Unterschied zwischen den Ausdrücken sein und nicht sein festzustellen, wenn der Ausdruck sein keinen Inhalt hätte. Die Verneinung, welche durch das Wort nicht ausgedrückt wird, kann sich nach Kern nur auf den Inhalt des Verbs sein beziehen, der demzufolge vorhanden sein muss. Ebenso zerfällt ein Satz mit dem Ausdruck nicht sein nicht in bloße Vokabeln bestehend aus Subjekt und Prädikatsnominativ. 223 Kern weist zudem eine Belegung der Theorie einer Kopula durch sprachvergleichende Studien entschieden zurück und erklärt ebenfalls die Inkonsequenz derartiger Argumentationen mit Hilfe syntaktischer, morphologischer und semantischer Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen: „ Auch der Umstand, dass es flektierende Sprachen giebt, wie das Hebräische, welche dasselbe, was wir in der Regel durch das Verbum ‚ sein ‘ ausdrücken, in der Regel ohne dieses Verbum ausdrücken, darf nicht zu dem Glauben ver- 219 K ERN (1888: 92) 220 K ERN (1888: 93) 221 K ERN (1888: 94) 222 K ERN (1888: 93 f.) 223 K ERN (1888: 94) 68 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="69"?> führen, dass deshalb unser ‚ ist ‘ ein völlig bedeutungsloses Wort sei. [ … ] Und was wäre das für ein sonderbarer Schluss, aus dem Umstande, dass irgend eine Sprache, um eine gewisse Art der Prädicierung auszudrücken, kein besonderes Wort anwendet, schliessen zu wollen, in dem Worte, das eine andere Sprache zu dem Zweck dieser Prädicierung anwendet, sei gar kein Begriffsinhalt, statt vorsichtig und richtig zu schliessen, dass diese Sprache, wie sehr zweckmässig ist, das Verbum, welches das Sein ausdrückt, gebraucht um die Prädicierung zu bezeichnen. “ 224 Desgleichen wird dem Wort zu in den Sätzen er war bereit zu sterben oder er war bereit zum Tode die Bedeutung der Richtung auf ein Ziel in der deutschen Präposition zu zuerkannt, obwohl im Griechischen derselbe Gedankeninhalt ohne eine derartige Präposition ausgedrückt wird. Ebenso wird von dem Sachverhalt, dass der deutsche Ausdruck du lösest im Griechischen als λύεις und im Lateinischen als solvis formuliert wird, nicht darauf geschlossen, dass das deutsche Wort du keinen Inhalt mehr besäße. 225 Seine Erkenntnisse zur Theorie einer Kopula zusammenfassend, erläutert Kern: „ Also in dem Sinn, in welchem jedes finite Verbum die Satzbestimmungen mit einander verbindet, ist auch das Wort ‚ ist ‘ verbindend, weil eben auch in ihm die Synthese von Subsistenz und Inhärierendem vorhanden ist. Es verbindet wie jedes finite Verbum, nicht wie eine Klammer zwei Hölzer, sondern wie der Stamm des Baumes die Äste. In dem Wort ‚ ist ‘ wird ja die Subsistenz wie der Zustand nur sehr unbestimmt bezeichnet, aber beides wird doch bezeichnet, und die Festigkeit der Verbindung zwischen beiden ist dieselbe, wie in jedem finiten Verbum, ebenso die Klarheit, mit der sich Bestimmungen an beide anschliessen. “ 226 Erben 227 unterscheidet zwischen ist-Prädikation und tut-Prädikation 228 , wobei die ist-Prädikation nach Erben auch als nominale Verdichtung in Abstrakta vorhanden ist (z. B. seine Treue - er ist treu). 229 Demzufolge erklärt Erben: „ Bei einer Gruppe mehr oder minder inhaltsarmer Verben (verba abstracta) bezeichnet ein begriffsergänzendes Nennwort, als eigentliches nomen actionis, das Seiende, Geschehende (im Nominativ [ … ]) “ 230 (z. B. dort ist (herrscht) Ebbe). Im Folgenden erwähnt Erben prädizierende Verben, welche gemeinsam mit einem Nomen bzw. Nennwort im Nominativ als Art- oder Zustandsangabe, Merkmals- oder Wesensbestimmung (z. B. er ist Student; es wird Abend), als Eigennamen in 224 K ERN (1888: 95 f.) 225 K ERN (1888: 97) 226 K ERN (1888: 85 f.) 227 E RBEN (1980) 228 E RBEN (1980: 136, 260 ff.) 229 E RBEN (1980: 136) 230 E RBEN (1980: 140) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 69 <?page no="70"?> einer bekanntmachenden Namensnennung (z. B. das ist Fritz) 231 oder als identifizierende Gleichsetzung (z. B. ‚ Mondello: Und Sie in der Rolle des David, der Goliath gefällt hat. Pierre: [ … ] ich bin David [ … ] der (Zeitungs-) Artikel ist meine Schleuder ‘ Andersch, Nacht 139) 232 auftreten. Anschließend nennt Erben Verben, welche mit einem Prädikativ bezüglich des Subjekts auftreten und listet sogenannte „‚ existenz ‘ -bezeichnende[ … ] Verben sein, bleiben, werden “ 233 (z. B. er ist groß; der Betrieb liegt (= ist) still) 234 sowie die Verben dünken, heißen, scheinen, erscheinen und vorkommen 235 (z. B. das dünkt mich gut; das heißt tüchtig). Hierzu nennt Erben auch den prädikativen Genitiv (z. B. er ist (scheint) des Teufels; hoffentlich macht ihr ihn anderen Sinnes). 236 Ebenso erläutert Erben, dass die Verben sein, werden und bleiben mit einem prädikativen Akkusativ auftreten können, „ wenn der Merkmalsträger (Subjekt) zur Zielgröße (Akkusativobjekt) eines übergeordneten Verbs geworden ist: ‚ Die Nacht … / umarmt mich sanft und läßt mich ihren Freund/ und ihren Bruder sein ‘ Hesse, Ged. 163. ‚ Laß ihn niemals einen Hirten werden ‘ Bergengruen, Rose 60. “ 237 Zudem geht Erben auf Verben des Nennens und Dünkens sowie des Wahrnehmens und Urteilens (z. B. nennen; heißen; schelten; schreiben (sich); glauben (sich); fühlen (sich)) ein, welche als Objektsprädikativ über ein akkusativisches Objekt prädizieren und nach Erben gemäß zweier syntaktischer Grundprogramme vorkommen: Erstens vorbezüglich (z. B. man nennt (heißt) ihn Meister/ heißt (schilt) ihn einen Feigling) und zweitens rückbezüglich (z. B. er nennt sich Arzt; er glaubt (weiß) sich Herr der Lage). 238 An dieser Stelle merkt Erben an, dass auch Verben „ anderer Art “ 239 Prädikative über akkusativische Objekte einleiten können und die Beschaffenheit oder den Zustand des Objekts charakterisieren (z. B. man liefert die Fische frisch) als auch den Zustand beschreiben, in welchen das Objekt versetzt wird (z. B. sie streichen den Zaun grün). 240 Schließlich erwähnt Erben, dass charakteristische Bestimmungen in Form eines Prädikativs oft mit Fügewörtern wie als angeschlossen werden (z. B. sie sind als Sieger heimgekehrt; er gedachte ihrer als treuer Gefährten). Erben notiert, dass in manchen Fällen ein gleichsetzendes als vorkommt (z. B. man bezeichnet etwas 231 E RBEN (1980: 141 f.) 232 E RBEN (1980: 142) 233 E RBEN (1980: 142) 234 E RBEN (1980: 176) 235 E RBEN (1980: 142, 176) 236 E RBEN (1980: 143) 237 E RBEN (1980: 142) 238 E RBEN (1980: 142) 239 E RBEN (1980: 176) 240 E RBEN (1980: 176) 70 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="71"?> als Fortschritt). Nennwörter, welche als Bezeichnungen von Entwicklungs- oder Handlungsergebnissen fungieren, werden nach Erben oft mit den Richtungspartikeln zu oder in eingeleitet (z. B. das Wasser ist zu Eis geworden; das Schloss ist zum Museum umgebaut). Einige objektbezogene Verben des Urteilens und Nennens schließen prädikative Nennwörter mit für an (z. B. er hat sich für einen Maler ausgegeben). Hierbei ist nach Erben das Element als im Gegensatz zu den Elementen zu und für nicht an eine bestimmte Rektion gebunden. 241 Von diesen Fügewörtern als, für, in und zu ist nach Erben ein grammatisch entbehrliches Element wie 242 abzugrenzen (z. B. er ist wie toll). Dazu erläutert Erben sogenannte „‚ freie Prädikative ‘ , ‚ halb-prädikative ‘ oder ‚ appositive ‘ Substantive “ 243 , welche oft neben Verben der Bewegung aber auch anderen Verben, die Art, Verfassung oder Umstände des Handlungsträgers bzw. den Agens des Geschehens sowie das Geschehen selbst bestimmen und nicht derart platzgebunden sind wie prädikative Beiwörter 244 (z. B. du fliegst Vogel in Lüften, schwimmst Fisch im Meer Hesse, Märchen 95). 245 Außerdem treten Prädikatsnomina nach Erben als Parenthese auf (z. B. ‚ sie [ … ] vergaß sogar - (das war die) entsetzliche Folge der Vergiftung durch den Neffen - bei der Wandlung niederzuknien ‘ Werfel, Himmel, 157). 246 Nach Erben zeigt das prädikative Beiwort keine Flexionsendung, außer wenn „ die besondere Art eines Seins nachdrücklich und klassifizierend “ 247 hervorgehoben werden soll (z. B. dieser Winkel ist ein rechter). 248 Es ist auffällig, dass superlativische prädikative Beiwörter mit den Artikeln der, die und das verbunden sind. 249 Dazu erklärt Erben, dass adverbiale Beiwörter im Deutschen ebenso wie prädikative Beiwörter keine Flexion aufweisen und an den gleichen Positionen im Satz erscheinen 250 , wobei „ fast sogar eine funktionale Gleichwertigkeit “ 251 zwischen prädikativem und adverbialem Beiwort besteht (z. B. er ist da; er ist hier; er ist anwesend; die Tür steht auf; die Tür steht offen) 252, 253 , was bisweilen zu Doppeldeutigkeit führen kann (z. B. 241 E RBEN (1980: 143) 242 E RBEN (1980: 176, Fn. 715) 243 E RBEN (1980: 142) 244 E RBEN (1980: 177) 245 E RBEN (1980: 143) 246 E RBEN (1980: 144) 247 E RBEN (1980: 176) 248 E RBEN (1980: 176) 249 E RBEN (1980: 176, Fn. 717) 250 E RBEN (1980: 179) 251 E RBEN (1980: 181) 252 E RBEN (1980: 181) 253 Dies stimmt nicht für sogenannte Objektsprädikative, die nicht ohne adv. Mod. vorfeldfähig sind, vgl. 7.4.2.2. 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 71 <?page no="72"?> der Vater liebt seine Suppe heiß (1. = er liebt sie sehr; 2. = er liebt es, dass seine Suppe heiß ist)). 254 Erben vertritt die Ansicht, dass eine verdeckte ist-Prädikation zwischen Objektsprädikativ und akkusativischem Objekt als Bezugsphrase durch Umformungen aufdeckbar ist (z. B. man liefert die Fische frisch; man liefert die Fische - sie sind frisch). Insgesamt wirkt das charakterisierende Beiwort bei Erben perfektionierend als auch transitivierend (z. B. (sich) die Füsse wundlaufen; (sich) die Augen rot weinen). 255 Dennoch erscheint Erbens Deutsche Grammatik. Ein Abriss als eine valenzorientierte 256 deutsche Grammatik und trennt das Prädikativ als Ergänzungsbestimmung vom Verbalkomplex, welcher u. a. durch Kopulae oder kopulaähnliche Verben repräsentiert sein kann 257 , ab (z. B. Karl ist Berliner; Fritz ist fleißig; Fritzchen nennt Anton Onkel; Ilse putzt das Messer blank). Diese Verben stellen nach Erben mit ihrem jeweiligen spezifischen Inhalt den verbalen Aussagekern 258 dar, so dass in Erbens Ansatz Verben valenzielle Leerstellen für Prädikativergänzungen eröffnen können. Glinz 259 plädiert für eine Verwerfung des Begriffs der Kopula. 260 Demzufolge wird der Prädikatsnominativ (auch: Gleichgröße) (z. B. die Blindesten aber sind die Göttersöhne) seines Status als Prädikativ und bestimmender Teil eines mehrteiligen Prädikatkomplexes mit der Kopula enthoben und erlangt den Status der übrigen fallbestimmten Glieder, wie demjenigen des Subjektsnominativ, des Objektkasus oder der präpositionalen Ausdrücke. 261 Der Prädikatsakkusativ (auch: Gleichgröße zur Zielgröße) (z. B. dich nenn ich meinen Retter) tritt nach Glinz nur bei den Verben nennen und heißen, sowie gelegentlich bei dem Verb glauben auf. Glinz kennt den Prädikatsakkusativ als „ Satzgliedmöglichkeit “ 262 an und interpretiert ihn als „ Gegenstück zum Prädikatsnominativ “ 263 . Eine Differenzierung von Prädikatsnominativ und Prädikatsakkusativ nimmt Glinz für das unflektierte Prädikatsadjektiv (z. B. der Tag ist zu herrlich geworden) vor, welches nach Glinz den fallfremden Gliedern angehört. 264 Das prädikative Adjektiv (z. B. dich nenn ich göttlich; der Gesang klingt herrlich) bildet zusammen mit dem Adverb (z. B. eile mir nicht zu schnell, du goldener Tag, 254 E RBEN (1980: 179, vgl. 166) 255 E RBEN (1980: 176) 256 Vgl. E RBEN (1980: 261 ff.) 257 E RBEN (1980: 315 f.) 258 E RBEN (1980: 315 f.) 259 G LINZ (1972) 260 G LINZ (1972: 85) 261 G LINZ (1972: 85) 262 G LINZ (1972: 87) 263 G LINZ (1972: 87) 264 G LINZ (1972: 85, 116) 72 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="73"?> zum Gipfel des Himmels fort; beweglicher eilt schon die wache Quelle) bei Glinz eine einheitliche Kategorie 265 : „ sie geben die Bestimmung eines ‚ Wie ‘ im Satze, und zwar leisten sie das als selbständige Glieder (nicht als bloße Gliedteile, wie z. B. in ‚ rötliche Flammen, mein sterblich Tun ‘ ), und sie leisten es als Glieder, die nicht im Bilde von ‚ Wesen ‘ gefaßt sind (nicht als ‚ Größen ‘ , wie z. B. in ‚ die Wandelbaren, du Freudiger, Gütiger ‘ ). “ 266 Glinz lehnt also eine Trennung zwischen prädikativem Adjektiv und Adverbiale der Art und Weise ab und erfasst beide unter der Bezeichnung Artangabe. 267 Des Weiteren konstatiert Glinz, dass die Artangabe „ nicht gleichmäßig und direkt auf den ganzen Satz geht, sondern in erster Linie auf eines oder zwei seiner Glieder, und erst durch diese hindurch, mittelbar auch auf das Ganze. “ 268 Doch Glinz stellt fest, dass es sich bei diesen Beziehungen der Artangabe auf das eine oder andere Glied des Satzes nicht um ein „‚ Entweder-Oder ‘ in der Zuordnung (entweder Charakteristik des Geschehens, also Adverbiale oder Eigenschaft des Subjekts, also Prädikatsadjektiv) [handelt], sondern wir finden ein ‚ Sowohl-Als auch ‘ . “ 269 Die Grammatik von Jude 270 nennt die Verben sein und werden als modifizierende Hilfsverben, die den Infinitiv mit und ohne dem Element zu anschließen (z. B. die Pflanzen sind vor Frost zu schützen). 271 Des Weiteren erwähnt er die Verben sein, bleiben, werden, scheinen, erscheinen, sich dünken und heißen als Kopulae mit einem nichtverbalen Prädikativ. Kopula-Prädikativ-Komplexe geben nach Jude als teilverbale Prädikate eine Zuordnung an oder bestimmen eine Art, wobei die Bildung von Handlungssätzen ausgeschlossen ist. Als Prädikativ erwähnt Jude ein unflektiertes Adjektiv oder Partizip (z. B. das Wetter ist schön), ein flektiertes Adjektiv (z. B. ist dieser Wein ein italienischer oder ein spanischer? ), ein nominativisches oder genitivisches Substantiv oder eine Präpositionalphrase (z. B. mein Sohn ist Arzt; sind Sie von Sinnen? ), ein Pronomen (z. B. der Täter war er), ein Zahlwort (z. B. wir waren nur drei), ein Adverb (z. B. die guten Jahre sind vorüber), einen Vergleich (z. B. ich war wie betäubt), einen Gliedsatz (z. B. du bleibst, wo du bist) und einen Infinitiv mit oder ohne dem Element zu (z. B. das bleibt zu bedenken). Des Weiteren erwähnt Jude Konstruktionen, welche von Kopula-Prädikativ-Komplexen zu unterscheiden seien, aber desgleichen eine gewichtige logische Satzaussage tätigen und das Verb im 265 G LINZ (1972: 121) 266 G LINZ (1972: 117) 267 G LINZ (1972: 123) 268 G LINZ (1972: 122) 269 G LINZ (1972: 122) 270 J UDE (1980) 271 J UDE (1980: 17) 4.1 Die Grammatiken des Deutschen 73 <?page no="74"?> Prädikat schwächen. Diese sogenannten Komplemente (d. h. Begleitaussagen) als Bestandteil von Prädikaten können nach Jude in ihrem attributiven Verhältnis zu einem Substantiv subjekt- (z. B. das Haus steht leer) oder objektbezogen (z. B. er strich die Tür grün) sein. Die Formen der Komplemente umfassen auch flektierte Substantive im Dativ, decken sich aber sonst weitgehend mit jenen der Prädikative, außer dass flektierte Adjektive, Pronomen, Zahlwörter, Adverbien oder Vergleiche nicht dazugezählt werden. Nach Jude stehen Komplemente insbesondere bei Verben des Nennens und Bewirkens, und sie sind oft formgleich mit adverbialen Bestimmungen. Hierbei drückt das Komplement als einziges Satzglied eine zweiseitige Beziehung als modale oder kausale Begleitaussage zum Prädikat sowie als attributives Verhältnis zum Subjekt oder Objekt aus. 272 Jude nennt jedoch ausdrücklich die Verben sein und werden auch als Vollverben mit einem eigenständig signifizierten Inhalt. Dieser ist für sein als existieren/ bestehen/ leben/ stattfinden/ sich befinden (z. B. ich denke, also bin ich; er ist nicht mehr; die nächste Vorstellung ist morgen; Mutter ist oben) angegeben. Das Verb werden verfügt nach Jude über den Inhalt entstehen/ anfangen/ etwas zu sein (z. B. daraus wird nichts; die Sache ist noch im Werden; es wird schon werden; in diesem Gedicht spricht Goethe vom Prinzip des ‚ Stirb und Werde ‘ ). 273 Tarvainen nähert sich in seiner Dependenzgrammatik des Deutschen 274 der Kopula über die von der Kopula geforderten Prädikativergänzungen an. Prädikative Ergänzungen treten als Subjektsprädikative (z. B. Karl ist gesund) und als Objektsprädikative (z. B. der Lehrer nannte Karl faul) auf. 275 Des Weiteren können nach Tarvainen freie Prädikativangaben in Sätzen mit beliebigen Verben auftreten, die sich ebenfalls in freie Prädikativangaben mit Bezug auf das Subjekt (z. B. Karl kam gesund an) und freie Prädikativangaben mit Bezug auf das Objekt (z. B. der Lehrer traf Karl verärgert an) untergliedern lassen. 276 Nach Tarvainen drücken die Verben scheinen, dünken und heißen, welche ein Subjektsprädikativ anschließen, Klassifizierung oder Identifizierung aus. Das Verb bleiben hingegen trägt den Inhalt „ in einem bestimmten Zustand verharren “ 277 und das Verb werden bedeutet „ in einen bestimmten Zustand kommen “ 278 . Das Verb sein hat gemäß Tarvainen nur die 272 J UDE (1980: 218 f.) 273 J UDE (1980: 17) 274 T ARVAINEN (1986) 275 T ARVAINEN (1986: 139) 276 T ARVAINEN (1986: 139) 277 T ARVAINEN (1986: 143) 278 T ARVAINEN (1986: 143) 74 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="75"?> allgemeine Bedeutung „ Identifikation, Klassifikation “ 279 . Gegenüber der Auffassung der traditionellen Grammatik, dass eine bedeutungsleere Kopula kein vollständiges Prädikat stellt, sondern dass das Prädikativ der eigentliche Bedeutungsträger ist, führt Tarvainen Kriterien an, die „ es erlauben, die Prädikativergänzung als ein eigenes Satzglied anzusehen und ihm denselben Rang wie z. B. dem Subjekt einzuräumen. “ 280 Tarvainen erklärt, dass das Verb sein nicht völlig bedeutungsleer ist: „ Es hat eine allgemeine Funktion: ‚ Zustand, Identifikation, Klassifikation ‘ . Es ist auch Element eines Paradigmas, so daß es im Vergleich mit anderen prädikativen Verben einen eigenen Inhalt haben muß: Er ist fleißig; Er wird fleißig; Er scheint fleißig; Er bleibt fleißig. “ 281 Darüberhinaus besitzt das Kopulaverb dieselben grammatischen Funktionen (z. B. Modus und Tempus) wie andere Prädikate (z. B. er ist/ war/ wäre fleißig). Außerdem ist das Prädikativ anaphorisierbar (z. B. mein Bruder ist ein Künstler/ faul; ich bin es auch/ so ist er), wohingegen z. B. das Partizip Perfekt als Prädikatsteil nach Tarvainen nicht als anaphorisierbar gilt (z. B. mein Bruder ist gekommen/ *so). Daraus schließt Tarvainen, dass das Verb sein sowie die anderen Kopulae als Prädikat angesehen werden können und das Prädikativ als selbständiges Satzglied betrachtet werden kann. 282 4.2 Die spezifische Fachliteratur Im Forschungsüberblick über die spezifische Fachliteratur in Form von Monographien und Aufsätzen zum Thema der Konnexionsstruktur und logischsemantischen Valenz in Kopula-Prädikativ-Komplexen soll eine Auswahl an aktuelleren Publikationen vorgestellt werden, welche für die Zielsetzung der vorliegenden Studie relevant sind oder problematisierbare Argumente und Methoden vorbringen. Dies betrifft Arbeiten der deutschen, vorwiegend einzelsprachlich orientierten Sprachwissenschaft bzw. Linguistik, die insbesondere die Semantik der Kopulae mit Methoden der synchronen Sprachwissenschaft als Schwerpunkt untersuchen, valenztheoretisch orientiert sind oder versuchen, für ihre Beschreibung der Semantik von Kopulae oder Kopula-Prädikativ-Konstruktionen in einer der Prädikatenlogik entlehnten Notation den λ -Abstraktor Churchs 283 anzuwenden. Die Monographie Grotes Über die Funk- 279 T ARVAINEN (1986: 143) 280 T ARVAINEN (1986: 139) 281 T ARVAINEN (1986: 139) 282 T ARVAINEN (1986: 140) 283 Zum λ -Abstraktionsoperator, s. 5.7; 5.7.2; 7.6; 7.6.2. 4.2 Die spezifische Fachliteratur 75 <?page no="76"?> tionen der Copula 284 wird im Forschungsüberblick nicht vorgestellt, da sie in weiten Teilen übereinzelsprachlich argumentiert. Die linguistischen Arbeiten Montagues 285 und Partees (s. u.) werden im Forschungsüberblick der vorliegenden Studie nicht explizit vorgestellt. Montague appliziert in seinen linguistischen Arbeiten einen λ -Operator, diese sind jedoch übereinzelsprachlich ausgelegt oder die Applikation des λ -Operators ist im Rahmen einer Anwendung zur Formalisierung der englischen Sprache zu verstehen. Zu Montagues Verwendung des λ -Operators in Pragmatics and intensional logic 286 kann angemerkt werden, dass er diesen im Rahmen einer Theorie der möglichen Welten einbindet 287 , welche ein andersartiges Verständnis von Intensionalität als jenes der vorliegenden Studie vertritt. 288 Partees Arbeiten 289 beziehen sich wie Montagues Publikationen ebenfalls vor allem auf das Englische und werden im Forschungsüberblick der vorliegenden Studie im Zusammenhang mit der Übertragung Partees Formalismen in eine Beschreibung des Deutschen vorgestellt. Dabei erfolgt eine kritische Reflexion einer derartigen Übertragung der von Partee vorgeschlagenen Verwendung des λ -Operators in die Studien zur Erforschung der Semantik der Kopulae bzw. der Kopula-Prädikativ-Komplexe im Deutschen. Die Studie von Choi Die kohärente Konstruktion mit Kopula 290 wird im Forschungsüberblick ebenfalls nicht eigens vorgestellt, da den Fokus ihrer Untersuchung nicht die Semantik der Kopula stellt. Choi diskutiert die Kopulakonstruktionen im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie und zieht hierfür Haiders Unifikationsanalyse heran, welche die semantische Repräsentation mit einer Einbindung des λ -Operators nach Bierwisch verwendet. Diese Anwendung des λ -Operators nach Bierwisch wird im vorliegenden Forschungsüberblick hinsichtlich der Referenz auf dieselbige in der Monographie Geists 291 kritisch erörtert. 292 284 G ROTE (1935) 285 Z. B. M ONTAGUE (1974 [1970]c); z. B. M ONTAGUE (1974 [1970]b); z. B. M ONTAGUE (1974 [1973]) 286 M ONTAGUE (1974 [1970]a) 287 Vgl. P ARSONS (2016: 7) 288 Zu einer kurzen Vorstellung sowie einer Analyse und Kritik des Intensionsverständnisses eines frühen Vertreters (C ARNAP (1948); C ARNAP (1956)) dieses Ansatzes einer Theorie der möglichen Welten im Vergleich mit dem in der vorliegenden Studie verwendeten Verständnis von Intensionalität als auch zu einer Begründung für die Verwendung des in der vorliegenden Studie erfassten Verständnisses von Intensionalität zur Sprachanalyse, s. 5.7.4. 289 Z. B. P ARTEE (1977); P ARTEE (1992); P ARTEE (1986); P ARTEE (1987) 290 C HOI (2000) 291 G EIST (2006) 292 Zu weiteren Hinweisen bezüglich der Studie Chois (C HOI (2000)), s. 6.4.1.1. 76 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="77"?> 4.2.1 Monographien Maienborn 293 behandelt ausschließlich das deutsche Kopulaverb sein in einer übereinzelsprachlichen Studie mit dem englischen Verb to be und den spanischen Verben ser und estar. Ihre Untersuchung der Kopula sein knüpft an die Anwendung der Davidsonschen ontologischen Annahmen zu Handlungsverben 294 in der Sprachwissenschaft an. Die Kritik Maienborns richtet sich gegen eine Übertragung dieser Davidsonschen Annahmen zu Handlungsverben auf Kopulaverben, wonach Kopulakonstruktionen sich auf Davidsonsche Situationen und Zustände in der außersprachlichen Wirklichkeit beziehen. 295 Hierbei werden jene, die Kopula betreffenden Davidsonsche Zustände als „ statische, raumzeitliche Entitäten mit funktional eingebundenen Partizipanten “ 296 erfasst, und eine denotative Bezugnahme der Sätze mit dem Kopulaverb sein auf derartige Zustände nach Maienborn verneint: „ Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, dass Kopula-Sätze keine Situationen in Davidsons Sinn bezeichnen. Sie weisen keine Argumentstelle für eine raumzeitlich Entität mit funktional eingebundenen Partizipanten auf. Die Grammatik unterscheidet klar zwischen der Bezugnahme auf Situationen, an denen Individuen als Partizipanten beteiligt sind, und dem Zusprechen von (temporären oder permanenten) Eigenschaften an Individuen. “ 297 Zur Widerlegung eines Bezugs auf Davidsonsche Situationen von Kopulasätzen stellt Maienborn mehrere Methoden vor. Dies ist erstens der Versuch, durch die Nennung von Beispielen nachzuweisen, dass Kopula-Prädikativ-Konstruktionen nicht als Infinitivkomplemente (z. B. Monika sah Hans an der Bushaltestelle warten) von Perzeptionsverben (z. B. sehen; hören) fungieren können (z. B. *Heidi sah Luise blond sein; *Heidi hörte Luise Französin sein; *Angela sah Bardo wütend sein; *Cathrine hörte die Callas heiser sein). Maienborn markiert diese Sätze als ungrammatisch, erwähnt jedoch, dass die Kopula-Prädikativ- Konstruktionen nicht die einzige Gruppe von grammatischen Prädikaten sind, welche nicht als derartige Infinitivkomplemente von Perzeptionsverben einsetzbar sind, sondern dass es viele Verben gibt, die diese Komplementstellen nicht besetzen können (z. B. *Luise sah/ hörte Robin Hood ‚ der Rächer der Enterbten ‘ heißen; *Luise sah/ hörte den Rotwein 35 DM kosten) und nennt dieselbigen K-Zustandsverben (z. B. ähneln; heißen; besitzen; kosten), da sie ihnen zuschreibt, keine ontologische Basiskategorie, sondern Kimsche Zustän- 293 M AIENBORN (2003) 294 D AVIDSON (1967) 295 M AIENBORN (2003: 14, 117) 296 M AIENBORN (2003: 117) 297 M AIENBORN (2003: 111) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 77 <?page no="78"?> de 298 (auch: K-Zustände) zu denotieren. 299 Es liegt an der Davidsonschen Definition von außersprachlichen Situationen und Maienborns Definition von derartigen statischen Situationen als Zustände 300 sowie als statische, raumzeitliche Entitäten mit funktional eingebundenen Partizipanten 301 , dass diese Gruppe von Verben, die für einen Partizipanten nicht notwendig immer wahrnehmbare Situationen bezeichnen (z. B. Heidi sah Peter die Berge gut finden; Luise sah/ hörte Heidi die Lösung des Rätsels wissen), nicht die Bedingungen zur Denotation Davidsonscher Situationen oder Zustände erfüllen. Die Denotate dieser Gruppe von Verben können nicht in Sätzen mit Perzeptionsverben, deren Subjektstelle von einem äußeren Beobachter bzw. Partizipanten besetzt ist, aufgezeigt werden, da sie z. B. mentale Vorgänge in einer Person oder Bewusstseinszustände darstellen und der primäre Partizipant und Beobachter, welcher diese mentalen Vorgänge und Bewusstseinszustände erfährt, die grammatische Subjektstelle selbst besetzen muss. Jedoch entscheidet die Teilhabe oder Wahrnehmung von bestimmten Personen und ihre Anzahl nicht darüber, ob eine Situation oder ein Zustand in der außersprachlichen Wirklichkeit existiert oder nicht, weswegen Kritik an der Davidsonschen Situationsdefinition und der Konzeption von Zuständen als derartige statische Situationen angebracht ist. 302 Unter nicht epiphänomenalen Annahmen ist es darüber hinaus möglich, dass nicht notwendig durch einen Beobachter wahrnehmbare, mentale Vorgänge und Bewusstseinszustände von Sprechern kausal eine existente Situation oder einen existenten Zustand in der außersprachlichen Wirklichkeit manifestieren sowie eine Motivation für außersprachliche, kausale Wirkungszusammenhänge und Handlungen stellen können. Zweitens versucht Maienborn darzulegen, dass sogenannte situationsbezogene Modifikatoren (z. B. ja doch; gerade) in Kopula-Sätzen grammatikalisch unzulässig seien. 303 Diese Testergebnisse können als weitgehend subjektiv gewertet werden, da z. B. einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 304 nicht notwendig hinreichend einsichtig ist, weshalb die derartigen Sätze (z. B. Jochen ist gerade in der Hängematte wach; Paul ist gerade unter der Staßenlaterne 298 Vgl. K IM (1969); vgl. K IM (1976) 299 M AIENBORN (2003: 65 ff.) 300 M AIENBORN (2003: 107) 301 M AIENBORN (2003: 117) 302 Vgl. hierzu Freges ontologische Begründung außersprachlicher Sachverhalte, d. h. Situationen und Zustände in der extensionalen Bedeutungsebene, welche unabhängig vom menschlichen Denken existieren am Beispiel unentdeckter Naturgesetze oder einer wüsten Insel im Eismeer (F REGE (2001 [1897]: 46). S. a. 5.6.6 303 M AIENBORN (2003: 84 f.) 304 D. A. 78 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="79"?> betrunken) generell grammatikalisch falsch sein sollen. 305 Die Sätze mit dem Zusatz ja doch können an dieser Stelle nicht in die Wertung mitaufgenommen werden, da dieser Zusatz einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 306 völlig unbekannt sein kann und statt dessen als umgangssprachliche Antwortphrase geläufig ist. Drittens ergänzt Maienborn in einem weiteren Testverfahren Adverbien der Art und Weise, Komitative, Instrumentalangaben und situationsbezogene Partizipien als „ Mannerangaben i. w. S. “ 307 in Kopulasätzen sowie in Sätzen mit anderen sogenannten K-Zustandsverben (z. B. ähneln; heißen; besitzen; kosten). Die Beispielsätze mit Mannerangaben i. w. S. nach Maienborn in Kopulasätzen werden als grammatikalisch falsch gewertet, stellen sich jedoch in vielen Fällen als lediglich semantisch fragwürdig heraus. Statt derartiger, semantisch fragwürdiger Sätze (z. B. Heidi war mit ihrer Nichte intelligent/ selbstlos/ Vegetarierin; Jochen war ruhig/ sparsam/ spendabel reich; Shirin war sicher Pianistin und unsicher Alpinistin; Karin war mit großer Geduld nüchtern; Anette war (ja doch) ausgestreckt auf dem Sofa müde; Heidi ist ruhig hungrig und unruhig durstig) 308 , können leicht veränderte Sätze genannt werden, welche keine oder weniger semantische Fragwürdigkeiten aufwerfen und grammatikalisch korrekt gebildet sind (z. B. (? )Heidi war ohne ihre Freundin aufmerksam/ bescheiden/ Einzelgängerin; (? )Jochen war bescheiden/ hedonistisch/ unglücklich reich; (? )Shirin war selbstbewusst Pianistin und beschämt Alpinistin; (? )Karin war mit großer Selbstbeherrschung/ geduldig nüchtern; (? )Anette war (*ja doch) dösend/ ungestört auf dem Sofa müde; (? )Heidi ist wütend/ verärgert/ ungeduldig hungrig). Einige der von Maienborn genannten Beispielsätze (z. B. die Leiter war stabil aus Stahl; Jochen war gerade unsicher auf der Leiter; die Treppe war wackelig morsch; Frank ist reglos/ tatenlos auf der Treppe) 309 , können von einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 310 nicht ausreichend nachvollziehbar als grammatikalisch falsch eingestuft werden. Die von Maienborn anschließend angeführte Argumentation bezüglich Bedeutungsanpassungen bei Manner-Angaben i. w. S. 311 nach Maienborn bindet ebenfalls Beispielsätze ein, welche nach Maienborn als ungrammatisch markiert sind (z. B. Heidi war langsam auf den Beinen; Jochen schmückte langsam den Weihnachts- 305 Vgl. M AIENBORN (2003: 84) 306 D. A. 307 M AIENBORN (2003: 88) 308 M AIENBORN (2003: 88 - 100) 309 M AIENBORN (2003: 89) 310 D. A. 311 M AIENBORN (2003: 88) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 79 <?page no="80"?> baum) 312 , obwohl für einen kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 313 ihre Ungrammatizität nicht notwendig einsehbar ist. Zudem werden wiederum semantisch fragwürdige Beispielsätze (z. B. Heidi war mit großer Geduld in der Stadt) 314 anstatt eines semantisch vernünftigeren Satzes (z. B. Heidi war mit großer Freude in der Stadt) vorgeführt und unter anderem die Behauptung aufgestellt, der Aussagesatz Hans war in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Katholik müsste in den Satz Hans war in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Kirchgänger/ Beichtender uminterpretiert werden. 315 So konstatiert Maienborn: „ Das Adverbial [ … ] spezifiziert nicht unmittelbar einen Zustand des Katholik- Seins, sondern es charakterisiert die Einstellung eines Agens zu den damit verbundenen Tätigkeiten wie Kirchgang, Beichte usw. “ 316 Dem ist zu entgegnen, dass es sich bei dem Satz Hans war in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Katholik um einen grammatikalisch richtigen Satz handelt, welcher aussagt, dass Hans in seiner Jugend mit großer Leidenschaft Katholik war, und es wird nicht ausgedrückt, dass Hans mit großer Leidenschaft in die Kirche ging, Kirchgänger war, zur Beichte ging oder Beichtender war. Wenn dies die Aussage des betreffenden Satzes wäre, dann wäre es derartig im komplexen sprachlichen Zeichen des Ausdrucks realisiert, was jedoch nicht der Fall ist. Der mündige Sprecher hat diese und nicht jene zeichenhafte, sprachliche Realisierung gewählt (s. 6.4.3; 6.4.3.1; 6.4.3.2). Schließlich erwähnt Maienborn eine Situationsdiagnostik mit dem Zusatz ein bisschen, welcher als Situationsmodifikator die Situationsdauer bewertet und als Gradmodifikator den Ausprägungsgrad auf einer Skala einordnet, um nachzuweisen, dass die Lesart als Situationsmodifikator für Kopulasätze nur unter einer angeblichen Bedeutungsanpasssung zugelassen ist. 317 Dabei ist einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 318 nicht hinreichend einsichtig, weshalb in einigen genannten Beispielsätzen lediglich die Lesart als Gradmodifikator (z. B. Karin war ein bisschen müde) und nicht als Situationsmodifikator (z. B. Karin war (für) ein Weilchen müde) zugelassen 319 sein soll. Andere Beispielsätze (z. B. Angela hat ein bisschen im Garten gesessen) 320 hingegen, können von einem kompetenten 312 M AIENBORN (2003: 90, 93 f.) 313 D. A. 314 M AIENBORN (2003: 95) 315 M AIENBORN (2003: 96) 316 M AIENBORN (2003: 96) 317 M AIENBORN (2003: 103) 318 D. A. 319 M AIENBORN (2003: 101) 320 M AIENBORN (2003: 101) 80 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="81"?> Sprecher der deutschen Sprache 321 als umgangssprachlich bis grammatikalisch falsch aufgefasst werden, was für eine semantische Überlappung von Gradangabe und Ausprägungsangabe oder eine Unbestimmtheit diesbezüglich im Inhalt des Zusatzes ein bisschen spricht, da in diesem Beispiel die Interpretation als Gradmodifikator ohne Richtungsangabe im Gegensatz zu ähnlichen Aussagesätzen mit Richtungsangabe (z. B. Heidi ist ein bisschen ins Wasser gegangen) fehlerhaft oder umgangssprachlich ist. Auch in letztgenanntem Beispielsatz sind beide Interpretationen möglich (z. B. Heidi ist bis zu den Knien ins Wasser gegangen; Heidi ist für 15 Minuten ins Wasser gegangen). Wesentlich für die Argumentationsweise Maienborns hinsichtlich der logischen Form von Kopulasätzen sind somit die Davidsonschen Situationsargumente, welche nach Davidson als eigenständige Ereignisvariablen bei den Handlungsverben stehen können und ihre Denotation einer außersprachlichen Situation sichtbar machen. 322 Die Sprachauffassung solcher Davidsonschen Art ist ein sogenannter anomaler Monismus, wobei Davidson vorgibt, sich von einem Epiphänomenalismus 323 zu distanzieren. 324 Ein Gelingen dieses Versuchs einer Distanzierung von einem Epiphänomenalismus kann im Hinblick auf die anderen materialistischen Vorannahmen sowie die der Davidsonschen Theorie inhärente Miteinbeziehung der Tarskischen Wahrheitstheorie in formalisierten Sprachen 325 jedoch hinterfragt werden. In diesem Rahmen aus Davidsonschen sowie Tarkischen Annahmen und der traditionellen, grammatiktheoretischen Vorannahme eines grammatischen Prädikatkomplexes aus Kopula und Prädikativ konkludiert Maienborn, dass sprachlich ausgedrückte Gedanken eines kompetenten Sprechers als vollständige, grammatikalisch korrekt gebildete deutsche Aussagesätze mit einer besetzten Subjektposition sowie mit Lokal- und Temporalangaben oder adverbialen Lokal- und Temporalergänzungen im Helbigschen Sinn in Kopulasätzen keine Situationen und Zustände raumzeitlich derart denotieren, wie es die sprachlichen Elemente als zeichenhafte Bedeutungsträger eines Sprachsystems langue lexikalisch vermitteln (z. B. seit 50 Jahren ist der Matrose verschollen; die Veranstaltung ist immer dienstags für einen unbegrenzten Zeitraum; die Ewigkeit ist für immer; Peter ist hier; Eveline ist im Garten; Zeus ist). Maienborn erklärt des Weiteren, dass in ihrer Theorie „ die Möglichkeiten einer sparsameren Semantik für Kopula-Prädikativ-Konstruktionen ausgelotet werden - einer Semantik ohne Rekurs auf Situationsargu- 321 D. A. 322 M AIENBORN (2003: 14) 323 Vgl. H UXLEY (1899 [1874]) 324 Y ALOWITZ (2021 [2005]) 325 Vgl. T ARSKI (1936) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 81 <?page no="82"?> mente. “ 326 Demzufolge erläutert Maienborn bezüglich Temporalangaben in Kopulasätzen: „ Wir wissen bereits, dass es sich nicht um ein Situationsargument handelt. Genügt es nun anzunehmen, dass hier ein schlichtes Zeitargument vorliegt? Dies wäre die ontologisch sparsamste Annahme. “ 327 An dieser Stelle ist betreffs der Argumentationsweise Maienborns anzumerken, dass es sich hierbei um eine nach Maienborns eigenen Worten „ grammatischontologische Kosten-Nutzen-Aufstellung für die Präsenz von verborgenen Zustandsargumenten in Kopulasätzen “ 328 handelt. Die Ausdrücke sparsam, effizient, optimal und ökonomisch werden teils als Zielsetzung bzw. als angestrebte Eigenschaften, teils als Grundlegungen der von Maienborn ausgearbeiteten Theorie vorgeschlagen 329 und dienen teils als Argumente für oder wider einen Aspekt ihrer Theorie. 330 So wird z. B. eine „ optimalitätstheoretische Rekonstruktion konversationeller Implikaturen als zwei konkurrierende, an den jeweiligen Bedürfnissen von Sprecher und Hörer ausgerichtete Ökonomieprinzipien “ 331 als Hintergrund der Theoriebildung bei Maienborn miteinbezogen, zugleich stellt dieselbe optimalitätstheoretische Rekonstruktion Kriterien, um bestimmte „ Interpretationspräferenzen und -blockaden systematisch herzuleiten “ 332 . Ebenso ersucht Maienborn die Rechtfertigung einer „ sparsameren Semantik für Kopula-Prädikativ-Konstruktionen “ 333 , weist jedoch die angeblich sparsamste ontologische Annahme, nach welcher temporale, referenzielle Argumente bzw. Ergänzungen oder Angaben in Kopulasätzen ein sogenanntes „ schlichtes Zeitargument “ 334 sind, zurück. Im Folgenden schlägt Maienborn eine andersartige ontologische Reduktion und eine reifikatorische Uminterpretation solcher in Kopulasätzen ausgedrückten Zeitintervalle vor, die eine ganz neue ontologische Kategorie entwerfen 335 und eine ontologische Verschiedenheit der betreffenden Referenten temporaler Angaben und Ergänzungen in Kopulasätzen konstatieren. 336 Die Behauptung dieser Verschiedenheit und der Entwurf einer anderen ontologischen Kategorie werden bei Maienborn als „ ontologische 326 M AIENBORN (2003: 110) 327 M AIENBORN (2003: 113) 328 M AIENBORN (2003: 105) 329 Vgl. M AIENBORN (2003: 110, 121, 16, 178 ff.) 330 M AIENBORN (2003: 16, 73, 113, 121, 183) 331 M AIENBORN (2003: 16) 332 M AIENBORN (2003: 16, vgl. 73) 333 M AIENBORN (2003: 110) 334 M AIENBORN (2003: 113) 335 M AIENBORN (2003: 113, 115) 336 M AIENBORN (2003: 115) 82 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="83"?> Kosten “ 337 , denen ein „ grammatischer Nutzen “ 338 gegenübersteht, beschrieben, wodurch diese ontologischen Kosten gerechtfertigt seien. Dabei stellen sich diese ontologischen Kosten als Postulierung nicht unmittelbar manifester Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit heraus. 339 Die sparsame Semantik für Kopula-Prädikativ-Konstruktionen geht demnach mit hohen ontologischen Kosten einher. Der derart hergeleitete grammatische Nutzen lizenziert nach Maienborn diese neue, nicht sparsame ontologische Kategorie, welche reduzierter als andere ontologische Kategorien konzipiert ist, indem sie keine ontologische Basiskategorie und damit keine von der Rede unabhängig existente Situation mehr darstellt, sondern nur ein abstraktes Objekt und mentales Konstrukt zum Zweck effizienter Kommunikation konstituiert, das nicht existiert, wenn nicht darüber gesprochen wird. 340 Somit rechtfertigt die angestrebte sparsame Semantik der Kopula-Prädikativ-Konstruktionen über den Umweg des grammatischen Nutzens eine reduzierte ontologische Kategorie mit hohen ontologischen Kosten, welche wiederum die Kopula-Prädikativ-Konstruktionen als semantisch sparsame sprachliche Einheiten auszeichnet, da diesen dann zugeschrieben werden kann, nur auf diese ontologisch sparsame, reduzierte ontologische Kategorie als mentales Konstrukt, das außerhalb der menschlichen Rede nicht existent ist, zu referieren. 341 Gemäß des Entwurfs zur pragmatisch-kommunikativen Valenz schaffen angenommene Referenten in der Denotationsebene die Argumentstellen der Valenzträger, welche ebenfalls wiederum das Vorhandensein dieser Referenten bestätigen (s. 6.4.3; 6.4.3.1; 6.4.3.2). In der vorliegenden Studie kann eine derartige Argumentation anhand einer grammatisch-ontologischen Kosten-Nutzen-Aufstellung nach Maienborn, die syntaktische Aspekte nur begrenzt miteinbezieht 342 , nicht aufgenommen werden, da die vorliegende Studie anstrebt, interne sprachliche Strukturen des Sprachsystems langue mit Hilfe linguistischer Systemerprobungen syntaktisch und semantisch zu analysieren und unter Hinzuziehung mathematischer sowie logischer Konzepte intersubjektiv einsehbar zu beschreiben und zu formalisieren. Hierbei muss auf eine pragmatisch-kommunikative Argumentation oder Spekulationen über Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit und deren ontologischen Status weitgehend verzichtet werden. Schließlich zieht Maienborn den Schluss, dass Kopula-Prädikativ-Konstruktionen lediglich 337 M AIENBORN (2003: 116) 338 M AIENBORN (2003: 116) 339 M AIENBORN (2003: 115) 340 M AIENBORN (2003: 121) 341 Vgl. M AIENBORN (2003: 121, 129, 130 f.) 342 M AIENBORN (2003: 22) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 83 <?page no="84"?> sogenannte K-Zustände (auch: Kimsche Zustände) nach Kim 343 denotieren, die zeitlich gebundene Eigenschaftsexemplifikationen sind 344 und nicht unabhängig von der menschlichen Rede existieren 345 : „ Gemäß unseren bisherigen Überlegungen bezeichnen Kopula-Prädikativ-Konstruktionen K-Zustände. Der Verweis auf diese Entitäten ist dabei der genuine Beitrag der Kopula. Wie alle anderen Verben, so ist auch die Kopula mit einem referentiellen Argument ausgestattet, über welches die temporale Einordnung mittels Tempus und Aspekt kompositional geregelt wird; [ … ]. Im Falle der Kopula sowie der übrigen stativen Verben rangiert dieses referentielle Argument über K-Zustände. “ 346 Außerdem konstatiert Maienborn: „ Unsere Befunde zeigen weiter, dass es für die Frage des Situationsbezugs keine Rolle spielt, ob die Kopula-Konstruktion ein Stadien- oder Individuenprädikat beinhaltet. Es finden sich keine Hinweise darauf, dass die als semantisch/ begriffliche Grundlage für die Stadien/ Individuen-Distinktion beanspruchten Unterscheidungen von temporären vs. permanenten Eigenschaften bzw. von ortsgebundenen vs. arbiträr lokalisierten Eigenschaften auch nur annähernd grammatisch reflektiert würden. “ 347 Maienborn fasst also Kopula-Prädikativ-Konstruktionen mit den Verben, welche Kimsche Zustände denotieren „ zu einer Klasse der nicht-situativen oder stativen Ausdrücke “ 348 zusammen. Die semantischen Inhalte der Kopula-Prädikativ-Konstruktionen verweisen somit auf betreffende Denotate, die abstrakte Objekte als mentale Konstrukte darstellen, welche nur für die effiziente Kommunikation geschaffen wurden, keine bezeichneten außersprachlichen Situationen sind und, wie obig bereits alludiert, außerhalb der menschlichen Rede nicht existieren. Dabei führt Maienborn das Ashersche Spektrum der Weltimmanenz 349 an, in welchem ausschließlich fachterminologische Situationen raumzeitliche außersprachliche Entitäten sind, während fachterminologische Fakten ebenfalls nur abstrakte Objekte als der kommunikativen Effizienz dienliche mentale Konstrukte sind. Ein Verhältnis einer Denotation, Signifikation oder Abbildung zwischen Kopula-Prädikativ-Konstruktionen im sprachlichen Ausdruck und besagten Situationen (s. o.) in der außersprachlichen Wirklichkeit weist Maienborn demnach zurück. Die K-Zustände werden nach Maienborn zwischen Asherschen Situationen und Asherschen Fakten ver- 343 K IM (1969); K IM (1976) 344 M AIENBORN (2003: 116 f.) 345 Vgl. den Dedekindschen Beweis der vom menschlichen Denken unabhängigen Existenz von Fregeschen Gedanken, s. 5.6.6. 346 M AIENBORN (2003: 125) 347 M AIENBORN (2003: 106) 348 M AIENBORN (2003: 105) 349 A SHER (1993: 7, 57 f.) 84 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="85"?> ortet. 350 Da diese materialistische und ontologisch reduzierte Auffassung von Eigenschaftszuweisungen an logische Subjekte der prädikativen Natur von Begriffen (s. 5.6.2) 351 , der Theorie von Eigenschaften als logische Prädikate in einer propositionalen Struktur 352 sowie der Theorie mathematischer Funktionen als Äquivalente zu Begriffen bzw. zu logischen Prädikaten widerspricht, denn die von Maienborn entworfenen, denotierten Eigenschaften sind in der extensionalen Ebene zu lokalisierende, pragmatisch-kommunikative Einheiten und mentale Konstrukte ohne eigenständige Existenz außerhalb der menschlichen Rede, merkt Maienborn an, dass sie „ keine Stellung beziehen [will], zur komplizierten Frage des ontologischen Status von Eigenschaften “ 353 und fügt hinzu: „ Unsere Annahme, dass K-Zustände die Exemplifizierung einer Eigenschaft an einen Träger zu einer Zeit darstellen, ist auf keine bestimmte Eigenschaftstheorie festgelegt. “ 354 Da Maienborn, wie obig erwähnt, mit traditionellen Grammatiken die Auffassung teilt, dass die Kopula gemeinsam mit dem Prädikativ das grammatische Prädikat bildet 355 und diese komplexe Konstruktion mit anderen Verben, insbesondere Handlungsverben, kontrastiv verglichen werden muss, folgert Maienborn außerdem: „ Kopula plus Prädikativ verhalten sich nicht wie jedes beliebige andere Verb [ … ], sondern sie verhalten sich wie jedes andere stative Verb [ … ]. Die [ … ] formulierte These, die Kopula liefere das allgemeine Grundmuster für alle stativen Verben lässt sich nun dahingehend präzisieren, dass dieses Grundmuster in der Bereitstellung eines referentiellen K-Zustandsarguments besteht, welches durch das Prädikativ näher bestimmt wird. “ 356 Bezüglich des Inhalts der in dieses komplexe grammatische Prädikat eingebundenen Kopula vertritt Maienborn eine Vereinfachung der Russellschen Ambiguitätsthese, indem sie diese einleitend als Annahme einer „ prädikativen vs. äquativen Funktion der Kopula “ 357 beschreibt. Dabei nennt Maienborn nicht die Aufspaltung in absolute Identität und Subsumtion in Russells Theorie, sowie die Tatsache, dass das Verb sein bei Russell in seiner äquativen, d. h. seiner Identität anzeigenden Funktion als Trägersegment und Teil des Prädikats erfasst werden muss und im Fall einer Prädikation als reines kopulatives Verbindungsglied eingesetzt ist (s. 5.5.1; 5.5.2). Maien- 350 M AIENBORN (2003: 120 f.) 351 Zur Differenzierung zwischen Prädikation und Urteil nach Frege, vgl. z. B. F REGE (2001 [1906]: 74). 352 Zur logischen Prädikation in einer syllogistischen Konklusion sowie ihrer Gültigkeit, s. 5.2; 5.5.2; vgl. P ERLER (1998: 50). 353 M AIENBORN (2003: 121, Fn. 4) 354 M AIENBORN (2003: 121, Fn. 4) 355 M AIENBORN (2003: 22) 356 M AIENBORN (2003: 131) 357 M AIENBORN (2003: 22) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 85 <?page no="86"?> borns syntaktische Interpretation der Kopula-Prädikativ-Konstruktion als grammatisches Prädikat ist also abgeleitet aus ihrer Auffassung der Kopula als semantisch leer, obwohl es sich bei der äquativen Funktion des Verbs sein nach Russell nicht mehr um eine reine Kopula handelt, welche als semantisch leer gelten kann, sondern um den Ausdruck einer Art Identitätsrelation. Demzufolge ist Maienborns Herleitung ihrer Grundannahme einer reinen, semantisch leeren Kopula, welche theoretisch ein prädikatives oder äquatives Verhältnis in Kopula-Prädikativ-Konstruktionen ausdrücken kann, nicht zutreffend und „ Russells Annahmen zur prädikativen vs. äquativen Funktion der Kopula “ 358 sind entgegen der Behauptung Maienborns nicht in Maienborns einheitlicher logischer und syntaktischer Interpretation der Kopula-Prädikativ- Konstruktionen 359 erfasst. Im Übrigen wäre hierfür auch u. a. notwendig, die Ontologie der Inhalte sprachlicher Zeichen in syntaktischer Position des grammatischen Prädikats zu erörtern, eine Aufgabe, welcher Maienborn nach eigenen Aussagen aufgrund einer angeblichen Kompliziertheit der Thematik ausweicht. In Referenz auf Partee 360 verwendet Maienborn zudem zur Vereinheitlichung der logischen Form der Kopula in Kopula-Prädikativ-Konstruktionen die Notation des λ -Kalküls. Hierbei strebt sie an, zu zeigen, dass die Kopula in einem ausgedrückten prädikativen Verhältnis dem eine Identitätsrelation denotierenden Verb sein als Trägersegment und Teil des Prädikats nach Russell gleich ist. Vorerst formalisiert sie beide Verhältnisse, indem sie das prädikative als die Formulierung λ P λ x[P(x)] darstellt und einen sogenannten IDENT-Operator nach Partee 361 der Form λ y λ z[z = y] einführt. Exemplarisch nennt sie die den Ausdruck Andrea Schopp sein mit einer Abkürzung (IDENT (as)). Danach setzt sie diesen IDENT-Operator bezüglich des Exempels as als Prädikat in den λ -Ausdruck der prädikativen Form ein: λ P λ x[P(x)] (IDENT (as)); λ P λ x[P(x)] ( λ y λ z[z = y] (as)). Daraufhin führt sie eine linksassoziative ß-Konversion durch: λ P λ x[P(x)]( λ y λ z[z = y] (as)) → λ P λ x[P(x)] ( λ z[z = as]) → λ x[( λ z[z = as]) (x)] → λ x[x = as]. 362 Schließlich konkludiert Maienborn: „ Die Kopula sein ist nicht ambig. Sie unterscheidet nicht zwischen temporären und permanenten Eigenschaften, und sie führt in jedem Fall einen Diskursreferenten ein, der keine räumliche Dimension hat, sprich: die von Kopula-Sätzen bezeichneten K-Zustände - egal ob temporär oder permament - sind ortsungebunden. “ 363 Die zur Herleitung dieser Schlussfolgerung verwendete for- 358 M AIENBORN (2003: 22) 359 M AIENBORN (2003: 22) 360 P ARTEE (1986); P ARTEE (1987) 361 P ARTEE (1992) 362 M AIENBORN (2003: 22) 363 M AIENBORN (2003: 130) 86 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="87"?> melhafte Darstellung erfüllt jedoch nicht den von Maienborn behaupteten Zweck des Nachweises fehlender Ambiguität des Verbs sein. Man beachte, dass die Namen, Funktionen und Argumente P, x, y und z jeweils verschieden sind, nicht etwa die Terme P(x) und x = z bilden und einzeln λ -gebunden sind. Dabei ist bemerkenswerterweise auch der Name für die Funktion P λ -gebunden. Was in dieser ß-Konversion geschehen ist, ist für den signifizierten Inhalt der Kopula, auch wenn angenommen wird, dass der Name für dieselbe reine Kopula als Signifikant die prädikative Rolle sowie die Identitätsrelation verkörpert, aussagelos. Der IDENT-Operator besitzt nur ein einsetzbares Argument für die λ -gebundene Variable y und nicht für die Variable z. Außerdem ist in der Identitätsrelation der Operator = für diesselbige nicht λ -gebunden, während in der prädizierenden Funktion der Funktionsname P λ -gebunden ist. Es handelt sich deshalb um ein Spiel mit Zeichen. Was in dieser ß-Konversion vorging, ist, dass ein beliebiger Ausdruck an die Stelle des λ -gebundenen Funktionsnamens P in den eine prädizierende Funktion anzeigenden Ausdruck eingesetzt wurde. Damit wurde nicht bewiesen, dass die prädizierende Funktion gleich der Identitätsrelation ist bzw. dass die als ambig angenommene Kopula eine einheitliche logische Form hat, sondern die angeblich eine Identitätsrelation darstellende Zeichenverbindung wurde einfach mit der mitgebrachten Argumentstelle als Argument anstelle des die prädikative Rolle anzeigenden Namens eingesetzt. Es liegt in der Natur der λ -Ausdrücke, dass sie Funktionen beschreiben und der Buchstabe P ist dabei lediglich ein Name. Wenn anstelle des Namens für eine Funktion ein Name, der eine Identitätsrelation repräsentieren soll, eingesetzt wird, so ist dies möglich. Es zeigt nicht, dass die sprachliche Kopula als Zeichen, als Begriffswort oder in Funktionenschreibweise nicht ambig oder polysem bzw. das Verb sein nicht homonym oder polysem ist. Für die Darstellung der Denotation von Kimschen Zuständen durch die Kopula- Prädikativ-Konstruktionen führt Maienborn einen weiteren λ -Ausdruck λ P λ x λ z[z ≈ [P(x)]] für das Verb sein ein. 364 Dabei fungiert der Buchstabe z als sogenannte Variable über K-Zustände und das Zeichen ≈ als sogenannter Charakterisierungsjunktor, der einem Diskursreferenten von abstraktem ontologischen Typ eine ihn charakterisierende partielle Spezifikation des Informationsgehalts eines Diskurses zuordnet. 365 Eine derartige Verwendung des λ -Kalküls kann in der vorliegenden Studie nicht übernommen werden, da aufgrund der Differenzierung zwischen Sinn und Bedeutung nach Frege und einer genauen Herleitung des Churchschen λ -Abstraktors unter den Vorannahmen der ebenfalls für die vorliegende Studie nutzbar gemachten Fregeschen 364 M AIENBORN (2003: 125) 365 M AIENBORN (2003: 23 ff.); vgl. A SHER (1993) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 87 <?page no="88"?> Begriffslogik derselbige den intensionalen Charakter von Funktionen, deren Namen Begriffswörter sind, anzeigt. In der Darstellung eines λ -Ausdrucks nach Maienborn wird das vermutete Denotat eines Begriffswortes, nämlich der Kopula oder der Kopula-Prädikativ-Konstruktion, als λ -gebundene Variable erklärt. So ist der denotierte K-Zustand λ -gebunden. Ein K-Zustand ist jedoch nicht Element eines Zeichenrepertoires einer natürlichen oder formalen Sprache, sondern die vorgeschlagene Bedeutung bestimmter Elemente dieses Zeichenrepertoires einer natürlichen oder formalen Sprache. Im Rahmen der vorliegenden Studie ist es fehlerhaft, wenn die extensionale Bedeutung eines Zeichens oder einer Form mit einem Namen ausgestattet wird und selbst in die Intensionsstruktur der Zeichen oder Formen einer bestimmten natürlichen oder formalen Sprache mitaufgenommen wird, da nur die Zeichen der Sprache selbst als Signifikanten mit dem λ -Operator abstrahiert dargestellt werden sollen, um die Intensionsstruktur komplexer zeichenhafter Ausdrücke einer Sprache zu erforschen. Zur resümieren ist darüber hinaus, dass Maienborns Zwischenergebnisse und Ergebnisse meist als komplexe Prädikate aufgefasste Kopula- Prädikativ-Konstruktionen und nicht das isolierte Kopulaverb sein betreffen. Aus sämtlichen obig genannten Gründen können Maienborns Ergebnisse und Analysemethoden für die vorliegende Studie nicht nutzbar gemacht werden. Geist stellt eine Untersuchung zur Kopula sein und ihren Komplementen an 366 , wobei sie diese als sprachvergleichende Studie konzipiert und syntaktische und semantische Gegebenheiten aus dem Englischen, Italienischen, Spanischen und insbesondere dem Russischen miteinbezieht. Dabei geht sie davon aus, dass diese übereinzelsprachliche Herangehensweise dem sprachwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn betreffs der deutschen Sprache dienlich ist, was nicht begündet wird 367 und nicht notwendig der Fall ist. Für das Deutsche erwähnt Geist mehrere Vorannahmen, die sie als gegeben akzeptiert. So geht sie davon aus, dass das Verb sein im Deutschen als Vollverb, Hilfsverb und als Kopula auftritt, wobei Letztere nach Geist einfach daran zu erkennen ist, dass sie mit substantivischen und adjektivischen Prädikatsnomina auftritt und sich somit von den anderen syntaktischen Funktionen des Verbs sein unterscheidet. 368 Geist vertritt somit a priori unreflektiert die traditionelle Ansicht, dass die komplexe Kopula-Prädikativ-Konstruktion als grammatisches und semantisches Prädikat des Satzes fungiert. 369 Außerdem bestimmt Geist im Voraus: „ Im 366 G EIST (2006) 367 G EIST (2006: 5) 368 G EIST (2006: 2 f.) 369 G EIST (2006: 1) 88 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="89"?> Unterschied zu Sätzen mit typischen Vollverben weisen Kopulasätze die folgende Besonderheit auf: Während in Sätzen mit Vollverben das Verb die lexikalische und die grammatische Bedeutung trägt, setzt sich in Kopulasätzen die grammatische und die lexikalische Bedeutung des Prädikats aus der Bedeutung der Kopula und der Bedeutung ihres prädikativen Komplements zusammen. “ 370 Um die Syntax zu beschreiben, bezieht Geist darüber hinaus Chomskys Rektions- und Bindungstheorie 371 mit ein, die als Konstituentengrammatik generativ aufgebaut ist und eine binäre Gliederung des Ausssagesatzes in Subjekt und Prädikat grundsätzlich annimmt. 372 In ihrer Studie beschränkt sich Geist anschließend auf Kopulasätze mit nominalem oder adjektivischem Prädikativ 373 , erwähnt jedoch, dass das Verb sein im Deutschen „ kaum kategorielle Beschränkungen für die Belegung seiner Komplementposition, des Prädikativs “ 374 hat. Dabei könnte Geists zutreffender Hinweis, die Gruppe der möglichen Belegungen für die Position des Prädikativs sei kategoriell kaum begrenzt, eigentlich indizieren, dass der Einfluss der Kopula auf die kategorientypischen Merkmale der Terme in Position seines Prädikativs eher gering ausfällt, da die Varianz der Belegung und Kombination im Gegensatz zu idiomatischen Ausdrücken oder Funktionsverbgefügen gegeben ist. 375 Dazu stellt Geist die Frage, „ inwieweit die in der Position des Prädikativs vorkommenden nominalen und adjektivischen Kategorien ihre in Argumentpositionen kategorientypischen Merkmale behalten. Das gilt für die Referentialität von NPs ebenso wie für die Eigenschaftsdenotation von APs “ 376 . Vorab legt Geist fest, dass diese der Kopula angeschlossenen Prädikatsnomina keinen Argumentstatus, sondern lediglich einen „ noch genauer zu erläuternden Prädikatstatus [haben]. Dazu wiederum gehört, dass, während typische (Voll-)Verben ihrem externen Argument eine Theta-Rolle wie AGENS oder THEMA zuweisen, die Kopula dem externen Argument keine aus dem für Subjekte angenommenen Inventar bekannte Theta-Rolle zuweist. “ 377 Anbei nennt Geist zur Erläuterung ihrer der traditionellen Grammatik entlehnten Annahme zur komplexen Kopula-Prädikativ-Konstruktion als grammatisches und semantisches Prädikat des Satzes 378 eine Version eines Kompositionalitäts- 370 G EIST (2006: 1) 371 C HOMSKY (1981) 372 G EIST (2006: 11) 373 G EIST (2006: 11, 16) 374 G EIST (2006: 3) 375 G EIST (2006: 9) 376 G EIST (2006: 9) 377 G EIST (2006: 3) 378 G EIST (2006: 1) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 89 <?page no="90"?> prinzips (auch: Kompositionsprinzip; Frege-Prinzip) mit Referenz auf Frege: „ Die Bedeutung eines komplexen Ausdrucks ergibt sich aus der Bedeutung seiner unmittelbaren syntaktischen Teile und der Art und Weise, wie sie sich syntaktisch zusammensetzen. ” 379, 380 Nachfolgend erklärt Geist: „ Die Analyse der zusammengesetzten Prädikate stellt eine Herausforderung für das Kompositionalitätsprinzip dar, weil nicht klar ist, welchen semantischen Beitrag der jeweilige Prädikatsteil zur Gesamtbedeutung leistet. “ 381 Auch Geist erläutert, dass die Syntax in ihrer Arbeit nur insoweit einbezogen wird, „ als sie für Fragen der Kompositionalität relevant ist. “ 382 Anschließend gibt Geist an, dass sie Grammatik als ein modulares System von strukturbildenden Komponenten wie Syntax, Phonologie und Semantik versteht und dass ihre Abhandlung zur Kopula sein insbesondere die semantische und logische Form der Kopulasätze als Schnitstelle zwischen Syntax und semantischer Interpretation zum Gegenstand hat. 383 Dabei geht Geist von einer syntaktischen und einer semantischen Repräsentationsebene aus, wobei Letztere nach der Zwei-Ebenen-Theorie der Bedeutung von Bierwisch 384 vorgestellt wird. Eine Interaktion zwischen den Modulen des von Geist angenommenen Systems findet an der Schnittstelle derselbigen durch Zuordnungen von Strukturrepräsentanten zueinander statt. 385 Geist fragt nun, „ worin die Quelle der unterschiedlichen Interpretationen von Kopulasätzen zu suchen ist: in der Kopula, in ihrem Komplement oder in der Kombination der beiden. “ 386 Diese Frage beantwortet Geist teilweise in Referenz auf Maienborn und erklärt dieser nachfolgend: „ Wie oben angenommen, besteht der semantische Beitrag der Kopula darin, ein referentielles statives Zustandsargument [z] beizusteuern. Die Kopula hat allerdings kein eigenes externes Argument, sondern stellt lediglich eine syntaktische Position für das externe Argument des Prädikativs bei “ 387 . Mit Verweis auf Russell, Carnap und Frege und der unpräzise formulierten Behauptung, Frege würde anhand des Beispielsatzes der Abendstern ist ein Morgenstern zwischen prädizierenden und Identität anzeigenden Kopulasätzen unterscheiden, vertritt Geist die Ansicht, dass mindestens zwei Arten von Kopulasätzen zu differenzieren 379 G EIST (2006: 1) 380 Zum Kompositionsprinzip Freges, s. 5.6.2 381 G EIST (2006: 1) 382 G EIST (2006: 11) 383 G EIST (2006: 11, 13) 384 B IERWISCH (1983); B IERWISCH (1997); B IERWISCH (1987a); B IERWISCH (1987b); B IERWISCH / L ANG (1987) 385 G EIST (2006: 11) 386 G EIST (2006: 4) 387 G EIST (2006: 97) 90 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="91"?> seien, nämlich prädizierende Kopulasätze (z. B. der König ist kahlköpfig; Peter ist Lehrer; Peter ist in Berlin) und Identitätssätze (z. B. Samuel Clemens ist Mark Twain). 388 Der Rückgriff auf Frege ist an dieser Stelle für die Zwecke Geists nicht gerechtfertigt, da er eine Missrepräsentation 389 der Fregeschen Ausführungen darstellt. Frege unterscheidet nicht auf diese Weise zwischen Prädikation und Identität oder zwischen Prädikation und Subsumtion (s. 5.5.2; 5.6; 5.6.4; 5.6.5). 390 Nachdem Geist diese Unterscheidung als eine Differenzierung zwischen einer prädizierenden und einer gleichsetzenden Interpretation von Kopulasätzen aufgenommen hat 391 , spaltet sie die gleichsetzenden deutschen Aussagesätze auf in einen Identitätssatz, einen spezifizierenden Satz und einen prädizierendidentifizierenden Satz. 392 Für die Kopula sein nimmt Geist jedoch nur einen Lexikoneintrag als prädizierendes Sein an, das mit Hilfe eines phonologisch leeren, formallogisch entworfenen Operators, welcher für den Identitätssatz an der Kopula, für den spezifizierenden Satz am Prädikativ in einer grammatischen Subjektposition und für den prädizierend-identifizierenden Satz am Prädikativ in postkopularer Position ansetzt, bedeutungsspezifiziert wird. 393 Geist sowie Maienborn ziehen Schlüsse betreffs der logisch-semantischen Form der Kopula in Kopulasätzen aus dem Sachverhalt, dass ein geeignet formulierter IDENT- Operator, d. h. ein als eine Gleichsetzung formulierter IDENT-Operator 394 in einen λ -Ausdruck eingesetzt wird, obwohl ein derartiger Term immer als Argument anstelle des Namens einer Funktion in einem λ -Ausdruck fungieren kann. Ebenso können, wenn besondere funktionale Verknüpfungen entworfen werden, diese immer an einem λ -Ausdruck ausgeführt werden (z. B.: Cicero is Tully; Cicero: cicero; Tully: tullius; IDENT (j): λ x[x = j]; IDENT (tullius): λ x [x = tullius]; is PRÄD Tully: λ P λ y[P(y)] ( λ x[x= tullius]) → λ y[y = tullius]; Cicero is Tully: λ y[y = tullius](cicero) → [cicero = tullius]). Das Einsetzen von Personennamen in λ -Ausdrücke (z. B. Cicero is Tully; Cicero: cicero; Tully: tullius; is IDENT Tully: λ y λ x[x = y] (tullius) → λ x[x = tullius]; Cicero is IDENT Tully: λ x[x = tullius] (cicero) → cicero = tullius) 395 , kann ebenfalls nicht als zweifach funktionale Ableitung einer logischen Form 396 interpretiert werden und ist kein Beweis- 388 G EIST (2006: 16 f.) 389 Vgl. a. H IGGINS (1979: 264) 390 F REGE (2002 [1892]b: 48 f.) 391 G EIST (2006: 60) 392 G EIST (2006: 61) 393 G EIST (2006: 61) 394 G EIST (2006: 33 f.); vgl. P ARTEE (1977); vgl. P ARTEE (1987); vgl. P ARTEE (1986); vgl. P ARTEE (1992) 395 G EIST (2006: 30 - 33) 396 G EIST (2006: 32) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 91 <?page no="92"?> verfahren. In der Tat kommt Geist durch rein sprachliche Betrachtungen des gemäß ihrer Interpretation als Identitätssatz aufzufassenden Kopulasatzes Cicero ist Tullius durch die Testfrage wer/ *was ist Tullius? zu der Einsicht, dass die Ergebnisse der Operationen mit dem IDENT-Operator am λ -Ausdruck unter Umständen nicht auf die natürliche Sprache und ihre Semantik übertragen werden können, da die Frage was ist Tullius? nur nach sogenannten Prädikaten über das Subjekt Tullius im Sinne Geists möglich ist. So führt sie an, dass ein SEIN PRÄD von einem SEIN IDENT zu unterscheiden sei, konkludiert dann jedoch entgegen ihrer Aussage, dass es sich dabei aber aufgrund der Operationen am λ -Ausdruck mit dem IDENT-Operator doch nicht um verschiedene Lexikoneinträge handeln kann, sondern in dem von Geist angenommenen Lexikon lediglich ein SEIN PRÄD vorhanden ist, wobei der phonologisch leere IDENT-Operator als „ universelles Anpassungsmittel “ 397 ebenfalls in demselben Lexikon gelistet sein muss. 398 Motiviert wird diese Schlussfolgerung Geists durch den Wunsch, „ die Repräsentationen im Lexikon nach Ökonomieprinzipien im Sinne von Bierwisch [1997] [zu] gestalten “ 399 . SEIN PRÄD ist demzufolge eine „ unterspezifizierte Kopula [ … ], die durch den nicht-overten Operator IDENT spezifiziert werden kann. “ 400 Aus den Herleitungen der vorliegenden Studie kann dazu angemerkt werden, dass beide der von Geist vorgestellten Ergebnisse hier nicht als relevant gewertet werden können. Die Einsetzung des IDENT-Operators in den λ -Ausdruck nach Maienborn und Geist ist aus bereits genannten Gründen im Rahmen der vorliegenden Studie ohne eigenen logischen oder semantischen Erkenntniswert. Gegen die Erkenntnis, dass auf extensionallogischer Ebene bzw. auf Bedeutungsebene nach Frege, d. h. der extensionalen Denotationsebene, zwischen zwei gleichartigen und gleichgesetzten Entitäten und einer Eigenschaft einer Entität unterschieden werden kann 401 ist nichts einzuwenden. Die Frage ist, wie die Sprache selbst, d. h. der zeichenhaft realisierte sprachliche Ausdruck diese Sachverhalte ausdrückt und ob dabei besondere Inhalte, eine Unterspezifiziertheit des Verbs sein oder die Inhalte anderer zeichenhaft manifester Elemente des Aussagesatzes mitwirken. Hierzu ist es notwendig, die extensionallogische und die intensionallogische Ebene zu unterscheiden und zwischen Sinn und Bedeutung zu differenzieren. Anschließend ist unmittelbar erkennbar, dass die zeichenhaften, sprachlichen Ausdrücke der beiden Satzarten in einigen Fällen verschieden sind, nämlich ist es möglich, einen unbestimmten oder einen bestimmten Ausdruck zu wählen 397 G EIST (2006: 34) 398 G EIST (2006: 34 f.) 399 G EIST (2006: 34) 400 G EIST (2006: 34) 401 Vgl. G EIST (2006: 34) 92 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="93"?> und dies, z. B. durch die Verwendung eines bekannten Eigennamens oder eines bestimmten Artikels im zeichenhaften Ausdruck anstatt eines unbestimmten Artikels in einer Nominalphrase oder anstatt eines Adjektivs, zu markieren (z. B. Cicero ist Lehrer/ begabt; Cicero ist ein Lehrer; Cicero ist der Lehrer). Die ersten beiden Beispielsätze haben keinen bestimmten Artikel oder Eigennamen aufzuweisen oder beinhalten ein Adjektiv, weswegen auf extensionaler Bedeutungsebene ebenfalls nur etwas Allgemeines denotiert werden kann, wodurch die Menge der mittels der Zeichen Lehrer, begabt oder ein Lehrer denotierten außersprachlichen Gegenstände weiter und allgemeiner gefasst ist als das Denotat eines bestimmten Eigennamens (z. B. Cicero) oder einer Nominalphrase mit bestimmtem Artikel (z. B. der Lehrer), welcher bzw. welche für einen einzigen Gegenstand bzw. ein Individuum steht. In der Denotationsebene wird deshalb das Denotat der Zeichen Lehrer, begabt und ein Lehrer mengentheoretisch als das Element des Denotats des Eigennamens Cicero inkludierend konzipiert, was jedoch unter Hinzuziehung realistischer Annahmen oder einer intensionalen Ebene auch ein Verständnis als prädikatives Verhältnis ermöglicht. Der Satz Cicero ist der Lehrer stellt einen Eigennamen einer bestimmten Person Cicero in Bezug zu einem bestimmten Lehrer der Lehrer, was in der extensionalen Bedeutungsebene keine Mengeninklusion zulässt, deshalb wird für die Denotationsebene eine Gleichsetzung und eine absolute konventionelle Identität zweier gleichmächtiger Entitäten vorgestellt, die für den sprachlichen Ausdruck jedoch ebenfalls nur unter vorausgesetzten nominalistischen Annahmen greift und unter anderen Annahmen ebenso als prädikatives Verhältnis aufgefasst werden kann (s. 5.2; 5.5.1; 5.5.2; 5.6). Abgesehen von einer möglichen inkonsequenten Vermischung realistischer und nominalistischer sprachphilosophischer Vorannahmen a priori ist die Interpretation eines sprachlichen Ausdrucks nach einem algebraischen Modell als absolute konventionelle Identität oder Mengenbzw. Klasseninklusion (s. 5.5.1; 5.5.2) zudem eventuell durch syntaktische Analysen nicht gestützt 402 , was es in der vorliegenden Studie und deren empirischen Teil zu ermitteln gilt. Rückschlüsse auf den Inhalt oder eine semantische Unterdeterminiertheit des Verbs sein können anhand der von Geist vorgestellten Methoden aus Sicht der vorliegenden Studie nicht gezogen werden. Der einschlägige Unterschied ist die Wahl eines bestimmten Artikels oder Eigennamens gegenüber der eines unbestimmten Artikels in einer Nominalphrase oder eines Adjektivs sowie die zeichenhafte Realisierung von weiteren hinzugefügten sprachlich materialisierten Elementen mit zusätzlichem Inhalt bzw. Informationsgehalt. Die Unterschiede in der Interpretation auf der extensionalen Bedeutungsebene affi- 402 Vgl. M ORO (2013) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 93 <?page no="94"?> zieren deshalb nicht notwendig das Verb sein und seinen Inhalt. Eine Unterdeterminiertheit, Ambiguität oder eine Homonymie des Verbs sein ist des Weiteren, wie bereits erwähnt, deshalb nicht auf Geists Art und Weise im Rahmen der vorliegenden Studie herleitbar oder beweisbar, da das Einsetzen von Eigennamen, Nominalphrasen, Adjektiven oder sonstiger Terme bzw. Syntagmen anstelle von Funktionsnamen in einem Ausdruck mit dem λ - Operator, welcher zudem nicht den intensionalen Charakter einer Funktion anzeigt, sondern unter Umständen in einem von Church nicht intendierten Sinn auf abweichende Verwendungsweisen, z. B. auf einen Ausdruck mit λ -gebundenen, aber festgelegten ontologischen Einheiten aus der Denotationsebene anderer λ -gebundenen Variablen, übertragen wurde 403 , keinen eigenen Erkenntniswert hat. Außerdem sollen in der vorliegenden Studie keine Ökonomieprinzipien nach Bierwisch 404 entscheidend sein, sondern eine empirische Erhebung von Daten und Methoden des linguistischen Strukturalismus wie Systemerprobungen am sprachlichen Mechanismus und Material, deren Ergebnisse deskriptiv durch eine möglichst angemessen übertragene mathematische und prädikatenlogische Notation zu veranschaulichen sind. Aus diesen Gründen können die von Geist erarbeiteten Ergebnisse und Zwischenergebnisse nicht für die vorliegende Studie aufgegriffen werden. Schlücker untersucht in ihrer Abhandlung Diskurs im Lexikon. Eine Untersuchung der Kopula bleiben 405 das Verb bleiben als Kopulaverb, geht jedoch auch auf die Verben sein und werden als Kopulae ein. Dabei beginnt Schlücker mit der Annahme, dass die Kopula bleiben „ semantisch ambig “ 406 ist. So unterscheidet Schlücker zwei Verwendungsweisen des Verbs bleiben: Erstens, die Verwendung als Ausdruck des Verharrens an einem Ort oder das Andauern eines Zustands, womit bleiben einen Zustand assertiert und einen identischen Vorzustand präsupponiert (z. B. mein Herz blieb in Afrika; die Space Shuttles bleiben bis November am Boden; Hinfallen ist schlimm - Liegenbleiben ist schlimmer); zweitens bedeutet bleiben nach Schlücker in manchen Kontexten, insbesondere in Infinitivkonstruktionen, kein Andauern eines Zustands, sondern einen Zustandswechsel (z. B. als der Wagen um die Ecke gebogen war, blieb er plötzlich stehen; Hans aber blieb in dem Loch stecken; wo sind unsere Steuergelder geblieben; der Vogel flog umher und blieb schließlich auf dem höchsten Ast sitzen). 407 Nach Schlücker geht dem durch das Verb bleiben behaupteten 403 Vgl. z. B. der Kimsche Zustand z (M AIENBORN (2003: 125)) 404 Vgl. B IERWISCH (1997) 405 S CHLÜCKER (2007) 406 S CHLÜCKER (2007: 11) 407 S CHLÜCKER (2007: 11 f.) 94 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="95"?> Zustand im Fall der Bedeutung eines Zustandswechsels kein identischer Zustand voran: „ Vielmehr präsupponiert bleiben offensichtlich eine unmittelbar vorangehende Bewegung des Subjektreferenten, z. B. fahren. Bleiben scheint hier daher bedeutungsgleich mit dem Zustandsverb werden zu sein. “ 408 Demgemäß handle es sich bei dieser Ambiguität nicht nur um eine Besonderheit von Infinitivkonstruktionen, sondern um eine „ regelhafte Eigenschaft der Kopula bleiben “ 409 . Diese Beziehung wird angenommen, da in den der Prädikatenlogik entlehnten Formalismen nach Bierwisch 410 die Verben werden und bleiben durch die Operatoren BECOME (dt.: werden) und REMAIN (dt.: bleiben) repräsentiert werden, wobei diese in einer „ Äquivalenzbeziehung “ 411 zueinander stehen, die sich „ aus der Kombination von äußerer und innerer Negation ergibt. “ 412 Nach dieser Argumentation ist die formale Darstellung [BECOME Px] ≡ [ - [REMAIN[ - Px]]]; [REMAIN Px] ≡ [ - [BECOME[ - Px]]] als Micha wird Raucher ≡ Micha bleibt nicht Nicht-Raucher sowie Micha bleibt Raucher ≡ Micha wird nicht Nicht-Raucher möglich. 413 Dennoch lehnt Schlücker eine derartige Dualitätsbeziehung zwischen werden und bleiben begründet ab: „ Hauptargument ist dabei, dass die Situationen, auf die werden referiert, nicht identisch mit denen sind, auf die äquivalente bleiben-Konstruktionen referieren. Das bedeutet, dass eine angemessene Bedeutungsbeschreibung von bleiben mit Rückgriff auf werden, so wie bei den oben genannten Arbeiten, nicht möglich ist. Damit entfällt auch die Möglichkeit, die Ambiguität von bleiben durch Bezug auf sein Dual werden zu erklären. “ 414 Eine genannte Theorie zu den von Schlücker erwähnten Situationen in der Bedeutungsebene ist wie in der Abhandlung Maienborns zur Kopula sein 415 die Davidsonsche 416 . Schlücker erklärt, dass eine ontologische Erweiterung der semantischen Theorie um die Kategorie der Davidsonschen Situationen als Ereignisse mitsamt den eingeschlossenen Prozessen und Zuständen, welche als besondere Objekte in der Welt konzipiert sind und die auf die sprachliche Ausdrücke referieren können, unentbehrlich sei, aus dem Grund, dass zahlreiche Publikationen 417 derartige Davidsonsche 408 S CHLÜCKER (2007: 12) 409 S CHLÜCKER (2007: 13) 410 B IERWISCH (2004); vgl. S CHLÜCKER (2007: 14); vgl. L ÖBNER (1990); vgl. D OWTY (1979: 139 ff.) 411 S CHLÜCKER (2007: 14) 412 S CHLÜCKER (2007: 14) 413 S CHLÜCKER (2007: 15) 414 S CHLÜCKER (2007: 15) 415 M AIENBORN (2003) 416 D AVIDSON (1967) 417 Vgl. H IGGINBOTHAM (1983); vgl. K RATZER (1995 [1989]); vgl. P ARSONS (1990); vgl. E CKARDT (1998); vgl. E NGELBERG (2000) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 95 <?page no="96"?> Situationen mit sprachlichen „ Phänomenen “ 418 in Verbindung bringen. 419 Eine Unentbehrlichkeit Davidsonscher Ansichten wird für die vorliegende Studie nicht angenommen, insbesondere deshalb, da einer Orientierung an der Analyse sprachinterner Strukturen, an der Entlehnung des Funktionenbegriffs der mathematischen Analysis nach Frege und induktiven sowie deduktiven wissenschaftlichen Methoden Vorrang eingeräumt werden soll und keine notwendige Erfüllung von Annahmen aus dem anomalen Monismus nach Davidson bzw. einem Epiphänomenalismus oder andere, nicht durch mathematische Beweise aufzeigbare philosophische oder ontologische Spekulationen vorausgesetzt werden sollen. Im Rahmen der Davidsonschen Theorie zur Denotation von Davidsonschen Situationen kommt Schlücker anhand der als positives Testergebnis zu wertenden Hinzufügung des Situationsmodifikators ein bisschen nach Maienborn 420 in Kopulasätzen mit bleiben (z. B. Hans blieb ein bisschen bei Tamara stehen; diese Hose bleibt nach dem Bügeln ein bisschen glänzend (aber das geht schnell vorüber); Susi blieb noch ein bisschen sitzen/ im Garten) zu der Schlussfolgerung, dass das Kopulaverb bleiben einen Situationsbezug nach Davidson aufweist. 421 Dieser Situationsbezug ist nach Schlücker eine Zustandsreferenz, wobei Zustände „ homogene, inhärent unbeschränkte Situationen “ 422 sind. Tatsächlich ist für die von Schlücker genannten, modifizierten Sätze eine Lesart des Zusatzes ein bisschen als Gradmodifikator anstatt als sogenannter Situationsmodifikator nicht immer unmöglich (z. B. die Hose bleibt nach dem Bügeln ein bisschen glänzend (aber nur stellenweise)). Es kann dahingehend argumentiert werden, dass diese temporale Auffassung des Gesamtausdrucks daran liegt, dass der beziehentlich einer zeitlichen, räumlichen oder anderweitigen Dimension unbestimmte Ausdruck ein bisschen durch die von dem Verb bleiben denotierte Zeitspanne als Situationsmodifikator interpretiert wird, jedoch ebenso in denselben Beispielsätzen als Gradmodifikator fungieren und verstanden werden kann (z. B. das Brett bleibt (nach dem Schleifen) ein bisschen rau), insbesondere dann, wenn seine dominante, unmittelbare Interpretation als Situationsmodifikator in Sätzen mit dem Verb bleiben von einem expliziten Situationsmodifikator als temporale Adverbialangabe (z. B. für zwei Stunden) verdrängt wird (z. B. (? )Hans blieb für zwei Stunden ein bisschen bei Tamara stehen (wendete sich aber meist Peter zu und kam Tamara nicht zu nahe); die Hose bleibt nach dem Bügeln für zwei Stunden ein bisschen glänzend (aber nur stellenweise); Susi blieb noch (für zwei Stunden) ein 418 S CHLÜCKER (2007: 46) 419 S CHLÜCKER (2007: 45 f.) 420 M AIENBORN (2003: 101 ff.) 421 S CHLÜCKER (2007: 57 f.) 422 S CHLÜCKER (2007: 60) 96 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="97"?> bisschen im Wasser (jedoch nur bis zu den Knien)). Auf die umgangssprachliche Formulierung mit einem Modifikator ja doch nach Schlücker, die einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 423 unbekannt sein kann (z. B. das Buch bleibt ja doch in der Tüte; die Füße bleiben ja doch in den Stiefeln warm) 424 wurde bereits in den Darlegungen zu Maienborns Anwendung dieses Modifikators 425 hingewiesen, weswegen Schlückers derartig abgeleitete Ergebnisse hier nicht gewertet werden. Die Einordnung des Verbs bleiben nach Schlücker als bestimmte Davidsonsche Zustände bezeichnend, kann demnach im theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie nicht nachvollzogen werden. Lediglich die Beschreibungen von Signifikaten der Kopulaverben sein, werden oder bleiben mit Hilfe verschiedener Aktionsarten (dynamisch; telisch; statisch; atelisch etc.) nach Vendler 426 , semantische Deskriptionen nach Dowty 427 , Schlücker 428 oder Maienborn 429 werden als meist intelligibel und ausreichend intersubjektiv einsehbar eingestuft. Rosenthal 430 und Krämer 431 präsentieren in ihren Publikationen abweichende Ergebnisse zum Inhalt des Verbs bleiben, die ebenfalls von Schlücker erwähnt werden 432 und welche dahingehend kurz vorzustellen sind, dass genannte Studien das Verb bleiben grundsätzlich als einen andauernden Zustand bezeichnend erkennen. 433 Um die von Schlücker postulierten Ergebnisse bezüglich einer Bedeutungsanalyse zur Kopula bleiben durch Einbeziehung des Kontextes einer betreffenden sprachlichen Äußerung mit dem Verb bleiben herzuleiten, verwendet Schlücker in ihrer Studie ein diskursbasiertes, dynamisches Modell der Bedeutungstheorie nach Asher/ Lascarides 434 . Dabei handelt es sich nach eigenen Angaben nicht um ein statisches Modell, welches sprachliche Äußerungen isoliert betrachtet, sondern um eine Ableitung von Bedeutungen einzelner Ausdrücke durch Hinzuziehung vorangegangener Äußerungen zur Interpretation. 435 Schlücker geht damit davon aus, dass „ Informationen aus dem Diskurs [ … ] wahrheitskonditionale Effekte auf die Interpretation einer Äußerung haben können, die über den 423 D. A. 424 S CHLÜCKER (2007: 56) 425 M AIENBORN (2003: 84 f.) 426 V ENDLER (1967) 427 D OWTY (1979) 428 Vgl. z. B. S CHLÜCKER (2007: 47 f.) 429 M AIENBORN (2003) 430 R OSENTHAL (1984) 431 K RÄMER (2004) 432 S CHLÜCKER (2007: 16) 433 Krämers Argumentation wird untig vorgestellt (s. u.). 434 A SHER / L ASCARIDES (2003) 435 S CHLÜCKER (2007: 19 f.) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 97 <?page no="98"?> Beitrag von Syntax und kompositionaler Struktur der einzelnen Äußerungen hinausgehen. “ 436 Darüber hinaus werden „ die Bedeutungsbeziehungen zwischen Äußerungen, Diskursrelationen genannt, als Teil der logischen Form “ 437 repräsentiert. Schließlich kommt Schlücker nach der Behauptung der Denotation eines Davidsonschen Zustandes durch die Kopula bleiben zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Verb bleiben um eine ambige Kopula handelt, die zwei klar voneinander unterscheidbare Lesarten aufweist. Dennoch schlägt Schlücker nur einen Lexikoneintrag vor 438 , da der Grund für diese Ambiguität des Verbs bleiben eine Unterspezifiziertheit sei, wobei der von Schlücker gewählte diskursbasierte Rahmen „ die Möglichkeit einer genauen Modellierung des Einflusses vom Kontext auf die Auflösung der Unterspezifikationen und damit der Herleitung der Lesarten von bleiben “ 439 stellt. 440 Schließlich konkludiert Schlücker: „ Als Ergebnis der bisherigen Untersuchung kann als Bedeutungsbeschreibung von bleiben festgehalten werden, dass bleiben einen Zustand P zu einem Intervall I assertiert, die Erwartung des Vorliegens von - P zu I präsupponiert, sowie die Existenz eines Intervalls I' unmittelbar vor I präsupponiert, dessen Wert unterspezifiziert ist die Spezifikation erfolgt im jeweiligen Kontext. “ 441 In einem aus der Theorie Freges abgeleiteten semiotischen Modell ist eine Herangehensweise wie Schlückers nach dem diskursbasierten, dynamischen Modell der Bedeutungstheorie Ashers/ Lascarides 442 an die Analyse logisch-semantischer und syntaktischer Strukturverhältnisse sprachlicher Äußerungen nicht probat. Eine sprachinterne Analyse des Systems langue darf in einem der Theorie Freges entlehnten semiotischen Modell nicht, wie Schlücker vorschlägt, „ über den Beitrag von Syntax und kompositionaler Struktur der einzelnen Äußerungen hinausgehen “ 443 und anhand der Modellierung einer Semantik-Pragmatik-Schnittstelle zur „ Interpretation einer sprachlichen Äußerung die lexikalische und kompositionale Semantik durch zusätzliche Informationsquellen an[ … ]reicher[ … ][n] “ 444 . Die von Schlücker in die Analyse von Kopulasätzen mit dem Verb bleiben eingebundene Bedeutungstheorie nach Asher/ Lascarides 445 könnte unter Einsatz der für diese vorliegende 436 A SHER / L ASCARIDES (2003) 437 S CHLÜCKER (2007: 20) 438 S CHLÜCKER (2007: 163) 439 S CHLÜCKER (2007: 262) 440 S CHLÜCKER (2007: 262) 441 S CHLÜCKER (2007: 118); vgl. L ENZ (1996); vgl. S TEINITZ (2000) 442 A SHER / L ASCARIDES (2003) 443 S CHLÜCKER (2007: 20) 444 S CHLÜCKER (2007: 163) 445 A SHER / L ASCARIDES (2003) 98 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="99"?> Studie gewählten Herangehensweise statt dessen lediglich Methoden zur Untersuchung des psychologischen Verhaltens von Sprechern (z. B. Erwartungshaltung; Lernfähigkeit; kognitiver Zugriff auf Wissen) 446 oder zu sonstigen pragmatisch-kommunikativen Vorgängen in Diskursen 447 liefern, falls sie überhaupt in der Linguistik zum Einsatz kommt. In seiner Abhandlung über die Kopulaverben reflektiert Stettberger 448 die Semantik der Kopulae vom linguistisch-kognitiven Standpunkt aus. Hierbei versucht Stettberger vorerst die Gruppe der Kopulaverben einzugrenzen und diskutiert entsprechend monolexematische, polylexematische und trilexematische definitorische Ansätze, in welchen erstens, ausschließlich das Verb sein (monolexematische Definition) als Kopulaverb anerkannt ist, zweitens, die Verben sein, werden und bleiben (trilexematische Definition) und drittens sämtliche Verben (z. B. sein; werden; bleiben; heißen; nennen; schelten; schimpfen; rufen; scheinen; aussehen; sich fühlen; schmecken; klingen; riechen; erscheinen; prüfen; halten (für); arbeiten (wie); gelten (als); stattfinden; sich befinden) (polylexematische Definition) als Kopulaverben in einer Gruppe erfasst werden. 449 Nach einer kurzen Vorstellung der Konzeptionen einer monolexematischen sowie einer polylexemantischen Definition für die Kopula, argumentiert Stettberger für die trilexematische Definition der Kopula. Hierbei erwähnt Stettberger einen etymologischen Ansatz, welcher jedoch bereits als Voraussetzung nur dem Verb sein drei Bedeutungen zuschreibt, die Stettberger anschließend mit werden und bleiben assoziiert: „ Möglicherweise liegen also dem suppletiven Verb sein etymologisch gesehen drei substantielle semantische Prägungen zugrunde; auf einen Nenner gebracht, ließen sie sich in etwa als ‚ SEIN ‘ , ‚ WERDEN ‘ , ‚ BLEIBEN ‘ abstrahieren. “ 450 Eine lautliche Herleitung eines gemeinsamen Ursprungs dieses von Stettberger behaupteten gemeinsamen Nenners dieser drei Verben gelingt nicht. Im Gegenteil, Stettberger erwähnt neben der „ indogermanische[n] Wurzel es- “ 451 für die Bedeutungskomponente bzw. das Wort sein, eine „ gemein-indogermanische verbale Grundlage bheua-/ bh ū“ 452 für die Bedeutungskomponente bzw. für das Wort werden sowie ein „ gemeingermanische[s] wes-a- “ 453 als Ursprung für die Bedeutungskomponen- 446 Vgl. z. B. S CHLÜCKER (2007: 69 - 91) 447 Vgl. z. B. S CHLÜCKER (2007: 93 - 127) 448 S TETTBERGER (1993) 449 S TETTBERGER (1993: 51 f.) 450 S TETTBERGER (1993: 66) 451 S TETTBERGER (1993: 65) 452 S TETTBERGER (1993: 66) 453 S TETTBERGER (1993: 66) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 99 <?page no="100"?> te bzw. für das Wort bleiben. 454 Doch selbst eine gemeinsame zeichenhafte bzw. lautliche Wurzel wäre kein Beweis für die Subsumtion dreier, verschieden zeichenhaft realisierter Lexeme unter eine gemeinsame Bedeutungskomponente in einer synchronen Sprachanalyse unter den Rahmenbedingungen der vorliegenden Untersuchung, denn in der historischen Sprachentwicklung hat unweigerlich eine Ausdifferenzierung von einem Zeichen zu drei Zeichen stattgefunden. Stettbergers philosophische Annahme eines „ Urmotivs “ 455 für alle drei Wörter ist aufgrund dieser genannten Sachlage an dieser Stelle nicht abzuleiten und dass das alleinige Verb sein von einem „ existential ausgerichteten Ursprungswort “ 456 stammen könnte, bleibt selbst betreffs des Verbs sein eine Vermutung Stettbergers: „ Das Verb sein basiert u. a. vermutlich auf einem auch existential ausgerichteten Ursprungswort. “ 457 Dass Stettberger diese derart begründete existentiale Ausrichtung der Bedeutung des Verbs sein als Anlass dafür dient, die Verben bleiben und werden mit dem Verb sein zusammenzufassen, ist nicht in der Etymologie, sondern in Stettbergers Interpretation der von ihm genannten Textstellen des Alten Testaments der christlichen Bibel begründet, obwohl er anführt, die theologische Deutung würde eine „ etymologische Studie “ 458 lediglich komplettieren. Tatsächlich ist Stettbergers initiale Attribuierung des Verbs sein mit den Bedeutungsaspekten werden und bleiben zu Beginn seiner Argumentation auf eine theologische Interpretation des hebräischen Gottesnamen zurückzuführen. In einer übereinzelsprachlich orientierten Erkenntnisgewinnung assoziiert Stettberger zuerst die kanaanäische Wurzel HWH im hebräischen Namen YHWH mit dem hebräischen HYH und plädiert für eine Umschreibung des Ausdrucks HYH als sein, werden, geschehen, bleiben im Deutschen, um den Namen YHWH im Deutschen als „ Der da ist (und bleibt) “ 459 sowie gleichzeitig als „ Ursprung alles Werdens “ 460 übersetzen zu können. Zur Sprache des Alten Testaments der christlichen Bibel ist außerdem anzumerken, dass die Septuaginta eine Übersetzung des Kanons der siebzig Bücher des Alten Testaments der christlichen Bibel in die altgriechische Sprache ist 461 , wobei die Frage zu beachten ist, inwiefern die Septuaginta eine Übersetzung des u. a. in Aramäisch (bzw. Syriac) und nicht in Hebräisch verfassten Teilkanons des Alten Testaments der 454 S TETTBERGER (1993: 66) 455 S TETTBERGER (1993: 67) 456 S TETTBERGER (1993: 67) 457 S TETTBERGER (1993: 67) 458 S TETTBERGER (1993: 68) 459 S TETTBERGER (1993: 68) 460 S TETTBERGER (1993: 68) 461 R AHLFS (1914) 100 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="101"?> christlichen Bibel namens Peschitta Tanach 462 ist. Zur Ableitung des Namens YHWH im Alten Testament der christlichen Bibel gibt es verschiedene Lehrmeinungen. 463 Die Frage, welche Herleitung des Namens YHWH zutreffend ist oder nicht, ist an dieser Stelle aufgrund der Komplexität der Thematik nicht zu beantworten. Zudem handelt es sich bei der vorliegenden Studie um eine Arbeit zur Grammatikforschung in der synchronen Sprachwissenschaft für die Einzelsprache Deutsch. Stettberger will die Wurzel HYH im Deutschen als sein, werden, geschehen, bleiben zusammengefasst verstanden wissen, da der Name YHWH im Alten Testament der christlichen Bibel gemäß Stettberger „ vom Dasein, Dableiben und Wirken Gottes, dem Werden in der Welt “ 464 zu handeln hat. Eine deutsche Übersetzung der Zeichen in diesem historischen Text mit dem deutschen Verb sein ohne die Bedeutungskomponenten werden und bleiben könnte dazu führen, dass unter Umständen nur etwas Gegenwärtiges bezeichnet und nicht notwendig etwas Bleibendes oder Werdendes signifiziert wird und dass daraus wiederum inferiert werden könnte, der historische Text und der darin erwähnte Name YHWH sei als der Vergangenheit angehörig zu betrachten, was der theologischen Vorstellung Stettbergers widerstrebt. Im Folgenden versucht Stettberger seine Interpretation des Verbs sein mit den assoziierten Bedeutungen der Verben bleiben und werden zu untermauern, indem er eine Umschreibung des Verbs sein als statisch, des Verbs werden als dynamisch und des Verbs bleiben als durativ zurückweist. Statt dessen sieht Stettberger auch einen dynamischen (z. B. der Unfall war/ passierte/ ereignete sich um 5 Uhr) und einen durativen (z. B. er ist Beamter; sie ist schön) Aspekt in dem Verb sein. 465 Bei diesen Substitutionen (z. B. passierte als Substituens für war) und Einbettungen der Verben sein, werden und bleiben in zusammengesetzte natürlichsprachliche Ausdrücke übersieht Stettberger in den von ihm genannten Beispielsätzen jedoch zumeist den kompositionellen (auch: kompositionalen) Charakter komplexer sprachlicher Ausdrücke sowie die Möglichkeit, dass die Substitution eines Verbs mit einem anderen die Signifikation des betreffenden komplexen sprachlichen Ausdrucks mindestens marginal verändert, wenn es sich nicht um eindeutig homonyme Verben handelt, obwohl Stettberger aufgrund seines subjektiven Weltwissens konkludiert, dass die ver- 462 S. z. B. die Lithographie einer neueren Peschitta Tanach, die gegenüber älteren Versionen der Peschitta Tanach hinzugefügte Vokalmarker aufweist (C ERIANI (1876 [MDCCCLXXVI])). 463 Vgl. u. a. z. B. K IRCHENRAT DER E VANGELISCH - REFORMIERTEN L ANDESKIRCHE DES K ANTONS Z ÜRICH (Hrsg. 2007a: 80, Exodus 3, 14); vgl. z. B. S ODEN (1966); D IJKSTRA (1996); T OORN / B ECKING / H ORST (Hrsg. 1999); vgl. G REEN (2003: 219 - 280) 464 S TETTBERGER (1993: 68) 465 S TETTBERGER (1993: 77 f.) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 101 <?page no="102"?> schiedenen Verben in bestimmten Kontexten den gleichen außersprachlichen Sachverhalt denotieren. Schließlich lehnt Stettberger eine Auffassung der Kopulaverben sein, werden und bleiben als semantisch leer ab, da sie durch zahlreiche andere Verben ersetzbar seien (z. B. das Auto ist/ fährt schnell). 466 Stettberger schlussfolgert daraufhin, dass die Kopulaverben sein, werden und bleiben „ multidimensional “ 467 sind und aufgrund ihrer „ Variablenfunktion “ 468 ein „ polysemantische[s] Bedeutungsspektrum “ 469 besitzen, das „ umfangreich “ 470 und „ breitgefächert “ 471 ist. Anwendung findet seine, u. a. in den Interpretationen von Textstellen des Alten Testaments der christlichen Bibel begründete, derartige polysemantische Auffassung der Verben sein, werden und bleiben im Folgenden für die Interpretation des in Altgriechisch (bzw. Koine) verfassten Textes des Neuen Testaments der christlichen Bibel, insbesondere der Textstelle Johannes 1, 1 - 5: „ Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. Dieser war im Anfang bei Gott. Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. “ 472 Folgende Anmerkung ist in der Zürcher Bibel angefügt und weist richtigstellend darauf hin, dass eine Übersetzung des griechischen Ausdrucks λόγος (dt.: Logos) als Wort im Deutschen unter Umständen nicht hinreichend ist: „ 1, 1: Für die Wendung ‚ das Wort, der Logos ‘ steht im griechischen Text nur der Begriff ‚ logos ‘ . Die Übersetzung gibt den griechischen Begriff doppelt wieder, um anzudeuten, dass dieser zwar ‚ Wort ‘ heißen, aber auch eine umfassende, bis ins Kosmologische reichende Bedeutung annehmen kann. “ 473 Stettberger möchte in dieser Textstelle das griechische Wort εἷναι (dt.: sein), das weitgehend dem deutschen Verb sein entspricht 474 , anders verstanden wissen. Das griechische Wort λόγος (dt.: Logos) (s. 5.1) ist nach Stettberger als Christus-Gestalt zu erfassen und die betreffende Textstelle Johannes 1, 1 - 5 im Neuen Testament der 466 S TETTBERGER (1993: 92, 154) 467 S TETTBERGER (1993: 89) 468 S TETTBERGER (1993: 188) 469 S TETTBERGER (1993: 152) 470 S TETTBERGER (1993: 188) 471 S TETTBERGER (1993: 188) 472 K IRCHENRAT DER E VANGELISCH - REFORMIERTEN L ANDESKIRCHE DES K ANTONS Z ÜRICH (Hrsg. 2007b: 144, Johannes 1, 1 - 5) 473 K IRCHENRAT DER E VANGELISCH - REFORMIERTEN L ANDESKIRCHE DES K ANTONS Z ÜRICH (Hrsg. 2007b: 144, Fn.) 474 Zum griechischen Wort ἐστιν (dt.: ist) (vgl. griech.: εἷναι ; dt.: sein) und seiner Verwendung in der tradierten Fassung der Syllogistik Aristoteles ’ , s. 5.2. 102 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="103"?> christlichen Bibel mit einem nach Stettberger angeblich polysemantischen Verb sein folgendermaßen zu übersetzen: „ Im Anfang herrschte, waltete/ erschuf, ordnete/ half, liebte (usf.) der Logos und der Logos wohnte, lebte/ wachte, paßte auf/ hatte Wohlgefallen (usf.) bei Gott und Gott trat auf, erschien als/ gab sich hin, opferte sich als/ wirkte (usf.) als der Logos. “ 475 Dass diese Lesart der Textstelle Johannes 1, 1 - 5 andersartig ist als das, was tatsächlich in der Textstelle Johannes 1, 1 - 5 des Neuen Testaments in der christlichen Bibel formuliert ist, und Worte hierbei nicht nur übersetzt, sondern aufgrund philosophischer oder theologischer Gründe 476 ausgetauscht wurden, merkt Stettberger nicht an. Die vorliegende Studie bemüht sich in Bezug auf diese Argumentation Stettbergers ausschließlich um ein akkurates Verständnis der Inhalte des Verbs sein und des Wortes Logos sowie um eine zutreffende Übersetzung dieser Wortformen. Ob die Behauptung, ein bestimmter Gott, ein bestimmtes Numen, eine Christus-Figur oder eine historische Person namens Jesus von Nazareth wäre mit dem Logos vergleichbar, angemessen, nicht angemessen, wahr oder falsch ist, kann an dieser Stelle in der vorliegenden Studie nicht beantwortet werden. Eine derartig interdisziplinäre Untersuchungsmethode wie sie Stettberger vorlegt, soll für die vorliegende Studie nicht gewählt, sondern stattdessen linguistisch vorgegangen und die Mathematik sowie deren logische Grundlagenforschung als Hilfswissenschaft zur formalen Deskription von Ergebnissen hinzugezogen werden. Als weiteren Grund für seine polysemantische Auffassung des Verbs sein und seine in dieser motivierten Übersetzung der altgriechischen, neutestamentlichen Textstelle Johannes 1, 1 - 5, nennt Stettberger außerdem alttestamentliche Verbote: „ gemäß dem Bilder - bzw. Abbildungsverbot und dem Namenverbot des Dekalogs (Ex 20, 4.7; Dtn. 5,8. 11) wird Gott ja als unbeschreibbar dargestellt. Mit Hilfe der polysemantischen Verben HYH oder εἷναι hingegen kann er nicht be-, sondern umschrieben werden. “ 477 Dem kann entgegengehalten werden, dass diese Erklärung eine zirkuläre Argumentation Stettbergers darstellt sowie ein indirektes, ausschließlich religiös begründbares und andernfalls unsachliches Beipflichten der Wissenschaft zu diesem alttestamentlichen Verbot erwirkt, da dessen nicht notwendig im Text des Neuen Testaments der christlichen Bibel gegebene Befolgung gewollt hineininterpretiert wird. Außerdem werden die personifizierenden Verben wohnen, walten, herrschen, lieben, wachen, Wohlgefallen haben etc. der Übersetzung des griechischen Wortes λόγος im weitesten 475 S TETTBERGER (1993: 173) 476 S. z. B. P HILON VON A LEXANDRIA , vgl. C OHN / W ENDLAND / R EITER (Hrsg. 1962 - 1963 [1896 - 1930]); C OHN / H EINEMANN / A DLER / T HEILER (Hrsg. 1964 [1909 - 1938]); B RÉHIER (1950); B ORMANN (1955: insbes. 79 ff.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 629, Logos) 477 S TETTBERGER (1993: 173) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 103 <?page no="104"?> Sinn als Denken sowie seiner Verwendung, z. B. bei Heraklit und den Stoikern, auch als Inbegriff einer Art Denkgesetz 478 , nicht gerecht. Halib behandelt in ihrer Monographie 479 die Referenzialität der Nominalphrase substantivischer Prädikative in Kopulasätzen. Der Schwerpunkt der Abhandlung liegt nicht auf der Semantik der Kopulae, doch Vorannahmen zu dieser werden in der Untersuchung einleitend kurz erwähnt. 480 Mit Halibs Darlegung ist vorgeführt, wie die Argumentationen Maienborns 481 , Geists 482 , Schlückers 483 und Stettbergers 484 weitgehend konfliktfrei zusammenfallen und sehr ähnliche Auffassungen bezüglich der Semantik der Kopula postulieren können. So entlehnt Halib zunächst vier Kopulasatztypen aus der Untersuchung Higgins 485 hinsichtlich derselbigen in englischer Sprache und reduziert diese durch Hinzuziehung Mikkelsens 486 Thesen 487 und des IDENT-Operators Partees mit dem Beispiel des Ausdrucks Andrea Schopp sein, notiert in der Form (IDENT (as)), auf zwei Typen. Die Einsetzung als Prädikat im λ -Ausdruck des sogenannten prädikativen Verhältnisses und die anschließend ausgeführte linksassoziative ß-Konversion ergeben, wie bereits in der Vorstellung Maienborns Monographie dargelegt, auch bei Halib die Operation λ P λ x[P(x)] (IDENT (as)); λ P λ x[P(x)] ( λ y λ z[z = y] (as)) → λ P λ x[P(x)] ( λ y λ z[z = y] (as)) → λ P λ x[P(x)] ( λ z[z = as]) → λ x[( λ z[z = as]) (x)] → λ x[x = as]. 488 Halib reduziert also die von ihr 478 Zur Übersetzung des griechischen Wortes λόγος als Denken, Denkgesetz, Denkverfahren, Vernunft, Kausalität usw., s. 5.1. 479 H ALIB (2011) 480 Z. B. H ALIB (2011: 33 ff.) 481 Zur Auffassung von Kopula-Prädikativ-Konstruktionen als lediglich K-Zustände denotierende sprachliche Einheiten (s. o.); vgl. z. B. M AIENBORN (2003: 111, 125) 482 Zur kontextuellen Spezifizierung angeblich unterspezifizierter sprachlicher Ausdrücke (s. o.); vgl. z. B. G EIST (2006: 13) 483 Zur angeblichen Unterspezifiziertheit des Verbs bleiben (s. o.); vgl. z. B. S CHLÜCKER (2007: 262) 484 Zur Behauptung einer Variablenfunktion, einer Polysemantizität und einer Multidimensionalität von Kopulaverben (s. o.); vgl. z. B. S TETTBERGER (1993: 68, 89, 152, 188) 485 H IGGINS (1979) 486 M IKKELSEN (2005) 487 Ausführlicher hierzu, s. 5.5.2. Higgins Vorschlag zur Untergliederung der Kopulasätze in vier Typen (H IGGINS (1979)) sowie Mikkelsens Studie (M IKKELSEN (2005)) werden in diesem Forschungsüberblick der vorliegenden, das Deutsche betrachtende und damit einzelsprachlich orientierten Studie nicht explizit vorgestellt, sondern an dieser Stelle nur erwähnt, da Higgins sowie Mikkelsen v. a. anhand von Sätzen der englischen Sprache argumentieren. Zudem wurde Higgins Ansatz in einer Übertragung auf das Deutsche von Geist abgehandelt und modifiziert, worauf obig eingegangen wurde (s. o.). 488 H ALIB (2011: 33 f., 40 ff.); vgl. P ARTEE (1977); vgl. M AIENBORN (2003: 22); vgl. G EIST (2006: 30, 32 f.) 104 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="105"?> erwähnten verschiedenen Kopulasatztypen einleitend auf die zwei Typen Prädikation und Äquation, wobei unter Letztere auch die Identifikation zu subsumieren ist. 489 Allein diese Dichotomie aus Äquation und Prädikation ist nach Halib für ihre Untersuchung, die zu dem Schluss kommt, das artikellose Singulare in der Komplementposition der Kopula (z. B. Milva ist Produktmangerin) als Prädikate in prädikationalen Kopulasätzen fungieren, während Indefinita (z. B. Milva ist eine Produktmangerin) Individuen denotieren und damit als echte Äquative zu verstehen sind 490 , relevant. 491 Dabei bleibt unklar, ob Halib diese Dichotomie als die beiden einzigen unterscheidbaren Kopulasatztypen ansieht, auf welche alle anderen Typen für die Zwecke ihrer Studie „ heruntergebrochen “ 492 werden können, oder ob lediglich diese beiden Kopulasatztypen herausgegriffen wurden, um als Untersuchungsgegenstand ihrer Studie zu dienen 493 , denn an anderer Stelle gibt Halib an, die Anwendung der Operatoren Partees aufgrund ihrer angeblichen Redundanz und konzeptuellen Aufwändigkeit 494 , die „ dem allgemeinen Postulat einer ökonomischen Theorie entgegenwirkt “ 495 , abzulehnen. Dennoch vertritt Halib in ihrer Studie die aus Maienborn 496 entlehnte Ansicht, „ dass das Deutsche eine unambige Kopula aufweist “ 497 , wobei Maienborn Partees IDENT-Operator anerkennt. 498 Ebenso ist nach Halib zu postulieren, dass eine Opposition zwischen Prädikation und Äquation im Deutschen ob dieser unambigen Kopula sichtbar sei: „ Zwar wird dies nicht durch eine lexikalisch differente Kopula markiert, wohl aber - wie in dieser Arbeit angenommen - durch die unterschiedlichen syntaktischen Kategorien des Kopulakomplements als volle oder artikellose Nominalphrase. “ 499 Die Kopula ist nach Halib unterdeterminiert 500 und aus diesem Grund „ als solche mit allen aspektuellen Stukturen kompatibel “ 501 . Zusammenfassend erklärt Halib zur Methodik sowie Argumentationsweise ihrer Studie: „ demnach [wurden] die relevanten Kopulakonstruktionen auf zwei Typen beschränkt. Den äquativen Typ und den prädikationalen Typ. Vor dem Hintergrund der 489 H ALIB (2011: 35, 40) 490 H ALIB (2011: 249) 491 H ALIB (2011: 21) 492 H ALIB (2011: 21, 36, 38 ff., 250) 493 Vgl. z. B. H ALIB (2011: 21, 35, 250) 494 H ALIB (2011: 44) 495 H ALIB (2011: 44) 496 M AIENBORN (2003) 497 H ALIB (2011: 35) 498 Vgl. M AIENBORN (2003: 22) 499 H ALIB (2011: 35) 500 H ALIB (2011: 154 f.) 501 H ALIB (2011: 154) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 105 <?page no="106"?> eingangs genannten Funktion der ‚ semantisch leeren ‘ Kopula, die lediglich dazu dient, Eigenschaften zu identifizieren, soll im Folgenden kurz erläutert werden, wie dieses Postulat der unambigen Kopula, die das Prädikation- ‚ sein ‘ und Identifikation- ‚ sein ‘ gleichermaßen ausdrücken kann, in semantischen Theorien aufrecht erhalten werden kann. “ 502 Als wesentliche Motivation für die Postulierung einer derartigen unterdeterminierten, unambigen Kopula mit nur einem Lexikoneintrag nennt Halib das Argument der sogenannten intensionalen Leere 503 der Kopula. Diese Vorannahme einer intensional leeren Kopula wiederum sieht Halib in zwei weiteren Argumenten begründet. Erstens nennt Halib folgende Herleitung: „ Dass die Kopula intensional ‚ leer ‘ ist, zeigt sich u. a. daran, dass viele Sprachen ohne eine Kopula auskommen, wie beispielsweise das Arabische zeigt: (1) a. Du bist schön. b. Inta Æ ǧ am ī l. (arabisch) Daher wird die Kopula als Verb ohne Einfluss auf die Bedeutungskonstitution des Gesamtausdrucks - und damit als pleonastisches Element - verstanden. “ 504 Zweitens sieht Halib ihre Annahme einer intensional leeren Kopula darin bestätigt, dass Maienborn 505 in ihrer Notation die Kopula nicht beachtet: „ Die logische Form eines Kopulasatzes wird in vielen Logik- und Linguistikeinführungsbüchern wie folgt dargestellt: (2) Luise ist klug. (3) KLUG (Luise). Demzufolge ist die Kopula nichts anderes als die Anwendung des AP [Adjektivphrase] - Prädikats KLUG auf den Subjektreferenten (Luise). “ 506 Die notationelle Darstellung kann an dieser Stelle jedoch nicht als ausschlaggebend gelten, denn hierbei handelt es sich um eine formale Deskription von Sachverhalten, nicht um einen Rechenausdruck, welcher auf die Weise, wie dies Halib vermutet, in der Lage ist, ein Ergebnis oder einen Erkenntniswert zu liefern. Die beiden Kopulasatztypen stellt Halib anschließend derartig dar, dass einem prädikationalen Kopulasatz (z. B. Peter ist Arzt) der Ausdruck λ x λ e[EXIST(e) ˄ THEME(x, e) ˄ Arzt(x, e)] und einem äquativen Kopulasatz (z. B. Peter ist ein Arzt) der Ausdruck λ y λ x λ e[EXIST(e) ˄ THEME(x, y, e)] entspricht. 507 Zur Erklärung dieser Strukturen führt Halib unter anderem die Neo-Davidsonsche Theorie an, in der auch refentielle Argumente in der semantischen Repräsentation als Modifikatoren dargestellt sind 508 , was nach Halib „ im Einklang mit der Annahme steht, dass die Kopula keine Thetarollen zuweist und damit keine thematischen Komplemente 502 H ALIB (2011: 40) 503 H ALIB (2011: 33) 504 H ALIB (2011: 33) 505 M AIENBORN (2001: 8), zit. nach H ALIB (2011: 33) 506 H ALIB (2011: 33) 507 H ALIB (2011: 156) 508 H ALIB (2011: 156) 106 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="107"?> selegiert. “ 509 Hierzu ist anzumerken, dass Halib diesbezüglich inkohärent argumentiert, da sie einerseits die behauptete intensionale Leere der Kopula als Rechtfertigung dafür verwendet, dass im λ -Ausdruck die Kopula nicht als Prädikat, z. B. für das Argument einer zugewiesenen Theta-Rolle (auch: Θ -Rolle) (s. a. 6.8.1), und nicht als λ -gebundene Variable auftreten kann und in der notationellen Wiedergabe Maienborns ebenfalls nicht als logisches Prädikat vorkommt, sondern vollständig ignoriert wird. Andererseits erscheinen bei Halib, wie auch bei Maienborn 510 (s. o.) oder Dölling 511 (s. u.) eine semantische Rolle oder ein referentielles Argument, welche jeweils mit außersprachlichen Gegebenheiten in der Denotationsebene, also extensionalem Inhalt assoziiert werden, in der Schreibweise logischer Prädikate im λ -Ausdruck. Diese Details des denotierten außersprachlichen Sachverhalts sind ebenfalls keine intensionalen, sondern extensionale Sachverhalte, aber in Halibs Notation befähigt, als logische Prädikate geschrieben zu werden und Argumentstellen zu eröffnen. 512 Nach dieser Argumentationsweise müsste deshalb die Kopula auch extensional leer sein, d. h. ohne gegenständlichen Referenten oder ohne Einflussnahme auf einen gegenständlichen Referenten in der extensionalen Ebene sein, um ihre Unterschlagung in der Notation kohärent zu begründen. Dies ist jedoch offensichtlich nicht der Fall, denn Halib erkennt Sätzen mit Kopula eindeutig einen gesonderten Status als Kopulasätze zu und identifiziert die von Kopula- Konstruktionen bezeichneten Ereignisse, Situationen oder anderweitige Sachverhalte explizit als konkreten, in der extensionalen Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit existierenden Forschungsgegenstand ihrer Studie. Ersteres Argument Halibs, welches das Fehlen einer Kopula in der arabischen Sprache anmerkt, stellt des Weiteren eine ähnliche Vorgehensweise wie Stettbergers Argumentation dar. Stettberger unternimmt aufgrund der angeblich relativen Abstraktheit des Namens YHWH den Versuch, sämtliche verbale Bedeutungen und Aktionsarten in diesen Namen YHWH und damit in eine vermutete Kopula in der Wurzel des Namens hineinzuinterpretieren. 513 Damit ergibt sich ähnlich wie bei Halib bei Stettberger eine in gewisser Weise unterdeterminierte und deshalb mit sämtlichen aspektuellen Strukturen kompatible Kopula 514 . Ebenso geht die Unaussprechlichkeit dieser Bedeutungen aufgrund eines religiösen Verbots und die vermutete Umschreibung eigentlicher intensionaler Inhalte von Sprachzeichen in der Argumentation Stettbergers mit der angenommenen, 509 H ALIB (2011: 157) 510 M AIENBORN (2003) 511 D ÖLLING (1998) 512 H ALIB (2011: 156 f.) 513 S TETTBERGER (1993: 68) 514 Vgl. H ALIB (2011: 154 f.) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 107 <?page no="108"?> sogenannten intensionalen Leere der Kopula nach Halib einher, da beide vorgestellten Ansichten dazu führen, dass Inhalte von Sprachzeichen nicht von diesen signifiziert, sondern als von anderen Sprachzeichen umschrieben, aufprägbar oder umdeutbar aufgefasst werden sollen und dass vorgestellte Bedeutungen dieser Sprachzeichen sowie pragmatisch-kommunikative Aspekte, Weltwissen oder z. B. theologische Lehren aus der Denotationsebene das Signifikat eines untersuchten Sprachzeichens determinieren. 515 Zu einem sogenannten Kompositionalitätsprinzip 516 merkt Halib überdies an: „ In einigen Theorien wird von einem vollständigen Homomorphismus zwischen Syntax und Semantik ausgegangen. In dieser strengen Auslegung des Kompositionalitätsprinzips sind die Bedeutungen komplexer Ausdrücke vollständig durch die Bedeutung der Teilausdrücke und ihrer syntaktischen Verknüpfung determiniert. Alternative Theorien erlauben semantische[n] [sic] Regeln zu applizieren, die nicht zwangsläufig syntaktischen Prozessen entsprechen. In diesen Theorien entspricht jeder syntaktische Schritt immer noch einem semantischen, aber es gibt ein additives Inventar von rein semantischen Regeln, die die Bedeutung einer Konstituente so verändern können, dass sie in eine komplexere Konstituente ‚ passen ‘ . “ 517 Dazu ist zu notieren, dass es keinen sogenannten vollständigen oder unvollständigen Homomorphismus als Abbildung zwischen der Syntax und der Semantik gibt, sondern dass eine derartige Abbildung entweder homomorph oder nicht homomorph ist. Die mathematische Definition eines vollständigen Homomorphismus setzt ein Supremum und ein Infimum der Urbild- und Bildmenge voraus, denn die Abbildung φ : M → N heißt genau dann vollständig, wenn die Abbildung φ supremumsowie infimumerhaltend ist 518 , wofür es in einem semiotischen Modell bzw. der Syntax und der Semantik, im Gegensatz zu halbgeordneten Mengen keine Entsprechung gibt. Eine semantische Theoriebildung, welche sich durch Wissenschaftlichkeit und Ergebnisoffenheit auszeichnet, kann des Weiteren nicht unter beliebigen sonstigen Bedingungen von einer Existenz oder Nichtexistenz eines Homomorphismus ausgehen, wie dies Halib vorstellt, sondern statt dessen innerhalb eines möglichst geeigneten semiotischen Modells in der notationellen, explikativen oder graphischen Modellierung lediglich die Existenz oder Nichtexistenz eines Homomorphismus zwischen Syntax bzw. Zeichen- oder Ausdrucksebene und Semantik bzw. Bedeutungs- oder Inhaltsebene, entdecken, belegen, beweisen oder widerlegen. Wie Halib selbst darlegt, ist die Unter- 515 Vgl. z. B. S TETTBERGER (1993: 68, 173); vgl. H ALIB (2011: 33, 154 f.) 516 Vgl. Freges Kompositionsprinzip, s. 5.6.2 517 H ALIB (2011: 12, Fn. 2) 518 Vgl. z. B. G ANTER / W ILLE (1996: 8) 108 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="109"?