Das Fremdzeugnis für Jesus
Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium
0304
2024
978-3-3811-1002-5
978-3-3811-1001-8
A. Francke Verlag
Aaron Graser
10.24053/9783381110025
Unbestritten ist die Zeugnisthematik eines der bedeutendsten Themen des Johannesevangeliums. Immer wieder wurde diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die verwendeten Zeugnisbegriffe in rechtlichen, wenn nicht sogar gerichtlichen Zusammenhängen begegnen würden und das Johannesevangelium als metaphorischer Gerichtsprozess zu verstehen sei. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass neben dem Zeugnisgeben unter prozessähnlichen Umständen vor allem ein missionarisch-einladendes bzw. religiös motiviertes Zeugnisgeben im Mittelpunkt der Erzählung steht. Dieser Form des Zeugnisgebens widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht werden dabei die narrative Darstellung der Zeugen und Zeuginnen, der Zeugnisempfänger und -empfängerinnen sowie des Zeugnisakts und dessen Folgen.
<?page no="0"?> ISBN 978-3-381-11001-8 www.narr.de T A N Z T A N Z T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER Unbestri en ist die Zeugnisthematik eines der bedeutendsten Themen des Johannesevangeliums. Immer wieder wurde diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die verwendeten Begri e in juristischen bzw. gerichtlichen Zusammenhängen begegnen würden und das Johannesevangelium als metaphorischer Gerichtsprozess zu verstehen sei. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass neben dem Zeugnisgeben unter prozessähnlichen Umständen vor allem ein missionarisch-einladendes bzw. religiös motiviertes Zeugnisgeben im Mi elpunkt der Erzählung steht. Dieser Form des Zeugnisgebens widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht werden dabei die narrative Darstellung der Zeugen und Zeuginnen, der Zeugnisempfänger und -empfängerinnen sowie des Zeugnisakts und dessen Folgen. Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium <?page no="1"?> T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER 71 herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel <?page no="2"?> Das Fremdzeugnis für Jesus <?page no="4"?> Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium <?page no="5"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381110025 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-381-11001-8 (Print) ISBN 978-3-381-11002-5 (ePDF) ISBN 978-3-381-11003-2 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="6"?> Für Miriam, Herny & Robin <?page no="8"?> 13 15 1 17 2 19 2.1 19 2.2 21 2.3 24 2.4 25 2.5 28 2.6 30 2.7 33 2.8 34 2.9 37 2.10 40 2.11 43 3 45 3.1 46 3.2 48 3.3 49 3.4 52 4 55 5 57 63 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel I: Einleitung, Forschungsüberblick und Wortstamm . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgeschichtlicher Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . N. Brox (1961): Zeuge und Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . J.-C. Hindley (1965): Witness in the Fourth Gospel . . . . . . . . . J. M. Boice (1970): Witness and revelation in the Gospel of John J. Beutler (1972): Martyria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A.-A. Trites (1977): The New Testament Concept of Witness M.-R. Wilton (1992): Witness as a theme in the fourth gospel R.-G. Maccini (1996): Her Testimony is True . . . . . . . . . . . . . . A.-T. Lincoln (2000): Truth on Trial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D.-F. Gniesmer (2000): In den Prozeß verwickelt . . . . . . . . . . . R. Bauckham (2006): Jesus and the Eyewitnesses . . . . . . . . . . B. Lange (2019): Der Richter und seine Ankläger . . . . . . . . . . Überblick über die semantischen Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebrauch im außerbiblischen Griechisch . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebrauch in frühjüdischen, alttestamentlichen Schriften . . . Gebrauch im Neuen Testament . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der semantischen Studien . . . . . . . . . . . . . Ertrag und Grenzen der Forschungsbeiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel II: Das Fremdzeugnis für Jesus im Johannesevangelium . . . . . . . . . . <?page no="9"?> 1 65 1.1 65 1.2 68 2 73 2.1 74 2.1.1 75 2.1.2 91 2.2 97 2.3 101 2.4 101 3 105 3.1 106 3.1.1 106 3.1.2 106 3.2 109 3.3 114 3.4 114 4 117 4.1 117 4.1.1 117 4.1.2 118 4.2 119 4.3 123 4.4 123 5 125 5.1 126 5.1.1 126 5.1.2 138 5.2 140 5.3 144 5.4 147 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes . . . . . . . . Die relevanten Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abgrenzung der Erzählabschnitte und der Arbeit . . . . . . . . . . Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: Johannes (der Täufer) . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: „alle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: Priester und Leviten . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: ein unbestimmter Gruppencharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: Die Samaritanerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Dorfbewohner der samarischen Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="10"?> 6 151 6.1 151 6.1.1 153 6.1.2 161 6.1.3 168 6.2 172 6.3 192 6.3.1 194 6.3.2 197 6.3.3 199 6.4 201 6.5 202 7 205 7.1 205 7.1.1 206 7.1.2 206 7.2 220 7.3 224 7.4 225 8 227 8.1 227 8.1.1 228 8.1.2 228 8.2 229 8.3 234 8.4 235 9 237 9.1 237 9.1.1 238 9.1.2 243 9.1.3 244 9.2 246 9.3 249 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: der Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber: die Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber: die Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zeugnis des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zeugnis der Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zeugnis der Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen der Zeugnisse . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: der Vater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: die Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Juden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Die Volksmengen in Joh 6 und 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Volksmenge in Johannes 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Volksmenge . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber: die Volksmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 9 <?page no="11"?> 9.4 252 9.5 253 10 255 10.1 256 10.1.1 261 10.1.2 263 10.1.3 282 10.2 285 10.2.1 285 10.2.2 287 10.3 299 10.4 305 10.5 305 10.5.1 306 10.5.2 307 10.5.3 310 10.5.4 312 10.6 313 11 317 11.1 317 11.1.1 318 11.1.2 338 11.2 346 11.3 349 11.4 350 12 353 12.1 353 12.1.1 354 12.1.2 355 12.2 355 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliches Verständnis des Parakletenbegriffs aus dem biblischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliches außerbiblisches Verständnis des Parakletenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung des Verständnisses des Parakletenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: der Geistparaklet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Geistes . . . . . . Erweitertes Zeugnis: die Jünger und die Welt . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber 2: die Jünger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger 2: die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses der Jünger Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? . . Zeugnisgeber: der Jünger, den Jesus liebt . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: „ihr“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisszene 11: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 21,24-25) . . . . . . . Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeugnisgeber: der Jünger, den Jesus liebt . . . . . . . . . . . Zeugnisempfänger: die intendierten Rezipienten . . . . Die Umstände des Zeugnisgebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt <?page no="12"?> 12.3 357 12.4 357 359 1 361 2 387 3 393 396 411 429 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel III: Zusammenfassung und Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse . . . . . . Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten . . . . . . . Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bibelstellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 11 <?page no="14"?> Vorwort Die vorliegende Untersuchung zur Zeugnisthematik des Johannesevangeliums wurde unter dem Titel „Das Fremdzeugnis für Jesus - Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium“ im Sommersemester 2021 von der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen als Dissertation im Fach Evangelische Theologie (Exegese und Theologie des Neuen Testaments) angenommen. Für den vorliegenden Druck wurde sie geringfügig überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Herrn Prof. Dr. Bernd Kollmann (Siegen), der die Betreuung der Arbeit übernahm und mit konstruktiver Kritik die Fertigstellung der Arbeit begleitete, sowie meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Zimmermann (Mainz), der sich immer wieder die Zeit nahm, auf Rückfragen zu reagieren, zu ermutigen und den gesamten Entstehungsprozess der Arbeit zu begleiten. Bedanken möchte ich mich überdies bei vielen Bekannten und Freunden, die mir über die letzten Jahre in vielerlei Hinsicht mit Rat und Tat zur Seite standen. Genannt seien hier u. a. Dr. Sönke Finnern, der mir persönlich für jede Rückfrage zur Narratologie Rede und Antwort stand, Dr. Alexander Drews, Dr. Dr. Benjamin Lange, Prof. Dr. Christoph Stenschke, Dr. Ruben Bühner und Michael Böllert (BBF). Ein besonderer Dank geht auch an Herrn Prof. Dr. Manuel Vogel ( Jena) und den gesamten Herausgeberkreis für die Aufnahme meiner Arbeit in die Buchreihe Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ). Doch wie könnte eine Dissertation geleistet werden ohne den Rückhalt des eigenen Partners? Ich danke daher insbesondere meiner Frau Miriam. Mit Liebe und Geduld hat sie meine häufige (gedankliche) Abwesenheit mitge- und ertragen und mir immer wieder den nötigen Freiraum zum Arbeiten gelassen. Nur durch Dich, Deine Unterstützung und Ermutigung habe ich manche Mutlosigkeit, Niedergeschlagenheit und Enttäuschung überwunden und die vorliegende Arbeit zu Ende geführt. Zum Schluss bleibt noch zu sagen: Möge diese Arbeit zum Zeugnis und zur Ehre desjenigen Mannes beitragen, der der Protagonist des Johannesevan‐ geliums ist - Jesus von Nazareth. <?page no="16"?> Kapitel I: Einleitung, Forschungsüberblick und Wortstamm <?page no="18"?> 1 Einleitung οὗτος ἦλθεν εἰς μαρτυρίαν ἵνα μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ φωτός […] ( Joh 1,7) Als Zeuge oder Zeugin aufzutreten ist eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe. Vor Gericht kann ein abgelegtes Zeugnis zum Freispruch oder zur Verurteilung führen, in einem außergerichtlichen Kontext kann es zur Repu‐ tation und Glaubwürdigkeit einer Person beitragen. In diesem Sinne und zu diesem Zweck werden auch im Johannesevangelium ( JohEv) immer wieder und in unterschiedlichen Zusammenhängen Zeugen und Zeuginnen angeführt, um Zeugnis für die Hauptperson der Erzählung, Jesus von Nazareth, abzulegen. Auch wenn betont und immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass die Zeug‐ nisbegriffe häufig in rechtlichen, wenn nicht sogar gerichtlichen Zusammen‐ hängen begegnen würden und das JohEv als metaphorischer Gerichtsprozess zu verstehen sei, so fällt doch bei näherer Betrachtung der Zeugnisthematik auf, dass neben dem Zeugnisgeben unter prozessähnlichen Umständen vor allem ein missionarisch-einladendes bzw. religiös motiviertes Zeugnisgeben im Mittelpunkt der Erzählung steht. Es geht bei der Verwendung der Zeugnisbegriffe im JohEv also nicht nur oder nicht primär um entlastende Zeugnisse, die zu einem „Freispruch“ der Person führen sollen, für die Zeugnis abgelegt wird, sondern vielmehr um Zeugnisse, die zu „gutem Ansehen“ der Hauptperson beitragen und zur persönlichen Begegnung mit ihr einladen sollen und wollen. Dabei zeigt die Häufigkeit der Verwendung von μαρτυρία und μαρτυρεῖν, dass die Zeugnisthematik kein Randthema, sondern eines der zentralen Themen des vierten Evangeliums darstellt. Insgesamt 33-mal ist vom „Zeugnisgeben“, „Zeug‐ nisablegen“ oder „Bezeugen“ (μαρτυρεῖν), 14-mal vom „Zeugnis“ (μαρτυρία) die Rede. Bereits in den ersten Zeilen des Prologs wird ein erster zentraler Zeuge für Jesus eingeführt. Deutlich wird darauf verweisen, dass dieser Zeuge, Johannes der Täufer, nicht zum Selbstzeugnis gekommen ist, sondern „damit er von dem Licht zeuge, auf dass alle durch ihn glaubten“ ( Joh 1,7). Von der Erwähnung dieses ersten Zeugen an tauchen das Thema und die Begriffe „Zeuge sein“ bzw. „Zeugnis ablegen“ in fast jedem Kapitel des Evangeliums auf. Die vorliegende Arbeit gilt dieser zentralen Zeugnisthematik und untersucht die narrative Darstellung der Zeugen, der Zeugnisempfänger und des Akts des Zeugnisgebens. <?page no="20"?> 1 S C H I P P E R S 1938; A S T I N G 1939. 2 S T R A T H M A N N 1942, 4: 477−520. 3 B R O X 1961. Entsprechende Seitenangaben zu Brox 1961 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 4 Interessant für die vorliegende Arbeit ist im zweiten Abschnitt vor allem das 4. Kapitel (70−84), in dem sich Brox der johanneischen Zeugnis-Theologie zuwendet. 5 Erklärungsversuche von K A T T E N B U S C H 1903, C A M P E N H A U S E N 1936, C A S E Y 1933, S T R A T H ‐ M A N N 1941 und G Ü N T H E R 1941. 6 Untersuchungen von H O L L 1928, S C H L A T T E R 1915, S U R K A U 1938. 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick Das Interesse an der neutestamentlichen Zeugnisthematik und der Zeugen‐ terminologie erlebte vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren seine Blütezeit. Infolge einiger früher Beiträge 1 und des 1942 im Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament veröffentlichten Artikels von Hermann Strathmann 2 widmeten sich zahlreiche Forscher dieser Thematik. Ende der Siebzigerjahre flaute das Interesse zunehmend ab, erstarkte aber erneut in den Neunzigerjahren und gegenwärtig in einigen Beiträgen. 2.1 N. Brox (1961): Zeuge und Märtyrer Einen umfassenden Beitrag leistete Norbert Brox mit seiner Monografie Zeuge und Märtyrer: Untersuchung zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie. 3 Sein Interesse besteht vor allem darin, „den Ursprüngen der Bedeutungsänderung des Wortes μάρτυς κτλ., die zur Entstehung des Märtyrertitels führte, nachzugehen“ (13). Brox geht davon aus, dass der Märtyrertitel erst in nachneutestamentli‐ cher Zeit gebildet wurde. Um dies nachzuweisen, wendet er sich in seiner 14 Kapitel umfassenden Abhandlung dem allgemeinen Sprachgebrauch, der spezifischen Begrifflichkeit des Zeugen und Zeugnis im Neuen Testament 4 und in einem dritten Teil der Benennung des christlichen Märtyrers zu. Des Weiteren beleuchtet er das Verkündigungszeugnis, den Märtyrer und den Märtyrertitel im neutestamentlichen Sprachgebrauch und setzt sich hierbei mit früheren Erklärungsversuchen 5 auseinander. Da diese Versuche Brox jedoch nicht zu‐ friedenstellen, wendet er sich einer näheren Untersuchung des Judentums und des Alten Testaments zu, um dort nach Erklärungen für die Entstehung und Bedeutungsänderung des Märtyrertitels zu suchen. Auch hier hinterfragt Brox bisherige Untersuchungsergebnisse 6 und kommt zu dem Schluss, dass <?page no="21"?> 7 B R O X (1961, 230−231) argumentiert: „Hätte man ursprünglich aus dem Märtyrertitel noch seine Herkunft aus dem neutestamentlichen Zeugenbegriff herausgehört, so wäre das unverbundene Nebeneinander beider Wortbedeutungen und ebenso der stereotype Gebrauch des Wortes im martyrologischen Sinn […] undenkbar. Man würde dann erwarten, daß jedesmal, wenn der Märtyrer μάρτυς und das Martyrium μαρτυρία genannt wird, daran gedacht würde, daß hier ein wirkliches (Blut-) Zeugnis abgelegt wird, parallel zum Wortzeugnis des Glaubenszeugen und Verkündigers, was aber nirgends angedeutet ist. Der Wortgebrauch, der also anscheinend den ursprünglichen Wortsinn des Zeugnisses vergessen hat und rein technischer Natur ist, wird aber eher verständlich, wenn der Märtyrertitel in der oben angedeuteten Weise aus einem bestimmten, zeitbedingten Anlaß entstanden ist, der vielleicht bald unaktuell wurde, während das Wort - jetzt als bloßer Name - für den Vorgang des Märtyrers blieb“. „das Alte Testament und Spätjudentum als Ursprungsort für den Märtyrertitel ausscheiden“ (172). Infolgedessen konzentriert sich Brox im dritten Abschnitt (175-195) des dritten Teils seiner Arbeit auf außerbiblische Texte und hellenis‐ tische Parallelen zur Vorstellung und Benennung des christlichen Märtyrers. Da Brox auch dort keine Antworten findet, richtet er sein Augenmerk auf die frühchristliche Literatur bis hin zum Martyrium des Polykarp, des Jakobus und der Lugdunenser (196-228). Brox stellt fest, dass sich der Märtyrertitel weder aus dem Wortzeugnis gebildet noch den Begriff des Wortzeugen verdrängt habe. Es sei auch „unwahrscheinlich, daß der Märtyrertitel auf dem Wege der direkten Ableitung vom Begriff des Glaubens- und Verkündigungszeugen entstanden ist“ (230). 7 Dementsprechend fasst er die Ergebnisse seiner Forschung wie folgt zusammen: Für ihn steht fest, „daß sich keine zuverlässigen Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß der Märtyrertitel aus dem biblischen Begriff des Wortzeugen entstanden ist, weder aus den biblischen Büchern selbst noch in der frühen Kirche“ (232; vgl. 236). Keiner der untersuchten Texte kenne eine „innere begriffliche Verbindung von Martyrium und Verkündigungszeugen“, noch sei nachweisbar, „daß in den neutestamentlichen Schriften die Leidens‐ vorstellungen an den Stamm μαρτgebunden würden“ (233). Somit verortet Brox die Entstehungszeit des Märtyrertitels zwischen der Abfassung des letzten Buches des Neuen Testaments und dem Martyrium des Polykarp. Erste Anzeichen der Entstehung des Titels sieht Brox bei Ignatius und Irenäus von Lyon. In der Auseinandersetzung mit der doketischen Irrlehre sei diesen „das Martyrium der Christen als Beweise für die Leidensfähigkeit Christi und die Tatsächlichkeit seines Leidens vorgehalten“ worden (234). Die getöteten Christen könnten dabei als Zeugen (μάρτυς) und ihr Martyrium bzw. 20 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="22"?> 8 Laut B R O X (1961, 237) gilt für Irenäus der Tod des Märtyrers allein als Zeugnis, nicht schon das Leiden davor. 9 B R O X (1961, 235) hält es für denkbar und naheliegend, dass „die Tat - in unserem Fall Folter und Tot - unmittelbar als beredtes Zeugnis empfunden werden konnte, ohne daß man erst von einem Wortzeugnis wissen mußte […]“. Für Ignatius und Irenäus sei „das Ergebnis des Martyriums unmittelbar Zeugnisakt, der die Echtheit des Leidens Christi bestätigt“ (B R O X 1961, 236). 10 H I N D L E Y 1965. Entsprechende Seitenangaben zu Hindley 1965 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. ihr Tod 8 (nicht ihr Wortzeugnis 9 ) als Zeugnis (μαρτυρία und μαρτύριον) „für die wahre Leiblichkeit Christi und für seine wirklich geschehene Passion“ gehalten worden sein, was sodann zur Entwicklung des Titels geführt haben könnte. Neben manchen Unsicherheiten ist Brox überzeugt, „daß er [der Märtyrer‐ titel] für die Zeit etwa von 100 bis zur Niederschrift des Martyriums des Polykarp (156) in Kleinasien anzusetzen ist und im Vollzug etwa so zu denken ist, wie es dargestellt wurde“ (236). Überdies könne festgehalten werden, „daß sich […] der Märtyrertitel weder unmittelbar aus der philosophischen Sondersprache, noch direkt aus alttestamentlich-jüdischer und auch nicht aus neutestamentlicher Terminologie ableiten läßt, da die in vielen Variationen vorgeschlagenen Begriffsverbindung von biblischem Zeugnis und Leiden oder Tod nicht nachweisbar ist“ (237). Vieles deute eher darauf hin, dass der Titel auf anderem Wege und auf Grund anderer Vorstellungen gebildet wurde, wahrschein‐ lich nämlich auf einem gelegentlichen, der frühen Kirche sich bietenden Anlaß, wie wir ihn in der antidoketischen Polemik erblicken und der für uns möglicherweise gar nicht mehr mit Sicherheit greifbar ist. Dabei sind die sprachlichen Voraussetzungen durch den im profanen Griechisch bekannten und auch gebräuchlichen Begriff des Tatzeugen gegeben (237). Da sich Brox vorrangig mit Fragen nach dem Ursprung und der Entwicklung des Märtyrerbegriffs auseinandersetzt, ist seine Monografie diesbezüglich zwar sehr aufschlussreich, sie trägt aber kaum etwas zur Aufhellung der Fragen nach der Darstellung und Bedeutung des Zeugnisgebens für Jesus im JohEv bei. 2.2 J.-C. Hindley (1965): Witness in the Fourth Gospel Nach Broxʼ Monografie erscheint 1965 im englischsprachigen Raum John C. Hindleys Artikel Witness in the Fourth Gospel. 10 In seinem Aufsatz geht Hindley der Frage nach, in welchem Zusammenhang (logische) Beweise, theologische Erkenntnisse oder Schlussfolgerungen von Beweisen zum Glauben an Jesus 2.2 J.-C. Hindley (1965): Witness in the Fourth Gospel 21 <?page no="23"?> 11 Wunder die (a) neutral sind, also keine Wirkung haben, Wunder, die (b) zur Verhärtung der Opposition führen, Wunder, die (c) zu vorläufigem Glauben führen und Wunder, die dazu führen, dass (d) die Herrlichkeit Gottes erkannt wird (H I N D L E Y 165, 328−329). 12 Der Trennung zwischen Wunder und Zeichen hat jüngst R E D E L I N G S (2011) widerspro‐ chen. 13 H I N D L E Y 1965, 331. Er führt weiter aus: „To see the glory of God one must see them as ‚signs‘. It is therefore significant that in only two miracle stories in the Fourth Gospel are we told that they ‚revealed his glory‘ […] In both instances it is to those who are already believers that the glory is revealed, and perhaps it is significant that they mark the beginning and end of Jesusʼ signs. Moreover, because for this Gospel the glory is ultimately the Cross, the true semeion, which Jesus Himself is said to offer, is that of His own death and resurrection (2.19f)“ (331). stehen. Er untersucht, ob der Glaube Resultat überzeugender und logischer Argumente oder Schlussfolgerungen ist und ob die Worte martyrein und martyria als Verständnishilfe für die Verbindung von Glaube und Beweisen dienen können (320). Um Antworten zu erhalten, wendet sich Hindley der Zeugnisthematik des JohEv zu, insbesondere den Zeugnissen des Vaters, des Sohnes und der Wunder Jesu. Bei der Untersuchung des Selbstzeugnisses Jesu und des Zeugnisses des Vaters kommt Hindley zu dem Schluss, dass diese bestenfalls als Hinweise dienen könnten, nicht aber überzeugend seien und vor einem ordentlichen Gericht nicht als Beweise gelten würden (323). Daraufhin widmet sich Hindley den Wundern Jesu. Er unterteilt diese aufgrund ihrer unterschiedlichen Aus‐ wirkungen in vier Kategorien 11 und betont, dass sie überzeugend sein könnten, wenn denn die Zeichen hinter den Wundern erkannt und geglaubt würden. 12 Hindley folgert, dass auch die Wunder, wie schon die Zeugnisse des Vaters und des Sohnes, in sich selbst als Zeugnis nicht zwingend überzeugend seien; auch sie könnten und müssten letztlich im Glauben erfasst werden. Aus diesem Grund haben Wunder für Hindley nur einen untergeordneten Stellenwert in der christlichen Apologetik und bilden „not the basis of true faith and do not bear the ‚glory‘ of God“. 13 Um weitere Antworten auf seine Fragen zu erhalten, untersucht Hindley den Zusammenhang zwischen Glaube und Beweisen aus philosophischer Sicht. Er argumentiert, dass das Evangelium nicht mit der abstrakten Feststellung „Gott existiert“ beginne und nicht versuche, diese Aussage zu verstehen oder zu begründen. Stattdessen werde im Evangelium ein Mann dargestellt, der eine lebendige Konfrontation mit dem Vater verkörpert: „He is the place where traffic between earth and heaven goes on (cf. John 1.51). We have, not an argument but an encounter“ (335). Diese Beobachtungen führen Hindley zu der Vermutung, dass es nicht so sehr um Beweise oder überzeugende Argumente gehe, sondern 22 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="24"?> 14 Diese Feststellung führt Hindley zu der Frage, ob hierin vielleicht die Bedeutung 1,18 erläutert sei, dass niemand Gott jemals gesehen habe, außer der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist. 15 H I N D L E Y (1965, 337) hält daher den Anspruch für berechtigt, dass einige Erfahrungen für unsere Aussage über „Gott“ und die Überprüfung der Aussagen über ihn relevant seien. Dabei verweist er auf den christlichen Philosophen John Wilson, der ebenfalls fordert, dass Gläubige in der Lage sein sollten, ein klares und einhelliges Programm hervorzubringen, welches anerkannte Methoden zur Erlangung von Erlebnissen führt, die relevant für die Erklärung des Glaubens seien. um die Zeichenbedeutung (sign-value) der Wunder (335) und darum, dass das Zeugnis Jesu (Ich und der Vater sind eins, oder: Wenn ihr mich gekannt hättet, hättet ihr auch den Vater gekannt) im Glauben angenommen werden müsse. Das gesamte Selbstzeugnis Jesu und die Annahme dieses Zeugnisses im Glauben würden dem Wort und Konzept „Gott“ überhaupt erst seine Bedeutung ver‐ leihen. 14 Martyria beinhalte somit auf unterschiedliche Weise gewisse Formen und Muster menschlicher Erfahrungen. 15 Hindley schlägt abschließend vor, den Begriff martyria in allen seinen Formen als Einladung zur Jüngerschaft zu sehen, to move step by step towards faith affirmation, whose results may meet the test of experience. This is distinguished from testing a scientific hypothesis by empirical facts. As the Fourth Gospel shows, the empirical facts are ambiguous. It is also distinguished from rational proof of God, which would be either pride or idolatry. But it does admit and appeal to that in man which wants verification and assurance: it offers entry into an experience which is not wholly irrational, but which itself yield meaning and definition to the concept ‚God‘ and ‚life in his name‘. It is perhaps a part of the meaning of those great words in John 8.31f: ‚If you continue in my word, you are truly my disciple, and you will know the truth, and the truth will make you free‘ (337). Mit seinem Aufsatz legt Hindley interessante Zusammenhänge zwischen über‐ zeugenden Beweisen, Erkenntnissen und Zeugenaussagen und dem Glauben an Jesus offen. Eine detaillierte Untersuchung der Zeugnisthematik wird jedoch nicht geleistet, sodass Fragen nach den Zeugnisgebern und Zeugnisempfängern sowie nach der Wirkung der Zeugnisse offenbleiben. 2.2 J.-C. Hindley (1965): Witness in the Fourth Gospel 23 <?page no="25"?> 16 C O X 1966; T R I T E S , o.-J.; 1968; 1970; 1973, T E N N E Y 1975. 17 B O I C E 1970. Entsprechende Seitenangaben zu Boice 1970 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 18 B O I C E (1970, 29) verweist auf Strathmann und Brox, die nachgewiesen haben, dass die Zeugnisse im Corpus Johanneum primär Jesus zum Inhalt haben. 27 der 30 Verwendungen des Wortes martyria seien speziell auf die Natur und die Bedeutung Jesu ausgerichtet. 2.3 J.-M. Boice (1970): Witness and revelation in the Gospel of John Neben diesem Artikel und weiteren kürzeren Abhandlungen 16 erscheint 1970 die Dissertation von James M. Boice Witness and revelation in the Gospel of John. 17 Boice geht davon aus, dass es sich bei den im JohEv angeführten Zeugnissen um Offenbarung (revelation) handele. Der Evangelist gebrauche die Zeugnisbegriffe martyrein und martyria, um sein eigenes Verständnis des unverwechselbaren Charakters christlicher Offenbarung auszudrücken (14), während er auf die eigentlichen Offenbarungsbegriffe apokalyptein und dēloun verzichte. Um die Zusammenhänge zwischen Zeugnis (witness) und Offenbarung nachzuweisen, untersucht Boice zunächst die Zeugnisthematik des Alten Testaments. Mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen wendet er sich der Zeugnisthematik des JohEv zu und stellt sieben Arten von Zeugnissen heraus, mit folgendem Ergebnis: „[A]ll of the seven are not equal. Some witnesses are partial. Some are dependent on the others“ (27). Die sieben Arten der Zeugnisse unterteilt Boice dann in Zeugnisse von Jesus (Kapitel 3) und Zeugnisse für Jesus, wobei er bei Letzteren zwischen „the divine witness to Jesus“ (Kapitel 4), „the human witness to Jesus Christ“ (Kapitel 5) und „the witness of the Holy Spirit“ (Kapitel 6) unterscheidet. Boice betont besonders die Sonderstellung des Zeugnisses Jesu. Während alle Zeugen Zeugnis für Jesus ablegen würden, 18 sei Jesus der Einzige, der Zeugnis für sich selbst, den Vater und die Wahrheit ablege - drei Ausdrücke, die laut Boice letztlich für Synonyme gehalten werden müssen (28). Somit sei Jesus der Zeuge par excellence, da nur sein Zeugnis - als Zeugnis des Sohnes Gottes - ein unmittelbares und unverfälschtes Verständnis der göttlichen Realität beinhalte. Christus übernehme in und mit seinem Zeugnis die Rolle des einzigartigen Offenbarers. Durch die Untersuchung der Zeugnisthematik sieht Boice seine These be‐ stätigt, dass das Zeugnis Jesu als Mittelpunkt aller göttlichen und rettenden Offenbarung hervortrete. „For John the witness of Jesus is revelation and the witnesses which cluster about it are expressions by the evangelist of those 24 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="26"?> 19 B O I C E 1970, 29. Vgl. B E U T L E R 1972, 40. 20 Zur Definition der „indentierten Rezipienten“ siehe unter 5. Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit. 21 B E U T L E R 1972. Entsprechende Seitenangaben zu Beutler 1972 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. aspects of revelation which concern the subjective appropriation and the objective verification of religious truth“ (31). Zudem muss laut Boice Folgendes festgehalten werden: „Johnʼs treatment of the idea of witness moves within the area of divine revelation, the verification of religious claims and the response of the individual to the revelation which is found in Christ“ (35). Aufgrund dieser Beobachtungen steht für Boice fest, dass der Evangelist nicht nur an der bloßen Zeugnisthematik interessiert sei. Vielmehr habe er ein theolo‐ gisches Interesse, aus dessen Sicht das Zeugnis nicht nur forensische Bedeutung besitze, sondern vielmehr auch eine religiöse Zeugnisdimension aufweise, welche die Darstellung, Nachprüfbarkeit und Bestätigung der Behauptungen und Ansprüche Jesu miteinbeziehe (28-29). Zusammenfassend lasse sich daher sagen, dass Johannes als Theologe über das Wesen und die Bedeutung des christlichen Zeugnisses reflektiere. Das daraus resultierende religiöse Zeugnis erreiche im vierten Evangelium seinen absoluten Höhepunkt, der sich so in keiner anderen neutestamentlichen Quelle wiederfinde. 19 Dieser beachtenswerte Beitrag, in dem sich Boice ganz auf die Zeugnisbe‐ griffe martyrein und martyria bezieht und zwischen den unterschiedlichen Zeugnissen klar differenziert, zeigt auf, dass die Zeugnisthematik des JohEv nicht nur eine forensische, sondern vor allem auch eine religiöse Offenbarungs‐ dimension aufweist. Obgleich sich Boice auf die eigentliche Zeugnisthematik und die offensichtlichen Zeugnisstellen fixiert, können diese noch ausführlicher und umfassender auf die narrative Darstellung der Zeugnisakte hin untersucht werden, um die Funktion, Bedeutung und vor allem die Wirkung des Zeug‐ nisses für das JohEv, die erzählten Zeugnisempfänger und die intendierten Rezipienten 20 zu erhellen. 2.4 J. Beutler (1972): Martyria Im deutschsprachigen Raum beteiligt sich 1972 Johannes Beutler mit seiner Mo‐ nografie Martyria: Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Zeugnisthema bei Johannes an der Erforschung der Zeugnisthematik des Neuen Testaments. 21 Im Fokus seiner Arbeit steht neben der Suche nach der vorausgegangenen biblischen oder außerbiblischen Tradition der Zeugenbegriffe die Suche nach 2.4 J. Beutler (1972): Martyria 25 <?page no="27"?> 22 B E U T L E R (1972, 7. 41. 42. 366) betont dies mehrfach und schreibt, dass er dem „funda‐ mentaltheologischen Anliegen“ (die Suche nach einer biblischen Glaubensbegründung) die Entstehung seiner Arbeit verdanke (7). 23 C A M P E N H A U S E N 1936, G Ü N T H E R 1941, B R O X 1961. 24 A S T I N G 1939, S C H I P P E R S 1938, S T R A T H M A N N 1942. einer biblischen Glaubensbegründung. 22 Während in vorhergehenden, ähnli‐ chen Arbeiten vielfach die Zeugenbegriffe auf ihren Wortsinn hin untersucht wurden und der Frage nach der Herkunft und Entwicklung des Märtyrertitels nachgegangen wurde 23 oder die Zeugnisterminologie und Wortbedeutung als solche beleuchtet wurden, 24 will Beutler sich dem konkreten Wortgebrauch zuwenden. „Nicht der Wortinhalt wird von uns untersucht, sondern die ver‐ schiedenen Kontexte, in denen Wörter des Stammes μαρτυim NT und in der urchristlichen Literatur vorkommen. Von dorther werden wir versuchen, den Hintergrund aufzuhellen, auf dem die joh ‚Zeugnis‘-Stellen zu verstehen sind“ (169). Um dies umzusetzen, sucht Beutler im ersten Teil (43-205) seiner Arbeit zu‐ nächst im außerbiblischen Griechisch, im Alten Testament, in der altjüdischen, synkretistischen und gnostischen Literatur und schließlich im Neuen Testament (außerhalb der Schriften des Johannes) und dem Urchristentum nach möglichen Parallelen zur johanneischen Zeugnisterminologie. Hierbei kommt er zu fol‐ genden Ergebnissen: In der griechischen Rechtssprache, Umgangssprache, Rhe‐ torik und Philosophie kämen μαρτυρϵῖν und μαρτυρία „sehr häufig in rechtli‐ chen, wenn nicht sogar in gerichtlichen (‚forensischen‘) Zusammenhängen“ vor (72-73). Ebenso verhalte es sich mit der Zeugnisterminologie in der LXX, im hebräischen Alten Testament (118) und in den Qumrantexten (144). Bezüglich der jüdisch-hellenistischen und der griechisch-hellenistischen Literatur merkt Beutler an, dass die Zeugenbegriffe „häufig Ausdrücke zur Einführung eines Arguments oder einer Autorität in der religiösen Apologetik“ seien. „Sie sind der griechisch-hellenistischen Rhetorik und Dialektik entnommen, können aber durchaus ‚forensische‘ Schärfe […] erhalten“ (155). Aus der Terminologie der frührabbinischen Literatur hebt Beutler besonders die verbale Verbindung דיעה … לע hervor, da er in ihr Entsprechungen bei Johannes erkennt. „Sachlich ent‐ halten die Anforderungen, die an den Zeugen im jüdischen Prozeß des Misch‐ narechts gestellt werden, Elemente, die auch in den joh Schriften eine Rolle spielen, wie die Zahl der Zeugen, Glaubwürdigkeit usw.“ (162-163). Was das „Bezeugen“ und „Zeugnis“ im Neuen Testament außerhalb der johanneischen Schriften und der urchristlichen Literatur betrifft, so erkennt Beutler vor allem bei Lukas, der Apostelgeschichte, dem Hebräerbrief, der 26 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="28"?> 25 Dazu zählt B E U T L E R (1972, 363) die Verbindungen μαρτυρεῖν περὶ τινος und μαρτυρεῖν τῇ ἀληθείᾳ. Gerade „die Verbindung des Verbs mit περί, auf Jesus angewandt, ‚über‘ den Zeugnis abgelegt wird, dient […] als ein brauchbarer Leitfaden für die Untersuchung über die ‚verschiedenen Zeugen für Christus und den traditionsgeschichtlichen Hin‐ tergrund‘ (Kap. VI)“. 26 B E U T L E R 1972, 307−338. Vgl. die Ähnlichkeiten zur Arbeit von B O I C E (1970). 27 B E U T L E R (1972, 364) sieht in der Weiterverfolgung dieser Fragestellung eine sich lohnende Aufgabe. Apokalypse und dem 1. Clemensbrief inhaltliche Berührungspunkte und eine ähnliche Vorliebe für die Begriffe μαρτυρϵῖν und μαρτυρία (204). Mit diesen gewonnenen Erkenntnissen wendet sich Beutler im zweiten Teil (206-361) seiner Arbeit dem Evangelium und den Briefen des Johannes zu, um die Zeugnisthematik in terminologischer, traditionsgeschichtlicher und theologischer Hinsicht zu untersuchen. Hinsichtlich der johanneischen Zeugnisterminologie zeigt sich laut Beutler eine große Unabhängigkeit von der biblischen Sprachtradition und den jü‐ disch-hellenistischen Autoren (234). Dagegen will Beutler eine „Verwurzelung der joh Sprache in ihrer griechischen (z. T. semitisch beeinflußten) Umgebung“ sehen (363), obwohl sich zugleich auch einige charakteristische Verbindungen 25 nachweisen lassen, für die sich kaum oder überhaupt keine Parallelen finden (363). Bei der Untersuchung der Zeugen für Christus sieht Beutler beim Zeugnis Gottes und dem Zeugnis der Schriften innerbiblische Parallelen zur Apostelge‐ schichte, dem Hebräerbrief und zu Paulus. Darüber hinaus erkennt Beutler für beide Zeugnisse viele „Berührungspunkte mit der jüdisch-hellenistischen Apologetik bei Philo […] und Fl. Josephus […] sowie bei griechischen und hellenistischen Autoren“ (363). Auch beim Zeugnis der Werke ließen sich Parallelen zur Apostelgeschichte, dem Hebräerbrief und dem 1. Clemensbrief erkennen (305), beim Zeugnis des Geistes Parallelen zu Paulus (363). Was Christus als Zeugen angeht (als Zeugen göttlicher Offenbarung 26 und als Zeugen für die Wahrheit), sieht Beutler Entsprechungen in der frühchristlichen Apokalyptik, u. a. in der Geheimen Offenbarung, dem Buch der Jubiläen und einigen Qumranschriften. Zudem geht er davon aus, dass es Berührungspunkte „traditionsgeschichtlicher Art zwischen der joh ‚Zeugnisargumentation‘ und der Vorstellung von ‚Jesus als Zeuge himmlischer Dinge‘“ gebe, denen er in seiner Arbeit aber nicht weiter nachgehen will. 27 Beutler beschreibt: „Verein‐ facht gesagt führt uns die ‚Zeugnisargumentation‘ stärker in den Umkreis hellenistischer Argumentationsweise, während wir bei der Vorstellung ‚Jesus als Zeuge‘ (neben christlichen) stärker jüdisch-palästinensische Parallelen auf‐ weisen konnten“ (364). 2.4 J. Beutler (1972): Martyria 27 <?page no="29"?> Neben diesen Parallelen hebt Beutler abschließend die besondere Eigenleis‐ tung des Evangelisten hervor. Die stärkste „theologische Eigenleistung“ sieht er „in der Charakterisierung des Täufers Johannes als Zeugen für Christus“ (305). Hier könnten keine Parallelen nachgewiesen werden und „hier scheint sich bereits die Eigenleistung des Evangelisten anzukündigen“ (363). Eigenleistung des Evangelisten erkennt Beutler zudem in der „Vorstellung vom ‚Zeugnis über (περί) Jesus‘, die „so gut wie ohne Parallelen (außer Apg 22,18) [bleibe]“ (365). Weitere eigenständige Beiträge leiste der Evangelist in der „Anordnung der ein‐ zelnen ‚Zeugen‘ für Jesus innerhalb des Evangeliums […] zu einer geschlossenen und zusammenhängenden ‚Zeugnisargumentation‘“, in der „eigentümliche[n] Dynamik, mit der er vom äußeren, gesehenen Zeugnis zum geglaubten Zeugnis führt“, und in der „Einordnung der verschiedenen Einzelzeugnisse für Jesus in einen ‚großen Prozeß‘“ (365). In der Zeugnisargumentation sieht Beutler den für das vierte Evangelium charakteristischen „Entscheidungsdualismus“, in dem „die joh ‚Zeugnisargumentation‘ aufs engste mit der joh Glaubenstheologie verknüpft“ sei (365). Der Glaube stützt sich auf ‚Zeugnisse‘, auch das der ‚Werke‘ Jesu, die als ‚Zeichen‘ Staunen erregen. Aber Zeugnisse werden letztlich nur im Glauben voll erfasst. In diesem Sinne muß der Glaube über sie hinauswachsen zum Glauben auf das Wort Jesu hin. Rückschauend zeigt sich dann, daß das vielfache Zeugnis, das der Vater für Jesus gibt, kein anderes ist alles das, das Jesus von sich selber gibt. Sie sind nicht nur inhaltlich identisch, sondern sie sind eins (366). Obwohl Beutler ausführlich auf die Zeugnisthematik, die Identität der Zeugen und umfassend auf die Zeugnisterminologie im JohEv eingeht, tut er dies doch und vor allem aus seinem Interesse an traditionsgeschichtlichen Hintergründen und grammatischen Feinheiten, was die Formulierung bezüglich des Zeugnisab‐ legens betrifft (ob mit ὅτι, Akkusativ, Dativ oder περί τινος). Nicht untersucht werden dabei die narrative Darstellung der Zeugnisakte, der Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger sowie die Wirkung der Zeugnisse, sodass in diesen Bereichen Raum für weitere Betrachtungen der Zeugnisthematik des JohEv bleibt. 2.5 A. A. Trites (1977): The New Testament Concept of Witness Um die gleiche Zeit wie Boice und Beutler setzt sich Alison A. Trites in unter‐ schiedlichen Beiträgen mit der Thematik des Zeugnisses und Zeugnisgebens 28 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="30"?> 28 T R I T E S , o.-J.; 1968; 1970; 1973; 1974a; 1974b.; 1978. 29 T R I T E S 1977. Entsprechende Seitenangaben zu Trites 1977 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 30 Als Zeugen nennt T R I T E S (1977, 91−122) Johannes den Täufer, die Jünger, die sieben Zeichen Jesu, die Auferstehung, Jesu Selbstzeugnis, die Samaritanerin, die Apostel, den Heiligen Geist, das Doppelzeugnis des Vaters und des Sohnes. 31 T R I T E S 1977, 226; vgl. 79−80. Aus seiner Untersuchung zieht T R I T E S (1977, 224) eine vierfache Bedeutung für die heutige Zeit. Zunächst zeige der häufige Gebrauch der Zeugnisthematik die Wichtigkeit des historischen Fundaments der christlichen Reli‐ gion. Dann sei die Zeugnisthematik besonders sachdienlich für eine skeptische, Fragen stellende Zeit (225). Drittens sei beachtlich, dass treue Zeugen oft mit Leiden und Verfolgung zu tun bekämen, wie es auch heute in vielen Ländern der Fall sei (227) und viertens habe die Zeugnisthematik auch eine Bedeutung für die gegenwärtigen Prediger und Verkündiger der christlichen Botschaft (229). auseinander. 28 Den ausführlichsten Beitrag leistet er durch seine Dissertation The New Testament Concept of Witness. 29 Hierin untersucht er neben der Ver‐ wendung der Zeugnisterminologie im säkularen Griechisch und der Septuaginta vor allem das Konzept des Rechtsstreits im Alten Testament, besonders in Jesaja 40-55. Des Weiteren wendet er sich der Zeugnisterminologie und dem Konzept des Zeugnisablegens im Neuen Testament zu. In seiner Arbeit hebt Trites neben anderen Bedeutungen besonders den forensischen Charakter der Zeugenterminologie hervor und begründet dies vor allem mit dem in Jesaja 40- 55 geschilderten Rechtsstreit zwischen Jahwe und der Welt. In Jesaja 40-55 will Trites das dem Neuen Testament zugrundeliegende Modell der Zeugenschaft erkennen. Neben der Apostelgeschichte und der Offenbarung werde dieser alttestamentliche Hintergrund besonders im JohEv deutlich. Während in Jesaja 40-55 der Rechtsstreit zwischen Jahwes Repräsentanten Israel und der Welt, repräsentiert durch die heidnischen Völker, geführt werde, geschehe dies im JohEv durch Jesus sowie die für ihn auftretenden Zeugen 30 und die Welt bzw. den ungläubigen Juden. Trites führt Folgendes aus: In Isaiah 40-55 the debate is over the claim of Yahweh as the Creator, the only true God and the Lord of history; in John it is over the Messiahship and divine Sonship of Jesus. John, like his prophetic [Old Testament] counterpart, has a case to present, and for this reason he advances his arguments, asks his juridical questions, and presents his witnesses after the fashion of the Old Testament legal assembly. 31 Aufgrund dieser Feststellung betont Trites in seiner Untersuchung des JohEv mehrfach den forensischen Charakter des gesamten Evangeliums und die Bedeutung der Zeugen für dasselbige. „The idea of witness in Johnʼs Gospel is both very prominent and thoroughly juristical, and is to be understood in terms of Old Testament legal language“ (80). Besonders in den ersten zwölf 2.5 A.-A. Trites (1977): The New Testament Concept of Witness 29 <?page no="31"?> Kapiteln komme die forensische Sprache zur Beschreibung des kosmischen Rechtsstreits zwischen Gott und der Welt zur Geltung (112). In den Kapiteln 13-17 hingegen werde mehr auf den nachösterlichen Rechtsstreit eingegangen, bei dem Jesus bereits als derjenige dargestellt werde, der die Welt überwunden und das Werk des Vaters vollendet habe (113-114). „The post-resurrection lawsuit can be understood in this fashion: ‚the high court has already spoken its verdict [namely, that Jesusʼ death judges the world, not him], but its decision has still to be applied to individual case‘“ (114). Laut Trites geht der Rechtsstreit nach Jesu Verherrlichung und Himmelfahrt weiter, auch wenn Jesus dann nicht mehr der Hauptzeuge für die Wahrheit sei. Nun sei es der Heilige Geist, der als Advokat den Fall Jesu vertrete und Johannes und andere zur Untermauerung des Zeugnisses aufrufe (114). Trotz der besonderen Betonung der forensischen Aspekte und des Rechts‐ streitmotivs ist sich Trites bewusst, dass diese Seite der Zeugnisthematik nicht überbetont werden darf: In fact, our study has uncovered four classes of material where the witness imagery operates: (a) actual trials, where the legal terminology is genuinely forensic; (b) controversy, where there is an extension of forensic; (c) metaphor where the forensic aspect may be in the background but is not necessarily present; (d) the idea of witness as testimony to, in a religious context (or in terms of reputation, etc.). There are clearly several gradations which must be taken into account (222, Hervorhebung im Original). Mit seiner Dissertation und anderen Beiträgen leistet Trites einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Konzepts des Zeugnisses im Neuen Testament. Bei einer so breit angelegten Untersuchung ist es jedoch nicht möglich, auf Details der Zeugnisthematik des JohEv einzugehen. Somit bleibt auch nach den Beiträgen von Trites Raum für eine sorgfältigere und differenzierte Un‐ tersuchung der Darstellung der Zeugnisakte, der auftretenden Zeugen und Zeugnisempfänger und der Wirkung des Zeugnisses. 2.6 M.-R. Wilton (1992): Witness as a theme in the fourth gospel Mit einigem Abstand folgt zwanzig Jahre später eine weitere Dissertation zur Zeugnisthematik des JohEv. In seiner unveröffentlichten Dissertation Witness as a theme in the fourth gospel wendet sich Murray R. Wilton dem vierten Evangelium vor allem aus seinem persönlichen missionarisch-evangelistischen 30 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="32"?> 32 W I L T O N (1992, 1) betont in seiner Einleitung: „The researcher has a keen interest in personal evangelism and researching a biblical basis for evangelism“. 33 W I L T O N 1992. Dies zeigt sich vor allem am Ende der Untersuchung. Hier fasst Wilton zusammen, wie Jesus sein Selbstzeugnis verbreitete und wie nach seinem Weggang die Jünger dieses Zeugnis von Jesus an die Welt weiterführen (vgl. 185−186). Er schreibt: „Johnʼs story […] provides affective motivation to all who witness to the resurrection. The reality of the characterization and the urgency of the human situation appeals to the reader to become involved in the mission“. 34 Dies wurde vor ihm mehrfach unternommen. Er selbst schreibt aber: „The problem for the study is to demonstrate that witness is a key theme developt in the narrative of the fourth gospel“ (W I L T O N 1992, 3−4). 35 W I L T O N 1992, vi. (Hervorhebung im Original). Entsprechende Seitenangaben zu Wilton 1992 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. Interesse 32 zu, um aus der Zeugnisthematik des JohEv für das eigene Bekenntnis zu Jesus zu lernen. 33 Ziel seiner „narrativ-exegetischen Studie“ ist es, die zentrale Bedeutung des Zeugnisses im vierten Evangelium aufzuzeigen 34 und darzulegen, „what John considered a witness to be and how he communicated this understanding to the reader throughout the literary medium of the fourth gospel narrative“ 35 . Wilton geht dabei vier Hypothesen nach: 1. „[…] witness is a key theme distributed throughout the narrative of the fourth gospel“, 2. „[…] a narrative study of chapters one through twelve depicts Jesus in the role of a witness to the world“, 3. „[…] the study of the witness of Jesus to his disciples reveals the characteristics of an individual believerʼs witness to other believers“, 4. „[…] a study of chapters twenty and twenty-one of the fourth gospel demonstrates that Jesus bore continuing witness to the reality of the resurrection“ (3). Im ersten Kapitel (15-77) untersucht Wilton die explizit erwähnten Zeug‐ nisstellen in der gesamten Erzählung des JohEv. Als Ergebnis sieht er seine Hypothese bestätigt, dass das zentrale Thema des Zeugnisses die johannei‐ sche Erzählung über Jesus durchdringe. „The evangelist used words, phrases, settings, narrative story, discourse, explicit commentary, and metaphors, to convey the theme and meaning of witness to the reader“ (76). Weiter zeigt Wilton, wie in den ersten zwölf Kapiteln das Thema Zeugnisgeben durch den Täufer Johannes eingeleitet werde, wie dessen Rolle als Zeuge dann aber von Jesus übernommen werde, um vor der Welt Zeugnis abzulegen. „Jesus witnessed to the world and the disciples learned by following Him and observing His mission“ (76). In den Kapiteln 13-19 konzentriere sich Jesu Mission dann auf die Jünger und die Sendung der Jünger, während die letzten beiden Kapitel die Zeugnisthematik nach der Auferstehung aufgreifen würden. 2.6 M.-R. Wilton (1992): Witness as a theme in the fourth gospel 31 <?page no="33"?> 36 „The reality of Jesusʼ presence fulfilled His promise to the disciples regarding His return and gave them the authority to continue the witness in the post-resurrection era“ (W I L T O N 1992, 185). Der implizierten Zeugnisthematik des JohEv wendet sich Wilton in den fol‐ genden beiden Kapiteln seiner Arbeit zu. Das zweite Kapitel (78-122) beleuchtet die ersten zwölf Kapitel des JohEv und richtet den Fokus auf die Rolle Jesu als Zeuge gegenüber der Welt und gegenüber einer Vielzahl von Individuen (1). „Jesus witnessed to persons of diverse social standing in a variety of settings. In each witness encounter Jesus presented coherent truth by adapting to the contingent particularities of the human situation“ (3). Darüber hinaus entwickle Johannes „an implied theme of witness by casting Jesus as a role model in witness. Jesus invited various persons to follow Him and observe His mission. […] Those who received His testimony responded either by accepting or rejecting His message“ (183). Im dritten Kapitel (123-155) analysiert Wilton die implizierte Zeugnisthe‐ matik der Kapitel 13-19 und hält fest, dass die ersten Verse hier zeigen würden, dass der Fokus des Abschnitts auf Jesu Dienst an seinen eigenen Jüngern liege. Zentral seien hier die Wörter „Vorbild“ (das Vorbild, das Jesus seinen Jüngern in der Fußwaschung hinterlässt) und „Einheit“ (die Einheit, die Jesus und der Vater haben und die sich nun auch in der neuen Familie Gottes unter Glaubensgeschwistern wiederfinden soll). „By following his example they witnessed to one another. Their mutual interwitnessing proved that they were true disciples of Jesus. The unity thus preserved was a testimony to the world that they belonged to Jesus“ (154). Im vierten Kapitel (156-182) wendet sich Wilton der implizierten Zeugnis‐ thematik der Kapitel 20 und 21 zu und stellt fest: „The theme of witness is continued and expanded in the final two chapters of the fourth gospel“ (180). Dadurch, dass Jesus seinen Jüngern als der Auferstandene in verschiedenen Situationen begegne, sichere er ihnen die Realität seiner Gegenwart zu. Diese Gegenwart Jesu erfülle nicht nur die Zusage Jesu, dass er wiederkommen würde, sondern durch sie würden die Jünger auch die Autorität erhalten, als Zeugen Jesu auch nach seiner Auferstehung weiterhin tätig zu bleiben. 36 Was Wiltons grundlegendes Forschungsinteresse betrifft, so kommt er nach seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass das vierte Evangelium in der Dar‐ stellung der Ereignisse eine praktische Anleitung für all diejenigen beinhalte, die sich zu Zeugen des auferstandenen Jesus berufen sähen. „Practical instruction and motivation is provided through the fabric of Johnʼs story for those who continue the mission“ (185). Durch die Darstellung der Interaktionen Jesu mit einer Vielzahl unterschiedlichster Menschen ermögliche Johannes es seinen 32 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="34"?> 37 Aus Gründen einer besseren Lesbarkeit wird auf Formulierungen wie „die Leserinnen und Leser“, „Leser: innen“ oder „Leser*innen“ verzichtet und stattdessen nur die Plu‐ ralform „die Leser“ verwendet, in die sowohl männliche Leser als auch weibliche Leserinnen einbezogen sind. 38 W I L T O N (1992, 4) selbst merkt zu Beginn seiner Arbeit an: „The character study is not exhaustive“. 