> suchung hinsichtlich ihres Untersuchungsgegenstands damit vor allem in letzterem Fall, d. h. in der Festlegung, dass es sich nicht um eine homomorphe Abbildung handeln soll, unter Umständen nicht mehr klar abgegrenzt, sondern ermangelt diesbezüglich Exaktheit durch die daraus folgende Möglichkeit der Hinzuziehung sämtlicher Aspekte außerhalb des eigentlichen Untersuchungsgegenstands, bezüglich deren die Konklusionen der jeweiligen Untersuchung inferiert werden, wie z. B. der Möglichkeit der Hinzuziehung eines sogenannten „ additiven Inventar[s] von rein semantischen Regeln “ 519 , anderer pragmatischkommunikativer sowie kontextuell-situativer Aspekte, eines Weltwissens oder z. B. einer theologischen Doktrin 520 , die allesamt eigentlich als Rahmenbedingungen bzw. Voraussetzungen von Untersuchungen und nicht als Methodiken, Instrumentarien oder Zwischenergebnisse von synchronen, strukturalistisch geprägten, sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zu klassifizieren sind. Eine Nichtbeachtung dieser Klassifikation könnte unter ungünstigen Umständen die Konsequenz der Vorwegnahme von eigentlichen Untersuchungsergebnissen sein. Aus diesem Grund geht die vorliegende Studie nicht von einem Homomorphismus zwischen Syntax und Semantik a priori aus und fokussiert eine Analyse innersprachlicher Strukturen der Einzelsprache Deutsch, so dass Halibs Ergebnisse nicht in die vorliegende Untersuchung miteinbezogen werden können. 4.2.2 Aufsätze Erben stellt in seinem Aufsatz Über ‚ Kopula ‘ -verben und ‚ verdeckte ‘ (kopulalose) Ist-Prädikation 521 einige interpretative Aspekte, welche die lexikalischen Unterscheidungen des lexikalischen Paradigmas der Kopulaverben bestimmen, heraus. 522 Dafür differenziert Erben zwischen sogenannter statischer und dynamischer ist-Prädikation. Um eine statische ist-Prädikation auszudrücken, stehen nach Erben zahlreiche Kopulaverben bzw. kopulaähnliche Verben zur Verfügung, welche alle dadurch gekennzeichnet sind, dass sie durch das Archilexem sein substituiert werden können. 523 Trotz dieser von Erben postulierten Ersetzbarkeit der betreffenden Verben, gesteht er ihnen signifizierte eigene Inhaltsmerkmale zu, welche er wiederum in vier Untergruppen einteilt: Erstens, Merkmale, die es dem Sprecher ermöglichen, ein modifiziertes Sein auszudrücken (z. B. er scheint gutgelaunt); zweitens, Verben, welche die Seins- 519 H ALIB (2011: 12, Fn. 2) 520 Vgl. z. B. S TETTBERGER (1993: 68, 173) 521 E RBEN (1978) 522 E RBEN (1978: 82) 523 E RBEN (1978: 82 - 85) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 109 <?page no="110"?> bestimmung relativieren und auf einen bestimmten Wahrnehmungssinn beziehen (z. B. das schmeckt salzig); 524 drittens, Verben, die eine Eigentümlichkeit eines Lebewesens, welche sich in seinem Verhalten manifestiert, beschreiben (z. B. der Hund verhält sich intelligent) und viertens, Verben, die „ ein Sosein aus der Perspektive einer Selbst- oder Fremdeinschätzung darstellen “ 525 (z. B. er gilt als fanatisch). 526 Die dynamische ist-Prädikation nach Erben ist den Sätzen mit resultativen transitiven Verben eigen, welche mit dem Archilexem machen ersetzt werden können und ausdrücken, dass etwas bewirkt oder verursacht wird bzw. dass etwas „ am Ende eines Entwicklungsprozesses eines anderen ‚ Agens ‘ [ … ] so ist. “ 527 Unter die Gruppe der Verben, welche diese Prädikation verkörpern, gehören auch transitive Verben der Funktionsrichtung (z. B. X wählt/ befördert/ entwickelt/ baut Y auf zu(m/ r) Z), die mit dem Komplex machen + zu substituiert werden können, wobei nach Erben die Gleichgröße in diesen Sätzen meist als fakultativ gewertet wird. 528 Ebenso erwähnt Erben Konstruktionen von resultativen Verben mit adjektivischem Prädikativ (z. B. er macht die Suppe warm) und gibt an, dass sich „ bei Wegfall des Prädikativs die Information wesentlich [ändert]. “ 529 Dieser Einschätzung Erbens ist nicht notwendig immer zuzustimmen, wie die Beispielsätze er streicht den Zaun (grün) und er schlägt den Schrank (kaputt) veranschaulichen. Die prädikativen Adjektive grün oder kaputt in den im vorigen Satz erwähnten Exempeln können als fakultativ betrachtet werden, ebenso ändert sich die Bedeutung der Verben streichen oder schlagen bei Eliminierung des Prädikativs in diesen Beispielsätzen nicht. Hiervon zu unterscheiden sind nach Erben mit dem Verb machen substituierbare, intransitive Verben in Sätzen mit dynamischer ist-Prädikation, da in derartig gebildeten Ausdrücken der einbindende Satz bei Wegfall des Prädikativs ungrammatisch wird, wenn nicht auch das Akkusativobjekt und eventuell das Reflexiv getilgt wird (z. B. der Hund bellt die Kinder wach; *der Hund bellt die Kinder; der Hund bellt; der Kranke liegt sich den Rücken wund; *der Kranke liegt sich den Rücken; *der Kranke liegt den Rücken; *der Kranke liegt sich; der Kranke liegt). Aufgrund der Beobachtung, dass das Archilexem machen nach Erben in diesen Sätzen mit dynamischer ist-Prädikation gegen alle Verben kommutiert werden kann, konkludiert Erben, dass das Verb machen nicht mehr zu der „ einigermaßen geschlossenen Gruppe der ‚ Kopula ‘ -verben “ 530 gezählt 524 E RBEN (1978: 83) 525 E RBEN (1978: 84) 526 E RBEN (1978: 84) 527 E RBEN (1978: 84) 528 E RBEN (1978: 85) 529 E RBEN (1978: 85) 530 E RBEN (1978: 85) 110 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="111"?> werden kann. Ebenso tritt in Sätzen mit dynamischer ist-Prädikation die eigentliche ist-Prädikation hinter der dargestellten Handlung des Bewirkens zurück, so dass es sich nach Erben nur noch um eine verdeckte ist-Prädikation handelt. Diese verdeckte ist-Prädikation kann „ nur durch Umformung der Konstruktion sowie Ergänzung von ist aufgedeckt werden “ 531 (z. B. er schlägt den Schrank kaputt; er schlägt den Schrank, so dass er (nach dem Schlagen) kaputt ist). 532 Dölling strebt in seinem Aufsatz Ist die Kopula mehrdeutig? Anmerkungen zu einem Vorurteil 533 ebenfalls an, die Bedeutung der Kopula seitens einer Semantik-Pragmatik Schnittstelle zu erschließen, während eine der Prädikatenlogik entlehnte Notation zur Beschreibung der Bedeutungsstruktur im weitesten Sinne im Rahmen einer Zwei-Ebenen-Semantik 534 , ähnlich des von Geist miteinbezogenen Modells Bierwischs 535 , angewandt wird. Hierfür arbeitet Dölling nach eigenen Worten in Anlehnung an Lang 536 mit einer „ andere[n] Auffassung von der Funktion der Semantik als Schnittstelle zwischen sprachlicher Struktur und Weltwissen “ 537 , die von einer Unterspezifizierung der im sprachlichen Ausdruck gegebenen Information ausgeht und ein „ integrative[s] Interpretationsmodell “ 538 vorschlägt, nach welchem „ der konzeptuelle Gehalt einer sprachlichen Äußerung über mehrere Repräsentationsstufen bestimmt wird, wobei mit jeder Stufe eine fortschreitende Spezifizierung der übermittelten Information erfolgt. “ 539 Wie Maienborn 540 und Geist 541 wendet Dölling in seiner Darstellung der sogenannten semantischen Struktur syntaktisch realisierter komplexer sprachlicher Ausdrücke eine logische Notation mit dem λ -Operator, d. h. eine der Funktionendarstellung nach Church und der mehrstelligen Prädikatenlogik entlehnte Repräsentation an. Außerdem appliziert Dölling zwei von Partee 542 entworfene Instrumentarien als Operatoren der Typanpassung, nämlich den Operator IDENT: λ y λ x.x = y (als e → < e, t >) und 531 E RBEN (1978: 85) 532 E RBEN (1978: 85) 533 D ÖLLING (1998) 534 D ÖLLING (1998: 17) 535 Vgl. B IERWISCH (1983); vgl. B IERWISCH (1997); vgl. B IERWISCH (1987a); vgl. B IERWISCH (1987b); vgl. B IERWISCH / L ANG (1987) 536 L ANG (1994) 537 D ÖLLING (1998: 17) 538 D ÖLLING (1998: 17) 539 D ÖLLING (1998: 18) 540 Z. B. M AIENBORN (2003: 22) 541 Z. B. G EIST (2006: 30 - 34) 542 P ARTEE (1992: 97 - 126) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 111 <?page no="112"?> den Operator BE: λ P λ x.P( λ y.x = y (als << e, t >, t > → < e, t >) 543 sowie weitere Operatoren, die es ermöglichen, „ die vorangehend zugeordneten semantischen Repräsentationen kompositional abzuleiten, ohne daß eine Mehrdeutigkeit der Kopula angenommen werden muß “ 544 . Zusätzlich sind der Operator INST: λ y λ x. x ▷ y (als Artterm → Instanzprädikat), der Operator SUB: λ y λ x. x ≤ y (als Artterm → Artprädikat) und der Operator KONST: λ P λ x. ∃ y[P(y) & y >> d x] (als Stoffprädikat → Dingprädikat) angegeben. 545 Wie die Methodik Döllings seine semantische Repräsentation sprachlicher Ausdrücke prozessualisiert, legt er selbst dar: „ Die Grundidee [ … ] besteht darin, die von Montague [ 546 ] geforderte funktionale Abbildung von syntaktischen Kategorien auf semantische Typen durch eine weniger rigide Zuordnung zu ersetzen. Danach ist es erlaubt, daß ein und derselbe natürlichsprachliche Ausdruck nicht nur einem, sondern gegebenenfalls mehreren systematisch aufeinander bezogenen semantischen Typen angehört. “ 547 Dölling postuliert, dass seine zugrunde gelegte Version der kompositionalen Semantik die Annahme nur eines einheitlichen Lexikoneintrags für die Kopula ermöglicht, jedoch eine weitaus differenziertere Analyse der Bedeutung von Kopulasätzen und der Vielfalt der von Kopulasätzen ausgedrückten Sachverhalte erschließen lässt, als dies Partees Rekonstruktion voraussetzt. 548 Die Herleitung einer semantisch unterspezifizierten, jedoch nur in einem einzigen Lexikoneintrag festgehaltenen Kopula und unterschiedlichster pragmatisch sowie ontologisch motivierter semantischer Interpretationen von Kopulasätzen 549 nimmt Dölling ebenso wie Geist 550 vor und erfolgt nach Dölling unter anderem ebenfalls durch Einsetzung von Variablen bzw. Operatoren sowie Umformungen an der notationellen Repräsentation einer angenommenen Bedeutungsstruktur, welche Konversionen an dem angeblich die logisch-semantische Struktur darstellenden λ -Ausdruck ausführen. Für die vorliegende Studie können das Modell Döllings, sowie seine semantische Repräsentation, ebenso wie die in Maienborn 551 und Geist 552 applizierte reduzierte Version Partees Repräsentationsform 553 nicht übernommen werden. 543 D ÖLLING (1998: 11) 544 D ÖLLING (1998: 15) 545 D ÖLLING (1998: 15) 546 M ONTAGUE (1973), zit. nach D ÖLLING (1998: 11) 547 D ÖLLING (1998: 11) 548 D ÖLLING (1998: 17, 23) 549 Zur detaillierteren Vorstellung der anhand der Methodik Döllings abgeleiteten Interpretationen von Kopulasätzen, s. D ÖLLING (1999). 550 G EIST (2006: 30-34); vgl. P ARTEE (1986); vgl. P ARTEE (1987); vgl. P ARTEE (1992) 551 M AIENBORN (2003: 22) 552 G EIST (2006: 30 - 34) 553 Vgl. P ARTEE (1992) 112 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="113"?> Wie in der Vorstellung Maienborns und Geists Monographien (s. 4.2.1) dargelegt, ist es nicht möglich, derartigen Einsetzungen und Konversionen an einem Ausdruck mit λ -gebundenen Variablen im Rahmen des für die vorliegende Studie ausgearbeiteten semiotischen Modells einen eigenen Erkenntniswert zuzuschreiben. Stattdessen handelt es sich hierbei um Manipulationen an einem rein deskriptiven λ -Ausdruck, aus denen keine Ergebnisse zur Exploration des Inhalts natürlichsprachlicher Ausdrücke in einer Untersuchung ausschließlich sprachinterner Strukturen, die pragmatisch-kommunikative und andere außersprachliche Aspekte aufgrund der Materialisiertheit der natürlichen Sprache und ihrer Syntax weitgehend ausklammert, abgeleitet werden können. Obwohl Dölling keine Unzulässigkeit einer Vermengung von Entitäten der extensionalen Denotationsebene mit strukturellen Einheiten eines sprachlichen Ausdrucks im λ -Ausdruck bzw. in der Menge λ -gebundener Variablen anspricht und eine Verwendung des λ -Abstraktors als Operator zur Darstellung des intensionalen Charakters von Funktionen nach Church in Nachfolge Freges Theorien nicht erwähnt 554 , räumt Dölling ein, dass es sich bei dem von ihm verwendeten sogenannten integrativen Interpretationsmodell bzw. bei der von ihm verwendeten Repräsentation anhand logischer Notation um die Formalisierung eines ausgesprochenen Sammelsurium aus sprachlichen, semantischen, operationellen Einheiten und Entitäten verschiedenen ontologischen Status ’ sowie miteinfließendem Weltwissen handelt, die problematisch ist: „ Rückblickend muß nun allerdings zugleich festgestellt werden, daß dieses Resultat in seinem Wert insofern gemindert ist, als die herangezogenen Mittel nicht unumstritten sind. Problematisch an den neuen Anpassungsmethoden ist unter anderem, daß sie im Unterschied zu den von Partee vorgeschlagenen Operationen nicht typentheoretisch begründet sind, sondern ihre Rechtfertigung in einer in Gestalt von Postulaten formulierten Ontologie finden. Das Prinzip der semantischen Kompositionalität scheint damit dadurch verletzt zu werden, daß die Ausführung dieser Operationen jeweils durch Bedingungen generellen Weltwissens zu lizensieren [sic] sind. “ 555, 556 Steinitz behandelt in ihrem Aufsatz Die Kopula werden und die Situationstypen 557 die Semantik des Verbs werden als Kopula in Verbindung mit einem Prädikativkomplement. Hierfür erwähnt Steinitz vorerst die Auffassung, nach welcher ein 554 Zur Verwendung des λ -Operators als Abstraktor wie dargelegt, s. 5.7; 5.7.2; 7.6. 555 D ÖLLING (1998: 17) 556 Zur Typentheorie Russells und deren Problematik, s. 5.5.2. 557 S TEINITZ (1999) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 113 <?page no="114"?> Prädikat mit dem Verb werden prozessuale und telische Vorgänge denotiert. 558 In der Notation ist diese Auffassung des Verbs werden als BECOME anzugeben. Des Weiteren ist beziehentlich einer Beschreibung der Semantik des Verbs werden und seines Komplements sowie zum Verständnis der Argumentation Steinitz ’ die Vendlersche Klassifikation von Situationstypen 559 zu nennen. Nach dieser Vendlerschen semantischen Beschreibung der Kopulae sind Prozesse und Zustände homogen, kontinuierlich und unterliegen keiner zeitlichen Beschränkung. Accomplishments stellen den Übergang von einem Zustand in einen anderen dar, sind transitional und die Übergangsphase unterliegt keiner zeitlichen Beschränkung. Achievements hingegen sind ebenso wie Accomplishments transitional, die Übergangsphase muss jedoch punktuell sein. 560 In Anbetracht dieser Klassifikation erklärt Steinitz: „ Werden ist nach meiner Auffassung vom statischen Prädikat sein nicht durch Telizität (Zustandswechsel) unterschieden, sondern dadurch, daß es ein unspezifisches nicht-statisches oder ‚ Veränderungsprädikat ‘ ist. Es ändert sich etwas an der Eigenschaft oder am Zustand eines Individuums x, doch werden bestimmt nicht, [ … ] ob die Veränderung zu einem anderen Zustand führt oder nicht, und falls ja, [ … ] ob dieser Übergang punktuell ist oder nicht. Festlegungen dieser Art kommen durch die jeweilige Spezifikation des Prädikat-Arguments P in die Gesamtbedeutung von werden-Konstruktionen [ … ] Die Bedeutung von werden ist also bezüglich Telizität unbestimmt. “ 561 Für die fortfolgenden Untersuchungen substituiert Steinitz aufgrund dieser Vorannahme das mit Teliziät assoziierte Prädikat in der Notation BECOME mit dem Prädikat CHANGE. 562 Nach Steinitz ist die Kopula werden somit ein semantisch unspezifiziertes, maximal unterbestimmtes Verb 563 mit nur einem einzigen Lexikoneintrag, welcher die Invariante / werden/ mit dem Ausdruck λ P λ x λ s[s INST [CHANGE [Px]]] repräsentiert. 564 Die Wiederlegung dieser Annahme Steinitz ’ kann anhand ihrer eigenen Argumentation hergeleitet werden. So beginnt Steinitz ihre Erläuterungen mit der Behauptung, das von ihr untersuchte Verb werden sei eine Kopula, die gleich transitiven Verben sowie Bewegungs- und Positionsverben eine Position für ein syntaktisches Komplement aufweise. Nach Steinitz wird demnach das Verb werden zusammen mit einem prädikativen Komplement als Prädikat erfasst, wobei eine 558 Vgl. S TECHOW (1996) 559 V ENDLER (1957) 560 Vgl. M USAN (1999: 190) 561 S TEINITZ (1999: 167) 562 S TEINITZ (1999: 167) 563 S TEINITZ (1999: 171) 564 S TEINITZ (1999: 168) 114 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="115"?> Synthese von Verb- und Komplementbedeutung postuliert wird. 565 Nur aufgrund dieses behaupteten und vorausgesetzten komplexen Prädikats, in welchem das Verb werden gemeinsam mit dem prädikativen Komplement erfasst wird, ist es Steinitz möglich, sämtliche Signifikate, die in anderen Theorien dem Verb werden zugeordnet werden könnten, in das prädikative Komplement zu verlegen. Dass die Hinzufügung von sprachlichen Elementen den durch den jeweiligen Satz primär ausgedrückten Situationstyp sekundär modifizieren kann, räumt Steinitz an anderer Stelle ein, nämlich wenn z. B. Adverbiale hinzutreten. Insofern ist Steinitz an dieser Stelle inkonsequent, da sie Adverbialen zuspricht, Situationstypen sekundär modifizieren zu können, während sie dem prädikativen Komplement, welches bei einem Verb werden auftritt, keine derartige Fähigkeit zugesteht, den Ausdruck des Verbs werden durch Hinzufügung sekundär modifizieren zu können. 566 Stattdessen konzipiert sie das Verb werden grundsätzlich auch als alleinstehendes Element im Lexikoneintrag als semantisch unterbestimmt, um die angebliche Denotation von verschiedenen Situationstypen der Zusammenfügung aus dem Verb werden und einem Prädikativkomplement als fester Verbindung ohne sekundärer Bedeutungsmodifikation zu erklären und gibt an, es werde eine kontextabhängige Spezifizierung von CHANGE im unspezifizierten Verb werden erwirkt. 567 Die denotierten Situationstypen beschreibt Steinitz als prozesshaft oder nicht prozesshaft sowie als telisch oder atelisch. Prozesse sind nach Steinitz prozesshaft, jedoch atelisch, Accomplishments sind prozesshaft als auch telisch und Achievements deskribiert Steinitz als nicht prozesshaft, aber telisch. Anschließend ordnet Steinitz prozessuale und atelische Sachverhalte denotierende Konstruktionen (z. B. größer werden; südwärts gehen) den Prozessen, prozessuale und telische Sachverhalte denotierende Konstruktionen (z. B. groß werden; nach Berlin gehen) den Accomplishments und nicht prozessuale, aber telische Sachverhalte denotierende Konstruktionen (z. B. schwanger werden; in Berlin ankommen) den Achievements zu. 568 Steinitz führt an, dass es sich bei der Wortform größer um ein relatives Adjektiv im Komparativ, bei der Wortform groß um ein relatives Adjektiv im Positiv und bei der Wortform schwanger um ein absolutes Adjektiv handle. Ansatzpunkt für Steinitz ’ Theorie zur Unspezifiziertheit und maximalen Unterbestimmtheit des Verbs werden ist die Frage, wie in größer werden die wahrgenommene Atelizität des denotierten Vorgangs zustande kommt. 569 Dass das Wort größer ein kompariertes Adjektiv 565 S TEINITZ (1999: 166, 169) 566 S TEINITZ (1999: 167, 169) 567 S TEINITZ (1999: 173 ff.) 568 S TEINITZ (1999: 170) 569 S TEINITZ (1999: 171) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 115 <?page no="116"?> ist, dessen Steigerungsform bereits buchstäblich eine schrittweise oder fortschreitende Steigerung dem Ausdruck inhäriert, kann bei Steinitz keine Beachtung mehr finden, da präskribiert wurde, dass eine sekundäre Modifikation des Verbs werden innerhalb der Kopula-Prädikativ-Konstruktion nicht zu erfolgen hat. Notwendig kommt Steinitz unter diesen Voraussetzungen ihrer Theorie zu dem Schluss, dass das Verb werden keine Telizität signifizieren kann, wenn die komplexe Verbindung aus dem Verb werden und dem eine Steigerung denotierenden Adjektiv größer nach ihrer Anschauung als Gesamtheit einen atelischen Prozess denotiert. Die alternative Erklärung, dass das Verb werden ein semantisch eigenständiges telisches Verb ist, das isoliert zu betrachten ist und welches adjazent zur Steigungsform der Wortform groß ein größer-Werden Schritt für Schritt denotiert, und somit in Verbindung mit dem Komparativ größer ein sukzessives größer-Werden als mehrere aufeinanderfolgende, telische Ereignisse und damit als ein iteratives Ereignis expliziert, ist unter den von Steinitz aufgestellten Rahmenbedingungen nicht mehr möglich, weswegen ihre Argumentation, insbesondere falls ihre Ergebnisse nicht mit explizitem Hinweis auf diese Rahmenbedingungen formuliert werden, als zirkulär angesehen werden kann. Des Weiteren sind sämtliche Beispielsätze, welche Steinitz als ungrammatisch auszeichnet, für einen kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 570 nicht grammatikalisch fehlerhaft oder lediglich semantisch ungewöhnlich formuliert (z. B. (? )er aß in einer Minute Äpfel; er aß stundenlang drei Äpfel; (? )er lief in zwei Stunden in Richtung Norden; er lief stundenlang in die Stadt; (? )es wurde in zehn Minuten dunkler; (? )es wurde zehn Minuten (lang) dunkel). 571 Diese Beispiele sollen nach Steinitz eine „ unbestreitbare “ 572 Telizität oder Atelizität des von der Kopula-Prädikativ-Konstruktion denotierten Sachverhalts beweisen, die Steinitz in der angeblichen kontextuellen Spezifikation eines semantisch maximal unbestimmten Verbs werden durch das prädikative Komplement begründet sieht 573 , und demzufolge sind diese Beispielsätze bei Steinitz mit einem Asterisk markiert. Marginale semantische Modifikation dieser formulierten Exempel kann jedoch zeigen, dass sie nicht notwendig aufgrund der hinzugefügten Zeitdauer- und Zeitspannen-Adverbiale grammatikalisch unrichtig sind (z. B. er aß in einer Stunde Äpfel; er lief in diesen zwei Tagen in Richtung Norden; es wurde in zehn Minuten (merklich) dunkler; es wurde zehn Minuten (lang) dunkel, dann erschien die Sonne hinter der Eklipse). Die Sätze er aß stundenlang drei Äpfel und er lief stundenlang in die Stadt können von 570 D. A. 571 S TEINITZ (1999: 182) 572 S TEINITZ (1999: 182) 573 S TEINITZ (1999: 171) 116 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="117"?> einem kompetenten Sprecher der deutschen Sprache 574 entgegen Steinitz ’ subjektiver Wahrnehmung nicht als semantisch oder grammatikalisch fragwürdig erachtet werden, sondern es ist möglich, diese als syntaktisch korrekt gebildet und semantisch einwandfrei einzustufen. Wie Maienborn 575 oder Dölling 576 verwendet Steinitz zur semantischen Beschreibung der Kopula- Prädikativ-Konstruktion zudem einen λ -Ausdruck (z. B. λ P λ x λ s[s INST [CHANGE [Px]]]) 577 , in welchem in der Menge der λ -gebundenen Variablen außersprachliche Einheiten sowie syntaktische Entitäten, die diese außersprachlichen Einheiten denotieren sollen, etwa die Zeichenabfolge s INST im Ausdruck λ P λ x λ s[s INST [CHANGE [Px]]], zusammengefasst sind. Derartige λ -Ausdrücke können, wie erwähnt, für die vorliegende Studie nicht übernommen noch als eine sinnvolle Applikation des λ -Abstraktors vermittelt werden, da sie der Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung nach Frege sowie der Unterscheidung zwischen Intension und Extension widerstreben. Auch Musan differenziert in ihrem Aufsatz Zur Semantik von werden. Ist prädikatives werden transitional? 578 die Kopula werden von dem Auxiliar werden oder einem „ absolute[n] Verb werden “ 579 , kommt jedoch hinsichtlich der Semantik der Kopula werden zu anderen Ergebnissen als Steinitz. Musan arbeitet mit einer angenommenen oder nicht angenommenen Transitionalität in der Semantik des mit einem Prädikativ auftretenden werden, d. h. mit der Frage, ob das Verb werden den Übergang von einem Zustand zu einem anderen bezeichnet. Einleitend nennt Musan hierzu die Position Amrheins 580 , welcher das Verb werden als transitional analysiert, die Konklusion Leiss ’ 581 , welche das Verb werden als additiv-iterativ und somit als nicht-transitional erfasst sowie die Argumentationen Steinitz ’ 582 und Zimmermanns 583 , die das Verb werden als unspezifiziert bzw. unterbestimmt wahrnehmen. 584 Wie obig bereits alludiert, 574 D. A. 575 Z. B. M AIENBORN (2003) 576 Z. B. D ÖLLING (1998) 577 S TEINITZ (1999: 168) 578 M USAN (1999) 579 M USAN (1999: 189) 580 A MRHEIN (1996) 581 L EISS (1985) 582 S TEINITZ (1999) 583 Z IMMERMANN (1999) 584 Zu diesen Studien, welche aufgrund ihrer Einbindung in die Argumentation der an dieser Stelle für einen Forschungsüberblick explizit vorgestellten Arbeiten, ihres von der Semantik der Kopulae abweichenden Fokus sowie ihrer teilweisen Ähnlichkeiten mit den im Rahmen Steinitz ’ und Musans Argumentationen erwähnten Methodiken (z. B. 4.2 Die spezifische Fachliteratur 117 <?page no="118"?> fokussiert Musan im Gegensatz zu Steinitz nicht die angebliche atelische Prozesshaftigkeit einiger von Konstruktionen mit der Kopula werden denotierten Vorgänge, sondern statt dessen die Art der Transitionalität. Die Vendlerschen Situationstypen Achievement und Accomplishment gelten beide als transitional, wobei Achievements punktuelle und Accomplishments ausgedehnte Übergangsphasen von einem Zustand in einen anderen aufweisen. Nach Musan müssen Achievements notwendig in jedem Fall punktuelle Übergangsphasen haben. Denen gegenüber stehen Prozesse und Zustände als nichttransitionale, homogene Situationstypen. Ein Ausdruck (z. B. reich werden) fällt nach Musan in die Kategorie der Accomplishments, da der Ausdruck reich werden zwar einen punktuell erfolgenden Sachverhalt bezeichnen kann, doch nicht notwendig eine punktuelle Transition von einem Zustand in einen anderen beschreibt. 585 Da Accomplishments nach Steinitz als prozesshaft und als telisch anerkannt sind 586 , während nach Musan das Kriterium der Transitionalität dazu führt, dass Accomplishments und Prozesse als einander disjunkt wahrgenommen werden 587 , unterscheiden sich die Ansichten Musans und Steinitz ’ bereits in ihren Vorannahmen wesentlich. Den Unterschied zwischen Prozessen und Accomplishments sieht Steinitz in der Telizität. 588 Während Musan auf Transitionalität oder Nicht-Transitionalität fokussiert ist, konzentriert sich Steinitz auf Telizität oder Atelizität als Unterscheidung zwischen Prozessen und Accomplishments. Folglich kommen Musan und Steinitz anschließend auch zu verschiedenen Ergebnissen. Musan konkludiert: „ prädikative werden-Konstruktionen sind generell transitional, beinhalten also einen Zustandswechsel. “ 589 Sie fährt fort: „ Daß werden-Konstruktionen sich gelegentlich wie Prozesse zu verhalten scheinen, ist ein sekundäres Phänomen; es kommt durch eine iterative Umdeutung der Konstruktion zustande. Dabei ist festzuhalten, daß solche iterativen Umdeutungen keine Besonderheit von werden-Konstruktionen sind, sondern im Prinzip bei allen Situationsbzw. Verbtypen auftreten können. “ 590 Des Weiteren ist im Vergleich der Beschreibungsansätze sowie der Ergebnisse Steinitz ’ und Musans anzumerken, dass Steinitz Accomplishments sowie Prozessen Prozesshaftigkeit zuschreibt, Mulinguistische Testverfahren; semiotisches Modell) und Aspekten (z. B. Situationstypen; Aktionsarten; Transitionalität) zur Untersuchung der Semantik des Verbs werden nicht eigens in diesem Forschungsüberblick dargelegt werden, s. A MRHEIN (1996); L EISS (1985); Z IMMERMANN (1999). 585 M USAN (1999: 189 f.) 586 M USAN (1999: 170) 587 M USAN (1999: 190) 588 M USAN (1999: 170) 589 M USAN (1999: 192) 590 M USAN (1999: 207) 118 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="119"?> san hingegen erfasst Accomplishments nicht als prozesshaft, sondern als ausgedehnt transitional. Da Musan zudem erwähnt, dass Prozesse (z. B. laufen; schlafen; essen) wie Zustände homogen und kontinuierlich sein müssen 591 , präsentiert sich Musans Beschreibungsmodell deutlich klarer als dasjenige Steinitz ’ . Durch das in ihren Voraussetzungen festgelegte Attribut der Prozesshaftigkeit von Accomplishments verwischt Steinitz somit zuerst die Unterscheidung zwischen Prozessen und Accomplishments, um anschließend prozesshaft erscheinende Accomplishments (z. B. größer werden) als atelische Prozesse zu deklarieren. Musan erläutert diesbezüglich in ihren Ausführungen: „ Es gibt darüber hinaus aber auch werden-Konstruktionen, die den Charakter von Prozessen zu haben scheinen. Ein Beispiel dafür ist größer werden. Im Gegensatz zu reich werden und groß werden legt größer werden die Vorstellung einer homogenen, kontinuierlichen Entwicklung nahe - und damit, dass es sich nicht um ein Accomplishment, sondern um einen Prozeß handelt. Dieser Effekt rührt offenbar aus der besonderen Bedeutung des Komparativs her - obwohl [ … ] das komparativische Adjektiv größer allein einen Zustand bezeichnet “ 592 . Praktisch geht Musan analytischer als Steinitz vor, indem sie in ihren Voraussetzungen zur Untersuchung der Semantik des Verbs werden nicht selbstverständlich von einer Kopula werden ausgeht, welche ausschließlich in Kopula-Prädikativ-Konstruktionen auftritt und nur im Verband mit dem prädikativen Adjektiv zu untersuchen ist. Statt dessen kennt Musan konsequent den kompositionalen (auch: kompositionellen) Charakter sprachlicher Äußerungen an und vermeidet damit explizit die Gefahr der Zirkelhaftigkeit einer Argumentation, die besteht, wenn a priori einigen Satzelementen (z. B. Adverbialen) die Fähigkeit zur sekundären Modifikation der Semantik komplexer Ausdrücke zugestanden wird, anderen jedoch nicht. 593 Neben ihrer bereits obig im Zitat erwähnten Anerkennung eines „ sekundären Phänomen[s] “ 594 , das „ durch eine iterative Umdeutung der Konstruktion “ 595 zustande kommt, erklärt Musan: „ Es ist wichtig zu beachten, daß die Klassifikation eines komplexen prädikativen Ausdrucks wie reich werden als Accomplishment noch nicht notwendigerweise etwas über die Klassifikation von werden selbst aussagt. Gerade so wie das Verb essen bekanntermaßen als Prozeß einzuordnen ist, eine Tafel Schokoloade essen aber als Accomplishment, Schokoladentafeln essen oder Schokolade essen aber wiederum als Prozeß - gerade so ist auch denkbar, daß 591 M USAN (1999: 190) 592 M USAN (1999: 191) 593 Vgl. S TEINITZ (1999: 167, 169) 594 M USAN (1999: 207) 595 M USAN (1999: 207) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 119 <?page no="120"?> werden allein anders zu klassifizieren ist als ein Komplex bestehend aus werden und einem Komplement. “ 596 Musan widerlegt die Theorie Steinitz ’ einer unspezifizierten und unterbestimmten Kopula werden in einer Kopula-Prädikativ-Konstruktion 597 unter anderem mit einer Beobachtung, die nahelegt, dass Musan zwischen dem isolierten Inhalt eines einzelnen Zeichenträgers, wie z. B. des Verbs werden, und der Denotation eines Sachverhalts bzw. einer Situation in der außersprachlichen Wirklichkeit durch einen zusammengesetzten, komplexen sprachlichen Ausdruck, in welcher das Denotat des sprachlichen Elements werden teilhat und zu welcher Weltwissen als „ gängige Vorstellungen “ 598 hinzutreten kann, differenziert. Musan erwähnt eine derartige Differenzierung nicht erläuternd und nicht mit der Betonung und Präzision, wie dies Frege mit seiner Differenzierung zwischen Sinn und Bedeutung vornimmt. Dennoch verleiht diese Unterscheidung Musans Argumentation Klarheit aufgrund einer akkuraten Observation: „ Auch eine werden-Konstruktion wie schwanger werden bezeichnet einen Übergang von einem Zustand zu einem anderen, von Nicht-Schwanger-Sein zu Schwanger- Sein. Nach gängigen Vorstellungen ist dies in jedem Fall ein punktueller Übergang, hat insofern also den Charakter eines Achievements. Wie bei reich werden gilt natürlich auch hier, daß das semantische Prädikat schwanger allein einen Zustand bezeichnet, was wiederum nahelegt, daß der Achievement-Charakter der Gesamtkonstruktion nur von werden herstammen kann. Muß man daraus nun schließen, daß werden mal Achievement- und mal Accomplishment-Charakter hat? Diesen Schluß zu ziehen erscheint im Interesse einer möglichst einheitlichen Semantik von werden nicht vorteilhaft. Denn der punktuelle Charakter des Schwanger-Werdens scheint einzig und allein von biologischen Tatsachen abzuhängen; die Semantik von werden dafür verantwortlich zu machen, hat einen höchst unplausiblen Anstrich. “ 599 Weiter führt Musan diesbezüglich mit Verweis auf den unter Umständen individuellen Charakter aktueller, denotierter außersprachlicher Sachverhalte im Unterschied zum möglicherweise als begrifflich zu verstehenden Inhalt des Signifikanten, d. h. der zeichenhaften Realisierung des Verbs werden, welchen sie als „ semantische Eigenschaften von werden “ 600 bezeichnet, aus: „ Prädikative werden-Konstruktionen sind als Accomplishments zu klassifizieren. Es ist ein weltbzw. situationsbedingter Zufall, ob eine durch werden charakterisierbare Veränderung langwierig oder plötzlich ist; d. h. wenn prädikative werden-Konstruktionen gelegentlich Achievements zu sein scheinen, so sagt dies nichts über die 596 M USAN (1999: 190) 597 Vgl. S TEINITZ (1999: 167 f., 171) 598 M USAN (1999: 191) 599 M USAN (1999: 191) 600 M USAN (1999: 206 f.) 120 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="121"?> semantischen Eigenschaften von werden aus. Ebenso ist es ein situationsbedingter Zufall, ob eine langwierige Veränderung kontinuierlich und homogen oder schrittweise vor sich geht; auch dies sagt nichts über die semantischen Eigenschaften von werden aus. “ 601 Krämer behandelt in ihrem Aufsatz Bleiben bleibt bleiben 602 die Kopula bleiben und konkludiert, dass das Verb bleiben in jedem Fall „ den REMAIN-Operator in die semantische Repräsentation der betreffenden Konstruktion “ 603 induziert, während „ die sog. BECOME-Lesart “ 604 überhaupt keine Lesart des Verbs bleiben darstelle, sondern nur in Situationen auftrete, in welchen die von Positionsverben gemäß Steinitz 605 und Maienborn 606 denotierte Bedeutungskomponente still angäbe, dass von einem nicht stillen, d. h. nicht bewegungslosen Zustand auf einen stillen Zustand gewechselt wird. 607 Hierbei argumentiert Krämer gegen Schlücker 608 , welche einen Situationstypwechsel des Verbs bleiben in der BECOME-Lesart vorschlägt und weist darauf hin, dass Steinitz ’ Abhandlung zur Kopula bleiben keine Erklärung für Einschränkungen des Vorzustandes der BECOME-Lesart des Verbs bleiben angibt. 609 In Krämers Ausführungen kommt Dowtys 610 definierende Darstellung der angewendeten Operatoren zum Einsatz, welche die denotierten Zustände, Vorgänge oder Handlungen mit Hilfe eines Intervallschemas illustriert. Vorweg ist anzumerken, dass die semantischen Beschreibungen nach Dowty 611 oder Vendler 612 geeignet sind, die Inhalte von Sprachzeichen zu explizieren und Signifikate intersubjektiv einsehbar zu vermitteln. Problematisch hierbei ist, dass diese Definitionen für die Operatoren REMAIN (dt.: bleiben) oder BECOME (dt.: werden) nach Dowty lediglich formalisierbare Darstellungen von natürlichsprachlich erklärbaren Sachverhalten wiedergeben und nicht mit Formeln verwechselt werden sollten, welche bei Applikation einen Wahrheitswert liefern, wie unter Umständen suggeriert wird. 613 In der Tat wird lediglich diejenige Formalisierung auf einen zu untersuchenden natürlichsprachlichen Ausdruck angepasst, welche subjektiv bzw. 601 M USAN (1999: 206 f.) 602 K RÄMER (2004) 603 K RÄMER (2004: 273) 604 K RÄMER (2004: 273) 605 S TEINITZ (1990); S TEINITZ (1999) 606 M AIENBORN (1990) 607 K RÄMER (2004: 262) 608 S CHLÜCKER (2007); K RÄMER (2004: 259 ff.) 609 K RÄMER (2004: 257) 610 D OWTY (1979) 611 D OWTY (1979) 612 V ENDLER (1967) 613 K RÄMER (2004: 252) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 121 <?page no="122"?> introspektiv als semantische Beschreibung für probat befunden wurde und somit der entsprechende Wahrheitswert bereits vor der Applikation der Formalisierung assertiert, weswegen er kein experimentell ermittelter oder durch einen formelhaften Rechnungsausdruck erzeugter Wert ist. Dowtys Darstellungen bzw. Formalisierungen repräsentieren keinen applizierbaren Formel- oder Rechnungsausdruck. Derartige Darstellungen bzw. Formalisierungen nach Dowty haben demzufolge keinen eigenen Erkenntniswert, weswegen eine derartige, der Prädikatenlogik entlehnte Notation zur Erklärung der Apperzeption semantischer Komponenten eines natürlichsprachlichen Ausdrucks nicht notwendig ist. Allerdings haben Dowtys Darstellungen bzw. Formalisierungen explikativen Wert und sind für diese Zwecke, nämlich zur erklärenden Deskription des Inhalts eines Zeichenträgers unter Hinzuziehung der muttersprachlichen oder linguistischen Fachkompetenz des Untersuchenden, durchaus angemessen. Hinterfrag- oder kritisierbar sind Krämers natürlichsprachliche Beispiele sowie die subjektive Observation von Zeitintervallen im denotierten außersprachlichen Sachverhalt bzw. dessen semantischer Repräsentation, um vorzuführen, dass die sogenannte BECOME-Lesart, d. h. eine angeblich kontextuell erzeugte WERDEN-Lesart des Verbs bleiben nicht nachvollziehbar ist. Hierfür nennt Krämer das von ihr mit einem Asterisk markierte Beispiel *erst war Hans nüchtern. Dann blieb er betrunken. 614 Vor dem Hintergrund des angestrebten Ziels Krämers Argumentation ist intersubjektiv einsehbar, dass unter der Vorannahme, die Nüchternheit von Hans wäre ein unmittelbarer Vorzustand seiner Betrunkenheit, eine Äußerung wie die Formulierung erst war Hans nüchtern. Dann wurde er betrunken gebräuchlicher ist. Dennoch ist anzumerken, dass eine Äußerung wie die Formulierung erst war Hans nüchtern. Dann blieb er betrunken entgegen Krämer keineswegs falsch oder inakzeptabel ist und desgleichen einen wahrscheinlichen, außersprachlichen Sachverhalt denotiert. Rückschlüsse auf eine Bedeutungskomponente BECOME im Exempel erst war Hans nüchtern. Dann blieb er betrunken lassen sich trotzdem nicht ableiten, denn ein Kontext mit einer frei hinzufügbaren phasendenotierenden Temporalangabe (z. B. erst war Hans nüchtern. Dann blieb er für den Rest des Abends betrunken) ist komplikationslos, wobei in der Intervallapplikation die Phase des Intervalls für den Rest des Abends unmittelbar, d. h. nahtlos an das zeitlich vorgeschaltete Intervall der Phase Hans ’ Nüchternheit anschließt. Das Beispiel erst war Hans nüchtern. Dann blieb er betrunken verletzt deshalb nicht Dowtys Intervallschema für die REMAIN-Lesart. Stattdessen ist annehmbar, dass das Verb bleiben den präsupponierten identischen Vorzustand mitbringt und sich selbst bei einem sprachlich ausgedrückten 614 K RÄMER (2004: 256) 122 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="123"?> nahtlosen Intervall- und Zustandswechsel bzw. Situationstypwechsel innerhalb und nicht zu Beginn des durch es selbst bezeichneten Intervalls verortet. Weitere Beispiele sind ebenfalls fragwürdig, so behauptet Krämer anhand nachfolgenden Beispiels Hans blieb drei Tage in Paris und des von ihr mit einem Asterisk ausgezeichneten Beispiels *Hans blieb innerhalb von drei Tagen in Paris die Zulässigkeit von Zeitdaueradverbialen im Satz Hans blieb drei Tage in Paris und die Unzulässigkeit von Zeitrahmenadverbialen im Satz *Hans blieb innerhalb von drei Tagen in Paris zur Modifikation in Sätzen mit der Kopula bleiben. 615 Die Ungewohntheit einer Formulierung wie die des Satzes (? )Hans blieb innerhalb von drei Tagen in Paris ist eventuell dem Umstand geschuldet, dass eine Präposition, die räumlich sowie zeitlich verwendet werden kann (z. B. innerhalb), in einem Satz mit Orts- (z. B. in Paris) und Temporalangabe (z. B. von drei Tagen) zur Temporalangabe gehörig positioniert wird. An dieser Stelle sind unproblematische Sätze mit einem Zeitrahmenadverbial (z. B. Hans blieb innerhalb dieses Zeitrahmens nervös/ in Paris; Hans blieb während dieser Zeitspanne ein unauffälliger Arbeiter; Hans blieb während dieser Zeitspanne in Paris; Hans blieb vom Beginn bis zum Ende seiner Schulung fleißig; Hans blieb vom Beginn bis zum Ende seiner Schulung ein aufmerksamer Schüler; Hans blieb vom Beginn bis zum Ende seiner Schulung in Paris) zu nennen, die Krämers Behauptung der Unzulässigkeit von Zeitrahmenadverbialen zur Modifikation in Sätzen mit der Kopula bleiben widerlegen. Das Beispiel plötzlich blieb es still 616 ist desgleichen bedenklich. Ein Zustandswechsel ist implizierbar, doch auf das Adverbial plötzlich zurückzuführen, denn sämtliche Verben lassen sich in Sätzen mit dem Adverbial plötzlich im Satzverband als inchoativ oder ingressiv wahrnehmen (z. B. plötzlich schwamm er; plötzlich schlief er; plötzlich verwelkte die Blume; plötzlich rannte sie; plötzlich war er still). Dennoch indiziert der Satz plötzlich blieb es still keine WERDEN-Lesart plötzlich wird es still, denn hierfür fehlt die Dynamik, die Prozesshaftigkeit und der Entwicklungscharakter eines Vorgangs im Verb bleiben. Analog zur Argumentation Krämers, welche insgesamt als subjektiv und introspektiv zu werten ist, könnten als Beleg hierfür die Beispiele der Hund hört auf zu bellen, als es plötzlich still bleibt; der Hund hört auf zu bellen, dann bleibt es plötzlich still; der Hund hört auf zu heulen, als es plötzlich still bleibt; der Hund hört auf zu heulen, dann bleibt es plötzlich still angeführt werden, welche ebenfalls gemäß einer lediglich subjektiv motivierten Lesart potentiell in der Lage sind zu demonstrieren, dass das Verb bleiben einen gleichartigen Vorzustand mitbringt, denn andernfalls hätten die bezeichneten Sachverhalte der zeitlich und materiell vorgeschalteten Haupt- 615 K RÄMER (2004: 258) 616 K RÄMER (2004: 268) 4.2 Die spezifische Fachliteratur 123 <?page no="124"?> sätze der Hund hört auf zu bellen sowie der Hund hört auf zu heulen in den Satzgefügen der Hund hört auf zu bellen, als es plötzlich still bleibt und der Hund hört auf zu heulen, als es plötzlich still bleibt jeweils keine Zeitphase als identischer Vorzustand zur Verfügung, um sich als Reaktion auf das Plötzlich-still-Bleiben auszugeben. Es ist somit desgleichen nicht intersubjektiv einsehbar, weshalb Krämer das Beispiel die Sirene heulte mit einem langanhaltenden Ton. Dann blieb es plötzlich still als wenig akzeptabel einstuft. 617 Resümierend ist hinsichtlich Krämers Methode demzufolge zu konstatieren, dass sich eine Beschreibung des angeblich denotierten außersprachlichen Sachverhalts, z. B. Dowtys Darstellungen bzw. Formalisierungen als semantische Repräsentation oder als eine präskribierte Denotation, nicht dazu eignet, auf intersubjektiv einsehbare Art und Weise den Inhalt eines Zeichenträgers, wie z. B. der Kopula bleiben zu erschließen und diesen zu ermitteln, indem erprobt wird, ob auf den Zeichenträger und seine kontextuelle Einbindung eine bestimmte, im Voraus selegierte Denotation oder eine semantische Repräsentation passt oder nicht passt. Stattdessen gibt es Hinweise darauf, dass der Inhalt eines einfachen oder komplexen Zeichenträgers, z. B. einer Wortform wie die der sogenannten Kopula bleiben oder eines Satzes, vom zeichenhaft realisierten sprachlichen Ausdruck in die außersprachliche Wirklichkeit denotiert und sich während dieses Prozesses seine Denotation selbst konstruiert bzw. ersucht, welche anschließend intersubjektiv einsehbar anhand Dowtys Intervallschema oder mit anderen Methoden beschrieben werden kann. So gelingt es dem Verb bleiben in den obig begutachteten Beispielen immer, die Bezeichnung eines Minimums eines präsupponierten, identischen Vorzustandes zu generieren. Auch wenn es sich bei diesem Minimum nur um das Tausendstel einer Sekunde handeln sollte, ist dieses für die Aufrechterhaltung der REMAIN-Lesart sowie die Denotation bzw. die Bezeichnung eines entsprechenden Intervallschemas nach Dowty hinreichend. Dies gilt auch in Kontexten, welche dem Verb werden zugeschrieben sind, da das Verb bleiben diese von derartigen Kontexten bezeichneten Sachverhalte bei Substitution einfach umordnet (z. B. erst war Hans nüchtern. Dann blieb er betrunken; erst war Hans nüchtern. Dann wurde er betrunken). Helbig erklärt in seinem Aufsatz Zu den Kopulasätzen im Deutschen 618 die Kopulaverben als „ Nicht-Vollverben “ 619 und unterscheidet sie zudem von 617 K RÄMER (2004: 269) 618 H ELBIG (2008) 619 H ELBIG (2008: 81) 124 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="125"?> Hilfsverben, Modalverben, modifizierenden Verben und Funktionsverben. 620 Zur Gruppe der Kopulaverben zählt Helbig „ semantisch ‚ ausgebleicht[e] ‘“ 621 Verben (z. B. sein; werden; bleiben) in Kopulasätzen (z. B. Peter ist dort/ in Berlin; das Finale ist morgen/ nächsten Sonntag; Peter ist frohen Mutes; der Tisch ist aus Eichenholz), welche nach Helbig auf jeden Fall zur Subklasse der Kopulaverben gehören, da sie eine temporale, modale oder stoffliche Charakteristik angeben und postkopulare Elemente demnach als Prädikative aufzufassen seien. 622 Dabei besitzt das Verb sein nach Helbig das Merkmal [+ durativ], das Verb werden das Merkmal [+ inchoativ] und das Verb bleiben das Merkmal [+ durativ/ + kontinuativ]. Helbig unterscheidet in verschiedenen Sätzen ein Verb sein als Vollverb (z. B. ich denke, also bin ich; Gott ist), ein Verb sein als Hilfsverb zur Bildung von Tempusformen (z. B. der Zug ist angekommen) und ein Verb sein als Hilfsverb zur Bezeichnung der Modalität (z. B. das Buch ist zu empfehlen im Sinne von kann/ muss empfohlen werden). 623 Helbig bemängelt die Aufgliederung der Kopulasätze gemäß Helbig/ Buscha 624 in die zwei „ semantischen Satzmodelle [ … ] Identifizierung und Einordnung als Funktionen der Kopulasätze “ 625 und schließt sich im Allgemeinen Geists Theorie einer semantischen Klassifizierung der Kopulasätze sowie ihrem Vorschlag, kontrastive sprachwissenschaftliche Studien insbesondere mit der russischen Sprache hinzuzuziehen, an. 626, 627 Lediglich Geists sogenannte prädizierend-identifizierende Sätze erscheinen Helbig diskussionswürdig. 628 4.3 Fazit Es ist zu konkludieren, dass in der Literatur zur Semantik der Kopula und der kopulaähnlichen Verben vorwiegend für eine sogenannte inhaltliche Leere, inhaltliche Blässe, damit für eine fehlende Signifikation bzw. Konnotation oder Denotation, eine semantisch-syntaktische, semantische oder syntaktische Unselbständigkeit oder für eine Polysemie 629 der untersuchten Kopula oder des 620 H ELBIG (2008: 81); H ELBIG / B USCHA (2001: 44 ff.) 621 H ELBIG (2008: 81) 622 H ELBIG (2008: 81 f.) 623 H ELBIG (2008: 82) 624 H ELBIG / B USCHA (2001: 352 ff.) 625 H ELBIG (2008: 84) 626 H ELBIG (2008: 88 f.); vgl. G EIST (2006) 627 Vgl. die Vorstellung Geists Thesen, s. 4.2.1. 628 H ELBIG (2008: 87) 629 Für den Terminus Polysemantizität insbes., s. S TETTBERGER (1993: 152). 4.3 Fazit 125 <?page no="126"?> untersuchten kopulaähnlichen Verbs argumentiert wird. Dabei wird die Polysemie (auch: Ambiguität) oft aus dem Kontext erklärt, in welchen eine betreffende Kopula oder ein betreffendes kopulaähnliches Verb auf Sprachzeichenebene eingebunden ist oder in welchem der durch die Kopula bzw. das kopulaähnliche Verb oder den Kopula-Prädikativ-Komplex denotierte Sachverhalt in der Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit zu verstehen sei. Hinzu treten jedoch Annahmen über sogenannte Un- oder Unterspezifiziertheiten, eine sogenannte Un- oder Unterdeterminiertheit sowie eine besondere inhaltliche Leere bzw. Blässe der Kopula oder des kopulaähnlichen Verbs. Durch die Postulierung von inhaltlichen Schwankungen hinsichtlich der Kopula, des kopulaähnlichen Verbs bzw. des Kopula-Prädikativ-Komplexes wird verhindert, dass sich ein einziges monosemes Verb oder mehrere homonyme Verben mit einem jeweils eindeutigen, zuordenbaren lexikalischen Gehalt im Lexikon manifestieren. Denn eine angebliche semantische Blässe, Un- oder Unterdeterminiertheit, Un- oder Unterspezifiziertheit der Kopula oder des kopulaähnlichen Verbs resultiert aufgrund der behaupteten semantischen oder syntaktischen Unselbständigkeit dieser Verben wiederum in eine Polysemie derselbigen, auch wenn diese Polysemie meist dem wohlgemerkt bereits auf Zeichenebene formal sehr heterogenen Verband aus Kopula bzw. kopulaähnlichem Verb und verschiedensten Realisierungsformen des Prädikativs zugeschrieben wird, um gleichzeitig die Behauptung eben jener semantischen Blässe, Un- oder Unterdeterminiertheit, Un- oder Unterspezifiziertheit der Kopula oder des kopulaähnlichen Verbs aufrechtzuhalten, womit sich der Kreis der Argumentation schließt. Die Behauptung einer inhaltlichen Leere der Kopula oder des kopulaähnlichen Verbs unterbricht konsequent gedacht diesen Kreis der Argumentation, führt jedoch dazu, dass sich Homonyme für die Wortformen der Kopula oder kopulaähnlichen Verben ergeben, wodurch die Frage aufgeworfen wird, wann welches Homonym in einem beliebigen zeichenhaften komplexen Ausdruck vorliegt. Es ist einsehbar, dass die syntaktische und semantische Einbettung der betreffenden Verben in einen Ausdruck Aufschluss darüber geben kann, ob es sich um Homonyme handelt und dass außerdem die Thesen zur Polysemie, semantischen Blässe, Un- oder Unterdeterminiertheit, Un- oder Unterspezifiziertheit der Kopula oder des kopulaähnlichen Verbs überprüft werden müssen. Der obige Forschungsüberblick arbeitet heraus, dass in einschlägigen Studien zur Semantik der Kopula, des kopulaähnlichen Verbs oder der Kopula-Prädikativ-Komplexe derartige Annahmen vertreten werden und wo eine Mehrdeutigkeit oder inhaltliche Leere bzw. Blässe in der semantischen oder syntaktischen Struktur von Kopula-Prädikativ-Komplexen verortet wird, wie diese 126 4 Der Kopula-Prädikativ-Komplex in der Fachliteratur <?page no="127"?> Annahmen begründet, hergeleitet und beschrieben werden, als auch auf welche Art und Weise in diesem Zusammenhang der λ -Abstraktor angewendet wird. Die Verwendung des λ -Abstraktors zu diesem Zweck gibt zudem Aufschluss darüber, mit welchen kohärenten oder inkohärenten semiotischen Modellen und Argumentationen einzelne Studien ihre Zielsetzungen hinsichtlich der Erforschung der Semantik der Kopula, des kopulaähnlichen Verbs und der Kopula-Prädikativ-Komplexe verfolgen. Anhand Erbens Aufsatz zur Kopula 630 (s. 4.2.2) kann gezeigt werden, wie ein Ansatz der Valenztheorie eine neue Perspektive auf die Kopula als Vollverb oder als einem Vollverb gleichwertig eröffnet und welche Konsequenzen sich daraus für das Verständnis der Semantik der Kopula sowie der kopulaähnlichen Verben ergeben können (s. 6.4). Eine weitere Publikation im Rahmen der valenztheoretischen Ansätze, Helbigs Reflexion zu den Kopulasätzen im Deutschen 631 (s. 4.2.2), veranschaulicht, welche Konflikte und welche Stagnation im Forschungsprozess sich unter Umständen ergeben, wenn eine valenzbasierte Grammatiktheorie auf Forschungsergebnisse aus Untersuchungen zur Semantik einer Wortgruppe, z. B. die Gruppe der sogenannten Kopulae und kopulaähnlichen Verben, zurückgreift, welche ihrerseits von Vorannahmen aus einer traditionellen Grammatikschreibung, namentlich der Zusammenfassung von Kopula und Prädikativ zu einem Prädikatkomplex sowie einem diesem gegenüberstehenden syntaktischen Subjekt und von einer semantischen Leere bzw. Blässe der Kopula als faits accomplis, ausgehen. Somit kann im Forschungsüberblick bereits eingeleitet werden, dass sich für eine Untersuchung der syntaktischen und semantischen Einbindung der sogenannten Kopula a priori insbesondere eine der traditionellen, binären syntaktischen Gliederung des deutschen Aussagesatzes verhaftete und eine von der potentiellen Mehrgliedrigkeit der deutschen Syntax ausgehende Methodik gegenüberstehen sowie dass eine detaillierte Analyse des sprachlichen Urteils unabdingbar ist, um eine Stagnation in der Erforschung morphosyntaktischer und logisch-semantischer Strukturen zu vermeiden und statt dessen Erkenntnisse zu gewinnen. 630 E RBEN (1978) 631 H ELBIG (2008) 4.3 Fazit 127 <?page no="128"?> 5 Kopula und logische Prädikation Logik ist das Aufschlussreich, in dem die Sonne nicht untergeht. (Manfred Hinrich) Dem Begriff der Kopula (lat.: copulare; dt.: verbinden; verknüpfen; zusammenkoppeln) vorausgehend ist derjenige der Prädikation (lat.: praedicare; dt.: ausrufen; zusprechen). Dabei muss der moderne Prädikatbegriff vom Prädikatbegriff der traditionellen Logik unterschieden werden. Die Etablierung des traditionellen Prädikatbegriffs wird zumeist Aristoteles zugeschrieben und währte bis ins 19. Jahrhundert oder zum Teil darüber hinaus bis in die Gegenwart. Der moderne Prädikatbegriff wurde von Frege dargelegt und identifiziert die Bedeutung des grammatischen Prädikats als Begriff und die Natur des Begriffs als prädikativ. 632 Dabei muss nach Frege das Prädizieren vom Urteilen getrennt werden 633 und ob einer Kritik am Verständnis eines Aussagesatzes in der traditionellen Grammatikschreibung anerkannt werden, dass Sprache und Logik miteinander verbunden sind. 634 Neben seinen sprachphilosophischen Schriften 635 stellt Frege deshalb Studien zum Wesen der Logik selbst an. 636 Bevor auf die traditionelle Aussagenlogik, auf das grammatische Prädikat sowie das grammatische Subjekt und den modernen Prädikatbegriff eingegangen wird, muss aus diesem Grund das griechische Wort λόγος (dt.: Logos), dessen Übersetzung oft als das Wort Argument angegeben ist, eingehender betrachtet werden. 5.1 Der Logos Das Wort Logos (griech.: λόγος ) ist im deutschsprachigen Raum als solches anzutreffen 637 und deshalb in seinem individuellen Sprachgebrauch als phi- 632 F REGE (2002 [1892]b: 48); vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 27) 633 F REGE (2001 [1906]: 74) 634 F REGE (2001 [1897]: 39 ff.) 635 Insbes.: F REGE (2001 [1892 - 1895]); F REGE (2002 [1891]); F REGE (2002 [1892]a); F REGE (2002 [1892]b) 636 Insbes.: F REGE (2001 [1897]); F REGE (2001 [1906]); F REGE (2001 [1882]); F REGE (2001 [1914]); F REGE (2001 [nicht vor 1923]) 637 Vgl. z. B. K IRCHENRAT DER E VANGELISCH - REFORMIERTEN L ANDESKIRCHE DES K ANTONS Z ÜRICH (Hrsg. 2007b: 144, Johannes 1, 1 - 5); vgl. z. B. ‚ Logos ‘ auf Duden online <?page no="129"?> losophischer Fachterminus nicht notwendig gleichbedeutend mit seinen Übersetzungen in eine jeweilige Einzelsprache. Ueding und Eiseler nennen u. a. die Begriffe Vernunft, Denken, Sprache, Rede, Satz, Definition, Ausdruck, Darlegung, Sinn, Berechnung, Rechenschaft, Rechtfertigung; Erklärung, Beweisführung, Grund, Argument; Verhältnis, Proportion, Maß, Regel, Gesetz, Prinzip als Übersetzungen ins Deutsche. 638 Ueding weist auf inhaltliche Aspekte im Begriff des Logos hin und erwähnt zunächst, dass der Begriff Logos selbst in denjenigen Verwendungsweisen, in welchen das natürliche Sprachvermögen als Logos bezeichnet ist, auf die prinzipielle Fähigkeit zu artikulierter, sinnhafter sprachlicher Äußerung abgehoben wird, „ nicht auf linguistische Sprachkompetenz “ 639 . Diese Bemerkung Uedings ist isoliert betrachtet problematisch, da das Potential zu sinnhafter sprachlicher Äußerung oder sprachlich gefasster gedanklicher Operation unmittelbar von der grammatischen Kompetenz des Sprechers abhängig ist und somit die linguistische Sprachkompetenz für das Zustandekommen eines sinnhaften Arguments, sowohl desjenigen in Form eines Aussagesatzes als auch desjenigen im Textzusammenhang relevant ist. Durch das Erkennen anhand grammatischer Kompetenz, d. h. unter Hinzuziehung der Regeln syntaktischer Wohlgeformtheit, was und damit welche Begriffe geäußert oder gedacht wurden, ist überhaupt begriffliches logisches Denken, eine Beurteilung der Wahrheit oder Falschheit der Begriffe, ihres Vernunftgehalts bzw. ihrer Rationalität oder Irrationalität in einem bestimmten argumentativen Kontext möglich, was für die Apperzeption des Logos wesentlich ist. Ueding fährt deshalb fort und erklärt: „ L. [Logos] ist daher nicht nur artikulierte, sondern darüber hinaus immer auch sinnhaltige und sinnvermittelnde Äußerung, sowohl im primären, linguistisch-grammatischen als auch in einem höheren (z. B. logischen oder rhetorischen) Sinne. “ 640 Schließlich resümiert Ueding: „ Seine [des Logos ’ ] Bedeutungsspanne reicht dabei von der einfachen Überlegung der Alltagsvernunft bin zum subtilsten und abstraktesten formallogischen Kalkül. Seine Hauptbedeutungsstränge, der sprachliche und der rational-logische, sind eng miteinander verflochten und verweisen beständig aufeinander, zumal oft geradezu eine Homologie bzw. Isotopie von Denken und Sprache unterstellt wird. <L.> [Logos] wird so zur Bezeichnung für die menschliche Vernunft und ihre Tätigkeit schlechthin. Auch die in den rationalen Ordnungen, Proportionen und Strukturen des Kosmos waltende höhere Vernunft oder Äußerungen dieser meist göttlich gedachten Weltvernunft werden als L. [Logos] interpretiert. “ 641 638 Vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 624); vgl. E ISLER (Hrsg. 1910b: 732 - 734, Logos) 639 U EDING (Hrsg. 2001: 624) 640 U EDING (Hrsg. 2001: 624) 641 U EDING (Hrsg. 2001: 625 f.) 5.1 Der Logos 129 <?page no="130"?> Der Logos ist bei Heraklit eine allgemeine Gesetzmäßigkeit. Im Folgenden sind die heraklitischen Quellen wiedergegeben, wobei in der Übersetzung von Diels/ Kranz der Logos als Sinn übersetzt wird. Nach Heraklit ist indiziert, dass „ alles diesem Logos gemäß geschieht “ 642 . Als gemeinsame Denkform 643 und als „ Denkverfahren “ 644 steht der Logos den Menschen zur Verfügung. Bei Heraklit existiert der Logos demzufolge auch außerhalb des menschlichen Verstandes und unabhängig vom Denken sowie der Erkenntnis der Menschen, denn es sei Pflicht, dem Logos zu folgen 645 , da der Menschen Seele Zugang zu einem grenzenlosen Logos habe. 646 Nach dem Logos als ein Weltgesetz, als eine Weltvernunft, als Sinn oder als allgemeines Regelungsprinzip 647 , verlaufen alle Geschehnisse 648 , und demzufolge ist alles mit allem verbunden, weswegen konstatiert wird, im Logos sei alles eins 649 : „ Haben sie nicht mich, sondern den Sinn [Logos] vernommen, so ist es weise, dem Sinne gemäß zu sagen, alles sei eins. “ 650, 651 Platon bestimmt den leitenden Seelenteil als den logoshaften (griech.: λογιστιχόν ) 652 . Im dialektischen Gespräch zwischen zwei Rednern tritt nach Platon der Logos als etwas Drittes und Objektives hinzu. 653 In Platons Dialog Theaitetos ist das Wort λόγος mit dem Begriff Begründung übersetzt 654 : „ Unter logos ist ganz allgemein ‚ rationale Rede ‘ zu verstehen. Erkenntnis ist also nach der von Theätet vorgeschlagenen Definition eine Meinung, die sich rational begründen läßt. Je besser die Begründung ist, desto geringer ist der Unterschied zum eigentlichen Wissen. “ 655 Des Weiteren wird die These aufgestellt, dass nur das Zusammengesetzte erkennbar sei: 642 D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 151, 22 B 1, Sextus Empiricus, adv. math. VII, 132) 643 Vgl. D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 151, 22 B 2, Sextus Empiricus, adv. math. VII, 133); vgl. F RÄNKEL (1968) 644 S CHADEWALDT (1978: 373) 645 Vgl. D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 151, 22 B 2, Sextus Empiricus, adv. math. VII, 133) 646 D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 161, 22 B 45, Diog. Laert. IX, 7) 647 Vgl. H ELD (1980: 176); vgl. E ISLER (Hrsg. 1910: 732 - 734, Logos) 648 Vgl. D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 151, 22 B 2, Sextus Empiricus, adv. math. VII, 132); vgl. E ISLER (Hrsg. 1910b: 732 - 734, Logos) 649 Vgl. D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 161, 22 B 50, Hippolytos, haer. IX, 9, 1) 650 D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 161, 22 B 50, Hippolytos, haer. IX, 9, 1) 651 Vgl. die folgende abweichende Übersetzung von Hippolytos, haer. IX, 9, 1: „ Wenn ihr nicht auf mich, sondern auf den Logos gehört habt, werden wir gemeinsam zu der lichten Weisheit kommen, dass Eines alles ist. “ (B URCKHARDT / H ERAKLIT (1881: 34)). 652 P LATON (1971 [vmtl. ca. 390 v. Chr. - 370 v. Chr]: 342 - 349, Buch IV, 439d - 441c) 653 U EDING (Hrsg. 2001: 628) 654 S EECK (2010: 132 - 144, 201c7 - 210b3) 655 S EECK (2010: 134, 201c8) 130 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="131"?> „ Sokrates referiert eine Ansicht, nach der man die kleinsten Teile (die elementaren Einheiten einer Sache) für sich genommen nur mit Namen (ónoma) versehen, aber keine Aussage (logos) darüber machen könne, weil Aussagen (Sätze) bereits etwas aus Teilen (Namen, d. h. Wörtern) Zusammengesetztes sind. Um über eine Einheit reden und sie erklären zu können, müßte man mindestens eine zweite Einheit hinzunehmen. Die Folgerung, das würde dem Begriff der Einheit widersprechen, ist eine sophistische Paradoxie, aber der dahinter stehende Gedanke ist unbestreitbar richtig “ 656 . Seeck attestiert eine versuchte Steigerung dieser Paradoxie wiederum durch die Sophisten selbst, indem sie alles aufzählten, „ was man von den elementaren Einheiten angeblich nicht aussagen könne, angefangen beim ‚ Sein ‘ (ousía) “ 657, 658 Sokrates erwähnt des Weiteren drei Definitionen von Logos 659 : Erstens, „ etwas zu einer Sache sagen “ 660 ; Zweitens, „ die Bestandteile einer Sache nennen “ 661 und Drittens, „ ein Unterscheidungsmerkmal angeben “ 662 . Platon erläutert im Dialog Theaitetos somit die Auffassung, dass das, was in begründeter, rational dargelegter Form sich als Teil des Logos wiederfindet, Gegenstand des Wissens sein kann. 663 Überdies spricht Platon von einer Weltseele (griech. ψυχὴ κόσμου ). 664 Der Logos der Stoa betrifft das Prinzip der Kausalität, und die davon abgeleitete Logik erfasst demgemäß die formalen Regeln des Denkens, des richtigen Argumentierens und die Sprache, mit der Kausalzusammenhänge oder gedankliche Operationen ausgedrückt werden. Demzufolge haben die Stoiker Studien zur Grammatik und Logik getätigt, so dass der Stoiker Chrysippos von Soli einen formal präzisen Kalkül entdeckte und drei Beweisfiguren, die Konjunktion a ˄ b: Sowohl es ist Tag, als auch ist es hell, die Disjunktion a ˅ b: Entweder ist es Tag, oder es ist Nacht und die Implikation a → b: Weil (dadurch, dass) es Tag 656 S EECK (2010: 135, 201e1 - 203b11) 657 S EECK (2010: 135, 201e4 - 202a7) 658 Seeck merkt an, dass sich die Buchstaben besser als Silben als Exempel eigneten, da durch die bloße Erfassung von Silben oder Wörtern bereits gelehrt wird, „ sich eine Meinung zu bilden, ohne genau hinzusehen. “ (S EECK (2010: 140, Fn. 166)) Aus praktischen Gründen werden in der vorliegenden Studie zur Satzanalyse Wortformen, keine Buchstaben, Silben, lexikalische oder grammatische Morpheme als elementare Einheiten verwendet, allerdings wird Seecks Hinweis zu den Buchstaben als eigentliche elementare Einheiten einer Sprache als zutreffend befunden. 659 S EECK (2010: 138 f., 208c2 - 208e6) 660 S EECK (2010: 139, 206d1 - 206e6) 661 S EECK (2010: 139 - 141, 206e6 - 208b12) 662 S EECK (2010: 141 - 144, 208c7 - 210a9) 663 S EECK (2010: 132 - 144, 201c7 - 210b3) 664 P LATON (1972 [vmtl. ca. 360 v. Chr. - 347 v. Chr]: 38 f., Timaios, 30b - c, 46 f., 34a - c, 50 ff., 36b - e, 37a - c) 5.1 Der Logos 131 <?page no="132"?> ist, ist es hell aufstellte. 665 In der stoischen Physik wirkt der Logos als das tätige Weltprinzip neben der passivischen Materie 666 und ist nach Polenz schöpferischer Gestalter oder Gottheit der Welt. 667 Ebenso gilt nach Polenz der Logos der stoischen Logosphilosophie als Träger der geistigen Existenz und betrifft die Sprache als Ausdrucksform, die Sprachinhalte sowie Denkformen. 668 Cicero verwendet zur Erklärung der stoischen Auffassung u. a. den Begriff Weltgeist (lat.: mens mundi) 669 und erklärt, dass das Weltall mitsamt seines Urstoffes, welcher dasselbige schützt und umschließt, empfindsam, beseelt und vernunftbegabt sei, da das Weltall empfindsame, beseelte und vernunftbegabte Wesen hervorbringe. 670 Dies ist nach Mark Aurel derart zu verstehen, dass der Logos das All verwaltet und die Menschen mit diesem Logos in Verbindung stehen können. 671 Aristoteles erkennt den Logos als Begriff und Vernunft. Er unterschiedet den Begriff exô logos (dt.: Wort; äußerliche Rede) vom dem Begriff esô logos (dt.: Gedanke in der Seele; Gedanken in der Rede): „ Sätze, welche nothwendig durch sich selbst sind und nothwendig so aufgefasst werden, sind keine Voraussetzungen und keine Forderungen; denn der Beweis bezieht sich nicht auf die äusserliche Rede oder den äusserlichen Beweis, sondern auf die Gedanken in der Rede und dies gilt auch von dem Schlusse; denn man kann gegen die äusserliche Rede immer Einwendungen erheben, aber nicht immer gegen den inneren Gedanken. “ 672 Nach Ueding stellt Aristoteles den Logos (qua Begriff, Definition, Struktur) der Materie gegenüber. 673 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus Die Begründung der Logik wird i. A. in der assertorischen Syllogistik Aristoteles ’ gesehen, die im Wesentlichen in seinem Werk Analytica Priora (dt.: Erste 665 H ÜLSER (Hrsg. 1988a: 1143, Fragment 914/ § 72, 1172, Fragment 923, 1218, Fragment 955, 1234 ff., Fragment 968/ § 125); vgl. H ÜLSER (Hrsg. 1988b: 1530 - 1534, Fragmente 1130 - 1131) 666 I OANNES AB A RNIM (Hrsg. 1964 [1903 - 1905]a: 24 - 26, B. Physica); I OANNES AB A RNIM (Hrsg. 1964 [1903 - 1905]b: 111, Physica. I Physicae doctrinae fundamenta, § 1. De duobus principiis, materia et causa, 299 f.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 628) 667 P OHLENZ (1948: 64 - 110) 668 P OHLENZ (1948: 22 - 63) 669 C ICERO (1995: 166 f., 2. Buch, 58) 670 C ICERO (1995: 136 f., 142 ff., 166 f., 2. Buch, 22, 29 f., 57) 671 Vgl. D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 167, 22 B 72, Mark Aurel IV, 46) 672 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]b: 21, 1. Buch, Kap. 10) 673 K IRCHMANN (Hrsg. 1871a: 85, Buch I(A), Kap. 10, 115 - 122, Buch III(B), Kap. 2, 318 - 322, Buch VI(E), Kap. 1, 382 - 392, Buch VII(Z), Kap. 10); K IRCHMANN (Hrsg. 1871b: 12 ff., 1. Buch, Kap. 1, 53, 59 ff., 2. Buch, Kap. 1, 62 f., 67 f., 2. Buch, Kap. 2); P RANTL (Hrsg. 1854: 153 - 156, Buch IV, Kap. 1); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 628) 132 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="133"?> Analytik), datiert etwa auf das Jahr 400 v. Chr., niedergelegt ist. Die Syllogistik Aristoteles ’ wurde jahrtausendelang als Forschungsgegenstand oder Methodik logischen Schließens tradiert, so dass mehrere Übersetzungen der Sammlung des Organon 674 Aristoteles ’ , welche die Analytica Priora 675 enthält, vorhanden sind: „ Die älteste lateinische Uebersetzung ist von Boethius, um die Jahre 450 bis 526 nach Chr. “ 676 Nach Grabmann haben die Übersetzungen der Kategorien und der Peri hermeneias (auch: De Interpretatione; Hermeneutica) des Boethius erst am Anfang des 10. Jahrhunderts Verbreitung gefunden, während die Übersetzungen Boethius ’ des zweiten Teils des Organon, der Bücher Analytica Priora, Analytica Posterior, Topik sowie Elenchik (auch: De sophisticis elenchis; Über die sophistischen Widerlegungen) verloren gegegangen sind, und eine Benutzung dieser Schriften erst ab dem 12. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. 677 Außerdem hat nach Scherabon Firchow Notker der Deutsche (oder Teutonicus), der dritte unter diesem Namen bekannte Mönch, die lateinische Übersetzung Aristoteles ’ Peri hermeneias nach Boethius wiederum um das Jahr 1000 nach Chr. in den althochdeutschen Dialekt des Hochalemannisch übersetzt und kommentiert (Codex Sangallensis 818). 678 Im Folgenden wird hier die unverfängliche Benennung Syllogistik Aristoteles ’ verwendet, während Aspekte des Organon Aristoteles ’ dargelegt werden, welche einleitend für die vorliegende Untersuchung relevant sind. Hierfür wird aufgrund ihrer logizistischen Sprache insbesondere die Übersetzung Kirchmanns der aristotelischen Schriften zitiert, da sie gegenüber einigen neueren Übersetzungen dem Verständnis der Inhalte der Schriften Aristoteles ’ in weiten Teilen besonders zuträglich ist. Aristoteles definiert in der Analytica Priora einen Syllogismus folgendermaßen: „ Der Schluss ist nun eine Rede, bei welcher Einiges vorausgesetzt wird und dann daraus etwas davon Verschiedenes sich mit Nothwendigkeit vermittelst jener Vordersätze ergiebt. “ 679 Der lateinische Begriff syllogismus ist als das griechische Wort συλλογισμός übernommen. Je Syllogismus stellt Aristoteles je zwei von drei Begriffen in zwei Prämissen (auch: Vordersätze; Voraussetzungen) und einer Konklusion (auch: Schluss; Schlussfolgerung) zueinander in Bezug, um die Methodik des gültigen Schlussfolgerns zu veranschaulichen. Die Bezeichnung des ersten und zweiten Vordersatzes als 674 K IRCHMANN (Hrsg. 1883) 675 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a) 676 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: V) 677 G RABMANN (1937: 10); vgl. G EYER (1917) 678 N OTKER DER D EUTSCHE VON S T . G ALLEN (1995 [ca. 1000]: IX) 679 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1882]: 1, Buch 1, Kap. 1) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 133 <?page no="134"?> Obersatz und Untersatz ist auf Aristoteles zurückzuführen. 680 Die Begriffe werden in frühen Übersetzungen der Analytica Priora Oberbegriff (lat.: terminus major), Mittelbegriff (lat.: terminus medius) und Unterbegriff (lat.: terminus minor) genannt. 681 Kneale/ Kneale geben an, dass eine Definition der Termini Oberbegriff und Unterbegiff aus einer Zuordenbarkeit in Aristoteles ’ Werk schwer abzuleiten ist 682 , fügen jedoch folgenden Vorschlag zur Handhabung des Problems an: „ Since the seventeenth century most writers have adopted the suggestion of John Philoponus that the major term be defined as the predicate of the conclusion. Philoponus clearly recognizes, that this is an arbitrary decision “ 683, 684 Kneale/ Kneale stellen außerdem fest, dass sich nach der Etablierung der Annahme, der Oberbegriff sei das Prädikat der Konklusion, die Bezeichnungen für die Begriffe eines Syllogismus seit dem 17. Jahrhundert nach Johannes Philoponus mehrheitlich von Oberbegriff und Unterbegriff zu Prädikat und Subjekt wandelten 685 , weshalb sie oft in Form der Buchstaben P und S abgekürzt werden. Da die Verwechslung der Position des grammatischen Subjekts oder des grammatischen Prädikats mit der Funktion als logisches Subjekt bzw. als logisches Prädikat zu Missverständnissen und Fehlern führen kann, werden im Folgenden die Ersetzungen der Begriffe Oberbegriff (O) mit dem Kürzel P für Prädikat und Unterbegriff (U) mit dem Kürzel S für Subjekt abgelehnt. 686 Dennoch kann eine Beschreibung mittels einer historischen Interpretation der Terme in den Syllogismen als Oberbegriff, Mittelbegriff und Unterbegriff nach Johannes Philoponus aufgrund der Schwierigkeit der Zuordnung der Begriffe zu Definitionen im Originalwerk nicht umgangen werden. Um einen Syllogismus sowie seine historisch spätere Assoziation mit Interpretationen von Kopulasätzen einzusehen und kritisch zu reflektieren, ist es wesentlich, die aristotelischen Definitionen eines Satzes, eines Begriffs und 680 Vgl. z. B. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 6 - 16, insbes. 7, 1. Buch, 4., 5., 6. Kap.); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 67) 681 Vgl. z. B. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 6 - 16, 56, 1. Buch, 4., 5., 6., 25. Kap.); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 67 ff.) 682 K NEALE / K NEALE (1991: 69) 683 K NEALE / K NEALE (1991: 71) 684 Zur Arbitrarität dieser Festlegung des Oberbegriffs als Prädikat der Konklusion durch Johannes Philoponus, vgl. I OANNIS P HILOPONI (1905/ MCMV [ca. 490 - 575]: 67); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 71) 685 K NEALE / K NEALE (1991: 71); vgl. z. B. M ORGAN (1966 [1846]: 1 f.) 686 Vgl. folgendes Zitat Freges: „ Wir werden die bei den Logikern beliebten Ausdrücke ‚ Subjekt ‘ und ‚ Prädikat ‘ ganz vermeiden, zumal dadurch nicht nur Wiedererkennungen erschwert, sondern auch vorhandene Unterschiede verdeckt werden. “ (F REGE (2001 [1897]: 61) 134 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="135"?> eines Schlusses genau anzugeben. In der Übersetzung von Kirchmann sind diese folgendermaßen wiedergegeben: „ Ein Satz ist nun eine Aussage, welche etwas von einem Anderen bejaht oder verneint; [ … ] Einen Begriff nenne ich das, in was ein Satz aufgelöst wird, also das Ausgesagte und das, von dem etwas ausgesagt wird, mag das Sein oder Nicht-sein hinzugefügt oder abgetrennt werden. [ … ] Ein Schluss ist eine Rede, wo in Folge von Aufstellung mehrerer Sätze etwas von diesen Verschiedenes sich nothwendig ergiebt, und zwar dadurch, dass diese Sätze so lauten. Mit den Worten ‚ dadurch, dass diese Sätze so lauten ‘ meine ich, dass dadurch die Folge sich ergiebt, und unter dem ‚ dass dadurch die Folge sich ergiebt ‘ , dass man keines weiteren Begriffes bedarf, um die Folge zu einer nothwenigen zu machen. “ 687 Anschließend werden nach Aristoteles die drei Begriffe O, M und U den Vordersätzen sowie dem Schlusssatz zugeordnet, derart, dass O und M im ersten Vordersatz, U und M im zweiten Vordersatz und U und O im Schlusssatz vorkommen. Die entstandenen Muster zur Belegung der Begriffe werden Figuren (griech.: σχἠματα ; dt.: Schemata) (Tab. 1) genannt. Aristoteles erwähnt drei Figuren. Die vierte Figur wurde gemäß Kirchmann von dem Arzt Galenus erfunden: „ Die von dem Arzt Galenus erfundene vierte Figur ist nur eine Umstellung der ersten des Aristoteles; sie schmiegt sich zwar dem Sprachgebrauche leichter an, als die erste des Aristoteles, dagegen entspricht letztere mehr dem logischen Sachverhalt und dem wissenschaftlichen Gebrauche und es kann deshalb mit Recht die Galenisches Figur ganz bei Seite bleiben. “ 688 Die untige Tabelle (Tab. 1) ist in Anlehnung an Kneale/ Kneale 689 aufgestellt, verwendet jedoch die Bezeichnungen Oberbegriff (O), Mittelbegriff (M) und Unterbegriff (U), wobei die Position links jeweils die Position desjenigen Begriffs ist, welcher als logisches Prädikat fungiert und die Position rechts die Position des logischen Subjekts darstellen soll. Kneale/ Kneale weisen darauf hin, dass diese strikte Anordnung der Abfolge der Begriffe und des ersten und zweiten Vordersatzes keine zwingende Vorschrift erteilt: „ But although he uses his notion of position in formulation as an explanatory device, always putting the major term before the minor, this can scarcely be all that he had in mind; for it would give a artificial importance to the order of the premisses, and Aristotle rightly saw nothing sacrosanct in their order. “ 690 687 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 1 - 3, 1. Buch, 1. Kap.) 688 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: VII) 689 K NEALE / K NEALE (1991: 68) 690 K NEALE / K NEALE (1991: 70) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 135 <?page no="136"?> Belegung der Figuren 1. Figur 2. Figur 3. Figur 1. Vordersatz O-M M-O O-M 2. Vordersatz M-U M-U U-M Schluss O-U O-U O-U Tab. 1: Figuren der Syllogistik Aristoteles ’ 691 Aristoteles erläutert: „ Jeder Satz sagt entweder ein einfaches Sein, oder ein nothwendiges Sein oder ein statthaftes Sein aus und ein Satz kann in Bezug auf diesen Zusatz entweder bejahend oder verneinend lauten; ferner können sowohl die bejahenden wie die verneinenden Sätze entweder allgemein oder beschränkt oder unbestimmt lauten. “ 692 Nach dem Aufstellen der drei Begriffe erfolgt somit eine Klassifizierung der einzelnen Aussagen, welche in der nachfolgenden Tabelle als sogenannter Typ einer Aussage mit einem Buchstaben (I; A; O; E) angegeben ist (Tab. 2). Auf die unbestimmten Sätze, für welche die Frage, ob sie allgemein oder beschränkt seien, unentschieden bleibt, 693 wird an dieser Stelle nicht eingegangen. Quantität/ Qualität bejahend verneinend beschränkt Aussage des Typs I Aussage des Typs O allgemein Aussage des Typs A Aussage des Typs E Tab. 2: Quantität und Qualität in einem Syllogismus Aristoteles ’ 694 Eine weitere Klassifikation ist vornehmbar, indem er jede Prämisse und jede Konklusion einem der obig genannten vier Aussagetypen A, I, E oder O zuordnet, so dass je Syllogismus mehrere Möglichkeiten der Begriffskombination entstehen, die Modi genannt werden. 695 Aristoteles zeichnet die erste Figur sowie ihre Syllogismen als vollkommen (griech.: τέλειος συλλογισμός ) aus und beschreibt, auf welche Weise die Modi aller Figuren auf Modi der vollkommenen Figur reduzierbar sind. 696 Aristoteles, welcher die Deduktion 691 Vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 68) 692 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 3, 1. Buch, 1. Kap.) 693 Vgl. K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 7 f., 4. B. 1. K. 1. S. 2., Erl. 4.) 694 Vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 55 f., 1. Buch, Kap. 24, 17 f., 1. Buch, Kap. 7); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1882]: 60 - 64, Buch 3, Kap. 6); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 55) 695 Vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 231 - 234); H AMBLIN (1970: 117, Fn. 1) 696 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 52 - 55, 1. Buch, Kap. 23); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 73) 136 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="137"?> gegenüber der Induktion hervorhebt 697 , stellt die einzelnen Schlussweisen akribisch vor: „ Nachdem dies auseinandergesetzt worden, will ich nun darlegen, wodurch und wenn und wie alle Schlüsse zu Stande kommen. Später habe ich dann über den Beweis zu sprechen; vor dem Beweis habe ich aber über den Schluss zu sprechen, weil der Schluss das Allgemeinere ist, denn der Beweis ist wohl eine Art des Schlusses, aber nicht jeder Schluss ist ein Beweis. “ 698 Nach Kirchmann gilt ferner, dass sich gemäß der Darlegungen Aristoteles ’ alle Lehrsätze, mit Ausnahme der Modalität, beweisen lassen, er bemerkt hierzu jedoch an: „ Freilich muss man dabei sich streng an die Ausdrucksweise des Aristoteles halten, die Benutzung der Galenischen Schlussfigur bei Seite lassen und festhalten, dass wenn es heisst: Das Prädikat (A) ist in dem ganzen Subjekt (B) enthalten, dies nur von dem Begriff des Prädikats A, aber nicht von seinem Umfange zu verstehen ist und dass damit dasselbe, aber viel logischer ausgedrückt ist, als wenn man sagt: Allen einzelnen Subjekten des Begriffs (B), kommt das Prädikat (A) zu. “ 699 Demgegenüber erläutern Kneale/ Kneale, dass eine Extension implizierende Lesart von Aussagen, welche die Terme in Position des logischen Subjekts sowie des logischen Prädikats als Namen für Klassen interpretiert, zwar eine Austauschbarkeit der Terme erwirkt, aber den Nachteil nach sich zieht, „ that the copula must have different meanings in statements of different forms. ‚ All men are animals ‘ is taken to mean ‘ The class of men is included in the class of animals ‘ but ‚ Some men are white ‘ to mean ‚ The class of men overlaps with the class of white things. ‘ Moreover, sentences understood in this way cannot have singular terms as subjects. “ 700 Festzuhalten gilt somit an dieser Stelle die Anempfehlung der Lesart nach Kirchmann sowie die aus dem Gebilde eines Syllogismus hervorgehende Tatsache, dass eine Konklusion innerhalb eines einzigen Aussagesatzes oder einer Prämisse nicht stattfindet, sondern dass die Konklusion, d. h. das gültige Urteil als Behauptungssatz in Form eines Aussagesatzes als Folge vorangehender Prämissen sich aus den Prämissen ergibt. Dabei handelt es sich um eine Gesetzmäßigkeit. Kneale/ Kneale weisen darauf hin, dass logische Inferenz nicht primär innerhalb eines einzigen Behauptungssatzes stattfindet und erklären: „ logic is concerned with the relations between propositions “ 701 Resümiert werden kann, dass ein Syllogismus demzufolge komplikationslos auf 697 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: VIII - X) 698 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 6, Buch 1, Kap. 4) 699 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: VII) 700 K NEALE / K NEALE (1991: 65) 701 K NEALE / K NEALE (1991: 54) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 137 <?page no="138"?> Termen, welche für Begriffe stehen sowie den gesetzten Quantitäten der Gegenstände in deren bezeichneten Begriffsumfängen operiert. Dabei ist es für die Gültigkeit eines Syllogismus unerheblich, ob in der Realität der außersprachlichen Wirklichkeit diese Gegenstände der Begriffsumfänge existieren oder ob es sich um leere Begriffe handelt. 702 Desgleichen hat der extensionale Wahrheitswert derjenigen Propositionen, welche die Prämissen repräsentieren, keine Relevanz für die Gültigkeit der Konklusion. Nach Perler kritisierte Descartes die Syllogistik Aristoteles ’ diesbezüglich, wozu angemerkt werden kann: „ Zudem fällt in Decartes ’ Kritik auf, dass er nicht zwischen der Frage nach der Wahrheit und jener nach der Gültigkeit unterscheidet. Diese Unterscheidung ist jedoch für eine Beurteilung der Syllogistik von entscheidender Bedeutung. So ist etwa ‚ Jeder Mensch kann fliegen; Sokrates ist ein Mensch; also kann Sokrates fliegen ‘ formal gültig, aber der Schlußsatz ist falsch, weil der Obersatz falsch ist. “ 703 Aus diesem Grund ist die erwähnte Kritik zurückzuweisen. Der von Perler genannte Wahrheitswert falsch bezeichnet nicht die Ungültigkeit der Konklusion, sondern bezieht sich auf den von dieser denotierten außersprachlichen Sachverhalt der extensionalen Bedeutungsebene. Eine existentielle Präsupposition für die von den Begriffen bezeichneten Gegenstände ist somit für die Inferenz sowie die Gültigkeit der Konklusion eines Syllogismus nicht notwendig. Nachfolgend soll auf das aristotelische Verb altgriech. εἷναι , seine Verwendungsweisen im Organon Aristoteles ’ und den Seinsbegriff eingegangen werden: „ Die Copula ist oder nicht-ist behandelt Ar. nicht als einen besonderen dritten Begriff, weil er sie nur als die Bezeichnung der Verbindung oder Nicht-Verbindung von Subjekt und Prädikat behandelt, die für jeden Satz immer in gleichem Sinne wiederkehrt und deshalb von ihm nicht zu dem eigenthümlichen Inhalt der Urtheile gerechnet wird. (Man sehe über die Bedeutung dieser Copula bei Ar. die Erl. 2, 31, 32 der Herm.) Deshalb ist auch für die Begriffe (aber nicht für die Urtheile) die Hinzufügung oder Abtrennung dieser Copula unerheblich. [ … ] da ja für die Begriffe oder termini eines Urtheils diese Copula gleichgültig ist. “ 704, 705 Aristoteles formuliert die Kombination der Begriffe in den einzelnen Prämissen und Konklusionen außerdem in vielen Fällen als τὁ O κατηγορεῖται τοῦ U (dt.: 702 Vgl. hierzu das logische Quadrat, das in seiner ältesten Überlieferung vmtl. aus dem 2. Jh. n. Chr. stammt und Apuleius von Madauros zugeschrieben wird (T HIEL (2004 [1995])). 703 P ERLER (1998: 50) 704 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 9 f., 6. B. 1. Kap. 1. S. 2., Erl. 6) 705 Vgl. hierzu das lineare Arrangement mit Linien verbundener Begriffe und die Erklärung in K NEALE / K NEALE (1991: 71 f.); vgl. A MMONIUS (1887/ MDCCCLXXXXVII [ca. 435-517]: x) 138 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="139"?> das O wird über das U ausgesagt; O kommt allen U zu). 706 Für die Darlegung in den Syllogismen geriet jedoch vor allem in den lateinischen Lehrbüchern Europas schließlich eine andere Formulierung mit dem Verb sein in Gebrauch (z. B. alle U sind O; alle S sind P). 707 Hier sind neben der Einsetzung des Verbs sein auch die Positionen der Begriffe gemäß der Topologie der Satzglieder im Modell eines natürlichsprachlichen Aussagesatzes vertauscht und durch die Namensgebung mit dem grammatischen Subjekt und grammatischen Prädikat assoziiert. Ebenso wird das Verb sein eingesetzt und anschließend in der Tradition der Syllogistik für die Bildung syllogistischer Aussagesätze, sowohl der Prämissen, als auch der Konklusionen, verwendet. 708 In der Formulierung τὁ O κατηγορεῖται τοῦ (dt.: das O wird über das U ausgesagt; O kommt U zu) bleiben weitere semantische Aspekte und signifizierte Inhalte, die dem Verb sein anhaften und die zur Inhaltsstruktur eines Satzes oder zur Aussagenbedeutung beitragen können, außen vor. Bei dieser Formulierung wird somit auch der Idee des Vorhandenseins einer Koppelung oder Verbindung bzw. einer assertorischen, kopulativen Entität zwischen den zwei Begriffen der Aussagen, welche durch das Verb sein verkörpert sei, entgegengewirkt. Aristoteles benennt keine Koppelung oder Verbindung zwischen den Begriffen, und keinesfalls zeichnet er ein Verb ἐστιν oder ein anderes Verb als Materialisierung einer solchen aus, so dass der Begriff Kopula in Aristoteles ’ Werk nicht erscheint. 709 Zur Bedeutung einer angenommenen Kopula bei Aristoteles im Speziellen verweist Kirchmann auf die Hermeneutica Aristoteles ’ . Der Gegenstand der Hermeneutica ist die Lehre vom Urteil, welches konsequent von der urteilsfreien Rede unterschieden wird. So verdeutlicht Aristoteles ausdrücklich, „ dass der Gegenstand dieser Schrift nicht die Rede ( λογος ), sondern nur die sei, welche ein Sein oder Nicht-sein ( ἀποφανσις ) aussage. “ 710 Diese Feststellung bezüglich des Inhalts der Hermeneutica zieht Stettbergers Annahme einer „ affirmativen Funktion “ 711 des Verbs εἷναι in Zweifel, denn eine Affirmation in den in der Hermeutica untersuchten Urteilen ist entweder der syntaktisch-semantischen Form oder der Lesart derselbigen als Behauptungssätze, die einen extensionalen Wahrheitswert bezeichnen, geschuldet und keine inhärente Funktion des Verbs 706 Vgl. z. B. A RISTOTELES (1964 [vmtl. 367 v. Chr. - 344 v. Chr.]: 3, 8 - 10); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: 6, Buch 1, Kap. 4); K NEALE / K NEALE (1991: 73) 707 K NEALE / K NEALE (1991: 65, 73); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 491 f.) 708 K NEALE / K NEALE (1991: 73) 709 A CKRILL (1963: 45); vgl. M ORO (1997: 251, Appendix) 710 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 55, 1. Titel); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 58, Kap. 4) 711 S TETTBERGER (1993: 12) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 139 <?page no="140"?> sein bzw. εἷναι . Kirchmann fasst zudem zusammen, dass Aristoteles die Kopula oder ein Eigenschaftswort nicht als Teile des logischen Urteils bzw. der Proposition erwähnt, sondern lediglich das Hauptwort (griech.: ὁνομα ) und ein Zeitwort (griech.: ῥημα ). Kirchmann, welcher zwar keine Ambiguität der Kopula vertritt, aber eine Kopula nach der Logik von Port-Royal (s. 5.4) in jedem Aussagesatz mit extensionalem Wahrheitswert perzipiert 712 , interpretiert Aristoteles ’ Erläuterung, das Zeitwort eines Satzes gebe die Zeit sowie das Eigenschaftswort zugleich an 713 , dahingehend, dass Aristoteles hiermit eine Kopula ansprechen würde, was jedoch hinterfragt werden kann. Insgesamt kommt Kirchmann zu der Einsicht, dass Aristoteles in der Hermeneutica eine Kopula nicht als eigenständige Entität entwirft und auch keine Definition einer Kopula oder eine Vorstellung ihrer spezifischen Funktion anführt: „ Die Natur der Copula oder desjenigen ist, welches blos die Verbindung eines unterliegenden Gegenstandes mit dem von ihm Ausgesagten ausdrückt, und des ist, was zugleich das Dasein oder die Existenz des im Urtheil Ausgedrückten ausspricht, wird dagegen von Ar. nicht scharf gesondert gehalten, vielmehr wird das ἑστιν von ihm meistens in dem letzteren Sinne genommen “ 714 Kirchmann insistiert jedoch darauf, dass „ In Wahrheit [ … ] indess jedes Urtheil aus drei Stücken bestehen [muss], aus dem Subjekt, der Copula und dem Prädikat, wobei aber die Copula eine doppelte Bedeutung haben kann; entweder bezeichnet sie blos die Verbindung von Subjekt und Prädikat, ohne über die Existenz beider etwas auszusagen, oder die Copula: ist drückt sowohl die Verbindung beider, wie das Dasein des im Urtheil Ausgesprochenen aus. Letztere Urtheile nennt man Existentialsätze. “ 715 Diese Behauptung Kirchmanns wird nicht von Aristoteles ’ Ausführungen reflektiert, was Kirchmann kritisiert. So bedauert es Kirchmann, dass Aristoteles beide obig genannten Arten von Urteilen (z. B. Zeus ist; Jupiter ist gerecht) kennt, aber „ dennoch gilt ihm, wo er es nicht besonders hervorhebt, die Copula: ist immer als nicht blos die Verbindung, sondern auch das Dasein bezeichnend. Nur deshalb ist es ihm möglich, die Urtheile so einzutheilen, wie hier geschieht, während doch diese Eintheilung nicht die Natur des Urtheils, sondern nur die Art, es sprachlich auszudrücken betrifft. [ … ] Wenn also Ar. sie [die Urteile] hier in zwei Arten sondert, so erklärt sich dies nur dadurch, dass er die Formen der Sprache überschätzt, die zweifache Bedeutung des ist als Copula übersieht und den Unterschied in der Ausdrucksweise für einen Unterschied in der Sache selbst hält. Aber trotzdem 712 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 81 ff., 31. Kap. 10, S. 67., Erl. 31) 713 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 57, Kap. 3) 714 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 56, 2. Kap. 1. S. 55., Erl. 2) 715 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 81, 31. Kap. 10, S. 67., Erl. 31) 140 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="141"?> nöthigt ihn diese sachliche Gleichheit beider Urtheile zu dem Ausspruch, dass das: ist und das: war und das: wird sein zu den Zeitwörtern ( ρημα ) gehört, also zu den Worten, die neben der Copula auch noch ein Prädikat ausdrücken. “ 716 Wenn Aristoteles zwischen den zwei Arten der Urteile, nämlich jenen, in welchen die Wortform ist zugleich das Prädikat bildet (auch: enuntiationes secundi), und denjenigen, in welchen zu dem Wort ist noch ein Besonderes (z. B. gerecht; weiß) hinzutritt (auch: tertii adjacentis), unterscheidet, so behält auch in den Urteilen der zweiten Art, mit dem Exempel Jupiter ist gerecht, das Wort ist nach Kirchmann „ die Bedeutung einer seienden Verbindung “ 717 . Da dies nach Kirchmann die aristotelische Auffassung darstellt, konkludiert er, dass derjenige Signifikant ist, welcher in Sätzen, in denen die Wortform ist zugleich das Prädikat bildet mit demjenigen Signifikanten ist der Sätze, in welchen ein dritter Teil, z. B. gerecht, in obigem Beispiel Jupiter ist gerecht, hinzutritt, identisch ist, und dass die Konnotation eines Seins bzw. Daseins somit in beiden Urteilen vorhanden ist. Unter der Vorannahme, dass eine Kopula in jedem Fall overt realisiert oder verdeckt vorhanden sein muss, liegt für Kirchmann die Interpretation nahe, dass das Wort ist in erstem Fall die Kopula ist und das von diesem getrennt wahrzunehmende Prädikat seiend in sich vereinige (z. B. Zeus ist; Zeus ist seiend), während in Urteilen mit drei Teilen (z. B. Jupiter ist gerecht), das Prädikat (z. B. gerecht) von der als Kopula konzipierten Verbform ist abgetrennt sei. 718, 719 Dass es sich dabei um anachronistische Spekulationen handelt, behauptet Moro: „ With Abelard, the term ‚ copula ‘ enters into western thought. In fact, although widely attested, the use of the term ‚ copula ‘ in reference to Aristotele ’ s work ist totally anachronistic. “ 720 (S. 5.3) Stettberger zieht in seiner Studie das Konzept einer Kopula heran und führt dieses auf Aristoteles zurück: „ Der aus dem Lateinischen entlehnte grammatikalische Begriff ‚ Kopula ‘ [ … ] wird sinngemäß erstmals greifbar im Rahmen der artistotelischen Logik. “ 721 Die Bezeichnung σύνθεσι s, welche Kirchmanns als auch die von Stettberger herangezogene Übersetzung nach Rolfes 722 mit dem Wort Verbindung übersetzen, indiziert nach Stettberger eine Kopula. 723 Diese Textstelle lautet in der Übersetzung nach Kirchmann folgen- 716 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 81 f., 31. Kap. 10, S. 67., Erl. 31) 717 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 83, 32. Kap. 10, S. 67., Erl. 32) 718 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 82 ff., 32. Kap. 10, S. 67., Erl. 32) 719 Vgl. hierzu die Ausführungen zur sogenannten Ellipsen-Hypothese (auch: Ellipsentheorie). 720 M ORO (1997: 251, Appendix) 721 S TETTBERGER (1993: 10) 722 R OLFES (Hrsg. 1974) 723 S TETTBERGER (1993: 10) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 141 <?page no="142"?> dermaßen: „ Wenn die Zeitworte rein für sich ausgesprochen werden, so sind sie Hauptworte und bezeichnen zwar etwas (denn der Sprechende hält dabei sein Denken an und der Hörende verharrt dabei), aber sie sagen nicht, ob dieses Etwas ist oder nicht ist; denn sie bezeichnen weder das Sein, noch das Nichtsein des Gegenstandes und dies gilt selbst dann, wenn man das Wort: Seiendes ohne Zusatz für sich ausspricht, denn als solches ist es noch nichts, vielmehr deutet es nur eine Verbindung im Voraus an, die man aber ohne das damit Verbundene sich noch nicht vorstellen kann. “ 724 Dass ein isoliert geäußertes Verb bzw. Prädikat zur Bildung einer Aussage der einen oder anderen Urteilsart mindestens einen weiteren Term einfordert, demzufolge eine Verbindung anbietet 725 und syntaktische sowie logisch-semantische Leerstellen eröffnet, impliziert jedoch keineswegs eine nach Stettberger 726 vorgeschlagene grammatisch oder logisch verstandene Kopula, geschweige denn eine assertorische Kopula, welche mit Abaelards sowie Port-Royalschen Thesen korrespondiert und ein eingefaltetes Urteil nach Pfänder erzeugt. 727, 728 Moro merkt an, dass Aristoteles an keiner Stelle die Kopula als solche auszeichnet oder eine Benennung für sie angibt, statt dessen referiere Aristoteles auf aktuelle Instanzen des Verbs εἷναι (dt.: sein). 729 In Übereinstimmung mit obiger Zurückweisung einer Identifikation des Substantivs Verbindung mit einer Abaelardschen Koppelung, pflichtet Moro der Übersetzung Ackrills der Wortform σύνθεσι s für das Englische als Kombination (engl.: combination) 730 bei, weist jedoch die Übersetzung nach Cooke als „ copulation [sic] or synthesis “ 731 zurück, da sie eine Kopula nach Abaelard suggeriert. Außerdem ist gemäß der Hypothese Ackrills davon auszugehen, dass Aristoteles an dieser Stelle ohnehin eindeutig von einem existenzbezeichnenden Verb sein spricht. 732 Einen existenzbezeichnenden Aspekt in den im Zitat angeführten Beispielen nimmt auch Stettberger zur Kenntnis: „ Vom ontologischen, d. h. hier existentialen Gesichtspunkt aus drückt etwa die Äußerung ‚ der Mensch lebt gesund ‘ , [ … ], eine Art und Weise (Aristoteles legt sich hier in seinen Kategorien nicht konkret fest) des Existierens aus, welche eben mit dem Satz ‚ der Mensch ist gesund lebend ‘ oder 724 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 57, Kap. 3) 725 Vgl. A CKRILL (1963: 123) 726 S TETTBERGER (1993: 10) 727 P FÄNDER (1921: 209 f.); s. 5.3; 5.4 728 Zur Erklärung des nicht entfalteten, d. h. des eingefalteten Urteils nach Pfänder, s. a. 5.3; 5.4; 5.8. 729 M ORO (1997: 296, Appendix, Anm. 16) 730 A CKRILL (1963: 45) 731 C OOKE (Hrsg. 1938: 121) 732 A CKRILL (1963: 123); vgl. M ORO (1997: 296, Appendix, Anm. 16) 142 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="143"?> vielleicht seiner Intention nach treffender wiedergegeben mit der Umschreibung ‚ der Mensch existiert als gesund Lebender ‘ verbal zum Vorschein tritt. “ 733 Folgerichtig konkludiert Stettberger schließlich: „εἷναι ist selbst vom logischen Standpunkt aus nach aristotelischer Auffassung keineswegs isoliert von modalen oder affirmativen Aspekten zu betrachten. [ … ] Kopulative und existielle Funktionen von εἷναι schließen einander nicht völlig aus, sondern ergänzen sich z. T. gegenseitig. “ 734 Nicht zu verwechseln mit dieser existentiellen inhaltlichen Komponente im Seinsbegriff ἐστιν ist außerdem ein grundsätzlicher Existenzbegriff für die obersten Grundsätze und Begriffe der Wissenschaften, welchen Aristoteles etabliert, was folgendes Zitat indiziert: „ So wird vorausgesetzt was die Eins und was das Gerade und das Dreieck bedeuten; auch muss man annehmen, dass die Eins und die Grösse sind; alles andere aber wird bewiesen. “ 735 Kirchmann erläutert: „ Bei den obersten Grundsätzen wird die Bedeutung ihrer Worte ohne weiteres angenommen; ebenso ihre Wahrheit. [ … ] Auch die Bedeutung der obersten Begriffe und deren Dasein wird nicht bewiesen, sondern ohne Beweis angenommen. “ 736 Demzufolge liegt der Entwurf einer Kopula nicht in Aristoteles ’ Werk begründet, und auch eine Ambiguität des Verbs εἷναι gemäß der Russellschen Ambiguitätsthese 737, 738 kann nach Hintikka widerlegt werden. 739 Hintikka sieht seine Argumentation durch die Vorarbeiten Kahns 740 und Owens 741 gestützt. 742 Dabei bezeichnet Hintikka die These der Mehrdeutigkeit des Verbs sein als Frege-Russell Ambiguität, allerdings entstammt diese vor allem Russells Werk (s. 5.6), so dass im Folgenden diese Benennung vermieden wird. Die Annahme der Ambiguitätsthese wurde nach Hintikka nicht nur durch Frege und Russell, sondern auch durch Hermann 743 motiviert, welcher das griechische Akzentsystem einsetzt, um einige verschiedene Gebrauchsweisen des Verbs sein im Griechischen zu markieren. 744 Derartige verschiedene Gebrauchsweisen oder 733 S TETTBERGER (1993: 11 f.) 734 S TETTBERGER (1993: 13) 735 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]b: 19, Buch 1, Kap. 10, vgl. 19-22, Buch 1, Kap. 10) 736 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]b: XVII); vgl. R ISTO (2006) 737 R USSELL (1903: 64, Anm.); vgl. R USSELL (1937: 64, Anm.) 738 Zur Russellschen Ambiguitätsthese, s. a. 5.5.2; vgl. z. B. M ORAVSCSIK (1967: 127); vgl. z. B. K IRWAN (1971: 100 f., 141); vgl. z. B. G OMEZ -L OBO (1980/ 1981: 79). 739 H INTIKKA (1981: 1 - 5, 12) 740 K AHN (1966); K AHN (1973a); K AHN (1973b); K AHN (1976) 741 O WEN (1960); O WEN (1965); O WEN (1978 - 1979) 742 H INTIKKA (1981: 1) 743 H ERMANN (1801) 744 H INTIKKA / V ILKKO (2006: 361) 5.2 Die Assertion im Argument eines Syllogismus 143 <?page no="144"?> kontextuelle Einbindungen des Verbs sein bzw. ἕστι im Aussagesatz 745 , obwohl selbst diese verschiedenen Gebrauchsweisen bei Aristoteles nicht regelhaft voneinander abgegrenzt, sondern nur dann angesprochen werden, wenn sie in einem besonderen Kontext Relevanz erlangen 746 , bestreitet Hintikka ausdrücklich nicht: „ What is denied in denying the Frege-Russell ambiguity claim is not that the force of ‚ is ‘ or ἕστι is different in different contexts. Rather, what is ruled out is one particular explanation of these differences, viz. that they are occasioned by different meanings of the verb ‚ is ‘ . In other words, what is asserted is that such differences are always traceable to the context and due to it. Indeed, it is an integral part of my position that ἕστι can have on different occasions in Aristotele different Fregean uses. For instance, Aristotele can - and does - use ἕστι with a purely existential force. “ 747 Hintikka weist somit auch Theorien zur Ellipsen-Hypothese 748 (auch: Ellipsentheorie) hinsichtlich der Semantik des Verbs sein zurück, welche aus der Absenz der Ambiguitätsthese schließt, dass das Verb sein immer ausschließlich Prädikation ausdrücke und Sätze mit einem rein Existenz bezeichnenden Verb sein wie der Beispielsatz Socrates ist als der ergänzte Satz Socrates ist etwas oder sonst etwas zu lesen seien. 749 Hintikka merkt an, dass Aristoteles deutlich ein ausschließlich existenzbezeichnendes Verb sein erwähnt 750 und führt hierfür nachfolgende Textstelle an: „ Manches verlangt man aber in anderer Weise zu wissen, z. B. ob es einen Kentauren oder einen Gott giebt oder nicht? Dieses: Ob es ist, meine ich im vollsten Sinne und nicht so, wie bei der Frage: ob etwas weiss oder nicht-weiss ist. Weiss man nun, dass Etwas ist, so verlangt man nach dem Was es ist, also z. B. was der Gott ist oder was der Mensch ist. “ 751 Aus diesen Gründen konkludiert Hintikka: „ However, many of us have by this time come to suspect that the Frege-Russell ambiguity claim is completely anachronistic when applied to Aristotele “ 752 . Mit der Präsentation einer Argumentation am Beispiel des englischen Wortes is stellt Hintikka auch die These vor, dass die Logik oder Semantik natürlicher Sprachen keinerlei Anlass zur 745 Vgl. H INTIKKA (2004: 117 ff.) 746 H INTIKKA (1981: 4) 747 H INTIKKA (1981: 5, vgl. 8 f.) 748 Vgl. z. B. G OMEZ -L OBO (1980/ 1981) 749 H INTIKKA (1981: 5 f.) 750 H INTIKKA (1981: 6 - 9); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]b: 66 - 68, 2. Buch, Kap. 1, Kap. 2) 751 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]b: 66, 2. Buch, Kap. 1) 752 H INTIKKA (1981: 1) 144 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="145"?> Annahme der Russellschen Ambiguitätsthese gebe. 753 Zu einer Herausarbeitung des Zusammenhangs zwischen Sprache und Logik bzw. zwischen Sprache und Wissenschaft im Allgemeinen verweist Gipper auf Snell und führt an: „ Die naturwissenschaftliche Begriffsbildung wäre aber ohne die vorgegebene Struktur der griechischen Sprache gar nicht möglich gewesen. [ … ] so wird man doch zugeben müssen, daß alle gedanklichen Operationen, die der Logiker anstellt: das Herausheben von Eigenschaften und Merkmalen, das Setzen und Inbeziehungsetzen von Begriffen usw. ohne die zu Gebote stehenden sprachlichen Voraussetzungen (in diesem Falle derjenigen der deutschen Muttersprache) gar nicht möglich gewesen wären. “ 754 5.3 Die Kopula Abaelards In der nachfolgenden Zusammenfassung Abaelards Thesen wird der Position De Rijks gefolgt, welche ausarbeitet, dass in Abaelards Schriften eine einzige Theorie der Prädikation niedergelegt ist. Demgegenüber schlägt Kretzmann vor, aus Abaelards Werken in chronologischer Anordnung drei verschiedene Ansätze abzuleiten 755 , eine Theorie der Logica ‚ Ingredientibus ‘ 756 und deren Revision in der Dialectica 757 , welche in eine zweite Theorie und einen zusätzlich unterbreiteten Vorschlag zu untergliedern sei. 758 Abaelard stellt Untersuchungen zur Prädikation in alleinstehenden Propositionen an, um die Syllogismen Aristoteles ’ zu erläutern. Zunächst ist festzuhalten, dass nach Aristoteles Nomen im Unterschied zu Verben keine zeitliche Kosignifikation aufweisen 759 , was Abaelard nach Ansicht De Rijks zurückweist. Im Unterschied zu Aristoteles ’ Auffassung schreibt Abaelard nach De Rijk und Tweedale auch Nomen (Substantive; Adjektive) eine zeitliche Kosignifikation zu. 760 De Rijk argumentiert an dieser Stelle auch gegen Jacobi, welcher anerkennt, dass Abelard einen semantischen Unterschied zwischen Verben und Nomen bestreitet, jedoch annimmt, Abaelard statte ein isoliert stehendes Nomen nicht mit einer zeitlichen Kosignifikation aus 761 , sondern eine solche ergäbe sich nur im 753 H INTIKKA (1979) 754 G IPPER (1963: 103); vgl. S NELL (1955) 755 R IJK (1986: 124) 756 A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]); A BAELARD (1933 [ca. 1100]) 757 R IJK (Hrsg. 1956) 758 K RETZMANN (1982: 493 f.) 759 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 56 f., Kap. 2, Kap. 3) 760 R IJK (1986: 89 - 92, 124); T WEEDALE (1982: 144) 761 J ACOBI (1986: 149 - 159, 174 f., note 44) 5.3 Die Kopula Abaelards 145 <?page no="146"?> Verband eines komplexen Prädikats: „ Abelard does not treat ‚ homo ‘ as a word to be regarded in isolation, either, but as a word which is attributed to someone, that is, one which is said of a particular person: ‚ he is a man ‘ . Accordingly nouns have temporal co-signification if and only if they are predicated. “ 762 De Rijk weist diese Ansicht Jacobis begründet zurück 763 und konkludiert, dass Abaelard dem isoliert stehenden Nomen die zeitliche Kosignifikation des Präsens zuschreibt, welche jedoch durch die Hinzufügung eines Verbs mit einer anderen zeitlichen Kosignifikation modifiziert werden kann, indem sich die Zeitlichkeit des Nomens derjenigen des Verbs anpasst. 764 Die Auffassung der zeitlichen Kosignifikation des Nomens sowie damit die enge semantische Affinität zwischen Nomen und Verb sind grundlegend für Abaelards Argumentation, da aus diesen die Abaelardsche Kopula abgeleitet werden kann. Nomen und Verben sind nach Abaelard lediglich verschiedene Träger identischer Sememe (lat.: modus significandi), wobei sie sich nur darin unterscheiden, auf welche Weise dasselbe Semem vermittelt wird (z. B. lat.: cursus; dt.: Kurs; lat.: currere; dt.: rennen). Auf der Ebene des Bestimmens und Benennens (lat.: onomazein) transportieren das Nomen sowie das Verb, jeweils auf ihre Weise, nominal oder verbal, semantischen Inhalt (auch: Sememe). Auf diese Art und Weise konstituieren sie eine Idee (lat.: conceptio; conteptus; intellectus), die im Sender oder Empfänger mental verarbeitet wird, jedoch ohne einen vollständigen Gedanken oder Sinn zu vermitteln. 765 Die zeitliche Kosignifikation gilt Nomen sowie Verben und die Generierung einer Idee findet im Moment der sprachlichen Expression statt, sowohl für komplexe Ausdrücke mit vollständigem Sinn als auch für isolierte Wortformen: „ Sicut enim ‚ curro ‘ vel ‚ currens ‘ cursum circa personam tamquam ei praesentialiter inhaerentum demonstrat, ita ‚ album ‘ circa substantiam albedinem tam<quam> praesentialiter inhaerentem determinat; non enim album nisi ex praesenti albedine dicitur. “ 766 Abaelard vertritt damit in der Tat einen „ extreme extensionalistic point of view that nouns signify nothing more than their present denotata “ 767 . Jacobi bestreitet dies, doch De Rijk führt eine Widerlegung Jacobis Position diesbezüglich an 768 : „ The conclusion may be drawn now, that Abaelard is really of the opinion that when actually used in some speech context a noun is prone to retain the present time cosignification due to it ’ s ‚ proper invention ‘ . However, one should bear in mind that by 762 J ACOBI (1986: 154) 763 R IJK (1986: 92) 764 A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 349, 22 - 36, Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ) 765 Vgl. R IJK (1986: 99) 766 R IJK (Hrsg. 1956: 122, 22 - 25) 767 J ACOBI (1986: 153) 768 R IJK (1986: 92 f.) 146 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="147"?> ‚ present time ‘ the time is meant in which the utterance is made. That is precisely why taking a noun ‚ in isolation ‘ does not amount to viewing it merely as a lexical entry. “ 769 Wie obiges Zitat 770 darlegt, wird eine extensionalistische Position Abaelards außerdem radikalisiert, indem diese Beschreibung nicht nur für Nomen in Position des logischen oder grammatischen Subjekts und deren Signifikate gilt, sondern durch ihre Fügung an das nominale logische Subjekt auch denjenigen Nomen und Signifikaten zukommt, welche Bestandteil eines als Prädikatskomplex aufgefassten Syntagmas sind. 771 Sämtliche Elaborationen Abaelards hinsichtlich der Existenz von Signifikaten als mentale Repräsentanten der Inhalte von Sprachzeichen für Nomen oder Verben werden in der Synthese einer Aussage bzw. Proposition zu einer Bedeutung nach Abaelard hinfällig, da diese Aussage bzw. Synthese sich nur auf den Gegenstand in der extensionalen Denotationsebene in Subjektsposition, welcher als res anerkannt ist, sofern er existiert, bezieht. Abaelard fährt fort: „ Sed opponitur, cum dicta propositionum níl sint, quomodo propter ea contingat propositiones esse veras, quia haec quae nil omnino sunt vel esse possunt, quomodo dici causa possunt? Sed propter patratum furtum homo suspenditur, quod tamen furtum iam nil est, et moritur homo quid non comedit, et damnatur, quia non bene agit. Non comedere tamen vel non bene agere non sunt essentiae aliquae. “ 772 Abaelard steigert die Dekonstruktion eines intensionalen inhaltlichen Gehalts von Nomen des Weiteren, indem er nicht nur Präpositionen, Konjunktionen und Interjektionen eine semantische Unselbstständigkeit attributiert, sondern auch Verben und Nomen zu Redeteilen (lat.: partes orationis) erklärt, deren Bedeutung erst im Zusammenhang mit anderen Nomen und Verben determiniert wird. So vermitteln z. B. das Nomen homo (dt.: Mann) und der Ausdruck diligo (dt.: ich liebe) nach Abaelard nur dann eine Signifikation, wenn sie im Verband mit anderen Nomen und Verben stehen, z. B. die komplexen Ausdrücke homo albus (dt.: weißer Mann) sowie diligo Ricardum (dt.: ich liebe Richard). 773 Bezüglich einer generellen Unterscheidung zwischen Synkategoremata (z. B. Präpositionen; Konjunktionen) und Kategoremata (z. B. Nomen; Verben) merkt De Rijk an, dass Abaelards Ausführungen zur Kosignifikation von Synkategoremata vage bleiben. 774 Nomen sowie Verben dienen gemäß der 769 R IJK (1986: 93) 770 R IJK (Hrsg. 1956: 122, 22 - 25) 771 A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 20, 1 - 9, Die Glossen zu Porphyrius) 772 A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 368, 40 - 369, 6, Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ) 773 R IJK (1986: 86 f.); vgl. A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 338, 3 ff., Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ) 774 R IJK (1986: 87) 5.3 Die Kopula Abaelards 147 <?page no="148"?> Auffassung Abaelards der Benennung und Bestimmung. Hierbei ist der Unterschied zwischen Benennung und Bestimmung rein syntaktischer Natur. Die Proposition ein Mann läuft und die Nominalphrase ein laufender Mann unterschieden sich nach Abaelard ausschließlich darin, dass in Letzterer eine Vollkommenheit des Sinns noch nicht herbeigeführt worden ist, denn ein Nomen bzw. eine Nominalphrase erfordert das Verb ist oder ein anderes akzeptables Verb, da ohne ein Verb keine Vollständigkeit des Sinns entsteht. 775 Abaelard gibt vor, diese Position aus den Schriften Aristoteles ’ abzuleiten, da er seine Theorie zu den Verben und Nomen in seinem Kommentar zum Organon Aristoteles ’ 776 erwähnt. Da Aristoteles jedoch eine Distinktion zwischen Verb mit zeitlicher Kosignifikation und Nomen ohne zeitlicher Kosignifikation vertritt, sind die von Abaelard zu Demonstrationszwecken vermeintlich aus dem Organon Aristoteles ’ exzerpierten Beispiele (z. B. ein Mann läuft; ein laufender Mann) nicht immer nachvollziehbar in diesem Zusammenhang dortig vorzufinden. 777 Verben stellen demzufolge nach Abaelard im Unterschied zu Nomen nur die Vollständigkeit des Sinns (lat.: sensus perfectio), welcher im Unterschied zu Phrasen (lat.: orationes imperfectae) für ganze Sätze (lat.: orationes perfectae) charakteristisch sei, bereit. 778 Nach Abaelard haben Verben somit gegenüber Nomen die Eigenschaft, sich an ein Subjekt zu binden. 