39 M A C C I N I 1996. Entsprechende Seitenangaben zu Maccini 1996 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 40 Vgl. M A C C I N I 1996, 7 & 249−252. Lesern 37 , „to identify such persons and learn to witness in accordance with Jesusʼ example“ (186). Wilton schließt seine Arbeit mit einigen Hinweisen auf die Vorbildfunktion Jesu beim Ablegen eines Zeugnisses. Wiltons Dissertation befasst sich sehr einschlägig mit dem Thema des Zeugnisgebens und stellt eindrücklich heraus, wie sich Zeugen für Jesus an Jesus als dem Zeugen par excellence orientieren sollen und können. Bezüglich der Zeugen-/ Zeugnisthematik bleiben dennoch Fragen offen, weil Wilton sich zwar auf das Zeugnisgeben und den Zeugen fokussiert, nicht aber den gesamten Zeugnisakt, die Charakterisierung der Zeugnisempfänger 38 oder die (impli‐ zierte) Wirkungen und die (implizierten) Folgen des Zeugnisses untersucht. 2.7 R.-G. Maccini (1996): Her Testimony is True Vier Jahre nach Wilton folgt mit der Dissertation von Robert G. Maccini Her Testimony is True: Women as Witnesses according to John ein weiterer Beitrag zur Erforschung der Zeugnisthematik des JohEv. 39 Maccini wendet sich der Zeugnisthematik aus einem egalitären Anliegen zu 40 und versucht nachzu‐ weisen, dass die Zeugnisse von Frauen und Männern im JohEv gleichwertig nebeneinanderstehen. Hierzu untersucht er, nach einer Darstellung der Frauen als Zeuginnen in der biblischen Kultur (63-97), das Zeugnis der Mutter Jesu bei der Hochzeit zu Kana, das Zeugnis der Samaritanerin, das Zeugnis von Maria und Martha bei der Auferweckung des Lazarus und bei der Salbung Jesu, das Zeugnis der Frauen am Kreuz und das Zeugnis von Maria Magdalena am leeren Grab. In einem Exkurs in Kapitel 10 beleuchtet Maccini darüber hinaus weitere Stellen aus Joh 7,53-8,11, 9,1-44 und 18,12-27. Am Ende seiner Arbeit kommt Maccini zu der Überzeugung, dass Johannes weder Männer Frauen noch Frauen Männern als Zeugen vorziehe. Dem Ver‐ fasser gehe es um das vorgebrachte Zeugnis an sich, nicht um das Geschlecht des Zeugen. 2.7 R.-G. Maccini (1996): Her Testimony is True 33 <?page no="35"?> 41 L I N C O L N 2000. Entsprechende Seitenangaben zu Lincoln 2000 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. John is interested in their testimony, not their gender. If individual women witnesses are integral to the events John chose to narrate […] it is not because John wants to make statements about women, but because he wanted to provide testimonies about Jesus, and these events best suited that purpose (245). Da das Geschlecht für die Glaubwürdigkeit der angeführten Zeugnisse für Johannes keine Rolle spielt, kommt Maccini am Ende seiner Arbeit auf sein Anliegen zurück und betont: „Is her testimony true just as his testimony is true? It depends, then as now, not upon the gender but upon the faith of the witness who is born of the Spirit as a child of God. Their testimony is true who truly believe that the messiah, the Son of God, is Jesus“ (252). Auch der interessante Ansatz von Maccini trägt seinen Teil zur Erhellung der Zeugnisthematik des JohEv bei. Bei seiner Frage nach den weiblichen Zeugen löst sich Maccini jedoch vom eigentlichen Zeugenbegriff und bezieht Aussagen von Frauen in seine Untersuchung mit ein, die im Text selbst nicht explizit als „Zeugnis“ bezeichnet werden, denn außer bei der samaritanischen Frau in Joh 4 werden die Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία an keiner Stelle auf Aussagen von Frauen bezogen. Aufgrund der Einschränkung der Untersuchung auf weibliche Zeugen und der Loslösung von den expliziten Zeugnisbegriffen stellt die Disser‐ tation von Maccini keine umfassende Untersuchung der expliziten Zeugnisakte des JohEv dar. Wie nach der Begutachtung anderer Arbeiten zeigt sich auch bei Maccini, dass die Zeugnisthematik noch nicht erschöpfend, differenziert und detailliert genug untersucht worden ist und Raum für weitere Forschung lässt. 2.8 A.-T. Lincoln (2000): Truth on Trial Vier Jahre nach der Veröffentlichung von Maccinis Dissertation erscheint das umfassende Werk Truth on Trial: The Lawsuit Motif in the Fourth Gospel, in dem sich Andrew T. Lincoln ausführlich mit der Prozess- und Rechtsstreitmotivik des JohEv auseinandersetzt. 41 In Anlehnung an Trites kommt Lincoln zu folgender Überzeugung: „[I]t is Isa 40-55 in particular that provides the resources for the Fourth Gospelʼs narrative“ (13). Auf der Grundlage dieser Annahme wendet sich Lincoln mit seiner Arbeit der Untersuchung dieses „vernachlässigten Hauptthemas“ zu (6). Nach einer kurzen Einleitung gibt Lincoln in einem ersten Kapitel (The Lawsuit and the Narrative of the Fourth Gospel) einen vorläufigen Überblick 34 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="36"?> 42 Hierbei stellt L I N C O L N (2000, 12) auch die Schlüsselbegriffe heraus, die auf eine Prozess- und Rechtsstreitmotivik hindeuten. Dazu zählt er vor allem die Begriffe „bezeugen“ oder „Zeugnis“ (martyreo, martyria) und „Urteil“ (krino, krisis), weist aber auch auf die besondere Bedeutung der Worte „wahr“ und „Wahrheit“ hin. 43 L I N C O L N (2000, 185). Lincoln verweist hierbei auch auf Barretts Anmerkung: „The gospel is about Jesus, but Jesus […] is about God“ (Barrett in L I N C O L N 2000, 185). Des Weiteren betont L I N C O L N (2000, 185): „Furthermore, there would be no talk about the world - and Israel as part of it - being brought to trial if the implied author did not share the belief that God had the right to do so“. über den Aufbau der Erzählung, einige Schlüsselbegriffe und das Rechtsstreit‐ motiv in der Erzählung. 42 Im zweiten Kapitel (The Lawsuit, Jewish scripture, and the Fourth Gospel) wendet er sich der Untersuchung des Rechtsstreitmotivs in frühen jüdischen Schriften und in Jes 40-55 zu, arbeitet dessen Einflüsse auf das JohEv heraus (43-45) und geht auf „[t]he Fourth Gospelʼs Reworking of Deutero-Isaiahʼs Lawsuits“ ein (45-51). Von daher kommend ist Lincoln überzeugt: The implied reader who is also an informed reader and who not only has received Jesusʼ witness that the Scriptures testify on his behalf […] but has also picked up on the narratorʼs three direct citations from Isa 40-55 […] will not fail to have heard resounding echoes from these chapters of Isaiah. […] This scriptural depth enables the implied reader to discern clearly that, in the Fourth Gospelʼs narrative, the two lawsuits of Deutero-Isaiah have been brought together. The lawsuit between God and the nation becomes that between God and the world and provides the overarching framework within which Israelʼs controversy with God is now seen to be a part. In fact, Israelʼs lawsuit with God not only forms a counterplot within the main plot; Israel also now becomes the representative of the world in the main plot (45-46). Weitere Parallelen zwischen Jes 40-55 und dem JohEv sieht Lincoln in den Ich-bin-Aussagen sowie der Absicht des Rechtsstreits: „Both in Deutero-Isaiah and in the Fourth Gospel, the ultimate purpose of the lawsuit is the salvation of the world“ (50). In den darauffolgenden Kapiteln richtet Lincoln den Fokus seiner Untersu‐ chung auf die Schlüsselmomente des johanneischen Gerichtsprozesses, auf eine erneute Betrachtung des Aufbaus der Erzählung und einige literarische Fragen, bevor er im fünften Kapitel dann zu einer Betrachtung des theologischen Stand‐ punkts des JohEv kommt, der die Rechtsstreitmotivik beeinflusst. Hierbei stellt Lincoln fest, dass eine Untersuchung der Rechtsstreitmotivik des JohEv bei Gott beginnen müsse, „because a cosmic lawsuit is all about the relationship between God and the world“ 43 , und dass das Zeugnis Jesu von zentraler Bedeutung sei, weil er Zeugnis für Gott, sich selbst und die Wahrheit ablege. „In witnessing to 2.8 A.-T. Lincoln (2000): Truth on Trial 35 <?page no="37"?> 44 Am Ende steht für L I N C O L N (2000, 211) fest, dass das Ziel und Ergebnis des Prozesses nicht Verdammnis, sondern Leben ist: „That life is the intended outcome of the lawsuit is apparent at every stage“. 45 In Kapitel 6 geht es Lincoln um die Frage, welche Erlebnisse und Erfahrungen der Gemeinschaft, die das Evangelium hervorbrachte, dazu beigetragen haben könnten, sich für die Aufnahme der Metapher des Prozesses in das Evangelium zu entscheiden. 46 Dabei geht es Lincoln nicht um einzelne Begriffe, die nach wie vor verwendet würden, „this is not simply a question about the language of witness or testimony. Use of such language is common in a variety of settings […] Our question has to do […] with the motif as a whole, not just with this one aspect“ (2000, 334). Bei seiner Untersuchung kommt L I N C O L N (2000, 335) zur Überzeugung: „The resonances of the trail metaphor can be heard at various levels“. God, Jesus also witnesses to the truth about himself and to the truth about Godʼs purpose for humanity and the world. […] His witness is that of the authorized agent who fully represents God in the lawsuit“ (193-194). Im weiteren Verlauf seiner Untersuchung wendet sich Lincoln dem Ergebnis des Gerichtsprozesses zu, 44 beleuchtet das Zeugnis der Jünger Jesu und des Heiligen Geistes und das „Cosmic Setting of the Trial“, um dann in zwei größeren Abschnitten die Rechtsstreitmotivik des JohEv aus einer soziohistorischen Per‐ spektive zu beleuchten 45 und die Rechtsstreitmetaphorik in ihrer anhaltenden Bedeutung und aus heutiger Sicht zu betrachten. 46 In zwei abschließenden Ka‐ piteln geht Lincoln auf Einwände und Überlegungen bezüglich des Rechtsstreits des vierten Evangeliums ein. Das fünfhundert Seiten umfassende Werk Lincolns ist ganz auf die Rechts‐ streitmotivik des JohEv ausgerichtet und bietet einen umfassenden Überblick über die Begründung für die Annahme derselben im JohEv und über die mög‐ lichen Hintergründe und Prätexte, die diesem Motiv zugrunde liegen könnten. Die Fixierung auf dieses Motiv - ob gerechtfertigt oder nicht - bringt es mit sich, dass Lincoln Textpassagen schnell und fast durchweg aus Sicht dieses im Hintergrund stehenden Rechtsstreits interpretiert, weil er der folgenden Überzeugung ist: „[…] [T]he results of the attempts to read John in its original context have made it very difficult to see its message as transferable beyond that specific and limited context“ (4). Entgegen dieser Annahme kann es aber durchaus gewinnbringend sein, sich der narrativen Darstellung der Zeugnisthematik, gelöst von einer vorschnellen Einbettung sämtlicher Aussagen in ein Rechtsstreitmotiv, zuzuwenden, um die einzelnen erzählten Zeugnisakte in ihrer erzählten Welt und auf ihre Bedeutung und Wirkung hin zu untersuchen. 36 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="38"?> 47 G N I E S M E R 2000. Entsprechende Seitenangaben zu Gniesmer 2000 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 48 Ricœur versteht die Erzählung als dreifachen mimetischen (nachahmenden) Prozess: Mimesis I (Präfiguration - pränarrative Strukturen, auf die die Erzählung zurückgreift); Mimesis II (Konfiguration - zwei narrative Modi: Geschichts- und Fiktionserzählung); Mimesis III (Refiguration - Affiziertwerden der Rezipienten). 49 G N I E S M E R 2000, 82. Diesem Teil des Erzählprozesses „kommt eine ,Vermittlungsfunk‐ tion‘ zwischen dem Vorher (Präfiguration) und dem Nachher der Erzählung (Refigu‐ ration) zu, insofern es ihre Aufgabe ist, aus einer Vielfalt und Verschiedenheit von 2.9 D.-F. Gniesmer (2000): In den Prozeß verwickelt Neben Lincoln erscheint im gleichen Jahr Dirk F. Gniesmers Dissertation In den Prozeß verwickelt 47 , in der auch er sich der Zeugnisthematik des vierten Evangeliums zuwendet. Gniesmer untersucht - wie der Untertitel seiner Arbeit verrät - insbesondere den Prozess Jesu vor Pilatus ( Joh 18,28-19,16a.b) anhand erzähltextanalytischer und textpragmatischer Erwägungen. Die Dissertation beginnt mit einem Überblick über Aporien älterer und neuerer literarkritischer Untersuchungsmethoden und einer kritischen Hinter‐ fragung der neueren Literarkritik, um dann auf mögliche „Auswege aus der Aporie“ (31-38) hinzuweisen. Einen dieser Auswege sieht Gniesmer in der Erzähltextanalyse. Sie liefere einen „umfassenden Ansatz […], der den Text und die in ihm entworfene Welt in den Mittelpunkt rückt, zugleich aber diesen Text als Teil eines Kommunikationsgeschehens auffaßt und daher auch die Frage nach Autor und Adressaten - jedoch in modifizierter Form - aufnehmen kann“ (42-43). Nach der Einführung geht Gniesmer im zweiten Hauptteil seiner Arbeit auf die Erzähltextanalyse und die Funktion des Erzählens ein und wendet sich dabei ausführlich dem von Paul Ricœur vorgestellten dreifachen Prozess des Erzählens zu. 48 „[A]usgehend von einem kurzen Überblick über den von P. Ricœur beschriebenen Vorgang des Erzählens [werden dann] aus den jeweiligen Aussagen Fragestellungen für die Exegese der johanneischen Prozeßschilde‐ rung gewonnen und bereits auch erste Ergebnisse erzielt […]“ (51). Um diesen Vorsatz umzusetzen, beginnt Gniesmer mit einer Erläuterung der Bedeutung der Mimesis I, um ihr zufolge im Anschluss zu analysieren, „an welche pränarrativen Strukturen (1.1) Johannes anknüpfen konnte und welche Prätexte (1.2) er zur Verfügung hatte“ (54). Daraufhin wendet er sich der Mimesis II zu, dem „Zentrum des Erzählprozesses“, und damit der Frage, wie aus den pränarrativen Strukturen und Prätexten die (neue) Erzählung des JohEv gestaltet wurde. 49 Zur Beantwortung dieser Frage hält Gniesmer es für wichtig, einige Grundbegriffe der Erzähltextanalyse, wie beispielsweise die 2.9 D.-F. Gniesmer (2000): In den Prozeß verwickelt 37 <?page no="39"?> Vorfällen und Ereignissen eine erzählbare, auf die nachvollziehbare Rezeption von Hörern oder Lesern zielende Geschichte zu erstellen“ (G N I E S M E R 2000, 82). 50 In diesem Zusammenhang hebt G N I E S M E R (2000, 84) hervor, dass „Erzählen immer mindestens dreierlei [impliziert]: jemand, der erzählt, die erzählte Geschichte und schließlich jemand, dem erzählt wird (Erzähler, Geschichte, Erzählpublikum)“. 51 G N I E S M E R 2000, 84. Einen guten Überblick über diese Ebenen gibt Gniesmer in einer Grafik auf Seite-92. 52 G N I E S M E R 2000, 133.134. Später erklärt G N I E S M E R (2000, 367) was unter „Ausbildung einer narrativen Identität“ zu verstehen ist, nämlich, „die Adressatinnen und Adressaten durch narrative Strategien zu ermutigen, ihre eigene Lebensgeschichte im Licht der erzählten Welt zu sehen“. Begriffe „story“ (was wird erzählt? ) und „discourse“ (wie wird es erzählt? ) 50 , sowie „die Bedeutung des Erzähltextes und seiner verschiedenen Kommunikati‐ onsebenen“ 51 zu erklären. Im Anschluss daran stellt er „Erwägungen zur Analyse des johanneischen Erzähltextes“ an und untersucht den Aufbau und die Struktur des JohEv, typische johanneische Denkweisen, die implizierten Kommentare, die Präsentation der Geschichte durch den fiktiven Erzähler, die Perspektive des fiktiven Erzählers und die Darstellung des Lieblingsjüngers und des Parakleten (91-116). Im dritten Abschnitt des zweiten Hauptteils geht Gniesmer auf die Mimesis III ein, „die Refiguration in der Rezeption der Erzählung“ (116), in der der Erzählprozess zum Ziel kommt. Gniesmer erklärt: Die vielfältigen, im Text angelegten und auf die Leserinnen und Leser zielenden Strategien entfalten ihre Wirksamkeit in der Rezeption. Nun entscheidet sich, ob es der Erzählung gelingt, als ein einladender und verwandelnder Entwurf von Welt gelesen und angeeignet zu werden. […] Im Akt des Lesens, der ‚Neugestaltung (refiguration) in der Rezeption des Werkes‘ kommt der Prozeß des Erzählens an sein Ziel (116-117). Wie gut die Rezeption gelingt, hängt laut Gniesmer von verschiedenen Voraus‐ setzungen ab, die er in einem weiteren Abschnitt darstellt, bevor er am Schluss das Ziel des Erzählens erläutert. Ziel sei es, dass sich die Leser durch die Begegnung mit dem Text „selbst erkennen und locken lassen, ‚aus der Finsternis ans Licht zu kommen‘. […] Durch Erzählen ‚sollen Einstellungen, Gefühle, Verhaltensweisen entstehen, beeinflußt und verändert werden‘, Erzählungen sind Handlungen, die sich in der Rezeption vollziehen“ (132) und bei dem Leser zum Aufbau einer „narrative[n] Identität“ führen sollen. 52 Nach der Darstellung des dreifachen Prozesses und des Ziels der Erzählung geht Gniesmer schließlich zum JohEv über. Er ist überzeugt: „Die Aussagen Ricœurs zum Prozeß des Erzählens als einer dreifachen Mimesis lassen sich ohne Probleme auf das Johannesevangelium anwenden“ (135). Daraus leitet 38 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="40"?> 53 G N I E S M E R 2000, 385. G N I E S M E R (2000, 385) bemerkt, dass hierbei von einem dreifachen Prozess gesprochen werden könne: „Zuerst ist von dem Prozeß zu erzählen, der Jesus von den Juden […] gemacht wird. […] Sodann muß von der Umkehrung dieses Prozesses, von dem Rollentausch die Rede sein, der die wahre Dimension des Pro‐ zesses aufdeckt, in der Jesus der eschatologische Richter ist und seine Ankläger die Verurteilten. Jesus selbst ruft in die Entscheidung für oder gegen ihn. […] Schließlich verdeutlicht die johanneische Erzählung, daß es sich bei dem Prozeß nicht um ein damaliges, inzwischen abgeschlossenes Geschehen handelt, sondern um den andau‐ ernden, grundsätzlichen Rechtsstreit zwischen offenbarer und ungläubiger Welt. […] Dieser weiterwirkende Prozeß in dritter Hinsicht verknüpft die Welt des Textes mit der Welt der Rezipientinnen und Rezipienten (die Mimesis III im Prozeß des Erzählens)“. Als mögliche Verhaltensweisen in diesen Prozessen sieht Gniesmer auf allen drei Ebenen nur das Bekennen oder das Ablehnen Jesu. Ziel des Textes sei es aber, zum Zeuge-Sein im großen Prozess zu befähigen (G N I E S M E R 2000, 391). Gniesmer seine Leitthese ab: „Der dreifache Prozess des Erzählens findet seine Entsprechung im johanneischen Erzählen des Prozesses, der - mit den Aussagen Ricœurs zusammengebracht - nun als ein dreifacher Prozeß Jesu im Johannesevangelium in den Blick kommen kann“ (135). Dieser These folgend, untersucht Gniesmer im dritten Kapitel ausführlich die Erzählung des Prozesses Jesu in Joh 18,28-19,16a.b und arbeitet dabei „die in der Erzählung entfaltete Sache des Textes“ sowie die „Aussagen zur intendierten Rezeptionshandlung“ heraus (367-368). Im vierten und letzten Kapitel wendet sich Gniesmer „textpragmatischen Erwägungen“ zu (367-424). Er fasst bisherige Untersuchungsergebnisse zu‐ sammen, deutet das gesamte Evangelium als Prozesserzählung (379-385) und kommt in einer weiteren Zusammenfassung, in Anlehnung an Bultmann, zu dem Ergebnis, dass das gesamte JohEv den großen Prozess zwischen Gott und der Welt darstelle. 53 In einem letzten Abschnitt des vierten Kapitels beschäftigt sich Gniesmer mit „Erwägungen zur konkreten Kommunikationssituation“ (394-424) und geht dabei auf unterschiedliche Themen ein, wie beispielsweise auf die Fragen, wer „die Juden“ im Prozess Jesu seien, was Hintergründe für einen Synagogenaus‐ schluss sein könnten und in welche Zeit die Abfassung des JohEv zu datieren sei. Gniesmer beendet seine Dissertation mit einem Schlussfazit, in dem er noch einmal auf das Ergebnis seiner erzähltextanalytischen und textpragmatischen Untersuchung hinweist, nämlich dass im JohEv von einem dreifachen Prozess Jesu ausgegangen werden könne, einem Prozess, von dem „in dreifacher Hin‐ sicht gesprochen werden kann“ (424). Gniesmers Arbeit orientiert sich vor allem an dem von Paul Ricœur vorge‐ stellten dreifachen Prozess des Erzählens und untersucht davon ausgehend die 2.9 D.-F. Gniesmer (2000): In den Prozeß verwickelt 39 <?page no="41"?> 54 Vgl. G N I E S M E R 2000, 391−392. 55 Obwohl sich Bauckham von den anderen Beiträgen dahin gehend unterscheidet, dass er sein Augenmerk stärker auf die Augenzeugenschaft richtet, ist er für den Forschungsüberblick und die vorliegende Arbeit doch insofern relevant, als dass er die im Griechischen zusammenhangslosen Begriffe „Augenzeuge“ (αὐτόπτης) und Zeuge (μάρτυς) eng zusammenzieht, indem er beispielsweise im Lieblingsjünger, der „gesehen und bezeugt hat“ ( Joh 19,35; 21), einen Augenzeugen sieht, der Zeugnis für Jesus und historische Fakten gibt. Weil Bauckham den Schritt geht, vom Lieblingsjünger als Zeuge, der mit seinen Augen sieht, hin zum Augenzeugen, der zum Zeuge der Ereignisse wird, sollen seine Beiträge hier berücksichtigt werden. 56 B A U C K H A M 2007. 57 B A U C K H A M 2006. Entsprechende Seitenangaben zu Bauckham 2006 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. johanneische Darstellung des Prozesses Jesu vor Pilatus. Durch die Fokussie‐ rung auf den einen Erzählabschnitt fällt die Untersuchung anderer Abschnitte kurz aus oder entfällt ganz. Was das Zeugnisthema des JohEv betrifft, so wird dieses zwar kurz gestreift und die Befähigung zum Zeugesein als die Hauptin‐ tention des Textes erkannt, 54 dennoch kommt eine ausführliche Untersuchung der Zeugnisthematik und vor allem der Zeugnisakte und des Zeugnisgebens zu kurz, sodass sich der Bedarf für weitere Untersuchungen erkennen lässt. 2.10 R. Bauckham (2006): Jesus and the Eyewitnesses Abgesehen von den Dissertationen von Maccini und Gniesmer hat sich in den letzten Jahren vor allem Richard Bauckham 55 mit seinen Werken Testimony of the Beloved Disciple: Narrative, History, and Theology in the Gospel of John 56 und Jesus and the Eyewitnesses: The Gospels as Eyewitness Testimony 57 mit der (Augen-)Zeugenschaft in den Evangelien beschäftigt. Sein Augenmerk richtet sich stärker auf die Überlieferungsgeschichte der Evangelien. Bauckham geht davon aus, dass hinter den Evangelien keine lange mündliche Tradition stehe, sondern dass deren Schreiber selbst Augenzeugen gewesen seien oder in engem Kontakt mit namhaften Augenzeugen gestanden hätten, die ihnen ihr Wissen über Jesus direkt vermittelt hätten (93). Bauckham setzt sich daher in seinem letztgenannten Werk mit der historischen Jesusforschung auseinander und stellt infrage, ob eine Erforschung und Darstellung Jesu losgelöst von den Evangelien möglich seien. Der Versuch, den „echten Jesus“ hinter oder neben den Evangelien zu rekonstruieren, habe lediglich dazu geführt, nicht den einen, wahren Jesus, sondern viele „Jesusse“ zu erhalten. Bauckham plädiert daher in der Forschung für einen Weg „in which theology and history may meet in the historical Jesus instead of parting company there“ (5). Diesen Weg sieht er darin, 40 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="42"?> 58 B Y R S K O G S 2000. 59 B Y R S K O G S 2000, 9−10. 60 B A U C K H A M 2006, 34. 61 Brewer in B A U C K H A M 2006, 325. Vgl. Z I M M E R M A N N (2015, 224−226), der, von der empiri‐ schen Sozialwissenschaft ausgehend, gegenteilige Ergebnisse vorweist. die Evangelien als Berichte über glaubwürdige Zeugenaussagen anzuerkennen. „This does not mean that they are testimony rather than history. It means that the kind of historiography they are is testimony“ (5). Bauckham ist überzeugt: „Testimony is the category that enables us to read the Gospels in a properly historical way and a properly theological way. It is where history and theology meet“ (5-6). Ermutigung zu dieser Sicht findet Bauckham in Byrskogs Arbeit Story as History - History as Story: The Gospel Tradition in the Context of Ancient Oral History 58 . Byrskog weist nach: „The historians ‚preferred the eyewitness who was socially involved, or, even better, had been actively participating in the event‘“, weil „a ‚person involved remembers better than a disinterested observer‘“ 59 . Im Verlauf seines Buches weist Bauckham eine gleiche Vorgehensweise bei Papias und anderen antiken Historikern nach und schlussfolgert, dass vermutlich auch die Schreiber der Evangelien auf gleiche Weise in ihrer Ge‐ schichtsschreibung vorgegangen sein dürften. „Evangelists would have gone to eyewitnesses or to the most reliable sources that had direct personal link with the eyewitnesses. Collective tradition as such would not have been the preferred source“. 60 Ausgehend von dieser Annahme geht Bauckham der Frage nach, wie zuverlässig das Erinnerungsvermögen von Augenzeugen ist. Um dies zu beantworten, greift Bauckham auf psychologische Untersuchungen zurück (319-357) und stellt fest, dass es vier Arten der Erinnerung gebe, von denen die „rückbesinnende Erinnerung“ (recollective memory), also die persönliche Erinnerung an ein spezielles Ereignis im eigenen Leben, am häufigsten in den narrativen Abschnitten der Evangelien auftauche (324). Nachgewiesen sei dabei Folgendes: Recent recollective memories tend to be fairly veridical unless they are influenced by strong schema-based processes. Recollective memories give rise to high confidence in the accuracy of their content and that confidence can frequently predict objective memory accuracy. 61 Was die Zuverlässigkeit der „rückbesinnenden Erinnerung“ angehe, so seien besonders die einzigartigen, ungewöhnlichen, besonders auffälligen und bedeu‐ tenden Ereignisse, in die man möglichst sogar emotional involviert gewesen sei, 2.10 R. Bauckham (2006): Jesus and the Eyewitnesses 41 <?page no="43"?> 62 „We rely all the time on ‚facts‘ for which we only have other peopleʼs testimony. […] The fundamental point is that testimony requires truth: ‚When we believe testimony we believe what is said because we trust the witness‘“ (B A U C K H A M 2006, 474). 63 „First, trust the word of others, then doubt if there are good reasons for doing so“ (Ricœur in B A U C K H A M 486−487). diejenigen, an die man sich am genauesten erinnern könne (331). Dazu komme, dass ein regelmäßiges Abrufen der gespeicherten Erinnerungen wesentlich dazu beitrage, die Erinnerungen gut und genau im Gedächtnis zu behalten (334). Übertragen auf die Erinnerungen an Jesus bedeutet dies für Bauckham, dass „the memories of eyewitnesses of the history of Jesus score highly by the criteria for likely reliability that have been established by the psychological study of recollective memory“ (346). Mit den Ergebnissen der ersten 13 Kapitel wendet sich Bauckham in den Kapiteln 14-17 dem JohEv zu. Er nimmt dieses als Augenzeugenbericht ernst und setzt den Verfasser des Evangeliums mit dem Lieblingsjünger gleich. Belege dafür findet er in Aussagen von Papias, Polykrates und Irenäus. Als Augenzeuge, der von Anfang an bei Jesus gewesen sei, wird der Lieblingsjünger für Bauckham zum idealen Zeugen Jesu und Verfasser des Evangeliums, der sich selbst sogar durch eine Inclusio am Anfang und Ende seiner Erzählung nenne. Im abschließenden Kapitel „The Jesus of Testimony“ (472-508) fasst Bauckham die Ergebnisse seiner Untersuchung zusammen. Erneut betont er, dass der Jesus der Evangelien der Jesus sei, den die Augenzeugen dargestellt hätten - der Jesus des Zeugnisses (472). Diesem Zeugnis solle Vertrauen geschenkt werden, genauso wie man sich täglich Hunderte Male auf Aussagen anderer Menschen verlasse. 62 Bauckham plädiert mit Verweis auf Ricœur dafür, dass an Zeugnissen erst dann gezweifelt werden solle, wenn berechtigte Gründe dafür bestünden. 63 Mit der folgenden abschließenden Feststellung schließt Bauckham sein Buch: Reading the Gospels as eyewitness testimony differs […] from attempts at historical reconstruction behind the texts. It takes the Gospel seriously as they are; it acknowledges the uniqueness of what we can know only in this testimonial form. It honors the form of historiography they are. From a historiographic perspective, radical suspicion of testimony is a kind of epistemological suicide. It is no more practicable in history than it is in ordinary life. Gospel scholarship must free itself from the grip of the skeptical paradigm that presumes the Gospels to be unreliable unless, in every particular case of story or saying, the historian succeeds in providing independent verification (506). 42 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="44"?> 64 L A N G E 2019. Entsprechende Seitenangaben zu Lange 2019 werden in der weiteren Darstellung in Klammern am Zitat- oder Satzende im Text angeführt. 65 Vgl. B E U T L E R 1972; T R I T E S 1977; L I N C O L N 2000; G N I E S M E R 2000; K Ö S T E N B E R G E R 2009, 436−456. 2.11 B. Lange (2019): Der Richter und seine Ankläger Abschließend sei hier auf die jüngst erschienene Dissertation von Benjamin Lange hingewiesen. Seine Arbeit Der Richter und seine Ankläger: Eine narrato‐ logische Untersuchung der Rechtsstreit- und Prozessmotivik im Johannesevange‐ lium 64 konzentriert sich anfänglich auf eine Untersuchung des griechisch-rö‐ mischen und alttestamentlichen Rechtsstreits (31-87), um die Ergebnisse daraufhin mit der Prozessdarstellung des JohEv zu vergleichen. Dabei geht Lange, wie andere vor ihm, von einer dem JohEv zugrundeliegenden Rechts‐ streit- und Prozessmotivik aus, 65 die bislang aber nur „in sporadischen Anmer‐ kungen im Kontext anderer Themenkomplexe“ thematisiert worden sei (7). Lange wendet sich „mit Methoden der narratologischen Analyse sowie mit Me‐ thoden der Analyse johanneischer Bild- und Motivsprache“ der Untersuchung der genannten Motivik zu, um offene Fragen nach einer narratologischen Gesamtschau zu Joh 1-12 und der bild- und symbolhaften Dimension der Prozessmotivik zu beantworten (19) und um herauszufinden, ob nicht gerade die „metaphorische Dimension des Rechtsstreits als Vehikel der Botschaft des Evangeliums“ diene (17). Im Rahmen der vorbereitenden Untersuchung der „Prozessdarstellung als Thema des Johannesevangeliums“ (89-136) beleuchtet Lange auch die „Zeugnis-Wortgruppe“ des JohEv (113-125). In dem Umstand, dass die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία „nicht nur im säkularen Sprachgebrauch als gericht‐ liche termini technici, sondern […] auch bei Johvorwiegend im juristischen Sinne gebraucht“ würden (114-115), und in der Tatsache, dass beide Lexeme im JohEv häufiger vorkommen als in Texten, „in denen sich dezidierte Gesetzesab‐ handlungen oder -wiedergaben und eine damit zwangsläufig einhergehende Häufung forensischer Lexeme finden“ (117), sieht Lange eine Bestätigung, dass „die Wortgruppe Anzeichen für ein forensisches Motiv ist“ (117). Diese Ansicht festigt sich für ihn nach der Betrachtung der „Bestandteile des literarischen Prozess-Settings“, der „Verweise auf den alttestamentlichen Rechtsstreit“, der verwendeten „Bildsprache“ in Joh 1-12 und der Untersuchung der „Rechtsstreit‐ motivik und narrativen Struktur“. Lange kommt zu folgendem Ergebnis: „Dieser Befund muss als Indiz gewertet werden, dass die Prozess- und Rechtsstreitmo‐ tivik ein ausgeprägter Schwerpunkt des Evangeliums ist“ (135). 2.11 B. Lange (2019): Der Richter und seine Ankläger 43 <?page no="45"?> Ausgehend von dieser Überzeugung wendet sich Lange in Kapitel IV dem „kosmischen Prozess“ bzw. dem narrativen Gerichtsprozess in Joh 1-12 zu. Dabei beleuchtet er die Einführung in den kosmischen Prozess ( Joh 1,1-34), die Prozesseröffnung ( Joh 2,13-25; 3,11-21; 3,31-36), die Formulierung der Anklage ( Joh 5,1-47), die Beweisführung vor den Prozesszuschauern ( Joh 7,14-8,59), das Anklageplädoyer, das Geständnis des Angeklagten ( Joh 9,1-10,39) sowie die Urteilsverkündung ( Joh 11,47-57; 12,37-50) (139-310) und endet seine Untersuchung in Kapitel V mit einer Zusammenfassung und Auswertung. Lange kommt zu folgendem Ergebnis: Die narratologische Untersuchung von Joh 1-12 und Joh 18-19 ergab, dass die Rechtsstreit- und Prozessmotivik des Johannesevangeliums einen außergewöhnli‐ chen Schwerpunkt in der Erzählung bildet und in ihrer Funktionalität intrinsisch mit der Zielsetzung des Evangeliums ( Joh 20,31) verbunden ist. (347) […] Im Zentrum der narrativen Darstellung ist es gerade die Paradoxie diametral entgegengesetzter Prozess- und dahinterstehender Wahrnehmungs- und Glaubensparadigmen, durch die der Leser zum Glauben an Jesus geführt wird und die sich in ihrem Kern auf jene Paradoxie zurückführen lässt, die wie keine andere die Prozessdarstellung prägt - die des Richters und seiner Ankläger (351). Wie Lincoln fixiert sich auch Lange ganz auf die Motivik des kosmischen Prozesses zwischen Gott und der Welt bzw. zwischen Jesus und den Juden und beleuchtet davon ausgehend die Kapitel 1-12 des JohEv. Die Zeugnisthe‐ matik und -terminologie werden in diesem Zusammenhang ganz im Licht der Motivik des kosmischen Prozesses als juristisch bzw. forensisch verstanden und gedeutet. Da die Untersuchung der übergeordneten Rechtsstreit- und Prozessmotivik im Mittelpunkt der Arbeit steht und dazu hauptsächlich die Kapitel 1-12 analysiert werden, erfolgt keine detaillierte und differenzierte Betrachtung der Zeugnisthematik bzw. der Zeugnisakte. So zeigt sich auch bei dieser neuesten Arbeit, dass eine Untersuchung der Zeugnisakte und der Folgen und Wirkungen der Zeugnisse eine lohnenswerte Aufgabe darstellt. 44 2 Forschungsgeschichtlicher Überblick <?page no="46"?> 66 Siehe unten unter 5. Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit. 67 Grafiken in Anlehung an B I B L E W O R K S 9. 3 Überblick über die semantischen Studien Die vorliegende Arbeit erhebt nicht den Anspruch, eine eigenständige und umfassende traditionsgeschichtliche oder semantische Studie zu liefern, son‐ dern fasst lediglich aus der vorhandenen Literatur die wesentlichen Punkte zusammen und nutzt diese als Ausgangspunkt einer eigenständigen Untersu‐ chung des JohEv unter Zuhilfenahme anderer Methoden. 66 Dabei soll keine systematische Gesamtdarstellung der Zeugnisthematik vorgenommen werden, in der umfassend auf alle Arten, Formen und Begriffe des Zeugnisgebens und Bezeugens eingegangen wird. Vielmehr orientiert sich die Untersuchung der Darstellung der Zeugnisthematik vorrangig an den zentralen Begriffen μάρτυς κτλ. und beschränkt sich auf die Betrachtung der Stellen, in denen durch den Gebrauch von μαρτυρεῖν und μαρτυρία explizit vom Zeugnisgeben und Bezeugen die Rede ist. Wendet man sich unter dieser Prämisse dem JohEv zu, wird bereits aufgrund der Häufigkeit der Verwendung der Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία deutlich, dass die Zeugnisterminologie für das vierte Evangelium eine bedeutende Rolle spielt. Abbildung 1: Gebrauch von μαρτυρεῖν im NT 67 Abbildung 2: Gebrauch von μαρτυρία im NT Aus den Abbildungen wird ersichtlich, dass die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία im JohEv deutlich häufiger gebraucht werden als in anderen neutestamentli‐ chen Schriften. Die zugehörigen Substantive μαρτύριον und μάρτυς tauchen <?page no="47"?> 68 Auf diese Beobachtung soll im Laufe der Arbeit eingegangen und eine mögliche Erklärung gefunden werden. Die Begriffe καταμαρτυρέω, ἀπομαρτυρέω, ἐπιμαρτυρέω finden im Evangelium ebenfalls keine Verwendung. 69 S T R A T H M A N N 1942: 4, 480−482. 70 S T R A T H M A N N 1942: 4, 480−481. 71 S T R A T H M A N N 1942: 4, 481. 72 S T R A T H M A N N 1942: 4, 482. 73 S T R A T H M A N N 1942: 4, 483. hingegen nicht auf. 68 Um für die Verwendung und Bedeutung der Lexeme im JohEv sensibilisiert zu werden, erfolgen zunächst ein Überblick und eine Zusammenfassung über den Stand der bisherigen Forschung zu μάρτυς κτλ., wobei ein Schwerpunkt auf die im JohEv auftauchenden Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία gelegt werden soll. 3.1 Gebrauch im außerbiblischen Griechisch Für den Gebrauch von μάρτυς κτλ. im außerbiblischen Griechisch zeichnet Strathmann die Entwicklung nach, die die Begriffe von einem rein juristischen Gebrauch und der Bezeugung von Tatsachen hin zu einer weiter gefassten Anwendung nahmen. 69 Als „bedeutsame Erweiterung“ bezeichnet er hierbei, dass durch die Wortgruppe „nicht mehr nur die auf unmittelbare Erfahrung gegründete Bezeugung einzelner Vorgänge oder tatsächlicher Verhältnisse oder allgemeiner Erfahrungstatsachen“ ausgedrückt werde, sondern nun auch „die Bekundung von Ansichten oder von Wahrheiten, von denen der Redende überzeugt ist“. 70 Demzufolge werden die Begriffe auch für Inhalte gebraucht, „die ihrer Natur nach einer empirischen Tatsachenermittlung gar nicht unterliegen können“. 71 Beim ursprünglichen Gebrauch der Worte lässt sich laut Strathmann erkennen, dass sie sowohl auf Götter angewandt werden als auch auf Menschen, die als Augen- oder Ohrenzeugen bestimmter Ereignisse auftreten. Darüber hinaus ist den Untersuchungen Strathmanns zufolge auch „eine Übertragung auf unpersönliche ‚Zeugen‘“ zu erkennen. 72 Für den späteren Gebrauch der Begriffe im Sinne einer Bezeugung von Ansichten oder einer Wahrheit, von welcher jemand überzeugt ist, verzeichnet Strathmann, dass es sich in den meisten Fällen, in denen die Worte verwendet werden, „nicht um tatsächliche Vorgänge [handelt], zu deren Feststellung der Zeuge dient, sondern um Ansichten oder Überzeugungen, die er billigt, ausspricht und mit Nachdruck als richtig vertritt“. 73 Trotz dieser Entwicklung der Begriffe sieht Strathmann in beiden Fällen keinen technischen Gebrauch der Wörter μαρτυρεῖν, μαρτυρία und μάρτυς. Als treffende Wiedergabe der 46 3 Überblick über die semantischen Studien <?page no="48"?> 74 S T R A T H M A N N 1942: 4, 482. 75 B E U T L E R 1972, 34. 76 B E U T L E R 1972, 72−73. 77 B E U T L E R 1972, 73. 78 T R I T E S 1977, 15. 79 T R I T E S 1977, 15. 80 Dies ist später insofern von Bedeutung, als dass im JohEv auch Jesu Werke und die alttestamentlichen Schriften als Zeugen für Jesus auftreten. frühen Bedeutung des Verbs μαρτυρεῖν schlägt Strathmann eine Übersetzung mit „bestätigen“, „zum Beweis dienen“ vor, für μαρτυρία die Übersetzung „‚eine Erklärung über etwas oder für jemanden abgeben‘, ‚eine Erklärung, die abgegeben wird‘, besonders im Sinne einer ehrenden Erklärung, also eines guten Zeugnisses“. 74 Gegen eine strikte Trennung zwischen dem „Tatsachenzeugen“ und „dem Zeugen, der für eine innere Überzeugung Zeugnis ablegt“, hat sich Beutler ausgesprochen. 75 Nach gründlicher Untersuchung betont er, dass „uns das Verb μαρτυρεῖν sehr häufig in rechtlichen, wenn nicht sogar gerichtlichen (‚forensischen‘) Zusammenhängen“ begegne. 76 Ein ‚philosophisches Zeugnis‘ im Sinne des Zeugnisses für eine (nicht verifizierbare) Ansicht konnten wir kaum nachweisen […] Im Gegenteil begegneten uns Wörter des Stammes μαρτυgerade in der Kriteriologie der Epikureer und des Sextus Empiricus, um die Verifizierung, ‚Bezeugung‘ durch die Tatsache auszudrücken. 77 Wie Beutler sieht auch Trites im säkularen Griechisch vorrangig die Betonung des Bezeugens von Fakten gegeben. Zwar räumt auch er ein, dass „[…] Greek concern for facts was weakened by the misuse of rhetoric in the hands of unscrupulous witnesses“, er betont aber, dass Plato „the importance of the facts to a worthwhile concept of witness“ wieder bekräftigt habe. 78 Aufgrund der Beobachtungen von Beutler und Trites ist also (gegen Strath‐ mann) von einer strikten Trennung zwischen einem frühen und einem späteren Gebrauch der Worte abzusehen, auch wenn, wie Trites bemerkt, „both witnesses to facts and witnesses to conviction“ von großer Bedeutung für das neutesta‐ mentliche Konzept des Zeugnisses seien. 79 Trotz dieser leicht abweichenden Beobachtungen bezüglich des Zeugnisses und des Zeugnisgebens im Profangriechisch herrscht Einheit über die Feststel‐ lung, dass als Subjekt des Zeugnisablegens nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände und Sachverhalte angeführt würden, die etwas bezeugen. 80 3.1 Gebrauch im außerbiblischen Griechisch 47 <?page no="49"?> 81 S T R A T H M A N N 1942: 4, 484. 82 B E U T L E R 1972, 118. 83 B E U T L E R (1972, 109) geht davon aus, dass der Übersetzer der LXX „offenbar den Gedan‐ kengang des TM nicht verstanden [hat]“ und deswegen „in einem Zusatz auch den prozessierenden Jahwe selbst als Zeugen [nennt]: κἀγὼ μάρτυς.“ Beutler vermutet, dass der Zusatz in Jes 43,12 deswegen beigefügt worden sei, weil die LXX statt לא־ינאו mög‐ licherweise דע־ינאו = μάρτυς gelesen haben könnte. 84 S T R A T H M A N N 1942: 4, 486. 3.2 Gebrauch in frühjüdischen, alttestamentlichen Schriften Was die Verwendung von μάρτυς κτλ. in der LXX angeht, so ist zunächst der vorrangige Gebrauch des Begriffs μαρτύριον (254-mal) vor μάρτυς (55-mal), μαρτυρεῖν (10-mal) und μαρτυρία (6-mal) auffällig. Wo μάρτυς, μαρτυρεῖν und μαρτυρία eingesetzt werden, „hält sich die LXX im Großen und Ganzen […] im Rahmen des vulgären Sprachgebrauchs in den gegebenen verschiedenen Möglichkeiten […]“. 81 Im Vergleich zum hebräischen Alten Testament fasst Beutler folgende Unter‐ schiede zusammen: 82 1. Die Zeugnisterminologie bleibt weitgehend rechtlich […] 2. Im Gegensatz zum hebr. AT hat die LXX weniger Hemmungen, Gott als Zeugen (μάρτυς) zu nennen. 3. Gott kann […] auch als Zeuge (μάρτυς) im Eid angerufen werden. 4. Die spezielle Rolle der Zeugen im Bundesformular und prophetischem ‚rîb‘ wurde von der LXX offenbar nicht mehr verstanden. 5. Ebenso fehlt den Übersetzern der LXX offenbar das Verständnis für den Rechtsstreit Gottes mit den Göttern der Heiden ( Jes 43 f). 83 Auf die Auffälligkeiten in Jes 43,9-13 und 44,7-11 weist auch Strathmann hin. 84 Ihm geht es dabei weniger um Übersetzungsunterschiede als vielmehr um den „kosmischen Prozess“ zwischen Gott und dessen Zeuge Israel und den Völkern und deren Göttern. Auch hier will er einen Unterschied zwischen „äußerlich feststellbaren Tatsachen“ und den bloßen „Glaubensüberzeugungen“ erkennen. Den Inhalt des Zeugnisses bildet […] eine religiöse Wahrheit, von der der Zeuge auf Grund seines Erlebens überzeugt ist, also eine religiöse Gewissheit, deren Inhalt er darum mit Nachdruck vertritt, für deren Anerkennung er sich einsetzt, für deren Richtigkeit aber ein rationaler Beweis oder ein Beweis im Sinne empirischer Tatsachenfeststellung nicht geführt werden kann. Sie ruht also im prophetischen 48 3 Überblick über die semantischen Studien <?page no="50"?> 85 S T R A T H M A N N 1942: 4, 487. 86 T R I T E S 1977, 35−47. 87 T R I T E S 1977, 44. 88 T R I T E S 1977, 44. 89 vgl. B E U T L E R 1972, 113; S T R A T H M A N N 1942: 4, 486. 90 S T R A T H M A N N 1942: 4, 500. Das Substantiv μάρτυς kommt dagegen im Neuen Testament im gerichtlichen Kontext vor. B R O X (1961, 26) schreibt: „Der synoptische Sprachge‐ Offenbarungserlebnis, das ursprünglich und einer rationalen Kontrolle seinem Wesen nach nicht zugänglich ist. 85 Diesem „Rechtsstreit“ (controversy) hat sich vor allem Trites in seiner Disser‐ tation gewidmet. 86 Für ihn präsentiert Jesaja 40-55 „a great controversy or lawsuit in which Yahweh and his witnesses are placed on one side and the gods of the nations and their supporters on the other“. 87 Im Gegensatz zu Strathmann hält er die vorgebrachten Beweise und Zeugnisse jedoch durchaus für überzeugend und nachprüfbar. Zu diesen nachprüfbaren Beweisen zählt er u. a. Jahwes Fähigkeit, „frühere Dinge“ (former things) vorherzusagen, sowie die Erfüllung von Prophetien, die ordnungsgemäß beglaubigt und nachgeprüft werden könne. 88 Bezüglich der Verwendung der Zeugnisterminologie in der LXX lässt sich also festhalten, dass es zu keinen besonderen Abweichungen vom Gebrauch im profanen außerbiblischen Griechisch kommt. Auch in der LXX ist das Verb μαρτυρεῖν am besten in einem juristischen Sinn mit „(be)zeugen“ oder auch „Zeugnis ablegen zwischen“, μαρτυρία mit „eine Erklärung über etwas oder für jemanden abgeben“, „Beweis/ Bestätigung für etwas“ wiederzugeben. 89 3.3 Gebrauch im Neuen Testament Weitaus umfassender und vielseitiger wurde der Gebrauch von μάρτυς κτλ. im Neuen Testament untersucht. Strathmann (1942: 4, 500-504) kommt zu dem Schluss, dass μαρτυρεῖν im Neuen Testament auf unterschiedliche Weise verstanden werden könne. Zum einen könne μαρτυρεῖν a) „als menschliche Verkündigung von Tatsachen“ verstanden werden: μαρτυρεῖν bedeutet die Tätigkeit eines μάρτυς ausüben. Es bezeichnet auch im NT zunächst das auf unmittelbarer Kenntnis beruhende Bekunden oder Bestätigen irgendwelcher Tatsachen, seien es bestimmte einzelne Handlungen oder allgemeine Erfahrungstatsachen - wobei eine spezielle Anwendung auf die Bekundung vor Gericht zufällig nicht vorkommt. 90 3.3 Gebrauch im Neuen Testament 49 <?page no="51"?> brauch kennt im ganzen nur den allgemeinen Begriff des forensischen Zeugen, speziell des Zeugen im Gericht“. 91 S T R A T H M A N N 1942: 4, 501. 92 S T R A T H M A N N 1942: 4, 501. 93 S T R A T H M A N N 1942: 4, 502. 94 S T R A T H M A N N 1942: 4, 502. 95 Gegen diese Trennung hält T R I T E S (1977, 79−80) stärker am klaren forensischen Zeugnis fest. 96 B O I C E 1970, 28−29; eigene Hervorhebung. Zum anderen lasse sich an anderen Stellen, wo μαρτυρεῖν absolut gebraucht werde, eher die Bedeutung b) „ein gutes Zeugnis ausstellen“ (aktiv) oder „ein gutes Zeugnis erhalten“ (passiv) erkennen. 91 Darüber hinaus erkennt Strath‐ mann den besonderen Gebrauch des Verbs in Bezug auf das „‚Bezeugen‘ Gottes, des Geistes, der Schrift“, nämlich da, wo „Gott oder der Geist oder die Schrift Subjekt solcher Urteile sind […] oder sich durch ihre Erklärungen für die Rich‐ tigkeit bestimmter sonstiger Aussagen verbürgen“. An diesen Stellen bedeute das Wort dann so viel wie c) „‚nachdrücklich, unter Einsatz der vorhandenen Autorität bekunden‘“. 92 Bei einer vierten Kategorie unterscheidet Strathmann (wie auch schon im außerbiblischen Gebrauch und in der LXX) zwischen „Tatsachenzeugnis“ und „Offenbarungszeugnis“ bzw. „religiösem Zeugnis“ und verweist auf drei Stellen außerhalb des JohEv, in denen μαρτυρεῖν auf das d) „religiöse Zeugnis“ bzw. „auf den zentralen Inhalt des Evangeliums als solchen […]“ angewandt werde. 93 Vom Standpunkt des Glaubens aus gesehen, ist dieser Inhalt freilich eine ‚Tatsache‘. Gott hat sie gesetzt. Aber eine Tatsache höherer Ordnung, nämlich der Offenbarung, die nicht beobachtet und bezeugt werden kann wie sonst Tatsachen des irdischen Geschehens. Bezieht sich die Bezeugung hierauf, so wird also das Zeugnis zum Zeugnis offenbarter und geglaubter Wahrheit. Aus dem Tatsachenzeugnis im vulgären Sinn wird ein werbendes Bekenntnis. 94 Diese Beobachtung ist in Bezug auf das Zeugnisgeben im JohEv von Bedeutung, denn gerade dort kommt es zu einer solchen Verlagerung der Anwendung der Zeugnisterminologie vom rein forensischen Zeugnis hin zu einem Zeugnis für eine offenbarte Wahrheit bzw. hin zu einem „religiösen Zeugnis“. 95 Boice unterstreicht dies, wenn er in Bezug auf die Zeugenterminologie im JohEv schreibt: „Witness […] is no mere witness in an original forensic sense but religious witness, involving the presentation, verification and acknowledgment of the claims of Jesus Christ“ 96 . Die Folge sei: „When testimony is described as revelation the forensic aspects of the word group falls away or at least retreat into the background and the self-testimony of the sovereign God, pictured by 50 3 Überblick über die semantischen Studien <?page no="52"?> 97 B O I C E 1970, 22−23. 98 M A C C I N I 1996, 57. 99 B E U T L E R 1972, 365. 100 H I N D L E Y 1965, 337. 101 M A C C I N I 1996, 57. 102 vgl. B O I C E 1970, 16. the language of the court, but ultimately transcendent and independent of any human witness or support, remains“. 97 In ähnliche Richtung argumentiert Maccini, der aber betont, dass die von den Zeugen angeführten Beweise ihre forensische Bedeutung nicht verloren hätten. 98 Ein solches „religiöses Zeugnisgeben“ hat Auswirkungen auf das Zeugni‐ sempfangen. Hier bemerkt Beutler eine „eigentümliche Dynamik“ von einem äußeren, gesehenen und nachprüfbaren Zeugnis hin zu einem geglaubten Zeugnis und sieht hierin „die joh ‚Zeugnisargumentation‘ aufs engste mit der joh Glaubenstheologie verknüpft“. 99 Im JohEv wird Zeugnis also immer zielgerichtet und nie um seiner selbst willen gegeben. Was das Ziel des Zeugnisses und die Auswirkung des Zeugnisses auf den Empfänger betrifft, so ist Hindley der Überzeugung, dass μαρτυρία im JohEv in all seinen Formen letztendlich als Einladung zur Nachfolge verstanden werden könne. 100 Das gegebene Zeugnis für eine offenbarte „Tatsache“ solle zum geglaubten Zeugnis werden und somit den Zeugnisempfänger in die gläubige Nachfolge führen. Maccini weist auf die Bedeutung dieser Beobachtungen hin und fasst treffend zusammen: This concept is crucial for understanding that John has no interest of presenting witnesses only to verify certain facts about Jesusʼ words and actions. Witnesses play thoroughly rhetorical roles in Johnʼs attempt to persuade readers that the messiah is Jesus. […] For John it is insufficient merely to assent, for example, to the fact that Jesus performed a sign. John demands that assent to Jesus as the one who performs signs should process to belief in Jesus as the one who comes from God. 101 Im Hinblick auf die oben erwähnte Verschiebung vom forensischen Zeugnis hin zum Zeugnis für eine offenbarte Wahrheit ist festzuhalten, dass es sich hierbei um nichts Außergewöhnliches handelt. Bereits im Alten Testament lässt sich diese Verbindung von Zeugnisterminologie (μαρτυρεῖν, μαρτυρία) und Offenbarung erkennen, besonders in den religiösen Zeugnissen bei Jesaja und in den Anwendungen des Substantives (das „Zeugnis“) auf das geschriebene Gesetz Gottes. 102 Boice, Beutler und Trites stimmen darin überein, dass der johanneische Gebrauch der Zeugnisterminologie seine Wurzeln im außerbibli‐ 3.3 Gebrauch im Neuen Testament 51 <?page no="53"?> 103 B O I C E 1970, 16; B E U T L E R 1972, 212; T R I T E S 1977. 104 S T R A T H M A N N (1942: 4, 502); So auch T E N N E Y S (1975, 229−230) Feststellung: „The witness is mainly to the character and significance of His [Christs] person“. 105 B E U T L E R 2011, 959. 106 B E U T L E R 2011, 964−965. schen Griechisch und im alttestamentlichen Sprachgebrauch habe. 103 Zugleich bemerken sie jedoch die Neuentwicklung und Umgestaltung der Begriffe im johanneischen Sprachgebrauch, da die Thematik im JohEv aufgrund der neuen und abschließenden Offenbarung Gottes in Christus weitaus ausgeprägter dargestellt sei als anderswo. Dies führt Strathmann zu der Überzeugung, dass das Verb μαρτυρεῖν im JohEv „ganz auf die Gestalt Jesu als solche, auf die Person und ihre Bedeutung zugespitzt“ sei. 104 Was die Übersetzung von μαρτυρεῖν im JohEv angeht, kommt Beutler zu einer ähnlichen Überzeugung wie Strathmann: Absolut gebraucht heißt μ. soviel wie Zeugnis ablegen (1Joh 5,6f) oder auch beteuern ( Joh 12,17; 13,21). Mit Akk. der Sache heißt es bezeugen, ebenso mit ὅτι (Joh 4,44 u.ö.). Mit Dat. der Pers. und ὅτι heißt μ. ‚jemandem etwas bezeugen/ bestätigen‘ ( Joh 3,28 u.ö.). […] steht es mit Dat. der Sache, so heißt es ‚Zeugnis ablegen für etwas‘ (nur Joh, 3Joh, Apg 14,3). 105 Das Substantiv μαρτυρία übersetzt Beutler mit „Zeugenaussage“, „Zeugnis“ und weist dabei auf einen „doppelten charakteristischen Gebrauch der Zeugnisidee“ hin, nämlich für das Zeugnis Jesu, als des Zeugen himmlischer Dinge, und für das Zeugnis anderer „Zeugen, die den göttlichen Offenbarungsanspruch Jesu in einer gerichtsartigen Auseinandersetzung mit den ‚Juden‘ legimitieren sollen“. 106 Da die zugehörigen Substantive μαρτύριον und μάρτυς, wie eingangs bereits erwähnt, im JohEv nicht auftauchen, soll hier auf ihre Bedeutung und Überset‐ zung nicht weiter eingegangen, eine mögliche Erklärung im Laufe der Arbeit aber gefunden werden. 3.4 Zusammenfassung der semantischen Studien Wie die Zusammenfassung der Untersuchungen zu μάρτυς κτλ. zeigt, können die für diese Arbeit relevanten Lexeme auf verschiedene Weise interpretiert werden. Das Verb μαρτυρεῖν ist im Neuen Testament von seiner Verwendung und Bedeutung am besten im Sinne von „eine menschliche Verkündigung von Tatsachen“, „ein gutes Zeugnis ausstellen“ (aktiv) bzw. „ein gutes Zeugnis 52 3 Überblick über die semantischen Studien <?page no="54"?