779 Sämtliche Verben sind nach Abaelard deshalb mit einem nicht sprachlich realisierten Verb sein zu lesen, wodurch jedes Verb eine derartige Bindungseigenschaft erhält. Hierfür beruft Abaelard sich wiederum auf das Beispiel ein Mann läuft und seine Paraphrasierung (s. o.). Das involvierte Verb sein (lat.: esse; engl.: to be) wird dabei als Verbform verbi substantivi (frz.: verbe substantif; engl.: substantive verb) 780 ausgezeichnet. In der vorliegenden Studie wird eine nicht sprachlich realisierte, aber anzunehmende Kopula nach Abaelard oder der Logik von Port-Royal 781 (s. 5.4) mit dem Begriff verdeckte Kopula belegt. Die verdeckte Kopula tritt demnach unter der Vorannahme einer binär oder einer tertiär gegliederten Aussagenstruktur auf. Zur Zwei- oder Dreigliedrigkeit einer Aussagenstruktur bei Abaelard erklärt De Rijk: „ the plain occurrence, on the linguistic level, of three-piece (as opposed to two-piece) 775 R IJK (Hrsg. 1956: 148, 26 - 30); K NEALE / K NEALE (1991: 51 f.) 776 K IRCHMANN (Hrsg. 1883) 777 Vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]); vgl. K IRCHMANN (1877 - 1883 [1876]: 55 - 114, Erl. zu den Hermeneutiken); vgl. A BAELARD (1919 - 1927 [etwa um 1100]: 338, 3 ff., Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ) 778 Vgl. T WEEDALE (1982: 144) 779 Vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 207, 209); vgl. T WEEDALE (1982: 146) 780 Vgl. z. B. T WEEDALE (1982: 146); vgl. R IJK (1986: 87); vgl. A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 104; vgl. 102) 781 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]) 148 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="149"?> predication with Abelard is not sufficient reason to ascribe to him a similiar tripartition (vs bipartition) of the proposition when it comes to its semantic anatomy. “ 782 In der binären Gliederung gehört die Kopula zum logischen Prädikat, in den tertiär gegliederten einstelligen Aussagestrukturen stellt die Kopula wie in der binären Gliederung einen Marker für die Verbindung dar, erhält jedoch den Status eines unechten Symbols. In der vorliegenden Untersuchung bleibt der Terminus Nullkopula (russ.: nulevaja svjazka) für eine Konzeption einer Kopula nach Pe š kovskij reserviert. 783 Der Terminus verdeckte Kopula ist Erben entlehnt. 784 Nachdem Abaelard diese Differenzierung zwischen Nomen und Verben etabliert und dem Nomen eine zeitliche Kosignifikation zugesprochen hat, ergibt sich eine durchaus artifiziell herbeigeführte Problematik für Sätze wie das Exempel der alte Mann war ein Junge, da die nun zeitgebundenen gegenwärtigen Denotate in der extensionalen Bedeutungsebene der beiden Nominalphrasen ein Junge und der alte Mann einander widerspruchsvoll gegenüberstehen, obwohl eine nach allgemeinem Weltwissen zu urteilen wahre Proposition gebildet wurde. Die These, die Abaelard zur Lösung dieses Konflikts bereitstellt, um die nominalistische Konzeption der Nomen und ihren extensional erfassten Inhalt in einer derartigen Satzbildung aufrechtzuerhalten, erklärt, dass die zeitliche Signifikation des Verbs war die grundsätzlich gegebene zeitliche Kosignifikation Präsens des angeschlossenen Nomens ein Junge modifizieren muss und dass damit eine Lesart, in welcher das Verb sowie die Nominalphrase zu einem Verb bzw. Prädikat war-ein-Junge verschmelzen, forciert sei. 785 Tweedale versteht diese Auffassung Abaelards folgendermaßen: „ Abelard in effect wants us to treat the copula as what a modern grammarian would call an auxiliary “ 786 . Doch es stellt sich heraus, dass Abaelards Prädikationstheorie darüber hinaus geht und weitere Konsequenzen für das Verb sein als Abaelardsche Kopula erwirkt. Die logische Prädikation über ein logisches Subjekt, welche in der einstelligen Aussagenlogik die Proposition (z. B. war-ein-Junge in der alte Mann war ein Junge oder est-homo in Socrates est homo) stellt, sei nach Abaelard irgendetwas (lat.: aliquid), aber bezeichne nichts Wesentliches in der Realität (lat.: res). Nur das logische Subjekt (z. B. der alte Mann; homo) benennt nach Abaelard etwas in der Realität, nämlich einen Gegenstand der extensionalen Denotationsebene, falls dieser 782 R IJK (1986: 102 f.) 783 P E Š KOVSKIJ (1938), zit. nach G EIST (2008: 123) 784 E RBEN (1978) 785 R IJK (Hrsg. 1956: 139, 12 - 140, 22); vgl. A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 348, 28 - 349, 17, Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ); vgl. T WEEDALE (1982: 146); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 209) 786 T WEEDALE (1982: 146) 5.3 Die Kopula Abaelards 149 <?page no="150"?> existiert. 787 Ungeachtet einer Prädikation per accidens oder in substantia der jeweiligen Aussage geht Abaelard davon aus, dass logisches Subjekt und logisches Prädikat in der außersprachlichen Wirklichkeit zusammenfallen. Dieses Zusammenfallen manifestiert im sprachlichen Ausdruck eine Synthese, die an dieser Stelle von einer Komposition unterschieden werden soll. 788 Die obig erwähnte Bindungseigenschaft der Verben erklärt sich nun als explizite Koppelungseigenschaft (lat.: copula; dt.: Band; Koppel; Verbindung). Für einen Konzeptualismus Abaelards ist zwar theoretisch die Grundlage geschaffen, indem Abaelard die Wortform, die Idee ohne vollständigen Sinn sowie den bezeichneten Gegenstand erwähnt 789 und weil Prädikate als solche syntaktisch und intellektuell erfasst werden, wobei die Universalien nach Abaelard in den Dingen (lat.: in rebus) liegen, doch die Kopula erzeugt in der synthetisierten Aussage einen Fokus auf das logische Subjekt und sein Denotat, wodurch eine Art nominalistische Position entsteht. Eine Relationalität einer Entität zu seiner eigenen Eigenschaft bzw. Charakteristik in substantia, zu einer per accidens prädizierten Eigenschaft bzw. Charakteristik oder eine extensional verstandene Relationalität zwischen zwei Gegenständen als Identitätsbeziehung in einem entfalteten statt eingefalteten Urteil nach Pfänder (s. 5.8.1) ist im Ausdruck einer Aussage nicht mehr apperzipierbar. Das Verb sein als realisierte Form oder als nicht sprachlich realisierte Beifügung zum beliebigen Verb stellt nach Abaelard keine Relation zwischen dem logischen Subjekt und dem Nomen in Position des logischen Prädikats her, sondern ist als intransitive Verbindung (engl.: intransitive link) zu beschreiben: „ Oportet autem praedicatum subiecto intransitive copulari, ut videlicet in eadem re ipsius impositio in subiecto inveniatur; veluti cum dicitur: ‚ homo est animal vel albus ‘ , et ‚ homo ‘ et ‚ animal ‘ vel ‚ album ‘ eiusdem nomina esse oportet “ 790 . Kneale/ Kneale konkludieren: „ Abelard insists that est is an intransitive link, that is to say, a link by which something is related only to itself [ … ] In short, he takes the copula as a sign of identity “ 791 . Ebenso spricht Abaelard jedoch von Inhärenz, indem der Term in Position des logischen Prädikats nicht auf ein eigenes Signifikat, sondern nur auf etwas verweist, das dem Denotat des logischen Subjekts anhaftet. Dabei bezeichnen nach Abaelard Verben dasjenige, was im logischen Subjekt inhärent ist: „ Perfectio itaque sensus maxime pendere dinoscitur in verbis, quibus solis alicuius ad aliquid inhaerentia[m] secundum varios affectus animi demonstratur; praeter quam quidem inhaerentiam orationis perfectio non subsistit. 787 R IJK (Hrsg. 1956: 160, 28 - 36) 788 Vgl. M ORO (1997: 196, Appendix, Anm. 16) 789 R IJK (1986: 88 f., 99); vgl. G ILL (1999) 790 R IJK (Hrsg. 1956: 166, 16 - 19) 791 K NEALE / K NEALE (1991: 208) 150 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="151"?> Cum enim dico: ‚ veni ad me ‘ vel ‚ utinam venires ad me ‘ , quodammodo inhaerentiam veniendi ad me propono secundum iussum meum vel desiderium meum, in eo scilicet quod iubeo illi ut venire ei cohaereat, vel desidero, idest ut ipse veniat. “ 792, 793 Tweedale erklärt dies folgendermaßen: „ The talk of inherence, however, must be treated delicately, for it is not Abelards view that any verb, even the copula, signifies some relational property of inherence. Rather verbs generally signify that which ‚ inheres ‘ , while the copula, according to one of Abelard ’ s accounts of it, signifies nothing at all. “ 794 Resümierend ist festzuhalten, dass diese Ausführungen Abaelards zur traditionellen Urteilslehre bzw. zum eingefalteten Urteil nach Pfänder führen, welches mit der obig deskribierten Erfassung des logischen Prädikats einhergeht, die an dieser Stelle als Vergegenständlichung desselbigen erkannt wird (s. 5.4; 5.8.1): „ Unde interpositum tertium nil significationis in se tenet, quod intellectus copulet, sed tantum rem praedicati suppositi. “ 795 De Rijk führt aus: „ In the Dialectica, then, Abelard maintains, a [sic] a whole, his previous position (which is found in two parts of the Logica Ingredientibus, viz. the Perihermeneias commentary and the one on Boethius De topicis differentiis), but sets on to refine it in that he gives the coupling of ‚ substantialness ‘ a predominant position over and against the predication of a (substantial of accidental) form. However he aptly combines this move (quite unavoidably, it may seem) with a subtle emptying of the notion of ‚ essentia ‘ ( ‚ substantialness ‘ ), with the result that, from now on, ‚ est ‘ ( ‚ is ‘ ) has developed into a mere container (meaning ‚ underdetermined substantialness ‘ ) for a ‚ re-al ‘ ( ‚ thing-like ‘ ) content (or sememe) conveyed by a predicate noun (which also may be a participle of an ordinary verb). [ … ] Finally, the emptycontainer view of the copula is completed by Abaelard ’ s suggestion to take the ‚ is ‘ plus the predicate noun as merely one linguistic construct. “ 796 Aus vorangehendem Zitat de Rijks geht hervor, dass von einer logischen Prädikationstheorie im eigentlichen Sinn (s. 5.6.2; 5.6.3) nicht mehr gesprochen werden kann. Nach dieser Vergegenständlichung des logischen Prädikats muss Abaelard nun eine weitere Unterscheidung für Aussagen treffen, in welchen der Term in Position des logischen Subjekts gemäß einer Annahme kein außersprachliches Denotat besitzt (z. B. Chimäre; ein zum gegenwärtigen Zeitpunkt bereits verstorbener Mann), d. h. in welchen das logische Subjekt keinen nachweisbaren (materiellen) Gegenstand in der außersprachlichen Wirklich- 792 R IJK (Hrsg. 1956: 149, 20 - 26) 793 Vgl. R IJK (Hrsg. 1956: 158, 34 - 159, 5) 794 T WEEDALE (1982: 145) 795 A BAELARD (1919 - 1927 [ca. 1100]: 362, 32 - 34, Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ); vgl. T WEEDALE (1982: 155) 796 R IJK (1986: 123 f.); vgl. T WEEDALE (1982: 145) 5.3 Die Kopula Abaelards 151 <?page no="152"?> keit denotiert, denn nach Abaelard muss, wie obig erwähnt, der logische Gegenstand, welcher ein Subjekt stellt, eine gegenwärtig raumzeitlich existente Entität der Wirklichkeit sein, die in Koppelung mit dem logischen Prädikat tritt. Wenn ein derartig gegenständliches Subjekt nach Abaelard nicht vorhanden ist, entsteht auch ein Problem für das vergegenständlichte logische Prädikat: „ At vero queritur, cum ‚ est ‘ verbum superius dictum sit inter quaslibet essentias copulare, quod omnes in essentia significat, quomodo illa potest copulare quorum significationem non continet, veluti <non> ens aut opinabile, quod proprie acceptum sola non-existentia, ut noblis placuit, nominat, aut quomodo constructionis proprietas servari poterit, | nisi intransitive ipsum quoque his que copulat coniungatur? “ 797 In solchen Aussagen koppelt die Kopula nach Abaelard nicht die Signifikation von realer Wesentlichkeit im logischen Subjekt, sondern dient nur als Koppelung, die zwar nach Abaelard einen grammatischen Ausdruck formt, aber sonst etwas anderes ausdrückt als die einzelnen Bestandteile des Ausdrucks, wenn sie getrennt erfasst werden. 798 Da Abaelard derartige Aussagen mit leeren Begriffen in Position des logischen Subjekts anhand seiner nominalistischen Konzeption nicht weiter erklären kann, bezeichnet er sie schlicht als unpassend (auch: unsachgemäß; uneigentlich; engl.: improper): „ At vero cum totius constructionis sententia pensatur ac simul verba in sensu alterius enuntiationis confunduntur, non iam singularum dictionum significatio attendenda est, sed tota magis orationis sententia intelligenda; atque in eo impropria dicitur orationis constructio quod eius sententia ex significatione partium non venit. “ 799 Abaelard betont, dass die Problematik derartiger Aussagen sich außerdem auflöst, indem festgelegt sei, dass die Kopula grundsätzlich nie das Signifikat der Existenz trage: „ Nec quidem quantum ad eius interpretationem perinet, ex eo quod diditur: ‚ Petrus est homo ‘ , inferri potest ‚ Petrus est ‘ , sed fortasse quantum ad praedicationem ‚ hominis ‘ , quod existentis rei tantum nomen est. “ 800 Tweedale erklärt: „ Abaelards solution is to treat the whole phrase consisting of the copula plus predicate noun or adjective as a single verb-phrase and in this way eliminate any idea that ‚ to be ‘ on its own is predicated of the subject. “ 801 Auf Sätze wie den Beispielsatz Socrates est wendet Abaelard die Ellipsentheorie (s. 5.2) an und präskribiert die Lesart Socrates est ens mit der Begründung, dass es sich bei dem Satz Socrates est nur um eine Abkürzung handle, was er durch Heranziehung einer Schlussfigur 797 R IJK (Hrsg. 1956: 135, 18 - 23) 798 Vgl. R IJK (Hrsg. 1956: 135, 28 - 136, 13) 799 R IJK (Hrsg. 1956: 136, 22 - 26, vgl. 169, 4 - 24) 800 R IJK (Hrsg. 1956: 137, 2 - 6) 801 T WEEDALE (1982: 145) 152 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="153"?> reductio ad absurdum 802 zu bekräftigen versucht. 803 Doch neben dieser allgemeinen Deskription der Interpretation von Prämissen und Konklusionen eines Syllogismus beruft sich Abaelards Herleitung der Kopula, wie obig einleitend erwähnt, insbesondere auf die zeitliche Kosignifikation der Nomen. Tweedale merkt an, dass Abaelards Bestrebungen, ausschließlich dem Denotat des Terminus ’ Gott bedingungslos Existenz zuzusprechen und sonstigen Entitäten in der Realität nur bedingte oder keine Existenz zuzuerkennen, diese Annahme einer zeitlichen Kosignifikation der Nomen motiviert, um theoretisch deren Inhalte bzw. Sememe raumzeitlich zu binden und extensional als Wesenheiten und Entitäten in der materiellen, außersprachlichen Wirklichkeit zu erfassen. 804 Die Dekonstruktion von satzinterner Relationalität in Abaelards Sprachphilosophie liegt, wie obig nachgezeichnet, deshalb in der Abaelardschen Annahme einer Affinität von Nomen und Verb sowie von logischem Subjekt und logischem Prädikat begründet und resultiert in eine Zersetzung der Aussagenstruktur als auch eine anschließende Synthese auf der Ebene der Gegenständlichkeit, die morphosyntaktisch nicht legitimiert ist, aber unter Hinzuziehung des Konzepts einer Kopula pro forma gerechtfertigt wird. Dabei wird nicht lediglich den Universalien ihr ontologischer Status aberkannt 805 , sondern es wird ebenso gegen die Begriffsbildungen als kompositionelle (auch: kompositionale) semantisch-syntaktische Aussagenstrukturen verstoßen, die in natürlichen, flektierenden Sprachen Inhalte zusammenfügen und diese Zusammenfügung nach Regeln der grammatischen Wohlgeformtheit sprachlich ausdrücken, anstatt eine unendliche Anzahl von Einzelwörtern oder Einzelwortbildungen bereitzustellen, die jegliche Denotate der extensionalen Wirklichkeit mit einem Namen oder einer Benennung ausstatten. Diese Dekonstruktion von logischen Prädikaten in Aussagen betrifft somit insbesondere auch die Gültigkeit von wahren, affirmativ formulierten kategorialen Aussagen bzw. Propositionen, da deren ausgedrückte Begrifflichkeiten nun in ein Abhängigkeitsverhältnis zum extensionalen Denotat des Terms in Position des logischen Subjekts mit lediglich kontingenter Existenz gestellt werden. Tweedale erklärt diesen Zusammenhang und die Konsequenz aus Abaelardschen Annahmen folgendermaßen: „ Further we see, that the ‚ necessity of entailment ‘ which Abelard claims is involved in all valid inference and in the ‚ laws of nature ‘ on which science relies, really concerns connections between these natures or status and the dicta of whole 802 R IJK (Hrsg. 1956: 137, 162, 3 - 24) 803 Vgl. M ORO (1997: 251 f., Appendix) 804 Vgl. T WEEDALE (1982: 151) 805 Vgl. R IJK (1986: 94); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 208 f.) 5.3 Die Kopula Abaelards 153 <?page no="154"?> propositions If we were to treat the status and dicta as things [ 806 ], they would be eternal, necessary realities beloved by all Platonists, which provide whatever intelligibility the world may have. Abelard is not entirely repelled by such a vision. [ … ] But in the end he avoids any commitment to this sort of realism. “ 807 Diese Thesen in Abaelards Sprachphilosophie können somit einen Versuch darstellen, auflösend in die Konzeption des Logos einzugreifen, sofern gültige anerkannte kategoriale Aussagen bzw. Propositionen (z. B. lat.: lex naturae; dt.: Naturgesetze) als Bestandteile desselbigen verstanden werden (s. 5.1). Die Konsequenz ist eine nominalistische Anschauung und eine extensionale Lesart von sprachlichen Ausdrücken, die sich jedoch aufgrund der Infragestellung der Gültigkeit von Relationalität und Kausalität auf der Ebene der Begriffe sowie der Bedingtheit der Existenz sämtlicher Realien, in okkasionalistische Anschauungen, welche ausschließlich die bedingungslose Existenz eines transzendenten Gottes oder nicht begreifbaren Numens zulassen, einbetten lässt: „ God, who is the cause of the concomitance of bodily and mental facts, is in truth the sole cause in the universe. No fact contains in itself the ground of any other; the existence of the facts is due to God, their sequence and coexistence are also due to him. He is the ground of all that is. My desires, volitions and thoughts are thus the desires, volitions and thoughts of God. Apart from God, the finite being has no reality, and we only have the idea of it from God. “ 808 Beiden Anschauungen liegt ein semiotisches Modell zur Sprachanalyse zugrunde, in welchem ausschließlich Gegenstände der extensionalen Denotationsebene der außersprachlichen Wirklichkeit oder deren mentale Repräsentationen kontingenter Existenz lokalisiert sind und gehen nicht von begrifflich erfassbarer Relation, Begriffsintension oder prädikativer Natur sowie von einem Wahrheitswert oder einer Gültigkeit derselbigen, die Letztgenannte als Begriff, Gedanke oder Konzept begreifbar machen und den (materiellen) Gegenständen überordnen, aus (s. a. 7.6.1). Deshalb bilden Abaelards sprachphilosophische Thesen das Fundament der okkasionalistisch bzw. jansenistisch geprägten Logik von Port- Royal (s. 5.4) sowie der mit dieser einhergehenden Grammatik als auch die semiotische Grundlage von nominalistisch, materialistisch oder positivistisch 806 Hierbei sind nicht logische Gegenstände der materiellen, extensionalen Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit gemeint, sondern die Ontologie der status und dicta, welche sie als existent auszeichnet. 807 T WEEDALE (1982: 156); vgl. A BAELARD (1919-1927 [ca. 1100]: 365 f., Die Glossen zu Περὶ ἑρμηνείας ) 808 H OOPER / C HISHOLM / P HILLIPS (Hrsg. 1910: 913, Geulincx Arnold); vgl. z. B. a. A L -G HAZALI / K AMALI (1963: 185 f., Problem XVII) 154 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="155"?> orientierten Theorien. 809 Tweedale konkludiert: „ What most associate Abelard with nominalists of the later Middle Ages such as Ockham, and even of our own time, such as N. Goodman and W. V. O. Quine, are his incessant efforts to show that dialectic and the artes sermocinales in general can be developed without their requiring us to believe in the existence of things other than those more or less ordinary ones described by physia. “ 810 Eine Applikation der Abaelardschen These von der Kopula in der deutschen Grammatikschreibung führt z. B. Admoni mit nachfolgenden Worten vor: „ Aus der Sicht der logischen Analyse ist der Gedanke (das Urteil), da zu seinem Bestand die Kopula gehört, sogar dreigliedrig, was für uns irrelevant ist, denn die Funktion der Kopula besteht nur darin, daß sie die Verbindung zwischen Subjekt und Prädikat herstellt und folglich keine selbständige Bedeutung hat. Im Gegensatz zu gängigen Bestimmungen des Subjekts als des Gegenstandes, von dem das Urteil handelt [ … ] bzw. über den etwas ausgesagt wird [ … ], charakterisieren wir das Subjekt des logischen Urteils als den Gegenstand, der im Satz eine Bestimmung bekommt; wir bezwecken damit eine deutlichere gegenseitige Abgrenzung des Urteils als gedanklicher und des Satzes als sprachlicher Einheit. “ 811 Abschließend ist Kneales/ Kneales Kommentierung Abaelards Theorie zu nennen, welche darauf hindeutet, dass Abaelards Sprachtheorie impraktikabel ist und nicht der sprachlichen Realität entspricht: „ For all his subtlety and shrewdness Abelard seems to have failed to appreciate the great importance of the difference between referring to an individual by means of a proper name or demonstrative sign and characterizing it by means of a general term or descriptive phrase, though he was of course quite well able to use the distinction in ordinary discourse and even to talk about it intelligently when he was not dealing with those controversial problems for the solution of which it is essential. “ 812 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes Die Logik von Port-Royal La logique, ou l ’ art de penser 813 und ihre logischphilosophischen Prinzipien sind eng mit der Grammatik Grammaire générale 809 Für fortführende Erläuterungen sowie die Darlegung weiterer Implikationen derartiger Positionen, s. 7.6.1. 810 T WEEDALE (1982: 154) 811 A DMONI (2002 [1955]: 112, Fn. 112) 812 K NEALE / K NEALE (1991: 208 f.) 813 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]) 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes 155 <?page no="156"?> et raisonnée von Arnauld/ Lancelot 814 verwoben 815 , so dass auf eine Vorstellung der Grammaire générale et raisonnée an dieser Stelle verzichtet wird. Anschließend wird Arnaulds/ Nicoles La logique, ou l ’ art de penser 816 erörtert, da sie logische Vorannahmen, welche für die Reflexion logisch-semantischer Beziehungen im Aussagesatz relevant sind, herausarbeitet. Nach Tugendhat/ Wolf versucht Arnaulds/ Nicoles Werk die Inhalte und Bedeutungen von Begriffen zu erfassen sowie psychologische Fragestellungen zu behandeln. 817 Zusammenfassend konstatiert Ueding hinsichtlich der Logik von Port-Royal: Die „ Begriffslogik und Analyse der Wahrheit ersetzen die alte Logik und Dialektik vom richtigen Schließen und Argumentieren. “ 818 Wesentlich sind auch in diesem Werk die Bestimmung der Nomen (frz.: noms), die als Substantive Gegenstände (frz.: des choses) (z. B. terre; soleil) und als Adjektive die Art und Weise (frz.: des manières des choses) (z. B. bon; juste; rond) bezeichnen 819 und ihre Abgrenzung von Verben. 820 Dabei rückt die Analyse der Struktur eines einzelnen Aussagesatzes in den Mittelpunkt, bevor die Figuren aus der Analytica Priora Aristoteles ’ und ihre Modi systematisch dargelegt werden. 821 Das Verständnis der Aussagesätze in den Syllogismen ist in der Logik von Port-Royal von scholastischen Ansichten geprägt. 822 Deshalb übernehmen Arnauld/ Nicole den Abaelardschen Kopulabegriff als bloße Verbindung oder Koppelung zweier Begriffe (frz.: termes) 823 : „ Selon cette idée, l ’ on peut dire que le verbe de luimême ne devrait point avoir d ’ autre usage que de marquer la liaison que nous faisons dans notre esprit des deux termes d ’ une proposition; mais il n ’ y a que le verbe être qu ’ on appelle substantif, qui soit demeuré dans cette simplicité, et encore n ’ y est-il proprement demeuré que dans la troisième personne du présent est et en de certaines rencontres: car, comme les hommes se portent naturellement à abréger leurs expressions, ils ont joint presque toujours à l ’ affirmation d ’ autres significations dans un même mot. “ 824 Des Weiteren wird die Kopula sein (frz.: être), insbesondere die 3. Person Singular ist (frz.: est) derselbigen als reine Affirmation ohne jegliche andere Signifikation inter- 814 A RNAULD / L ANCELOT (1966 [1660]) 815 U EDING (Hrsg. 2001: 570 f.) 816 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]) 817 T UGENDHAT / W OLF (1983: 7) 818 U EDING (Hrsg. 2001: 571) 819 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 96 ff.) 820 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 100 ff.) 821 Vgl. A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 105 ff., 182 ff.) 822 U EDING (Hrsg. 2001: 567) 823 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101, 104) 824 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101) 156 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="157"?> pretiert: „ le mot est ne signifie que l ’ affirmation simple “ 825 . In Aussagesätzen mit beliebigen Verben nehmen Arnauld/ Nicole neben einer Zeitlichkeit 826 , ebenfalls einen affirmativen Charakter des Verbs im Allgemeinen als deren Hauptsignifikation an, da angeblich jedwedes Verb neben seinem eigentlichen Inhalt eine verdeckte Kopula in sich birgt. Diese zeitliche Kosignifikation gilt nicht für das Verb sein (frz.: être) in der 3. Person Singular ist (frz.: est), wenn es in Sätzen vorkommt, die ewige Wahrheiten (z. B. Gott ist unendlich; alle Körper sind teilbar; das Ganze ist größer als seine Teile) ausdrücken. 827 Eine Affirmation (frz.: affirmation) ist nach der Logik von Port-Royal an ein bewusstes Urteil des Sprechers gebunden: „ on appelle verbe qui n ’ est rien autre qu ’ un mot dont le principal usage est de signifier l ’ affirmation, c ’ est-à-dire de marquer que le discours où ce mot est employé est le discours d ’ un homme qui ne conçoit pas seulement les choses, mais qui en juge et qui les affirme; en quoi le verbe est distingué de quelques noms, qui signifient aussi l ’ affirmation, comme affirmans, affirmatio, parce qu ’ ils ne la signifient qu ’ en tant que par une réflexion d ’ esprit, elle est devenue l ’ object de notre pensée; et ainsi ils ne marquent pas que celui qui se sert de ces mots affirme, mais seulement qu ’ il conçoit une affirmation. “ 828 Um den affirmativen Charakter eines nicht negierten Aussagesatzes auch für Sätze ohne Kopula bzw. ohne das Verb sein aufrechtzuerhalten, übernehmen Arnauld/ Nicole Abaelards Hypothese einer nicht overt realisierten Kopula und behaupten, dass das Verb sein in jedem Fall dem sprachlichen Ausdruck verdeckt oder sprachlich materialisiert inne ist. Auch Arnauld/ Nicole weisen damit, wie alludiert, eine kopulative Rolle allen Verben zu, wobei diese die Affirmation erwirkt: „ ces verbes enferment dans eux-mêmes l ’ affirmation et l ’ attribut. “ 829 In einem beliebigen Aussagesatz ist nach der Logik von Port-Royal nicht nur ein Attribut oder Prädikativ vorhanden, sondern auch die affirmative und negierbare Natur, welche an das verdeckte oder materiell realisierte Verb sein (frz.: être) geknüpft ist. 830 Die Folge ist eine Reduktion des inhaltlichen Ausdrucks eines Verbs zu einer „ simplicité “ 831 , die mit der geringen inhaltlichen und strukturellen Relevanz des Verbs in den Syllogismen der tradierten Syllogistik Aristotles ’ assoziiert wird. 832 Wie obig dargelegt (s. 5.2), verursacht 825 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 104) 826 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 102, 104) 827 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101 - 104) 828 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101); vgl. M URPHY (1974: 276 f.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 567) 829 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 102) 830 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101) 831 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 101) 832 Zur Formulierung der Inbezugsetzung zweier Begriffe in den Prämissen und Konklusionen der Syllogistik Aristoteles ’ , s. 5.2. 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes 157 <?page no="158"?> eine angenommene Inhaltsleere des Verbs sein in der scholastischen Tradierung der Syllogismen, die lediglich auf Namen von Begriffen, Quantität und Qualitäten operieren, keine besonderen Komplikationen, da diese als relationslogische, mengentheoretische oder funktionale Gebilde ein Schlussverfahren präsentieren. 833 Die Logik von Port-Royal sowie die Grammaire générale et raisonnée von Arnauld/ Lancelot illustrieren damit historisch nach Abaelard ein weiteres Mal, wie das inhaltsleere Verb sein aus der Tradierung der Syllogismen in die syntaktische oder logisch-semantische Analyse einzelner Aussagesätze gerät, die keine Komponenten einer Beweisführung oder eines schlussfolgernden Verfahrens sind und daraufhin in die Grammatikschreibung gelangt. Gemäß des Vorschlags Abaelards und der von diesem propagierten Ellipsentheorie sind die exemplarisch genannten Sätze Dieu aime les hommes (dt.: Gott liebt die Menschen) als Dieu est aimant les hommes (dt.: (? )Gott ist die Menschen liebend) oder Sätze mit einem existenzbezeichnenden Verb sein wie der Beispielsatz je suis (dt.: ich bin) als die Formulierungen je suis un être (dt.: ich bin ein Sein) oder je suis quelque chose (dt.: ich bin etwas) zu lesen: „ Tels sont tous les verbes, hors celui qu ’ on appelle substantif, comme Dieu existe, c ’ est-à-dire est existant; Dieu aime les hommes, c ’ est-à-dire Dieu est aimant les hommes: et le verbe substantif, quant il est seul, comme quand je dis je pense, donc je suis, cesse d ’ être purement substantif, parce qu ’ alors on y joint le plus général des attributs qui est l ’ être; car je suis veut dire, je suis un être, je suis quelque chose. “ 834 Da das Verb sein als Kopula in der Logik von Port-Royal in Übereinstimmung mit der Hypothese Abaelards (s. 5.3) verdeckt oder sprachlich realisiert in jedem Aussagesatz vorhanden sein muss, folgt daraus die Port-Royalsche Trichotomie der syntaktisch-semantischen Struktur des Aussagesatzes: Subjektposition - Kopula - Prädikatposition: „ toute proposition enferme nècessairement ces trois choses “ 835 . Die Begriffe Extension (frz.: étendu; lat.: extensio; dt.: Ausdehnung; Spannweite; Verbreitung) und Intension (frz.: compréhension; lat.: intensio; dt.: Mühe; Spannung; Anspannung) erläutern Arnauld/ Nicole daraufhin in folgenden Worten: „ Or, dans ces idées universelles, il y a deux choses qu ’ il est très-important de bien distinguer, la compréhension et l ’ étendue. J ’ apelle compréhension de l ’ idée, les attributs qu ’ elle enferme en soi, et qu ’ on ne peut lui ôter sans la détruire, comme la compréhension de l ’ idée du triangle enferme extension, figure, trois lignes, trois 833 Vgl. K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 9 f.); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: XII) 834 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 106) 835 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 106) 158 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="159"?> angles et l ’ égalité de ces trois angles à deux droits, etc. J ’ appelle étendue de l ’ idée les sujets à qui cette idée convient; ce au ’ on appelle aussi les inférieurs d ’ un terme général, qui, à leur égard, est appelé supérieur, comme l ’ idée du triangle en général s ’ étend à toutes les diverses espèces de triangle. “ 836 Damit ist anhand des Begriffs Dreieck exemplarisch erklärt, dass in der Intension des Begriffs Dreieck die Idee der Figur, d. h. der drei Winkel usw. enthalten sei, doch seine Extension umfasse alle unter diese Idee fallenden Gegenstände. 837 (S. a. 5.7.1) Um die Vorstellung einer nicht notwendig im Inhalt einer Idee enthaltenen Eigenschaft zu erläutern, führen die Autoren das Beispiel beweisbarer, nicht definitorischer Eigenschaften mathematischer Objekte, z. B. des rechten Winkels im Dreieck, der nicht notwendig in der Idee eines beliebigen Dreiecks selbst enthalten ist, an. 838 Nach Kirchmann vertritt auch Aristoteles ’ Werk eine vergleichbare Auffassung von Prädikation: „ Es entspricht dies dem obersten Grundsatze seiner Philosophie, wonach der Begriff eines Gegenstandes nicht ausserhalb desselben, sondern in ihm, als ein Theil desselben enthalten ist, welcher nur im Denken von ihm abgetrennt vorangestellt werden kann. Nun ist das Prädikat der höhere Begriff zu dem Subjekt, unn [sic] folglich ist auch dieser höhere Begriff in dem niederen als ein Theil desselben enthalten. “ 839 Allerdings unterscheidet Aristoteles auch in der Hermeneutica deutlich zwischen zwei Aussagen, nämlich erstens, jener Aussage, welche einem logischen Subjekt im Satz ein logisches Prädikat im selben Satz zuordnet, und zweitens, der Aussage, welche einer Inbezugsetzung bzw. einer Sättigung eines logischen Prädikats mit einem logischen Subjekt, das logische Prädikat wahr oder falsch zuweist: „ Wenn der Gegenstand nicht weiss ist, so ist die Aussage dass er weiss ist, falsch und wenn dieses Aussage falsch ist, so ist der Gegenstand nicht weiss; also muss nothwendig die Bejahung oder Verneinung wahr oder falsch sein. “ 840 Nun wird jedoch terminologisch erstere Aussage Urteil genannt, als auch zweitere Aussage, welche als eigentliches Urteil einen Wahrheitswert wahr oder falsch erwirkt. Dabei ist ebenfalls der Wahrheitswert wahr oder falsch als logisches Prädikat konstruierbar, so dass das logische Prädikat der ersten Aussage, falls es sich um eine affirmative Aussage handelt, mit einem Wahrheitsanspruch bzw. fehlerhaft mit dem Wahrheitswert wahr assoziiert werden kann, während eine negierte Aussage fehlerhaft mit dem Wahrheitswert falsch assoziiert werden kann, wobei der Wahrheitsanspruch der negierten Aussage selbst nicht berücksichtigt wird und 836 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 51 f.) 837 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 51 f.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 566); vgl. a. F REGE (1884: 64) 838 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 52) 839 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 11, 9. B. 1. K. 1. S. 3., Erl. 9) 840 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 63, Kap. 9) 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes 159 <?page no="160"?> die Negation als Auflösung des Wahrheitsanspruchs der zugehörigen nicht negierten Aussage perzipiert wird. 841 Arnauld/ Nicole erklären: „ Après avoir conçu les choses par nos idées, nous comparons ces idées ensemble; et, trouvant que les unes conviennent entre elles, et que les autres ne conviennent pas, nous les lions ou délions, ce qui s ’ appelle affirmer ou nier, et généralement juger. Ce jugement s ’ appelle aussi proposition, et il est aisé de voir qu ’ elle doit avoir deux termes: l ’ un de qui l ’ on affirme ou de qui l ’ on nie, lequel on appelle sujet; et l ’ autre que l ’ on affirme ou que l ’ on nie, lequel s ’ appelle attribut ou prædicatum. Et il ne suffit pas de concevoir ces deux termes; mais il faut que l ’ esprit les lie ou les sépare et cette action de notre esprit et marquée dans le discours par le verbe est, ou seul quand nous affirmons, ou avec une particule négative quand nous nions. “ 842 An dieser Stelle wird deutlich, dass Arnaulds/ Nicoles Kunst zu Denken anstrebt, richtiges bzw. eine bestimmte Art zu Denken zu lehren, indem ein kopulativer Assertionsmoment zwischen den Aussagebestandteilen die Komposition eines sprachlichen Ausdrucks als die Kombination von logischem Subjekt und logischem Prädikat zu restringieren versucht. Der in den Satz hineinverlegte Behauptungsmoment des Urteils soll kontrollieren, ob die zwei Ideen, welche durch das logische Subjekt und das logische Prädikat verkörpert werden, affirmativ oder negiert im sprachlichen Ausdruck aneinandergefügt werden dürfen. Hierbei geht es nicht um die Befolgung grammatischer Regeln oder die Wohlgeformtheit eines Ausdrucks in einer logischen oder mathematischen Notation, sondern um Ideen (frz.: idées) und Dinge der außersprachlichen Wirklichkeit (frz.: choses) (s. 5.8.3; 6.4.2; 6.4.2.1; 6.4.2.2). Die Logik von Port-Royal geht damit über die Bemerkung, eine Aussage sei affirmativ formuliert, da sie keine Verneinung aufweise, hinaus, indem sie einen Aussagesatz als Urteil bezeichnet und außerdem den Moment der Affirmation in das Verb und die Kopula verlegt. Unter einem Wahrheitsanspruch einer affirmativ formulierten Aussage tendiert nun das logische Prädikat des Satzes zum Resultat seiner eigenen Prädikation zu werden, so dass das Ergebnis eines angenommenen Urteils der Term in logischer Prädikatsposition ist. Eine Aussage wie der Beispielsatz Peter lebt transformiert sich unter der Konstruktion einer Affirmation in der Kopula in den Ausdruck Peter ist lebendig mit dem Ergebnis des Urteils lebendig. Ein Aussagesatz und ein Urteil gestalten sich somit in einem solchen Fall als ein direkter Verweis in die gegenständliche Ebene auf das Denotat des logischen Prädikats und seine Affirmation, anstatt 841 Diese Differenzierung ist, wie erwähnt, eigentlich aus diesem Zitat Aristoteles ’ abzuleiten, vgl. hierzu auch die Nachgeordnetheit des Urteils bei Frege (s. u.; vgl. F REGE (2002 [1892]a: 31 f.) sowie die Ausführungen Freges zur Verneinung (F REGE (2003 [1918 - 1919] b)); vgl. P FÄNDER (1921); vgl. B ECK (1916); s. a. 5.8; 5.8.1; 5.8.3 842 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 105 f.) 160 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="161"?> als Reflexion über einen als Aussage ausgedrückten Sachverhalt, welchem nach einem Urteil das Prädikat wahr oder falsch zugeteilt wird. Hierbei konstatieren Arnauld/ Nicole, das Subjekt sei der Unterbegriff und das Attribut oder Prädikat sei der Oberbegriff, mit der Begründung, dass das logische Subjekt im Allgemeinen weniger ausgedehnt sei, d. h. eine geringere Extension besitze als das logische Prädikat: „ le sujet est aussi appelée le petit terme, parce que le sujet est d ’ ordinaire moins étendu que l ’ attribut, et celle qui en est l ’ attribut est aussi appelée le grand terme pare une raison contraire. “ 843 Auch dieses Verständnis desjenigen Begriffs mit der weiteren Ausdehnung als Prädikat ist vereinbar mit einer Identifikation des logischen Prädikats in der Analytica Priora Aristoteles ’ : „ Es sei hier nocheinmal wiederholt, dass es besser ist, wenn man sich an die Ausdrucksweise der Urtheile gewöhnt, wonach das Prädikat, als der weite Begriff vorangestellt wird und gesagt wird: das Prädikat ist in dem ganzen Subjektsbegriff enthalten (das Sterbliche ist in allen Menschen enthalten), als: alle Einzelnen des Subjektsbegriffes sind das, was das Prädikat besagt (alle Menschen sind sterblich). Der Sinn ist derselbe, allein Ar. gebraucht nur die erste Ausdrucksweise und nur wenn man dieses auch im Deutschen thut, wird das Verständnis seiner Schrift so erleichtert, dass man bequem ihr folgen kann. “ 844 Diejenigen Schlüsse, welche keinen Mittelbegriff benötigen, aber sich dennoch aus eigentlich zwei Aussagen konstituieren, grenzen sich, wenn sie unter bestimmten Bedingungen operieren, als Verstandesschlüsse von Vernunftschlüssen ab. Kirchmann weist darauf hin, dass das Schlussverfahren eines Syllogismus Aristoteles ’ „ allemal ein Vernunft-Schluss “ 845 ist und dass Aristoteles den Unterschied zwischen Verstandes- und Vernunftschlüssen nicht kennt 846 : „ Verstandesschlüsse werden jetzt diejenigen Schlüsse genannt, welche keinen dritten oder Mittelbegriff brauchen, um aus einem Urtheile abgeleitet zu werden; sie sind also bereits implicite in den [sic] einem Urtheile enthalten und werden im Verstandesschluss nur explicite gesetzt. “ 847 Auch die Logik von Port-Royal führt die Bildung eines Syllogismus ’ nach Aristoteles als eine Struktur aus mindestens zwei Prämissen und einer Konklusion auf 848 . Doch die Strukturierung eines einzelnen Aussagesatzes als affirmierbares oder negierbares Urteil nach Arnauld/ Nicole stellt gegenüber den Verstandesschlüssen noch eine weitere Reduzierung dar. Es handelt sich bei der Affirmation der Logik von Port-Royal um ein Urteil darüber, ob eine Proposition wahr oder 843 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 64 - 66) 844 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 16, 11. B. 1. K. 2. S. 4, Erl. 11) 845 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 22, 17. B. K. 4. S. 6., Erl. 17) 846 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 22, 17. B. K. 4. S. 6., Erl. 17) 847 K IRCHMANN (1877 - 1883 [1877]: 22, 17. B. K. 4. S. 6., Erl. 17) 848 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 167 ff.) 5.4 Die Port-Royalsche Trichotomie des Aussagesatzes 161 <?page no="162"?> falsch ist, ob die ausgesagte Zuschreibung eines Attributs bzw. einer Eigenschaft oder Charakteristik zu einem logischen Subjekt nach einem Ideenvergleich 849 in einem alleinstehenden Aussagesatz semantisch stimmig oder unstimmig erfolgt ist. Ein Urteil erfolgt demnach, wie bereits angesprochen, nicht über den Ausdruck eines Aussagesatzes, sondern während der Bildung eines Aussagesatzes. Da das logische Prädikat des Satzes in einem Aussagesatz nach der Logik von Port-Royal in seiner Kombination mit einer Kopula sich selbst affirmiert, ergibt sich zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat ein Behauptungsbzw. Assertionsmoment. 850 Insgesamt sind diese Denkoperationen aus den Syllogismen Aristoteles ’ übernommen, deren Konklusion des Schlussverfahrens aufgrund des komplexen, systematischen Aufbaus eines aus (mindestens) drei Aussagen bestehenden Syllogismus gemäß den Qualitäten und Quantitäten der jeweils zueinander in Bezug gesetzten Terme immer gültig oder ungültig bzw. wahr oder falsch sein muss (s. 5.2), jedoch wird eine Erwartung dieser Verhältnisse nun in einen alleinstehenden Aussagesatz verlegt. Die Theorie der Logik von Port-Royal über das Verb setzt demnach zunächst an der Kopula Abaelards an, welche als inhaltsleeres Instrument der Koppelung von einem Signifikat existieren abgetrennt wurde. In einer Zusammenziehung des syllogistischen Schlussverfahrens sowie der Nichtbeachtung der Trennung zwischen einer Aussage über einen Gegenstand und einer Aussage über eine logische Prädikation mit dem Wahrheitswert wahr oder falsch, mutiert die Abaelardsche Kopula zu einem affirmierenden Akt. Diese Affirmation wird aufgrund der verdeckten Kopula in jedem Verb nach Abaelard in der Logik von Port-Royal in alle Verben transferiert. Warum z. B. die französische oder deutsche Sprache verschiedene Verben mit diversen Inhalten entworfen hat, erscheint anschließend fragwürdig. Diese Frage beantworten Arnauld/ Nicole mit derselben Begründung wie Abaelard, nämlich dass Verben aus einer Vorliebe für verkürzte Rede (z. B. Peter ist lebendig zu Peter lebt) entstanden seien: „ Car les hommes, voulant abréger leurs discours, ont fait une infinité de mots qui signifient tout ensemble l ’ affirmation, c ’ est-à-dire ce qui est signifié par le verbe substantif, et de plus un certain attribut qui est affimé. “ 851 Obwohl die Logik von Port-Royal ausführliche Erklärungen zu einer Extension und zu einer Intension einbringt sowie innerhalb der Begriffslogik argumentiert, ermöglicht sie eine Verstehbarkeit von sprachlich formulierten Aussagen und Urteilen auf gegenständlicher Ebene, welche mit dem logischen Prädikat auch das grammatische Prädikat, das Verb, dekonstruiert. Der Einfluss Abae- 849 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 105 f.) 850 Zu den Termini Assertionsfunktion und Behauptungsfunktion, vgl. B AUM (1976: 28); s. 5.8 851 A RNAULD / N ICOLE (1992 [1662]: 106) 162 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="163"?> lardscher, cartesianischer und jansenistischer Ansichten erwirkt in der Logik von Port-Royal für die Sprachbeschreibung entgegen der Erwartung nach den Erklärungen zur Intension somit ein Hindernis für das grammatische Prädikat als logisches Prädikat in seinem Wesen als intensionaler Begriff, welcher über Gegenstände bzw. den Term in logischer Subjektsposition etwas aussagt, damit Gegenständen übergeordnet ist und diese umfängt, nicht nur denotiert (s. 5.3). Ein seiender intensionaler Begriff, der als Instrument der Erfassung von Gedanken sowie der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit, d. h. als Satzbildungselement, für die syntaktische Position des Prädikats verfügbar ist, kann sich gemäß der Theorie der Logik von Port-Royal nicht etablieren, da das Urteil über den Wahrheitswert der Zusammensetzung von Ideen im Satzbildungsprozess vorgeschaltet ist, und das Prädikat damit vergegenständlicht wird. Aus obig genannten Gründen ist Ueding zuzustimmen, welcher der Logik von Port-Royal eine „ Radikalisierung “ 852 ähnlicher scholastischen Auffassungen attestiert. 853 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik Ebenso widmet sich die Mathematik der Syllogistik Aristoteles ’ . Der Prozess der Mathematisierung der traditionellen Syllogistik soll in der vorliegenden Studie mit einer einleitenden Erörterung der Thesen Leibniz ’ und Booles vorgestellt werden, da das Leibniz-Gesetz als auch die Auffassung des extensionalen Wahrheitswertes einer Aussage und die Erklärung einer Tautologie nach Boole bzw. die Weiterentwicklung Booles Thesen für die dargelegte Argumentation relevant sind. Nach Ueding hat bereits Leibniz die ersten Entwürfe einer mathematischen Logik formuliert. Entsprechung findet eine formale Betrachtung der Syllogismen somit in Leibniz ’ Ausführungen. Wie Rescher anmerkt, hält Leibniz an der Gültigkeit der klassischen aristotelischen Logik fest, strebt jedoch an, diese mittels symbolischer Abstraktion zu präzisieren. 854 Zudem leitet Leibniz im Jahr 1679 mit der lingua characteristica universalis 855 die Formalisierung der Sprache ein und verwendet Zeichen für unbestimmte Relationen. 856 Dabei greift Leibniz nach Ueding begriffslogische Unterscheidungen auf und bindet sie in seine Grundidee ein, komplexe Begriffe und Begriffsrelationen aus einem Grundinventar von einfachen Begriffen durch 852 U EDING (Hrsg. 2001: 567) 853 U EDING (Hrsg. 2001: 567) 854 L EIBNIZ (1903 [ca. 1660 - 1720]b: 295 ff.); vgl. K LASSEN (1974: 138); vgl. R ESCHER (1954: 7); vgl. L EWIS / L ANGFORD (1932: 5 ff.); vgl. B LANCHÉ (1996: 189 ff.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 572) 855 Vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 184 - 217, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XI - XVII) 856 C OUTURAT (1901: 301); vgl. G UILLAUME (1985: 785 f.) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 163 <?page no="164"?> geeignete Kombination abzuleiten. Jedem Begriff wird demnach ein bestimmtes Zeichen als Etikett zugeschrieben, z. B. sei der Buchstabe d das Etikett des Begriffs Mensch, so ist der Buchstabe d eine Art Eigenname für den Begriff Mensch. 857 Das gesamte Werk trägt den Titel Über die universale Synthese und Analyse oder über die Kunst des Findens und Urteilens (lat.: seu de arte inveniendi et iudicandi) womit Leibniz, wie Ueding zusammenfasst, die in der Topik Aristoteles ’ dargelegten Ideen auf das kombinatorische Kalkül überträgt 858 : „ Im Übrigen ist für mich die kombinatorische Kunst speziell diejenige Wissenschaft (man könnte sie auch allgemein Charakteristik oder Bezeichnungskunst nennen), in welcher die Formen oder Formeln der Dinge überhaupt behandelt werden, d. i. ihre Qualität im allgemeinen oder das Verhältnis des Ähnlichen und Unähnlichen, so wie etwa aus solchen Elementen wie a, b, c etc. (ob sie nun für Quantitäten oder etwas anderes stehen) durch ihre wechselseitige Verknüpfung verschiedene Formeln entstehen können; und hierdurch unterscheidet sie sich von der Algebra, die von den Formeln der Quantität handelt oder vom Gleichen und Ungleichen. “ 859 Leibniz unternahm demzufolge mit der lingua characteristica universalis den Versuch einer formalisierten Sprache, doch nach Guillaume verblieb sein Vorhaben im Stadium eines Entwurfs. 860 Festzuhalten ist, dass Leibniz in seiner Abhandlung Elementa calculi (dt.: Bausteine eines Kalküls) aristotelisch Termini, d. h. die Terme in logischer Subjekt- und in logischer Prädikatposition sowie Aussagen (lat.: propositiones) unterscheidet. 861 Nach Ueding ist eine exemplarisch genannte Aussage bzw. Proposition der (jeder) Fromme ist glücklich bei Leibniz begriffsintensional derart zu verstehen, „ daß etwa in <Der (Jeder) Fromme ist glücklich> das Prädikat glücklich im Begriff des Frommen enthalten ist. “ 862 Etwas deutlicher und hinsichtlich der traditionellen Urteilslehre weniger missverständlich ist die Formulierung, dass in der Proposition der (jeder) Fromme ist glücklich das Signifikat des Terms glücklich bzw. ist-glücklich intensionallogisch über den Inhalt des Begriffs der Fromme prädiziert, d. h. von dem Begriff der Fromme ausgesagt wird. In späteren Schriften vertritt Leibniz nach Ueding auch eine auch extensionale Auffassung 863 , indem der Begriff als sein Umfang inter- 857 G ERHARDT (Hrsg. 1890a: 425, Meditationes); vgl. H EINEKAMP (1988: 364 ff.); L EIBNIZ (1992 [ca. 1660 - 1720]b: 137 ff.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 572) 858 U EDING (Hrsg. 2001: 572) 859 L EIBNIZ (1992 [ca. 1660 - 1720]b: 151) 860 G UILLAUME (1985: 785 f.); vgl. M ITTELSTRA ß (1970: 198) 861 L EIBNIZ (1903 [ca. 1660 - 1720]a: 49 ff.); vgl. L EIBNIZ (1992 [ca. 1660 - 1720]a: 77 ff.); vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 184 - 217, Kap. XI - XVII); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 572) 862 U EDING (Hrsg. 2001: 572); vgl. L EIBNIZ (1992 [ca. 1660 - 1720]a: 69, Vorbem. d. Hrsg.) 863 Vgl. L EIBNIZ (1903 [ca. 1660 - 1720]a: 49 ff.); vgl. L EIBNIZ (1992 [ca. 1660 - 1720]a: 75 ff.); vgl. P ARKINSON (1988: 240 ff., 252 ff., 258 ff.); vgl. U EDING (Hrsg. 2001: 572) 164 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="165"?> pretiert wird, d. h. als die Menge aller Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen. Danach ist die Menge der vom Begriff in grammatischer Subjektposition bezeichneten Gegenstände in der Menge der vom Begriff in grammatischer Prädikatsposition bezeichneten Gegenstände enthalten. Bezüglich dieser Sachverhalte ist nun das Leibniz-Gesetz α = β ⇒ φ ↔ φ [ α / / β ] erwähnenswert, welches Leibniz in seiner Schrift Scientia generalis niederlegt: „ Eadem sunt quorum unum potest substitui alteri salva veritae. Si unt A et B et A ingrediatur aliquam propositionem veram, et ibi in aliquo loco ipsius A pro ipso substituendo B fiat nova propositio eaque itidem vera, idque semper succedat in quacunque tali propositione, A et B dicuntur esse Eadem; et contra si Eadem sint A et B, procedet substitutio quam dixi. Eadem etiam vocantur coincidentia; aliquando tamen A quidem et A vocantur idem, A vero et B si sint eadem vocantur coincidentia. “ 864 In Kapitel XX führt Leibniz eine Erklärung zum Leibniz-Gesetz anhand der Figur des Dreiecks an: „ Eadem seu coincidentia sunt quorum alterutrum ubilibet potest substitui alteri salva veritate. Exempli gratia, Triangulum et Trilaterum, in omnibus enim propositionibus ab Euclide demonstratis de Triangulo substitui potest Trilaterum, et contra, salva veritate. A ∞ B significat A et B esse eadem, ut de recta XY et recta YX dicemus: YX ∞ XY, seu coincidere viam brevissimam Mobilis ab X ad Y et ab Y ad X. “ 865 Verschiedene Rezeptionen des Leibniz-Gesetzes erlangen bei der Anwendung operationaler Testverfahren des linguistischen Strukturalismus Relevanz, indem Substitutionen bzw. Modifikationen im sprachlichen Ausdruck unter dem Kriterium, ob die Bedeutung des Ausdrucks gleich bleibt (lat.: salva veritate) oder sich verändert, vorgenommen werden (s. 7). Es wird Boole zugeschrieben, eine Konstituierung vollständig formalisierter Sprachen einzuleiten. Boole nimmt eine Klassifikation von Ausdrücken vor und führt Variablen für allgemeine Relationen ein. Wesentliches Ziel bei diesem Unterfangen ist für Boole unter anderem, die Wahrheit oder Falschheit eines Aussagesatzes zu ermitteln. 866 Bis zur Veröffentlichung Booles An investigation of the laws of thought on which are founded the mathematical theories of logic and probabilities im Jahr 1854 beschäftigten sich zahlreiche Publikationen in der Mathematik mit der Entwicklung einer Symbolik für einen Kalkül, welcher die Schlüssigkeit der Konklusion einzelner Modi der Syllogismen Aristoteles ’ 864 G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 228, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XIX, Def. 1) 865 G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 236, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XX, Def. 1) 866 Zur Abstraktion des Schriftbildes nach Boole, s. B OOLE (1957 [1854]: 27). 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 165 <?page no="166"?> ermitteln konnte. 867 Ein Aussagenkalkül (lat.: calculus; dt.: Rechenstein; Spielstein) 868 ist ein System von Regeln, mit denen sich aus gegebenen Aussagen, die z. B. in einem Axiomensystem verfasst sind, weitere Aussagen ableiten lassen. 869 Booles Algebraisierung der Logik in An investigation of the laws of thought on which are founded the mathematical theories of logic and probabilities expliziert das Klassenkalkül bezüglich der Extension von Begriffen, die Aussagenlogik sowie das Rechnen mit den Zahlen 0 und 1 als drei Interpretionen seines Formalismus. Mit Hilfe der Anfertigung eines Wörterbuchs dokumentiert Boole eine Übersetzung der Ausdrücke in traditioneller Aussageform als Aussagesätze in Ausdrücke seines Formalismus sowie eine Übersetzung einiger seiner eigenen Ausdrücke, welche dazu dienen, verschiedene Figuren des Syllogismus kalkülmäßig zu überprüfen, in traditionelle Aussageformen. 870, 871 Nach Boole ist das Objekt der Wissenschaften das Wissen über Gesetzmäßigkeiten und Relationen: „ The object of science, properly so called, is the knowledge of laws and relations. To be able to distinguish what is essential to this end, from what is only accidentally associated with it, is one of the most important conditions of scientific progress. “ 872 Bezüglich Propositionen unterscheidet Boole mehrere Arten, je nachdem ob diese Relationen zwischen Dingen oder Relationen zwischen Propositionen ausdrücken und belegt sie mit den Bezeichnungen primäre, konkrete Proposition (engl.: primary; concrete proposition) sowie sekundäre oder abstrakte Proposition (engl.: secondary/ abstract proposition): „ Either it expresses a relation among things, or it expresses, or is equivalent to the expression of a relation among propositions. “ 873 Er weist folgendermaßen auf die Unterscheidung zwischen primären Propositionen (engl.: primary propositions) (z. B. the sun shines; the earth is warmed) und sekundären Propositionen (engl.: secondary propositions) (z. B. if the sun shines, the earth is warmed; it is true that the sun shines) hin: „ Every primary proposition may thus give rise to a secondary proposition, viz., to that secondary proposition which asserts its truth, or declares its falsehood. “ 874 Boole vertritt hier ein extensionales Verständnis der zwei Terme in einem Satz bzw. einer Proposition, wobei die Terme in Position des logischen Subjekts und 867 G UILLAUME (1985: 803 ff.) 868 Vgl. Schröders Einführung der Bezeichnung Aussagenkalkül (S CHRÖDER (1890: 161)); vgl. G UILLAUME (1985: 807). 869 R EGENBOGEN et al. (Hrsg. 1998: 333 f., Kalkül) 870 G UILLAUME (1985: 804) 871 Weiterführendes zum Kalkül, s. 7.6.2. 872 B OOLE , G. (1957 [1854]: 39) 873 B OOLE , G. (1957 [1854]: 52) 874 B OOLE , G. (1957 [1854]: 53) 166 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="167"?> logischen Prädikats als Namen für Klassen aus Gegenständen, auch wenn diese nur aus einem einzigen Individuum bestehen 875 , interpretiert werden. Ob dieser Gegenständlichkeit des logischen Prädikats in primären Propositionen (engl.: primary propositions), erwähnt Boole darüber hinaus das entfaltete Urteil nach Pfänder bzw. eine Nachgeordnetheit desjenigen Urteils, welches als sogenanntes sekundäres Urteil (engl.: secondary proposition; dt.: sekundäre Proposition; sekundäres Urteil) über eine Aussage extensionaler Lesart urteilt (z. B. it is true that the sun shines). Das Urteil, das den Wahrheitswert liefert, nimmt Boole, trotz seiner psychologischen Herangehensweise 876 , demzufolge nicht wie die Logik von Port-Royal (s. 5.4) als Assertionsmoment zwischen dem logischen Subjekt und logischen Prädikat an, sondern als Aussage über die Kombination von logischem Subjekt und logischen Prädikat. Boole beschreibt hiermit die Äußerung eines Aussagesatzes extensionaler Lesart ohne Affirmation bzw. Wahrheitsanspruch sowie die Assertion eines Wahrheitswertes bezüglich einer derartigen Aussage, die selbst nicht extensional zu verstehen sei, da das Urteil hinsichtlich eines Wahrheitswertes wahr oder falsch sich nur mittelbar und damit indirekt auf die Gegenstände der Klassen beziehe, aber zeitlich gebunden ist, wenn es sich nicht um ewige Wahrheiten (engl.: eternal truths) handelt. 877 An gleicher Stelle betont Boole, dass eine Relation von Kausalität zwischen zwei Propositionen extensionaler Lesart nicht anzunehmen sei, sondern dass eine solche nur zwischen den von diesen denotierten Sachverhalten in der außersprachlichen Wirklichkeit (engl.: relation among the facts) bestehe. Den Versuch, die Relationen zwischen verschiedenen Propositionen zu beschreiben, unternimmt Boole jedoch, weist dabei eine Identitätsrelation zurück und argumentiert stattdessen auf der Basis von Zeitlichkeit und Koexistenz mehrerer Propositionen: „ the relations amont these subject propositions are relations of coexistent truth or falsehood, not of substantive equivalence. We do not say, then expression the connexion of two distinct propositions, that the one is the other, but use the meaning which we desire to convey ‚ Either the proposition X is true, or the proposition Y is true; ‘ ‚ If the proposition X is true, the proposition Y is true; ‘ ‚ The propositions X and Y are jointly true; ‘ and so on. “ 878 Nach Boole sind Aussagesätze bzw. Propositionen mit der Ziffer 0 als falsch bzw. das Nichts und mit der Ziffer 1 als wahr bzw. das Universum ausgezeichnet 879 , woraus anschließend Formulierungen für Propositionen, die eine Disjunktion, für Propositionen, die eine Bedingung und für Propositionen, 875 B OOLE (1957 [1854]: 28) 876 Vgl. P ATTON (2019) 877 B OOLE (1957 [1854]: 160 ff.) 878 B OOLE (1957 [1854]: 162 f.) 879 B OOLE (1957 [1854]: 47 f., 59 - 63) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 167 <?page no="168"?> die eine Disjunktion sowie eine Bedingung ausdrücken, abgeleitet werden. 880 Dabei steht ein Kleinbuchstabe (z. B. x) für den Denkakt (engl.: mental operation) einer Proposition, welche mit dem entsprechenden Großbuchstaben (z. B. X) repräsentiert wird. 881 Wenn z. B. die Proposition X im Universum zu einem bestimmten Zeitpunkt des Denkaktes x wahr ist, so wird dies mit dem Ausdruck x = 1 deskribiert usw.. 882 Wenn der Kleinbuchstabe x eine Klasse repräsentiert (z. B. engl.: men), so übersetzt der Ausdruck 1 - x das Gegenteil oder Supplement derselbigen (z. B. engl.: not-men). Eine Aussage wie z. B. no-x ’ s are y ’ s ist in die Form all x ’ s are not y ’ s konvertierbar. Diese Interpretation Booles repräsentiert wiederum ein extensionales Verständnis, und dabei wird in Booles Theorie der extensionale Wahrheitswert falsch, welcher nach Frege erst mit dem Urteil behauptet wird (s. 5.6.3), mit dem Negationswort in der Aussage assoziiert. 883 Das Rechnen mit den Zahlen 0 und 1 als eine Interpretation und Weiterentwicklung Booles Formalismus ’ durch andere Mathematiker und Logiker, expliziert sich nun als zweielementige Boolesche Algebra. 884 Die Operatoren ˄ , ˅ , sind die booleschen Ausdrücke der Algebra und heißen Konjunktion (auch: UND), Disjunktion (auch: ODER) und Negation (auch: NICHT) 885, 886 In Tabellen mit Booleschen Wahrheitswerten 0 oder 1 können nun Tautologien abgelesen werden. Eine Tautologie in der Aussagenlogik und booleschen zweielementigen Algebra ist „ eine Aussagenverknüpfung, die für beliebige Belegung der Teilaussagen mit Wahrheitswerten stets in eine wahre Aussage übergeht. “ 887 Da es nur zwei Werte gibt, ist der Satz vom ausgeschlossenen Dritten Tertium non datur 888 in der zweielementigen booleschen Algebra auf der extensionalen Gegenstandsebene notwendig eine Tautologie (s. 5.7; 5.7.2), wie auch unmittelbar einsehbar ist. Den ersten aussagenlogischen Kalkül mit der Anwendung der Schlussfigur modus ponens, des Allquantors und einer Substitutionsregel entwickelte Frege. 889 In Nachfolge Halmos ’ erhielt das Forschungsgebiet der Untersuchung derjenigen algebraischen Strukturen, welche bei der Übertragung der Methoden zur Behandlung des Klassen- und Aussagenkalküls mit Hilfe Boolescher Algebra auf andere 880 B OOLE (1957 [1854]: 169 ff.) 881 B OOLE (1957 [1854]: 164) 882 B OOLE (1957 [1854]: 169 ff.) 883 Diese Auffassung findet sich gewissermaßen auch bei De Morgan, s. 5.5.1 884 Vgl. S HEFFER (1913) 885 V ERLAG H ERDER (Hrsg. 1975: 54, 112, 147) 886 Vgl. R USSELL (1906); vgl. H EYTING (1930); S CHRÖDER (1877) 887 V ERLAG H ERDER (Hrsg. 1975: 205) 888 K IRCHNER (1890: 437 f., Tertium non datur) 889 F REGE (2007 [1879]); vgl. G UILLAUME (1985: 786 ff., 813 ff.) 168 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="169"?> Bereiche, z. B. auf den Prädikatenkalkül erster Stufe, entstehen, im Jahr 1955 die Bezeichnung algebraische Logik. 890 Dabei besteht der Unterschied zwischen reinem Aussagenkalkül und Algebra der Logik darin, dass bei Ersterem logisch äquivalente Ausdrücke nicht identifiziert werden. 891 5.5.1 De Morgans Kopula Nach Guillaume leistet neben Boole De Morgan den zweiten großen Beitrag zur Entwicklung der Logik als Studium der Relationen. Dennoch wird De Morgans Arbeit noch als der traditionellen Logik verhaftet angesehen. 892 Zunächst stellt De Morgan die These von zwei Gebrauchsweisen der Kopula ist (engl.: is) oder ist gleich (engl.: is equal to) in einer Proposition auf: „ Every assertion can be divided into three distinct parts. Thus the phrase, ‚ all right angles are equal, ‘ consists of : (1) the subject spoken of, viz., right angeles, which is here spoken of universally, since every right angle is a part of the subject; (2) the copula, or manner in which the two are joined together, which is generally the verb is, or is equal to, and can always be reduced to one or the other: in this case the copula is affirmative; (3) the predicate, or thing asserted of the subject, viz., equal angles. “ 893 Merill erwähnt in seiner Abhandlung Augustus De Morgan and the logic of relations 894 hierzu: „ It is interesting to note that De Morgan nowhere comments on the logical novelty of this doctrine of the two copulas, as we may call it, nor on the novelty of its use in inference. There is no evidence to suggest that De Morgan was aware in 1831 of the controversies surrounding the transitivity of equality. “ 895 In seinem Werk Formal Logic 896 erklärt De Morgan, dass eine Limitierung der Gebrauchsweisen des Verbs sein auf lediglich obig erwähnte zwei Kopulae nicht anzunehmen, sondern dass statt dessen von einer abstrakten Kopula auszugehen sei. 897 Zu dieser Schlussfolgerung gelangt De Morgan, indem er darauf aufmerksam macht, dass die Analyse einer einfachen Proposition und die Interpretation der Kopula ein Unterfangen darstellen, das oft zu Missverständnissen führt: „ any attempt at the resolution of the copular relation into its elements, is likely to be misunderstood. “ 898 Aufgrund dieser 890 H ALMOS (1954) 891 G UILLAUME (1985: 807) 892 G UILLAUME (1985: 804, 809 f.) 893 M ORGAN (1910 [1831]: 203, Chap. XIV) 894 M ERRILL (1990) 895 M ERRILL (1990: 29) 896 M ORGAN (1847) 897 M ORGAN (1847: 46 - 54); vgl. M ERRILL (1990: 48 - 60) 898 M ORGAN (1966 [1850]: 50) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 169 <?page no="170"?> Ausgangslage besteht De Morgans Ansatz darin, die Kopula derart zu abstrahieren, dass lediglich alle Formen und Bedingungen des logischen Schließens unverändert bleiben: „ In my work on Formal Logic [ … ] I followed the hint given by algebra, and seperated the essential form the accidental characteristics of the copula, thereby shewing the conditions of invention for a copula different from the ordinary one, or for a copula which being substituted for the ordinary one, shall leave all the forms and conditions of inference unaltered. “ 899 Hierbei versteht De Morgan eine abstrakte Kopula vorerst als Verbindungsglied zwischen zwei Termen, welches keine Bedeutung oder keinen Inhalt trägt: „ By an ‚ abstract copula ‘ of course is meant a formal mode of joining two terms which carries no meaning, and obeys no law except such as is barely necessary to make the forms of inference follow. “ 900 Wie aus vorangegangenem Zitat ersichtlich, steht die Eigenschaft der Kopula nach De Morgan, abstrakt und nicht bedeutungs- oder inhaltstragend zu sein, jedoch unter der Bedingung, die Formen der Inferenzen zu ermöglichen. Zudem merkt De Morgan an: „ as there is no symbol for the copula except the verb is we are left to ascertain from the use of that word how the matter stands with respect to the copula. “ 901 Dabei kritisiert De Morgan, dass die angenommene Verkörperung der Identität mit Hilfe der Kopula in der Logik zu wenig formal ausgearbeitet sowie zu ungenau bestimmt ist. Aus diesem Grund schreibt De Morgan der Definition des Inhalts der Kopula als Verkörperung von Transitivität und Konvertibilität einen höheren Abstraktionsgrad zu als der Verwendung der Kopula zum Zwecke des Ausdrucks einer Identität durch die Logiker: „ The least abstract of all copulae is the is and is not of the logcians, when employed whether subjectively or objectively, in the sense of identity. But logicians rarely confine it to that sense. “ 902 Somit fasst De Morgan nicht nur die Terme in einem Syllogismus als abstrakt auf, sondern desgleichen die Kopula. Merill erläutert, dass De Morgan den Inhalt der Kopula in Abhängigkeit von dem Inhalt der Terme stellt und dass deshalb die Behandlung der Kopula die Interpretation der Terme nicht beeinflussen sollte. 903 Daraufhin legt De Morgan am Beispielsatz der Mensch ist ein Tier (engl.: man is animal) drei verschiedene Inhalte der Kopula dar, die De Morgan selbst als Sinne (engl.: senses) bezeichnet: „ Speak of names, and say ‚ man is animal ‘ : the is is here an is of applicability; to whatsoever (idea, object, &c.) man is a name to be applied, to that same (idea, object, 899 M ORGAN (1966 [1850]: 50 f.) 900 M ORGAN (1966 [1850]: 50 f.) 901 M ORGAN (1966 [1850]: 50 f.) 902 M ORGAN (1966 [1850]: 52) 903 M ERRILL (1990: 51) 170 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="171"?> &c.) animal is a name to be applied. As to ideas, the is is an is of possession of all essential characteristics; man is an idea which possesses, contains, presents, all that is constitutive of the idea animal. As to absolute external objects, the is is an is of identity, the most common and positive use of the word. Every man is one of the animals; touch him, you touch an animal, destroy him, you destroy an animal. The senses are not all interchangeable. Take the is of identity, an the name man is not, as a name, the name animal: the idea man is not, as an idea, the idea animal. “ 904 Um von den Inhalten der Terme sowie der Kopula zu abstrahieren, ist die Frage nach der gemeinsamen Eigenschaft dieser drei sogenannten Sinne der Kopula zu stellen: „ Now we must ask, what common property is possessed by each of these three notions of is, on which the common laws of inference depend. “ 905 Nun stellt De Morgan drei Charakteristiken des Wortes ist auf, welche als Bedingungen fungieren und erwähnt als grundlegend für diese die Annahme einer Konnexion der absoluten Identität. Ebenso spricht De Morgan an dieser Stelle davon, neue Bedeutungen für alle Formen der Inferenz und damit Inhalte des Verbs sein als Kopula zu erfinden (engl.: to invent): „ Every connexion which can be invented and signified by the terms is and is not, so as to satisfy these three conditions, makes all the rules of logic true. No doubt absolute identity was the suggesting connexion from which all the others arose: just as arithmetic was the medium in which the forms and laws of algebra were suggested. But, as now we invent algebras by abstracting the forms and laws of operation, and fitting new meanings to them, so we have power to invent new meanings for all the forms of inference, in every way in which we have power to make meanings of is and is not which satisfy the above conditions. “ 906 Aus den drei Varianten des Verbs sein erschließen sich nach De Morgan fünf Gebrauchsweisen, wovon alle außer jene der Existenzbezeichnung (z. B. man is [i. e. exists]) auf eine Lesart mit dem ist der Identität (engl.: is of identity) reduziert werden können 907 : „ The most common uses of the verb are ; - first absolute identity, as in ‚ the this he sold you is the one I sold him : ‘ secondly, agreement in a certain particular or particulars unterstood, as in ‚ He is a negro ‘ said of a European in reference to his colour : thirdly, possession of a quality, as in ‚ the rose is red : ‘ fourthly, reference of a species to its genus, an in ‚ man is an animal ‘ . All these uses are independent of the use of the verb alone, denoting existence, as in ‚ man is [i. e.exists]. ‘“ 908 904 M ORGAN (1847: 49) 905 M ORGAN (1847: 50) 906 M ORGAN (1847: 49 ff.) 907 M ORGAN (1847: 53 f.) 908 M ORGAN (1847: 53) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 171 <?page no="172"?> Merill fasst diesen Schritt De Morgans folgendermaßen zusammen: „ De Morgan has reduced all the uses of ‚ is ‘ (except that of existence) to the ‚ is ‘ of identity. He reads all such statements as either doubly singular identity statements, This one A is this one B, singly singular identity statements, This one A is one of the Bs, or quantified identity statements, Every A is one of the Bs, Some A is not one of the Bs. In this way, the uses of ‚ is ‘ which do not satisfy the three formal conditions on the ‚ is ‘ of identity are reduced to uses which do. “ 909 Die Bedingungen, die diese, auf die Identitätsbeziehung rückgeführten Gebrauchsweisen (engl.: uses) der Kopula erfüllen müssen, ergeben sich somit aus der Interpretation der in einem Syllogismus zueinander in Bezug gesetzten Terme und prägen das weitere Verständnis der Kopula. In seiner Abhandlung On the syllogism III; and on logic in general erläutert De Morgan hierfür seine Auffassung von Form und Materie als Prinzipien des Seienden. Im Gegensatz zu Aristoteles 910 assoziiert De Morgan die Form mit einer Maschine (engl.: machinery), welche auf der Materie operiert. 911 Da De Morgan die Inhalte der Kopula in allen vier obig erwähnten Verwendungsweisen auf die Identitätsbeziehung reduziert, ergibt sich für seine Theorie, dass die Transitivität der Gleichheit (engl.: transitivity of equality) (z. B. the this he sold you is the one I sold him) oder der Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (engl.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) sowie die Transitivität der Gattung-Art-Relation (auch: Genus-Spezies-Relation) (engl.: transitivity of the species relation) (z. B. man is an animal) als auch die Konstruktion aus einem logischen Subjekt und einem durch ein Adjektiv realisierten logischen Prädikat (z. B. the rose is red) als materielle Prinzipien und nicht als formelle gelten. 912 Merrill konkludiert hinsichtlich dieser materiellen Kopula (engl.: material copula) De Morgans: „ there is something puzzling about devoting the bulk of a book entitled Formal Logic to the study of the syllogism. [ … ] It is De Morgan ’ s claim that the transitivity of the traditional copular relation is only materially valid. “ 913 An anderer Stelle erklärt Merrill: „ Thus, there is a sense in which De Morgan would insist that he is doing formal logic, even though he claims that many inferences often thought to be formally valid are only materially valid. “ 914 Zur Auffassung der Kopula als Relation merkt Merrill schließlich an: „ It seems, that any notation which represents the copular ‚ relation ‘ as a relation runs the risk of ‚ ballooning ‘ 909 M ERRILL (1990: 54) 910 K IRCHMANN (Hrsg. 1871a: Bücher VII(E) - IX( Θ )) 911 M ORGAN (1966 [1850]: 68); M ORGAN (1966 [1858]: 75) 912 Vgl. M ERRILL (1990: 98) 913 M ERRILL (1990: 98 f.) 914 M ERRILL (1990: 104) 172 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="173"?> propositional forms into an arbitrary number of terms. If a copular relation is needed to unite ‚ P ‘ and ‚ a ‘ into ‚ P(a), ‘ why isn ’ t a similar relation needed to unite ‚ R, ‘ and ‚ a, ‘ and ‚ b ‘ into ‚ R(a, b) ‘ ? “ 915 Nach diesen Erklärungen zur De Morganschen Interpretation von Propositionen und der Ontologie ihrer Bestandteile liegt eine Betrachtung der De Morganschen Auffassung von Intension und Extension nahe. So kritisiert De Morgan die Auffassung einiger Autoren einer extensionalen und einer intensionalen Lesart von Propositionen. De Morgan identifiziert diese extensionale und diese intensionale Lesart nicht als zwei Lesarten ein und derselben Proposition, sondern als Schaffung zweier verschiedener Propositionen, wobei die zweite Proposition aus der Ersten inferiert werde. 916 Anschließend bemüht sich De Morgan, diese extensionalen und intensionalen Propositionen bzw. die entsprechenden, sogenannten Lesarten darzulegen und merkt an: „ the two modes of reading are not convertible; the extensive mode gives the intensive, but not vice versa in all cases. “ 917 (s. Tab. 3; Tab. 4). Extension given Intension deduced Every X is Y. Every existing part of all Ys is an existing part of all Xs. No X is Y. No sufficient part of any Y is an existing part of any X. Some Xs are Ys. Every existing part of all Ys is an existing part or some Xs. Some Xs are not Ys. No sufficient part of any Y is an existing part of some Xs. Tab. 3: De Morgans deduzierte Intension aus einer gegebenen Extension 918 Intension given Extension deduced A sufficient part of some one Y is an existing part of every X. Every X is Y. An existing part of any Y is not an existing part of any X. No X is Y. A sufficient part of some Ys is an existing part of some Xs. Some Xs are Ys. An existing part of any Y is not an existing part of some Xs. Some Xs are not Ys. Tab. 4: De Morgans deduzierte Extension aus einer gegebenen Intension 919 915 M ERRILL (1990: 107) 916 M ORGAN (1966 [1850]: 52) 917 M ORGAN (1966 [1850]: 52 f.) 918 M ORGAN (1966 [1850]: 52 f.) 919 M ORGAN (1966 [1850]: 52 f.) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 173 <?page no="174"?> Demzufolge ist anzumerken, dass De Morgan seine Interpretation der Begriffe Intension und Extension nicht ontologisch und nicht semiotisch, z. B. als Differenzierung zwischen Verstehen und Urteilen oder zwischen Sinn und Bedeutung, begreift 920 (s. 5.6.6; 5.7), sondern Extension und Intension aus linguistischer Perspektive als zwei Realisierungen in der Oberflächenstruktur (engl.: surface structure) 921 eines Aussagesatzes unterscheidet. Dass auch die sprachliche Expression als Aussagesatz Relationen, Objekte, Prädikate als grammatisches Subjekt, grammatisches Objekt und grammatisches Prädikat für die extensionale sowie die intensionale Lesart vorschlägt, berücksichtigt De Morgan jedoch nicht. Ebenso zeigt das nachfolgende Beispiel zur Interpretation der das Verb sein als Kopula affizierenden Negation, dass De Morgan keine Zeichentheorie miteinbezieht, obwohl er erkennt, dass die Aussage nicht negierter, d. h. affirmativ formulierter Propositionen durch Komposition gewonnen wird. Denn eine derartige Negation in einer Proposition versteht De Morgan als Auflösung (engl.: resolution) und geht nicht auf die Eigenschaften des zeichenhaften Ausdrucks der affirmativ als auch der negiert sprachlich formulierten Proposition ein, welche aus semiotischer Perspektive beide kompositionell zusammengesetzt sind, wobei sie nur durch ihre komponierten Elemente entsprechende Inhalte verkörpern: „ Secondly, it appears that the affirmative syllogism gains its conclusion by composition, the negative by resolution: the negative premise has a compound copular relation, which is to be resolved “ 922 . Dennoch stehen nach De Morgan positive sowie negative Terme gleichermaßen für Gegenstände, und gemäß der Gesetzmäßigkeiten der Algebra können nach De Morgan negativ formulierte Namen (z. B. - a) positiv und positiv formulierte Namen (z. B. a; +a) negativ sein. 923 Schließlich erwähnt De Morgan jedoch, dass die nach ihm häufigste, abstrakteste und zutreffendste Interpretation der Kopula als Transitivität oder Konvertibilität verkörpernde Verbindung, ihre Inferenzkapazität durch den Prozess ihrer Auflösung erfährt. So bemerkt De Morgan, dass sogar eine durch die Kopula ausgedrückte reine Identitätsbeziehung, welche eine besonders einfache Form aufweist, ähnlich einer arithmetischen Gleichung aufgelöst werden könnte, um eine höhere Entwicklung des Denkens und des logischen Begreifens herbeizuführen: 920 Vgl. hierzu z. B. die Erklärung Churchs zu einer intensionalen Struktur (C HURCH (1951a: 5, Fn. 5). 921 Vgl. H OCKETT (1958: 246); vgl. C HOMSKY (1965: 16) 922 M ORGAN (1966 [1850]: 57) 923 M ORGAN (1966 [1846]: 2 f.) 174 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="175"?> „ I should compare the resolution to that of 1 into 1 x 1 in arithmetic. And though this arithmetical resolution be often useful, and even requisite, as a preliminary to clear notion of some higher development of thought, yet the logical type of it might well wait until the time comes when the same may be said of it. ‚ That horse ‚ IS that which IS ‘ that horse ‘ may therefore be abandoned to the objector. But when, as more frequently happens, the copula is only denotes some agreement or something transitive and convertibel which is not pure identity, I maintain the actual resolution to be part of the process of inference. “ 924 Anders als Abaelard, welcher ein Zusammenfallen von logischem Prädikat und logischen Subjekt im denotierten Gegenstand des logischen Subjekts annimmt (s. 5.3), schlägt De Morgan an dieser Stelle eine Pfänders entfaltetem Urteil ähnliche Lesart für das Identitätsurteil vor, was er als erkenntnisfördernd perzipiert (s. 5.8; 5.8.3). Dennoch werden die Bestandteile der Proposition nach De Morgan, auch der Komplex des logischen Prädikats, wie obig dargelegt, materiell und gegenständlich bzw. im traditionellen Sinn extensional interpretiert, so dass in De Morgans Theorie ungeachtet der vorgeschlagenen Lesart ebenfalls immer eine Vergegenständlichung des logischen Prädikats stattfindet (s. 5.4), obwohl er die Kopula als Element der Proposition isoliert, ihr mehrere Inhalte, die jedoch aus der Identitätsbeziehung hervorgehen, zuschreibt und die Kopula als Ausdruck einer Relation, allerdings generell einer materiellen, anerkennt. Diese Beobachtungen bestätigend und somit treffend kritisiert wird De Morgans Position von Mansel 925 : „ The title of Mr. De Morgan ’ s book appears us a complete misnomer. Under the name of Formal Logic he presents us with sundry perversions of the syllogistic form, designed to admit purely material reasonings. It does not seem as if the author had ever asked himself the preliminary question, - What constitutes the matter of thought, and what the form? “ 926 Zur Aufspaltung der Kopula in mehrere Gebrauchsweisen bzw. Inhalte merkt Mansel an: „ The copula always applies to the object of thought, in that application has but one meaning, and without an object there is no thinking at all. [ … ] If thinking about giving is a different form of thought from thinking about killing, there is an end of all general laws of reasoning. The nature of the object thought must, in all cases, determine the inference. But this fundamental principle is erroneous. The copula, so far as it represents a form of thought, is not ambiguous. “ 927 924 M ORGAN (1966 [1850]: 58) 925 M ANSEL (1851) 926 M ANSEL (1851: 105) 927 M ANSEL (1851: 107) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 175 <?page no="176"?> De Morgan begründet sein Verständnis von Form und Materie, indem er Kants Definition von Logik anspricht, die mit einer Trennung zwischen der Form des Gedankens und einer Gegenständlichkeit einhergeht und notiert, dass gemäß Kantianischer Auffassung Algebra und Arithmetik keine Disziplinen der Logik seien, da die beiden Erstgenannten lediglich über die Gegenständlichkeiten und Materielles operieren. So äußert De Morgan, dass Logik von der reinen Form des Denkens handle, nimmt jedoch an, dass die allgemeine arithmetische Gesetzmäßigkeit von der Gleichgültigkeit der Reihenfolge der Verbindungen auch für die Gedanken greift. 928 Nach De Morgan sind diese Unterschiede in den Kompositionen von Sinnbzw. Bedeutungseinheiten für das Wesen der Logik nicht relevant. 929 Dies veranschaulicht ein weiteres Mal, dass De Morgan teilweise durchaus formal, aber nicht syntaktisch oder zeichentheoretisch bzw. semiotisch argumentiert: „ For example, the notions animal and rational are joined together in the mind when we think of man, but by a mode of junction very different from that called addition in arithmetic. Nevertheless, it matters nothing as to the notion arrived at whether we think of animal as subsequently limited by the notion rational, or of rational as susequently limited by the notion animal. The pure form of thought is that which belongs equally to the last instance and to 8 + 4 = 4 + 8; different matters, different modes of junction, under the common law that order of junction is indifferent “ 930 De Morgan trennt demnach nicht derart zwischen Intension und Extension sowie kantianisch zwischen Form und Gegenständlichkeit, dass er semiotische Aspekte miteinbezöge, welche eine Auffassung des Urteils als der Konstitution einer intensionalen Sinnstruktur nachgeordnet (s. 5.6.1; 5.6.3; 5.6.5; 5.6.6) und die Etablierung einer Begriffsebene, z. B. in Hinblick auf das logische Prädikat, in seiner Theorie motivieren könnten. Diese Annäherung De Morgans an Kant und dass seine Theorie u. a. in obig genannten Gründen von Kants Thesen abweicht, soll nicht, wie in einer Zusammenfassung Patzigs, unangesprochen oder unbemerkt bleiben. 931 Deshalb muss De Morgan den Assertionsmoment in einzelnen Propositionen, die nicht in die Satzfolge eines komplexen Syllogismus eingebunden sind, doch ebenfalls in der Kopula lokalisieren, obwohl er von der Voraussetzung ausgegangen ist, dass die Kopula keine Funktion erfüllt, außer 928 M ORGAN (1966 [1860]: 248 f.) 929 Diese Auffassung teilt Frege nicht, dessen Theorie über fachterminologische Gedanken davon ausgeht, dass diese von scharfen Begriffen repräsentiert werden, s. z. B.: „ Dem Aufbau des Gedankens entspricht die Zusammensetzung des Satzes aus Wörtern, wobei die Reihenfolge im Allgemeinen nicht gleichgültig ist. “ (F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 68 - 70)). 930 M ORGAN (1966 [1860]: 248 f.) 931 P ATZIG (2003: 9) 176 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="177"?> jene, Inferenzen, nicht Urteile bzw. keine Assertionen, zu vollziehen. Mansel bemerkt in seiner Kritik insbesondere, dass De Morgan die Logik der Mathematik unterordnet anstatt die Mathematik als Anwendung der Logik zu begreifen. 932 De Morgans Werk Formal Logic in seiner Gesamtheit kommentiert Mansel folgendermaßen: „ regarding reasoning as a computation, giving a partial and perverted view of the process of thought and its expression by means of mathematical analogies and a mathematical notation, inverting the relation of whole and part, subordinating logic to algebra, and substituting the calculus of inference for the inference of calculation “ 933 . Mit der Distinktion zwischen einem Kalkül der Inferenz (engl.: calculus of inference) und der Inferenz einer Rechnung (engl.: inference of calulation) tangiert Mansel in seiner Beschreibung denjenigen Sachverhalt, welcher auch als Vergegenständlichung des logischen Prädikats aufgrund der Gegenstandsorientiertheit der traditionellen Urteilslehre mitsamt ihrer expliziten (s. 5.4) oder impliziten (s. 5.3) Lokalisierung der Assertion zwischen logischem Subjekt und logischem Objekt erfasst werden kann. 5.5.2 Die Russellsche Ambiguitätsthese Methodisch anders als De Morgan befasst sich im 20. Jahrhundert, nach der Überführung der Syllogistik in die Algebra bzw. Mathematik durch Leibniz, Boole, De Morgan und später Frege (s. u.), Russell mit der Kopula und vertritt mit Referenz auf De Morgan 934 ebenfalls eine Theorie der Polysemie bzw. der Ambiguität 935 des Verbs sein. Im Folgenden ist zu beachten, dass sich Russells Annäherung an die mathematische Logik zunächst aus der Perspektive des sogenannten Russellschen Realismus, doch schließlich in Russells Hinwendung zum Nominalismus 936, 937 und zum Positivismus 938 sowie als Entwicklung Rus- 932 M ANSEL (1851: 93); vgl. M ERRILL (1990: 91 - 95) 933 M ANSEL (1851: 93) 934 R USSELL (1903: 64, Anm.); R USSELL (1937: 64, Anm.) 935 Für eine Geschichte des Begriffs Ambiguität, s. U LLRICH (1989); zur Ambiguität von Zeichen, vgl. 7.6.1. 936 Vgl. z. B. F EIBLEMAN (1973: 31 ff.) 937 Feibleman argumentiert in dieser Schrift nicht für eine realistische oder platonistische Position, sondern für eine Anschauung, welche er modifizierter Realismus (engl.: modified realism) nennt: „ We can accept a modified realism without asserting the existence of a realm of essence, or heaven, in which the perfect actual things are stored in order to cast the shadows which we mistake for them. Certainly there is no perfect ‚ or ‘ laid up in heaven, but this does not establish nominalism or deny a modified realism. From the position of modified realism, the logical constant ‚ or ‘ is logical because it can neither be successfully contradicted nor shown to involve self-contradiction, and is a constant because it involves a constant relationship. “ (F EIBLEMAN (1973: 33)). 938 Vgl. z. B. L EVI (1959: 331 - 360) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 177 <?page no="178"?> sells Logischem Atomismus 939 vollzog. 940 Unter Beachtung Russells Vorannahme des Konzepts der Kopula sowie ihrer Ambiguität und der Erläuterungen in obigen Gliederungspunkten (s. 5.3; 5.4; 5.5.1), die darlegen, dass die Theorie der Kopula nach Abaelard für dessen Sprachverständnis als auch für das Spachverständnis der Logik von Port-Royal und De Morgans Logik realistische Annahmen hinsichtlich des logischen Prädikats in Propositionen dekonstruiert, ist es jedoch fraglich, ob der Russellsche Realismus in Bezug auf Propositionen und Begriffe, welche in diesen das logische Prädikat bilden, konsistent ist. Diese Frage hinsichtlich des Frühwerks Russells, z. B. der ersten Auflage von Principles of Mathematics 941 , soll in der nachfolgenden Darlegung Russells Thesen nicht beantwortet werden, da eine nominalistische Position in der zweiten Auflage der Principles of Mathematics 942 bzw. eine Art positivistische Position im Spätwerk Russells nachvollziehbar ist. Ein Spannungsverhältnis zur Prädikatenlogik Freges wurde dabei vor allem aufgrund der um die Jahrhundertwende diskutierten Theorie der Klassen sowie Russells Bedeutungstheorie erzeugt. Anstatt wie De Morgan zuerst von einer tabula rasa bezüglich der Bedeutung bzw. des Inhalts der Kopula und von zu erfüllenden, inferentiellen Aufgaben der Kopula auszugehen, um ihren Inhalt analytisch zu ermitteln, beginnt Russells Theoriebildung zur Kopula bzw. zu dem Verbs sein, mit der Annahme einer Ambiguität a priori. Russell unterscheidet dabei nicht primär zwischen den Inhalten Prädikation als Kopula und Existenz, sondern zwischen den Inhalten Prädikation und Identität des Verbs sein bzw. der Kopula, wie Russell beziehentlich des betreffenden sprachlichen Segments formuliert. Diese Ambiguität nennt Russell eine vollständige Verschiedenheit (engl.: entirely different) und darüber hinaus unbegründet eine Schande der Menschheit (engl.: disgrace to the human race), welche ungünstig für den Entwurf einer symbolischen, logischen Sprache sei. 943 Diese Vorannahme Russells ist durch eine linguistische Betrachtungsweise nicht gerechtfertigt, da zum Entwurf einer symbolischen logischen Sprache, welche mit Hilfe der natürlichen Sprache logische Zusammenhänge darstellen soll, vorerst zu untersuchen ist, inwiefern eine Homonymie oder eine Polysemie bzw. eine sogenannte Ambiguität des Verbs sein vorliegt, was keineswegs mit dem Ausdruck offensichtlich 944 begründet bzw. in Verbindung mit irrationalen Emotionen oder sub- 939 Vgl. R USSELL (1986 [1918]) 940 Zum Atomismus und Materialismus, vgl. D IOGENES L AERTIUS (2015 [vmtl. 200/ 300]: 497 - 505, 7. Kap., Demokritos) 941 R USSELL (1903) 942 R USSELL (1937) 943 R USSELL (1920 [1919]: 172 - 173) 944 D ÖLLING (1998: 5 ff.) 178 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="179"?> jektiven Wertungen gegenüber der natürlichen Sprache, welche für eine wissenschaftliche Argumentation nicht indizierend sind, entschieden werden kann. Hierzu kann Hintikka, welcher die Erwähnung einer Ambiguitätsthese durch De Morgan nicht anspricht und statt dessen Frege erwähnt, zitiert werden: „ The crucial question concerning the changing fortunes of the Frege-Russell thesis is: Where did Frege and Russell get it from? Or perhaps more accurately: How did they arrive at the ambiguity claim? Many philosophers will think these questions trivial, because for them not to acknowledge the Frege-Russell ambiguity is simply a mistake. Indeed, many logic texts say or imlpy that the Frege-Russell ambiguity thesis is an unavoidable presupposition of any satifactory logic that can be used as a semantical framework for natural language. “ 945, 946 Kneale/ Kneale nennen bezüglich der Interpretation der vier Formen allgemeiner Aussagen im Organon Aristoteles ’ und der Entstehung einer Ambiguitätsthese Folgendes: „ Both, subject and predicate may be taken as names of classes and the copula to mean ‚ is included in ‘ in the universal affirmative statement. [ … ] It [this interpretation] has the advantage of allowing full interchangeability of terms but the disadvantage that the copula must have different meanings in statements of different forms. ‚ All men are animals ‘ is taken to mean ‚ The class of men is included in the class of animals ‘ but ‚ Some men are white ‘ to mean ‚ The class of men overlaps with the class of white things. ‘ Moreover, sentences understood in this way cannot have singular terms as subjects. “ 947 In den Rezeptionen der Russellschen Ambiguitätsthese verkörpert das Verb sein mindestens folgende vier verschiedene Inhalte bzw. Rollen: 1. Zuerst ist der Inhalt Existenz des Verbs sein zu nennen (z. B. Gott ist). Dies ist das Verb sein, welches den Inhalt Existenz trägt und folgendermaßen notationell im Ausdruck ∃ x: (x = P) angezeigt wird. 2. Die zweite Deutung des Verbs sein ist der Inhalt der Identität, welchen die Kopula als Trägersegment und Teil des Prädikats annimmt (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe). Die Identität wird durch das Identitätszeichen zwischen den Termen als der Ausdruck a = b wiedergegeben oder die Identitätsbeziehung wird im Ausdruck a = ι x (x b) formalisiert. 3. Der dritte Aspekt ist die Rolle des Verbs sein als kopulatives Verbindungsglied, welche den Term in grammatischer Prädikatsposition als logisches 945 H INTIKKA (2004: 117 ff., insbes. 118); vgl. H INTIKKA (1981); vgl. H INTIKKA (1979) 946 Zur Klärung der Frage, ob Hintikkas Behauptung einer sogenannten Frege-Russell- Ambiguitätsthese mit Referenz auf Freges Werk nachvollziehbar ist, s. 5.6. 947 K NEALE / K NEALE (1991: 65) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 179 <?page no="180"?> Prädikat auszeichnet (z. B. Sokrates ist ein Philosoph). Hierbei wird das Verb sein als bloße Kopula, die eine logische Prädikation P(a) anzeigt, aufgefasst. Es ist ebenfalls die Notation a ∈ P anzutreffen. 4. Der vierte Aspekt gibt an, dass das Verb sein eine Subsumtion bzw. Inklusion in eine Menge oder Klasse erwirkt (z. B. ein Philosoph ist ein Mensch). Dieses Verhältnis ist durch eine allgemeine Bedingung der Form ∀ x (x ∈ M x ∈ P)), der Form ∀ x (P(x) → M(x)) oder der Form P M dargestellt. 948 Russell selbst formuliert die durch ihn vertretene Ambiguitätsthese mit Verweis auf De Morgan folgendermaßen: „ The word is is terribly ambigous, and great care is necessary in order not to confound its various meanings. We have (1) the sense in which it asserts Being as in ‚ A is ‘ ; (2) the sense of identity; (3) the sense of predication, in ‚ A is human ‘ ; (4) the sense of ‚ A is a-man ‘ [ … ], which is very like identity. In addition to these, there are less common uses, as ‚ to be good is to be happy, ‘ where a relation of assertions is meant, that relation, in fact, which, where it exists gives rise to formal implication. Doubtless, there are further meanings which have not occured to me. “ 949 Dazu fügt Russell eine weitere Anmerkung an, welche die vierte Lesart näher erläutern soll: „ There are two allied propositions expressed by the same words, namely ‚ Socrates is a-man ‘ and ‚ Socrates is-a man. ‘ The above remarks apply to the former; but in future, unless the contrary is indicated by a hyphen or otherwise, the latter will always be in question. The former expresses the identity of Socrates with an ambiguous individual; the latter expresses a relation of Socrates to the class-concept man. “ 950 Wenn dem von Russell gegebenen Hinweis auf De Morgans Distinktion verschiedener Sinne 951 oder Gebrauchsweisen des Verbs sein als Kopula gefolgt wird, ist für den Leser an dieser Stelle eine Unschärfe in Russells Erklärung zu vermuten, falls es sich nicht um einen Druckfehler, den Bindestrich im Aussagesatz betreffend, handelt, da die zweite Lesart eine konventionelle absolute Identitätsbeziehung zwischen zwei einzelnen Entitäten (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him) verkörpern soll. Die zweite obig zitierte erläuternde Anmerkung Russells weist eventuell eine derartige konventionelle absolute Identitätsbeziehung zwischen zwei einzelnen Entitäten mit dem Exempel A is a-man (z. B. Sokrates ist ein 948 Vgl. D ÖLLING (1998: 5 ff.); vgl. M ORO (2013: 110 ff.) 949 R USSELL (1903: 64, Anm.); R USSELL (1937: 64, Anm.) 950 R USSELL (1903: 54 f., Anm.); R USSELL (1937: 54 f., Anm.) 951 Das Wort Sinne ist an dieser Stelle nicht gemäß Fregescher Fachterminologie gebraucht, sondern De Morgans Ausführungen entnommen. 180 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="181"?> Mann) jedoch der vierten Lesart zu, wobei ein Mann (engl.: a man) als ambiges Individuum (engl.: an ambiguous individual) verstanden werden soll, und erklärt paradoxerweise, dass diese Lesart wie die Identitätsbeziehung (engl.: very like identity) sei. Es stellt sich nun die Frage, welche Art der Identitätsbeziehung mit der zweiten Lesart angesprochen wird, und welche Lesart für die Subsumtion bzw. Inklusion oder für die Gattung-Art-Relation (auch: Genus- Spezies-Relation) stehen soll. Außerdem geht aus diesen Anmerkungen Russells nicht hervor, unter welcher Lesart, der zweiten oder der vierten, diejenige Lesart eingeordnet werden soll, welche De Morgan als Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (engl.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) an zweiter Stelle erwähnt. 952 Ohne Russells Annahmen zum logischen Prädikat dem Realismus oder Nominalismus zuordnen zu müssen, geht aus den Vorarbeiten De Morgans 953 hervor, dass Russell ohne weitere Analysen oder Paraphrasierungen demzufolge die Subsumtionsbzw. Inklusionsbeziehung, d. h. die Inklusion einer Klasse in eine andere Klasse, in ihrer extensionalen Formulierung sowie als Gattung-Art-Relation (auch: Genus-Spezies-Relation) (z. B. man is an animal), und auch die konventionelle absolute Identitätsbeziehung (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him), welche zwei einzelne Entitäten einander zuordnet, als Identität erfassen könnte, womit tatsächlich zwei der vier Lesarten als Identität interpretiert wären. Falls Russell die von De Morgan an zweiter Stelle erwähnte Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (engl.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) mitberücksichtigt, ist fraglich, ob eine Besonderheit oder ein Bündel von Besonderheiten eine Eigenschaft als logisches Prädikat signifizieren oder ob auch diese Lesart nach Russell als eine Art Identitätsbeziehung zu klassifizieren ist. Zur Existenz einer Klasse mit nur einem Term erklärt Russell: „ A class is said to exist when it has at least one term. “ 954 Gleichzeitig erklärt Russell jedoch, dass in diesen Beispielen der Name Socrates nicht für eine einelementige Klasse stehen kann. 955 Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, welchen ontologischen Status seines Signifikats der Name Socrates hervorruft, wenn er in einer Proposition wie Socrates is-a man steht. Gemäß Russell denotiert der Term in Position des logischen Prädikats ein Klassenkonzept 956 , doch Socrates denotiert hingegen nach Russell keine einelementige Klasse und demnach auch kein Klassenkonzept. Das Denotat des Namens Socrates muss demzufolge 952 M ORGAN (1847: 53) 953 Vgl. z. B. M ORGAN (1847: 53 f.); vgl. M ERRILL (1990: 98) 954 R USSELL (1903: 21 f.); R USSELL (1937: 21 f.) 955 R USSELL (1903: 19); R USSELL (1937: 19) 956 R USSELL (1903: 54 f., Anm.); R USSELL (1937: 54 f., Anm.) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 181 <?page no="182"?> als ein aus jeglichem Kollektiv einer Klasse ausgeschlossenes Individuum in Position des logischen Subjekts erfasst werden. Die vierte Lesart ist als Socrates is a-man exemplifiziert, wobei Russell paradoxerweise noch einmal darauf hinweist, dass es sich dabei um eine Art Identitätsbeziehung handelt, obwohl das Beispiel potentiell die konventionelle absolute Identität (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him) verkörpert. Eventuell meint Russell mit dem Exempel Socrates is a-man jedoch nicht die absolute Identität, sondern die durch De Morgan angesprochene Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (engl.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) und reduziert diese auf eine Art Identitätsbeziehung. Somit könnten statt der Interpretation der zweiten Lesart als Gattung-Art-Relation (auch: Genus-Spezies-Relation) (z. B. man is an animal) und der vierten Lesart als konventionelle absolute Identität (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him), die Anmerkungen Russells auch so aufgefasst werden, dass sie die absolute Identität (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him) als auch die Gattung-Art-Relation (z. B. man is an animal) beide der zweiten Lesart als Identität zuordnen, und die vierte Lesart De Morgans Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (engl.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) meint, wobei diese ebenfalls eine Art Identitätsbeziehung mit dem Exempel Socrates is a-man repräsentieren soll. Allerdings unterscheidet Russell zwischen Klasse (engl.: class) und Klassenkonzept (engl.: class-concept) 957 , weswegen auch geschlussfolgert werden könnte, dass Russell mit der zweiten Lesart die absolute konventionelle Identität zwischen zwei Entitäten (z. B. Sokrates ist der Ehemann von Xanthippe; the this he sold you is the one I sold him; Socrates is aman) und die Inklusion bzw. Subsumtion einer Klasse in eine andere Klasse (z. B. alle Griechen sind Menschen; einige Griechen sind Männer) zusammenfasst und mit der vierten Lesart sowohl auf die Übereinstimmung in einer oder mehreren Besonderheiten (eng.: agreement in a certain particular or particulars) (z. B. he is a negro) als auch auf die Gattung-Art-Relation (auch: Genus-Spezies-Relation) (z. B. man is an animal) referiert. Zur Unterscheidung zwischen einem Prädikat und einem Klassenkonzpt gibt Russell an: „ I shall call human a predicate, and man a class-concept, though the distinction is perhaps only verbal. “ 958 In einer solchen Interpretation der Russellschen Anmerkungen wären drei der von De Morgan erwähnten Lesarten, die absolute Identität, die Gattung-Art-Relation und die Übereinstimmung in einer oder mehreren Be- 957 R USSELL (1903: 19); R USSELL (1937: 19) 958 R USSELL (1937: 56) 182 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="183"?> sonderheiten sowie die nach Russell gesondert zu erfassende Subsumtionsbzw. Inklusionsbeziehung zweier Klassen Arten einer Identitätsbeziehung, welche beziehentlich der fünf von De Morgan genannten Aspekte des Verbs sein nur noch der Prädikation und dem Inhalt der Existenz gegenüberstehen. Diese letztgenannte ist die naheliegendste Interpretation der Anmerkungen Russells zur Russellschen Ambiguitätsthese, da Russell prinzipiell vor allem zwischen der Rolle als eine Prädikation erzeugend (z. B. Socrates is human) und dem Inhalt Identität (z. B. Socrates is a man) des Verbs sein differenziert. 959 Helbig erklärt in seiner Abhandlung Zu den Kopulasätzen im Deutschen die Interpretation der Kopulasätze in der germanistischen Linguistik als sogenannte Gleichsetzungssätze eine „ vereinfachende[n] semantische[n] Deutung “ 960 und stellt die Russellsche Ambiguitätsthese, welche er nicht zutreffenderweise ebenfalls auf Frege zurückführt vor: „ Nachdrücklich hat vor allem Russell [ … ] darauf hingewiesen, dass Prädikation und Identität (damit auch prädizierende und identifizierende KS) völlig verschiedene Konzepte sind (die in der (deutschen) Sprache nur durch dasselbe Wort bezeichnet werden). Diese Unterscheidung ist z. T. auch - obwohl nicht überall und auch nur zögerlich - in die Linguistik eingegangen. “ 961 Dabei notieren weder Helbig noch Higgins 962 , dass der behauptete Inhalt Identität des Verbs sein bei Russell bereits derart konstruiert werden muss, dass das Verb sein selbst als Teil der grammatischen Prädikation fungiert und somit kein reines kopulatives Verbindungsglied 963 , ist. 964 Moro fasst beziehentlich dieses Aspekts der Theorie des Verbs sein nach Russell zusammen: „ Clearly, this theory is a drastic departure from the tradition: on the one hand the copula is still analyzed in the traditional way (more precisely, the one which goes back to Abelard) as the linking element of predication in Socrates is human; on the other, and this is the major difference compared to previous models, the copula itself plays the role of predicate, specifically the predicate that, according to Russell, expresses identity in Socrates is a man. “ 965 Helbig akzeptiert kritiklos die Interpretation Russells 966 sowie ihre modifizierte und erweiterte Form für die Aufnahme in die Linguistik durch Higgins, welcher, an die Russellsche Ambiguitätsthese anschließend, zwischen den Inhalten Prädikation, Identität, Identifizierung und Spezifizierung 959 R USSELL (1920 [1919]: 172 f.) 960 H ELBIG (2008: 85) 961 H ELBIG (2008: 85) 962 H IGGINS (1979: 264) 963 Vgl. hierzu die mit Hilfe des Verbs sein dargestellte Identitätsrelation De Morgans, s. 5.5.1 964 Vgl. H ELBIG (2008: 85); vgl. H IGGINS (1979: 264) 965 M ORO (2013: 111) 966 H ELBIG (2008: 85) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 183 <?page no="184"?> einer sogenannten Kopula unterscheidet. 967 Bemerkenswerterweise zieht Higgins zur Verdeutlichung des behaupteten Ausdrucks gleichsetzende Identität der Kopula den Beispielsatz Der Abendstern ist der Morgenstern heran, welcher Freges Werk entnommen ist und in diesem dazu dient, das Gegenteilige zu veranschaulichen, nämlich dass der Eigenname Abendstern für einen Gegenstand und der Term ist der Morgenstern bzw. die Lesart desselbigen als ist nichts anderes als der Morgenstern nicht in einer Identitätsbeziehung, sondern in einer prädikativen Beziehung zueinander stehen, obwohl die Terme Abendstern und Morgenstern, falls sie als Eigennamen für einen Gegenstand aufgefasst werden, auf den gleichen Gegenstand in der außersprachlichen Wirklichkeit referieren und sachlich eine Identitätsbeziehung auf gegenständlicher Ebene gegeben ist. 968 (S. 5.6.5) Danach erwähnt Helbig Geists fortführende Modifikation der Russellschen Ambiguitätsthese, welche an Higgins als Revision dessen Theorie anknüpft und zwischen prädizierend, Identitätssatz, spezifizierend und prädizierend-identifizierend unterscheidet. 969 Aufgrund der extensionalen Interpretation Russells Subsumtion als auch Russells Identität werden in die Analysen der Kopulasätze nach Helbig, Higgins und Geist sämtliche außersprachliche Sachverhalte der Referenten sprachlicher Terme in logischer Subjekt- und logischer Prädikatsposition miteinbezogen sowie Bedeutungsunterschiede nicht kontextuell, sondern als Ambiguität des Verbs sein interpretiert, was zu einer immer weiter gehenden Auffächerung der zunächst angenommenen Inhalte Identität und Prädikation führt. Nach Moro beachten die durch Russell vorgenommenen Analysen jedoch nicht die syntaktische Struktur eines Aussagesatzes: „ all these analyses are independent of the syntactic structure of the clause. The different functions that the copula is assumed to be associated with (identity, existence, predication, etc.) are analyzed as inherently dependent on the ‚ word ‘ itself (i. e., on the lexical entry of be, eînai ( εἶναι ), esse, être, essere, etc.). “ 970 Dennoch übten sie nach Moro einen immensen Einfluss auf die Grammatikschreibung aus. Moro resümiert: „ it is worth emphasizing that, despite the fact that Russell considered the copula as a sign of identity if and only if it is followed by a noun phrase, in most frameworks the ambiguity of the copula between predication and identity is claimed to hold even when the copula is indeed followed by a noun phrase. “ 971 Bezüglich der Korrespondenz zwischen der Russellschen Theorie über das Verb sein und der Realität des natürlichsprachlichen Materials konstatiert Moro abschließend: „ we can hardly 967 H IGGINS (1979: 264) 968 Vgl. F REGE (2002 [1892]b: 48 f.) 969 G EIST (2006: 60 ff.) 970 M ORO (2013: 112) 971 M ORO (2013: 111) 184 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="185"?> expect to find much interest in actual linguistic data: in fact, the theory of the copula as the realization of an identity relation is not based on empirical investigation; it is simply imposed on the data. For this reason, the conclusion that Socrates is a man involves an identity is simply not open to falsification. “ 972 Hintikka fasst zusammen: „ It is important to realize what this Frege-Russell thesis says and what it does not say. Every reasonable analyst agrees that verbs for being like is or the ancient Greek estin are used in different ways. What the Frege-Russell thesis claims is that this difference in use is due to the ambiguity of a single word and not e. g. to differences in the context in which the verb occurs. “ 973 Dies ist zutreffend, doch die Komplexität der Russellschen Hypothesen ist damit nicht erschöpft. Die eingefügten Anmerkungen in Principles of Mathematics zeigen bereits auf, dass Russell in seinen theoretischen Ausführungen sämtlicher Werke versäumt, diese von ihm vertretene Ambiguitätsthese des Verbs sein einsichtig darzulegen. Dies wird auch deutlich, wenn geprüft wird, wie Russell den von ihm zunächst propagierten Unterschied zwischen Klasse, Klassenkonzept und Prädikat, d. h. derjenigen Terme und Syntagmen, in welche das Verb sein in einer Proposition kontextuell eingebunden ist, herauszuarbeiten versucht: „ A class is a certain combination of terms, a class-concept is closely akin to a predicate, and the terms whose combination forms the class are determined by the class-concept. Predicates are, in a certain sense, the simplest type of concepts, since they occur in the simplest type of proposition. “ 974 Allerdings erwähnt Russell nachfolgende Propositionen als Subjekt-Prädikat- Propositionen: A ist (engl.: A is); A ist Eins/ einer (engl.: A is one); A ist menschlich (engl.: A is human). 975 An dieser Stelle missachtet Russell seine eigene Distinktion zwischen Prädikat und Klassenkonzept, die angeblich ausschließlich verbal, d. h. im natürlichsprachlichen Ausdruck motiviert ist 976 und verletzt seine eigene Ambiguitätsthese, welche zuerst den Inhalt der Existenz erwähnt und diesen von der an dritter Stelle genannten kopulativen Rolle, ein logisches Prädikat zu erzeugen, abgrenzt. 977 Dabei gilt es außerdem nach Russell Folgendes zu beachten: „ Concepts which are predicates might also be called classconcepts, because they give rise to classes, but we shall find it necessary to distinguish between the words predicate and class-concept. Propositions of the 972 M ORO (1997: 254, Appendix) 973 H INTIKKA (2004: 117) 974 R USSELL (1937: 55) 975 R USSELL (1937: 54) 976 R USSELL (1937: 56) 977 R USSELL (1903: 64, Anm.); R USSELL (1937: 64, Anm.) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 185 <?page no="186"?> subject-predicate type always imply and are implied by other propositions of the type which asserts that an individual belongs to a class. “ 978 Demnach sind obige Propositionen nach Russell äquivalent (engl.: equivalent) aber aufgrund ihrer anderen Form nicht identisch (engl.: identical) zu den nachfolgenden Propositionen: A ist (engl.: A is) ⇔ A ist eine Entität (engl.: A is an entity); A ist Eins/ einer (engl.: A is one) ⇔ A ist eine Einheit (engl.: A is a unit); A ist menschlich (engl.: A is human) ⇔ A ist ein Mensch (engl.: A is a man). 979 Die nun wieder aufgegriffene Motivation anhand der Form, d. h. des natürlichsprachlichen Ausdrucks, zeigt eine gewisse Inkonsequenz auf, mit welcher Russell argumentiert. Nach Russell unterscheiden sich die paraphrasierten Propositionen (s. o.: A is an entity; A is a unit; A is a man) von den ursprünglichen Propositionen (s. o.: A is; A is one; A is human) insbesondere dadurch, dass in ihnen das Verb sein bzw. die Kopula ist (engl.: is) das einzige Konzept darstellt, welches nicht als Term fungiert. 