> 107 Hier im Sinne der ursprünglichen Wortbedeutung als Lehre vom Bezeugen, Zeugnis‐ geben und Zeugnis empfangen, nicht als Lehre vom Martyrium. erhalten“ (passiv) oder „nachdrücklich, unter Einsatz der vorhandenen Autorität bekunden“ zu verstehen und sollte daher mit „Zeugnis ablegen“, „beteuern“ oder „bezeugen“ übersetzt werden. Für das Substantiv μαρτυρία liegt die Übersetzung „Zeugnis“, „Zeugenaussage“ nahe. Bezüglich der Bedeutung und Verwendung der Begriffe wurde in vielen Untersuchungen darauf hingewiesen, dass sich das „Bezeugen“ oder „Zeugnis‐ geben“ nicht nur auf nachweisbare Tatsachen (forensisches Zeugnis), sondern auch auf die Wiedergabe offenbarter Wahrheiten beziehe. Wie im Alten Testa‐ ment wird auch im Neuen Testament, vor allem im JohEv, nicht nur Zeugnis von und für nachprüfbare Fakten und Tatsachen abgelegt, sondern eben auch für offenbarte Wahrheiten. Ein solches „religiöses Zeugnis“ wird im JohEv entweder von Jesus als Zeugnis himmlischer Dinge vorgebracht oder von anderen für Jesus und seine göttliche Sendung und Identität. Dadurch will der Evangelist seine Leser davon überzeugen, „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ ( Joh 20,31). Diese Absicht und Zielsetzung des Zeugnisses, bei den Zeugnisempfängern Annahme des Bezeugten zu erlangen und Glauben zu wecken, ist für das Verständnis der „Martyrologie“ 107 des JohEv von großer Bedeutung und soll daher bei der vorliegenden Arbeit in die Untersuchungen des JohEv mit einbezogen werden. Wie eingangs erwähnt, fällt bei den Untersuchungen zu μάρτυς κτλ. auf, dass das Substantiv μάρτυς im JohEv nicht verwendet wird. An keiner Stelle werden diejenigen, die Zeugnis ablegen, als „Zeugen“ (μάρτυρες; μάρτυς) bezeichnet. Im JohEv ist ausschließlich vom „Zeugnisgeben“, „Bezeugen“ und „Zeugnis“ die Rede. Dass gerade im JohEv, welches einen Schwerpunkt auf die Zeugnisthematik legt, eine personifizierte Begriffszuspitzung auf „die Zeugen“ fehlt, ist erstaunlich und wirft Fragen auf nach der Bedeutung der „Zeugen“ bzw. deren Zeugnisse für das Evangelium, den Evangelisten und die Leser des Evangeliums sowie nach dem Verhältnis der „Zeugen“ zu ihrem Zeugnis und zu dem, worüber oder wofür sie Zeugnis ablegen. 3.4 Zusammenfassung der semantischen Studien 53 <?page no="56"?> 108 S T R A T H M A N N 1942, 4: 477−520; B R O X 1961; B E U T L E R 1972. 109 Vgl. H I N D L E Y S 1965; B O I C E 1970. 110 T R I T E S 1977. 111 T R I T E S 1977; L I N C O L N 2000; G N I E S M E R 2000; L A N G E 2019. 112 G N I E S M E R 2000. 113 W I L T O N 1992. 114 M A C C I N I 1996. 4 Ertrag und Grenzen der Forschungsbeiträge Wie der obige Forschungsüberblick und die Übersicht über die bereits er‐ brachten semantischen Studien zeigen, wurde in der Vergangenheit in Bezug auf die Untersuchung der Zeugnisthematik des Neuen Testaments und des JohEv Enormes geleistet. Neben traditionsgeschichtlichen bzw. semantischen Untersuchungen zur Bedeutung, Entwicklung und dem Gebrauch von μάρτυς κτλ. 108 wurden Zusammenhänge zwischen der johanneischen Zeugnisthematik und logischen, überzeugenden Beweisen bzw. theologischen Erkenntnissen sowie zwischen Zeugnis und Offenbarung aufgezeigt. 109 Ausführlich dargestellt wurden das Konzept des Zeugnisgebens im Neuen Testament 110 , der juristische und forensische Charakter der Zeugnisterminologie, die Rechtsstreit- und Prozessmotivik des JohEv 111 , deren mögliche Hintergründe und Prätexte sowie die Bedeutung von fehlenden Zeugen in der Erzählung für die Leser 112 . Weitere Beiträge wandten sich der Zeugnisthematik aus einem missionarisch-evange‐ listischen Interesse an den Zeugnissen, den Zeugen und Jesus als dem Zeugen par excellence zu, um die Ergebnisse für das persönliche Interesse an der Weitergabe des Evangeliums fruchtbar zu machen. 113 Andere analysierten die Zeugnisthematik aufgrund eines egalitären Anliegens, um darzulegen, dass das JohEv keine Unterschiede zwischen femininen und maskulinen Zeugen mache. 114 Trotz all der wertvollen Erträge, von denen die vorliegende Arbeit profitieren kann, offenbaren der obige Forschungsüberblick und die angefügte Kritik zugleich auch die Grenzen und Defizite der bisherigen Beiträge. Es zeigt sich, dass die Zeugnisthematik in vielen der Arbeiten zwar aufgegriffen, behandelt oder zumindest gestreift wird, eine differenzierte, detaillierte und ganz auf die Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία fokussierte Untersuchung der Darstellung des Zeugnisgebens im JohEv bislang jedoch nicht erfolgte. Diese Beobachtung fordert heraus, der Zeugnisthematik des JohEv erneut Aufmerksamkeit zu widmen, um in einer weiteren Studie offengebliebene Fragen in Bezug auf die <?page no="57"?> Zeugnisthematik des JohEv zu beantworten und dadurch einen Beitrag zur Erforschung der Zeugnisthematik des JohEv zu leisten. 56 4 Ertrag und Grenzen der Forschungsbeiträge <?page no="58"?> 115 Wie oben bereits erwähnt, werden aus Gründen der besseren Lesbarkeit nur die Pluralformen „Leser“ und „Rezipienten“ verwendet, in die sowohl männliche Leser/ Rezipienten als auch weibliche Leserinnen/ Rezipientinnen einbezogen sind. Da für die „Erzähladressaten“ in der Literaturwissenschaft unterschiedliche Termini verwendet werden, werden in der vorliegenden Arbeit vorrangig die Begriffe „intendierte Rezipi‐ enten“ oder schlicht „Leser“ für die Leserschaft verwendet, an die sich die Erzählung des JohEv ursprünglich gerichtet haben mag, d. h. die Personengruppe, die der Autor als mögliche Empfänger und Leserschaft vor Augen hatte (vgl. dazu F I N N E R N 2010, 50−55; Ähnlich spricht auch Schmid [2014, 67] in diesem Zusammenhang vom „Inhalt jenes Bildes vom Empfänger […], das der Autor beim Schreiben vor sich hatte […]“. Er selbst spricht dann aber vom „abstrakten Leser“). Zu beachten ist: Der „implizierte Rezipient“ oder „Leser“ entspricht nicht dem „konkreten“, „realen“ oder „heutigen Leser“. 5 Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit Abgrenzung: Die vorliegende Arbeit hebt sich insofern von den bisherigen ab, als sie stärker als diese auf der Textebene bleibt, sich auf die unstrittigen Zeugnisbegriffe, die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία, konzentriert und zwi‐ schen dem Selbstzeugnis und dem Fremdzeugnis für Jesus differenziert, um sich ganz auf Letzteres zu fokussieren. Diese Differenzierung erfolgt zum einen, weil das ganze JohEv schwerpunktmäßig auf ein Zeugnisgeben anderer für Jesus ausgerichtet ist und das Selbstzeugnis Jesu eher legitimatorischen Charakter aufweist. Zum anderen soll der Fokus auf das Fremdzeugnis gerichtet werden, weil das Selbstzeugnis im Gegensatz zum Fremdzeugnis immer einen fragwürdigen bzw. unglaubwürdigen Charakter aufweist, so wie es im JohEv selbst erwähnt wird ( Joh 5,31; 8,13). Fragestellung: Im Gegensatz zu den bisherigen Forschungsbeiträgen soll bei der vorliegenden Untersuchung der Zeugnisthematik konsequent auf der Textebene geblieben werden, um gezielt auf die narrative Darstellung des Zeugnisgebens bzw. des Zeugnisakts einzugehen. Dabei soll den Fragen nach‐ gegangen werden, wie die Zeugnisgeber, die Zeugnisempfänger und der Akt des Zeugnisgebens dargestellt werden und welche (Aus-)Wirkungen und Folgen die abgelegten Zeugnisse auf und für die a) unmittelbaren, erzählten primären Empfänger des Zeugnisses und b) die intendierten Rezipienten 115 des JohEv haben (sollen). Methode: Da es sich beim JohEv, wie auch bei den anderen Evangelien, um einen Erzähltext handelt und zur Beantwortung der genannten Fragen auf die narrative Darstellung des Zeugnisgebens eingegangen werden soll, bietet sich <?page no="59"?> 116 Im englischsprachigen Raum ist diese Methode länger bekannt (vgl. A L T E R 2011 [erste Auflage von 1981]; C U L P E P P E R 1987 und 1998; P O W E L L 1993; R E S S E G U I E 2005). Nach wie vor gilt sie jedoch als fruchtbarer Ansatz wie E S T E S & S H E R I D A N (2016, 2) betonen: „Interest in how John tells his story continues to be a fruitful discussion some forty or fifty years after the ‚narrative turn‘ in biblical studies“. 117 F I N N E R N 2010. 118 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016. 119 C U L P E P P E R 1987 und 1998; R E S S E G U I E 2005; T O L M I E 2012. Nicht speziell auf die neutes‐ tamentliche Exegese ausgerichtet, aber hilfreich sind auch die „Einführung in die Erzähltheorie“ von M A R T Í N E Z & S C H E F F E L (2016) und das, wenn auch veraltete Werk „Erzähltextanalyse: Eine Einführung“ von K A H R M A N N , R E Iẞ & S C H L U C H T E R 1991. Be‐ sondere Beachtung verdient auch das „Handbook of Narrative Analysis“ von H E R M A N N & V E R V A E C K 2019. 120 In der vorliegenden Arbeit wird nicht auf alle Analyseschritte der Narratologie zu‐ rückgegriffen. Der Fokus liegt auf der Untersuchung der erzählten Zeugnisgeber und erzählten Zeugnisempfänger anhand der Figurenanalyse, wozu ein besonderes Augenmerkt auf die Figurendarstellung (Charakterisierung), die Figurenmerkmale und -konzeption und die Figurenkonstellation gerichtet werden soll (vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 198−205; F I N N E R N 2010, 151−162; M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 147−153; T O L M I E 2012; 39−62). Darüber hinaus werden, wo es die Erzählung erlaubt, erzählte Räume, Handlungen und Darstellungen unter Berücksichtigung einer Perspektiven-, Handlungs- oder Raumanalyse beleuchtet. 121 Vgl. „Einführung in die Gesprächsanalyse“ von H E N N E & R E H B O C K (2001). Folgende Ka‐ tegorien des kommunikativ-pragmatischen Kategorieninventar sollen berücksichtigt und wo möglich untersucht werden: Gesprächsgattung, Konstellation der Gesprächs‐ partner, Grad der Öffentlichkeit, soziales Verhältnis der Gesprächspartner, Handlungsdi‐ mension, Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner, Grad der Vorbereitetheit der Gesprächs‐ partner und die Themafixiertheit des Gesprächs. Zu den jeweiligen Kategorien führen H E N N E & R E H B O C K (2001, 26−27) folgende Unterpunkte auf: Gesprächsgattungen: „natür‐ zur Untersuchung und Beantwortung der Fragen die in der deutschsprachigen neutestamentlichen Exegese als neuere Methode entdeckte narratologische Analyse an. 116 Im deutschsprachigen theologischen Raum wurde diese ausführ‐ lich von Finnern in seiner Dissertation 117 und von Finnern & Rüggemeier in ihrem Methodenbuch dargestellt. 118 In weiten Teilen orientiert sich die vorlie‐ gende Arbeit an den beiden letztgenannten Werken, berücksichtigt darüber hinaus aber auch weitere einschlägige Beiträge zur Narratologie bzw. zur Erzähltheorie oder Erzähltextanalyse. 119 Durch Anwendung eines Teils 120 der in der Narratologie gängigen Analysemethoden ist es möglich, die Zeugnis‐ thematik des JohEv aus einem neuen Blickwinkel zu beleuchten, sodass die Ergebnisse der Arbeit einen gewinnbringenden Beitrag zur Erforschung der johanneischen Zeugnisthematik leisten können. Neben einer Berücksichtigung der narratologischen Analysemethoden soll bei der Untersuchung der einzelnen Zeugnisakte bzw. der „Zeugnisgespräche“ das kommunikativ-pragmatische Kategorieninventar der von Henne & Rehbock 121 entworfenen Gesprächsana‐ 58 5 Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit <?page no="60"?> liches spontanes Gespräch“, „natürliches arrangiertes Gespräch“, „fiktives Gespräch“, „fiktionales Gespräch“, „inszeniertes Gespräch“. Konstellation der Gesprächspartner: „interpersonales dyadisches Gespräch“, „Gruppengespräch“ (Kleingruppe oder Groß‐ gruppe). Grad der Öffentlichkeit: „privat“, „nicht öffentlich“, „halb öffentlich“, „öffent‐ lich“. Soziales Verhältnis der Gesprächspartner: „symmetrisches Verhältnis“, „asymme‐ trisches Verhältnis“ („anthropologisch bedingt“, „soziokulturell bedingt“, „fachlich oder sachlich bedingt“, „gesprächsstrukturell bedingt“). Handlungsdimension des Gesprächs: „direktiv“, „narrativ“, „diskursiv“. Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner: „vertraut“, „befreundet, gut bekannt“, „bekannt“, „flüchtig bekannt“, „unbekannt“. Grad der Vorbe‐ reitetheit der Gesprächspartner: „nicht vorbereitet“, „routiniert vorbereitet“, „speziell vorbereitet“. Themafixiertheit des Gesprächs: „nicht themafixiert“, „themabereichfixiert“, „speziell themafixiert“. 122 M A C C I N I 1996, 55. 123 Dies kann zum einen durch eine Plotanalyse geschehen, zum anderen durch die Be‐ rücksichtigung der Ergebnisse früherer Strukturanalysen und literarkritisch bedingter Beobachtungen. lyse berücksichtigt werden, um die „Zeugnisgespräche“ umfassender erfassen, auswerten und miteinander vergleichen zu können. Vorgehensweise und genauere Abgrenzung: Im Einzelnen soll bei der Untersu‐ chung der Zeugnisthematik in der vorliegenden Arbeit wie folgt vorgegangen werden: In einem ersten Schritt werden aus dem gesamten JohEv die Verse herausgesucht, in denen das Zeugnisgeben für Jesus erwähnt und dargestellt wird. Dabei beschränkt sich die Arbeit, wie bereits erwähnt, auf die Stellen, in denen durch die Verwendung der Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία eindeutig von einem Zeugnisakt ausgegangen werden kann, auch wenn es darüber hinaus zahlreiche weitere Abschnitte gibt, die impliziert von Zeugen und einem Zeugnis für Jesus erzählen. Das Konzept des Zeugnisgebens ist bei Johannes nicht auf die Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία beschränkt, wie es auch Maccini feststellt, wenn er schreibt: „[…] the idea of witness resides not in them [the words μαρτυρέω and μαρτυρία] alone but also in other words and phrases as well as in the events narrated in the larger literary structure.“ 122 Da sich eine Herausstellung und Abgrenzung weiterer möglicher Zeugnisbegriffe aber als schwierig erweist, weil sie im Gegensatz zu den oben genannten Lexemen in ihrer begrifflichen Konkretion strittig sind, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf die Untersuchung der eindeutigen und unstrittigen Zeugnisbegriffe und der Verse, in denen diese verwendet werden. Sind die Verse der Erzählung ausgemacht, in denen die Zeugnisbegriffe verwendet werden, wird in einem zweiten Schritt der zu jedem dieser Verse zugehörige Erzählabschnitt bzw. die dazugehörige Szene ermittelt. 123 Sind die einzelnen Abschnitte (Zeugnisszenen) abgesteckt, kann in einem dritten Schritt 5 Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit 59 <?page no="61"?> 124 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 198−205; F I N N E R N 2010, 151−162; M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 147−153; T O L M I E 2012; 39−62. 125 Die „Rede- und erzählenden Instanz“ im JohEv als „Erzähler“ zu bezeichnen und vom „Autor“ (Evangelisten) zu trennen ist kaum möglich, da der Autor offensichtlich keine von sich getrennte, fiktive und konstruierte Figur schaffen will. S C H M I D (2022) weist darauf hin: „[G]rundsätzlich ist es problematisch, den Schreiber oder Sprecher von religiösen Texten als Erzähler zu betrachten. Denn der Erzähler ist in der Literaturwis‐ senschaft eine fiktive vom Autor konstruierte Figur in fiktionalen Texten, auch wenn er nicht als Person auftritt.“ Schmid schlägt daher vor, „als Rede- und erzählende Instanz nur den Evangelisten [zu] betrachten“. Dennoch wird in vorliegender Arbeit der einfachheithalber und zur besseren Unterscheidung zunächst die Bezeichnung „Erzähler“ verwendet werden. 126 In diese Richtung denkt auch T H E O B A L D (2010, 531): „Die Autoren des Buches werden […] auf seine wiederholte Lektüre gesetzt und ihre Ansprüche an den Leser von daher definiert haben“. mit der ausführlichen Untersuchung der narrativen Darstellung der Zeugnisakte begonnen werden. Als Erstes soll(en) dazu in jeder Zeugnisszene der (oder die) erzählte(n) Zeugnisgeber betrachtet werden. Anhand einiger Elemente der Figurenanalyse (Figurendarstellung bzw. Charakterisierung, Figurenmerkmale und -konzep‐ tion und Figurenkonstellation) 124 wird herausgearbeitet, wie die jeweiligen Zeugnisgeber vom „Erzähler“ 125 charakterisiert werden bzw. welches Bild die intendierten Rezipienten von diesen Figuren (bzw. diesen Gruppencharaktern) aufgrund der Charakterisierung des Erzählers haben oder haben sollen. Die Untersuchung der Charakterisierung der Zeugnisgeber fokussiert sich dabei nicht nur auf die jeweilige Zeugnisszene (den engeren Kontext), sondern darüber hinaus von vornherein auf das gesamte Evangelium. Dieses Vorgehen ist darin begründet, dass in der vorliegenden Arbeit davon ausgegangen wird, dass es sich beim JohEv um eine Lektüre handelt, die dazu konzipiert ist, von den Empfängern mehrfach gelesen zu werden. 126 Durch eine Untersuchung der Charakterisierungen im gesamten JohEv soll gewährleistet werden, dass die Vorstellung, die die implizierten Rezipienten von den Zeugnisgebern nach einem wiederholten Lektüreprozess haben (sollen), umfassend berücksichtigt wird. Nach der Untersuchung der Darstellung des/ der Zeugnisgeber/ s wird in jeder Szene in gleicher Weise und mit gleichen Analysemethoden die Figur (oder der Gruppencharakter) des erzählten Zeugnisempfängers untersucht. Ist die Analyse der Darstellung der Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger ab‐ geschlossen, werden in einem weiteren Abschnitt in jeder Zeugnisszene der erzählte Zeugnisinhalt und der erzählte Zeugnismodus sowie die Folgen bzw. (Aus-)Wirkungen des abgelegten Zeugnisses über Jesus als das erzählte Zeug‐ 60 5 Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit <?page no="62"?> 127 Vgl. H E N N E & R E H B O C K 2001. 128 F I N N E R N 2010, 78−124; F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 211−235. 129 Die an den Text gestellten Fragen entsprechen den klassischen W-Fragen, die auch sonst zur Analyse von Fachtexten verwendet werden (vgl. L A N G E 2018, 38). 130 Recht kompliziert und für den Text des JohEv ungeeignet unterscheiden K A H R M A N N , R E Iẞ & S C H L U C H T E R (1991, 47) fünf „Komunikationsniveaus“. nisobjekt herausgearbeitet. Methodisch bietet sich zur Untersuchung dieser Punkte die Durchführung einer Gesprächsanalyse 127 an. In Szenen, in denen die Umstände des Zeugnisgebens ausführlicher geschil‐ dert werden, können des Weiteren der erzählte Zeugnisort, die erzählte Zeug‐ niszeit, das erzählte Zeugnismotiv und der erzählte Zeugniszweck ermittelt werden. Für die Untersuchung dieser Dinge liegt es ebenfalls nahe, Analyseme‐ thoden der Narratologie zu nutzen, wie z. B. die Raum- und Handlungsanalyse. 128 Sind sämtliche Fragen 129 zu den einzelnen erzählten Zeugnisszenen beant‐ wortet, werden in einem letzten Teil der Arbeit die Ergebnisse der Untersuchung zusammengefasst und ausgewertet. Dabei soll abschließend das Augenmerk auf die erste Erzählebene (extradiegetische Ebene) 130 , auf den Erzähler und die intendierten Rezipienten gerichtet werden, um zu ermitteln, welche Bedeutung und Wirkung die erzählten Zeugnisse und Zeugnisszenen auf die intendierten Rezipienten des JohEv haben bzw. haben sollen. Ziel der Arbeit ist es, eine ausführliche, auf die Zeugnisbegriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία fokussierte Untersuchung der narrativen Darstellung der Zeug‐ nisgeber und -empfänger sowie der Zeugnisakte zu leisten, um herauszustellen, welche Bedeutungen, (Aus-)Wirkungen und Folgen die abgelegten Zeugnisse auf bzw. für die unmittelbaren, erzählten Zeugnisempfänger und darüber hinaus auf bzw. für die Rezipienten und Leser des JohEv haben bzw. haben sollen. 5 Abgrenzung, Fragestellung, Methode, Vorgehensweise und Ziel der Arbeit 61 <?page no="64"?> Kapitel II: Das Fremdzeugnis für Jesus im Johannesevangelium <?page no="66"?> 1 Kein Wortbeleg in den Kapiteln 6, 9, 11, 14, 16, 17, 20. 1 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes 1.1 Die relevanten Stellen Die Zeugnisthematik und das für diese Arbeit relevante Zeugnisgeben für Jesus begegnen im JohEv an vielen Stellen und sind nicht nur anhand der Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία auszumachen. Vorliegende Arbeit fokussiert sich jedoch aus den oben angeführten Gründen in ihrer Untersuchung ausschließlich auf die Stellen, in denen durch die Verwendung der Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία explizit vom Zeugnis und/ oder Zeugnisgeben für Jesus die Rede ist. Ungeachtet des Inhalts des Zeugnisses wird das Substantiv μαρτυρία an 14 Stellen, das Verb μαρτυρεῖν an 33 Stellen im JohEv verwendet. Bei einer Betrachtung der Wortbelege fällt auf, dass diese sehr gleichmäßig über das Evangelium verteilt sind. In 14 der 21 Kapitel finden sich ein oder mehrere Wortbelege, in sieben der 21 Kapitel tauchen die Begriffe nicht auf. 1 Die meisten Belege finden sich in den ersten fünf Kapiteln. Insgesamt erfolgt die Verteilung der Begriffe wie in folgender Tabelle dargestellt: Kapitel mit Beleg 1-5 - 7-8 10 - 12-13 Kapitel ohne Beleg - 6 - - 11 - Häufigkeit - - - - - - μαρτυρία 9x - 3x 0x - 0x μαρτυρεῖν 19x - 5x 1x - 2x Kapitel mit Beleg - 15 - 18-19 - 21 Kapitel ohne Beleg 14 - 16-17 - 20 - Häufigkeit - - - - - - μαρτυρία - 0x - 1x - 1x <?page no="67"?> 2 Diese Stellen können und sollen ausgeklammert werden, weil es sich bei der vor‐ liegenden Arbeit nicht um eine semantische Studie handelt, in der umfassend der Gebrauch der Lexeme μαρτυρία und μαρτυρεῖν im JohEv untersucht werden soll. Ebenso wenig erhebt die Arbeit den Anspruch, das gesamte Konzept des Zeugnisgebens im JohEv zu erfassen und zu analysieren. Vielmehr konzentriert sich vorliegende Studie allein und ganz auf eine narratologische Untersuchung der Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus. 3 B E U T L E R 2016, 139. μαρτυρεῖν 2x 3x 1x Tabelle 1: Verwendung der Zeugnisterminologie in den einzelnen Kapiteln Überblickt man die Stellen, in denen die Begriffe verwendet werden, dann lassen sich sieben Stellen ausmachen und ausschließen, 2 in denen sich das Zeugnis nicht auf Jesus bezieht, sondern für/ über jemand anderen oder etwas anderes abgelegt wird oder in denen, wie sich in Joh 18,23 zeigt, nur zum Zeugnisablegen aufgefordert wird: In Joh 2,25 wird vom Zeugnis berichtet, das über einen Menschen abgelegt wird und, dass Jesus es „nicht nötig hatte, dass jemand Zeugnis gebe über den Menschen; denn er selbst wusste, was in dem Menschen war“ (ὅτι οὐ χρείαν εἶχεν ἵνα τις μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ ἀνθρώπου· αὐτὸς γὰρ ἐγίνωσκεν τί ἦν ἐν τῷ ἀνθρώπῳ). In Joh 3,11.32.33 ist vom angenommenen Zeugnis über himmlische Dinge bzw. über das, was Jesus gesehen und gehört hat, und über das Zeugnis derer die Rede, die das Zeugnis Jesu annehmen und dadurch bezeugen, „dass Gott wahrhaftig ist“. Auch wenn Jesus in Kapitel 3 zum ersten Mal als „Zeuge“ auftritt, ist doch klar: Jesus „legt [hier] nicht von sich selbst Zeugnis ab, sondern von himmlischen Dingen“. 3 In Joh 3,28 wird das Zeugnis für Johannes den Täufer genannt: „Ihr selbst gebt mir Zeugnis, dass ich sagte: Ich bin nicht der Christus, sondern dass ich vor ihm hergesandt bin“ (αὐτοὶ ὑμεῖς μοι μαρτυρεῖτε ὅτι εἶπον οὐκ εἰμὶ ἐγὼ ὁ χριστός, ἀλλ᾽ ὅτι ἀπεσταλμένος εἰμὶ ἔμπροσθεν ἐκείνου). In Joh 7,7 legt Jesus Zeugnis über die Welt ab, weil diese ihn hasst. Jesus bezeugt: „[…] mich aber hasst sie, weil ich von ihr zeuge, dass ihre Werke böse sind“ (ἐμὲ δὲ μισεῖ, ὅτι ἐγὼ μαρτυρῶ περὶ αὐτοῦ ὅτι τὰ ἔργα αὐτοῦ πονηρά ἐστιν). In Joh 18,23 fordert Jesus einen Knecht dazu auf, „das Böse zu bezeugen“ (μαρτύρησον περὶ τοῦ κακοῦ), das er angeblich getan habe und woraufhin der Knecht ihn ge‐ schlagen habe. 66 1 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes <?page no="68"?> Abzüglich dieser sieben sprechen die übrigen 40 Stellen vom Zeugnisgeben für Jesus. Wer in den jeweiligen Versen Zeugnis für Jesus ablegt, ist in folgender Tabelle festgehalten: Zeuge- Kap. Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰησοῦς γυνή (ἐκ τῆς Σαμαρείας) πατήρ ἔργα 1 7.8.15.19.32.34 - - - - 3 26 32.33 - - - 4 - 44 39 - - 5 33.34 31 - 32.37 36 8 - 13.14.18 - 18 - 10 - - - - 25 12 - - - - - 13 - 21 - - - 15 - - - - - 18 - 37 - - - 19 - - - - - 21 - - - - - Zeuge- Kap. γραφάς ὄχλος παράκλητος/ τὸ πνεῦμα μαθηταί μαθητής (ὃν ἠγάπα) 1 - - - - - 3 - - - - - 4 - - - - - 5 39 - - - - 8 - - - - - 10 - - - - - 12 - 17 - - - 13 - - - - - 1.1 Die relevanten Stellen 67 <?page no="69"?> 4 Zum Beispiel durch die Herausstellung von Handlungsstrukturen und Handlungs‐ strängen, durch eine Ploanalyse oder durch Beobachtungen von neu auftretenden Figuren, die oftmals eine Szene einleiten. 5 Gewonnene Ergebnisse aus Strukturanalysen oder literarkritischen Beobachtungen. 15 26 27 18 - - - - - 19 - - - - 35 21 - - - - 24 Tabelle 2: Stellen über das Zeugnisgeben für Jesus 1.2 Abgrenzung der Erzählabschnitte und der Arbeit Wie die meisten modernen Erzählungen weist auch das JohEv innerhalb der Handlung mehrere Einheiten auf, sodass sich das Evangelium aus mehreren längeren und kürzeren Erzählabschnitten zusammensetzt. Will man die narra‐ tive Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus umfassend untersuchen, dann dürfen nicht nur die Verse analysiert werden, in denen Zeugnis abgelegt wird, sondern es müssen auch die jeweils dazugehörigen Kontexte beleuchtet werden. Nur wenn die Kontexte oder - um bei der Sprache der Narratologie zu bleiben - die jeweiligen Erzählabschnitte bzw. Szenen ausgemacht sind, in denen die jeweiligen Verse vom Zeugnisgeben liegen, ist es möglich, diese Abschnitte auf den genauen Ablauf des Zeugnisgebens, die Zeugnisgeber und -empfänger sowie auf die Bedeutung, Funktion und Wirkung des Zeugnisgebens für Jesus hin zu untersuchen. Legt man sich durch die Anwendung einiger narratologischer Methoden zur Abgrenzung von Szenen 4 und durch den Vergleich der Ergebnisse mit Ergeb‐ nissen früherer Abgrenzungsversuche 5 auf eine Abgrenzung der Zeugnisszenen fest, dann lassen sich die einzelnen Verse, in denen Zeugnis für Jesus abgelegt wird, folgenden Szenen zuordnen: 68 1 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes <?page no="70"?> Nummer der Szene 1 2 3 4 5 Kapitel und Vers(e) mit Wortvor‐ kommen 1,7.8.15 1,19 1,32.34 (+3,26) 3,32.33 4,39 Umfang der Szene 1,1-18 1,19-28 1,29-34 3,22-3,36 4,(28) 31-42 Auftre‐ tender „Zeuge“ Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰησοῦς γυνή (ἐκ τῆς Σαμαρείας) Zeugnis‐ empfänger πάντες ἱερεῖς καὶ Λευίτας ? ? Σαμαρῖται Nummer der Szene 6 7 8 9 10 Kapitel und Vers(e) mit Wortvor‐ kommen 4,44 5,31.32.33. 34.36.37.39 8,13.14.17.18 10,25 12,17 Umfang der Szene 4,43-54 5,17-47 8,12-20 10,22-39 12,12-19 Auftre‐ tender „Zeuge“ Ἰησοῦς Ἰησοῦς, πατήρ, ἔργα, γραφάς, Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰησοῦς, πατήρ ἔργα ὄχλος Zeugnis‐ empfänger ? Ἰουδαῖοι Φαρισαῖοι Ἰουδαῖοι ὄχλος 1.2 Abgrenzung der Erzählabschnitte und der Arbeit 69 <?page no="71"?> 6 In 18,37 gibt Jesus Zeugnis von „der Wahrheit“ (ἡ ἀλήθεια). Es ist aber zu erkennen, der er von sich selbst als der Wahrheit zeugt. „Als Sohn Gottes ist Jesus Christus die Wahrheit, […]“ (S C H N E L L E 2016, 354). 7 Ebenso B E A S L E Y −M U R R E Y 1987, viii; S C H N E L L E 2016, VIII; Z U M S T E I N 2016, 11. T H Y E N (2015, X) hingegen unterteilt diesen Abschnitt in zwei Szenen, in Joh 15,1−16,3 und Joh 16,4−16,33. B E U T L E R (2016, 6) und S C H N A C K E N B U R G (1982, VIII) unterteilen Joh 15,1−16,4a und Joh 16,4b−16,33. Nummer der Szene 11 12 13 14 15 Kapitel und Vers(e) mit Wortvor‐ kommen 13,21 15,26-27 18,37 6 19,35 21,24 Umfang der Szene 13,21-30 15,1-16,33 7 18,33-38 19,31-37 21,24-25 Auftre‐ tender „Zeuge“ Ἰησοῦς παράκλητος / τὸ πνεῦμα, μαθηταί Ἰησοῦς μαθητής (ὃν ἠγάπα) μαθητής (ὃν ἠγάπα) Zeugnis‐ empfänger μαθηταί μαθηταί, κόσμος Πιλᾶτος Leser Leser Tabelle 3: Abgrenzung der Szenen (inkl. der Selbstzeugnisszenen) Dieser Unterteilung zufolge liegen die 40 Stellen, in denen durch den Gebrauch von μαρτυρεῖν und μαρτυρία explizit vom Zeugnisgeben für Jesus die Rede ist, in 15 unterschiedlichen Szenen. Dabei werden insgesamt 10 verschiedene Zeugen genannt: Johannes der Täufer, Jesus, die Samaritanerin, die Werke, der Vater, die Schriften, das Volk, der Geist, die Jünger und der Erzähler. Wie der Titel der vorliegenden Arbeit erkennen lässt, erfolgt bei der Unter‐ suchung der Zeugnisszenen eine weitere Eingrenzung insofern, als nur das Fremdzeugnis für Jesus betrachtet werden soll. Szenen, in denen Jesus für sich selbst Zeugnis ablegt, sollen unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet, dass die Zeugnisszenen 3, 5, 10 und 12 nicht untersucht werden. Die Szenen 6 und 7 hingegen werden untersucht, da hier neben dem Selbstzeugnis Jesu auch weitere Zeugen angeführt werden. 70 1 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes <?page no="72"?> Nummer der Szene 1 2 3 4 Kapitel und Vers(e) mit Wortvor‐ kommen 1,7.8.15 1,19 1,32.34 (+3,26) 4,39 Umfang der Szene 1,1-18 1,19-28 1,29-34 4,(28) 31-42 Auftretender „Zeuge“ Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] γυνή (ἐκ τῆς Σαμαρείας) Nummer der Szene 5 6 7 8 Kapitel und Vers(e) mit Wortvor‐ kommen 5,31.32.33.34. 36.37.39 8,13.14.17.18 10,25 12,17 Umfang der Szene 5,17-47 8,12-20 10,22-39 12,12-19 Auftretender „Zeuge“ Ἰησοῦς, πατήρ, ἔργα, γραφάς, Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής] Ἰησοῦς, πατήρ ἔργα ὄχλος Zeugnisemp‐ fänger Ἰουδαῖοι Φαρισαῖοι Ἰουδαῖοι ὄχλος Nummer der Szene 9 10 11 Kapitel und Vers(e) mit Wort‐ vorkommen 15,26-27 19,35 21,24 Umfang der Szene 15,1-16,33 19,31-37 21,24-25 Auftretender „Zeuge“ παράκλητος / τὸ πνεῦμα, μαθηταί μαθητής (ὃν ἠγάπα) μαθητής (ὃν ἠγάπα) Zeugnisemp‐ fänger μαθηταί, κόσμος Leser Leser Tabelle 4: Abgrenzung der Szenen ohne Jesu Selbstzeugnis 1.2 Abgrenzung der Erzählabschnitte und der Arbeit 71 <?page no="73"?> Um das oben genannte Ziel der Arbeit zu erreichen und die Darstellung des Prozesses des Zeugnisgebens sowie die Funktion, Wirkung und Bedeutung des Zeugnisses herauszustellen, sollen im Folgenden die verbleibenden elf Szenen und deren neun Zeugen untersucht werden. 72 1 Ermittlung der relevanten Textstellen und ihres Kontextes <?page no="74"?> 8 Samaritanerin, Werke, Vater, Schriften, Geist, Jünger, Erzähler, Volksmenge und Jo‐ hannes der Täufer. Obwohl der Begriff „Zeuge“ (μάρτυς) im JohEv nicht gebracht wird, werden diejenigen, die Zeugnis für Jesus ablegen, doch als Zeugen dargestellt und der Einfachheit halber im Verlauf der Arbeit ohne Anführungsstriche als Zeugen bezeichnet. Hier unterscheidet sich das „showing“ vom „telling“: „Accordingly John acts as a witness, or he is narrated as one who permanently bears witness; however, he is not ‚told‘ to be ‚the witness‘ through the use of a classifying noun“ (Z I M M E R M A N N 2016, 99). 9 Vorliegende Arbeit versteht das ganze JohEv als Erzählung ohne den Prolog von den nachfolgenden Erzählteilen abzugrenzen. 10 Joh 1,6.15.19.26.28.32.35.40; 3,23.24.25.26.27; 4,1; 5,33.36; 10,40,41 (2x). 11 Mt 3,1; 11,11.12; 14,2.8; 16,14; 17,13; Mk 6,25; 8,28; Lk 7,20.33; 9,19. 12 Vgl. B E N N E M A 2014, 61; Z I M M E R M A N N 2016, 99. 13 B E N N E M A 2014, 62. 14 Vgl. Joh 1,1: „Ἐν ἀρχῇ […]“ und Gen 1,1 (LXX): „Ἐν ἀρχῇ […]“; vgl. B A R R E T T 1978, 151; D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 24; K E E N E R 2012, 365−68; T H E O B A L D 2009, 101 f; T H Y E N 2015, 63 f. 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) Unter den neun „Zeugen“ 8 , die im JohEv durch den Gebrauch der Begriffe μαρτυρεῖν und μαρτυρία explizit als Zeugen für Jesus ausgezeichnet werden, nimmt Johannes (der Täufer) aus mehreren Gründen eine besondere Stellung ein. Er ist die erste menschliche Figur, die in die Erzählung 9 eingeführt wird, der erste für Jesus auftretende Zeuge, der einzige Zeuge, der bereits im ersten Erzählabschnitt (Prolog) auftritt, und der einzige Zeuge, der in Verbindung mit den Zeugnisbegriffen namentlich vorgestellt wird. 10 Auffällig bei seiner namentlichen Nennung ist, dass die Bezeichnung „der Täufer“ (ὁ βαπτιστής) im JohEv fehlt, während sie in den synoptischen Evangelien jeweils mehrfach auftaucht. 11 Dieser Befund legt den intendierten Rezipienten nahe, dass es dem Erzähler mehr um die Zeugenals um die Täufertätigkeit des Johannes geht. Johannes wird als Zeuge par excellence 12 dargestellt, während seine Tätigkeit als Täufer für den Erzähler und dessen Darstellung der Ereignisse nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dennoch geschieht die Zeugentätigkeit des Johannes nicht losgelöst von seiner Täufertätigkeit: „John functions as a witness in the context of his baptizing activity (1: 28), which implies that John is not a witness apart from his role as baptizer but precisely as baptizer“. 13 Wendet man sich der Untersuchung der narrativen Darstellung dieses ersten Zeugen und des Zeugnisakts zu, so fällt auf, dass dieser Zeuge sehr früh in die Erzählung eingeführt wird. Nachdem der Erzähler in deutlicher Anlehnung an die ersten Worte der Thora seine Darstellung eröffnet 14 und das präexistente <?page no="75"?> Sein des Logos bei Gott und dessen Einheit mit Gott dargelegt hat, schwenkt er dazu über, den Logos als Aufenthaltsort des Lebens zu bezeichnen, ihm lebensspendende Kraft zuzuschreiben und ihn als das „Licht der Menschen“ (τὸ φῶς τῶν ἀνθρώπων; Joh 1,4) zu identifizieren. Als erleuchtendes Licht scheine der Logos in die Finsternis, aber, so muss der Erzähler ergänzen, „die Finsternis hat es nicht ergriffen“ ( Joh 1,5). Direkt im Anschluss an diese Beurteilung wird dann im sechsten Vers des ersten Kapitels das erste Mal ein Zeugnis für Jesus bzw. für „das Licht“ präsentiert. Dadurch, dass der Erzähler diese Thematik so früh in die Erzählung ein‐ fließen lässt und die in diesem Zusammenhang verwendeten Begriffe μαρτυρία und μαρτυρεῖν von da an in sämtlichen Szenen des ersten Kapitels (vgl. Joh 1,15.19.32.34) und darüber hinaus in fast allen Erzählabschnitten verwendet, wird den Lesern von Anfang an unmissverständlich dargelegt, dass der Zeug‐ nisthematik im JohEv eine zentrale Bedeutung zukommt. Um diese zentrale Thematik und deren narrative Darstellung genauer er‐ fassen und damit das Ziel der vorliegenden Arbeit erreichen zu können, werden im Folgenden die Figur des Johannes und ihre Zeugentätigkeit näher beleuchtet. Dabei soll herausgestellt werden, welches Bild die intendierten Rezipienten und Leser nach wiederholtem Lektüreprozess sowohl vom Zeugnisgeber als auch von den Zeugnisempfängern haben (sollen) und wie der Akt des Zeugni‐ sablegens dargestellt wird. Am Ende wird der Frage nachgegangen, warum und wozu Johannes Zeugnis für Jesus ablegt und welche Auswirkungen und Folgen sein Zeugnis der Erzählung zufolge auf bzw. für die primären, erzählten Zeugnisempfänger hat. 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Der erste Zeugnisakt im JohEv wird vom Erzähler in Joh 1,6-7 mit folgenden Worten eröffnet: „Da war ein Mensch, von Gott gesandt, sein Name Johannes. Dieser kam zum Zeugnis, damit er zeuge von dem Licht, damit alle durch ihn glaubten.“ Dieser ersten, kurzen Aussage können die Leser bereits bedeutende Angaben bezüglich der Zeugnisthematik entnehmen. Es lassen sich nicht nur der Zeuge und eine erste Charakterisierung seiner Figur ausmachen, sondern auch, wer die Zeugnisempfänger sind und zu welchem Zweck das Zeugnis gegeben wird. 74 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="76"?> 15 Ähnlich S C H N E L L E (2016, 53): „Der sprachlichen Veränderung entspricht eine neue Erzählebene, denn nicht mehr vom Prolog im Himmel, sondern von der Geschichte ist die Rede“. 16 Zum Gegensatz des Lexems ἐγένετο zu ἦν vgl. T H Y E N 2015, 73. 17 T H Y E N 2015, 73. 18 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 32. 19 M O R R I S 1995, 79. 20 E R N S T (1989, 215) bemerkt: „Die wiederholte Verwendung des präsentischen ‚Zeugnis-Geben‘ (μαρτυρεῖ), ‚verkündigen‘ mit analogen Begriffen wie ‚rufen‘ (κέκραγεν), ‚sagen‘ (λέγειν), ‚gesandt-sein‘ (ἀπεσταλμένος εἰμὶ 3,28) gibt dem Täufer einen übergeschichtlichen Rang“. 21 Vgl. H A H N 2011, 605−608: „Ein Schlüsselmotiv für das Verständnis des Johannesevan‐ geliums ist der Sendungsgedanke“ (605). 2.1.1 Zeugnisgeber: Johannes (der Täufer) Der ersten Aussage zufolge handelt es sich bei diesem erstgenannten Zeugen für Jesus um eine Figur, die als Erstes als „Mensch“ (ἄνθρωπος) bezeichnet wird. Dass diese Charakterisierung vom Erzähler ganz am Anfang und so ausdrücklich erfolgt, hat mehrere Gründe. Zum einen hebt er durch diese Bezeichnung die Menschlichkeit des Gesandten im Kontrast zur Göttlichkeit des Senders hervor, zum anderen vollzieht er damit einen bewussten Wechsel von den himmlischen Sphären ( Joh 1,1-5) zur irdisch-menschlichen Geschichte 15 und vom Sein (vgl. ἦν in Joh 1,1-5) ins Werden (ἐγένετο). 16 Johannes tritt dabei auf die „Werden-Seite der Achse“, wodurch das „Gegenüber von Sein und Werden noch dadurch [pointiert wird], daß dem θεὸς ἦν des Bezeugten ein ἐγένετο ἄνθρωπος seines Zeugen korrespondiert (vgl. 3,27 u. 5,34)“. 17 Dass er als Mensch „war“ (ἐγένετο), verdeutlicht, dass er nicht von gleicher ewiger Existenz ist wie das Wort, das bei Gott „war“ (ἦν). „Ἐγένετο (egeneto, there was; contrast ἦν [ēn was] in 1: 1-4), together with ἄνθρωπος (anthrōpos, a man; contra [theos, God] in 1: 1), sets the Baptist off from the word or light: the Word existed from eternity.“ 18 Der erzählte Zeuge hingegen ist „nur“ und vor allem Mensch, der „war“ (ἐγένετο) und von Gott gesandt ist. In der Aussage, dass er „von Gott gesandt ist“ (ἀπεσταλμένος παρὰ θεοῦ), liegt eine weitere bedeutende Charakterisierung. Als Zeuge für Jesus tritt dieser Mensch nicht aus eigenen Beweggründen auf, sondern weil er von höchster Instanz beauftragt und gesandt worden ist. „His mission was not of human but of divine origin.“ 19 Dadurch wird ihm ein „übergeschichtlicher Rang“ 20 zugeschrieben, weil er Teil des göttlichen Plans ist. Im weiteren Verlauf der Erzählung erfahren die Leser, dass das dargestellte Sendungsmotiv für die Erzählung des JohEv (vor allem in Bezug auf Jesus) eine bedeutende Rolle spielt. 21 Mit der Beschreibung des Zeugen als „von Gott 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 75 <?page no="77"?> 22 vgl. Joh 3,16; 5,36.38; 6,29.57; 7,29; 8,42; 11,42; 17,3.8.18.21.23.25; 20,21. 23 G O P P E L T (1976, 92) sieht in der Taufe Jesu den eigentlichen Grund für die Sendung des Täufers: „Jesus zu taufen, war die eigentliche Sendung des Täufers. In dieser Perspektive sieht ihn das vierte Evangelium: ‚Damit er Israel offenbar werde, kam ich, um mit Wasser zu taufen‘ ( Joh 1,31)“. 24 T H Y E N 2011, 518. 25 Dies entspricht der Beobachtung S T R A T H M A N N S (1942: 4, 500): „μαρτυρεῖν bedeutet die Tätigkeit eines μάρτυς ausüben“, auch wenn der Begriff μάρτυς im JohEv nicht verwendet wird. gesandt“ zieht der Erzähler eine Verbindung zwischen ihm und Jesus, denn gerade Jesus ist es, der vor allen anderen mehrfach und überwiegend als „von Gott gesandt“ beschrieben wird. 22 Beide, sowohl der Zeuge als auch der, für den und über den er Zeugnis ablegt, folgen der göttlichen Sendung und Bestimmung, wobei der Auftrag des einen Gesandten in der Wegbereitung und Taufe 23 des anderen Gesandten und im Zeugnisgeben für ihn seine Erfüllung findet. Auf diese ersten Beschreibungen des Zeugen folgt am Ende von Joh 1,6 narratorial die Nennung des Namens des Zeugen: „[…] sein Name Johannes“ (ὄνομα αὐτῷ Ἰωάννης). Wie oben bereits erwähnt, ist Johannes die einzige Figur, die im JohEv durch die Lexeme μαρτυρεῖν und/ oder μαρτυρία als Zeuge für Jesus ausgezeichnet und mit Namen genannt wird. Warum gerade bzw. nur er vom Erzähler mit Namen genannt wird, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Den intendierten Rezipienten dürfte der Name bekannt gewesen sein. Ἰωάννης ist die „griech. Form des hebr. Eigennamens jôḥānān (z. B. 2Kön 25, 23; Jer 40, 8ff oder Neh 12, 22f; […]) bzw. jehôḥānān (z. B. Esr 10, 6 oder 1Chr 26, 3; Neh 6, 18)“ und „hat die typische Form eines semitischen Nominalsatzes: „Jahwe ist gnädig.“ 24 Obwohl nicht explizit vom Erzähler erwähnt, legt sich den intendierten Rezipienten doch nahe, in der bewussten Nennung des Namens des Zeugen einen Hinweis und eine Bestätigung dafür zu sehen, dass die Sendung und die Botschaft dieses Zeugen als gnädiges Handeln Gottes seinem Volk und aller Welt gegenüber zu verstehen ist. Jahwe wendet sich seinem Volk und der Welt zu und offenbart sich und seine Heil bringende Gnade in und durch seinen Sohn. Dadurch ist der Zeuge Johannes nicht allein Wegbereiter Jesu, sondern zugleich auch Wegbereiter der göttlichen Gnade. Im darauffolgenden Vers wird den Lesern das Bild des Johannes weiter ausgemalt. In Joh 1,7 wird er eindeutig und in doppelter Weise durch die Begriffe „bezeugen“ (μαρτυρεῖν) und „Zeugnis“ (μαρτυρία) als Zeuge identifiziert. 25 Da er, wie sich im Verlauf der Erzählung zeigt, auch weiterhin mehrfach mit den Zeugnisbegriffen in Verbindung gebracht wird, ist den Lesern ersichtlich, dass Johannes vom Erzähler vor allem die Rolle, Funktion und Aufgabe eines Zeugen 76 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="78"?> 26 Vgl. C U L P E P P E R (1987, 133): „[T]he word ,witness is used repeatedly to define Johnʼs role“. Ebenso Z I M M E R M A N N 2016, 99; D S C H U L N I G G 2002, 10−13. W I L L I A M S (2016, 46) schreibt zusammenfassend: „[I]t has become commonplace to claim that his character portrait in the Forth Gospel is almost totally restricted to that of a witness on behalf of Jesus“. 27 Z U M S T E I N 2016, 80. 28 B E N N E M A 2014, 70. 29 R E S S E G U I E 2007, 143. Vgl. B E N N E M A 2014, 37. zugeschrieben bekommt. 26 Er tritt eben dazu auf: „[…] zum Zeugnis, damit er zeuge […]“ ( Joh 1,7). Von wem oder was er Zeugnis ablegen wird, zeigt der Erzähler direkt im anknüpfenden Satzteil: Johannes soll zeugen „von dem Licht“. Wer dieses Licht ist, geht aus den vorausgehenden Versen Joh 1,4-5 und den nachfolgenden Erläuterungen in Joh 1,8-9 hervor: „Das Licht ist Jesus und kein anderer“. 27 Dass nicht Johannes selbst das Licht ist, betont der Erzähler im Anschluss sehr deut‐ lich: „Dieser [ Johannes] war nicht das Licht“ ( Joh 1,8). Seine Aufgabe besteht lediglich darin - dies wird zweimal mit exakt gleichem Wortlaut herausgestellt -, „dass er zeuge von dem Licht“ (ἵνα μαρτυρήσῃ περὶ τοῦ φωτός; Joh 1,7.8). Nach der eingangs vorgenommenen Unterscheidung zwischen dem „Sein“ des Logos bei und als Gott und dem „Werden“ des menschlichen Zeugen Johannes erfolgt hier nun durch diese Aussage eine weitere Differenzierung zwischen den beiden: Jesus ist das Licht, Johannes nur der Zeuge für das Licht. Als solcher ist er nicht das Licht, aber er kommt einer „brennenden und scheinenden Lampe“ ( Joh 5,35) gleich, durch die das Licht scheint oder durch die Licht auf das wahre Licht geworfen wird. Das „Brennen“ und „Scheinen“, das der Erzähler in Joh 5,33 anführt, entspricht dabei dem „Zeugnisgeben für die Wahrheit“ ( Joh 5,33). „In sum, as a lamp, John testifies to the truth, that is to Jesus as the embodiment and dispenser of saving truth.“ 28 Nach der ersten Erwähnung und Charakterisierung des Johannes in Joh 1,6-8 stoßen die Leser bei weiterem Lektüreprozess am Ende des Prologs auf eine weitere Erwähnung des Johannes. Der Erzähler lässt ihn in Joh 1,15 selbst zu Wort kommen. Aus diesen ersten zitierten Worten, die für die Charakterisierung einer Figur von Bedeutung sind, 29 lässt sich Folgendes erkennen: Nachdem erneut herausgestellt worden ist, dass Johannes „Zeugnis ablegt von ihm [ Jesus]“ (μαρτυρεῖ περὶ αὐτου; Joh 1,15), folgt die zitierte, direkte Rede: „Dieser war es, von dem ich sagte: […]“ ( Joh 1,15). Bereits die Eröffnung der Rede mit dem Demonstrativpronomen „dieser“ (οὗτος) lässt die Leser erkennen, worauf das gesamte Zeugnis und die Rede des Zeugen ausgerichtet sind, nämlich auf Jesus. „Dieser“ Jesus steht im Fokus und auf ihn wird der „Lichtkegel des Scheinwerfers“ gerichtet. Er ist der Inhalt des Zeugnisses des Johannes und von 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 77 <?page no="79"?> 30 D S C H U L N I G G 2002, 12. 31 T H E O B A L D (2009, 145) weist darauf hin, dass die ersten beiden Szenen ( Joh 1,19−28 und 29−34) sich konträr zueinander verhalten: „Vor der offiziellen Gesandtschaft aus Jerusalem legt Johannes zwar ein Christuszeugnis ab, aber nur indirekt. Er spricht vor den ‚Juden‘ in Rätseln und verbirgt vor ihnen den großen Unbekannten (V. 26c.d). Nur der Leser vermag im ‚Negativ‘ seiner Äußerung das positive Bild Jesu zu erkennen. Ganz anders die zweite Szene, deren Auditorium unbesitmmt und offen bleibt: Hier identifiziert Johannes den großen Unbekannten, damit er ‚Israel‘ offenbar werde (V. 31)“. 32 Zur detaillierte Untersuchung der narrativen Darstellung dieser Gruppencharaktere siehe unten unter „6.2. Zeugnisempfänger: Die Juden“ und „7.1.2 Zeugnisempfänger: Die Pharisäer“. 33 Zentral geht es in dieser Szene um die Fragen: „Wer bist du [ Johannes]? “ ( Joh 1,19), „Was sagst du von dir selbst? “ ( Joh 1,22) und „Warum taufst du? “ ( Joh 1,25). Dennoch folgen in diesem Zusammenhang und im Zusammenhang mit dem in Joh 1,19 verwendeten Begriff μαρτυρία am Ende der Szene einige Aussagen über Jesus, die als Zeugnis des Johannes für Jesus verstanden werden müssen. 34 Dies beobachtet auch W I L L I A M S (2016, 51): „Boldness of speech is one of Johnʼs character traits (cf. 1: 15, 23) […]“. ihm wird bezeugt: „Dieser war es, von dem ich sagte: Der nach mir kommt, ist vor mir geworden, denn er war eher als ich.“ Ohne näher auf den Inhalt einzugehen, wird aus dieser Aussage ersichtlich, dass Johannes sich ganz hinter und unter den stellt, von dem er Zeugnis ablegt. Er räumt ihm völlige Vorrangstellung ein und ordnet sich ihm unter. Interessant ist auch, wie er dies tut, nämlich indem er es lautstark durch sein „Rufen“ (κέκραγεν) verkündet und bezeugt. So wird das „weitere Zeugnis des Täufers […] durch das laute prophetische Rufen und die direkte Rede verstärkt“ 30 und ganz auf Jesus ausgerichtet. Nach dem ersten Erzählabschnitt (Prolog) tritt der Zeuge Johannes erneut und überwiegend als Hauptfigur der folgenden drei Szenen in Joh 1,19-28, Joh 1,29-34 und Joh 1,35-42 in Erscheinung. 31 Eine detailliertere Darstellung seiner Figur erfolgt in der ersten Szene ( Joh 1,19-28). Gegenüber den von „den Juden“ bzw. „Pharisäern“ 32 gesandten Priestern und Leviten legt Johannes Zeugnis über sich selbst ( Joh 1,20-23) und seine Tätigkeit ( Joh 1,25-26) ab, um sein Auftreten und Handeln zu rechtfertigen. Dabei geht es zentral um die Frage, wer Johannes wirklich ist und warum er tut, was er tut. 33 In den zitierten Antworten auf die Anfragen der Gesandtschaft aus Jerusalem macht der Erzähler erneut die demütige und sich unterordnende Haltung des Johannes Jesus gegenüber deutlich, die bereits in Joh 1,15 angeklungen ist. Zugleich wird Johannes als kühner und mutiger Bekenner und Zeuge vorge‐ stellt, der in diesem „Verhör“ klare, selbstbewusste und unmissverständliche Antworten vorbringt. 34 Johannes „bekennt“ (ὁμολογεῖν) und „leugnet nicht“ 78 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="80"?> 35 Bedeutend ist hier der zweimalige Gebrauch des Wortes „bekennen“ (ὁμολογεῖν), wodurch die klare Überzeugung und das sichere, zielstrebige Auftreten des Johannes unterstrichen werden. Ähnlich M O R R I S (1995, 117): „This piling up of one expression on top of another is perhaps intended to indicate the seriousness of the Baptistʼs replay. He vigorously repudiated any suggestion that he might be the Messiah“. 36 B E C K 2013, 224. 37 B A R R E T T 1978, 173. 38 W I L L I A M S 2016, 52. 39 W I L L I A M S 2016, 52, Fußnote 23. 40 Vgl. K Ö S T E N B E R G E R 2005, 62. (οὐκ ἀρνεῖθαι), sondern „bekennt“ (ὁμολογεῖν) 35 : „Ich bin nicht der Christus“ ( Joh 1,20), ich bin nicht Elia und ich bin auch nicht der Prophet“ (vgl. Joh 1,21). „An emphatic tripartite formula, ‚He confessed, he did not deny, but confessed‘ (1.20) introduces a ‚confession‘ that is not a confession, but a denial. Instead of revealing his own identity, John vehemently denies that he is to be identified as the Christ.“ 36 Zudem bezeugt Johannes auf weitere Nachfrage: „Ich bin die ‚Stimme eines Rufenden in der Wüste: Macht gerade den Weg des Herrn‘, wie Jesaja, der Prophet, gesagt hat“ ( Joh 1,23). Mit diesem Selbstzeugnis identifiziert sich Johannes mit dem prophetisch angekündigten Vorläufer, Wegbereiter und Herold des kommenden Herrn. Er versteht sich und seine Aufgabe als Erfüllung der alttestamentlichen Vorhersage. „[H]is work had been foretold in the Old Testament.“ 37 Auffällig bei dieser Selbst‐ identifikation ist: „He [ John] is the only figure in the Forth Gospel to appropriate and actualize the words of Scripture for the purpose of self-description“. 38 Den intendierten Rezipienten werden durch dieses Vorgehen das Selbstbewusstsein des Johannes und sein Bewusstsein für seinen Auftrag und seine Sendung von Gott offengelegt. Dadurch werden seiner Botschaft, seinem Zeugnis und ihm als Zeugen Autorität, Glaubwürdigkeit und Zuverlässigkeit verliehen. „[B]ecause John has been ‚sent‘ by God (1: 6), the implied reader expects him to be an authentic witness.“ 39 Neben der Darstellung des hohen Selbstbewusstseins und der angemessenen Selbsteinschätzung wird durch die Aussage des Johannes zugleich und ein weiteres Mal seine demütige Haltung aufgezeigt: Er ist eben nur der Vorläufer und Herold, nicht aber der kommende Herr. Er ist nur „eine Stimme“ (φωνή), nicht aber „das Wort“ (ὁ λόγος), auf das er hinweist. 40 Wie die Lampe nicht selbst das Licht ist, sondern nur Licht durch sich scheinen lässt und Licht auf das wahre Licht wirft, so ist Johannes nur die „Stimme“, die Zeugnis für „das Wort“ ablegt. Im weiteren Verlauf der erzählten Unterhaltung mit der Gesandtschaft aus Jerusalem stellt sich die Folgefrage nach dem Grund, warum Johannes tauft: 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 79 <?page no="81"?> 41 B E N N E M A 2014, 62. B E N N E M A (2014, 65) betont kurz darauf erneut: „As we observe in 1: 19−28, it is precisely as baptizer that John is a witness to Jesus“. 42 B R O W N 2013, 157. 43 Vgl. das dreimalige „dieser ist“ (οὗτός ἐστιν; Joh 1,30.33.34). Insgesamt taucht die Wendung οὗτός ἐστιν 18 x im JohEv auf, mehr als in jedem anderen neutestamentlichen Schriftstück. Beschrieben wird damit fast ausschließlich Jesus als der Christus ( Joh 4,29; 7,26.41), der Retter der Welt ( Joh 4,42), der Prophet ( Joh 6,14; 7,40), der Sohn Josephs ( Joh 6,42), das Brot, das aus dem Himmel herabkommt ( Joh 6,50.58), der, den sie zu töten suchen ( Joh 7,25). Nur an vier Stellen bezieht sich οὗτός ἐστιν auf den Bettler ( Joh 9,8.9.19.20) und einmal auf den Jünger, „der von diesen Dingen zeugt“ ( Joh 21,24). 44 W I L L I A M S 2016, 53. „Warum taufst du denn, wenn du nicht der Christus bist noch Elia, noch der Prophet? “ ( Joh 1,25). In der zitierten Antwort werden noch deutlicher als zuvor die unterwürfige und demütige Haltung des Johannes und dessen Einstellung Jesus gegenüber verdeutlicht. Er, Johannes, tauft nur mit Wasser. Er ist tatsäch‐ lich der „Täufer“, der tauft (βαπτίζειν), und es wird Folgendes ersichtlich: „John functions as a witness in the context of his baptizing activity (1: 28), which implies that John is not a witness apart from his role as baptizer but precisely as baptizer.“ 41 Ohne jedoch näher auf seine Tauftätigkeit einzugehen, lässt der Erzähler den Zeugen Johannes umgehend auf den Kommenden verweisen: „Es wird einer kommen, der“, wie Johannes später bezeugt, „mit dem Heiligen Geist taufen wird“ ( Joh 1,33) und dessen Sandalenriemen zu lösen er sich nicht würdig fühlt ( Joh 1,27). Brown erläutert: „The task of untying ‚the strap of the sandal‘ was given to the lowest in the hierarchy of a masterʼs slave and John disclaims his worthiness even to perform that task“. 42 Mit dieser figural erbrachten internen Fokalisierung auf die von Johannes empfundene eigene Unwürdigkeit ( Joh 1,27), mit einer kurzen Verortung der Szene nach Bethanien und einer narratorialen Bestätigung der Tauftätigkeit des Johannes, endet in Joh 1,28 die Szene. In der folgenden Szene ( Joh 1,29-34), die ebenfalls durch die einleitenden Worte „am folgenden Tag“ (τῇ ἐπαύριον; Joh 1,29) an die vorausgehende Szene anknüpft, tritt der Täufer ein weiteres Mal als Hauptfigur in Erscheinung. Auch in dieser Szene wird er durch den zweimaligen Gebrauch des Verbs „bezeugen“ (μαρτυρεῖν; Joh 1,32.34) eindeutig als Zeuge Jesu ausgezeichnet. Er ist derjenige, der auf Jesus hinweist 43 und der Jesus zu sich kommen sieht ( Joh 1,29). When the narrator remarks that John sees Jesus coming towards him, the implied reader is simply left to speculate why he approaches John; it evidently provides an occasion for the next instalment of testimony, but it also acts as an instant illustration of how John ‚makes straight the way of the Lord‘ by pointing and testifying to Jesus (cf. 1: 23). 