980 Schließlich konkludiert Russell jedoch: „ The class-concept differs little, if at all, from the predicate, while the class, as opposed to the class-concept, is the sum or conjunction of all the terms which have the given predicate. The relation which occurs in the second type (Socrates has humanity) is characterized completely by the fact that it implies and is implied by a proposition with only one term, in which the other term of the relation has become a predicate. “ 981 Danach thematisiert Russell eine weitere Unterscheidung, nämlich diejenige zwischen Klasse (engl.: class), Klassenkonzept (engl.: class-concept) und Konzept einer Klasse (engl.: concept of a class). 982 Zudem führt Russell eine leere Klasse (engl.: null-class) ein. 983 Obwohl er leere Klassen zulässt, leitet Russell eine extensionale Interpretation von Klassen ab: „ With regard to the primitive proposition itself, it is to be observed that it decides in favour of an extensional view of classes. “ 984 Durch die strikt extensionale Interpretation einer Klasse spaltet sich der Aspekt der Existenz für die Theorie der Klassen ab. Obwohl eine Null-Klasse mit der Beschreibung class of no terms nach Russell definiert werden kann, existiert sie nicht, wenn sie keine Extension, d. h. keinen Term hat. 985 Die Unterscheidung zwischen Extension und Intension betrachtet Russell des Weiteren als rein psychologisch, da es nach Russells Ansicht, vorausgesetzt man verfüge über 978 R USSELL (1937: 54) 979 R USSELL (1937: 54) 980 R USSELL (1937: 54) 981 R USSELL (1937: 54 f.) 982 R USSELL (1937: 67) 983 R USSELL (1903: 20); R USSELL (1937: 20) 984 R USSELL (1903: 20 f.); R USSELL (1937: 20 f.) 985 R USSELL (1903: 21 f.); R USSELL (1937: 21 f.) 186 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="187"?> genügend Zeit vor dem Tod, angeblich logisch möglich ist, alle Klassen, auch unendliche Klassen extensional zu definieren: „ Class may be defined either extensionally or intensionally. That is to say, we may define the kind of object which is a class, or the kind of concept which denotes a class: this is the precise meaning of the opposition of extension and intension in this connection. But although the general notion can be defined in this two-fold manner, particular classes, except when they happen to be finite, can only be defined intensionally, i. e. as the objects denoted by such and such concepts. I believe this distinction to be purely psychological: logically, the extensional definition appears to be equally applicable to infinite classes, but practically, if we were to attempt it, Death would cut short our laudable endeavour before it had attained its goal. Logically, therefore, extension and intension seem to be on a par. “ 986 Da Russell in diesem Zitat erwähnt, dass eine Klasse extensional oder intensional definiert werden kann, spricht er mit der intensionalen Definition das Klassenkonzept oder Prädikat an. Demzufolge ist auch die Unterscheidung zwischen Klassenkonzept und Klasse nach Russell doch nur eine psychologische Angelegenheit, während sich die Logik nach Russell nicht dadurch von der Mathematik unterscheidet, dass sie sich auch der Intension sowie der Form gegenüber der Materie oder der Extension widmet. Letztendlich löst sich Russells Erörterung über Klassen, Klassenkonzepte und Prädikate auf, indem er die Klasse als Extension eines Klassenkonzeptes, einer Funktion oder eines Prädikats dekonstruiert. Dies wird einerseits seitens der Extension vorgenommen, indem Russell konstatiert, Klassen wären nicht rein extensional aufzufassen: „ We cannot take classes in the pure extensional way as simply heaps or conglomerations. If we were to attempt to do that, we should find it impossible to understand how there can be such a class as the null-class, which has no members at all and cannot be regarded as a ‚ heap ‘ ; we should also find it very hard to understand how it comes about that a class which has only one member is not identical with that one member. I do not mean to assert, or to deny, that there are such entities as ‚ heaps. ‘ As a mathematical logician, I am not called upon to have an opinion on this point. All that I am maintaining is that, if there are such things as heaps, we cannot identify them with the classes composed of their constituents. “ 987 Andererseits sind Klassen nach Russell aber auch nicht intensional als Funktionen beschreibbar, obwohl er diese These zuvor vertreten hat, wobei er nun die nominalistische Methode Ockhams Rasiermesser (engl.: Occam ’ s razor) 986 R USSELL (1937: 69) 987 R USSELL (1924 [1919]: 183) 5.5 Die Mathematisierung der traditionellen Syllogistik 187 <?page no="188"?> anwendet und zu dem Schluss gelangt, dass Klassen symbolische Fiktionen seien: „ When we have decided that classes cannot be things of the same sort as their members, that they cannot be just heaps or aggregates, and also that they cannot be identified with propositional functions, it becomes very difficult to see what they can be, if they are to be more than symbolic fictions. And if we can find any way of dealing with them as symbolic fictions, we increase the logical security of our position, since we avoid the need of assuming that there are classes without being compelled to make the opposite assumption that there are no classes. We merely abstain from both assumptions. This is an example of Occam ’ s razor, namely, ‚ entities are not to be multiplied by necessity. ‘ But when we refuse to assert that there are classes, we must not be supposed to be asserting dogmatically that there are none. We are merely agnostic as regards to them: like Laplace, we can say, ‚ je n ’ ai pas besoin de cette hypothèse. ‘“ 988 Im Gegensatz zu De Morgan, der innerhalb seiner algebraischen Auffassung und rechnenden Methodik durchaus kohärent argumentiert, vermengt Russell zunächst realistische und nominalistische Annahmen, nur um schließlich die durch seine vorangehenden realistischen Annahmen entstandenen Entitäten samt ihrem ontologischen Status auf nominalistische Gegenständlichkeiten zu reduzieren. Theoretisch sind nämlich nach diesen Ausführungen Russells die intensionalen Entitäten, namentlich das Klassenkonzept, das Konzept einer Klasse, das Prädikat sowie die Funktion auf ihre Klassen in einer Identitätsbeziehung reduziert, welche wiederum, da diese Klassen selbst nicht extensional greifbar sind, symbolische Fiktionen darstellen. Eine Besonderheit ist zudem Russells damit einhergehende Herauslösung des Individuums aus der Klasse, so dass Individuen (z. B. Socrates) als Entitäten gehandhabt werden, welche keine einelementige Klasse in ihrer Extension sind, aber auch nicht als Extension eines Klassenkonzepts oder eines Prädikats bzw. als Argument eines Prädikats intensional erfasst oder beschrieben werden können. 989 Zugleich findet eine Einebnung von Prädikaten auf das Materielle und damit die Gegenständlichkeit von Klassen statt. Bereits aus diesen philosophischen Ausführungen Russells sowie der Mitberücksichtigung der De Morganschen und Russellschen Interpetation des Verbs sein und die mögliche Reduktion dessen Rolle auf die Erzeugung von Identitätsbeziehungen anhand von Paraphrasierungen, Extensionalisierung oder der Interpretation von Termen als Namen für Klassen, geht hervor, dass eine genuine, logisch begründete Stufenhierarchie von logischen Prädikaten in Russells Theorie nicht möglich ist 988 R USSELL (1924 [1919]: 183 f.) 989 Vgl. R USSELL (1903: 19, 21 f.); vgl. R USSELL (1937: 19, 21 f., 54); vgl. K NEALE / K NEALE (1991: 65) 188 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="189"?> (s. 5.7.1). Frege merkt bezüglich der Principia Mathematica 990 zu Unklarheiten in Russells/ Whiteheads Theorie an: „ Leider verstehe ich die Englische Sprache nicht genug, um mit Bestimmtheit sagen zu können, dass Russells Theorie (Principia Math. I, 54 ff.) mit meiner Theorie der Funktionen erster, zweiter u. s. w. Stufe übereinstimme. Allerdings scheint es mir so. Aber ich verstehe nicht alles. Was Russell mit seiner Bezeichnung ϕ ! x ˆ will, ist mir nicht recht klar. Ich weiss immer nicht recht, ob er vom Zeichen spricht oder von seinem Inhalte. “ 991 Nachdem Russell die Klassen in Ordnungen und Typen schachtelt, um nun artifiziell formal höherstufige Entitäten als logische Prädikate zu erschaffen 992 , muss er diese wieder auf logische Prädikate erster Ordnung reduzieren (s. axiom of reducibility/ axiom of classes/ axiom of relations) 993 (dt.: Axiom der Reduzierbarkeit), wobei aus sprachphilosophischer Perspektive diese logischen Prädikate erster Ordnung gemäß seiner Auffassung der Kopula bzw. des Verbs sein und der damit verbundenen nominalistischen Annahmen ebenfalls zu extensional zu verstehende Identitätsbeziehungen zu dekonstruieren sind und damit lediglich vergegenständlichte logische Prädikate darstellen. 994 Dies kommentiert Kanamori folgendermaßen: „ In traumatic reaction to his paradox Russell had built a complex system of orders and types only to collapse it whith his Axiom of Reducibility, a fearful symmetry imposed by an artful dodger. “ 995 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges Frege legt im Jahr 1879 mit der Begriffsschrift 996 ein Werk vor, das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Beginn eines neuen logischen Zeitalters gilt. Daneben veröffentlicht er zahlreiche Aufsätze, Vorträge sowie im Jahr 1893 seine Gundlagen der Arithmetik 997 . In seinem Werk Grundgesetze der Arithmetik 998 erwähnt Frege bezüglich seiner Ausführungen über Funktion, Begriff und Beziehung, welche wesentlich für seine logischen und sprachphilosophischen Thesen sind, dass ein Heranziehen der Begriffsschrift zum Verständnis des in 990 R USSELL / W HITEHEAD (1963 [1925 - 1927]) 991 F REGE / J OURDAIN (1976 [ca. 1914]: 126, Frege an Jourdain [undatiert] XXI/ 12) 992 Z. B. R USSELL (1908: 236 - 241) 993 R USSELL (1908: 243) 994 R USSELL (1908: 241 - 244) 995 K ANAMORI (2009: 411) 996 F REGE (2007 [1879]) 997 F REGE (1884) 998 F REGE (1962 [1893]) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 189 <?page no="190"?> den Grundgesetzen der Arithmetik niedergelegten Inhalts nicht angebracht sei, da einige seiner darin enthaltenen Erläuterungen nicht mehr dem aktuellen Stand entsprächen: „ Man vergleiche meinen Vortrag über Function und Begriff (Jena 1891) und meinen Aufsatz über Begriff und Gegenstand in der Vierteljahresschrift für wissensch. Phil. XVI, 2. Meine Begriffsschrift (Halle a. S. 1879) entspricht nicht mehr ganz meinem jetzigen Standpunkte, ist also zur Erläuterung des hier ausgeführten nur mit Vorsicht heranzuziehen. “ 999 Desgleichen ist Freges, für das Verständnis wesentliche Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung in seinen Grundlagen der Arithmetik noch nicht in derart klarer Terminologie getroffen, wie dies in seinen Aufsätzen erläutert ist: „ Als ich meine Grundlagen der Arithmetik schrieb, hatte ich den Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung noch nicht gemacht [ … ] und daher unter dem Ausdrucke ‚ beurteilbarer Inhalt ‘ noch das zusammengefaßt, was ich jetzt mit den Wörtern ‚ Gedanke ‘ und ‚ Wahrheitswert ‘ unterscheidend bezeichne. Die dort auf S. 77 gegebene Erklärung billige ich darum ihrem Wortlaute nach nicht mehr ganz, obwohl ich im wesentlichen noch derselben Meinung bin “ 1000 . Die Weiterentwicklung Freges Theorien über eine längere Zeitspanne führt dazu, dass in der vorliegenden Studie nicht allen Aspekten des Fregeschen Ansatzes zur Sprachphilosophie und zur Analyse sowie Deskription natürlicher Sprache gefolgt werden kann. Insgesamt verfestigt sich aus Sicht der vorliegenden Untersuchung der Eindruck, dass Frege weitgehend an der traditionellen Grammatikschreibung sowie der Binärteilung des deutschen Aussagesatzes (s. 5.6.2) in ein Subjekt und ein Prädikat orientiert war, obwohl er für logische Analysen diese letztgenannte Terminologie ablehnte. Ebenso ist in Freges Applikation seiner eigenen Thesen auf natürlichsprachliche Ausdrücke aus Sicht der vorliegenden Untersuchung eine latente Herabstufung des Zeichens, welche diesem keinen erhöhten Status zuerkennt (s. 5.6.4), indiziert, obgleich Frege in seiner Analyse der formalen Sprache der Mathematik eine besondere Unterscheidung zwischen dem Zeichen, seinem Inhalt sowie seiner gegenständlichen Bedeutung thematisiert, und die Erkenntnisse daraus die Grundlage für sämtliche Thesen Freges Werk stellen. Nachfolgend werden deshalb insbesondere Freges Aufsätze und Vorträge vorgestellt sowie diejenigen Inhalte, welche für die vorliegende Untersuchung Relevanz haben, referiert. Hintikka schreibt auch Frege die Russellsche Ambiguitätsthese zu 1001 , doch diese Annahme kann durch eine genaue Analyse der Fregeschen Schriften, insbesondere des Spätwerks Freges, nicht bestätigt werden. Frege unterscheidet 999 F REGE (1962 [1893]: 5, Anm. 1) 1000 F REGE (2002 [1892]b: 53); vgl. F REGE (2002 [1892]a); F REGE (2001 [1892 - 1895]) 1001 Vgl. H INTIKKA (1979); vgl. H INTIKKA (1981); vgl. H INTIKKA (2004) 190 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="191"?> nicht zwischen Prädikation und Subsumtion. Es lässt sich lediglich eine Unterscheidung zwischen Subordination, d. h. der Besetzung der Argumentstelle eines Begriffs mit einem anderen Begriff, und Subsumtion, d. h. der Besetzung der Argumentstelle eines Begriffs mit einem Gegenstand, erkennen 1002 , welche jedoch nicht dem Verb sein zugeschrieben wird, sondern dem Wesen der Terme oder Syntagmen in logischer Prädikatsowie logischer Subjektsbzw. Argumentsposition (s. 5.5.2; 5.6.3). Dies erwähnt auch Angelelli: „ Contrary to Hintikka ’ s and Haaparanta ’ s claims, Frege never distinguishes an ‚ is ‘ of subordination as opposed to an ‚ is ‘ taken in another sense. “ 1003, 1004 Des Weiteren schreibt Frege dem Verb sein keinen gesonderten Inhalt als ausschließlich Existenz bezeichnend zu. Die einzige Verwendung des Verbs sein im Werk Freges, welche als derart interpretierbar erscheinen könnte, findet in Freges Dialog mit Pünjer über Existenz 1005 statt. Hierbei ist jedoch ein eigens Existenz bezeichnender Inhalt des Verbs sein nicht relevant. In der Tat widerlegt Frege diese Auffassung eines gesonderten Existenz bezeichnenden Inhalts des Verbs sein oder ein allein die Existenz bezeichnendes, homonymes Verb sein, dessen Verwendungsweise sich von anderen Verwendungsweisen des Verbs sein abspalten lässt. Stattdessen nimmt Frege das Signifikat Existenz für das Verb sein grundsätzlich mit an, wie der Text Dialog mit Pünjer über Existenz andeutet: „ Sobald ‚ Sachse ist ein Mensch ‘ ein wirkliches Urteil ist, muß das Wort ‚ Sachse ‘ etwas bezeichnen und dann gebrauche ich eine weitere Prämisse nicht, um daraus zu schließen, ‚ Es gibt Menschen ‘ . Die Prämisse ‚ Sachse existiert ‘ ist überflüssig, wenn sie etwas anderes bedeuten soll, als jene selbstverständliche Voraussetzung bei allem unseren Denken. Können Sie ein Beispiel angeben, wo ein Satz von der Form ‚ A ist ein B ‘ einen Sinn hat und wahr ist, [in dem] [ … ] A der Name eines Einzelnen ist, während ‚ es gibt B ’ s ‘ falsch ist? “ 1006 Bezüglich des Inhalts Identität des Verbs sein kann anschließend zur Klärung Freges Position folgendes Zitat herangezogen werden: „‚ Es gibt Menschen ‘ bedeutet dasselbe wie ‚ Einige Menschen sind sich selbst gleich ‘ oder ‚ Einiges sich selbst gleiche ist Mensch ‘ . In dem Satz ‚ A ist sich selbst gleich ‘ erfährt man ebensowenig etwas Neues über A, wie in dem Satze ‚ A existiert ‘ . Keiner der beiden Sätze kann verneint werden. Man kann in beiden für A setzen was man 1002 F REGE (1962 [1893]: 2 f.) 1003 A NGELELLI (2012: 2 f.) 1004 Die unterstrichenen Wörter im Aufsatz Angelellis wurden im Zitat von d. A. stattdessen kursiv gesetzt. 1005 F REGE (2001 [vor 1884]) 1006 F REGE (2001 [vor 1884]: 11); vgl. A NGELELLI (2012) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 191 <?page no="192"?> will, sie bleiben immer richtig. Sie weisen nicht das A einer von zwei Klassen zu, um es von einem B etwa zu trennen, das dieser Klasse nicht angehört. “ 1007 Allerdings muss angemerkt werden, dass Frege zwischen Bedeutung und Sinn unterscheidet, die Bedeutung bei Frege lediglich den Begriffsumfang anspricht und seine Verwendung des Verbs bedeuten keinesfalls missverstanden werden darf, was untenstehend ausführlich erläutert wird. Im Folgenden wird somit erklärt, womit Frege seine Thesen in der Logik und Sprachphilosophie begründet, welche keine Unterscheidung zwischen Prädikation und Subsumtion treffen. Angelelli konstatiert: „ Frege rejected the principal feature of traditional predication theory; in his terminology, marks of a concept are not predicated of the concepts of which they are marks (opening lines of GRL § 53). Subordination between two concepts should be distinguished from the subsumption of an object under a concept. [ … ] Homo and animal stand in the subordination relation, whereas Socrates stands to animal, or to homo, in the subsumption relation. “ 1008, 1009 Bezüglich der Etablierung einer Identitätsbeziehung durch die Kopula in einem Aussagesatz unterscheidet sich Freges Ansatz gegenüber De Morgans und Russells Thesen dahingehend, dass Frege die Möglichkeit einer bezeichneten Identitätbeziehung zwischen extensionalen Gegenständen oder Begriffsumfängen einräumt, eine ausgedrückte Identität zwischen zwei Begriffen auf sprachlicher Sinnebene jedoch ausschließt, so dass ein Ausdruck der Identität des Verbs sein nach Russells oder De Morgans Verständnis zwischen den Termen in logischer Subjekts- und logischer Prädikatsposition im Ausdruck eines Aussagesatzes bzw. einer Proposition nicht mehr angenommen werden kann. Allerdings präsentiert Frege durch eine Analyse der Identitätsbeziehung auf extensionaler Ebene sowie ihrer Entsprechung in der Intension und die Revision der traditionellen Urteilslehre eine Antwort auf De Morgan, der sich durch eine Resolution der reinen Identitätsbeziehung eine klarere Vorstellung von einer höheren Gedankenentwicklung erhoffte. 1010 (S. 5.5.1) Angelelli kommt zu nachfolgendem Schluss: „ The only distinction, among those listed by Hintikka, seriously made by Frege is that between the ‚ is ‘ of identity and the ‚ is ‘ of predication. “ 1011 Diese in vorangehendem Zitat formulierte Observation Angelellis ist zutreffend, allerdings findet die Unterscheidung zwischen Prä- 1007 F REGE (2001 [vor 1884]: 14) 1008 A NGELELLI (2012: 3) 1009 Die unterstrichenen Wörter im Aufsatz Angelellis wurden im Zitat von d. A. stattdessen kursiv gesetzt. 1010 M ORGAN (1966 [1850]: 58) 1011 A NGELELLI (2012: 4) 192 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="193"?> dikation und Identität bei Frege aufgrund obig alludierter Gründe nicht auf einer Ebene statt. Die Identität kann, wie obig erwähnt und in nachfolgenden Gliederungspunkten dieser Abhandlung erklärt, in Freges Theorie sprachlich mit einem Aussagesatz als Begriffsstruktur nicht ausgedrückt werden, sondern nur zwischen Gegenständen der außersprachlichen Wirklichkeit festgestellt werden bzw. den denotierten Sachverhalt einer Proposition, aber nicht den Sinn derselbigen darstellen. Hierfür ist eine eingehende Betrachtung der Textstelle in Über Begriff und Gegenstand 1012 notwendig. Frege erwähnt zunächst: „ Der Begriff, wie ich das Wort verstehe - ist prädikativ. [ … ] Eine Gleichung ist umkehrbar; das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff ist eine nicht umkehrbare Beziehung. Das ‚ ist ‘ im Satze ‚ der Morgenstern ist die Venus ‘ ist offenbar nicht die bloße Kopula, sondern auch inhaltlich ein wesentlicher Teil des Prädikats, so daß in den Worten: ‚ die Venus ‘ nicht das ganze Prädikat enthalten ist. Man könnte dafür sagen: ‚ der Morgenstern ist nichts anderes als die Venus ‘ , und hier haben wir, was vorhin in dem einfachen ‚ ist ‘ lag, in vier Worte auseinandergelegt, und in ‚ ist nichts anderes als ‘ ist nun ‚ ist ‘ wirklich nur noch die Kopula. Was hier ausgesagt wird, ist also nicht die Venus, sondern nichts anderes als die Venus. Diese Worte bedeuten einen Begriff, unter den freilich nur ein einziger Gegenstand fällt. Aber ein solcher Begriff muß immer noch von dem Gegenstande unterschieden werden. “ 1013 Frege erwähnt, dass eine Differenz zwischen Gleichheitsbeziehung (auch: Identitätsbeziehung) und Eigenschaftszuschreibung nur sachlich aber nicht sprachlich besteht. Dennoch nennt er Gegenstands- und Eigennamen als auch deren außersprachliches Denotat, nämlich um die Problematik einzuleiten und auf die These einzugehen, dass eine Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung wie sie z. B. in der Arithmetik und Algebra notationell dargestellt wird, sprachlich ausgedrückt wäre (s. 5.5.1; 5.5.2). Dieser These wird durch Frege widersprochen, indem er konstatiert, auch ein Aussagesatz, der eine Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung in der außersprachlichen Wirklichkeit denotiert, bestehe aus einem Argument und einem prädikativen Begriff 1014 , ebenso wie z. B. der Satz dieses Blatt grünt aus einem logischen Gegenstand (z. B. dieses Blatt) als Argument in grammatischer Subjektposition und einem logisch prädikativen Begriff (z. B. grünt) zusammengesetzt ist. Um diese These zu verteidigen, modifiziert Frege die gängige Lehrmeinung über das Verb sein als Kopula. Es ist deutlich, dass Frege zwischen dem Verb sein bzw. ist und der Kopula unterscheidet, wobei die Kopula nach Frege eine Gebrauchsweise des Verbs sein bzw. ist darstellt. Frege behauptet demzufolge nicht, dass das Verb sein bzw. ist 1012 F REGE (2002 [1892]b) 1013 F REGE (2002 [1892]b: 48 f.) 1014 F REGE (2002 [1892]b: 48 f.) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 193 <?page no="194"?> ambig (auch: polysem) sei, sondern dass es verschiedene Gebrauchsweisen aufweist oder ihm diese zugeschrieben werden und vor allem, dass die Gebrauchsweise des Verbs sein bzw. ist über die Rolle als traditionelle, bloße Kopula hinausgehen muss, um in jedem sprachlichen Aussagesatz ein logisches Prädikat zu erzeugen, auch in denjenigen Aussagesätzen, welche eine Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung in der außersprachlichen Wirklichkeit denotieren. Ohne sich außerordentlich gegen die in der Grammatik tradierte Doktrin der Kopula aufzulehnen, korrigiert Frege an dieser Stelle gewissermaßen die traditionelle Auffassung, um dem Missverständnis vorzubeugen, es gäbe eine sprachliche Entsprechung der in Arithmetik, Algebra oder der außersprachlichen Wirklichkeit angenommenen gegenständlichen Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung und damit Aussagesätze ohne logisches Prädikat sowie einer begrifflichen Ebene. Ungeachtet dessen, inwiefern das Verb sein bzw. ist vollständig oder teilweise die traditionelle Rolle als Kopula übernehmend angesehen werden kann, etabliert das Verb sein bzw. ist nach Frege in jedem Fall eine logische Prädikation eines Begriffs über ein Argument. Eine Zurückhaltung Freges gegenüber der etablierten Lehrmeinung der traditionellen Grammatikschreibung und eine Akzeptanz derselbigen sowie der mit dieser einhergehenden syntaktischen Binärteilung des deutschen Aussagesatzes ist durchaus festzustellen, dennoch bestehen in Freges Werk theoretische Ansätze, die das Potential haben, die traditionelle Grammatikschreibung zu hinterfragen und Impulse für eine neuartige syntaktische sowie semantische Analyse des deutschen Aussagesatzes zu geben. Problematisch ist somit, dass Frege sich nicht von der traditionellen Grammatikschreibung löst, da er nicht primär sprachwissenschaftlich arbeitet, sondern die natürliche Sprache als Hilfsmittel für die logische Grundlagenforschung der Mathematik heranzieht. Es ist also lediglich das Konzept der traditionellen Kopula, über welches Frege in obig zitierter Textstelle 1015 reflektiert, nicht notwendig der Inhalt des Verbs sein bzw. ist. So betont Frege, dass auch in einem, eine Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung denotierenden Satz wie z. B. der Aussage der Morgenstern ist die Venus sprachlich das Syntagma in grammatischer Prädikatsposition und damit auch der Gegenstandsbzw. Eigenname die Venus keinen logischen Gegenstand oder eine Klasse repräsentieren, sondern ein logisches Prädikat und damit einen Begriff. Um dies gegenüber der traditionellen Auffassung der Kopula zu verdeutlichen, schlägt Frege die Lesart oder Interpretation der Morgenstern ist nichts anderes als die Venus vor. Damit unterscheidet sich Freges Theorie wesentlich von derjenigen Russells, welcher zwischen einer Prädikation über ein Individuum und einer einelementigen Klasse, d. h. zwischen Prädikation 1015 F REGE (2002 [1892]b: 48 f.) 194 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="195"?> und Subsumtion differenziert. Dadurch ist es Russell, wie obig erläutert (s. 5.5.2) möglich, den sprachlichen Ausdruck einer Identitätsbeziehung zu behaupten, wie dies De Morgan vornimmt. Gleichzeitig wird jedoch hiermit die logische Prädikation über ein Individuum dekonstruiert, weswegen dieses oder ein anderer logischer Gegenstand in Russells Theorie in vielen Fällen aus einer prädikativen Eigenschaftszuschreibung oder aus einer Extension eines sogenannten Klassenkonzepts herausgelöst werden kann. Eine derart ausgeprägte Inkohärenz in der Theoriebildung wie in Russells Werk ist in Freges Schriften spätestens ab Einführung der Distinktion zwischen Sinn und Bedeutung nicht gegeben, sondern die logische Prädikation und Begriffsbildung in einem natürlichsprachlichen Aussagesatz wird grundsätzlich gerechtfertigt. Alle Kopulasätze verkörpern nach Frege eine logische Prädikation anhand eines Begriffs und ein Argument derselbigen. Damit wirkt auch das Verb sein bzw. ist in allen Fällen am sprachlichen Zustandekommen einer logischen Prädikation mittels eines Begriffs erster, zweiter oder höherer Stufe mit. Die angenommenen Lesarten des Verbs sein in der De Morganschen oder Russellschen Ambiguitätsthese (s. 5.5.1; 5.5.2) reduzieren sich dadurch merklich, so dass betreffs Freges Gebrauchsweise des Verbs sein vor allem die Prädikation und die Frage nach dem gesonderten Status des Inhalts Existenz bleiben, welche im Dialog mit Pünjer über Existenz 1016 eigentlich dahingehend beantwortet ist, dass Frege nicht von einer Abspaltung des Existenz bezeichnenden Inhalts des Verbs sein im kopulativen Gebrauch ausgeht. Es liegt nach diesen Ausführungen nahe, in theoretischer Überwindung der traditionellen syntaktischen Binärteilung des deutschen Aussagesatzes das Verb sein schließlich selbst als logisches Prädikat mit einem existenzbezeichnenden Inhalt als begrifflichem Gehalt zu vermuten und empirische Untersuchungen (s. 7; 8; 10) anzustellen, die diese These überprüfen. Diese Reflexion der Annahmen zum Verb sein leitet also eine Überprüfung des Status als kopulatives, homonymes oder ambiges Wort in der Grammatikforschung sowie in der Grammatikschreibung ein und wird untenstehend in nachfolgenden Gliederungspunkten detailliert begründet und expliziert. 5.6.1 Semiotische Vorannahmen Einleitend ist vorwegzunehmen, dass Frege die Notation sowie die konventionalisierte Interpretation von mathematischen Ausdrücken kritisiert, da diese zu logischen Fehlern und Ungenauigkeiten in der mathematischen Sprache 1016 F REGE (2001 [vor 1884]) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 195 <?page no="196"?> sowie der Mathematik selbst führen und logischen Kriterien zur exakten Analyse von Aussagen und Urteilen nicht genügen: „ Die Mathematik sollte eigentlich ein Muster von logischer Klarheit sein. In Wirklichkeit wird man vielleicht in den Schriften keiner Wissenschaft mehr schiefe Ausdrücke und infolgedessen mehr schiefe Gedanken finden als in den mathematischen. Niemals sollte man die logische Richtigkeit der Kürze des Ausdrucks opfern. “ 1017 Diese Kritik führt zu einer Differenzierung, deren Missachtung zahlreiche Inakkuratheiten und Missverständnisse nach sich ziehen kann, nämlich der sich direkt aus der Semiotik bzw. Zeichentheorie ergebenden Unterscheidung zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem sowie zwischen extensionaler und intensionaler Ebene. Im Gegensatz zu De Morgan und Russell beschließt Frege somit, semiotische und zeichentheoretische Aspekte in seiner Theorie der Prädikation, der Proposition (lat.: propositio; dt.: Vorstellung; Thema; Satz; Vordersatz/ Prämisse eines Syllogismus) und des logischen bzw. mathematischen Ausdrucks ebenfalls zu berücksichtigen und den Feinheiten der natürlichen Sprache sowie sprachphilosophischen Fragestellungen Aufmerksamkeit zu widmen: „ Hat man es doch fertig gebracht, die Zahlzeichen für Zahlen, den Namen für das Benannte, das blosse Hilfsmittel für den eigentlichen Gegenstand der Arithmetik zu halten. Solche Erfahrungen lehren, wie nothwendig es ist, an die Genauigkeit der Rede- und Schreibweise die höchsten Anforderungen zu stellen. “ 1018 Wesentlich dabei ist, dass die Verschiedenheit der Bezeichnung nicht hinreichend für eine Verschiedenheit des Bezeichneten ist. 1019 Demzufolge ist ein Ausdruck der Form 2 + 5 nicht in seiner Bedeutung verschieden von dem Ausdruck 3 + 4, sondern ebenso gleichbedeutend mit ersterem Ausdruck, wie die zwei Namen wohlriechendes Veilchen und Viola odorata gleichbedeutend sind, da sie auf den gleichen Gegenstand referieren. 1020 Um seine Auffassung von Gegenständlichkeit zu erläutern, konstatiert Frege zudem: „ Die jetzt sehr verbreitete Neigung, nichts als Gegenstand anzuerkennen, was nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, verleitet dann dazu, die Zahlzeichen selbst für die Zahlen, für die eigentlichen Gegenstände der Betrachtung zu halten; und dann wären ja freilich 7 und 2 + 5 verschieden. “ 1021 Frege erklärt, dass die Bedeutung der Zeichen bzw. Zahlzeichen von dem Zeichen selbst unterschieden werden muss, auch wenn die Bedeutung eine nicht sinnlich 1017 F REGE (2002 [1904]: 69) 1018 F REGE (1962 [1893]: 4) 1019 F REGE (2002 [1891]: 3) 1020 F REGE (2002 [1891]: 3) 1021 F REGE (2002 [1891]: 3) 196 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="197"?> wahrnehmbare Zahl ist. Die Form des Ausdrucks eines Zeichens ist nach Frege ebenso wie die Zusammensetzung der Tinte, mit welcher es geschrieben wurde, eine Eigenschaft des Bezeichnenden, d. h. des Zeichens, während z. B. die arithmetischen Eigenschaften einer Zahl Eigenschaften des Bezeichneten sind. So bedeuten die Ausdrücke 2 ∙ 1 3 + 1; 2 ∙ 2 3 + 2; 2 ∙ 4 3 + 4 die Zahlen 3, 18 und 132 1022 und der Ausdruck 3 + 4 bedeutet dasselbe wie der Ausdruck 2 + 5. Die Referenz zwischen Bedeutung und Zeichen lässt sich als ein dyadisches Modell (Abb. 1) darstellen. Abb. 1: Dyadisches Modell Anschließend bemerkt Frege, dass es eine dritte Dimension geben muss, denn die Struktur eines Ausdrucks erweist sich aus verschiedenen Gründen aus einer anderen Perspektive als beachtenswert. So ist in manchen Ausdrücken, jenen mit Bedeutung sowie jenen ohne Bedeutung, ein Muster zu erkennen, das sich nicht nur auf Zeichenebene manifestiert und welches als die Formulierungen 2 ∙ () 3 + () oder 2 ∙ x 3 + x darstellbar sowie als Funktion identifizierbar ist. Frege erläutert, dass das Argument, das an die Stelle der erkannten Platzhalter tritt und welches üblicherweise durch den Buchstaben x unbestimmt angedeutet wird, nicht zu dieser Funktion gehört, sondern mit der Funktion ein vollständiges Ganzes bildet, „ denn die Funktion für sich allein ist unvollständig, ergänzungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die Funktionen von den Zahlen von Grund aus. “ 1023 Die Bedeutung einer Funktion ist ihr Wert für ein bestimmtes Argument, der beim Einsetzen vieler verschiedener Argumente in zeitlicher Reihenfolge einen Verlauf annimmt, welcher die Benennung Wertverlauf einer Funktion trägt, womit die Funktion selbst gegenüber der Bedeutung das logisch Frühere verkörpert. 1024 Somit stellt der Ausdruck x 2 - 4x = x ∙ (x - 4) keine Gleichsetzung von Funktionen, sondern von Wertverläufen in verallgemeinerter Form dar. 1025 Dass die Allgemeinheit einer derartigen Gleichung zwischen Funktionswerten als Gleichung zwischen Wertverläufen aufgefasst werden kann, ist nach Frege ein logisches Grundgesetz, das nicht zu beweisen ist. 1026 Am selbigen Buchstaben, welcher unbestimmt das Argument andeutet, ist zu erkennen, dass sowohl die linke als auch 1022 F REGE (2002 [1891]: 4 f.) 1023 F REGE (2002 [1891]: 5) 1024 F REGE (2002 [1891]: 7, Fn. 5) 1025 F REGE (2002 [1891]: 7 f.) 1026 F REGE (2002 [1891]: 7) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 197 <?page no="198"?> die rechte Seite des Gleichheitszeichens jeweils nur unbestimmt eine Zahl andeuten, so dass die Allgemeinheit der Gleichung ausgedrückt wird, indem eben jener selbe Buchstabe an Stelle des Arguments für die linke und die rechte Seite gewählt wurde. Um die Unterscheidung zwischen Funktion, Argument und Funktionswert sowie Wertverlauf zu berücksichtigen und die Eigenständigkeit der Bedeutung besser zu verdeutlichen, führt Frege eine gesonderte Bezeichnungsweise für diesen Wertverlauf in die mathematischen Ausdrucksformen ein. Es beschreibt der Ausdruck έ ( ε 2 - 4 ε ) mit dem Akzent (lat.: spiritus lenis) über dem Argument 1027 den Wertverlauf der Funktion x 2 - 4x und der Ausdruck ά ( α ∙ [ α - 4]) den Wertverlauf der Funktion x ∙ (x - 4), so dass das Beispiel έ ( ε 2 - 4 ε ) = ά ( α ∙ [ α - 4]) der Ausdruck dafür ist, dass der erste Wertverlauf derselbe wie der Zweite ist. Im Unterschied zu obiger Gleichung x 2 - 4x = x ∙ (x - 4) besitzen in dieser Gleichung έ ( ε 2 - 4 ε ) = ά ( α ∙ [ α - 4]) die linke sowie die rechte Seite jeweils eine abgeschlossene Bedeutung, womit die Wertverläufe als Gegenstände einander gleichgesetzt sind, deshalb erfolgt die Gleichsetzung nicht zeitlich synchron für jedes einzelne eingesetzte Argument wie in der obigen Gleichung. Auch Funktionen können mit Hilfe von Buchstaben unbestimmt angedeutet werden. Sei der Ausdruck f(x) die anonyme Funktion mit dem Argument x und der Ausdruck έ (f( ɛ )) der Wertverlauf der Funktion. 1028 Es ist nach Frege festzustellen, dass beide Gleichungen, x 2 - 4x = x ∙ (x - 4) und έ ( ε 2 - 4 ε ) = ά ( α ∙ [ α - 4]), dasselbige in verschiedenen Weisen ausdrücken, wobei die Gleichung έ ( ε 2 - 4 ε ) = ά ( α ∙ [ α - 4]) im Unterschied zu erstem Ausdruck auf linker und rechter Seite eine als solche kenntlich gemachte abgeschlossene Bedeutung hat. 1029 Dies impliziert bereits eine wesentliche Differenzierung zwischen dem Sinn und der Bedeutung eines Funktionsausdrucks, wobei der Sinn die dritte Dimension neben Zeichen und Bedeutung ist. An dieser Herleitung des Sinns ist zu erkennen, dass sich der Sinn aus der Struktur, d. h. unter anderem aus der ungesättigten und gesättigten, aber noch nicht ausgewerteten Form von Ausdrücken ergibt. Die Wörter ungesättigt und prädikativ sind demzufolge eher für den Sinn als für die Bedeutung probat, dennoch ist zu erkennen, dass beim Fortschreiten vom Sinn zur Bedeutung eines Ausdrucks auch eine Entsprechung der Ungesättigtheit bzw. Prädikativität bei der Bedeutung existiert: „ Die Wörter ‚ ungesättigt ‘ und ‚ prädikativ ‘ scheinen besser auf den Sinn als auf die Bedeutung zu passen; aber es muß dem doch auch etwas bei der Bedeutung entsprechen; und ich weiß 1027 F REGE (2002 [1891]: 8) 1028 Frege verwendet hier einleitend die Notation έ f( ɛ ), die jedoch die gleiche Form darstellt wie die Notation έ (f( ɛ )). 1029 F REGE (2002 [1891]: 8 f.) 198 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="199"?> keine besseren Wörter “ 1030 . Nachdem erläutert wurde, dass die Bedeutung einer Funktion mit einem bestimmten Argument eine Zahl sein kann, führt Frege am Beispiel von Gleichungen und Ungleichungen die weitere Bedeutung des Wahrheitswertes ein, um den Sinn auch von dieser abzugrenzen. Es kann zwischen wahren (z. B. ( - 1) 2 = 1; 1 2 = 1) und falschen (z. B. 0 2 = 1; 2 2 = 1) Gleichungen unterschieden werden. Die Ausdrücke 2 2 = 4; 2 > 1; 2 4 = 4 2 bedeuten dasselbe, nämlich das Wahre, so dass der Ausdruck (2 2 = 4) = (2 > 1) eine richtige, wahre Gleichung ist. 1031 Der Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung wird nach dieser Verdeutlichung der Bedeutung als Gegenstand oder Wahrheitswert nun noch deutlicher, wenn dem Einwand, welcher sich gegen die Bedeutung als Wahrheitswert oder Gegenstand richtet, nämlich dem Einwand, die Gleichung 2 2 = 4 und die Ungleichung 2 > 1 besagten etwas Verschiedenes und drückten verschiedene Gedanken bzw. Sinne aus, entgegengehalten werden kann, dass auch die Formulierungen 2 4 = 4 2 und 4 ∙ 4 = 4 2 verschiedene Gedanken ausdrücken, obwohl die Biquadrierung 2 4 durch die Multiplikation 4 ∙ 4 ersetzbar ist, da beide Zeichenkombinationen dieselbe Bedeutung haben. 1032 Folglich haben die Ausdrücke 2 4 = 4 2 und 4 ∙ 4 = 4 2 dieselbe Bedeutung, und es ist erkennbar, dass die Gleichheit der Bedeutung nicht die Gleichheit des Gedankens bzw. des Sinns zur Folge hat, woraus geschlossen werden kann, dass Ausdrücke mit verschiedenen Sinnen oder mit verschiedenen vollständigen Sinnen, d. h. Gedanken 1033 (z. B. 2 2 = 4; 2 > 1; 2 4 = 4 2 ), dieselbe Bedeutung haben können. Frege erläutert diesen Sachverhalt an mehreren Stellen anhand eines natürlichsprachlichen Beispiels: „ Wenn wir sagen ‚ der Abendstern ist ein Planet, dessen Umlaufzeit kleiner ist als die der Erde ‘ , so haben wir einen anderen Gedanken ausgedrückt, als in dem Satze ‚ der Morgenstern ist ein Planet, dessen Umlaufzeit kleiner ist als die der Erde ‘ ; denn, wer nicht weiß, das der Morgenstern der Abendstern ist, könnte den einen für wahr, den andern für falsch halten; und doch muß die Bedeutung beider Sätze dieselbe sein, weil nur die Wörter ‚ Abendstern ‘ und ‚ Morgenstern ‘ miteinander vertauscht sind, welche dieselbe Bedeutung haben, d. h. Eigennamen desselben Himmelskörpers sind. Man muss Sinn und Bedeutung unterscheiden. “ 1034 Unter der Voraus- 1030 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 27, *) 1031 F REGE (2002 [1891]: 9 f.) 1032 F REGE (2002 [1891]: 10) 1033 F REGE (2002 [1891]: 18); vgl. F REGE (2002 [1892]a: 35, 45 f.) 1034 F REGE (2002 [1891]: 10); vgl.: „ Der Gedanke des Satzes ‚ der Morgenstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper ‘ ist verschieden von dem des Satzes ‚ der Abendstern ist ein von der Sonne beleuchteter Körper ‘ . Jemand, der nicht wüßte, daß der Abendstern der Morgenstern ist, könnte den einen Gedanken für wahr, den anderen für falsch halten. Der Gedanke kann also nicht die Bedeutung des Satzes sein, vielmehr werden wir ihn als den Sinn aufzufassen haben. “ (F REGE (2002 [1892]a: 29)) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 199 <?page no="200"?> setzung der Theorie des heliozentrischen Weltbildes, erklärt Frege mit diesem Zitat den Unterschied zwischen Sinn und Bedeutung eines Aussagesatzes. Die Unkenntnis darüber, dass zwei Sinne denselben Gegenstand bezeichnen, erzeugt darüber hinaus einen opaken Kontext. Eine Substitution salva veritate der zwei Sinne ist im opaken Kontext nicht möglich. 1035 Auf diese Weise entsteht ein triadisches geometrisches Modell. Eine Übersicht über die Besonderheit des Dreiecks in semiotischen Untersuchungen sowie eine Reflexion zu einem semiotischen Dreieck insbesondere unter Beachtung der Saussureschen Distinktion zwischen dem Sprachsystem langue und der Rede parole geben Henne/ Wiegand. 1036 Ein Überblick zu verschiedenen semiotischen Dreiecken sowie eine Diskussion derselbigen soll in der vorliegenden Studie nicht präsentiert werden, da insbesondere die abbildungstheoretische Angemessenheit eines der Theorie Freges entlehnten semiotischen Ansatzes (Abb. 2) vorgestellt wird. Abb. 2: Ein der Theorie Freges entlehntes semiotisches Dreieck Dieses semiotische Dreieck (Abb. 2) ähnelt prima facie Baldingers semiotischem Dreieck 1037 . Das Dreieck hat in der Linguistik und Semiotik eine besondere Bedeutung erlangt, ebenso besitzt das Dreieck eine kulturhistorische Relevanz. 1038 Heger spricht von einer „ magische[n] “ 1039 Eigenschaft des Dreiecks, die 1035 Ausführlicheres zur Substitution salva veritate, s. das Leibniz-Gesetz: Vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 228, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XIX, Def. 1); vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 236, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XX, Def. 1); s. 5.5; 5.6.5; 5.7.1; 5.7.4; 7.6.2.1 1036 H ENNE / W IEGAND (1969) 1037 Z. B. B ALDINGER (1957: 14); vgl. B ALDINGER (1964: 269); vgl. H ENNE / W IEGAND (1969: 141 ff.) 1038 H EINZ -M OHR (1992: 55 ff., Dreieck, Dreifaltigkeitssymbole). Zur Bedeutung des Dreiecks als mythologischer Berg oder als Pagodenbzw. Pyramidenform: Vgl. z. B. G OVERNMENT OF HIS H IGHNESS M AHARAJA OF M YSORE (Hrsg. 1903: 200 - 219, 234 - 274, insbes. 208 f., 215 ff., 244, Kap. 2, Kap. 4); vgl. z. B. K ISARI M OHAN G ANGULI (1991 [1883 - 1896]: 2190 ff., Buch 6: Bhishma Parva: Jamvu-khanda Nirmana Parva, Kap. 6); vgl. z. B. S WAMI Y OGESHWARA- NANDA (Hrsg. 1950: 143 - 174, insbes. S. 144 f., Kap. 1.4.9, Kap. 1.4.10); vgl. z. B. M ITTAL (2006: 3) 1039 H EGER (1964: 486) 200 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="201"?> jedoch für die vorliegende Studie zurückgewiesen wird. Denn auch in anderen Disziplinen, namentlich der Prosodie und der Mathematik, nimmt die Form des Dreiecks eine besondere Rolle ein. So dient das Dreieck als Illustrationsfigur einer Form des Binominalsatzes, des Binärsystems und im weiteren Sinn der Fibonacci-Zahlen. 1040 Außerdem gilt das Dreiecksmotiv als Fraktal (z. B. Apollonische Dichtung; vgl. a. Sierpi ń ski-Dreieck). 1041 An dieser Stelle repräsentiert die Illustrationsfigur dieses Dreiecks ein aus den zeichentheoretischen und sprachphilosophischen Explikationen Freges hergeleitetes semiotisches Dreieck (Abb. 2), für welches insbesondere die weiterführenden Erläuterungen zu Freges sowie Churchs Theorien (s. u.) gelten. In der vorliegenden Studie wird aufgezeigt, dass sich insbesondere die Dreiecksform und nicht die Trapezform 1042 , dafür eignet, die Konzepthierarchie Churchs (s. u. Abb. 13; vgl. Abb 12) graphisch darzustellen (s. 5.7.3). Ein Ausdruck als Zeichen besitzt nach Frege immer mindestens einen unvollständigen oder abgeschlossenen Sinn sowie eine unvollständige Bedeutung. 1043 Eine ungesättigte Funktion bzw. ein ungesättigter Begriff besitzt also ebenfalls einen Sinn, doch einen unvollständigen. 1044 Der abgeschlossene, vollständige Sinn kann Gedanke genannt werden und eine Sinnstruktur hat stets Gültigkeit oder Ungültigkeit sowie einen Wahrheitswert wahr oder falsch 1045 (s. 5.6.6) von dem dann zum Wahrheitswert als Bedeutung des Ausdrucks fortgeschritten werden kann. 1046 Parsons fasst zusammen: „ Frege also believed, that incomplete expressions have Sinne. While it is a matter of contention, Frege scholars have often referred to these Sinne as ‚ sense-functions ‘ . Although Frege ’ s account of this is not entirely perpicuous, he asserts that the Sinne of incomplete expressions are, like functions, also unsaturated. The Sinn of an unsaturated expression such as ‚ξ is a planet ‘ takes the Sinn of a name, such as ‚ Venus ‘ , and yields the Sinn of a complete sentence ‚ Venus is a planet ‘ ; and of course, according to Frege, the Sinn of an entire sentence is a Gedanke. “ 1047 In anderen Worten besitzt somit ein Ausdruck manchmal statt einer unvollständigen eine abgeschlossene Bedeutung. 1048 Im Falle einer abgeschlossenen 1040 Vgl. PI Ṅ GALA/ HAL Ā YUDHA BHA ṬṬ A/ KED Ā RAN Ā THA (1908); vgl. W EBER (1863: 147 - 468, Kap. 2); vgl. S CHOTERMAN (Hrsg. 1982: 181 - 209, Appendix I u. Supplement) 1041 Vgl. A POLLONIUS VON P ERGA / H ALLEY / B ALSAM (1861) 1042 Vgl. H EGER (1964: 515) 1043 F REGE (2002 [1892]a: 32) 1044 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34); vgl. P ARSONS (2016: 17) 1045 F REGE (2001 [1906]: 61); vgl. F REGE (2002 [1892]a: 32) 1046 F REGE (2002 [1891]: 12, 18); vgl. F REGE (2002 [1892]a: 32, 35) 1047 P ARSONS (2016: 17) 1048 F REGE (2002 [1891]: 13) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 201 <?page no="202"?> Bedeutung erhält der Ausdruck zusätzlich den extensionalen Wahrheitswert wahr oder falsch als Gegenstand, im Falle einer unvollständigen Bedeutung kann ihm kein extensionaler Wahrheitswert zugeordnet werden. Folglich hat jeder Ausdruck als eng oder weit gefasste Einheit stets einen Sinn, doch ein beliebiger Ausdruck konstituiert nicht immer einen Gedanken und besitzt deshalb nicht immer eine Bedeutung sowie nicht immer einen extensionalen Wahrheitswert. Bei der Analyse von Ausdrücken wird somit vom Zeichen zum Sinn als Funktionen mit Argumenten, welche als Gegenstände ebenfalls einen Sinn besitzen, und dann zur Bedeutung fortgeschritten (Abb. 3). 1049 Abb. 3: Fortschreiten vom Zeichen über den Sinn zur Bedeutung 5.6.2 Funktion f(x), Begriff Φ (x) und Aussagesätze Freges Ansicht, Arithmetik sei weiterentwickelte Logik, führt zur Annahme einer strengeren Begründung der arithmetischen Gesetze in rein logischen Gesetzen, weshalb die arithmetische Zeichensprache nach Frege zu einer logischen erweitert werden muss. 1050 Diese logische Erweiterung schafft indirekt neben den semiotischen Annahmen sowie der Gemeinsamkeit, dass die mathematische Sprache als auch die natürliche Sprache in Zeichen materialisiert sind, eine weitere Verbindung zur Sprache, so dass Funktion und Begriff korrelieren. Wenn die Funktion x 2 = 1 für ein bestimmtes Argument (z. B. - 1), einen wahren Funktionswert annimmt, so ist die negative Zahl - 1 eine Quadratwurzel aus der positiven Zahl 1 oder die negative Zahl - 1 fällt unter den Begriff Quadratwurzel aus 1, während die positive Zahl 2 nicht unter den Begriff Quadratwurzel aus 1 fällt. Frege konstatiert: „ Wir sehen daraus, wie eng das, was in der Logik Begriff genannt wird, zusammenhängt mit dem, was wir Funktion nennen. Ja, man wird geradezu sagen können: Ein Begriff ist eine Funktion, deren Wert immer ein Wahrheitswert ist. “ 1051 Somit ist nach Frege 1049 Vgl. F REGE (2002 [1892]a: 32) 1050 F REGE (2002 [1891]: 11) 1051 F REGE (2002 [1891]: 11) 202 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="203"?> alles, was für Funktionen gilt, auf Begriffe übertragbar. Begriffe sind ungesättigt und besitzen eine Leerstelle. Wenn Begriffe über eine scharfe Begrenzung verfügen, haben sie für jedes Argument einen sinnhaften Gedanken und in der Bezeichnung eine Bedeutung oder eine Bedeutung und einen extensionalen Wahrheitswert. Nach Frege besitzt damit jeder grammatikalisch richtig gebildete Ausdruck, der für einen Eigennamen oder Gegenstand steht, einen Sinn. 1052, 1053 Begriffe, die mit einem Argument gesättigt sind, haben eine Bedeutung, die ein Gegenstand oder ein Wahrheitswert ist. 1054 Der Begriffsumfang kann als der Wertverlauf einer Funktion, deren Wert für jedes Argument ein Wahrheitswert ist, beschrieben werden. Wertverläufe sind gleich, wenn die Bedeutung der Funktion als Zahl für jedes einzelne bestimmte Argument auf beiden Seiten des Gleichheitszeichens gleich ist oder wenn der Umfang der Begriffe gleich ist, d. h. die Bedeutung der Funktion als Wahrheitswert für jedes einzelne bestimmte Argument. Begriffsumfänge und Wertverläufe sind demnach beide Gegenstände, ebenso kann ein Funktionswert nicht nur eine Zahl, sondern darüber hinaus auch ein Wahrheitswert sein. 1055 Es ist nun zu erkennen, dass alles Gegenstand ist, was nicht Funktion ist, „ dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt. “ 1056 Frege schlussfolgert: „ Die logische Grundbeziehung ist die des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff: auf sie lassen sich alle Beziehungen zwischen Begriffen zurückführen. Indem ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, fällt er unter alle Begriffe desselben Umfangs, woraus das Gesagte folgt. Wie also Eigennamen desselben Gegenstandes unbeschadet der Wahrheit [ 1057 ] einander vertreten können, so gilt dasselbe auch von Begriffswörtern, wenn der Begriffsumfang derselbe ist. “ 1058 Deshalb kann auf einer Seite eines Gleichheitszeichens nie nur die Bezeichnung eines Begriffs stehen, sondern immer wird außer dem Begriff noch ein Gegenstand bezeichnet oder angedeutet werden müssen. 1059 Auch schematische Andeutungen von Begriffen durch Funktionsbuchstaben dürfen nur so erfol- 1052 F REGE (2002 [1892]a: 25) 1053 Nach Frege besitzen auch ungesättigte Begriffe Sinne, vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34); s. 5.6.5. Bezüglich der Sinne von Namen, ungesättigten oder gesättigten Ausdrücken; vgl. a. P ARSONS (2016: 17). Vgl. a. die Ausführungen zum begrifflichen Gehalt eines intensionalen Begriffs bzw. zur Intentionalität eines Begriffs, s. 6.2.2; 6.2.3. 1054 F REGE (2002 [1892]a: 36) 1055 F REGE (2002 [1891]: 11 f.) 1056 F REGE (2002 [1891]: 13) 1057 Frege meint an dieser Stelle den extensionalen Wahrheitswert, hier den Wert w 2 . 1058 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 25 f.) 1059 Vgl.: „ Notice also that λ , or λ x, is not the name of any function or other abstract object, but is an incomplete symbol - i. e., the symbol has no meaning alone, but appropriately formed expressions containing the symbol have a meaning. We call the symbol λ x an 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 203 <?page no="204"?> gen, dass dabei die Ungesättigtheit durch eine mitgeführte leere Stelle zur Anschauung kommt wie in den Schreibweisen Ф () und X(). Die Buchstaben Ф und X, welche die Begriffe andeuten oder bezeichnen sollen, sind immer nur als Funktionsbuchstaben zu gebrauchen, d. h. so, dass sie über eine Stelle für das Argument verfügen. Es ist nicht möglich, den Ausdruck * Ф = X zu schreiben, da hierbei die Buchstaben Ф und X nicht als Funktionsbuchstaben auftreten. Ebenso ist es nicht möglich, den Ausdruck * Ф () = X() zu formulieren, weil zum Aufstellen einer Gleichung die Argumentstellen ausgefüllt sein müssen. Falls die Argumentstellen ausgefüllt sind, handelt es sich jedoch nicht mehr um einen Gleichsetzung von Funktionen bzw. von Begriffen, sondern auf jeder Seite des Gleichheitszeichens steht dann außer dem Funktionsbuchstaben noch etwas, das nicht zur Funktion bzw. zum Begriff gehört. 1060, 1061 Aufgrund der Korrelation zwischen mathematischer Funktion und sprachlichem Begriff ist auch die Form der mathematischen Gleichungen mit einem sprachlichen Aussage- oder Behauptungssatz zu assoziieren. 1062 Hierbei zerlegt Frege nach traditionellem Grammatikverständnis für ein einführendes Beispiel den Satz in zwei Teile, wovon er einen als Funktion und einen als Argument bzw. einen Teil als Begriff und den anderen Teil als Gegenstand identifiziert. „ Die sprachliche Form der Gleichungen ist ein Behauptungssatz. [ … ] Behauptungssätze im allgemeinen kann man ebenso wie Gleichungen oder analytische Ausdrücke zerlegt denken in zwei Teile, von denen der eine in sich abgeschlossen, der andere ergänzungsbedürftig, ungesättigt ist. “ 1063 In dem Satz Caesar eroberte Gallien sei der Teil eroberte Gallien ein ungesättigter Begriff, während der Eigenname Caesar einen Gegenstand verkörpere. Ebenso ist nach Frege der Ausdruck die Hauptstadt des deutschen Reichs in die Teile die Hauptstadt des und deutsches Reich zerlegbar, wobei sich der Funktionswert Berlin ergibt. 1064 Diese Zerlegungen Freges sind als Frege-Prinzip oder Kompositionsprinzip (auch: Kompositionalitätsprinzip) (engl.: compositionality thesis) 1065 bekannt geworden, das die mannigfache Zerlegung von Behauptungsätzen und mathematischen Ausdrücken 1066 meint, die vor allem scharf abstraction operator, and speak of the function which is denoted by ( λ xM) as obtained from the expression M by abstraction. “ (C HURCH (1965 [1941]: 7). 1060 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 29) 1061 Bezüglich der Unmöglichkeit einer Gleichheit bzw. Identität zwischen Begriffen auf der intensionalen Ebene des Sinns, s. 5.6.5. Vgl. C HURCH (1965 [1941]: 7). 1062 F REGE (2002 [1891]: 12) 1063 F REGE (2002 [1891]: 12) 1064 F REGE (2002 [1891]: 12 f.) 1065 P ARSONS (2016: 16) 1066 Zur mannigfachen Zerlegung eines Gedankens, vgl. F REGE (2002 [1892]b: 54). 204 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="205"?> umgrenzte Begriffe beinhalten müssen, was nach Frege in sprachlichen Zeichenverbindungen eine korrekte grammatische Bildung anspricht: „ Vielleicht kann man zugeben, dass ein grammatisch richtig gebildeter Ausdruck, der für einen Eigennamen steht, immer einen Sinn habe. Aber ob dem Sinne nun auch eine Bedeutung entspreche, ist damit nicht gesagt. “ 1067 Frege betont, dass das Kompositionsprinzip nur auf Sinnebene greift und keine Komposition auf Bedeutungsebene anspricht: „ Man gelangt durch die Zusammenfügung von Subjekt und Prädikat immer nur zu einem Gedanken, nie von einem Sinne zu dessen Bedeutung, nie von einem Gedanken zu dessen Wahrheitswerte. “ 1068 Demzufolge ist es unpräzise formuliert, das Kompositionsprinzip nach Frege als eine Komposition von Bedeutungen zu beschreiben. 1069 Stattdessen wird eine Komposition nur erwirkt, wenn ein ungesättigter Begriff abgelöst werden kann, dessen Zeichen aufgrund seiner Ungesättigtheit primär ein Sinnträger ist. Die Komposition nach Frege meint deshalb notwendig eine Komposition von Sinnen. Der Begriff ist demzufolge nicht derart vergegenständlicht, wie das logische Prädikat nach Abaelard oder in der Logik von Port-Royal (s. 5.3; 5.4; 5.6.3). So schreibt Frege: „ Begriff ist die Bedeutung eines Prädikates, Gegenstand ist, was nie die ganze Bedeutung eines Prädikates, wohl aber Bedeutung eines Subjekts sein kann. “ 1070 Demzufolge wird in der vorliegenden Untersuchung die Bezeichnung Kompositionsprinzip der Benennung Kompositionalitätsprinzip vorgezogen, da ersterer Terminus hervorhebt, dass das Frege- Prinzip in der Komposition von Ausdrücken und damit notwendig auf Sinnebene greift, während letztere Benennung suggeriert, dass etwas kompositional ist, woraus eine fehlerhafte Assoziation mit der extensionalen Bedeutung abgeleitet werden könnte, da der Prozess der Komposition selbst nicht angesprochen ist. Ebenso wie die Bedeutung einer Funktion abgeschlossen ist, nachdem ein bestimmtes Argument in ihre Leerstelle eingesetzt wurde, ist der Sinn einer Funktion erst dann abgeschlossen. 1071, 1072 Bei der Begutachtung Freges Sprachbeispielen liegt nach obigen Erkenntnissen nahe, dass Frege mit einer von der Abaelardschen Rezeption Aristoteles ’ Syllogistik geprägten deutschen Grammatik konfrontiert war, die er als sprachwissenschaftliches Faktum anerkannte, ohne die potentielle Mehrstelligkeit der Begriffe als 1067 F REGE (2002 [1892]a: 25) 1068 F REGE (2002 [1892]a: 29) 1069 Vgl. z. B. N EWEN / S VIGNY (1996: 31) 1070 F REGE (2002 [1892]b: 53) 1071 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34); vgl. P ARSONS (2016: 17) 1072 Zur logischen Unanfechtbarkeit eines Begriffs, unter welchen keine Gegenstände fallen, s. 5.6.5. Vgl. a. die Ausführungen zum begrifflichen Gehalt eines intensionalen Begriffs bzw. zur Intentionalität eines Begriffs, s. 6.2.2; 6.2.3. 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 205 <?page no="206"?> Beziehungen 1073 in einem Aussagesatz als solche zu apperzipieren und ohne sich zu ermächtigen, die weitreichenden Folgen seiner Erkenntnisse sowie die Mehrstelligkeit von Prädikaten unmittelbar auf die Grammatikbeschreibung zu übertragen, deren binäre bzw. tertiäre syntaktische Vorstrukturierung sowie deren Terminologie u. a. in der Logik von Port-Royal sowie in der Abaelardschen Auffassung Aristotelischer Syllogismen fundiert sind. 1074 Die Deskription einer binär oder, in Anbetracht des Assertionsmoments als Kopula, tertiär gegliederten Struktur mit jedoch nur einer (grammatischen) Prädikation, wie es die traditionelle deutsche Grammatikschreibung vorgab, mittels mehrstelliger Prädikate, führt richtigerweise zu einer nur einstelligen logischen Prädikation, die innerhalb der mehrstelligen Prädikatenlogik ebenfalls möglich ist, denn diese stellt lediglich eine Erweiterung der monadischen Prädikatenlogik dar. Die Prägung des Wesens der Schnittstelle zwischen Subjekt und Prädikat in der Syllogistik Aristoteles ’ durch Abaelards Einführung der Kopula und der kopulativen Rolle bzw. des Assertionsmoments der Kopula mag des Weiteren dazu geführt haben, dass Frege die Erweiterung der klassischen, von Aristoteles begründeten Logik mit einstelligen Prädikaten zur mehrstelligen Prädikatenlogik nicht auf die binär vorstrukturierte Syntax der traditionellen Grammatikschreibung übertragen hat und die mögliche Wesensähnlichkeit der Schnittstelle zwischen Subjekt und Prädikat insbesondere in den Prämissen der aristotelischen Syllogistik mit der Schnittstelle zwischen Funktion und mehreren Argumenten nicht für eine neue Sichtweise auf die Satzstruktur und eine Revision der binären Gliederung der Syntax in der traditionellen Grammatikschreibung genutzt hat. Diese Umstände einer traditionellen Grammatikschreibung in der Nachfolge Abaelardscher Rezeption der Syllogistik Aristoteles ’ sowie der Logik von Port-Royal können zu einer Blockierung möglicher Anwendungen der mehrstelligen Prädikatenlogik auf die Sinnstruktur eines natürlichsprachlichen Aussagesatzes führen. Patzig resümiert zudem zutreffend: „ Die Theorien, die Frege in den drei späteren Aufsätzen Der Gedanke, Die Verneinung und Gedankengefüge entwickelt, unterscheiden sich nicht wesentlich, aber doch merklich von den entsprechenden Ausführungen etwa in Sinn und Bedeutung (1891) und in seinem Hauptwerk, den Grundgesetzen der Arithmetik I (1893). Zwischen diesen verschiedenen Fassungen liegen fast 30 Jahre; Veränderungen in der Akzentuierung sind zu erwarten. Zunächst ist auffällig, dass die Unterscheidung zwischen ‚ Sinn ‘ und ‚ Bedeutung ‘ eines Satzes jedenfalls terminologisch zurücktritt. 1073 Zur Mehrstelligkeit und Höherstufigkeit von Begriffen, s. 5.6.4. 1074 Zu Freges binaristischer Auffassung des natürlichsprachlichen Aussagesatzes, vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 27). 206 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="207"?> Das mag damit zusammenhängen, dass in diesen späteren Aufsätzen mehr von den besonderen Handlungen des erkennenden und urteilenden Menschen gesprochen wird als früher, so dass sich der Ausdruck ‚ Gedanke ‘ näher legt als der Ausdruck ‚ Sinn ‘ . “ 1075 Auffallend ist jedoch unmittelbar, dass Freges traditionelles Grammatikverständnis entgegen der Annahmen der Logik von Port-Royal nicht von einer Dreiteilung des Satzes und einem kopulativen Moment (auch: Assertionsmoment) zwischen dem Term in grammatischer Subjekts- und jenem in grammatischer Prädikatsposition ausgeht. Ebensowenig scheint sich dieses, Freges Verständnis an die jüngere Schreibweise der Syllogismen Aristoteles (z. B. alle U sind O; alle S sind P) anzulehnen, statt dessen entspricht Freges Auffassung eher der älteren Formulierung in der Tradierung der Syllogistik Aristoteles ’ , in welchen die Aussagesätze der Syllogismen mit der Formulierung τὁ O κατηγορεῖται τοῦ U (dt.: das O wird über das U ausgesagt) (s. 5.2) verstanden werden, die einen nahtlosen Übergang vom Term in grammatischer Prädikatsposition zu jenem in grammatischer Subjektsposition ohne Kopula erwirkt, welcher mit der Zusammensetzung einer Funktion und ihres bestimmten Arguments oder mit der Zusammenfügung zweier Teile einer Linie (Abb. 4) vergleichbar ist. Das Ganze, wozu die Funktion mit dem Argument ergänzt wird, ist nach der Auswertung der Wert der Funktion für dieses Argument und eine Bedeutung des gesättigten Funktionsausdrucks. Das Verhältnis, in welchem die Funktion zum Argument nach der Zerlegung steht, wird von Frege folgendermaßen beschrieben: „ Man kann dies vergleichen mit der Teilung einer Strecke durch einen Punkt. [ … ] Wenn man aber die Teilung rein vornehmen will, nämlich so, daß nichts doppelt gerechnet wird und nichts ausfällt, so darf man den Teilpunkt nur zu der einen Teilstrecke rechnen. “ 1076 Abb. 4: Teilungspunkt einer Strecke So ist im Begriff der Sinn abgeschlossen, wenn ein Gegenstand an seine Leerstelle tritt. Der Ausdruck eroberte Gallien ist ungesättigt, während der Satz Caesar eroberte Gallien einen abgeschlossenen Sinn erkennen lässt. Hierbei konstatiert Frege, der abgeschlossene Sinn als Gedanke könne nicht als Bedeutung aufgefasst werden, vielmehr sei er Sinn. 1077 Eigennamen und 1075 P ATZIG (2003: 20 f.) 1076 F REGE (2002 [1891]: 6) 1077 F REGE (2002 [1892]a: 29) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 207 <?page no="208"?> Personen werden ebenso wie Zahlen als logische Gegenstände aufgefasst. Ein gesättigter Begriff als enger oder weiter gefasste Einheit, enthält keine Argumentstelle mehr 1078 , weswegen seine Bedeutung als Gegenstand verstanden werden muss. Diese Bedeutung ist ein Wahrheitswert. Frege stellt fest: „ Wir haben gesehen, daß zu einem Satze immer dann eine Bedeutung zu suchen ist, wenn es auf die Bedeutung der Bestandteile ankommt; und das ist immer dann und nur dann der Fall, wenn wir nach dem Wahrheitswerte fragen. So werden wir dahin gedrängt, den Wahrheitswert eines Satzes als seine Bedeutung anzuerkennen. “ 1079 Die Ungesättigtheit der Funktion oder des Begriffs sowie die Sättigung der erkannten Funktion oder des erkannten Begriffs mit einem Argument unterzieht Frege mit einem natürlichsprachlichen Beispiel einer genaueren Reflexion. Frege führt aus, dass es ohne zeitliche Komponente in der reinen Analysis sowie in der auf die Geometrie angewandten reinen Analysis, deren Gegenstände diejenigen der Arithmetik sind, nach obigen Erläuterungen falsch ist, von sogenannten Veränderlichen (auch: Variable) (lat.: variabilis; dt.: veränderlich), die Argumente oder Bedeutungen verkörpern sollen, zu sprechen. Es gibt weder eine Veränderung, da diese immer an Zeit gebunden ist und kein Bestandteil der reinen Analysis ist, noch etwas, das sich verändert, denn die Gegenstände sind allein die Zahlen. Dies ist einsehbar, da nach dem Hinzufügen zweier unterschiedlicher Zeitangaben zu einem Satz diese resultierenden beide Sätze unter Umständen gar nicht dasselbe Subjekt bzw. dessen Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit besitzen: „ Wenn sich etwas verändert, so haben wir nacheinander verschiedene Eigenschaften, Zustände an demselben Gegenstande. Wäre es nicht derselbe, so hätten wir gar kein Subjekt, von dem wir die Veränderung aussagen könnten. “ 1080 Um das Problem der Zeit zu lösen, hat die Analysis die Veränderliche als eine unbestimmte Zahl erklärt. 1081 An der Tatsache, dass der Ausdruck cos n π = 1 zutrifft, falls die Zahl n gerade ist, ist einzusehen, dass weder der Bedingungssatz noch der Folgesatz, sondern nur die ganze Aussage einen vollständigen Sinn ergibt, wenn der Buchstabe n ein Eigenname einer Zahl, d. h. ein Gegenstand ist, was zur Folge hat, dass der Buchstabe n dann notwendig eine bestimmte und keine unbestimmte Zahl repräsentiert. 1082 Anschließend wird versucht, mit nachfolgender Erklärung die Gesamtheit der Werte zu fassen, die eine Variable annehmen kann: „ Die Variable x gilt als definiert, wenn von jeder reellen Zahl, die man bezeichnet, festgestellt werden kann, ob sie dem Bereich angehört oder 1078 F REGE (2002 [1891]: 13) 1079 F REGE (2002 [1892]a: 30 f.) 1080 F REGE (2002 [1904]: 62); vgl. das Bsp. Der König dieses Reiches (F REGE (2002 [1904]: 61 ff.)). 1081 Vgl. z. B. C ZUBER (1918: 12 - 15) 1082 F REGE (2002 [1904]: 63 - 69) 208 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="209"?> nicht. “ 1083 Auch diese Darstellung ist nach Frege fehlerhaft, denn „ Da es keine unbestimmten Zahlen gibt, ist es unmöglich, irgendeine unbestimmte Zahl zu definieren. “ 1084 Statt dessen befindet Frege die Formulierung, dass Zahlen bzw. Argumente und Funktionen in Ausdrücken unbestimmt durch Buchstaben angedeutet werden, für angebracht. 1085 Obig dargelegte Fehler wirken sich auf die Zuordnungsbeziehung von Funktionen f(x) bzw. Begriffen Փ (x) mit Wahrheitswert aus. Im Ausdruck f(x) = y wird der Buchstabe y eine bestimmte Zahl genannt, obwohl sie als Variable eine unbestimmte Zahl heißen müsste. Richtig wäre es, zu erkennen, dass der Buchstabe y weder eine bestimmte noch eine unbestimmte Zahl ist, sondern dass das Zeichen y fehlerhaft mehreren Zahlen bzw. Bedeutungen beigelegt wurde, während behauptet wird, es wäre nur eine einzige Zahl, eine bestimmte Zahl. 1086 Etwas klarer wäre folgende Formulierung: „ Jeder Zahl eines x-Bereiches ist eine Zahl zugeordnet. Die Gesamtheit dieser Zahlen nenne ich den y-Bereich. “ 1087 Doch auch dies ist nach Frege noch fehlerhaft, denn die Ausdrücke y ist eine Funktion von x oder der Zahl x ist die Zahl y zugeordnet sind immer falsch, wenn sie nicht jeweils durch die Angabe des Gesetzes ergänzt werden, nach welchem die Zuordnung geschieht. Somit ist die Veränderlichkeit irrelevant geworden, statt dessen tritt die Allgemeinheit hervor, auf die das Wort Gesetz hindeutet. 1088 Nun wird ersichtlich, dass „ Die Unterschiede der Gesetze der Zuordnung [ … ] mit den Unterschieden der Funktionen zusammenhängen, und sie können nicht mehr als quantitative gefasst werden. “ 1089 Stattdessen handelt es sich bei algebraischen Funktionen, Logarithmusfunktionen, elliptischen Funktionen sowie bei Begriffen wie z. B. den Ausdrücken der König dieses Reiches und der König jenes Reiches um qualitative Unterschiede, wodurch ein weiteres Mal deutlich wird, dass Funktionen und Begriffe sowie ihre Bedeutungen nicht als Veränderliche erklärt werden können. Es ist somit festzustellen, dass zwischen Zeichen und Bezeichnetem nicht immer klar unterschieden wurde, so dass man unter einem Rechnungsausdruck (lat.: expressio analytica) 1090 oder dem begrifflichen Ausdruck in natürlichsprachlicher Form, halb und halb auch deren Bedeutung verstanden hat. Infolgedessen hat die formale Theorie die Gegenstände der 1083 C ZUBER (1918: 12) 1084 F REGE (2002 [1904]: 64) 1085 F REGE (2002 [1891]: 8); vgl. F REGE (2002 [1904]: 63 - 69) 1086 F REGE (2002 [1904]: 61 - 65) 1087 F REGE (2002 [1904]: 65) 1088 F REGE (2002 [1904]: 65 ff.) 1089 F REGE (2002 [1904]: 66) 1090 F REGE (2002 [1904]: 66) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 209 <?page no="210"?> Wissenschaft als Zeichen ausgegeben. 1091 Als Funktion bzw. Begriff kann demnach weder der Ausdruck noch seine Bedeutung aufgefasst werden, sondern ausschließlich die Gesetzmäßigkeit, die auf Allgemeinheit hinweist und ihre Ergänzungsbedürftigkeit (z. B. sin()). 1092 In der vorliegenden Studie werden diese Gesetzmäßigkeiten, die auf eine Allgemeinheit hinweisen, mit dem Namen intensionallogische Qualitäten von Gesetzmäßigkeiten (IQG; auch: ─ Φ (x); λ x. Φ (x) (s. u.)) oder dem Namen induktiv hergeleitete intensionallogische Qualitäten von Gesetzmäßigkeiten (IIQG; auch: ─ Φ (x); λ x. Φ (x) (s. u.)) belegt und als Intensionsstrukturen formuliert. Das Wort induktiv referiert auf die Methode der Induktion, welche ebenfalls ein propositionales, aber kein explizites Urteilsverfahren (auch: Urteil; Assertion; Assertionsverfahren), sondern ein Inferenz- und Denkverfahren sowie ein Verfahren des Erkenntnisgewinns darstellt 1093 und welche durchaus Gedanken mit dem Allquantor und damit Universalaussagen (auch: universale Aussage; universelle Aussage; Allsatz; Generalisation; Generalisierung), Kausalsätze oder Naturgesetze formulieren kann. Zur Illustration ist zunächst das mathematische Beweisverfahren der durch Dedekind eingeführten sogenannten vollständigen Induktion 1094 zu nennen. Die Dedekindsche sogenannte vollständige Induktion besteht aus einem Induktionsanfang Ω (1); n = 1; n ∈ ℕ , einer Induktionsvoraussetzung oder Induktionsannahme Ω (n); n ∈ ℕ , einem Induktionsschritt (n → n + 1) und einem Induktionsschluss Ω (n + 1) ⇒ Ω (n); ∀ n ∈ ℕ . Eine induktive Methode ist in diesem Beweisverfahren streng genommen nur im Induktionsanfang und der Induktionsvoraussetzung bzw. der Induktionsannahme gegeben, während der Induktionsschritt bereits teilweise auch eine deduktive Prüfung der Gesetzmäßigkeit an dem extensionalen Gegenstand der natürlichen Zahlen ℕ ist. Eine Gesetzmäßigkeit ist umso glaubwürdiger, je kongruenter der bezeichnete Begriffsumfang mit dem behauptbaren Begriffsumfang ist, wobei der behauptbare Begriffsumfang notwendig raumzeitlich gebunden ist. Eine umfangreiche und breite empirische Datenbasis ist für die Anwendung induktiver sowie deduktiver Verfahren demzufolge immer unabdinglich (s. 7; 7.1; 10). Im Fall rein deduktiver Verfahren können in einigen Fällen statt einer empirischen Datenbasis, geeignete Prämissen, probat gesetzte Voraussetzungen, Operationalisierungen, höherstufige Begriffe oder Definitionen herangezogen werden, wie die 1091 F REGE (2002 [1904]: 66) 1092 F REGE (2002 [1904]: 67) 1093 Vgl. hierzu D EDEKIND (1923: 14, 15, 22, Satz 59, Satz 60, Satz 80); vgl. S OMINSKI (1960: 7); vgl. S OMINSKIJ / G OLOVINA / J AGLOM (1986: 7); vgl. K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: VIII, Vorwort); vgl. F REGE (2002 [1892]a: 32, 46); vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 f., 34); vgl. F REGE (2003 [1918 - 1919b]: 68 - 70); vgl. a. M ILL (1843) 1094 D EDEKIND (1923: 14, 15, 22, Satz 59, Satz 60, Satz 80) 210 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="211"?> Syllogistik Aristoteles ’ und die mathematische Methode der vollständigen Induktion zeigen. Die Demonstration an Einzelbeispielen und damit das Vorführen von Einzelbeispielen für eine sogenannte „ Bewährung “ 1095 von Thesen oder Theorien 1096 und eine sogenannte „ Strenge “ 1097 deduktiver Nachprüfungen 1098 genügen entgegen Poppers Ansicht nicht, um zur Generierung eines Erkenntniswerts beizutragen, sondern stellen eine didaktische, illustrative oder propagandistische und keine wissenschaftliche Methode dar. Popper arbeitet auch mit einem semiotischen Modell, welches gegenüber dem der Theorie Freges entlehnten, trilateralen semiotischen Modell als bilateral zu verstehen ist, da es eine Begriffs- oder Sinnebene, wie diese von Frege miteinbezogen wird, nicht beinhaltet. 1099 In der mathematischen Methode der sogenannten vollständigen Induktion arbeitet die deduktive Prüfung wiederum mit einer Gesetzmäßigkeit, welche den Elementen der Menge der natürlichen Zahlen eigen ist, nämlich dass die Formel n = (n + 1) - 1; ∀ n ∈ ℕ gilt. Bei dieser deduktiven Prüfung wird festgestellt, ob die jeweilige (I)IQG für alle natürlichen Zahlen n gilt. Da die Mathematik streng formal und abstrakt aufgebaut ist und die natürlichen Zahlen besagter Gesetzmäßigkeit n = (n + 1) - 1 per definitionem unterliegen, kann die deduktive Prüfung einer bestimmten (I)IQG am Forschungsgegenstand vollständig erfolgen und die Universalaussage geäußert werden, dass die bestimmte (I)IQG tatsächlich für alle natürlichen Zahlen einen bestimmten extensionalen Wahrheitswert wahr oder falsch bezeichnet. Es ist also lediglich der Name dieses Beweisverfahrens vollständige Induktion, welcher unter Umständen ein falsches Verständnis induktiver Methoden hervorruft. In Wirklichkeit umfasst das Beweisverfahren der sogenannten vollständigen Induktion zwei Methoden, eine induktive und eine deduktive. Es ist einsehbar, dass außerhalb der formal aufgebauten Mathematik, in der die Gegenstände, über welche geurteilt wird bzw. die einen Begriffsumfang έ ( Φ ( ε )) stellen, durch Definitionen genau beschrieben und dadurch bereits nach ihren Eigenschaften ausgewählt sind, eine deduktive Prüfung universaler Aussagen anders zu handhaben ist. Da jedoch eine IIQG ohnehin kein Urteil nach Frege ist, kann auch eine Universalaussage in dieser Form festgehalten werden und eine Beobachtung beschreiben. In einer Abhandlung über die Dedekindsche vollständigen Induktion erklärt Sominski: „ Den Übergang von allgemeinen zu speziellen Aussagen nennt man Deduktion. Wir betrachten dazu ein Beispiel [ … ] 1. Alle Bürger der UdSSR haben ein Recht auf 1095 P OPPER (1935: 198) 1096 Vgl. P OPPER (1935: 4, 6, 19, 198 f.) 1097 P OPPER (1935: 198 f.) 1098 P OPPER (1935: 6 f., 198 f.) 1099 P OPPER (1962: 108) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 211 <?page no="212"?> Bildung. 2. Petrow ist Bürger der UdSSR. 3. Petrow besitzt das Recht auf Bildung. Aus der allgemeinen Aussage 1 haben wir mit Hilfe der Aussage 2 die spezielle Aussage 3 gefolgert. Den Übergang von speziellen Aussagen zu allgemeinen nennt man Induktion. Dabei kann die Induktion sowohl zu richtigen, als auch zu falschen Schlussfolgerungen führen. Wir wollen dies an zwei Beispielen erläutern. 1. 140 ist durch 5 teilbar. 2. Alle Zahlen, die mit einer Null enden sind durch 5 teilbar. Aus der speziellen Aussage 1 erhielt man die allgemeine Aussage 2, und diese ist richtig. 1. 140 ist durch 5 teilbar. 2. Alle dreistelligen Zahlen sind durch 5 teilbar. Aus der speziellen Aussage 1 entstand die allgemeine Aussage 2. Diese Aussage ist jedoch falsch. “ 1100 Zu beachten ist, dass Sominski ausdrücklich erwähnt, dass induktiv gewonnene Aussagen extensional wahr oder extensional falsch sein können, dass sie demnach als IIQG aufgestellt werden, ohne bereits ein Urteil über ihren extensionalen Wahrheitswert zu fällen. Dedekind erklärt, dass nicht nur auf die Menge eines Bildes einer Abbildung geschlossen wird, sondern dass etwas für jedes solche Element zu beweisen ist: Es ist nach Dedekind „ zu zeigen, [ … ] dass dem Bilde n ’ jedes solchen Elements n von A 0 , welches die Eigenschaft E besitzt, dieselbe Eigenschaft E zukommt. “ 1101 Die für die Wissenschaft und Forschung unverzichtbare und anzuerkennende Leistung der induktiven Methoden besteht darin, derartige IIQG überhaupt aufzufinden d. h. zu erkennen, aufzufassen, zu begreifen und zu formulieren. Darauf weist auch von Kirchmann hin: „ Eher könnte man dem Aristoteles daraus einen Vorwurf machen, dass er die Induktion im Verhältnis zu dem eigentlichen Schluss viel zu kurz und unzureichend behandelt habe; [ … ]. Dieser Vorwurf erscheint umso gerechtfertigter, als in Wahrheit jede Bereicherung der Wissenschaften, selbst die mathematischen nicht ausgenommen, nur auf induktiven Wege erfolgt und durch den eigentlichen Schluss wohl Beweise für einzelne schon in der Wissenschaft begründete Sätze und Aufgaben beschafft werden können, aber niemals ein neuer Inhalt den Wissenschaften zugeführt werden kann. “ 1102 Intensionallogische Qualitäten von Gesetzmäßigkeiten (IQG) oder induktiv hergeleitete intensionallogische Qualitäten von Gesetzmäßigkeiten (IIQG) sind jeweils ein Fregescher Sinn, welcher sich zu einem Gedanken manifestiert, der eine extensionale Bedeutung bezeichnet, aber nicht behauptet. Die Formung und das Ausdrücken derartiger Sinne und Gedanken als IIQG ist demzufolge noch kein explizit behauptender Akt, sondern dient der notwendigen, vorerst urteilsfreien Komposition logischer Zusammenhänge, welche eine Beobach- 1100 S OMINSKI (1960: 7); vgl. S OMINSKIJ / G OLOVINA / J AGLOM (1986: 7) 1101 D EDEKIND (1923: 15) 1102 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: VIII, Vorwort) 212 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="213"?> tung deskribiert, für eine Erkenntnis erforderlich ist und einem Urteil hinsichtlich eines extensionalen Wahrheitswertes wahr oder falsch einer Aussage als Verstehensprozess vorangeht. Das Wort urteilsfrei (auch: urteilslos) wird im vorigen Satz im Fregeschen und nicht im Husserlschen Verständnis 1103 gebraucht. Ohne diese frei komponier- und ausdrückbare Bezeichnung außersprachlicher Sachverhalte sowie induktiven Methoden, die zum Verstehensprozess und Erkenntnisgewinn beitragen, können demzufolge in dem Freges Theorie entlehntem semiotischem Modell auch die Wahrheitswerte, Begriffsumfänge und Bedeutungen in der extensionalen Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit nicht erkannt und erurteilt werden. 5.6.3 Asserierte Wahrheitswerte Das Urteil muss eingeführt werden, um das Fortschreiten vom abgeschlossenen, gesättigten Sinn einer Funktion oder eines Begriffs, d. h. eines Gedankens, zur nächsten Stufe, dem Erkennen des Wahrheitswerts als Bedeutung, zu markieren. 1104 Zunächst stellt Frege fest: „ Es ist also möglich, einen Gedanken auszudrücken, ohne ihn als wahr hinzustellen. “ 1105 Hinsichtlich der Behauptung der Wahrheit eines Gedankens führt er aus: „ Man kann einen Gedanken ausdrücken, ohne ihn zu behaupten. Doch fehlt es den Sprachen an einem Worte oder Zeichen, das allein die Aufgabe hätte zu behaupten. [ … ] So wird auch in den Logiken, wie es scheint, das Prädizieren verquickt mit dem Urteilen. So weiß man nicht recht, ob das, was die Logiker Urteil nennen, ein Gedanke sein soll mit oder ohne das Urteil, daß er wahr ist. “ 1106 Etwas genauer erklärt Frege dazu: „ Urteilen kann als Fortschreiten von einem Gedanken zu seinem Wahrheitswerte gefaßt werden. [ … ] Man könnte auch sagen, Urteilen sei Unterscheiden von Teilen innerhalb des Wahrheitswertes. Diese Unterscheidung geschieht durch Rückgang zum Gedanken. Jeder Sinn, der zu einem Wahrheitswerte gehört würde einer eigenen Weise der Zerlegung entsprechen. “ 1107 Da Wahrheitswerte selbst Gegenstände sind, treten sie nicht nur als Funktionswerte bzw. als Bedeutung eines mit einem bestimmten Gegenstand gesättigten Begriffs, sondern auch selbst als gegenständliche Argumente auf. Eine Funktion, deren Argument ein Wahrheitswert ist, sei notationell als die 1103 H USSERL (1901: 67) 1104 F REGE (2002 [1892]a: 32) 1105 F REGE (2003 [1918 - 1919]a: 41) 1106 F REGE (2001 [1906]: 74) 1107 F REGE (2002 [1892]a: 32) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 213 <?page no="214"?> Form ─ x dargestellt, wobei die Festsetzung gilt, der Wert dieser Funktion sei das Wahre, wenn das Argument das Wahre ist, und in allen anderen Fällen, d. h. in denjenigen Fällen, in welchen das Argument das Falsche ist als auch in Fällen, in welchen das Argument kein Wahrheitswert ist, sei der Wert dieser Funktion das Falsche. 1108 Die Notation ─ meint hier den Waagrechten (auch: Inhaltsstrich) nach Frege 1109 , welcher das Bezeichnen einer Bedeutung durch einen gesättigten Sinn markiert. Der Buchstabe x steht unbestimmt für einen bestimmten Wahrheitswert als Argument, der im Allgemeinen durch einen gesättigten Begriff oder eine gesättigte Funktion mit einem vollständigen Sinn verkörpert wird. So sind z. B. die Ausdrücke ─ 1 + 3 = 4 und ─ Φ (4); Φ : = (1 + 3 =) das Wahre. Wohingegen die Ausdrücke ─ 1 + 3 = 5 sowie ─ Φ (5); Φ : = (1 + 3 =) das Falsche sind 1110 und der Ausdruck ─ 4 ebenfalls das Falsche ist, da für alle anderen Fälle ohne Wahrheitswert die Festsetzung der Zuteilung des Wahrheitswertes falsch gilt. 1111 Durch diese Festsetzung wird vermieden, dass im letzteren Fall ─ 4 mit leeren Zeichen gerechnet wird, da keine Bedeutung zu dem Ausdruck ermittelt werden kann. 1112 Der Gedankengang, der erkennt, ob für ein Argument das Wahre oder das Falsche gewählt wurde, wird neben dem betreffenden Ausdruck durch den Waagrechten kenntlich gemacht. In diesen Ausführungen spricht Frege davon, dass z. B. die Form ─ 1 + 3 = 4 das Wahre sei, was keineswegs meint, dass die Form ─ 1 + 3 = 4 das Wahre bedeute oder behaupte. In der Tat weist der Waagrechte darauf hin, dass die Form ─ 1 + 3 = 4 das Wahre bezeichnet, wie auch untiges Zitat erwähnt. 1113 Um das Verständnis zu erleichtern, wird im Folgenden Freges Formulierung dahingehend abgeändert, dass das Verb sein durch das Verb bezeichnen ersetzt wird. Um das Urteil davon zu trennen, worüber geurteilt wird, sei im Folgenden außerdem der Urteilsstrich eingeführt, der kennzeichnet, dass die Formulierung ├ 2 + 3 = 5 nicht nur wie die Formulierung ─ 2 + 3 = 5 einen Wahrheitswert bezeichnet, sondern dass die Form ├ 2 + 3 = 5 die Behauptung einer Wahrheit ist 1114 : „ Der Urteilsstrich kann nicht zur Bildung eines Funktionsausdruckes gebraucht werden, weil er nicht mit anderen Zeichen zusammen zur Bezeichnung eines Gegenstandes dient. ├ 2 + 3 = 5 bezeichnet nichts, sondern behauptet etwas. “ 1115 1108 F REGE (2002 [1891]: 14 f.) 1109 Frege nennt in der Begriffsschrift den Waagrechten Inhaltsstrich, s. F REGE (2002 [1891]: 15); vgl. F REGE (2007 [1879]). 1110 F REGE (2007 [1879]: 18 - 24) 1111 F REGE (2002 [1891]: 14 f.) 1112 F REGE (2002 [1891]: 14) 1113 F REGE (2002 [1891]: 7, Anm. 7) 1114 F REGE (2002 [1891]: 15) 1115 F REGE (2002 [1891]: 7, Anm. 7) 214 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="215"?> Außerdem konstatiert Frege: „ Diese Trennung des Urteilens von dem, worüber geurteilt wird, erscheint unumgänglich, weil sonst eine bloße Annahme, das Setzen eines Falles, ohne gleich über sein Eintreten zu urteilen nicht ausdrückbar wäre. Wir bedürfen also eines besonderen Zeichens, um etwas behaupten zu können. “ 1116 Damit verortet Frege das Urteil im Zeichenmodell, um das Fortschreiten vom Zeichen zum Sinn zum Gedanken und zur Bedeutung als Abfolge festzulegen (Abb. 5). Er erklärt: „ Ich unterscheide das Urteil vom Gedanken, in der Weise, dass ich unter Urteil die Anerkennung der Wahrheit eines Gedankens verstehe. “ 1117 Frege fügt dem hinzu: „ Aber soviel möchte doch schon hier klar sein, daß in jedem Urteile [Fn. 7: Ein Urteil ist mir nicht das bloße Fassen eines Gedankens, sondern die Anerkennung seiner Wahrheit.] - und sei es noch so selbstverständlich - schon der Schritt von der Stufe der Gedanken zur Stufe der Bedeutungen (des Objektiven) geschehen ist. “ 1118 Der Urteilsstrich trennt das Urteil von dem Beurteilten. Abb. 5: Das Fortschreiten zum Urteil 1119 Da die Unterscheidung zwischen Ausdruck bzw. Prädikation und Urteil bzw. Behauptung wesentlich für das Nachvollziehen der Konstitution eines Gedankens ist und die Lokalisierung der Verneinung hierfür besonders relevant ist, muss das Zustandekommen affirmativ und negiert formulierter Gedanken nach Frege genau erklärt werden, was im Folgenden ausgeführt ist. Es können Funktionen auftreten, deren gesättigter Ausdruck für diejenigen Argumente das Falsche bezeichnet, für welche der gesättigte Ausdruck ─ x das Wahre bezeichnet, und deren gesättigter Ausdruck umgekehrt für diejenigen Argumente das Wahre bezeichnet, für welche der gesättigte Ausdruck ─ x das Falsche bezeichnet, d. h. ein Verneinungsstrich ┬ als notationelle Markierung muss bei diesen Funktionen angefügt werden (z. B. ┬ x), damit sie das Wahre 1116 F REGE (2002 [1891]: 15) 1117 F REGE (1962 [1893]: 9) 1118 F REGE (2002 [1892]a: 30 f.) 1119 Vgl. G ABRIEL (2001: XVI) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 215 <?page no="216"?> bezeichnen. Das Argument einer Funktion ┬ x ist der Ausdruck ─ x, so dass bei der Zusammenfügung von bestimmtem Argument und Funktion die beiden Waagrechten vor sowie nach dem Verneinungsstrich verschmelzen, da der Ausdruck ┬ x immer einen Wahrheitswert bezeichnet. Demnach bezeichnet z. B. der Ausdruck ┬ 2 2 = 5 mit der Lesart 2 2 ist nicht mit 5 gleichzusetzen, das Wahre. Die Hinzufügung des Urteilsstrichs ergibt die Behauptung ├┬ 2 2 = 5, mit der Lesart es ist wahr, dass 2 2 = 5 nicht das Wahre bezeichnet. 1120 Die allgemeine Gültigkeit eines Funktionsausdrucks, die besagt, dass derselbige für jedes beliebige Argument an Stelle des unbestimmt angedeuteten Arguments a den Wahrheitswert wahr bezeichnen soll, ist mit der notationellen Formulierung f(a) ausgedrückt. Die Notation deutet somit Allgemeinheit an. Der Ausdruck a = a bezeichnet das Wahre, während der Ausdruck ├ a = a das Urteil fällt, das den extensionalen Wahrheitswert wahr behauptet. Auch eine Verneinung der Allgemeinheit ┬ a 2 = 1 kann stattfinden. In der Formulierung ┬ a 2 = 1 gilt nicht allgemein für alle beliebigen Argumente a, dass der Ausdruck a 2 = 1 das Wahre bezeichnet, und der Ausdruck des Arguments a 2 = 1, welcher das Wahre bezeichnen soll, bezeichnet nun das Falsche. Demzufolge bezeichnet die Form ┬ a 2 = 1 das Wahre, so dass das Urteil die Behauptung ├┬ a 2 = 1 darstellt, welche besagt, dass nicht alle Gegenstände Quadratwurzel aus der natürlichen Zahl 1 sind und dass dies extensional wahr ist. Der Urteilsstrich trennt das Urteil von dem Beurteilten. 1121 Angelelli merkt zu Freges Trennung zwischen Prädikation bzw. Ausdruck und Urteil (auch: Behauptung) an: „ From a historical point of view, Frege ’ s distinction between assertion (Urteil, Behauptung) and predication is, like other distinctions of his (Begriff, concept in an objective sense vs. concept in a subjective sense; concepts of first and of second level, etc.) novel only relative to the so-called ‚ modern philosophers ‘ (from Descartes onwards), who tended to forget the good old scholastic teachings. In the scholastic tradition the distinction is quite vulgaris. It has survived even through neoscholastics texts “ 1122 . Hinsichtlich der Geschichte der Mathematik ist betreffs Freges Notation zu konstatieren, dass „ in dieser Hinsicht [ … ] keines der späteren Systeme über ähnlich weitgehende Ausdrucksmittel [verfügt]. “ 1123 Frege begründet diese Einführung logischer Zeichen 1124 damit, dass es nicht das Ziel sei, einen 1120 F REGE (2002 [1891]: 15 f.) 1121 F REGE (2002 [1891]: 15 - 19) 1122 A NGELELLI (2012: 1 - 24) 1123 G UILLAUME (1985: 813) 1124 G UILLAUME (1985: 813) 216 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="217"?> einfachen auf die reine Logik beschränkten Kalkül (lat.: calculus ratiocinator) zu schaffen, sondern dass es ihm um „ ein für bestimmte wissenschaftliche Zwecke ersonnenes Hilfsmittel “ 1125 , im Sinne der Leibnizschen lingua characteristica geht. 1126, 1127 In obigen Erläuterungen zur notationellen Differenzierung ist insbesondere die Negation nach Frege zu beachten, welche als Verneinungsstrich nebst dem Waagrechten vor einem Urteil markierend angefügt ist. Die Unterschiede in den Auffassungen einer Prädikationsbzw. Begriffstheorie, welche für eine Deskription sowie Analyse natürlicher Sprachen eingesetzt werden kann, sind bei einer genauen Analyse der Negation vormals affirmativ formulierter Aussagen einsichtig, denn diese kann in verschiedenen extensional- oder intensionallogischen Theorien unterschiedlich ausfallen. Zunächst ist anzumerken, dass im Gegensatz zu Boole und De Morgan (s. 5.5; 5.5.1) bereits Kant eine etwas differenziertere Auffassung der Verneinung vertritt. Kant nimmt das aristotelische Begriffspaar Form und Materie wieder auf: „ In der Erscheinung nenne ich das, was der Empfindung correspondirt, die Materie derselben, dasjenige aber, welches macht, dass das Mannigfaltige der Erscheinung in gewissen Verhältnissen geordnet werden kann, [ … ] nenne ich die Form der Erscheinung. Da das, worinnen sich die Empfindungen allein ordnen, und in gewisse Form gestellt werden können, nicht selbst wiederum Empfindung sein kann, so ist uns zwar die Materie aller Erscheinung nur a posteriori gegeben, die Form derselben aber muss zu ihnen insgesamt im Gemüthe a priori bereit liegen, und daher abgesondert von aller Empfindung können betrachtet werden. “ 1128 Dennoch vertritt Kant eine traditionelle Auffassung der Kopula. 1129 So expliziert auch Kant die Verneinung im Zusammenhang mit dem Assertionsmoment der Kopula in der traditionellen Urteilslehre, da er die Assertion, d. h. das Urteil in der Kopula verortet und eine Negation nach Kant dasselbige beeinflusst, jedoch nicht ausschließlich die Gegenstände der extensionalen Bedeutungsebene betrifft, sondern in einem Verhältnis zum logischen Prädikat positioniert wird. Nach Kant wird im „ bejahenden Urtheile [ … ] das Subjekt unter der Sphäre eines Prädikats gedacht, im verneinenden wird es ausser der Sphäre des letzteren gesetzt, und im unendlichen wird es in die Sphäre eines Begriffs, die ausserhalb der Sphäre eines anderen liegt, gesetzt. [ … ] In verneinenden Urtheilen afficirt die Negation immer die Copula; in unendlichen wird nicht die Copula, sondern das Prädikat durch die Negation afficirt “ 1130 . 1125 F REGE (2007 [1879]: XI) 1126 F REGE (2007 [1879]: XI); vgl. G UILLAUME (1985: 813) 1127 G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 184 - 217, Scientia generalis. Characteristica, Kap. X - XVII) 1128 K ANT (1919 [1781]: 76, § 1 [34]) 1129 K ANT (1919 [1781]: 516 f., [626], [627]) 1130 K ANT (1876 [1800]: 113 f.) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 217 <?page no="218"?> Auch Hegel hat aufgrund seiner Unterscheidung einer subjektiven und einer objektiven Logik eine genauer ausgearbeitete Theorie zur Verneinung. In Hegels Logik des Seins erwirkt die Negation extensional veränderte Qualitäten, in der Logik des Wesens Unterscheidung, welche das jeweils andere bzw. Unterschiedene bestimmt, und in der Logik des Begriffs, d. h. auf intensionaler Ebene findet nach Hegel die Entwicklung statt, in welcher Entgegengesetztes als Einheit gefasst ist, da jede Determination Negation ist. 1131 Der Begriff ist die Negation der Negation des Seins und somit das wiederhergestellte Sein in sich selbst. 1132 Frege erachtet die Unterscheidung zwischen bejahenden und verneinenden Urteilen als nicht haltbar, da beide wie obig dargelegt, gleichermaßen durch Gedanken ausgedrückt sind, und zu jedem Gedanken ein ihm entgegengesetzter Gedanke gehört. 1133, 1134 Frege betont: „ Demnach ist ein falscher Gedanke nicht ein nicht seiender Gedanke, auch dann nicht, wenn man unter dem Sein versteht, das Nichtbedürfen eines Trägers. [ … ] Wir können durch unser Urteilen am Bestande des Gedankens nichts ändern. Wir können nur anerkennen, was ist. Einem wahren Gedanken können wir durch unser Urteilen nichts anhaben. [ … ] Können wir einem falschen Gedanken durch unser Verneinen etwas anhaben? Auch nicht: denn ein falscher Gedanke bleibt immer ein Gedanke und kann als Bestandteil eines wahren Gedankens vorkommen. “ 1135 Bezüglich einer Auflösung einer Aussage durch Verneinung, welche De Morgan anspricht (s. 5.5.1), erläutert Frege: „ Wie könnte denn ein Gedanke aufgelöst werden? Wie könnte der Zusammenhang seiner Teile zerrissen werden? Die Welt der Gedanken hat ihr Abbild in der Welt der Sätze, Ausdrücke, Zeichen. Dem Aufbau des Gedankens entspricht die Zusammensetzung des Satzes aus Wörtern, wobei die Reihenfolge im Allgemeinen nicht gleichgültig ist. Der Auflösung, der Zerstörung des Gedankens wird demgemäß eine Auseinanderreißung der Wörter entsprechen, welche etwa geschieht, wenn ein auf Papier geschriebener Satz mit der Schere zerlegt wird, so daß auf jedem der Papierschnitzel der Ausdruck eines Gedankenteils steht. Diese Schnitzel können dann beliebig durcheinandergeworfen und vom Winde entführt werden. Der Zusammenhang ist gelöst, die ursprüngliche Anordnung ist nicht mehr erkennbar. Geschieht das, wenn wir einen Gedanken verneinen? Nein! Der Gedanke würde ja auch diese seine Hinrichtung in effigie unzweifelhaft überdauern. “ 1136, 1137 1131 Vgl. H EGEL (1812: 75) 1132 H EGEL (1812: 1 - 6, 19, 75 - 78, 187, 321 - 334); H EGEL (1816: 1 - 9, 15 - 18, 30 f., 71 - 100) 1133 F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 72 - 83) 1134 Vgl. S CHAEDLER (2020a) 1135 F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 68 f.) 1136 F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 69 f.); vgl. D UDENREDAKTION (Hrsg. 1998: 623, 715 - 724) 1137 Zur nicht arbiträren Reihenfolge der Wörter in der Zusammensetzung eines Satzes, vgl. die Ausführungen zur Perspektive eines Aussagesatzes, s. 6.4.3.2. 218 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="219"?> Frege erläutert somit eine Auffassung der Verneinung, welche die Grammatizität und den gesamten inhaltlichen Ausdruck einer syntaktischen Struktur anerkennt, ohne diese grammatische Sicht auf den Ausdruck und seinen Inhalt durch extensionallogische Annahmen aus der Bedeutungsebene zu zersetzen. Die Verneinung oder Negierung zerteilt oder vernichtet keinen als affirmative Proposition interpretierten Aussagesatz ohne Negationspartikel in einem assertorischen Moment wie dies De Morgan annimmt (s. 5.5.1), sondern das Urteil ist dem negiert geäußerten Aussagesatz, der einen sinnhaften, bestehenden Gedanken konstitutiert, nachgeordnet. 1138 Zur doppelten Verneinung erklärt Frege zudem: „ Die einen Gedanken bekleidete doppelte Verneinung ändert den Wahrheitswert des Gedankens nicht. “ 1139 Damit ist es möglich, die Verneinung als Bestandteil der Struktur einer Aussage und ihres ausgedrückten Inhalts aufzufassen, wie dies auch in der deutschen Syntax der Fall ist. Im deutschen Aussagesatz wird eine negierte Aussage nicht derart formuliert, dass vor einer affirmativ formulierten Aussage eine Negation positioniert wird (z. B. *nein/ nicht/ falsch, Achill ging an den Meeresstrand oder *nein/ nicht/ falsch, Achill ist am Meeresstrand), stattdessen ist die Negierung in den Ausdruck integriert. Eine Negation eines syntaktisch wohlgeformten Ausdrucks kann gemäß der Dudengrammatik 1140 durch Hinzufügung eines Negationswortes, z. B. eines Negationspronomens (keiner; niemand; nichts u. a.), einer Negationspartikel (nirgends; nie; nicht u. a.) oder des satzäquivalenten Negationswortes nein an verschiedenen, nicht beliebigen syntaktischen Positionen erfolgen. Je nach Art und Position des eingefügten Negationswortes besitzt dieses einen anderen Skopus, weswegen syntaktische sowie semantische Veränderungen am vollständigen Satz als Satznegation oder am Teilausdruck als Sondernegation beobachtbar sind. Der Skopus der Negation ist im sprachlichen Ausdruck durch Akzent, Intonation und Wortstellung bestimmt. In der Aussage er hat die Bücher nicht einsondern umgeordnet [Akzent auf ein- und um-] wirkt die Negation auf ein Präfix, in der Aussage sie hat das nicht brave, sondern störrische Pferd gepflegt [Akzent auf brave und störrische] auf ein Wort, in der Aussage er hat nicht diese Blumen gepflanzt [Akzent auf diese Blumen] auf ein Satzglied und in der Aussage er hat diese Blumen nicht gepflanzt [Akzent auf nicht] auf den vollständigen Aussagesatz. Eine syntaktische Interpretation des Ergebnisses einer Applikation der Negationsprobe vermag unterschiedliche Strukturen in äußerlich gleich scheinenden Satzgefügen offenzulegen (z. B. sie wird, wenn die Sonne scheint, morgen ausreiten → sie wird, wenn die Sonne nicht scheint, morgen 1138 Vgl. F REGE (2002 [1892]a: 31) 1139 F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 83) 1140 D UDENREDAKTION (Hrsg. 1998) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 219 <?page no="220"?> nicht ausreiten; sie wird, wenn ich Recht habe, den Wettkampf gewinnen → sie wird, wenn ich nicht Recht habe, den Wettkampf nicht gewinnen). Die Unterschiede in den exemplarisch genannten Sätzen sind mittels weiterer Analysen zu erklären. 1141, 1142 In Freges Begriffstheorie etabliert somit nicht nur die Nachgeordnetheit des Urteils und die Eliminierung des Abaelardschen und Port-Royalschen Assertionsmoments zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat bzw. zwischen grammatischem Subjekt und grammatischem Prädikat eine intensionale, der gegenständlichen übergeordnete Ebene für das logische Prädikat in einem Ausdruck, sondern die Fregesche Akzeptanz der Integriertheit der Verneinung bzw. Negierung in einem formal- oder natürlichsprachlichen Ausdruck, d. h. in seinem Inhalt vor dem Urteil, verhindert ebenso eine Resolution seiner intensionalen Struktur und erkennt des Weiteren an, dass eine Auffassung der Verneinung bzw. Negierung als Urteil, den Assertionsmoment wieder in den Ausdruck zurückverlegen würde. Eine derartige Zurückverlegung des Assertionsmoments in die Satzstruktur anhand der Verneinung bzw. Negierung im Satz hätte die Konsequenz, dass ein eingefaltetes Urteil nach Pfänder (s. 5.8) entstünde und das logische Prädikat des Ausdrucks damit wiederum vergegenständlicht würde (s. 5.4). Auf diese Art und Weise ermöglicht Freges Theorie nicht nur konsequent die Entstehung einer ersten Ebene des Begriffs, sondern es konstituieren sich außerdem noch höherstufige Begriffe und Beziehungen. 5.6.4 Beziehungen f(x, y) und Funktionen zweiter Stufe h(g(x)) Funktionen, deren Bedeutung immer ein Wahrheitswert ist, die aber zwei oder mehr Argumente besitzen, sollen in der vorliegenden Untersuchung in Anlehnung an Frege Beziehungen heißen. Aufgrund der Zerlegung von gesättigten Funktionen und Begriffen wurden das Argument bzw. der Gegenstand und eine ungesättigte Funktion bzw. ein ungesättigter Begriff erkannt: Der zeichenhafte Ausdruck 3 > 2 des Wahren, d. h. des Gegenstands 3 sowie des Begriffs x > 2. Der ungesättigte Teil x > 2 ist weiter zerlegbar in den Gegenstand 2 und die Form x > y, in welcher y die leere Stelle unbestimmt andeutet, die zuvor von dem bestimmten Argument 2 ausgefüllt war. So ist die Form x > y eine Funktion mit zwei Argumenten, deren eines unbestimmt durch x und deren anderes unbestimmt durch y angedeutet ist. Deshalb bezeichnet der Ausdruck 3 > 2 den Funktionswert für die Argumente 3 und 2. Die Bedeutung dieser Funktion x > y ist immer ein Wahrheitswert und Funktionen, deren 1141 D UDENREDAKTION (Hrsg. 1998: 623, 715 - 724) 1142 Vgl. S CHAEDLER (2020a) 220 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="221"?> Bedeutung immer ein Wahrheitswert ist, nennt Frege im Falle einer Funktion mit nur einem Argument Begriff, im Fall von zwei Argumenten Beziehung. 1143 Beziehungen sind z. B. auch die Ausdrücke x 2 + y 2 = 9 und x 2 + y 2 > 9, doch im Unterschied zu diesen besitzt die Addition x 2 + y 2 als Funktionswert keinen Wahrheitswert, sondern eine gegenständliche Zahl, weswegen sie keine Beziehung darstellt. 1144 Da Zerlegungen von sprachlichen und mathematischen Ausdrücken in Einheiten unterschiedlicher Größe vorgenommen werden können 1145 , ist nun nach obigen Herleitungen ersichtlich, dass auch der Ausdruck ┬ ┬ a 2 = 1 1146 eine Funktion ist, die als Einheit aufgefasst werden kann und die eine Argumentstelle besitzt, deren Argument nicht selbst zur Funktion gehört, wie Frege erklärt. Dasselbige gilt für Begriffe. Wenn in erwähntem Beispiel die Quadrierung x 2 eine Funktion ist, deren Argument durch den Buchstaben x unbestimmt angedeutet ist, so ist der Ausdruck ┬ ┬ a 2 = 1 eine Funktion, deren Argument durch die Funktion a 2 = 1 verkörpert ist. Auffälligerweise ist der Ausdruck a 2 = 1 selbst eine Funktion, was im Ausdruck ┬ ┬ f(a) deutlicher hervortritt. Es ist keine Unstimmigkeit in den logischen Gedankengängen zu verzeichnen, so dass zu sättigende Funktionen selbst als Argumente anderer Funktionen f(g()) und zu sättigende Begriffe als Gegenstände anderer Begriffe Φ ( Ψ ()) fungieren können. Frege erläutert, dass Funktionen, deren Argumente nur Gegenstände sind und sein können, grundverschieden sind von Funktionen, deren Argumente Funktionen sind und sein müssen, so dass Frege erstere Funktionen erster Stufe und letztere Funktionen zweiter Stufe nennt. 1147, 1148 Begriffe können Begriffe als Argumente haben und diesen Sachverhalt nennt Frege Unterordnung, wobei er die Unterordnung und die Sättigung eines Begriffs mit einem Gegenstand als Subsumtion voneinander unterscheidet. 1149 (S. 5.6; 5.7.1) In der vorliegenden Untersuchung wird folgende Ansicht De Jongs nicht geteilt: „ In my opinion, which differs 1143 F REGE (2002 [1891]: 11) 1144 F REGE (2002 [1891]: 19 f.) 1145 Zur mannigfachen Zerlegung eines Gedankens, vgl. F REGE (2002 [1892]b: 54). 1146 Dies besagt, dass es nicht kein einziges bestimmtes Argument für die Stelle des unbestimmt angedeuteten Arguments a gibt, also gibt es mindestens ein einziges bestimmtes Argument für die Stelle des unbestimmt angedeuteten Arguments a, mit welchem die dann gesättigte Funktion das Wahre bezeichnet, s. F REGE (2002 [1891]: 16 - 18). 1147 F REGE (2002 [1891]: 18 - 20); vgl. F REGE (2002 [1904]: 68) 1148 Frege fügt als Anm. hinzu: „ Vergleiche meine Grundlagen der Arithmetik (Breslau 1884) § 53 am Ende, wo ich statt ‚ zweiter Stufe ‘ ‚ zweiter Ordnung ‘ gesagt habe. Der ontologische Beweis für das Dasein Gottes leidet an dem Fehler, daß er die Existenz wie einen Begriff erster Stufe behandelt. “ (F REGE (2002 [1891]: 19, Anm.)). 1149 Vgl. F REGE (2001 [1906]: 87); vgl. F REGE (2001 [vor 1884]: 20 f.) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 221 <?page no="222"?> from Angelelli ’ s on this point, Frege regards subordination (Unterordnung) of concepts as being in the first place extensional in character. “ 1150 Denn aufgrund der Auffassung der Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten, geht bei Frege immer der Begriff der Extension, d. h. dem Begriffsumfang voraus. In der vorliegenden Studie ist die Applikation Freges Theorie auf Prädikate relevant, während eine Anwendung auf Klassen vermieden werden soll. Ein System auf Klassen aufbauen zu wollen, missachtet Freges Priorität der Begriffe, und die Klassen, die von Frege mit Begriffsumfängen verglichen werden, stellen nach Frege eine abgeleitete Redeweise dar. 1151 De Jongs Ansicht, Frege würde die Unterordnung in dem Satz alle Wale sind Säugetiere extensional verstehen, muss demzufolge nicht geteilt werden, denn die Formulierung alle Wale muss im Rahmen Freges Theorie nicht als ein Haufen von Gegenständen, nämlich als ein Kollektiv von Walen verstanden werden. Eine Lesart mit Berücksichtigung der Vorrangigkeit des Begriffs simplifiziert die logischsprachliche Deskription von formal- oder natürlichsprachlichen Ausdrücken ebenso, wie Kirchmanns Vorschlag, wenn er hinsichtlich der Syllogismen Aristoteles ’ anrät, eine vom Begriff und nicht vom Begriffsumfang ausgehende Lesart zu bevorzugen 1152 . Die Praktikabilität einer Lesart für die Syllogismen Aristoteles ’ , welche die Terme in Position des logischen Subjekts und des logischen Prädikats nicht als Namen für Klassen konzipiert sowie die Annahme einer gleichbleibenden Bedeutung des Verbs sein bestätigen, wie ebenfalls obig bereits angesprochen, auch Kneale/ Kneale 1153 (s. 5.2). Für die Applikation Freges Theorie in der Sprachanalyse und Sprachbeschreibung sind insbesondere auch nachfolgend vorgestellte Funktionen bzw. Beziehungen notwendig. Frege konstatiert: „ Eine Funktion mit zwei Argumenten kann in Beziehung auf diese von derselben oder von verschiedenen Stufen sein: gleichstufige, ungleichstufige Funktionen. “ 1154 Der Differentialquotient mit den zwei Argumenten als der zu differenzierenden Funktion und dem Argument, das unbestimmt als x angedeutet ist und nach welchem zu differenzieren ist, stellt hierbei ein Beispiel für eine ungleichstufige zweistellige Funktion dar (z. B. f(g(x), a)). Die gleichstufigen zweistelligen Funktionen sind anhand der Beispiele x > y; x 2 + y 2 = 9 und x 2 + y 2 > 9 vorgestellt und müssen wiederum in solche erster Stufe und solche zweiter Stufe eingeteilt werden. Eine gleichstufige zweistellige Funktion zweiter Stufe ist z. B. die Stammfunktion F(f[1]), wobei diese Schreibweise der Stammfunktion derart zu interpretieren ist, dass die Buchstaben F und f die Argumente 1150 J ONG (1982: 232) 1151 S LUGA (1962: 200 f.); vgl. F REGE (2003 [1895]) 1152 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1877]a: XII, Vorwort) 1153 K NEALE / K NEALE (1991: 64 f.) 1154 F REGE (2002 [1891]: 20) 222 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="223"?> andeuten. 1155 Die Funktionen zweiter Stufe sind weiter zu differenzieren. Da es, wie obig erläutert, möglich ist, dass Funktionen Funktionen als Argumente nehmen und Funktionen über mehr als ein Argument verfügen können, muss nach Frege bei den Funktionen zweiter Stufe zwischen jenen, die eine einstellige Funktion als Argument, z. B. f(g(a)), und jenen, die eine mehrstellige bzw. zweistellige Funktion als Argument haben, z. B. f(g(a, b)), unterschieden werden. 1156 Ungleichstufige zweistellige Funktionsausdrücke können als Notation in der Analyse und Deskription der natürlichen Sprache an vielen Stellen vorkommen. Typisch für eine derartige formale Darstellung eines Kopula- Prädikativ-Komplexes ist die Deskription eines Komplexes mit einem fakultativen Prädikativ, welches selbst valenzielle Leerstellen eröffnet und somit sprachliche Elemente lizenziert (s. 7.4.2.4) (z. B. der Junge bleibt dem Pferd treu als bleibt(der Junge, treu (dem Pferd))). 1157 Bezüglich des Verhältnisses von Begriffen zu anderen Begriffen bzw. zu Gegenständen konstatiert Frege schließlich: „ Begriffe können nicht in denselben Beziehungen stehen wie Gegenstände. Sie in diesen zu denken wäre nicht falsch, sondern unmöglich. Daher bezeichnen die Wörter ‚ Beziehung des Subjekts zum Prädikat ‘ zwei ganz verschiedene Beziehungen, je nachdem das Subjekt ein Gegenstand oder selbst ein Begriff ist. Am besten wäre es daher, die Wörter ‚ Subjekt ‘ und ‚ Prädikat ‘ ganz aus der Logik zu verbannen, da sie immer wieder dazu verführen, die beiden grundverschiedenen Beziehungen des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff und [der] Unterordnung eines Begriffes unter einen Begriff zu vermengen. “ 1158 Auffallend ist, dass Frege in seine Erläuterungen zum grammatischen Subjekt und grammatischen Prädikat die Herangehensweise der traditionellen Grammatiker einer binären Unterteilung des Aussagesatzes 1159 verinnerlicht hat. Dennoch distanziert er sich in Folge vorangehend dargelegter Gründe von der traditionellen Urteilslehre, welche einen Assertionsmoment im Ausdruck annimmt und merkt kritisch an: „ Man könnte versucht sein, das Verhältnis des Gedankens zum Wahren nicht als das des Sinnes zur Bedeutung, sondern als das des Subjektes zum Prädikate anzusehen. [ … ] Daraus ist zu entnehmen, daß das Verhältnis des Gedankens zum Wahren doch mit dem des Subjekts zum Prädikate nicht verglichen werden darf. Subjekt und Prädikat sind ja (im logischen Sinne verstanden) Gedankenteile, sie stehen auf 1155 F REGE (2002 [1891]: 20) 1156 F REGE (2002 [1891]: 21) 1157 Für eine ausführliche Analyse des Verbs bleiben, s. 10. 1158 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 27 f.) 1159 Zu Abaelards Entwurf einer Kopula sowie zur binären bzw. tertiären Gliederung eines Aussagesatzes in der Logik von Port-Royal, s. 5.3; 5.4. 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 223 <?page no="224"?> derselben Stufe für das Erkennen. Man gelangt durch die Zusammenfügung von Subjekt und Prädikat immer nur zu einem Gedanken, nie von einem Sinne zu dessen Bedeutung, nie von einem Gedanken zu dessen Wahrheitswerte. Man bewegt sich auf derselben Stufe, aber man schreitet nicht von einer Stufe zur nächsten vor. Ein Wahrheitswert kann nicht Teil eines Gedankens sein, sowenig wie etwa die Sonne, weil er kein Sinn ist, sondern ein Gegenstand. “ 1160 Sodann fügt er an, dass diese Nachgeordnetheit des Urteils auf das Leibniz- Gesetz α = β ⇒ Φ ↔ Φ [ α / / β ] schließen lässt: „ Wenn unsere Vermutung richtig ist, daß die Bedeutung eines Satzes sein Wahrheitswert ist, so muß dieser unverändert bleiben, wenn ein Satzteil durch einen Ausdruck von derselben Bedeutung, aber anderem Sinne ersetzt wird. Und das ist in der Tat der Fall. Leibniz erklärt geradezu: ‚ Eadem sunt, quae sibi mutuo substitui possunt, salva veritate ‘ [* Diese Formulierung ist nicht belegt. Eine andere Version zitiert Frege in den Grundlagen der Arithmetik [ … ]]. “ 1161, 1162 Im Umkehrschluss meint dies, dass das Leibniz-Gesetz nicht greifen würde, wenn man das Urteil, d. h. einen Assertionsmoment zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat bzw. zwischen grammatischem Subjekt und grammatischem Prädikat oder grammatischem Prädikativ veranschlagen würde. So wird einsehbar, dass die Annahme einer Assertionsfunktion Ψ (S, P) als kopulativer Moment Ψ zwischen Subjekt S und Prädikat P zwar in der traditionellen Urteilslehre proklamiert wird, aber unter mathematischen und logischen Aspekten gar nicht möglich ist, wenn die Kopula als inhaltsleer konzipiert wird, da sie dann nicht über begriffliche Intentionalität verfügt und damit keinen Begriff und keine Funktion, hier mit dem Buchstaben Ψ angedeutet, verkörpern kann (s. 6.2.2; 6.2.3). Frege vertritt stattdessen die Ansicht, die Assertionsfunktion stelle das Urteil dar, welches als Verfahren Ψ auf den Gegenstand A als gesättigter Begriff (z. B. Φ (x)) angewandt wird und das Ergebnis B (d.h. ω ) als behaupteten Wahrheitswert nach sich zieht, was dann mit der Form Ψ ( Φ (x), ω ) darstellbar ist. 1163 Dieses Vorgehen Freges erfordert eine besondere notationelle Kenntlichmachung des Urteils. Die traditionelle Urteilslehre bricht somit zwei logische Gesetze (s. u. (i), (ii)). Erstens, die Definition einer mathematischen Funktion bzw. eines logischen Begriffs und zweitens, das Leibniz-Gesetz: 1160 F REGE (2002 [1892]a: 31 f.) 1161 F REGE (2002 [1892]a: 31 f.) 1162 Vgl. hierzu Leibniz ’ intensionale Begriffsauffassung im Gegensatz zu seinen extensionallogischen Auffassungen, s. 5.5; vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 228, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XIX, Def. 1, 236, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XX, Def. 1) 1163 Vgl. F REGE (2007 [1879]: 4 f.) 224 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="225"?> (i) Der Definition einer mathematischen Funktion ist nicht entsprochen, • da ein inhaltsleeres Zeichen eine Funktion bzw. einen Begriff verkörpern soll und • weil diese ‚ Funktion ‘ (d. h. Assertionsfunktion; Urteilsfunktion) dort verortet wird, wo ein unechtes Symbol, nämlich die Klammer zwischen Funktionsname und Argumentname, die Sättigung einer Funktion mit einem Argument andeutet. (ii) Das Leibniz-Gesetz α = β ⇒ Φ ↔ Φ [ α / / β ] ist nicht erfüllbar, da dieses den Wahrheitswert nach der Sättigung der Funktion bzw. des Begriffs bestimmt und damit eine Substitution des Arguments zulässt, die anschließend denselbigen oder einen anderen Wahrheitswert ergibt, je nachdem ob die Gegenstände, welche die Argumentnamen denotieren, gleich sind oder nicht. Dieser Substitutionstest des Leibniz-Gesetzes ist im Fall einer Vergegenständlichung des logischen Prädikats nicht ausführbar, • wenn das Urteil gemäß der traditionellen Urteilslehre vor der Sättigung mit einem Argument gefällt werden muss und als Sättigungsprozess vollzogen wird (s. z. B.: 5.4) oder • wenn die Signifikate des logischen Prädikats gemäß der traditionellen Urteilslehre nach Abaelard und dessen nominalistischen Annahmen ohne eine probate Sättigung mit dem Gegenstand des logischen Subjekts nicht als res anerkannt werden, sondern notwendig mit diesem zusammenfallen müssen, um zu existieren (s. z. B.: 5.3). Frege kritisiert daraufhin, für das Urteilen die weit verbreitete, dem Sprachlichen entnommene und der traditionellen Grammatik entlehnte Herangehensweise zu übernehmen, die davon ausgeht, „ daß jeder Gedanke - oder Urteil, wie es gewöhnlich heißt - ein Subjekt und ein Prädikat habe, so daß durch den Gedanken bestimmt sei, was sein Subjekt und was sein Prädikat sei, wie durch den Satz sein Subjekt und sein Prädikat unzweideutig mitgegeben sind. [ … ] Wir werden die bei den Logikern beliebten Ausdrücke ‚ Subjekt ‘ und ‚ Prädikat ‘ ganz vermeiden, zumal dadurch nicht nur Wiedererkennungen erschwert, sondern auch vorhandene Unterschiede verdeckt werden. Statt der Grammatik blindlings zu folgen, sollte der Logiker vielmehr seine Aufgabe darin sehen, uns von den Fesseln der Sprache zu befreien. “ 1164, 1165 Deutlich wird bei dieser Ausführung Freges, dass er mit der Sprache, von welcher es sich zu befreien gilt, die traditionelle Grammatikschreibung und eine vorgegebene generelle binäre Teilung des Aussagesatzes in Subjekt und 1164 F REGE (2001 [1897]: 61) 1165 Das Wort Urteil ist hier nach Frege zitiert und soll nicht andeuten, dass ein Gedanke gleich einem Urteil sei. 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 225 <?page no="226"?> Prädikat sowie damit eine materialisierte oder verdeckte Kopula anspricht (s. u.). 1166 In der vorliegenden Untersuchung wird deshalb nicht Freges Ansicht von den Fesseln der Sprache geteilt, sondern angenommen, Frege referiert hier unter Umständen auf die Fesseln der binären bzw. tertiären Teilung der natürlichsprachlichen Syntax in Subjekt und Prädikat gemäß der traditionellen Grammatikschreibung. Frege fährt nun fort, Kritik an einer festlegenden Identifizierung des logischen Prädikats und logischen Subjekts mit dem grammatischen Subjekt sowie dem grammatischen Prädikat zu üben. Hierzu äußert sich Frege folgendermaßen: „ Dies ist nur wunderbar für einen, der verkennt, daß ein Gedanke mannigfach zerlegt werden kann und daß dadurch bald dies, bald jenes als Subjekt und als Prädikat erscheint. Durch den Gedanken selbst ist noch nicht bestimmt, was als Subjekt aufzufassen ist. Wenn man sagt: ‚ das Subjekt dieses Urteils ‘ , so bezeichnet man nur dann etwas Bestimmtes, wenn man zugleich auf eine bestimmte Art der Zerlegung hinweist. “ 1167 Es gilt demzufolge, diese traditionelle Identifikation des grammatischen Subjekts mit einem logischen Subjekt sowie des grammatischen Prädikats mit einem logischen Prädikat bzw. Prädikatkomplex infrage zu stellen. Des Weiteren mahnt Frege, sich nicht dadurch täuschen zu lassen, „ daß die Sprache manchmal dasselbe Wort teils als Eigennamen, teils als Begriffswort gebraucht. “ 1168 Frege erklärt außerdem, die Sprache verfüge durch die Wahl von Formen und Wörtern über eine Freiheit, je nach Belieben diesen oder jenen Bestandteil des Satzes als hauptsächliches Argument erscheinen zu lassen, die nur durch den Mangel an Wörtern begrenzt ist. 1169 Freges Ansichten über die Kopula hingegen scheinen durch das Verständnis der traditionellen Grammatik vorgeprägt 1170 : „ Der sprachliche Ausdruck für die Eigentümlichkeit des Gedankens ist die Kopula oder die Personalendung des Verbums. “ 1171 Doch seine Erläuterungen entfernen sich inhaltlich von jenen traditionellen Auffassungen. Hier thematisiert Frege bereits die fehlerhafte Einwirkung der Ungenauigkeiten und logischen Unstimmigkeiten der mathematischen Sprache auf die Interpretation und Deskription der logischen und grammatischen Struktur von natürlichsprachlichen Ausdrücken. Explizit wird die Lesart y ist eine Funktion von x einer Funktion f(x) = y kritisiert, da dabei erstens, das Gleichheitszeichen mit der traditionellen Kopula übersetzt und zweitens, die 1166 F REGE (2002 [1892]b: 54) 1167 F REGE (2002 [1892]b: 54) 1168 F REGE (2002 [1892]b: 55) 1169 F REGE (2007 [1879]: 18) 1170 F REGE (2002 [1892]b: 48); F REGE (2002 [1904]: 69) 1171 F REGE (2001 [1882]: 23); F REGE (2001 [vor 1884]: 14, 16 f.) 226 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="227"?> Funktion mit ihrem bestimmten Wert für ein Argument verwechselt wird. Diese Lesart und dieses Verständnis ist nach Frege somit rückwirkend ursächlich für die falsche Schlussfolgerung, die Funktion sei eine Zahl, wenn auch eine veränderliche oder unbestimmte 1172 , womit Frege wissentlich oder unwissentlich die Synthese der traditionellen Urteilslehre und das eingefaltete Urteil nach Pfänder kritisiert, welche das logische Prädikat vergegenständlichen, da der Assertionsmoment zwischen logischem Subjekt und logischem Objekt verortet wird (s. 5.4; 5.8). Indizierend für Freges weiterentwickeltes Verständnis der Struktur eines Aussagesatzes sowie der Kopula ist seine nachfolgende Feststellung, die kohärent mit den sprachphilosophischen und logischen Ausführungen seiner Aufsätze und Vorlesungen ist: „ Eine Gleichung ist umkehrbar; das Fallen eines Gegenstandes unter einen Begriff ist eine nicht umkehrbare Beziehung. “ 1173, 1174 Das logische Prädikat wiederum konstituiert nach Frege einen intensionalen Begriff, womit die Kopula als wesentlicher Teil des Prädikats nach Frege bereits zu diesem intensionalen Begriff gehört. 1175 Außerdem fügt Frege an: „ Ich gebrauche das Wort ‚ gleich ‘ und das Zeichen ‚ = ‘ in demselben Sinne von ‚ dasselbe wie ‘ , ‚ nichts anderes als ‘ , ‚ identisch mit ‘ . Man Vergleiche E. Schröders Vorlesungen über die Algebra der Logik (Leipzig 1890)[ 1176 ] 1. Band § 1, wo jedoch zu tadeln ist, daß zwischen den beiden grundverschiedenen Beziehungen des Fallens eines Gegenstandes unter einen Begriff und der Unterordnung eines Begriffes unter einen Begriff nicht unterschieden wird. “ 1177 Allerdings können einige Thesen Freges Theorie nicht in der Art und Weise zur Analyse und Deskription der natürlichen Sprache appliziert werden, wie dies Frege anhand von Beispielen zum Teil konsideriert 1178 , was nachfolgend begründet wird. Während die Betrachtung der Syllogistik Aristoteles ’ für eine Revision der traditionellen Urteilslehre unverzichtbar ist, da sie Prädikation, logische Inferenz und Assertion schrittweise darstellt, so bleibt doch in der Syllogistik Aristoteles ’ eine genaue syntaktische Analyse der dortig formulierten Prämissen und Konklusionen irrelevant, weil die Syllogismen auf den je Aussage zueinander in Bezug 1172 F REGE (2002 [1904]: 69) 1173 F REGE (2002 [1892]b: 49) 1174 Das Wort Beziehung in dem Satzteil nicht umkehrbare Beziehung ist im obigen Zitat nicht in dem Sinne zu verstehen, dass es sich um einen Begriff mit zwei Gegenständen handelt, d. h. das Wort Beziehung ist hier nicht fachterminologisch gebraucht. 1175 Vgl. die Veranschaulichung am Beispiel der Teilung einer Strecke durch einen Punkt (Abb. 4); s. 5.6.2; vgl. F REGE (2002 [1891]: 6). 1176 S CHRÖDER (1890) 1177 F REGE (2002 [1892]b: 49, Fn. 2) 1178 Z. B. F REGE (2003 [1918 - 1919]a); z. B. F REGE (2003 [1923 - 1926]); z. B. F REGE (2001 [nicht vor 1923]) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 227 <?page no="228"?> gesetzten Begriffen sowie deren Qualität und Quantität operieren. Freges Sprachanalyse steht in der Tradition der Syllogistik Aristoteles ’ und unternimmt demzufolge keine eingehende sprachwissenschaftliche Analyse der Syntax. Frege lässt in seiner Untersuchung des Sinns und der Bedeutung natürlichsprachlicher Aussagesätze den Umstand außen vor, dass zeichenhafte Wortformen nicht nur extensionale Bedeutungen oder sinnhafte Konnotationen haben, sondern dass die Zeichen in einer natürlichen Sprache insbesondere als funktionale Entitäten fungieren sowie den Regeln der Grammatik unterworfen sind, obwohl Frege bemerkt, dass in den zu Zeichen gehörigen Sinnstrukturen, welche die gleiche Bedeutung bezeichnen, qualitative Unterschiede overt sein können 1179 und dass die Reihenfolge der Anordnung der Elemente eines zusammengesetzten zeichenhaften Ausdrucks, welchen der natürlichsprachliche Aussagesatz verkörpert, nicht gleichgültig ist. 1180 (S. 5.6.3) Nun tangiert die Relevanz der Reihenfolge der Elemente in einem natürlichsprachlichen Aussagesatz den Satzgliedstatus sowie die syntaktische Funktion eines sprachlichen Elements und die qualitativen Unterschiede 1181 sind linguistisch als Unterschiede in der paradigmatischen und syntagmatischen Ebene eines Aussagesatzes erfassbar. Um Begriffe und Beziehungen im natürlichsprachlichen Aussagesatz zu erkennen, bedarf es demzufolge einer Berücksichtigung der syntaktischen Struktur und der innersprachlichen Bedeutung einer zeichenhaften Wortform, welche ihre grammatische Kategorie, ihre Einbindung in Kongruenz- und Rektionsverhältnisse, ihr Status als ein bestimmtes strukturell notwendiges bzw. nicht notwendiges Satzglied (s. 7.4.2.1), ihr Status als ein Bestandteil eines Satzgliedes oder ihr Status als Attribut ohne Satzgliedstatus konstituieren. Eine syntaktische Strukturanalyse eines natürlichsprachlichen Aussagesatzes ist von einer semantischen Analyse bzw. einer Analyse anhand der außersprachlichen Referenten, d. h. der extensionalen Denotationen der Sprachzeichen zu unterscheiden, die Erstgenannter gegenüber ungeordnet ist und die keine spezifische Zerlegung auf intensionaler Ebene vorgibt. An dieser Stelle wird deutlich, dass Frege den Status einiger Zeichen (z. B. Eigennamen) in einer natürlichen Sprache herabsetzt und jene Zeichen wie Gegenstände konzipiert, während die Zeichen bereits als Konzeptualisierungen perzipiert werden könnten, um sie von Gegenständen zu unterscheiden (s. u. Abb. 9; Abb. 10) Auch ist es die syntaktische Strukturanalyse, welche die von Frege thematisierte Art der Zerlegung (s. o.) 1182 von potentiell großer Mannigfaltigkeit 1179 F REGE (2002 [1892]a: 31 f.); vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 228, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XIX, Def. 1, 236, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XX, Def. 1) 1180 F REGE (2003 [1918 - 1919]b: 69 f.) 1181 Vgl. F REGE (2002 [1904]: 66) 1182 F REGE (2002 [1892]b: 54) 228 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="229"?> (s. o.) 1183 natürlichsprachlicher Ausdrücke in ihrer Sinnstruktur festlegen kann. In einer konsequenten Übertragung Freges Differenzierung zwischen Zeichen, Sinn und Bedeutung müsste demnach das sprachliche Zeichen sowie der Zeichenkomplex zunächst nur für sich betrachtet und zerlegt werden, bevor über den Sinn, den das sprachliche Zeichen anhand seines syntaktischen Status im Aussagesatz erfasst, zu seiner Bedeutung fortgeschritten werden kann. Aufgrund dieser obig genannten Gründe wird Freges Ansatz zur Analyse natürlichsprachlicher Begriffe, welche eine Deskription derselbigen mit Freges formalisierender Notation fundiert, deshalb nicht vollständig übernommen, sondern durch eine sprachwissenschaftliche Methode ergänzt und modifiziert. In Übereinstimmung mit dieser Methode steht resümierend nachfolgende Bemerkung Freges, die ein Hinweis darauf ist, dass Frege neben der Differenzierung von Sinn und Bedeutung (auch: sachliche Gegebenheiten) ebenfalls die Unterscheidung zwischen natürlichsprachlicher syntaktischer Struktur (auch: sprachlichen Gegebenheiten) und sachlichen Gegebenheiten konsideriert: „ Im Satze ‚ der Morgenstern ist die Venus ‘ haben wir zwei Eigennamen ‚ Morgenstern ‘ und ‚ Venus ‘ für denselben Gegenstand. In dem Satze ‚ der Morgenstern ist ein Planet ‘ haben wir einen Eigennamen: ‚ der Morgenstern ‘ und ein Begriffswort: ‚ ein Planet ‘ . Sprachlich ist zwar nichts geschehen, als daß ‚ die Venus ‘ ersetzt ist durch ‚ ein Planet ‘ ; aber sachlich ist die Beziehung eine ganz andere geworden. “ 1184 Diese deutlich dargelegte Unterscheidung zwischen sprachlicher und sachlicher Ebene bei Frege, soll insbesondere in der vorliegenden Untersuchung fokussiert werden. Dies erfordert eine genaue Untersuchung seines Verständnisses von Extension, Intension und der Gleichheitsbeziehung. 5.6.5 Extensionale Identität des Begriffsumfangs έ ( Φ ( ε )) und die Relation Wittgenstein äußert bezüglich der Extension und Intension folgende Ansicht: „ Einen Satz verstehen, heißt wissen, was der Fall ist, wenn er wahr ist. (Man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist.) Man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht. “ 1185 Diese Äußerung Wittgensteins wird im Folgenden mit einer Intensionsauffassung und einem Verstehensprozess verglichen, welche aus Freges Theorie herleitbar sind. Dem wörtlichen Sinn nach als auch gemäß der Tradierung der Termini Intension und Extension, z. B. in der Logik von Port-Royal, ist die Intension als Verstehen (frz.: 1183 F REGE (2002 [1891]: 21) 1184 F REGE (2002 [1892]b: 49) 1185 W ITTGENSTEIN (1922: 66, Satz 4.024) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 229 <?page no="230"?> compréhension) aufzufassen. Das Verstehen gehört demnach zur Intension, während Wittgenstein in Missachtung dessen das Verständnis eines Satzes mit seinem extensionalen Wahrheitswert, nämlich damit, was der Fall ist, nicht was der Fall wäre, wenn er wahr ist, in Verbindung bringt, obwohl er vorgibt, explizit auf das Verb verstehen einzugehen. Indem er den Satz man kann ihn also verstehen, ohne zu wissen, ob er wahr ist ausspricht, assoziiert Wittgenstein das Verb verstehen, obwohl es so erscheint, als bemühe er sich um eine gesonderte Definition desselbigen, sogar mit dem Fällen desjenigen eingefalteten (auch: nicht entfalteten) Urteils nach Pfänder, das der Satz affirmativ oder negiert mit einem ihm inhärenten Assertionsmoment behauptet, wenn er extensional wahr ist. Wittgensteins Referenz auf das Wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist, legt nahe, Wittgenstein wolle erwähnen, dass man einen Satz nicht verstehen könne, wenn er entweder extensional falsch ist oder wenn der im Sinn des Satzes ausgedrückte Sachverhalt nicht im Wissen oder im Vorstellungsvermögen des Empfängers über die außersprachliche Wirklichkeit vorhanden ist. Doch weder extensionale Wahrheit noch extensionale Falschheit, noch Wissen, die Plausibilität oder Vorstellbarkeit eines potentiellen außersprachlichen Denotats des im Satz ausgedrückten Sachverhalts sind für sein Verständnis notwendig, solange ein Satz grammatisch ist (s. a. 6.4.1.2). Insbesondere kann ein sprachlich ausgedrückter Inhalt zum Wissen eines Empfängers neu hinzutreten, ohne dass dieser den Inhalt eines derartigen Gedankens zuvor erfasst hätte. Wittgensteins Nachtrag man versteht ihn, wenn man seine Bestandteile versteht, erwähnt zudem nicht, dass nicht nur die Bestandteile, sondern, gemäß Freges Hinweis auf die Art der Zerlegung, ebenso die Zusammensetzung dieser Bestandteile, die wohlgeformte Anordnung der Bestandteile sowie damit die grammatischen Regeln der syntaktischen Fügung der Bestandteile zu einer bestimmten Struktur eines Satzes verstanden werden müssen (s. 5.1; 6.2.2; 6.2.3). Wittgensteins Satz suggeriert indirekt, etwas Falsches sei nicht ausdrückbar und verstehbar, was der Natur des Urteils widerspricht und das Urteilen gänzlich obsolet machen würde, da alle verstehbaren Aussagen dann den extensionalen Wahrheitswert wahr bezeichnen würden. Entgegen Wittgensteins ungenauer Formulierung konnotiert, bezeichnet, bedeutet oder behauptet der Aussagesatz nach Frege auch in dem Fall seiner Falschheit etwas Verstehbares, nämlich das Falsche und damit auch etwas, das nicht in der außersprachlichen Wirklichkeit existiert. Da es etwas Falsches ist, entspricht es nicht der außersprachlichen Wirklichkeit in Sachverhalten, kann diesen jedoch kontrastierend gegenübergestellt werden, da diese wahr sind. Wittgensteins Satz vermengt demzufolge das Verständnis, d. h. die Intension mit der Bedeutung (auch: Extension) nach Frege. In größerer Übereinstimmung mit Freges Ausführungen und auch aus terminologischen Gründen treffender wäre es 230 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="231"?> gewesen, wenn Wittgenstein statt dessen Folgendes ausgesprochen hätte: Man kann den Satz verstehen, ohne seinen Wahrheitswert zu behaupten. Man versteht ihn, wenn man die Art der Zusammensetzung seiner Bestandteile versteht. Wittgensteins Sprachverständnis ist auch in nachfolgendem Zitat wiedergegeben: „ Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. Und die Bedeutung eines Namens erklärt man manchmal dadurch, daß man auf seinen Träger zeigt. “ 1186 Auch diese Anmerkung Wittgensteins ist kritisch reflektierbar wie Henne/ Wiegand 1187 zeigen. Wittgensteins Anschauung wird in der vorliegenden Arbeit aus obig genannten Gründen und vor allem dem daraus resultierenden Wittgensteinschen Verständnis der Inhaltsseite eines Sprachzeichens, welches er zudem in dem von Henne/ Wiegand bemängelten Zitat ausdrückt, nicht vertreten. Vor dem theoretischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit wird somit deutlich, dass Wittgensteins Sprachverständnis in den obig genannten Zitaten als ein eher pragmatisch-kommunikatives und seine Auffassung des Inhalts von Signifkanten als weitgehend extensional oder materialistisch erkennbar sind. Bestimmend für die Unterscheidung zwischen Extension und Intension ist außerdem folgende, in einem anderen Zusammenhang obig bereits erläuterte Beobachtung Freges. Die Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung kann lediglich zwischen Wahrheitswerten, Gegenständen sowie Begriffsumfängen entdeckt und festgestellt werden. Der Ausdruck έ ( ε 2 - 4 ε ) = ά ( α [ α - 4]) bezeichnet die Gleichheit zwischen Begriffsumfängen, d. h. Gegenständen bzw. Bedeutungen auf extensionaler Ebene (s. o.). 1188 Frege rezipiert das Leibniz-Gesetz α = β ⇒ Φ ↔ Φ [ α / / β ] 1189 , fordert jedoch auch eine bestimmte Lesart desselbigen unter den Rahmenbedingungen seiner Theorie ein. 1190 Die Lesart dieser Formel α = β ⇒ Φ ↔ Φ [ α / / β ] lautet dann: α und β bezeichnen genau dann denselben Gegenstand, wenn sich α für β mit potentiell jeweils verschiedenen Sinnen als Bestandteil eines Gesamtausdrucks in allen Aussagen bei Erhaltung des extensionalen Wahrheitswertes (lat.: salva veritate) des Gesamtausdrucks der jeweiligen Aussage substituieren lässt. Eine notationell angepasste Wiedergabe obiger Formulierung des Leibniz-Gesetzes, welche die Betonung auf eine Aussage A als einen extensionalen Wahrheitswert behauptend legt, lautet: α = β ⇒ ├ A ↔ ├ A [ α / / β ]. Diese Gleichheit, welche an dieser Stelle durch das Leibniz-Gesetz postuliert wird, bezieht sich auf die Gegenstände, welche den Begriffsumfang konstituieren. Auf der 1186 W ITTGENSTEIN (1977: 41, Satz 43) 1187 Vgl. H ENNE / W IEGAND (1969: 138) 1188 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30) 1189 Vgl. G ERHARDT (Hrsg. 1890b: 228, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XIX, Def. 1, 236, Scientia generalis. Characteristica, Kap. XX, Def. 1) 1190 F REGE (2002 [1892]a: 31 f.) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 231 <?page no="232"?> intensionalen Ebene der Begriffe ist eine Gleichheitsbzw. Identitätsbeziehung 1191 der Ausdrücke A und A [ α / / β ] nicht möglich, da sich durch die Ersetzung des Buchstabens α mit dem Buchstaben β , welche als verschiedene Zeichen verschiedene Sinne ausdrücken, qualitative Unterschiede der ausgedrückten intensionallogischen Gesetzmäßigkeiten (IQG) A und A [ α / / β ] ergeben. Frege versucht diese Tatsache einem potentiell wortwörtlich begriffsstutzigen Leser zu erläutern, was jedoch der Klarheit seines Gedankens nicht gerecht wird, deshalb sollen die Erwähnung einer Selbigkeit sowie einer Entsprechung in der Wiedergabe der Fregeschen Erklärungen nicht übernommen werden. Frege fasst zunächst zusammen: „ Indem ein Gegenstand unter einen Begriff fällt, fällt er unter alle Begriffe desselben Umfangs, woraus das Gesagte folgt. Wie also Eigennamen desselben Gegenstandes unbeschadet der Wahrheit einander vertreten können, so gilt dasselbe auch von Begriffswörtern, wenn der Begriffsumfang derselbe ist. Freilich wird sich bei solchen Ersetzungen der Gedanke ändern; dieser aber ist der Sinn des Satzes, nicht dessen Bedeutung. [ … ] Diese aber, nämlich der Wahrheitswert, bleibt ungeändert. “ 1192 Aufgrund des gleichen Wahrheitswertes stehen die qualitativ verschiedenen Begriffe mit demselben Argument in einer besonderen Relation salva veritate zueinander. Frege erklärt dies folgendermaßen: „ Die Funktion x 2 = 1 hat für jedes Argument denselben (Wahrheits-)Wert wie die Funktion (x + 1) 2 = 2 ∙ (x + 1); d. h. unter den Begriff Quadratwurzel aus 1 fällt jeder Gegenstand, der unter den Begriff was um 1 kleiner ist als eine Zahl, deren Quadrat ihrem Doppelten gleich ist, fällt, und umgekehrt. “ 1193 Statt einer Identitätsbeziehung mit einem Gleichheitszeichen wird der Gedanke, der diese Beziehung zwischen zwei qualitativ differenzierbaren Begriffen thematisiert, mit der Formalisierung (x 2 = 1) ((x + 1) 2 = 2 ∙ (x + 1)) ausgedrückt. 1194 Dies meint, wenn ihre zugehörigen Begriffsumfänge, welche der extensionalen Ebene der Gegenstände angehören, zusammenfallen, stehen zwei Begriffe Φ () und X() der intensionalen Ebene in einer bestimmten Relation zueinander, auf welche der Ausdruck Selbigkeit jedoch nicht zutrifft, da Identität, Gleichheit oder Selbigkeit bei Begriffen unmöglich ist. 1195 Hegel erklärt hinsichtlich der Identität von Begriffen: „ Freiheit ist die Identität des Begriffs. [ … ] Im Begriffe hat sich daher das Reich der Freiheit eröffnet. “ 1196 Die Identität zweier Begriffe mit unterschiedlichen Qualitäten ihrer allgemeinen intensionallogischen Gesetz- 1191 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30) 1192 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 25 f.) 1193 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30) 1194 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30) 1195 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30 f.) 1196 H EGEL (1816: 8 f.) 232 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="233"?> mäßigkeiten (IQG) ist nach Frege somit nicht möglich. Frege formuliert: „ Wir haben nun erkannt, daß die Beziehung der Gleichheit zwischen Gegenständen nicht auch zwischen Begriffen gedacht werden kann, daß es aber da eine entsprechende Beziehung gibt. Das Wort ‚ derselbe ‘ , das zur Bezeichnung jener Beziehung zwischen Gegenständen gebraucht wird, kann mithin nicht eigentlich auch zur Bezeichnung dieser dienen. “ 1197 Für diese Art von Relation, nämlich (x 2 = 1) ((x + 1) 2 = 2 ∙ (x + 1)), eignet sich kein bekannter Begriff. Statt dessen findet sich die sehr ungenaue oder nach obigen Ausführungen mindestens als unvollständig zu erachtende Definition in der Analysis: „ Zwei Funktionen f und g sind identisch, falls sie den gleichen Definitions- und Wertebereich haben, und falls für alle a aus dem Definitionsbereich f(a) = g(a) gilt. “ 1198, 1199 Diese von Frege dargelegte Problematik thematisiert auch Raschauer: „ Unter der Maschinenmetapher wäre es konsequent, zwei Funktion[en] f und g dann als gleich (f = g) zu bezeichnen, falls beide den gleichen internen Aufbau aufweisen, also die Regeln, nach denen Objekte umgewandelt werden, identisch sind. Durchgesetzt hat sich jedoch eine von der Mengenlehre inspirierte extensionale Definition, nach der zwei Funktion[en] f und g dann gleich sind, wenn sie in ihrem Definitions- und Wertebereich, übereinstimmen und jedes Objekt des Definitionsin das selbe Objekt des Wertebereichs umgewandelt wird, wenn also für alle x, dom (f) = dom (g)[; ] f(x) = g(x) gilt. Es ist dann unerheblich, wie eine Funktion ‚ intensional ‘ definiert ist, alles, was zählt, sind die Zuordnungen von Definitionszu Funktionswerten. “ 1200 Kutschera nennt diese Beziehung „ extensionsgleich “ 1201 . Diese Terminologieschöpfung nach Kutschera wird in der vorliegenden Studie nicht übernommen, denn erstens können bei der Integrierung des Terminus Prädikat nach Kutschera in die Fregesche Theorie unter der Extension eines Prädikats im strengsten Sinne des Wortes nicht nur die Gegenstände des Begriffsumfangs, sondern auch der Begriff selbst verstanden werden (s. u. Abb. 6). Zudem verwendet Kutschera das Wort Bedeutung in einem anderen Sinn als Frege, nämlich um generell auf Inhalte zu referieren, nicht nur auf Extensionen in der außersprachlichen Wirklichkeit oder bezeichnete Denotate bzw. Wahrheits- 1197 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 30 f.) 1198 C ORMEN et al. (2013: 1177) 1199 Vgl. hierzu Churchs Explikation mit der Betonung auf die Extensionen der Funktionen: „ two functions f and g are the same if they have the same range of arguments and, for every element a that belongs to this range, (fa) is the same as (ga). When this is done, we shall say that we are dealing with functions in extension. “ (C HURCH (1965 [1941]: 2 f.)) 1200 R ASCHAUER (2015: 293) 1201 K UTSCHERA (1976: VIII) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 233 <?page no="234"?> werte. 1202 Kutschera zitiert Frege, indem er erwähnt, Begriffe seien Bedeutungen, d. h. gewissermaßen Extensionen von Prädikaten: „ Man bezeichnet üblicherweise Begriffe als Bedeutungen von Prädikaten und Propositionen oder Sachverhalte als Bedeutungen von Sätzen. “ 1203 Kutschera geht hier jedoch gleichzeitig nicht ausreichend darauf ein, dass Frege zwischen Sinn, Bedeutung, Gedanken, bezeichneten und behaupteten Bedeutungen sowie Wahrheitswerten unterscheidet, was wiederum Kutscheras eigener verwendeten Benennung extensionsgleich widerspricht, denn die von Frege angesprochene Beziehung zwischen Begriffen meint eine Gleichheit zwischen deren Begriffsumfängen, bestehend aus Werten und Bedeutungen, nicht eine Gleichheit von verschiedenen Begriffen als Extensionen von Prädikaten. Zweitens ist die Wortbildung extensionsgleich für diesen Sachverhalt nicht probat, da es sich bei diesem Wort um die Bezeichnung einer Gleichheit handelt, die damit eventuell unintendiert auch den Begriffen nachgesagt wird. Es ist unter entsprechenden Umständen richtig, zu sagen, zwei Begriffsumfänge sind gleich oder zwei Extensionen sind gleich, doch zwei Begriffe können nicht unmissverständlich extensionsgleich, im eigentlichen Sinn des Adjektivs sein, da sie nicht gleich sein können. Stattdessen ist es deshalb unter Umständen treffender, zu formulieren, dass zwei Begriffe wertekongruent (lat.: congruere; dt.: übereinstimmen) und zwei Extensionen gleich sind. Der Umstand, dass unbeschadet der extensionalen Wahrheit in jedem Satz Begriffswörter einander vertreten können, wenn ihnen derselbe Begriffsumfang zukommt, scheint nach Frege sehr zu Gunsten der Logiker des Umfangs, d. h. der extensionalen Logik zu sprechen. 1204 Dennoch spricht für die Logiker des Inhalts, d. h. für die intensionale Logik, Folgendes: „ Es muss von jedem Gegenstand bestimmt sein, ob er unter den Begriff falle oder nicht; ein Begriffswort, welches dieser Anforderung an seine Bedeutung nicht genügt ist bedeutungslos. Dahin gehört auch z. B. das Wort ‚μϖλυ‘ [der Name einer Pflanze, welche Odysseus von Hermes erhält, um sich vor Circe schützen zu können] (Homers Od. X, 305), obwohl ja einige Merkmale angegeben sind. Darum braucht jene Stelle noch nicht sinnlos zu sein, ebensowenig wie andere, in denen der Name ‚ Nausikaa ‘ vorkommt, der wahrscheinlich nichts bedeutet oder benennt. Aber er tut so, als benenne er ein Mädchen, und damit sichert er sich einen Sinn. “ 1205 1202 K UTSCHERA (1976: VIII) 1203 K UTSCHERA (1976: IX); vgl. F REGE (2002 [1892]b: 53) 1204 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 25, 31 - 33) 1205 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 32, vgl. 31 - 34) 234 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="235"?> An anderer Stelle äußert Frege: „ Der Gedanke bleibt derselbe, ob der Name ‚ Odysseus ‘ eine Bedeutung hat oder nicht. “ 1206 Frege betont: „ Die Logik muß sowohl vom Eigennamen als auch vom Begriffsworte fordern, daß der Schritt vom Worte zum Sinne und der vom Sinne zur Bedeutung unzweifelhaft bestimmt sei. Sonst würde man gar nicht von einer Bedeutung sprechen dürfen. Das gilt natürlich von allen Zeichen und Zeichenverbindungen, die denselben Zweck wie Eigennamen oder Begriffswörter haben. “ 1207 Angesichts des Begriffs kann anschließend gefragt werden, ob ein Gegenstand unter ihn falle oder mehrere oder keiner. 1208 Frege stellt fest: „ Aber dies [das Fallen eines, keines oder mehrerer Gegenstände unter den Begriff] geht unmittelbar nur den Begriff an. So kann ein Begriffswort logisch durchaus unanfechtbar sein, ohne dass es einen Gegenstand gibt, auf den es sich durch seinen Sinn und seine Bedeutung (den Begriff selbst) hindurch beziehe. Diese Beziehung auf einen Gegenstand ist, wie man sieht, eine mehr vermittelte und unwesentliche, so daß es wenig passend scheint, die Begriffswörter danach einzuteilen, ob unter den entsprechenden Begriff kein oder ein oder mehrere Gegenstände fallen. “ 1209 Die intensionale Logik der Inhaltslogiker hat also insofern einen Vorteil gegenüber der extensionalen Logik der Umfangslogiker, da der Begriff selbst gegenüber seinem Umfang das Ursprüngliche ist und ein Begriffswort mitunter einen Begriff als Bedeutung besitzen kann. Frege erklärt, dass die wissenschaftliche Bedeutung des Begriffswortes weder aus einem Gegenstand noch aus mehreren besteht, sondern ein Begriff ist, dennoch ist diese Bedeutung des Begriffswortes im spezifisch wissenschaftlichen Gebrauch der Begriff. Frege meint damit in etwas doppeldeutiger Formulierung, dass ein Begriffswort im wissenschaftlichen Gebrauch nicht unmittelbar einen Begriffsumfang bedeutet, sondern selbst einen intensionalen Begriff bedeuten kann: „ Auch das Begriffswort muß einen Sinn und für den wissenschaftlichen Gebrauch eine Bedeutung haben; aber diese besteht weder aus einem Gegenstande noch aus mehreren, sondern ist ein Begriff. “ 1210, 1211 (Abb. 6) 1206 F REGE (2002 [1892]a: 30) 1207 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34) 1208 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34) 1209 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34) 1210 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 34) 1211 Vgl. hierzu a. die Ontologie nach Frege und Church, in welcher Konzepte von Namen zu Namen von höherstufigen Konzepten werden, s. 5.7.3. 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 235 <?page no="236"?> Abb. 6: Das Begriffswort Die extensionale Logik der Umfangslogiker hingegen scheint der Wahrheit näher zu kommen, da die Bedeutungen als Wahrheitswerte dem Begriffsumfang angehören, und sie den Umfang als das Wesentliche ansehen, der jedoch nicht der Begriff selbst ist. 1212 Wenn die Begriffe und Strukturen der natürlichen Sprache untersucht und ergründet werden sollen, eignen sich aus diesem Grund intensionallogische Analysen und formale Deskriptionen innersprachlicher Relationen eher als extensionallogische Analysen, da diese eigentlich nicht die Sprache selbst, sondern die durch die natürliche Sprache bezeichnete extensionale Dimension der außersprachlichen Wirklichkeit und die Relationen zwischen ihren Gegenständen observieren und beurteilen. 5.6.6 Bezeichnete Wahrheitswerte gesättigter Begriffe φ (s) Eine umfassende Definition von Logik 1213 , welche über die Schnittstelle zwischen natürlicher Sprache, Syntax und Prädikationsbzw. Begriffstheorie hinausgeht, wird in der vorliegenden Studie nicht vertreten und nicht vorgeschlagen, da diese sich primär als Beitrag zur Grammatik- und Sprachinhaltsforschung versteht und nicht als Beitrag zur Logik selbst. Zusammenfassend werden einige Positionen Freges präsentiert, welche die syntaktische und semantische Analyse der Linguistik zu logischen Fragestellungen in Bezug setzen. So stellt Frege an einigen Stellen fest, dass Logik die Wissenschaft des Wahrseins sei 1214 : „ Die Logik ist die Wissenschaft der allgemeinsten Gesetze des Wahrseins. “ 1215 Dennoch ist es nach Frege vergeblich, eine Definition dessen aufstellen zu wollen, was wahr sei, was er im Hinblick auf die extensionale Ebene anspricht: „ Wollte man etwa sagen: ‚ wahr ist eine Vorstellung, wenn sie 1212 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 ff.) 1213 Vgl. z. B. H INTIKKA / S ANDU (2007); F REGE (2001 [1882]); vgl. F REGE (2001 [1897]) 1214 F REGE (2001 [1882]: 24) 1215 F REGE (2001 [1897]: 39); vgl. F REGE (2002 [1892]a: 34) 236 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="237"?> mit der Wirklichkeit übereinstimmt ‘ , so wäre damit nichts gewonnen, denn, um dies anzuwenden, müßte man in einem gegebenen Falle entscheiden, ob eine Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme, mit anderen Worten: ob es wahr sei, daß die Vorstellung mit der Wirklichkeit übereinstimme. Es müßte also das Definierte selbst vorausgesetzt werden. “ 1216 Des Weiteren erklärt Frege, Wahrheit sei etwas derart Ursprüngliches und Einfaches, dass eine Zurückführung auf noch Einfacheres nicht möglich sei 1217 , dass das Prädikat wahr keinen Grad habe 1218 und dass das Prädikat wahr sich von allen anderen Prädikaten darin unterscheide, „ daß es immer mit ausgesagt wird, wenn irgend etwas ausgesagt wird. “ 1219 Aus diesem Zitat Freges, das keinen Assertionsmoment in der Aussage gemäß Abaelard oder der Logik von Port-Royal veranschlagt, wird für die vorliegende Untersuchung das Prädikat gültig 1220 oder das Prädikat intensional wahr (w 1 ) abgeleitet, um eine Gültigkeit bzw. Wahrheit (w 1 ) auf Begriffsebene von dem extensionalen Wahrheitswert (w 2 ) zu unterscheiden (s. u. Abb. 8) (s. 5.2). Das Urteilen erläutert Frege als etwas, das entweder durch Zurückgehen auf schon anerkannte Wahrheiten oder ohne Benutzung anderer Urteile gerechtfertigt wird, wobei nur der erstere Fall, das Folgern, Gegenstand der Logik sei. 1221 Die Befolgung logischer Gesetze garantiert die Wahrheit eines Urteils, ist jedoch von der Wahrheit der vorausgesetzten Annahmen unabhängig: „ Die Befolgung der logischen Gesetze kann die Wahrheit eines Urteils nur insoweit verbürgen, als die Urteile wahr sind, auf die man zur Rechtfertigung zurückgeht. “ 1222 Ebenso konstatiert Frege: „ Die Aufgabe der Logik ist die Aufstellung der Gesetze, nach denen ein Urteil durch andere gerechtfertigt wird, einerlei, ob jene selbst wahr sind. “ 1223 Dennoch schlägt Frege vor, Eigennamen und Begriffe zu verwerfen, welche kein extensionales Denotat haben: „ Wenn es einem auf die Wahrheit ankommt - und auf die Wahrheit zielt die Logik hin - muß man auch nach den Bedeutungen fragen, muß man Eigennamen verwerfen, welche keinen Gegenstand bezeichnen oder benennen, wiewohl sie einen Sinn haben mögen; muß man Begriffswörter verwerfen, die keine Bedeutung haben. Das sind nicht etwa solche, die Widersprechendes vereinigen - denn ein Begriff kann recht wohl leer ein - sondern solche, bei denen die Umgrenzung verschwommen 1216 F REGE (2001 [1897]: 39) 1217 F REGE (2001 [1897]: 39) 1218 F REGE (2001 [1897]: 43) 1219 F REGE (2001 [1897]: 39) 1220 Vgl. P ERLER (1998: 50) 1221 F REGE (2001 [1882]: 24) 1222 F REGE (2001 [1882]: 24) 1223 F REGE (2001 [1882]: 24) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 237 <?page no="238"?> ist. “ 1224 Gleichzeitig erklärt Frege: „ Namen, die den Zweck verfehlen, den ein Eigenname zu haben pflegt, nämlich etwas zu benennen, mögen Scheineigennamen heißen. “ 1225 An anderer Stelle betont Frege die Sinnhaftigkeit von Phantasienamen (z. B. Nausikaa), obgleich sie keine Bedeutung haben und spricht von der logischen Unanfechtbarkeit von Begriffen ohne Gegenstände in ihren Begriffsumfängen sowie von der Sinnhaftigkeit der Namen (z. B. Odysseus) und ihrem elementaren Beitrag zum Gedanken, ungeachtet dessen, ob diese Namen eine Bedeutung haben oder nicht. 1226 (S. 5.6.5) Dabei sind aufgrund ihres Sinns die Eigennamen wesentlicher für den Gedanken als ihre Bedeutung: „ Die beiden Sätze ‚ Der Abendstern ist derselbe wie der Abendstern ‘ und ‚ Der Abendstern ist derselbe wie der Morgenstern ‘ unterscheiden sich nur durch einen Eigennamen von derselben Bedeutung. Dennoch drücken sie verschiedene Gedanken aus. Es muß also der Sinn des Eigennamens der Abendstern verschieden sein von dem Sinne des Eigennamens der Morgenstern. “ 1227 Allerdings ist apperzipierbar, dass Frege in seinen Versuchen, das Wesen der Logik zu fassen, sich an den Umfangslogikern orientiert, deren Suche nach der extensionalen Wahrheit, welche auch das Potential hat, die traditionelle Urteilslehre mit einem kopulativen Assertionsmoment zu erzwingen, er anerkennt. 1228 Dabei setzt Frege seine eigene Theorie von der Trennung zwischen Sinn und Bedeutung, der Nachgeordnetheit des Urteils, von dem Primat des logisch unanfechtbaren Begriffs sowie von den sinnhaften Zeichen und damit seine ontologischen Annahmen zu denselbigen nicht konsequent um. Nun ist jedoch hervorzuheben, dass die Sinnstruktur, d. h. der Gedanke nach Frege zur Ermittlung des Wahrheitswertes im Urteil ausschlaggebend ist. 1229 Nachdem diese Interaktion zwischen Bedeutungs- und Sinnebene etabliert wurde, ist für eine linguistische Untersuchung eine Auflösung darin erkennbar, das Wesen der Logik nicht als die Wissenschaft des Wahrseins in der extensionalen Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit zu definieren, sondern als Wissenschaft des Wahrheitswertes in der extensionalen Ebene der außersprachlichen Wirklichkeit zu begreifen. Auf diese Weise wird ein Hineinwirken eines angestrebten extensionalen Wahrheitswertes wahr in die Formulierung natürlichsprachlicher Aussagesätze obsolet. Es können extensional wahre oder extensional falsche Aussagen in syntaktischer Wohlgeformtheit als grammatikalisch rich- 1224 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 f.) 1225 F REGE (2001 [1897]: 41) 1226 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34); F REGE (2002 [1892]a: 30) 1227 F REGE (2001 [1906]: 85) 1228 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 25, 31 - 34) 1229 F REGE (2002 [1892]a: 32); F REGE (2002 [1892]b: 54) 238 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="239"?> tige Aussagesätze ausgedrückt werden. Damit ist ein unabdingbarer erster Schritt zur Beachtung der Form sowie der Logik, festzustellen, was ausgesagt wird und wie sich der ausgedrückte Gedanke auf Sinnebene präsentiert. Frege indiziert dies mit dem Hinweis darauf, dass ein Begriff scharf umgrenzt sein muss, um einen Sinn zu haben sowie mit einer Erwähnung der Grammatizität. 1230 Dieses Finden der Art der Zerlegung eines Gedankens und der scharfen Umgrenzungen der Begriffe sowie die Feststellung des grammatikalischen Aufbaus einer natürlichsprachlichen Aussage, welche einen Gedanken erfasst, sind anhand einer Betrachtung der innersprachlichen Bedeutungen 1231 von Zeichen (z. B. morphosyntaktische Merkmale; Wortart; syntaktische Funktion) und der innersprachlichen Relationen der Zeichen eines Aussagesatzes zueinander (z. B. Rektionsverhältnisse; Kongruenzverhältnisse), d. h. durch eine geeignete linguistische Analyse der syntaktischen Struktur eines Aussagesatzes zu erreichen und bilden die Vorstufe für jede weitere logische Konsideration. Dass ein ausgedrückter natürlichsprachlicher Aussagesatz ein Gedanke nach Frege sein kann, expliziert er folgendermaßen: „ Was falsch ist, rechne ich also ebenso zu den Gedanken, wie das, was wahr ist. [ … ] Der an sich unsinnliche Gedanke kleidet sich in das sinnliche Gewand des Satzes und wird damit faßbarer. Wir sagen, der Satz drücke einen Gedanken aus. “ 1232 Um einleitend die Gedanken nach Frege einem Mentalismus oder Psychologismus zu entheben, erachtet es Frege als erwähnenswert, dass die Gesetze der Logik nicht durch psychologische Untersuchung gerechtfertigt werden können. 1233 (S. 5.6.1) Des Weiteren erläutert Frege in seinem Werk Grundgesetze der Arithmetik: „ Weil die psychologischen Logiker die Möglichkeit des objectiven Nichtwirklichen verkennen, halten sie die Begriffe für Vorstellungen und weisen sie damit der Psychologie zu. Aber die wahre Sachlage macht sich doch zu mächtig geltend, als dass dies leicht durchzuführen wäre. “ 1234 Frege grenzt die Logik deutlich von der Psychologie ab: „ Wenn man statt der Dinge selbst nur ihre subjectiven Abbilder, die Vorstellungen betrachtet, gehen natürlich alle feineren sachlichen Unterschiede verloren, und es treten dafür andere auf die logisch völlig werthlos sind. “ 1235 Beim Denken werden keine Vorstellungen verknüpft, sondern Dinge, Eigenschaften von Gegenständen, Merkmale von 1230 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 33); F REGE (2002 [1892]a: 25) 1231 Mit dem Begriff Bedeutung sind hier nicht die fachsprachlichen, außersprachlichen Bedeutungen der extensionalen Denotationsebene nach Frege gemeint. 1232 F REGE (2003 [1918 - 1919]a: 38 f.) 1233 F REGE (2001 [1882]: 24); vgl. F REGE (2001 [1897]: 39); vgl. F REGE (2002 [1891]: 5); vgl. F REGE (2002 [1904]: 67) 1234 F REGE (1962 [1893]: XVIII) 1235 F REGE (1962 [1893]: XIV) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 239 <?page no="240"?> Begriffen, Begriffe und Beziehungen. 1236 Aus diesem Grund ist der Gedanke nach Frege zudem etwas Unpersönliches. Der in der Formulierung 2 + 3 = 5 ausgedrückte Gedanke ist vollständig erkennbar, ungeachtet dessen, welche Person den Satz äußert, eine Tatsache, welche die Pragmatik irrelevant erscheinen lässt, und welche die Distinktion zwischen Wissenschaftssprache und Dichtung 1237 wie obig festgestellt, allein von einem logischen Aufbau abhängig macht. 1238 Da ein Gedanke als abgeschlossener Sinn bereits einen Wahrheitswert bezeichnet, ist er nach Frege somit von Vorstellungen und Anschauungen abzugrenzen. 1239 Der abgeschlossene Sinn muss als Gedanke und nicht als Bedeutung aufgefasst werden. 1240 Die Bedeutung folgt erst nach dem behaupteten Urteil. Um das Wesen des vollständigen Sinns und damit des Gedankens einsichtig zu machen, referiert Frege auf Dedekind. In seiner Schrift Was sind und was sollen die Zahlen? 1241 beweist Dedekind, dass die Gesamtheit aller Dinge, die ein Gegenstand s eines Denkens und damit einer Aussage φ (s), sein können, unendlich ist. Die Aussage φ (s) kann nun wiederum Gegenstand seines Denkens sein, d. h. der Gegenstand des Denkens ist der Gegenstand des Denkens. So ist der Ausdruck φ ( φ (s)) der Gedanke, dass das Argument s Gegenstand des Denkens sein könne, Gegenstand des Denkens sein könne, wonach die Gedanken φ ( φ ( φ (s))); φ ( φ ( φ ( φ (s)))); φ ( φ ( φ ( φ ( φ (s)))) usw. gedacht werden können. 1242 Für eine schlüssige Beweisführung erwähnt Frege lediglich folgende Bedingung: „ Für den Beweis ist es wesentlich, daß der Satz ‚ s kann Gegenstand des Denkens des Herrn Dedekind sein ‘ immer einen Gedanken ausdrückt, sobald der Buchstabe ‚ s ‘ einen solchen Gegenstand bezeichnet. “ 1243 Es ist darum lediglich notwendig, dass der Sinn dieses Satzes mit dem Gegenstand s zu einem Gedanken φ (s) vervollständigt wird. Dedekinds zu beweisende Annahme ist nun, dass es unendlich viele Gegenstände des Denkens gebe, weswegen es unendlich viele solcher Gedanken φ (s) gibt. Nun können unendlich viele Gedanken weder von Herrn Dedekind selbst noch von anderen je gedacht worden sein, denn damit wäre das zu Beweisende eine Voraussetzung. Aus diesem Grund muss es in der unendlich langen Reihe …φ ( φ ( φ ( φ ( φ (s))))) … unendlich viele Gedanken φ ( … (s)) … geben, die nicht gedacht wurden, was zu einem Abbruch der Reihe führen würde, wenn das Gedachtwerden Voraus- 1236 F REGE (2001 [1882]: XIV, 23) 1237 Vgl. F REGE (2001 [1906]) 1238 F REGE (2001 [1906]: 47 f.); vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34) 1239 F REGE (2001 [1897]: 42 f.) 1240 F REGE (2002 [1892]a: 29) 1241 D EDEKIND (1923) 1242 D EDEKIND (1923: 17 f., § 5, Satz 66) 1243 F REGE (2001 [1897]: 50, *) 240 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="241"?> setzung für die Existenz des Gedankens wäre. Ähnlich eines Gliedes jener Potenzreihe, die nicht für jeden Wert konvergiert und deren Divergieren dem Bedeutungsloswerden eines Gliedes entspräche, würde ein Zeichen φ (s) bedeutungslos werden, wenn es nur gedachte Gedanken gäbe. So schließt der Beweis Dedekinds, dass die Gedanken unabhängig vom Denken bestehen. 1244 Frege erläutert: „ Ein Naturgesetz wird nicht von uns ersonnen, sondern entdeckt. Und wie eine wüste Insel im Eismeer längst da war ehe sie von Menschen gesehen wurde, so gelten auch die Gesetze der Natur und ebenso die mathematischen von jeher und nicht erst seit ihrer Entdeckung. Wir entnehmen hieraus, daß Gedanken nicht nur, falls sie wahr sind, unabhängig von unserer Anerkennung wahr sind, sondern, daß sie [überhaupt unabhängig] [Im Manuskript steht: überhaupt, unabhängig] von unserem Denken sind. “ 1245 Wesentlich für die Gedanken ist demnach, dass sie Bestand haben. Als weitere Auffälligkeit ist erkennbar, dass das Prädikat falsch im eigentlichen Sinn nur auf Gedanken anwendbar ist, denn auf der extensionalen Ebene ist nichts manifestiert, das falsch ist. 1246 Aus demselben Grund ist auch ersichtlich, dass Begriffe, die keine Bedeutung bezeichnen, nicht jene sind, die keine extensionalen Referenten aufweisen können, d. h. keine Entitäten in ihrem Begriffsumfang aufweisen oder Widersprüchliches vereinen, sondern jene, die nicht scharf umgrenzt sind (s. o.). 1247 In diesem Fall ist der ausgedrückte Gedanke unklar, was Verschulden desjenigen Sprechers ist, der das gesättigte unscharfe Begriffswort äußert: „ was man die Klarheit der Gedanken nennt, ist eigentlich eine Vollkommenheit der Aneignung, der Auffassung der Gedanken in unserem Sinne des Worte, nicht eine Eigenschaft der Gedanken. “ 1248 Im anschließend wiedergegebenen Zitat erklärt Frege den Erkenntniswert des Sinns eines Ausdrucks, welcher gegenüber dem Erkenntniswert der Bedeutung nicht zu diskriminieren ist: „ Wenn wir den Erkenntniswert von ‚ a = a ‘ und ‚ a = b ‘ im allgemeinen verschieden fanden, so erklärt sich das dadurch, daß für den Erkenntniswert der Sinn des Satzes, nämlich der in ihm ausgedrückte Gedanke, nicht minder in Betracht kommt als seine Bedeutung, das ist sein Wahrheitswert. “ 1249 Frege konstatiert nun Folgendes: „ ich nenne nun den Sinn eines Behauptungssatzes Gedanken. Gedanken sind z. B. Naturgesetze, mathemati- 1244 F REGE (2001 [1897]: 50 f., *) 1245 F REGE (2001 [1897]: 46) 1246 Vgl. die Erklärungen zu Wittgensteins Satz 4.024 im Tractatus logico-philosophicus, s. 5.6.5. 1247 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 32) 1248 F REGE (2001 [1897]: 53) 1249 F REGE (2002 [1892]a: 45 f.) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 241 <?page no="242"?> sche Gesetze, geschichtliche Tatsachen; alle diese finden ihren Ausdruck in Behauptungssätzen. Nun kann ich genauer sagen: Das Prädikat wahr ist auf Gedanken anwendbar. “ 1250 Doch dem fügt Frege mahnend hinzu: „ Es wäre falsch zu meinen, daß nur die wahren Gedanken einen von unserem Seelenleben unabhängigen Bestand hätten, daß die falschen dagegen wie die Vorstellungen unserem Inneren angehörten. Fast alles, was wir vom Prädikate wahr gesagt haben, gilt auch von Prädikate falsch. “ 1251 Frege spricht hier vom extensionalen Wahrheitswert, welcher von einem Gedanken bezeichnet wird. Wie obig zitiert, begründet Frege mit Referenz auf Dedekinds Beweis einen besonderen ontologischen Status der Sinne von natürlichsprachlichen Ausdrücken, welche einen Gedanken erfassen. Nach Frege, der die eigene Herausstellung der Wichtigkeit einer extensionalen Interpretation der Logik später selbstkritisch hinterfragt 1252 , existieren jedwede Gedanken. Eine Einschränkung mentaler Aktivität oder der Expressivität eines Sprechers muss demzufolge in Freges Theorie nicht angenommen werden. Der Sinn eines Ausdrucks ist existent und erfasst einen extensional wahren oder extensional falschen Gedanken, wenn er aus scharf umgrenzten Begriffen zusammengesetzt ist und damit auf intensionaler Ebene begreifbar, d. h. verstehbar ist. Alle anderen natürlichsprachlichen, zusammengesetzten Ausdrücke erfassen keinen Gedanken. In der vorliegenden Studie sollen nun diejenigen Inhalte von Ausdrücken, welche einen Gedanken fassen, gemäß ihrem ontologischen Status markiert werden. Die obig bereits angesprochene Markierung wahr 1 (w 1 ) erklärt die Existenz der einen Gedanken fassenden Sinnstruktur. Wenn eine natürlichsprachliche Zeichenkombination keinen Sinn mit scharf umgrenzten Begriffen ausdrückt und deshalb keinen Gedanken erfasst, so wird diese Sinnstruktur mit dem Prädikat falsch 1 (f 1 ) gekennzeichnet, da ihr kein existierender Gedanke zugeordnet werden kann. Zu resümieren ist: Falls ein natürlichsprachlicher Ausdruck aus mindestens einem scharf umgrenzten, klaren Begriff besteht, d. h. auch bezüglich diesem grammatikalisch richtig gebildet und gesättigt ist, manifestiert diese Zeichenverbindung eine Sinnstruktur, die einen Gedanken erfasst, welcher auf intensionaler Ebene immer wahr 1 (w 1 ) ist, da alle Gedanken nach Dedekind einen vom Träger sowie vom Denken unabhängigen Bestand haben. Grammatikalisch inkorrekt gebildete Zeichenverbindungen manifestieren ebenfalls Sinne, jedoch führen alle möglichen Zerlegungen zu unscharfen Begriffen, sodass kein einziger scharf umgrenzter, gesättigter Begriff in der Zeichenverbindung erkennbar ist, weswegen es sich in diesem Fall nicht um 1250 F REGE (2001 [1897]: 42; vgl. 46) 1251 F REGE (2001 [1897]: 53 f.) 1252 Vgl. S CHÜLER (1983); vgl. S EEBOHM (1984: 220, 234) 242 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="243"?> einen Gedanken handelt, und diese Zeichenverbindung bereits auf intensionaler Ebene das Prädikat falsch (f 1 ) tragen muss, da sie keinen Bestand hat. Folgt man dem semiotischen Modell vom Zeichen zum Sinn zur Bedeutung und setzt dieses Dreieck mit dem Dreieck des Wesens des Begriffs als Begriffswort, Sinn und Begriff in Relation, so ergibt sich folgende Graphik (Abb. 7): Abb. 7: Ontologie des Gedankens Aus obigen Erörterungen geht hervor, dass die Markierung w 2 eine Teilmenge der Entitäten mit der Markierung w 1 im ersten Dreieck auszeichnet, d. h. zu jedem Behauptungssatz auf extensionaler Ebene mit dem Prädikat w 2 gehört ein Gedanke mit dem Prädikat w 1 , aber nicht zu jedem Gedanken mit dem Prädikat w 1 gehört ein Behauptungssatz mit dem Prädikat w 2 , sondern auch innerhalb eines Ausdrucks kann das Prädikat w 1 manchmal weiteren Teilen der Struktur zugeschrieben werden als das Prädikat w 2 . Doch einem Sinn oder einer Sinnstruktur mit dem Prädikat f 1 kann niemals ein Behauptungssatz auf extensionaler Ebene mit dem Prädikat f 2 entsprechen, da über derartige Sinne aufgrund ihrer Unschärfe und Unklarheit nicht geurteilt werden kann. 1253 Hingegen entspricht allen Behauptungssätzen mit dem Prädikat f 2 ein Gedanke als vollständige Sinnstruktur mit dem Prädikat w 1 . Dies meint, der Sinn kann durchaus über eine bestimmte Bedeutung bzw. über einen Wahrheitswert hinausgehen, indem der Sinn eines Aussagesatzes außer einen Gedanken, noch einen Teil eines anderen Gedankens umfasst. 1254 Demzufolge muss festgestellt 1253 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34) 1254 F REGE (2002 [1892]a: 45) 5.6 Die logische Prädikat-Argument-Struktur Freges 243 <?page no="244"?> werden, dass der Sinn zwar eine Vorstufe der Bedeutung ist, aber sich dennoch unabhängig von dieser konstituieren kann. Auf diese Weise ist der Sinn als strukturierende Ebene sowie als eigenständige, innersprachliche Dimension stärker als die Bedeutung 1255 , da er erstens das logisch Frühere ist und deshalb die Bedeutung vollständig von der Sinnstruktur und ihrer Komposition bzw. der Art ihrer Zerlegung abhängig ist 1256 , und er zweitens über den Gehalt eines Ausdrucks, der eine Bedeutung trägt, hinausgehen kann. 1257 Eine derartig detaillierte logizistische Grundlegung wie Frege sie für die Zahlen vorzunehmen versucht, arbeitet er für die Wortformen nicht aus. Da die vorliegende Studie nur Sinnstrukturen von Gedanken untersucht, deren Ausdruck im Sprachmaterial empirisch beobachtbar vorliegt, muss nicht notwendig ein traditioneller Platonischer Realismus herangezogen werden, um die Sinnstrukturen, welche für Gedanken stehen, zu legitimieren, sondern aus der angewandten Methode des Empirizimus in Observation des physisch existenten Sprachmaterials ergibt sich ein Aristotelischer Realismus 1258 oder Physikalismus und insbesondere eine Beipflichtung zum Strukturalismus. Die logische Unanfechtbarkeit eines ungesättigten Begriffs (auch: Beziehung; Prädikat; Funktion) sowie eines (schrittweise) gesättigten, jedoch hinsichtlich seiner extensionalen Bedeutung unausgewerteten Begriffs (auch: Beziehung; Prädikat; Funktion) als existente, den Gegenständen oder niederstufigeren Begriffen (auch: Beziehung; Prädikat; Funktion) übergeordnete Entitäten, ist notwendig für die Ermittlung der Art der Zerlegung der Sinnstruktur, jedoch ist sie auch herleitbar, da diese logische Unanfechtbarkeit u. a. (s. 5.7.1) eine Konsequenz der Revision einer logische bzw. mathematische Gesetze ((i) die Definition einer mathematischen Funktion bzw. eines Begriffs; (ii) das Leibniz-Gesetz) (s. o. 5.6.4) brechenden traditionellen Urteilslehre (s. 5.6.4) sowie eine Folge der Nachordnung des Urteils nach Frege bzw. der Entfaltung des eingefalteten Urteils nach Pfänder (s. 5.8) und des Beweises Dedekinds 1259 (s. o.) darstellt. Es kann demzufolge als Hinweis auf eine Rechtfertigbarkeit eines Platonismus gewertet werden, dass extensional wahre (w 2 ) oder falsche (f 2 ) Gedanken, welche gemäß des Dedekindschen Beweises grundsätzlich von einem Träger und vom menschlichen Denken unabhängig und in unendlicher Anzahl existieren, nicht nur aus der Dimension mathematischer Sachverhalte, sondern auch aus der Dimension aller natürlichsprachlich ausdrückbaren Sachverhalte 1255 F REGE (2002 [1892]a: 45) 1256 F REGE (2002 [1892]a: 32); F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 f., 34) 1257 F REGE (2002 [1892]a: 45 f.) 1258 Vgl. z. B. M ILL (1843) 1259 D EDEKIND (1923: 17 f., § 5, Satz 66) 244 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="245"?> erfasst und formal auf Zeichenebene wiedergegeben werden können, was mit der Unendlichkeit ihrer Anzahl korrespondiert. 1260 5.7 Churchs λ -Abstraktor In obigen Darlegungen wurde präsentiert, dass Frege in der Notation außer dem Waagrechten (auch: Inhaltsstrich) keine gesonderte Kenntlichmachung einer intensionalen Dimension sowie intensionaler Einheiten und Strukturen oder ungesättigter Ausdrücke auf Sinnebene vorstellt. Daran anschließend greift Church in A formulation of the logic of sense and denotation Freges Theorie auf, um Strukturen auf intensionaler Ebene zu erforschen und mit Hilfe logistischer und formaler Methoden offenzulegen: „ Nevertheless, it seems that Frege would agree that intensional logic also must ultimately receive treatment by the logistic method. And it is the purpose of this paper to make a tentative beginning toward such a treatment, along the lines of Frege ’ s doctrine. “ 1261 Als ein Ansatzpunkt hierfür dient Church die Thematisierung der sogenannten Russellschen Antinomie. Kurz nach dem Erscheinen Freges Grundgesetze der Arithmetik behaupten Zermelo und Russell eine Antinomie in Freges Werk aufgefunden zu haben, was im Jahr 1903 als Russellsche Antinomie publiziert wurde. Die sogenannte Russellsche Antinomie zweifelte Grundlagen Freges Grundgesetze der Arithmetik insofern an, als sie bezüglich der Mengen von Gegenständen, über welchen ein Begriff oder eine Funktion operieren kann, Aussagen trifft, die angeblich eine Antinomie erzeugen. Frege äußerte sich dazu folgendermaßen: „ Einem wissenschaftlichen Schriftsteller kann kaum etwas Unerwünschteres begegnen, als daß ihm nach Vollendung einer Arbeit eine der Grundlagen seines Baues erschüttert wird. In diese Lage wurde ich durch einen Brief des Herrn Bertrand Russell versetzt, als der Druck dieses Bandes sich seinem Ende näherte. “ 1262 5.7.1 Die Theorie Russellscher Klassen Russell erläutert in seinem Werk The principles of mathematics die Herleitung dieser Russellschen Antinomie 1263 , wobei er die Benennung Prädikat (engl.: predicate) aus der traditionellen aristotelischen Syllogistik verwendet, die 1260 Vgl. B ALAGUER (2009) 1261 C HURCH (1951a: 3) 1262 F REGE (1962 [1893]: 253) 1263 R USSELL (1903: 106 f.) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 245 <?page no="246"?> sinngemäß Freges Funktion bzw. Begriff entsprechen soll, doch auf mögliche Verwechslungen von logischem Subjekt und logischem Prädikat des Ausdrucks, von logischem und grammatischem Prädikat sowie auf sonstige Ungenauigkeiten in der Identifizierung eines logischen Prädikats als auch auf die Befolgung Freges Kompositionsprinzips wird dieser Terminus Prädikat in Russells Argumentation nicht geprüft. 1264 Zunächst sei das nach obigen Darstellungen leicht einsehbare und als Satz formulierte Abstraktionsprinzip Freges b ∈ {a ∣ Φ (a)} ⇔ Φ (b) als grundlegend vorausgesetzt. Frege erläutert in Grundgesetze der Arithmetik dieses Abstraktionsprinzip. Es ist jedoch bei Frege kein Axiom, sondern ein Satz (Satz 5.), der aus anderen Axiomen abgeleitet wird. 1265 Dann 1266 gilt nach Russell: „ If x be a predicate, x may or may not be predicable of itself. Let us assume that ‚ notpredicable of oneself ‘ is a predicate. Then to suppose either that this predicate is, or that it is not, predicable of itself, is self-contradictory. The conclusion, in this case, seems obvious: ‚ not-predicable of oneself ‘ is not a predicate. “ 1267 Aus linguistischer und semiotischer Perspektive wird unter Heranziehung Freges Ausführungen diesbezüglich die Frage aufgeworfen, ob eine Übertragung des Verhältnisses zwischen Begriff (bzw. Prädikat) und gegenständlichem Argument auf das Verhältnis zwischen Begriffen (bzw. Prädikaten), die beide derart definiert sind, dass unter sie Gegenstände fallen, schlüssig ist. Zunächst ist zu rekapitulieren, dass nach Frege das Urteil der Sinnkonstitution nachzuordnen ist. Wenn die Nachgeordnetheit des Urteils nicht beachtet wird, synthetisiert sich ein gesättigter Begriff (bzw. Prädikat) sofort zu einem Gegenstand. Unter Berücksichtigung der Nachgeordnetheit des Urteils entstehen entweder Begriffe zweiter Stufe, die nur Begriffe erster Stufe annehmen, oder eine Prädikation ist nicht mehr möglich, da zwei Begriffe bzw. Prädikate erster Stufe vorliegen. Frege führt aus: „ Unter Eigenschaften, die von einem Begriffe [einem Begriff erster Stufe] ausgesagt werden [ausgesagt mittels eines Begriffs zweiter Stufe], verstehe ich natürlich nicht die Merkmale, die den Begriff zusammensetzen. Diese sind Eigenschaften der Dinge, die unter den Begriff fallen, nicht des Begriffes. “ 1268 Etwas detaillierter erklärt Frege dies in Über Begriff und Gegenstand im Jahr 1892: „ Die Beziehung eines Gegenstandes zu einem Begriffe erster Stufe, unter den er fällt, ist verschieden von der allerdings ähnlichen eines Begriffes erster Stufe zu einem 1264 Vgl. F REGE (2002 [1892]b: 54) 1265 F REGE (1962 [1893]: 51 f., Satz 5.) 1266 Vgl. R USSELL (1908: 250) 1267 R USSELL (1903: 102, § 101) 1268 F REGE (1884: 64) 246 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="247"?> Begriffe zweiter Stufe. Man könnte vielleicht, um dem Unterschiede zugleich mit der Ähnlichkeit gerecht zu werden, sagen, ein Gegenstand falle unter einen Begriff erster Stufe, und ein Begriff falle in einen Begriff zweiter Stufe. [ … ] Nach meiner Redeweise kann etwas zugleich Eigenschaft und Merkmal sein, aber nicht von demselben. Ich nenne die Begriffe, unter die ein Gegenstand fällt, seine Eigenschaften [die Eigenschaften des Gegenstands], so dass ‚Φ zu sein ist eine Eigenschaft von Γ‘ nur eine andere Wendung ist für ‚Γ fällt unter den Begriff des Φ‘ [ Φ ( Γ )] Wenn der Gegenstand Γ die Eigenschaften Φ , Χ und Ψ hat, so kann ich diese in Ω zusammenfassen, so daß es dasselbe ist, ob ich sage, Γ habe die Eigenschaft Ω , oder ob ich sage, Γ habe die Eigenschaften Φ und Χ und Ψ . Ich nenne dann Φ , Χ und Ψ Merkmale des Begriffes Ω und zugleich Eigenschaften von Γ . Es ist klar, daß die Beziehung von Φ zu Γ ganz verschieden ist von der zu Ω , und daß darum eine verschiedene Benennung geboten ist. Γ fällt unter den Begriff Φ ; aber Ω , das selber ein Begriff ist, kann nicht unter den Begriff erster Stufe Φ fallen, sondern könnte nur zu einem Begriffe zweiter Stufe in einer ähnlichen Beziehung stehen. Dagegen ist Ω dem Φ untergeordnet. “ 1269 In diesem Zitat darf nicht das Wort unter, welches in dem Satzteil unter den Begriff erster Stufe Φ fallen steht, mit der trennbaren Partikel unter der Verbform untergeordnet assoziiert werden. Der Begriff Ω fällt nicht unter den Begriff Φ , sondern der Begriff Ω fällt in den Begriff Φ und der Begriff Ω ist dem Begriff Φ untergeordnet (s. 5.6.4). 1270 Der Unterschied zwischen Begriff und Gegenstand ist demgemäß, dass ein Gegenstand keine Eigenschaften zuweist, sondern Eigenschaften zugewiesen bekommt. Die Eigenschaften eines Gegenstands a decken sich in der Komposition mit den Merkmalen des Begriffs erster Stufe. Die Eigenschaften eines inneren Begriffs erster Stufe Φ () werden ihm von den Merkmalen eines äußeren Begriffs zweiter Stufe zugewiesen. Bei der Zusammenfügung von Begriff und Argument decken sich die Eigenschaften des Arguments a mit den Merkmalen des Begriffs Φ (), unter den die Argumente fallen. 1271 Die Folge ist eine Niederschrift wie Φ (a). Nach Frege geht der Begriff seinem Begriffsumfang logisch voran. Ein Assertionsmoment zwischen Begriff Φ () und Argument a ist somit in der Komposition vorerst nicht vorhanden und der Ausdruck wird kein Gegenstand a ’ . Dies heißt, dass ein Urteil, ob die Deckung der Merkmale des Begriffs mit den Eigenschaften des Arguments wahr oder falsch, stimmig oder unstimmig, ist, findet auf intensionaler Ebene nicht statt. Die Deckung der Eigenschaften des Gegenstands a und der 1269 F REGE (2002 [1892]b: 56 f.) 1270 Vgl. diese Erklärungen zu den Eigenschaften eines Arguments und den Merkmalen eines Begriffs Freges mit der Intentionalität des Begriffs, welcher sich mittels seines begrifflichen Gehalts auf sein Argument bezieht und hierdurch eine Ebene der Intension konstituiert, s. 5.6.6; vgl. 6.2.2; 6.2.3. 1271 Vgl. F REGE (1884: 64 f., § 53); F REGE (2002 [1892]b: 56 ff.) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 247 <?page no="248"?> Merkmale des Begriffs Φ () ist aufgrund der Zusammenfügung durch eine wohlgeformte Zeichenbildung Φ (a) gegeben, und ein gewisser möglicher Sachverhalt wird hierdurch erfolgreich in einem vollständigen, klaren Gedanken bezeichnet. Dieser Gedanke hat Bestand und ist damit auf intensionaler Ebene wahr 1 (w 1 ), wenn der Begriff scharf ist (z. B. die Sonne ist quadratisch), selbst wenn der Begriff leer ist. Dieser letztgenannte Begriff ist als leer zu erachten, da es gemäß des allgemeinen, gegenwärtigen Weltwissens bzw. gemäß Beobachtung keine quadratische Sonne in der materiellen außersprachlichen Wirklichkeit gibt. Falsch 1 (f 1 ) auf der intensionalen Ebene sind in semiotischer und sprachphilosophischer Interpretation nach Frege jene Gedanken, die aus einem unscharfen Begriff entstehen. 1272 Im Falle eines natürlichsprachlichen Ausdrucks ist ein ungrammatischer Ausdruck (z. B. die Sonne [1. Pers. Sg.] seid [2. Pers. Pl.] quadratisch) kein scharfer Begriff, und dieser ist auf intensionaler Ebene nicht gültig (f 1 ) und hat keinen Bestand. Das nachgeordnete Urteil liefert für den Satz die Sonne ist quadratisch den Wahrheitswert (f 2 ; w 2 ) bzw. die Bedeutung, dieser gehört der extensionalen Ebene an und ist adaequatio intellectus et rei 1273 zu ermitteln. Thomas von Aquin formuliert hierzu: „ Respondeo dicendum quòd veritas consistit in adæquatione intellectùs et rei, sicut supra dictum est [ 1274 ] Intellectus autem, qui est causa rei, comparatur ad ipsam sicut regula et mensura. E converso autem est de intellectu, qui accipit scientiam à rebus. “ 1275 Nach Frege unterscheidet Husserl wie Schröder nicht hinreichend zwischen den Adjektiven unsinnig, einsinnig, mehrsinnig, undeutig, eindeutig und mehrdeutig. 1276, 1277 Ein Urteil mit dem extensionalen Wahrheitswert f 2 berührt jedoch nicht die kompositionell (auch: kompositional) vorhandene Deckung der Merkmale eines Begriffs mit den Eigenschaften des Arguments in einem zusammengefügten grammatischen bzw. mittels eines scharfen Begriffs formulierten Gedanken, der nach Frege im Falle grammatikalischer Korrektheit als wahr 1 (w 1 ) und bestehend angesehen werden kann. 1278 Nun erläutert Frege deshalb nachdrücklich, dass ein Begriff erster Stufe sehr verschieden von einem 1272 Vgl. F REGE (2002 [1892]a: 25) 1273 A QUINATIS (1880 [ca. 1225 - 1274]: 189, Quæst. XXI, Articulus II, vgl. 145 f., Quæst. XVI, Articulus IV) 1274 Vgl. A QUINATIS (1880 [ca. 1225 - 1274]: 145 f., Quæst. XVI, Articulus IV) 1275 A QUINATIS (1880 [ca. 1225 - 1274]: 189, Quæst. XXI, Articulus II) 1276 F REGE (2001 [1892 - 1895]: 33) 1277 Frege führt diese Anmerkung an dieser Stelle nicht näher aus, s. hierzu a. 6.4.1.2. 1278 Vgl. hierzu die Inhärenztheorie der Prädikation nach Moody (M OODY (1953: 32 - 38)) im Besonderen, s. a. 6.2.2; 6.2.3. 248 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="249"?> Begriff zweiter Stufe sei. Der innere Begriff Φ (), der in dem Ausdruck Μ ( Φ (a)) als Argument fungiert, besitzt für sich vorerst nur Merkmale und bringt nur Merkmale in die Komposition nach außen ein, keine Eigenschaften, während das Argument a unter einem Begriff erster Stufe Φ (a), Eigenschaften besitzt, die ihm der Begriff Φ () bezeichnend nach innen zuweist. Das Argument Φ (a) bzw. Φ () hat deshalb selbst nach außen keine ausgezeichneten Eigenschaften, lediglich jene ausgezeichneten Eigenschaften, die der Gegenstand a hat und die sich mit den Merkmalen des Begriffs Φ () decken. Wenn der innere Begriff Φ () in einem Begriff zweiter Stufe M() selbst zunächst keine ausgezeichneten Eigenschaften hat, sondern nur Merkmale, die Eigenschaften des Gegenstands a bezeichnen, so kann nicht eine Antinomie oder eine Behauptung aufgestellt werden, der innere Begriff Φ () könne eine oder mehrere Eigenschaften haben, die sich mit einem oder mehreren Merkmalen des nun angefügten äußeren Begriffs M() decken und zu diesem bzw. diesen in Widerspruch stünden, denn die Eigenschaften des inneren Begriffs Φ () werden ihm von dem äußeren Begriff M() zugewiesen. Mathematisch formuliert ist Russells Denkfigur ohnehin nicht möglich, da sich der innere Begriff ohne Vorrangigkeit des Begriffs vor seinem Umfang mit der traditionellen Urteilslehre unmittelbar zu einem Gegenstand a ’ synthetisiert, der nicht als Begriff fungieren kann. Falls er syntaktisch als äußerer Begriff positioniert bzw. identifiziert wird, was Russell vornimmt, ist dies natürlichsprachlich grammatisch formulierbar und der Gedanke hat Bestand, ist wahr (w 1 ) und gültig, doch es handelt sich bei der Entität in Position eines äußeren Begriffs um einen Gegenstand, der grundsätzlich nichts Eigenschaften zuweist. Falls eine Nachgeordnetheit des Begriffsumfangs nach seinem Begriff akzeptiert wird und die traditionelle Urteilslehre somit nicht greift, ergibt sich unweigerlich aus dieser sprachlich formulierten Denkfigur Russells ein Begriff zweiter Stufe M(). Falls eine Nachgeordnetheit des Begriffsumfangs nach seinem Begriff nicht akzeptiert wird und die traditionelle Urteilslehre greift, folgt also die Positionierung eines Gegenstands a ’ , d. h. des Bildes des Gegenstands a nach dem Ausdruck ( Φ (a)), in Position eines äußeren Begriffs. Beide Kompositionen sind vorstellbar und formulierbar, auch wenn sie extensional falsch wären. So ist der Fall *a ’ ( Φ (a)) wobei a ’ ein Gegenstand ist, sprachlich grammatisch formulierbar, mathematisch nicht wohlgeformt. Angenommen, die mathematische Fehlerhaftigkeit dieser Formulierung wird außer Acht gelassen, so ergibt sich im sprachlich formulierten Sachverhalt dennoch kein Widerspruch, denn der Gegenstand a ’ weist dem Begriff ( Φ (a)) keine Eigenschaften zu, die zu den Merkmalen des Begriffs Φ () im Widerspruch stehen könnten. Es ist sprachlich möglich, diese Komposition zu beschreiben, und die sprachliche Formulierung Russells Satz ist in Ordnung. Doch Russells Behauptung, er würde einen Widerspruch oder eine 5.7 Churchs λ -Abstraktor 249 <?page no="250"?> Unverträglichkeit ausdrücken, bezeichnen oder bedeuten, ist nicht zutreffend. Mathematisch ist der Ausdruck *a ’ ( Φ (a)) nicht wohlgeformt, nicht aufstellbar und drückt eine mathematische oder formale Unverträglichkeit aus. Der Vorteil der natürlichen Sprache ist, dass eine vermutete Antinomie, wie Russell sie vorschlägt, denkbar und grammatikalisch richtig formulierbar ist. Die sprachliche Formulierung ist somit nicht zu verwerfen, demonstriert aber nur entweder die notwendige Existenz von Begriffen zweiter Stufe Μ ( Φ (a)) oder keinen ausgedrückten, bezeichneten oder bedeuteten Widerspruch *a ’ ( Φ (a)), je nachdem ob die Vorrangigkeit des Begriffs vor seinem Umfang und eine Nachgeordnetheit des Urteils akzeptiert wird oder ob eine Vorrangigkeit des Begriffs vor seinem Begriffsumfang nicht akzeptiert wird und die traditionelle Urteilslehre vertreten wird. Ein Hinweis, dass Russells Denkfigur eine Antinomie bzw. einen Widerspruch oder eine Unverträglichkeit ausdrücken, bezeichnen oder bedeuten würde, weil die mathematische Formulierung nicht wohlgeformt ist, ist nicht gültig, da Russell seine Denkfigur ordentlich sprachlich sowie grammatikalisch richtig formulieren kann. Wie dargelegt, ergibt sich jedoch aus der sprachlichen Formulierung kein Widerspruch und keine Antinomie. Dieses sogenannte widersprüchliche oder antinomische Verhältnis in Russells Satz 1279 ist für Begriffe bzw. Prädikate (engl.: predicate) unter linguistischen und semiotischen Kriterien in Freges Sprachphilosophie nicht aufstellbar oder nicht vorhanden, da der innere Begriff über keine eigenen Eigenschaften verfügen kann, die sich mit den Merkmalen des äußeren Begriffs decken könnten, und - falls sie nicht zusammenpassen oder an irgendeiner Stelle eine Synthese der traditionellen Urteilslehre veranschlagt wird - einen Widerspruch oder Konflikt erzeugen könnten. Seine Eigenschaften als innerer Begriff werden ihm von dem Begriff zweiter Stufe M() gegeben und stellen demzufolge keinen Widerspruch oder Konflikt mit dem Begriff zweiter Stufe M() dar, weil sie von diesem selbst stammen. Oder die in Position des äußeren Begriffs entgegen der Regeln mathematischer Wohlgeformtheit angefügte Entität ist ein Gegenstand a ’ , welcher dem inneren Begriff gar keine Eigenschaften zuweist, woraus ebenfalls folgt, dass kein Konflikt mit den angeblichen Eigenschaften des inneren Begriffs Φ () entstehen kann. Diejenigen Eigenschaften, die der innere Begriff Φ () dem Gegenstand a zuweist, sind des Weiteren diesselben Eigenschaften, die der Gegenstand a ’ hat, so entsteht selbst bei dieser Möglichkeit, die nicht nur mathematisch nicht wohlgeformt, sondern auch begriffstheoretisch nicht möglich ist, aber gedacht und sprachlich formuliert werden kann, sprachlich kein Widerspruch oder Konflikt. In Übereinstimmung mit Churchs Benennung Paradox ist auch aus linguistischer und 1279 R USSELL (1903: 102, § 101) 250 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="251"?> semiotischer Perspektive demzufolge die sogenannte Russellsche Antinomie im Rahmen Freges Theorie hinsichtlich der Begriffe bzw. Prädikate demzufolge keine Antinomie, sondern, unter Nichtbeachtung des Unterschieds zwischen der mathematischen Formulierung und der natürlichsprachlichen Formulierung ein Paradox 1280, 1281 oder ein Wortspiel, eine Verwechslung von grammatischem Prädikat, logischem Prädikat und logischem Subjekt. Russell bemüht sich außerdem, die von ihm vermutete Antinomie und ihre Widersprüche auf Klassen und seine sogenannten Klassenkonzepte (engl.: class-concepts) (s. 5.5.2) zu übertragen. 1282 Bezüglich Klassen oder Klassenkonzepte, deren Erforschung zudem zur Zeit Freges noch nicht abgeschlossen war, kann aufgrund der Komplexitiät der verschiedenen mathematischen Ansichten über Klassen in der vorliegenden Studie keine Erörterung aus semiotischer oder linguistischer Sicht vorgeschlagen werden. 1283 Festzuhalten ist, dass Russell in einem Brief an Frege seine behauptete Antinomie auf folgende Art und Weise mitteilt: „ Sei ω das Prädikat, ein Prädikat zu sein, welches von sich selbst nicht prädiziert werden kann. Kann man ω von sich selbst prädizieren? “ 1284 Frege antwortet daraufhin: „ Übrigens scheint mir der Ausdruck ‚ Ein Prädikat wird von sich selbst prädiziert ‘ nicht genau zu sein. Ein Prädikat ist in der Regel eine Funktion erster Stufe, die als Argument einen Gegenstand verlangt, und nicht sich selbst als Argument (Subjekt) haben kann. Ich möchte lieber sagen ‚ Ein Begriff wird von seinem Umfange prädiziert ‘ . “ 1285 Sluga kommentiert hierzu: „ Frege hatte unmittelbar erkannt, daß in seinem System rein prädikatenlogische Antinomien nicht auftreten können. Der Grund dafür ist derselbe wie im System der Principia Mathematica, nämlich daß Frege über eine Typentheorie verfügte, zumindest im Bereich der Prädikatenlogik. Nun besaß Frege aber im Bereich der Klassenlogik nichts Ähnliches, und so mußte er die Möglichkeit zugeben, in seinem System klassenlogische Antinomien abzuleiten. “ 1286 Außerdem merkt Sluga an, Russell wäre teilweise „ auf Antinomien gestoßen [ … ], die nicht mehr logischen, sondern semantischen Charakters sind. “ 1287 1280 C HURCH (1932: 347); vgl. C HURCH (1993: 148) 1281 Church betont den intensionallogischen Ansatz in Freges sprachphilosophischen Erläuterungen. 1282 R USSELL (1903: 102, § 101) 1283 Vgl. in der Mathematik das Zornsche Lemma; vgl. in der Mathematik den Wohlordnungssatz, vgl. S IERPI Ń SKI (1947). 1284 F REGE / R USSELL (1902: Brief 16.06.1902), zit. nach S LUGA (1962: 198) 1285 F REGE / R USSELL (1902: Brief 22.06.1902), zit. nach S LUGA (1962: 199) 1286 S LUGA (1962: 199) 1287 S LUGA (1962: 206) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 251 <?page no="252"?> Eine Vermeidung des von Russell behaupteten Paradoxons (auch: sogenannte Russellsche Antinomie) mittels einer richtigen Verortung der Assertion bzw. des Urteils als logisch dem Begriff bzw. der Funktion nachgeordnet, mittels einer Einschränkung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, mittels einer Anerkennung der intensionalen Dimension von Bedeutungen und Zeichen sowie mittels der Notation mit dem Abstraktionsoperator λ (s. 5.7.2) und der einfachen Typentheorie, die nachfolgend vorgestellt sei, (s. 5.7.3) ist mit Freges Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung und seiner Lehre über das Urteil in seinen Schriften in weiten Teilen verträglich, da diese das Urteil als das logisch Spätere nach der Konstitution des Fregeschen Gedankens verorten und anhand einer Unterscheidung verschiedener Typen bzw. Stufen eine herleitbare (s. o.) intensionale Ebene markieren. 5.7.2 Die formalisierte Sprache mit λ -gebundenen Argumenten In A set of postulates for the foundations of logic schlägt Church in Jahr 1932 eine Lösung zur Vermeidung der sogenannten Russellschen Antinomie vor, die sich nach eigenen Aussagen von jener Russells 1288 und jener Zermelos 1289 unterscheidet. 1290 Bezüglich der Entscheidung innerhalb einer zweiwertigen Booleschen Logik, ob ein Prädikat Prädikat seiner selbst sein könne oder nicht, setzt Churchs Lösung bei einer Durchbrechung der zweiwertigen booleschen Logik (s. 5.5), die auf extensionaler Ebene anerkannt wird, mittels einer Einschränkung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten, an 1291, 1292 : „ This restriction consists in leaving open the possibility that a propositional function F may, for some values X of the independent variable, represent neither a true proposition nor a false proposition. “ 1293, 1294 Die Einschränkung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten trennt demnach die Assertion eines Wahrheitswertes wahr oder falsch von dem Ausdruck und gibt die Möglichkeit frei, doch ein Drittes anzunehmen, nämlich, dass noch keine Assertion bzw. kein Urteil stattgefunden hat, was bezüglich Freges Werk dem logisch Früheren und in Fregescher Terminologie dem Sinn entsprechen kann. Der von einer Assertion getrennte Ausdruck wird mittels der Schreibweise gekennzeichnet und mit dem Abs- 1288 R USSELL (1908); vgl. R USSELL / W HITEHEAD (1963 [1925 - 1927]: 63 f.) 1289 Z ERMELO (1908b); vgl. Z ERMELO (1908a) 1290 C HURCH (1932: 347) 1291 F REGE / R USSELL (1902: Brief 23.09.1902), zit. nach S LUGA (1962: 207) 1292 Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist eine Tautologie in der zweielementigen Booleschen Logik, s. 5.5. 1293 C HURCH (1932: 347) 1294 Für detailliertere Information zur Notation Churchs, s. C HURCH (1932: 352). 252 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="253"?> traktor λ ausgestattet. Es ist nach obigen Erläuterungen leicht einsehbar, dass eine Assertion immer bezüglich eines Arguments des gesättigten Ausdrucks erfolgt, so dass der Abstraktionsoperator λ 1295 betreffendes, als Buchstabe unbestimmt angedeutetes Argument, das in der üblichen Terminologie die Benennung Variable (s. 5.6.2) trägt, bindet. Auf diese Weise wurde von Church eine Kenntlichmachung einer intensionalen Dimension von Ausdrücken in der Notation der eingeführt, was im semiotischen Dreieck (Abb. 8) veranschaulicht werden kann. Abb. 8: Zur Notation Wohlgeformte Formeln als endliche Sequenzen primitiver Symbole im logistischen System als uninterpretierter Kalkül nach Church erfüllen folgende Bedingungen: 1. Eine Formel aus einem einzigen echten Symbol ist wohlgeformt und gehört dem Typ an, der als Tiefindex angegeben ist; 2. Wenn das Zeichen x σ eine Variable des Typ σ ist und der Ausdruck M ς eine wohlgeformte Formel des Typs ς darstellt, dann ist der Ausdruck ( λ x σ M ς ) eine wohlgeformte Formel des Typs ς ; 3. Wenn die Ausdrücke F ςσ und A σ wohlgeformte Formeln der Typen ςσ und σ sind, dann ist der Ausdruck (F ςσ A σ ) eine wohlgeformte Formel des Typs ς . 1296 Bezüglich der Formationsregeln zur Gebundenheit von Variablen innerhalb derart aufgestellter Formeln 1297 erläutert Church: „ An occurrence of a Variable x β in a well-formed fomula is bound or free, according as it is or is not an occurrence in a well-formed part of the formula having the form (x β M α ). The bound variable of a well-formed formula are those which have bound occurences in the formula, and the free variables are those which have free occurrences. “ 1298 Die griechischen Kleinbuchstaben (z. B. τ ; σ ; ς ) dienen als 1295 C HURCH (1951a: 13) 1296 C HURCH (1951a: 7 ff.) 1297 Vgl. C HURCH (1951a: 9); vgl. C HURCH (1951b: 102) 1298 C HURCH (1951a: 9) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 253 <?page no="254"?> syntaktische Variablen, deren Werte Typsymbole sind. Hierbei besteht der Typ o aus den zwei Wahrheitswerten wahr oder falsch, der Typ ι markiert Individuen und sei aus einer beliebigen wohldefinierten, endlichen oder unendlichen Domäne gewählt, so dass dieser Typ vielen verschiedenen Interpretationen offensteht, die jeweils an eine der möglichen Festlegungen, was der Typ ι repräsentiere, geknüpft sind. 1299 Alle restlichen Typsymbole (z. B. τ ; σ ; ς ) bestehen aus Funktionen. Falls einer dieser griechischen Kleinbuchstaben, z. B. ς , als Typsymbol verwendet wird, dann symbolisiere das Zeichen ς n denjenigen Typ, der nach einer Erhöhung der Subskripte um die natürliche Zahl n erlangt wird. Zwei gegebene Typen ς und σ können Funktionen bilden, die einen neuen Typ ( ςσ ) konstituieren. 1300 Diese Typen können mittels der Regel gewonnen werden, welche besagt: Falls die Buchstaben ς und σ beliebige Typsymbole sind, stellt der Index ( ςσ ) ebenfalls ein Typsymbol dar. 1301 In dieser Notation der Typen von Funktionen bilden Elemente des jeweils rechtsstehenden Typs Argumente, während die Werte der Funktion dem adjazent linksstehenden Typ angehören. 1302, 1303 Church fasst exemplarisch zusammen: „ For example, the members of the type ιι are functions from individuals to individuals - that is, functions which take individuals as arguments and which, when applied to an individual as argument, yield an individual as the value of the function. Similarly, members of the type οι are functions from individuals to truthvalues. Members of the type οιι are functions from individuals to things of type οι ; and, since in this case the values of the function are themselves functions, which may be applied to individuals as arguments and will then yield truth-values as values we may also regard members of the type o ιι as binary functions of individuals having truth-values as their values. Similarly, the members of the type οοο may be regarded as binary functions of truth-values having truth-values as their values “ 1304 . Gleichbedeutend mit dem Terminus Name verwendet Church den mathematischen Terminus Konstante (engl.: constant) 1305 und führt neben den Namen (engl.: (proper) names) nur die Formen (engl.: forms) ein, um Synkategorematik zu vermeiden: „ This modified Fregean theory may be roughly characterized by the tendency to minimize the category of syncategorematic notations - i. e., notations to which no meaning at all is ascribed in isolation but which may 1299 C HURCH (1951a: 11) 1300 C HURCH (1951a: 12) 1301 C HURCH (1951a: 7 f.) 1302 C HURCH (1951a: 12) 1303 Zur detaillierten Information bezüglich der Notation von Funktionen mit mehreren Variablen, z. B. F αβ A β , bzw. der Typnotation αβ , vgl. S CHÖNFINKEL (1924). 1304 C HURCH (1951a: 12); vgl. K LEMENT (2002: 96); vgl. P ARSONS (2016: 34) 1305 C HURCH (1951b: 101) 254 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="255"?> combine with one or more meaningful expressions to form a meaningful expression [ … ] - and to reduce the categories of meaningful expressions to two, (proper) names and forms, for each of which two kinds of meaning are distinguished in a parallel way. “ 1306 Da Formen freie Variablen enthalten, erschließen sie nach Church einen Sinn, der von demjenigen System möglicher Sinne abhängt, in welchem die vorkommenden freien Variablen interpretiert werden können: „ And analogous to the sense of a name, a form has a sensevalue for every system of admissible sense-values of its free variables. “ 1307 Die Art der auf das logistische System angewandten Semantik, um eine formalisierte Sprache als interpretierter Kalkül zu schaffen, ist abhängig von der gewählten Bedeutungstheorie. „ The character of the semantical rules will depend on the theory of meaning adopted, and this in turn must be justified by the purpose which it is to serve. “ 1308 Zudem ermöglichen Transformationsregeln oder Regeln der Inferenz (engl.: rules of inference), das Ziehen einer Konklusion aus bestimmten Prämissen endlicher Anzahl in Satzform. Diese Regeln der Inferenz orientieren sich am Gebilde eines Syllogismus: „ The transformation rules or rules of inference, by which from the assertion of certain sentences (the premisses, finite in number) a certain sentence (the conclusion) may be inferred. “ 1309 Bei A set of postulates for the foundation of logic handelt es sich um zwei Publikationen 1310 , deren vorgeschlagene Theorie zur Logik im Jahr 1934 von Kleene und Rosser in The inconsistency of certain formal logics 1311 als inkonsistent deklariert wurde. Hierzu bemerkt Church in einer Revision zur gleichnamigen Publikation The inconsistency of certain formal logics von Curry 1312 mit einem Verweis auf Kleenes/ Rossers The inconsistency of certein formal logics Folgendes an: „ The Kleene-Rosser paper is devoted to showing that a certain attempt to construct a system of logic avoiding the logical paradoxes, or more generally any such attempt of a certain class, necessarily fails. “ 1313 Churchs Entwurf einer formalisierten Sprache in A set of postulates for the foundation of Logic ermöglicht das Vorkommen leerer Begriffe und Namen, d. h. von Begriffen ohne Gegenstände in ihren Begriffsumfängen oder von Namen ohne 1306 C HURCH (1951b: 101) 1307 C HURCH (1951b: 103) 1308 C HURCH (1951b: 100) 1309 C HURCH (1951b: 100) 1310 C HURCH (1932); C HURCH (1933) 1311 K LEENE / R OSSER (1935) 1312 C HURCH (1942); vgl. C URRY (1942) 1313 C HURCH (1942: 170) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 255 <?page no="256"?> denotierte Referenten in der außersprachlichen Wirklichkeit (z. B. der Eigenname Nausikaa nach Frege) und gibt folgende Begründung dafür an: „ The writer believes, that the construction of a formalized language containig denotionless names should also be possible. [ … ] - if only as a museum piece, to show that the avoidance of denotionless names in a formalized language is a matter of option rather than theoretical necessity. “ 1314 In A formulation of the logic of sense and denotation, einem Aufsatz, in welchem er sich explizit einigen intensionalen Aspekten Freges Theorie widmet 1315 , die er insbesondere Freges Aufsatz Über Sinn und Bedeutung entnimmt, erklärt Church: „ for although the formalized language introduced in these papers [ 1316 ] turned out to involve an inconsistency, it may be that the inconsistency should be traced only to the lack of anything in the nature of a theory of types and that the feature of allowing denotionless names can be preserved. “ 1317 Schließlich publiziert Church im Jahr 1940 in A formulation of a simple theory of types 1318 eine als konsistent geltende Version seiner Typentheorie, um logische Paradoxa oder behauptete Antinomien aufzulösen, die als eine Voraussetzung für seine Ausführungen in A formulation of the logic of sense and denotation 1319 , A revised formulation of the logic of sense and denotation. Alternative (1) 1320 , Outline of a revised fromulation of the logic of sense and denotation (Part II) 1321 sowie für eine Zusammenfassung von Grundlagen zum Abstraktionsoperator λ in The calculi of lambda-conversion 1322 gilt. Letztgenannte Veröffentlichung wurde unter Mitarbeit von Kleene/ Rosser erarbeitet und fasst die in der Anwendung als konsistent geltenden Teile der Theorie zum Abstraktionsoperator λ zusammen. 1323 5.7.3 Die Konzepthierarchie Churchs A formulation of the logic of sense and denotation alludiert die Vermutung, Freges Interesse an intensionaler Logik sei in den Schwierigkeiten begründet, die sich aus dem Verhältnis von extensionaler und intensionaler Logik ergeben. 1324 Bezüglich Freges Theorie im Vergleich zu anderen Bedeu- 1314 C HURCH (1951a: 15 f., Fn. 16); vgl. C HURCH (1932); C HURCH (1933) 1315 C HURCH (1951a: 3) 1316 C HURCH (1932); C HURCH (1933) 1317 C HURCH (1951a: 15 f., Fn. 16) 1318 C HURCH (1940) 1319 C HURCH (1951a) 1320 C HURCH (1993) 1321 C HURCH (1974) 1322 C HURCH (1965 [1941]) 1323 F RINK Jr., (1944: 172) 1324 C HURCH (1951a: 3) 256 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="257"?> tungstheorien erklärt Church: „ There exist more than one theory of meaning showing some promise of fulfilling these requirements, at least so far as the formulation and developement have presently been carried. But the theory of Frege seems to recommend itself above others for its relative simplicity, naturalness, and expanatory power “ 1325 . Daran anschließend inkorporiert Church Teile Freges Ausführungen in seine eigene Theorie und formuliert das Ergebnis als Entwurf des Abstraktionsoperators λ , einer umfassenden Axiomatik 1326 sowie einer einfachen Typentheorie, welche eine konsistente Alternative zu Russells Typentheorie darstellt und die behauptete Russellsche Antinomie vermeidet. Entscheidend ist hierbei auch Churchs Einführung eines fachterminologischen Konzepts (engl.: concept), das in der intensionalen Dimension zu verorten ist und Freges Sinn handhabbarer für abstrahierende Prozesse und deren Formalisierung zu machen scheint: „ Namely anything which is capable of being the sense of a name of x is called a concept of x. [ … ] We suppose, that a concept may in some sense exist even if there is no language in actual use that contains a name expressing this concept. And we may even wish to admit a non-enumerable infinity of conceptsthus more concepts than there can be names to express in any one actual language. “ 1327 Die Niederschrift eines Konzepts in Churchs formalisierter Sprache ist, wie obig erwähnt, mittels eines Tiefindex zu markieren. Churchs Konzept wird innerhalb seiner Typentheorie durch diese Einbindung in die Schreibweise im Ausdruck materialisiert oder sogar, in Anbetracht einer Bezeichnung eines Ausdrucks, verdinglicht, soll jedoch nicht als Gegenstand, sondern mit dem Sinn eines Ausdrucks identifiziert werden, der in verschiedenen Sprachen unterschiedlich manifest sein kann. Hierbei wird von Seiten der Bedeutung bzw. des Gegenstands oder des Wahrheitswerts innerhalb des semiotischen Dreiecks eine Angabe des zugehörigen Konzepts ermöglicht. Der Typ ο 1 besteht aus Konzepten von Wahrheitswerten o 0 und dem Typ ι 1 gehören Konzepte von Individuen ι 0 an. 1328 (Abb. 9) Des Weiteren ist jedoch auch eine Angabe des zugehörigen Sinns von Seiten des zeichenhaften Ausdrucks im semiotischen Dreieck ermöglicht. Diese Markierung wird im unechten Symbol des Abstraktors λ statthaft (s. o. Abb. 8). Da der Abstraktor λ sowie die einzelnen Klammern unechte Symbole sind, hat das Zeichen λ , u. a. wiedergegeben in der 1325 C HURCH (1951b: 101) 1326 Ein logistisches System erfordert Axiome, s. C HURCH (1951b: 100). 1327 C HURCH (1951a: 11) 1328 C HURCH (1951a: 11) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 257 <?page no="258"?> Niederschrift, keinen eigenen Sinn und keine eigene Bedeutung im Fregeschen Sinn, weswegen es lediglich eine Markierung desjenigen Buchstabens darstellt, der ein bestimmtes Argument unbestimmt andeutet und bezüglich dessen im betreffenden Ausdruck in Übereinstimmung mit der Einschränkung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten Tertium non datur 1329 noch keine Assertion gefällt ist (s. o. Abb. 8). Unter besonderer Berücksichtigung des arbiträren Zeichens als erste Konzeptualisierung 1330 , ergeben sich nachfolgende Typen im semiotischen Dreieck (Abb. 10). Abb. 9: Typen Abb. 10: Typen (mit besonderer Berücksichtigung des Zeichens) Church übernimmt die Verben ausdrücken, bedeuten und bezeichnen aus Freges Werk. Er übersetzt Freges Verb ausdrücken als das englische Verb to express und das deutsche Verb bezeichnen nach Frege als die englischen Ausdrücke to denote oder to be a name of mit der Anmerkung, ein Ausdruck drücke seinen Sinn aus und bezeichne seine Denotation bzw. seine Bedeutung oder sei ein Name seiner Bedeutung. 1331 (s. 3) (Abb. 11). 1329 C HURCH (1932: 347) 1330 Woher die sprachlichen Zeichen kommen und von was sie Konzeptualisierungen darstellen, bleibt an dieser Stelle unbeantwortet. 1331 C HURCH (1951a: 3, Fn. 1) 258 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="259"?> Abb. 11: Deutsch- und englischsprachige Terminologie 1332 Aufgrund der Bezeichnung eines Wahrheitswerts durch einen Gedanken ─ f(3) nach Frege ist dieser bezeichnete Wahrheitswert ein Konzept des Wahrheitswerts o 0 auf extensionaler Bedeutungsebene, so dass eine Entität vom Typ o 1 mit dem Fregeschen Gedanken identifiziert werden muss. „ The type o 1 is to consist of concepts of truth-values - which, following Frege, we identify as propositions (Gedanken). “ 1333 In einer Zusammenfassung des ersten semiotischen Dreiecks bestehend aus Name, Sinn und Bedeutung mit den Verben bezeichnen und ausdrücken stellt Church dar, dass Aussagesätze (engl.: declarative sentences) ebenfalls in Position der Namen oder als Namen auftreten, die einen Wahrheitswert als Bedeutung bezeichnen (engl.: to denote) und einen Sinn als Gedanken ausdrücken (engl.: to express). Der Sinn ist auch hierbei ein Konzept der Bedeutung und eine höherstufige Einheit als der Gegenstand. 1334 Gedanken können also Wert einer Funktion im abbildungstheoretischen Verständnis sein, aber gemäß ihrem Typ sind diese Gedanken keine Gegenstände, sondern Sinne. Bezüglich Konzepte ohne Denotation bzw. leerer Begriffe, äußert Church infolge der Kritik Kleenes/ Rossers nachfolgende Anmerkung: „ there may be names which have a sense but no denotation. Hence we also admit concepts that are not concepts of anything; and although no name in this present language has such a concept as its sense, we may wish in the construction of the language to allow for existence of such concepts. “ 1335 Nun erzeugt Churchs Erklärung zum Sinn eines Begriffs dennoch scheinbar einen Widerspruch in sich. Da Konzepte von extensionalen Wahrheitswerten Freges Gedanken entsprechen und diese Gedanken gemäß des Kompositionsprinzips Freges aus 1332 Zu Abb. 11, vgl. G ABRIEL (2001: XVI); F REGE (2001 [1892 - 1895]: 32); F REGE (2001 [1882]: 23); F REGE (2001 [1897]: 41). 1333 C HURCH (1951a: 11) 1334 C HURCH (1951b: 101 f.) 1335 C HURCH (1951a: 15, Fn. 16) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 259 <?page no="260"?> mindestens einem gesättigten, scharf umgrenzten Begriff bestehen, muss anerkannt werden, dass das Konzept Churchs in Übereinstimmung mit Freges Lehre ein Sinn als gesättigter Begriff sein kann. Church erläutert hierzu jedoch: „ In order to describe what the members of each type are to be, it will be convenient to introduce the term concept in a sense which is entirely different from that of Frege ’ s Begriff, but which corresponds approximately to the use of the word by Russell and others in the phrase ‚ class concept ‘ and rather closely to the recent use of the word by Carnap, in Meaning and Necessity. “ 1336, 1337 Es wird deutlich, dass Church vor allem die Wesensart der potentiellen Ungesättigtheit des Begriffs meint, die im Konzept nicht vorhanden sein soll. So erläutert Chuch: „- or, as I would advocate, Frege ’ s theory as modified by elimination of his somewhat problematical notion of a function (and in particular of a Begriff) as ungesättigt, and by some other changes which bring it closer to present logistic practice without loss of such essentials as the distinction of sense and denotation. “ 1338 Da darüber hinaus ein Gedanke in jedem Fall ein gesättigter Begriff ist, wäre es klarer formuliert, wenn Church an betreffender Stelle dargelegt hätte, das Konzept sei lediglich verschieden von Freges ungesättigtem Begriff, aber das Konzept sei auch kein Wert oder Gegenstand. Die Ungesättigtheit empfindet Church als schwer handhabbar und appelliert für eine praktikablere Formalisierung: „ While we preserve what we believe to be the important features of the theory of Frege, we do make certain changes to which he would probably not agree. One of these is the introduction of the simple theory of types as a means of avoiding the logical antinomies. Another is the abandonment of Frege ’ s notion of a function (including propositional functions) as something ungesättigt, in favor of a notion, according to which the name of a function may be treated in the same manner as any other name, provided that distinctions of type are observed. (But it is even possible that Frege might accept this latter change, on the basis of an understanding that what we call a function is the same thing which he calls Werthverlauf einer Funktion.) “ 1339 . Church nimmt diese Veränderung vor, die ermöglicht, dass der Name eines Begriffs, einer Beziehung oder einer Funktion in seiner Theorie nicht notwendig in ungesättigter Klammerschreibweise Φ () oder f() wiedergegeben, 1336 C ARNAP (1948: 21, 39); s. a. C HURCH (1951b: 101 f.) 1337 C HURCH (1951a: 11) 1338 C HURCH (1951b: 101) 1339 C HURCH (1951a: 4) 260 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="261"?> sondern wie die Namen von Gegenständen behandelt werden kann. 1340 Doch dies geschieht unter der Bedingung, dass der Name einer den Gegenständen übergeordneten Entität, d. h. eines Begriffs, einer Beziehung oder einer Funktion, mittels der Typentheorie entsprechend als solcher gekennzeichnet wird (s. 7.6.1). Nach Church sind nicht nur Typen vorgesehen, die den Sinn erster Stufe als Konzept repräsentieren, sondern auch Konzepte dieser Konzepte. Diese Sukzession entsteht durch die Formalisierung Freges Sinns und der Markierung desselbigen als solchen, wodurch Konzepte, d. h. in Fregescher Terminologie Sinne, Namen erhalten. Ein Konzept besitzt demnach neben seiner Typisierung einen Namen, der sich nicht auf extensionaler Ebene manifestiert, sondern auf intensionaler Ebene als gekennzeichnetes Konzept. Das Konzept ist für die Theorie handhabbar und wird in gewisser Weise dingfest gemacht, d. h., mit einem Namen ausgestattet. So ist das Konzept im logisch Früheren zuerst ein Sinn, dann wechselt im Prozess der Ausstattung des Sinns mit einem Namen die Benennung von Sinn zu typisiertem Konzept, wodurch ein neues semiotisches Dreieck nach Church entsteht (Abb. 12). Abb. 12: Konzeptname Church erläutert: „ The hierarchy of concepts of successively higher orders arises as soon as we suppose that a concept, like anything else which can be discussed at all, is capable of having a name given to it. For a sense of a name of a concept is a concept of the next higher order, and so on. “ 1341 Dies kann vorerst in folgendem Stufenmodell dargestellt werden (Abb. 13): 1340 C HURCH (1951a: 16) 1341 C HURCH (1951a: 12, Fn. 13) 5.7 Churchs λ -Abstraktor 261 <?page no="262"?> Abb. 13: Name, Sinn, Konzept (auch: Ontologie nach Frege und Church; Frege-Church- Ontologie; Konzepthierarchie) Hierbei stellen Entitäten des Typs o n+1 Konzepte jener vom Typ o n dar, desgleichen repräsentieren Entitäten vom Typ ι n+1 Konzepte derjenigen vom Typ ι n : „ The type o 2 is to consist of concepts of propositions, or, as we shall say, propositional concepts. And, generally, the type o n+1 is to consist of concepts of the members of the type o n . [ … ] And generally, the type ι n+1 is to consist of concepts of the members of the type ι n . “ 1342 Das Verhältnis, in welchem Entitäten der Typen niederer Stufe zu ihren Konzepten stehen, ist mittels einer binären Funktion gegeben, die als Konzeptfunktion mit dem Namen Δ ο 0 Φ x+1 Φ x belegt ist: „ For each type symbol α , the primitive constant Δ οα 1 α denotes a binary function whose value, for a pair of arguments of the indicated types, is truth in case the second argument is a concept of the first argument and is falsehood in the contrary case. For example, Δ ο ( ο 1 ο 1 ο 1 ) ( οοο ) C οοο C ο 1 ο 1 ο 1 denotes truth, because we construe the primitive constant C ο 1 ο 1 ο 1 as denoting the sense of the primitve constant C οοο . “ 1343 Die Funktion Δ ο 0 Φ x+1 Φ x gibt demnach das Verhältnis zwischen einer Entität und ihrem Sinn bzw. Konzept an. 5.7.4 Die Signifikation des Sinns Wie bereits referiert, können in Freges Theorie zwei verschiedene Begriffe auf Sinnebene nicht in einer Identitätsbzw. Gleichheitsbeziehung stehen, sondern 1342 C HURCH (1951a: 12); vgl. P ARSONS (2016: 34) 1343 C HURCH (1951a: 16 f.) 262 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="263"?> nur ihre Begriffsumfänge. Church wirft nun die Frage auf, wann zwei Namen als denselben Sinn tragend zu betrachten sind. Eine Gleichheit der Sinne zweier Namen ist nach Church in Erwägung zu ziehen, obwohl das Kriterium, zwei Sinne seien immer dann und nur dann identisch, wenn sie das gleiche Denotat besitzen nicht gilt. 1344 Zunächst fasst Church zutreffend zusammen, dass in Freges Schriften zwei Namen A und B auch bei Gültigkeit der Gleichung A = B unterschiedliche Sinne haben können, wobei die Formulierung A = B trotz unterschiedlicher Sinne logisch gültig bleibt. Church fügt hinzu, dass die logische Gleichung A = B eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung dafür ist, dass die Namen A und B den gleichen Sinn haben können, was er als natürliches Kriterium akzeptiert. 1345 Daraufhin schlägt Church drei verschiedene Kriterien zur Identität des Sinns vor, welche die Benennungen Alternative (0), Alternative (1) und Alternative (2) tragen. Das Kriterium Alternative (1) unterscheidet die Sinne von zwei Namen A und B, wann immer dies unter bestimmten Annahmen möglich ist, das Kriterium Alternative (2) verfolgt andererseits das Interesse, die Sinne der Namen A und B als identisch anzuerkennen, wenn die obig genannte Gleichung A = B logisch gültig ist. 1346 In einem Zusatz vom April des Jahres 1946 wird eine geänderte Form des Kriteriums Alternative (1) eingeführt, welche mit der Bezeichnung Alternative (0) belegt wird und deren Verständnis des Sinns nicht dem Fregeschen Sinnverständnis, sondern dem der Carnapschen Intensionsstruktur (engl.: intensional structure) 1347 entspricht, mit dem einzigen Unterschied gegenüber Carnaps Theorie, dass sie den Sinn als etwas wahrnimmt, das in der Objektsprache behandelt werden muss, während Carnaps Intensionsstruktur innerhalb einer Carnapschen Meta-Sprache (engl.: metalanguage) behandelt wird. 1348, 1349 Church distanziert sich ausdrücklich von Carnaps Verständnis der Intensionsstruktur und erläutert seine Position anhand seiner eigenen Auffassung der Intensionsstruktur natürlichsprachlicher Ausdrücke. Im Anschluss verwendet Church die Beispielsätze Seneca said that man is a rational animal und Columbus believed that the world is round, um Carnaps Auffassung der Intensionsstruktur sowie einen widerlegenden Einwand gegen sie zu demonstrieren: „ The notion of intensional structure is applied by Carnap to the analysis of such statements as ‚ Seneca said that man is a rational animal ‘ or 1344 C HURCH (1951a: 3, Fn. 2) 1345 C HURCH (1951a: 4) 1346 C HURCH (1951a: 4 f.) 1347 C ARNAP (1948: 56 - 64) 1348 C ARNAP (1948: 4 f., 44); vgl. C HURCH (1951a: 5) 1349 Bezüglich Carnaps Metameta-Sprache (engl.: Metametalanguage), vgl. C ARNAP (1948: 71 f., 153). 5.7 Churchs λ -Abstraktor 263 <?page no="264"?> ‚ Columbus believed that the world is round, ‘ understood in such a way that they do not reveal what was the actual succession of letters that Seneca wrote down or what languages may have been known to Columbus. But in the writer ’ s opinion, Carnap ’ s analysis of these statements is open to a fatal objection, which is connected to the fact, that intensional structure has an essentially metatheoretic character and which seems likely to hold against any analysis according to which assertion or belief is a relation between a person and a sentence (rather than between a person and a proposition or the like). “ 1350 Damit weist Churchs Erklärung unter Zuhilfenahme der Übersetzung eines Ausdrucks in verschiedene Sprachen effektiv auch jegliche Annahmen zurück, dass in irgendeiner Weise eine notwendige oder transparente Verbindung zwischen einem sprachlichen Ausdruck in Form eines Wortes oder Satzes und seiner Bedeutung bestehe. Statt dessen zeigt sich, dass eine derartige Verbindung nachweislich vollständig künstlich (engl.: entirely artificial) und arbiträr (engl.: arbitrary) ist, womit Church die strukturalistische Auffassung der Sprachwissenschaft nach De Sausssure bestätigt. 1351 Die Kriterien Alternative (1) und Alternative (2) nach Church implizieren, dass A und B denselben Sinn haben, wenn B aus A durch die Applikation einer Reihe von Operationen am Ausdruck, die aus den ersten drei von fünf bestimmten Inferenzregeln 1352 bestehen, erhalten werden kann (s. 7.6.2.1). 1353 Zunächst ist festzustellen, dass die Formulierung nach Church, dass zwei Sinne identisch sein können, fehlerbehaftet ist. Stattdessen gilt es zu ermitteln, ob zwei Homonyme, für welche angenommen wird, dass sie jeweils ein Signifikat auf Sinnebene haben, dasselbige Signifikat ausdrücken. Wenn sie dasselbe Signifikat konnotieren, löst sich demzufolge das Verhältnis der Homonymie zwischen den beiden Signifikanten auf, da sie als ein einziger Signifikant erfasst werden müssen. In der vorliegenden Studie muss gemäß den dargelegten Rahmenbedingungen in Nachfolge Freges Theorie die Entscheidung zwischen den Kriterien Alternative (1) und Alternative (2) zur Übertragung in eine Deskriptionsmethode natürlichsprachlicher Ausdrücke auf Kriterium Alternative (1) fallen. Das Kriterium Alternative (1) zieht die Gleichheit von Gegenständen und Begriffsumfängen nicht zur Feststellung einer Identität des Sinns heran und forciert eine Anerkennung verschiedener Sinne, wann immer dies möglich ist, d. h. das Kriterium Alternative (1) schöpft das Potential von untersuchten Signifikanten, 1350 C HURCH (1951a: 5 f., Fn. 5); vgl. C HURCH (1950) 1351 C HURCH (1951a: 5 f., Fn. 5); vgl. S AUSSURE / W UNDERLI (2013: 171 - 175, § 2. - Erstes Prinzip: Die Arbitrarität des Zeichens); vgl. P LATON (1974 [vmtl. 428 v. Chr. - 348 v. Chr.]: 395 - 575, Kratylos); vgl. L ANGFORD (1937) 1352 C HURCH (1951a: 5) 1353 Für Ausführungen zu den Regeln der Inferenz, s. 7.6.2.1. 264 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="265"?> verschiedene Sinne auszudrücken und somit eine Polysemie bzw. Homonymie anzuzeigen, voll aus. Eine Formungleichheit von Zeichen hat gemäß der Methode der vorliegenden Studie in Anlehnung an Freges Theorie keinen Einfluss darauf, ob die Bedeutungen eines Zeichenpaars als eine Bedeutung oder zwei verschiedene Bedeutungen identifiziert werden, doch die Feststellung nur eines einzigen Sinns zu einem Zeichenpaar ist ausschließlich unter der Bedingung möglich, dass die beiden Zeichen (auch: Signifikanten) formgleich sind. Die gesetzte Vorannahme präsumiert, dass zwei formgleiche Zeichen eines Zeichenpaars Homonyme sind, folglich muss zur Identifizierung eines einzigen Sinns zu besagtem Zeichenpaar das Gegenteil bewiesen und die gesetzte Vorannahme widerlegt werden. Damit wird zudem vermieden, dass zwei formgleiche Zeichen hinsichtlich ihres Sinns a priori einander gleichgesetzt werden, weil sie die gleiche Form aufweisen. Die Wahl des Kriteriums Alternative (1) hat deshalb außer einer formellen Erklärung als Rahmenbedingung für die vorliegende Studie, die lediglich innersprachliche Strukturen untersucht und Zeichen als Konzepte erster Stufe erfasst, praktisch keinen weiteren Erkenntniswert, und eine Art α -Äquivalenz 1354 wird nur für den untersuchten verbalen Valenzträger festgestellt. Diese, für die Analyse natürlichsprachlicher Ausdrücke übertragene Feststellung einer Art α -Äquivalenz ist ausdrücklich keine mathematische oder programmiertechnische α -Äquivalenz, da die einbettenden natürlichsprachlichen Gesamtausdrücke oft unterschiedliche intensionallogische Strukturen aufweisen. Diese Art α -Äquivalenz wird in der vorliegenden Untersuchung und Beleganalyse mit der Bezeichnung α -Äquivalenz bezüglich eines bestimmten Elements ausgestattet und betrifft nur die Stelligkeit der repräsentierenden Funktion bzw. des repräsentierenden Begriffs oder der repräsentierenden Beziehung eines untersuchten verbalen Valenzträgers sowie die Qualitäten der vom verbalen Valenzträger für Argumente eröffneten Leerstellen morphosyntaktischer Valenz, jedoch nicht den Umstand, ob diese repräsentierenden Funktionen bzw. Begriffe oder Beziehungen gleichstufig oder ungleichstufig sind, weil die Argumente des verbalen Valenzträgers oder der Satz s oft Ergänzungen sowie freie Angaben selbst lizenzieren, die nicht vom verbalen Valenzträger eingefordert werden und welche obig erwähnte, unterschiedliche Formen der Intensionsstrukturen der Gesamtausdrücke erzeugen. Da die Notation des λ -Kalküls zur Deskription innersprachlicher Strukturen angewandt wird, und die ermittelten Intensionsstrukturen zu den untersuchten natürlichsprachlichen Ausdrücken relativ einfach geformt sind, können die Ergebnisse aus dieser illustrativen Sprachbeschreibung direkt abgelesen werden. Dabei geht die Sprachbeschreibung 1354 Zur Erklärung des Terminus α -Äquivalenz, s. a. 7.6.2.1. 5.7 Churchs λ -Abstraktor 265 <?page no="266"?> natürlichsprachlicher Ausdrücke von der Observation des Sprachmaterials als Sprachzeichen aus und bedient sich aufgrund der besonderen Geeignetheit des Abstraktionsoperators λ der Formalisierung mit dem deskriptiven λ -Kalkül, um die innersprachlichen Strukturen sowie die Sinnstruktur der Komposition sprachlicher Elemente darzustellen (s. 6.4.1; 6.4.1.1; 6.6; 7.4.2.4; 7.6; 7.6.2; 7.6.2.2) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz Die Komposition der Begriffe Φ () und Beziehungen Φ (,) auf der Sinnebene in Freges Erläuterungen ist nach der Feststellung der Grammatizität bzw. Wohlgeformtheit eines zeichenhaften Ausdrucks in diesem auszumachen. In der vorliegenden Studie wird hierfür die Applikation linguistischer Testverfahren herangezogen (s. 7; 7.4; 7.4.2.4; 7.6; 7.6.2). Doch in die deutsche Grammatikforschung und Grammatikschreibung hat die dichotomische oder trichotomische Gliederung eines beliebigen Aussagesatzes bzw. einer Proposition in ein logisches Subjekt, eine sprachlich materialisierte oder verdeckt vorhandene Kopula sowie ein logisches Prädikat im Sinne der traditionellen Urteilslehre Eingang gefunden (s. 4.1.1; 5.4). Da insbesondere das Verb sein als Kopula zur Stütze dieser Theorie instrumentalisiert wurde und wird 1355 , gilt das Verb sein als Gegenstand zahlreicher weiterer Analysen und Bedeutungsinterpretationen (s. 5.3; 5.5.2), ohne dass bis ins 19. Jahrhundert Zugang zu Freges Theorie der Konstituierung des Sinns eines Ausdrucks als Erfassung eines existierenden Gedankens als auch zu einer notationell formalisierten zeitlichen und logischen Nachgordnetheit des Urteils bestand. Für die Syntaxbeschreibung war eine Theorie nicht nur einstelliger, sondern mehrstelliger Prädikate im Aussagesatz, welche als eine Erweiterung der einstelligen Prädikate interpretiert werden können 1356 , zudem nicht breit rezipiert. Lyons erklärt die Kopula im Russischen, Griechischen, Lateinischen, Deutschen und Englischen als „ semantisch leeres ‚ Quasi-Verb ‘“ 1357 oder als „ rein grammatisches ‚ Quasizeichen ‘“ 1358 . Wesentlich ist im Rahmen derart aufgefasster Prädikatsausdrücke, dass die koppelnde Rolle der Kopula damit selbst kein Begriff, keine Funktion und keine Beziehung im eigentlichen Sinn ist und auch im Fall einer angenommenen semantischen oder syntaktischen Unselbständigkeit nicht als die Form * κ (A) oder als die Form * κ (S, P) geschrieben werden kann, da sie über keinen Inhalt, d. h. keinen 1355 G LINZ (1984: 52, 85) 1356 Vgl. z. B. M EINER (1781) 1357 L YONS (1973: 328) 1358 L YONS (1973: 328) 266 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="267"?