44 80 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="82"?> 45 Vgl. das nur 5 x im Neuen Testament vorkommende Plusquamperfekt ᾔδειν wird hier gleich zwei Mal gebraucht ( Joh 1,31.34). 46 D S C H U L N I G G 2002, 17. 47 Vgl. hingegen Mk 1,9; Mt 3,13−17. 48 Ebenso M O R R I S (1995, 135): „The climax of the Baptistʼs testimony would then be that, this is the ‚Son of God‘“. 49 S C H E N K E 2014, 37. 50 Auch hier folgt die vorliegende Arbeit dem Haupttext der 28. Auflage von Nestle-Aland 28 und nicht den Texten א* b e ff 2 * sy s.c , die statt ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ an dieser Stelle ὁ ἐκλεκτὸς τοῦ θεοῦ aufweisen. Mit B R O W N 2013, 158−159; S C H E N K E 2014,37; S C H N E L L E 2016, 79; Z U M S T E I N 2016, 102−103; gegen D S C H U L N I G G 2002, 18; K Ö S T E N B E R G E R 2005, 71; S C H N A C K E N B U R G 1981, 305; W I L L I A M S 2016, 54. 51 S C H N E L L E 2016, 78. Aus dieser erzählten ersten Begegnung zwischen Johannes und Jesus erfahren die Leser aus der zitierten Rede des Johannes und durch eine starke Innen‐ perspektive vom Wissen und der Erkenntnis des Täufers über Jesus, obwohl er seinen eigenen Angaben zufolge Jesus zuvor „nicht gekannt hatte“. 45 Den zitierten Aussagen zufolge ist der Täufer mit der Aufgabe Jesu, als Lamm Gottes die Sünde der Welt wegzunehmen ( Joh 1,29), vertraut. Weiter weiß Johannes um das volle Menschbzw. Mannsein (ἀνήρ; Joh 1,30) Jesu und um dessen - bereits in Joh 1,26 verdeckt bezeugtes - „Sein“ vor ihm, weswegen Jesus ihn „als der Präexistente weit überragt (vgl. V. 15.27)“. 46 Johannes ist sich dessen bewusst, dass er selbst gekommen ( Joh 1,31) und gesandt ( Joh 1,33) ist, um zu taufen und um Jesus durch die Taufe Israel offenbar zu machen (φανεροῦν; Joh 1,31). Johannes beschreibt zudem, wie er als Augenzeuge „betrachtet hat“ (τεθέαμαι; Joh 1,32), wie der Heilige Geist herabkam und auf Jesus blieb und wie Jesus dadurch als der ausgezeichnet wurde, der mit dem Heiligen Geist taufen wird ( Joh 1,32.33). Bezüglich der Taufe Jesu wird im JohEv an keiner Stelle erwähnt, dass Jesus von Johannes getauft wurde. 47 Diese Kenntnis scheint der Erzähler bei den intendierten Rezipienten vorauszusetzen. Möglich ist aber auch, dass die Taufe Jesu für den Erzähler von zweitrangiger Bedeutung ist, weil für ihn die Darstellung der Zeugentätigkeit des Johannes wichtiger ist als die Entfaltung seiner Täufertätigkeit. Die gesamte hier zitierte Rede, die interne Fokalisierung und das dadurch aufgezeigte Wissen des Täufers münden abschließend in das herausragendste christologische Bekenntnis 48 des Johannes und dessen „bleibendes Zeugnis (Per‐ fekt! )“ 49 : „Und ich habe gesehen und bezeuge: Dieser ist Gottes Sohn“ ( Joh 1,34). 50 „Zum ersten Mal erscheint der zentrale christologische Titel des 4. Evangeliums im vollen offenbarungstheologischen Sinn.“ 51 Der Erzähler „verweist mit ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ auf den Abschlussvers des Evangeliums ( Joh 20,31), so dass der Titel 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 81 <?page no="83"?> 52 S C H N E L L E 2016, 79. 53 W I L L I A M S (2016, 54) mit Verweis auf die Dissertation von O T T I L L I N G E R (1991). 54 Z U M S T E I N 2016, 102. In diese Richtung denkt auch B E N N E M A (2014, 65): „Initially, John himself did not know the identity of the Messiah (1: 31), but God revealed to him that it would be the one on whom the Spirit descends and remains (1: 33)“. Sohn Gottes das Wirken Jesu von der Berufung der ersten Jünger bis hin zur Sendung der Jünger umspannt.“ 52 Woher Johannes seine Erkenntnisse und Einsichten hat, gibt der Erzähler nicht preis. Die intendierten Rezipienten können nur vermuten, dass sie teil‐ weise von früheren Erfahrungen herrühren. „What evidently undergirds Johnʼs witnessing gaze on Jesus in this scene is his own earlier experience, particular what he himself saw when the Spirit descended on Jesus, presumably on the occasion of his baptism.“ 53 Andererseits spricht Johannes, wenn auch nur beiläufig, davon, dass der „der mich gesandt hat, [es mir] sagte […]“ ( Joh 1,33). Demzufolge könnten sein Wissen und seine Erkenntnis nicht nur von einer früheren Erfahrung, sondern auch von einer „prophetischen Erleuchtung“ stammen. Die Fähigkeit des Johannes, vom Herabkommen des Geistes auf Jesus Zeugnis abzu‐ legen, beruht nicht auf seiner eigenen Kompetenz, sondern auf einer prophetischen Erleuchtung. Der Täufer kannte Jesus nicht (κἀγὼ οὐκ ᾔδειν αὐτόν; vgl. V.26). Darin ist er anderen Menschen gleichgestellt. Doch sein Auftraggeber - Gott - hat ihn durch sein Wort erleuchtet (ὁ πέμψας με βαπτίζειν ἐν ὕδατι ἐκεῖνός μοι εἶπεν). 54 Woher auch immer Johannes seine Erkenntnis und sein Wissen hat, vom Erzähler wird schlicht wiedergegeben, dass er darüber verfügt und dass er diese Einsichten über Jesus öffentlich und am selben sowie am darauffolgenden Tag weitergibt. Die letzte der drei aufeinanderfolgenden Szenen ( Joh 1,35-42) wird erneut durch die Worte „am folgenden Tag“ ( Joh 1,35) an die vorige Szene ange‐ schlossen. Wieder wird Johannes als Hauptfigur am Anfang der Szene genannt. Seiner Gewohnheit gemäß „hatte er wieder dagestanden“ (πάλιν εἱστήκει), als er Jesus an diesem Tag an sich „vorbeigehen“ (περιπατεῖν) sieht. Erstmals wird hier berichtet, dass Johannes „Jünger“ bzw. „Schüler“ (μαθητής) bei sich hat, und zwar „aus seinen Schülern zwei“ (ἐκ τῶν μαθητῶν αὐτοῦ δύο) - einem von ihnen wird später der Name Andreas zugeschrieben ( Joh 1,40). Dass es zwei „aus“ (ἐκ) seinen Schülern sind, lässt erahnen, dass Johannes noch mehr Schüler haben muss - eine Vermutung, die den Lesern später in Joh 3,25 bestätigt wird. Dass Johannes mehrere Schüler hat, erweckt zugleich bei den Lesern den Eindruck, dass er eine angesehene, bekannte, anziehende und einflussreiche Person sein 82 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="84"?> 55 Im Verlauf des JohEv wird Jesus immer wieder als ῥαββί ( Joh 3,2; 4,31; 6,25; 9,2; 11,8), ῥαββουνί ( Joh 20,16) bzw. als διδάσκαλος ( Joh 3,2; 8,4; 11,28; 13,13.14; 20,16) bezeichnet; in Joh 13,13 bezeichnet sich Jesus sogar ausdrücklich selbst als ὁ διδάσκαλος: „Ihr nennt mich Lehrer [ὁ διδάσκαλος] und Herr [ὁ κύριος], und ihr sagt es zu Recht, denn ich bin es [εἰμὶ γάρ]“. 56 B R O W N 2013, 159. 57 B E N N E M A 2014, 67. muss. Ihm wird hier indirekt und später direkt ( Joh 3,26) die Tätigkeit eines Rabbis zugeschrieben, der als Lehrer eine Anzahl von Schülern um sich sammelt und diese hier nun auf Jesus als den wahren „Rabbi“ (ῥαββί; Joh 1,38.49) 55 bzw. „Lehrer“ (διδάσκαλος; Joh 1,38) hinweist. 56 Uneigennützig und selbstlos deutet er nicht nur auf Jesus hin, sondern bringt seine Jünger schließlich dazu, nicht mehr ihm, sondern Jesus nachzufolgen ( Joh 1,37). Als ihm dies gelungen ist, verschwindet Johannes von der „Bildfläche“ und Jesus übernimmt an seiner statt die Hauptrolle in der Szene. Der Verweis des Täufers auf Jesus ist also nicht nur Zeugnis für Jesus, sondern dient zugleich auch als erzählerische Überleitung zum Auftreten und „Dienstantritt“ Jesu. Aus der gesamten Darstellung dieser Szene erschließt sich den intendierten Rezipienten, dass, sowohl für Johannes als auch für den Erzähler, Jesus weitaus bedeutender ist als Johannes. Jesus ist die zentrale Figur, auf die die gesamte Erzählung und sämtliche Zeugnisse abzielen. Johannes ist „nur“ ein Zeuge für ihn, eine Lampe, die Licht auf ihn werfen soll. Er ist der Vorläufer Jesu, der durch sein Auftreten und Zeugnis zum Wegbereiter Jesu wird. Er ist der Täufer und Lehrer, der andere auf Jesus hinweist. „As a teacher, John testifies regarding Jesus and points his disciples toward him.“ 57 Wo diese Aufgabe erfüllt ist, kann der Zeuge hinter den, für den er Zeugnis ablegt, zurücktreten. Dies zeigt sich in der vorliegenden Szene sehr deutlich und mit einer letzten Erwähnung des Johannes in Joh 1,40 wird rückblickend berichtet und bestätigt, dass durch seine Tätigkeit „einer von den zweien, die Johannes gehört hatten“, nun Jesus nachfolgt und wiederum andere zu Jesus einlädt. Nach dieser Darstellung des Täufers in den ersten Szenen taucht er erst wieder und zum letzten Mal im dritten Kapitel auf. Die Szene ( Joh 3,22-36) beginnt in Joh 3,22 mit einem „danach“ (μετὰ ταῦτα). Erzählt wird, wie Jesus mit seinen Jüngern in das Land Judäa kommt und dort bleibt. In Joh 3,23 wird Johannes in die Szene eingeführt. Der Erzähler erläutert kurz, dass Johannes auch in Änon tauft und dass „sie hinkamen und getauft wurden“ ( Joh 3,23). Wer diese sind, die kommen und sich taufen lassen, erfahren die Leser nicht. Mit der Beschreibung bestätigt sich aber, dass Johannes, obwohl er im JohEv 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 83 <?page no="85"?> 58 B E U T L E R 2016, 146. Die genaue Bedeutung dieses Einschubes ist umstritten. Z U M S T E I N (2016, 156) mutmaßt, dass der Kommentar „den Gedanken einer eventuellen Konkur‐ renz“ verstärkt, während T H Y E N (2015, 226) den Einschub für „nicht nur überflüssig, sondern absolut sinnlos“ hält. Demengegen betont C U L P E P P E R (1987, 62), dass solche Einschübe wichtige Informationen von zukünftigen Ereignissen liefern, die nirgends sonst in der Geschichte erzählt werden. Der kurze Einschub berichtet den Lesern, sofern sie es nicht aus anderer Quelle wissen, die tragische Wende und das zu vermutende Ende des Täufers. In dieselbe Richtung denkt B R O W N (2013, 160): „[T]he narrator points beyond the space inhabited by the characters in the narrative, indeed beyond what he will ever narrate. Yet with this one aside, he provides both historical and temporal grounding for the events at hand and alludes to the entirety of the rest of the Baptistʼs story“. 59 W I L L I A M S 2016, 55. nicht als „Täufer“ bezeichnet wird, tauft und für seine Täufertätigkeit bekannt ist, weswegen auch Menschen kommen, um sich von ihm taufen zu lassen. Mit einem kurzen Einschub ( Joh 3,24) ergänzt der Erzähler, dass Johannes zu diesem Zeitpunkt noch nicht ins Gefängnis geworfen worden ist. Die Leser erfahren somit beiläufig vom tragischen Ende des Täufers, von welchem sonst nirgends im Evangelium berichtet wird. Dieser Hinweis dient aber wohl dazu, „dem nachfolgenden Zeugnis des Täufers Nachdruck zu verleihen“. 58 In Joh 3,25 bestätigt der Erzähler die eingangs gewonnene Überzeugung, dass Johannes mehr als nur zwei Jünger hat. Trotz des Weggehens der in Joh 1,35 genannten Jünger ist hier von weiteren „Jüngern“ (μαθηταί) des Johannes die Rede. Diese kommen nach einem Streitgespräch mit einem Juden über die Reinigung ( Joh 3,25) zu Johannes, berichten ihm aber nicht etwa über selbiges, sondern über Jesus, der ihrer Aussage zufolge jenseits des Jordans tauft. Die Art und Weise, wie die Jünger von Jesus berichten, erinnert dabei stark an das Zeugnis des Johannes in Joh 1,29.36: „Like their Master before them, Johnʼs disciples ‚point‘ to Jesus (3: 26: ἴδε οὗτος).“ 59 Dass die Jünger zu Johannes kommen, ihn als „Rabbi“ (ῥαββί) ansprechen und ihn über diese Ereignisse aufklären, bestätigt den Lesern, dass Johannes ein angesehener, respektierter und geachteter Lehrer ist, dessen Meinung und Einschätzung der Situation von seinen Jüngern gefragt sind. Im Bericht der Jünger über die Tätigkeit Jesu jenseits des Jordans wird unter Anspielung auf Joh 1,19ff. an das frühere Zeugnis des Täufers für Jesus erinnert ( Joh 3,26). Jesus rückt somit als derjenige in den Fokus, „dem du [ Johannes] Zeugnis gegeben hast“ (ᾧ σὺ μεμαρτύρηκας). Durch den Gebrauch des Verbs μαρτυρεῖν wird Johannes als Zeuge für Jesus bestätigt. Zwar gehen die Jünger nicht auf den Inhalt des Zeugnisses ein, den intendierten Lesern ist aber erkennbar, dass das Zeugnis des Johannes nicht verhallt ist, sondern in den Köpfen und Gedanken der Jünger nachklingt. Gerade diesem Zeugnis verdanken 84 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="86"?> 60 Deswegen wird diese Szene in der vorliegenden Arbeit auch nicht als eigenständige Zeugnisszene untersucht. 61 T H E O B A L D 2009, 279. 62 T H E O B A L D 2009, 279. 63 B R O W N 2013, 161. 64 Vgl. Z I M M E R M A N N & Z I M M E R M A N N 1999. Bzgl. des „Freund des Bräutigams“ erklärt K E E N E R (2012a, 579): „The shoshbins of bride and groom functioned as witnesses in the wedding“. B E N N E M A (2014, 68) betont: „The Argument in Joh 3: 29 has most significance for Johnʼs characterization because he casts himself in the new role of best man“. 65 Z I M M E R M A N N & Z I M M E R M A N N (1999, 127) zeigen auf, dass sowohl das Hören auf die Stimme als auch der Begriff „Freund“ für ein Jünger-Jesu-Sein des Täufers sprechen. 66 Vgl. B R O W N 2013, 162. sie ihr Wissen über Jesus und auf dem Hintergrund dieses Zeugnisses „sehen“ und beurteilen sie Jesus. Die Antwort auf diesen Bericht wird vom Erzähler ausführlich in Joh 3,27- 36 zitiert. Auch wenn Johannes in diesen Versen aufgrund der fehlenden Zeugnisterminologie nicht explizit als Zeuge für Jesus ausgezeichnet wird, 60 enthalten seine ultima verbi 61 dennoch ein klares Zeugnis für Jesus, stellen „jegliche Konkurrenz zwischen sich und Jesus in Abrede“ 62 und geben weitere, tiefe Einblicke in seine Erkenntnisse und Einsichten über Jesus sowie über seine eigene demütige Selbsterkenntnis und Selbstdarstellung. Demzufolge versteht sich Johannes nach wie vor nicht als der Christus (vgl. Joh 1,20), sondern nur als dessen Vorläufer und Herold, der vor ihm her gesandt ist ( Joh 3,28; vgl. 1,23.27). Er ist und bleibt derjenige, der er von Anfang an vorgibt zu sein. „The one proclaimed in the Prologue to be sent to witness to the light continues to testify to his role.“ 63 Dem nun folgenden Abschnitt können die Leser entnehmen, in welchem Verhältnis Johannes sich zu Jesus sieht: Er bezeichnet Jesus als „Bräutigam“ (νυμφίος), sich selbst als den „Freund des Bräutigams“ (φίλος τοῦ νυμφίου) 64 , der „dabeisteht und ihm [dem Bräutigam] zuhört und hocherfreut ist über die Stimme des Bräutigams“ ( Joh 3,29). Indem er sich selbst als „Freund des Bräutigams“ bezeichnet und sein „Hocherfreutsein“ (χαρᾷ χαίρει Joh 3,29) über dessen Stimme betont, werden vom Erzähler die einzigartige freundschaftliche Beziehung zu Jesus, sein „Jünger-Sein“ 65 und sein Empfinden Jesus gegenüber zum Ausdruck gebracht. Die figural dargelegte Innenperspektive „diese meine Freude ist nun erfüllt“ unterstreicht die Emotionen noch einmal und verdeutlicht die Überzeugung, dass der Bräutigam gekommen ist, dass es keinen Konkur‐ renzkampf oder Wettstreit zwischen den beiden gibt, 66 dass der Zeuge nun schweigen wird und der Stimme des Bräutigams zuhört und dass somit seine Aufgabe als Trauzeuge des Bräutigams erfüllt und zum Abschluss gekommen 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 85 <?page no="87"?> 67 B E N N E M A 2014, 69. 68 S C H N E L L E 2016, 117. 69 Obwohl in Joh 3,34 in erster Linie von Jesus, als dem Gesandten von Gott die Rede ist (K Ö S T E N B E R G E R 2005, 139; S C H N A C K E N B U R G 1981, 399; S C H N E L L E 2016, 117; Z U M S T E I N , 2016, 160), könnte sich den Lesern möglicherweise nahelegen, in diesem Vers zugleich eine gewisse Anspielung auf Johannes zu sehen. Auch er ist „der, den Gott gesandt hat“ und der „Gottes Wort redet“ und somit nicht von sich aus, sondern von Gott her ein Zeuge ist, der für Jesus Zeugnis ablegt. 70 Z I M M E R M A N N 2016, 99. 71 D S C H U L N I G G 2002, 27. ist. Von nun an muss Jesus als der Bräutigam mehr und mehr in den Mittelpunkt gerückt werden, während der „(Trau)zeuge“ die Bildfläche räumt ( Joh 3,30). „Thus, as a best man, John rejoices in and testifies to the arrival of Jesus as the eschatological bridegroom to gather his bride, that is, those who believe in him.“ 67 In den abschließenden Versen der Szene lässt der Erzähler in zitierter Rede den Zeugen Johannes ein letztes Mal seine untergeordnete Stellung und demü‐ tige Haltung schildern. Johannes bezeugt, dass Jesus „über allen ist“ (ἐπάνω πάντων ἐστίν; Joh 3,31), folglich auch über ihm. Während Jesus „von oben her kommt“ und von „himmlischen Dingen“ zu reden weiß, ist er „von der Erde“ und kann deswegen, wie alle anderen auch, nur „von der Erde reden“ ( Joh 3,31). „[H]ier prägt die Herkunft das Wesen, so dass sie [die aus dem irdischen Bereich stammenden Menschen] nur ‚Irdisch‘ reden können. Sie sind nicht in der Lage, die Grenzen zwischen dem Irdischen und dem Himmlischen zu überschreiten.“ 68 In den nachfolgenden Versen finden sich weitere Aussagen über Jesus 69 , das Verhältnis des Vaters zum Sohn und die Wichtigkeit des Glaubens an Jesus. Johannes tritt dabei gänzlich hinter den von ihm Bezeugten zurück. Nichts in den Versen 34-36 lässt weitere Rückschlüsse auf seine Figur zu. Im Fokus steht nun ganz und gar Jesus, während Johannes der „verschwindende Zeuge“ 70 und dadurch der Zeuge par excellence ist. [ Joh] 3,31-36 sind die letzten Worte des Täufers, darüber hinaus hat er nichts Größeres und Wichtigeres mehr zu bezeugen. Von nun an spricht er nicht mehr selbst im Joh, sondern Jesus spricht nochmals erinnernd über ihn (5,31ff), und der Ort seines ersten Wirkens und seine Verkündigung über den Messias werden nochmals erwähnt (10,40-42). Der Täufer hat seinen Lauf in den christologischen Bekenntnissätzen 3,31-36 vollendet. Er ist vor dem wahren Licht zurückgetreten, das nun allein den Kosmos erhellt. 71 Nach der Betrachtung der Szenen, in denen der Erzähler Johannes auftreten lässt, erwähnt er ihn weitere fünf Mal in den Kapiteln 4, 5 und 10. In Joh 4,1-2 86 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="88"?> 72 T R I T E S (1977, 73) verweist auf die grammatische Ähnlichkeit in Joh 18,37: An beiden Stellen steht μαρτυρεῖν in Verbindung mit dem Dativ τῇ ἀληθείᾳ. 73 Z U M S T E I N 2016, 233. 74 S C H N E L L E 2016, 151. 75 Z U M S T E I N 2016, 233. Ebenso B E N N E M A (2014, 70): „Johnʼs testimony to the truth, then, is his testimony about Jesusʼ identity, mission, and relationship with God“. 76 Eine detailliertere Betrachtung der narrativen Darstellung der „Juden“ und „Pharisäer“ im JohEv erfolgt weiter unten. wird einleitend in die Szene erzählt, „dass die Pharisäer gehört hatten, dass Jesus mehr Jünger mache und taufe als Johannes […]“. Dieser Aussage lässt sich entnehmen, dass der Einfluss des Johannes rückläufig ist. Seinem geäußerten Wunsch entsprechend „wächst“ Jesus und nimmt an Ansehen und Einfluss zu, er selbst aber „nimmt ab“, vollendet sein Werk als Zeuge für Jesus, bis er vollends abtritt (vgl. Joh 3,30). In Joh 5,33.36 lässt der Erzähler erstmals Jesus selbst über das Zeugnis des Johannes zu Wort kommen. Jesus bezeugt, dass „er [ Johannes] der Wahr‐ heit Zeugnis gegeben hat“ ( Joh 5,33). 72 Durch den Gebrauch des Perfekts μεμαρτύρηκεν wird verdeutlicht, „dass das in der Vergangenheit abgelegte Zeugnis des Täufers seine volle Gültigkeit bewahrt“. 73 Es ist, wie am Beispiel der Jünger gesehen ( Joh 3,26), nach wie vor in den Köpfen derer, die das Zeugnis gehört haben, und als solches zeugt es weiterhin von der Wahrheit. Johannes ist demnach also „ein uneingeschränkter Zeuge für die Wahrheit (vgl. Joh 1,7f. 15.32.34; 3,26)“ 74 , wobei unter „Wahrheit“ „die in der Person Jesu offenbarte göttliche Wirklichkeit zu verstehen“ 75 ist. Neben diesen Angaben finden sich in Joh 5,33-34 noch weitere Informationen über die Figur des Täufers. In Joh 5,33 spricht Jesus davon, dass „ihr zu Johannes gesandt habt“. Gemeint ist damit, dass „die Juden“ bzw. „die Pharisäer“ 76 Priester und Leviten von Jerusalem aus zum Täufer geschickt haben ( Joh 1,19.24). Die Täufer- und Zeugentätigkeit des Johannes ist demnach bis nach Jerusalem bekannt gewesen und hat dort für Unmut und Unruhe gesorgt. Die religiöse Oberschicht wollte nähere Informationen über ihn wie auch über den einholen, für den er Zeugnis ablegte. Die geschilderte Situation bestätigt den Lesern einmal mehr, dass Johannes eine bekannte und einflussreiche, aber auch umstrittene Figur ist. Viele kommen, glauben seinem Zeugnis und lassen sich taufen. Andere hinterfragen, kritisieren und lehnen den Zeugen samt seinem Zeugnis ab. Dass Jesus das Zeugnis des Johannes an dieser Stelle zurückstellt, hat nichts mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder dessen Zeugnisses zu tun. Jesus lehnt es ab, weil es zuvor bereits von den Juden verworfen worden war. Zur Legitimation seines Selbstanspruchs und seiner Mission muss ein größeres, 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 87 <?page no="89"?> 77 „[A] human witness like John can only testify to, not legitimate, the works of God“ (W I L L I A M S 2016, 57). 78 In letztgenannte Richtung denkt auch B E N N E M A (2014, 69): „Nevertheless, as a lamp John does provide light (5: 35b).“ 79 S C H N A C K E N B U R G 1980, 172; M O R R I S 1995, 289. 80 Dies wird, wie oben bereits erwähnt, durch das verwendete Perfekt μεμαρτύρηκεν ( Joh 5,33), wohl aber auch durch das Präsens in Joh 1,15 (Ἰωάννης μαρτυρεῖ περὶ αὐτοῦ) und die Perfekte in 1,34; 3,26 verdeutlicht (vgl. S C H N A C K E N B U R G 1980, 172; ebenso Z U M S T E I N 2016, 233; vgl. M O R R I S 1995, 288). bedeutenderes Zeugnis angeführt werden als das eines Menschen, nämlich das der Werke und des Vaters. 77 Wenn Jesus in diesem Zusammenhang davon spricht, dass er „nicht Zeugnis von einem Menschen“ annimmt ( Joh 5,34), bestätigt dies die bereits in Joh 1,6 gemachte Beobachtung, dass Johannes nur eine irdisch-menschliche Figur ist. Sein Zeugnis hat als Zeugnis eines Menschen seinen Platz. Doch hier nun wird es von einem größeren, „übermenschlichen“ Zeugnis überboten, nämlich vom Zeugnis des Vaters und den von ihm durch den Sohn gewirkten Werken. Was Jesus daraufhin über Johannes sagt und was die Leser daraus schließen können, wurde oben bereits kurz herausgestellt. Jesus bezeichnet Johannes in Joh 5,35 als „die brennende und scheinende Lampe“. Es wird hervorgehoben, dass Jesus als das wahre Licht durch Johannes scheint und dass Johannes das Licht verbreitet und erstrahlen lässt, weil durch sein „Brennen“ und „Scheinen“ (= durch sein Zeugnis) Licht auf das wahre Licht geworfen wird. 78 Johannes ist der Kanal, durch den Jesus als das wahre Licht beschienen wird und hell erstrahlt. Diese Darstellung lässt die bedeutende Aufgabe und unterstützende Rolle des Johannes erkennen, zeigt zugleich aber auch dessen untergeordnete Stellung gegenüber dem wahren, in die Welt gekommenen Licht. Dem in Jesu zitierter Rede verwendeten Imperfekt „dieser war“ (ἐκεῖνος ἦν; Joh 5,35) kann entnommen werden, dass Johannes zur erzählten Zeit (wie in Joh 3,24 angekündigt) im Gefängnis oder bereits gestorben sein muss. 79 Folglich war seine Zeit als Zeuge für Jesus begrenzt und seine Figur - nicht aber sein Zeugnis - von vorübergehender Bedeutung. Er war lediglich der Vorläufer, der dem Herrn den Weg bereitete und der für den Kommenden gebrannt und geschienen hat. Nun, da Jesus selbst „scheint“, von sich selbst Zeugnis gibt und andere Zeugen und größere Zeugnisse für sich aufruft, kann Johannes als erster und wegbereitender Zeuge die Bühne räumen, während zugleich aber sein Zeugnis als unvergängliches Zeugnis bestehen bleibt. 80 Die angehängte, von Jesus formulierte Bemerkung, dass die Juden eine Zeit lang in seinem Licht fröhlich sein wollten ( Joh 5,35), soll den intendierten Lesern zeigen, dass Johannes anfänglich eine gewisse Anerkennung und Akzeptanz 88 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="90"?> 81 E R N S T 1989, 211. 82 Als komplexe Charaktere gelten solche, die nicht nur mit einer, sondern mit mehreren Charaktereigenschaften dargestellt werden. Dabei kann beim Grad der Komplexität unterscheiden werden zwischen „nicht komplex“ (0), „geringfügig komplex“ (−), „kom‐ plex“ (+), „sehr komplex“ (++) (vgl. B E N N E M A 2014, 27). entgegengebracht worden sind. Die Bewunderer waren vorübergehend (vgl. πρὸς ὥραν) an der Person des Zeugen interessiert, nicht aber an seinem Zeugnis und daran, seinem Zeugnis zu glauben und Jesus zu folgen. „Statt dem Schein der Lampe zu folgen, haben sie sich wie unverständige Kinder daran ergötzt.“ 81 Doch dazu ist der Täufer nicht gesandt worden. Er wollte nicht als „der Prophet“ oder als „der Christus“ bewundert und verehrt werden, sondern alle Bewunderung, Achtung und Verehrung ganz auf Jesus lenken. Nur darin kommt sein Zeugnis zur Erfüllung und zum Ziel. Ein letztes Mal wird Johannes in Joh 10,40-41 erwähnt. Wieder wird dabei auf seinen Dienst zurückgeblickt, erst aus Sicht des Erzählers, dann aus der erzählten Sicht der „vielen“ (πολλοί). Der Erzähler berichtet zunächst, dass Jesus abermals „auf die andere Seite des Jordans“ geht, und zwar an den Ort, „wo Johannes zuvor getauft hatte“ ( Joh 10,40). Wie in der übrigen Erzählung wird Johannes auch hier wieder mit seiner Tauftätigkeit in Verbindung gebracht und als „Täufer“ identifiziert. Im folgenden Vers kommen die „vielen“ zu Wort, die zu Jesus kommen und sagen: „Johannes tat zwar kein Zeichen; alles aber, was Johannes von diesem gesagt hat, war wahr“ ( Joh 10,41). Dieser zitierten Rede können die intendierten Rezipienten abschließend noch einmal die untergeordnete Rolle des Johannes, zugleich aber auch seine bedeutende Stellung entnehmen. Im Gegensatz zu Jesus tat er keine „Zeichen“ (σημεῖον). Mit dieser Angabe knüpft der Erzähler ein letztes Mal an die zu Beginn der Erzählung vorgebrachten Negativaussagen an: Johannes war nicht das Licht ( Joh 1,8), nicht der Christus ( Joh 1,20), nicht Elia, nicht der Prophet ( Joh 1,21) und er tat auch keine Zeichen. Was aber durchweg herausgestellt und hier abschließend bestätigt wird, ist, dass er die Wahrheit bezeugt ( Joh 5,33) und dass das, was er sagte, „wahr war“ (ἀληθῆ ἦν; Joh 10,41). Dadurch, dass nun nicht mehr nur Jesus, sondern auch die Vielen diesen Tatbestand bekräftigen, sollen die Leser von der Richtigkeit und Wahrheit dieser Aussage überzeugt werden. Johannes ist Zeuge für die Wahrheit - für Jesus Christus, der selbst die Wahrheit in Person ist. Fasst man abschließend die Aussagen und Angaben über Johannes den Täufer zusammen, so zeigt sich, welches Bild die intendierten Rezipienten von ihm haben bzw. haben sollen: Johannes der Täufer ist ein komplexer 82 , sich im Laufe 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 89 <?page no="91"?> 83 In Bezug auf die Entwicklung einer Figur kann ebenfalls unterschieden werden zwischen „keine Entwicklung“ (0), „geringfügige Entwicklung“ (−), „Entwicklung“ (+), „starke Entwicklung“ (++). B E N N E M A (2014, 27) erklärt: „Development is not simply the reader becoming aware of an additional trait of a character later in the narrative or a characterʼs progress in his or her understanding of Jesus. Instead, development is revealed in the characterʼs ability to surprise the reader, when a newly found trait replaces another or does not fit neatly into the existing set of traits, implying that the character has changed“. Ausgehend von dieser Definition hält B E N N E M A (2014, 73) Johannes für einen Charakter, der sich nicht entwickelt. Dies entspricht aber seiner subjektiven Auffassung, denn, auch wenn Bennema mehr Gewicht auf den zweiten Teil seiner Definition legt, so dürfen die ersten beiden Merkmale der Entwicklung eines Charakters nicht ganz außer Acht gelassen werden. Diese beiden, sowohl die später in der Erzählung hinzukommenden Eigenschaften (additional trait) als auch das zunehmende Verständnis von Jesus (characterʼs progress in his or her understanding of Jesus) sind bei Johannes dem Täufer deutlich zu erkennen. Und auch die im zweiten Teil der Definition genannten Merkmale eines sich entwickelnden Charakters (characterʼs ability to surprise the reader) finden sich ansatzweise in der Darstellung des Charakters des Täufers. Während er in einer ersten Zeugnisszene ( Joh 1,19−28) eher selbstverteidigend und nur sehr vage und undeutlich von Jesus spricht, beginnt die zweite Zeugnisszene mit dem selbstbewussten Auftreten und der überraschend präzisen Aussage über Jesu als dem „Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt“. 84 Dies beobachtet auch B E N N E M A (2014, 71): „John never operates as a witness apart from his roles; rather, he is a witness in these roles“. der Erzählung entwickelnder Charakter 83 . Vorrangig und explizit wird Johannes als gewöhnlicher Mensch dargestellt ( Joh 1,6; 5,34). Als solcher „wurde er“ (ἐγένετο) und besitzt daher nicht die gleiche ewige Existenz wie derjenige, für den er Zeugnis ablegt, der von Ewigkeit her bei Gott „war“ (ἦν) und selbst Gott ist. Als Mensch geht Johannes seiner Tätigkeit als Rabbi, Lehrer und Täufer nach und ist dafür bekannt und angesehen, wenn auch umstritten. Was ihn von anderen Figuren der Erzählung abhebt, ist seine Sendung von Gott. Weil er von Gott gesandt ( Joh 1,6) und sich seiner Sendung bewusst ist ( Joh 1,33), tritt er der Darstellung zufolge in seiner Tätigkeit als Rabbi, Lehrer und Täufer 84 als selbstbewusster, mutiger und kühner Herold, Wegbereiter und Zeuge auf, bezieht die alttestamentliche Prophezeiung über den „Prediger in der Wüste“ auf sich und sieht sie in sich erfüllt. Neben seiner Aufgabe als Wegbereiter und Herold wird Johannes metapho‐ risch die Funktion einer Lampe zugeschrieben, die Licht auf den Kommenden wirft und durch welche dieser als das wahre Licht der Welt ins „Rampenlicht“ gestellt werden soll. Betont wird dabei vom Erzähler von Anfang an, dass Johannes nicht selbst das Licht ist, sondern nur ein Zeuge für das Licht. Die damit zum Ausdruck gebrachte untergeordnete Stellung des Johannes ist durch das ganze JohEv hindurch ersichtlich. Immer wieder werden narratorial oder figural die Vorrangstellung und Überlegenheit Jesu und die demütige und sich 90 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="92"?> 85 D S C H U L N I G G 2002, 34. 86 Dadurch, dass der Erzähler über das Gefühl der Unwürdigkeit des Täufers, sowie über dessen Wissen, Erkenntnis und Freude berichtet, gibt er Einblick in das Innenleben des Täufers (internen Fokalisierung). Um die verschiedenen Grade der Fokalisierung besser benennen zu können, soll in der vorliegenden Arbeit zwischen „keine Fokalisierung“ (0), „geringfügige Fokalisierung“ (−), „Fokalisierung“ (+) und „starke Fokalisierung“ (++) unterschieden werden (vgl. B E N N E M A 2014, 29). 87 Z I M M E R M A N N 2016, 113. 88 D S C H U L N I G G 2002, 34. unterordnende Haltung des Täufers Jesus gegenüber hervorgehoben. Johannes ist nicht das Licht ( Joh 1,8), nicht der Christus ( Joh 1,20), nicht Elia, nicht der Prophet ( Joh 1,21), nicht der Bräutigam, sondern der Freund des Bräutigams. Er tut keine Zeichen und fühlt sich nicht einmal würdig, die Schuhriemen Jesu zu lösen. Dennoch ist er der Zeuge der Wahrheit, der „ganz im Dienst des Zeugnisses für Jesus“ 85 steht und dessen Zeugnis für Jesus von Jesus selbst und von den Vielen als wahrhaftig bestätigt wird. Uneigennützig, selbstlos und demütig widmet er sich seiner bedeutenden Zeugenaufgabe und sticht durch seine Loyalität zu Jesus sowie sein besonderes Wissen und seine Erkenntnis über ihn hervor, obwohl er von sich selbst demütig bekennt, dass er Jesus zuvor nicht gekannt hat. 86 Seiner gottgegebenen Erkenntnis Jesu entspringen die Freude über Jesus und die bedeutende christologische Aussage, die im bleibenden Zeugnis für Jesus mündet: „Dieser ist Gottes Sohn“ - ein Zeugnis, das in besonderer Weise den Rahmen der Erzählung des JohEv säumt (vgl. Joh 1,34; 20,31). Während der Täufer als Zeuge im Laufe der Erzählung mehr und mehr in den Hintergrund rückt und schließlich gänzlich aus der Geschichte verschwindet, bewahrt sein Zeugnis doch eine unvergängliche Gültigkeit. „His temporal testimony reaches beyond his own time and even into contemporary significance.“ 87 Dadurch wird er zum Zeugen par excellence und zur „Personifi‐ kation des idealen Christuszeugen, dessen Glaube keine Mängel aufweist“. 88 2.1.2 Zeugnisempfänger: „alle“ Wem dieser „ideale Zeuge“ Zeugnis von Jesus gibt, ist aus der ersten Szene, in der Johannes genannt wird, nicht ohne Weiteres ersichtlich. Der Erzähler spricht in Joh 1,7-8 zwar davon, dass der Täufer zum Zeugnis kam, um von dem Licht zu zeugen, dabei nennt er jedoch keine unmittelbaren Zeugnisempfänger. Erst im angehängten Satzteil „damit alle durch ihn glaubten“ liefert das Adjektiv „alle“ (πάντες; Joh 1,7) einen Hinweis auf die Zeugnisempfänger. Demnach sind es „alle“, die das Zeugnis des Johannes hören und dadurch zum Glauben an Jesus kommen sollen. 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 91 <?page no="93"?> 89 Vgl. K E E N E R (2012a, 393): „[…] the ‚all‘ in a testimony to ‚all‘ could be limited by context (3: 26)“. 90 T H E O B A L D (2010, 496. 531). 91 vgl. u. a. Joh 4,29.39. 45; 5,20.22; 10,29.41; 14,26; 15,15.21; 16,13.30; 17,7.10; 18,4; 19,28; 21,17. 92 S C H N A C K E N B U R G 1981, 401. Ausgehend von der Annahme, dass in dieser ersten Szene „alle“ die Zeug‐ nisempfänger sind, stellt sich die Frage, wen der Erzähler mit „alle“ meint. Den Lesern legt sich zunächst nahe, hinter dieser Bezeichnung diejenigen zu sehen, die in der erzählten Welt das Zeugnis des Täufers hören bzw. hören könnten, weil sie sich im Umfeld des Ortes aufhalten, an dem Johannes auftritt, und somit Zugang zu seinem Zeugnis haben. Demzufolge bezöge sich „alle“ auf die jüdischen Leiter (1,19-28), auf Israel ( Joh 1,29-34) oder auf die Jünger ( Joh 1,35-37; 3,26-30). 89 Nach mehrmaligem Lesen des JohEv - worauf das Evangelium offensichtlich angelegt ist 90 - und der Betrachtung des Gebrauchs des Adjektivs πᾶς im gesamten JohEv erschließt und zeigt sich den Lesern jedoch, dass „alle“ vom Erzähler auf sehr unterschiedliche Weise gebraucht und gefüllt wird. Dies soll im Folgenden kurz dargestellt werden. Das Adjektiv πᾶς wird im JohEv 65-mal auf recht unterschiedliche Art und Weise verwendet: Sehr selten nur gebraucht der Erzähler πᾶς, um darunter aus‐ nahmslos und allumfassend alles zusammenzufassen. Dieser Gebrauch zeigt sich beispielsweise zu Beginn der Erzählung in Joh 1,3, wo einleitend beschrieben wird, dass alles durch den Logos geschaffen wurde. Um hervorzuheben, dass mit „alles“ tatsächlich und restlos alles gemeint ist, fügt der Erzähler hinzu: „[…] und ohne dasselbe wurde auch nicht eins, das geworden ist“. „Alles“ steht hier also ausnahmslos und allumfassend für alles, was existiert. An anderen Stellen wird πᾶς verwendet, um umfassend von allen Dingen eines jeweils bestimmten Bereichs zu sprechen. 91 Dies lässt sich in Joh 3,35 in der zitierten Rede Jesu erkennen, in der gesagt wird, dass der Vater dem Sohn alles in seine Hand gegeben hat. „Alles“ steht hierbei, wie auch in Joh 13,3, für jegliche „Verfügungsgewalt und Macht“ 92 . Der Erzähler gebraucht πᾶς also, um darunter alle Macht und Gewalt zusammenzufassen. In Joh 4,29.39 wird „alles“ für die Gesamtheit der Taten gebraucht, die von der Samaritanerin begangen wurden und über welche Jesus umfassend Bescheid weiß. „Alles“ steht für alle Taten der Frau. Aus Joh 5,20 lässt sich erkennen, dass „alles“ verwendet wird, um aufzuzeigen, dass der Vater umfassend alles, was er tut, seinem Sohn offenbart - πᾶς steht für das gesamte Tun des Vaters, das er umfassend dem Sohn zeigt. Neben der Verwendung des Adjektivs für alle Dinge eines bestimmten Bereichs wird πᾶς an einigen Stellen auch für die gesamte Menschheit in und 92 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="94"?> 93 Vgl. Joh 6,40; 7,21; 8,2; 11,48; 12,32; 13,10.11.18.35; 16,2; 18,20; 19,12. 94 Vgl. z.-B. Joh 3,8.15−16.20; 5,28; 6,37.39.40; 8,34; 10,4.8; 11,26; 12,46; 15,2; 17,2.21; 18,37. über die erzählte Welt hinaus verwendet. In Joh 5,19-30 wird in der Frage nach der Vollmacht des Sohnes betont, dass Jesus das ganze Gericht übergeben ist, „damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ ( Joh 5,23). Das hier verwendete πάντες bezieht sich umfassend auf die gesamte Menschheit, weil eben alle sich vor Jesus als dem vom Vater bevollmächtigten gegenwärtigen und zukünftigen Richter verantworten, beugen und ihn ehren müssen. Dem entspricht der Gebrauch des Wortes in Joh 17,2, wo sich πᾶς ebenfalls auf „alles Fleisch“ (πάσης σαρκός) bezieht, also auf die gesamte Menschheit, über die Jesus Vollmacht gegeben ist. Eine weitere, sehr häufige Verwendungsform des Adjektivs πᾶς ist sein stellvertretender Gebrauch für alle Menschen einer bestimmten Gruppe in der erzählten Welt. 93 Beispielsweise wird in Joh 2,24 vom Erzähler gesagt, dass Jesus alle kennt. Aus dem Kontext ist ersichtlich, dass sich „alle“ auf all jene Menschen bezieht, die zur erzählten Zeit bei Jesus sind. Sie alle kennt Jesus und deswegen will er sich ihnen nicht anvertrauen. Dieselbe Nutzung von πᾶς für alle Menschen einer bestimmten Gruppe in der erzählten Welt zeigt sich auch in Joh 3,26. Die Jünger des Johannes berichten ihrem Lehrer, dass Jesus jenseits des Jordans tauft und dass alle zu ihm kommen. „Alle“ steht hierbei für all diejenigen, die zu Jesus kommen. Dieselbe Verwendungsweise ist in Joh 7,21 zu erkennen, wo sich alle über ein Werk Jesu wundern. Auch hier steht „alle“ für die bestimmte Gruppe all derjenigen, die zur erzählten Zeit anwesend sind. Bei dieser letztgenannten Verwendungsform lässt sich an etlichen Stellen eine Abweichung bzw. eine Ausweitung erkennen. Πᾶς steht nicht mehr nur für alle Menschen einer bestimmten Gruppe in der erzählten Welt, sondern, über‐ wiegend im Singular, für jeden Menschen einer bestimmten Gruppe innerhalb und außerhalb der erzählten Welt. 94 Auf diese Weise gebraucht der Erzähler in der zitierten Rede Jesu in Joh 3,15-16 das Adjektiv πᾶς, um hervorzuheben, dass jeder, der glaubt, ewiges Leben hat. „Jeder“ könnte hier natürlich auf jeden Glaubenden der erzählten Welt reduziert werden. Aus dem gesamten JohEv geht aber hervor, dass Rettung und ewiges Leben nicht Glaubenden der erzählten Welt vorbehalten sind, sondern darüber hinaus jedem Glaubenden aller Zeiten. Eben derselbe Gebrauch des Wortes zeigt sich in Joh 3,20. Jesus betont: „Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht“. „Jeder“ steht auch hier stellvertretend für die Gesamtheit einer bestimmten Gruppe innerhalb und außerhalb der erzählten Welt, nämlich für all diejenigen, die Böses tun. Ob in 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 93 <?page no="95"?> 95 An dieser Stelle zeigt sich, dass eine konsequente Trennung zwischen Autor und Er‐ zähler und erzählter (textinterner) und realer (textexterner) Welt bei einem „religiösen Text“ nicht umsetzbar ist, weil er eben nicht als bloße fiktive Erzählung verstanden werden will. Die Eigenart des Textes besteht darin, dass die Erzählung über die erzählte Welt hinausgeht und in die textexterne Welt hineinsprechen und -wirken will. 96 Vgl. L I N C O L N (2000, 59): Der Gebrauch des Begriffs „alle“ „lifts John the Baptistʼs mission from one simply within Israel, as it is clearly portrayed in the Synoptics, onto the world stage“. Vgl. D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 27. 97 B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F 1979, 293. oder außerhalb der erzählten Welt: „Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht“. Aus dieser kurzen Betrachtung der einzelnen Stellen, an denen der Erzähler das Adjektiv πᾶς gebraucht, zeigt sich, dass er es auf mindestens fünf unter‐ schiedliche Weisen gebraucht und füllt. Er verwendet πᾶς für a) ausnahmslos und allumfassend alles, was existiert, für b) umfassend alle Dinge eines jeweils bestimmten Bereichs, für c) die gesamte Menschheit in und über die erzählte Welt hinaus, für d) alle Menschen einer bestimmten Gruppe in der erzählten Welt oder für e) jeden Menschen einer bestimmten Gruppe innerhalb und außerhalb der erzählten Welt. 95 Kehrt man nach dieser kurzen Betrachtung und Zusammenfassung des unterschiedlichen Gebrauchs des Adjektivs πᾶς zur Zeugnisszene in Joh 1,7 zurück und stellt erneut die Frage, wer die Zeugnisempfänger sind, die der Erzähler unter dem Begriff „alle“ zusammenfasst, dann lässt sich Folgendes festhalten: Πᾶς muss sich an dieser Stelle nicht unbedingt auf die Figuren des näheren Kontextes (jüdische Leiter, Israel oder die Jünger) beziehen, sondern kann auch, wie oben beschrieben, für andere Gruppen gebraucht werden. Am naheliegendsten ist es, hinter dem in Joh 1,7 verwendeten πᾶς die gesamte Menschheit zu sehen. 96 Dafür sprechen folgende Gründe: Zum einen nennt der Erzähler das Zeugnis des Johannes ganz am Anfang seines Prologs und völlig losgelöst von jeglichem konkreten Kontext, sodass „alle“ sich schwerlich auf Menschen einer bestimmten Gruppe in der erzählten Welt beziehen lässt. Zum anderen zeigt sich, dass „alle“ auch in den nachfolgenden Versen deutlich auf die gesamte Menschheit bezogen wird (vgl. Joh 1,9). Ein weiterer Grund für diese Annahme ist, dass der in Joh 1,7 verwendete Konjunktiv Aorist (πιστεύσωσιν) futuristischen Sinn hat und somit auf eine nicht eingetretene oder nicht abge‐ schlossene Handlung hinweisen kann. 97 Demzufolge geht der Erzähler davon aus, dass das Zeugnis des Täufers sich nicht nur glaubensweckend auf die Figuren der erzählten Welt, sondern darüber hinaus auch auf alle anderen Menschen auswirken kann. 94 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="96"?> 98 S C H N A C K E N B U R G 1981, 228. Vgl. W E N G S T 2019, 120. K Ö S T E N B E R G E R (2004, 33−34) bemerkt: „Through the Word, ‚all things‘ were created; now it is Godʼs purpose that ‚all people‘ might believe through Johnʼs testimony“. 99 Letzteres zeigt sich vor allem an diesen Stellen, an denen das πᾶς überwiegend im Singular und meist mit der Wendung „jeder, der […]“ (πᾶς ὁ […]) gebraucht wird (vgl.: Joh 3,8.15.16; 4,13; 6,40.45; 8,2.34; 11,26; 12,46; 16,2; 18,37; 19,12). 100 S C H N E L L E 2016, 145. Die Summe dieser Beobachtungen bringen die Leser zu dem Schluss, dass sich das Zeugnis des Täufers nicht nur an die wenigen direkten Hörer seiner Botschaft richtet und auch nicht mit seinem Ableben verstummt, sondern dass sein Zeugnis darüber hinaus eben für „alle“, also für die gesamte Menschheit, abgelegt und hörbar ist, „damit alle durch ihn glauben“ ( Joh 1,7). Πάντες ist nicht betont, zeigt aber doch den Universalismus des göttlichen Heilswil‐ lens (vgl. 3,15-17); der Zeugnisdienst des Johannes erfüllt sich zunächst gegenüber der alten Heilsgemeinde Israel, der er den Messias vorstellt (1,31), bleibt aber nach der Auffassung des Evangelisten bestehen und wird ein lauter Ruf (vgl. 1,15a) für alle Zeit, für die ganze Welt, der er ihren Retter kündet (vgl. 1,29). 98 Will man nach diesen Überlegungen eine genauere Untersuchung der narrato‐ rialen Charakterisierung des zeugnisempfangenden Gruppencharakters „alle“ vornehmen, so gestaltet sich dies schwierig. Berücksichtigt werden dürfen hierzu nämlich ausschließlich die Stellen, an denen das Adjektiv πᾶς vom Erzähler stellvertretend für die gesamte Menschheit verwendet wird. Dies ist jedoch nur an sehr wenigen Stellen der Fall. An den meisten Stellen wird πᾶς, wie oben aufgezeigt, für alle Menschen einer bestimmten Gruppe der erzählten Welt oder für alle Menschen einer bestimmten Gruppe in und über die erzählte Welt hinaus verwendet. 99 Die gesamte Menschheit scheint nur in Joh 5,23, 6,45 und 17,2 gemeint zu sein. Diesen wenigen Stellen lässt sich aber kaum etwas über die Charakterisierung dieser Zeugnisempfänger entnehmen. Aus Joh 5,22-23 erfahren die Leser lediglich, dass der Vater das ganze Gericht über alle Menschen dem Sohn gegeben hat, damit alle den Sohn ehren mögen und damit dadurch der Vater geehrt wird. Bezüglich einer Charakterisierung lässt sich dieser Aussage entnehmen, dass die gesamte Menschheit Jesus untergeordnet ist. Obwohl Jesus selbst „Fleisch wurde“ (σὰρξ ἐγένετο; Joh 1,14) und unter den Menschen wohnte, waren und blieben diese ihm doch aufgrund seiner Einheit mit Gott und seiner Sendung von und Beauftragung durch Gott unterstellt und müssen ihn als „Herr über Leben und Tod, Heil und Gericht […] in gleicher Weise wie den Vater ehren“. 100 2.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 95 <?page no="97"?> 101 S C H N A C K E N B U R G 1982, 194. 102 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 214. Diese untergeordnete Stellung aller Menschen unter Jesus wird vom Erzähler in Joh 17,2 bestätigt. Im zitierten Gebet Jesu kommt zum Ausdruck, dass der Vater dem Sohn „Vollmacht gegeben hat über alles Fleisch“. Πᾶς wird hier in Verbindung mit „Fleisch“ (σάρξ) gebracht, wobei „alles Fleisch“ (πάσης σαρκός) eindeutig für die ganze Menschheit steht. Die in diesem Zusammen‐ hang genannte „Machtverleihung über alle Menschen“ 101 zeigt den Lesern die Erhabenheit und „Macht“ (vgl. ἐξουσία in Joh 17,2) Jesu über die Menschheit. Dem beigefügten Satzteil „damit er [der Sohn] jedem, den du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe“ können die Leser des Weiteren entnehmen, dass diese Unterordnung unter Jesus nicht zugleich auch „allen“ ewiges Leben bringt, sondern eben nur jenen, die der Vater dem Sohn gegeben hat und denen der Sohn ewiges Leben gibt. Hieraus ergibt sich wiederum eine deutliche Aufspaltung des Gruppencharakters „alle“ in zwei Gruppen: in die einen, die durch den Glauben an Jesus ewiges Leben bekommen, und in jene, die nicht glauben und das ewige Leben nicht bekommen. Diese Beobachtung ist sowohl für den Ausgangspunkt der Untersuchung als auch für die Frage nach dem Zeugnis des Johannes interessant, das hier an alle ergeht. Deutlich können die Rezipienten erkennen, dass, auch wenn das Zeugnis des Johannes „allen“ offensteht, dennoch nicht alle seinem Zeugnis glauben und es annehmen (werden). Die Gruppe der Zeugnisempfänger, die so einheitlich unter „alle“ zusammengefasst wird, ist in sich gespalten, ebenso wie es bei vielen anderen Gruppencharakteren der Fall ist, wenn es um das Zeugnis von Jesus und den Glauben an ihn geht. Während die einen aufgrund des Zeugnisses an Jesus glauben und ihm folgen, lehnen die anderen das Zeugnis über Jesus und Jesus selbst damit ab. Eine weitere Stelle, in der der Erzähler „alle“ stellvertretend für die ganze Menschheit verwendet, findet sich in Joh 6,45. Wiedergegeben wird hier eine Prophezeiung, die besagt, dass „alle von Gott gelehrt sein werden“. Die Rede ist auch hier von der gesamten Menschheit, die die Möglichkeit und das Fassungsvermögen hat, gelehrt zu werden. Doch wie in Joh 17,2 angedeutet, unterteilt sich der Gruppencharakter „alle“ auch hier in all jene, die von dem Vater gehört und gelernt haben und zu Jesus kommen, und in solche, die eben nicht hören, lernen und zu Jesus kommen. „The focus here is on the fact that ‚all‘ will be taught by God and that ‚everyone‘ truly receptive to divine revelation will come to Jesus - not merely Jews (cf. 11: 51-52; 12: 32).“ 102 Aus diesen wenigen Angaben erhalten die Leser folgende Vorstellung über die Zeugnisempfänger bzw. den Gruppencharakter „alle“: Wo „alle“ für die gesamte 96 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="98"?> 103 Dies bemerkt auch M O R R I S (1995, 81): „Johnʼs work was ‚to testify concerning that light‘. This somewhat indefinite expression does not tell us what he said, nor how or when he said it“. Menschheit steht, handelt es sich um eine Gruppe, über deren Merkmale der Erzähler nur wenig berichtet (= geringfügige Komplexität), die sich im Laufe der Erzählung nicht entwickelt und in deren Innenleben kein Einblick gegeben wird. Dieser gesamte Gruppencharakter ist der Vollmacht, Autorität und richterlichen Gewalt Jesu unterstellt. Er hat zwar die Möglichkeit und das Fassungsvermögen, von Gott gelehrt zu werden und zu lernen, doch nicht alle hören, lernen und kommen zu Jesus. Vielmehr zeigt sich gerade in Bezug auf Jesus deutlich eine Unterteilung und Aufspaltung der Gruppe in diejenigen, die Jesus vom Vater gegeben sind, die an Jesus glauben und dadurch ewiges Leben erhalten, und in diejenigen, die nicht zu diesem ersten Teil der Gruppe gehören. 2.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Nachdem in den vorausgehenden Abschnitten die Zeugen, die Zeugnisemp‐ fänger und deren Charakterisierung durch den Erzähler beleuchtet worden sind, werden im weiteren Verlauf der Untersuchung die Umstände des Zeugnisakts in den Fokus der Betrachtung gerückt. Wie in allen nachfolgenden Zeugnisszenen soll herausgestellt werden, an welchem Ort und zu welcher Zeit das Zeugnis abgelegt wird, wie sich der Zeugnisakt genau abspielt, was der Inhalt des Zeugnisses ist und was der Grund und das Ziel des Ablegens des Zeugnisses sind. Eine solche Untersuchung gestaltet sich in dieser ersten Zeugnisszene inso‐ fern schwierig, als der Erzähler nur sehr allgemeine und ungenaue Angaben liefert. 103 Über das Zeugnis und den Zeugnisakt schreibt er lediglich: „Dieser kam zum Zeugnis, damit er von dem Licht zeugte, damit alle durch ihn glaubten. Er war nicht das Licht, sondern damit er von dem Licht zeugen möge“ ( Joh 1,7-8). Sucht man in dieser Aussage nach einer genauen Zeitangabe, wann das Zeugnis abgelegt wird, so sucht man vergebens. Der Erzähler hält jegliche Details zurück und deutet dadurch an, dass das Zeugnis des Johannes zu jeder Zeit hörbar war, ist und bleibt. Der Täufer ist Zeuge und alle sollen durch ihn glauben. Genau das wird am Ende der Szene in Joh 1,15 unterstrichen, wo der Erzähler plötzlich im Präsens davon spricht, dass Johannes von Jesus „zeugt“ (μαρτυρεῖ). „Verses 6-8 have the historical sending of John in view (see the aorist verbal forms of ἐγένετο and ἦλθεν) whereas v. 15 speaks into the present reality of the community or, more broadly, of the reader: John 2.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 97 <?page no="99"?> 104 Z I M M E R M A N N 2016, 107. Ebenso T R I T E S (1977, 101): „… though his testimony is complited […] his words continue to bear witness (cf. μαρτυρεῖ, 1: 15)“. 105 T H Y E N 2015, 98. Vgl. T H E O B A L D 2009, 131. 106 In der vorliegenden ersten Zeugnisszene werden einmalig die unterschiedlichen Unter‐ punkte des kommunikativ-pragmatischen Kategorieninventars von H E N N E & R E H B O C K (2001, 26−27) in Anführungsstrichen hervorgehoben. Im weiteren Verlauf der Arbeit werden die jeweiligen Bezeichnungen ohne Hervorhebung verwendet. here testifies in the present (μαρτυρεῖ - present tense)! “ 104 Es lässt sich also Folgendes festhalten: „Das Präsens hat seinen guten Sinn darin, daß Johannes, nunmehr von den festen Buchstaben des Evangeliums bewahrt, als Zeuge für jeden künftigen Leser gegenwärtig bleibt […]“ 105 Aufgrund der Tatsache, dass das Zeugnis des Täufers zu aller Zeit gehört werden kann, lassen sich über einen genauen Zeitpunkt des Ablegens des Zeugnisses weder in der erzählten Welt noch darüber hinaus genaue Angaben machen. Ebenso wenig, wie sich aus dieser Szene exakte Angaben über den Zeitpunkt des Zeugnisakts machen lassen, lassen sich Aussagen über einen genauen Ort treffen, an dem das Zeugnis abgelegt wird. Der Grund dafür ist derselbe wie bei der Zeitangabe: Der Erzähler geht davon aus, dass das Zeugnis des Johannes zu jeder Zeit an den unterschiedlichsten Orten abgelegt wird. Das führt dazu, dass er keine Angaben über einen bestimmten Ort macht. Ob in der Wüste am Jordan zur erzählten Zeit oder an anderen Orten, an denen das Zeugnis des Johannes zu einem späteren Zeitpunkt durch das geschriebene Evangelium übermittelt wird: Wo das Zeugnis des Johannes abgelegt wird, lässt sich nicht auf einen Ort reduzieren. Da das Zeugnis zu den unterschiedlichsten Zeiten an den verschiedensten Orten übermittelt wird, kann auch über die Art und Weise, wie es übermittelt wird, nur gemutmaßt werden. Untersucht man das „Zeugnisgespräch“ anhand einer Gesprächsanalyse 106 , lässt sich Folgendes festhalten: In Bezug auf die erzählte Zeit kann man annehmen, dass das Zeugnisgespräch von seiner Gesprächsgattung her ein „natürliches, spontanes“ Gespräch ist. Bezüglich der Konstellation der Gesprächspartner kann sowohl von einem Gespräch in „Kleingruppen“ als auch teilweise von einem Gespräch in „Großgruppen“ ausge‐ gangen werden. Es bleibt der Fantasie der Leser überlassen, sich auszumalen, wie Johannes zu unterschiedlich großen Ansammlungen von Hörern spricht und Zeugnis über Jesus ablegt. Zu jedem späteren Zeitpunkt (nach der erzählten Zeit und nach der Erzählzeit) geschieht die Übermittlung seines Zeugnisses mittelbar durch das im JohEv niedergeschriebene Zeugnis in und zu unterschiedlich 98 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="100"?