> begrifflichen Gehalt verfügt, deshalb keine begriffliche Intentionalität 1359 ausüben und damit aufgrund ihrer semantischen Leere keine eigene Prädikation über andere Elemente des Aussagesatzes erwirken kann, die selbsterklärend eine Natur der Kopula als Prädikat voraussetzen würde. Da die Kopula aufgrund des fehlenden Inhalts oder der absenten Materialisierung keine Funktion im eigentlichen Sinn ist, eignen sich die Bezeichnungen Moment, Koppelung oder Rolle besser als die Bezeichnung Funktion. Der Terminus Urteilsfunktion nach Baum 1360 oder die Benennung Behauptungsfunktion nach Pfänder 1361 werden deshalb nicht übernommen. Stattdessen muss in der vorliegenden Studie auf die Rolle der Kopulae und kopulaähnlichen Verben im Rahmen einer traditionellen Urteilslehre mit den Bezeichnungen Behauptungsmoment, Assertionsmoment, kopulativer Moment, assertorischer Moment, kopulative Assertion oder kopulative Rolle referiert werden. Beck vertritt in seiner Untersuchung Inwiefern können in einem Urteil andere Urteile impliziert sein? 1362 eine traditionelle Auffassung der Kopula. 1363 Schließlich nimmt er Folgendes an: „ Die logische Valenz der Kopula und der Wahrheitsurteilsfunktion ist also die gleiche. “ 1364 Dieser Aussage Becks kann gemäß obigen Erläuterungen in der vorliegenden Studie nicht zugestimmt werden. Derzufolge nämlich ist eine inhaltsleere Kopula, welche ausschließlich die Rolle der Koppelung von logischem Subjekt und logischem Prädikat praktiziert (z. B. * κ (A); * κ (S, P)), logisch-mathematisch gar nicht darstellbar. Der Name der Funktion κ stünde als reiner Formalismus für nichts. Angenommen sei nun, ein Verb sein stelle potentiell eine Beziehung zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikativ s(S, P) her, insbesondere auch, wenn diese auf extensionaler Ebene als Identitätsrelation verstanden wird. Nun liegen entgegen Becks Vorschlag in diesem Funktionsbzw. Beziehungsausdruck s(S, P) sowie in obig genannten Formen * κ (A) und * κ (S, P) als auch in einer Darstellung P(S), in welcher Kopula und Prädikativ zu einem Prädikatkomplex gegenüber einem logischen Subjekt zusammengefasst sind, andere logische Verhältnisse oder Valenzen vor, als im Ausdruck des Wahrheitsurteils über eine Aussage Ψ (P(S), ω ). Pfänder nimmt eine reflektierendere Position gegenüber der traditionellen Auffassung der Kopula ein als Beck: 1359 Erläuterungen zum essentiell notwendigen lexikalischen Gehalt und zur Intentionalität eines Begriffs bzw. einer Funktion, s. 6.2; 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3. 1360 B AUM (1976: 28) 1361 P FÄNDER (1921: 209 f.) 1362 B ECK (1916) 1363 B ECK (1916: 30, 32, 37, § 4) 1364 B ECK (1916: 38, § 6) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 267 <?page no="268"?> „ Aus jedem Urteil kann aber die implizierte Mitbehauptung herausgezogen und als sogenanntes Wahrheitsurteil von der Form ‚‚ S ist P ‘ ist wahr ‘ entfaltet werden. Dieses entfaltete Wahrheitsurteil ist jedoch keineswegs mit dem ursprünglichen Urteil ‚ S ist P ‘ bedeutungsidentisch. Denn im ersteren Urteil ist Subjektsgegenstand das Urteil ‚ S ist P ‘ , also sein Subjektsbegriff der Begriff des Urteils ‚ S ist P ‘ , und der Prädikatsbegriff ist der Begriff ‚ wahr ‘ , während im zweiten Urteil der Subjektsgegenstand der Gegenstand ‚ S ‘ , also der Subjektsbegriff der Begriff ‚ S ‘ , und der Prädikatsbegriff der Begriff ‚ P ‘ ist. 1365 Nach Pfänder soll nun jenes, nach Frege nicht nachgeordnete Urteil, welches den Prädikatbegriff (z. B. rot in dem Satz die Sonne ist rot), als Wert des sogenannten Urteils hat, eingefaltetes (auch: nicht entfaltetes) Urteil, und jenes davon unterschiedene Urteil, das die Wahrheitswerte wahr oder falsch als Bedeutung des Urteils haben kann, entfaltetes Urteil genannt werden. 1366 Eine Proposition als traditionelles Urteil, dessen Behauptungsmoment ohne funktionalen Charakter zwischen Subjekt und Prädikat eingeordnet ist, liefert so viele mögliche Werte P ∈ {P 1 , P 2 , … , P n }, wie es die jeweilige Sprache erlaubt, da die Bedeutung des Urteils der vergegenständlichte Prädikatsbegriff P selbst ist. 1367 (S. 5.4) Nach Frege kann erst ein Urteil Ψ über die Aussage P(S) bestehend aus der Komposition eines logischen Prädikats mit einem logischen Subjekt Ψ (P(S), ω ), d. h. die Inbezugsetzung einer Aussage mit einem extensionalen Wahrheitswert ω in einem zweiten Schritt den Wahrheitswert wahr oder falsch liefern, was die Form ├ P(S) anzeigt. Es gilt zu erkennen, dass sich mindestens folgende drei mögliche Entscheidungen für Aussagesätze mit einem materiell realisierten oder angenommenem verdeckten Verb sein ergeben: 1. Das nach Pfänder eingefaltete (auch: nicht entfaltete; zwischengeschaltete; inkludierte; nicht nachgeordnete) sogenannte Urteil; 2. die nach der Russellschen Ambiguitätsthese zu fällende Entscheidung darüber, welche Rolle das als realisiert oder nicht realisiert vorhanden angenommene koppelnde bzw. verbindende Zeichen übernimmt, d. h. eine Art Urteil über das Wesen der Koppelung oder Verbindung; 3. das nach Pfänder explizit entfaltete (auch: nachgeschaltete; exkludierte) Urteil bzw. das nach Frege der Konstituierung eines Sinns zeitlich und materiell nachgeordnete Urteil, das einen booleschen Wahrheitswert liefert. Hierbei ist nicht intelligibel, ob zuerst das Urteil über den Inhalt des Prädikativs oder zuerst das Urteil über die Semantik des Verbs sein zur Auflösung dessen 1365 P FÄNDER (1921: 209 f.) 1366 Obig ist erwähnt, dass De Morgan eine Resolution einer Aussage bzw. Gleichung, d. h. eine Art entfaltetes Urteil nach Pfänder konsideriert, s. 5.5.1. 1367 P FÄNDER (1921: 209 f., 220 f.) 268 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="269"?> angenommener Ambiguität fällt. 1368 Pfänder führt diesbezüglich an: „ Es ist klar, daß durch die Verwechslung und Vermischung so wesentlich verschiedener Schichten, wie es die der Urteile und die der Sachverhalte sind, notwendig die ganze Urteilslehre in Verwirrung geraten muss. “ 1369 Pfänder fährt kritisch fort: „ Die richtige Ausdeutung des Sinnes der Behauptung, ein Urteil sei wahr, können wir gewinnen, wenn wir von der alten Bestimmung ausgehen, die Wahrheit sei die ‚ Adäquatio intellectus et rei ‘ , wenn wir unter dem ‚ intellectus ‘ hier das Urteil und unter der ‚ res ‘ den von dem Urteil betroffenen Gegenstand verstehen. Dann besagt nämlich diese Bestimmung das gleiche wie jene andere alte Erklärung: die Wahrheit eines Urteils sei seine Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Die Einwände, die gegen diese Erklärung erhoben worden sind, beruhen wohl alle auf Mißverständnissen und lassen sich durch die Aufhebung dieser Mißverständnisse sämtlich beseitigen. “ 1370 Festzuhalten ist, dass Pfänder an dieser Stelle die Verwirrung demonstriert, die entsteht, wenn morphosyntaktische Strukturen im ausgeformten Ausdruck einer natürlichsprachlichen Aussage übergangen werden sowie nicht zwischen Prädikation und Urteil bzw. Assertion als auch zwischen intensionallogischer und extensionallogischer Ebene unterschieden wird. Außerdem bemerkt Pfänder: „ Aus unseren früheren Untersuchungen über das Urteil ergibt sich, daß in dieser Theorie eine große logische Verirrung vorliegt, die ihren Ursprung wohl in der falschen Deutung des kopulativen ‚ ist ‘ hat. “ 1371 5.8.1 Subjekts- und Objektsprädikative Diese Instrumentalisierung des Verbs sein als Kopula im Rahmen einer traditionellen Urteilslehre 1372 führt, wie die Logik von Port-Royal demonstriert, zur Annahme weiterer kopulativer Verbindungen, wann immer in einem sprachlichen Ausdruck eine vermeintliche Prädikation über einen Gegenstand oder mehrere Gegenstände bzw. ein logisches Subjekt wahrgenommen werden kann. Demzufolge findet sich die Kopula nicht nur in Aussagesätzen mit einer apperzipierten logischen Prädikation über den Term in grammatischer Subjektsposition (Abb. 14), z. B. in den Sätzen er ist ein sensibler, wacher Zeitgenosse (A00/ FEB.08565 St. Galler Tagblatt, 03.02.2000, Ressort: TB-OT (Abk.); CVP- Wahltreffen im Zentrum Marmorsäge); der Flächenverbrauch ist riesig (BRZ09/ NOV.13844 Braunschweiger Zeitung, 28.11.2009; Nach 35 Tagen Mast wartet 1368 Vgl. Pfänder, der das Problem für zwei Urteile anspricht (P FÄNDER (1921: 220)). 1369 P FÄNDER (1921: 175) 1370 P FÄNDER (1921: 220 f.) 1371 P FÄNDER (1921: 327 f.) 1372 Der Terminus traditionelle Urteilslehre findet sich z. B. in B AUM (1976: 28). 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 269 <?page no="270"?> der Schlachter) oder in dem Satz der Mann läuft mit der angenommenen Interpretation der Mann ist laufend (s. 5.4), sondern auch in Sätzen mit einer vermuteten logischen Prädikation über den Term in grammatischer Objektsposition (Abb. 15) (z. B. Clusius selbst nannte ihn Crocus purpureus grandiflorus (NON07/ MAR.13539 Niederösterreichische Nachrichten, 26.03.2007, S. 23; ); er nannte die Aussagen glaubhaft (NUN07/ NOV.00197 Nürnberger Nachrichten, 03.11.2007, S. 1; Herzogau: Kein Strafverfahren - Staatsanwalt ermittelt nicht); er nennt den Mann einen Segler). Letztgenannte Aussagesätze werden jedoch in vorwiegend traditionell oder generativ orientierten Syntaxbeschreibungen nicht als eine mehrstellige begriffliche Struktur oder als ein Begriff zweiter Stufe aufgefasst, sondern einer Aufgliederung in mehrere, einzelne einstellige Prädikate, jeweils bestehend aus logischem Subjekt, Kopula und logischem Prädikat oder einer formalen binaristischen Zergliederung unterzogen. (Abb. 14; Abb. 15). Abb. 14: Struktur eines Kopula-Subjektsprädikativ-Komplexes Abb. 15: Struktur eines Kopula-Objektprädikativ-Kompexes 1373 1373 Die in der vorliegenden Untersuchung verwendete Terminologie ist zu beachten. In einem Kopula-Objektsprädikativ-Komplex ist keine Kopula sprachlich materialisiert, wird jedoch als Port-Royalsche verdeckte Kopula in der traditionellen Grammatikschreibung und in weiten Teilen der Fachliteratur angenommen. 270 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="271"?> Die obigen graphischen Darstellungen (Abb. 14; Abb. 15) sind einer „ charakteristischen Wortfolge “ 1374 im Aussagesatz 1375 mit Kopula-Subjektsprädikativ- oder Kopula-Objektsprädikativ-Komplex und grammatischem Subjekt im Vorfeld angepasst. Kopula-Objektsprädikativ-Komplexe sind mit besonderen Verben (z. B. bezeichnen; nennen; heißen; schelten) gebildet. 1376 In der vorliegenden Studie werden diese Verben, welche eine Prädikation über ein Objekt einleiten, zur einfacheren Handhabung der Terminologie Objektsprädikativverben genannt, während der Terminus kopulaähnliche Verben für alle Verben mit Subjektsprädikativ außer dem Verb sein (z. B. bleiben; gelten; scheinen; werden) herangezogen wird. Unter Hinzuziehung einer Argumentation auf Basis semantischer oder syntaktischer Kriterien im Sinne der Logik von Port-Royal wird eine verdeckte Kopula sein zwischen dem syntaktischen Objekt und der angeschlossenen logischen Prädikation, d. h. dem traditionellen grammatischen Prädikativ angenommen. Das Objekt ist demzufolge das Argument eines einstelligen logischen Prädikats, und eine verdeckte Kopula (s. 5.4) bindet das angenommene, neue logische Subjekt in Form des syntaktischen Objekts an dasselbige (Abb. 15). Die sprachlichen Elemente derartig perzipierter logischer Prädikate sind also mit dem Terminus Prädikativ belegt und können in verschiedenen Realisierungsformen vorliegen. Ein Prädikativ prädiziert als sogenanntes Subjektsprädikativ über das Subjekt oder als sogenanntes Objektsprädikativ über ein Objekt des Satzes, das jeweils Bezugsphrase 1377 des Prädikativs ist. Das Akkusativobjekt spielt gegenüber dem grammatischen Subjekt im Nominativ, einem Dativobjekt oder einem äquivalenten Nebensatz 1378 als Bezugsphrase des Prädikativs eine besondere Rolle. Die Kopula wird in der traditionellen Grammatikschreibung im Allgemeinen nicht zum Prädikativ gezählt, sondern stellt ein im zeichenhaften Ausdruck materialisiertes oder nicht materialisiertes Verbindungsglied zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat dar und hält damit den Assertionsmoment der traditionellen Urteilslehre aufrecht. 1379 Infolgedessen wird in der traditionellen Grammatikschreibung der semantische Gehalt des Prädikatssausdrucks in Kopula- Prädikativ-Komplexen größtenteils oder vollständig vom Prädikativ der einstelligen Prädikation gestellt, so dass die Kopula oder das kopulaähnliche Verb zu einem Subjektsprädikativ-Komplex syntaktisch keine eigene Prädikation bilden 1374 E RBEN (1980: 243) 1375 Zur Grundreihenfolge im Aussagesatz Vorfeld, Position des finiten Verbs, Hauptfeld, Prädikativum, Position des Verbs, s. H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1981: 710). 1376 Vgl. T ARVAINEN (1986: 149 ff.) 1377 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 799) 1378 Vgl. D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 800 f.) 1379 Vgl. S CHAEDLER (2018b) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 271 <?page no="272"?> kann 1380 oder in einem Kopula-Objektsprädikativ-Komplex verdeckt bleibt, aber als Koppelung einer Urteilssynthese im Sinne der Logik von Port-Royal bzw. Abaelards (s. 5.3; 5.4) als vorhanden angenommen wird. 1381 Die Vorannahmen zu einer Prädikation über das grammatische Subjekt oder Objekt führen dazu, dass zahlreichen weiteren Verben innerhalb dieses Regelwerks zur Analyse natürlichsprachlicher Aussagesätze die Rolle einer Kopula zufällt. So konstituiert sich eine enger oder weiter fassbare Gruppe von Verben, denen eine kopulaähnliche Rolle oder Wirkungsweise zugeschrieben wird, da auch sie unter diesen Vorbedingungen wie eine Koppelung zwischen einem logischen Subjekt und dem erklärten logischen Prädikat des grammatischen Subjektsprädikativs im Rahmen einer traditionellen Urteilslehre interpretierbar sind. Zifonun et al. konstatieren: „ Diese Verben leisten einen vergleichsweise geringen Beitrag zum Aufbau der Satzbedeutung: sie denotieren über die bloße Existenz des Subjekt-Denotats hinaus nur Komponenten wie Veränderung, (gruppenbezogene) Gültigkeit oder Modus der Existenz. Erst zusammen mit der Prädikativbedeutung denotieren sie ein vollständiges Prädikat. “ 1382 Desgleichen wird eine enger oder weiter fassbare Gruppe von Objektsprädikativverben wahrgenommen, da variierende Realisierungsformen im Satz als Prädikativ über ein grammatisches Objekt identifiziert werden. Als echte Kopulaverben, welche ein Subjektsprädikativ binden, gelten im Allgemeinen lediglich die Verben sein, werden und bleiben. 1383 Zifonun et al. erwähnen die Gruppe der kopulaähnlichen Verben mit Subjektsprädikativ als eine Auflistung der Verben heißen, gelten, nennen und aussehen. 1384 Nach Tarvainen erfolgt eine Zuordnung der betreffenden Verben zur Bildung von Subjektsprädikativen oder von Objektsprädikativen, wobei z. B. das Verb nennen ausschließlich ein Objektsprädikativ einer Prädikation über das Akkusativobjekt einleitet, während z. B. das Verb heißen Subjektssowie Objektsprädikative binden kann und z. B. die Verben gelten sowie aussehen nur Subjektsprädikative koppeln. 1385 In Anlehnung an Tarvainens detaillierte Darstellung soll an dieser Stelle ein exemplarischer Überblick über die verschiedenen möglichen Zuordnungen der betreffenden Kopulae, kopulaähnlichen Verben und Objektsprädikativverben vorgestellt werden. So führt Tarvainen die Verben sein, werden, bleiben, scheinen, dünken und heißen als kopulabzw. kopulaähnliche Verben an, die Subjektsprädikative im Nominativ zu sich nehmen (z. B. mein Bruder ist ein 1380 Z IFONUN et al. (1997c: 1106) 1381 Vgl. S CHAEDLER (2018b) 1382 Z IFONUN et al. (1997c: 1106) 1383 Z IFONUN et al. (1997c: 1106) 1384 Z IFONUN et al. (1997c: 1106) 1385 T ARVAINEN (1986: 143) 272 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="273"?> großer Künstler; er wird ein Dieb; er wird Kaufmann/ Arzt/ Soldat; Klaus bleibt Beamter; das scheint (mir) die beste Lösung; es dünkt mir/ mich ein Wunder). Ebenso erwähnt Tarvainen das mit dem Element zu angeschlossene Subjektsprädikativ, welches das Verb werden bindet, jedoch nicht als Berufsbezeichnung (z. B. er wird zum Dieb (ein Dieb); das Kind wird zum Mann). Die Verben sein, werden, bleiben, scheinen und dünken nennt Tarvainen als Verben, die ein adjektivisches Subjektsprädikativ binden (z. B. die Milch ist sauer geworden; das scheint mir lächerlich; mich/ mir dünkt die Antwort gut; er wurde faul genannt/ gescholten/ geschimpft). Darüber hinaus erwähnt Tarvainen die Verben gelten und erscheinen, die mit als oder für eingeleitete Subjektsprädikative fordern (z. B. er gilt als/ für dumm; er gilt als bedeutender Gelehrter; (? )er gilt für einen ehrlichen Mann) sowie das Verb dienen, das mit dem Adjunktor als angeschlossene Subjektsprädikative fordert (z. B. das ehemalige Schloss dient jetzt als Erholungsheim). 1386 Die reflexiven Verben (z. B. sich erweisen; sich zeigen; sich herausstellen), können nach Tarvainen substantivische oder adjektivische Subjektsprädikative, die mit dem Adjunktor als angeschlossen werden, binden (z. B. er erwies sich als aufrichtiger Freund; die Nachricht erwies sich als wahr; die Sache hat sich als Betrug herausgestellt; seine Behauptung stellte sich als unwahr heraus; er zeigte sich als aufrichtiger Mensch). Mit dem Element zu angeschlossene Subjektsprädikative werden nach Tarvainen unter anderem von dem reflexiven Verb sich entwickeln gefordert (z. B. das Land entwickelt sich zu einem Industrieland) und mit dem Element in angeschlossene Subjektsprädikative finden sich bei dem Verb verwandeln (z. B. er verwandelte sich in einen Schwan). 1387 Davon unterscheidet Tarvainen jene Verben, die Objektsprädikative einleiten. Substantivische Objektsprädikative treten nach Tarvainen bei den Verben nennen, schelten, schimpfen, taufen und titulieren auf (z. B. ich nannte ihn einen Faulenzer; er hat mich einen Lügner gescholten; er schimpfte sich selbst einen Narren). Adjektivische Objektsprädikative werden nach Tarvainen z. B. von den Verben nennen, heißen, schimpfen, schelten, glauben, finden, wissen, fühlen und machen angeschlossen (z. B. ich nannte ihn faul; sie hießen sich religiös; er hat mich undankbar gescholten; ich glaubte das Geld schon verloren; er findet das Buch interessant; er weiß ihn versorgt; wir fühlen uns müde; ich mache dich frei). Die mit dem Adjunktor als und dem Anschlusselement für angefügten substantivischen sowie adjektivischen Objektsprädikative werden nach Tarvainen von Verben der Bedeutungsgruppe für etwas halten eingeleitet (z. B. halten; betrachten; ansehen) (z. B. ich halte ihn für einen ausgezeichneten Wissenschaftler; ich betrachte ihn als meinen Freund; ich sehe das als ein Verbrechen an). 1386 T ARVAINEN (1986: 143 - 147) 1387 T ARVAINEN (1986: 143 - 149) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 273 <?page no="274"?> Bezüglich der mit den Elementen zu und in angeschlossenen Objektsprädikative nennt Tarvainen außerdem die Verben machen, ernennen und verwandeln (z. B. ich habe ihn zu einem toleranten Menschen gemacht; man hat ihn zum Professor ernannt; ein Zauberer hatte den Märchenprinz in einen Frosch verwandelt). Das genitivische Objektsprädikativ tritt ebenfalls mit dem Verb machen auf (z. B. hoffentlich macht ihr ihn anderen Sinnes). 1388 Steinitz schlägt zudem vor, Lokationsverben (z. B. sitzen; liegen; stehen) als „ semantisch angereicherte Kopulaverben “ 1389 zu klassifizieren, indem sie adverbiale Komplemente derartiger Lokationsverben als einen „ Spezialfall von Prädikativen “ 1390 zu rekonstruieren versucht. 1391 So wird das Syntagma, das durch das Vorkommen einer materialisierten oder verdeckten Kopula als Behauptungsmoment und einer einstelligen logischen Prädikation gekennzeichnet ist, grammatisch als Prädikatsausdruck aufgefasst, der von Verbgefügen oder komplexen Prädikaten differenziert wird. Prädikative konstituieren also eine formal uneinheitliche Kategorie. Zwischen einem substantivischen Prädikativ und seiner substantivischen Bezugsphrase besteht grammatische Kongruenz hinsichtlich des Kasus und der Person, jedoch nicht immer notwendig hinsichtlich des Numerus und Genus. Diese Kongruenz wird manchmal als prädikative Kongruenz bezeichnet (s. 7.4.2.3). Prädikative sind im Fall eines Subjektsprädikativs z. B. als nominativische und genitivische Nominalphrasen (z. B. mein Bruder ist ein großer Künstler; er ist frohen Mutes), unflektierte Adjektive (z. B. mein Bruder ist begabt), Partizip-Formen (z. B. mein Bruder ist hörend), Adverbien (z. B. die Mühe war umsonst), Adkopulae (z. B. das ist egal), kasustransparente Konstruktionen mit dem Adjunktor als (z. B. er gilt als/ für dumm; er gilt als bedeutender Gelehrter), nicht kasustransparente Präpositionalphrasen (z. B. er wurde durch den Tod seiner Eltern zum Dieb; Zeus verwandelte sich in einen Schwan; die Sache ist von Bedeutung; der Ring ist aus Gold; der Mann ist ohne Mittel), mit den Anschlusselementen wie, als, als ob, wie wenn eingeleitete Subjunktorsätze 1392 , nicht kasustransparente für-Konstruktionen (z. B. das Geld ist für seinen Berater (Bsp. nach HMP09/ MAR.01857 Hamburger Morgenpost, 17.03.2009, S. 44; 150 000 Euro - wer kassierte in Zagreb? )), eine wie-Konstruktion (z. B. er heißt wie sein Vater), mit dem Element zu oder ohne zu angeschlossene Infinitive (z. B. verbannt werden heißt sterben; sein Ziel war, Politiker zu werden), ein satzwertiges zweites Partizip (z. B. frisch gewagt ist halb gewonnen) oder als mit einem W-Element eingeleitete Nebensätze realisiert 1388 T ARVAINEN (1986: 149 - 151) 1389 S TEINITZ (1992: 186) 1390 S TEINITZ (1992: 186) 1391 S TEINITZ (1992: 186 - 205) 1392 Z IFONUN et al. (1997c: 1108 ff.) 274 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="275"?> (z. B. er bleibt wie er war; er bleibt, was er immer war, nämlich ein Träumer). 1393, 1394 Objektsprädikative können z. B. von akkusativischen und genitivischen Nominalphrasen (z. B. ich nannte meinen Bruder einen Faulenzer; hoffentlich macht ihr ihn anderen Sinnes), unflektierten Adjektiven (z. B. ich nannte meinen Bruder faul), Partizip-Formen (z. B. ich nannte meinen Bruder hörend), Adkopulae (z. B. er nennt ihn pleite), Infinitiven (z. B. das nenne ich arbeiten), nicht kasustransparenten zu- und in-Konstruktionen (z. B. man hat ihn zum Professor ernannt; die Explosion hat das Haus in ein Trümmerfeld verwandelt) sowie kasustransparenten als- und für-Konstruktionen (z. B. die Ärzte halten den Mann für tot; ich betrachte ihn als meinen Freund) 1395 repräsentiert werden. Der Akkusativ einer in-Konstruktion ist von der Präposition in regiert (z. B. ein Zauberer hatte den Märchenprinz in einen Frosch verwandelt). Da die für-Konstruktion traditionellerweise als Objektsprädikativ erfasst ist und sich in dieser syntaktischen Position auf die akkusativische Bezugsphrase bezieht, ergibt sich das Phänomen der prädikativen Kongruenz für die beiden Nominalphrasen im Akkusativ, weswegen die für-Konstruktion als Objektsprädikativ mit akkusativischer Bezugsphrase auch als Konstruktion mit einem kasustransparenten Anschlusselement für verstanden werden kann (z. B. ich halte ihn für einen harten Hund (Bsp. nach NON09/ MAR.05939 Niederösterreichische Nachrichten, 10.03.2009, S. 88; DAS SAGT DIE FUSSBALL-BASIS)). Die Gruppe der Realisierungsformen des Prädikativs wird somit in der Literatur ebenfalls unterschiedlich weit oder eng gefasst und ihre Elemente sind terminologisch uneinheitlich klassifiziert. Die Kopula bindet nach Zifonun et al. generell ein gesättigtes Prädikativ. Deshalb werden nach Zifonun et al. sämtliche, an ein Prädikativ gebundene Elemente als Teile einer Konstruktion interpretiert, die durch das Prädikativ und nicht durch das in diesen Fällen intransitive Kopulaverb lizenziert sind. 1396 (S. 7.4.2.4) 1397 Während für die Kopula-Subjektsprädikativ-Komplexe zumeist eine Interpretation des der Kopula bzw. dem kopulaähnlichen Verb rechtsadjazenten Terms als Prädikativ (s. 4.1.1) und in seltenen Fällen als Adverbial (z. B. die Kinder sind im Garten/ unten) 1398 vorgeschlagen wird, ergeben sich für die Kopula-Objektsprädikativ-Komplexe und deren Term in syntaktischer Position des traditionellen Objektsprädikativs verschiedenste Deutungen unter variierenden gram- 1393 T ARVAINEN (1986: 142 f.) 1394 Vgl. S CHAEDLER (2018b) 1395 T ARVAINEN (1986: 142 f.) 1396 Z IFONUN et al. (1997c: 1110) 1397 Vgl. S CHAEDLER (2018b) 1398 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 424 f.) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 275 <?page no="276"?> matiktheoretischen Rahmenbedingungen. Dabei sind insbesondere vier verschiedene Ansätze zu unterscheiden. Eine erste Analysemethode ist die Small- Clause-Analyse mit einer Argumentation auf Basis generativer Grammatikmodelle. 1399 Eine zweite Analysemethode nennt Bauswein Prädikationsanalyse. 1400 Dazu erwähnt Helbig 1401 einen Ansatz syntaktischer Analyse 1402 sowie eine semantisch-pragmatische Interpretation 1403 . Aufgrund einer derartig vielfältig motivierten Ermittlung prädikativer Verhältnisse im Satzverband, werden nicht nur eine Subjektsprädikation mit einer Nominalphrase im Nominativ (z. B. Anna ist Schriftstellerin; das Kind wird wieder gesund) oder einem Nebensatz (z. B. dass Otto nicht kommen kann, ist bedauerlich; diesen Gletscher ohne Seil zu überqueren, ist ein gefährliches Wagnis) als logisches Subjekt bzw. Bezugsphrase und eine Objektsprädikation mit einem Akkusativobjekt (z. B. der Verein wählte Otto zu seinem Vorsitzenden; das graue Wetter macht mich ganz trübsinnig) als logisches Subjekt bzw. Bezugsphrase erfasst, sondern es werden auch Objektsprädikative mit einem Dativobjekt (z. B. als gutem Beobachter fiel dem Ornithologen das seltsame Verhalten des Buntspechts sofort auf) oder einem äquivalenten Nebensatz (z. B. dass Otto nicht kommen kann, halte ich für sehr bedauerlich) als logisches Subjekt bzw. Bezugsphrase und Prädikative mit einem Attribut (z. B. Annas Arbeit als EDV-Verantwortliche war spannend; die Arbeit von Anna als EDV-Verantwortliche war spannend; ihre Arbeit als EDV-Verantwortliche war spannend) als logisches Subjekt bzw. Bezugsphrase veranschlagt. 1404 Die mögliche Interpretation einer Struktur als ein traditionelles Prädikativ mit Bezug auf eine Nominalphrase im Dativ wird in der Beleganalyse der vorliegenden Studie für das Verb sein (KV 2 ; KV 3 ) und das Verb werden (KV 2 ) anerkannt. 1405, 1406 Ausführlich hat Bausewein eine angenommene Prädikation im Satz als Objektsprädikat beschrieben. In Akkusativobjekt, Akkusativobjektsätze und Objektsprädikate im Deutschen 1407 stellt Bausewein zunächst folgende Definition auf: „ Der Terminus ‚ Objektsprädikat ‘ wird hier als Oberbegriff für alle Elemente verwendet, deren logisches Subjekt ein Objekt ist [Fn. 1: Ausgenommen sind hier die Infinitivsätze, deren logisches Subjekt ein Objekt ist [ … ]]. “ 1408 Anschlie- 1399 C HOMSKY (1981); R IEMSDIJK / W ILLIAMS (1986); S TOWELL (1983); vgl. z. B. B AUSEWEIN (1990: 204 - 206); H ELBIG (2004 [1984]a: 737 - 739); P FÜTZ (1982); P FÜTZ (1988); F LAATE (2007) 1400 W ILLIAMS (1980); W ILLIAMS (1983) 1401 H ELBIG (2004 [1984]: 736 f.) 1402 M ARKO (1980) 1403 R ATH (1972); D OWTY (1972); N IKULA (1982) 1404 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 800 f.) 1405 Zur Erklärung der Koordinationsvalenzstruktur (KV), s. 6.6; 7.4.2.4; 7.6; 7.6.2. 1406 Für eine detaillierte Analyse der Verben sein und werden, s. 10. 1407 B AUSEWEIN (1990) 1408 B AUSEWEIN (1990: 201) 276 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="277"?> ßend listet Bausewein sämtliche Konstruktionen auf, welche diesen sogenannten Objektsprädikaten angehören: 1. AcI-Konstruktionen (z. B. ich sah ihn tanzen); 2. AcI-ähnliche Konstruktionen (z. B. er glaubte sich sicher); 3. Resultative (z. B. er streicht die Wand gelb); 4. prädikative Attribute (z. B. er trägt die Suppe heiß herein); 5. Objektsprädikative (z. B. sie nannte ihn einen Idioten); 6. fakultative als-Phrasen (z. B. als Mensch schätzten wir ihn alle). 1409 Bausewein fasst zusammen: „ Allen diesen Strukturen ist gemeinsam, daß zwischen Objekt und Objektsprädikat die semantische Relation der Prädikation besteht “ 1410 . Hierbei stellt sich vor allem aufgrund der nicht materialisierten Kopula die Frage, ob ein präsumiertes logisches Objektsprädikat syntaktischer oder semantischer bzw. logisch-semantischer oder semantisch-syntaktischer Natur ist. Bausewein kommt zu dem Schluss, dass die empirische Hauptmotivation einer Small-Clause-Analyse für das Deutsche nicht gegeben ist, denn es lässt sich „ durch keinen Konstituententest bestätigen, daß es sich bei den fraglichen Strukturen um Konstituenten handelt. “ 1411 Statt dessen können nach Bauseweins Observation Objekte und ihre Prädikate im Mittelfeld des Satzes getrennt auftreten und einzeln, aber nicht gemeinsam topikalisiert werden. 1412 Diese Beobachtung wird in der Beleganalyse der vorliegenden Studie durch die Applikation der linguistischen Testverfahren 1413 geprüft und das Ergebnis je untersuchtem Verb dokumentiert (s. 10). Bezüglich der sogenannten Prädikationsanalyse konkludiert Bausewein: „ Es handelt sich daher bei diesen Sätzen aus syntaktischer Sicht um monosententiale Strukturen. Lediglich nach der Definition für Sätze in einem logischen Sinn, nach der ein Satz aus einem Prädikat und seinen Argumenten besteht, sind zwei Sätze enthalten. Dies impliziert, daß diese Sätze sich in syntaktischer Hinsicht wie einfache Sätze verhalten sollten und die Evidenz für Bisententialität eher semantisch-interpretativer Natur sein sollte. “ 1414 Dabei hält Bausewein an der traditionellen Auffassung der Proposition als monadischer Prädikatenkalkül, welcher komplexere sprachliche Strukturen in einstellige aussagenlogische 1409 B AUSEWEIN (1990: 201) 1410 B AUSEWEIN (1990: 201) 1411 B AUSEWEIN (1990: 205) 1412 B AUSEWEIN (1990: 206) 1413 Zur Applikation insbesondere der linguistischen Testverfahren des Permutationstests, des Topikalisierungstests und des Telizitätstests sowie sämtlicher weiterer angewendeter linguistischer Testverfahren, s. 7.4.2; 7.4.2.1; 7.4.2.2; 7.4.2.3; 7.4.2.4. 1414 B AUSEWEIN (1990: 208) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 277 <?page no="278"?> Strukturen zerlegt, fest, obwohl sie schließt, dass es sich syntaktisch im Deutschen nicht um eine derartige Zerlegung in mehrere sententiale Strukturen innerhalb eines Aussagesatzes handle. Auch dieses Resultat der Erörterung Bauseweins wird in der vorliegenden Studie überprüft, jedoch unter der Voraussetzung, dass logische Prädikate bzw. Begriffe nicht nur potentiell einstellig, sondern unter Umständen auch mehrstellig sein können. Eine sich aus syntaktischen oder semantischen Gründen ergebende Bisententialität ist hierbei nicht a priori ausgeschlossen. Diese logisch-semantischen Strukturen in Kopula-Objektsprädikativ-Komplexen werden ebenfalls für jedes einzelne untersuchte Verb in der Beleganalyse der vorliegenden Studie ermittelt (s. 10). Auffällige syntaktische und logisch-semantische Strukturen diesbezüglicher Interpretationen zeigen z. B. Kopula-Objektsprädikativ-Komplexe mit den Verben heißen und schimpfen. Für das Verb heißen betrifft dies traditionelle Kopula-Objektsprädikativ-Komplexe der Form die Schulbürgerversammlung hiess alle Anträge gut (Bsp. nach A09/ MAR.09386 St. Galler Tagblatt, 28.03.2009, S. 33; Budget mit deutlichem Mehr gutgeheissen) (KV 5 heißen). Das Verb schimpfen ist in Komplexen der Form die Schülerschaft schimpft die sanitären Anlagen veraltet (A98/ NOV.72709 St. Galler Tagblatt, 13.11.1998, Ressort: WV- UTT (Abk.); ausgeplaudertStille Bedürfnisse) (LA3 schimpfen) in eine Konstruktion mit einer Einheit, die unter Vorbehalt als eine Art Objektsprädikativ intepretierbar ist, eingebunden. In diesen beiden Fällen vom Typ die Schulbürgerversammlung hiess alle Anträge gut (KV 5 heißen) sowie vom Typ die Schülerschaft schimpft die sanitären Anlagen veraltet (LA3 schimpfen) (keine KV) ist das sogenannte Objektsprädikativ (z. B. gut; veraltet) zudem entgegen der Observation in Bauseweins Beispiel 1415 obligatorisch und kann nicht topikalisiert werden, ohne potentiell als Adverbial zu fungieren 1416 . Die genannten Komplexe zu den Verben heißen und schimpfen (KV 5 heißen; LA3 schimpfen (keine KV)) könnten aus diesen Gründen im Rahmen eines generativ-transformationellen grammatiktheoretischen Ansatzes auf ihren Charakter als potentielle Small-Clauses hin geprüft werden, was jedoch in der vorliegenden Studie nicht vorgenommen wird, da dies eine eigene Studie unter grundsätzlich veränderten theoretischen Rahmenbedingungen in einer anderen Grammatiktheorie erfordern würde. Es sei an dieser Stelle lediglich darauf hingewiesen, dass für diese beiden obig genannten Komplexe (KV 5 heißen; LA3 schimpfen (keine KV)) gemäß der Beleganalyse (s. 10) der vorliegenden Untersuchung eine Interpretation als traditionelles Objektsprädikativ (auch: Objektsprädikat) 1415 B AUSEWEIN (1990: 206) 1416 Zu einer Erläuterung des Topikalisierungstests (TOP) sowie des Telizitätstests (TEL), s. 7.4.2; 7.4.2.1; 7.4.2.2. 278 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="279"?> naheliegt und dass aus syntaktischen Gründen eine gemeinsame Erfassung des traditionellen Objektsprädikativs und seiner Bezugsphrase indiziert ist, da die Entität in syntaktischer Position des traditionellen Objektsprädikativs in diesen Fällen adjazent an seine Bezugsphrase gebunden ist und keinen eigenen Satzgliedstatus besitzt, was sich eventuell günstig auf eine Interpretation als Small-Clause auswirkt. 1417 Bauseweins differenzierte Analyse der Komplexe mit einem angenommenen logischen Objektsprädikat wird in der vorliegenden Untersuchung durch eine kritische Reflexion über die Schnittstelle zwischen Syntax und Semantik sowie einer Revision der traditionellen Urteilslehre und damit der assertorischen Auffassung logisch-semantischer Strukturen ergänzt als auch einer valenztheoretischen sowie dependenzgrammatischen Betrachtung unterzogen. Die Motivation für einen valenztheoretischen Ansatz statt eines generativen Ansatzes ist die Akzeptanz mehrstelliger Prädikate, welche als Erweiterung monadischer Prädikate begriffen werden, die ebenfalls akzeptiert sind, sowie die Feststellung, dass insbesondere für zahlreiche verschiedene Realisierungen in syntaktischer Position des traditionellen Objektsprädikativs nicht gewiss ist, ob es sich um eine obligatorische, fakultative oder freie Einheit handelt. 1418 Aus Perspektive der vorliegenden Studie ist dies anhand morphosyntaktischer und logisch-semantischer Relationen im Satz zu klären, die von der Kopula, dem kopulaähnlichen Verb oder dem Objektsprädikativverb initiiert sind. Eine übersichtlich gegliederte Darstellung sämtlicher Prädikative und eine Einteilung derselbigen in Subjektsprädikative, Objektsprädikative, Depiktive und Resultative sowie eine Erläuterung zur Auffassung von Prädikativen als sogenannte freie Prädikative bietet Dolinskas Zur Klassifizierung der Prädikative 1419 . In der vorliegenden Studie müssen traditionelle Prädikative, welchen die Termini Subjekts- oder Objektsprädikativ beigelegt werden, obligatorische Ergänzungen sein. Unter Vorbehalt können diese Termini auch für die von einer fakultativ angeschlossenen Nominalphrase als Bezugsphrase obligatorisch geforderten Entitäten verwandt werden. 1420 Eine Reflexion über die traditionelle Urteilslehre ist aufgrund der Theorie Freges sowie der obig dargelegten Unstimmigkeit der traditionellen Urteilslehre mit dem Leibniz- Gesetz und der Definition einer mathematischen Funktion (s. 5.6.4) angebracht sowie durch die Tatsache motiviert, dass selbst syntaktisch und semantisch restrukturierende Grammatiktheorien, wie z. B. Erbens Ansatz, über die logische Prädikation zum Teil nicht ausreichend reflektieren 1421 (s. 4.1.2; 4.1.3). 1417 Für eine detaillierte Analyse zu den Verben heißen und schimpfen, s. 10. 1418 Vgl. z. B. H ELBIG (2004 [1984]a: 736); vgl. H ELBIG (2004 [1974]) 1419 D OLINSKA (2012); vgl. D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 799 - 806) 1420 S. 10, z. B. LA3 schimpfen u. SBP1 schimpfen. 1421 Vgl. E RBEN (1978); vgl. E RBEN (1980: 58) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 279 <?page no="280"?> Resümierend ist festzuhalten, dass in der vorliegenden Untersuchung die Zusammenstellung der Sekundärdaten in der Beleganalyse des empirischen Teils (s. 10) einen Überblick über einen Teil der Terme in syntaktischer Position des traditionellen Subjekts- und Objektsprädikativs gibt. Eine umfassende Sammlung aller in Grammatiken als auch in der Fachliteratur erwähnten Prädikative wird in der vorliegenden Studie nicht gesondert vorgestellt, sondern auf Dolinska 1422 verwiesen. Dieses Vorgehen ist dadurch gerechtfertigt, dass die vorliegende Studie primär die Kopulae und kopulaähnlichen Verben sowie deren inhaltliche Dimension als Untersuchungsgegenstand hat. 5.8.2 Das Verb als mehrstelliges Prädikat im deutschen Aussagesatz Ansätze, die einer Koppelung von grammatischem Subjekt und traditionellem Prädikativ entgegenwirken und das Verb als ein- oder mehrstelliges Prädikat sowie als Zentrum der Satzorganisation erfassen, sind bereits bei P āṇ ini 1423 und Meiner 1424 nachzuvollziehen. Der Aufbau P āṇ inis Grammatik erfordert ein ausführliches Studium zum Verständnis des Inhalts, weswegen derselbige an dieser Stelle aus Zeit- und Platzgründen nicht in angemessener Form vorgestellt werden kann. Unmittelbar auffällig ist jedoch, dass P āṇ ini seine Sûtras mit Ausführungen zu den V ŗ ddhi und Gu ṇ a mit dem Verbalstamm beginnt. In der Anmerkung Böhtlingks ist hierzu notiert: „ Pâ ṇ ini erklärt absichtlich [als V ŗ ddhi aufgeführt] vor गुण [als Gu ṇ a aufgeführt] und setzt es als Prädicat gegen seine Gewohnheit an den Anfang des Sûtra, um sein Werk mit einem Glück verheißenden Worte zu beginnen. “ 1425 Meiners Motivation für prädikatzentristische Annahmen bildet die Auffassung, dass Gedanken in Sätzen abgebildet werden: „ Soll nun die Rede unserm Denken, wie ein Bild seine Orginale entsprechen; so muß nothwendig unter den Sprachen eine eben so große Aehnlichkeit herrschen, als unter mancherley Bildern eines einzigen Orginals, wenn solche anders alle wohl getroffen sind. “ 1426 Meiner inkludiert die Kopula in Übereinstimmung mit der Logik von Port-Royal in jedem Verb und führt aus: „ A. Verba, die etwas unselbständiges bezeichnen, und zugleich die Copulam propositionis mit in sich schließen. Daher sie zu weiter nichts, als nur alleine zu Prädikaten gebraucht werden können. “ 1427 Allerdings nimmt Meiner das Verb als Begriff wahr, welcher aufgrund seines begrifflichen Gehalts eine gegen- 1422 D OLINSKA (2012) 1423 B ÖHTLINGK (Hrsg. 1887) 1424 M EINER (1781) 1425 B ÖHTLINGK (Hrsg. 1887: 2) 1426 M EINER (1781: 79) 1427 M EINER (1781: 80) 280 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="281"?> ständliche Sättigung erfordert und spricht „ Von den nothwendigen Bestimmungen, die das Prädikat vermöge des inneren Gehalts seines Begriffes zu seiner Erklärung erfordert. “ 1428 Die Prädikate können nach Meiner ein-, zwei- oder dreistellig sein, so dass er einseitig, zweiseitig und dreiseitig unselbständige Prädikate nennt. 1429 Meiner konkludiert: „ Das Prädikat ist der vornehmste Theil des Satzes; denn aus ihm entwickelt sich der ganze Satz. Es gleichet einer vollen Frühlingsknospe. “ 1430 Ob dieser Meinerschen Erklärungen, welche mit den mehrstelligen Prädikaten der modernen Logik korrespondieren, erwirkt die Theorie der Kopula sowie der traditionellen Urteilslehre entgegengesetzte Entwicklungen in der deutschen Sprachwissenschaft. Das Heranziehen neuerer linguistischer Forschung eröffnet aber einen veränderten Blickwinkel auf die Rolle des Verbs im Satz. So haben Tesnière und Erben etwa zeitgleich statt der traditionellen horizontalen Perspektive auf den Satz, wie sie in der linearen Abfolge der Zeichen für Subjekt, Kopula und Prädikat gegeben ist, eine Perspektive auf den zeichenhaften Ausdruck in eher vertikaler Richtung, die zunächst inhaltlich motiviert und orientiert ist 1431 , eröffnet. 1432 Durch eine Einbeziehung des Inhalts eines zeichenhaften Ausdrucks gemäß eines semiotischen Dreiecks (Abb. 2) (s. 5.6.1; vgl. 5.6.2), der als Sinn nach Frege interpretiert werden kann, ergibt sich außerdem anschaulich nicht nur die traditionelle Bedeutungskonstitution in linearer, horizontaler Richtung des zeichenhaften Ausdrucks, sondern nun auch die Apperzeption einer dritten, vertikalen Dimension. Zu einer jedoch unter Umständen fehlleitenden Konklusion kommt Welke, wenn er zusammenfasst: „ Es ist aber nicht die Sprache an sich, die diese Dichotomie [Subjekt - Prädikat] suggeriert, sondern eine bestimmte Auffassung von Sprache, und die ist entscheidend durch die aristotelische Logik geprägt. “ 1433 In Anbetracht einer unvoreingenommenen Betrachtung der Struktur von deutschen Aussagesätzen, soll diese sich nach Welke vom „ Prokrustesbett der traditionellen aristotelischen Logik “ 1434 befreien. An dieser Stelle ist zu beachten, dass Welke auf Aristoteles und damit auf die Einstelligkeit der Prädikate in der traditionellen Logik verweist, jedoch nicht kritisierend auf die Theorie der Abaelardschen Kopula, die Rezeption der Syllogistik Aristoteles ’ durch die jansenistisch und cartesianisch geprägte Logik von Port-Royal sowie die Ambiguitätsthese nach Russell referiert. Die 1428 M EINER (1781: 127) 1429 M EINER (1781: 132, 143) 1430 M EINER (1781: 127) 1431 Vgl. E ROMS (2003: 164) 1432 E ROMS (2003: 162) 1433 W ELKE (2011: 69) 1434 W ELKE (2011: 67); vgl. K LAUS (1958) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 281 <?page no="282"?> traditionelle Urteilslehre geht, wie obig dargelegt, insbesondere auf Abaelards Rezeption der Syllogistik Aristoteles ’ zurück, während eine Interpretation der aristotelischen Schriften in Verbindung mit der assertorischen Kopula oder einer das logische Prädikat vergegenständlichenden Synthese von Subjekt und Prädikat im Aussagesatz als eine anachronistische Sichtweise auszuweisen ist (s. 5.3; 5.4). Welke bemerkt daraufhin an, dass sich die moderne Logik selbst von der „ traditionellen aristotelischen Logik befreit “ 1435 hätte. Auch diese Bemerkung Welkes reflektiert nicht hinreichend, denn die moderne Logik Russells, welche Welke diesbezüglich erwähnt 1436 hat sich nicht von der traditionellen Urteilslehre Abaelards oder der Logik von Port-Royal gelöst und eine extensionale Interpretation des Terms in syntaktischer Subjektsposition sowie des Terms in syntaktischer Prädikativposition als Namen von Klassen oder Einzelgegenständen stützt Aspekte derselbigen zudem (s. 5.5.2). In seiner Einführung in die Satzanalyse 1437 vertritt Welke die Ambiguitätsthese nach Russell 1438 und einen mustergültigen Binarismus bzw. Tertiärismus nach der Logik Port-Royal, indem er Sätze mit Kopula-Objektsprädikativ-Komplexen in zwei einstellige Prädikate zersetzt und eine verdeckte assertorische Kopula zwischen dem grammatischen Objekt als logischem Subjekt und dem grammatischen Objektsprädikativ als logischem Prädikat lokalisiert. Dabei steht die Abkürzung <kop> nach Welke für den Befehl kopiere 1439 , doch das einstellige logische Prädikat des Objektsprädikativs nach Welke suggeriert eindeutig eine ist-Prädikation über das von ihm als logisches Subjekt eines einstelligen Prädikats instrumentalisierte grammatische Objekt, da Welke eine Synthese zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat mit der Kopula sein erwirkt sieht. So ist der Beispielsatz Anton nennt Emil faul nach Welke für den Empfänger mit der Äußerung Emil ist faul assoziierbar und das Exempel Anton sagt, dass Emil faul ist, demonstriert nach Welke gegenüber dem erstgenannten Beispiel „ eine weniger kondensierte Satzstruktur[en] [sic] [ … ], in der der Zusammenhang zwischen Emil und faul deutlicher kodiert ist. “ 1440 Die von Welke tangierte Dreistelligkeit des Prädikats im finiten Verb 1441 wird durch diese Betrachtungsweise Welkes restlos aufgehoben, für nichtig erklärt und durch ein traditionelles monadisches Prädikat ersetzt. 1442 Welke erweitert sogar die im All- 1435 W ELKE (2011: 67) 1436 W ELKE (2011: 67) 1437 W ELKE (2007) 1438 W ELKE (2007: 170) 1439 W ELKE (2007: 173) 1440 W ELKE (2007: 173) 1441 W ELKE (2007: 173 f.) 1442 W ELKE (2007: 162 - 193) 282 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="283"?> gemeinen gefasste Gruppe der grammatischen Prädikative (s. 4; 5.8.1) und transferiert damit das Erklärungsmodell des monadischen Prädikats im Rahmen der traditionellen Urteilslehre in anderweitige Satzstrukturen, indem er schließlich konstatiert: „ Infinitive in AcI-Konstruktionen und Adjektive und Substantive in AcI-ähnlichen Konstruktionen fassen wir ebenfalls als Objektsprädikativa auf. “ 1443 Die Aussagen Welkes korrigierend kann aus Perspektive der vorliegenden Studie angemerkt werden, dass die moderne Logik nach Frege mitsamt der Lehre über die Stufen der Prädikate, Begriffe, Beziehungen und Funktionen, welche eine Typentheorie motiviert, keine Verwerfung der Syllogisik Aristoteles ’ darstellt, sondern eine Weiterentwicklung und Erweiterung derselbigen anhand der Miteinbeziehung mehrstelliger Prädikate und höherstufiger Prädikate (auch: Begriffe; Beziehungen; Funktionen), wobei der intensionale Charakter des logischen Prädikats, welcher eine Stufenhierarchie der Gegenstände sowie Prädikate erzeugt, aus Aristoteles ’ Syllogistik abzuleiten ist (s. 5.7.1). 1444 Obig wurde gezeigt, dass die Intensionsauffassung der Logik von Port-Royal hierzu nichts beiträgt, da die Abaelardsche Kopula, deren Theorie in der Logik von Port-Royal als psychologistischer Assertionsmoment vertreten wird, das Intensionsverständnis unbrauchbar macht und das logische Prädikat vergegenständlicht (s. 5.4). Eine sogenannte Befreiung 1445 von der Syllogistik Aristoteles ’ wäre demnach unproduktiv. Ein Ansatz, Sprachzeichen als mehrstellige Funktionen bzw. als Beziehungen oder höherstufige Begriffe im Fregeschen Sinn zu interpretieren, findet sich in der deutschen Grammatikschreibung zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Da sich die Grammatikforschung bemühte, die syntaktischen Kategorien neu und aus den Eigenschaften der deutschen Sprache herzuleiten, repräsentiert die Lehre von den Valenzen des Verbs nach Eroms wissenschaftsgeschichtlich eine spezifische Aufnahme strukturalistischer Ansätze. 1446 Dies legt Eroms in seinem Aufsatz Die Wegbereiter der deutschen Valenzgrammatik dar und soll an dieser Stelle zusammengefasst wiedergegeben werden, da die vorliegende Studie nicht die grundsätzlichen strukturellen Annahmen der Valenztheorie in der Grammatik zum primären Untersuchungsgegenstand hat, sondern die Konnexionsstrukturen sowie insbesondere die Inhalte und die Rollen der Kopulae, der kopulaähnlichen Verben sowie der Objektsprädikativverben. Die Einbeziehung mehrstel- 1443 W ELKE (2007: 193) 1444 Zu Freges Überlegungen hinsichtlich Subjekt, Prädikat und Objekt im Satz, s. F REGE (2007 [1879]: 3 f., 18). 1445 W ELKE (2011: 67 f.) 1446 E ROMS (2003: 159) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 283 <?page no="284"?> liger Prädikate und die Übernahme der Termini Wertigkeit 1447 oder Valenz in die Linguistik vollzog und vollzieht sich langsam. Selbsterklärend stellt es eine Herausforderung dar, die sich durch jene neuen Theorien eröffnenden Möglichkeiten mittels einer von der gelehrten dichotomischen Satzstruktur vorgeprägten Denkweise zu erschließen. Deshalb erwähnt Eroms einige Grammatiken, die nach Eroms Begründung trotz Konsideration neuer Ansätze am tradierten Strukturschema eines binär oder tertiär gegliederten natürlichsprachlichen Aussagesatzes verhaftet bleiben, so die Die innere Form des Deutschen 1448 von Glinz 1449 , Porzigs Abhandlung Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen 1450 , Admonis Der deutsche Satzbau 1451 , Brinkmanns Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung 1452 sowie Grebes Neuausgabe der Dudengrammatik 1453 . Erben jedoch erkennt konsequent mittels einer vertikalen Perspektive auf den deutschen Aussagesatz das Verb als „ kategorial wichtigste Wortklasse “ 1454 , als Satzkern und als Träger der Satzaussage. Erben unterscheidet hier den verbalen Aussagekern V und sogenannte Ergänzungsbestimmungen E. 1455 Das Subjekt wird graphisch in Erbens Modell links unterhalb des Verbs platziert, die anderen Ergänzungen sind rechts unterhalb des Verbs positioniert (s. u. Abb. 16). 1456, 1457 So erläutert Erben entsprechend seiner eher vertikalen, den Inhalt des Verbs miteinbeziehenden Perspektive auf den deutschen Aussagesatz: „ Das, was man als Satzglieder anspricht, sind im Grunde ‚ besetzte Rollen ‘ oder ‚ (Plan-)Stellen ‘ unserer Satzbaupläne “ 1458 . Erben erklärt, dass er den Fachausdruck der Chemie Wertigkeit bei der Ausarbeitung des entsprechenden Artikels für das Grimmsche Wörterbuch entdeckt habe, wobei ihm dieser „ als Hilfsbegriff auch für die Syntax brauchbar “ 1459 erschien. 1460 Eine Auffassung des Verbs als Begriff nach Frege ist jedoch unmittelbar naheliegend, wobei die potentiell mehreren (Plan-) 1447 Dem Terminus Wertigkeit wäre der Terminus Stelligkeit vorzuziehen, da dieser die (Leer-) Stellen/ Argumentstellen eines Begriffs (auch: Funktion; Prädikat) anspricht, während der Terminus Wertigkeit fehlerhaft mit der Wertemenge, dem Wertverlauf bzw. der Bedeutung eines Begriffs (auch: Funktion; Prädikat) assoziiert werden kann. 1448 G LINZ (1973) 1449 E ROMS (2003: 162) 1450 P ORZIG (1934); s. insbes. P ORZIG (1934: 70, 72, 74, 76); E ROMS (2003: 160) 1451 A DMONI (1966); s. insbes. A DMONI (1966: 82); E ROMS (2003: 160 f.) 1452 B RINKMANN (1962); s. insbes. B RINKMANN (1962: 223 ff., 511); E ROMS (2003: 160 - 163) 1453 G REBE (Hrsg. 1959); s. insbes. G REBE (Hrsg. 1959: 81, 434, 466 - 469); E ROMS (2003: 163) 1454 E RBEN (1995: 68) 1455 E RBEN (1980: 246, 260) 1456 E RBEN (1980: 261 ff.) 1457 E ROMS (2003: 161) 1458 E RBEN (1958: 188) 1459 E RBEN (1995: 67) 1460 E ROMS (2003: 161 f.) 284 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="285"?> Stellen nach Erben als Argumentstellen einer ungesättigten Funktion (auch: Begriff; Beziehung; Prädikat) dienen. 1461 Erben geht nicht auf den Unterschied zwischen extensionaler und intensionaler Logik ein, so merkt er kritisch an: „ Offensichtlich kann der grammatische Begriff der syntaktischen Valenz nicht einfach mit dem scheinbar völlig entsprechenden Begriff der ‚ Stelligkeit ‘ in der ‚ Prädikaten-Logik ‘ gleichgesetzt werden, wenngleich ‚ im Begriff der Valenz, der Wertigkeit, der Stelligkeit, Prädikatenlogik und immanente Sprachbeschreibung immer direkter aufeinanderstoßen ‘ . Schon deshalb wäre es für den Grammatiker ratsam, bis zur genauen Klärung der logisch-grammatischen Entsprechungsverhältnisse nicht von der Wertigkeit des ‚ Prädikats ‘ , sondern unmißverständlicher von der Valenz des Verbs zu sprechen “ 1462 . Das Warten auf eine Klärung erfordert jedoch eine Assoziation der beiden Termini Valenz und Stelligkeit miteinander, um eine Weiterentwicklung oder eine Klärung der logisch-grammatischen Entsprechungsverhältnisse, wie Erben es formuliert, zu erwirken, und es kann nicht von einer Offensichtlichkeit gesprochen werden, solange die genauen Sachverhalte und Entsprechungsverhältnisse nicht erprobt, untersucht und erforscht wurden. Die Stelligkeitsbestimmung des verbalen Zeichenträgers führt mit der Anerkennung seines Wesens als Begriff oder Beziehung zum semiotischen Zeichenmodell, zur Sinnkonstitution in der Logik Freges und zu einer stufigen Strukturierung des Satzes, wie das folgende Schema Erbens 1463 veranschaulicht (Abb. 16). Abb. 16: Allgemeines Strukturbild nach Erben 1464 In Übereinstimmung mit vorangehender Graphik (Abb. 16) legt Erben des Weiteren bezüglich des Verbs dar: „ Von seiner syntaktischen Wertigkeit ( ‚ Fügungspotenz ‘ ) - man kann sie geradezu mit der Valenz eines Atoms vergleichen - hängt es wesentlich ab, welche und wie viele Ergänzungsbestimmungen im Vor- und Nachfeld des Verbs auftreten und das Satzschema ausgestalten. Die ‚ inhärente ‘ Syntax des Verbs, seine Fähigkeit zu spezifischer 1461 E RBEN (1980: 255) 1462 E RBEN (1980: 255) 1463 Vgl. E RBEN (1961: 188) 1464 E RBEN (1980: 261 ff.) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 285 <?page no="286"?> Gruppenbildung, erweist sich als eine wesentliche Hilfe beim Aufbauen deutscher Sätze. “ 1465 Dieser Beobachtung Erbens ist hinzuzufügen, dass Erben mit der inhärenten Syntax des Verbs durchaus einen ähnlichen Sachverhalt beschreibt, wie er der Komposition der Sinnstruktur nach Frege eigen ist. Auffällig ist des Weiteren, dass Erben die Struktur des Satzes vor allem als grammatisches Grundgerüst, als durch die syntaktische Wertigkeit bzw. die syntaktische Valenz gegeben sieht und vorerst nicht der Semantik oder einer Bedeutung in der außersprachlichen Wirklichkeit eine entscheidende Rolle zuschreibt. Erst darauffolgend zieht Erben semantische Selektionsregeln 1466 hinzu. Nach diesen Kriterien ist nach Eroms bei Erben somit das Verb in seiner „‚ vertikalen ‘ Organisationsrichtung “ 1467 gefasst. Erben spricht auch von einer sogenannten Ausgestaltung des deutschen Satzes. Diese Deskription mit der Bezeichnung Gestalt soll an dieser Stelle nicht übernommen werden. Obwohl Erben nicht auf Ehrenfels referiert und das Wort Gestalt bzw. Ausgestaltung wahrscheinlich im gewöhnlichen Wortgebrauch verwendet, soll dieses Wort als Fachterminus hier vermieden werden, da der Begriff Gestalt nach Ehrenfels von der These der Übersummativität nach Aristoteles strikt getrennt werden muss. Aristoteles erläutert die Annahme einer Übersummativität folgendermaßen: „ Das was aus Bestandteilen so zusammengesetzt ist, dass es ein einheitliches Ganzes bildet, nicht nach Art eines Haufens, sondern wie eine Silbe, das ist offenbar mehr als bloß die Summe seiner Bestandteile. Eine Silbe ist nicht die Summe ihrer Laute; ba ist nicht dasselbe wie b plus a, und Fleisch ist nicht dasselbe wie Feuer plus Erde. Denn zerlegt man sie, so ist das eine, das Fleisch und die Silbe, nicht mehr vorhanden, aber wohl das andere, die Laute, oder Feuer und Erde. Die Silbe ist also etwas für sich; sie ist nicht bloß ihre Laute, Vokal plus Konsonant, sondern noch etwas Weiteres, und das Fleisch ist nicht bloß Feuer und Erde oder das Warme und das Kalte, sondern noch etwas Weiteres. “ 1468 Die Übersummativität nach Aristoteles sagt aus, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile sei, nicht dass das Ganze etwas Verschiedenes als die Summe seiner Teile sei. Nach Ehrenfels jedoch entsteht eine Verschiedenheit oder Neuheit dadurch, dass sich die Gestalt des Ganzen nicht aus der Übersummativität ihrer Teile, sondern auch durch das Eindringen sämtlicher „ Gestaltqualitäten “ 1469 ergibt. Ehrenfels spricht von der „ Belauschung der 1465 E RBEN (1980: 246) 1466 E RBEN (1980: 246) 1467 E ROMS (2003: 162) 1468 A RISTOTELES (2016 [vmtl. 384 v. Chr. - 322 v. Chr.]: 136, Abschnitt 128) 1469 E HRENFELS (1890: 256) 286 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="287"?> Phänomene der inneren Wahrnehmung “ 1470 und elaboriert anschließend über das Wesen der sogenannten Gestaltqualitäten. 1471 Diese Gestaltqualitäten nach Ehrenfels bilden „ einen von der Grundlage abhängigen und doch von ihr zu unterscheidenden Vorstellungsinhalt “ 1472 , so dass „ mit allen Combinationen psychischer Elemente Neues geschaffen wird “ 1473 , das keine „ Verschiebungen ewig wiederkehrender Bestandtheile “ 1474 darstellt. Nach Ehrenfels gilt: „ Niemals wiederholen sich psychische Combinationen mit vollkommener Genauigkeit. [ … ] jeder Zeitpunkt einer jeden der unzähligen Bewusstseinseinheiten besitzt daher seine eigenthümliche Qualität, seine Individualität “ 1475 . Metzger betont hinsichtlich der Theorie Ehrenfels ’ : „ Es ist daher auch nicht zutreffend, wenn man sagt, das Ganze sei mehr als die Summe seiner Teile. Vielmehr muß es heißen: Das Ganze ist etwas anderes als die Summe seiner Teile. Es kommen nicht etwa nur zu den - unveränderten - Teilen Gestaltqualitäten hinzu, sondern alles, was zu einem Teil eines Ganzen wird, nimmt selbst neue Eigenschaften an. “ 1476 So muss beachtet werden, dass die angestrebte Exaktheit in Freges Kompositionsprinzip, die diesem zugrunde gelegte Schärfe der Begriffe und die präzise Kombination der Eigenschaften eines Arguments mit den Merkmalen eines Begriffs in einem gesättigten Sinn sowie die Fregesche Annahme, dass mehrere Träger gemeinsam denselbigen Gedanken erfassen können als auch die Verstehbarkeit der Gesetzmäßigkeiten des Zusammengesetzten im Logos 1477 (s. 5.1; 5.6.2; 5.6.6; 5.7.1) mit der These der Übersummativität nach Aristoteles und mit dem Verständnis einer mathematischen Funktion einhergehen können, jedoch nicht mit dem Begriff Gestalt, wie Ehrenfels ihn definiert. Die Sinnebene nach Frege dient dem Nachvollzug einer intersubjektiv einsehbaren Zerlegung bzw. Komposition des formal- oder natürlichsprachlichen zeichenhaften Ausdrucks, um entsprechend den Regeln der Wohlgeformtheit oder Grammatizität die bezeichnete oder behauptete Bedeutung möglichst genau zu ermitteln, während es sich beim Ehrenfelsschen Theoriemodell um eine a priori zur Voraussetzung erhobene Unschärfe, einzigartige Qualität und Individualität der Gestalt handelt. Die Komposition eines Aussagesatzes als Realisierung von 1470 E HRENFELS (1890: 253) 1471 E HRENFELS (1890: 262 ff.) 1472 E HRENFELS (1890: 266) 1473 E HRENFELS (1890: 292) 1474 E HRENFELS (1890: 292) 1475 E HRENFELS (1890: 292) 1476 M ETZGER (1975: 6) 1477 D IELS / K RANZ (Hrsg. 1934 - 1935: 151, 22 B 2, Sextus Empiricus, adv. math. VII, 132 - 133, 161, 22 B 45, Diog. Laert. IX, 7, 22 B 50, Hippolytos, haer. IX, 9, 1) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 287 <?page no="288"?> Valenzen eines zentralen, verbalen Valenzträgers muss nun genauer betrachtet werden, was im Folgenden geschieht. 5.8.3 Die syntaktische Schichtung und der Assertionsmoment zwischen Valenzträger und Valenzen Helbig wendet die Theorie der Valenz von Verben im Unterricht von Sprachenlernern an, welche dadurch erlernen könnten, Fehler wie z. B. die ungrammatischen Sätze *ich besuche oder *ich gebe zu vermeiden. 1478 Den Valenzbegriff unterscheidet Helbig für die praktische Beschreibung in drei Stufen 1479 : 1. Erstens, die quantitative Anzahl der valenziellen Leerstellen; 2. zweitens, die Qualität derselbigen als syntaktische Umgebung der Verben in streng formalen Begriffen; 3. drittens, eine semantische Fixierung der valenziellen Leerstellen, d. h. die Spezifizierung dieser „ syntaktischen Umgebungen durch die Angabe des zugelassenen semantischen Gehalts. Solche Regeln werden - im Unterschied zu den strengen Subkategorisierungsregeln - heute meist als ‚ Selektionsregeln ‘ bezeichnet. “ 1480 Eroms formuliert die Entwicklung des Valenzbegriffs mit Helbig folgendermaßen: „ Er tauche zuerst dem Sinne, dann dem Begriffe und schließlich dem Terminus nach auf. “ 1481 Diese Deskription korrespondiert in Teilen mit Freges Auffassung, die darlegt, dass vom sprachlichen Zeichen, zum Sinn, zum scharfen Begriff, zum gesättigten Begriff bzw. zum vollständigen Sinn, zum Gedanken, zur Bezeichnung der Bedeutung und schließlich zum Urteil als Behauptung der Bedeutung fortzuschreiten sei (s. 5.6.1; 5.6.3; 5.6.6). Helbig verweist auf Heyse 1482 , Schulz/ Griesbach 1483 und Schmidt 1484, 1485 In dem Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben wird auch der für die Schulgrammatik entwickelte Ansatz Flämigs erwähnt 1486 , der das Verb als strukturell-grammatisches Zentrum des Satzes erkennt und verschiedene 1478 H ELBIG (1965: 10); vgl. H ELBIG (1971a: 31) 1479 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 50 ff.) 1480 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 52); vgl. C HOMSKY (1965: 85 f., 95 f., 113); vgl. C HOMSKY (1964: 27 f., 38 f., 55), zit. nach H ELBIG / S CHENKEL (1980: 52) 1481 E ROMS (2003: 163) 1482 H EYSE (1972 [1838 u. 1849]) 1483 S CHULZ / G RIESBACH (1978) 1484 S CHMIDT (1963) 1485 Vgl. E ROMS (2003: 163) 1486 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 20); vgl. E ROMS (2003: 164) 288 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="289"?> Strukturtypen des deutschen Satzes mit Hilfe der von den jeweiligen Verben eröffneten Leerstellen begründet. 1487 Hervorzuheben ist bei Helbig, „ daß das finite Verb als strukturelles Zentrum des Satzes begriffen wird. Das ist keineswegs selbstverständlich, sondern steht im Gegensatz zur traditionellen Satzanalyse “ 1488 . Außerdem erklärt Helbig, dass die Zweigliedrigkeit der Satzstruktur, wie sie von der traditionellen Grammatik, aber auch von der modernen Phrasenstruktur- und Transformationsgrammatik amerikanischer Prägung 1489 angenommen werde, aufzugeben ist, was Helbig mit Hinweis auf die „ moderne[n] Relationslogik, die nicht nur zweigliedrige, sondern auch mehrgliedrige Urteile annimmt “ 1490 , rechtfertigt. 1491 Helbig erläutert also vorerst, man müsse „ seinen Ausgang vom finiten Verb als Festpunkt des Satzes nehmen “ 1492 und der Satz sei vom Verb ausgehend zu begreifen, wie Eroms ebenfalls erwähnt. 1493 Die Leerstellen oder Argumente des Verbs sind nach Helbig semantisch gleichrangig, lediglich dem Subjekt kann aufgrund der Kongruenz mit dem finiten Verb eine strukturelle Sonderstellung zufallen. 1494 Des Weiteren beschäftigt sich Helbig mit der Frage, wie weit oder eng die Gruppe der unmittelbar zur Sättigung des Verbs zu besetzenden Leerstellen zu fassen ist. Aus den Ausführungen zum syntaktischen Minimum von Renicke 1495 , zu einer Abstrichmethode von Weisgerber 1496 und von Grebe 1497 sowie zu einer Weglassprobe von Glinz 1498 , gehen strukturalistische Konzeptionen hervor. 1499 Helbig untersucht die obig genannten verschiedenen Typen eines Eliminierungstests und entscheidet sich für die Glinzsche Weglassprobe 1500 , welche durch das Feststellen der Ungrammatizität des Restausdrucks nach der Anwendung der Weglassprobe syntaktische Obligatorik von sprachlichen Elementen indiziert. Helbig erwähnt, dass die Glinzsche Weglassprobe zu „ genaueren und exakter meßbaren Ergebnissen “ 1501 führt. Die Bezeichnung der 1487 F LÄMIG (1966: 340 ff.) 1488 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 24) 1489 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 30) 1490 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 30) 1491 Vgl. E ROMS (2003: 164) 1492 H ELBIG (1965: 14) 1493 E ROMS (2003: 163) 1494 E ROMS (2003: 163) 1495 R ENICKE (1961) 1496 W EISGERBER (1971) 1497 G REBE (Hrsg. 1959) 1498 G LINZ (1973: 93) 1499 E ROMS (2003: 163) 1500 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 33); vgl. H ELBIG (1971a: 34 f.) 1501 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 33) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 289 <?page no="290"?> Glinzschen Weglassprobe als Eliminierungstransformation 1502 wird hier nicht übernommen, statt dessen soll die Glinzsche Probe mit den Termini Weglassprobe oder Eliminierungstest 1503 benannt werden, da es sich bei der Eliminierung von Elementen in einer Zeichenkette nicht notwendig um eine Transformation (s. 5.8.2; 6.4.3.2; 6.5), sondern lediglich um eine Reduktion handelt. Glinz betont außerdem eine Auffassung von Sprache als schichthaftes System: „ Diese Schichthaftigkeit und stets nur erstrebte, nie ganz erreichte Systemnatur - übrigens auch ein weiterer Beleg für das ‚ Willkürlichsein der Zeichen ‘ - läßt uns erst die wirklichen Sprachen richtig verstehen. “ 1504 Dieser Eliminierungstest führt Helbig zu der Fragestellung der Weglassbarkeit oder Nichtweglassbarkeit von Satzelementen 1505 , welche ihn Sätze mit unterschiedlicher Anzahl nicht weglassbarer, besetzter Leerstellen (z. B. ich lege das Buch auf den Tisch; die Henne legt) vergleichen lässt. Die Observation einer scheinbaren Unstetigkeit in der von einem bestimmten Verb geforderten Sättigungen verleitet Helbig zu schlussfolgern, dass es sich hierbei um Varianten eines bestimmten Verbs (z. B. legen 1 ; legen 2 ) handeln muss. 1506 Helbig konzipiert für diese Fälle somit das Prinzip der Verbvarianten oder sogenannten Bedeutungsvarianten eines Verbs 1507 , das essentiell für die Weiterentwicklung der Valenztheorie und deren Anwendung im Zuge syntaktischer Analysen und in der Grammatikforschung ist. Verbvarianten und Belegpläne von Leerstellen können introspektiv anhand linguistischer sowie muttersprachlicher Fachkompetenz oder empirisch ermittelt und in Valenzwörterbüchern dokumentiert werden (s. 7.1). Nach Helbig sind somit auch manche valenzgebundenen Glieder eliminierbar und werden als fakultativ deklariert, was im jeweiligen Verb begründet liegt. Bei den notwendigen Ergänzungen wird also zudem zwischen obligatorischen und fakultativen differenziert 1508 , so dass die notwendigen Ergänzungen die verschiedenen Verbvarianten konstituieren: „ Wir sprechen von mehreren ‚ Varianten ‘ eines Verbs dann, wenn das gleiche Verb der Zahl oder der Art nach verschiedene Aktanten hat. “ 1509 Weiter erklärt Helbig: „ Manche Verben haben eine verschiedene Valenz und damit verbunden auch eine verschiedene Bedeutung; wir sprechen in solchen Fällen von mehreren Varianten eines Verbs (V1, V2, V3 … ): kochen 1 (2) (Die Mutter kocht [die Suppe]) und kochen 1 1502 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 33); vgl. E ROMS (2003: 164) 1503 H ELBIG (1971a: 35) 1504 G LINZ (1973: 21) 1505 Vgl. H ELBIG (1971a: 34 f.) 1506 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 32, 55); vgl. E ROMS (2003: 163) 1507 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 54 f.); H ELBIG (1971: 36) 1508 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 33) 1509 H ELBIG (1971a: 36) 290 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="291"?> (Die Suppe kocht). Davon zu unterscheiden sind Fälle, bei denen ein bestimmtes Glied in der Oberflächenstruktur eliminiert werden kann, das jedoch unabhängig vom Kontext eindeutig mitgedacht ist; in diesen Fällen ändert sich die Bedeutung nicht: ‚ Er gibt den Spielern die Karten ‘ ist semantisch äquivalent mit ‚ Er gibt die Karten ‘ und ‚ Er gibt ‘ . In den elliptischen Sätzen ist der Dativ (= den Spielern) und der Akkusativ (= die Karten) eindeutig; das Verb bleibt deshalb - trotz Ellipse - dreiwertig. Das unterscheidet das Verb ‚ geben ‘ etwa von ‚ legen ‘ (legen 3 [Er legt die Zeitung auf den Schrank] und legen 2 [Sie legt die Karten]); zu legen 2 gehört auch das elliptische ‚ Die Hühner legen ‘ (Sa = Eier). “ 1510 Helbig selbst versucht zudem verschiedene Ebenen der Valenz zu etablieren und teilt seine Ansicht folgendermaßen mit: So „ unterscheidet man beispielsweise zwischen syntaktischer, inhaltlicher und logischer Wertigkeit [ … ] - etwa vergleichbar mit der Koschmiederschen Trias von Bezeichnendem, Bezeichnetem und Gemeintem - oder zwischen Ausdrucksvalenz und Inhaltsvalenz [ … ]. Entscheidend ist die Tatsache, daß man diese Ebenen unterscheidet, keine Isomorphie zwischen ihnen annimmt und - falls man die Valenz auf der begrifflichen oder Tiefenstrukturebene ansetzt - die Notwendigkeit von zusätzlichen Überführungsregeln annimmt, mit deren Hilfe erst die konkrete syntaktische Realisation in den Einzelsprachen erklärbar gemacht werden kann. “ 1511 Dieses Zitat Helbigs zeigt an, dass seine Ansätze bis zu einem gewissen Grad durch die Arbeiten Chomskys, die Generative Grammatik und damit durch die Annahme einer semantischen Tiefenstruktur beeinflusst sind. 1512 Die konsiderierte Koschmiedersche Trias 1513 findet eine vage Entsprechung in der Fregeschen Differenzierung zwischen Zeichen, Sinn und Bedeutung. Festzuhalten ist, dass Helbig seine auf der Valenztheorie basierende Analyse der syntaktischen Satzstruktur folgendermaßen zusammenfasst: „ Zu einer solchen doppelten Scheidung (einmal zwischen Valenz und freien Angaben, zum anderen zwischen obligatorischer und fakultativer Valenz) sind wir genötigt, weil wir - im Gegensatz zu Tesnière und Brinkmann - nicht nur Subjekte und Objekte, sondern auch Prädikativa und Präpositionalphrasen in die Valenzbeziehungen einschließen, weil wir aber andererseits - im Unterschied zu Grebe und Erben - wirklich nur die im Stellenplan des Verbs verankerten Glieder als Valenz auffassen, da uns nur so eine strengere Modellierung möglich erscheint. Auf diese Weise gewinnen auch die Begriffe 1510 H ELBIG (1971a: 40); vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 161 f.) 1511 H ELBIG (1971a: 43) 1512 Vgl. E ROMS (2003: 164) 1513 Vgl. K OSCHMIEDER (1945); vgl. K OSCHMIEDER (1952: 7) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 291 <?page no="292"?> ‚ obligatorisch ‘ und ‚ fakultativ ‘ einen fester umrissenen Sinn als sie ihn bisher hatten. “ 1514 Weiter erklärt Helbig: „ Da der Unterschied zwischen obligatorischer und fakultativer Valenz nicht in der Tiefenstruktur begründet liegt, kann auch das Kriterium für ihre Unterscheidung nicht aus der Tiefenstruktur gewonnen werden. Das Kriterium muß also eine Oberflächenprobe sein, bei der sich der Eliminierungstest als wichtigste Probe geradezu anbietet. Ein Glied ist ein obligatorischer Mitspieler, wenn es in der Oberflächenstruktur nicht eliminiert werden kann, ohne daß der Satz ungrammatisch wird; sonst ist es ein fakultativer Mitspieler oder eine freie Angabe. Der Eliminierungstest begründet also den Unterschied zwischen obligatorischer Valenz einerseits und fakultativer Valenz sowie freier Angabe andererseits. “ 1515 Obwohl Helbig nicht wie Frege zwischen Sinn und Bedeutung unterscheidet, und er Verbvarianten als Bedeutungsvarianten auffasst, ordnet er zuerst das Kriterium der Bedeutung, d. h. der Tiefenstruktur, den syntaktischen Kriterien nach. Diese Methode des Primats der Oberflächenkriterien pflichtet Freges Bedingung der Grammatizität bzw. Wohlgeformtheit in einer Komposition eines sinnhaften Ausdrucks, bevor eine Bedeutung bezeichnet werden kann, bei. 1516 Die Erfassung der von Verben eröffneten Leerstellen und weiterführende Informationen zu diesen, erfolgt im Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben 1517 von Helbig/ Schenkel (s. 7.1; 7.1.1). Der Satz wir wollen ihn besuchen hat nach Helbig das folgende vertikale Stemma (Abb. 17): Abb. 17: Stemma nach Helbig 1518 Helbig erreicht somit die Feststellung eines syntaktischen bzw. strukturellen Minimums des Aussagesatzes 1519 , das sich in den ersten Schritten des Analyseprozesses Helbigs Methodik, welche die semantischen Selektionsbeschränkungen noch nicht miteinbezieht, von Renickes syntaktischem Minimum unter- 1514 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 34) 1515 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 34); vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 144 - 160) 1516 Zur Erklärung der Termini Oberflächen- und Tiefenstruktur, vgl. 6.5 1517 H ELBIG / S CHENKEL (1991) 1518 H ELBIG (1971a: 41); vgl. E ROMS (2003: 165) 1519 H ELBIG / S CHENKEL (1991: 33); H ELBIG (1971a: 35) 292 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="293"?> scheidet. Helbig stellt fest: „ Renicke trennt nicht genügend zwischen der semantischen Bedeutungssphäre und der syntaktischen Notwendigkeit. Da er den syntaktischen Beziehungen lexikalische Maßstäbe unterlegt, liegt sein ‚ syntaktisches Minimum ‘ abseits unseres Weges. “ 1520 Die syntaktische Schichtung 1521 des Satzes ergibt sich nun durch die Unterteilung in notwendige obligatorische und fakultative Ergänzungen sowie freie Angaben, welche mit dem Glinzschen Eliminierungstest, dessen Kriterium wiederum die Grammatizität des Restausdrucks ist, ermittelt werden. 1522 Im Hinblick auf Renicke lehnt Helbig ein semantisch-kommunikatives Satzminimum als für eine strukturelle Modellierung nicht weiterführend ab 1523 , doch es bleibt ein syntaktischer und ein semantischer Aspekt 1524 , nach welchem valenzielle Leerstellen zu besetzen sind. Denn schließlich gelangt Helbig mit der dritten Stufe (Stufe III) seines Valenzbegriffs zur Bedeutung, wobei die Semantik eine Rekursion auf die syntaktische Strukturumgebung des Verbs vornimmt und in diese, mit Verweis auf Chomskys Selektionsregeln, selegierend eingreift. 1525 Hierbei spezifizieren die syntaktischen Umgebungen die Mitspieler, und die semantischen Umgebungen scheinen sie nach Eroms in der Art und Weise konzeptuell spezifizieren zu wollen, wie dies zuerst bei Porzig 1526 vorgenommen wurde. 1527 Eroms konkludiert, dass bei Helbig somit der Satzbau vom jeweiligen Verb und damit von den individuellen syntaktischen, aber auch semantischen Eigenschaften der vom verbalen Valenzträger eröffneten Leerstellen geprägt ist, und eine Rückkoppelung zu prinzipiellen, lexikalischen Entscheidungen stattfindet, indem die Verbvarianten angesetzt werden. 1528 Mit dieser von Helbig eingeführten Rekursion oder Rückkoppelung der Semantik in die zu Beginn des Analyseprozesses ermittelte syntaktische Umgebung des Verbs sowie dessen syntaktische Schichtung, wird das Primat der Oberflächenkriterien bzw. der Beschreibung der syntaktischen Dimension der Valenz potentiell dekonstruiert. Eroms bemerkt, dass Helbig mit seinem dreischrittigen Ansatz in der Valenzbeschreibung sowie seinen Verbvarianten versucht, „ die Bildung von richtigen und nur richtigen Sätzen im Prinzip “ 1529 zu gewährleisten. 1530 Diese Richtigkeit 1520 H ELBIG / S CHENKEL (1991: 32) 1521 E ROMS (2003: 165) 1522 Vgl. H ELBIG (1971a: 36 - 41); vgl. H ELBIG / S CHENKEL (1980: 33 ff.) 1523 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 32) 1524 H ELBIG (1971a: 39 f.) 1525 H ELBIG (1971a: 39) 1526 P ORZIG (1934) 1527 E ROMS (2003: 165) 1528 E ROMS (2003: 165) 1529 E ROMS (2003: 165) 1530 E ROMS (2003: 165) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 293 <?page no="294"?> ist syntaktisch als auch semantisch zu verstehen. Die Vorgehensweise Helbigs führt schließlich zu erwähnter Rekursion und läuft Gefahr, methodisch eine Zirkularität zu erzeugen, indem die mit strukturalistischen Methoden auf Basis syntaktischer Kriterien ermittelten Bedeutungsvarianten rückwirkend nach Helbig semantische Selektionsbeschränkungen fixieren und damit wiederum die Ermittlung der syntaktischen Schichtung in eine Abhängigkeit von semantischen Kriterien versetzen, was eine Vermengung und Verunklarung der syntaktischen und semantischen Valenzebene erwirken kann. Eine derartige Zirkularität und eine dadurch erwirkte Aufhebung des Primats syntaktischer Kriterien in der Strukturanalyse, lässt sich auf zweierlei Art und Weise vermeiden: 1. Die Rückkoppelung mündet nicht in eine Zirkularität, wenn eine innersprachliche Bedeutung der Sprachzeichen, sprachimmanente Strukturen sowie eine konkrete inhaltliche Deskription der Konnotation von Sprachzeichen probat von einer außersprachlichen Bedeutung, der Denotation und pragmatisch-kommunikativen Aspekten geschieden wird. Die Semantik eines sprachlichen Ausdrucks ist somit in den Sinn (auch: Konnotation) und die Bedeutung (auch: Denotation) zu unterteilen. 2. Verschiedene syntaktische Belegpläne von Valenzträgern, d. h. Lesarten oder Satzbaupläne, in welche der zu untersuchende Valenzträger eingebettet ist, die ihrerseits rückwirkend auf die Feststellung der syntaktischen Schichtung Einfluss nehmen, sollten nicht nur anhand der Semantik als Bedeutungsvarianten ermittelt, sondern auch aus empirisch erhobenen Daten exzerpiert werden, wobei jeder aus einem Textcorpus sprachlichen Materials legitim entnehmbare syntaktische Belegplan einer Variante, d. h. einer Lesart oder einem Satzbauplan, entspricht, ungeachtet dessen, ob es sich subjektiv bei dem darin eingebundenen Valenzträger um einen Träger derselben Bedeutung oder einer von den Bedeutungen der anderen Varianten verschiedenen Bedeutung handelt. Durch diese empirische Grundlegung ersetzt die syntaktische Einbettung subjektive semantische Eindrücke, welche der perzipierten außersprachlichen Bedeutung oder pragmatisch-kommunikativen Aspekten entstammen, und eine Vorrangigkeit syntaktischer Kriterien in der Analyse ist gesichert. (S. 7; 7.1; 10) 1531 Ob der Problematik einer potentiellen Zirkularität in seinem methodischen Ansatz, betont Helbig jedoch theoretisch stets diese Vorrangigkeit syntaktisch- 1531 Bezüglich des syntaktischen Minimums und der syntaktischen Einbettung eines Verbs ist neben der Einheit Aussagesatz auch der Terminus Kohärenzfeld zu beachten, s. 6.4.1; 6.4.1.1. 294 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="295"?> struktureller vor semantischen Kriterien. 1532 Helbigs derart entstandene Stufigkeit in den Valenzbeziehungen, und damit die Unterscheidung zwischen fakultativen und obligatorischen Ergänzungen, bereiten den Valenzbegriff für weitere Nutzungen vor. 1533 Bemerkenswert ist nun, dass die Ausdrücke zweigliedriges Urteil oder mehrgliedriges Urteil in Helbigs Zitat 1534 bereits einen Hinweis darauf geben, dass Freges Theorie zur zeitlichen und materiellen Nachgeordnetheit des Urteils beim Entwurf der Schichtung (s. 5.8.3) eines Satzes nach Helbig nicht verinnerlicht wurde, sondern neben der Annahme der bloßen Struktur mehrstelliger Prädikate als Beziehungen in einer Logik Fregescher Prägung nicht erwähnt wird. Stattdessen scheint die Auffassung eines Urteils nach der traditionellen Urteilslehre, welche den Assertionsmoment in einer Verknüpfung inmitten des sprachlichen Ausdrucks zwischen logischem Prädikat und logischem Subjekt verortet, um semantischen Selektionsregeln unterworfene richtige Sätze 1535 zu bilden, nicht thematisiert zu werden. Einer derartig unvollständigen Reflexion über eine Übertragung der Theorie Freges in die Analyse syntaktischer Strukturen von Aussagesätzen zufolge werden die Argumente in den valenziellen Leerstellen des Verbs als dessen Subjekte im Sinne der traditionellen Urteilslehre aufgefasst. Logischer Prädikatbegriff und gleichzeitig gewissermaßen Bedeutung eines Urteils 1536 ist dabei das Verb bzw. der Valenzträger. 1537 Letztendlich wurde damit die innovative, von Helbig mittels einer verbzentrierten Sichtweise auf den Aufbau des Satzes entworfene Schichtung des Satzes doch wieder der grammatischen Tradition angenähert. 1538 Eine Art Behauptungsmoment des Urteils, den in der Satzstruktur der Logik von Port-Royal die realisierte oder verdeckte Kopula erzeugt, befindet sich aufgrund einer nur teilweise für die Linguistik verwandten Theorie Freges nun in mehrfacher Weise zwischen dem valenzielle Leerstellen eröffnenden Verb und seinen obligatorischen sowie fakultativen Ergänzungen. Jeder dieser assertorischen Momente resultiert im sprachlichen Ausdruck in eine Art Urteil im traditionellen Sinn, um sogenannte richtige Sätze hinsichtlich einer Denotation in der extensionalen Bedeutungsebene zu bilden, so dass gegenüber der dichotomischen Gliederung als sogenanntes zweigliedriges Urteil keine wesentliche Veränderung eintritt, außer, dass nun für die linguistische Theorie- 1532 H ELBIG (1971a: 38 f.) 1533 Vgl. E ROMS (2003: 163) 1534 H ELBIG / S CHENKEL (1980: 30); vgl. E ROMS (2003: 164) 1535 E ROMS (2003: 165); vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 128 - 142) 1536 Vgl. P FÄNDER (1921: 209 f.) 1537 Zu Pfänders nicht entfaltetem Urteil und dem logischen Prädikat als Gegenstand der Bedeutung des traditionellen Urteils, vgl. 5.8; vgl. 5.4 1538 Vgl. E ROMS (2003: 163 f.) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 295 <?page no="296"?> bildung auch nicht zweigliedrige Urteile bzw. mehrgliedrige Urteile angenommen werden. In Übereinstimmung damit konstituieren Helbigs Annahmen eine die Sachverhalte in der außersprachlichen Wirklichkeit spiegelnde logische Valenz. 1539 (S. 6.4.2.1; 6.4.2.2) Deshalb kann Helbigs Verständnis einer Ebene logischer Valenz im theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie nicht aufgegriffen werden. Wie sehr diese unvollständige Erfassung und Übertragung der Aspekte Freges Theorie auf die syntaktische und semantische Struktur eines Aussagesatzes dessen Analyse behindert, wird ersichtlich, wenn die zahlreichen Versuche, die Valenz als morphosyntaktische, logisch-semantische, oder pragmatisch-kommunikative Gegebenheit zu erfassen (s. 6.4.1; 6.4.2; 6.4.3) sowie die Versuche, semantische Selektionsbeschränkungen für die Besetzung von Leerstellen aufzustellen 1540 , um damit eine Generierung von richtigen Sätzen zu erreichen, betrachtet werden. Immer scheint ein Assertionsmoment zwischen dem Valenzträger und seinen Ergänzungen angenommen zu werden, der die Frage nach der Richtigkeit der Besetzung der Leerstellen aufgrund der Transformation des logischen Prädikats in die extensionale Bedeutung des traditionellen Urteils verunklart, wobei potentiell zudem eine Kollision verschiedener Urteile stattfindet (s. 5.8). Auf diese Weise hat die Wahrnehmung der modernen Logik nach Frege für die Satzanalyse keine Entledigung der durch die Imposition einstelliger oder vergegenständlichter logischer Prädikate auf die Satzstruktur verursachten Restriktionen im natürlichsprachlichen Ausdruck und in seinem Verständnis herbeigeführt, sondern demonstriert, dass das Verhaftetsein an der traditionellen Urteilslehre dieses, durch die Kenntnis ein- oder mehrstelliger Prädikate verschiedener Stufen nach Frege verfügbare Potential einer akkurateren sowie gleichzeitig flexibleren Ausdrucks- und Syntaxbeschreibung erfolgreich blockieren kann. Wie obig dargelegt, strebt die Logik von Port-Royal an, richtiges Denken zu lehren, indem bei der Formung eines Aussagesatzes der kopulative Assertionsmoment restriktiv kontrolliert, ob die zwei Ideen, welche durch das logische Subjekt und das logische Prädikat verkörpert werden, affirmativ oder negiert im sprachlichen Ausdruck kombiniert werden dürfen (s. 5.4). Aus anderen Gründen, jedoch mit derselbigen Motivation, nämlich um eine flexible und freie sprachliche Ausdrucksfähigkeit zu gewährleisten, hat Ickler eine Kritik an den semantischen Selektionsbeschränkungen Helbigs bzw. Chomskys ausgesprochen. 1541 Ickler nennt die Angabe semantischer Selektionsbeschränkungen bei Helbig einen 1539 H ELBIG (1992: 7) 1540 H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 52); vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 128 - 142); vgl. C HOMSKY (1964: 27 f., 38 f.; 55); vgl. C HOMSKY (1965: 85 f., 95 f., 113) 1541 I CKLER (1985: 366 ff.) 296 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="297"?> „ immanentistische[ … ][n] Irrweg “ 1542 . So stellt Ickler die Frage nach der „ wissenschaftsstrategischen Motivation “ 1543 der Vertreter generativer Grammatikmodelle bzw. semantischer Selektionsregeln, mit „ extrem sinnlosen “ 1544 Beispielen zu argumentieren und formuliert hierauf eine eigene Antwort: „ Wenn sehr wenig, ja fast gar keine Sach- oder Weltkenntnis erforderlich ist, um einen der angeführten [extrem sinnlosen] Sätze [z. B. der Onkel legt Eier; das Auto fährt den Wagen; tauchende Steine träumen] als ‚ abweichend ‘ beurteilen zu können, dann kann der Eindruck umso länger aufrecht erhalten werden, es sei überhaupt keine sachliche, sondern eine rein sprachliche Frage, welche Wortkombinationen zulässig seien, und von der Grammatik ‚ generiert ‘ werden müßten. D. h. die immanentistische Illusion kann sich besser halten. “ 1545 Die vorliegende Untersuchung führt die Entstehung derartiger Thesen vor allem auf die Nichtanerkennung einer sprachlichen Sinnebene neben der Bedeutungsebene (s. 5.6.1) und den Versuch zurück, die herleitbare Dimension einer intensionalen Logik (auch: Begriffsebene) bzw. eine logoshafte Ebene von Gesetzmäßigkeiten in der Komposition forcierend der Dimension der extensionalen Denotationsebene der außersprachlichen, (materiellen) Wirklichkeit bzw. deren mentaler Repräsentation unter- oder beizuordnen. Zu einer Befreiung des sprachlichen Ausdrucks betragend betont Ickler darüber hinaus: „ Es kann aber weder die Aufgabe der Linguistik sein, jeden von der Grammatik (im engeren Sinn) zugelassenen Unsinn ausdrücklich für unzulässig zu erklären, noch umgekehrt irgendeinen denkbaren Mitteilungsinhalt aus angeblich sprachlichen Gründen zu verbannen. Konkreter gesagt: Es muß sprachlich offengehalten werden, daß jemand, der es will, auch sagen kann: (20) Er sieht im Garten schlecht. (Jäntti 1983: 158; der Autor schließt es mit Asterisk aus) (21) Er hört gerade. (Ebd.; ebenso) oder - das Paradebeispiel so vieler Autoren - (22) Peter stirbt manchmal. (Helbig 1982: 12) “ 1546 . (S. 6.4.3; 6.4.3.1; 6.4.3.2) Demzufolge ist die Berücksichtigung außersprachlicher, extensionaler Bedeutungsaspekte sowie pragmatisch-kommunikativer Aspekte auf diese Art und Weise für die Begriffsinhaltsforschung als auch für die Syntaxforschung im engeren Sinn nicht förderlich. Da die vorliegende Studie Konnotation (auch: Sinn) und Denotation (auch: Bedeutung) trennt, werden einige konkrete inhaltliche Kriterien bei der deskriptiven Dokumentation der empirisch ermittelten, wohlgeformten sprachlichen Ausdrücke, d. h. der Lesarten und Satzbaupläne zu einem bestimmten Valenzträger, miteinbezogen (s. 7.2; 10). Schließlich erwähnt 1542 I CKLER (1985: 368) 1543 I CKLER (1985: 367) 1544 I CKLER (1985: 367) 1545 I CKLER (1985: 367) 1546 I CKLER (1985: 367 f.) 5.8 Prädizierende Entitäten im deutschen Aussagesatz 297 <?page no="298"?> Eroms den Eingang der „ Relationslogik Fregescher Prägung “ 1547 als logischen Zugang zur Schärfung des Valenzbegriffs 1548 , was im Folgenden weiter ausgearbeitet werden soll. 1547 E ROMS (2003: 165) 1548 E ROMS (2003: 165) 298 5 Kopula und logische Prädikation <?page no="299"?> 6 Valenz und Semantik der Kopulae Dass wir selber sind, ist unser höchster und edelster Gedanke. Und von sterblichen Lippen läßt sich kein erhabneres Wort vom Schönen sagen als: es ist! (Karl Philipp Moritz) In obigen Kapiteln wurde nachgezeichnet, wie die Entwicklung der modernen Logik und eine vertikale Perspektive auf die Satzstruktur in der Linguistik mit dem Paradigma des traditionellen Binarismus in der Syntaxanalyse und Grammatikbeschreibung konkurrieren. Eine Rearrangierung der Methodik zur Erstellung einer Grammatiktheorie ist durch einen Wechsel der Analyserichtung und die Anerkennung der Bezeichnungsfunktion sprachlicher Ausdrücke in die Sprache zu erreichen. Diese vom zeichenhaften Ausdruck ausgehende Signifikationstheorie eröffnet zudem aufgrund der Auslassung der Einwirkung extensionallogischer, vergegenständlichender Interpretationen des Prädikats in die Sprachstruktur das Potential, ein eingefaltetes Urteil nach Pfänder zu entfalten, das Urteil über den Inhalt der Expression gemäß Frege nachzuordnen, Assertion und Prädikation zu unterscheiden und eine Komposition statt einer Synthese sprachlicher Elemente zu observieren. Auf diese Weise kann auch die Kopula sein wieder als Zeichenträger und als konnotierendes sprachliches Element perzipiert werden. Dieses Potential für eine Revision des Konzepts der Kopula ist jedoch nur angemessen einzuschätzen, nachdem das Verb sein einer genaueren Untersuchung unterzogen wurde, was im Folgenden vorgenommen wird. 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive Die deutsche Grammatikforschung verlautbart bereits seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Kritik an der traditionellen Urteilslehre sowie an der Binärteilung der Syntax des deutschen Aussagesatzes und dem Status der Kopulae. Dies soll im Folgenden anhand der Darlegung Kerns, Glinz ’ und Erbens Ansätze illustriert werden, in welchen drei wichtige Bedingungen zur Erforschung der Valenz und Semantik der Kopulae erarbeitet wurden ((i) - (iii)): <?page no="300"?> (i) Erstens, die Infragestellung der traditionellen Urteilslehre, der Kopula und der Limitierung auf monadische Prädikate in der Grammatikbeschreibung; (ii) zweitens, die Anerkennung eines syntaktischen Rangs bzw. eines Platzanspruchs der Kopulae und kopulaähnlichen Verben in einer nicht mehr notwendig als binär gegliedert verstandenen Satzstruktur; (iii) drittens, die (Wieder-)entdeckung der Existenzbezeichnung als Signifikat der Kopula bzw. des Verbs sein sowie der damit verbundenen Fähigkeit des Verbs sein, als verbaler Inhaltsträger gemäß der Valenztheorie valenzielle Leerstellen zu eröffnen. Zu (i), (ii) und (iii) ist anzumerken, dass damit eine Aussage darüber, ob das Verb sein polysem (auch: ambig), homonym oder monosem ist, noch nicht getroffen ist. 6.1.1 Kerns Revision der Assertion Kern erfasst das Urteil mit den Worten: „ Der Sinn des Urteils ist immer der: Diese beiden (Subjekt und Prädikat) sind identisch, gleich, ähnlich oder das Gegenteil. “ 1549 Dabei referiert Kern, mit Hinweis auf Schuppe, auf die Logik mit monadischen Prädikaten, welche in einem Aussagesatz als Urteil immer zwei Einheiten annimmt, deren eine der anderen subsumiert oder der anderen gleichgestellt wird. 1550 Schuppe gilt als einer der Vertreter der Immanenzphilosophie, welche die Welt aus immanenten, d. h. innerhalb des Bewusstseins sich vorfindenden Elementen zu erklären versucht und dergemäß es kein anderes Sein als Bewusst-Sein und keine vom Bewusstsein unabhängigen Objekte gibt. 1551 Eine vom Denken unabhängige Existenz von fachterminologischen Gedanken und Sinnstrukturen wie sie Dedekind, einen Platonismus stützend, mathematisch beweist und Frege anerkennt (s. 5.6.6), wird von der Immanenzphilosophie Schuppes nicht explizit angenommen. 1552 Außerdem erklärt Schuppe: „ Im weitesten Sinne ist der Begriff oder die Vorstellung nichts anderes, als der auf dem genannten Wege in ’ s Bewusstsein erhobene Eindruck “ 1553 . Doch Kern erlangt die Erkenntnis, dass das Urteil von der Überlegung während der Tätigkeit des Satzbaus zu trennen sei oder dass das Urteil einen besonderen, außersprachlichen Charakter hat: „ Urteil ist immer das 1549 K ERN (1888: 3, vgl. 112) 1550 K ERN (1888: 3); vgl. z. B. S CHUPPE (1870: 111 f.) 1551 E ISLER (Hrsg. 1910a: 559, Immanenzphilosophie) 1552 Vgl. z. B. S CHUPPE (1870: 9, 110) 1553 S CHUPPE (1870: 53) 300 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="301"?> Ergebnis einer Überlegung, ob mit Recht das Prädikat dem Subjekte zukomme, ob der Subjektsbegriff wie eine Art dem Prädikatsbegriff unterzuordnen sei. So reden wir von wissenschaftlichen, von richterlichen Urteilen. “ 1554, 1555 Bezüglich der Notwendigkeit einer kritischen Reflexion über die traditionelle Urteilslehre und die Kopula befindet Kern sehr differenziert: „ Identificiert man Satz und Urteil, so verwischt man einen durch die Sprache klar ausgeprägten Unterschied, vergeht sich also gegen das Gesetz der Spezifikation: entium varietates non temere esse minuendas; ebenso wie man durch die Erfindung der Kopula, wenn darunter, wie gewöhnlich, irgend eine Form des Verbums ‚ sein ‘ oder anderer Verba von sehr weitem Umfang verstanden wird, das Gesetz der Homogeneität nicht genügend beachtet: entia praeter necessitatem non esse multiplicanda. “ 1556 Weiter führt Kern diese Observation in folgenden Erläuterungen aus: „ Demnach ist das Subsumieren kein Vorgang bei der Satzbildung, sondern eine beim wissenschaftlichen Denken überaus nützliche Thätigkeit, die erst, nachdem der entstandene Satz aufgelöst ist, möglich wird. Die Logik sucht den Satz als Urteil in die ‚ feierliche Ruhe der Ideenwelt ‘ [ … ] einzutauchen, während der Satz in der That das allmähliche Entstehen eines Bildes der Wirklichkeit ist. “ 1557 Kern deutet darauf hin, dass vor der urteilenden Subsumtion eine Zusammenbzw. Hinzufügung der Satzelemente zu einem gesamten Inhalt des sprachlichen Satzes erfolgt, womit er sich einer alternativen Strukturerfassung des Aussagesatzes, ähnlich der intensionalen Sinnkonstitution Freges, die ungeachtet eines Urteils oder eines extensionalen Wahrheitswertes zustandekommt, annähert: „ Es findet also Hinzufügung, aber keine Subsumtion statt. Das schliesst nicht aus, dass ich das Resultat nachher mir logisch, nachdem ich das gesamte Prädikat (den ganz erfüllten Verbalinhalt) substantiviert und es in die Vorstellung von etwas überhaupt Subsistierenden verwandelt habe [ … ] an welchem der Verbalinhalt haftet, so zurecht legen kann, dass nun das durch das Subjektwort und seine Bestimmungen erheblich verengerte (im finiten Verbum liegende) Subjekt als ein Teil jenes allgemeinen, künstlich geschaffenen Prädikatsbegriffs erscheint. Das logische Urteil ist demnach ein sicherer Schluss aus dem, was in dem sprachlichen Satze enthalten ist. “ 1558 Für diese Konstitution des Inhalts sind nach Kern außersprachliche Bedeutungen irrelevant: „ Durch das Wort ist wird nur gesagt, dass eine Existenz an einer 1554 K ERN (1888: 1) 1555 Vgl. hierzu das der Sinnkonstitution nachgeordnete Urteil Freges, s. 5.6.3; zu Pfänders entfaltetem Urteil, s. 5.8. 1556 K ERN (1888: 2) 1557 K ERN (1888: 9) 1558 K ERN (1888: 7 f.) 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 301 <?page no="302"?> Substistenz hafte; das wird aber auch immer dadurch gesagt. Ob diese Existenz durch einen Gattungsbegriff bestimmt wird (Subsumtion), ob durch einen Begriff mit gleichem Inhalt, wie der Subjektsbegriff (Identitätsurteil, Definition), ob durch eine Eigenschaft, ein Raumverhältnis oder wodurch auch immer, ist für den Inhalt des Begriffes sein ganz gleichgültig. “ 1559 Schließlich assoziiert Kern diese Zusammenfügung des Satzinhalts mit dem Gedanken 1560 und erörtert eine Hinzufügung von Satzelementen um das finite Verb im deutschen Aussagesatz: „ Dass man sich den (deutschen) Satz als ein allmähliches Hinzufügen von Bestimmungen zum Verbum vorstelle und so verständlich mache gilt mit voller Strenge nur vom Hauptsatze, in welchem jene Bestimmungen dem finiten Verbum auch folgen, auch der sogenannten Kopula folgen, die eben die volle Verbalkraft hat, wie jedes andere durch einen Prädikatsnominativ bestimmte Zeitwort. [ … ] Der Hauptsatz allein repräsentiert im Deutschen durch seine Stellung den sich erst bildenden Gedanken “ 1561 . So ergibt sich für Kern auch folgende Sichtweise auf das Verb: „ Der satzbildende Redeteil ist das finite Verbum. [ … ][D. h.] den Satz definieren als einen mit Hülfe eines finiten Verbums ausgedrückten Gedanken. “ 1562 Kern erkennt die Schwierigkeiten der traditionellen Urteilslehre nicht nur im Entwurf der Kopula und ihres Assertionsmoments, sondern er bemerkt auch die Unflexibilität der damit verbundenen Dichotomie der monadischen Prädikate. Zuordenbare Art- und Gattungsbegriffe in einer Interpretation des deutschen Aussagesatzes im Rahmen der Logik mit einstelligen Prädikaten sind nach Kern in vielen deutschen Sätzen und in der Rede generell nicht vorhanden, stattdessen hat „ das finite Verbum eine reiche Fülle von substantivischen und adverbialen Bestimmungen “ 1563 . Kern, der bereits die Problematik der Theorie einer Kopula betreffs eines kopulativen Assertionsmoments der traditionellen Urteilslehre sowie die Selbständigkeit des Verbs sein und seine Gleichwertigkeit mit anderen, als Prädikate fungierende Verben erfasst hat, greift im Anschluss an diese Beobachtungen Steinthals Ansichten auf und verfolgt seine Erkenntnis bezüglich sogenannter prädikativer Strukturen im Satz, die er mit der Veranschaulichung des syntaktischen und semantischen Status des Verbs sein als Stamm eines Baumes aus Hinzufügungen erklärt 1564 , somit abrupt nicht weiter. 1559 K ERN (1888: 9 f.) 1560 Vgl. hierzu den Fregeschen Fachterminus Gedanke, welcher bei Frege jedoch nicht mit Hilfe Schuppes Immanenzphilosophie, sondern anhand Dedekinds Beweis hergeleitet wird, s. 5.6.6. 1561 K ERN (1888: 8) 1562 K ERN (1888: 30) 1563 K ERN (1888: 3) 1564 K ERN (1888: 85 f.) 302 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="303"?> Stattdessen äußert er gleich zu Beginn seiner Darlegungen: „ Die Hineinmengung logischer Abstraktionen hat der Wissenschaft der Grammatik und noch mehr dem schulmännischen Betriebe des grammatischen Unterrichts unsäglich geschadet und übt noch immer ihre verderbliche Wirkung aus. Das Unzulässige besteht natürlich nur in der unberechtigten Aufnahme einzelner logischer Anschauungen, also des Materialen in die Grammatik, als ob diese selbst eine Art von Logik wäre, ein Vorurteil, das von Steinthal siegreich bekämpft worden ist. “ 1565 Kern referiert hierbei auf Steinthals Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältnis zu einander 1566 , ein Werk, das die folgende Ansicht proklamiert: „ Wenn weder Denken und Sprechen identisch sind, noch auch die grammatischen Kategorien die logischen sind: wie sollte die Sprache logisch, ein logisches Wesen ein bewußtes oder unbewußtes Erzeugniß der dem menschlichen Denken inwohnenden Logik sein? Auch ist sie dies gar nicht. “ 1567 Dabei widmet Steinthal sein Werk der Kritik Beckers Organism der Sprache 1568, 1569 Kern kommt nach seinen Einsichten zum Verb sein und der fundierten Feststellung, dass einstellige Prädikate der komplexen syntaktischen und semantischen Struktur des Satzes nicht gerecht werden, ohne eine Kritik am Forschungsstand der Logik, der mathematischen Grundlagenforschung oder am Entwicklungsstand der deskriptiven logischen Notation miteinzubeziehen, in Nachfolge Steinthals zu dem Schluss: „ Die ganze Auffassung des Satzes als einer logischen Aussage, die Identifizierung von Satz und Urteil ist also nicht zu billigen. “ 1570 Doch Steinthals vollständige Ablehnung der Logik in Sprache oder Grammatik ist aufgrund der Entstehung der Logik in weiten Teilen aus der mit natürlichsprachlichen Prämissen und Konklusionen formulierten Syllogistik Aristoteles ’ unhaltbar, wie ebenso der historische Prozess der Mathematisierung der traditionellen Syllogistik und die Weiterentwicklung der Logik 1571 belegen. In der Tat kann demzufolge die Steinthal widersprechende Ansicht vertreten werden, die Erschließung und Erfassung der Logik sei aus der Sprache und ihrer Grammatik entstanden. Zudem setzt Steinthals Kritik ausschließlich an der dichotomischen Gliederung des Satzes als logische Proposition eines monadischen Prädikats an: „ Als bezeichnendes Merkmal der unorganischen Sprachforschung Beckers erkennen wir also näher 1565 K ERN (1888: 1) 1566 S TEINTHAL (1855) 1567 S TEINTHAL (1855: 215) 1568 B ECKER (1841) 1569 S TEINTHAL (1855: V - XII) 1570 K ERN (1888: 23) 1571 Zur Mathematisierung der traditionellen Syllogistik sowie der traditionellen Urteilslehre, s. 5.5; 5.5.1; 5.5.2. 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 303 <?page no="304"?> die logische Dichotomie der Begriffe. “ 1572 Dies kann aber kein generell gültiger Beweis gegen eine logische Betrachtungsweise der Syntax oder Semantik eines sprachlichen Ausdrucks an sich sein, da erstens, die moderne Logik nun über mehrstellige und höherstufige Funktionen (auch: Prädikate; Begriffe; Beziehungen) verfügt und zweitens, da es eine unendliche Anzahl von sprachlichen Ausdrücken gibt, und es durchaus möglich ist, einen sprachlichen Ausdruck zu finden, welcher mit der Struktur eines Prädikatenkalküls mit einstelligen Prädikaten auf syntaktischer oder semantischer Ebene kongruent ist und der demzufolge als Proposition eines monadischen Prädikats interpretierbar ist, z. B. der grammatische und vollständige Aussagesatz er läuft. Bereits dieses einzige Beispiel widerlegt Steinthals Generalisierung. So kann der Prädikatenkalkül mit einstelligen Prädikaten zur Beschreibung einiger Sätze, wie des exemplarisch genannten Satzes er läuft, bestehend aus einem Subjekt er und einem Verb laufen als Prädikat, genügen, wenn sie als Behauptungssätze oder als bloße Aussagesätze aufgefasst werden. Für eine Vielzahl anderer deutscher Sätze hingegen ist die abstrahierende Deskription ihrer semantischen oder syntaktischen Struktur mittels eines Prädikatenkalküls mit monadischen Prädikaten nicht hinreichend, und es ist eine Formulierung mehrstelliger Prädikate bzw. Beziehungen und höherstufiger Begriffe sowie damit eine Überarbeitung der traditionellen Urteilslehre notwendig. Aus diesem Grund sind die Feststellung einer Unzulänglichkeit logischer Strukturen sowie logischer Notationen, die grammatischen zu beschreiben oder zu modellieren und die Einsicht, dass die erforschten logischen Strukturen sowie die verwendeten oder zur Verfügung stehenden logischen Notationen eventuell noch nicht komplex genug für eine Anpassung auf die inhärenten logischen Zusammenhänge sämtlicher sprachlicher Ausdrücke sind oder dass das Urteil der traditionellen Urteilslehre ausdifferenziert und eine Scheidung zwischen extensionaler und intensionaler Logik formuliert werden muss, naheliegender als eine vollständige Verwerfung logischer Erklärungsmodelle in der Grammatikbeschreibung natürlicher Sprachen (s. 5.6.2; 5.6.4; 5.6.5). Insgesamt ist demzufolge bei der Lektüre Steinthals auch zu bemerken, dass er die Erforschung der Logik und ihre Geschichte nicht mitberücksichtigt und dass er vorwiegend die Formulierungen Beckers kritisiert und weniger auf den Inhalt Beckers Thesen eingeht. So bemängelt Steinthal z. B. Beckers Erläuterungen zu einer Differenz zwischen Satzelementen sowie einer Über- und Unterordnung derselbigen lediglich aufgrund der gewählten Worte in der Erklärung Beckers, widerlegt jedoch nicht die These Beckers, dass eine organische Über- und Unterordnung von 1572 S TEINTHAL (1855: 46) 304 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="305"?> Satzelementen festzustellen sei. 1573 Kern verfehlt in seiner Referenz auf Steinthal 1574 den Sachverhalt, dass historisch eine Verbindung zwischen natürlicher Sprache und Logik gegeben ist (s. 5.2; 5.4; 5.5). Durch das Verfehlen dieses Sachverhalts, der die Notwendigkeit einer Revision der traditionellen Urteilslehre nach Abaelard und nicht eine vollständige Ablehnung der Logik in der natürlichen Sprache indiziert, stehen Kerns Überlegungen in weiten Teilen in Übereinstimmung mit dieser klassischen Position der traditionellen Urteilslehre nach Abaelard, obwohl er dieselbige ablehnt. Indem Kern die traditionelle Urteilslehre und die binäre Gliederung des Aussagesatzes zurückweist 1575 , keine Weiterentwicklung einer Erforschung der Verschränktheit von natürlicher Sprache und Logik anstrebt und seine treffenden Beobachtungen zum Status des Verbs sein sowie zur Satzstruktur nicht fortführt, sondern sich von Steinthals Ansichten leiten lässt, wird das Problem der syntaktischen und semantischen Analyse von Kopulasätzen im Rahmen der traditionellen Urteilslehre sowie der Logik mit einstelligen Prädikaten als inadäquate, zugrundeliegende Struktur sämtlicher deutscher Aussagesätze nicht beseitigt. Im Gegensatz zu Steinthal erkennt Kern jedoch den Inhalt des deutschen Aussagesatzes als Gedanken aus voneinander abhängigen Satzelementen um ein zentrales Verb: „ Und während die anderen Wörter alle bald in diesem, bald in jenem Abhängigkeitsverhältnis stehen können, bald dem Subjektsbegriff sich unmittelbar oder mittelbar unterordnend, bald den Verbinhalt direkt oder indirekt bestimmend, hat das finite Verbum immer nur die eine, aber die wichtigste Funktion, Träger des Gedankens zu sein. [ … ] Das finite Verbum ist keine Wortart, wie Substantiv und Adjektiv, auch kein Satzteil, wie Subjektswort und Objekt, sondern es ist der Satzkeim, die Satzwurzel, ohne welche der Baum des Satzes gar nicht bestehen kann. “ 1576 Kerns Grundriss sowie damit seine Satzlehre bilden nach Ehrhard „ Sätze in Strukturbäumen ab, in denen die einzelnen Bestimmungen vom Verb abhängen; diese Darstellungsweise hat eine große Ähnlichkeit mit den viel späteren Strukturbäumen der Dependenzgrammatik. Dort, wo Carl Wilhelm Heyse Hinweise zu einer zentralen Stellung des Verbs gibt, sie aber nicht unbedingt weiter verfolgt, versucht Kern zu interpretieren und zieht die Konsequenzen zum Status der anderen Satzteile in der Beziehung zum zentral gelegenen Verb. “ 1577 1573 S TEINTHAL (1855: 46 f.) 1574 K ERN (1888: 1) 1575 K ERN (1888: 23) 1576 K ERN (1888: 5 f.) 1577 E HRHARD (1998: 253) 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 305 <?page no="306"?> 6.1.2 Glinz ’ syntaktischer Rang der Kopulae Glinz strebt an, einen neuen, natürlichen Weg zu echten Satzgliedbegriffen 1578 zu finden, ein Vorhaben, das mit einer Prüfung der bisherigen deutschen Schultradition und einer Feststellung ihrer wissenschaftlichen Unhaltbarkeit einhergeht. 1579 Glinz erklärt im Vorwort der ersten Auflage seiner Monographie Der deutsche Satz, dass „ die uns geläufige Fassung der Satzgliedbegriffe ‚ Prädikat, Objekt, Attribut, Adverbiale ‘ keineswegs antikes Geistesgut und europäischer Gemeinbesitz ist, sondern eine spekulative Sonderentwicklung aus der Zeit der deutschen Spätromantik “ 1580, 1581 Glinz nimmt eine „ Unterscheidung des ergänzenden Objekts, das meist durch einen Fall gebildet wird, und des bestimmenden Objekts, das meist aus einem ‚ Adverb ‘ besteht “ 1582 vor. Anschließend stellt Glinz fest, dass es notwendig ist, die besonderen Beziehungen klarzulegen, in denen sich die fallbestimmten Glieder oder Größen als Ganze dem vom Verb geschaffenen Geschehensrahmen einordnen 1583 und warnt: „ Das ist eine heikle Aufgabe, da wir hier in den Bereich der sogenannten ‚ logischen Grammatik ‘ hineinkommen und uns doch hüten müssen, nur logisch zu verfahren. Täten wir das nämlich, so könnten wir leicht gerade diejenigen Beziehungen verfehlen, die nun eben sprachliche Gestalt und Wirklichkeit sind, auch wenn sie den Forderungen der Logiker nur grob, ja oft gar nicht entsprechen. “ 1584 Die binäre Unterteilung des deutschen Aussagesatzes in Subjekt und Prädikat im Rahmen einer traditionellen Urteilslehre nimmt Glinz kritisch war und beschreibt die Auffassung des Subjekts der traditionellen Grammatik folgendermaßen: „ das logische Subjekt in seiner ganzen Strenge und Dürre, welcher Begriff dann durch einen ganzen Katalog von Einschränkungen wieder für die Sprache brauchbar gemacht werden muß “ 1585 . Er betont, 1578 G LINZ (1972: 19) 1579 G LINZ (1972: 18) 1580 G LINZ (1972: 18 f.) 1581 Weisgerber stellt in seiner inhaltbezogenen Grammatik die Frage nach einer Neubeurteilung der Terminologie für Satzglieder und konsideriert, die Termini Subjekt und Prädikat aufgrund ihrer logischen Prägung in der Sprachbetrachtung nicht zu gebrauchen (W EISGERBER (1971: 348 f.)). Doch eine derartige Trennung von sprachwissenschaftlichen und logischen Beschreibungsweisen impliziere nach Weisgerber, dass die Grundvorgänge des Denkens ohne Berücksichtigung der Sprache geschehen könnten, doch dies sei noch zu prüfen. Insbesondere deshalb, da eine solche Behauptung die Annahme miteinschließe, dass die Teilung in Subjekt und Prädikat universell für alle Sprachen gelte (W EISGERBER (1971: 348 f., 357, 400)). 1582 G LINZ (1972: 51) 1583 G LINZ (1972: 78) 1584 G LINZ (1972: 78) 1585 G LINZ (1972: 8) 306 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="307"?> dass er das Subjekt nicht „ mit Becker und manchen seiner modernen Nachfahren als den einzigen primären Bezugspunkt [auffasst], so daß es der fast mystische Gegenpol des Prädikats wäre und aus seiner spannungsreichen Verbindung mit dem Prädikat sich der ganze übrige Satz mit all seinen Gliedern herausentwickeln müßte “ 1586 . Glinz fügt an: „ Er [der richtige Kern] wird aber erst frei, wenn wir uns von der Einengung auf das (logisch mißverstandene) Subjekt und Prädikat lösen und auf die Beckersche Prokrustes-Systematik, die alles in das primitive Zweiteilungsschema pressen will, ein für allemal verzichten. [ … ] Innerhalb aller dieser verschiedenen Größen kann man dem Subjekt freilich den ersten Rang einräumen, [ … ] es ist trotzdem nicht der ‚ Vater ‘ , zu welchem alle andern im Kindesverhältnis stünden, sondern es ist nur der ‚ Primus inter Pares ‘ , der erste in einer Reihe von Gleichgebürtigen. “ 1587 Des Weiteren erläutert Glinz über das Subjekt: „ Der feste Nominativ und die Kongruenz charakterisieren dieses Glied als den Ansatz- oder Ausgangspunkt des verbalen Geschehens, als eine erste und allgemeinste ‚ Verwirklichungsstelle des Geschehens im Reiche der als Wesen gedachten Inhalte ‘“ 1588 . (S. 6.7.1.2) Wieder ist es die traditionelle Urteilslehre, die Glinz ’ progressiven Ansatz, die Spannung zwischen verschiedenen Satzgliedern neuartig wahrzunehmen, zunichte macht, wenn er die Satzteile als Grundgrößen, Gleichgrößen oder Zielgrößen auszeichnet, die eine extensionale Lesart des Satzes nahelegen: „ Es gibt nur wenige Verben, die eine solche gleichsetzende oder in ein Allgemeineres einreihende Beziehung gestatten: ‚ sein, werden, bleiben, heißen, scheinen ‘ . Das strenge logische Prädikat ( ‚ Sokrates ist ein Weiser ‘ ) erscheint so als mathematisierender Grenzfall der allgemeinen sprachlichen Möglichkeit, zwei Wesen vergleichend nebeneinanderzustellen. Um nun das sprachliche Verhältnis, ‚ fester, dem Verb kongruenter Nominativ als Ausgangspunkt ‘ und ‚ gleichgesetzter Nominativ ‘ deutlich zu unterscheiden vom logischen Verhältnis ‚ Subjekt ‘ und ‚ Prädikat ‘ , benützen wir im folgenden die Namen ‚ Subjektsnominativ ‘ und ‚ Prädikatsnominativ ‘ und daneben die im Buche ‚ Die innere Form des Deutschen ‘ vorgeschlagenen Ausdrücke ‚ Grundgröße ‘ und ‚ Gleichgröße ‘ . “ 1589 Nach diesem abermaligen Rückfall in eine Thesenbildung im Rahmen der traditionellen Urteilslehre erklärt Glinz außerdem: „ Es ist eben sprachlich etwas ganz anderes, wenn gesagt wird ‚ Die Blindesten aber sind Göttersöhne ‘ , als wenn es hieße ‚ am blindesten aber sind Göttersöhne ‘ . Im ersten Fall werden die Göttersöhne in eine Kategorie von besonderen Wesen eingeordnet, im zweiten 1586 G LINZ (1972: 82) 1587 G LINZ (1972: 82 f.) 1588 G LINZ (1972: 82) 1589 G LINZ (1972: 83 - 85) 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 307 <?page no="308"?> Falle dagegen in eine rein abstrakte Kategorie, die nicht mehr als ‚ Wesen ‘ erscheint. “ 1590 Den Bezug zwischen dem Objekt und einem Objektsprädikativ erklärt Glinz folgendermaßen: „ Hier haben wir eine Art Gegenstück zum Prädikatsnominativ oder zur Gleichgröße, nämlich eine dem Objektakkusativ (der Zielgröße) gleichgesetzte Größe. [ … ] Der herkömmliche Name ‚ doppelter Akkusativ ‘ ist freilich so ungeeignet, daß man ihn besser ersetzt durch ‚ Prädikatsakkusativ ‘ . In unserer deutschen Namenreihe ergibt sich zwanglos ‚ Gleichgröße und Zielgröße ‘ . “ 1591 Damit ist die binäre Teilung der Syntax möglicherweise unintendiert von Glinz wiederhergestellt, und es nicht gelungen, sich von der „ Prokrustes-Systematik, die alles das primitive Zweiteilungsschema pressen will “ 1592 , zu lösen. Eroms merkt außerdem an, Glinz ’ Ausdruck Leitglied für das finite Verb als festen Pol des Satzes, „ da es gewissermaßen den Bau des ganzen Satzes leitet “ 1593 sei konstitutionell gedacht. 1594 Glinz unternimmt also den Versuch, die Syntaxbeschreibung von der „ Einengung auf das (logisch mißverstandene) Subjekt und Prädikat “ 1595 zu lösen, erkennt jedoch die Auszeichnung von Satzteilen als sogenannte Grundgrößen, Gleichgrößen und Zielgrößen, die als solche nur durch einen angenommenen assertorischen Moment einer Kopula sowie einer extensionalen Lesart des Aussagesatzes wahrgenommen werden können, an und definiert eine Gruppe von Verben als solche, angeblich den Ausdruck einer Gleichsetzung oder eines sonstigen extensionalen Verhältnisses gestattende Verben 1596 . Dies pflichtet indirekt als semantische und strukturelle Interpretation der traditionellen Grammatik und Urteilslehre bei, obwohl die Terminologie leicht geändert wurde und versuchsweise Ansätze zur Bereinigung der sogenannten „ Aussagespannung “ 1597 zwischen Subjekt und Prädikat in der traditionellen Grammatik als auch zu einem veränderten Status des Subjekts als „ Primus inter Pares “ 1598 angestellt werden. Nichtsdestotrotz stellt Glinz jedoch fest: „ Und wenn auch die dabei verwendeten Verben [sein; werden; bleiben; heißen; scheinen] sehr blaß sein mögen und hie und da ganz unnötig erscheinen, so haben sie doch, wenn sie überhaupt auftreten, genau den gleichen Rang im Satz und auch 1590 G LINZ (1972: 85) 1591 G LINZ (1972: 87) 1592 G LINZ (1972: 83) 1593 G LINZ (1973: 97) 1594 E ROMS (2003: 162) 1595 G LINZ (1972: 82 f.) 1596 G LINZ (1972: 83 - 85, 87) 1597 G LINZ (1972: 83) 1598 G LINZ (1972: 83) 308 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="309"?> genau die gleichen Platzansprüche wie jedes andere Verb. So fällt auch aus dieser Sicht der grammatisch mißbrauchte scholastische Begriff der ‚ Kopula [ … ] ‘ dahin, und der Prädikatsnominativ tritt in eine Reihe mit den übrigen fallbestimmten Gliedern, also mit Subjektsnominativ, Objektkasus und präpositionalen Ausdrücken - solange er wirklich ein Nominativ ist. Anders ist es freilich mit dem Prädikatsadjektiv, dem ‚ unflektierten ‘ Adjektiv. “ 1599 Resümierend ist also festzuhalten, dass Glinz ’ Theorie der Kopula den gleichen Rang sowie die Notwendigkeit einer materiellen zeichenhaften Realisierung zuerkennt, wie sie jedem anderen Verb zuteilwerden, was in Kontrast zur traditionellen Grammatik sowie Urteilslehre steht. Dieser Rang ist im Rahmen Glinz ’ Theorie zur Grammatikbeschreibung syntaktisch durch seinen Platzanspruch und semantisch durch die sprachliche Gestaltung, bei der „ alles im Bilde eines Geschehens mit daran beteiligten Wesen gefaßt ist “ 1600 begründet. Darüber hinaus verursacht Glinz ’ Anwendung operationaler linguistischer Testverfahren, um das System der Sprache wie einen Mechanismus zu erforschen, strukturelle Entgrenzungen, die unerlässliche Voraussetzungen zum Erkennen valenzieller Strukturen sind. 1601 Dies motiviert eine weitere fortführende Analyse sprachlicher Strukturen und ihrer logisch-semantischen Interpretationen sowie eine Beschreibung dieser mittels einer der Prädikatenlogik entlehnten Notation. 6.1.3 Erbens Valenz existenzbezeichnender Verben Auch bei Erben wird eine neuartige Wahrnehmung der Kopula motiviert, die sich schließlich von jener der Theorie einer traditionellen, binären Gliederung des deutschen Aussagesatzes im Rahmen einer traditionellen Urteilslehre unterscheidet. Ohne explizit den angesprochenen Binarismus sowie den Entwurf einer Kopula zu kritisieren, wie dies Kern und Glinz vorgenommen haben, referiert Erben auf die Kopulae als „ eine[ … ] Gruppe mehr oder minder inhaltsarmer Verben (verba abstracta) “ 1602 . Erben stellt fest: „ Für den Kernbereich ‚ statischer ‘ Ist-Prädikation steht eine Vielzahl von Verben zur Verfügung, die zwar alle durch das ‚ Archilexem ‘ sein ersetzt werden können, doch weisen sie alle noch besondere Inhaltsmerkmale auf, die dem Sprecher ermöglichen, ein ‚ modificirtes Sein ‘ [ … ] auszudrücken. “ 1603 So apperzipiert Erben, dass die Kopulae unterschiedliche lexikalische Nuancen aufweisen, z. B. ver- 1599 G LINZ (1972: 85) 1600 G LINZ (1972: 85) 1601 G LINZ (1973: 53, 85 - 98) 1602 E RBEN (1980: 140) 1603 E RBEN (1978: 82 f.) 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 309 <?page no="310"?> mittelt das Verb scheinen nach Erben den „‚ Anschein ‘ -charakter “ 1604 der Aussage. Ebenso verhalten sich auf ihre jeweils eigene Art und Weise andere kopulaähnliche Verben außer dem Verb scheinen, die nach Erben mit Verweis auf Brinkmann „ das Sosein als Eindruck “ 1605 auffassen, da die Seinsbestimmung aus einem bestimmten Wahrnehmungssinn resultiert: „ Hieran schließen andere Verben, durch welche die Seinsbestimmung ‚ auf einen bestimmten Wahrnehmungssinn bezogen ‘ und ‚ relativiert ‘ [ … ] wird, z. B. Das schmeckt salzig/ nach (wie) Salz (statt der uneingeschränkten Feststellung: Das ist salzig/ Salz). “ 1606 Bemerkenswert ist Erbens deutliches Bekenntnis zur traditionellen Urteilslehre in seinen Erläuterungen zum Objektsprädikativ. Hierzu erwähnt er die Existenz von Verben, die ein Sosein aus der Perspektive einer Selbst- oder Fremdeinschätzung beschreiben. 1607 Erben erklärt bezüglich einer ist-Prädikation bzw. einer Assertion in Aussagesätzen mit kopulaähnlichen Verben außerdem: „ Schließlich stehen zahlreiche Verben zur Verfügung, die ein Sosein aus der Perspektive einer Selbst- oder Fremdeinschätzung darstellen. [ … ] Der Sprecher schiebt diesen gleichsam die Verantwortung dafür zu, ob die Merkmalszuordnung richtig ist und der Charakterisierte wirklich der behaupteten Klasse/ Art zugehörig ist oder ob er nur dazu gerechnet wird. “ 1608 Ebenso spricht Erben davon, dass der Person, welche in Subjektposition erwähnt wird, ein Urteil gilt (z. B. das ist dem Vater unbegreiflich, dem Prüfling zu schwierig). 1609 Ferner gibt Erben eine Nähe zur Logik von Port-Royal zu erkennen, wenn er das Konzept 1610 einer verdeckten ist-Prädikation 1611 einbringt, die in einigen Sätzen (z. B. sie bemalen sich violett) vorkommt, in welchen eine Prädikation nach Erben allein durch das Prädikativ entsteht, aber durch Umformung das Verb ist der Prädikation mit der Aussage sie sind violett aufgedeckt werden könne. Dies meint, nach Erben kann der Satz die aufgebrachte Menge schlägt ihn zum Krüppel in den Satz mit sprachlich materialisierter Kopula die aufgebrachte Menge schlägt ihn, so dass er (nach dem Schlagen) Krüppel ‚ ist ‘ transformiert werden. 1612 Erben sieht somit das Urteil als assertorischer Moment der Merk- 1604 E RBEN (1978: 83) 1605 E RBEN (1978: 83); vgl. B RINKMANN (1971: 585) 1606 E RBEN (1978: 83) 1607 Vgl. Carnaps Verständnis der Intensionsstruktur, s. C ARNAP (1948: 4 f., 44, 56 - 64); vgl. C HURCH (1951a: 5, Fn. 5); vgl. C HURCH (1950) 1608 E RBEN (1978: 84) 1609 E RBEN (1980: 176) 1610 Das Wort Konzept ist hier nicht im fachterminologischen Churchschen Sinn zu verstehen. 1611 E RBEN (1978: 85) 1612 E RBEN (1978: 85) 310 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="311"?> malszuordnung 1613 durch mehr oder minder inhaltsarme Verben mit der Bezeichnung verba abstracta 1614 und eine sogenannte „‚ statische[n] ‘ Ist-Prädikation “ 1615 , was als eine Anlehnung an die traditionelle Grammatik verstanden werden kann. 1616 Trotzdem ist es für Erben und seine valenzorientierte Grammatik notwendig, die Verben sein, bleiben und werden als „‚ existenz ‘ bezeichnende “ 1617 Verben einzuordnen, was in gewisser Weise ihrer ursprünglich angenommenen inhaltliche Blässe und ihrer Rolle als bloßer koppelnder, assertorischer Moment widerspricht, aber mit der Feststellung des Vorhandenseins jeweiliger „ semantischer Sondermerkmale “ 1618 der Kopulae oder kopulaähnlichen Verben, die nach Erben eine ist-Prädikation verkörpern, übereinstimmt. Erben trifft keine Unterscheidung zwischen der Kopula sein und einem sogenannten Existenz bezeichnenden Verb sein. 1619 Statt dessen formuliert er: „ In einem Satze wie: ‚ Gott ist ‘ , ist das Sein ohne alles Merkmal rein aufgefaßt, in allen andern Sätzen aber wird das Sein des Subjects unter einem oder mehreren bestimmten Merkmalen aufgefaßt, die wir uns als Art und Weise des Seins denken müssen [ … ]. Nicht bloß das Verbum ‚ sein ‘ , sondern auch andere Verba können Inhärenzen zu sich nehmen, als: heißen, scheinen, erscheinen, leben, gehen, kommen u. a. “ 1620 . Dies stellt eine andere Herangehensweise an eine angenommene Mehrdeutigkeit des Verbs sein dar, als sie die Russellsche Ambiguitätsthese (s. 5.5.2) vertritt, denn inhaltlich kann nach Erben demzufolge ausschließlich der Ausdruck von Existenz vorliegen oder der Ausdruck von Existenz gemeinsam mit einer der Existenz verbundenen Qualität. Dadurch erscheint die Existenz als eine Art Grundbedeutung oder Grundkonnotation aller Kopulae und kopulaähnlichen Verben, die nach Erben durch das „‚ Archilexem ‘ sein “ 1621 ersetzbar sind, aber trotz obiger Erläuterungen alle auch selbst eigenständig, ebenso wie das Verb sein, eine ist-Prädikation erzeugen. Erben stellt somit im Hinblick auf das „ sonst als ‚ semantisch leer ‘ angesehene Verbum sein “ 1622 fest, dass die Kopulae und kopulaähnlichen Verben bzw. die Verben mit dem Namen verba abstracta eine semantisch 1613 E RBEN (1978: 82 ff.); vgl. E RBEN (1980: 176) 1614 E RBEN (1980: 140) 1615 E RBEN (1978: 82) 1616 E RBEN (1978: 82 f.) 1617 E RBEN (1980: 142) 1618 E RBEN (1978: 81 f.) 1619 Zur Unterscheidung einer Kopula sein und eines Verbs sein, welches Existenz bezeichnet, s. 5.5.2. 1620 E RBEN (1978: 76) 1621 E RBEN (1978: 82) 1622 E RBEN (1978: 80) 6.1 Die Kopulae in der valenztheoretischen Perspektive 311 <?page no="312"?> heterogene Gruppe darstellen, da sie unterschiedliche semantische Nuancen 1623 aufweisen: „ Wie der Verfasser auf der gleichen Seite selbst erwähnt, ist es jedoch eine bemerkenswerte Tatsache, ‚ daß kopulative Verben untereinander kommutieren, daß sie zueinander in paradigmatischen Beziehungen und in semantischer Opposition stehen: Der Mann ist/ wird/ bleibt/ scheint/ dünkt sich klug ‘ . Das letztgenannte Verb dünkt sich fordert z. B. durchaus eine Besetzung seiner beiden syntaktischen Leerstellen durch Nomina bestimmter semantischer Beschaffenheit; und ähnliches gilt mehr oder weniger für andere ‚ Kopula ‘ -verben. “ 1624 Lediglich aufgrund dieser zwei Annahmen, der ersten Annahme eines Paradigmas der Kopulae und kopulaähnlichen Verben 1625 und der zweiten Annahme eines Existenz bezeichnenden 1626 Inhalts der Kopulae und kopulaähnlichen Verben, ist es im Rahmen der Überlegungen Erbens als auch gemäß der Begriffstheorie, welche für Begriffe und damit Prädikate einen begrifflichen Gehalt vorsieht (s. 5.8; 6.2.2; 6.2.3), möglich, den Kopulae und kopulaähnlichen Verben das Eröffnen von Leerstellen zuzugestehen und das sogenannte Prädikativ als Ergänzungsbestimmung zum verbalen Aussagekern aufzufassen 1627 , denn die Konzeption der Verben mit der Bezeichnung verba abstracta sowie der verdeckten ist-Prädikation in Sätzen mit Kopulae, kopulaähnlichen Verben und Objektsprädikativverben, forciert die traditionelle, binäre Gliederung des deutschen Aussagesatzes und die Annahmen einer semantischen Leere sowie einer Uneigenständigkeit der Kopulae und kopulaähnlichen Verben als Prädikat eines Satzes. Dennoch betont Erben: „ Im Unterschied zu L. Tesnière, von dessen valenztheoretischen Auffassungen mir erst bei der Endredaktion meines Abrisses der deutschen Grammatik [1958, 1980] einiges bekannt geworden ist, hatte ich von Anfang an auch einen Teil der Adverbialbestimmungen sowie die adjektivischen und substantivischen Prädikativa als obligatorische Ergänzungsbestimmungen des Verbs angesehen, in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der heutigen Einschätzung. Ich hatte damit natürlich auch die Kopula-Verben als Valenzträger gewertet. Im übrigen habe ich bei meinem eigenen Ansatz zunächst nicht von ‚ Valenz ‘ des Verbs gesprochen, sondern von einer besonderen syntaktischen ‚ Wertigkeit ‘ . “ 1628 1623 E RBEN (1978: 83) 1624 E RBEN (1978: 80) 1625 E RBEN (1978: 76, 80) 1626 E RBEN (1980: 263) 1627 E RBEN (1980: 315 f.); vgl. E RBEN (1995) 1628 E RBEN (1995: 66) 312 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="313"?> 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens Resümierend ist zu konstatieren, dass die Frage nach dem Signifikat oder den Signifikaten der Kopula in den verschiedenen einschlägigen Grammatiken 1629 auf andere Art und Weise aufgeworfen und die Relevanz des möglicherweise vorhandenen Inhalts der als Kopulae und kopulaähnliche Verben aufgefassten Wortformen anhand verschiedener Analysemethoden entdeckt wird, so dass der Versuch unternommen werden kann, diesen für die Grammatikforschung so relevanten, potentiell signifizierten Inhalt des traditionell als Kopula interpretierten Verbs sein zu isolieren. 6.2.1 Die kategorematische Bedeutung des Signifikanten und die Kopula als synkategorematisches Funktionswort Wie obig dargelegt, ist in der Grammatikschreibung insbesondere über die Kopula ausgesagt, dass sie als ein semantisch und syntaktisch uneigenständiges Verb zu verstehen sei, was jedoch bei genauerer Betrachtung eine Annahme darstellt, die sich zirkulär in Wechselwirkung mit der binären Teilung des Satzes in ein logisches Subjekt und ein logisches Prädikat sowie grammatisches Prädikativ im Rahmen der traditionellen Urteilslehre aufrechterhält. Eine fixierende Klassifizierung einiger Wortformen als generell semantisch blass, semantisch unselbständig oder inhaltlich leer, festigt diese These. Wie Erbens Grammatiktheorie zeigt, kann die binäre Gliederung des deutschen Aussagesatzes in Subjekt und Prädikat als Folge des Einflusses der traditionellen Urteilslehre in die Grammatikschreibung ihre Geltung durch den Widerspruch verlieren, der entsteht, wenn den als Kopulae interpretierten Verben ein bestimmter, eigenständig signifizierter Inhalt zugeschrieben werden kann, so dass sich eine andere Satzstruktur, im Fall Erbens eine Dependenzstruktur, profiliert. Admonis Kritik an der Dependenzgrammatik setzt insbesondere am Verständnis der Kopula an, überspringt jedoch die Tatsache, dass Grammatiker wie Kern, Glinz oder Erben im Zuge der Auflösung einer perzipierten und in traditionellen Grammatiken etablierten binären Gliederung des Aussagesatzes a priori einen spezifischen semantischen Inhalt der als Kopulae erfassten Verben annehmen und das Konzept 1630 einer inhaltlich blassen oder leeren Kopula zu dekonstruieren versuchen, bevor zu einer veränderten Perspekti- 1629 K ERN (1888); G LINZ (1972); E RBEN (1980) 1630 Das Wort Konzept ist hier nicht im fachterminologischen Churchschen Sinn zu verstehen. 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 313 <?page no="314"?> ve 1631 auf die Satzstruktur und den Status des Subjekts fortgeschritten wird. Admonis Kritik lautet vor dem Hintergrund des Vorgehens dieser Grammatiker ohne Räsonnement: „ Doch führt die von der Dependenzgrammatik geforderte Degradierung des Subjekts zu einem Aktanten (Mitspieler) des Verbs zu der Schlußfolgerung, daß in den Sätzen mit nominalem Prädikat das kopulative Verb als herrschendes Glied auftritt, was den realen Kräfteverhältnissen im Satz als einer konkreten sprachlich gestalteten Form zuwiderläuft. “ 1632 Beweise für oder detailliertere Erklärungen zu Admonis postuliertem realen Kräfteverhältnis einer konkreten sprachlich gestalteten Form bleiben absent. Zur Erfassung des Inhalts eines Signifikanten wurden in der Sprachwissenschaft Worttypisierungen, Wortartenklassifizierungen und Wortgruppen aufgestellt, welche mehr oder weniger bedeutungsvolle Sprachzeichen sowie Sprachzeichen mit einer besonderen Art der Signifikation auszeichnen sollen, wobei die Wortgruppe der als Kopulae oder kopulaähnlich interpretierbaren Verben den semantisch blassen oder uneigenständigen Sprachzeichen zugeordnet wird. Rekursiv kann demnach immer auf diese Klassifizierung als semantisch blasse oder semantisch abhängige Verben verwiesen werden. An dieser Stelle wird Ockhams Lehre von den Termen und Relationen relevant, welche u. a. zwischen den sogenannten Kategoremata (engl.: categorematic terms; lat.: categorematici) (z. B. Tier; Baum) den sogenannten Synkategoremata (engl.: syncategorematic terms; lat.: syncategorematici) (z. B. jeder; außer) und sogenannten relativen Namen (engl.: relative names; lat.: nomina relativa) (z. B. Sohn; ähnlich) unterscheidet. 1633, 1634 Diese Auflistung Ockhams Typen von Termen soll aufgrund der Relevanz dieser Einteilung von Wortformen für eine Thematisierung in der vorliegenden Untersuchung herausgegriffen werden. Auf Ockhams weiterführende Erläuterungen, z. B. zu absoluten Termen (lat.: termini absoluti), zu konnotativen Termen (lat.: termini connotativi), zu negativen Termen (lat.: termini negativi), zu privativen Termen (lat.: termini privativi) usw. sowie seine Suppositionstheorie und Signifikationstheorie im Detail kann an dieser Stelle, unter anderem aus dem Grund, dass Ockham nach Loux selbst keine definiten Erklärungen zu den verschiedenen Arten der Signifikation gibt 1635 , nicht eingegangen werden. Zu notieren ist, dass Ockham 1631 Der Terminus Perspektive ist an dieser Stelle als Sichtweise zu verstehen und meint nicht die fachterminologische, pragmatisch-kommunikativ aufgefasste oder sprachinhärente Perspektive. 1632 A DMONI (1982: 222) 1633 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55, 158 - 161) 1634 Zur Definition der Termini, vgl. O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55, 158 - 161); vgl. P ERLER (1992: 88, Fn. 79) 1635 L OUX (1974: 6) 314 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="315"?> Propositionen mit Termen in Subjekts- oder in Prädikatsposition, die gemäß seiner Theorie für nichts supponieren, wie z. B. der Term Chimäre, als falsch markiert, da sie nach Ockham einen falschen Exponenten aufweisen. Hierbei konstatiert Ockham: „ It should be replied that if the terms supposit significatively, then ‚ A chimera is a chimera ‘ is, strictly speaking, false, since it implies falsehood. “ 1636, 1637 Im Folgenden soll zunächst die vereinfachende und teilweise abwandelnde Übertragung dieser auf Ockham zurückgehenden Einteilung von Sprachzeichen nach ihrer Signifikation und Supposition in die Grammatikschreibung anhand der Übersicht bei Hentschel/ Weydt präsentiert werden. Hentschel/ Weydt unterscheiden zwischen Synsemantika und Autosemantika, wobei Autosemantika über eine sogenannte kategorematische Bedeutung verfügen: „ Eine kategorematische Bedeutung gliedert einen bestimmten Bereich aus der außerprachlichen Wirklichkeit aus. Das Ausgegliederte kann ein Objekt sein, aber auch ein Vorgang, eine Eigenschaft, eine Relation usw. Der Hinweis auf die außersprachliche Wirklichkeit bedeutet dabei aber nicht, dass das Bezeichnete auch in der Realität existieren muss. Auch Wörter wie Schlaraffenland oder Einhorn, aber natürlich auch Abstrakta wie Minderwertigkeitskomplex bezeichnen Gegebenheiten der außerprachlichen Realität - unabhängig davon, ob sie konkret oder abstrakt, real oder fiktiv sind - und haben somit eine kategorematische Bedeutung. “ 1638 Hentschel/ Weydt berücksichtigen dabei nicht die Fregesche Terminologie und Distinktion von Sinn und Bedeutung. Neben der kategorematischen Bedeutung nennen Hentschel/ Weydt eine deiktische Bedeutung, eine Wortartbedeutung (auch: kategorielle Bedeutung) und eine synkategorematische Bedeutung (auch: synsemantische Bedeutung). 1639 Autosemantika können weiterhin in Terme mit relationaler Bedeutung (z. B. Onkel; groß; ähneln) und Terme mit absoluter Bedeutung (z. B. Pferd; tot; schwimmen) unterteilt werden. 1640 Den Erläuterungen Hentschels/ Weydts ist zu entnehmen, dass es sich, im semiotischen Dreieck verortet, bei den Thesen zur sogenannten kategorematischen Bedeutung um die Beschreibung eines Sachverhalts handelt, welche sich auf die extensionale Bedeutungsebene bezieht. Mit den relationalen Bedeutungen sind Relationen in der außersprachlichen Wirklichkeit, wie etwa die Relation zwischen den Gegenständen bzw. Individuen Onkel und Nichte oder Neffe 1636 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 123) 1637 Weiterführend zu Ockhams Suppositionstheorie, s. z. B. O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 188 - 193, Kap. 63, 64, 65); vgl. P ERLER (2002: 319 - 397); vgl. F REDDOSO (1980: 3 - 16); vgl. M C C ORD A DAMS (1976) 1638 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 1639 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 14 - 19) 1640 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 315 <?page no="316"?> angesprochen. Hiermit sind auch Phänomene der Wirklichkeit, wie z. B. die Relativität der Bedeutung des Adjektivs groß, das in der Wahrnehmung immer in Relation zu etwas Kleinerem steht, gemeint. Die Terme relationale kategorematische Bedeutung und absolute kategorematische Bedeutung fungieren demnach dazu, Sachverhalte in der außersprachlichen Wirklichkeit zu deklarieren, und die Unterscheidung in relationale Bedeutung und absolute Bedeutung stellt keine Erkenntnis dar, die ohne Weltwissen aus einer innersprachlichen Analyse von Zeichenketten sprachlicher Ausdrücke gewonnen werden kann, wie z. B. die Kenntnis der Bedeutung eines grammatischen Morphems einer markierten Genitivergänzung, welche bei einer innersprachlichen Analyse von Ausdrücken in Form von Zeichenketten mit Methoden der kognitiven Mustererkennung festgestellt werden kann. In seiner Abhandlung zu französischer Lexikographie erklärt Schafroth: „ Lexeme sind Träger von Bedeutungen, welche auf die außersprachliche Wirklichkeit verweisen. Sie können Konkreta [ … ] ebenso wie Abstrakta [ … ] bezeichnen. Ihre Bedeutung kann für sich selbst stehen, ist also nicht von der Bedeutung anderer sprachlicher Zeichen abhängig. Lexeme werden deshalb auch als Autosemantika [ … ] oder Inhaltswörter bezeichnet. Sie verfügen über semantische Autonomie [ … ] und über einen nachvollziehbaren semantischen Gehalt (Inhalt). Das Gegenstück zu den Autosemantika sind Synsemantika [ … ], also Elemente, deren Bedeutungen nicht unabhängig von anderen Elementen ist, die oft sogar nur wenig bis keine lexikalische Bedeutung haben, sondern vor allem die Beziehungen zwischen Lexemen und Lexemgruppen innerhalb eines Satz oder einer Äußerung herstellen [ … ] oder als Kennzeichen für eine Wortart dienen [ … ]. Sie werden deshalb auch grammatische Wörter [ … ] oder Funktionswörter [ … ] genannt. “ 1641 Um Autosemantika und Synsemantika zu differenzieren, weisen Hentschel/ Weydt 1642 statt dessen etwas differenzierter als Schafroth explizit auf die sogenannte kategorematische Bedeutung hin. Hentschel/ Weydt differenzieren 1643 zwischen lexikalischer Bedeutung und kategorematischer Bedeutung und erläutern, dass der Terminus lexikalische Bedeutung irreführend sei, da er suggeriere, eine derartige, sogenannte lexikalische Bedeutung käme allen Wörtern zu, die in einem Lexikon aufgeführt sind. 1644 Dies ist nach Hentschel/ Weydt nicht der Fall, und der Terminus Lexem benennt auch bei Schafroth, wie er selbst in obigem Zitat ausführt, ausschließlich Autosemantika, d. h. Kategoremata nach Ockham. Deutlich erklärt Schafroth, diese Kategoremata (Lexeme) verwiesen auf die außerprachliche Wirklichkeit, was 1641 S CHAFROTH (2014: 1 f.) 1642 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 1643 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 1644 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 316 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="317"?> des Weiteren einer Verortung der Signifikate der Kategoremata 1645 sowie der denotierten Relationen relationaler Kategoremata auf der Bedeutungsebene des semiotischen Dreiecks beipflichtet. Ockhams Nominalismus (s. a. Ockhams Rasiermesser) 1646 nimmt selbsterklärend nicht wie Frege Sinne und Gedanken als intensionale Einheiten wahr, die nach Dedekind unabhängig vom menschlichen Denken und in unendlicher Anzahl existieren (s. 5.6.6). Stattdessen verkörpert bei Ockham der Intellekt das Verbindungsglied zwischen zeichenhaftem sprachlichen Ausdruck und außersprachlicher Wirklichkeit. Grotz erläutert hierzu: „ Für die Logik Ockhams ist die natürliche Sprache (oratio vocalis) kein passivisches Abbild einer (wie auch immer verstandenen) Wirklichkeit, sondern sichtbares und sekundäres Zeichen der begriffsbildenden Tätigkeit und Synthesis des Intellekts, dessen unmittelbares Produkt die oratio mentalis ist. “ 1647 Das Wort Begriff ist hier nicht im spezifisch Fregeschen Sinn verwendet. Aus Sicht der vorliegenden Studie ist die Benennung als begriffsbildend deshalb an dieser Stelle in Referenz auf Ockhams Terme ungünstig gewählt, da ein Begriff nach Frege herleitbar eine Intensionalität konstitutiert, welche in der Prädikationstheorie Ockhams nicht derart angenommen wird. Eine auf ähnliche Weise mentalistische Position wie diejenige Ockhams wird auch von Locke vertreten, welcher In An essay concerning human understanding and a treatise on the conduct of the understanding die Auffassung äußert: „ words in their primary or immediate signification signify nothing but the ideas in the mind of him that uses them, how imperfectly soever or carelessly those ideas are collected from the things which they are supposed to represent. “ 1648 Diese Art der Bedeutung kommt nach Kretzmann bei Locke allen Wörtern zu, außer propositionalen Konnektiven, der Kopula und dem englischen Wort not 1649 , so dass Brauße annimmt, diese letztgenannten Wörter gälten bei Locke als Synkategoremata 1650 . Eine kurze Gegenüberstellung Ockhams und Freges Auffassungen eines logischen Prädikats bzw. Begriffs stellt Freddoso an, allerdings ohne hinreichende Erklärung der Differenzen sowie unter der fehlerbehafteten Angabe, Ockham hätte ein Verständnis eines logischen Prädikats als einer zu sättigenden Funktion. Zudem gibt Freddoso Freges Signifikationstheorie nicht akkurat wieder, da behauptet wird, in Freges Theorie würde das logische Prädikat auf keinen Inhalt verweisen: 1645 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55) 1646 Vgl. auch Russells Anwendung Ockhams Rasiermesser, s. 5.5.2. 1647 G ROTZ (1998: xx) 1648 L OCKE (1846: 267) 1649 K RETZMANN (1975: 334); vgl. B RAU ß E (1994: 32) 1650 B RAU ß E (1994: 32) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 317 <?page no="318"?> „ According to the second alternative account, the subject of such a proposition supposits for something, which - if the proposition is true - satisfies a function of the form ‚… is F ‘ , where ‚ F ‘ stands for a predicate in Ockham ’ s sense. Hence, the proponent of this alternative account denies that the subject and predicate of an Sproposition both have the role of suppositing for or denoting something. This alternative [ … ] finds its most important formulation in Frege ’ s writings “ 1651 . Nach Frege drückt ein ungesättigter Begriff einen unvollständigen Sinn aus, so dass es sich seitens Freddosos um die Unterstellung einer Leugnung (engl.: to deny) Freges handelt, wobei diese Unterstellung aus einer Nichtanerkennung einer Fregeschen Sinnebene im semiotischen Modell resultiert. 1652 Ockhams Verständnis eines Synkategoremas kann nun durch folgendes Zitat ergänzt werden: „ It should first be noted that no such sign signifies anything by itself or is impose to signify anything determinately. [ … ] This is why it is called a syncategorematic term. The same holds for many other terms and, in general, for all terms which, when taken by themselves, cannot be extremes of any proposition “ 1653 Mit den Extremen (engl.: extremes) einer Proposition meint Ockham das Subjekt und das Prädikat. Hierbei proklamiert er gleichzeitig seine Indifferenz hinsichtlich des Status ’ der Kopula 1654 : „ A subject we have said is that part of a proposition preceding the copula. In similar fashion we can say that the predicate is that part of a proposition which follows the copula. Nevertheless, some want to say that the predicate is the copula together with what follows it; but since that controversy depends on features peculiar to conventional expressions, I shall ignore it for the present. Whether we construe the predicate as including the copula, the term ‚ predicate ‘ is used in a variety of senses. In one sense anything is a predicate which is the extreme of a proposition and not its subject; in this sense anything can be a predicate because anything can be the predicate of a true or false proposition. “ 1655 Nun erklärt eine Wortarteneinteilung nach positionellen, distributionellen und funktionalen Kriterien 1656 von Moskal ’ skaja 1657 die Kopula als eigenständige Wortart, welche Funktionswörter umfasst, und damit gilt die Kopula als nicht 1651 F REDDOSO (1980: 11) 1652 Zum Problem der Synthesis Ockhams Terme termini absoluti zur ‚ vor ‘ -sprachlichen Tätigkeit des Intellekts oratio mentalis sowie den Kategoremata, s. 6.2.2. 1653 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 96) 1654 Zur Schnittstelle zwischen logischem Prädikat und logischem Subjekt bei Frege am Beispiel der Teilung einer Linie, s. F REGE (2002 [1891]: 6); s. 5.6.2; s. a. (Abb. 4). 1655 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 111 f.) 1656 K NOBLOCH / S CHAEDER (2000: 678) 1657 M OSKAL ’ SKAJA (1975: 41 - 55) 318 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="319"?> satzwertig, nicht satzgliedfähig und als synsemantisch. 1658 Knobloch/ Schaeder beobachten hierbei: „ Obwohl Moskal ’ skaja zunächst von einer Gleichwertigkeit der Komponenten ausgeht, spielt das morphologische Kriterium so gut wie keine Rolle. Hingegen nimmt das syntaktische Kriterium (satzwertig vs nicht satzwertig, satzgliedfähig vs nicht satzgliedfähig) den ersten und das semantische Kriterium (autosemantisch vs synsemantisch, benennend, verweisend, zählend) den zweiten Rang ein. “ 1659 Die deiktische (auch: verweisende) Bedeutung erzeugt in Moskal ’ skajas Wortarteneinteilung keine Untergliederung, welche die Kopula betrifft, sondern gliedert nur sogenannte „ eigentliche Wortarten “ 1660 . Der Unterschied zwischen Zeigewörtern und Nennwörtern geht gemäß des Reallexikons der deutschen Literaturwissenschaft auf Appolinius Dyskolos zurück. 1661 Hentschel/ Weydt erklären: „ Während die Nennwörter einen bestimmten Ausschnitt aus der außersprachlichen Wirlichkeit ‚ benennen ‘ , ‚ zeigen ‘ die Zeigwörter oder Deiktika (von griech. deiknymi ‚ zeigen ‘ ; Sing.: Deiktion oder Deiktikum) nur auf etwas. Deiktika sind Wörter wie ich, jetzt oder hier, die auf Personen, Zeitpunkte oder Orte in der außersprachlichen Wirklichkeit verweisen, indem sie dieses in ihrem Verhältnis zur Sprechsituation (zu SprecherIn, Sprechzeit oder Sprechort) definieren. “ 1662 Somit sind die kategorematische, die synkategorematische sowie die deiktische Bedeutung nach Hentschel/ Weydt in der Wortarteneinteilung nach Moskal ’ skaja, welche die Kopula schließlich als prädikatsprägendes, synsemantisches Funktionswort mit syntaktischer Funktion auffasst 1663 , weitgehend berücksichtigt. Die Kopulae gelten folglich als Satzbildner, die nur für die Konstruktion eines Satzes eingesetzt werden, sowie als Träger von Finitheitsmerkmalen (Kongruenz; Tempus; Modus), während der Träger der Semantik das Prädikativ ist. Dieser zugeschriebene grammatische, rein morphologische Status und die angenommene Absenz einer eigenen Semantik oder die behauptete Abhängigkeit seines Inhalts von anderen Satzgliedern führen dazu, dass das Verb sein mit den Bezeichnungen Funktionswort, Leerwort, Strukturwort oder Synkategorem 1664 ohne nennenswerten spezifischen lexikalischen Inhalt belegt wird. Insbesondere die Einordnung als Synkategorem entspricht 1658 M OSKAL ’ SKAJA (1975: 53) 1659 K NOBLOCH / S CHAEDER (2000: 679) 1660 M OSKAL ’ SKAJA (1975: 53 f.) 1661 B RAUNGART et al. (2010: 244, Kataphorik, Anaphorik) 1662 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 16 f.); vgl. H EMPEL (1965 [1954]) 1663 M OSKAL ’ SKAJA (1975: 54) 1664 G LÜCK / R ÖDEL (Hrsg. 2016: 695, Synsemantikon); B U ß MANN (Hrsg. 2008: 709, Synsemantikum) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 319 <?page no="320"?> diesen Konzeptualisierungen 1665 des Verbs sein als Kopula, denn unter diesem Begriff werden auch Ausdrücke mit einer vermuteten Polysemie 1666 erfasst. 6.2.2 Die Differenzierung von Prädikat und Kategorema Der Kopula wird somit durch ihre Auszeichnung als inhaltlich blasses oder semantisch durch andere Sprachzeichen im Aussagesatz determinierbares Verb eine sogenannte kategorematische Bedeutung abgesprochen, und sie gilt nicht als Autosemantikum nach Hentschel/ Weydt oder als Lexem nach Schafroth. Dabei ist auffällig, dass Hentschel/ Weydt missverständlicherweise ihre Verwendung des Adjektivs kategorematisch auf Aristoteles zurückführen. 1667 Diese Referenz ist nicht gerechtfertigt, denn das Adjektiv kategorematisch ist von dem griechischen Wort kategorema (griech.: κατηγόρημα ; κατηγορουμένων ) abgeleitet und ein Terminus der philosophischen Logik nach Aristoteles, der den prädikativen Teil eines Satzes benennt. 1668 So ist die Übersetzung des Terminus ’ kategorema vom Altgriechischen ins Lateinische nach Boethius prædicatum (dt.: Prädikat) 1669 und Baumgartner legt dar: „ Während Kategorema (K.) bei Aristoteles ursprünglich allein den prädikativen Teil des Satzes bezeichnet [ 1670 ] - was Boethius durch seine Übersetzung mit ‚ praedicatum ‘ bestätigt [ 1671 ] - und die stoischen Philosophen zum Teil das aristotelische Verständnis übernehmen [ 1672 ], zum Teil aber den Gebrauch des Wortes ‚ K. ‘ [Kategorema] im Zusammenhang ihrer Lehre von den unvollständigen Urteilen auf bloß verbale Prädikate einschränken [ 1673 ], findet sich der neuere semantische Gebrauch erst im Zusammenhang terminologischer Erörterungen der scholastischen Logica Modernorum. “ 1674 Hentschels/ Weydts Verwendung des Adjektivs kategorematisch steht in Übereinstimmung mit diesem neueren semantischen Gebrauch, 1665 Das Wort Konzeptualisierungen ist an dieser Stelle nicht mit dem Fachterminus Konzept nach Church zu identifizieren. 1666 B U ß MANN (Hrsg. 2008: 709, Synsemantikum) 1667 H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 1668 K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1876]: 70 - 72, Kap. 11); K IRCHMANN (Hrsg. 1883 [1882]: 16, Kap. 7); K IRCHMANN (Hrsg. 1871a: 89, Buch X(I), Kap. 2) 1669 B OETII (1891 [528]: 356, prædicantur, prædicamentum, prædicant, prædicata) 1670 A RISTOTELES (1998 [vmtl. 384 v. Chr. - 322 v. Chr.]: 128 f., Hermeneutik, Kap. 11, 20b 32); A RISTOTELES (1997 [vmtl. 384 v. Chr. - 322 v. Chr.]: 482 f., Topik, Kap. 7, 169b 5); A RISTOTELES (1987 [vmtl. 384 v. Chr. - 322 v. Chr.]: 102 f., Buch III, Kap. 1, 201a 1); A RISTOTELES (1980 [vmtl. 384 v. Chr. - 322 v. Chr.]: 146 f., Buch X, Kap. 2, 1053b 19 - 20) 1671 B OETII (1891 [528]: 356, prædicantur, prædicamentum, prædicant, prædicata) 1672 C ICERO (1984 [vmtl. 45 v. Chr.]: 260 f., Buch IV, (9), 21); vgl. P OHLENZ (1948: 47) 1673 D IOGENIS L AERTII (1999 [vmtl. 200 - 300]: 482 f., Buch VII (ZENO), 63 - 64); vgl. S EXTUS E MPIRICUS : Pyrrhoneíai Hypotypôseis III, 4, 14, zit. nach B AUMGARTNER (1976: 712 f.) 1674 B AUMGARTNER (1976: 712 f.) 320 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="321"?> welcher u. a. auf Ockham zurückgeht, der schreibt: „ Categorematic terms have a definite and determinate signification. [ … ] Likewise, a syncategorematic term does not, properly speaking, signifiy anything “ 1675 Die Verwendung des Wortes kategorematisch bei Hentschel/ Weydt weicht deutlich stark von seiner ursprünglichen Bedeutung bei Aristoteles und Boethius ab und pflichtet Ockhams Definition bei, der das Wort kategorematisch anwendet, um es auf seinen Entwurf von bestimmten oder unbestimmten, selbständigen oder unselbständigen, bedeutungsvollen oder bedeutungsleeren Sprachzeichen als Kategoremata und Synkategoremata 1676 zu übertragen. 1677 Wie obig angesprochen, lautet das griechische Wort Kategorema (griech.: κατηγόρημα ) ins Deutsche übersetzt statt dessen das von jemandem Ausgesagte oder Punkt der Anklage und meint in Aristoteles ’ Werk den prädikativen Teil bzw. das logische Prädikat eines Aussagesatzes. Der Terminus Kategorie (griech.: κατηγόρία ) geht in seiner Verwendung ebenfalls auf Aristoteles zurück. 1678 Das Kategorema als logisches Prädikat bei Aristoteles drückt eine Intentionalität aus, indem es sich auf ein logisches Subjekt bezieht. Nach Frege erfolgt dies, wie obig erklärt, als Sättigung eines Begriffs mit einem Argument bzw. mehrstelliger Beziehungen mit mehreren Argumenten. Dabei expliziert Frege die Intentionalität von Begriffen mit Hilfe der Eigenschaften eines Arguments und den Merkmalen eines Begriffs (s. 5.7.1). Der Terminus Intentionalität ist für die Verwendung in der vorliegenden Studie ausreichend und geeignet bei Aristoteles definiert, wobei Brentanos Intentionalitätstheorie 1679 , welche sich von Aristoteles ’ unterscheidet, ausgelassen wird. 1680 Diese Intentionalität manifestiert eine semiotische Hierarchie, welche für die Inhalte logischer Prädikate bzw. für Begriffe und Beziehungen, eine Ebene der Intension 1681 etabliert, die der Ebene der Gegenstände bzw. logischen Subjekte in der Art und Weise ihrer Referenzialität übergeordnet sein muss, da sich logische Prädikate auf logische Subjekte beziehen, die sich wiederum mittelbar oder unmittelbar auf Gegenstände in der extensionalen Wirklichkeit beziehen. Der Bezug des Zeichens, das ein logisches Subjekt repräsentiert, zu seinem außersprachlichen Denotat in der extensionalen Ebene ist demnach ein andersartiger Bezug als der Bezug des 1675 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55) 1676 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55) 1677 Zur Differenzierung von Prädikat und Kategorema, sowie die daraus resultierenden Folgen für das Verständnis von Prädikativität, Intentionalität, Intensionalität und damit für die Auffassung des Verbs sein als kopulatives Bindeglied zwischen Subjekt und Prädikat, s. 6.2.3. 1678 B AUMGARTNER et al. (1976: 714 - 716) 1679 B RENTANO (1874) 1680 K IRCHMANN (Hrsg. 1871b: 122 - 129, 2. Buch, Kap. 12); vgl. K NEALE / P RIOR (1968) 1681 Vgl. P ARSONS (2016: 9 f.) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 321 <?page no="322"?> begrifflichen Inhalts (auch: begrifflicher Gehalt; Konnotation; Signifikat; Sinn) eines logischen Prädikats auf den Sinn desjenigen Zeichens, welches für das logische Subjekt steht. Der Bezug eines Zeichens auf sein außersprachliches Denotat ist arbiträr 1682 und durch seine Konventionalisierung sowie Lexikalisierung festgelegt. Bei der Komposition von Sinnen bezieht sich der menschliche Geist in einem Akt der Intentionalität auf die auszudrückende oder zu erkennende logische Relation sowie auf die Art dieser logischen Relation, indem er ein bestimmtes logisches Prädikat dahingehend lenkt, sich wiederum intentional auf den Repräsentanten des Sinns eines logischen Subjekts zu beziehen. Dabei kann die ausgedrückte oder erkannte logische Relation als gesättigter Begriff oder als gesättigte Beziehung auf der Ebene der extensionalen Wirklichkeit wahr oder falsch sein, wenn die Intentionalität jedoch grammatikalisch wohlgeformt ausgedrückt ist, ist die jeweilige Relation auf intensionaler Ebene sinnhaft 1683 und bestehend (s. 5.7.3). Perler, der vorerst alludiert, eine Feststellung a priori, dass „ es dem Geist tatsächlich von sich aus gelingen sollte, sich auf Objekte zu beziehen “ 1684 würde eine sogenannte magische Theorie 1685 der Intentionalität implizieren 1686 , widerlegt dies an gleicher Stelle selbst mit der Beobachtung: „ Es würde kaum jemandem einfallen, dem Magen eine magische Verdauungskraft zuzuschreiben. Die Fähigkeit, etwas zu verdauen, wird vielmehr mit Rekurs auf besondere physiologische Eigenschaften und Strukturen erklärt. Ebenso wenig sollte man dem Geist eine magische Kraft zur Bezugnahme zuschreiben, auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass er von Natur aus dazu disponiert ist, sich auf Objekte zu beziehen. “ 1687 Anschließend stellt Perler die Frage: „ Welche besonderen Eigenschaften oder strukturellen Merkmale ermöglichen es dem Geist, sich in konkreten Situationen auf etwas zu beziehen? “ 1688 Perlers Forderung nach einer Erklärung, wie diese Intentionalität dem menschlichen Geist gelingt, kann entgegnet werden, dass die Beantwortung dieser Frage irrelevant für die Wahrheit der Feststellung a priori ist, dass der menschliche Geist die Fähigkeit zur freigestellten Intentionalität besitzt. Vollständig bewiesen ist die Wahrheit dieser Feststellung 1682 Zur Arbitrarität sprachlicher Zeichen, s. S AUSSURE / W UNDERLI (2013: 171 - 175, § 2. - Erstes Prinzip: Die Arbitrarität des Zeichens); vgl. P LATON (1974 [vmtl. 428 v. Chr. - 348 v. Chr.]: 395 - 575, Kratylos); vgl. Churchs Ausführungen, s. C HURCH (1951a: 5 f., Fn. 5); s. 5.7.4. 1683 Vgl. F REGE (2002 [1892]a: 25); vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34) 1684 P ERLER (2002: 3) 1685 Vgl. P UTNAM (1981: 3 ff.) 1686 P ERLER (2002: 2) 1687 P ERLER (2002: 3) 1688 P ERLER (2002: 3) 322 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="323"?> bereits durch die Fähigkeit eines kompetenten Sprechers, Sätze wie die Aussage colorless green ideas sleep furiously 1689 , welche sämtliche semantischen Selektionsregeln brechen und Sätze wie die Aussage a chimera is a chimera 1690 , welche, nach allgemeinem Weltwissen zu urteilen, leere Begriffe unter Beachtung semantischer Selektionsregeln zueinander in Bezug setzen, grammatikalisch richtig zu formen. 1691 Jegliche Versuche, die Kapazität des menschlichen Geistes um diese Fähigkeit zur freigestellten Intentionalität zu bringen, die sich darin äußern, die Bildung derartiger, grammatikalisch wohlgeformter Sätze mit dem Argument einer angeblichen Sinnlosigkeit (engl.: nonsense) 1692 oder einer angeblichen Falschheit 1693 gewissermaßen zu verbieten oder zu verunmöglichen 1694 (s. 5.8.3) und dem sprachlichen Ausdruck Restriktionen aufzuerlegen (s. 5.8.1), scheitern bereits daran, dass diese Sätze als illustrierendes Exempel gebildet werden müssen, um sie vorzuführen. Damit ist in dem Versuch zu zeigen, dass der Sinn, den derartige Sätze konstituieren, nicht erlaubt oder nicht möglich sein sollte, bewiesen, dass die Grammatizität bzw. die grammatikalische Wohlgeformtheit derartiger Sätze durchaus einen Sinn konstituiert und eine derartige freigestellte Intentionalität des menschlichen Geistes trotz aller Einwände und entgegen aller aufgestellten Regeln sowie entgegen sämtlicher restringierender ontologischer oder kognitiver Vorannahmen möglich ist. 1695, 1696 Ob der angeführten Begründungen, welche eine Intentionalität des Begriffs sowie einen begrifflichen Gehalt erschließen, wird in der vorliegenden Studie die Intentionalität eines Begriffs nicht a priori angenommen, sondern ebenfalls anhand Freges Theorie begründet und hergeleitet. 1697, 1698 Demgegenüber ist unter einem Kategorema nach Ockham etwas zu verstehen, das 1. erstens, eine feststehende, bestimmte Bedeutung auf extensionaler Bedeutungsebene hat; 1689 C HOMSKY (1976: 15) 1690 Vgl. O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 123) 1691 Vgl. hierzu Helias ’ Verständnis eines Satzes aliquid rationaliter (s. u.). 1692 C HOMSKY (1976: 15). Das engl. Wort nonsense wird gewöhnlicherweise als Unsinn ins Dt. übersetzt, vgl. a. 6.4.1.2. 1693 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 123) 1694 I CKLER (1985: 366 ff.) 1695 Weiterführend, s. 6.4.3.2. 1696 Zur Grammatizität, ‚ Sinnvolligkeit ‘ oder proklamierten Falschheit eines sprachlichen Ausdrucks, s. 6.4.1.2. 1697 Zur Begründung und Herleitung der Annahme eines begrifflichen Gehalts ungesättigter Begriffe, s. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34); vgl. P ARSONS (2016: 17); s. 5.6.2; 5.6.5; 5.6.6. 1698 Zu einer Explikation der Intentionalität von Begriffen, s. die Ausführungen zu den Eigenschaften eines Arguments und den Merkmalen eines Begriffs in 5.7.1. 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 323 <?page no="324"?> 2. zweitens, keine Intentionalität besitzt, da es sich nicht auf einen zeichenhaften Repräsentanten für den Inhalt eines logischen Subjekts bezieht, sondern lediglich für einen außersprachlichen Gegenstand supponiert bzw. diesen denotiert. Nach Ockham nimmt der Intellekt dabei eine herausragende Stellung ein: „ Thus, these conceptual terms and the propositions composed of them are the mental words [ … ]. They reside in the intellect alone and are incapable of being uttered aloud, although the spoken words which are subordinated to them as signs are uttered aloud. [ … ] The point is rather that spoken words are used to signify the very things that are signified by concepts of the mind, so that a concept primarily and naturally signifies something and a spoken word signifies the same thing secondarily. Thus, suppose a spoken word is used to signify something signified by a particular concept of the mind. “ 1699 Perler fasst zusammen, Ockham insistiere mit seiner Intentionalitätstheorie, sofern diese Bezeichnung überhaupt gewählt werden kann, da es sich primär um eine Denotations- oder eine Referenztheorie handelt, darauf, dass „ keine intentionalen Gegenstände [ 1700 ] und keine intelligiblen Species angenommen werden dürfen, weil sich intentionale Akte [ 1701 ] im Normalfall direkt auf individuelle, materielle Gegenstände beziehen. Es ist jedoch noch kaum erkennbar geworden, wie Ockham und Wodeham diese These begründen. “ 1702 Gleich dem ersten Term verhält sich nach Ockham der zweite Term in einer Proposition. Somit kann für ein Kategorema in einer Proposition nach Ockham kein intensionaler Begriff veranschlagt werden, welcher eine logische Sättigung erfährt, sondern lediglich eine Referenz auf eine Bedeutung in der außersprachlichen Wirklichkeit, die von einer Sinnkonstitution im Fregeschen Sinn 1703 unabhängig ist. Strukturell verbindende Funktion übernehmen in Ockhams Theorie zu den Termen inhaltlich unbestimmte und undefinierte 1704 Synkategoremata, die einzelne Kategoremata nach Ockham aneinanderheften sollen, ohne dass eine Intentionalität intensionaler Begriffe existiert. 1705 Der logische Charakter der Sprache, welcher in der Syllogistik Aristoteles ’ und dem in dieser vorgenommenen Inbezugsetzen des Ober-, Mittel- und Unterbegriffs 1699 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 49 f.) 1700 Richtiger als die Bezeichnung intentionale Gegenstände wäre die Formulierung intentionale Begriffe, welche für Gegenstände oder Bedeutungen stehen. 1701 Hier ist ein spezieller intentionaler Akt nach Ockham gemeint, welcher den Bezug eines Terms auf sein außersprachliches Denotat meint. 1702 P ERLER (2002: 342) 1703 F REGE (2002 [1892]a: 25, 29); F REGE (2002 [1892]b: 54 f.); s. a. 5.6.2; 5.6.4 1704 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 55) 1705 Vgl. P ERLER (1992: 96) 324 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="325"?> der Prämissen und Konklusionen dargestellt ist, sowie die Sinnstruktur von komplexen Zeichenketten in Form von Begriffen und Beziehungen, d. h. logischen Prädikaten in der Prädikatenlogik Freges, werden durch Ockhams Umdeutung des Terminus Kategorema terminologisch und theoretisch einer Umkehrung ausgesetzt und eo ipso die Bezugsrichtung sämtlicher Entitäten in eine Referenz in die außersprachliche Wirklichkeit konvertiert. Die sogenannte Prädikationstheorie Ockhams ist folgendermaßen zusammenzufassen: „ a term never supposits for something unless it is truly predicated of that thing. “ 1706 Eine derartige Ockhamsche Prädikation referiert des Weiteren immer nur auf Individuen: „ In this way ‚ healthy ‘ is predicated of each species, not for itself but for an individual, since no species is healthy - rather only an individual is healthy. “ 1707 Die Konsequenz dieser andersartig definierten Ockhamschen Prädikation ist, dass Ockham über singuläre, nicht-modale Propositionen (engl.: singular non-modal proposition) Nachfolgendes expliziert: „ [for the truth of a singular non-modal proposition] it is sufficient and necessary, that the subject and the predicate supposit for the same thing. And therefore, if in ‚ This is an angel ‘ the subject and predicate supposit for the same thing, the proposition will be true. Thus, it is not asserted that this thing has angelhodd or that angelhood is in it - or anything of this sort. Rather it is asserted, that this thing is truly an angel - not, indeed that it is the predicate, but that it is that for which the predicate supposits. “ 1708 Über indefinite Propositionen (engl.: indefinite proposition) äußert sich Ockham außerdem: „ It should be said, that it is sufficient for the truth of such [indefinite] proposition, that the subject and predicate supposit for the same thing if the proposition is affirmative, or that they not supposit for the same thing if the proposition is negative. “ 1709 Hierzu und zur Suppositionstheorie betreffs logischem Subjekt und logischem Prädikat bei Ockham im Allgemeinen, erklärt Perler: „ Wilhelm von Ockham versteht die Zuordnung des Prädikats zum Subjekt lediglich als eine Gleichsetzung von zwei kategorematischen Termini, die für dieselbe Entität supponieren. Auch Ockham verwendet den Ausdruck ‚ inhaere ‘ zur Charakterisierung der Subjekt-Prädikat Relation. Er interpretiert diese Inhärenz aber ausschließlich im syntaktischen Sinn als formale Prädikation. Selbst wenn angenommen wird, daß das Prädikat bzw. dessen Suppositum wirklich dem Subjekt inhäriert (wie z. B. die Weißheit der Wand innewohnt), darf nicht gefolgert werden, daß die Verbindung 1706 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 97); vgl. O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 188 f., 203 - 211) 1707 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 101) 1708 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 87) 1709 O CKHAM (1980 [ca. 1349]: 94) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 325 <?page no="326"?> von Subjekt und Prädikat eine Einheit bilden. In diesen Fällen wird lediglich ein Terminus von einem anderen ausgesagt. “ 1710 Die Notwendigkeit eines Entwurfs von synkategorematischen Termen innerhalb Ockhams Theorie vollzieht Perler nach, stellt den Erfolg und eine Rechtfertigung dieses Entwurfs von Synkategoremata aber an gleicher Stelle in Frage: „ Einerseits handelt es sich dabei [Ockhams Theorie] um eine Kognitionstheorie, die intentionale Akte als mentale Termini bestimmt; die Genese dieser Termini wird mit Verweis auf eine Kausalrelation zu den materiellen Gegenständen erklärt. Andererseits handelt es sich dabei auch um eine logische Theorie, die erläutern will, warum aus mehreren Termini Sätze gebildet werden können, die wahr oder falsch sind. Im Rahmen der logischen Theorie müssen auch mentale synkategorematische Termini angenommen werden. Doch im Rahmen der Kognitionstheorie scheint es keinen Platz für solche Termini zu geben. Denn wie sollten wir über mentale Termini wie ‚ und ‘ , ‚ wenn ‘ und ‚ keiner ‘ verfügen können, wenn Termini durch eine Kausalrelation zu materiellen Gegenständen entstehen? Es gibt ja keine Gegenstände wie ‚ das Und ‘ und ‚ das Wenn ‘ die in uns solche Termini verursachen. “ 1711 Resümierend ist festzustellen, dass Ockhams Analyse eines Aussagesatzes diesen in einer unmittelbaren Referenz auf die Gegenstände, für welche das Subjekt und das Prädikat dieses Aussagesatzes supponieren, mit einem Urteil und einem Urteilsakt über diese denotierten Gegenstände in der außersprachlichen Wirklichkeit assoziiert. 1712 Damit kommt Ockhams Theorie insbesondere Abaelards Thesen sehr nahe (s. 5.3). Die Herangehensweise Ockhams ist dabei aber nicht notwendig einer historisch bedingten Unkenntnis anderer Prädikationstheorien zuzuschreiben, denn Ansätze bezüglich der Nachgeordnetheit des Urteils nach der Sinnkonstitution eines Aussagesatzes existieren bereits im 12. Jahrhundert, demnach vor Ockhams Zeit, bei Helias. So erwidert Helias auf Abaelards Fokussierung auf eine aussagenlogische Wahrheit eines Satzes (s. 5.3) vor einer Beachtung syntaktischer Formen, welche Terme in einem ersten Schritt des Ausdrückens sinnvoll zusammenfügen, dass auch eine Aussage wie der Satz Socrates est lapis, die nach Abaelard aussagenlogisch falsch ist, im Verständnis Helias demonstriert, dass ein Empfänger dieses Satzes aufgrund der grammatikalisch korrekten Zusammenfügung seiner Terme, diesen Satz aliquid rationaliter versteht. 1713 Grotz erklärt: 1710 P ERLER (1992: 96); vgl. O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 112 f.) 1711 P ERLER (2002: 396 f.) 1712 Vgl. P ERLER (2002: 363 f.) 1713 Vgl. R EILLY (Hrsg. 1993b: 832, Liber Constructionum, 5 - 15); vgl. G ROTZ (1998: xiii, Fn. 21) 326 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="327"?> „ Die rationalisierbare (und insofern ‚ logische ‘ ) grammatische Struktur eines Satzes kann also nach Petrus [Helias] jenseits seiner aussagelogischen Wahrheit bzw. Falschheit geklärt werden. Eine derart szientifische Aufdeckung seiner ‚ logischen ‘ Struktur, d. h. hier: seiner ‚ Grammatizität ‘ ; erfolgt aber innerhalb und nur innerhalb der logica sermonicalis bzw. der grammatica. Diese szientifische Grundhaltung des Grammatikers liegt bereits Petrus ’ [Helias] Definition der Grammatik zugrunde. “ 1714 Schließlich ist zu konkludieren, dass das Konzept einer Kopula als Synkategorema oder als ein in Anlehnung an Ockhams Synkategoremata definiertes synsemantischen Funktionswort nach Moskal ’ skaja, welches semantisch blass, semantisch leer oder semantisch und syntaktisch unselbständig ist, prädikationstheoretisch selbst im Verband mit dem Term in Position des sogenannten logischen Prädikats nicht mit einer Funktionendarstellung oder einer der Logik entlehnten notationellen Niederschrift von Prädikaten vereinbar ist (s. a. 5.8; 5.8.3; 6.4.2.2). Denn auch die nicht-synkategorematischen oder nicht-synsemantischen sogenannten Ockhamschen Extreme einer Proposition und damit auch das Ockhamsche Prädikat können nicht als Funktion oder Begriff gedacht werden, sondern ihre Supposition und Intentionalität bzw. Referenz richtet sich als Bezugsrichtung auf die Denotate in der außersprachlichen Wirklichkeit und nicht auf eine zu sättigende oder gesättigte Argumentstelle 1715 , weswegen sie im Rahmen einer anderen Signifikationsbzw. Denotationstheorie oder im Rahmen einer spezifisch Ockhamschen Prädikationstheorie diskutiert werden müssen. Die Kategoremata nach Ockham und ihre Denotate in der außersprachlichen Wirklichkeit lassen eine Abbildungs- oder Spiegelungstheorie (s. 6.4.2.2) von den Sachverhalten der außersprachlichen Wirklichkeit in die Sprache vermuten. Ockham konzipiert sein Erklärungsmodell jedoch marginal komplexer, indem die Terme zuerst mental erfasst werden: „ Für die Logik Ockhams ist die natürliche Sprache (oratio vocalis) kein passivisches Abbild einer (wie auch immer verstandenen) Wirklichkeit, sondern sichtbares und sekundäres Zeichen der begriffsbildenden [ 1716 ] Tätigkeit und Synthesis des Intellekts, dessen unmittelbares Produkt die oratio mentalis ist. “ 1717 Da Grotz zwischen Begriffen und Termen nicht differenziert und deshalb nicht erwähnt, dass der Intellekt in Ockhams Theorie nicht über intentionale Begriffe, welche 1714 G ROTZ (1998: xiii, Fn. 21) 1715 Zu dieser festgestellten Unvereinbarkeit vgl. z. B. a. M AIENBORN (2003); G EIST (2006); vgl. a. S CHLÜCKER (2007); vgl. a. H ALIB (2011); vgl. a. D ÖLLING (1998); vgl. a. S TEINITZ (1999); s. a. 4.2.1; 4.2.2 1716 Das Wort Begriff ist hier nicht im spezifisch Fregeschen Sinn verwendet. Statt von Begriffen und dem Ausdruck begriffsbildend, wäre es vorzuziehen, von Termen und dem Ausdruck termbildend zu sprechen. 1717 G ROTZ (1998: xx) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 327 <?page no="328"?> sich auf logische Subjekte beziehen, verfügen kann, ist die Anmerkung, dass es sich bei Ockhams Erfassensakt von Termini durch den Intellekt nicht um eine passive Abbildung der Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit, für welche diese Terme supponieren sollen, handelt, nicht gerechtfertigt. Die sogenannte Intentionalität des Intellekts oder des Geistes ist bei Ockham ein Erfassensakt von Termen 1718 , kein Konzipieren von Begriffen, die ihrerseits eine durch den menschlichen Geist lenkbare Intentionalität ausüben. Insofern kann nach Ockhams Vorstellung des Intellekts derselbige durchaus passiv, passiv beeindruckbar oder sogar mechanistisch genannt werden. Dies wird von Grotz dennoch an vereinzelten, fehlenden Erklärungen in Ockhams Theorie zur Sprache erkannt. So schreibt Grotz in seiner Einleitung zur deutschen Übersetzung Thomas von Erfurts Abhandlung über die bedeutsamen Verhaltensweisen der Sprache (Tractatus de Modis significandi): „ Wie aber dann die ‚ vor ‘ sprachliche oratio mentalis, d. h. die Synthesis der termini absoluti zu komplexen Begriffen, in ihrem syntaktisch-formalen Charakter näherhin vorzustellen sei - darüber schweigt sich Ockham aus. “ 1719 Grotz ’ Feststellung des Fehlens einer entsprechenden Erklärung bestätigt sich, da Ockhams Schweigen darin begründet liegt, dass es diese komplexen Begriffe in Ockhams Theorie nicht gibt, und eine derartige Synthesis 1720 sprachlicher Elemente, wie sie Grotz in Ockhams Theorie vermisst, geschweige denn eine Komposition, ist demzufolge nicht möglich. Ockhams Verständnis von sprachlichen Aussagesätzen ähnelt statt dessen begriffsstutzigen Abfolgen von bezugslos aneinandergefügten Referenzen auf individuelle Dinge in der außersprachlichen Wirklichkeit, welche keine sprachinterne Intentionalität ausüben können und deshalb nicht aufeinander Bezug nehmen. 1721 Entsprechende Konsequenzen resultieren aus einer Konzeption des Verbs sein als eine Art Synkategorema, und eine Auffassung der Terme in syntaktischer Position des logischen Subjekts sowie des logischen Prädikats als Namen für extensional zu interpretierende Klassen oder Einzelgegenstände erwirkt beinahe selbsterklärend ebenso eine Vergegenständlichung, d. h. eine direkte Referenz auf das außersprachliche Denotat. In der Relationslogik Freges hingegen sind Relationen Argumentstellen von intensionalen Begriffen in der bezeichneten lexikalischen Bedeutung. Hierbei 1718 Vgl. P ERLER (2002: 360) 1719 G ROTZ (1998: xiii, Fn. 21) 1720 Der Terminus Komposition wird dem der Synthese (auch: Synthesis) vorgezogen, da Letzterer mit der traditionellen Urteilslehre und einem Abaelardschen Verständnis von Subjekt und Prädikat im Aussagesatz assoziiert werden kann, s. 5.3; 5.6.2; 5.8.3; 6; 6.1. 1721 Vgl. G ÁL (Hrsg. 1978: 238 - 248, Cap. 12, De relatione sive de ad aliquid); vgl. B OEHNER / G ÁL / B ROWN (Hrsg. 1974: 153 - 159, Pars I: De Terminis, Cap. 49, De praedicamento ‚ ad aliquid ‘ ); vgl. P ERLER (1992: 88, Fn. 79); vgl. G ROTZ (1998: xx) 328 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="329"?> übt der Begriff eine Intentionaliät gegenüber seinen Argumenten aus, die in flektierenden Sprachen u. a. auch an den morphosyntaktischen Merkmalen beobachtbar ist. 1722 6.2.3 Die Theorie der Argumentstellen im logischen Begriff als lexikalistische Theorie Inwiefern die Dekonstruktion von Begriffen nach Frege in der Sprache die Apperzeption von Sinn und die Bezeichnung lexikalischer Bedeutung von Wörtern, unter anderem des Verbs sein, beeinträchtigt, soll im Folgenden vorgestellt werden. So legt Perler in Der propositionelle Wahrheitsbegriff im 14. Jahrhundert dar, dass Ockhams Theorie bezüglich der Beantwortung der Frage, ob die Kopula eine Inhärenz oder eine Identität verkörpere, Widersprüche aufweist. Nach Moody existieren im Mittelalter zwei Theorien der Prädikation, die als Inhärenztheorie und als Identitätstheorie bezeichnet werden. 1723 Bereits aufgrund der vorangegangenen Ausführungen in der vorliegenden Studie ist erkennbar, dass es fragwürdig ist, diese Theorien mit der Benennung Prädikationstheorien zu belegen, wenn die traditionelle Urteilslehre ein Zusammenfallen von logischem Subjekt und logischem Prädikat auf Gegenstandsebene erwirkt (s. 5.3) bzw. in einer Identitätsbeziehung Einzelgegenstände bzw. Klassen von Gegenständen zueinander in Relation setzt (s. 5.5.1). Eine Prädikation im eigentlichen Sinn des Wortes ergibt sich für die Inhärenztheorie als einstelliges Prädikat und für die Identitätstheorie als zweistelliges Prädikat, wenn Assertion und Prädikation durch eine Nachordnung des Urteils hinsichtlich der Extension gemäß Frege unterschieden oder eine Unterscheidung von eingefaltetem und entfaltetem Urteil nach Pfänder vorgenommen wird. So trägt eine Unterscheidung von Form und Materie sowie von Sinn und Bedeutung zu einer Prädikationstheorie bei. Die Konstitution eines zweistelligen Prädikats erfordert außerdem, dass das Verb sein als Beziehung auf Begriffsebene wahrgenommen wird und somit keine Kopula mehr repräsentieren kann. Diese Observation soll im Folgenden näher erläutert werden. So ist den von Moody erwähnten Theorien gemeinsam, daß sie einen Subjektterminus extensional auffassen. Ebenso extensional wie den Subjektterminus sehen die Vertreter der Identitätstheorie das Prädikat, während gemäß der Inhärenztheorie das Prädikat eine Eigenschaft bezeichnet, welche den 1722 Zur detaillierteren Ausführung über das Fehlen einer Synthesis der Terme mit der Bezeichnung termini absoluti nach Grotz in der Theorie Ockhams, sei auf Grotz (G ROTZ (1998)), vgl. T HOMAS VON E RFURT (1998 [ca. 1300 - 1310])), und Perler (P ERLER (1992)) verwiesen. 1723 M OODY (1953: 32 - 38) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 329 <?page no="330"?> durch den Subjektterminus bezeichneten Gegenständen inhärent sei. 1724 Barth formuliert mit Verweis auf Moody und De Rijk etwas genauer: „ The inherence or attribution theory of the copula is the doctrine, that the copula expresses a relation between the extension of a (logical) subject term S and the meaning, intension (Leibniz), comprehension, content, or sense of a (logical) predicate P. In the days of the schoolmen this theory was an alternative to the theory of extensional identity. [ … ] The supporters of the inherence theory seem to have thought, and to think, in terms of the meaning or intension of any predicate P of a natural language, as a forma or universal nature belonging to the expression P and to all things of which P can be truly predicated. “ 1725, 1726 Es ist nach obigen Ausführungen einsehbar, dass die Inhärenztheorie wie sie Barth mit Referenz auf Moody und De Rijk darlegt, weiter dahingehend differenzierter betrachtet werden muss, dass ein angenommenes Verhältnis der Inhärenz zwischen logischem Subjekt und logischem Prädikat in Verbindung mit der traditionellen Urteilslehre bzw. mit Pfänders eingefaltetem Urteil als verkörperte Inhärenz oder unter Berücksichtigung der Nachgeordnetheit des Urteils bzw. des entfalteteten Urteils nach Pfänder als bezeichnete Inhärenz verstanden werden kann. Bezüglich der Formulierung dieser Sachverhalte als Identitäts- und Inhärenztheorie nach Moody jedoch fasst Perler zusammen, dass Ockham die syntaktische Verbindung der Satzglieder nicht als eine relationale Zuordnung versteht, denn „ die Kopula bezeichnet nicht nur dann eine Inhärenz des Prädikats im Subjekt, wenn das Prädikat wirklich vom Subjekt verschieden ist, sondern auch dann, wenn die beiden Satzglieder bzw. ihre Supposita identisch sind. “ 1727 Ockham erklärt: „ Dico quod non tantum significat inhaerentiam praedicati ad subiectum quando praedicatum distinguitur realiter a subiecto et sibi inest realiter, sed quando praedicatum est omnino idem subiecto suo vel quando illud pro quo supponit subiectum est onmino idem cum illo pro quo supponit praedicatum. “ 1728 Im Folgenden werden Sätze diskutiert, in welchen der Inhalt des Verbs sein unter Umständen als Begriff in Position eines komplexen oder einfachen grammatischen Prädikats erfasst werden könnte. Perler notiert, dass in derartigen Sätzen (z. B. Gott ist seiend) bei Ockham keine Relation zwischen dem Subjekt Gott und dem Prädikativ seiend hergestellt wird, sondern dass diese beiden Terme einander gleichgesetzt werden. 1729 So fährt Ockham fort: „ Et ex hoc patet quod conceptus 1724 S HERWOOD / K ANN / B RANDS (1995: 229) 1725 B ARTH (1974: 207) 1726 Vgl. 5.5.1; 5.6.1 1727 P ERLER (1992: 88) 1728 G ÁL / W OOD (Hrsg. 1981: 20, Liber II, Quaest. I) 1729 P ERLER (1992: 88) 330 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="331"?> importatus per copulam non est respectivus sed absolutus. “ 1730 Dass eine Identität oder Gleichsetzung von Sinnen verschiedener Zeichen bzw. von Begriffen auf intensionaler Ebene nicht möglich ist, sondern lediglich eine Gleichsetzung von Gegenständen und Begriffsumfängen erfolgen kann, hat Frege erläutert. Aufgrund dieser vorangehend genannten Gleichsetzung Ockhams ist der sogenannte Ockhamsche Begriff, der durch die Kopula bzw. durch den Inhalt des Verbs sein als Ockhamscher Prädikatbegriff erzeugt werden soll, in Ockhams Theorie nicht relational, was ihn seines Wesens als Begriff entledigt. Zudem wird durch diese Gleichsetzung der Ockhamsche Begriff gemäß eines der Theorie Freges entlehnten semiotischen Dreiecks vergegenständlicht. Dies merkt auch Perler an, der darauf hinweist, dass der Ockhamsche Begriff, welchen die Kopula erzeugt, nicht als relational, sondern als absolut zu erfassen ist. 1731 Eine Gleichsetzung ist nach Frege nur auf der Ebene der Begriffsumfänge, d. h. auf der Ebene der extensionalen Bedeutungen möglich (s. 5.6.5). Dass die kategorematische Bedeutung nach Ockham durch dessen Umdeutung des Terminus Kategorema (s. 6.2.2) in der außersprachlichen Wirklichkeit auf der extensionalen Bedeutungsebene verortet werden muss, wurde obig hergeleitet und dargelegt. Die Beobachtung Perlers ist demnach, ob der etwas anderen Beschreibungsmethode anhand Moodys Inhärenz- oder Identitätstheorie, einsichtig. Perler konstatiert: „ Ockham versteht die Funktion der Kopula im Beispielsatz ‚ Der Mensch ist weiß ‘ in der Tat im Sinn der Identitätstheorie; die Kopula verbindet sprachlich die Termini und mental die entsprechenden Begriffe. Im Satz ‚ Dem Menschen wohnt Weißheit inne ‘ vertritt Ockham aber offensichtlich die Inhärenztheorie “ 1732 . Ockham schreibt hierzu: „ a sign signifies something, when it is capable of suppositing for that thing in a true past, present, or future proposition or in a true modal proposition. “ 1733 Hierbei versteht Ockham Subjekt und Prädikat als kategorematische Termini, die Dinge bedeuten und für diese supponieren 1734 , was Perler für „ problematisch “ 1735 befindet. Weiter führt Perler aus: „ Offensichtlich besteht hier ein Dilemma: In der Analyse von ‚ Dem Menschen wohnt Weißheit inne ‘ vertritt Ockham die These, dass eine wirkliche Inhärenz von Prädikat und Subjekt besteht, so dass die Weißheit dem Menschen innewohnt. In der Summa Logicae behauptet er jedoch ausdrücklich, daß ein Ausdruck wie ‚ Weißheit ‘ nichts anderes bezeichnet als individuelle weiße Dinge und keine Entität 1730 G ÁL / W OOD (Hrsg. 1981: 20, Liber II, Quaest. I) 1731 P ERLER (1992: 88) 1732 P ERLER (1992: 88) 1733 O CKHAM (1974 [ca. 1349]: 113) 1734 P ERLER (1992: 91) 1735 P ERLER (1992: 91) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 331 <?page no="332"?> Weißheit “ 1736 . Ockham widerspricht sich somit selbst und führt vor, dass sein Entwurf der Kategoremata und Synkategoremata unzureichend ist, um eine syntaktische und semantische Struktur zu „ synthetisieren “ 1737 , wie Grotz es nennt, der in Akzeptanz der traditionellen Urteilslehre nur das Wort Synthese findet, um die Komposition einer Sinnstruktur zu benennen. Hierbei ist nochmalig zu beachten, dass Perlers Feststellung eines Dilemmas korrekt ist, dass jedoch das Problem in Ockhams Theorie etwas tiefer liegt, und der Satz dem Menschen wohnt Weißheit inne nur in Moodys Terminologie ohne eine Infragestellung der traditionellen Urteilslehre bzw. Pfänders eingefaltetem Urteil eine sogenannte Inhärenz verkörpert. Unter Beachtung der Intentionalität von Begriffen und der Nachgeordnetheit des Urteils nach einer Sinnkomposition liegt die besagte Inhärenz als Bezeichnung einer Inhärenz vor, und es ist erkennbar, dass dieses Dilemma in der Ockhamschen Dekonstruktion der Intentionalität und in seiner Suppositionstheorie begründet ist. Deshalb kann keine bezeichnete Inhärenz zustande kommen, sondern nur ein Zusammenfallen von logischem Subjekt und logischem Prädikat auf Gegenstandsebene. Dennoch ist Perlers Observation zutreffend, dass Ockham, vereinfacht dargelegt, derart vorgeht, dass er Beispiele mit Termen anführt, welche eindeutig die Identitätstheorie bestätigen sollen, um eine Inhärenz zu belegen. Im Folgenden werden seitens Perler Bemühungen angestellt, die Widersprüche in Ockhams Theorie zur Kopula unter besonderer Beachtung des Entwicklungsprozesses seiner Werke über einen längeren Zeitraum hinweg zu erklären 1738 , was kein Ersatz für eine eigenständige Auflösung dieses Dilemmas oder eine Korrektur seitens Ockhams selbst sein kann. Neben dieser Entleerung eines begrifflichen Gehalts des Verbs sein, des Prädikativs seiend oder eines als komplex aufgefassten Prädikats ist seiend in dem Beispielsatz Gott ist seiend steht die neuartige Logik Ockhams in der Grammatik des Weiteren in Konflikt mit grammatischen Studien Ockhams Zeitgenossen um die Jahrhundertwende zum 14. Jahrhundert, die den sogenannten Logos namens logos extrinsecus (lat.: extrinsecus; dt.: von außen) in der Grammatik behandeln und zur Erforschung der „ Logik der Sprache den intelligiblen Formen und Strukturen der sprachlichen Bedeutsamkeit “ 1739 nachgehen. 1740 Hierbei bewirkt Ockhams Logik eine Infragestellung von sprachtranszendenten, ontologischen und erkenntnistheo- 1736 P ERLER (1992: 90, vgl. 70, vgl. 117 - 122); vgl. B OEHNER / G ÁL / B ROWN (Hrsg. 1974: 36 f., Pars I, Cap. 10) 1737 G ROTZ (1998: xiii, Fn. 21) 1738 P ERLER (1992: 91) 1739 G ROTZ (1998: xii) 1740 G ROTZ (1998: xii) 332 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="333"?> retischen Annahmen, die auf Helias ’ Studien 1741 aufbauen und in der modistischen Grammatik des 12. Jahrhunderts um Thomas von Erfurt vertreten wurden. Grundlage für die bewusste Verbindung von Logik und Grammatik im 12. Jahrhundert war eine nomenklatorische Aufspaltung des griechischen Wortes λόγος (dt.: Logos) (s. 5.1). in die angenommenen lateinischen Entsprechungen ratio (lat.: ratio; dt.: Vernunft; Ratio; Denkart) und sermo (lat.: sermo; dt.: Rede; Äußerung; Ausdruck), welche auch im Rahmen Helias ’ Lehre beibehalten wurde und die Entwicklung Helias ’ Ansätze zur Trennung des Urteils über die Bedeutung eines Aussagesatzes von dem Verstehen eines ausgedrückten Satzes begünstigte. 1742 Diese als logisch aufgefasste Grammatik des 12. Jahrhunderts, deren Vertreter unter den Modisten angetroffen werden können, ist nach Grotz bestrebt, sich als eigenständig und kompetent gegenüber der traditionellen Ars grammatica des Donatus zu profilieren. 1743 So unterscheidet die modistische Grammatik zwischen den Forschungsfeldern logica rationativa bzw. logica speculativa und logica sermonicalis bzw. grammatica. Die Modisten stellen nach Grotz Bemühungen an, die Grammatik als eine genuine Wissenschaft scientia speculativa (lat.: scientia; dt.: Wissenschaft; lat.: speculativa; dt.: spekulative) oder grammatica speculativa (lat.: grammatica; dt.: Grammatik) zu etablieren, welche insbesondere die Probleme der Bedeutsamkeit untersucht. 1744 Grotz resümiert: „ Die Introspektion der Modisten richtet sich in erster Linie nicht auf die sprachtranszendenten logischen Strukturen des Intellekts, um dann deren Adäquation mit den dazu sekundären sprachlichen Bezeichnungen zu prüfen. Sondern sie ‚ spiegelt ‘ [ 1745 ], reflektiert die intrinsecus - d. h. in der Sprache überhaupt angelegten - intelligiblen semantischen Strukturen. “ 1746 Hierbei differenzieren die Modisten außerdem zwischen logischem Satzurteil (lat.: propositio), grammatischem Satzverband (lat.: oratio; sermo), logischem Satzglied (lat.: terminus) und grammatischem Satzglied (lat.: constructibile). 1747 Daran ist erkennbar, dass die Modisten ebenfalls eine sehr logizistische Herangehensweise an die Elemente bzw. Einheiten eines Aussagesatzes vertreten, welche jeweils in eine logische oder in eine grammatische Satzstruktur als logische oder grammatische Elemente bzw. Einheiten eingebunden sind, während die Semantik ihr zentrales Interesse ist. Die Modisten 1741 R EILLY (Hrsg. 1993a); R EILLY (Hrsg. 1993b) 1742 G ROTZ (1998: xiii, xiii, Fn. 21); vgl. a. G RABMANN (1926: 114 ff.) 1743 Vgl. G ROTZ (1998: xiv) 1744 G ROTZ (1998: xiv) 1745 Hierbei ist keine Spiegelung im Sinne einer Abbildungs- oder Spiegelungstheorie nach Flämig zu verstehen, s. 6.4.2.2. 1746 G ROTZ (1998: xiv) 1747 G ROTZ (1998: xvi) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 333 <?page no="334"?> fassen Wörter als zeichenhafte Einheiten auf, die für zielgerichtet Intentionalität ausübende Begriffe stehen und nicht unmittelbar Gegenstände in der extensionalen Bedeutungsebene der außersprachlichen Wirklichkeit denotieren. 1748 So schreibt Thomas von Erfurt gemäß der Übersetzung aus dem Lateinischen Grotz ’ : „ Das finalursächliche Prinzip (für eine syntaktische Konstruktion) ist der (sprachliche) Ausdruck eines zusammengesetzten mentalen Konzeptes. Denn wie es in (Aristoteles,) Metaphys. Δ 2 [ 1749 ] heißt, ist das Ziel dasjenige, weswegen etwas geschieht. Eine syntaktische Vereinigung erfolgt aber, um einem zusammengesetzten mentalen Konzept Ausdruck zu verleihen. Deshalb sagt Aristoteles in De Interpr. 1 [ 1750 ], daß ‚ das, was im lautlichen Ausdruck liegt ‘ - nämlich die geäußerten bedeutsamen Laute, aus denen Sätze im grammatischen Sinn bestehen - , ‚ Symbole für diejenigen Eindrücke sind, die in der Seele liegen ‘ , d. h. daß sie Zeichen für mentale Konzepte bzw. für (Konzepte) in der Seele sind. Ein Zeichen ist aber zielgerichtet aufgrund eines (angestrebten) Bezeichneten. Also ist für die Grammatik eine syntaktische Konstruktion bzw. ein Satz zielgerichtet aufgrund des (angestrebten) Ausdrucks von mentalen Konzepten. “ 1751 Es handelt sich bei der modistischen Grammatik demnach um einen Versuch, die Bedeutsamkeit der Sprache mit Hilfe einer Erforschung von intelligiblen semantischen Strukturen in Verbindung mit einer logistischen Herangehensweise zu ergründen ohne dabei den Intellekt, der die Tätigkeit der Sprachbeherrschung ausübt, in die Untersuchung miteinzubeziehen. Wie die Verortung der Ockhmamschen Kategoremata, Synkategoremata und relativen Namen auf der Bedeutungsebene des Fregeschen semiotischen Dreiecks unter seinen antiplatonistischen 1752 und nominalistischen Annahmen veranschaulicht, richtet sich dann eine Kritik von Seiten Ockhams an der Grammatik der Modisten aus diesem Grund von Anbeginn gegen diese, die Sprachtranszendenz betreffenden und den Intellekt des Sprechers ausklammernden Positionen der spekulativen Grammatik der Modisten sowie damit gegen die erkenntnistheoretischen und ontologischen Grundlagen der Signifikation modus significandi (lat.: modus significandi; dt.: Modus des Bezeichnens; Weise des Bezeichnens) der modistischen Grammatik nach Thomas von Erfurt sowie ihre platonistischen und realistischen 1753 Aspekte, wie auch Grotz anmerkt. 1754 Wie 1748 Vgl. B RAU ß E (1994: 23) 1749 K IRCHMANN (Hrsg. 1871a: 223, Buch V( Δ ), Kap. 2) 1750 Vgl. K IRCHMANN , J. H. von (Hrsg. 1883 [1876]: 55, Kap. 1) 1751 T HOMAS VON E RFURT (1998: 89) 1752 F REDDOSO (1980: 8) 1753 Vgl. F REDDOSO (1980: 1) 1754 Vgl. G ROTZ (1998: xvii) 334 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="335"?> bereits dargelegt (s. 5.6.2; 5.6.5; 5.6.6) 1755 , besitzen nach Frege auch ungesättigte Begriffe Sinne und die Annahme eines begrifflichen Gehalts ungesättigter Begriffe ist herleitbar. 1756 Grotz erläutert: „ Am augenfälligsten realisiert sich die sprachliche Bedeutsamkeit als lexikalische, d. h. in Form von einzelnen bedeutungstragenden Sprachzeichen (dictiones), die stets auf ein bestimmtes Etwas (sei es in mente, sei es extra mentem) ausgerichtet sind - in der Sprache der Modisten: deren Bedeutungsgehalt ein spezifisches Signifikat (significatum speciale) ist. Gerade dies[e] sprachliche Ebene der lexikalischen Bedeutungen rückt in besonderer Weise ins Zentrum der aussagenlogischen Sprachbetrachtung, sofern nämlich hauptsächlich mit den einzelnen bedeutungstragenden Sprachzeichen (dictiones) ein begrifflicher Gehalt zum Ausdruck kommen, d. h. ein mentales Konzept repräsentiert werden kann. [ … ] Für Ockham liegen jedoch die vom Intellekt produzierten begrifflichen Gehalte in der natürlichen Sprache nicht so offen zu Tage, daß die natürliche Sprache diese Gehalte direkt widerspiegeln könnte. Vielmehr ist die oratio vocalis ein komplexes und akzidentellen Schwankungen unterworfenes Gebilde. “ 1757 Grotz meint hier mit der sogenannten Produktion begrifflicher Gehalte durch den Intellekt das, was Perler den Erfassensakt der Termini 1758 nennt. Dabei ist Perlers Formulierung vorzuziehen, da, wie bereits erwähnt, Begriffe im Sinne Freges Theorie in Ockhams Theorie nicht denkbar sind. Im Unterschied zur terministischen Logik geht die spekulative Grammatik nicht von Schwankungen begrifflicher Gehalte im sprachlichen Ausdruck aus. Gleichzeitig lenkt die spekulative Grammatik ihre Aufmerksamkeit auf die grammatische Kohärenz, d. h. die morphosyntaktischen Formen der Sprachzeichen: „ Da also diese für die grammatische Kohärenz konstitutive Funktion einer dictio - nämlich (potentieller) Bestandteil eines grammatischen Verbandes zu sein - nicht unmittelbar mit ihrer lexikalischen Bedeutung (significatum speciale) zum Vorschein kommt, bedient sich auch die spekulative Grammatik bei ihrer Sprachanalyse einer spezifischen Transformation: der Reduktion von lexikalisch bedeutsamen Sprachzeichen (dictiones) auf ihre grammatische Form und Funktion als partes orationis. [ … ]. Gleichzeitig ist aber der modus operandi der modistischen Sprachanalyse von prinzipiell anderer Art als derjenige der terministischen Logik, da dort gerade nicht von den lexikalischen Einzelbedeutungen im Satz abgesehen werden kann. “ 1759 Das heißt, in der spekulativen Grammatik werden 1755 Zu beachten sind des Weiteren Freges Ausführungen zu den Merkmalen eines Begriffs und den Eigenschaften eines Arguments, s. 5.7.1. 1756 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 31 - 34; vgl. P ARSONS (2016: 17) 1757 G ROTZ (1998: xx) 1758 P ERLER (2002: 360, 364) 1759 G ROTZ (1998: xxii) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 335 <?page no="336"?> die lexikalischen Inhalte der Sprachzeichen sowie ihre grammatischen Formen respektiert und in die Sprachanalyse miteinbezogen. Das Verständnis der Semantik, d. h. der Inhaltsebene eines sprachlichen Ausdrucks, muss hierbei dem Verständnis der grammatischen Formen nachgeordnet sein, wobei die kategoriale Bedeutung eines Sprachzeichens jedoch miteinfließt: „ Nach dieser Maßgabe aber - dass sich nämlich syntaktische Bezüge aus den grammatischen Ausformungen der Wortklassen ergeben, welche ‚ an sich ‘ semantisch fundiert sind - können die grammatischen und syntaktischen Formen nicht mehr aus derjenigen semantischen Struktur verstanden werden, welche für alle Sprachzeichen formal konstitutiv ist: nicht nur nicht aus ihren einzelnen lexikalischen Bedeutungen (significata specialia), sondern insbesondere auch nicht aus ihrer lexikalischen Verweisstruktur oder Bedeutsamkeit überhaupt (significatio). Es ist nämlich der ‚ mitbedeutende ‘ Charakter (ratio consignificandi) von grammatischen Ausformungen, [ 1760 ] der zugleich verantwortlich ist für die consignificatio der lexikalischen Sprachzeichen (dictiones), d. h. für ihren semantisch fundierten Bezug aufeinander, und der unabhängig ist von ihren jeweils konkret aufeinander bezogenen lexikalischen Bedeutungen. “ 1761 Diese Vorgehensweise der spekulativen Grammatik steht in Übereinstimmung mit Freges Vorrangigkeit der Zeichen- und der Sinnebene, mit dem notwendigen und hinreichenden Kriterium der grammatikalischen Wohlgeformtheit eines sprachlichen Ausdrucks (s. 5.6.1; 5.6.2; 5.6.3) für seine Sinnkonstitution sowie mit Helbigs Primat der syntaktischen Valenz in einer dreistufigen Valenzbeschreibung (5.8.3). Den Synkategoremata nach Ockham oder den synsemantischen Funktionswörtern nach Moskal ’ skaja hingegen wird ihr Inhalt bzw. ihre sogenannte lexikalische Bedeutung entweder ganz abgesprochen oder ihr Inhalt wird als von anderen Sprachzeichen beeinflussbar bzw. aufprägbar verstanden. Dadurch geht jedoch auch ihre grammatische Bedeutung oder kategoriale Bedeutung verloren, da sie deshalb nicht als Begriffe im Sinne Freges aufgefasst werden können, die durch ihre Intentionalität dazu beitragen, Zeichenketten sinnhaft zu strukturieren. 1762 Nun erklärt Ágel in seiner Abhandlung zur Valenztheorie: „ Synsemantika sind keine bedeutungslosen Sprachzeichen, sondern welche mit grammatischer Bedeutung. (Die Begriffsbestimmung ‚ bedeutungsloses Sprachzeichen ‘ wäre sowieso eine Contradictio in adjecto.) “ 1763 Obwohl die Nennung der Figur contradictio in adiecto einer Infragstellung dieser Aussage entgegenzustehen scheint, ist zu erwähnen, dass 1760 Vgl. G ROTZ (1998: xxiii) 1761 G ROTZ (1998: xxvii) 1762 Vgl. G ROTZ (1998: xiii, Fn. 21) 1763 Á GEL (2000: 57, Fn. 29) 336 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="337"?> unter grammatischer Bedeutung, jenseits Ágels eigener Terminologie, in der sprachwissenschaftlichen und linguistischen Fachliteratur auch die Bedeutung gebundener grammatischer Morpheme gemeint ist, die sich mit Hilfe syntaktischer Kategorien wiedergeben lässt. Ágel stellt hier unter dem Fachbegriff grammatische Bedeutung eine Bedeutung von freien, lexikalisierten Wörtern vor. Ein derartiges Verständnis der grammatischen Bedeutung, das durchaus ebenfalls in der sprachwissenschaftlichen und linguistischen Fachliteratur anzutreffen ist, setzt eine Nähe zu Ockhams Theorie und deren Synkategoremata voraus, wobei diese wiederum im engen Sinn des Wortes keine grammatischen Einheiten sind, da sie sprachliche Elemente nicht auf der Ebene der Form zu einer Komposition zusammenfügen, sondern auf der Ebene des Materiellen, d. h. des Denotats als außersprachliche Bedeutung. Ágel meint mit dem Ausdruck grammatische Bedeutung in gewisser Weise eine Synsemantik, wobei die Termini grammatische Bedeutung und Synsemantik unter Berücksichtigung des Begriffspaars Form und Materie nicht miteinander assoziierbar sind, aber im Rahmen bestimmter Sprachtheorien, z. B. der Ockhamschen Sprachauffassung, gleichgesetzt werden. Eine Synsemantik ist bei Schafroth ebenfalls definitorisch ausgeführt. Gemäß dieser sind Synsemantika Zeichen, die „ oft nur wenig bis keine lexikalische Bedeutung haben “ 1764 . Die Idee eines lexikalisierten Wortes, welches angeblich ausschließlich eine synsemantische Bedeutung nach Ágel besitzt, d. h. über eine sogenannte grammatische Bedeutung, welche zudem synsemantisch, d. h. schwankend oder von anderen Sprachzeichen aufprägbar ist, verfügt, pflichtet also dem Konzept der Synkategoremata nach Ockham bei, welche als Verkettungsglieder von Kategoremata dienen sollen. Nach obigen Ausführungen ist einsehbar, dass ein Entwurf derartiger Sprachzeichen in der Tradition Ockhams problematisch und eine sinnhafte Komposition eines Aussagesatzes mit derartig vorgestellten Kategoremata und Synkategoremata unmöglich ist. 1765 Bezüglich einer Unterscheidung zwischen Synsemantika und Autosemantika als zwei verschiedene Wortartentypen äußert sich Brauße im Fazit nach einer eingehenden Reflexion der sprachwissenschaftlichen Forschung zu lexikalischen Funktionen von Synsemantika: „ Wir haben uns wohl mit der Tatsache auseinanderzusetzen, daß alle im Laufe der Geschichte der Sprachwissenschaft herangezogenen Kriterien nicht geeignet sind, eine scharfe Grenzziehung zwischen den zwei intuitiv immer unterschiedenen Wortartentypen [Synsemantika; Autosemantika] zu ermöglichen. “ 1766 Insbesondere zu nennen ist hierbei Otto, welchen 1764 S CHAFROTH (2014: 1 f.) 1765 Für weiterführende Erklärungen zur Synsemantik, s. 6.4.1; 6.4.1.1 1766 B RAU ß E (1994: 76) 6.2 Der signifizierte Inhalt eines Zeichens 337 <?page no="338"?> Brauße eingehend zitiert und dessen Thesen sie folgendermaßen zusammenfasst: „ Ernst Otto setzt sich mit Martys und Husserls Bedeutungstheorien auseinander und kommt zu dem Schluß, daß nicht entscheidbar sei, welche Wörter als selbständige Begriffswörter, als Autosemantika und welche als unselbständige Glied-, Form-, Funktionswörter oder Synsemantika anzusehen sind. Er selbst rechnet auch Präpositionen und Konjunktionen zu den Begriffswörtern. Im Unterschied zu den Substantiven und Adjektiven bezeichnet er sie als ‚ begriffliche Relationswörter ‘ oder ‚ Bezugswörter ‘ . Er meint, daß man nicht unterschiedliche Typen von Wortbedeutungen annehmen kann, etwa Autosemantika und Synsemantika, sondern daß in allen Typen von Wörtern sowohl lexikalische als auch syntaktische Mitbedeutung enthalten sei. Diesen Gedanken hatte schon Humbodt angedeutet. “ 1767, 1768 Die Schlussfolgerung Ottos, auf welche Brauße referiert, lautet: „ so wird man nach all dem gegeneinander der Ansichten dahin gedrängt, nicht etwa einzelne Wörter nach ihren Bedeutungen klassifizieren zu wollen, sondern vielmehr an den Wörtern zu sondern: 1. die lexikalische Begriffsbedeutung, 2. die syntaktische Mitbedeutung, die wir die Beziehungsbedeutung nennen wollen. [ … ] Es ist also grundsätzlich zwischen der syntaktischen Beziehungsbedeutung und der Beziehungsmittel und der begrifflichen Bedeutung der Substantive, Adjektive, Verben, auch der Präpositionen und Konjunktionen zu unterscheiden, die alle volle Begriffswörter sind. Die beiden letzteren fasse ich der Klarheit wegen als ‚ Relationswörter ‘ (Bezugswörter) zusammen, um sie von den syntaktischen ‚ Beziehungsmitteln ‘ zu unterscheiden. “ 1769 Aus den in vorangegangenen Absätzen dargelegten Gründen kann im Folgenden die den Theorien Ockhams entlehnte Terminologie (z. B. Synkategoremata) nicht übernommen werden. Statt dessen führen die Ergebnisse der obigen argumentativen Darlegungen zu dem Resultat, dass alle Wortformen einer Sprache mindestens eine lexikalische Bedeutung bezeichnen und gemäß der Terminologie Hentschels/ Weydts Autosemantika sind, doch viele Wörter verfügen neben dieser bezeichneten, lexikalischen Bedeutung auch über grammatische oder kategoriale Bedeutungen, welche u. a. ihre syntaktischen Funktionen anzeigen. Der Terminus Lexem für dasjenige sprachliche Element, das eine lexikalische Bedeutung bezeichnet, im Gegensatz zu grammatischen Morphemen, die nicht isoliert stehen können sowie lediglich eine sogenannte grammatische Bedeutung und keine lexikalische Bedeutung übermitteln, wird beibehalten, da Teile von Namen, Wortformen oder Ausdrücken auf Zeichen- 1767 B RAU ß E (1994: 44) 1768 Zu Husserls und Martys Bedeutungstheorien, s. 6.4.1.2. 1769 O TTO (1954: 16, 18); vgl. B RAU ß E (1994: 44) 338 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="339"?> ebene keinen Sinn nach Frege besitzen müssen, wenn sie als fehlerhaft kombinierte zeichenhafte Segmente ungrammatisch, unscharf und damit im obig aufgestellten semiotischen Dreieck falsch (f 1 ) sind (Abb. 7). Die lexikalische Bedeutung muss hier von lexikalischem Inhalt (auch: Sinn) in Anlehnung an Frege unterschieden werden, da in der vorliegenden Untersuchung in Übereinstimmung mit dem der Theorie Freges entlehnten semiotischen Dreieck eine Formulierung gewählt ist, nach welcher sprachliche Zeichen keine lexikalische Bedeutung tragen, sondern diese bezeichnen (Abb. 5). 6.3 Valenzpotenz und Valenzrealisierung Die vorangehenden Explikationen zu einer bezeichneten lexikalischen Bedeutung eines Intentionalität ausübenden intensionalen Begriffs mit eigenem Inhalt (auch: begrifflicher Gehalt) finden teilweise eine etwaige Entsprechung in einer von Ágel entworfenen Valenzpotenz- und Valenzrealisierungstheorie. Für eine Übertragung der Termini Valenzpotenz und Valenzrealisierung aus Ágels theoretischer Konzeption von Valenzpotenz und Valenzrealisierung in die Theoriebildung und Methodik für die Analyse von Corpusbelegen in der vorliegenden Studie, sollen jedoch auch Freges Begriffslogik, Aristoteles ’ Angaben zur Potentialität und Aktualität 1770 sowie der modistische Ansatz einer logizistischen grammatischen Analyse berücksichtigt werden. Untenstehend ist demnach zuerst Ágels Verständnis von Valenzpotenz und Valenzrealisierung kurz vorgestellt. Anschließend sind sämtliche Fragen Ágels bezüglich der Valenztheorie sowie der Valenzrealisierungstheorie im theoretischen Rahmen der vorliegender Studie beantwortet. Ágel leitet eine Unterscheidung zwischen Valenzpotenz und Valenzrealisierung 1771 folgendermaßen her: „ Relationale Sprachzeichen, die der Kategorie Verb angehören, haben qua ihres Aktantenpotenzials die Fähigkeit/ Potenz, die semantische und syntaktische Organisation des Satzes zu prädeterminieren. In dieser Reformulierung befinden sich zwei mehr oder weniger unbekannte bzw. unterspezifische Größen: Y = Relationale Sprachzeichen, die der Kategorie Verb angehören; X = Aktantenpotenzial. [ … ] Dieser Präzisierung ist zu entnehmen, dass es für die Valenztheorie zwei Grundfragen gibt: (1) Was ist Y? (2) Was ist X? (1) ist die Frage nach den relationalen Sprachzeichen, die der Kategorie Verb angehören, d. h. nach dem verbalen Valenzträger (im Folgenden: VT); (2) ist die Frage nach dem Aktantenpotenzial des VT, d. h. nach dessen Valenz(potenz). Hinzu kommen zwei weitere Grundfragen, die das Verhältnis der Valenzpotenz zu deren Realisierung betreffen: (3) die Frage nach den 1770 P RANTL (Hrsg. 1854: 39, 490) 1771 Vgl. Á GEL (1993a); vgl. Á GEL , V. (1993b); vgl. Á GEL (1995); vgl. Á GEL (2000) 6.3 Valenzpotenz und Valenzrealisierung 339 <?page no="340"?> Formen und Typen der grammatischen Realisierung der Valenz in verschiedenen Einzelsprachen bzw. verschiedenen Varietäten derselben Einzelsprache, d. h. die Frage nach der strukturellen Valenzrealisierung (= Valenz und Sprachstruktur); (4) die Frage nach der (Nicht)Realisierbarkeit und den Nichtrealisierungsbedingungen der Formen und Typen der grammatischen Realisierung der Valenz in (mündlichen oder schriftlichen) Texten, d. h. die Frage nach der kontextuell-situativen Valenzrealisierung (= Valenz im Text). Um die zwei Grundfragen-Gruppen der Valenzttheorie terminologisch zu unterscheiden, möchte ich folgenden Vorschlag machen (1) und (2) könnten die Grundfragen der Valenzpotenztheorie, (3) und (4) die der Valenzrealisierungstheorie genannt werden. “ 1772 Das Konzept der Valenzpotenz wird von Ágel somit gemeinsam mit dem der Valenzrealisierung aus der Rektionspotenz sowie der Rektionsrealisierung abgeleitet, um die Grundlegung einer neuen Valenztheorie zu schaffen, die angeblich nicht an ein bestimmtes Grammatikmodell gebunden ist. Hierbei geht Ágel von einem kategorialen Rektionsbegriff und der Fähigkeit eines Sprachzeichens, das aktuelle Formmerkmal seines aktuellen Rektums als Valenzrealisierung festzulegen, sowie umgekehrt von der Möglichkeit der Valenzrealisierungen sowie anderer Sprachzeichen, die Rektionpotenz eines Sprachzeichens zu bestimmen, aus. 1773 Des Weiteren unterscheidet Ágel Typen sowie Formen der Valenzrealisierung: Die Typen struktureller Valenzrealisierungmodelle sind von der Valenzpotenz unabhängig und vermeiden eine Inkorporierung bestimmter Valenzrealisierungsstrukturen in die Valenzpotenz. Diese Realisierungsstrukturen sollen nicht als kanonische Verkörperung der Valenz im Lexikon angenommen werden und seien Ausbuchstabierungen von Makro- und Mikrostrukturen. 1774 Die Makrovalenz mit den Aktanten A n bzw. 0 für Nullrealisierung, beschreibt nach Pasierbsky „ die morphologisch-syntaktischen Beziehungen zwischen (prädikativem) Verb und anderen Redeteilen “ 1775 . Die Mikrovalenz, durch die Markierungen a n bzw. 0 für Nullrealisierung angegeben, gilt als „ die Eigenschaft eines Morphems in der Funktion eines Valenzträgers, verschiedene Aktanten [ … ], die makrovalente Leerstellen im Satzbauplan besetzen [ … ], in der morphologischen Struktur des Verbs zu repräsentieren “ 1776 (Abb. 18). 1777 Die Aktanten sind nach Pasierbsky gesättigte Leerstellen der Valenzträger. 1772 Á GEL (2000: 105) 1773 Á GEL (2000: 58 - 63, 105) 1774 Á GEL (1995: 3, 7, 20) 1775 P ASIERBSKY (1981: 162) 1776 P ASIERBSKY (1981: 163) 1777 Vgl. a. S CHAEDLER (2020b); vgl. a. S CHAEDLER (2019a) 340 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="341"?> Abb. 18: Valenzrealisierungen auf der Mikro- und Makroebene 1778 Die morphosyntaktischen Formen, welche Valenzrealisierungen darstellen, sind anhand struktureller Valenzrealisierungmodelle und Valenzpotenz zu erfassen. Folglich ist die Qualität bestimmter syntaktischer Kategorien an den Valenzrealisierungen zu beobachten (Abb. 18), jedoch sind die Formen und Typen der Valenzrealisierung nach Ágel nicht unmittelbar aus der Valenzpotenz ableitbar. 1779 Hinsichtlich der Untersuchung des Valenzträgers gilt nach Ágel, dass für jeden einzelnen Aktanten ein anderes Valenzkriterium die Formen der Valenzrealisierung erzeugen kann. 1780, 1781 Nach Ágel können nur sogenannte Lexemwörter, die semantisch den Kategoremata entsprechen, z. B. das Wort geben mit folgenden gesättigten Leerstellen als Aktanten geben (NP SUB , NP DAT , NP AKK ) (z. B. sie gibt DAT, AKK → ihm das Buch), eigenständige Valenzpotenz und durch Valenzpotenz motivierte Valenzrealisierungen besitzen, während sogenannten Funktionswörtern, die semantisch angeblich einer Art Synkategoremata entsprechen (z. B. auf), von anderen Elementen aufgetragen wird, zu regieren. 1782, 1783, 1784 Zu diesen Konzeptionen 1785 Ágels ist anzumerken, dass auch ohne einer expliziten Nachfolge Freges Theorie im Detail grundsätzlich andere signifikationstheoretische Annahmen und Rektionsbegriffe, z. B. die kategoriale Rektion von Substantiven (z. B. der Sohn GEN 1778 Vgl. L AZLO (1988: 228 - 230); vgl. Á GEL (1995: 11) 1779 Á GEL (1995: 3 ff.) 1780 Á GEL (1995: 23) 1781 Zu einer Diskussion verschiedener Valenzkriterien bzw. Valenzrelationen, s. 7.3; 7.3.1; 7.3.2; 7.3.3. Zur pragmatisch-kommunikativen Valenz, welche in der vorliegenden Studie von der logisch-semantischen Valenz und der morphosyntaktischen Valenz unterschieden wird, s. 6.4.3; 6.4.3.1; 6.4.3.2 1782 Á GEL (2000: 58 f.) 1783 Zur Kopula als synkategorematisches Funktionswort, s. 6.2.1. 1784 Vgl. S CHAEDLER (2020b); vgl. S CHAEDLER (2019a) 1785 Das Wort Konzeptionen ist an dieser Stelle nicht mit dem Churchschen Fachterminus Konzept zu assoziieren. 6.3 Valenzpotenz und Valenzrealisierung 341 <?page no="342"?> → des Vaters), die lexikalische Rektion deverbaler Substantive (z. B. die Hoffnung AKK → auf AKK → Freiheit) oder eine Statusrektion nicht-deverbaler Substantive 1786 (z. B. das Recht AKK → auf AKK → den Garten) 1787 zu weiteren Möglichkeiten führen können, Valenzpotenzen von Sprachzeichen anzunehmen. Betreffs (X), der Frage nach dem Aktantenpotenzial des VT, d. h. nach dessen Valenz(potenz), existieren nach Ágel erstens, Sprachzeichen, die mehrere verschiedene Valenzpotenzen gleichzeitig aufweisen (z. B. sie gibt DAT, AKK → ihm das Buch), sowie zweitens, Sprachzeichen, die verschiedene Valenzpotenzen alternativ eröffnen (z. B. das Recht AKK → auf AKK → den Garten), wobei Letztere als polysem und durch die aktualisierte, lexikalisch-kasusformale Rektionsrealisierung monosemiert gelten. In die Hoffnung AKK → auf AKK → Freiheit und das Recht AKK → auf AKK → den Garten kann die Auffassung vertreten werden, dass das Substantiv oder die Präposition oder dass das Substantiv sowie die Präposition einen Akkusativ regieren. 1788 Eine theoretische Behandlung dieser Thematik für die praktische Anwendung und Interpretation von Ergebnissen in der Beleganalyse der vorliegenden Studie erfolgt anhand der Distinktion zwischen lexikalischer oder kategorialer Statusrektion und Kasusrektion sowie anhand der Ausführungen zu den Formrelationen Fixiertheit, Rektion, Konstanz und Kasustransfer nach Zifonun et al. (s. 6.4.1.1; 7.3.2; 7.3.3). Die in der Grammatik für die Beschreibung der Valenzpotenz sowie der Valenzrealisierung angewandten Begriffe Materie, Form, Potentialität und Aktualität gehen auf Aristoteles zurück und wurden in der modistischen Grammatikforschung der Scholastik dazu verwendet, wechselseitige syntaktische Abhängigkeitsbeziehungen zu beschreiben. 1789 Aristoteles erläutert dies folgendermaßen: „ das Seinkönnende hingegen ist dasjenige, welches als Potenz zum Actus strebt; das erstere also fällt mehr der logischen Konzeption, das letzere der Real-Potenz des Faktischen anheim. “ 1790 Bezüglich der Form gegenüber der Potenz erläutert Aristoteles, „ daß immer Etwas zugrunde liegen muss, nämlich dasjenige, welches wird, und daß dieses, wenn es auch der Zahl nach Eines ist, doch wenigstens der Form nach nicht Eines ist. “ 1791, 1792 Somit kann die Potenz als logische Konzeption nach Aristoteles bzw. der aus Ágels Theorie herausgelöste Terminus Valenzpotenz mit den Merkmalen eines Begriffs oder einer Beziehung nach Frege assoziiert werden, da ungesättigte Begriffe und 1786 Vgl. W IEGAND (1996: 139) 1787 Zur Statusrektion, s. 6.4.1.1 1788 S CHAEDLER (2020b); S CHAEDLER (2019a) 1789 Vgl. T HOMAS VON E RFURT (1998: 87 - 92) 1790 P RANTL (Hrsg. 1854: 490) 1791 P RANTL (Hrsg. 1854: 39) 1792 S CHAEDLER (2020b); S CHAEDLER (2019a) 342 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="343"?> Beziehungen durch ihren begrifflichen Gehalt auf ihre Argumentstellen intentional ausgerichtet sind (s. 5.6.2; 5.7.1; 6.2.2; 6.2.3). Eine Distinktion von Sinn und Bedeutung nach Frege findet bei Ágel nicht statt, so dass diese Ágelsche sogenannte Relationalität von Sprachzeichen nicht zugeordnet werden kann (s. 6.4.1.1). Da Ágel die Existenz von sogenannten Autosemantika bzw. absoluten Lexemwörtern und Funktionswörtern bzw. Synsemantika 1793 annimmt, muss, wie obig bereits alludiert (s. 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3), geschlussfolgert werden, dass seine Konzeption von Sprachzeichen gewissermaßen in der Tradition Ockhams steht. Dazu erwähnt Ágel Autosemantika, welche als relationale Lexemwörter aufzufassen seien. Ágel stellt folgende Behauptung auf: „ Das Lexemwort regiert ‚ aus eigener Kraft ‘ , dem Funktionswort wird aufgetragen zu regieren. Genauer: Die Realisierung der Rektionspotenz des Funktionswortes Präposition wird fremdregiert. “ 1794 Damit bleibt die von Ágel angesetzte Relationalität einer Wortform fragwürdig, denn Valenz ist die Fähigkeit von Sprachzeichen, auf morphosyntaktischer, logischer, semantischer oder pragmatisch-kommunikativer Ebene Leerstellen für Argumente zu eröffnen. Valenz erwirkt somit formal eine prädikative Natur oder einen Begriffscharakter des Valenzträgers. Ungeachtet dessen, auf welcher Ebene die zu untersuchende Valenz veranschlagt wird, steht die Ockhamsche Terminologie, welche denotierende Elemente bzw. Entitäten und ihre Verkettung mit Hilfe synkategorematischer Zeichen beschreibt, wie bereits erläutert, diesem Begriffscharakter entgegen (s. 6.2.1; 6.2.3). Weil es sich bei der morphosyntaktischen als auch der intensionallogisch-semantischen Valenz somit um Eigenschaften handelt, welche formal in prädikatenlogischer Notation deskribiert und modelliert werden können, sind die ausdifferenzierenden Konzepte Valenzpotenz und Valenzrealisierung anhand einer Analyse des sprachlichen Ausdrucks auf Sinnebene zu observieren. Da ein vollständiger Sinn eine mit Argumenten gesättigte, grammatikalisch wohlgeformte Struktur ist, muss auch der Terminus Valenzrealisierung, welcher die Argumente in den valenziellen Leerstellen zu erfassen hat, für eine Erklärung im theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie der Theorie Ágels enthoben werden. Zusammenfassend sind nun die Fragen Ágels zur Valenzpotenztheorie und Valenzrealisierungstheorie aus der Perspektive der obig erarbeiteten Ansichten zu beantworten. Eine Relationalität der Sprachzeichen ist innersprachlich durch die Intentionalität intensionaler Begriffe gegeben, welche sich auf andere Sprachzeichen beziehen. Diese innersprachliche Relationalität ist in flektierenden Sprachen insbesondere in morphosyntaktischen Merkmalen observierbar, aber auch anhand der Wortarten und schließlich der syntakti- 1793 Á GEL (2000: 58 ff.) 1794 Á GEL (2000: 58 f.) 6.3 Valenzpotenz und Valenzrealisierung 343 <?page no="344"?> schen Funktionen von Entitäten im Satz sowie damit erforschter sprachlicher Regeln und Muster, welche zur Erfüllung des Kriteriums der Grammatizität eines sprachlichen Ausdrucks beitragen. Eine derartige Relationalität ist der Charakter aller Sprachzeichen, welche Leerstellen für obligatorische oder fakultative Ergänzungen eröffnen, somit nicht ausschließlich dem Verb vorbehalten und sollte zudem aus obig dargelegten linguistischen und sprachphilosophischen Gründen nicht mit Ockhams Kategoremata, Synkategoremata oder relativen Namen assoziiert werden (s. 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3). In einer kohärenten Theorie, welche nominalistische Ansätze, z. B. Ockhams, nicht mit realistischen Annahmen, z. B. Aristoteles ’ , vermengt und demzufolge nicht versuchen muss, die sich daraus notwendig ergebenden Inkohärenzen durch terminologische Vielfalt oder Terminologieneuschöpfung zu überbrücken, ist Ágels zweite Frage mit der Erklärung zur ersten Frage bereits beantwortet. Die Valenzpotenz eines sprachlichen Zeichens ist durch empirische Studien am sprachlichen Material zu ermitteln. Das zu untersuchende sprachliche Material ist einem Textcorpus zu entnehmen oder aus introspektiv mit muttersprachlicher oder linguistischer Fachkompetenz erschlossenen, natürlichsprachlichen Belegen, z. B. denen eines Wörterbuchs, zu gewinnen. Die obligatorisch oder fakultativ zu sättigenden Leerstellen des untersuchten verbalen Valenzträgers werden durch eine Datensammlung sprachlichen Materials sowie die Beleganalyse der vorliegenden Studie erforscht. Dabei ist die obligatorische Valenzpotenz eines sprachlichen Zeichens als Koordinationsvalenz X (KV X ) (auch: Koordinationsvalenzstruktur X ) festgehalten. Homonyme sprachlicher Zeichen besitzen die Koordinationsvalenz Y (KV Y ); y ≠ x. (S. 10). 1795 Die dritte Frage Ágels ist damit beantwortet, dass die Leerstellen bzw. die Stellen der Valenzpotenz die Qualität bestimmter grammatischer Kategorien aufweisen oder für die sonstige morphosyntaktische Qualität (z. B. Wortart) einer vom Valenzträger kasusregierten, lexikalisch oder kategorial statusregierten Einheit reserviert sind (s. 7.4.2.1; 7.4.2.2; 7.4.2.3; 7.4.2.4). Die Frage Ágels (4) nach der (Nicht)Realisierbarkeit und den Nichtrealisierungsbedingungen der Formen und Typen der grammatischen Realisierung der Valenz in (mündlichen oder schriftlichen) Texten betrifft kontextuell-situative Valenzrealisierung und ist an dieser Stelle für die Betrachtung von Kopula-Prädikativ-Komplexen im theoretischen Rahmen der vorliegenden Studie nicht relevant, da bereits dargelegt wurde, dass die Sinnkonstitution einem Urteil bezüglich der Bedeutung vorangehen muss, und es sich damit in einem ersten Schritt um die Analyse nach dem Fregeschen Kompositionsprinzip und um lediglich bezeichnete Bedeutungen, nicht um in 1795 Zur Erläuterung des Terminus Koordinationsvalenz bzw. Koordinationsvalenzstruktur, s. 6.6. 344 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="345"?> einem Urteil behauptete Bedeutungen, handelt. Im Fokus steht demnach, was der zu untersuchende sprachliche Ausdruck bezeichnet und nicht, wie der Sprecher, welcher angeblich eine bestimmte außersprachliche Situation oder Bedeutung denotieren oder sprachlich abbilden will, missverstanden werden könnte. Fakultative Valenzrealisierungen beinhalten in der Beleganalyse der vorliegenden Untersuchung keinesfalls eine „ Hörerund/ oder Sprecherorientiertheit “ 1796 und sind nicht an „ pragmatische[n] ‚ Steuerungspotenzen ‘“ 1797 gebunden. Schierholz merkt mit Verweis auf Helbig und Heringer 1798 zu einer Kontextabhängigkeit an: „ Diese Kontextabhängigkeit ist jedoch bei genauer Betrachtung eine Abhängigkeit von kommunikativ-pragmatischen Aspekten, weil die Auslassung einer Leerstelle nicht in allen Fällen durch den unmittelbaren Kontext begründet werden kann, sondern eine offene Leerstelle sich auch auf der Basis des Weltwissens der Kommunikationsteilnehmer hinreichend interpretieren lässt. “ 1799 Somit handelt es sich bei kontextuell-situativen Aspekten der sogenannten Valenzrealisieung nach Ágel um Sachverhalte, die sich nur unter der Bedingung der Priorität extensionaler Bedeutungen in der Sprachanalyse und in der außersprachlichen Wirklichkeit sowie im psychosozialen Kommunikationsverhalten der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft abspielen. 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse Wie an obigen Fragen Ágels zur Valenzpotenz und Valenzrealisierung erkennbar und im semiotischen Zeichenmodell nachvollziehbar, kann Valenz in der Linguistik verschieden aufgefasst und auf unterschiedlichen Ebenen der Sprache angenommen werden. So schreibt Hyvärinen: „ Seit den Anfängen der Valenztheorie hat sich der Valenzbegriff zu einem Multimodulkonzept entwickelt. Schon Helbig/ Schenkel [ … ] haben die Valenz nicht nur quantitativ (Ebene I) und morphosyntaktisch-qualitativ (Ebene II), sondern auch semantisch-qualitativ nach lexikalisch-kategorialen Merkmalen (Ebene III) dargestellt. “ 1800 Vor dem Hintergrund obig dargelegter Erläuterungen können die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Valenz in der linguistischen Valenztheorie nun reflektiert werden. Die Bezeichnung „ Valenzebenen “ 1801 wird 1796 Á GEL (2000: 247) 1797 Á GEL (2000: 247) 1798 Vgl. H ELBIG (1992); vgl. H ERINGER (1984); vgl. H ERINGER (1996: 161 ff.) 1799 S CHIERHOLZ (2001: 106) 1800 H YVÄRINEN (2003: 739); vgl. H ELBIG / S CHENKEL (1969); vgl. H ELBIG / S CHENKEL (1973) 1801 H ELBIG (1971b: 8); vgl. H ELBIG / S CHENKEL (1991: 60 ff.); vgl. H YVÄRINEN (2003: 739 ff.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 345 <?page no="346"?> jedoch im Folgenden nicht übernommen, da bereits eine Verortung der Valenz von Wortformen als Argumentstellen von Begriffen und Beziehungen auf Sinnebene begründet hergeleitet wurde (s. 6.2.2; 6.2.3; 6.3). Die Vorarbeiten und Rahmenbedingungen in der vorliegenden Studie machen eine derartige Differenzierung verschiedener sogenannter Valenzebenen an dieser Stelle obsolet. Wie am semiotischen Dreieck sichtbar, kann sich die darin verortete Valenz neben ihrem primär zu ermittelnden Vorhandensein auf der Sinnebene, desgleichen auf der Zeichenebene sowie auf der Bedeutungsebene niederschlagen bzw. auf der Zeichenebene sowie auf der Bedeutungsebene observier- und dokumentierbar sein, wobei der Unterschied zwischen Valenzpotenz und Valenzrealisierung zu beachten ist. So hat Homberger, wie Hyvärinen zitiert, erkannt, dass die Antwort auf die Frage, wo die Grenze zwischen einem Teil des Prädikatskomplexes und einer vom Prädikat regierten Ergänzung, d. h. einer zugehörigen gesättigten Argumentstelle, zu ziehen ist, von dem Valenzebenenkonzept der jeweiligen Theorie abhängt und dass das Prädikat 1802 , welches in der vorliegenden Studie im Fokus steht, „ die derzeit schillerndste Kategorie in der deutschen Grammatik ist “ 1803 . Durch eine vorangehende Herleitung des grammatischen und logischen Prädikats wurde obig versucht, dieser Unklarheit bezüglich des logischen, semantischen und formalen Status des Prädikats Einhalt zu bieten (s. 5.5.2; 5.6.2; 5.6.4; 6.2.2; 6.2.3) wobei innersprachliche Argumentstellen logischer Prädikate entdeckt wurden und deshalb, wie bereits alludiert, eine Voraussetzung a priori von festgelegten sogenannten Valenzebenen an dieser Stelle nicht notwendig ist. Statt von Valenzebenen auszugehen, wird es demzufolge aus methodischen Gründen vorgezogen, von Herangehensweisen an die Valenz zu sprechen, welche die Valenz von Wörtern je nach Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis und je nach Terminologie unterschiedlich zu erfassen versuchen. Für eine linguistische Analyse, welche die mathematische Grundlagenforschung und die Sprachphilosophie Freges miteinbezieht, ist es allerdings notwendig, eine aus extensionallogischen Gegebenheiten oder rein pragmatisch-kommunikativen Aspekten der außersprachlichen Wirklichkeit abgeleitete sogenannte Valenz von dem Forschungsgegenstand sprachinhärenter Strukturen zu scheiden. Eine Distinktion von qualitativer und quantitativer Valenz besagt in der vorliegenden Studie nur, dass ein Valenzträger eine Anzahl (auch: Quantität) von Leerstellen mit einer bestimmten Qualität eröffnet (s. 6.3; 6.4.1; 6.8.2). In der Literatur weitgehend etabliert sind die morphosyntaktische Valenz, die logische Valenz, die semantische Valenz und die pragmatisch-kommunikative Valenz. Homberger bejaht 1802 Vgl. H YVÄRINEN (2003: 740) 1803 H OMBERGER (1993: 10); vgl. H YVÄRINEN (2003: 740) 346 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="347"?