> 107 An eine mittelbare Übermittlung und ein arrangiertes Gespräch wäre beispielsweise bei einer Predigt zu denken, in der das Zeugnis des Johannes wiedergegeben und ausgelegt wird. großen Gruppen, teilweise natürlich-spontan, teilweise natürlich-arrangiert. 107 Der Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner fällt dabei sehr unterschiedlich aus. Während der Täufer in der erzählten Welt den meisten seiner Zuhörer „bekannt“ oder zumindest „flüchtig bekannt“ sein müsste - weswegen sie auch zu ihm kommen -, dürften diese ihm überwiegend „unbekannt“, manche „flüchtig bekannt“ und nur wenige „gut bekannt“ oder „vertraut“ sein. In späteren Zeugnisakten hingegen sind sich der Zeuge und die Leser des Zeugnisses gänzlich unbekannt, weil die Empfänger des Zeugnisses den Zeugen Johannes lediglich aus der Erzählung kennen. Was den Grad der Öffentlichkeit des Gesprächs bzw. des Zeugnisakts betrifft, so kann aus der Darstellung der erzählten Welt von einer „öffentlichen“ Wei‐ tergabe des Zeugnisses ausgegangen werden. Dafür spricht nicht nur, dass alle durch sein Zeugnis glauben sollen, was eine Bekanntmachung des Zeugnisses für alle voraussetzt, sondern auch, dass Johannes, wie in Joh 1,15 bezeugt, sein Zeugnis laut „ruft“ bzw. „schreit“ (κράζειν) und dass die späteren Szenen sein öffentliches Auftreten bestätigen. Beim Zeugnis des Johannes, das zu späteren Zeitpunkten übermittelt wird, fällt der Grad der Öffentlichkeit hingegen sehr unterschiedlich aus. Hier wird das Zeugnis teilweise „öffentlich“, teilweise „halb öffentlich“, „nicht öffentlich“ oder „privat“ weitergegeben. Untersucht man im Rahmen dessen, wie das Zeugnis übermittelt wird, das soziale Verhältnis der Gesprächspartner zueinander, lässt sich ein asymmetri‐ sches Verhältnis erkennen. Die Asymmetrie rührt daher, dass der Täufer den Zeugnisempfängern überlegen ist. Zwar mag es unter den „allen“ auch solche geben, denen er menschlich gesehen unterlegen ist - was sein Wissen und seine Erkenntnis über Jesus betrifft, ist er seinen Hörern im Zeugnisgespräch aber weit überlegen. Er ist der Lehrer, der Rabbi, die erzählten Zuhörer bzw. Zeugnisempfänger seine Schüler, Jünger und Lernenden. Er zeugt von Jesus, alle anderen sollen durch ihn glauben. In späterer Zeit klafft diese Asymmetrie noch weiter auseinander: Johannes ist der erzählte unmittelbare Augenzeuge Jesu, dessen Zeugnis für Jesus auf seinen göttlichen Sendungsauftrag und die Begegnung mit Jesus zurückgeht. Den Lesern des verschriftlichten Zeugnisses hingegen fehlt jeder unmittelbare Zugang zu Jesus und den Erfahrungen und Erlebnissen des Johannes. Somit bleiben auch die Leser dem Zeugen unterlegen und sind ganz auf sein Zeugnis angewiesen. In Bezug auf den Grad der Vorbereitetheit kann angenommen werden, dass zur erzählten Zeit „alle“, die zu Johannes kommen, „speziell vorbereitet“ sind, 2.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 99 <?page no="101"?> 108 L I N C O L N (2000, 59) merkt zu Joh 1,7 an: „This is the first use of a verb - πιστεύειν, to believe - that occurs ninety-eight times in the Gospel […]“. Dass „glauben“ für die Erzählung des JohEv von besonderer Bedeutung ist, lässt sich der überaus häufigen Verwendung des Verbs πιστεύειν entnehmen. Die 98-malige Verwendung entspricht 41 % der gesamten Vorkommnisse des Wortes im Neuen Testament (vgl. Statistik aus B I B E L W O R K S 9). Auffällig ist dabei jedoch, dass das Substantiv πίστις im JohEv nie verwendet wird. 109 W E N G S T 2019, 62. während die späteren Leser/ Hörer des JohEv überwiegend „speziell vorbereitet“, teilweise vermutlich aber auch „nicht vorbereitet“ sind bzw. sein werden. Während über die Art und Weise des Zeugnisakts nur gemutmaßt werden kann, lassen sich über dessen Handlungsdimension und den Grund, warum, und das Ziel, wozu Johannes Zeugnis für Jesus ablegt, genauere Aussagen treffen. Als Grund nennt der Erzähler die Sendung und Beauftragung des Zeugen durch Gott. Johannes ist als Mensch von Gott gesandt, um Zeuge für das Licht zu sein. Seine Sendung und Berufung begründen sich darin, dass er als Wegbereiter, Herold, Lampe und Freund des Bräutigams auf Jesus hinweisen soll, um ihn groß zu machen. Das Ziel dabei ist, dass alle, sowohl die Zeugnisempfänger der erzählten Welt als auch alle späteren Zeugnisempfänger, durch ihn an Jesus glauben. 108 Das „Gespräch“ hat also von seiner Handlungsdimension her eindeutig „direktiven“ Charakter. Der Glaube als Ziel des Zeugnisses wird durch das gesamte JohEv immer wieder genannt und mündet in die abschließende Aussage des Erzählers, dass alles geschrieben ist, damit geglaubt wird, dass Jesus der Christus ist. Als Ziel seines Zeugnisses für das Licht erscheint, „dass alle durch ihn glaubten“. Es ist dasselbe Ziel, das der Evangelist mit dem Schreiben seines Evangeliums im Ganzen verfolgt (20,31). Er tut damit nichts anderes, als dem Beispiel zu folgen, das er sich in der Gestalt des Johannes hier vorgibt. Was von ihm an dieser Stelle paradigmatisch gesagt wird, führt dann die Erzählung in 1,19-37 aus.“ 109 Ausgehend von dieser Zielsetzung des Zeugnisses lässt sich in Bezug auf die Themafixiertheit des Zeugnisgesprächs festhalten, dass es speziell themafixiert ist. Das Zeugnis, wie auch das Leben und Wirken des Johannes, ist ganz auf „das Licht“, auf Jesus ausgerichtet. Alles, was der Täufer tut und sagt, richtet sich auf Jesus aus. Der Täufer ist gesandt, um Jesus als dem kommenden Christus den Weg zu bereiten und ihn zu bezeugen, als das „Lamm Gottes, das die Sünde 100 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="102"?> 110 „This testimony is later amplified in the declaration that Jesus is (a) the Lamb of God, (b) one who being equipped with the Spirit, is able to baptize with the Spirit, and (c) the Elect One (or Son) of God“ (B A R R E T T 1978, 170). der Welt trägt“, als denjenigen, der mit dem Heiligen Geist ausgestattet und mit dem Heiligen Geist taufen wird, und als den, der der Sohn Gottes ist. 110 2.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Die erste Zeugnisszene endet in Joh 1,18, ohne ausführlich darüber Auskunft zu geben, welche Folgen und Auswirkungen das Zeugnis des Johannes auf die Zeugnisempfänger hat. Dies ist allerdings nicht anders zu erwarten, denn das Zeugnis wird vom Erzähler sehr allgemein gehalten und ergeht an alle, sowohl an die unmittelbaren Zeugnisempfänger der erzählten Welt als auch darüber hinaus an alle späteren Zeugnisempfänger. Dem Erzähler ist es somit nicht möglich, sämtliche Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Täufers umfassend zu überblicken und wiederzugeben. Er kann lediglich einerseits recht allgemein schildern, welche Reaktionsmöglichkeiten es auf das „Licht“ gibt, nämlich ein „Nichterkennen“ oder ein „Aufnehmen“ ( Joh 1,10-12), andererseits kann er in einigen nachfolgenden Zeugnisszenen exemplarisch veranschauli‐ chen, welche Folgen und Auswirkungen das Zeugnis zur erzählten Zeit in der erzählten Welt hervorrufen kann. In den nachfolgenden Szenen veranschaulicht der Erzähler, dass der Zeuge und sein Zeugnis von einigen Zeugnisempfängern infrage gestellt und abgelehnt, von anderen angenommen werden, was diese dann zum Glauben an Jesus und zur Nachfolge Jesu führt (vgl. Joh 1,35-39). 2.4 Zusammenfassung und Beurteilung Die erste Szene ist in Bezug auf die vorliegende Arbeit insofern besonders und interessant, als in ihr zum ersten Mal die Zeugnisthematik des JohEv angeführt wird. Von Beginn an zeigt sich, dass das Zeugnisgeben für Jesus für den Erzähler von zentraler Bedeutung ist und ein wesentliches Anliegen seiner Erzählung darstellt. Durch die von ihm angeführten Zeugnisse anderer und durch sein eigenes Zeugnis will er zum Glauben an Jesus einladen. Ein erster Zeuge, den er dazu im Prolog und über mehrere Szenen hinweg sehr ausführlich darstellt und sogar mit Namen nennt, ist Johannes (der Täufer). Er nimmt unter den erzählten Zeugen eine Sonderstellung ein. „Johannes der Täufer ist der repräsentative Glaubende, jener erste und erwählte, von Gott gesandte (1,6) prophetische Rufer, 2.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses 101 <?page no="103"?> 111 E R N S T 1989, 191. 112 Auch hier in Anlehnung an den Text von N E S T L E -A L A N D 2 8 , der ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ dem ο εκλεκτος vorzieht. der den Logos als das in die Welt gekommene Licht (Vv. 6.8) bekennt und seinen absoluten Vorrang (V.-15) bezeugt.“ 111 Dieser erste bedeutende Zeuge wird den intendierten Rezipienten zwar zunächst als gewöhnlicher Mensch vorgestellt, im direkten Anschluss erfolgt jedoch die narratoriale Anmerkung, dass er von Gott gesandt ist. Als Mensch tritt Johannes als Rabbi, Lehrer und Täufer auf, ist zugleich aber in diesen Rollen ein von Gott gesandter Zeuge und Wegbereiter des kommenden, alttestament‐ lich angekündigten Messias. Den Lesern wird Johannes als mutiger und kühner Herold und Zeuge für Jesus vorgestellt, der selbstbewusst die alttestamentliche Prophezeiung über den „Prediger in der Wüste“ auf sich bezieht und in sich erfüllt sieht. Als Wegbereiter nimmt er metaphorisch die Rolle einer Lampe ein, die Licht auf das wahre Licht wirft, nämlich auf Jesus, der als das Licht der Welt alle Menschen erleuchtet. Dabei wird betont, dass nicht Johannes, sondern Jesus das wahre Licht ist. Aus der dadurch zum Ausdruck gebrachten Vorrangstellung und Überlegenheit Jesu ergibt sich zugleich auch die untergeordnete Stellung des Täufers unter Jesus. Doch obwohl Johannes nicht das Licht ( Joh 1,8) und auch nicht der Christus ( Joh 1,20), der Elia oder der Prophet ( Joh 1,21) ist, wird er als Zeuge der Wahrheit ausgezeichnet und bestätigt. Sein Leben und Zeugnis sind ganz auf die Wahrheit bzw. auf den fixiert, von dem er Zeugnis ablegt. Seine Hingabe und Loyalität gelten der Wahrheit, also Jesus, weil er die Wahrheit ist. Obwohl er demütig bekennt, Jesus zuvor nicht gekannt zu haben, werden doch das besondere Wissen und die Erkenntnis des Täufers über Jesus deutlich herausgestellt und finden im Bekenntnis zu Jesus als dem „Sohn Gottes“ (ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ) 112 ihren Höhepunkt ( Joh 1,34). Wie sich im Verlauf der Erzählung zeigt, ist Johannes als Zeuge bemüht, mehr und mehr hinter seinem Zeugnis und hinter dem, für den er Zeugnis ablegt, zu verschwinden. „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ ( Joh 3,30) ist der Leitsatz dieses ersten wahren Zeugen Jesu, eines Zeugen par excellence, der den wahren und vollkommen Glaubenden und Zeugen für Jesus repräsentiert. In der hier untersuchten ersten Szene richtet sich das Zeugnis des Johannes an einen ungenau vorgestellten Gruppencharakter, der vom Erzähler schlicht mit „alle“ (πάντες) betitelt wird. Den Lesern erschließt sich, dass mit „alle“ sowohl Figuren der erzählten Welt gemeint sind als auch diejenigen, die dem Zeugnis des Johannes zu irgendeinem späteren Zeitpunkt im und durch das geschriebene Evangelium begegnen. Dadurch sehen sich die Leser von Beginn der Erzählung an selbst mit in die Rolle der Zeugnisempfänger hineingenommen. Alle, also 102 2 Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer ( Joh 1,1-18) <?page no="104"?> 113 Im Verlauf der Erzählung wird folgendes entfaltet: „[…] viele [finden] über das Zeugnis des Täufers zum Glauben an Jesus. Sie bezeugen damit […], daß die Aussage des Täufers über den Messias sich im Wirken Jesu erfüllt hat und im Glauben an ihn zum Ziel gelangt ist, zum ewigen Leben. Was der Täufer in Kap. 1 jenseits des Jordans über Christus verkündigt hat, kommt in Kap. 10 an derselben Stelle zur Vollendung, wo viele aufgrund seines Zeugnisses an Jesus glauben“ (D S C H U L N I G G 2002, 33−34. Vgl. B E N N E M A (2014, 72): „The aim of his testimony was to elicit a saving belief in Jesus (1: 7) - an aim that was realized (1: 35−37; 10: 41−42)“. auch sie, die intendierten Leser, sollen das Zeugnis des Johannes hören und dessen Aussagen über Jesus und damit Jesus selbst Glauben schenken. Aus der Tatsache, dass mit „alle“ die unterschiedlichen Zeugnisempfänger verschiedenster Zeiten gemeint sind, ergibt sich, dass über Ort(e) und Zeit(en), wo bzw. wann das Zeugnis abgelegt wird, keine Angaben gemacht werden können. Ebenso lassen sich über die Art und Weise, wie das Zeugnis übermittelt wird, nur Vermutungen anstellen und es kann angenommen werden, dass die Art und Weise der Übermittlung des Zeugnisses so vielseitig und unterschiedlich ist und sein wird wie die Zeugnisakte selbst. Die Ungenauigkeit in diesen Angaben zeigt, dass es dem Erzähler an dieser Stelle und bei der ersten Nennung eines Zeugnisses nicht so sehr um eine genaue und ausführliche Darstellung der Umstände des Zeugnisakts geht, sondern vielmehr darum, den Grund und das Ziel des Zeugnisses sowie die beiden möglichen Reaktionen auf das Zeugnis (das Licht nicht zu erkennen und es nicht aufzunehmen oder aber es aufzunehmen; vgl. Joh 1,10-12) hervorzuheben. Demzufolge berichtet er, dass Johannes von Gott gesandt und durch Gott beauftragt ist und dass durch sein Kommen und durch sein für Jesus abgelegtes Zeugnis erreicht werden soll, „dass alle durch ihn glauben“. Auch wenn erst in späteren Szenen geschildert wird, welche Folgen und Auswirkungen das Zeugnis des Täufers in der erzählten Welt hat, 113 so sind die Leser doch von der ersten Szene an mit dem Zeugnis für Jesus konfrontiert, über die beiden „Reak‐ tionsmöglichkeiten“ auf das Zeugnis und auf Jesus informiert und zunächst indirekt herausgefordert, eine eigene Entscheidung zu treffen: entweder dem Zeugnis zu glauben und es anzunehmen oder es abzulehnen und zu verwerfen. 2.4 Zusammenfassung und Beurteilung 103 <?page no="106"?> 114 Auch wenn „zu ihm“ (πρὸς αὐτόν) in P 66 * .75 א C 3 K L W nicht vorhanden ist, folgt die Auslegung dem Text von NA 28 . 115 Gegen S C H N A C K E N B U R G (1981, 274), der davon spricht, dass das Zeugnis des Johannes „durchweg und einheitlichen ein Christuszeugnis“ ist. B E U T L E R (2016, 99) spricht hingegen in Joh 1,19−28 vom „indirekten Zeugnis des Johannes über Jesus“ und sieht in Joh 1,29−34 dann das „direkte Zeugnis des Johannes über Jesus“ (103). 116 Z U M S T E I N (2016, 90) hebt hervor: „Der Abschnitt ist durch die Kategorie des Zeugnisses (μαρτυρία) bestimmt“. 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) Mit Joh 1,19 knüpft der Erzähler an die vorausgehende erste Szene ( Joh 1,1-18) an. Nachdem er dort die Figur des Johannes ( Joh 1,6-9.15) in die Erzählung eingeführt und recht allgemein auf deren Zeugnis hingewiesen hat, richtet sich sein Augenmerk nun in der zweiten Szene auf die Darstellung eines konkreten Zeugnisakts und den Inhalt des Zeugnisses. Dies macht der Erzähler durch einen einleitenden Satz deutlich, der als eine Art Überschrift über der Szene steht und den Inhalt des folgenden Abschnitts zusammenfasst: „Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm 114 sandten, damit sie ihn fragen sollten: Wer bist du? “ ( Joh 1,19). In der darauffolgenden gesamten zweiten Szene wird das Gespräch zwischen Johannes dem Täufer und einigen Priestern und Leviten erzählt. Die von Jerusalem Gesandten stehen dem von Gott Gesandten gegenüber. Den Lesern fällt auf, dass in einem Großteil des Erzählabschnitts ein Selbstzeugnis des Johannes wiedergegeben wird ( Joh 1,19-25). 115 Erst gegen Ende folgt in zwei kurzen Versen das Zeugnis für Jesus. Aufgrund des zu Beginn verwendeten Begriffs „Zeugnis“ (μαρτυρία) 116 und des am Schluss der Szene erfolgenden Zeugnisses für Jesus muss auch diese Szene als Zeugnisszene für Jesus angesehen und aufgrund ihrer Relevanz für die vorliegende Arbeit untersucht werden. <?page no="107"?> 117 Beide Begriffe finden sich nur hier im JohEv. 118 Eine detaillierte Untersuchung und Darstellung dieses Gruppencharakters erfolgt unten. 3.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 3.1.1 Zeugnisgeber: Johannes der Täufer Aus dem ersten Satz des Abschnitts ist zu erkennen, dass Johannes der Täufer und dessen Zeugnis im Fokus der Szene stehen. Die Aussage „Und dies ist das Zeugnis des Johannes“ (καὶ αὕτη ἐστὶν ἡ μαρτυρία τοῦ Ἰωάννου; Joh 1,19) macht unmissverständlich deutlich, dass Johannes in dieser Szene als Zeuge verstanden werden muss, auch wenn er nicht explizit als „Zeuge“ (μάρτυς) bezeichnet wird. Deutlich ist hier, wie in allen Zeugnisszenen, zu erkennen, dass es dem Erzähler mehr um den Inhalt des Zeugnisses geht als um den Zeugen selbst. Dennoch ist Johannes der Täufer in dieser Szene „Zeuge“ bzw. Zeugnisgeber. Da seine Figur bereits im vorausgehenden Abschnitt umfassend untersucht worden ist, kann hier direkt mit einer Betrachtung der Zeugnisempfänger fortgefahren werden. 3.1.2 Zeugnisempfänger: Priester und Leviten Neben dem im ersten Satz genannten Zeugen für Jesus führt der Erzähler sofort auch die Zeugnisempfänger in die Szene ein, nämlich die „Priester und Leviten“ (ἱερεῖς καὶ Λευίτας). 117 Zwar wird darauf hingewiesen, dass sie von den „Juden aus Jerusalem“ 118 zu Johannes gesandt worden sind, was letztendlich diese zu den eigentlichen Zeugnisempfängern werden lässt, in der Szene selbst sind es jedoch die Priester und Leviten, die als Erste die Aussagen des Johannes hören und zu den unmittelbaren Empfängern seines Zeugnisses werden. Welches Bild die intendierten Rezipienten von den zwei Gruppencharakteren „Priester“ und „Leviten“ haben bzw. welche Vorstellung sie aus der vom Erzähler gewählten Darstellung haben sollen, wird im Folgenden herausgestellt. Aus dem bisherigen Lektüreverlauf erfahren die Leser nichts über die hier angeführten „Priester und Leviten“. Erst in Joh 1,19 führt der Erzähler sie in die Erzählung ein und gibt nur bedingt Aufschluss über die beiden Gruppencha‐ raktere. Den Lesern fällt auf, dass die Priester vor den Leviten genannt werden. Durch diese Reihenfolge der Aufzählung vermittelt der Erzähler eine Rangord‐ nung, wonach die Priester den Leviten übergeordnet sind. Sollten die inten‐ dierten Rezipienten über die Erzählung hinaus Kenntnis des Alten Testaments 106 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) <?page no="108"?> 119 Dieselbe Reihenfolge findet sich fast durchweg auch so bei Josephus (Ant IV, 205.222; VII, 78.363; VIII, 169.228; IX, 4.144−155 usw.). 120 Z.B. als Sänger, Torhüter, Schatzmeister (1Chr 25-26), teilweise auch religiöse Lehrer (Neh 8,7-8). 121 Vgl. Ex 40,12−15; Num 18,1−7. 122 Lev 10,10; 16,1−34; Deut 33,10; Mal 2,7. Sollten die antiken Rezipienten über das Alte Testament hinaus über eine Kenntnis der Schriften des römisch-jüdischen Geschichts‐ schreibers Flavius Josephus verfügen, so finden sie auch dort bestätigt, dass die Priester, über das ganze Land verteilt, eine Aufsichtspflicht hatten und dass der Hohe Priester die Leitung über die anderen Priester hat (Ap II, 165.184−187). 123 Z U M S T E I N 2016, 91. 124 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 58. 125 Vgl. die Untersuchung der narrativen Darstellung der Juden unten „6.2. Zeugnisemp‐ fänger: Die Juden“. 126 Zur detaillierte Untersuchung dieses Gruppencharakters siehe „7.1.2 Zeugnisemp‐ fänger: Die Pharisäer“. besitzen - wovon auszugehen ist -, so finden sie dort bestätigt, dass die gewählte Reihenfolge der Aufzählung in Übereinstimmung mit alttestamentlichen Aus‐ sagen steht. 119 Während die aus dem Stamm Levi (Gen 29,34), nicht jedoch aus dem Geschlecht Aaron stammenden „Leviten“ ( םּיִ ִ ו ְ ל ) lediglich für die Verrich‐ tung geringer kultischer Dienste im Heiligtum bestimmt sind, 120 sind es die aus aaronitischem Geschlecht und dem Stamm Levi stammenden „Priester“ ( םי ִ נ ֲ הֹכּ ), die durch eine Weihe in das Amt des Priesters eingesetzt sind 121 und als Mittler zwischen Gott und den Menschen fungieren. Sie bringen Oper für sich und das Volk dar, leiten Gottesdienste, erfragen den Willen Gottes und sind für die Lehre und Bewahrung des Gesetzes zuständig. 122 Die letztgenannte Aufgabe scheint auch der Grund dafür zu sein, dass die Priester und Leviten zu Johannes gesandt sind. Sie sind „die Experten der rituellen Reinigung“ 123 und dafür verantwortlich, die Einhaltung der Reini‐ gungsvorschriften zu beobachten und einzufordern. „[P]riests and Levites were specialists in ritual purification and thus the ones most capable of dealing with issues arising from the Baptistʼs ministry.“ 124 Dass sie dabei von den „Juden aus Jerusalem“ (Ἰουδαῖοι ἐξ Ἱεροσολύμων) 125 beauftragt und „gesandt“ (ἀποστέλλειν) sind, lässt die Leser erkennen, dass die Priester und Leviten jenen unterstellt sind. Sie sind deren „Laufburschen“, da die „Jerusalemer Juden“ es (noch) nicht für nötig ansehen, selbst zu Johannes zu kommen. Im weiteren Verlauf des Abschnitts präzisiert der Erzähler seine Aussage und zeigt auf, dass die Priester und Leviten nicht generell allen Juden aus Jerusalem unterstellt sind, sondern speziell den „Pharisäern“ (Φαρισαῖοι) 126 , die in Joh 1,24 als eigentliche Sender und Auftraggeber genannt werden und als Autorität hinter „den Juden“ verstanden werden sollen. 3.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 107 <?page no="109"?> 127 Dieselbe Frage findet sich erneut in Joh 8,25; 21,12. B R O W N (2016, 111) bemerkt: „This question of identity is put in various ways to Jesus or to others about Jesus throughout his public ministry (see 5: 12; 9: 13−41; 10: 24; 12: 34)“. 128 M A R T Í N E Z & S C H E F F E L (2016, 54) sprechen bei der Verwendung der direkten Figurenrede vom „dramatischen Modus“. 129 B R O W N 2016, 112. 130 B R O W N 2016, 112. Die erste Handlung, die den Priestern und Leviten in der Begegnung mit Johannes zugeschrieben wird, ist das Stellen der knappen Frage „Wer bist du? “ (σὺ τίς εἶ; Joh 1,19). 127 Durch die hier angeführte direkte Figurenrede dramatisiert der Erzähler die Situation. 128 Zugleich leitet er mit dieser Frage den ersten Teil ( Joh 1,19-24) der Szene ein, in dem die Identität des Täufers in den Vordergrund der Ermittlungen der Gesandtschaft gestellt wird. In einem zweiten Teil ( Joh 1,25-26) rücken dann stärker das Handeln und die Frage nach der Legitimität des Handelns des Täufers in den Fokus der Befragung. In beiden Teilen, bei allen Fragen und dadurch, dass die Priester und Leviten das Gespräch eröffnen, zeigt sich, dass sich die Priester und Leviten in der überlegenen Position sehen, Johannes befragen und überprüfen zu dürfen und zu müssen. Sie sind sich ihrer Sendung und ihrer vermeintlich wichtigen Aufgabe bewusst. Sie verstehen sich als die gesetzestreuen Kontrolleure, die für die Einhaltung der rituellen Ordnungen und Gebote verantwortlich sind, und als solche wollen sie ihren Auftraggebern eine schnelle Antwort liefern. Dementsprechend erweckt die Darstellung der vielen direkt aufeinanderfolgenden Fragen bei den Lesern den Eindruck, als sei den Befragern weniger an ausführlichen Erklärungen und der genauen Identität als vielmehr an einer raschen Erfüllung ihres Auftrags und einer Zufriedenstellung ihrer „Hintermänner“ gelegen. 129 Als ihre erste Fragenkette durch eine zitierte alttestamentliche Aussage vom Täufer beantwortet ist, wird keine Reaktion vonseiten der Priester und Leviten geschildert. „For their part, the priests and Levites give no reaction, a further indication that they are not genuinely interested in Johnʼs identity, but with [sic] an answer that fits within the political categories their ‚senders‘ from Jerusalem expect.“ 130 Die Antwort des Johannes führt die Abgesandten in einem zweiten Teil des Erzählabschnitts zu einer Folgefrage und zur Infragestellung der Legitimität der Tauftätigkeit des Johannes: Wenn du nicht der Christus, nicht Elia und nicht der Prophet bist: Warum also taufst du? (τί οὖν βαπτίζεις; Joh 1,25). Im Zuge der Beantwortung dieser Frage lenkt Johannes das Gespräch abermals auf den Christus (vgl. Joh 1,10) und präsentiert ein erstes Zeugnis über Jesus ( Joh 1,26b-27). Daraufhin beendet der Erzähler die Szene in Joh 1,28 mit einer 108 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) <?page no="110"?> 131 Eine abschließende Ortsangabe ist für den Erzähler nicht ungewöhnlich. Sie findet sich so auch am Ende anderer Szenen vgl. Joh 2,12; 4,54; 6,59; 8,20; 11,54. Auf die Tatsache, dass die hier erwähnte Ortsangabe eine Inclusio mit Joh 10,40−42 bildet, wurde mehrfach hingewiesen (T H Y E N 2015, 116; Z U M S T E I N 2016, 96). 132 Vgl. B R O W N 2016, 115. 133 „Der Name [Bethanien] ist nicht einheitlich überliefert; doch ist ‚Bethanien‘ textkritisch als ursprünglich anzusehen“ (S C H N A C K E N B U R G 1981, 283; vgl. T H Y E N 2014, 116). Auf einen Ort, „jenseits des Jordans“ wird auch später noch zweimal verwiesen ( Joh 3,26; 10,40). abschließenden Nennung des Ortes, an dem sich das Zeugnisgespräch zuträgt, ohne auf die Reaktion der Ermittler einzugehen. 131 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die intendierten Rezipi‐ enten aus dieser Szene nicht viel über die „Priester und Leviten“ erfahren. Ersichtlich ist nur, dass die Priester den Leviten übergeordnet, beide Gruppen‐ charaktere aber den „Jerusalemer Juden“ bzw. den Pharisäern untergeordnet sind, da sie von diesen beauftragt und gesandt worden sind, um Informationen einzuholen und um als Experten der rituellen Reinigung für die Einhaltung derselbigen zu sorgen. Aus der Art und Weise der Darstellung der offiziellen Befragung des Johannes können die Leser rekonstruieren, dass sich die Priester und Leviten Johannes überlegen und übergeordnet sehen. Sie stellen die Fragen, Johannes soll möglichst rasch Antworten liefern. Durch die vielen direkt aufeinanderfolgenden zitierten Fragen erweckt der Erzähler bei den Lesern den Eindruck, als gehe es den Befragern weniger um die wirkliche Identität des Johannes als vielmehr um ein Abhandeln und Abhaken eines Fragenkatalogs, mit dem Ziel, den Auftraggebern schnellstmöglich Ergebnisse der Befragung zu liefern. Alles in allem handelt es sich bei den „Priestern und Leviten“ um Nebenfiguren, die nicht komplex sind, in deren Innenleben der Erzähler keinen Einblick gewährt, die keine Entwicklung zeigen und auch nicht wesentlich zur Entwicklung der Erzählung beitragen. 132 Sie stellen lediglich Gruppencha‐ raktere dar, die zum Auftakt der Erzählung und zur Einführung der zentralen Zeugnisthematik des JohEv in einem ersten erzählten Zeugnisakt zu den ersten Empfängern des Zeugnisses über Jesus werden. Die genauen Umstände des Zeugnisakts sollen im Folgenden jedoch genauer untersucht werden. 3.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Wie bereits erwähnt, nennt der Erzähler erst am Ende der Szene den Ort, an dem sich die Ereignisse abspielen. Die Begegnung zwischen dem Täufer und den „Priestern und Leviten“ findet „in Bethanien, jenseits des Jordans“ (ἐν Βηθανίᾳ […] πέραν τοῦ Ἰορδάνου), statt, an dem Ort, an dem Johannes tauft ( Joh 1,28). 133 3.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 109 <?page no="111"?> 134 So E R N S T 1989, 202; S C H N E I D E R 2011b, 511; K E E N E R 2012, 450; Z U M S T E I N 2016, 96. Zu verschiedenen Erklärungsversuchen vgl. R I E S N E R 2002; S C H N A C K E N B U R G 1981, 283−284. 135 S C H N E L L E 2016, 76. Schnelle vermutet hier einen Ort östlich von Jericho. „Der Name ‚Bootshausen‘ erklärt sich aus dem dortigen Fährbetrieb über den Jordan“. 136 „The narrator assumes that the reader has general knowledge of the geography of the gospel story“ (C U L P E P P E R 1987, 216). Vgl. Z U M S T E I N , 2016, 96. 137 S T U H L M A C H E R 2005, 59. 138 S T U H L M A C H E R 2005, 59. 139 C R O N S H A W (2006, 50) merkt zu dieser Zählung der Tage an: „Johnʼs testimony for Jesus (1: 29−34) forms part of the series of testimonies (1: 19−51), which is seen by some to begin a seven-day-scheme, describing Jesus creating a new community (1: 19−2: 11)“. Eine solche Anspielung auf das siebentägige Werk der Schöpfung der Welt in diesen Versen zu sehen, wird von T H E O B A L D (2009, 144) zurecht abgelehnt. Auch wenn die genaue Lage des Ortes für den heutigen Leser nicht mehr rekon‐ struierbar ist, 134 so zeigt die präzise Ortsangabe doch, dass der Erzähler „an einer historisch-geographischen Verortung […] nachdrücklich interessiert ist“. 135 Er präsentiert einen genau definierten Ort mit der Überzeugung, dass dieser den intendierten antiken Rezipienten bekannt ist und von ihnen identifiziert werden kann. 136 Dabei ist zu erwarten, dass dieser Ort in der Wüste liegt, denn nur so ist die Aussage des Täufers, dass er die „Stimme eines Rufenden in der Wüste“ (ἐγὼ φωνὴ βοῶντος ἐν τῇ ἐρήμῳ; Joh 1,23) sei, schlüssig und überzeugend. Die Wüste ist nach alttestamentlich-jüdischer Anschauung der Ort des neuen Exodus und der Stiftung neuer endzeitlicher Gottesgemeinschaft (vgl. Hos 2,16ff.; Jes 40,3-5; Bar 5,7-9; 1QS 8,13; 9,19f.). Der Jordan ist die traditionelle Grenze zum Hl. Land (vgl. Jos 3). Hier hatte Elia das Schilfmeerwunder wiederholt (vgl. 2Kön 2,8 mit Ex 14,16.22; Jos 3,16), und er war gekleidet gewesen wie der Täufer (vgl. 2Kön 1,8). 137 Von diesen Beobachtungen ausgehend lässt sich auch verstehen, warum die Priester und Leviten fragen, ob Johannes der Elia sei ( Joh 1,21). Vom Ort seines Auftretens bis hin zur Art und Weise, wie er auftritt, liegt nahe, „Johannes mit dem wiederkehrenden Elia zu verbinden“. 138 Wann sich der Zeugnisakt an diesem genannten Ort abspielt, lässt sich der Erzählung nicht entnehmen. Die Szene beginnt und endet ohne jegliche Zeitangabe. Erst in den beiden darauffolgenden Szenen findet sich jeweils am Anfang der Hinweis „am nächsten Tag“ (τῇ ἐπαύριον; Joh 1,29.35). Daraus ergibt sich, dass die hier untersuchte Szene ( Joh 1,19-28) den ersten Tag einer zeitlich unmittelbar aufeinanderfolgenden Abfolge von Tagen und Ereignissen darstellt. 139 Darüber hinaus lässt sich nichts über einen genauen Zeitpunkt sagen. Wendet man sich über die Orts- und Zeitangaben hinaus der Untersuchung weiterer Gegebenheiten des erzählten Gesprächs bzw. des Zeugnisakts zu, so 110 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) <?page no="112"?> 140 Berücksichtigt man hier die synoptische Darstellung des in Kamelhaar gekleideten Täufers (Mt 3,4; Mk 1,6), dann verstärkt dies die Vorstellung von einem asymmetrischen Verhältnis und der Unterlegenheit des Täufers. lässt sich bezüglich der Gesprächsgattung erkennen, dass aus Sicht der Priester und Leviten ein natürlich-arrangiertes Gespräch vorliegt. Sie sind von Jerusalem ausgesandt, um das Gespräch mit Johannes dem Täufer zu suchen und zu führen. Erzählt wird, wie sie zielstrebig an ihn herantreten, das Gespräch eröffnen und Johannes direkt mit ihren Fragen konfrontieren. Für Johannes hingegen ist das Gespräch natürlich-spontan, weil es sich für ihn unerwartet ereignet. Daraus ergibt sich die Annahme, dass, wenn man nach dem Grad der Vorbereitetheit der Gesprächspartner fragt, die eine Gesprächspartei, nämlich die Priester und Leviten, auf das Gespräch speziell vorbereitet ist, während Johannes als nicht vorbereitet angesehen werden muss. Was die Konstellation der Gesprächspartner betrifft, handelt es sich bei diesem Zeugnisakt um ein Gruppengespräch in einer Kleingruppe. Eine nicht näher genannte Anzahl von Priestern und Leviten trifft auf Johannes. Es kommt vom Grad der Öffent‐ lichkeit her zu einem öffentlichen Gespräch zwischen zwei sich unbekannten Gesprächsparteien (Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner). In Bezug auf das soziale Verhältnis der Gesprächspartner liegt im vorliegenden Zeugnisakt eine soziokulturell bedingte Asymmetrie vor, die von einem ungleichen institutio‐ nellen und gesellschaftlichen Machtverhältnis herrührt. Dem Anschein nach sind die Priester und Leviten dem Täufer überlegen, weil sie als Abgesandte der Jerusalemer Pharisäer und aufgrund ihrer Ämter und Positionen als Priester und Leviten mehr Ansehen und Autorität haben als der Täufer. Er hingegen ist es, der Rede und Antwort stehen muss. Er ist lediglich die einsame Stimme eines Rufenden in der Wüste, der nichts aufzuweisen hat, was dazu veran‐ lassen könnte, ihn mit seinen Gesprächspartnern auf eine Stufe zu stellen. 140 Bei genauerem Hinsehen und unter Berücksichtigung der vorausgehenden Darstellung des Johannes im Prolog ist jedoch ersichtlich, dass das Verhältnis gerade umgekehrt verstanden werden muss. Der Täufer ist derjenige, der von weitaus höherer Instanz abgesandt ist und das Amt und die Autorität des im Alten Testament angekündigten von Gott gesandten Herolds innehat. Seine Antworten sind zugleich die Erfüllung seines Auftrags, nämlich für Christus Zeugnis abzulegen. Das Verhältnis ist also durchaus asymmetrisch - wohl aber aufgrund der höheren und überragenden Stellung des Täufers, die ihm aufgrund seiner Sendung von Gott und seiner (Er-)Kenntnis über Jesus zukommt. 3.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 111 <?page no="113"?> 141 Zählt man die Worte der zitierten Reden, dann umfasst die Rede der Priester und Leviten 38, die des Täufers 50 Worte. 142 W I L L I A M S 2016, 52. 143 W I L L I A M S 2016, 52. 144 B R O W N 2016, 111. Im Gespräch selbst ist zu erkennen, dass der Redeanteil der beiden Par‐ teien recht ausgeglichen ist. 141 Zwar eröffnen die Priester und Leviten das Gespräch mit einer ersten Frage, doch nach einem Frage-Antwort-Gespräch ist es Johannes, der das Gespräch beendet und somit das letzte Wort hat. In den Teilen des Gesprächs, in denen Johannes antwortend zu Wort kommt, identifiziert er sich mit dem prophetisch angekündigten Vorläufer und Herold des kommenden Herrn. Folgendes fällt auf: „He [ John] is the only figure in the Forth Gospel to appropriate and actualize the words of Scripture for the purpose of self-description“. 142 Dies verleiht ihm als Zeuge und seinem Zeugnis Gewicht. „Johnʼs testimony is joined to Isaiahʼs testimony to give it validity and authority. With Isaiah as co-witness […] Johnʼs testimony accords with the Jewish legal requirement for at least two witnesses (Num 35: 30; Deut 17: 6; 19: 15).“ 143 Was Johannes bezeugt, ist - auch wenn es zunächst einem Selbstzeugnis gleicht - speziell themafixiert, und zwar auf Christus hin (Themafixiertheit des Gesprächs). Obwohl in der ersten Frage der Priester und Leviten nicht nach dem Christus gefragt wird, bringt Johannes diesen gleich mit seiner ersten Antwort ins Gespräch und deutet auf ihn hin: „Ich bin nicht der Christus“ ( Joh 1,19). „John chooses to turn the dialog to the question of Christology.“ 144 Ein ähnliches Vorgehen zeigt sich auch am Ende der Investigation, wo der Täufer das Gespräch erneut auf den Christus lenkt. Er richtet das Augenmerk von sich weg auf einen „Kommenden“ (ἐρχόμενος), dessen genaue Identität er jedoch nicht enthüllt. Johannes bezeugt: „Ich taufe mit Wasser; mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt, der nach mir Kommende, dessen ich nicht würdig bin, ihm den Riemen seiner Sandale zu lösen“ ( Joh 1,26b-27). Aus dem bisherigen Lektüreprozess ist den Lesern ersichtlich, dass es sich bei dem hier genannten Kommenden um Jesus handeln muss. In seinem auf Christus fixierten Zeugnis bezeugt Johannes, dass der, der kommen soll, bereits da ist. Das Licht der Welt scheint in der Finsternis, aber die Finsternis hat das Licht nicht ergriffen. Der Logos ist bereits in sein Eigentum gekommen, aber die Gesandtschaft aus Jerusalem und viele andere kennen ihn nicht. Einmal mehr impliziert die Erzählung an dieser Stelle die Tatsache, dass das Licht bzw. Jesus von Menschen nicht ohne Weiteres erkannt werden kann. 112 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) <?page no="114"?> 145 Z U M S T E I N 2016, 95. 146 S C H E N K E 2014, 35. Der Mensch kann den Offenbarer nicht erkennen, weil dies bedeuten würde, dass die Offenbarung in menschlichen Kriterien fassbar wäre. Der Täufer kennt zwar die wirkliche Identität Jesu, aber nur dank einer göttlichen Gabe (V.33). Die Jerusalemer Autoritäten dagegen können Jesus nicht erkennen (οὐκ οἴδατε), da sie sich gegen das Handeln Gottes sträuben. 145 Neben der Unkenntnis der Zeugnisempfänger bringt der Erzähler in der zitierten Figurenrede des Täufers zugleich auch dessen Einstellung zum Ausdruck, die er als wahrer Zeuge Jesu durch die Erkenntnis Jesu gewonnen hat: Der Täufer weiß nicht nur um die Gegenwart des Kommenden, sondern ebenso um seine eigene untergeordnete Stellung. Durch das einfache Bild vom Lösen der Schuhriemen bezeugt Johannes demütig und ehrfürchtig die überragende Erhabenheit und Würde des kommenden Christus und seine eigene Unwürdigkeit, ihm auch nur die Riemen der Schuhe zu lösen. „Die Leser wissen gemeinsam mit dem Täufer, warum das so ist: Der Kommende ist ja der Mensch gewordene göttliche Logos (1,1f.14.18), das wahre Licht (1,9), vor dem kein Mensch eine eigene Würde hat“. 146 Dass der Inhalt dessen, was Johannes in diesem Abschnitt von Jesus bezeugt, zutreffend und richtig ist, wird später in Joh 5,33 von Jesus selbst bestätigt. Aus der Aussage „Ihr habt zu Johannes geschickt […]“ (ὑμεῖς ἀπεστάλκατε πρὸς Ἰωάννην; Joh 5,33) geht hervor, dass Jesus auf die Situation in Joh 1,19-28 zurückverweist. Dabei bestätigt Jesus, dass Johannes „die Wahrheit bezeugt hat“ (μεμαρτύρηκεν τῇ ἀληθεία). Jesus ist der Christus, der kommen soll und jetzt schon gegenwärtig mitten unter ihnen ist. Fragt man am Ende der Betrachtung des Zeugnisakts nach der Handlungsdi‐ mension und dem Grund und Ziel des Zeugnisses, dann lässt sich erkennen, dass das Gespräch vorrangig diskursiv ist, weil darin die Identität und Tätigkeit des Täufers problematisiert werden. Daneben lässt sich aber bedingt auch eine direktive Handlungsdimension erkennen. Das Gespräch soll gewisse Hand‐ lungen bewirken und vorbereiten. Die Priester und Leviten sollen nicht nur die Identität des Johannes erkennen und sein Handeln für angemessen und richtig erachten, sondern vor allem sollen sie durch das Zeugnis des Täufers auf den gegenwärtigen Christus hingewiesen werden. Johannes bezeugt: Er, der Christus, „steht mitten unter euch“ (μέσος ὑμῶν ἕστηκεν; Joh 1,26). Ziel dieses Zeugnisses ist es, die Zeugnisempfänger herauszufordern und anzuspornen, die Richtigkeit dieser Aussage zu überprüfen, den Kommenden zu suchen und dem gegenwärtigen Christus zu begegnen. Der Grund, warum Johannes dies bezeugt, 3.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 113 <?page no="115"?> findet sich in seiner Sendung und Beauftragung von Gott verankert: Johannes ist genau dazu gekommen, nämlich zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen. 3.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Nach einer abschließend angeführten Ortsangabe endet die Szene in Joh 1,18 abrupt. Ebenso wenig wie in der ersten gibt der Erzähler in dieser zweiten Zeugnisszene Auskunft über die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Johannes. Auch im weiteren Verlauf der Erzählung erfahren die Leser nichts über die Nachwirkungen des Zeugnisses auf die Zeugnisempfänger, da diese an keiner weiteren Stelle im JohEv erwähnt werden. 3.4 Zusammenfassung und Beurteilung Die zweite Zeugnisszene folgt unmittelbar auf die erste. In beiden Szenen wird Johannes der Täufer als Zeuge abgebildet. Während in der ersten Szene über die genauen Zeugnisempfänger nur spekuliert werden kann, sind es in der zweiten Szene die „Priester und Leviten“, die zu den Empfängern des Zeugnisses des Täufers werden. Sie sind von Jerusalem abgesandt, um die Identität und die Tätigkeit des Johannes zu observieren und zu hinterfragen. Aufgrund ihrer Beauftragung durch die führende religiöse Elite Jerusalems, ihres Amts, für die Einhaltung der rituellen Ordnungen zu sorgen, und um der vielen Fragen wegen könnte ihr Auftreten auf die Leser bedrohlich wirken. Die Priester und Leviten scheinen dem schlicht dargestellten Täufer übergeordnet und überlegen zu sein. Aus den vorausgehenden Erzählabschnitten ist den Lesern jedoch bewusst, dass dem nicht so ist. Johannes ist der von Gott gesandte und autorisierte Wegbereiter des Herrn. Er ist beauftragt, Zeugnis für das Licht abzulegen. Obwohl die Priester und Leviten überlegen scheinen, das Gespräch eröffnen und es auf die Person und das Wirken des Täufers auszurichten versuchen, ist es doch letztlich der Täufer, der das Gespräch lenkt - von sich weg auf Christus -, die Unwissenheit der Investigatoren aufdeckt und schließlich in der Auseinandersetzung das letzte Wort hat. Dass sich der Erzähler weder in dieser noch in der vorausgehenden Szene über die Auswirkungen des Zeugnisses auf die Zeugnisempfänger äußert, führt auch hier wieder zu der Annahme, dass ihm zu Beginn seiner Erzählung weniger an der Darstellung der genauen Umstände, Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses gelegen ist als vielmehr an einer schrittweisen Einführung der 114 3 Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer ( Joh 1,19-28) <?page no="116"?> zentralen Zeugnisthematik, der Zeugen und vor allem ihres Zeugnisses für Jesus. Erst in späteren Zeugnisszenen geht der Erzähler gelegentlich auf die Folgen und Auswirkungen der Zeugnisse ein. Wo er dies aber nicht tut, lässt er die Leser mit ihren offenen Fragen über die Entwicklung und den Verbleib der Zeugnisempfänger zurück und stellt sie damit vor die Überlegung, wie überzeugend das dargelegte Zeugnis für sie selbst ist und welche Folgen und Auswirkungen es auf ihr Leben hat. Ersichtlich ist, dass das abgelegte Zeugnis eine Reaktion fordert - es will die Annahme des Zeugnisses bewirken und den Glauben an Jesus wecken. 3.4 Zusammenfassung und Beurteilung 115 <?page no="118"?> 147 T H Y E N 2015, 116. 4 Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) Mit Joh 1,29 beginnt die dritte und letzte Szene, in der Johannes in Verbin‐ dung mit dem Verb „bezeugen“ (μαρτυρεῖν) oder dem Substantiv „Zeugnis“ (μαρτυρίαν) als Zeuge für Jesus in der Erzählung genannt wird. Zwar lassen sich auch in der darauffolgenden Szene ( Joh 1,35-42) Aussagen des Täufers über Jesus finden, diese werden aber nicht explizit durch den Gebrauch der Lexeme μαρτυρεῖν oder μαρτυρίαν als Zeugnis ausgezeichnet und bleiben deshalb in der vorliegenden Arbeit unberücksichtigt. Die dritte Zeugnisszene ( Joh 1,29-34) wird mit den Worten „am folgenden Tag“ (τῇ ἐπαύριον; Joh 1,29) eröffnet. Damit knüpft sie direkt an die voraus‐ gehende Szene an. Nachdem Johannes am Tag zuvor den von Jerusalem her abgesandten Priestern und Leviten Rede und Antwort gestanden und sie durch sein Zeugnis auf Christus hingewiesen hat, folgen in dieser Szene die erste erzählte Begegnung des Täufers mit Jesus und ein weiteres Zeugnis des Täufers für Jesus. Der Großteil der Szene besteht dabei aus einer zitierten Figurenrede und dem darin enthaltenen Zeugnis für Jesus. 4.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Wendet man sich dem in dieser Szene dargestellten Zeugnisakt zu, ist sofort ersichtlich, wer der Zeuge ist: Es ist erneut Johannes der Täufer. Die Zeugnis‐ empfänger lassen sich hingegen nicht identifizieren. 4.1.1 Zeugnisgeber: Johannes der Täufer Dass Johannes der Täufer in dieser Szene der Zeuge für Jesus ist, ist für die Leser aus mehreren Gründen ersichtlich. In Vers 29 wird gesagt, dass „er“, Johannes, Jesus auf sich zukommen sieht. „Die Szene ist mit der vorausgehenden so eng verbunden, daß der Name des Protagonisten nicht mehr neu genannt wird, son‐ dern nur durch die Verbform und pronominal durch αὐτόν wiederaufgenommen wird.“ 147 In Vers 32 führt der Erzähler die Aussagen des Täufers mit den Verba <?page no="119"?> 148 Auch S C H N E L L E (2016, 76) geht davon aus, dass „die Gesandten aus Jerusalem […] verschwunden [sind]“. Ebenso B E U T L E R 2016, 104; S C H N A C K E N B U R G 1981, 284; T H Y E N 2015, 116 ; Z U M S T E I N 2016, 97. 149 Vgl. D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 54. 150 Hierfür plädiert beispielsweise B E U T L E R (2016, 104). 151 T H Y E N (2015, 116) geht hingegen davon aus, dass der „Monolog des Täufers […] sich unmittelbar an den Leser (bzw. in der Nomenklatur des Dramas gesagt: an das Publikum) zu richten scheint“. Dicendi ein: „[U]nd Johannes bezeugte und sprach […]“ (καὶ ἐμαρτύρησεν Ἰωάννης λέγων). Am Ende der zitierten Figurenrede lässt der Erzähler Johannes selbst darauf verweisen, dass die von ihm getroffenen Aussagen als Zeugnis verstanden werden sollen: „Und ich habe gesehen und habe bezeugt […]“ (κἀγὼ ἑώρακα καὶ μεμαρτύρηκα; Joh 1,34). Ohne Zweifel ist Johannes der Täufer in dieser Szene der Zeuge für Jesus. Da bereits in der ersten Zeugnisszene eine Untersuchung der Figurencharakterisierung des Täufers vorgenommen worden ist, kann an dieser Stelle direkt mit der Betrachtung der Zeugnisempfänger fortgefahren werden. 4.1.2 Zeugnisempfänger: ein unbestimmter Gruppencharakter Die Zeugnisszene beginnt nach einer Zeitangabe direkt mit der Erklärung, dass Johannes Jesus zu sich kommen sieht und daraufhin anfängt zu reden. Dass Johannes Jesus aber nicht in der zweiten Person anspricht, sondern über ihn spricht und dabei dreimal das Demonstrativpronomen „dieser“ (οὗτός; Joh 1,30.33.34) verwendet, zeigt, dass Johannes an dieser Stelle zu anderen über Jesus spricht. Wer diese Zeugnisempfänger sind, lässt sich der Erzählung nicht entnehmen. Es könnten die Priester und Leviten der vorausgehenden Szene sein, wobei es aber eher unwahrscheinlich ist, dass sie am folgenden Tag nochmals zu Johannes kommen. 148 Es könnten die Jünger des Johannes sein, die in der darauffolgenden Szene erwähnt werden. Die Aussage „am folgenden Tag stand Johannes wieder da und zwei von seinen Jüngern“ in Joh 1,35 lässt jedoch darauf schließen, dass, während Johannes „wieder“ (πάλιν) dasteht, die Jünger zum ersten Mal mit dabei sind 149 und daher in der Zeugnisszene in Joh 1,29-34 nicht erwähnt werden. Es könnte aber auch das Volk 150 sein, das bislang noch nicht erwähnt worden ist. 151 Da sich aus den Aussagen der Szene keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen lassen, muss offengelassen werden, wer die eigentlichen Zeugnisempfänger sind. Diese Feststellung legt erneut die Vermutung nahe, dass es dem Erzähler in den ersten Szenen und im Auftakt seiner Erzählung weniger um die erzählten Zeugnisempfänger und deren Reaktion auf das Zeugnis geht als vielmehr um das 118 4 Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) <?page no="120"?> 152 S C H E N K E 2014, 36. 153 Vgl. S C H E N K E 2014, 36. 154 Vgl. die Ausführungen dazu weiter oben. 155 Ähnlich argumentiert S C H N A C K E N B U R G (1981, 284.): „Auf die historischen Umstände kommt es ihm [dem Erzähler] […] nicht an, sondern auf die Abgrenzung der Szene von der vorigen und zugleich auf die Fortführung des Täuferzeugnisses“. Zeugnis selbst. Dazu kommt, dass „[d]ie Art der Darstellung des […] [Erzählers], an dieser Stelle keine Hörer des Johannes zu nennen, […] [dazu führt], dass sich die Leser […] von dessen Zeugnis unmittelbar angesprochen fühlen“. 152 Jesus als der Christus und das Zeugnis über ihn werden in den Mittelpunkt der Darstellung gerückt. Wie und unter welchen Umständen dies geschieht, kann der Szene entnommen werden und wird im Folgenden herausgestellt. 4.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Da die vorausgehende Szene mit einer klaren Ortsangabe schließt (vgl. Joh 1,28), sollen die Leser offenbar davon ausgehen, dass sich auch die vorliegende Szene „in Bethanien, jenseits des Jordans“, abspielt. 153 Wie oben erörtert, lässt sich die genaue Lage dieses Ortes vom heutigen Leser nicht mehr rekonstruieren. Den intendierten antiken Rezipienten hingegen dürfte dieser Ort in der Wüste bekannt sein, sodass sie eine Vorstellung von selbigem haben und überdies um die symbolische Bedeutung dieses Ortes in der Wüste wissen. 154 Im Gegensatz zu den beiden vorausgehenden Abschnitten wird vom Erzähler hier nur erwähnt, wann sich die Ereignisse abspielen, nämlich „am nächsten Tag“ (τῇ ἐπαύριον; Joh 1,29). In Verbindung mit den vorausgehenden Erzählab‐ schnitten bedeutet dies, dass sich die Szene am zweiten erzählten Tag zuträgt. Wann dieser zweite Tag genau ist, lässt sich aber nicht festlegen. An der Unschärfe der Erzählung zeigt sich einmal mehr, dass es dem Erzähler nicht so sehr auf eine exakte Darstellung der Umstände und Gegebenheiten ankommt, sondern vielmehr auf die Präsentation eines weiteren Zeugnisses für Jesus. 155 Neben den vagen Orts- und Zeitangaben und ohne näher auf die Zeugnis‐ empfänger einzugehen, stellt der Erzähler im vorliegenden Abschnitt dar, wie das Zeugnis übermittelt wird und was bezeugt wird. Alles beginnt damit, dass der Erzähler die Rede des Täufers mit den folgenden Worten einleitet: „Am folgenden Tag sieht er Jesus zu sich kommen und spricht: […]“ ( Joh 1,29). Durch den Gebrauch des Verbs „sagen, sprechen“ (λέγειν) wird deutlich, dass es sich bei diesem Zeugnis um einen akustisch wahrnehmbaren Verbalakt handelt. Johannes sieht Jesus zu sich kommen, er eröffnet den „Zeugnisakt“ und 4.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 119 <?page no="121"?> 156 Diese im ersten Teil befindlichen Aussagen über Jesus berücksichtigt beispielsweise C R O N S H A W (2006, 52−55). Er bezeichnet sie als „Johnʼs Testimony about Jesus“ und untersucht das darin enthaltene zentrale „Zeugnis“, in dem Jesus als das „Lamm Gottes“ und als der „Präexistente Eine“ bezeugt wird. spricht - nicht in einem Selbstgespräch zu sich selbst, sondern vor und zu einer anwesenden Klein- oder Großgruppe. Die intendierten Rezipienten können sich ausmalen, wie es zu diesem natürlich-spontanen, nicht vorbereiteten „Zeugnis‐ gespräch“ kommt, als Johannes Jesus sieht. Die Zuhörer sind gekommen, um Johannes zu hören. Weil sich Jesus aber plötzlich und scheinbar unerwartet nähert, legt Johannes unvermittelt und unvorbereitet Zeugnis über ihn ab. Bezüglich des Bekanntheitsgrads der Gesprächspartner lässt sich vermuten, dass sich die Gesprächspartner unbekannt oder nur flüchtig bekannt sind. Die Berichte über Johannes und seine Tätigkeit sind bis nach Jerusalem gelangt, woraufhin interessierte und neugierige Hörer zu ihm gekommen sind und sich um ihn sammeln, ihn aber größtenteils wohl nicht kennen. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner wird als asymmetrisch empfunden. Johannes ist seinen Zuhörern in Bezug auf sein Wissen über Jesus „bildungsmäßig“ überlegen. Er ist es, der das Gespräch eröffnet und dominiert, sodass die Zuhörer nicht zu Wort kommen. Und Johannes ist es, der andere über Jesu Identität aufklärt und belehrt. Das geweckte Empfinden, dass hier ein asymmetrisches Verhältnis vorliegt, wird durch die darauffolgende Szene verstärkt. Dort wird vom Erzähler ergänzend angeführt, dass Johannes Jünger hat und er als Rabbi angesprochen wird, was eine sozial und kulturell bedingte Asymmetrie zwischen Johannes und den anwesenden Hörern unterstreicht. Das eigentliche asymmetrische Verhältnis zwischen dem Täufer und den Hörern rührt aber auch hier im Gespräch wieder daher, dass er als gottgesandter und von Gott beauftragter Zeuge für Jesus auftritt und seinen Hörern aufgrund dessen und aufgrund seiner Kenntnis Jesu wissensmäßig überlegen ist. Wendet man sich dem Inhalt der Aussagen des Täufers zu, dann fällt auf, dass der erste Teil des Monologs ( Joh 1,29-31) vom Erzähler nicht ausdrücklich als Zeugnis bezeichnet wird. Erst die zitierte Rede im zweiten Teil der Szene ( Joh 1,32-34) wird mit den folgenden Worten eröffnet: „Und Johannes zeugte und sprach: […]“ ( Joh 1,32). Aufgrund des erst hier vom Erzähler verwendeten Begriffs „bezeugen“ (μαρτυρεῖν) und der dadurch vorgenommenen Unterschei‐ dung vom vorausgehenden ersten Teil liegt es nahe, konsequenterweise nur den zweiten Teil der Aussagen als Zeugnis für Jesus anzusehen und zu untersuchen, auch wenn sich bereits im ersten Teil bedeutende Aussagen über Jesus finden. 