> ein Koexistenzmodell für die verschiedensten Valenzkonzeptionen und Ansätze 1804 gegenüber einer Deklarierung dieser vielfältigen Valenzkonzeptionen als Valenzmisere. 1805 (S. 7.3.1). Jung präsentiert ebenfalls ein integriertes Valenzmodell, das jedoch entgegen der Vorgehensweise Freges zeichentheoretisch von einer logisch-semantischen Ebene ausgeht und nicht vom sprachlichen Zeichen selbst. 1806 In dieser Studie sollen sämtliche in der Linguistik entwickelte Herangehensweisen an den Valenzbegriff als erkenntnisfördernd konstruktiv aufgenommen werden, um möglicherweise vorhandene valenzielle Eigenschaften der Kopula aufzudecken. 6.4.1 Morphosyntaktische Valenz Unter morphosyntaktaktischer Valenz werden im Allgemeinen diejenigen Verhältnisse zwischen Elementen bzw. Entitäten des sprachlichen Ausdrucks verstanden, die auf Zeichenebene anhand grammatischer Morpheme, auch grammatischer Nullmorphe, der Identifikation von Wortarten und unter dem Kriterium der sogenannten strukturellen Notwendigkeit erkennbar sind. Helbig betont in seiner Darlegung der Stufen seines Valenzmodells, dass die erste Analyse von gesättigten Argumentstellen (auch: Ergänzungen) „ durch Angabe der syntaktischen Umgebungen des Verbs in streng formalen Termini “ 1807 zu erfolgen hat. Mit dem Verb ist hier der Valenzträger angesprochen. Wie obig erwähnt, meint die realisierte morphosyntaktische Valenz damit u. a. auch die durch Rektion und Kongruenz erzeugten morphosyntaktischen Merkmale grammatischer Kategorien, d. h. Kasus- und Kongruenzaffixe in der flektierenden Sprache des Deutschen. 1808 Jung erklärt, dass „ die Flexionsmorpheme Produkte der syntaktischen Relationen sind und bestimmte (semantisch-) syntaktische Funktionen tragen “ 1809 . Außerdem fasst Jung zusammen, „ dass die Rektion gegenüber der Kongruenz nicht als eine Relation zwischen den Wörtern, die sich an einem morphosyntaktischen Merkmal beteiligen, sondern als eine Relation zwischen einem morphosyntaktischen Merkmal (Kasus) und einem Wort von spezifischen lexikalischen Wortklassen, oder zwei verschiedenen morphosyntaktischen Merkmalen aufgefasst werden kann. “ 1810 Nach der 1804 H OMBERGER (1993: 192 ff.); vgl. H YVÄRINEN (2003: 740) 1805 J ACOBS (1994); vgl. H YVÄRINEN (2003: 740) 1806 J UNG (1995: 133 - 135) 1807 H ELBIG (1971a: 39) 1808 Vgl. J UNG (2003: 283) 1809 J UNG (2003: 282) 1810 J UNG (2003: 283) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 347 <?page no="348"?> in der Dudengrammatik 1811 gegebenen Definition von Rektion, welche Jung einleitend als traditionellen Rektionsbegriff erwähnt, ist Rektion „ die Tatsache, dass bei bestimmten Wörtern festgelegt ist, in welchen Kasus (grammatischen Fall) ein von ihnen abhängendes Wort gesetzt werden muss. “ 1812 Schließlich erklärt Jung, dass hierbei nur kasuszuweisende Wortarten, d. h. Verben, Adjektive, Präpositionen und Substantive ein Rektionsverhältnis erzeugen. 1813 Im Fall einer Kasuszuweisung tritt die morphologische Kennzeichnung einer grammatischen Relation als materialisiertes grammatisches Morphem oder als nicht materialisiertes Nullmorph, auf. So kennzeichnet z. B. das Affix -es in dem Substantiv Baumes den Genitiv, das Maskulinum und den Singular. Im Falle grammatischer Nullmorphe, z. B. in dem Satz ich lerne die Sprache, in welchem die Nominalphrase die Sprache den Nominativ oder den Akkusativ bezeichnet, ist es möglich, den Akkusativ durch eine, die Grammatizität eines sprachlichen Ausdrucks offenlegende Frage als linguistisches Testverfahren ich lerne Wen oder Was? nach dem Akkusativ gegenüber der Frage *ich lerne Wer oder Was? nach dem Nominativ zu identifizieren. Eine derartige Zuordnung von Sprachzeichen und ihren Formen zum ausgedrückten Kasus kann in folgenden drei Fällen von Sprachwandelerscheinungen erschwert werden: 1. Erstens, wenn es sich um einen Ausdruck handelt, der gegenwärtig von einem die Form des sprachlichen Zeichens betreffenden Sprachwandel, der keinen Bedeutungswandel bzw. Sinnwandel mit sich bringt, z. B. der Ersetzung eines Genitivs in dem Satz er pflegt der Ruhe durch einen Akkusativ in dem Satz er pflegt die Ruhe 1814, 1815 , betroffen ist. Doch selbst in einem derartigen Fall von Sprachwandel kann die aktuelle sprachliche Konvention in der Regel mittels linguistischer Tests zur Grammatizität eines sprachlichen Ausdrucks festgestellt werden, da angesichts eines kompetenten Sprechers vorausgesetzt werden muss, dass dieser Kenntnis von den sprachlichen Konventionen hat. 2. Zweitens sind Sprachwandelerscheinungen zu nennen, die neben der veränderten Form auf Zeichenebene mit einem Bedeutungswechsel verbunden sind. Diese Art von Sprachwandelerscheinungen ist in der vorliegenden Studie nicht relevant, da veränderte Zeichen, d. h. Wortwurzeln oder Lexeme, 1811 D UDENREDAKTION (Hrsg. 1973) 1812 D UDENREDAKTION (Hrsg. 1973: 194) 1813 Vgl. J UNG (2003: 283 ff.) 1814 W URZEL (1994: 11 f.) 1815 Zu einer detaillierten Darstellung des Sprachwandels bezüglich des Genitivs, vgl. B EHAGHEL (1923: 479 ff.). 348 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="349"?> gemäß Freges Theorie andere Sinne auf Inhaltsebene ausdrücken, auch wenn sie dieselbe Bedeutung denotieren. 1816 3. Auch die drittens zu erwähnenden, sogenannten Valenzschwankungen, die nicht immer einem Sprachwandel zugeschrieben werden müssen, z. B. die Valenzschwankung zwischen Dativobjekt in dem Satz ich schreibe seinem Kollegen und Präpositionalobjekt in dem Satz ich schreibe an seinen Kollegen 1817 sind für diese Studie ebenfalls nicht problematisch, da beide Varianten als Rektionspotenz bzw. Valenzpotenz, in dem Sinne wie der Terminus Valenzpotenz hier verstanden wird, nämlich als Argumentstelle bzw. als Argumentstellen in Begriffen und Beziehungen nach Frege, im Valenzträger angelegt sind und realisiert werden können. Doch Jung weist darauf hin, dass obig genannter, enger Kasusrektionsbegriff erweiterbar ist. So erklärt Engel demgegenüber den Begriff Rektion allgemein als „ Fähigkeit, andere Elemente zu regieren “ 1818 und definiert Valenz als „ subklassenspezifische Rektion “ 1819 , welche auch das Verhältnis zwischen Substantiven und ihrem jeweiligen Artikel beschreibt, wobei nach Engel das Substantiv den bestimmten oder unbestimmten Artikel regiert 1820 so wie der Artikel wiederum das attributive Adjektiv in einer Nominalphrase regiert. 1821 Einen noch umfassenderen aber dennoch formalen Rektionsbegriff, der an dieser Stelle für die vorliegende Studie beachtet werden muss, da er auf Zeichenebene deutlich als Subjektsnominativ und als Genitiv von Genitivattributen observierbar manifestiert ist 1822 , vertritt Eisenberg: „ Eine Konstituente f 1 regiert eine Konstituente f 2 , wenn die Form von f 2 durch eine Paradigmenkategorie von f 1 festgelegt ist “ 1823, 1824 Nützlich ist auch Eisenbergs Typologie von Markierungskategorien, die sich in Einheiten- und Paradigmenkategorien 1825 unterteilen lassen. Einheitenkategorien sind Flexionskategorien, wie sie im Deutschen z. B. im Akkusativ gegeben sind, da jedes Substantiv im Deutschen im Akkusativ stehen kann. Die Paradigmenkategorie gehört zur paradigmatischen Bestim- 1816 Nach Frege besitzt jeder sprachliche Ausdruck einen Sinn und eine Identität von Sinnen verschiedenartiger Zeichen ist nicht möglich, s. 5.6.5. 1817 H UNDT (2001: 174) 1818 E NGEL (2009: 16) 1819 E NGEL (2009: 16) 1820 Vgl. E NGEL (2009: 270) 1821 E NGEL (2009: 313) 1822 J UNG (2003: 284 f.) 1823 E ISENBERG (1994: 52) 1824 Die Namensgebung der Konstituenten f 1 und f 2 sind an dieser Stelle Eisenberg entnommen und nicht mit den Kürzeln f 1 (falsch 1 ) und f 2 (falsch 2 ) oder mit einem Funktionsnamen zu verwechseln. 1825 E ISENBERG (1994: 36 - 41) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 349 <?page no="350"?> mung eines Wortes und ist z. B. im Maskulinum im Deutschen vorhanden. Sie kann nicht als Flexionskategorie gelten, da nicht jedes Substantiv im Deutschen in den Maskulinum versetzt werden kann. 1826 Konsequenz dieser umfassenderen Rektionsauffassung Eisenbergs ist, dass sämtliche den Kasus betreffende, auf Zeichenebene observierbare Formen erfasst sind. 1827 Für die zu untersuchenden Strukturen der Belege in der Datensammlung des empirischen Teils der vorliegenden Studie sind ein gegenüber der traditionellen Kasusrektionsdefinition erweiterter Rektionsbegriff und eine Beachtung der Kongruenz notwendig. Hierfür müssen neben der Kasusrektion der Verben, welche einen Akkusativ, Dativ, Genitiv, Nominativ, einen doppelten Akkusativ, einen Akkusativ und einen Dativ oder einen Akkusativ und einen Genitiv regieren, die Kasusrektion der Adjektive, welche einen Akkusativ, Dativ oder Genitiv regieren, die Kasusrektion der Präpositionen, welche den Akkusativ, den Dativ oder den Genitiv regieren und die Kasusrektion derjenigen Substantive, die als Attribut den Genitivus subjectivus haben, die Kasusrektion der durch Nominalisierung transitiver Verben entstandenen, abstrakten Substantive sowie außerdem die Kasusrektion der Substantive, welche als Attribut einen Genitivus explicativus besitzen 1828 , anerkannt werden. Jung nennt kasusregierende Substantive mit Referenz auf Lehmann „ inalienable Substantive “ 1829 und listet drei Typen derartiger, rektions- und valenzfähiger Substantive: 1. Erstens, Substantive, die als Attribut den Genitivus subjectivus haben; 2. zweitens, die durch Nominalisierung transitiver Verben entstandenen, abstrakten Substantive; 3. drittens, die Substantive, welche als Attribut einen Genitivus explicativus besitzen. 1830 Heringer konstatiert, dass in dem Ausdruck Kennedys Untersuchung der Frage zwei valenzielle Leerstellen des Valenzträgers Untersuchung durch Genitivattribute gesättigt sind. 1831 Schierholz stellt fest, dass in Formulierungen wie z. B. dem Ausdruck die Wut auf den Lehrer, Substantive als Rektionssubstantive PPA die nachfolgende Präposition Präposition PPA regieren können. Die Abkürzung PPA steht hierbei für den Terminus Präpositionalattribut. 1832 Für die zu untersuchenden Belege der vorliegenden Studie ist die Statusrektion von Auxiliar- 1826 E ISENBERG (1994: 36 - 41); vgl. Á GEL (2000: 50, Fn. 8) 1827 Vgl. J UNG (2003: 284 f.) 1828 J UNG (2003: 284 f.) 1829 L EHMANN (1983: 361); vgl. J UNG (1995: 91) 1830 J UNG (1995: 91) 1831 H ERINGER (1996: 112) 1832 S CHIERHOLZ (2001: X, 124 f.) 350 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="351"?> verben und topikalisiersowie eliminierbaren Konjunktionen 1833 nicht relevant. Jedoch ist die Statusrektion der finiten Verben, welche eine Leerstelle für bestimmte Präpositionen, für Adjektive oder für Adverbien eröffnen, miteinzubeziehen. Zudem müssen die Statusrektion der Präpositionen, die eine Leerstelle für Adjektive, Adverbien oder Präpositionen besitzen, die Statusrektion der Adjektive, die eine Leerstelle für Präpositionen oder andere Adjektive haben sowie die Statusrektion von Substantiven, die eine Leerstelle für eine Präposition mitbringen, berücksichtigt werden. Da Satzgefüge nicht in der Beleganalyse behandelt werden, sind statusrektionale Verhältnisse in diesen an dieser Stelle nicht erwähnt. 1834 Schließlich gilt es, die Kongruenz zwischen dem grammatischen Subjekt und dem finiten Verb, die Kongruenz zwischen Substantiven oder zwischen einem Substantiv und einem Adjektiv sowie die Kongruenz als Ausdrucksmittel des Bezugs zwischen Substituens und Substituendum nach einer Pronominalisierung aufzunehmen. Das substituierende Pronomen übernimmt nämlich morphosyntaktische Merkmale des Substituendum. 1835 Da in der Beleganalyse der vorliegenden Studie nur Verhältnisse zwischen Stellungsgliedern oder anaphorisierbaren Untergliedern (s. 7.4.2.1; 7.4.2.4; 7.6) notiert werden, sind die Kongruenz zwischen dem Substantiv und dem Artikel sowie die Kongruenz zwischen Substantiv und attributivem Adjektiv 1836 nicht aufgeführt. (S. 7.4.2.3) Im Folgenden wird die Statusrektion erklärt und auf problematische Aspekte derselbigen eingegangen. 6.4.1.1 Die Kopula und Statusrektion Bech stellt eine Rektion von infiniten Verbformen vor, deren Formmerkmal er „ status “ 1837 nennt. Hierbei unterscheidet er zwischen drei Statusformen: „ wie ich zwischen den drei status unterscheide, dürfte ohne weiteres klar sein: Den ersten status finden wir bei dem ‚ reinen ‘ infinitiv (lieben) und dem part. präs. (liebend). Den 2. status finden wir bei dem infinitiv mit zu (zu lieben) sowie bei dem gerundiv (liebend). Und den 3. status finden wir beim sogenannten part. prät. (geliebt). “ 1838 Nach Bech ist die Statusrektion wie die Kasusrektion „ homonexuell “ 1839 , was bedeutet, dass das Regens und das Rektum zum selben Satz gehören. 1840 Darüber hinaus erklärt Bech hinsichtlich der Topologie von 1833 J UNG (2003: 287 ff.) 1834 J UNG (2003: 286 - 290) 1835 S CHAEDLER (2019b) 1836 J UNG (2003: 291 ff.) 1837 B ECH (1955: 12) 1838 B ECH (1955: 12 f., vgl. 17) 1839 B ECH (1955: 16) 1840 B ECH (1955: 16) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 351 <?page no="352"?> Verbpositionen, „ Verbalfelder “ 1841 genannt, dass eine Kette von hypotaktisch und damit durch Statusrektion verbundenen Verbalfeldern, aus einem oder mehreren sogenannten Kohärenzfeldern besteht. Jedes Kohärenzfeld umfasst mindestens ein Verbalfeld 1842 : „ Von zwei verbalfeldern, die zur selben hypotaktischen kette gehören, wollen wir sagen, daß sie kohärent sind, wenn sie zum selben kohärenzfeld gehören, und inkohärent, wenn sie zu zwei verschiedenen kohärenzfeldern gehören. Ein kohärenzfeld ist also eine gruppe von miteinander kohärenten verbalfeldern, von denen keins mit einem außerhalb der betreffenden gruppe befindlichen verbalfeld kohärent ist. [ … ] Es muß zwischen finiten und supinischen kohärenzfeldern unterschieden werden. “ 1843 Ein Kohärenzfeld ist finit, wenn es ein finites, zur topologisch links stehenden ersten hypotaktischen Kette im Satz gehörendes Verb enthält, z. B. das finite Kohärenzfeld er soll den Vater gebeten haben in der hypotaktischen Kette des Satzes mit zwei adjazenten Kohärenzfeldern er soll den Vater gebeten haben, den Jungen laufen zu lassen. Ein Kohärenzfeld hingegen ist supinisch, wenn es kein derartiges, der hypotaktischen Kette vorangehendes finites Verb aufweist, z. B. das zweite Kohärenzfeld den Jungen laufen zu lassen im erwähnten Beispielsatz. 1844 Aus den Beispielen Bechs zur Verdeutlichung der finiten und supinischen Kohärenzfelder ergibt sich die Regel im Schriftbild, dass verschiedene Kohärenzfelder einer hypotaktischen Kette aus einander statusregierenden Verben, durch Kommata getrennt sind 1845 , die Bech insofern bestätigt, indem er auf die rhythmische Einheit eines Kohärenzfeldes verweist. 1846 In dieser Studie werden lediglich Kopula-Prädikativ-Komplexe untersucht, welche sich innerhalb eines einzigen Kohörenzfeldes befinden und dieses wird gemäß der Terminologie und Definition Bechs als solches anerkannt. Aus diesem Grund werden linguistische Testverfahren, welche Teile des Kopula-Prädikativ-Komplexes aus der rhythmischen Einheit ausgliedern (z. B. der Paraphrasentest namens Anschlusstest) und damit das topologisch definierbare Kohärenzfeld unterbrechen, als unzulässige Perspektivwechsel des Satzes gewertet (s. 7.4.1). Bechs Statusrektion ergänzt die hier vorgestellte Theorie außerdem, da sie sich der Konzeptionen Hjelmslevs bedient, welche den inhaltlichen Aspekt sprachlicher Zeichen betonen. So erläutert Bech: 1841 Z. B. B ECH (1955: 60) 1842 B ECH (1955: 61) 1843 B ECH (1955: 62) 1844 B ECH (1955: 62) 1845 B ECH (1955: 60 f.) 1846 B ECH (1955: 61) 352 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="353"?> „ Der praktische vorteil, der unsere systematik bietet, beruht vor allem darauf, daß wir dank der neuen betrachtungsweise und der neuen terminologie bei der behandlung des infiniten verbums von rektion und kongruenz, d. h. statusrektion und statuskongruenz, sprechen können, in genauer analogie mit der terminologie der kasuslehre. Aber außerdem berechtigt uns die erkenntnis, daß die statuswahl durch rektions- und kongruenzrelationen bestimmt sein kann, zu behaupten, daß die status nichts anderes sind als morpheme. Unter dem begriffe morphem verstehe ich - im anschluß an L. Hjelmslev [ … ] - nicht ein ausdrucks-, sondern ein inhaltselement. “ 1847, 1848 Hjelmslev führt aus: „ Wenn man übersieht, daß die Funktion zwischen der grammatischen Form und den einzelnen Bedeutungen wichtiger ist als die Beziehung zwischen den letzteren, so überbewertet man diese Beziehung und führt die semantische Definition der Form selbst auf ein einfaches Repertoire von verschiedenen Bedeutungen zurück; man würde die fundamentale Bedeutung, die in der Form eingeschlossene platonische Idee, durch eine Familie verschiedener einzelner Bedeutungen ersetzen “ 1849 . Diese sogenannte in der Form eingeschlossene platonische Idee geht mit der Beschreibung Fregescher Sinne und Gedanken einher, welche in der vorliegenden Untersuchung jedoch ungeachtet einer expliziten Nachfolge der Philosophie Platons, hier durch die mathematisch fundierte Herleitung der Beschaffenheit Fregescher Begriffe und Beziehungen anhand des Beweises der Existenz und unendlichen Anzahl der Gedanken nach Dedekind gestützt ist (s. 5.6.6). Bechs Konzeption im Anschluss an Hjelmslev untermauert an dieser Stelle die einem der Fregeschen Theorie entlehnten semiotischen Modell gemäße Vorgehensweise, die Rektion als valenzielle Realisierungen in der Zeichenebene aufzufassen und eine Assoziation derselbigen mit der Valenzpotenz auf einer inhaltlichen Sinnebene anzunehmen, wobei diese Assoziation einer Entsprechung oder sogar einer Isomorphie (vgl. Isomorphismus) als Bijektion (s. u. Abb. 19) und Homomorphie (vgl. Homomorphismus) nahekommen kann, was im Folgenden erkundet wird. Jung erweitert diesen Statusrektionsbegriff Bechs darüberhinaus, indem sie einer allgemeinen Rektionsdefinition Lehmanns folgt: „ Es liegt Rektion vor, wenn ein regierendes Element (Kopf) A morphosyntaktisch eine Leerstelle für ein abhängiges Element B eröffnet. “ 1850 Derzufolge erklärt Jung: „ Wie oben angedeutet, ist die Statusrektion in dieser Arbeit anders als die bei Bech. Die hier angeführte Statusrektion wird auf die Relation zwischen zwei Elementen 1847 B ECH (1955: 17); vgl. H JELMSLEV (1938: 140 ff.) 1848 Vgl. hierzu Heringers Thesen zu Inhaltsbzw. Sinneinheiten sprachlicher Ausdrücke, für welche er den Hjelmslevschen Plerembegriff zu entlehnen versucht, s. 6.4.1.2; 6.4.2.1. 1849 H JELMSLEV (1974 [1939]: 21 f.) 1850 L EHMANN (1983: 344); vgl. J UNG (1995: 88) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 353 <?page no="354"?> erweitert, die die Rektionsdefinition [ … ] befriedigen, während bei Bech die Statusrektion nur zwischen einem infiniten Verb und einem benachbarten Verb besteht. “ 1851 Die Statusrektion umfasst nach Jungs Worten demnach nicht nur die Rektion als Verhältnis zwischen einem Wort und einem morphosyntaktischen Merkmal oder die Rektion als Verhältnis zwischen zwei verschiedenen morphosyntaktischen Merkmalen, sondern auch eine Rektion als ein Verhältnis zwischen zwei sprachlichen Elementen selbst. 1852 Jung erkennt somit eine Statusrektion zwischen den zwei Elementen bekommen und schlecht, d. h. zwischen dem Verb und dem Adjektiv in dem Satz die Arbeit bekommt ihm schlecht, wobei das Verb bekommen das Adjektiv schlecht als Kopf regiert. 1853 Jung führt außerdem eine Statusrektion von Verben an, die eine Leerstelle für eine bestimmte Präposition, ein Adjektiv, ein Adverb oder eine Konjunktion eröffnen (z. B. er besteht auf seiner Forderung; sie ist schön; der Professor denkt logisch; das Schloss befindet sich dort; ich bin da; sein Verhör ergibt, ob er gestohlen hat). Jung erwähnt zudem eine Statusrektion der Präpositionen, die eine Leerstelle für ein Adjektiv oder eine Konjunktion eröffnen (z. B. heute ist es nicht so warm wie gestern; er fragte danach, ob er reisen sollte) sowie eine Statusrektion der Adjektive, welche eine Leerstelle für eine Präposition oder ein weiteres Adjektiv eröffenen (z. B. ich bin mit meinem Buch fertig; er ist gut geartet). Schließlich listet Jung eine Statutsrektion von Substantiven, welche eine Leerstelle für eine Präposition oder eine Konjunktion eröffnen können (z. B. seine Fahrt nach München ist sehr wichtig; die Beobachtung, ob sein Freund kommt). 1854 Besonders beachtenswert ist nun, dass Jung auch spezifizierte Prädikate nennt, in welchen ein Verb ein Adjektiv regiert (z. B. die Arbeit bekam ihm schlecht). Wie obig alludiert, stellt Jung in letztgenanntem Beispiel eine Statusrektion des Verbs bekommen bezüglich des nicht-kasustragenden Adjektivs schlecht fest 1855 , die in der hier verwendeten Terminologie in Anlehnung an Wiegand kategoriale Statusrektion heißt, da die Kategorie des Rektums durch ein Verb vorgegeben wird (s. u.). Spezifizierte Prädikate werden in Zifonun et al. vorgestellt (z. B. die Nächte lagen schwer auf der Stadt; sie fuhren schnell und zufrieden nach Hause). 1856 Es handelt sich bei dem Rektionsverhältnis in Jungs spezifizierten Prädikaten nicht um eine lexikalische Statusrektion, da der komplexe Ausdruck nicht als feste Wendung im Wörterbuch eingetragen ist und auch andere Elemente derselben Kategorie als Rektum 1851 J UNG (1995: 94) 1852 J UNG (1995: 92) 1853 J UNG (1995: 83 ff., 92) 1854 J UNG (1995: 83 ff., 92) 1855 J UNG (1995: 92) 1856 Z IFONUN et al. (1997b: 707 ff.) 354 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="355"?> fungieren können (z. B. die Arbeit bekommt ihm gut). Deshalb fallen unter Umständen auch Kopula-Prädikativ-Komplexe mit sogenannten adjektivischen Prädikativen (z. B. die Arbeit bleibt beschwerlich) in die Gruppe der Strukturen mit kategorialer Statusrektion, wenn auffällige Regelhaftigkeiten in der Analyse derartiger Sätze auftreten und dies mittels Applikation linguistischer Testverfahren bestätigt werden kann. Demzufolge können theoretisch auch feste Funktionsverbgefüge mit Präpositional-, Nominativ-, Akkusativ-, Dativ- oder Genitivobjekt, die im Wörterbuch lexikographisch dokumentiert sind (z. B. er bringt das Projekt zur Vollendung; der Behälter fungiert als Wasserspeicher; der Sportler übt Verzicht; der Patient unterzieht sich einer Untersuchung) eine lexikalische Statusrektion zwischen finitem Verb und nicht kasusfähiger Präposition oder eine kategoriale Statusrektion zwischen Verb und kasusfähigem Substantiv aufweisen. 1857 Nach diesen differenzierten Ausführungen Jungs gilt es innerhalb der Rahmenbedingungen der vorliegenden Untersuchung zu erkennen, dass diese Arbeit Jungs zur morphosyntaktischen Identifikation von Rektionsverhältnissen in der Zeichenebene als unproduktiv aufgefasst werden muss, wenn eine außersprachliche 1858 logisch-semantische Valenz, entgegen Helbigs Primat der syntaktischen Valenz, nach Jung als der morphosyntaktischen Valenz vorrangig betrachtet wird und die Quantität der Argumentstellen festlegen soll 1859 . Stattdessen sollen hier die Arbeiten Jungs zu statusrektionalen Verhältnissen konstruktiv aufgenommen werden, doch keinesfalls einer Vorrangigkeit einer besonderen, außersprachlichen, (extensional) logisch-semantischen Valenz unterworfen werden, sondern als Ausgangspunkt für eine weiterführende, empirische, strukturalistisch-experimentelle und auf Beobachtung beruhende Ermittlung der syntaktischen Schichtung eines Satzes nach Helbig dienen, wodurch gemäß des Freges Theorie entlehnten semiotischen Dreiecks vom zeichenhaften sprachlichen Ausdruck zu dessen komponierter Sinnstruktur und schließlich zu dessen bezeichneter Bedeutung fortgeschritten werden kann. Wiegand kommentiert Jung kritisch, kommt jedoch mit Hilfe einer ganz anderen Argumentation zu denselben Erkenntnissen wie die Argumentation in dieser vorliegenden Studie, was zur Behandlung der Statusrektion korrigierend angemerkt werden muss. Zunächst erwähnt Wiegand, dass eine morphosyntaktisch apperzipierbare Rektion von Präpositionen, entgegen Jungs Formulierung, nicht möglich ist. Nach der von Eisenberg gegebenen Rektionsdefinition (s. 6.4.1) „ können Präpositionen als Rektum nicht auftreten, denn es kann keine Konstituente geben, die eine 1857 Vgl. W IEGAND (1996: 124 f.) 1858 J UNG (1995: 130) 1859 J UNG (1995: 135) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 355 <?page no="356"?> Paradigmenkategorie aufweist, welche die Form der Präposition festlegt. Präpositionen haben ja nur eine Form, sind unflektierbar, so daß diese synchron schon immer festgelegt ist! “ 1860 Diese Beachtung Wiegands der Formen des sprachlichen Zeichens entspricht obig angesprochener Methodik des Fortschreitens in besagtem semiotischen Dreieck. Eine Präposition weist keine Flexionsmorpheme auf und eine vereinfachende linguistische Testfrage zur Wahl einer Präposition fällt zudem im Gegensatz zur Feststellung der Kasusrektion in Satzobjekten immer auf die Präposition zurück, weswegen nicht von grammatischen Nullmorphen gesprochen werden kann (z. B. sie stellt die Vase auf den Tisch → sie stellt die Vase auf wen oder was? → auf wen oder was stellt sie die Vase? → *wen oder was stellt sie die Vase? ; sie stellt die Vase in die Kiste → sie stellt die Vase in wen oder was? → in wen oder was stellt sie die Vase? → *wen oder was stellt sie die Vase? ). Nach Eisenbergs Rektionsdefinition kann weiterhin abgeleitet werden, dass Verben den Nominativ kategorial regieren, den Kasus ihrer Objekte hingegen nach Eisenberg lexikalisch regieren. 1861 Dies wird in dieser Formulierung für diese Studie aus folgenden Gründen nicht angenommen. So ist es zutreffend, dass nach Eisenbergs Rektionsdefinition die Form des regierten Elements durch eine Paradigmenkategorie des regierenden Elements festgelegt ist, was einer Kongruenzbeziehung zwischen nominativem Subjekt und finitem Verb in einem deutschen Aussagesatz entspricht. Doch im Rahmen der vorliegenden Studie steht fest, dass ein lexikalisch-statusrektionales Verhältnis, wie jenes, mit welcher Präpositionen, die keinerlei Flexionsmorpheme aufweisen können, von nicht-deverbalen Substantiven (z. B. Recht in dem Ausdruck das Recht auf [den Garten]) regiert werden, keinesfalls mit einem Rektionsverhältnis wie jenem zwischen einem Verb und dem von ihm regierten Objekten gleichgesetzt werden kann, da die vom Verb regierten Objekte im zeichenhaften Ausdruck kategoriale Formmerkmale der Kasus, in welchen sie stehen, tragen. Dies gilt auch für die von einem Verb regierten Kasusadverbiale. Die Wichtigkeit einer Unterscheidung ist dem Primat des sprachlichen Zeichens vor seinem Sinn oder seiner Bedeutung in dieser Studie verschuldet. Diese Vorrangigkeit des sprachlichen Zeichens ist notwendig, wenn eingesehen wird, dass eine „ semantosyntaktisch motivierte Einteilung der sprachlichen Ausdrücke in relationale und absolute “ 1862 sprachliche Ausdrücke keinesfalls einfach ist oder klar begründet werden kann. 1863 Eine besondere Relationalität der Präpositionen kann nach Wiegand unmöglich 1860 W IEGAND (1996: 125) 1861 E ISENBERG (1994: 53) 1862 W IEGAND (1996: 128) 1863 Vgl. hierzu die Erklärungen zur Unterscheidung zwischen Synkategoremata und Kategoremata, s. 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3; 6.3 356 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="357"?> zurückgewiesen werden. 1864 Diese Sachverhalte wurden ausführlich diskutiert, mit dem Ergebnis, dass reine Synkategoremata im Ockhamschen Verständnis in der deutschen Sprache unter den Rahmenbedingungen der vorliegenden Studie nicht angenommen werden können (s. 6.2.3) und dass die Relationalität jedweder Sprachzeichen aus ihrer Fähigkeit, morphosyntaktische, beobachtbare, rektionale Verhältnisse oder in der Sprachpflege dokumentierte lexikalisch statusrektionale Verhältnisse nach Wiegand (s. u.) einzugehen, abgeleitet werden muss. Deshalb spielt die Pflege des Sprachsystems langue und damit die dokumentierende Grammatikschreibung sowie lexikographische Arbeit eine entscheidende Rolle bei der Feststellung der grammatischen Konventionen und der Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks. Eine sogenannte lexikalische Statusrektion wird in dieser Studie nur als solche bezeichnet, wenn die einzige Begründung dieses Rektionsverhältnisses in den Konventionen des Sprachsystems langue liegt und keine Formmerkmale, auch keine Nullmorphe, vorliegen. Ähnlich beschreibt Wiegand die lexikalische Statusrektion: „ Die hier fragliche ‚ Bindung ‘ ist daher [ … ] im Lexikon zu beschreiben. Das bedeutet mithin, daß die ‚ Bindung ‘ der Präposition PPA als die jeweiligen Status im Lexikoneintrag des regierenden Substantivs (und entsprechend im Wörterbuchartikel eines Printwörterbuches) vermerkt sein muß. Im Folgenden wird die obig gegebene Definition von Statusrektion auf kategoriale Statusrektion eingeschränkt. “ 1865 Nach Wiegand ist eine kategoriale Statusrektionsbeziehung beispielsweise folgendermaßen zu beschreibende Bezugnahme: „ Die Eigenschaft, daß Modalverben den Infinitiv ohne zu regieren, [ … ] kann an der Kategorie des Modalverbs festgemacht werden. Von der kategorialen wird die lexikalische Statusrektion unterschieden. Lexikalische Statusrektion liegt vor genau dann, wenn ein Ausdruck A für eine bestimmte syntaktische Konstruktion K, in die A als Konstituente k A eintritt, einen bestimmten anderen nicht kasusfähigen Ausdruck B fordert, der als Konstituente k B in K eintritt. Es ist zu beachten: Eine Relationalität von A ist nicht gefordert, so daß A auch nicht Leerstellen obligatorisch eröffnet. Wir können jetzt feststellen: In einer PPA-Konstruktion regiert das Vorgänger-Substantiv PPA lexikalisch die Präposition PPA als Status und z. B. sagen: In [ … ] Hoffnung auf Frieden steht Hoffnung zu auf AKK in der Beziehung der lexikalischen Statusrektion [ … ] Die ‚ Bindung ‘ von auf an das Verb hoffen kann nun ebenfalls als lexikalische Statusrektion erläutert werden. Denn immer wenn eine der beiden syntaktischen Leerstellen von hoffen mit einem präpositionalen Objekt besetzt wird, muß auf AKK letzteres einleiten “ 1866 1864 W IEGAND (1996: 133) 1865 W IEGAND (1996: 134 f.) 1866 W IEGAND (1996: 134 f.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 357 <?page no="358"?> Dabei ist die Präposition auf ebenfalls selbst nicht flektierbar, d. h. nicht morphologisch veränderbar, nicht kasusfähig und zeigt keine morphosyntaktische Markierung. Das Rektionsverhältnis zwischen Verb und seinen Objekten bzw. Kasusadverbialen hingegen kann im zeichenhaften, sprachlichen Ausdruck an morphosyntaktischen Merkmalen erkannt werden. Die sprachlichen Ausdrücke, welche die Objekte oder Kasusadverbiale des Verbs darstellen, sind kasusfähig (s. 6.4.1). Der Vorschlag Eisenbergs, die Rektion des grammatischen Subjekts im Nominativ von der Rektion der Terme in grammatischer Objektposition im Genitiv, Dativ oder Akkusativ zu unterscheiden, weil zwischen Subjekt und Verb das besondere Verhältnis der Kongruenz vorliege, wird in dieser Studie nicht angenommen, da diese Kongruenz anders erklärt wird. Aufgrund der Position des finiten Verbs als Begriff höherer Stufe innerhalb der Intensionsstruktur des deutschen Aussagesatzes kann nicht behauptet werden, dass die Konjugationsform des Verbs dem Term in grammatischer Position des Subjekts verschuldet sei, sondern umgekehrt, die Konjugationsform des Verbs regiert die grammatische Kategorie des Subjekts. Die regelhafte Kongruenz zwischen grammatischem Subjekt und finitem Verb ist damit anhand der stemmatischen Spitzenstellung des Verbs zu deuten und signalisiert lediglich, dass ein Satz immer mindestens zwei Elemente enthalten muss (s. 5.1). Dies wird als sprachliche Konvention angesehen, welche die Anschlussfähigkeit des finiten Verbs hervorhebt (s. 6.1.2; 6.7.1.2). In der vorliegenden Studie wird somit jede vom Verb ausgehende Rektion, welche das Rektum in einen bestimmten Kasus versetzt, unter die Bezeichnung Kasusrektion subsumiert. Dies betrifft die Rektion des Terms in grammatischer Subjektposition ebenso wie die Rektion der Terme in grammatischen Objekts- oder Kasusadverbialpositionen durch das finite Verb. Auch die Rektion einer morphologisch unveränderbaren Präposition, die den Kasus einer nachfolgenden Nominalphrase festlegt, heißt Kasusrektion. 1867 Dieses Rektionsverhältnis ist somit eine Kasusrektion, obwohl kein wechselseitiges Verhältnis wie im Kongruenzverhältnis besteht. Für die vorliegende Studie wird des Weiteren Wiegands Bemerkung, dass es sich bei Substantivvalenz keinesfalls um eine Valenz der gleichen Qualität wie jener der Verbvalenz handelt, zurückgewiesen. 1868 Wie hinsichtlich Eisenbergs Argumentation obig dargelegt, hat in den Rahmenbedingungen dieser Studie das finite Verb als Valenzträger lediglich deshalb einen besonderen Status, da es in seiner Eigenschaft als handlungs-, zustands- oder vorgangsbeschreibend primär satzbildend ist und demzufolge als Kopf des Satzes gilt (s. 6.7.1.2). In der vorliegenden Studie werden zudem die Termini Kasusrektion, kategoriale 1867 S CHIERHOLZ (1998: 73) 1868 W IEGAND (1996: 136) 358 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="359"?> Statusrektion, Kongruenz, Paradigmenkategorie und Flexion verwendet, um Beobachtungen auf der Zeichenebene zu beschreiben. Weiterhin wurde obig mit Hilfe Freges Begriffs- und Beziehungstheorie sowie der Erläuterungen zu den Termini Kategorema und (logisches) Prädikat hergeleitet, dass jedes Sprachzeichen, welches in einen Aussagesatz eingebunden ist, unter Umständen als Begriff oder Beziehung nach Frege fungieren kann. Damit wurde in obigem Absatz begründet, dass es sich bei der Theorie zu den Argumentstellen im logischen Begriff bzw. in der logischen Beziehung in jedem Fall um eine lexikalistische Theorie handeln muss (s. 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3), da die gesättigten Begriffe und Beziehungen Bedeutungen in der extensionalen Bedeutungsebene, d. h. kategorematische Bedeutungen in der Terminologie Ockhams oder Hentschels/ Weydts oder lexikalische Bedeutungen in der Terminologie Schafroths sowie Wahrheitswerte bezeichnen 1869 . Deshalb ist die Wahrnehmung Eisenbergs, eindeutige Kasusrektionen wie z. B. die Rektion eines Verbs gegenüber einem Objekt in einem bestimmten Kasus als lexikalisch zu verstehen, durchaus nachvollziehbar, wenn auch seine Terminologie in der vorliegenden Studie aus den dargelegten Gründen nicht übernommen wird. Eine kategoriale Statusrektion oder eine Kasusrektion können demnach gemäß der Argumentation vorliegender Untersuchung ebenfalls als lexikalistisch deskribiert angesehen werden, da die Valenzrealisierungen dieser Rektionen die Sinne einzelner sprachlicher Elemente in der vollständigen Sinnstruktur als einer Art der Zerlegung des sprachlichen Ausdrucks offenlegen, wobei die vollständigen Sinne als Gedanken Bedeutungen bezeichnen. Demzufolge ist gemäß der in der vorliegenden Studie erarbeiteten Theorie die Rektionspotenz jeglicher Rektionsrealisierung lexikalisch motiviert, ungeachtet dessen, ob es sich um lexikalische oder kategoriale Statusrektion oder um Kasusrektion handelt, da diese als Valenzpotenz auf Begriffsebene in eröffneten Argumentbzw. Leerstellen angelegt und damit im Sinn, d. h. im begrifflichen Gehalt (auch: lexikalischer Inhalt) der Sprachzeichen manifest ist. Es handelt sich also um eine terminologische Unklarheit, die aufgelöst werden kann, indem zuerst die Terminologie Ockhams, Hentschels/ Weydts sowie Schaftroths diesbezüglich außer Acht gelassen wird, da diese Terminologie einigen, in dieser Studie zurückgewiesenen Aspekten der Ockhamschen Signifikations- und Denotationsbzw. Suppositionstheorie entlehnt und damit von Letztgenannter geprägt ist. Außerdem entsteht durch Wiegands Terminologie in dieser Studie eine Überschneidung von inhaltlicher, d. h. grundsätzlich lexikalisch motivierter Rektionsbzw. Valenzpotenz und jener Teilmenge der Sta- 1869 Hier ist wohlgemerkt das Verb bezeichnen, nicht das Verb behaupten eingesetzt. 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 359 <?page no="360"?> tusrektion, die unter der Benennung lexikalische Statusrektion von der kategorialen Statusrektion sowie der Kasusrektion abgegrenzt wird. Da in der vorliegenden Studie zwischen Sinn und Bedeutung sowie Valenzpotenz und Valenzrealisierung unterschieden wird, ist diese Benennung lexikalische Statusrektion im präsentierten theoretischen Rahmen folglich etwas undifferenziert, da, wie erwähnt, in der hier vorliegenden Studie jedes Rektionsverhältnis in der inhaltlichen Sinnebene wiedergegeben ist und damit eine lexikalische Rektion im wortwörtlichen Sprachgebrauch ist, obwohl einzelne Rektionsverhältnisse verschieden benannt werden können. Die weitere Auflösung der terminologischen Undifferenziertheit kann aus Wiegands eigener Publikation abgeleitet werden, in welcher er die notwendige Dokumentation der lexikalischen Statusrektion in Wörterbüchern betont. Dennoch wird auch in den vorliegenden Rahmenbedingungen dieser Untersuchung die Teilmenge der Rektionen, die unter den Fachbegriff lexikalische Statusrektion fallen, weiterhin so benannt und kein eigener Terminus, z. B. der Terminus *lexikographische Statusrektion, entworfen, da der Fachterminus lexikalische Statusrektion bereits konventionalisiert ist. Stattdessen soll es als ausreichend erachtet werden, dass auf diese terminologische Überschneidung unter den in dieser Studie gegebenen Rahmenbedingungen hingewiesen wurde. Resümierend ist noch einmal zu konstatieren, dass Eisenbergs Terminologie, welche besagt, dass Verben den Nominativ kategorial regieren und ihre kasusfähigen Objekte lexikalisch regieren 1870 , wie bereits erwähnt, für die vorliegende Studie unbrauchbar und verworfen ist. Ebenso ist Wiegands Bemerkung, dass es sich bei Substantivvalenz keinesfalls um eine Valenz der gleichen Qualität wie jener der Verbvalenz handelt, wie obig angesprochen, im Rahmen dieser Studie nicht haltbar 1871 , da auf der Sinnebene speziell gemäß dieser Studie alle valenziellen Argumentstellen als gleichartig gelten. Der Beitrag Wiegands besteht darin, dass er eine lexikalische Statusrektion insbesondere von nicht deverbalen und nicht deadjektivischen Substantiven, die Präpositionen regieren, anspricht (z. B. Recht auf; Appetit auf; Einfluss auf; Monopol auf/ für; Rezept für). 1872 Um eine lexikalische Statusrektion von Substantiven zu erkennen, sind umfangreiche wissenschaftliche Studien und Testverfahren notwendig, die eine Abgrenzung von Präpositionalattributskonstruktionen mit statusregierter Präposition u. a. von attributiven adverbialen Bestimmungen (z. B. in diesem Käfig in dem Beispielausdruck der Vogel in diesem Käfig) ohne statusrektionalem Verhält- 1870 E ISENBERG (1994: 53) 1871 W IEGAND (1996: 134 f.) 1872 W IEGAND (1996: 128 - 139); vgl. S CHIERHOLZ (2001: 131 - 184) 360 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="361"?> nis 1873 bezüglich der Präposition ermöglichen und die in Schierholz ’ Publikation 1874 gründlich nachvollzogen werden können. Schierholz fasst zusammen: „ Danach kann die oben verwendete Redeweise, daß das Vorgängersubstantiv PPA die P PPA regiert und daß die P PPA die Nachfolger-NP PPA regiert, aufrecht erhalten werden, läßt sich aber dadurch präzisieren, daß man sagt, daß ‚ das Vorgängersubstantiv PPA lexikalisch die Präposition PPA als Status ‘ regiert - also eine lexikalische Statusrektion vorliegt - und daß die P PPA zu der Nachfolger-NP PPA in einer Kasusrektion steht, weil die P PPA den Kasus der Nachfolger-NP PPA festlegt “ 1875 . Wiegand merkt hinsichtlich derartiger Fälle an: „ Die Eigenschaft von Präpositionen, einen obliquen Kasus (oder ggf. mehrere, wie z. B. auf und entlang) regieren zu können, muß [ … ] pro Präposition im Lexikon angegeben werden. Bei Präpositionen liegt daher lexikalische Rektion vor. “ 1876 In der vorliegenden Untersuchung wird aufgrund der größeren Klarheit an dieser Stelle Schierholz ’ Terminologie verwendet, welche die Rektion der Präposition einer nachfolgenden Nominalphrase als Kasusrektion bezeichnet. Gegenüber Wiegand kann angemerkt werden, dass die erarbeitete Theorie der vorliegenden Studie ohnehin jede Rektion als lexikalisch, da als im Intentionalität ausübenden intensionalen Begriff und seinem begrifflichen Gehalt (auch: lexikalischer Inhalt) angelegt, auffasst. Wenn Wiegand allerdings den vollständigen komplexen Ausdruck (z. B. das Recht auf AKK etwas [z. B. den Garten]) in einem Wörterbucheintrag dokumentieren möchte, so muss selbstverständlich die Rektion des Akkusativs durch die Präposition als lexikalische Statusrektion festgehalten und die Rektion eines Dativs durch die Präposition auf (z. B. das Recht auf DAT den Seewegen) ausgeschlossen werden. Dennoch handelt es sich bei der Rektion der Präposition auf in dem Ausdruck das Recht auf etwas [z. B. den Garten] faktisch 1877 um eine Kasusrektion, die jedoch zusätzlich als lexikalische Statusrektion verzeichnet ist. Es darf nicht übersehen werden, dass im Gegensatz zu einer reinen lexikalischen Statusrektion die Anschlussmöglichkeiten in derartigen Konstruktionen bereits durch die Kasusrektion der Präposition stark eingeschränkt sind. So ist es unter keinen Bedingungen möglich, Ausdrücke wie z. B. *das Recht auf zu schwimmen oder *das Recht auf des Gartens, zu bilden. In der vorliegenden Studie wird demnach diese durch die Präposition vorangelegte und schließlich ausgeführte Kasusrektion nicht übergangen und als solche benannt. (S. 7.3.2; 7.3.3) Wiegand besteht darauf, dass ein Syntagma wie z. B. Hoffnung auf dennoch kein eigenständiger Lexikoneintrag 1873 Vgl. W IEGAND (1996: 133) 1874 S CHIERHOLZ (2001: 131 - 184) 1875 S CHIERHOLZ (1998: 73); vgl. W IEGAND (1996: 123 - 139) 1876 W IEGAND (1996: 124) 1877 Das Wort faktisch ist hier nicht im Sinne Ashers (A SHER (1993)) gebraucht. 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 361 <?page no="362"?> wie z. B. die Formulierungen bei jemandem einen Stein im Brett haben oder achten auf ist, da eine eigenständige lexikalische Bedeutung nicht gegeben sei. 1878 Dieser Anmerkung wird in der Beleganalyse der vorliegenden Studie insofern Rechnung getragen, als zum untersuchten Valenzträger eine Koordinationsvalenz X (KV X ) ermittelt wird, die in der Intensionsstruktur nicht mit einer anderen Koordinationsvalenz Y (KV Y ) α -äquivalent bezüglich des Valenzträgers sein darf. Die Entscheidung darüber, ob je KV ein eigener Lexikoneintrag veranschlagt werden sollte, bleibt aber an dieser Stelle der Fachwissenschaft der Lexikographie überlassen (s. 6.6; 7.4.2.1; 7.6; 7.6.2). Schließlich stellt Wiegand fest, dass statusrektionale Verhältnisse aufgrund eines einschiebbaren Genitivattributs (z. B. der Schülerin) oder einschiebbarer Spezifizierer (z. B. zumindest) in einem Exempel wie dem Satz die Skepsis der Schülerin zumindest gegen dieses Beispiel war groß, nicht nur zwischen adjazent stehenden Elementen stattfinden können 1879 , was für die vorliegende Untersuchung akzeptiert wird, da zahlreiche überzeugende Beispiele nennbar sind, und ohnehin die vertikale Perspektive valenztheoretischer Ansätze auf den Aussagesatz bzw. das Kohärenzfeld sowie die dadurch ermittelbare syntaktische Schichtung eines Aussagesatzes oder Kohärenzfeldes eine strikt horizontal orientierte Betrachtungsweise des sprachlichen Ausdrucks überlagern (s. 5.8.2; 5.8.3). Im Folgenden sind für weiterführende Studien einige Hinweise zur Statusrektion gegeben, welche keine praktische Anwendung in der vorliegenden Studie finden, da derartige rektionale Verhältnisse in der Datensammlung des zu untersuchenden Sprachmaterials nicht vorkommen. So gibt Wiegand zudem an, dass Modalverben im traditionellen Sinn in Sätzen (z. B. er kann laufen; er darf laufen) gute Beispiele für kategoriale Statusrektion seien, da sie den Null- Infinitiv als Status regieren. 1880 Als statusregierend in ihrer Funktion als Auxiliarverben oder als Vollverben nennt Jung auch die als Kopulaverben fungierenden Verben sein, werden, bleiben und die kopulaähnlichen Verben aus der Gruppe der Wahrnehmungsverben sowie aus der Gruppe der Verben, welche den zu-Infinitiv anschließen (z. B. scheinen; bleiben). 1881 Es kann konstatiert werden, dass die Kopula und einige kopulaähnliche Verben kategoriale Statusrektion gemäß der Terminologie Wiegands ausüben (z. B. die Schaffnerin Eurykleia ist eine ältere Dame; Odysseus ist verbannt; das Schiff ist gesunken; die Göttin Kirke ist arbeiten; der Freund Elpenor ist zu suchen). 1882 Des Weiteren 1878 W IEGAND (1996: 134 f.) 1879 W IEGAND (1996: 120) 1880 W IEGAND (1996: 131) 1881 J UNG (1995: 94 - 101) 1882 Vgl. J UNG (1995: 94 f., 99) 362 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="363"?> nennt Jung eine Statusrektion von Auxiliarverben (z. B. ein Blitz ist aus den Wolken gefahren; ich werde es schaffen; sie scheint ihn zu besuchen; das Tor bleibt verschlossen) und eine Statusrektion von finiten und infiniten Satzkonstruktionen, welche mit einer Konjunktion eingeleitet sind (z. B. [ … ], als ich das Buch gelesen habe; [ … ], um ihn zu sehen). 1883 Auch andere Grammatikbeschreibungen greifen die Statusrektion Bechs auf. Choi untersucht und beschreibt die kohärente Konstruktion mit einer statusregierenden Kopula als basisgenerierte monosententiale Konstruktion in einem Kohärenzfeld nach der Terminologie Bechs im Rahmen der Prinzipien- und Parametertheorie mit Hilfe der Unifikationsanalyse Haiders. 1884 Zur Beschreibung der Argumentstruktur bedient sich Haiders Unifikationsanalyse 1885 in diesem Zusammenhang Bierwischs Einbindung des λ -Operators als semantische Repräsentation, welche am Beispiel Geists Monographie 1886 (s. 4.2.1; 6.4.2.1) kurz vorgestellt und u. a. aus dortig genanntem Grund, nämlich der variierenden Applikation des λ -Abstraktionsoperators Churchs, für eine Einbeziehung in die vorliegende Untersuchung ausgeschlossen wurde. Chois Monographie ist an dieser Stelle demzufolge nicht relevant, da die Definition eines Kohärenzfeldes nach Bech hier anerkannt wird und nicht im Rahmen einer Prinzipien- und Parametertheorie oder im Zusammenhang mit Bierwischs Applikation eines λ -Operators gerechtfertigt werden muss. Die Dudengrammatik nennt eine der Statusrektion entsprechende sogenannte Infinitrektion und beschreibt diese als Rektion einiger Verben und Verbvarianten, die sich mit einer Infinitform, z. B. dem Infinitiv oder dem Partizip, verbinden. Hierbei gliedern sich die regierenden Verbvarianten entsprechend der infiniten Form, welche sie regieren, in folgende drei Gruppen: 1. Erstens Verbvarianten, die sich mit dem Partizip II verbinden (z. B. haben; sein; werden; bekommen); 2. zweitens Verbvarianten, die den reinen Infinitiv regieren, d. h. Modalverben (z. B. werden; bleiben; haben; finden; machen; lassen) sowie Wahrnehmungsverben (z. B. sehen; hören; fühlen; spüren); 3. drittens, Verbvarianten, die den Infinitiv mit dem Element zu fordern (z. B. haben; sein; scheinen; pflegen; wissen). Diese Verben haben gemäß der Dudengrammatik „ auf die syntaktisch-semantische Valenz des Verbalkomplexes keinen Einfluss “ 1887 und fungieren als Perfekthilfsverben, als modaltemporale Hilfsverben und als Modalsowie Modalitätsverben, werden 1883 J UNG (1995: 83 ff., 92) 1884 C HOI (2000: 10 f., 19 f., 44ff, 47 ff., 138 ff.) 1885 H AIDER (1991); H AIDER (1993); H AIDER (1994) 1886 G EIST (2006) 1887 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 434) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 363 <?page no="364"?> jedoch nach der Dudengrammatik von Verben der Passivbildung als auch von Kausativverben abgegrenzt 1888 , da diese drittens genannten Verbvarianten nach der Dudengrammatik „ zusätzlich zur modalen Charakterisierung die Valenzeigenschaften und eventuell die Aktionsart oder Aktionalität des Verbalkomplexes [beeinflussen] “ 1889 . Die Abgrenzung ist also durch semantische Aspekte motiviert, welche unter einer Berücksichtigung der Fregeschen Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung betrachtet werden müssen. Undifferenzierte semantische Aspekte können deshalb im Rahmen dieser vorliegenden Studie nicht miteinbezogen werden, weswegen an dieser Stelle die Verben der Passivbildung und die Kausativverben ebenfalls zu den infinitregierenden Verben in der Terminologie der Dudengrammatik gezählt werden. Auch die Dudengrammatik nennt somit die Kopulae, kopulaähnliche Verben und Wahrnehmungsverben (z. B. sein; werden; bleiben; scheinen) als Verben, welche die Fähigkeit besitzen, eine Infinitrektion, die der Statusrektion entspricht, auszuüben. Aus vorangehenden Reflexionen resultiert, dass unter den Rahmenbedingungen der vorliegenden Untersuchung sämtliche Rektionspotenzen bzw. Valenzpotenzen als Argumentstellen logischer Begriffe und Beziehungen auf Sinnebene anzuerkennen sind, weswegen abschließend zu konstatieren ist, dass sich für die Entsprechung zwischen Rektion im obig dargelegten Verständnis und Valenzpotenz als Argumentstellen logischer Begriffe und Beziehungen auf Sinnebene tatsächlich eine Isomorphie, d. h. eine Bijektion (s. u. Abb. 19) und eine Homomorphie 1890 , ergibt. In der Beleganalyse der vorliegenden Studie werden die vom verbalen Valenzträger ausgehenden Rektionen, darunter auch die lexikalische Statusrektion, anhand der gewählten Methodik empirisch am Sprachmaterial ermittelt. Dabei wirken Wörterbucheinträge ausschließlich indirekt auf das Untersuchungsergebnis ein, indem sie einen Teil des zu untersuchenden Sprachmaterials einbringen (s. 7.1). 6.4.1.2 Die Grammatizität und ‚ Sinnvolligkeit ‘ des sprachlichen Ausdrucks Nachdem im vorangehenden Abschnitt erörtert wurde, dass es sich bei der Theorie der valenziellen Argumentstellen um eine lexikalistische Theorie 1888 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 433 f.) 1889 D UDENREDAKTION (Hrsg. 2016: 434) 1890 Zu den Fachtermini Bijektion, Isomorphismus und Homomorphismus i. d. Mathematik, s. z. B. V ERLAG H ERDER (Hrsg. 1975: 41, 92, 102) 364 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="365"?> handelt, in welcher valenzielle Argumentstellen bzw. Valenzpotenzen sämtlicher Rektionsverhältnisse auf inhaltlicher Sinnebene nach Frege gleichermaßen repräsentiert sind, gilt es auf die Komposition und Grammatizität in Bezug zu dieser Sinnvolligkeit 1891 selbst einzugehen. Chomsky erklärt: „ the notion ‚ grammatical ‘ cannot be identified with ‚ meaningful ‘ or ‚ significant ‘ in any semantic sense. Sentences (1) and (2) are equally nonsensical, but any speaker of English will recognize that only the former is grammatical. (1) Colorless green ideas sleep furiously. (2) Furiously sleep ideas green colorless. Similarly, there is no semantic reason to prefer (3) to (5) or (4) to (6), but only (3) and (4) are grammatical sentences of English. (3) have you a book on modern music? (4) the book seems interesting. (5) read you a book on modern music? (6) the child seems sleeping. “ 1892 Nach Chomsky ist somit Grammatizität vollständig von Sinnvolligkeit oder Signifikation unabhängig. Die Grammatizität bzw. Wohlgeformtheit eines zeichenhaften Ausdrucks ist umgekehrt deshalb nach Chomsky kein Garant für eine Sinnvolligkeit oder Signifikation. Einen Beweis dafür, dass grammatikalisch richtig gebildete Sätze, z. B. der Satz colorless green ideas sleep furiously sinnlos oder ohne Signifikation sind, kann Chomsky nicht liefern, stattdessen ist dieser Satz sowie sein Inhalt jedem kompetenten Sprecher der englischen Sprache intelligibel. (S. 5.6.5; 5.6.6; 6.2.2; 6.2.3). 1893 Ungeachtet dieser Intelligibilität begründet Chomsky eine gelingende Kommunikation zwischen Sender und Empfänger mit Verweis auf die von ihm angenommene Tiefenstruktur, wobei diese Tiefenstruktur im semiotischen Modell nach Frege als extensionale Denotationsebene oder ihre mentale Repräsentation verstanden werden kann, woraus sich Probleme ergeben können, da das Weltwissen oder eine durch eine Grammatiktheorie vorgegebene Tiefenstruktur demnach Inhalte von zeichenhaften Ausdrücken zu interpretieren und damit auch zu determinieren oder zu restringieren haben. 1894 Eine ähnliche Theorie wie Chomsky vertritt Husserl. Betreffs grammatikalisch richtig gebildeter sprachlicher Ausdrücke, korrekter morphosyntaktischer Formung und ihrem Verhältnis zur Sinnkonstitution auf Sinnebene bzw. zur Bedeutung auf Bedeutungsebene ist Nachfolgendes zur Theorie Husserls anzumerken. 1895 (S. 5.8.3; 6.4.2.1) Husserl plädiert für eine Distinktion von sinnlosen und widersinnigen 1891 Der Terminus Sinnvolligkeit soll eine Substantivierung des Adjektivs sinnvoll in Anlehnung an die Wortformen sinnlos und Sinnlosigkeit verkörpern und grenzt sich von Sinnvollheit im Sinne von Sinnhaftigkeit ab. 1892 C HOMSKY (1976: 15) 1893 Zur Intentionalität von Begriffen in grammatikalisch wohlgeformten Ausdrücken, s. 5.6.4; 5.7.1; 6.2.2; 6.2.3. 1894 Zur Diskussion der Tiefenstruktur nach Chomsky, s. 6.5. 1895 Vgl. H ERINGER (1973: 144 f.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 365 <?page no="366"?> sprachlichen Ausdrücken. 1896 Diese Unterscheidung, die sich ebenfalls auf die Grammatizität und Sinnvolligkeit eines sprachlichen Ausdrucks bezieht, wird für die vorliegende Studie nicht übernommen, was im Folgenden begründet wird. Nach Husserl, dessen Terminologie im Rahmen seiner eigenen theoretischen Überlegungen interpretiert und verstanden werden muss, wird der Ausdruck widersinnig gemäß seines Wortgebrauchs mit dem Ausdruck falsch gleichgesetzt, unter Umständen die Widersinnigkeit sogar als Steigerung der Falschheit angesehen 1897 , Bedeutung als gleichbedeutend mit Sinn aufgefasst 1898 und als „ bedeutungsloser oder sinnloser Ausdruck “ 1899 gilt nach Husserl ein ungrammatischer Ausdruck, z. B. „ Grün ist oder “ 1900 , welcher nach Husserl gar kein Ausdruck ist. 1901 Heringer distanziert sich ausdrücklich von einer derartigen Gleichsetzung der Widersinnigkeit mit Falschheit (s. 6.4.2.1). Zunächst erläutert Husserl in Anlehnung an Marty 1902 in nachvollziehbarer Weise, dass grammatische Ausdrücke wie die Formulierung rundes Viereck nicht als sinnlos bezeichnet werden sollten. Grammatische Ausdrücke wie die Formulierung rundes Viereck sind demnach bei Husserl nicht sinnlos, sondern widerspruchsvoll 1903 , und er konstatiert: „ Unter einem urtheilslosen Gerede meinen wir offenbar nicht ein solches wo das Urtheilen fehlt, sondern, wo es nicht aus eigener und verständiger Erwägung hervorgegangen ist. Auch die als Absurdität (Widersinn) verstandene ‚ Sinnlosigkeit ‘ constituiert sich im Sinn. Es gehört zum Sinn des widersinnigen Ausdrucks, objectiv Unvereinbarliches zu meinen. “ 1904 Obwohl Husserl nun erklärt hat, dass er widersinnige Ausdrücke als nicht sinnlose Ausdrücke versteht, ergibt sich jedoch potentiell eine Verkehrung. Marty verwendet hier die gegenüber der Husserlschen Beschreibung als widersinnig und als nicht sinnlos treffendere und weniger missverständliche Formulierung, diese grammatikalisch richtig gebildeten Ausdrücke (z. B. rundes Viereck) seien nach Marty durchaus explizit sinnvoll, nur nicht vernünftigen Sinnes. 1905 Ein sinnloser Ausdruck ist also nach Husserl ein ungrammatischer 1896 H USSERL (1901: 67) 1897 H USSERL (1901: 132); Anm.: Im streng logischen Verständnis gibt es keine Steigerung von dem Prädikat falsch. 1898 H USSERL (1901: 52) 1899 H USSERL (1901: 54) 1900 H USSERL (1901: 54) 1901 H USSERL (1901: 54) 1902 M ARTY (1895: 80 f.) 1903 H USSERL (1901: 55) 1904 H USSERL (1901: 67) 1905 M ARTY (1895: 80 f.); vgl. H USSERL (1901: 55) 366 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="367"?> Ausdruck, doch ein grammatischer Ausdruck wie die Formulierung rundes Viereck, die inhaltlich Ungewöhnliches ausdrückt, ist nach Husserl nicht sinnlos und widersinnig. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, weshalb nach Husserls Distinktion und Erklärung schließlich grammatische Ausdrücke nicht regelhaft sinnvoll genannt werden können, so dass die Grammatizität als Kriterium für die Richtigkeit und Sinnvolligkeit eines sprachlichen Ausdrucks schließlich völlig zurücktritt. Beide Formulierungen, die Formulierung, dass der grammatikalisch falsch gebildete Ausdruck sinnlos ist 1906 sowie die Formulierung, dass grammatikalisch richtig gebildete, widersinnige Ausdrücke nicht sinnlos sind 1907 , werden von Husserl herangezogen. Husserl verwendet in seiner Distinktion wohlgemerkt nicht die Formulierungen nicht sinnvoll oder sinnvoll. Das Problem einer Verkehrung erscheint, wenn nun der Frage nachgegangen wird, was dann ein sinnvoller Ausdruck sei. Für den kompetenten Sprachteilnehmer kann beim Lesen Husserls Werk der Schluss gezogen werden, dass der Ausdruck nicht sinnlos mit dem Ausdruck sinnvoll und der Ausdruck nicht sinnvoll mit dem Ausdruck sinnlos in einem Entsprechungsverhältnis steht, insbesondere dann, wenn Husserl auch den Ausdruck widerspruchsvoll als gleichbedeutend mit dem Ausdruck widersinnig verwendet 1908 , so dass eine Entsprechung der Ausdrücke nicht widersinnig und widerspruchslos oder der Ausdrücke nicht sinnlos und sinnvoll naheliegt. Zunächst wird Husserls Definition betrachtet, die besagt, dass widersinnige Ausdrücke nicht sinnlose Ausdrücke sind 1909 . Die Widersinnigkeit nach Husserl betrifft somit ungrammatische, sinnlose Ausdrücke nicht. Es folgt mit der Voraussetzung, dass der Ausdruck nicht sinnlos mit dem Ausdruck sinnvoll in einem Entsprechungsverhältnis steht und dass der Ausdruck sinnvoll dem Ausdruck widersinnig entsprechen kann, was bereits eine Verkehrung ist. Setzt man nun Husserls Voraussetzung, dass das Adjektiv widersinnig gemäß seinem Wortgebrauch mit dem Adjektiv falsch 1910 assoziiert wird, ein, so folgt darüber hinaus, dass das Adjektiv sinnvoll mit dem Adjektiv falsch in einem Entsprechungsverhältnis steht. Dies ist auch nach einer andersartigen Denkweise das Ergebnis: So ist ein sinnvoller Ausdruck in einem Argumentationsmuster eines kompetenten Sprechers ein nicht sinnloser Ausdruck, was mit Husserls Voraussetzung, ein sinnloser Ausdruck sei nicht mit einem widersinnigen Ausdruck gleichzusetzen, dazu führt, dass ein nicht sinnloser Ausdruck sehr wohl einem widersinnigen Ausdruck, dass ein sinnvoller Ausdruck einem widersinnigen 1906 H USSERL (1901: 54) 1907 H USSERL (1901: 55) 1908 H USSERL (1901: 55, 67) 1909 H USSERL (1901: 55) 1910 H USSERL (1901: 132) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 367 <?page no="368"?> Ausdruck und demzufolge, dass ein sinnvoller Ausdruck einem falschen Ausdruck entsprechen könnte, womit wiederum obige Verkehrung erzeugt ist. Zusätzlich zu diesen Unstimmigkeiten bzw. Unschärfen und nach Frege zudem nicht hinreichenden Differenzierungen 1911 vollzieht Husserl außerdem keine Unterscheidung zwischen Sinn und Bedeutung 1912 , sondern geht von einer direkten Referenz sprachlicher Zeichen in die extensionale, außersprachliche Wirklichkeit aus woraufhin sich die Problematik auf bedeutungsvolle oder nicht bedeutungslose sprachliche Ausdrücke überträgt. 1913, 1914 Aus diesen Gründen wird festgestellt, dass sich aus der Husserlschen Distinktion zwischen sinnlosen und widersinnigen Ausdrücken sowie der Verwendung dieser Termini für die Beschreibung und Einordnung natürlichsprachlicher Ausdrücke inakzeptable theoretische Inkohärenzen oder Verwirrungen ergeben können und dass stattdessen die morphosyntaktische Valenzrealisierung idealiter grammatikalisch richtig gebildete sprachliche Ausdrücke verwirklicht, die einen zusammengesetzten, vollständigen Sinn und eine intelligible inhaltliche Komposition der Konnotationen von Sprachzeichen konstituieren. 1915 Sinnvolligkeit sprachlicher Ausdrücke erfordert somit in Übereinstimmung mit Marty denkbarerweise ausschließlich Grammatizität und damit die Sättigung von Argumentstellen sowie frei besetzbaren Positionen in der Satzstruktur mit Wortformen, die probate morphosyntaktische Qualitäten aufweisen. 1916 In nachfolgendem Zitat erwähnt Jung die Rolle der Syntax, die primär für die sprachliche Zeichenkombination, deren Regeln und die Intelligibität von sprachlichen Äußerungen insbesondere in der Schriftsprache verantwortlich ist: „ Geschriebene Sprache muß demgegenüber so gestaltet werden, daß sie auch unabhängig von den konkreten Situationsbedingungen eindeutig verstanden wird. [ … ] Die Zeichenkombination ist Gegenstand der Syntax. Die Syntax beschäftigt sich also mit den Gesetzmäßigkeiten, Regeln und Mustern, nach denen einzelne Sprachzeichen kombiniert werden, und mit den Zeichenverbindungen selbst. “ 1917 Die Relevanz der morphosyntaktischen Wohlgeformtheit als wesentliches Kriterium zur Komposition von Sprachzeichen und die Unterscheidung von Assertionsmoment zwischen grammatischem Subjekt und grammatischem 1911 Vgl. F REGE (2001 [1892 - 1895]: 33) 1912 H USSERL (1901: 52); s. a. Husserls Ausführungen zu den sog. Bedeutungserlebnissen (H USSERL (1901: 97 - 105, Viertes Kapitel)). 1913 H USSERL (1901: 52, 54) 1914 Vgl. hierzu die Ausführungen zu Wittgensteins Erläuterungen, s. 5.6.5. 1915 Vgl. I CKLER (1985: 367 f.) 1916 Vgl. H ENTSCHEL / W EYDT (2013: 15) 1917 J UNG (1984: 28) 368 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="369"?> Prädikat sowie derjenigen Relationen, welche in der Syntax zwischen den Wortformen entstehen, arbeitet auch Baum heraus: „ Der Kopulabegriff - verstanden als ‚ Assertationsfunktion ‘ oder ‚ Behauptungsmoment ‘ - wäre aber nur ein Sonderfall der Erscheinung, die Tesnière als connexion bezeichnet und die hier als Relation bezeichnet wird. Wie in der Urteilslehre die ‚ Kopula ‘ den Subjekts- und Prädikatsbegriff voraussetzt, so setzt der Begriff der Relation denjenigen der Kategorie voraus. Auf die Gegebenheiten der Sprache zugeschnitten könnte gesagt werden, daß der Begriff der Relation denjenigen der ‚ Wortklasse ‘ zur Voraussetzung hat “ 1918 Hierbei signalisiert der Assertionsmoment der traditionellen Urteilslehre ein existierendes außersprachliches Denotat oder den extensionalen Wahrheitswert wahr (w 2 ) einer Proposition, während die gewöhnliche Relation (frz.: connexion) zwischen den Wortformen durch die Lehre von den Kategorien und Wortklassen in erster Linie den Regeln der Syntax unterworfen ist, ungeachtet einer Bedeutung in Abgrenzung des mittels der Grammatizität oder Wohlgeformtheit entstandenen Sinns des Ausdrucks. 6.4.2 Logisch-semantische Valenz Der Fokus auf die logisch-semantische Valenz lenkt eine Betrachtung der Valenzstruktur auf den Begriff, die Beziehung oder diejenigen Eigenschaften des Valenzträgers, welche er mit einem logischen Prädikat oder einer mathematischen Funktion teilt. Meinhard erklärt zu Beginn seines Aufsatzes zur logischen und semantischen Valenzebene: „ Die Grundidee des Konzeptes der logischen und semantischen Valenz ist: (1) Der Inhalt von Satzbedeutungen besteht in der Beschreibung von Sachverhalten (oder von Situationen als Sachverhalten); (2) Sachverhaltsbeschreibungen haben die Struktur von Propositionen, die formallogisch als Prädikat-Argument-Strukturen darstellbar sind “ 1919 . Wie untig referiert wird, ist eine Auffassung der logisch-semantischen Valenz anhand einer der Prädikatenlogik entlehnten Notation durch zwei Entwicklungen vorgezeichnet ((i), (ii)): (i) Erstens, die Unterscheidung zwischen einer extensional und einer intensional verstandenen logisch-semantischen Valenz, d. h. einer außersprachliche Aspekte modellierenden Valenz und einer innersprachlich verstandenen Valenz; 1918 B AUM (1976: 28 f.) 1919 M EINHARD (2003: 399) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 369 <?page no="370"?> (ii) zweitens, der Versuch einer Untergliederung der extensionallogischsemantischen Valenz in eine logische und eine semantische Valenzebene. Hierbei gestaltet sich letztgenanntes Unterfangen der Abspaltung einer semantischen Valenzbeschreibung (ii) problematisch, da es sich bei diesen beiden vorgeschlagenen Valenzebenen um Deskriptionsmodelle ein- und derselbigen Dimension von Valenz handelt, mit dem einzigen Unterschied, dass die Valenzbeschreibungen notationell verschieden dargestellt werden und dass die an dieser Stelle fachterminologisch sogenannte semantische Valenz dabei restriktiver vorgeht, weitere Details der Bedeutung abdeckt und die Bildung von Ausdrücken, welche extensional falsch (f 2 ) sind oder die nicht (materiell) existente bzw. unter bestimmten theoretischen Voraussetzungen nicht rechtfertigbare Sachverhalte denotieren, unterbinden möchte. Die verschiedenen notationellen Repräsentationen dieser zwei angesetzten Valenzebenen äußern sich in einer Funktionenschreibweise für logische Prädikate, welche bei Sättigung ihrer Argumentstellen extensional wahr (w 2 ) oder extensional falsch (f 2 ) sind (z. B. P(x); P(x, y)) 1920 gegenüber einer Angabe semantischer Merkmale (z. B. [Hum]; [+/ - Anim]) 1921 , welche anstrebt, Kompatibilitätsbedingungen für die Sättigung von valenziellen Leerstellen, d. h. die Sättigung der Argumentstellen eines logischen Prädikats, das in einem zwischengeschalteten Urteil den extensionalen Wahrheitswert wahr (w 2 ) behaupten soll, vorzuschreiben. Aufgrund der extensionalen Interpretation von formal dargestellten Prädikaten ergibt sich also eine Überschneidung von semantischer und logischer Sprachanalyse sowie Sprachdeskription in der Valenztheorie. Deshalb wird logische Valenz oft gemeinsam mit semantischer Valenz erfasst, unter der Annahme, dass der Begriffsinhalt bestimmt, welche Argumente mit welchen Bedeutungsmerkmalen Leerstellen sättigen können und dass dabei eine Selektion nach der Kompatibilität semantischer Klassen erfolgt, was in den Generativen Grammatiken als Selektionsbeschränkung gilt. 1922, 1923 Die Aufspaltung einer komplexen Erscheinung in ihre inhärenten, als binär strukturiert und als universal gültig angenommenen Merkmale 1924 erlangte methodologische und theoretische Bedeutung bei der dichotomischen Klassifikation linguistischer Elemente. 1925 Sowohl explizit logisch kontradiktorisch formulierte als auch als kon- 1920 Vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 131) 1921 Vgl. z. B. C HOMSKY (1964: 27 f., 38 f., 55); vgl. C HOMSKY (1965: 85 f., 95 f., 113); vgl. W OTJAK (1975); H ELBIG / S CHENKEL (1980: 52); vgl. H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 128 - 142) 1922 H ELBIG (1971a: 39); H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 131); H ELBIG (1992: 7 f.) 1923 Vgl. a. S CHAEDLER (2019c) 1924 J AKOBSON / H ALLE (1956: 28) 1925 J AKOBSON / F ANT / H ALLE (1967: 9) 370 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="371"?> tradiktorisch wahrgenommene distinktive Merkmale werden bei Jakobsen/ Halle als oppositionell und damit als binär verstanden. 1926 Sie können mit den Werten [+] oder [ - ] für das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des Merkmals ausgestattet werden. 1927 Von Vertretern des Binarismus 1928 wird angenommen, dass sich neben dem phonologischen auch das morphologische, syntaktische und semantische System von Sprachen durch eine begrenzte Anzahl binärer Merkmale beschreiben lässt. Als auf dem Prinzip des Binarismus basierend können z. B. die Konstituentenanalyse und z. T. die Komponentenanalyse aufgefasst werden. Kritik am linguistischen Binarismus äußert sich in Vorwürfen wie „ Manipulation der Fakten, Vergewaltigung der sprachlichen Wirklichkeit, subjektive Willkür der Forschung, Systemdenken und [der] Versuch, alle sprachlichen Erscheinungen in das Prokrustesbett binärer Oppositionen zu zwängen. “ 1929, 1930 Neben einer semantischen Merkmalsanalyse werden jedoch noch zwei weitere semantische Beschreibungsmethoden für eine logisch-semantische Valenzebene vorgeschlagen. Diese Beschreibungsmethoden gehen weniger restriktiv vor, versuchen jedoch stattdessen den Inhalt des sprachlichen Ausdrucks mittels einer Stereotypik von denotierten Mitspielern bzw. einer prototypischen sachverhaltsmäßigen Bedeutung oder einer angenommenen Grundbedeutung von sprachlichen Elementen zu interpretieren und damit zu determinieren. Diese sind die Erfassung der am außersprachlichen Sachverhalt beteiligten Mitspieler mit Hilfe zugewiesener semantischer Rollen (auch: semantischer Kasus; Kasusrollen) der Kasustheorie 1931 und die semantische Komponentenanalyse 1932 . Ágel kommentiert das Verständnis einer außersprachlichen, logisch-semantischen Valenz, führt dieses auf Bühler zurück und zieht Parallelen zwischen allen jenen Theorien, die logische Prädikate als Abbild oder Spiegelung der außersprachlichen Wirklichkeit ansehen bzw. von einer stofflichen Steuerung ausgehen, die in den Inhalt des sprachlichen Ausdrucks hineinwirkt. 1933 Bondzio erläutert die Deskription von außersprachlichen Sachverhalten mit Kasusrollen folgendermaßen: „ Traditionelle Versuche, die Funktionen der Kasusobjekte als Agens, Träger, Patiens, direktes Objekt, indirektes Objekt u. ä. zu beschreiben, zielen ebenfalls, allerdings mit nicht zureichenden Mitteln, auf diesen Sachverhalt. Im 1926 J AKOBSON / H ALLE (1956: 29 - 31) 1927 S CHAEDLER (2016) 1928 Vgl. B ACON (1829 [1623]) 1929 L EWANDOWSKI (1990: 192) 1930 Vgl. a. S CHAEDLER (2016) 1931 F ILLMORE (1987 [1968]); F ILLMORE (1987 [1977]a); F ILLMORE (1987 [1977]b) 1932 Vgl. S CHMIDT (1963); vgl. K ORHONEN (1977: 102) 1933 Á GEL (2000: 29); vgl. F ILLMORE (1987 [1968]: 21 - 33); vgl. F ILLMORE (1987 [1977]a: 71 - 78) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 371 <?page no="372"?> übrigen ist natürlich nicht an eine vollständige Isomorphie zu denken. “ 1934 Auch Welke vertritt eine ähnliche Position: „ Es besteht weitgehende Übereinstimmung darüber, daß die Kennzeichnung der Ergänzungen eines Valenzträgers nach semantischen Rollen (semantischen Kasus) ebenfalls zur Valenzbeschreibung gehört. Sehr umstritten sind jedoch De finition und Abgrenzung der einzelnen semantischen Rollen. “ 1935 Auf die semantischen Rollen wird in den Ausführungen zur pragmatisch-kommunikativen Valenz näher eingegangen (s. 6.4.3; 6.4.3.1; 6.4.3.2). Eine semantische Komponentenanalyse und das Konzept einer semantischen Valenz in der Linguistik wird für die deutsche Sprache nach Korhonen vor allem von Schmidt 1936 thematisiert 1937 . Nach Schmidt, dessen Theorie sich dadurch auszeichnet, dass sie Inhalte von Wörtern oder Wortbedeutungen in Elemente zu zerlegen versucht, konstituiert sich die semantische Valenz 1938 als „ die lexikalisch-semantischen Bedingungen, unter denen allein eine bestimmte aktuelle Wortbedeutung in der Rede realisiert werden kann. “ 1939 So unterscheidet Schmidt zwischen einer „ den komplexen Inhalt des Wortes als Bestandteil des Systems der Sprache “ 1940 bildenden „ lexikalische[n] Bedeutung “ 1941 und einer eindeutig im Kontext determinierten „ aktuellen Bedeutung “ 1942 . Hierbei lässt sich „ unter den aktuellen Bedeutungen eines bestimmten Verbs der Gegenwartssprache seine Hauptbedeutung “ 1943 ermitteln, die im Allgemeinen wenigstens einige Bedeutungselemente besitzt, welche stets dem Bedeutungsträger zugeschrieben werden können, auch wenn die Bedeutung eines Valenzträgers in verschiedenen Kontexten bis zu einem gewissen Grad variiert, was Schmidt folgendermaßen formuliert 1944 . Die sogenannte Hauptbedeutung des Verbs fallen setzt sich nach Schmidt zum Beispiel aus nachfolgenden Komponenten zusammen: „‚ schnelle ‘ (a), ‚ unwillkürliche ‘ (b), ‚ nach unten gerichtete ‘ (c), ‚ Bewegung ‘ (d) “ 1945 . Dabei können zwei Varianten des Verbs fallen in den zwei Beispielsätzen sie fiel in den Graben und sie fiel ihm um den Hals festgestellt werden 1946 , die sich dadurch ergeben, dass 1934 B ONDZIO (1971: 96) 1935 W ELKE (1988: 20) 1936 S CHMIDT (1963) 1937 K ORHONEN (1977: 102) 1938 S CHMIDT (1963: 45, 91) 1939 S CHMIDT (1963: 45) 1940 S CHMIDT (1963: 24) 1941 S CHMIDT (1963: 24) 1942 S CHMIDT (1963: 24); vgl. K ORHONEN (1977: 102) 1943 S CHMIDT (1963: 44) 1944 Der Terminus Bedeutung ist hier nach Schmidt verwendet. 1945 S CHMIDT (1963: 49) 1946 Vgl. K ORHONEN (1977: 102 f.) 372 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="373"?> aufgrund der individuellen semantischen Valenz im Kontext einige Bedeutungselemente des verbalen Valenzträgers hervortreten, während andere zurücktreten. 1947 An dieser Stelle bemüht sich Schmidt um eine deutliche Erklärung zu Bedeutungsvarianten, welche Helbig lediglich ermittelt, ohne von einer Art Grundbedeutung auszugehen, die eventuell auch unter Bedeutungsvarianz konstant bleibt. Eine Zusammenfassung von einer logischen Valenz und den Kriterien, die mit einer semantischen Merkmalsanalyse für sprachliche Ausdrücke und Begriffe aufgestellt werden sowie denjenigen anderweitigen Beschreibungsmethoden, welche unter einer extensional verstandenen sogenannten semantischen Valenz erfasst werden, ist jedoch nicht notwendig, wenn eine Revision der traditionellen Urteilslehre vorgenommen wird, derzufolge die Nachgeordnetheit des Urteils nach Frege sowie das entfaltete Urteil nach Pfänder berücksichtigt werden und wenn die logische Unanfechtbarkeit von Begriffen, welche kein extensionales Denotat haben (auch: leere Begriffe), akzeptiert ist (s. 5.6.5; 5.6.6). Aus diesen Gründen sind eine semantische Merkmalsanalyse, semantische Selektionsbeschränkungen 1948 , semantische Rollen oder eine semantische Komponentenanalyse für die Theoriebildung der vorliegenden Studie unbrauchbar, werden nicht weiter thematisiert und finden in der praktischen Beleganalyse keine Anwendung. Auch Helbig konsideriert, dass eine semantische Struktur von einer Art logischen Struktur, welche in der vorliegenden Studie als innersprachliche, intensionallogische Struktur identifiziert wird, getrennt werden muss: „ Nach den gegenwärtigen Einsichten ist es sicher unbestreitbar, daß man auch innerhalb des Valenzbegriffes mehrere Ebenen unterschieden muß, die keine isomorphe Abbildung voneinander sind: Obwohl diese Diskussion noch im Fluß ist und die verschiedensten Autoren verschiedene Valenzebenen ansetzen - je nach der zugrunde gelegten Sprachtheorie - , ist die Tatsache wohl nicht zu leugnen, dass die logische Valenz (als interlinguale Relation zwischen Begriffsinhalten) etwas anderes ist als die semantische Valenz (die sich aus der Verträglichkeit und Kombinierbarkeit der Bedeutungskomponenten ergibt), diese wieder etwas anderes als die syntaktische Valenz (als obligatorische oder fakultative Besetzung von Leerstellen in einer bestimmten Zahl und Art, differenziert nach den Einzelsprachen). “ 1949 An dieser Stelle wird die logische Valenz neben der (außersprachlich) semantischen, morphosyntaktischen und pragmatisch-kommunikativen Valenzbeschreibung auch von Helbig als eine 1947 S CHMIDT (1963: 49); vgl. K ORHONEN (1977: 102) 1948 Für eine Erklärung selektionaler Kriterien nach Schmidt, s. S CHMIDT (1963: 91). 1949 H ELBIG (1971b: 8 f.); vgl. H ELBIG (1992: 7 ff.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 373 <?page no="374"?> von mehreren Valenzebenen anerkannt, deren Isomorphie zu den anderen Valenzebenen diskutierbar ist. 1950 6.4.2.1 Extensionale logische Valenz und syntaktische Realisierung Nach Meinhard wird der Entwurf einer logischen Valenz bzw. einer logischen Valenzebene insbesondere mit Bondzios Theorie in Verbindung gebracht 1951 und impliziert primär die in der vorliegenden Studie erörterte Übertragung des Prädikatenkalküls der modernen Logik in die Valenztheorie. In obigem Absatz wurde dargelegt, dass die (extensional)logische Valenz im Allgemeinen explizit einer Modellierung der Sachverhalte in der außersprachlichen Bedeutungsebene entspricht. Es ist aus diesem Grund zutreffend, diese Übertragung prädikatenlogischer Strukturen in grammatische Theorien folgendermaßen nach Schierholz zusammenzufassen: „ Im Bewußtsein eines Sprachteilhabers werden die Sachverhalte der Wirklichkeit festgehalten. Das läßt sich in der Regel mit Hilfe elementarer logischer Prädikate darstellen, die ein oder mehrere Argumente als Leerstellen besitzen. Dies wird als die Ebene der logischen Valenz, die eine außersprachliche ist, bezeichnet. “ 1952 Nach Eroms Aufsatz Die Wegbereiter der deutschen Valenzgrammatik 1953 wird bei Bondzio, Welke, Flämig und Heger eine eher semantische Nutzung des Valenzbegriffs vorbereitet. 1954 Da Heger eine übereinzelsprachlich ausgerichtete Theorie 1955 entwirft, wird sie im Folgenden nicht diskutiert. Stattdessen werden Heringers Grammatik und Bierwischs Modell in die Betrachtung miteinbezogen. Die der Prädikatenlogik entlehnte Notation dient gemäß Bondzio zur Darstellung einer aus der außersprachlichen Bedeutung gespiegelten logischsemantischen Valenz. Aus dieser Auffassung der logischen Valenz als durch außersprachliche Sachverhalte motivierte Strukturen folgt nach Bondzio für die Kopula eine Absprechung der semantisch-logischen Valenz. 1956 Zunächst erklärt Bondzio seine extensionallogische Auffassung der Valenz als Spiegelung bzw. Abbild der außersprachlichen Bedeutung in formallogischer Darstellung. 1957 Bondzio räumt zudem ein, dass es sich bei seiner Spiegelung der Bedeutung 1950 B ONDZIO (1971: 96); vgl. H ELBIG (1971a: 43) 1951 M EINHARD (2003: 400); vgl. K ORHONEN (1977: 98) 1952 S CHIERHOLZ (2001: 103) 1953 E ROMS (2003) 1954 E ROMS (2003: 165) 1955 H EGER (1966); H EGER (1971) 1956 B ONDZIO (1971: 90) 1957 B ONDZIO (1971: 88 f.) 374 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="375"?> aus der außersprachlichen Wirklichkeit in die logisch-semantische Struktur von Sätzen nicht um eine „ vollständige Isomorphie “ 1958 handelt. Für die Realisierung des sprachlichen Ausdrucks schließt Bondzio eine kurze Beschreibung der grammatischen Regeln im Deutschen an, die jedoch nicht aus der logischsemantischen Begriffsstruktur gewonnen werden, so dass die jeweilige Sprache, in diesem Fall das Deutsche, bestenfalls wie eine Gussform für die Spiegelung oder das Abbild der Sachverhalte aus der extensionalen Bedeutungsebene der außersprachlichen Wirklichkeit fungieren soll. 1959 Bondzio konstatiert: „ Die der logisch-semantischen Ebene angehörenden Beziehungsgefüge aus VT [Valenzträger] und LS [Leerstelle] bilden die Grundlage für die Formierung von Sätzen und anderen syntaktischen Ausdrücken. Es handelt sich hierbei um die sprachliche Realisierung dieser Beziehungsgefüge nach den Gesetzmäßigkeiten der jeweiligen Sprache mit den jeweiligen Mitteln. Die Realisierung betrifft sowohl die grammatisch-syntaktischen Beziehungen als auch die morphonologische Form einschließlich Anordnung und Intonation. “ 1960 Nach Bondzio ist „ die sprachliche Form irrelevant, in der die jeweilige Bedeutung auftritt. Dies gilt auch für die verschiedenen grammatisch-morphologischen Formen eines Wortes “ 1961 . So erklärt Bondzio in Übereinstimmung mit der Passivtransformation der generativen Transformationsgrammatik 1962 : „ Passiv-Sätze haben keine eigenen, besonderen Grundstrukturen, sondern müssen auf aktive Grundstrukturen zurückgeführt werden. “ 1963 Ein weiteres Zitat, das den gussformhaften Charakter der grammatischen Regeln einer natürlichen Sprache ohne jedwede konzeptualisierende Funktion des sprachlichen Ausdrucks sowie ohne Intentionalität sprachlich realisierter Begriffe (s. 6.2.2; 6.2.3; 6.3) in Bondzios Theorie unterstreicht, ist des Weiteren folgende Bemerkung Bondzios: „ In vielen Fällen gibt es für die Besetzung von LS [Leerstellen] grammatische Varianten. Dies trifft z. B. zu für das Nebeneinander von Inf.-Gruppe und Nebensatz: ‚ Es ist notwendig, ihn zu verständigen. ‘ - ‚ Es ist notwendig, daß er kommt. ‘ Daneben können u. U. auch Nominalgruppen stehen: ‚ Seine Verständigung ist notwendig. ‘ - ‚ Sie wünschten, daß er die Funktion übernimmt. ‘ - ‚ Sie wünschten die Übernahme der Funktion durch A. ‘“ 1964 1958 B ONDZIO (1971: 96); vgl. H ELBIG (1971: 43) 1959 B ONDZIO (1971: 95 ff., 101) 1960 B ONDZIO (1971: 95) 1961 B ONDZIO (1971: 89) 1962 C HOMSKY (1965: 16 f., 29 ff., 31); C HOMSKY (1981: 36, 49, 170, 175); G REWENDORF (1988 154); vgl. H EIDOLPH / F LÄMIG / M OTSCH (1984: 748 ff., 768, 774 ff.); vgl. R AMERS (2000: 111 - 118) 1963 B ONDZIO (1971: 97) 1964 B ONDZIO (1971: 101) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 375 <?page no="376"?> Alle diese Varianten bedeuten nach Bondzio dasselbe, eine Annahme einer Tiefenstruktur wie sie die Generative Grammatik veranschlagt, weist er jedoch „ schon aus Gründen der terminologischen Eindeutigkeit “ 1965 zurück. Eine Schichtung der Satzstruktur versteht Bondzio dennoch anders als Glinz oder Helbig (s. 5.8.3), da diese nach Bondzio „ von einer sehr abstrakten Ebene bis zur konkreten, morphologisch ausgeformten Oberfläche reicht “ 1966 . Weiter fährt Bondizo fort: „ Wenn die Existenz und die Anzahl der LS in der angegebenen Weise von der Wortbedeutung abhängen, ist es unmöglich, daß dabei, wie bisher angenommen, die Wortart grundsätzlich entscheidend sein kann. “ 1967 Doch entgegen dieser Aussage zieht Bondzio anschließend eine logischsemantische valenzielle Argumentstelle bzw. Leerstelle für notwendige lokale Richtungsbestimmungen in Zweifel 1968 und erklärt, dass vor allem Verben Leerstellen zugeschrieben werden können, da diese im Unterschied z. B. zu lokalen Richtungsbestimmungen, „ Handlungen, Prozesse oder Zustände bezeichnen. “ 1969 Verben, die nach Bondzios Wahrnehmung keine Handlungen, Prozesse oder Zustände beschreiben, werden ebenso logische valenzielle Leerstellen abgesprochen. Obwohl Witterungsverben (z. B. es regnet) das unpersönliche Pronomen es syntaktisch obligatorisch zur Bildung eines grammatischen Satzes fordern, erklärt Bondzio, dass eine Leerstelle derartiger Verben für ein Subjekt fehle. 1970 Zudem erklärt Bondzio in Ockhamschem Sinne: „ Ebenso dürfte die Synsemantik der Präpositionen und Konjunktionen eine Valenz in dem hier definierten Sinne ausschließen “ 1971 . Allerdings wendet Bondzio ein: „ Solche Entscheidungen setzen jedoch eine zureichende Definition der Begriffe Autosemantik und Synsemantik im Rahmen einer Theorie der Semantik voraus. “ 1972 (S. 6.2.1; 6.2.2; 6.2.3) Schließlich erklärt Bondzio bezüglich der Kopula: „ Ähnliches gilt auch für die Beurteilung der Valenz bei der Kopula ‚ sein ‘ , die in letzter Zeit häufig als syntaktisch selbständiges Element behandelt wurde. In allen Fällen handelt es sich allein um semantisch-logische Entscheidungen [daß auf der semantisch-logischen Ebene nicht mit LS für solche Konstituenten gerechnet werden kann] “ 1973 . Nach Bondzio besitzt die Kopula demnach keine semantisch-logische Valenz, denn Bondzio legt fest, dass Valenz 1965 B ONDZIO (1971: 88) 1966 B ONDZIO (1971: 88) 1967 B ONDZIO (1971: 89) 1968 B ONDZIO (1971: 90) 1969 B ONDZIO (1971: 90) 1970 B ONDZIO (1971: 90) 1971 B ONDZIO (1971: 91) 1972 B ONDZIO (1971: 91) 1973 B ONDZIO (1971: 90) 376 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="377"?> eine sogenannte begriffliche Bedeutung im Sinne eines sogenannten begrifflichen Abbildes voraussetzt 1974 , welche für die Kopula fehle. Eine differenzierte Unterscheidung zwischen Begriffsstrukturen bzw. Gedanken, Vorstellungen und Anschauungen, wie Frege dies vornimmt (s. 5.6.6) 1975 , trifft Bondzio an dieser Stelle nicht, schließt für die Strukturanalyse semantisch-logischer Valenz „ einen Einfluß der sog. grammatischen Bedeutung “ 1976 jedoch explizit aus. So ist nachvollziehbar, dass sich in Bondzios Theorie dieser Ausschluss einer grammatischen Bedeutung der realisierten Sprachzeichen eines deutschen Aussagesatzes aus der Spiegelungsrichtung von Entitäten im semiotischen Modell sowie aufgrund der extensionalen Interpretation logischer Valenz ergibt. Die Kohärenz eines Aussagesatzes soll also nach Bondzio semantisch zustandekommen, während die syntaktischen Beziehungen dazu vorerst nichts beitragen. Deshalb gehen in Bondzios Theorie extensionallogisch-semantisch aufgefasste Valenzbeziehungen der grammatischen Realisierung voran 1977 , so dass der sprachliche Ausdruck nach Aspekten einer präsumierten extensionalen Bedeutung strukturiert wird. 1978 Diesen Annahmen Bondzios sowie der daraus resultierenden Handhabung der sogenannten grammatischen Bedeutung von Sprachzeichen kann im Rahmen der vorliegenden Studie, welche eine Abbildungsrichtung nach Frege vom Zeichen zum Sinn zur Bedeutung veranschlagt sowie nach Helbig der morphosyntaktischen Struktur eines Aussagesatzes oder Kohärenzfeldes Priorität einräumt, nicht beigepflichtet werden. Nach Eroms wird eine komplette valenzbasierte Grammatik zum ersten Mal von Heringer für das Deutsche erarbeitet. 1979 Heringer legt jedoch aus dem Grund, dass das eine binäre Gliederung veranschlagende Konstituenzsystem angeblich die bevorzugte Behandlung des Aufbaus von Sätzen in neueren Grammatiken sei 1980 , ein derartiges Konstituenzsystem der semantischen und syntaktischen Analyse von Sätzen zugrunde. 1981 Er geht von einer Satzstruktur aus, welche mit Hilfe von sogenannten kontextfreien „ Konstitutionsregeln “ 1982 aus den zwei jeweils vom Subjekt und vom Prädikat gesteuerten Konstituenten 1974 B ONDZIO (1971: 88 f., 91) 1975 Vgl. F REGE (2001 [1897]: 42 f.) 1976 B ONDZIO (1971: 91) 1977 B ONDZIO (1994a: 31) 1978 Zur grammatischen Realisierung der Valenzstruktur nach Bondzio, s. Bondzio (1994a: 17 - 20, 30 f., 37 ff.); vgl. B ONDZIO (1993); vgl. B ONDZIO (1994b) 1979 E ROMS (2003: 166) 1980 H ERINGER (1973: 130) 1981 H ERINGER (1973: 130) 1982 H ERINGER (1973: 131 f.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 377 <?page no="378"?> Sätze erzeugt, die strukturell in ein System münden, in dem valenzielle Leerstellen für Ergänzungen und Angaben 1983 als Einheiten, die das Prädikat ergänzen 1984 , sowie ihre Konnexionen maßgebend sind. Hierbei werden Konnexionen im Plerembereich als auch zwischen Lexemen sowie zwischen Wörtern und Wortgruppen angenommen. 1985 Plereme konstituieren bei Heringer kleinste, bedeutungstragende, sprachliche Zeichen, die durch sukzessive Teilung des Satzes entstehen. 1986 Hierbei vertritt Heringer die besondere Husserlsche Distinktion zwischen widersinnigen und sinnlosen 1987 Ausdrücken, erweitert diese jedoch um die Aussage, dass alle grammatischen Äußerungen sinnvolle Sätze seien. 1988, 1989 Obwohl Heringer Husserls Distinktion aufnehmen will, greift bei Heringer somit das Kriterium, dass alle sogenannten grammatischen Sätze sinnvoll sind. Falls Heringers Auffassung des Adjektivs sinnvoll als Entsprechung zu Husserls Auszeichnung nicht sinnlos gilt, so steht Heringers Theorie in Konflikt mit Husserls Unterscheidung, obwohl er auf Husserl referiert. 1990 Aufgrund der Referenz kann demnach unter Umständen vermutet werden, dass Heringer Husserls Auffassung der Auszeichnungen nicht sinnlos und widersinnig folgen oder diese übernehmen wollte, jedoch bemängelt, dass diese Husserlsche Unterscheidung ungerechtfertigt davon ausgehe, „ daß wir wüßten, was nur formal sei und was auch den Sinn betrifft. “ 1991 Ebenso weist Heringer im Unterschied zu Husserl auf Folgendes hin: „ Auf keinen Fall darf die Frage, was ein sinnvoller Satz sei, eingeschränkt werden darauf, ob er wahr oder falsch sein könne. Dies mag für bestimmte Kalküle einen Sinn haben, darf aber nicht auf natürliche Sprachen übertragen werden, da sie in dieser Hinsicht reicher sind, und Widersprüche zulassen “ 1992 . Diese Auffassung Heringers teilt Husserl nicht, sondern zeichnet derartige, sogenannte widerspruchsvolle natürlichsprachliche Sätze, gemäß seinem Wortgebrauch zu urteilen, als falsch 1983 Zu Heringers Auffassung von Ergänzungen bzw. nicht-notwendigen Ergänzungen und Angaben, s. H ERINGER (1973: 153 f., 156). 1984 H ERINGER (1973: 151, 157); vgl. E ROMS (2003: 166); zu Heringers K-Regeln, s. H ERINGER (1973: 131 f.). 1985 H ERINGER (1973: 130, 139 - 271, insbes. 152 - 155) 1986 Zu Heringers selbständigen (Lexeme) und unselbständigen (Morpheme) Pleremen, Ausdruck (Monem) und Inhalt (Semem) eines Plerems, s. H ERINGER (1973: 77 f., 109). 1987 H USSERL (1901: 52 - 56) 1988 H ERINGER (1973: 144) 1989 Zu Husserls besonderen Distinktion zwischen den Adjektiven widersinnig und sinnlos sowie zur Grammatizität und Sinnvolligkeit sprachlicher Ausdrücke, s. 6.4.1.2. 1990 H ERINGER (1973: 144 f.) 1991 H ERINGER (1973: 143) 1992 H ERINGER (1973: 145 f.) 378 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="379"?> aus. 1993 Die Klarheit in Heringers Theorie und Argumentation wird schließlich durch eine Infragestellung der Abgrenzung zwischen sogenannter Inhaltssyntax und Ausdruckssyntax 1994 , welche die Definition von Grammatizität eines sprachlichen Ausdrucks modifiziert, abgeschwächt, denn nach Heringer bezieht sich grammatische Richtigkeit nicht nur auf die Form eines Ausdrucks, sondern auch auf ihren Sinn. 1995 So präsentiert in Heringers Theorie der einem Platonismus beipflichtende Hjelmslevsche Plerembegriff 1996 einen Indikator für eine vom Denken, d. h. vom Träger unabhängigen Sinnebene nach Frege bzw. Dedekind, was durch die Anerkennung der Existenz sprachlicher bzw. begrifflicher Inhalte einige Inkohärenzen behebt, jedoch ergibt sich durch die Hinzuziehung der Husserlschen Distinktion zwischen sinnlosen und widersinnigen Ausdrücken (s. 6.4.1.2) wiederum Unklarheit. 1997 Heringers Ausführungen legen offen, dass sein Verständnis von Inhalt bezüglich seiner Inhaltssyntax als Systematisierung einer Bedeutungsbeschreibung 1998 gegenüber seiner Ausdruckssyntax nicht Freges Verständnis von Sinn entspricht und eine Trennung zwischen Sinn und Bedeutung bei Heringer nicht gegeben ist. So argumentiert Heringer mit Hilfe einer Einbeziehung der Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit. Ein Ausdruck wie der Satz Fritz unterdrückt Emil konstituiert nach Heringer eine Beziehung des Unterdrückens, was mit Freges Interpretation einer Beziehung unterdrücken (Fritz, Emil) übereinstimmt. Heringer begründet diese mehrstellige Beziehung gegenüber einem einstelligen Prädikat jedoch nicht mit innersprachlichen Gegebenheiten, z. B. mit der Transitivität des Verbs unterdrücken, der Position des Namens Emil als Akkusativobjekt sowie dem Namen Fritz als grammatisches Subjekt in der Ausdruckssyntax. Stattdessen erklärt Heringer die Beziehung mit Hilfe der Sätze Fritz unterdrückt und dadurch sowie Emil wird unterdrückt als gerechtfertigt, also durch eine Reflexion über den durch den sprachlichen Ausdruck beschriebenen außersprachlichen Sachverhalt legitimiert: „ Denn es könnte ja sein, daß Fritz Karl unterdrückt und Karl die Unterdrückung Fritz ’ nur abwälzt auf Emil. “ 1999 Nach Heringer kann man deshalb „ nicht immer mit Recht “ 2000 den Satz Fritz unterdrückt Emil äußern, wenn die Ausdrücke Fritz unterdrückt und dadurch sowie 1993 H USSERL (1901: 132); s. 6.4.1.2 1994 H ERINGER (1973: 143 ff.) 1995 H ERINGER (1973: 143) 1996 H JELMSLEV (1974 [1939]: 22) 1997 Husserl setzt nur eine Inhaltsebene, die er Bedeutung nennt, für sprachliche Entitäten an. Zu Husserls postuliertem phänomenologischen und idealen Inhalt der sog. Bedeutungserlebnisse, s. H USSERL (1901: 97 - 105, Viertes Kapitel). 1998 H ERINGER (1973: 116) 1999 H ERINGER (1973: 157) 2000 H ERINGER (1973: 157) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 379 <?page no="380"?> Emil wird unterdrückt „ mit Recht “ 2001 gebildet werden können. 2002 Demzufolge kommt Heringer zu dem Schluss, dass seine Wertigkeitstheorie 2003 einem strukturalistischen linguistischen Testverfahren wie einer Reduktion bzw. Eliminierung von Satzelementen überlegen sei, da ein Reduktionsverfahren die von Heringer selbst angenommene Zweistelligkeit des Unterdrückens nicht erklären könne. Auf diese Weise entwirft Heringer einen relativ komplexen Prädikatsbegriff, welcher z. B. die Form es will dunkel werden als einstelliges Prädikat erfasst 2004 , obwohl er die Prädikatstypen in einbis vierstellige Prädikate unterteilt. 2005 Bemerkenswert ist bei Heringer, dass er auch Adjektiven eine Stelligkeit zuspricht (z. B. Otto ist einig mit Emil). 2006 Heringer schließt aus diesen valenztheoretischen Überlegungen im Rahmen seiner Theorie, dass es sich bei sogenannten Adjektivprädikaten (z. B. wund laufen; einig sein) um „ zusammengesetzte Prädikate “ 2007 handle, da die Stelligkeit des Adjektivprädikats durch das Verbs sowie durch das Adjektiv gemeinsam verursacht sei. 2008 Dabei gibt er gleichzeitig vor, gegen die „ traditionelle Auffassung, in der prädikative Adjektive ohne weitere Diskussion als Teile des Prädikats angesehen werden “ 2009 , zu argumentieren, was ihm jedoch mit seiner Theorie nicht gelingt, weshalb er schließlich eine sehr ähnliche Interpretation wie die von ihm kritisierend erwähnte traditionelle Auffassung vertritt. 2010 Aus diesen Gründen propagiert Heringer auch eine Auffassung der Rektionsverhältnisse zwischen Valenzträger und seinen Ergänzungen bzw. Argumenten, welche nicht mit Hilfe höherstufiger Begriffe nach Frege beschrieben werden. Allerdings spricht Heringer die Problematik des Verhältnisses zwischen einer angenommenen semantischen Tiefenstruktur und einer aus dieser abgeleiteten syntaktischen Oberflächenstruktur an: „ Die Grundidee dieser Beschreibung ist mit einiger Skepsis zu betrachten, weil sie einen Teil der Entwicklung der neueren Logik ignoriert und zu weitergehenden Annahmen Anlaß gibt, wie, daß die Oberflächenstruktur die wahre Form des Satzes verdecke und unsere natürliche Sprache uns irreführe, daß die so ermittelten Tiefenstrukturen eine allen Menschen gemeinsame Logik aufzeigen können, die also in diesem Sinne eine universale Tiefenstruktur sei. Darin sind vorerst mindes- 2001 H ERINGER (1973: 157) 2002 H ERINGER (1973: 157) 2003 Dem Terminus Wertigkeit wäre der Terminus Stelligkeit vorzuziehen. 2004 Vgl. E ROMS (2003: 166) 2005 H ERINGER (1973: 190 - 194) 2006 H ERINGER (1973: 165) 2007 H ERINGER (1973: 165) 2008 H ERINGER (1973: 165 f.) 2009 H ERINGER (1973: 163) 2010 H ERINGER (1973: 165 f., 240) 380 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="381"?> tens drei unbeweisbare Annahmen enthalten: (i) die Oberflächenstruktur ist irgendwie von der Tiefenstruktur abhängig. (ii) jedem nicht-mehrdeutigen Satz entspricht genau eine logische Struktur. (iii) die Logik ist universal. “ 2011 In diesem Zitat Heringers wird jedoch deutlich eine Beschreibung extensionallogischer Zusammenhänge anhand einer formalen Darstellung semantischer Aspekte aus einer universalen Tiefenstruktur thematisiert, während die Möglichkeit intensionallogischer Beschreibungen sowie einer einzelsprachlich orientierten Deskription innersprachlicher Strukturen an dieser Stelle nicht konsideriert wird. Das Modell Bierwischs wird in der vorliegenden Studie ebenfalls nicht weiter miteinbezogen, da die formale Notation Bierwischs Bezüge veranschaulicht, die zwischen einer angesetzten Ebene sprachlicher Repräsentation, dem System der grammatischen Elemente und Regeln der Sprache, einer semantischen Struktur, begrifflich strukturierter Umweltkenntnis, einer konzeptuellen Struktur und als Interaktion sprachlicher und anderer kognitiver Systeme stattfinden. 2012 Zur Zwei-Ebenen-Theorie der Bedeutung von Bierwisch 2013 ist anzumerken, dass diese angibt, zwei Ebenen der Bedeutungskonstitution zu veranschlagen, eine der semantischen bzw. der logischen Form 2014 sowie eine der konzeptuellen Struktur. 2015 Diese Ebenen sind anders angeordnet, als in dem hier verwendeten semiotischen Modell nach Frege. Die logische Form wird bei Bierwisch mit der semantischen zu einer sprachlichen Bedeutungsrepräsentationsebene zusammengefasst, und sie ist die Ebene, welche er mit der Prädikatenlogik entlehnten Formalismen darstellt. Diese Bedeutungsrepräsentationsebene soll die syntaktischen und konzeptuellen Strukturen einander zuordnen. Nach den Worten Geists findet hierbei Folgendes statt: „ Das Spektrum zulässiger Interpretationen eines sprachlichen Ausdrucks auf der konzeptuellen Ebene wird durch die semantische Form dieses Ausdrucks beschränkt. “ 2016 Somit ist die mit den der Prädikatenlogik entlehnten Formalismen dargestellte Bedeutungsrepräsentationsebene ein Instrumentarium, welches die syntaktischen Strukturen interpretiert, gleichzeitig jedoch auch die Interpretation der konzeptuellen Struktur durch Beschränkungen bestimmt. Diese Bedeutungsrepräsentationsebene 2017 und ihre Formalismen müssen als 2011 H ERINGER (1973: 49 f.) 2012 B IERWISCH (1983: 64 f.); vgl. M EINHARD (2003: 401) 2013 B IERWISCH (1983); B IERWISCH (1997); B IERWISCH / L ANG (1987) 2014 B IERWISCH (1997) 2015 Vgl. G EIST (2006: 12) 2016 G EIST (2006: 12) 2017 Zu Bedeutungsspezifizierungen bei Bierwisch, s. a. G EIST (2006: 13). 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 381 <?page no="382"?> extensionallogisch aufgefasst werden, da sie auf der Bedeutungsebene verortet sind und zudem pragmatisch-kommunikative Aspekte miteinbeziehen. Dabei greift die semantische Dimension der Bedeutungsrepräsentationsebene insbesondere auf die konzeptuelle Struktur zu, d. h. die semantische und konzeptuelle Form bilden die entscheidende Schnittstelle. Die grammatische Form hingegen umschließt syntaktische und morphologische Aspekte, welche jedoch auf Ebene der konzeptuellen Struktur nicht interpretiert werden. Demzufolge übt die Bedeutungsrepräsentationsebene eine Art ungleiche Vermittlungsfunktion aus. 2018 Eine derartige methodische Erarbeitung eines Ergebnisses hat Geist für die Kopula sein in Kopulasätzen anschaulich vorgeführt. 2019 Entgegen Geists Behauptung kann in einem derartigen Modell wie der Zwei-Ebenen-Theorie der Bedeutung 2020 nach Bierwisch ein „ Kompositionalitätsprinzip, das besagt, dass die Bedeutungen eines komplexen sprachlichen Ausdrucks eine Funktion der Bedeutungen seiner Teile unter Berücksichtigung ihrer syntaktischen Fügung ist “ 2021 nicht im Sinne des Fregeschen Kompositionsprinzips befolgt werden, da die komponierte Bedeutung als Funktion der Bedeutungen seiner Teile nach Geist mit Referenz auf Bierwisch auf der Bedeutungsrepräsentationsebene die syntaktische Fügung interpretiert und zudem auf konzeptueller Ebene diese konzeptuelle Struktur der Signifikate jener Elemente syntaktischer Strukturen beschränkt sowie damit korrigierend auf sie einwirkt. Dabei ist zu beachten, dass Bierwisch zur Darstellung der Strukturen auf dieser mindestens teilweise extensionalen Bedeutungsrepräsentationsebene den λ -Abstraktor verwendet, welchen Church zur intensionallogischen Auffassung von Funktionen eingeführt hat. Das Kompositionsprinzip nach Frege ist hiermit ebenfalls nicht erfüllt. Eine Erklärung zum Fregeschen Kompositionsprinzip und dass dieses den Prozess der Sinnkonstitution beschreibt, wurde obig dargelegt (s. 5.6.2). So ist festzuhalten, dass Bierwisch das Fregesche Kompositionsprinzip extensional interpretiert und derart vereinfacht wiedergibt, dass es seinen intendierten Zweck verfehlt, jedoch insofern eingesetzt wird, als lexikalische Einheiten semantische Strukturen haben, welche einen Anteil zur Semantik komplexer Strukturen beitragen sollen 2022 : „ Eine weiterhin akzeptierte Annahme ist dabei zunächst das sogenannte Fregesche Prinzip, das etwas vereinfacht besagt, daß sich die Bedeutung eines Ausdrucks aus der Bedeutung seiner Teile und der Art ihrer Kombination ergibt. “ 2023 In der Auffassung Freges wirkt das Kompositi- 2018 Vgl. G EIST (2006: 12, Fn. 2) 2019 Vgl. G EIST (2006: 32 - 35, 49 - 53, 60 ff.) 2020 B IERWISCH (1983); B IERWISCH (1997); B IERWISCH / L ANG (1987) 2021 G EIST (2006: 12) 2022 B IERWISCH (1983: 64) 2023 B IERWISCH (1983: 79) 382 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="383"?> onsprinzip primär auf Sinnebene und die entstandene, komponierte Struktur bezeichnet Bedeutungen als außersprachliche Sachverhalte bzw. Verhältnisse, die in der extensionalen Denotationsebene wahr oder falsch sein können. Eine Korrektur der nach dem Fregeschen Kompositionsprinzip geformten Intensionsstruktur auf Sinnebene findet gemäß der Rezeption der Fregeschen Theorie in der vorliegenden Studie durch die Regeln der Wohlgeformtheit bzw. Grammatizität des sprachlichen Ausdrucks, d. h. durch die Syntax statt, womit unscharfe Begriffe untersagt werden. Beschränkungen der konzeptuellen Struktur, d. h. der Sinnstruktur, z. B. durch eine sogenannte Bedeutungsrepräsentationsebene, finden bei Frege im Allgemeinen nicht statt, weil jeder grammatikalisch korrekt gebildete komplexe sprachliche Ausdruck sowie auch einzelne Ausdrücke (z. B. Nausikaa) und leere Begriffe einen Sinn besitzen können, die Gedanken vom Träger unabhängig sowie in unendlicher Anzahl existieren, und eine Bedeutung für den Sinn keine notwendige Voraussetzung ist. Da in der vorliegenden Studie sprachinterne Strukturen und nur am Rande außersprachliche Bedeutungen und damit pragmatisch-kommunikative Aspekte untersucht werden sollen sowie der Dedekindsche Beweis zur Existenz der fachterminologischen Gedanken respektiert ist, wird im Rahmen dieser Arbeit das Fregesche semiotische Modell dem Modell Bierwischs vorgezogen. Welke erläutert hinsichtlich einer Beschreibung valenzieller Verhältnisse: „ Unsere Darstellung findet eine ziemlich genaue Analogie in der Struktur von Aussagen des Aussagenkalküls der Logik. “ 2024, 2025, 2026 Eine Schichtung rechtfertigt Welke mit einer Perspektive auf Modalverben: „ In einem Satz wie Er will das Fenster öffnen ist öffnen ein Prädikat bzw. allgemeiner ein Operator erster Stufe und will ein Prädikat bzw. allgemeiner ein Operator erster Stufe mit seinen Argumenten ist Argument des Operators zweiter Stufe “ 2027, 2028 Diese Operatoren erster und zweiter Stufe ähneln prima facie Freges höherstufigen Begriffen (s. 5.6.4) und sollen eine Schichtung des Satzes reflektieren. Doch Welke verhaftet der Doktrin, dass nur präskriptiv ausgewählte Verben derartige Operatoren stellen können und geht nicht auf eine Adjektiv- oder Substantivvalenz, sowie auf begriffliche Strukturen im Satz ein, die nach einer syntaktischen oder semantischen Analyse a posteriori als höherstufige Begriffe konstituierend eingeordnet werden und die unter Umständen von Adjektiven oder Substantiven repräsentiert werden könnten. Welke sieht ebenfalls eine 2024 W ELKE (1965: 36) 2025 Zur Analyse einer Satzstruktur nach Welke, s. 6.9. 2026 Vgl. E ROMS (2003: 165) 2027 W ELKE (1965: 41); vgl. E ROMS (2003: 165) 2028 E ROMS (2003: 165) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 383 <?page no="384"?> Tendenz in der Behandlung der logisch-semantischen Valenz, Gedanken als ein Abbild der Realität zu verstehen: „ So kam es zu der Tendenz, gewisse Aspekte der sprachlichen (syntaktischen) Struktur, von denen man annahm, daß sie ‚ logisch ‘ seien (weil durch die formale Logik legitimiert) nicht nur als die semantische Struktur schlechthin anzusehen, sondern auch wegen der Assoziation: ‚ logisch ‘ = ‚ gedanklich ‘ = ‚ Abbild der Realität ‘ mit der Struktur des abgebildeten Sachverhalts zu identi fizieren. “ 2029 In der Tat handelt es sich hierbei um eine wortwörtliche Bedeutungskonstitution, nicht um eine Sinnkonstitution wie sie von Frege veranschlagt wurde. 6.4.2.2 Logische Valenz und Funktionenschreibweise Flämig erwähnt wie Bondzio ebenfalls eine Spiegelung, führt dies jedoch detaillierter aus, was Anlass zu einer genaueren Betrachtung der vorgestellten Spiegelung oder Widerspiegelung anhand Flämigs Theorie gibt. Flämig erklärt die Struktur von Sätzen mit Repräsentanten der „ Objektiven Realität “ 2030 , welche sich mit ihren „ Sach-verhalten “ 2031 über das „ Bewußtsein “ 2032 als „ logische Prädikate “ 2033 und ihre „ Aussagestrukturen “ 2034 in sprachlichen Ausformulierungen niederschlagen, in denen die „ semantische Struktur “ 2035 in der „ grammatischen Struktur “ 2036 inbegriffen sei. 2037 Diese Behauptung stellt Flämig auf, indem er folgendes Zitat aus der Schrift Elementare Logik von Segeth vorführt: „ Die im Bewußtsein widergespiegelten Sachverhalte der Wirklichkeit sind als Gedankenstrukturen mit den Mitteln der formalen Logik formulierbar als Aussagestrukturen, und zwar als logische Prädikate mit einer oder mehreren Lehrstellen. Demnach sind Prädikate ‚ Aussagefunktionen ‘ [ … ], d. h. Begriffsintensionen in ihrer korrekten logischen Form, aus der man ersehen kann, ob [ … ] eine Eigenschaft oder eine Beziehung widergespiegelt wird und zwischen wieviel Individuen eine solche Beziehung besteht. “ 2038 Schließlich spricht Flämig „ Beziehungen zwischen Individuen “ 2039 an, die mit mehrstelligen 2029 W ELKE (1988: 99) 2030 F LÄMIG (1971: 110) 2031 F LÄMIG (1971: 110) 2032 F LÄMIG (1971: 110) 2033 F LÄMIG (1971: 110) 2034 F LÄMIG (1971: 110) 2035 F LÄMIG (1971: 110) 2036 F LÄMIG (1971: 110) 2037 F LÄMIG (1971: 110); E ROMS (2003: 165) 2038 S EGETH (1967: 110); vgl. W ELKE (1965: 29 ff.) 2039 F LÄMIG (1971: 108 f.) 384 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="385"?> Prädikaten dargestellt werden, geht jedoch nicht auf höherstufige Begriffe nach Frege ein. Flämig erklärt: „ P(x), x hat die Eigenschaft P (Gold glänzt); R(x, y), x steht in der Beziehung R zu y (Peter sucht Paul); R(x, y, z), x steht in der Beziehung R zu y und z, (Peter schenkt Paul Bücher). Die logischen Aussagen sind wahr, wenn sie den Sachverhalt adäquat widerspiegeln; wahre Aussagen über Sachverhalte der Wirklichkeit erlauben Rückschlüsse auf bestimmte Strukturmerkmale ihnen entsprechender sprachlicher Äußerungen. “ 2040 Somit besteht auch bei Flämig eine deutliche Miteinbeziehung der Sachverhalte der extensionalen Wirklichkeit in die semantische Beschreibung. Flämig geht darüber hinaus auch davon aus, dass sprachliche Strukturmerkmale diese Sachverhalte adäquat abbilden bzw. spiegeln und schreibt vor, dass sprachliche Realisierungen gemäß ihren wahren Urbildern in der außersprachlichen Wirklichkeit strukturell interpretiert werden sollen. 2041 Zudem referiert Flämig auf Klaus und nimmt an, dass „ die sprachlichen Zeichen und die gedanklichen Abbilder eine unmittelbare dialektische Einheit bilden. “ 2042 Eine dialektische Einheit von syntaktischer und semantischer Struktur, welche einer dialektischen Einheit sprachlicher Zeichen in der Syntax und semantischer Inhalte als gedankliche Abbilder entspricht, proklamiert auch Helbig. 2043 Nun muss überprüft werden, inwiefern diese Behauptungen Segeths, Klaus ’ und Flämigs mit den, die Theorien Freges stützenden mathematisch nachvollziehbaren Sachverhalten übereinstimmen. Die geforderten Bedingungen für die Urbild- und die Bildmenge einer Abbildung sind in den mathematischen Fachtermini Injektivität, Surjektivität und Bijektivität definiert sowie folgendermaßen simplifiziert graphisch illustrierbar (Abb. 19): 2040 F LÄMIG (1971: 108) 2041 Zu weiteren Erläuterungen über die Einflussnahme von Sachverhalten der extensionalen Wirklichkeit oder Sachverhaltsbeschreibungen derselbigen (z. B. semantische Rollen wie Agens, Patiens, Benefizient etc.) auf die logisch-semantische Strukturbeschreibung sowie den Schwierigkeiten für die morphosyntaktische Strukturanalyse, die sich daraus ergeben, s. 6.4.2; 6.4.2.1; 6.5. 2042 K LAUS (1966: 21 f.); vgl. F LÄMIG (1971: 109) 2043 H ELBIG / S TEPANOWA (1978: 128 - 142, insbes. 133 f.) 6.4 Die Kopula in der valenztheoretischen Analyse 385 <?page no="386"?> Abb. 19: Injektivität, Surjektivität, Bijektivität einer Abbildung 2044 So werden nach Klaus, Segeth und Flämig Strukturen der objektiven Realität in sprachlichen Strukturen widergespiegelt, doch dies geschieht außerdem mittelbar, über die sogenannten gedanklichen Abbilder, welche mit den sprachlichen eine dialektische Einheit bilden. Diese sogenannten gedanklichen Abbilder sind somit nicht stet, ebenso wenig sind die sogenannten sprachlichen Abbilder stet, sondern der Dialektik, des Auflösens von Widersprüchen durch das Bewusstsein, unterworfen. Erstens ist damit festzustellen, dass in Flämigs Darlegung, welche er mit Zitaten Segeths zu stützen versucht, der Beweis zur Unabhängigkeit der Gedanken vom Vorgang des Denkens und zu ihrer unendlichen Anzahl durch Dedekind (s. 5.6.6) nicht berücksichtigt ist, da die sogenannten gedank- 2044 Vgl. R ECK (Hrsg. 1975: 19); vgl. F URLAN (2012: 122 ff.); vgl. H ILBERT (1985: 60 ff.) 386 6 Valenz und Semantik der Kopulae <?page no="387"?> lichen Abbilder nach Flämig nicht stet oder vom Denken unabhängig sowie in unendlicher Anzahl existieren, sondern vom Denken, vom Bewusstsein sowie von der Dialektik, d. h. von der dialektischen Einheit mit den sogenannten sprachlichen Abbildern, abhängig sind. Zweitens ist in einer derartigen Abbildungs- oder Spiegelungstheorie von den extensionalen Sachverhalten in der außersprachlichen Wirklichkeit als Urbildmenge in eine sogenannte dialektische Einheit aus gedanklichen und sprachlichen Abbildern, welche als Bildmenge fungiert, im Gegensatz zu Freges Modell, in welchem Gedanken unabhängig vom Denken eines Trägers und in unzähliger Anzahl vorliegen, nicht eindeutig klar, ob die Bildmenge gleichmächtig oder mächtiger als die Urbildmenge ist. In Segeths, Klaus ’ und Flämigs Modell spiegelt die Bildmenge die Urbildmenge lediglich. Dies impliziert, dass die Bildmenge im Bewusstsein eines Sprechers, welcher unmöglich alle Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit gleichzeitig aufnehmen und mental sowie sprachlich verarbeiten kann, sondern immer nur mit einem Ausschnitt der extensionalen Wirklichkeit konfrontiert ist, ebenfalls immer nur als eine Spiegelung oder Abbildung dieses Ausschnitts der Gesamtheit aller extensionalen Sachverhalte der außersprachlichen Wirklichkeit repräsentiert ist. Es erscheint deshalb eher zwingend, da