156 Das eigentliche Zeugnis beginnt in Joh 1,32 damit, dass Johannes Gründe anführt, warum er als glaubwürdiger Zeuge Jesu anzusehen ist und was bzw. 120 4 Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) <?page no="122"?> 157 S C H N A C K E N B U R G 1981, 304. 158 „The Fourth Gospel often speaks of Godʼs Spirit, but two of the three uses of the particular title ‚Holy Spirit‘ frame the Gospelʼs pneumatology (1: 33; 20: 22) […]“ (K E E N E R 2012, 461). 159 Bezogen auf den Messias heißt es beispielsweise in 1Hen 49,3: „Und in ihm wohnt der Geist der Weisheit, und der Geist, der Einsicht verleiht, der Geist der Lehre und Kraft, und der Geist derer, die in Gerechtigkeit entschlafen sind“. Vgl. PsSal 17,37: „Und in seinen Tagen wird er nicht schwach werden gegen seinen Gott, denn Gott macht ihn stark durch seinen heiligen Geist und weise im Rat seines Verstandes mit Stärke und Gerechtigkeit“; vgl. TestLevi 18,2−14; TestJud 24,2−3 (K Ö S T E N B E R G E R 2005, 70). Ausführlich hat sich B Ü H N E R (2020) in seiner Dissertation mit der Messiaserwarung und -vorstellung befasst. 160 S C H N A C K E N B U R G 1981, 303. Diese Verbindung zieht auch Z U M S T E I N (2016, 101) in Er‐ wägung: „Möglicherweise beabsichtigt der Erzähler einen mit dem Zitat in V. 23 angebahnten intertextuellen Bezug zu Jes. Das Motiv des auf dem Gesalbten und dem Knecht Yahwes ruhenden Geistes erinnert an Jes 11,2 LXX […] oder 42,1 […] oder auch 61,1 LXX […]“. Vgl. K Ö S T E N B E R G E R 2005, 69−70. 161 Z U M S T E I N 2016, 102. 162 S C H N E L L E 2016, 78. wer seine Zeugentätigkeit legitimiert: „Gott selbst steht […] in doppelter Weise hinter seinem Zeugnis: Er autorisiert sein Zeugenamt, und er verbürgt den Inhalt des Zeugnisses.“ 157 In einer figuralen Darstellung der erlebten Ereignisse über das Kommen des Geistes auf Jesus findet sich zugleich folgendes Zeugnis über Jesus: Als Augenzeuge bezeugt Johannes, dass der Geist Gottes auf Jesus herabgefahren ist und seither bleibend auf ihm ruht. Wann Johannes diese Schau hatte, wird in der Erzählung nicht gesagt. Von Gott selbst ist dem Täufer aber bestätigt - so lässt der Erzähler ihn weiter bezeugen -, dass derjenige, auf den der Geist herabfährt und auf welchem er bleibt, der ist, der mit dem Heiligen Geist taufen wird. 158 Aus diesen Aussagen des Täufers und in Verbindung mit einer vom Erzähler vermutlich vorausgesetzten Kenntnis alttestamentlicher Prophezeiungen und/ oder anderer Schriften 159 ist den primären Zeugnisempfängern und intendierten Rezipienten ersichtlich, was hier impliziert vom Täufer über Jesus bezeugt wird: Jesus ist der angekündigte und erwartete Messias, denn „[d]er volle und ständige Geistbesitz ist das auszeichnende Charakteristikum des Messias (vgl. Is 9,2; 61,1)“. 160 Ebenso ist die Aussage, dass Jesus mit dem Heiligen Geist taufen wird, „Zeichen für das Anbrechen der messianischen Zeiten ( Jes 32,15-18; 44,3-5; 1QS IV 20-21)“. 161 Darüber hinaus deutet das bezeugte Bleiben des Geistes auf Jesus darauf hin, dass hier eine anhaltende Verbindung mit dem Geist vorliegt. „Weil der Geist Gottes bleibend auf Jesus ruht, zu einem Attribut seiner Person wird, kann das gesamte Auftreten Jesu, seine Taten und Reden, als ein Geschehen in der Kraft des Geistes verstanden werden.“ 162 4.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 121 <?page no="123"?> 163 Vgl. die ausführlich Untersuchung zur Bedeutung des Begriffs und Bildes „Lamm Gottes“ bei Z I M M E R M A N N (2004, 107−117). Fasst man die in diesem Monolog getroffenen Aussagen zusammen, so lässt sich Folgendes festhalten: Das dargestellte Zeugnis des Täufers zielt darauf ab, Jesus nicht nur als das Lamm Gottes 163 , das die Sünde der Welt trägt ( Joh 1,29), und als den Präexistenten zu präsentieren, sondern ihn bewusst auch als den erwarteten Messias zu bezeugen, der mit dem Heiligen Geist taufen wird. Das Zeugnis ist ganz auf die Vorgeschichte, den Geistempfang und die dadurch offenbarte christologische Identität Jesu ausgerichtet. Erneut zeigt sich in diesem Zeugnis eine spezielle Themafixiertheit, denn das Gesagte richtet sich ganz auf Jesus: Er ist der von Gott gesandte, Geist tragende und mit dem Geist taufende Christus, der zugleich auch, so bezeugt der Täufer abschließend, „der Sohn Gottes“ ist (vgl. οὗτός ἐστιν ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ; Joh 1,34). Mit dieser letzten Aussage über Jesus erreicht das Zeugnis des Täufers seinen Höhepunkt. Die Beweisführung und Schlussfolgerung über die Messianität Jesu münden in die Bezeugung der Gottessohnschaft Jesu. In Bezug auf die erzählte Zeit stellt sich die Frage, warum und wozu der Täufer hier nun vor den nicht näher beschriebenen Zeugnisempfängern ein so ausge‐ prägtes Zeugnis über Jesus ablegt. Am Tag zuvor war sein Zeugnis noch blass und unscharf. Hier nun gipfelt es in den höchstmöglichen Aussagen über die Identität Jesu. Grund dafür könnte der in der Erzählung zwar angedeutete, vom Erzähler aber nicht näher erläuterte Geistempfang Jesu sein. Die intendierten Rezipienten können aus den Andeutungen in der Erzählung vermuten, dass dieser Geistempfang sich irgendwann vor diesem Zeugnisakt zugetragen haben muss und dass er vom Täufer gesehen und miterlebt worden ist, sodass er nun plötzlich aus Sicht eines überwältigten Augenzeugen sprechen kann. Das angedeutete Schauen und Erleben dieses Ereignisses wird wohl beim Täufer zur Beseitigung der zuvor besessenen und bezeugten Unkenntnis über Jesus geführt haben. Auf dem Hintergrund des Offenbarungserlebnisses und getrieben vom eigenen Sendungsbewusstsein (vgl. Joh 1,33b) sieht sich Johannes nun in der spontanen Begegnung mit Jesus veranlasst, Zeugnis für Jesus und über dessen wahre Identität abzulegen. Obgleich in dieser Szene die Handlungsdimension und das Ziel des Zeugnisses nicht explizit genannt werden, erkennen die Leser doch das Anliegen des Täufers, Jesus so darzustellen und zu bezeugen, wie er ihn selbst in seiner außergewöhnlichen Schau gesehen und erkannt hat. Durch ein solches Zeugnis sollen auch die Unkenntnis, Unwissenheit und der Unglaube der Zeugnisempfänger überwunden und in einen Glauben an Jesus als den Christus und Sohn Gottes verwandelt werden. 122 4 Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) <?page no="124"?> 164 Abgesehen von Joh 5, wo Jesus rückblickend noch einmal auf das Zeugnis des Täufers verweist, wo der Täufer selbst aber nicht mehr als Zeuge auftritt. 4.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Wie die vorausgehende Szene endet auch diese Zeugnisszene, ohne dass der Erzähler auf die Reaktion der Zeugnisempfänger eingeht. Das Bekenntnis „dieser ist der Sohn Gottes“ beschließt die Szene und bleibt offen im Raum stehen. Ob die nicht näher bestimmten Zeugnisempfänger das Zeugnis des Johannes annehmen und glauben, ob sich ein Stück weit mehr erfüllt, dass „alle durch ihn glauben“ ( Joh 1,7), oder ob das Zeugnis abgelehnt und verworfen wird, wird an dieser Stelle nicht erzählt. 4.4 Zusammenfassung und Beurteilung Die dritte und letzte Szene, in der Johannes in Verbindung mit den Lexemen μαρτυρεῖν und μαρτυρίαν als Zeuge für Jesus ausgezeichnet wird, 164 erweitert das Zeugnis über Jesus enorm. Während Johannes in den ersten Szenen Jesus als „wahres Licht, das alle Menschen erleuchtet“, bezeugt und ihn als den jetzt Gegenwärtigen, aber doch Unbekannten vorstellt, folgt nun das Zeugnis über Jesus als denjenigen, auf den der Geist Gottes gekommen ist und auf welchem der Geist bleibend ruht. In Verbindung mit einer vom Erzähler bei den Zeugnisempfängern und intendierten Rezipienten vorausgesetzten Kenntnis alttestamentlicher Messiasprophetien wird Jesus dadurch als der verheißene Messias, der Christus Gottes bezeugt. Darüber hinaus gipfelt das Zeugnis des Johannes in dieser Zeugnisszene in der unübertrefflichen Aussage, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Das Zeugnis des Täufers hat hierin seinen Höhepunkt erreicht. Der Erzähler kann seinen ersten menschlichen Zeugen nun nach und nach aus der Erzählung verschwinden lassen, um weitere Zeugen anzuführen. Während er dies im weiteren Verlauf der Erzählung tut, ist für die Leser dennoch ersichtlich, dass, obwohl der erste Zeuge die Bühne verlässt, sein Zeugnis doch ein bleibendes Zeugnis darstellt. Was zudem in dieser Szene auffällt, ist die Tatsache, dass auch hier wieder kein klares Bild der Zeugnisempfänger oder der genauen Umstände des Zeug‐ nisgebens gezeichnet wird. Es erhärtet sich der oben gewonnene Eindruck, dass es dem Erzähler zum Auftakt seiner Erzählung mehr um die Darlegung und Entfaltung des Zeugnisses für Jesus als um die erzählten Zeugnisempfänger oder deren Reaktion auf den Zeugnisinhalt geht. Die Szene endet, ohne dass der 4.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses 123 <?page no="125"?> Erzähler erneut auf die Zeugnisempfänger und die Folgen des Zeugnisses ein‐ geht, mit dem Zeugnis für Jesus als den Sohn Gottes, wodurch die Leser vor die Herausforderung gestellt werden, unabhängig von der Reaktion der erzählten Zeugnisempfänger diese letzte, unkommentiert angeführte Zeugenaussage für sich gläubig anzunehmen oder abzulehnen. Erst in späteren Zeugnisszenen werden den Lesern zunehmend unterschiedliche Reaktionen auf die Zeugnisse über Jesus geschildert, um ihnen so die möglichen Reaktionsoptionen und deren Folgen aufzuzeigen und ihre Entscheidung zu beeinflussen. Im Ganzen genommen fließt das in dieser Szene angeführte Zeugnis für Jesus als den Christus und Sohn Gottes in die vielen nachfolgenden Zeugnisse mit ein und bildet zusammen mit einem der letzten Zeugnisse in Joh 20,31 den Rahmen der Erzählung, durch den die wahre Identität Jesu glaubwürdig bezeugt werden soll. 124 4 Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer ( Joh 1,29-34) <?page no="126"?> 165 Joh 1,1−18; 1,19−28; 1,29−34. 166 Vgl. B A R R E T T 1978, 229. Auffällig ist, dass Samaria im restlichen NT nur im Zusammen‐ hang mit missionarischen Bemühungen erwähnt wird (Apg 1,8; 8,1; 9,31; 15,3). Dass dies auch im JohEv der Fall ist, fällt den Lesern beim bloßen Überfliegen des Abschnitts auf und wird im Hinblick auf den Kerngedanken aus Joh 20, 30−31 unterstützt. Interessant ist zudem die Ähnlichkeit zum „Missionsbefehl“ aus Apg 1,8 und der darin geforderten missionsstrategischen Vorgehensweise: Laut Apg 1,8 soll die missionarische Tätigkeit der Jünger in Jerusalem begonnen werden und über Judäa und Samaria bis an die Enden der Erde fortgeführt werden. Das gleiche „Vorgehen“ schildert der Erzähler des JohEv von Jesus: „Nach dem Beginn in Jerusalem ( Joh 2,13) und in Judäa ( Joh 3,22) sehen wir Jesus nun unterwegs zu neuen Landschaften des Heiligen Landes und zu neuen Menschengruppen“ (B E U T L E R 2016, 153; vgl. Z U M S T E I N 2016, 166). 167 Auch Z I M M E R M A N N (2014, 35) zählt die Frau aus Samaria zu den 24 Hauptfiguren. 168 W A G E N E R (2015, 365) geht ebenfalls davon aus, dass „erzähllogisch ihr Mitgehen naheliegend“ ist. 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39- 42) Nachdem der Erzähler in drei Szenen 165 das Zeugnis Johannesʼ des Täufers für Jesus ausgeführt hat, lässt er ab Joh 4,7 einen weiteren Zeugen bzw. eine Zeugin die Bildfläche betreten, nämlich eine Frau aus Samaria. Da sie in keinem anderen Evangelium erwähnt wird, ist davon auszugehen, dass sie für den Erzähler, die Erzählung und die Zielsetzung des JohEv von besonderer Bedeutung ist. 166 In diesem Akt der Erzählung ( Joh 4,1-42) rückt die Frau in einer ersten Szene ( Joh 4,4-27) zunächst neben Jesus in den Mittelpunkt des Geschehens. Detailliert werden ihre Begegnung und Unterhaltung mit Jesus geschildert. Mit der Rückkehr der Jünger aus der Stadt und deren Eintreten in die Szene ändert sich ab Vers 27 der Figurenbestand. In Vers 28 kommt es durch Ortsänderung und erneuter Änderung des Figurenbestands zu einem Szenen‐ wechsel, wobei der Fokus interessanterweise weiterhin auf die Frau gerichtet ist und sie zur Hauptfigur 167 der zweiten Szene ( Joh 4,28-30) wird, während Jesus vorübergehend aus dem Blickfeld verschwindet. Der Erzähler folgt in seiner Darstellung der Frau und schildert ihren Weggang vom Ort der Begegnung mit Jesus, ihre Rückkehr in ihre Heimatstadt, wo sie vor den Bewohnern der Stadt Zeugnis über Jesus ablegt, und den Hingang der Stadtbewohner und der Frau 168 zu Jesus. In der kurzen, gerafften Wiedergabe der Begegnung der Frau mit den Mitbewohnern ihrer Stadt werden die Aussagen der Frau über Jesus nur sehr komprimiert wiedergegeben. Erst als die Bewohner der Stadt <?page no="127"?> 169 Zur Terminologie und Unterscheidung zwischen „Samariern“ und „Samaritanern“ vgl. B ÖH M 2010. Da es sich bei der erzählten Frau aus Samaria nicht einfach nur um eine Samarierin handelt, also ein Bewohnerin der geografischen Region bzw. politischen Provinz Samariens, sondern offensichtlich um eine Frau, die der „religiöse[n], auf den Pentateuch verpflichtete[n] und kultisch auf den Garizim orientierte Gruppierung“ (B Ö H M 2010) angehört, kann sie zurecht als „Samaritanerin“ bezeichnet werden. 170 Joh 4, (11).15.17.19.21.25.27.39.42. aufgrund der Aussagen der Frau zu Jesus kommen und die Erzählung in Joh 4,30 zum Ausgangsort des Geschehens zurückschwenkt, wird abschließend, nach einem Einschub ( Joh 4,31-38), in einer dritten Szene ( Joh 4,39-42) ausführlicher erläutert, was die Frau den Mitbewohnern der Stadt über Jesus bezeugt hat. Hierbei werden die Aussagen der Frau vom Erzähler durch die Verwendung des Begriffs μαρτυρεῖν in Joh 4,39 nachdrücklich als Zeugnis für Jesus ausgezeichnet und hervorgehoben. Im Folgenden soll eine Figurenanalyse der Frau als Zeugin und der Bewohner der Stadt als Zeugnisempfänger vorgenommen werden. Um eine möglichst umfassende Charakterisierung der Frau herauszustellen, muss über die beiden für diese Arbeit relevanten „Zeugnisszenen“ ( Joh 4,28-30 und 4,39-42) hinaus auf die vorausgehende Szene ( Joh 4,1-27) eingegangen werden, da sich in ihr der Großteil der Figurencharakterisierung der samaritanischen Frau befindet. 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 5.1.1 Zeugnisgeber: Die Samaritanerin Die als Zeugin für Jesus herangezogene Samaritanerin 169 betritt zum ersten Mal in Joh 4,7 die Bildfläche. Zunächst wird sie narratorial als „Frau aus Samaria“ (γυνὴ ἐκ τῆς Σαμαρείας) und in Joh 4,9 als „die Frau, die aus Samaria [stammt]“ (ἡ γυνὴ ἡ Σαμαρῖτις), bezeichnet. Im Verlauf der Erzählung folgt figural die Selbstbeschreibung als „Frau Samarias“ (vgl. γυναικὸς Σαμαρίτιδος; Joh 4,9b). In der restlichen Erzählung wird sie vom Erzähler und von Jesus nur noch als „Frau“ (γυνή) angesprochen oder bezeichnet. 170 Die Bezeichnung der Frau als „Samarierin“ entspricht den Angaben über den Aufenthaltsort Jesu in der erzählten Zeit. In Joh 4,4-5 wird geschildert, dass Jesus durch Samaria ziehen muss und nahe an eine Stadt namens „Sychar“ 126 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="128"?> 171 Die Präposition εἰς ist hier in Joh 4,5 wohl besser mit an oder zu (nicht in) wiederzu‐ geben, da in 4,8 berichtet wird, dass die Jünger (vollends) „in“ (εἰς) die Stadt gegangen waren. Auch in Joh 4,28 heißt es, dass die Frau „in die Stadt“ (εἰς τὴν πόλιν) zurückgeht. 172 Mit Verweis auf Browns Kommentar übersetzt C O L O E (2013, 187−188) hier, dass Jesus sich auf der Quelle niedersetzte. Diese Übersetzung führt sie zu der Interpretation, dass „[j]ust as the temple, in Jewish mythology rests on the foundation stone above the waters of a great abyss, now Jesus, the new temple, rests upon the rock over the waters of Jacobʼs well“. Ob diese Wahrnehmungen/ Vermutungen denen der damaligen antiken intendierten Leser entsprechen, lässt sich jedoch nicht nachweisen. 173 F R E Y (2012, 221) weist drauf hin: „Anders als Lukas in Lk 9,52 oder auch in Apg 8 gibt Johannes also für seine Episode einen Ort präzise an. Der Ort ist die Nachfolgesiedlung des durch Johannes Hyrkan zerstörten Sichem; […], Johannes ist der erste antike Autor überhaupt, der Sychar […] erwähnt‘“. D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 97) hingegen verortet Sychar „1 ½ km südöstlich von dem damals zerstörten Sichem“ und setzte es mit dem heutigen Askar gleich. Bezüglich der Verortung der Stadt schreibt Keener (2012a, 590): „‚Sychar‘ has long been identified with modern Askar, about 1.5 kilometers northeast of Jacobʼs well […] “. (Ebenso C A R S O N 1991, 216; S C H N E L L E 2016, 121; Z U M S T E I N 2016, 171; T H Y R E N 2015, 240). 174 Nicht nur durch diese Angabe steht dieser Akt in deutlichem Kontrast zum vorherge‐ henden Akt in Joh 3: Dort „ein Oberer der Juden“ (ἄρχων τῶν Ἰουδαίων), hier die von den Juden abgelehnte „Samaritaner“ (Σαμαρίταις), dort die Szene „bei Nacht“ (νυκτός), hier mittags „um die sechste Stunde“ (ὥρα ἦν ὡς ἕκτη), dort eine zunächst unklare Reaktion auf Jesus, hier die Überzeugung der Frau, den Messias gefunden zu haben. 175 Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass diese Angaben und die Tatsache, dass es hier zu einer Begegnung zwischen einem Mann ( Jesus) und einer Frau (Samaritanerin) kommt, stark an alttestamentliche Brautwerbung erinnern (B E U T L E R 2016, 156; C O L O E 2013, 186−188; M C H U G H 2009, 267; vgl. auch den ausführlichen Überblick über frühere Studien bei A T T R I D G E 2016, 271; Fußnote 11) und dadurch beim Leser eine gewisse Erwartung wecken (B E N N E M A 2014, 162−163). 176 S C H N E L L E 2016, 121. 177 Die in diesem Akt angeführte Charakterisierung ist nicht umfassend und eindeutig genug, als dass ein klares, einheitliches Bild der Frau nachgezeichnet werden könnte. Viele Angaben über äußere Attribute, Charakterzüge, Verhaltensweisen fehlen ebenso wie aufschlussreiche Paralellen in anderen Evangelien und Quellen. Dies macht die Frau zu einer mehrdeutigen Figur (ambiguous Character; vgl. H Y L E N 2009), was zu einer Vielzahl unterschiedlicher Interpretationsmöglichkeiten führt (Vgl. D A Y 2002, 7−41 und (Συχάρ) kommt. 171 Dort setzt sich Jesus, müde von der Reise, an einer Quelle nieder. 172 Genannt werden vom Erzähler hierbei nicht nur der genaue Ort 173 und die genaue Zeit der Ankunft an der Quelle („es war um die sechste Stunde“ [ὥρα ἦν ὡς ἕκτη]) 174 , sondern auch der Name der Quelle: „Quelle Jakobs“ (πηγὴ τοῦ Ἰακώβ). 175 „Mit der Erwähnung des Jakobsbrunnens ist die lokale Präzisierung abgeschlossen (Landschaft, Ortschaft, Grundstück), die Handlung im engeren Sinn kann beginnen.“ 176 Neben der Nennung des Ortes und der Zeit lässt sich ab Vers 7 eine Viel‐ zahl von Charakterisierungen der Frau erkennen. 177 Zunächst wird durch die 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 127 <?page no="129"?> L I N K 1992, die einen umfassenden Überblick über die unterschiedlichen Interpretati‐ onsmöglichkeiten der samaritanischen Frau darstellen). Demzufolge ist jeder Ausleger in seiner Interpretation von der eigenen Wahrnehmung, Alltagspsychologie, Erfahrung und den Erwartungen geleitet, die aufgrund der Angaben des Autors bezüglich einer Person geweckt werden. Die folgende Interpretation stellt daher nur eine Möglichkeit des Verständnisses der Frau dar und erhebt nicht den Anspruch umfassend, allein gültig zu sein. 178 Beide Begriffe erinnern an Joh 2, wo „schöpfen“ ( Joh 2,8.9) und „Wasser“ ( Joh 2,7.9) im Zusammenhang mit einer Hochzeit verwendet werden. Die Rückkoppelung an Kap 2, sowie die Nennung des Jakobsbrunnens soll beim Leser vielleicht eine Erwartung einer vorhochzeitlichen Brautwerbung erwecken. 179 Möglich sind auch andere Gründe, wie Bescheidenheit oder schlichte Notwendigkeit (A T T R I D G E 2016, 272); vgl. auch Z U M S T E I N (2016, 172), der insgesamt sechs Erklärungs‐ versuche anführt. 180 C A R S O N (1991, 217), K E E N E R (2012a, 593), K Ö S T E N B E R G E R (2004, 148), M O R R I S (1995, 228), S C H N A C K E N B U R G (1981, 461) gegen W A G E N E R (2015, 345) und D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 98), der schlicht davon ausgeht, dass der „Gang der Erzählung“ das Kommen der Frau zum Brunnen verlange. L I N C O L N (2005, 175−176) betont: „The majority of commentators characterize the woman as immoral“. 181 K E E N E R 2012a, 593. 182 Vgl. D S C H U L N I G G 2002, 125. Nennung der Intention ihres Kommens - nämlich „um Wasser zu schöpfen“ (ἀντλῆσαι ὕδωρ) 178 - ein erster Einblick in das Innenleben der Frau gewährt. Warum sie Wasser benötigt - ob für sich, zum Kochen oder für andere -, bleibt offen und spielt für den Verlauf der Erzählung keine Rolle. Die Tatsache, dass sie selbst kommt, um Wasser zu schöpfen, lässt vermuten, dass es sich um eine eher einfache Frau der Unter- oder Mittelschicht handelt, die nicht in der Lage ist oder die Mittel besitzt, eine Magd oder einen Knecht zum Wasserholen zu beauftragen. Aus dem Zusammenhang liegt es nahe, dass die Frau aus der Stadt Sychar kommt, sie also eine Städterin ist. Die Erwähnung, dass die Frau allein und zudem um die Mittagszeit kommt, gibt den Lesern Grund zu der Annahme, dass sie Begegnungen mit anderen (Frauen) meidet oder von anderen gemieden wird. 179 Verantwortlich dafür könnte, wie sich später herausstellt, ihre unmoralische Lebensweise sein. 180 „Despite some Jewish polemic to the country, the Samaritans were intensely religious, and like other Near Eastern and Mediterranean peoples, they took seriously a womanʼs sexual immorality.“ 181 Gerade an diese Frau wendet sich nun Jesus. Mit seiner Bitte um Wasser in Vers 7b wird der erste Redewechsel ( Joh 4,7b-9) eröffnet, wobei in den Versen 8 und 9c jeweils durch ein einleitendes „denn“ (γάρ) eine erklärende Ergänzung eingeschoben wird. 182 Auf Jesu einleitende Bitte reagiert die Frau zunächst und scheinbar augenblicklich mit einer Gegen‐ frage. Obwohl Tonfall, Mimik und Gestik zur genaueren Bestimmung fehlen, 128 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="130"?> 183 Zum historischen Hintergrund der Auseinandersetzung zwischen Juden und Samarita‐ nern vgl. die ausführliche Darstellung bei C R O W N 1989; F R E Y 2012; M O N T G O M E R Y 2006 und D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 98−101. 184 W A G E N E R 2015, 347. 185 T H Y E N (2015, 245) kritisiert dieses Verhalten und bezeichnet die Frau als „unfähig, ihrer elementaren Menschenpflicht zu genügen“. weist die Gegenfrage doch auf eine gewisse Verwunderung oder Verunsicherung seitens der Frau hin. Mit ihrer Frage gibt der Erzähler Einblick in ihr Wissen um den Konflikt zwischen Juden und Samaritanern: „Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir zu trinken, die ich eine samaritanische Frau bin? “ ( Joh 4,9). Um auch die unwis‐ senden Leser über die Auseinandersetzung zwischen Juden und Samaritanern aufzuklären, ergänzt der Erzähler in einem für ihn typischen knappen Einschub: „[…] denn Juden verkehren nicht mit den Samaritanern“ (οὐ γὰρ συγχρῶνται Ἰουδαῖοι Σαμαρίταις). Aus dieser Ergänzung gehen zwar die Auswirkungen und Folgen des bestehenden Konflikts hervor, nicht aber der genaue Grund für das Nichtverkehren der Juden mit den Samaritanern. 183 Diese Tatsache lässt den Leser erahnen, dass für den Erzähler „nicht die Entstehung der Trennung […] sondern der Umgang mit ihr“ im Vordergrund steht. 184 Durch den Nachtrag „Juden verkehren nicht mit den Samaritanern“ wird der geschilderte Konflikt in einen größeren Rahmen gestellt: Es geht nicht nur um Jesus und die Samaritanerin als Individuen, sondern um die Vertreter zweier Volksgruppen - um zwei Kollektive, die sich gegenüberstehen. Interessanter‐ weise wird in diesem Abschnitt ein Einzelner aus der einen Gruppe als Retter für die gesamte andere, als Opponenten dargestellte Gruppe und die ganze Welt ausgezeichnet ( Joh 4,22.42). Der Konflikt zwischen Juden und Samaritanern ist aber nicht der einzige Grund für die Gegenfrage der verwunderten Frau. Zum Tragen kommt auch die Tatsache, dass Jesus als „jüdischer Mann“ (Ἰουδαῖος) sie, eine „samaritanische Frau“ (Σαμαρίταις), anspricht und sie sogar um etwas bittet. Jesus übertritt mit seiner Bitte also nicht nur eine kulturelle, sondern auch die sozialen und moralischen Barrieren, was zu Recht für Verunsicherung, Verwirrung oder Überraschung bei der Frau sorgt. Dass die Frau der Bitte Jesu nicht nachkommt, 185 sondern unmittelbar mit einer Gegenfrage reagiert und auf Konfrontation geht, ist möglicherweise ebenfalls ihrem Lebensstil geschuldet, durch welchen sie womöglich des Öfteren in Auseinandersetzungen geriet und auf schnelle Reaktion und (Selbst-)Verteidigung angewiesen war. Wie dem auch sei: Die schnelle Reaktion erweckt den Eindruck, es hier mit einer selbst‐ 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 129 <?page no="131"?> 186 D S C H U L N I G G 2002, 126. Ebenso M O R R I S (1995, 230): „Jesus immediately lifts the conversation to a higher plane by speaking of Godʼs gift, and of asking ‚living water‘“. 187 So W A G E N E R 2015, 349. 188 H A R R I S 2015, 91. 189 Zur Bedeutung von Missverständnissen im JohEv siehe C U L P E P P E R 1987, 152−165; R E Y N O L D S 1998, 150−159; S K I N N E R 2013b, 111−127; 2016, 127−132. 190 K Ö S T E N B E R G E R (2004, 151) merkt an: „Here […] it is simply a respectful address of Jesus without christological implications (cf. 4: 15, 19, 49; 5: 7; 6: 34; 9: 36; 12, 21)“. 191 D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 102) spricht hier von „verfehlter Ironie“: „In verfehlter Ironie fragt sie den, mit dem Jakob sich nicht messen kann, ob er sich mit Jakob messen könne“. bewussten, beherzten und mutigen Frau zu tun zu haben, die sich schlagfertig und redegewandt zu wehren weiß. In Vers 10 beginnt der zweite Redewechsel, der sich bis Vers 12 erstreckt. Auffällig ist, dass Jesus nicht direkt auf die Frage der Frau über die Differenzen zwischen Juden und Samaritanern eingeht. Stattdessen geht Jesus von seiner jüdischen Identität zu seiner wahren, geistlichen Identität über. Er weist auf mysteriöse Weise auf sich als „das Geschenk Gottes“ (ἡ δωρεά τοῦ θεοῦ) hin und stellt durch seinen Einblick in das Innenleben der Frau ihr Wissen über seine Identität infrage. Ein wirkliches Erkennen Jesu würde, so die Überzeugung Jesu, die Frau dahin gehend bewegen, ihn um „lebendiges Wasser“ (ὕδωρ ζῶν) zu bitten. Der zu Beginn des Gesprächs um Wasser Bittende will nun um lebendiges Wasser gebeten werden. „Damit ist Jesu Ausgangsbitte um Wasser […] auf eine höhere Ebene transzendiert.“ 186 Jesus geht es nicht mehr um natürliches Wasser, welches den leiblichen Durst stillt, sondern um sich selbst, also um das geistliche Wasser, das den Durst nach Leben sättigen kann. Dadurch wird nicht etwa die Ernsthaftigkeit von Jesu Ausgangsbitte um Wasser geschwächt, 187 sondern es kommt zu einer Priorisierung des Löschens des geistlichen Durstes vor dem Löschen des natürlichen Durstes. Die Frau kann dem von Jesus vorgenommenen Themenwechsel zu dieser neuen, geistlichen Dimension nicht folgen. „Like Nicodemus previously (3: 4) and the disciple later (vv. 32-33), the woman cannot process beyond the lit. sense of Jesusʼ words to his spiritual mng.“ 188 Durch ihre zweite Frage verdeutlicht der Erzähler ihr Missverständnis bezüglich der Aussage Jesu. 189 Hierbei ist ein erster Wandel im Umgang der Frau mit Jesus erkennbar. Während sie Jesus anfänglich schlicht als „Jude“ bezeichnete, spricht sie ihn in Vers 11 nun mit „Herr“ (κύριος) an: „Herr, du hast kein Schöpfgefäß, und der Brunnen ist tief; woher hast du denn das lebendige Wasser? “ 190 Wie in dieser Frage scheint auch in der nachgeschobenen (rhetorischen) Frage in Vers 12 ein spöttischer oder überheblicher Unterton mitzuschwingen: 191 „Du bist doch nicht größer als unser Vater Jakob, […]“ Während sie mit dem Verweis auf „unseren Vater 130 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="132"?> 192 S C H N A C K E N B U R G 1981, 468. 193 W A G E N E R 2015, 350. 194 Den aufmerksamen Lesern wird hier auch die „johanneische Ironie“ nicht entgehen, „dass die gut begründete Gewissheit der Frau eigentlich ihr Unwissen enthüllt. Auch wenn sich die Frau auf einer ersten Ebene - der der unmittelbaren Wirklichkeit - durch die Plausibilität ihrer Rede durchaus überzeugend darstellt, hat der Leser auf einer zweiten Ebene längst erkannt, dass Jesus gegenüber Jakob unendlich überlegen ist und dass das Wasser, dass er anbietet, bei weitem das des Patriarchen überbietet“ (Z U M S T E I N 2016, 176). 195 Die Skepsis der Frau will auch C A R S O N (1991, 219) in der Reaktion der Frau erkennen. 196 Von einem anhaltenden Missverständnis gehen auch B E A S L E Y -M U R R A Y (1987, 61); S C H N A C K E N B U R G (1981, 467) und D S C H U L N I G G (2002, 127), S C H N E L L E (2016, 123), u. a. aus, gegen S C H E N K E (1998, 86). Jakob“ (πατρὸς ἡμῶν Ἰακώβ) den „Anspruch [erhebt], mit dem Erbauer des Brunnens als ihrem Ahnherrn besonders verbunden zu sein“ 192 , scheint sie mit dem Hinweis auf die Tiefe des Brunnens und den Umstand, dass Jesus kein eigenes Schöpfgefäß hat, ihre eigene Überlegenheit aufgrund des Besitzens eines solchen Gefäßes hervorzuheben. Die Aussage in Vers 12 könnte demzufolge als „subtiler Hinweis auf die Machtposition“ verstanden werden. „Sie fixiert Jesu Abhängigkeit von ihr, indem sie den Eimer und ihre Schöpfmöglichkeit als Machtinstrument benutzt.“ 193 Diese Beobachtungen verleiten dazu, selbst in der Betitelung Jesu als „Herr“ einen spöttischen Unterton heraushören zu wollen, weil dem von ihr bezeichneten „Herrn“ zugleich die Bedürftigkeit anhaftet, sich von ihr als Frau helfen lassen zu müssen, um an das Wasser zu gelangen. 194 Ist dies der Fall, dann handelt es sich bei der Samaritanerin nicht nur um eine selbstbewusste, beherzte und schlagfertige Frau, sondern auch um eine skeptische 195 und spöttische Frau, die fremde Männer fast schon despektierlich auf ihr Unvermögen hinzuweisen weiß. Mit Vers 13 wird der dritte Redewechsel eröffnet, der bis Vers 15 anhält. Obwohl die Unterhaltung weiterhin beim „Wasser“ und „Trinken“ bleibt, geht Jesus nicht auf die von der Frau angesprochenen Themen (Schöpfgefäß, Brun‐ nentiefe, Erbauer des Brunnes) ein. Er beschreibt stattdessen die Qualität des von ihm angebotenen Wassers und stellt dieses in einen deutlichen Kontrast zu dem Wasser, das die vor ihnen liegende Quelle bieten kann: Das Wasser der Jakobsquelle vermöge nur temporär den Durst zu stillen, das lebendige Wasser, das Jesus biett, werde hingegen den Durst des Trinkenden „in Ewigkeit“ (εἰς τὸν αἰῶνα) stillen und es „wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das ins ewige Leben sprudelt“ (γενήσεται ἐν αὐτῷ πηγὴ ὕδατος ἁλλομένου εἰς ζωὴν αἰώνιον). Aus der nun folgenden Bitte der Frau geht ihr anhaltendes Missverständnis 196 darüber hervor, wovon Jesus spricht: „Herr, gib mir dieses Wasser, damit mich 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 131 <?page no="133"?> 197 W E S T C O T T (1958, 71): „She confessed by implication that even the greatest gift was not complete unless it was shared by those to whom she was bound“. 198 W A G E N E R 2015, 353; vgl. D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 106. 199 C A R S O N 1991, 220. nicht dürste und ich nicht mehr hierherkomme, um zu schöpfen“ ( Joh 4,15). Nach wie vor geht die Frau davon aus, dass Jesus vom natürlichen Wasser und einer außergewöhnlichen Quelle spricht. Bekäme sie von diesem Wasser etwas, könnte sie sich fortan das mühsame Fördern und Schleppen des Wassers sparen. Nie wieder müsste sie hierher an die Quelle kommen. Egal, um welches Wasser es sich auch handeln mag, das Jesus ihr anbietet - sie will davon haben. Die Figurenrede der Frau gibt weiteren Einblick in ihr Innenleben und ihre Lebensumstände. Als Frau ist sie dazu verpflichtet, für die Frischwasserversor‐ gung zu sorgen. Der natürliche und durch die Hitze verstärkte Durst macht es erforderlich, vielleicht täglich den Weg zur Quelle auf sich zu nehmen, um Wasser zu schöpfen. Ihrer Aussage lässt sich entnehmen, dass sie dieses Wasserholen als beschwerlich empfindet. Das macht das Angebot Jesu umso attraktiver. Vielleicht könnte sie sich bald alle Mühe sparen, wenn dieser Mann ihr tatsächlich gäbe, was er verspricht. Mit der Bitte der Frau hat sich die Geschichte dahin gehend entwickelt, dass der vormals um Wasser Bittende nicht mehr nur gebeten sein will ( Joh 4,10), sondern tatsächlich von der Frau um Wasser gebeten wird. Von ihren Gegenfragen ( Joh 4,9.11) gelangt sie nun zu einer Bitte, wobei sie Jesus erneut als „Herr“ (κύριος) anspricht. Doch genau so, wie die Frau nicht auf die Bitte Jesu um Wasser reagierte, reagiert auch Jesus zunächst scheinbar nicht auf die Bitte der Frau. Vielmehr wendet sich das Gespräch in eine völlig neue Richtung. Jesus legt den Finger auf den wunden Punkt und fordert die Frau auf: „Geh hin, rufe deinen Mann und komm hierher“ ( Joh 4,16). Die eingangs einfache Aufforderung „Gib mir zu trinken“ ( Joh 4,7) weicht nun der dringlichen, durch drei Imperative ausgezeichneten Anweisung: „Geh […] rufe […] komm […]“ (ὕπαγε φώνησον … ἐλθὲ). In den Fokus des Gesprächs rückt nun, anstelle des Wassers, der Mann der Frau. Ob Jesus hier die implizierten Gedanken der Frau erkennt, dass selbst das größte Geschenk nicht vollständig ist, wenn es nicht mit denen geteilt wird, an die man gebunden ist, 197 ob Jesus „[m]it dem Stichwort ἀνήρ […] das Thema ‚Geschlechtlichkeit‘ wieder auf[greift]“ 198 , ob er auf „the true dimensions of her need“ 199 überlenkt oder ob „the flow of the narrative 132 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="134"?> 200 K E E N E R 2012a, 605. 201 Vgl. weitere Erklärungsansätze bei B E U T L E R 2016, 160−161. Vermutlich ist A T T R I D G E (2016, 276) zuzustimmen der schlicht zusammenfasst: „Without any apparent motivation, Jesus tells the Woman to call her husband“. 202 Dies erkennt auch T H Y E N (2015, 252) an dieser Stelle und bezeichnet die Frau als „äußerst selbstbewusste und −bestimmende Gesprächspartnerin Jesu […]“. 203 K E E N E R 2012a, 606. 204 Zur Deutung der fünf Männer vgl. B E U T L E R 2016, 161; F R E Y 2012, 226−227; Z U M S T E I N 2016, 179−180. Auch wenn allegorische Deutungen der Männer von vielen abgelehnt werden (B E A R S L E Y −M U R R A Y 1987, 61; K E E N E R 2012a, 606; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 153; M O R R I S 1995, 235; S C H N A C K E N B U R G 1981, 468; T H Y E N 2015, 252; Z U M S T E I N 2016, 179−180), so hält T H Y E N (2015, 252) es doch zurecht für möglich, „daß hier wiederum zugleich symbolische Obertöne im Spiel sein könnten, so daß die Erzählung zum einen auf ihrer narrativen und zum anderen auf ihrer symbolischen Ebene gelesen sein will […]“. 205 Vielfach wurde in diesem Zusammenhang auf das rabbinische Gesetz hingewiesen, wonach es nicht erlaubt war, mehr als dreimal verheiratet zu sein (K E E N E R 2012a, 606; S C H N E L L E 2016, 124). Sollte die Frau tatsächlich fünf Ehemänner gehabt haben, stünde sie im Konflikt mit dem jüdischen Gesetz. suggests that Jesus is clarifying the direction of the discussion“ 200 , kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. 201 In der darauffolgenden Behauptung der Frau, keinen Mann zu haben ( Joh 4,17), zeigen sich erneut ihre Schlagfertigkeit und Beherztheit. 202 Obwohl sie um ihre vergangenen und gegenwärtigen Lebensumstände weiß, reagiert sie abwehrend oder ausweichend auf Jesu Aufforderung. Ob sie Jesus damit bewusst irreführen will 203 oder ob es ihrer Wahrnehmung ihrer gegenwärtigen Situation entspricht, bleibt unklar. Jesus beurteilt ihre Antwort jedenfalls als „gut“ oder „recht“ (καλῶς), später in Vers 18 sogar als „wahr“ (ἀληθής) und führt aus, warum er zu diesem Urteil kommt: Tatsächlich hat sie gegenwärtig keinen Ehemann, sondern lebt wohl nur unverbindlich mit einem Mann zusammen. Auch die fünf Männer 204 , die sie der Darstellung zufolge früher gehabt hatte, sind allesamt aufgrund von Tod, Trennung oder Scheidungen nicht mehr ihre Ehemänner oder sind nie ihre wirklichen Ehemänner gewesen, weil sie auch mit ihnen oder einigen von ihnen unverheiratet zusammengelebt hatte. 205 Die Antwort Jesu muss die Frau erschrecken. Wie kann der fremde, jüdische Mann so genau über ihren Lebenswandel Bescheid wissen? Ist ihr ihr Ruf vor‐ ausgeeilt? Die Leser können sich ausmalen, wie sich in der Frau ein unbehagli‐ ches Gefühl des Durchschaut- oder Ertapptseins ausbreiten dürfte. Ausweichen, Ausreden vorbringen oder ablenken erscheinen der Frau sinnlos. Überführt von Jesu Wissen um ihre Lebenssituation übernimmt sie die Gesprächsführung. Die nun in Vers 19 wiedergegebene Aussage „Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist“ ist für die Charakterisierung der Frau von Bedeutung. Sie gibt nicht nur Aufschluss über das Denken der Frau über Jesus, sondern auch über die nun 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 133 <?page no="135"?> 206 S C H N E L L E (2016, 124) bemerkt, dass das Fehlen des Artikel anzeigt, „dass προφήτης nicht wie in Joh 1,21; 6,14; 7,40 als vollwertiger christologischer Titel verstanden wird“. 207 Vgl. B E U T L E R (2016, 162), der mehrere vorgeschlagene Möglichkeiten anführt. 208 Dies passt zur Anmerkung S C H N E L L E S (2016, 125): „Mit dem Kommen dieses Propheten erwartete man die Regelung alter kurdischer Streitfragen, zu denen auch der wahre Kultort gehörte (vgl. 2Kön 17,28−41). Mit dem rechten Kultort war für Juden und Samaritaner gleichermaßen auch die Frage nach der wahrhaften Gottes-erkenntnis und Gottesanbetung verbunden“. zutage tretende Offenheit und Ehrlichkeit der Frau, was sich in der indirekten Bejahung dessen, was Jesus ihr sagt, zeigt. Daneben gibt die Aussage Einblick in die Überzeugung der Frau, wonach nur ein Prophet ein solches Wissen über das Privatleben eines anderen Menschen haben kann. Hierbei in Erwägung zu ziehen, dass der göttliche Messias ein solches Wissen über Menschen besitzen könnte, ist der Frau in diesem Moment nicht möglich. 206 Noch ist sie in der augenblicklichen zwischenmenschlich-irdischen Situation und Unterhaltung gefangen. Die nachfolgende Aussage in Vers 20 scheint zunächst nicht recht in den Zusammenhang zu passen. Unterschiedliche Erklärungsversuche wurden vor‐ gebracht, um die Verbindung der Verse zu erklären. 207 Naheliegend für den Erzählverlauf scheint, dass hier erneut Einblick in das Innenleben der Frau bezüglich einer lang gehegten, dringlichen Frage gewährt wird - einer Frage, die die Frau nun einem ihrer Meinung nach „allwissenden“ Propheten stellen kann. Für sie scheint festzustehen: Wenn dieser jüdische Prophet Wissen über ihre Vorgeschichte hat, dann vermutlich auch über die alte Streitfrage zwischen Juden und Samaritanern über den rechten Ort der Anbetung. 208 In diesem Sinne richtet sie sich an Jesus, wobei ihrer Wortwahl eine anhaltend ablehnende Haltung den Juden gegenüber zu entnehmen ist: „Unsere Väter haben auf diesem Berg angebetet, und ihr sagt, dass in Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten müsse.“ Auch wenn die Aussage nicht direkt als Frage formuliert ist, so schwingt doch indirekt die Frage mit: Was stimmt nun? Welches ist der richtige Ort der Anbetung? Die Formulierung der „Frage“ gibt ein weiteres Mal Aufschluss über die inneren Überzeugungen der Frau. Durch die Berufung auf die Väter und die Verwendung des Aorists (προσεκύνησαν) hebt die Frau hervor, dass „auf diesem Berg“ (ἐν τῷ ὄρει τούτῳ) der traditionell richtige Ort sei, um „anzubeten“ (προσκυνεῖν). Den Anspruch der Juden, dass Jerusalem der Ort der Anbetung sei, gibt sie wenig überzeugend durch ein schwach wirkendes „ihr sagt“ (ὑμεῖς λέγετε) wieder. Dadurch bekundet sie Jesus schon in ihrer Aussage ihre subjektive Sichtweise über den wahren Ort der Anbetung. Zudem verdeutlicht der Erzähler dadurch, dass es sich bei der Samaritanerin um eine religiöse und traditionsbewusste Frau handelt, die sich nicht nur auf 134 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="136"?> 209 F R E Y 2012, 222. 210 In seinem Artikel „The Men of the Samaritan Woman: Six of Sychar“ hat sich H U N T (2013, 282−291) ausführlicher mit den Männern auseinandergesetzt. 211 D S C H U L N I G G 2002, 128. 212 Der Begriff „glauben“ (πιστεύειν) wird im JohEv 98 Mal verwendet - mehr als in allen Synoptikern zusammen und mehr als in allen anderen neutestamentlichen Schriften. Das Substantiv „Glaube“ (πίστις) hingegen wird im JohEv überhaupt nicht verwendet. 213 Neben „glauben“ spielt auch „wissen“ (εἰδέναι) für das JohEv eine bedeutende Rolle. Mit einer 84-fachen Verwendung taucht auch dieses Wort im JohEv öfter auf als in allen Synoptikern zusammen und öfter als in jeder anderen neutestamentlichen Schrift. den „Vater Jakob“ und andere „Väter“ beruft, sondern „sich mit dem Ort und einer Lokaltradition sowie mit dem Berg Garizim als dem Ort der wahren Gottesanbetung“ identifiziert. 209 Wie die Frau geht auch Jesus im weiteren Verlauf des Gesprächs nicht mehr auf das bewegte Liebesleben der Frau ein. Die Männer der Frau bleiben flache Figuren am Rande der Erzählung und tragen kaum zur weiteren Entwicklung der Unterhaltung bei. 210 Im Zentrum der Unterhaltung bleibt in den Versen 20-24 durch neunmalige Verwendung des Begriffs „anbeten“ (προσκυνεῖν) die Frage nach der wahren Anbetung - eine Frage, die eng mit der Frage nach Jesu wirklicher Identität zusammenhängt. Mit der ab Vers 21 folgenden längsten Rede Jesu beginnt der dritte Rede‐ wechsel, der bis Vers 25 anhält. 211 Jesus eröffnet seine Rede mit dem für das JohEv bedeutenden Wort „glauben“ (πιστεύειν): „Glaube mir, Frau […]“ (πίστευέ μοι, γύναι […]). 212 In der Ausführung dessen, was die Frau glauben soll - Jesus selbst ist hier nicht Objekt des Glaubens -, stellt Jesus der Aussage der Frau über die Anbetung ihrer Väter die Anbetung des Vaters (vgl. Joh 4,21: „den Vater“ [τῷ πατρί]; Joh 4,23: „der Vater“ [ὁ πατήρ]) entgegen. Dabei hält Jesus an der Wir-ihr-Differenzierung fest (vgl. Joh 4,21-22) und untermauert dies durch den Hinweis auf ihr Nichtwissen und unser Wissen um das, was angebetet wird ( Joh 4,22). 213 Doch Jesus hält nicht an dieser Trennung zwischen Juden und Samaritanern fest, sondern weist auf eine Zeit hin, in der beide Seiten in der einen Gruppe der „wahren Anbeter“ (οἱ ἀληθινοὶ προσκυνηταί) inkludiert werden. Die wahren Anbeter sind laut Jesus diejenigen, die den Vater „in Geist und Wahrheit anbeten“ (ἐν πνεύματι καὶ ἀληθείᾳ) ( Joh 4,23). Dies begründet er in Vers 24 damit, dass „Gott Geist [ist]“ (πνεῦμα ὁ θεός) und er deswegen in Geist und Wahrheit angebetet werden „muss“ (δεῖ). Durch die Ankündigung der Anbetung des Vaters in Geist und Wahrheit relativiert Jesus die Bedeutung der gegenwärtigen Anbetung in Jerusalem und auf dem Gebirge Gerizim. Der Aussage Jesu über die Unkenntnis und Unwissenheit der Samaritaner stellt die Frau in Vers 25 abrupt und scheinbar gekränkt ihr Wissen entgegen: 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 135 <?page no="137"?> 214 „Sie spricht hier nicht stilecht vom ‚Taheb‘ bzw. vom wiederkommenden ‚Propheten wie Mose‘ gemäß samaritanischer eschatologischer Erwartung, sondern vom ‚Messias‘ nach jüdäischer und schriftprophetischer Tradition“ (F R E Y 2012, 229). 215 W A G E N E R (2015, 359) betont: „In Konsistenz zur bisherigen Verwendung bezieht sich ἡμῖν ausschließlich auf die Samariter“. 216 Z U M S T E I N 2016, 185. 217 „This appears to be the womanʼs last attempt to evade the challenge Jesus is forcing upon her“ (M O R R I S 1995, 241). 218 S C H N E L L E 2016, 127. 219 B E U T L E R 2016, 163; vgl. Z U M S T E I N 2016, 185−186; C O L O E 2013, 192. B E N N E M A 2014, 166; Ausführlicher erklärt K E E N E R (2012a, 620): „Jesusʼ particular words, ἐγώ εἰμι, are naturally construed to mean ‚I am (he)‘, as they normally would in such a dialogue (e.g.,9: 9); but given the more explicitly Christological use of ἐγώ εἰμι in Johnʼs discourse elsewhere, we may suspect that we have here another double entendre pointing to a deeper identity than the Taheb (see 8: 58; cf. 6: 20; 8: 28; 18,5)“. Dabei weist er auf die Ähnlichkeit von Joh 4,25 (ἐγώ εἰμι, ὁ λαλῶν) zu LXX Jes 52,6 hin: ἐγώ εἰμι αὐτὸς ὁ λαλῶν. „Ich weiß [οἶδα] dass der Messias kommt, der Christus genannt wird; wenn er kommt, wird er uns alles verkündigen“. Damit lehnt sie Jesu belehrende Worte ab und bringt zum Ausdruck, dass sie mehr dem kommenden Messias glauben und vertrauen wird als ihm als einem ihr unbekannten Propheten aus Juda. 214 Ironischerweise wird gerade in ihrem vorlauten Verweis auf ihr Wissen ihr Nichtwissen deutlich. Zwar weiß sie über das Kommen des Messias Bescheid und glaubt, dass er gerade ihnen, den Samaritanern, 215 alles verkündigen wird; sie weiß und erkennt aber nicht, dass der, der mit ihr redet, der erwartete Messias ist, der ihr schon jetzt alles über die wahre Anbetung verkündigt. Indem sie sich auf die traditionelle Messiaserwartung (vgl. auch 11,23-26) bezieht und beschränkt, wird sie dem νῦν ἐστιν in V. 23 allerdings nicht gerecht. Die eschatologische Stunde bleibt für sie zukünftig und zu erwartender Natur, obwohl Jesus ihr das Einbrechen dieser Stunde in die Gegenwart angekündigt hat. 216 Durch ihre letzte abweisende Entgegnung hat die Frau sich vielleicht ein Ende der Unterhaltung erhofft. 217 Doch zu ihrer Verwunderung reagiert Jesus mit einer unerwarteten Aussage, mit der er die im Raum stehende Frage nach seiner Identität selbst beantwortet. Unumstritten ist damit der Höhepunkt sowohl des Erzählabschnitts als auch „der stufenweisen Selbstoffenbarung Jesu im Dialog mit der Samaritanerin“ 218 erreicht. Jesus identifiziert sich nicht nur mit dem eschatologischen Messias, sondern sein Ich-bin-Wort geht „über den Messianismus hinaus und mündet in die johanneische Christologie in vollem Sinne: Jesus offenbart sich als der unter den Menschen gegenwärtige Gott“. 219 Damit ist die Samaritanerin die erste Person im JohEv, der Jesus selbst 136 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="138"?> 220 C O L O E 2013, 192; vgl. M O R R I S 1995, 240−241. 221 So auch C U L P E P P E R 2013, 26; M A C C I N I 1997, 119; Z U M S T E I N 2016, 185. Dass Entwick‐ lungsprozesse charakteristisch für Jesu Konversationen sind hat bereits L E I D I G (1981, 162−174) nachgewiesen. 222 M A C C I N I 1997, 119. 223 Darauf soll wohl der zurückgelassene Wasserkrug hinweisen. Der Grund für die Eile bleibt jedoch unklar. S C H N E L L E (2016, 128) sieht im Zurücklassen das Kruges ein Signal, dass die Frau zu Jesus zurückkehren und Jesus nicht verlassen will; ebenso W I L T O N 1992, 103. Er erkennt darüber hinaus im zurückgelassenen Krug aber auch „the womanʼs willingness to be obedient to Jesusʼ earlier command, ‚Go and call your husband and come back‘ (4: 16)“ (103). diese Offenbarung zuteilwerden lässt. 220 Dass sie die Tiefe dieser Offenbarung jedoch nicht gänzlich erfassen kann, lässt sich ihrem späteren Zeugnis vor den Dorfbewohnern entnehmen, wo sie lediglich die Frage aufwirft, ob „dieser doch nicht etwa der Christus ist“ ( Joh 4,28). Auch wenn die Samaritanerin noch nicht zur vollen Erkenntnis des Christus Jesus durchgedrungen ist, so lässt sich in der ersten Szene doch eine deutliche Entwicklung feststellen. 221 Von ihrem ersten Eindruck, dass es sich bei Jesus nur um einen durstigen und müden jüdischen Mann handele, gelangt sie zu der Einsicht, dass er die Anrede „Herr“ verdiene und ein Prophet sein müsse, da er über übermenschliches Wissen verfüge. „After further dialogue, she begins to ponder if Jesus might be something more than a prophet, and when she mentions the messiah, Jesus openly claims the office, if not much more: ἐγώ εἰμι, ὁ λαλῶν σοι ( Jn 4.26)“. 222 An der Klimax der Unterhaltung kommt es in Joh 4,27 plötzlich zu einem schroffen Abbruch der Szene. Die Erwartung des Lesers, noch mehr über die weiteren Reaktionen der Frau zu erfahren, wird vom Erzähler nicht erfüllt. Stattdessen schildert er die Rückkehr der Jünger vom Einkauf aus der Stadt und wie sie sich über Jesu Unterhaltung mit einer Frau wundern, ihn aber nicht fragen, warum er dies tut. Über die Frau erfahren die Leser nur noch, dass sie nach der Unterhaltung mit Jesus und der Rückkehr der Jünger scheinbar über‐ stürzt 223 den Ort verlässt, in die Stadt eilt, dort öffentlich zu den Dorfbewohnern spricht und sie einlädt, mit ihr herauszufinden, ob Jesus nicht der Messias sei. Es zeigt sich, dass jegliche Scheu vor den Menschen ihres Dorfes der Euphorie über Jesus gewichen ist. Nun, so gibt der Erzähler später retrospektiv in Joh 4,29-42 wieder, legt sie mutig Zeugnis für Jesus und sein übernatürliches Wissen um ihre Vergangenheit ab, lädt die Dorfbewohner zu Jesus als dem Messias ein und verschwindet dann von der Bildfläche. Fasst man die im JohEv vom Erzähler dargelegte Charakterisierung der Sa‐ maritanerin zusammen, so lässt sich Folgendes festhalten: Bei der Samaritanerin 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 137 <?page no="139"?> 224 Vgl. K O W A L S K I 2016, 144. 225 B R A N T (2004, 31−32) erkennt in diesem Übergang eine Ähnlichkeit zu den Übergängen im griechischen Drama. „She notes that often dramatists use a choral ode to make the transition (stasimon) between one scene and another. Often the stasimon will offer some form of reflection on what has happened and act as a bridge into the next section“ (P H I L L I P S 2016, 294). 226 vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 232. handelt es sich um eine nicht namentlich genannte, sehr komplexe Figur, in deren Innenleben narratorial viel Einblick gegeben wird. Erzählt wird, dass sie aus der Stadt Sychar stammt und dort wohl aufgrund ihres fragwürdigen Le‐ bensstils ausgegrenzt/ gemieden wird. Vom Erzähler wird sie als selbstbewusste, beherzte und mutige Frau dargestellt, die sich schlagfertig und redegewandt zu wehren weiß. Beschrieben werden ihre Skepsis, ihre Überheblichkeit und ihre spöttische Art gegenüber anderen Ansichten, was vermutlich ihrer starken Religiosität und ihrem Traditionsbewusstsein geschuldet sein dürfte. Trotz der Verankerung in Religion und Tradition lässt sich bei der Frau aber eine starke Entwicklung hin zu einer vorsichtigen Offenheit gegenüber den von Jesus dargestellten Alternativen erkennen, zudem eine Ehrlichkeit, als sie sich von der Wahrheit überführt weiß. 5.1.2 Zeugnisempfänger: die Dorfbewohner der samarischen Stadt Mit Vers 28 beginnt die für die vorliegende Arbeit entscheidende Szene. Die Ereignisse werden vom Erzähler zunächst nur sehr gerafft wiedergegeben, später dann, nach einem „Intermezzo mit [den] Jüngern Jesu“ 224 , in den Versen 39-42 etwas ergänzt und ausgeschmückt. Die Szene beginnt mit einem Orts‐ wechsel, wobei der Fokus auf die Frau gerichtet bleibt. 225 Sie ist für kurze Zeit die Hauptfigur des folgenden Erzählabschnitts, bevor sie dann ganz von der Bildfläche verschwindet. Nachdem sie überstürzt den Brunnen verlassen hat und in die Stadt geeilt ist, trifft sie hier auf die Stadtbewohner. Die stark geraffte Darstellung der Ereignisse, der erzählten Zeit und des erzählten Raumes, wozu auch die Weg‐ strecke vom Brunnen zur Stadt zählt, 226 vermittelt den Eindruck der Eile und der Dringlichkeit, mit der die Frau ihr Zeugnis übermitteln will. Wo genau und wie sie die Leute der Stadt antrifft, spielt für den Erzähler keine Rolle. Wichtig für den Verlauf der Geschichte ist nur, dass die Bewohner der Stadt zu den Empfängern des Zeugnisses der Frau werden. Doch wer sind diese Leute? Der Text gibt nur wenig Auskunft. Vom Erzähler selbst werden sie zusammen mit allen Samaritanern durch den erklärenden Nebensatz in Joh 4,9b von Anfang 138 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="140"?> 227 Vgl. P H I L L I P S 2016, 296. an als Opponenten der Juden qualifiziert. Bei der ersten direkten Erwähnung in Vers 28 werden sie lediglich als „Menschen“ (ἄνθρωποι) bezeichnet. In der ausführlicheren Schilderung der Ereignisse in den Versen 39-42 werden sie dann als Σαμαρίτης ( Joh 4,39.40) „aus jener Stadt“ (ἐκ δὲ τῆς πόλεως ἐκείνης; Joh 4,39) identifiziert. „Jene Stadt“ bezieht sich dabei auf die eingangs genannte Stadt Sychar. Über diese Angaben hinaus lassen sich die Bewohner der Stadt nur anhand indirekter Angaben aus der ersten Szene näher charakterisieren, wie z. B. aus den Aussagen der Frau über Kongruenzen zwischen ihr und den Bewohnern der Stadt, aus der Ausgrenzung der Frau oder aber aus den Aussagen Jesu über die Samaritaner. Eine weitere Möglichkeit zur Charakterisierung der Bewohner ergibt sich aus der Untersuchung der Reaktion der Stadtbewohner auf die Begegnung mit der Frau. Richtet man das Augenmerk zunächst auf die Übereinstimmungen zwischen den Bewohnern der Stadt und der Samaritanerin, wobei man sich auf die Zuverlässigkeit der Aussagen der Frau verlassen muss, so ergibt sich, dass die Bewohner von Sychar wohl ebenso religiös und traditionell sind wie die Frau. Dies lässt sich den Aussagen der Frau über „unseren Vater Jakob“ ( Joh 4,12) und über den Ort der Anbetung „unserer Väter“ ( Joh 4,20) entnehmen. Aus dieser Annahme lässdt sich vermuten, dass der Großteil der Bewohner ebenso skeptisch und abweisend gegenüber anderen Glaubensformen und Lehrmeinungen ist wie die Frau. Vermutlich sind sie sogar noch konsequenter und intoleranter als die Frau, was sich der Ausgrenzung der Frau aufgrund ihres unmoralischen Lebenswandels entnehmen lässt. Aufgrund der Parallelen zwischen der Frau und den Bewohnern der Stadt ist es nicht verwunderlich, dass Jesus sie alle in seine Beurteilung mit einbezieht. Für ihn ist nicht nur die Frau, sondern jeder Samaritaner unwissend, was das Objekt der Anbetung betrifft ( Joh 4,22). 227 Ihrer Religiosität und ihrer Verwurzelung in den Traditionen haften eine ebenso große Unwissenheit und Unsicherheit an, was den richtigen Ort der Anbetung betrifft, wie es sich bei der Frau gezeigt hat. Aus all diesen Parallelen und Ähnlichkeiten lässt sich erkennen, dass die Frau als Repräsentantin der Stadtbewohner verstanden werden kann. Ihre Charakterisierung entspricht größtenteils der der Bewohner von Sychar. Auch wenn der Erzähler die Begegnung der Frau mit den Bewohnern nicht ausführlich schildert, so ist doch zu vermuten, dass diese in ähnlicher Weise auf die Frau reagieren, wie die Frau zuvor auf Jesus reagiert hat. Möglicherweise sind auch 5.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 139 <?page no="141"?> 228 Obgleich nur wenige Angaben zum erzählten Raum gemacht werden, dürfte eine um‐ fassende Kompatibilität mit dem Weltbild der intendierten Rezipienten vorherrschen (vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 232). 229 S C H N E L L E (2016, 121) gibt eine Entfernung von ca. 1 km an, K E E N E R (2012a, 590) von 1,5 km. die Samaritaner aufgrund ihrer eigenen Zweifel über den Ort der Anbetung und über das Kommen des Messias zunächst skeptisch. Aber auch bei ihnen zeigt sich eine Entwicklung: Sie öffnen sich, folgen dem Zeugnis der Frau, gehen zu Jesus und glauben später „um seines Wortes willen“ (διὰ τὸν λόγον αὐτοῦ). 5.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Wie erwähnt, wird in Joh 4,28-30 nur ein kurzer Abriss der zweiten Szene gegeben. In Joh 4,39-42 folgt, nach einem Einschub, in einer weiteren Szene ein Rückblick auf die Ereignisse und den Zeugnisinhalt der zweiten Szene. Um die genaueren Umstände des Zeugnisgebens zu erhellen, müssen daher beide Einheiten zusammengezogen und zusammen betrachtet werden. Die zweite Szene beginnt mit der Ankunft der Frau in der Stadt ( Joh 4,28). Wieder ist sie es, die in einen bestehenden Raum hineinkommt, ebenso wie sie in Joh 4,7 zum Brunnen kam, an dem Jesus sich schon aufhielt. Aufgrund der gerafften Erzählung liegen eine geringe Intensität und Genauigkeit der Raumdarstellung vor. Der Erzähler lässt Angaben zum genauen Ort und den Abläufen der Begegnung unberücksichtigt. Ob die Frau die Leute auf einem Marktplatz antrifft oder ob sie von Haus zu Haus geht, lässt sich der Erzählung nicht entnehmen, vor allem weil die Dauer der erzählten Zeit nicht erkennbar ist. Beschrieben wird nur, dass die Stadt Sychar 228 als Aktionsraum der Frau die Möglichkeit zur Begegnung mit einer Anzahl von Leuten bietet. Wann genau die Frau die Stadt erreicht und wann sich die erzählten Ereig‐ nisse zutragen, lässt sich ebenfalls nicht ausmachen. Es ist unklar, wie lange das Gespräch mit Jesus dauert, wie lange sie für die ca. 1-1,5 km 229 vom Brunnen zurück in die Stadt braucht und wann sie dort die Menschen antrifft. Die Szene dürfte sich um die Nachmittagszeit abspielen. Diese würde zur erzählten Zeit und der geschilderten Begegnung der Frau mit den Stadtbewohnern passen, die um diese Zeit nach der Haupthitze wieder aus den Häusern kommen und auf den Straßen oder den Plätzen anzutreffen sind. Analysiert man über die Orts- und Zeitangaben hinaus die Art und Weise, wie sich der Zeugnisakt bzw. das „Zeugnisgespräch“ zuträgt, so lässt sich zunächst erkennen, dass es sich bei dem erzählten Gespräch um ein Gruppengespräch 140 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="142"?> 230 Dies beobachtet auch P H I L L I P S (2016, 297): „Interestingly they receive the message passively. It is the woman who still holds the active role - she tells them the message about Jesus“. in einer Klein- oder Großgruppe handelt, das öffentlichen Charakter aufweist. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner ist dabei asymmetrisch. Obwohl die Samaritanerin aufgrund ihres Geschlechts und wegen ihres möglicherweise un‐ moralischen Lebensstils auf den ersten Blick den Stadtbewohnern soziokulturell bedingt unterlegen scheint, ist sie doch als Zeugin wegen ihres Wissens über Jesus im Zeugnisgespräch den Zeugnisempfängern wissensmäßig überlegen. Was den Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner betrifft, so könnte dieser sich über alle Kategorien erstrecken. Einige Bewohner der Stadt dürften der Frau vertraut oder gut bekannt gewesen sein, andere hingegen nur bekannt, flüchtig bekannt oder unbekannt. Schwerer einzuschätzen sind die Gesprächsgattung sowie der Grad der Vor‐ bereitetheit der Gesprächspartner. Es ist gut vorstellbar, dass sich die Frau auf dem Weg zur Stadt Gedanken über den Inhalt ihres Zeugnisses gemacht hat. Damit würde das Gespräch, zumindest vonseiten der Frau, unter die Gattung „speziell vorbereitet“ fallen. Da der Erzähler jedoch keinerlei Einblick in die Gedankenwelt und das Innenleben der Frau gewährt, muss, aufgrund der schlicht gehaltenen Erzählung, das Gespräch als natürlich-spontan und vom Grad der Vorbereitetheit her der Gesprächspartner als nicht vorbereitet eingestuft werden. Dargestellt wird vom Erzähler nur das unmittelbar und abrupt vorgetragene Zeugnis der Frau, dem scheinbar jegliche Gesprächseröff‐ nung fehlt. Dies erweckt beim Leser erneut den Eindruck der Dringlichkeit, welche die Frau verspürt und die sie zur raschen Übermittlung des Zeugnisses bewegt. Zudem lässt die fehlende Darstellung einer verbalen Reaktion der Stadtbewohner das Gespräch wie einen Monolog erscheinen, bei welchem die Frau als dominierende, handelnde Person aus der Szene heraussticht, die Bewohner hingegen aufgrund des fehlenden Redeanteils als lediglich passive Rezipienten des Zeugnisses verblassen. 230 Der Fokus des Erzählers liegt hier also nicht darauf, wie das Zeugnis gegeben wird, sondern vielmehr auf dem Inhalt und vor allem darauf, dass die Frau Zeugnis für Jesus ablegt. Dies wird durch die Themafixiertheit des Gesprächs untermauert, die sich als speziell themafixiert erkennen lässt. Die Frau gibt klar vor, worum es sich in diesem „Zeugnisge‐ spräch“ handelt, und fordert durch ihre themenbezogene Frage zur weiteren Konzentration auf das Thema und zu einer Reaktion auf ihr Zeugnis heraus. Die Handlungsdimension des Gesprächs ist somit deutlich direktiv, d. h., das Gespräch hat Anweisungs- und Hinweischarakter, weil es „Handlungen bewirkt 5.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 141 <?page no="143"?> 231 H E N N E & R E H B O C K 2001, 30. 232 Insgesamt zeigt sich im Verlauf des JohEv also die Offenbarungssteigerung vom „König von Israel“ hin zum „Retter der Welt“. und vorbereitet“. 231 Die Zeugnisempfänger sind eindeutig herausgefordert zu „kommen“ und zu „sehen“, „ob er [ Jesus] nicht der Christus sei“. Bevor auf die Folgen des Gesprächs eingegangen wird, soll hier noch der Inhalt des Zeugnisses näher untersucht werden. Es stellt sich die Frage, was genau die Frau über Jesus bezeugt, aus welchem Grund sie Zeignis über Jesus ablegen und wozu sie dies tun. Der Inhalt des Zeugnisses wird vom Erzähler in Joh 4,29 wie folgt wiederge‐ geben: „Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe! Dieser ist doch nicht etwa der Christus? “ Die Samaritanerin beginnt ihr Zeugnis über Jesus umgehend mit dem werbenden Aufruf „Kommt, seht“ (δεῦτε ἴδετε). Im johanneischen Sprachgebrauch wurde ὁράω bereits in Joh 1,39 und Joh 1,46 (ἔρχου καὶ ἴδε) im Sinne eines einladend-werbenden Aufrufs zur Nachfolge Jesu verwendet. In Joh 1,39 ist es Jesus selbst, der sich damit an zwei Jünger Johannesʼ des Täufers wendet. Obwohl es im Kontext des Verses zunächst um ein Kommen und Sehen des Ortes geht, an dem Jesus untergekommen war, wird aus dem weiteren Verlauf der Erzählung deutlich, dass die von Jesus ausgesprochene Einladung zugleich auch den Ruf in die Nachfolge beinhaltet. Beide Männer werden zu den ersten Jüngern und Nachfolgern Jesu. In Joh 1,46 wird die Aufforderung „Komm und sieh“ (ἔρχου καὶ ἴδε) nicht von Jesus, sondern von dessen Jünger Philippus an Nathanael gerichtet. Nathanael folgt der Einladung zunächst skeptisch, gelangt dann aber durch die Begegnung mit Jesus und dessen Wissen über seinen vorherigen Aufenthaltsort zu einer über das Bezeugte hinausgehenden Überzeugung, dass Jesus „Gottes Sohn“ (ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ) und „König von Israel“ (βασιλεὺς … τοῦ Ἰσραήλ) sei. Dasselbe Muster findet sich im Zeugnisakt der Samaritanerin. Wieder ist es eine Figur der Erzählung, in diesem Fall die Samaritanerin, die durch ihre Begegnung mit Jesus verändert wird und daraufhin werbend und zeugnishaft zu Jesus einlädt. Wie im Kontext von Joh 1,46 kommt es auch im Verlauf von Joh 4,29 zur Begegnung der Geworbenen (hier der Stadtbewohner) mit Jesus und zu einer über den Inhalt des Zeugnisses der Frau hinausgehenden Erkenntnis, dass Jesus „der Retter der Welt“ (ὁ σωτὴρ τοῦ κόσμου; Joh 4,42) sei. 232 Dass die geworbenen Bewohner der Stadt der Aufforderung der Frau folgen, hängt nicht nur von deren werbender Einladung „δεῦτε ἴδετε“ ab, sondern vor allem vom Inhalt ihres Zeugnisses, welcher unmittelbar nach der Einladung ausgesprochen wird. Nachdem die Samaritanerin Jesus zunächst schlicht als 142 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="144"?> 233 Die minimale Abweichung von εἶπέν μοι πάντα ὅσα ἐποίησα in Joh 4,29 zu εἶπέν μοι πάντα ἃ ἐποίησα in Joh 4,39 ist dabei zu vernachlässigen, da sie nicht einmal in allen Textvarianten vorliegt. 234 B E U T L E R 1972, 215. 235 Vgl. B E C K 1997, 75 und die kurze Untersuchung von M O S E R (2011), die Vertreter dreier unterschiedlicher Positionen anführt, bevor sie zu einem eigenen Vorschlag kommt. 236 B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F (1979, 354−355) weisen darauf hin, dass μήτι normaler‐ weise eine verneinende Antwort erwartet, bemerken aber auch, dass in Joh 4,29 wohl eine Modifikation vorliegt, die folgende Übersetzung ermöglicht: „,Das muss am Ende doch der Messias sein‘“ oder „,vielleicht ist das der M.‘“ (355). 237 B E U T L E R (2016, 165) betont zu Recht: „Im Licht der Erzählanalyse scheint eine Vermu‐ tung der Frau, Jesus sei der Messias (nach dem Zeugnis von V. 26), wahrscheinlicher als das Gegenteil. Eben aus diesem Grund brechen ja die Bewohner von Sychar zu Jesus hin auf (V 30).“ Von einer „Vermutung“ sprechen auch D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 113), S C H N A C K E N B U R G (1981, 478), S C H N E L L E (2016, 128). C A R S O N (1991, 228) hingegen sieht hier eher ihre Zögerlichkeit: „She asks, with evident excitement but still some hesitation (mēti), Could this be the Christ? “. „Mensch“ (ἄνθρωπος) bezeichnet hat, hebt sie dann die Eigentümlichkeit dieses Menschen durch den folgenden Beisatz hervor: „Er hat mir alles gesagt, was ich getan habe“ (εἶπέν μοι πάντα ὅσα ἐποίησα). Gerade dieses spezielle Wissen Jesu um Bereiche des persönlichen Lebens, die er eigentlich nicht wissen dürfte, hat die Frau, in gleicher Weise wie zuvor Nathanael, von der Besonderheit und Andersartigkeit Jesu überzeugt. Der Hinweis auf die „Allwissenheit“ Jesu wird daher zum zentralen Inhalt des Zeugnisses für Jesus. Dass es sich dabei um den zentralen Zeugnisinhalt handelt, wird vom Erzähler dadurch unterstrichen, dass er dieselbe Aussage 233 später in der Erzählung in Joh 4,39 erneut anführt und explizit durch das Verb μαρτυρεῖν als „Zeugnis“ kennzeichnet. Bezüglich des hier auf μαρτυρεῖν folgenden ὅτι ist Folgendes festzuhalten: [In] Joh 4,39 steht nach μαρτυρεῖν ein ὅτι recitativum, das von den Übersetzern meist mit einem Doppelpunkt wiedergegeben wird und das Zeugnis der Samariterin in direkter Rede einführt […] Gegenstand des Zeugnisses ist also eine Tatsache: die Erfahrung, die die Frau mit dem Wissen Jesu gemacht hat. Das ‚Zeugnis‘ erfolgt vor dem Publikum der Stadt und hat kein gerichtliches Gepräge. Die Frau bekennt nur, was sie gehört und erlebt hat. 234 Während der Zeugnisinhalt (die „Allwissenheit“ Jesu) leicht auszumachen ist, wird die Bedeutung des darauffolgenden Nebensatzes aufgrund des vorange‐ stellten „nicht etwa“ (μήτι) kontrovers diskutiert. 235 Auch wenn es grammatisch naheliegt, auf das μήτι eine negative Antwort zu erwarten, 236 so gehen die meisten Ausleger aufgrund des Kontextes doch davon aus, dass die Frau hier ihre Vermutung über Jesus als den Messias äußert 237 oder aber aus der gewonnenen 5.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 143 <?page no="145"?> 238 Von einer „offenen Fragestellung“ bzw. einer Frage die „eher als demütige Zurückhal‐ tung gesehen werden“ kann, geht beispielsweise W A G E N E R (2015, 364) aus. 239 O K U R E 1989, 174. 240 Z U M S T E I N 2016, 187. 241 B E C K 1997, 75−76. 242 Diese Feststellung entspricht der bereits eingangs dargestellten Beobachtung H I N D L E Y (1965, 337), dass das Ziel des Zeugnisses die Einladung zum Glauben und zur Nachfolge Jesu ist. Glaubensüberzeugung eine rhetorische oder offene Frage 238 formuliert, um die Stadtbewohner herauszufordern. V 29b is a veiled confession couched in the form of a question in order to appeal to the personal judgement of the Samarians, get them to reflect, and so arouse their interest in Jesus. In short, the ‚caution‘ forms part of the womanʼs technique of arousing the curiosity of her fellow Samaritans in order to lead them to Jesus. 239 Etwas zurückhaltender, aber der Szene entsprechend kann Folgendes festge‐ halten werden: „Die Formulierung (μήτι) lässt zwar eine noch zögernde Über‐ zeugung erkennen, doch nötigt diese Unbestimmtheit sowohl die Bewohner der Stadt als auch den Leser, sich eine eigene Meinung zu bilden“. 240 Etwas anders formuliert kann gesagt werden: „Whatever the womanʼs intent, the ambiguity of her μήτι does produce the need for reflection and necessitate decision, not only on the part of the villagers in the narrative, but on the part of the reader as well“. 241 Ausgehend von diesem Verständnis wird die oben genannte Annahme bestärkt, dass der Inhalt und die Handlungsdimension des Zeugnisgesprächs deutlich direktiv sind und Anweisungscharakter aufweisen. Die Aussagen der Frau fordern und bewirken eine Folgehandlung der Bewohner. Um den Wahrheitsgehalt des Zeugnisses zu ermessen, müssen sie aktiv werden. Sie müssen selbst zu Jesus gehen, um ihn kennenzulernen. Darin liegt das Ziel des Zeugnisses der Frau begründet: Es soll zu Jesus führen, um zum Zeugnis „erster Hand“ zu werden und um zu eigener Glaubensüberzeugung zu führen. 242 5.3 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Die Bewohner Sychars folgen dem einladenden Zeugnis der Frau. Dies mag verblüffen, ist doch aufgrund der narrativen Darstellung der Frau zu erwarten gewesen, dass ihr, angesichts ihres Lebensstils, wenig Anerkennung, Aufmerk‐ samkeit und Glauben geschenkt werden würden. Da die Stadtbewohner der Aufforderung der Frau aber Folge leisten, kann spekuliert werden, ob nicht 144 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="146"?> 243 Eine grafische Darstellung der Überlappung der Zeitstruktur findet sich bei W A G E N E R 2015, 367. 244 S C H N E L L E (2016, 130) verweist bezüglich der „zwei Tage“ auf Joh 11,6 und Didache 11,5, wonach „sich Wanderprediger nur zwei Tage in einer Gemeinde aufhalten“ sollen. 245 Anstatt des λαλιάν haben die Textzeugen א* D b l r 1 hier σην μαρτυριαν. 246 Auch W A G E N E R (2015, 369) betont: „Der Vergleich [zwischen den Worten Jesu und der Frau] drückt keine Geringschätzung der Samariterin aus. Er betont hingegen ihr vorausgehendes Wirken und schätzt ihr Handeln wert, indem ihr die absolut positive Figur Jesus gegenübergestellt wird und ihre Wirkung nicht konträr zu seiner ist, sondern lediglich von geringerer Ausprägung“. schon die Jünger bei ihrem Einkauf in der Stadt Zeugnis von Jesus abgelegt haben, sodass die Bewohner vorbereitet sind und deshalb bereitwillig der Einladung der Frau folgen. Auf all diese Spekulationen geht der Erzähler nicht ein. In bekannter, geraffter Erzählweise schildert er in Joh 4,30, wie die Zeugnisempfänger in Begleitung der Frau aus der Stadt hinausgehen und zu Jesus kommen. Nach einer eingescho‐ benen Anmerkung über die Ereignisse, die sich in der „Zwischenzeit“ (ἐν δὲ τῷ μεταξύ; Joh 4,31) bzw. in der Abwesenheit der Frau abgespielt haben, führt der Erzähler in Joh 4,39 weiter aus: „Aus jener Stadt aber glaubten viele von den Samaritanern an ihn um der Worte der Frau willen, die bezeugte: Er sagte mir alles, was ich getan habe“. Mit diesem Satz fasst der Erzähler rückblickend die (vorläufige) Wirkung des Zeugnisses der Frau zusammen und knüpft damit, nach der eingeschobenen Szene Joh 4,31-38, an die bereits eingeleitete Erzählung von Joh 4,30 an. 243 Im darauffolgenden Satz in Joh 4,40 wird geschildert, dass die Samaritaner bei Jesus eintreffen. Scheinbar unmittelbar bitten sie ihn, bei ihnen zu bleiben. Jesus kommt der Bitte nach und bleibt der Erzählung zufolge zwei Tage 244 bei den Samaritanern. Über die Ereignisse, die sich in diesen beiden Tagen zutragen, gibt der Erzähler nur indirekt durch eine zitierte Aussage der Samaritaner Auskunft: Jesus hat in dieser Zeit viel mit den Menschen gesprochen, und „seine Worte“ ( Joh 4,41) und das, was sie „selbst hörten“ ( Joh 4,42), waren Auslöser dafür, dass nach den zwei Tagen „noch viel mehr glaubten“, nun aber nicht mehr um des Zeugnisses der Frau willen, 245 sondern um seines Wortes willen ( Joh 4,41). Obwohl die Samaritaner am Ende aufgrund der Worte Jesu glauben und dies sogar am Schluss der Szene gegenüber der Frau betonen ( Joh 4,42), dürfen die Bedeutung und die Folgen des Zeugnisses der Frau nicht unberücksichtigt bleiben oder unterschätzt werden. 246 Immerhin ist es ihr Zeugnis, das bei den Bewohnern Sychars einen grundlegenden Glauben geweckt und sie zu Jesus geleitet hat. Explizit wird vom Erzähler betont, dass von den Samaritanern „viele“ (πολλοί) „um des Wortes der Frau willen“ an Jesus glauben ( Joh 4,39). 5.3 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses 145 <?page no="147"?> 247 So D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 121), der unter καὶ πολλῷ πλείους ἐπίστευσαν versteht, dass noch „‚viel mehr‘ Menschen zum Glauben fanden“. 248 Gegen W A G E N E R (2015, 366), der eine „Unterscheidung in verschiedene Qualitäten des Glaubens“ ablehnt, dann aber einräumt, dass die Worte Jesu „die Wirkung der Frau quantitativ und qualitativ“ überbieten (369). 249 S C H N A C K E N B U R G 1981, 488. Ausführlich untersucht auch M A C C I N I (1996, 122−126) den Glauben bzw. die Glaubensentwicklung der Stadtbewohner. Obwohl von Joh 4,39 herkommend der Glaube der Stadtbewohner als „vollkommen“ verstanden werden könne, so würde die Wendung „ἐπίστευσαν εἰς αὐτόν“ an sich noch nichts bedeuten. Auch andere Gruppen werden anfänglich mit derselben Wendung bezeichnet, wollen aber kurz darauf Jesus steinigen ( Joh 8,30−59). Πιστεύειν könne daher in Joh 4,39 als anfängliche Neugier der Samaritaner verstanden werden. Maccini argumentiert im weiteren Verlauf seiner Untersuchung (unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Textvarianten) für einen Prozess der Glaubensentwicklung bei den Samaritanern und kommt zu dem Ergebnis, dass der erwähnte Glaube der Samaritaner in Joh 4,39 und Joh 4,42 nicht der gleiche sein könne: „There is a qualitative differnence in their faith. It is tempting to construe the case of the villagers as the one example in Johnʼs Gospel where mature faith is attained solely through a human witness to Jesus, and that what changed for them was only the basis for and not the quality of their faith. But […] this cannot be done. Nowhere in Johnʼs Gospel does anyone arrive at a mature faith in Jesus without personal experience of him or based only upon the testimony of another“ (126). 250 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 164; vgl. M O R R I S 1995, 250−251. Dies zeigt sich durch das ganze Evangelium hindurch: „Nowhere in Johnʼs Gospel does anyone arrive at a mature faith Ihr vorsichtiges, vielleicht noch von eigenen Fragen und Zweifeln begleitetes Zeugnis über die Messianität und Allwissenheit Jesu hat Auswirkung auf die Einstellung der Stadtbewohner: Nun „glaubten sie an ihn“ (ἐπίστευσαν εἰς αὐτόν). Dieser durch das Zeugnis der Frau geweckte erste Glaube wird dann durch die Begegnung mit Jesus gestärkt und gefestigt, sodass der Erzähler schließlich betont: „[N]och viel mehr glaubten“ (καὶ πολλῷ πλείους ἐπίστευσαν; Joh 4,41). Diese Aussage könnte zwar als ein rein quantitativer Zuwachs an Gläubigen verstanden werden, 247 Joh 4,42 legt aber nahe, dass es sich hierbei vor allem um eine qualitative Entwicklung des Glaubens handelt. 248 Der „Anfangsglaube, der die Glaubensbereitschaft beleuchtet […] soll durch Jesu unmittelbares Offenbarungswirken noch breiter (V 41 πολλῷ πλείους), fester (V 42a) und tiefer (V 42b) werden“. 249 Vom anfänglichen und neugierigen „Glauben“, aufgrund des Zeugnisses der Frau, gelangen die gläubig gewordenen Samaritaner durch die Begegnung mit Jesus zu einem vertieften Glauben an ihn. Es kann also festgehalten werden: „The womanʼs testimony provided the initial impetus for them to come to Jesus, but now they have heard for themselves and have drawn their one conclusion […] In fact, secondhand testimony is no substitute for a direct personal encounter with Christ“. 250 146 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="148"?> in Jesus without personal experience of him or based only upon the testimony of another“ (M A C C I N I 1996, 126; eigene Hervorhebung). 251 Zur Bedeutung und Glaubwürdigkeit weiblicher Zeugen vgl. M A C C I N I 1996, 61−97. Dass Frauen allgemein im JohEv besondere Aufmerksamkeit zukommt, ist offensichtlich (vgl. die Übersicht über Genderstudien im JohEv. bei H U N T , T O L M I E & Z I M M E R M A N N 2016, 27−30). 252 Neben der Samaritanerin bleiben in der Erzählung des JohEv auch der königliche Beamte und dessen Sohn (4,46−54), der Kranke am Teich Bethesda (5,5−15), der Blindgeborene (9,1−40), die Mutter Jesus (2,1−12), der „Lieblingsjünger“ und selbst der Erzähler namenlos. Vgl. B E C K 1997; S K I N N E R 2016a, 125−127; W A T T Y 1979, 209−212. 253 S K I N N E R 2016a, 117. 254 S K I N N E R 2016a, 125. 255 S K I N N E R 2016a, 126. 256 B E C K 1979, 2. Nachdem die Bewohner durch das Zeugnis der Frau zu solch einer direkten Begegnung mit Jesus gelangt sind, ist das Ziel ihres Zeugnisses erreicht. Der Erzähler kann die samaritanische Zeugin im weiteren Verlauf der Szene aus der Erzählung verschwinden lassen. Als Zeugin hat sie ihren Beitrag geleistet. Sie hat über die wahre Identität Jesu Zeugnis abgelegt und zur Begegnung mit Jesus und zum Glauben an ihn eingeladen. 5.4 Zusammenfassung und Beurteilung Mit der samaritanischen Frau tritt eine für die vorliegende Arbeit und die Zeugnisthematik des Evangeliums interessante, komplexe Figur in Erscheinung - nicht nur, weil es sich bei ihr um eine Frau handelt, die der Erzähler als Zeugin für Jesus auftreten lässt, was für die erzählte Zeit und die Zeit der Abfassung der Erzählung eher ungewöhnlich ist, 251 sondern auch, weil sie in der Erzählung namenlos bleibt. Anonymität an sich ist zunächst weder für das JohEv 252 noch für andere antike Erzählungen außergewöhnlich. „Characters in ancient writings were often reduced to the role of faceless, formless vehicles that existed primarily to advance the action of the story.“ 253 Anonyme Figuren dienen oftmals „as simple agents who help guide the action of the story“. 254 Im Falle des JohEv ist dies aber anders. Der Erzähler weicht in seiner Erzählung vom gewöhnlichen antiken Gebrauch anonymer Figuren ab. Für ihn existieren anonym auftretende Figuren nicht nur, um die Handlung der Geschichte voranzutreiben, sondern es zeigt sich, „that the use of anonymity is an important part of the Fourth Gospelʼs approach to characterization“ 255 und dass „some Fourth Gospel anonymous characters […] demonstrate narrative significance by their faith response to Jesusʼ word […]“ 256 . 5.4 Zusammenfassung und Beurteilung 147 <?page no="149"?> 257 Dies und die bereits erwähnte Tatsache, dass im JohEv nirgends das Substantiv μάρτυς verwendet wird, bekräftigen die Annahme, dass es dem Erzähler in seiner Darstellung nicht so sehr um die einzelnen Zeugen geht, sondern vielmehr um das Zeugnis bzw. den Akt, die Tatsache und den Inhalt des Zeugnisgebens für Jesus. Über diese Beobachtungen hinaus ist für die vorliegende Arbeit vor allem die Feststellung von Bedeutung, dass gerade anonyme Zeugen, wie in diesem Fall die samaritanische Frau, aufgrund ihrer Anonymität stärker als namentlich genannte Zeugen hinter ihr Zeugnis für Jesus zurücktreten. 257 Dies ist, wie sich bereits in den ersten Zeugnisszenen gezeigt hat, eines der Anliegen des Erzählers. Nicht die Zeugen, sondern das Zeugnis soll in den Vordergrund gestellt und in Erinnerung behalten werden. Die Zeugen hingegen werden nach dem Ablegen ihres Zeugnisses vom Erzähler aus der Erzählung genommen und durch weitere, nachfolgende Zeugen ersetzt, bis auch diese wieder entfernt und ersetzt werden. So auch im Fall der Samaritanerin: Nachdem der Erzähler seinen ersten Zeugen Johannes aus der Erzählung genommen hat, dessen Zeugnis den Lesern aber noch in Erinnerung ist, wird als weitere Zeugin für Jesus die samaritanische Frau in die Erzählung eingeführt, um nach Ablegen ihres Zeugnisses aus der Erzählung genommen zu werden. Diese Zeugin zeichnet sich durch ihre zunächst selbstbewusste, mutige, schlagfertige und redegewandte Art aus und begegnet den Aussagen und Fragen Jesu aufgrund ihrer starken Religiosität und ihres Traditionsbewusstseins skeptisch, überheblich und scheinbar spöttisch. Im Laufe des Gesprächs zeigt sich eine Entwicklung der Figur. Sie öffnet sich zunehmend den von Jesus dargestellten Alternativen und erkennt ihn als Pro‐ pheten, vielleicht sogar als Messias an. In ähnlicher Weise wie bei Philippus und Nathanael wird die Frau durch die Begegnung mit Jesus derart verändert, dass sie selbst werbend und einladend Zeugnis für Jesus ablegt und ihre Landsleute in einem Zeugnisgespräch zu Jesus einlädt. Infolge ihres herausfordernden Zeugnisses und der vagen Vermutung, dass Jesus der Christus sein könnte, lassen sich die Zeugnisempfänger zu Jesus einladen und gelangen durch die Begegnung mit Jesus und durch seine Worte zu einer weitaus tiefergehenden und weitreichenderen Erkenntnis, nämlich dass dieser der Retter der Welt sei. Erneut zeigt sich hierin das johanneische Muster des Zeugnisgebens, das schon Bultmann wie folgt zusammenfasst hat: „[D]er vermittelnde Bote ist von entscheidender Bedeutung, denn er führt ja die Anderen zu Jesus; aber damit 148 5 Zeugnisszene 4: Die Samaritanerin ( Joh 4,28-30.39-42) <?page no="150"?> 258 B U L T M A N N 1986, 148. Ähnlich formulieren OʼDay: „The witness that leads to Jesus is replaced by oneʼs own experience of Jesus“ (wiedergegeben in M O S E R 2014, 72) und „The full circle of the witness encounter occurred when the woman brought others to faith in Jesus“. erledigt er sich selbst, und der Hörer - ‚zweiter Hand‘ wird zum Hörer - ‚erster Hand‘.“ 258 5.4 Zusammenfassung und Beurteilung 149 <?page no="152"?> 259 Das Verb μαρτυρεῖν wird insgesamt sieben Mal gebraucht ( Joh 5,31.32(2x).33.36.37.39), μαρτυρία vier Mal (5,31.32.34.36). 260 Drittes Zeichen nach Zählung des Erzählers (vgl. Joh 2,11; 4,54). 261 Das fünfte Kapitel wird von fast jedem Ausleger anders gegliedert. Manche gliedern wie folgt: Joh 5,1−9ab; 5,9c−16 und 5,17−30 zusammen (S C H N E L L E 2016, VII), andere unterteilen Joh 5,1−9a; 5,9b−15; 5,16−30 (T H Y E N 2015, VIII) oder 5,1−9b; 5,9c−18; 5,19−30 (Z U M S T E I N 2016, 9) oder: Joh 5,1−9a; 5,9b−16; 5,17−30 (K E E N E R 2012a, XV). Wieder andere nehmen eine gröbere Gliederung vor: Joh 5,1−15; 5,16−30 (S C H N A C K E N B U R G 1980, VII) oder: Joh 5,1−18; 5,19−47 (B A R R E T T 1978, V); oder: Joh 5,1−18; 5,19−30 (D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, V; T H E O B A L D 2009, 8). 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) Die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Zeugnisthematik des JohEv erfährt im fünften Kapitel des Evangeliums ihren Höhepunkt. In keinem anderen Abschnitt werden vom Erzähler so viele Zeugen für Jesus angeführt wie hier und nirgends sonst werden die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία so häufig verwendet wie in diesem Abschnitt. 259 Nachdem der Erzähler in der vorausgehenden Szene ( Joh 5,1-14) von Jesu drittem Zeichen 260 berichtet hat - der Heilung eines Gelähmten am Sabbat -, folgt nach einer Überleitung ( Joh 5,15-16) in der folgenden Szene ( Joh 5,17-47) die Schilderung des Konflikts, der aufgrund des Wunderwirkens Jesu am Sabbat zwischen Jesus und „den Juden“ entsteht. 261 Zur Verteidigung seines Tuns und zur Bezeugung seiner Herkunft von Gott führt Jesus mehrere Zeugen an. Diese sowie die Zeugnisempfänger und die genaueren Umstände des Zeugnisgebens werden im Folgenden untersucht. 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? In der in Joh 5 geschilderten Auseinandersetzung Jesu mit „den Juden“ lässt der Erzähler Jesus mehrere Zeugen für sich anführen, sowohl menschliche als auch nicht menschliche und sogar einen göttlichen Zeugen, um von seiner wahren Identität und der Rechtmäßigkeit seines Tuns zu überzeugen. Dabei geht Jesus äußerst geschickt vor, indem er die menschlichen Zeugen - sich selbst und Johannes den Täufer - zwar anführt, diese dann aber zurückstellt bzw. verwirft, mit der Begründung, dass sie von der Gegenseite wohl kaum für glaubwürdig, <?page no="153"?> 262 Da das Zeugnis Johannes des Täufers nur beiläufig von Jesus erwähnt wird und Johannes bereits in der ersten Zeugnisszene ( Joh 1−18) ausführlich beleuchtet worden ist, soll in dieser Szene nicht näher auf ihn und sein Zeugnis eingegangen werden. 263 Der Begriff ἀληθής hat in diesem Zusammenhang eher die Bedeutung „zuverlässig“, „gültig“, „glaubwürdig oder „beweiskräftig“ (B E U T L E R 1972, 256; C A R S O N 1991, 259; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 190; S C H N A C K E N B U R G 1980, 170). Entsprechend sieht B E U T L E R (1972, 256) Jesu Aussage hier „vom Standpunkt der Juden aus gesprochen […]“. Zu einer ausführlichen Abhandlung vgl. S I M P S O N 2014, 101−118. Er ist der Überzeugung, dass sich Joh 5,31 und 8,14 nicht widersprechen und dass das Selbstzeugnis Jesu grundsätzlich keiner weiteren Beglaubigung bedarf. „Jesusʼ testimony alone is sufficient to allow a hearer to come to know the central proposition of Christianity“ (109). 264 S C H N E L L E 2016, 151. Dazu merkt D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 206) an: „Zugrunde liegt ein Rechtssatz, der auch in anderen Kulturen gilt, daß niemand für sich selbst Zeugnis geben darf; tut er es doch, dann ist sein Zeugnis nicht wahr und seine Legitimation ist wertlos. Auch das Judentum kannte diesen juristischen Grundsatz“ (vgl. M O R R I S 1995, 287). B E U T L E R (1972, 256) hingegen geht in eine etwas andere Richtung: „Es handelt sich hier um den Ausschluß des ‚Zeugnisses in eigener Sache‘, nicht um das atl-jüdische Verbot des Einzelzeugnisses […]“. wahr oder überzeugend gehalten werden würden. Dennoch werden die beiden Zeugen ( Jesus und Johannes der Täufer) genannt, wodurch bewirkt wird, dass sie, zumindest gedanklich, von den Gegnern als Zeugen in Erwägung gezogen werden müssen und letztlich zu Jesu Gunsten ins Gewicht fallen. 262 Bezüglich seines angeführten Selbstzeugnisses erwähnt Jesus: „Wenn ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis nicht wahr“ ( Joh 5,31). Damit sagt Jesus nicht, dass sein Zeugnis nicht grundsätzlich wahr wäre oder nicht der Wahrheit entspräche (vgl. Joh 8,14), sondern dass sein Zeugnis für nicht „glaubwürdig“ oder „beweiskräftig“ gehalten werden würde. 263 Jesus beugt mit dieser Beurteilung der zu erwartenden Gegenargumentation der Opposition vor, wonach ein „Selbstzeugnis in der Form der Selbstlegitimation […] stets dem Verdacht mangelnder Wahrhaftigkeit [unterliegt]“. 264 Genau dieser Fall tritt später in Joh 8 ein, wo Jesu Selbstzeugnis von den Pharisäern mit den folgenden Worten abgelehnt wird: „Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr“ ( Joh 8,13). Was das Zeugnis des Täufers betrifft, welches zum Auftakt der Erzählung in den Kapiteln 1-3 angeführt ist und auf welches Jesus hier nun rückblickend verweist, so betont Jesus, dass Johannes auf Anfrage von Menschen „Zeugnis gegeben hat für die Wahrheit“ ( Joh 5,33). Das Zeugnis des Johannes war ein Zeugnis, das um der Menschen willen gegeben worden war, „damit sie alle durch in glaubten“ ( Joh 1,7). Für sich selbst nimmt Jesus dieses Zeugnis aber nicht an ( Joh 5,34). Den genauen Grund für diese Ablehnung gibt der Erzähler nicht preis. Spekulieren können die Leser aber, dass Jesus das Zeugnis des Johannes nicht annimmt, weil ein menschliches Zeugnis sein Wunderwirken am Sabbat und 152 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="154"?> 265 M O R R I S (1995, 289) betont: „The whole emphasis of this passage is on the divine attestation of Jesus“. 266 Joh 5,17.18.19.20.21.22.23 (2x).26.36 (2x).37.43.45. 267 Hier sei vor allem auf die Bezeichnung „der Sendende“ verwiesen, die mehrfach in diesem Abschnitt vorkommt: z. B. ist in Joh 5,23 von „dem Sendenden“ (τῷ πέμψαντί), in Joh 5,30 vom Willen „des Sendenden“ (τοῦ πέμψαντός) und in Joh 5,38 von „jenem, der mich gesandt hat“ (ὃν ἀπέστειλεν ἐκεῖνος) die Rede. seinen Selbstanspruch schwerlich rechtfertigen könnte. Dazu bedarf es eines „anderen“, besseren Zeugen - eines Zeugen, der mehr Autorität hat und Jesu „Arbeiten“ am Sabbat überzeugend verteidigen, begründen und legitimieren kann. 265 Aus diesem Grund führt Jesus als glaubwürdige und überzeugendere Zeugnisgeber den Vater, seine Werke und die (alttestamentlichen) Schriften an. 6.1.1 Zeugnisgeber: der Vater Nachdem Jesus zu Beginn sein eigenes Zeugnis erwähnt, es dann aber zurück‐ gestellt hat, führt er im Kontrast zum Selbstzeugnis als erstes glaubwürdiges und überzeugendes Zeugnis das Zeugnis eines „anderen“ an: „Ein anderer ist es, der von mir zeugt, und ich weiß, dass das Zeugnis wahr ist, das er von mir zeugt“ ( Joh 5,32). An dieser Stelle wird weder vom Protagonisten noch vom Erzähler erläutert, wer dieser „andere“ Zeuge ist. Stattdessen fährt Jesus in seiner Rede fort und führt das Zeugnis Johannesʼ des Täufers an. Dadurch entsteht beim Leser vorläufig der Eindruck, dass mit dem „anderen Zeugen“ Johannes der Täufer gemeint sein müsse. Direkt im Anschluss wird jedoch deutlich, dass Johannes nicht gemeint sein kann, weil Jesus selbst das „Zeugnis von Menschen“ verwirft und somit weder Johannes noch ein anderer Mensch als der „andere“ Zeuge infrage kommt. Im weiteren Verlauf des zitierten Gesprächs kommt Jesus auf „ein größeres Zeugnis“ zu sprechen, nämlich das der Werke, die ihm der Vater gegeben hat ( Joh 5,36). Von dem in diesem Zusammenhang erwähnten „Vater“ sagt Jesus ergänzend, dass auch „jener Zeugnis gegeben hat von mir“ (ἐκεῖνος μεμαρτύρηκεν περὶ ἐμοῦ; Joh 5,37). Spätestens hier wird den Rezipienten die Kongruenz zwischen den Begriffen „ein anderer“ (ἄλλος) und „der Vater“ (ὁ πατήρ) ersichtlich, sodass sich ihnen erschließt, dass mit der Bezeichnung „ein anderer“ der Vater gemeint sein muss. Diese Annahme wird durch die Beobachtungen bestätigt, dass Jesus bereits ab Joh 5,17 vom Vater spricht, dass die Bezeichnung πατήρ weitere 13 Mal in dieser Szene verwendet wird 266 und dass der Vater darüber hinaus an weiteren Stellen der Szene indirekt durch andere Bezeichnungen 267 , Personalpronomen und Suffixe immer wieder 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 153 <?page no="155"?> 268 Dieser Überzeugung sind auch die meisten Kommentatoren (vgl. B E U T L E R 1972, 257; 2016, 197; H A R R I S 2015, 117; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 191; M O R R I S 1995, 287; S C H E N K E 2014, 95; S C H N A C K E N B U R G 1980, 171; S C H N E L L E 2016, 151; T H Y E N 2015, 318; Z U M M S T E I N 2016, 233). T R I T E S (1977, 100) merkt an: „The Fathersʼs witness is the only witness that Jesus considers important for his own vindication […]“. 269 Aufgrund der Annahme, dass es sich beim JohEv um ein Werk handelt, dass von den Rezipienten mehrfach gelesen wurde, soll sich die Untersuchung der Charakterisierung des Vaters auch hier wieder auf das gesamte JohEv erstrecken. 270 T H O M P S O N 2001, 228. 271 Bereits in Joh 2,16 nennt Jesus erstmals Gott sein Vater. erwähnt wird. Die gesamte Rede Jesu ist in dieser Szene also auf den Vater fixiert, sodass der „andere“ unbedingt mit dem Vater gleichgesetzt werden muss. 268 Die Frage, die sich stellt, lautet, welches Bild die intendierten Rezipienten im Kopf haben (sollen), wenn in dieser Szene vom „Vater“ als dem Zeugen für Jesus die Rede ist. 269 Zweifelsohne ist den Lesern durch den bisherigen und den wiederholten Lektüreprozess bekannt, dass, wenn im JohEv vom „Vater“ die Rede ist, dieser Vater zugleich Gott ist und dass, wenn von „Gott“ die Rede ist, nicht irgendein Gott gemeint ist, sondern der Gott Israels. In almost every case, the word ‚God‘ applies in the Gospel of John to the God of Israel. While that phrase [God of Israel] is in and of itself never used in Joh, it is clear that the one designated as ‚God‘ is also the one to whom ‚the Jews‘ refer as their God (8: 41, 54). Echoing the words of the Shema, the Gospel speaks of God as ‚the one who alone is God‘ (5: 44) and as ‚the only true God‘ (17: 3). This God is the one who created the world (1: 1-3); gave the law through Moses (1: 17; cf. 9: 16, 29); teaches his people, even as the Scripture promised ( John 6: 45; Isa. 54: 13); has never been seen by any human being (1: 18; 5: 37; 5: 46); and over whose proper worship the Samaritans and Jews quarrel (4: 19-22). Certain institutions and feasts are particularly linked to God. Jesus refers to the Jerusalem temple as ‚my Fatherʼs house‘, alluding to the description in the Psalms of the temple as Godʼs house (Ps. 69: 9). The Scriptures are Godʼs inviolable word (5: 37-47; 10: 34-36). Observance of the Sabbath law, precisely because it is Godʼs law, looms large in the conflict between Jesus and his adversaries (e.g., 5: 16-18; 9: 16,24). The God of the Gospel of John is the God of Israel, who is made known through the feasts and institutions of Israel - such as the Sabbath, the temple, and the law. 270 Dieser Gott Israels wird den Lesern nun von Anfang an als Vater vorgestellt. Dies zeigt sich bereits im Prolog in Joh 1,1-18, dann aber auch an anderen Stellen 271 und ebenso in der vorliegenden Szene. In Joh 5,17.18 wird erzählt, wie Jesus über den Vater sagt: „Mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke“ ( Joh 5,17). Narratorial 154 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="156"?> 272 Joh 3,16−17.34; 8,42; 9,33; 13,3; 16,27.30; 17,3. 273 Joh 5,36.37; 6,57; 8,16.18..27.29; 10,36; 11,42; 12,49; 14,24; 16,28; 17,21.23.25; 20,21. 274 Joh 13,1; 14,28; 16,10.28. 275 Joh 13,3. Auch in Joh 7,33; 8,14.21; 16,5 ist vom Weggehen/ Hingehen Jesu die Rede, es wird aber nicht eindeutig gesagt, zu wem Jesus geht. 276 Die Bedeutung der Vaterschaft für die Charakterisierung Gottes hebt vor allem T O L M I E (1998) hervor. H A R S T I N E (2013, 131−146) hingegen setzt die Vaterschaft voraus und kon‐ zentriert sich in seiner Untersuchung der Charakterzüge auf Gott als den sendenden, liebenden, gebenden und redenden Gott. 277 Da Jesus in Anspruch nimmt, eins mit dem Vater zu sein, die Werke des Vaters zu tun und zu reden, was der Vater redet, müsste eigentlich auch eine Untersuchung der Charakterisierung Jesu erfolgen, da sich aus der Charakterisierung Jesu Rückschlüsse auf die Figur Gottes des Vaters ziehen lassen. Zu dieser Feststellung kommt schon C U L P E P P E R (1987, 113): „It might be better, therefore, to say that God is characterized by Jesus and that having understood the Gospelʼs characterization of Jesus one has grasped its characterization of God“. Dennoch kommt er, wie auch H A R S T I N E (2013, 131), zur Überzeugung, dass eine Betrachtung der Charakterisierung des Vaters auch unabhängig von der Betrachtung der Charakterisierung des Sohnes möglich ist: „Yet in spite of the gospelʼs emphasis on the unity of the two [Father and Son], they are separate, Father and son; and the Father, who is referred to 118 times in John, requires independent consideration“ (C U L P E P P E R 1987, 113). wird erläutert, dass die Juden dieser Aussage entnehmen, dass Jesus behauptet, „Gott sei sein Vater“ ( Joh 5,18). Zwar gibt der Erzähler dadurch zunächst nur die Auffassung der Juden über Jesu Aussage wieder, den Lesern ist aber zugleich ersichtlich, dass diese Auffassung der Wahrheit entspricht und vom Erzähler geteilt wird und vermittelt werden soll. Jesus nennt Gott seinen Vater und somit verschmelzen „Gott“ und „Vater“ zu ein und derselben Figur. Dass der Vater und Gott ein und dieselbe Figur sind, wird den Lesern ebenfalls durch das zentrale Thema der Sendung Jesu bestätigt. Immer wieder wird von einem „Ausgehen“ (ἐξέρχεσθαι) oder einer „Sendung“ (ἀποστέλλειν) Jesu so‐ wohl von Gott 272 als auch von dem Vater 273 gesprochen und ein „Zurückkehren“ (ὑπάγειν) zum Vater 274 bzw. zu Gott 275 erwähnt. Durch diese Aussagen wird den Lesern verdeutlicht, dass die Bezeichnungen „Gott“ und „Vater“ vom Erzähler austauschbar für dieselbe Figur verwendet werden. Mit dieser Feststellung, dass Gott der Vater und der Vater Gott ist und dass er der Sender Jesu ist, sind bereits zwei der grundlegendsten Figurenmerkmale Gottes hervorgehoben. 276 Wie diese Merkmale Gottes als „Vater“ und „Sender“ von den Rezipienten verstanden und gefüllt werden (sollen), wird im Folgenden nachgezeichnet. 277 Die Vaterschaft Gottes wird ausgehend vom Prolog und durch das ganze Evangelium hindurch immer wieder thematisiert. Im Vordergrund steht dabei für den Erzähler vor allem die väterliche Beziehung Gottes zu Jesus als seinem 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 155 <?page no="157"?> 278 Dies erkennt auch T O L M I E (1998, 64) und fasst zusammen: „If we turn to the question as to how God is characterized in these chapters [ Joh 1,19−12,50], it should be pointed out immediately that God is characterized primarily in terms of the relationship between him and Jesus. In fact, more than 80 per cent of the references to God concern his relationship to Jesus in one way or another. In this regard the trait that receives the most emphasis is the Fatherhood of God“. Dass daneben Gott auch der Vater der Menschen werden und sein kann, soll später betrachtet werden. 279 T H O M P S O N (2001, 57) zählt über 85 Stellen, in denen Jesus vom „dem Vater“ spricht, um die zwei Dutzend Stellen, in denen sich die Wendung „mein Vater“ findet und neun Mal begegnet den Lesern „Vater“ ohne Zusatz. 280 Mt 3,17; 17,5; Mk 1,11; 9,7; Lk 3,22; 9,35. 281 Erstmalig in Joh 2,16. 282 C U L P E P P E R 1987, 113; vgl. T H O M P S O N 2001, 57. 283 Zu diesem Schluss kommt auch H A R S T I N E (2013, 138) und bezeichnet Gott den Vater als „source for everything“ und „source of all that is“. 284 „The God of the Gospel of John is the God of life“ (T H O M P S O N 2001, 230). 285 T H O M P S O N 2001, 228. Sohn. 278 Diese Beziehung wird aber nicht vom Vater her, sondern aus Sicht des Sohnes wiedergegeben und vom Erzähler bestätigt ( Joh 5,18; 8,27). 279 Die göttlich-väterliche Bestätigung „dies ist/ du bist mein lieber Sohn“, die mehrfach bei den Synoptikern auftaucht, 280 findet sich in der Erzählung des JohEv nicht. Hier ist es allein Jesus, der Gott als seinen Vater bezeichnet, 281 beschreibt und repräsentiert. Gott wird somit primär durch die Figurenrede Jesu und teilweise durch ergänzende, narratoriale Beschreibungen charakterisiert. Culpepper for‐ muliert dies wie folgt: „God is characterized not by what He says or does but by what Jesus, His fully authorized emissary, says about him“. 282 Wendet man sich den Reden und Aussagen Jesu über den Vater zu, so lässt sich erkennen, dass Jesus Gott nicht nur seinen Vater nennt ( Joh 2,16), sondern dass er sich auch der Liebe des Vaters bewusst ist: „Der Vater liebt den Sohn und hat alles in seine Hand gegeben“ ( Joh 3,35; vgl. 10,17; 15,9; 17,23-26). Dieser Aussage über die Liebe des Vaters lässt sich zugleich eine weitere bedeutende Charakterisierung entnehmen, nämlich die Gebebereitschaft Gottes, des Vaters. Durch das gesamte JohEv hindurch zieht sich die Darstellung Gottes als des Gebers aller Dinge. 283 Als „lebendiger Vater“ ( Joh 6,57) ist er der Gott des Lebens 284 , der Leben hat und Leben gibt. „Of all the functions and activities of God, the one that defines God as Father is that of giving life.“ 285 So ist er es, der dem Sohn Leben gibt ( Joh 5,26; 6,57) und den Sohn der Welt „gegeben“ hat ( Joh 3,16; 6,32), sodass er, Jesus, die „Gabe Gottes“ in Person ist ( Joh 4,10) und die Welt durch den Glauben an ihn das Leben hat ( Joh 3,36). Gott, der Vater, gibt aber nicht nur das Leben, sondern er ist es, der den Sohn verherrlicht ( Joh 8,54; 11,4; 12,23.28; 13,31.32; 16,14; 17,1.5), heiligt ( Joh 10,36), 156 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="158"?> 286 Zum Verhältnis des Sohnes zum Vater und des Vaters zum Sohn vgl. A K A L A 2015, 108−118. 287 T O L M I E 1998, 70. 288 „Childhood of God could only become reality as a result of the events during the glorification of Jesus, the Son of God. During the hour of glorification Godʼs Fatherhood of Jesus could be expended, via Jesus, to everyone who believes in him“ (T O L M I E 1998, 74−75). „versiegelt“ ( Joh 6,27), erhöht ( Joh 12,32), ihn lehrt ( Joh 8,28), ihm hilft ( Joh 12,27), ihm Anweisungen gibt und ihm zeigt, was er tun soll ( Joh 5,20; 10,18; 12,49-50). Darüber hinaus übergibt er ihm das Gericht ( Joh 5,22.27), gibt ihm Vollmacht ( Joh 5,27; 17,2), Werke ( Joh 5,19.36; 17,4), Gebote ( Joh 12,49), Worte ( Joh 17,8.14), Namen ( Joh 17,11.12), Herrlichkeit ( Joh 17,22.24) und letztlich alles ( Joh 3,35; 13,3; 16,15; 17,7.26) und alles, worum der Sohn bittet ( Joh 11,22). 286 Als Geber aller Gaben gibt er nicht nur dem Sohn Leben, sondern er gibt jedem Leben ( Joh 6,40), der von dem „Brot des Lebens“ bzw. vom „Brot aus dem Himmel“ ( Joh 6,32.33.51) isst, das er gegeben hat. Die „Essenden“ (= Glaubenden) sind zugleich diejenigen, die der Vater dem Sohn gegeben hat ( Joh 6,37.39.65; 10,29; 17,2.6.9.24; 18,9), und diese dem Sohn „Gegebenen“ sind diejenigen, die mit in die Beziehung zwischen Vater und Sohn hineingenommen sind. Im JohEv fällt früh auf, dass sich die Väterlichkeit Gottes nicht auf die Beziehung zu Jesus als dem Sohn beschränkt. Bereits vor der Erwähnung der väterlichen Beziehung Gottes zu Jesus ( Joh 1,18; 2,16) wird vom Erzähler schon eingangs im Prolog die Möglichkeit vorgestellt, dass Gott auch der Vater der Menschen werden und sein kann ( Joh 1,12). Als Bedingung für eine solche Vaterschaft wird der Glaube an Jesus bzw. ein „Annehmen“ Jesu ( Joh 1,12), ein „Geborenwerden“ von Gott ( Joh 1,13; vgl. Joh 3,3-8) oder eben das „Essen vom Brot des Lebens“ genannt. Diese im Prolog angesprochene Möglichkeit, Kinder Gottes zu werden, wird in Joh 1,19-12,50 immer wieder erwähnt, nicht jedoch verwirklicht oder erlebt. „None of the human characters are called children of God and none of them is portrayed as legitimately calling God their Father.“ 287 Erst nach der Verherrlichung Jesu erfolgt die Realisierung dieses neuen, väterlichen Verhältnisses Gottes zum Menschen. 288 Durch dieses neue Verhältnis und die Teilhabe an der einzigartigen Beziehung zwischen Gott und Jesus zeichnet sich ein neues Bild ab: Der Vater wird nun auch für die Glaubenden zum Geber aller Gaben. Er, der ihnen durch Jesus das Leben gibt ( Joh 6,33.50; 10,28; 17,2), gibt ihnen auch das grundlegende Recht, Kinder Gottes zu sein ( Joh 1,12). In besonderer Weise ehrt er die, die dem Sohn dienen ( Joh 12,26), und die generelle Liebe Gottes zur Welt ( Joh 3,16) wandelt sich in eine spezifische Liebe des Vaters zu denjenigen, die den Sohn lieben und seine 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 157 <?page no="159"?> 289 Diese zentrale Eigenschaft Gottes wird auch von C U L P E P P E R (1987, 113), T O L M I E (1998, 68) und H A R S T I N E (2013,133) hervorgehoben. In diesem Sinne betont H A H N (2011, 608): „Die Sendung Jesu durch Gott ist geradezu das Herzstück der johanneischen Theologie, womit grundlegende Aussagen über den Vater und über den Sohn verbunden sind“. 290 H A H N 2011,608. 291 Joh 3,34; 5,38; 6,29.57; 7,29; 8,42; 10,36; 17,3.8.18.21.23.25; 20,21. 292 Joh 4,34; 5,23.24.30.37; 6,38.39.44; 7,16.18.28.33; 8,16.18.26.29; 9,4; 12,44.45.49; 13,(16).20; 14,24; 15,21; 16,5; 20,21. 293 Joh 8,42; 13,3; 16,27.28.30; 17,8. 294 Joh 3,13; 6,33.38.41.42.50.51.58. Gebote halten ( Joh 14,21.23; vgl. 16,27; 17,23). Aus der väterlichen Liebe heraus gewährt er seinen Kindern, dass ihre Bitten, die sie im Namen Jesu vorbringen, ebenso erfüllt werden wie die Bitten seines Sohnes Jesus ( Joh 15,16; 16,23). Als Kinder bewahrt er die Gläubigen seinem Willen gemäß durch Jesus ( Joh 6,39) vor Zorn und Gericht ( Joh 3,36; 5,24) und schenkt ihnen seinen Geist ( Joh 3,34) bzw. den Parakleten ( Joh 14,16). Eng mit dieser seiner Gebebereitschaft hängt eine weitere, oben bereits angesprochene Eigenschaft Gottes zusammen, nämlich dass er ein sendender Gott ist. 289 „Die Sendung, die Jesu Kommen vom Vater ebenso einschließt wie die Bevollmächtigung die Repräsentation, beruht auf jeden Fall auf dem Handeln Gottes: Er ist es, der den Sohn ‚sendet‘, und der Sohn ist in all seinem Tun an das gebunden, was Gott ihm aufgetragen hat.“ 290 Gott gibt und sendet also nicht nur Johannes den Täufer als Zeugen und Wegbereiter Christi ( Joh 1,5.33), sondern auch den Geist bzw. Parakleten ( Joh 3,34; 14,16.26) und vor allem seinen Sohn. Das „Senden“ (ἀποστέλλειν) 291 und „Schicken“ (πέμπειν) 292 des Sohnes beinhalten zugleich das „Ausgehen“ (ἐξέρχεσθαι) 293 und „Herabkommen“ (καταβαίνειν) 294 des Sohnes vom Vater sowie die „(Hin)gabe“ (διδόναι) des Sohnes ( Joh 3,16). All das entspricht „dem Willen des Sendenden“ (τὸ θέλημα τοῦ πέμψαντός; Joh 4,34), an den sich Jesus bedingungslos hält ( Joh 4,34; 5,30; 6,38.39.40; 7,17; 9,31). Die Bedeutung des Glaubens an die Sendung und das Ausgehen des Sohnes vom Vater wird vom Erzähler durch Jesus in besonderer Weise hervorgehoben und eng mit dem Glauben an dessen Messianität und Gottessohnschaft ver‐ knüpft ( Joh 11,42; 16,27; 17,8.21.23). Denn wenn Jesus von Gott her Leben hat, von ihm ausgegangen, gekommen und gesandt ist, dann ist er auch aufgrund der intimen Gemeinschaft und Einheit, die er vor seiner Inkarnation mit Gott hatte ( Joh 1,1), rechtmäßiger Sohn Gottes und kann Gott zu Recht seinen Vater nennen. Als eingeborener Sohn des Vaters, der aus der Einheit mit Gott, dem Vater, hervorgegangen ist und von Gott, dem Vater, gesandt ist - „Sendung drückt […] den Legitimations- und Autorisierungsgedanken im Sinne 158 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="160"?> 295 M I R A N D A 1977, 90. 296 H A H N (2011, 606) kommt vom möglicherweise hinter dem griechischen Verb stehenden hebräischen Verb חלשׁ zu dem Schluss, dass es sich dabei um „ein terminus technicus für die Beauftragung und die mit der Beauftragung verbundenen Bevollmächtigung [han‐ delt]. […] der ‚Gesandte‘ [ist] im vollen Sinne Stellvertreter des Sendenden, er reprä‐ sentiert ihn und er handelt für ihn“. 297 S C H N E K E 2014, 320. der Bevollmächtigung aus“ 295 -, kann nur er den Vater angemessen vorstellen und repräsentieren. 296 Dass Jesus den Vater vorstellt und zeigt, ist aufgrund eines weiteren bedeu‐ tenden Figurenmerkmals von absoluter Notwendigkeit: Denn „Gott ist Geist“ ( Joh 4,24) und niemand hat Gott ( Joh 1,18) bzw. den Vater gesehen ( Joh 6,46). Er ist unbekannt ( Joh 7,28; 8,19.55) und niemand hat seine Stimme gehört oder seine „Gestalt“ (εἶδος) gesehen ( Joh 5,37). Der Erzähler betont aber, dass Jesus den Vater gesehen hat, weil er von Gott ist ( Joh 6,46). Jesus redet von dem, was er vom Vater gesehen hat ( Joh 8,38). Er kennt den Vater ( Joh 8,55; 17,25), weil der Vater im Sohn ist ( Joh 14,10.11) und der Sohn im Vater ( Joh 10,38; 14,11), und wer den Sohn kennt, kennt den Vater ( Joh 8,19; 14,7), und wer ihn sieht, sieht den Vater ( Joh 14,9), und er, als „der eingeborene Sohn, der im Schoß des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht“ ( Joh 1,18). Der von und durch Jesus dargestellte Gott zeichnet sich somit nicht nur durch seine Väterlichkeit, seine Liebe und seine Gebe- und Sendebereitschaft aus, sondern auch dadurch, dass er unsichtbar und unbekannt ist, sich aber willentlich in und durch Jesus bekannt macht und offenbart. Damit ist die gesamte Gottesoffenbarung im Christusgeschehen verankert. Dass Gott sich offenbaren und kundtun will, soll aber nicht nur den Men‐ schen in Jesu unmittelbarem Umfeld zugutekommen. Gottes Sendungsprinzip erstreckt sich der Erzählung zufolge über Jesus hinaus auch auf die Jünger. Wie der Vater Jesus sendet, so sendet er durch Jesus auch die Jünger ( Joh 17,18; 20,21). Die Jünger haben somit nicht nur Anteil an der „Vater-Kind-Beziehung“, die Gott und Jesus teilen, sondern auch Anteil an der Sendung Jesu. Wie Jesus sollen auch sie die Werke des Vaters, die ihnen durch Jesus bekannt gemacht wurden, weiterwirken und sogar noch größere vollbringen ( Joh 14,12). Sie werden seine Werke weiterwirken und noch größere dazu (14,12), sie werden ihn vor der Welt bezeugen (15,26f), sein Wort weitergeben (17,14). In ihnen werden Jesus und der Vater künftig in der Welt präsent sein (13,20). Deswegen werden sie auch wie er und der Vater gehasst und verfolgt werden (15,18ff; vgl. 17,14; 13,16). 297 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 159 <?page no="161"?> 298 In der geschilderten Interaktion zwischen Vater und Sohn zeigt sich dann eine Entwick‐ lung der Charakterisierung. Dies hat A K A L A S (2015, 109) in ihrer Dissertation untersucht und nachgewiesen: „This study views the character development of the Son and his Father in terms of their relationship with each other, which can be examined in five dimensions, namely: (1) equality/ unity, (2) sending/ coming of the Son, (3) life-giving authority, (4) love, and (5) glorification and revelation.“ Unter Berücksichtigung des Auftretens und der Entwicklung gewisser Symbole im JohEv kann bei der Darstellung von Vater und Sohn von einer Entwicklung der Charakterisierung gesprochen werden. „The semantic analysis provides data for the character analysis of the Son and Father whose characterization develops simultaneously in the Gospel narrative through the emergence and expansion of Johannine symbols. The Son-Father characterization is cumulative as each sequential episode reveals or reiterates dimensions of the relationship through new or prior symbolism. As the Son-Father characterization develops, Johannine symbolism expends into a network, which in turn intensifies the characterization; consequently, a reciprocal relation exists between characterization and symbolization, constituting a narrative path for charting Johnʼs Christological Symbology. The development of the Son-Father characterization, therefore, plays a crucial role in charting the Sympology“ (A K A L A 2015, 109). Neben den bisher herausgestellten Figurenmerkmalen zeigen sich einige wei‐ tere wie z. B. die Anbetungs- und Verehrungswürdigkeit Gottes ( Joh 4,24; 9,24), seine Gerechtigkeit (vgl. Joh 17,25: „gerechter Vater“) und seine Wahrhaftigkeit ( Joh 3,33; 8,26). Gerade die charakterliche Wahrhaftigkeit Gottes ist Grund dafür, dass auch das Zeugnis Gottes für „wahr“ (ἀληθής) befunden und geglaubt werden soll ( Joh 5,32). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass den intendierten Rezipienten durch die Lektüre des JohEv keine figurale (weder direkte noch indirekte) Charakterisierung Gottes gegeben wird. Die Merkmale, die dem in dieser Szene auftretenden Zeugen „Gott“ zugeschrieben werden sollen, werden ihnen vom Erzähler nur in und durch die Figur und Figurenrede Jesu sowie ergänzend durch narratoriale Anmerkungen geliefert. Aus selbigen geht hervor, dass es sich beim dargestellten Vater um eine komplexe Figur handelt, da nicht nur eine Eigenschaft, sondern ein komplexes Netz von Charakterzügen präsentiert wird. Neben vielen kleineren Merkmalen zeigen sich vor allem die Väterlichkeit Gottes, seine Liebe, Gebe- und Sendungsbereitschaft und sein Wille, sich zu offenbaren, was vorrangig durch die Figur, die Worte und die Taten Jesu geschieht. 298 Gott ist heiliger und gerechter Vater, Geber aller Gaben und Sender Jesu, des Geistes und der Jünger. Durch die Sendung Jesu zeigt er sich und redet er zu der Welt. Wer Jesus kennt, kennt den Vater, wer Jesus sieht, sieht den Vater und wer Jesus hört, hört den Vater. Jesus wiederum soll durch den Geist und die Jünger bezeugt und bekannt gemacht werden. Da, wo Jesus durch die Jünger und den Geist bezeugt wird, wird wiederum zugleich auch der Vater bezeugt und bekannt gemacht, da er im Sohn und eins mit dem Sohn ist. 160 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="162"?> 299 B A R R E T T 1978, zitiert in T H O M P S O N 2001, 239. 300 T R I T E S (1977, 102) weist darauf hin: „Without this witness [of the father], all other witness and evidence is inadequate, for it falls short of convincing people of the claims of Christ“. 301 S C H E N K E 2014, 98. 302 Mehr zum Verständis von Joh 4,34 und zur Verbindung mit Joh 17,4 weiter unten. Den intendierten Rezipienten wird aus der Betrachtung des JohEv ersichtlich, dass die gesamte Erzählung letztlich auf Gott, den Vater, konzentriert ist. Er steht im Fokus des Zeugnisses sowie der Darstellung Jesu und des Erzählers. Treffend fasst Barrett zusammen: „‚There could hardly be a more Christocentric writer than John, yet his very Christocentricity is theocentric.‘“ 299 Gerade dieser Gott und Vater wird in dieser Szene als der höchste Zeuge der gesamten Erzählung angeführt. 300 6.1.2 Zeugnisgeber: die Werke Nachdem vom Erzähler dargestellt worden ist, wie Jesus den „anderen“, wahr‐ haftigen Zeugen, nämlich den Vater, als Zeugen für sich anführt ( Joh 5,32) und das Zeugnis des Johannes als ein Zeugnis von Menschen zurückstellt ( Joh 5,33-35), wird im weiteren Verlauf erzählt, wie Jesus ein weiteres „größeres Zeugnis als das des Johannes“ ( Joh 5,36) nennt. Was Jesus mit diesem „größeren Zeugnis“ (μαρτυρίαν μείζω) meint, wird direkt im Anschluss in einer Figuren‐ rede erläutert: Es sind „die Werke“ (τὰ … ἔργα), die der Vater ihm, Jesus, gegeben hat. Wie aus der oben vorgenommenen Untersuchung hervorgeht, so zeigt sich auch in dieser Aussage, dass die „Werke“ eng mit dem Vater verbunden sind, denn sie sind Jesus vom Vater als dem Geber aller Gaben „gegeben“ (δέδωκέν), damit er sie „zur Vollendung bringen möge“ (vgl. τελειώσω). Gerade dadurch ist das Zeugnis der Werke auch größer als das des Johannes, weil sich in ihnen Gott selbst als der Handelnde offenbart, „während des Täufers Zeugnis zwar auf Gottes Weisung zurückging, aber nicht Gottes eigenes Zeugnis war“. 301 Werden die intendierten Rezipienten an dieser Stelle mit „den Werken“ als Zeugen für Jesus konfrontiert und lesen sie hierbei von einer „Vollendung“ dieser Werke, so ist ihnen dieses Vokabular aus dem bisherigen Lektüreprozess bereits vertraut. Schon in Joh 4,34 302 tauchten beide Begriffe auf. Dort spricht Jesus davon, dass es seine Speise sei, den Willen des Vaters zu tun und sein Werk zu vollbringen (vgl. καὶ τελειώσω αὐτοῦ τὸ ἔργον; Joh 4,34). Ein weiteres Mal stoßen die Leser dann in Joh 5,20 auf den Begriff ἔργον, wenn Jesus von den „größeren Werken“ (μείζονα … ἔργα) spricht, die der Vater ihm zeigen wird. 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 161 <?page no="163"?> 303 Den Werken kann nicht ohne Weiteres „das einzige unerlässliche Merkmale für den Status einer Figur“ zugeschrieben werden, nämlich Intentionalität im Sinne von men‐ talen Zuständen wie Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche und Absichten (M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 147). Diese Intentionalität ist aber grundlegend: „Eine Figur ist ein wiedererkennbares fiktives Wesen mit einem Innenleben - genauer: mit der Fähigkeit zu mentaler Intentionalität“ (Eder in W A G E N E R 2015, 60). Dennoch müssen „[l]iterarische Figuren […] nicht menschlich sein“ (M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 147). Auch „anthropomorph handelnde Sache[n]“ (Z I M M E R M A N N 2014,31) und „personifizierte Gegenstände […] können in einer Erzählung als Figuren auftreten“ (F I N N E R N 2010, 125). Daher sollen in nachfolgender Untersuchung die Werke als eigenständige „Figur“ behandelt werden. 304 Vgl. B E U T L E R 2016, 220. 305 Mit den meisten Auslegern ist hier im Sinne eines genitivus objectivus von einem von Gott geforderten Werk auszugehen (C A R S O N 1991, 285; H A R R I S 2015, 131; S C H N A C K E N ‐ B U R G 1980, 52; S C H N E L L E 2016, 138; Z U M S T E I N 2016, 258), nicht im Sinne eines genitivus subjectivus einem von Gott gewirkten Werk. Trotz der Vertrautheit mit diesen Begriffen ist den intendierten Rezipienten allein aus der Zeugnisszene in Joh 5,36 noch nicht umfassend geläufig, was mit dem Begriff ἔργον bzw. ἔργα gemeint ist, denn während in Joh 4,34 im Singular von „seinem [des Vaters] Werk“ gesprochen wird, ist in Joh 5,36 von „den Werken“ im Plural die Rede. In beiden Stellen wird aber in Bezug auf „das Werk“ bzw. „die Werke“ unter Verwendung des gleichen Verbs in gleicher Zeitform ausgesagt, dass Jesus diese(s) Werk(e) „vollenden wird“ (τελειώσω). Es dürfte den Lesern folglich unklar sein, ob „das Werk“ und „die Werke“ identisch sind, ob es sich um einzelne, unterschiedlich große Werke handelt, die alle zusammen das eine große, gesamte Werk bilden, oder ob es neben den Werken ein einzelnes anderes, besonderes Werk gibt. Erst aus dem weiteren Lektüreprozess erschließt sich den Rezipienten dann die „Figur“ 303 der Werke bzw. des Werkes und es ergibt sich folgendes Bild: Nach der Nennung der Werke in Joh 5,36 wird in einer weiteren zitierten Figurenrede Jesu in Joh 6,29 erneut der Begriff ἔργον im Singular verwendet. Dabei geht es um „das Werk Gottes“ (τὸ ἔργον τοῦ θεοῦ), welches eng mit dem Glauben an Jesus als den Gesandten vom Vater in Verbindung gebracht wird. Auf die Frage, was getan werden müsse, um „die Werke Gottes“ zu wirken, antwortet Jesus: „Dies ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ ( Joh 6,29). An dieser Stelle wird „die Werke“ durch „das Werk“ ersetzt, 304 denn das Einzige, was Gott fordert, sind nicht „Werke“, sondern „das Werk“ des Glaubens an den vom Vater gesandten Sohn Gottes. 305 Obwohl von Gott gefordert, sind und bleiben die Werke (die Menschen vollbringen sollen) und auch das Werk 162 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="164"?> 306 T Y H E N 2015, 347. 307 Zur Annahme, dass es sich bei diesem „einen Werk“ um die Heilung am Sabbat handelt vgl. C A R S O N 1991, 314; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 234; S C H N A C K E N B U R G 1980, 187; S C H N E L L E 2016, 194; Z U M S T E I N 2016, 297. 308 Mit der 28. Auflage von N E S T L E -A L A N D und den meisten Auslegern ist hier das ἡμᾶς dem ἐμέ vorzuziehen (H A R R I S 2015, 185; S C H N A C K E N B U R G 1980, 308; S C H N E L L E 2016, 221; T H Y E N 2016, 455; Z U M S T E I N 2016, 363). 309 S C H N A C K E N B U R G 1980, 306. Gottes „dennoch Gottes eigene Werke, die kein Sterblicher von sich selbst her bewirken kann, sie seien ihm denn von Gott gegeben“. 306 Nach den Aussagen über „das Werk Gottes“ wird wenig später in Joh 7,3 sehr allgemein und ohne auf Details einzugehen, von „den Werken“ erzählt, die Jesus vollbringt. In zitierter Figurenrede der Brüder Jesu fordern diese ihn auf, nach Judäa zu reisen, damit auch die Jünger dort die Werke sehen, die er wirkt. Der Begriff „Werke“ steht damit sehr allgemein für das gesamte (Wunder-)Wirken Jesu. In Joh 7,21 rückt dann „ein Werk“ (ἓν ἔργον), eine Krankenheilung am Sabbat (vgl. Joh 5,1-9) 307 , in den Fokus der anhaltenden Auseinandersetzung zwischen Jesus und dem Volk. Im weiteren Verlauf der Erzählung erschließt sich den intendierten Rezipienten aus der Figurenrede des Volkes eine Verbindung oder Gleichsetzung der „Werke“ mit den „Zeichen“, denn das von Jesus vollbrachte „eine Werk“ wird vom Volk mit zu den „Zeichen“ (σημεῖα; Joh 7,31) gerechnet, die der kommende Christus vollbringen wird. Beim erzählten fünften Wunder, der Heilung des Blindgeborenen in Kapitel 9, werden die Heilung und die abschließend daraus gewonnene Glaubenser‐ kenntnis des Blindgeborenen (vgl. Joh 9,38) als „Werke Gottes“ bezeichnet, die von Jesus gewirkt und am Blinden offenbar geworden sind. Wie in Joh 7,3 bezieht sich der Begriff „Werke“ an dieser Stelle auf die Wundertat Jesu, darüber hinaus aber auch auf das Wecken des Glaubens des Blindgeborenen an Jesus. Interessant an der zitierten Aussage Jesu ist hierbei, dass im Gegensatz zu Joh 6,28, wo der Frage nach dem „Wirken der Werke Gottes“ das „Tun des Werkes Gottes“ entgegengestellt wird, hier nun die Jünger mit in das „Wirken der Werke des Sendenden“ (ἐργάζεσθαι τὰ ἔργα τοῦ πέμψαντός) einbezogen werden, indem Jesus sagt: „Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat […]“ ( Joh 9,4). 308 Das „wir“ (ἡμᾶς) wird von Joh 14,12 her definiert und bezieht sich auf die Glaubenden, also auf die wahren Jünger. „In das Wort vom Wirken werden die Jünger wohl deshalb einbezogen, weil sie einmal zu Zeugen und Kündern seines Wirkens werden (15,27). Werke wie er vollbringen (14,12) und sein Schicksal teilen sollen (15,20). So stehen auch sie unter dem ‚Muß‘ göttlicher Verfügung (δεῖ).“ 309 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 163 <?page no="165"?> 310 Vgl. S C H E N K E 2014, 175. 311 Vgl. C U L P E P P E R 1987, 117. Aus der Betrachtung der bisher genannten Stellen wird den Rezipienten ersichtlich, dass das Wort „Werke“ nicht nur die Wundertat Jesu und das Wecken des Glaubens des Blindgeborenen an Jesus meint, sondern auch das künftige Wirken der Jünger einschließt. In Übereinstimmung mit Joh 5,36 spricht Jesus in Joh 10,25 erneut davon, dass „die Werke“, die er im Namen seines Vaters tut, von ihm zeugen. Zugleich weist er aber darauf hin, dass, trotz der Werke, viele nicht an ihn glauben, weil sie nicht von seinen Schafen sind ( Joh 10,26). An dieser Stelle wird sehr umfassend und unspezifisch von den Werken gesprochen, sodass davon ausgegangen werden kann, dass damit das gesamte Wirken Jesu gemeint ist. Im weiteren Verlauf der Erzählung spitzt sich die Auseinandersetzung zwi‐ schen Jesus und „den Juden“ derart zu, dass „die Juden abermals (vgl. Joh 8,59) Steine aufheben, um ihn zu steinigen“ ( Joh 10,31). Daraufhin wird von Jesus die Frage gestellt, aufgrund „welchen Werkes“ sie ihn steinigen wollen, da er ihnen ja „viele gute Werke“ seines Vaters gezeigt habe ( Joh 10,32). Die zitierte Antwort der Juden zeigt, dass sich die Aggression „nicht wegen eines guten Werkes“ gegen Jesus richtet, sondern aufgrund der Aussage, dass er und der Vater eins seien. Dies war in den Augen der Juden Gotteslästerung, weil er sich damit selbst zu Gott machte ( Joh 10,33). Jesus stellt diesem Angriff erneut seine Werke entgegen: Wenn sie ihm und seinen Worten keinen Glauben schenken wollten, so sollten sie doch um der Werke willen glauben und daran erkennen, dass der Vater im Sohn und der Sohn im Vater ist ( Joh 10,38). Jesu Werke, richtig erkannt und verstanden, würden deutlich von der Einheit des Sohnes mit dem Vater zeugen. Doch genau diese Wahrheit will, so verdeutlicht der Erzähler, von den Juden nicht geglaubt werden. Wie im vorausgehenden Abschnitt beziehen sich auch hier die genannten Werke auf die gesamten Wohltaten 310 und Zeichen Jesu. Dabei zeigt sich wie an anderen Stellen des JohEv, dass, während die Werke Jesu Menschen anziehen, die Worte Jesu Menschen abschrecken und aggressivieren. 311 Die Frage nach der Einheit zwischen Vater und Sohn wird in der Erzählung erneut in Joh 14 behandelt, diesmal in einem Gespräch mit den Jüngern. Ausgangspunkt ist die zitierte Bitte des Philippus: „Herr, zeige uns den Vater […]“ ( Joh 14,8). Wie so oft weist Jesus auch hier auf seine Einheit mit dem Vater hin. Wer ihn, Jesus, sieht, sieht den Vater, denn der Sohn ist im Vater und der Vater im Sohn. Alles, was Jesus sagt und tut, kommt vom Vater. Die Worte, die Jesus redet, redet er nicht von sich selbst aus, sondern der Vater redet durch ihn, 164 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="166"?> 312 S C H N A K E N B U R G 1982, 78. 313 Vgl. D R E W S 2017, 202. 314 S C H E N K E 2014, 244. 315 B E U T L E R 2016, 405; vgl. S C H N A C K E N B U R G 1982, 81. Ebenso betont W E S T C O T T (1958, 204): „There is no reference to miracles of a more extraordinary kind“. 316 B E U T L E R 2016, 405. Zu den unterschiedlichen Auslegungen der „größeren Werke“ vgl. D R E W S 2017, 227−230. und die Werke, die er tut, tut letztlich nicht er, sondern der Vater in ihm wirkt sie durch ihn ( Joh 14,10). Indem der Vater durch Jesus redet und wirkt, tut er seine Werke ( Joh 14,10c). Nachdem Jesus diese Wahrheit den Jüngern entfaltet hat, folgt eine ähnliche Aufforderung wie in Joh 10,37-38: „Glaubt mir, dass ich in dem Vater bin und der Vater in mir ist; wenn aber nicht, so glaubt um der Werke selbst willen“ ( Joh 14,11). Erneut nennt Jesus als Beleg für die Richtigkeit seines Anspruchs sein Einssein mit dem Vater und die Werke und denkt dabei „an die sichtbaren, für ihn Zeugnis ablegenden Werke (vgl. 5,36), also an die großen ‚Zeichen‘“. 312 Diese Werke sollen die Wahrhaftigkeit der Behauptung Jesu bezeugen, nämlich dass er der gesandte und gesalbte Sohn Gottes und letztlich Gott selbst sei. Nach der Betonung der Wahrhaftigkeit seines Anspruchs gibt Jesus seinen Jüngern eine ergänzende Verheißung, die den Rezipienten weiter Aufschluss über das Wesen der Werke gibt: „Wer an mich glaubt, der wird auch die Werke tun, die ich tue, und wird größere als diese tun, weil ich zum Vater gehe“ ( Joh 14,12). Wie in Joh 9,4 zeigt sich auch hier, wie Jesus das Tun und Wirken der Werke über sich selbst hinaus auf die Jünger überträgt. 313 Wie der Vater seine Werke durch den Sohn wirkt, so sollen diese Werke fortan durch die Jünger gewirkt werden, sodass „[i]n ihren Werken […] Jesu Wirken und damit Gott in der Welt präsent [bleibt]“. 314 Aus diesen Aussagen ist den Rezipienten ersichtlich, dass es sich bei den erzählten „Werken“ im JohEv nicht um „übermenschliche“ Taten handelt, die nur von Jesus allein getan werden können. Auch gewöhnliche Menschen sind durch den Glauben befähigt und in der Lage, diese und sogar größere Werke zu wirken. Mit den „größeren Werken“ „sind sicher nicht noch spektakulärere Wunder als die Heilung des Blindgeborenen ( Joh 9) oder die Auferstehung des Lazarus ( Joh 11,1-44) gemeint […]“. 315 Der Unterschied liegt nicht in der Qualität der Werke als solcher, sondern in der Zeit, in der diese Werke vollbracht werden: die eschatologische Zeit wird durch Werke gekennzeichnet sein, die alle Vergangenheit übersteigen aufgrund der Kraft des Geistes, der der Gemeinde verliehen sein wird und ihr bislang ungeahnte Horizonte erschließen wird (vgl. Joh 16,13). 316 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 165 <?page no="167"?> 317 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 433. 318 S C H N A C K E N B U R G 1982, 80. 319 S C H N E L L E 2016, 321. Dazu kommt, dass die später gewirkten Werke der Jünger in dem Sinne „größer“ sein werden, dass sie auf dem abgeschlossenen Werk der Kreuzigung und Auferstehung basieren (12,24; 15,13; 19,30). 317 Nach seinem Weggang zum Vater wird Jesus nicht mehr zeitlich und geografisch eingeschränkt sein, sondern sein Werk in und durch die Jünger an mehreren Orten gleichzeitig und mit „größerem Missionserfolg“ ausführen können. „Der eigentlich Wirkende bleibt Jesus, auch nach seinem Weggang zum Vater (vgl. V-13).“ 318 Im Verlauf des JohEv stoßen die Rezipienten ein weiteres Mal am Ende von Joh 15 auf Aussagen über „die Werke“: „Wenn ich nicht die Werke unter ihnen getan hätte, die kein anderer getan hat, so hätten sie keine Sünde; jetzt aber haben sie gesehen und doch haben sie sowohl mich als auch meinen Vater gehasst“ ( Joh 15,24). Jesus spricht davon, dass sein Kommen und die von ihm vollbrachten Werke dazu herausfordern und letztlich sogar verpflichten würden, an ihn als den von Gott Gesandten zu glauben. Besonders seine Werke legen ein klares Zeugnis für seine Gottessohnschaft und Messianität ab. Da das Zeugnis dieser Werke aber von „der Welt“ nicht angenommen und geglaubt wird, sondern Jesus und damit zugleich auch der Vater abgelehnt und gehasst werden, ist die Sünde der Welt offenbar. „Die Sünde der Welt besteht […] in der bewussten Ablehnung eines eigentlich offensichtlichen Sachverhaltes: Jesus Christus ist der Sohn Gottes.“ 319 Stellt man in diesem Abschnitt die Frage danach, was mit „Werken“ gemeint ist, so kann auch an dieser Stelle davon ausgegangen werden, dass Jesus auf sein gesamtes Wirken, Handeln und Tun während seines Erdenlebens anspielt. Alles, was er tut und redet, ist ihm vom Vater gegeben und bezeugt, dass er der vom Vater gesandte Sohn Gottes ist. Die genannten „Werke“ beschränken sich nicht auf einige wenige Zeichen und Wunder, sondern umfassen das gesamte Handeln Jesu vor den Menschen. Die letzte Erwähnung der Werke begegnet den Lesern in Joh 17,4, wo vom Erzähler eine abschließende und zusammenfassende Aussage Jesu über sein(e) Werk(e) wiedergegeben wird: „Das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“. Den aufmerksamen Lesern fällt hier die Verbindung zu Joh 4,34 auf. In beiden Stellen wird der Begriff ἔργον im Singular gebraucht und hier wie dort findet im Zusammenhang mit dem „Werk“ das Verb „vollenden“ (τελειοῦν) Verwendung. Joh 4,34 kann dabei als erzählerischer Auftakt gesehen werden, in welchem durch Jesus angekündigt wird, den Willen 166 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="168"?> 320 Der Konjunktiv Aorist (τελειώσω in Joh 4,34) „bezeichnet etwas noch nicht Eingetre‐ tenes, hat also futuristischen Sinn“ (B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F 1979, 293). 321 Darüber hinaus findet sich der Singular nun in Joh 6,29; 7,21; 10,32. 322 Auch D R E W S (2017, 151) erkennt eine Verbindung zwischen Joh 4,34 und Joh 17,4, zieht aber keine weiteren Schlüsse daraus. 323 S C H N A C K E N B U R G 1980, 173. 324 Es fällt auf, dass auch in Joh 5,36 das Verb „vollenden“ (τελειοῦν) gebraucht wird, hier aber in Bezug auf „die Werke“ (im Plural) - nicht, wie in Joh 4,34 und Joh 17,4, in Bezug auf „das Werk“ (im Singular). dessen zu tun, der ihn gesandt hat, und zukünftig dessen Werk zu vollbringen. 320 Gegen Ende der Erzählung und nach Abschluss des öffentlichen Wirkens Jesu sieht Jesus in Joh 17,4 dieses Werk nun als erfüllt an (vgl. τελειώσας). Diese Beobachtung, dass gerade zu Beginn und am Ende 321 des Berichts über das Wirken Jesu der Begriff τὸ ἔργον im Singular verwendet wird und dass die Vollendung dieses Werkes angekündigt und dann als abgeschlossen angesehen wird, erhärtet die oben genannte Annahme, dass die vielen einzelnen, unter‐ schiedlichen und unterschiedlich großen Werke Jesu das eine Werk bilden. 322 Durch dieses Werk soll und wird zugleich das „Werk Gottes“ gewirkt werden, nämlich „dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat“ ( Joh 6,29). Das in Joh 4,34 und 17,4 angeführte „Werk“ lässt sich also als Zusammenfassung aller einzelnen Werke, Zeichen und Wunder verstehen, die Jesus als vom Vater gegeben ansieht und als „Werk Gottes“ durch sein Reden, Handeln und Tun erfüllt. Kommt man nach dieser Betrachtung des Gebrauchs des Begriffs ἔργον zur Zeugnisszene in Joh 5,36 zurück, so lassen sich die dort genannten „Werke“ als Teil des großen Gesamtwerkes Jesu verstehen. „Die einzelnen Werke bilden einen integrierenden Teil des gesamten Offenbarungs- und Heilswerkes, das Jesus auf Erden zu vollbringen hat […]“ 323 Durch das Ausführen der einzelnen Werke vollbringt 324 Jesus zugleich das große Gesamtwerk, das die einzelnen Werke umfasst. Sowohl die einzelnen Werke als auch das durch sie und in ihnen vollbrachte Gesamtwerk bilden somit in dieser Zeugnisszene den „größeren Zeugen“, der beweiskräftiger und überzeugender ist, als Johannes der Täufer es sein könnte. Zusammenfassend ist ersichtlich, dass es sich bei diesem Zeugen um eine komplexe „Figur“ handelt, die sich in der Erzählung durch vielerlei Formen und Merkmale bzw. das vielseitige Wirken Jesu auszeichnet. Sie steht in enger Verbindung zu Jesus und tritt vorrangig in seinem Reden, Handeln und Wirken in Erscheinung. Im Laufe der Erzählung zeigt sich eine gewisse Entwicklung der Figur, da sie überraschenderweise auch mit den Jüngern (und darüber hinaus mit jedem glaubenden Rezipienten) in Verbindung gebracht wird. Alle Gläubigen werden einbezogen und sollen ebenfalls diese Werke wirken, sodass im und 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 167 <?page no="169"?> 325 S C H N A C K E N B U R G 1980, 173−174. 326 Joh 7,38.42; 10,35; 13,18; 17,12; 19,24.28.36.37; 20,9. 4x ἵνα ἡ γραφὴ πληρωθῇ. 327 vgl. zum unterschiedlichen Gebrauch des Alten Testamens im JohEv siehe C H E N N A T T U 2016, 174−181; C A R T E R 2010, 131−151; F R E E D 1965. 328 Vgl. L A B A H N 2011, 140−145. durch das Wirken der Werke durch die Jünger erneut und weiterhin das Zeugnis der Werke für Jesus zu Wort kommt. Abgesehen von dieser Beobachtung wird deutlich, dass die hier angeführte Figur aufs Engste mit dem Vater verbunden ist. Der Vater ist es, der diese „Zeugenfigur“ dem Sohn zur Seite stellt und letztlich durch sie selbst Zeugnis für den Sohn ablegt, „weil sich das Zeugnis des Vaters für die Menschen am deutlichsten in den Werken Jesu ausspricht“. 325 Neben dem Zeugnis des Vaters und der Werke werden in dieser Szene zusätzlich „die Schriften“ (αἱ γραφαί) als Zeuge für Jesus angeführt. 6.1.3 Zeugnisgeber: die Schriften Stoßen die Rezipienten auf den in dieser Szene zuletzt genannten Zeugen, so dürften ihnen der Inhalt und die Bedeutung des dabei gebrauchten Begriffs „Schriften“ (γραφαί) vertraut sein. Bereits in Joh 2,22 wurde, wenn auch im Singular, der Begriff γραφή angeführt, um über den nachösterlichen Glauben der Jünger an die „Schrift“ und an Jesu Worte zu informieren. Darüber hinaus begegnet den Lesern der Begriff γραφή an zehn weiteren Stellen im JohEv. 326 Aus einigen Kontexten dieser Stellen und aus der Tatsache, dass im JohEv ins‐ gesamt sehr häufig auf Zitate, Teilzitate und Mischzitate aus unterschiedlichen Texten oder Themen aus dem Alten Testament zurückgegriffen wird, 327 ist den intendierten Rezipienten geläufig, dass mit „Schrift(en)“ das Alte Testament oder zumindest Teile daraus gemeint sein müssen. Diese „Schriften“ des Alten Testaments werden in Joh 5,39 als Zeuge für Jesus herangezogen. Doch wie wird diese „Figur“ vom Erzähler charakterisiert? Zunächst geht aus einigen Abschnitten, in denen durch die Verwendung des Begriffs γραφή explizit auf das Alte Testament hingewiesen wird, hervor, dass die „Schrift“ vom Erzähler nicht einfach als geschriebenes Medium verstanden und dargestellt wird. Zwar handelt es sich bei der Schrift, wie auch bei den Werken, um „sächliche Zeugen“, ihnen werden aber vom Erzähler anthropo‐ morphe Handlungsweisen zugeschrieben, sodass „die Schrift“ vielmehr als aktive, handelnde und sprechende Figur verstanden werden muss. 328 Dies zeigt sich nicht nur in Joh 5,39, wo vom aktiven Verbalakt des „Zeugnisgebens“ (vgl. μαρτυροῦσαι) die Rede ist, sondern auch in Joh 7,38.42, wo vom Erzähler 168 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="170"?> 329 Zur näheren Charakterisierung Moses im JohEv vgl. A H N 214, 231−273, H A R S T I N E 2002. 330 Auch B E U T L E R (1998, 297−312) weist mehrfach darauf hin, dass „das Zeugnis der Schrift für Jesus nach Johannes unabhängig von dieser oder jener Einzelpassage zu sein scheint“ sondern, dass die „Schrift als solche […] Zeugnis für Jesus ab[legt]“ und dass „Johannes […] weniger an der ‚Erfüllung‘ einzelner Passagen des Alten Testaments in Jesus interessiert [ist] als an der ‚Erfüllung‘ der ‚Schrift‘ als solcher“. 331 L A B A H N 2011, 141 (eigene Hervorhebungen). 332 B O I C E 1970, 101. zweimal über die Schrift berichtet wird, dass sie etwas „gesagt hat“ (εἶπεν). Ebenfalls wird narratorial in Joh 19,37 erwähnt, dass eine andere Schrift etwas „sagt“ (λέγει). Auch hierbei wird der Schrift die menschliche Fähigkeit der verbalen Selbstmitteilung zugeschrieben. Wenn im Kontext von Joh 19,37 von einer „anderen Schrift“ (ἑτέρα γραφὴ) die Rede ist, dann belegt dies die obige Auffassung, dass „Schrift“ das Alte Testament oder einen Teil des Alten Testaments meint. In Joh 19,37 bezieht sich die Aussage „eine andere Schrift“ darauf, dass im Gegensatz zum ersten Schriftzitat aus Ex 12,46 (vgl. Joh 19,36) nun ein Zitat aus einer anderen Stelle der Schrift, nämlich aus Sacharja 12,10, angeführt wird. Mit Blick auf Joh 5,39 lässt sich erkennen, dass Jesus hier und einmalig im gesamten JohEv von „den Schriften“ im Plural spricht. Aus dem Zusammenhang und der späteren Erwähnung Moses 329 ist davon auszugehen, dass er damit aus der Gesamtheit der Schrift in besonderer Weise die Schriften des Mose, den Pentateuch, hervorheben will. Sie sind es, die von ihm Zeugnis geben und, wie vom Erzähler dargestellt, schlussendlich in Jesus ihre Erfüllung finden. 330 Der Befund, dass die Schrift „spricht“ und „Zeugnis gibt“, führt zu folgender Überzeugung: As witness for Jesus, Scripture is not only a character in the Forth Gospel, like John the Baptist and the Father; it also takes an active role in a court-like situation. It speaks in advance for Jesus. The written medium, which contributes to scientific research within the text world (‚you search in the Scriptures‘), is portrayed as an oral character that refers directly to the truth of Jesusʼs claim for authority. It is not a mere object for study, but rather an active entity underscoring the meaning of Jesus and ‚witnessing‘ on his behalf advance. 331 Dass die Schrift „spricht“ und als zeugnisgebende „Figur“ angeführt wird, macht darüber hinaus deutlich, dass es sich bei ihr um eine autoritäre Figur handelt, die in einem Prozess durchaus als gewichtiger Zeuge aufgerufen werden kann. Boice betont: „Christʼs appeal to the Scriptures was an appeal to the highest and ultimately the only authority within Judaism […]“ 332 Diese Tatsache, dass 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 169 <?page no="171"?> 333 B E U T L E R 1998, 305. 334 L A B A H N 2011, 142. 335 Zu den unterschiedlichen Auslegungen dieses Textes vgl. T H Y E N 2015, 397−402. 336 H A R R I S 2015, 159. N E S T L E -A L A N D 2 8 schließt nach Joh 7,37 mit einem Punkt und setzt in Joh 7,38 neu an (ἐάν τις διψᾷ ἐρχέσθω πρός με καὶ πινέτω. ὁ πιστεύων εἰς ἐμέ, καθὼς εἶπεν ἡ γραφή, ποταμοὶ ἐκ τῆς κοιλίας αὐτοῦ ῥεύσουσιν ὕδατος ζῶντος). 337 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 240; S C H N A C K E N B U R G 1980, 215; S C H N E L L E 2016, 198. 338 Vorgeschlagen wurde unter anderem Ex 17,1−7; Num 20,2−13; Jes 48,21; 55,1; Ps 77,16.20. K Ö S T E N B E R G E R (2004, 240), der die Aussage ebenfalls keiner genauen Stelle zuordnen kann, bringt den Vorschlag ein, dass es sich nicht um eine bestimmte Passage der Schrift handeln würde, auf die sich Jesus bezieht, sondern auf eine bekannte prophetische Lehre (common Prophetic teaching). „die Schrift als solche […] eine unhinterfragbare Autorität [besitzt]“ 333 , zeigt sich auch in der zitierten Aussage Jesu in Joh 10,35, wo betont wird, dass die Schrift nicht „aufgelöst“ (λύειν) werden könne. Sie ist eine unvergängliche, unumstößliche Autorität, auf die Jesus sich berufen und verlassen kann. Durch den Verweis auf eine solche Autorität dieses Zeugen wird erneut unterstrichen, dass der Schrift und den Schriften diese Autorität nicht als geschriebenem Medium, sondern als mündlichem Zeugen zugerechnet wird. „It [Scripture] has authority as an oral character (witness) that might lead through an act of communication, to a Johannine understanding of Jesus as the one sent by God who does what he has learned from the Father so that people can gain eternal life“. 334 Neben der Charakterisierung der Schrift als sprechende und autoritäre Figur lassen sich anhand dessen, was die Schrift sagt und wie sie es sagt, weitere Charakterisierungen ausmachen. Wie oben angeführt, wird insgesamt dreimal explizit das „Sprechen“ der Schrift erwähnt. In Joh 7,37-38 wird in der Figuren‐ rede Jesu Folgendes wiedergegeben: „Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat, aus dessen/ seinem Leib werden Ströme lebendigen Wassers fließen.“ Bei diesem Satz ist umstritten, worauf sich die einzelnen Satzteile und Aussagen beziehen. 335 In der vorliegenden Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass mit „ὁ πιστεύων εἰς ἐμέ“ ab Joh 7,38 ein neuer Satz beginnt und dass dieser sich nicht auf den vorhergehenden Satz bezieht. 336 Was den darauffolgenden Einschub „wie die Schrift es gesagt hat“ (καθὼς εἶπεν ἡ γραφή) angeht, so ist dieser auf den nachfolgenden Satzteil zu beziehen, sodass dadurch ein eingeschobenes Schriftwort angekündigt wird, welches die Aussage Jesu vervollständigt. 337 Auf welches alttestamentliche Schriftwort sich die Aussage bezieht, ist nicht eindeutig auszumachen. 338 Vom Leser soll die Aussage „Bäche 170 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="172"?> 339 Auch hier ist umstritten, ob sich ἐκ τῆς κοιλίας αὐτοῦ auf Jesu Bauch oder den Bauch des Gläubigen bezieht. Für die vorliegende Arbeit ist eine Festlegung auf eine bestimmte Auslegung zweitrangig, da für ihre Fragestellung vorrangig wichtig ist, dass die Schrift spricht und dass sie in der Vergangenheit prophetische Voraussagen gemacht hat. 340 B E U T L E R (1998, 297) betont dabei immer wieder, dass der Erzähler „weniger an der ‚Erfüllung‘ einzelner Passagen des Alten Testaments in Jesus interessiert [ist] als an der ‚Erfüllung“ der ‚Schrift‘ als solcher“. 341 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R (2016, 198) halten die Frage, welches „Wissen“ Rezipienten einer Figur zuschreiben sollen als wesentlich für die Rekonstruierung einer Figur. lebendigen Wassers werden aus seinem Bauch fließen“ jedenfalls als Schriftzitat und Prophezeiung verstanden und angenommen werden. Nehmen die intendierten Rezipienten den Satz als Aussage der Schrift ernst, können sie daraus schließen, dass die Figur „Schrift“ über ein gewisses Zukunftswissen verfügt bzw. prophetische Fähigkeiten besitzt. Denn die alttes‐ tamentliche Schrift ist es, die bereits vor Jesu Erdenleben gesagt hat (εἶπεν), dass aus seinem Bauch oder aus dem Bauch des an Jesus Glaubenden Bäche lebendigen Wassers fließen werden. 339 Die „Schrift“ ist somit nicht nur eine sprechende und autoritäre, sondern auch eine prophetisch „begabte“ Figur, die in der Vergangenheit zutreffende Aussagen über zukünftige Dinge getroffen hat. Dies bestätigt sich auch in Joh 7,42, wo der Erzähler einige aus dem Volk die prophetische Voraussage der Schrift zitieren lässt, nämlich dass der Christus „aus dem Geschlecht Davids und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David war, kommt“. Auch wenn der Erzähler dem dargestellten Volk ein eingeschränktes Verständnis der Bedeutung dieser Stelle in Bezug auf die Herkunft Jesu zu‐ schreibt, so ist es doch zugleich sein Anliegen, dass die intendierten Rezipienten diese früher getroffene Aussage der Schrift in Jesus als erfüllt ansehen. Für den Erzähler kommt Christus eben „aus dem Geschlecht Davids und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David war“. Christus ist für ihn in jeder Hinsicht die Erfüllung der ganzen Schrift. 340 Diese Tatsache zeigt sich ein weiteres Mal gegen Ende der Erzählung. Wieder führt der Erzähler Aussagen der Schrift an, die in Jesus ihre Erfüllung finden. In Jesu Tod „erfüllt sich“ nicht nur die Vorhersage der Schrift: „[K]ein Bein von ihm wird zerbrochen werden“, sondern auch das, was die Schrift „sagt“ (λέγει), nämlich: „[S]ie werden den anschauen, den sie durchstochen haben“ (vgl. Joh 19,36-37). Aufgrund dieser „Erfüllungsformel“ ist erneut ersichtlich, welches „Wissen“ die Rezipienten der Figur zuschreiben sollen, 341 nämlich ein umfassendes Vorherwissen über das Leben, Wirken und Sterben Jesu. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass den Schriften als komplexe Figur nicht nur deswegen Autorität zugeschrieben wird, weil sie eine vor 6.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 171 <?page no="173"?> 342 L A B A H N 2011, 144−145. allem von den Juden anerkannte und unfehlbare Instanz darstellen, sondern auch deshalb, weil sie sich durch ein umfassendes prophetisches Vorherwissen und Christuszeugnis auszeichnen. Diese Schriften sind es, die von Jesus selbst als zuverlässiger, autoritärer, unhinterfragbarer, unauflöslicher Zeuge in der Verteidigung seiner Identität, Herkunft von Gott und seines Wirkens am Sabbat angerufen werden. In the Gospel of John, ‚Scripture‘ is an active figure that ‚talks‘ and ‚witnesses‘ about the narrativeʼs hero, Jesus. Scripture is not just a writing (or collection of writings) but an entity that tries itself to convince people orally about the true […] identity of Jesus. Therefore, according to John, Scripture is vivid and creative in building up new meanings and in convincing people. 342 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden Neben der Untersuchung der von Jesus angeführten Zeugen stellt sich auch die Frage nach den Zeugnisempfängern: Wem wird in dieser Szene Zeugnis über Jesus abgelegt? Wer wird vom Erzähler wie als Zeugnisempfänger dargestellt und welche Vorstellung soll der intendierte Rezipient durch die narrative Darstellung des Erzählers von dieser Figur haben? Aus der Eröffnung der Szene lässt sich in Joh 5,15-18 deutlich erkennen, dass die Zeugnisempfänger „die Juden“ (οἱ Ἰουδαῖοι) sind. Ihre ablehnende und feindselige Gesinnung gegenüber Jesus stellt der Erzähler hier an den Anfang der Szene. Doch wer sind „die Juden“ nach der Darstellung des JohEv? Welche 172 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="174"?> 343 Dieser Frage wurde in der Vergangenheit sehr intensiv nachgegangen. Keine andere Gruppe/ Figur des JohEv wurde so häufig und intensiv beleuchtet wie die „der Juden“ und deren Darstellung im JohEv. (vgl. u.a.: A Z A R 2016; B E N N E M A 2009a, 239−263; B E N N E M A 2014, 87−100; B E U T L E R 2006; B I E R I N G E R , P O L L E F E Y T &V A N D E C A S T E E L E -V A N N E U ‐ V I L L E , 2001a; B I E R I N G E R , V A N D E C A S T E E L E -V A N N E U V I L L E & P O L L E F E Y T 2001b. B O W M A N 1975; K I E R S P E L 2006, S H E T T Y C R O N I N 2015; V O N W A H L D E 1982; Z I M M E R M A N N 2016a, 69−109. Eine Auflistung älterer Beiträge findet sich bei V O N W A H L D E (1982, 54−55). Auf die Frage, ob sich durch die Pauschalisierung οἱ Ἰουδαῖοι als Gegner Jesu eine antijudaistische Tendenz zeige, gibt L A N G E (2019, 92 Fußnote 5) eine, auch für die vorliegende Arbeit, zutreffende Erklärung: „Im vorliegenden Kontext werden die Ἰουδαῖοι wie jede andere Personen(gruppe) als narrative Charaktere der Erzählung untersucht […] Die Begrifflichkeit Ἰουδαῖοι wird damit nicht vom historischen Kontext dissoziiert (dies birgt die Gefahr des Anti-Judaismus; […]), sondern in der Analyse vielmehr deskriptiv anhand der deutschen Übersetzung der Bezeichnung direkt aus der Erzählung aufgenommen - wie dies auch bei den übrigen Charakteren geschieht […] Die Übersetzung von οἱ Ἰουδαῖοι wird damit im Folgenden in Anschluss an die jüdische Forscherin Adele Reinhartz, die entschieden dafür plädiert, den Begriff ohne besondere Kennzeichnung zu verwenden […], ohne Anführungsstriche geschrieben“. 344 In Joh 3,22.25; 4,9; 18,35. Vgl. Z I M M E R M A N N 2016a, 81. 345 C A R T E R 2006, 68. Vorstellung haben die intendierten Rezipienten durch die Lektüre von „den Juden“ der Erzählung? 343 Der Begriff Ἰουδαῖος begegnet den Lesern in unterschiedlicher Form insge‐ samt 71 Mal im JohEv, 67-mal im Plural (οἱ Ἰουδαῖοι) und lediglich viermal im Singular. 344 Das erste Mal wird der Begriff gleich nach dem Ende des Prologs und zu Beginn der Erzählung des JohEv in Joh 1,19 verwendet. Von Anfang an werden die Juden mit in die Erzählung einbezogen und gleich zu Beginn ein erstes Mal charakterisiert. In dieser ersten Erwähnung informiert der Erzähler, dass „die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm [ Johannes dem Täufer] sandten, damit sie ihn fragen sollten: Wer bist du? “ ( Joh 1,19). Folgende Beobachtungen lassen sich dieser Aussage entnehmen: Zum einen werden die Juden hier näher bestimmt als solche, die „aus/ von Jerusalem her“ (ἐξ Ἱεροσολύμων) agieren. Es handelt sich folglich um Juden, die in Jerusalem oder zumindest in der näheren Umgebung von Jerusalem leben. Mit dieser Beschreibung unterscheidet der Erzähler diese „Jerusalemer Juden“ offensichtlich von anderen Juden aus anderen Städten oder Regionen, sodass gleich von Anfang an erkennbar ist, dass im JohEv nicht von „den Juden“ als dem einen, einheitlichen Kollektiv gesprochen werden kann. Diese Feststellung wird durch eine weitere Beobachtung bekräftigt: „Since John the Baptist is a Jew, the Ἰουδαῖοι must be a distinctive group among Jewish people and the term does not designate all Jewish people“. 345 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 173 <?page no="175"?> 346 S C H N E L L E 2016, 74. 347 In Joh 1,22 mit dem Verb πέμπειν. 348 Vgl. die detailliertere Untersuchung unter „7.1.2 Zeugnisempfänger: Die Pharisäer“. 349 In Joh 1,24 ist schwer auszumachen, ob die Abgesandten selbst, oder zumindest zum Teil, Pharisäer sind (K Ö S T E N B E R G E R 2003, 63; M O R R I S 1995, 122; S C H N E L L E 2016,75; S C H N A K E N B U R G 1981, 280−281) oder ob die Abgesandten von den Pharisäern in Jerusalem gesandt worden sind (B E N N E M A 2014, 91; B E U T L E R 2016, 102; C A R T E R 2006, 68; D I E T Z ‐ F E L B I N G E R 2001a, 45; V O N W A H L D E 1982, 42; W A G E N E R 2015, 71; Z I M M E R M A N N 2016a, 98). In vorliegender Arbeit wird von einer Sendung von den Pharisäern in Jerusalem ausgegangen: „In 1: 24 we learn that this delegation was sent by the Pharisees, suggesting that they are part of οἱ Ἰουδαῖοι“ (B E N N E M A 2009a, 247). 350 B E N N E M A (2009a, 246) schreibt: „The Pharisees were experts in Torah-learning and, according to Josephus, were the most influential school, enjoying the general support of the populace […]“. 351 Gegen B A R R E T T 1978, 174. 352 Auch C U L P E P P E R (1987, 127) fällt auf: „The Jews make their first appearance asking questions […]“. Z I M M E R M A N N (2016a, 100) hält zusammenfassend fest: „The number of questions that are asked by ‚the Jews‘ […] is striking“. Neben diesen beiden Punkten zeigt sich in dieser ersten Aussage des Erzäh‐ lers, dass die hier erwähnten Juden eine gewisse Autorität oder Macht besitzen, die es ihnen erlaubt, „Priester und Leviten“ (ἱερεῖς καὶ Λευίτας), also das Tempelpersonal bzw. „die Vertreter des Kultpersonals“ 346 , zu beauftragen und zu Johannes zu „senden“ (ἀποστέλλειν). Dies wird in Joh 1,22 und Joh 1,24 bestätigt. 347 Der Grund für die Autorität der „Jerusalemer Juden“ könnte die im weiteren Verlauf der Erzählung gegebene nähere Spezifizierung dieser Juden als „Pharisäer“ 348 sein. In Joh 1,24 erklärt der Erzähler: „Und sie [die Priester und Leviten] waren abgesandt von den Pharisäern“. 349 Laut den Aussagen des Erzählers stehen also nicht mehr die Juden allgemein hinter der Sendung der Priester und Leviten, sondern speziell die Pharisäer unter oder aus den Juden. Als wohl einflussreichste Schule, die die allgemeine Unterstützung der Bevölkerung genoss, 350 waren die Pharisäer in der Lage, eine Sendung und Befragung zu veranlassen, 351 was den einfachen Juden aus Jerusalem nicht möglich gewesen wäre. Diese Feststellung bestätigt die Annahme eines Unterschieds zwischen Juden und Juden, zwischen „den Juden“ allgemein und den pharisäischen, Jerusalemer Juden. Aus der ersten Erwähnung in Joh 1,19 lässt sich somit festhalten, dass es sich an dieser Stelle bei den erzählten Juden um eine spezielle Gruppe aus den Juden, nämlich den Pharisäern, handelt, die Macht und Autorität besitzt, andere geistliche Leiter aus Jerusalem für sich zu Johannes dem Täufer zu schicken. Es fällt auf, dass der „Umgangston“ hier noch unauffällig ist und es sich scheinbar lediglich um eine (neutrale) Befragung des Johannes handelt. 352 174 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="176"?> 353 S C H N E L L E 2016, 214. 354 Dass die hier genannten Juden „Autoritäten“ sind, wird auch von allen bei V O N W A H L D E (1982, 39) angeführten Auslegern so gesehen. 355 Vgl. Z I M M E R M A N N 2016a, 85. 356 Auch D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 75) sieht in V. 21 das „jüdische Mißverständnis“ aufge‐ deckt. In den beiden darauffolgenden Verwendungen von Ἰουδαῖος in Joh 2,6.13 wird der Begriff sehr allgemein zur Beschreibung jüdischer Rituale und Feste verwendet. In Joh 2,6 wird den intendierten Rezipienten von steinernen Was‐ serkrügen erzählt, die zur Reinigung „nach der Reinigungssitte der Juden“ (κατὰ τὸν καθαρισμὸν τῶν Ἰουδαίων) bestimmt sind. In Joh 2,13 wird ein erstes Mal von einem wichtigen jüdischen Fest berichtet, nämlich dem „Passah der Juden“ (τὸ πάσχα τῶν Ἰουδαίων), das jedes Jahr in Jerusalem gefeiert wird. Während dieses Fest hier und bis zur Mitte der Erzählung detailliert als „Passah der Juden“ (vgl. 11,55a) und als „Fest“ (ἑορτή; Joh 2,13) oder als „das Passah, das Fest der Juden“ (τὸ πάσχα, ἡ ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων; Joh 6,4), dargestellt wird, folgt ab Joh 11,55 nur noch die reduzierte Benennung des Festes als „Passah“ (πάσχα; Joh 11,55; 12,1; 18,28.39; 19,14) oder als „das Fest des Passah“ (ἡ ἑορτή τοῦ πάσχα; Joh 13,1), ohne den Hinweis auf dessen jüdischen Hintergrund. Deutlich ist zu erkennen, dass Ἰουδαῖος in diesen und anderen Stellen ( Joh 4,9.22; 5,1; 7,2; 19,42) vom Erzähler als „kulturgeschichtliche Bezeichnung“ 353 gebraucht wird. Abgesehen von dieser Verwendung des Begriffs begegnen den Lesern die Juden als Figur das nächste Mal in Joh 2,18. Die Szene trägt sich in Jerusalem kurz vor dem Passahfest zu. Es ist die in dieser Szene dargestellte Tempelreinigung, die die Juden veranlasst, Jesus kritisch zu hinterfragen. Auffällig nach Joh 1,19 ist, dass auch hier wieder die „Jerusalemer Juden“ die Fragenden sind. Dass sie Jesus im Tempelbereich dazu auffordern, sich auszuweisen, lässt darauf schließen, dass diese Juden eine gewisse Autorität und Kontrollfunktion im Tempelareal innehaben. 354 Außerdem weist ihr Wissen um das Alter und die Bauzeit des Tempels darauf hin, dass ihrerseits eine enge Verbundenheit zum Tempel besteht. 355 Daher empfinden sie Jesu Auftreten im Tempel, die Behauptung, dass der Tempel seines Vaters Haus sei, und die Aussage über die Zerstörung des Tempels als Provokation. Jesu zitierte Antwort („brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten“; Joh 2,19) führt nicht nur zu einer weiteren Frage (vgl. Joh 2,20), sondern auch zum Missverständnis seitens der Juden. 356 Die eingefügte Erläuterung des Erzählers gibt zwar dem Leser Aufschluss über die Bedeutung der Antwort Jesu, den erzählten Juden bleibt diese aber verschleiert. Dennoch wird abschließend in Joh 2,23 erzählt, dass „viele an seinen Namen glaubten, als sie seine Zeichen sahen, die er tat“. 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 175 <?page no="177"?> 357 Zu einer ausführlicheren Charakterisierung des Nikodemus vgl. B E N N E M A 2014, 147−160; C U L P E P P E R 2016, 249−259; D S C H U L N I G G 2002, 106−121. 358 Vgl. T H Y E N 2015, 181; S C H E N K E 2014, 49. T H Y E N (2015, 183) hält ihn sogar für den Repräsentanten der πολλοί. 359 Vgl. S C H N E L L E 2016, 100. 360 S C H N A C K E N B U R G 1981, 388. 361 So auch B E N N E M A 2009a, 251; D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 80; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 106; S C H N E L L E 2016, 100. „Die Bezeichnung [führender Mann unter den Juden] ist nicht genau, lässt aber an ein Mitglied des Sanhedrin denken, wie sich später in Kap 7 bestätigen wird (Vv. 45 und 50)“ (B E U T L E R 2016, 135). 362 Einen anderen möglichen Grund für den nächtlichen Besuch nennt B E A S L E Y −M U R R A Y (1987, 47): „That Nicodemus came to Jesus ‚by night‘ is less likely to be due to fear than to desire for uninterrupted conversation“. K Ö S T E N B E R G E R (2004, 120) denkt eher daran, dass Nikodemus bei Nacht kam „to avoid the crowds“. Schnackenburg (1981, 380) hält es für besser, symbolisch an ein „Kommen aus der Finsternis zum Licht, das Jesus ist (vgl. 3,21)“ zu denken. Welche Zeichen gemeint sind und wer die „vielen“ (πολλοί) sind, gibt der Erzähler nicht preis. Die Leser können aus dem Zusammenhang aber darauf schließen, dass hier u. a. auch Juden zu den „vielen“ gerechnet werden müssen. Während dieses erste Aufeinandertreffen zwischen den Juden und Jesus in der Erzählung auf wenige Verse reduziert ist, wird in der darauffolgenden Szene ausführlicher die Begegnung eines einzelnen Juden mit Jesus geschildert. Die Rezipienten erfahren direkt in der Einleitung, dass es sich um einen Menschen „von den Pharisäern“ (ἐκ τῶν Φαρισαίων) und um „einen Obersten der Juden“ (ἄρχων τῶν Ἰουδαίων) handelt, dessen Name Nikodemus ist ( Joh 3,1). 357 Da diese Szene offenbar chronologisch auf die vorausgehende folgt, liegt es nahe, Nikodemus zu den Juden zu zählen, die Jesus im Tempel zur Rede gestellt haben, und/ oder zu den „vielen“, die an Jesus glauben. 358 Dies wiederum ließe den Rückschluss zu, dass es sich bei den Juden, die Jesus in Jerusalem im Tempel befragt haben, teilweise oder ausschließlich um pharisäische Obere handelt, was sich mit den Beobachtungen aus Joh 1,19.23 decken würde. Aus dem weiteren Verlauf der Erzählung erfahren die Leser daraufhin, dass Nikodemus „der Lehrer Israels“ (ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραὴλ; Joh 3,10) ist, wohl also einer der Schriftgelehrten 359 und eine „Autorität in der Schriftge‐ lehrsamkeit“ 360 . All die vom Erzähler angeführten Titel und Beschreibungen lassen darauf schließen, dass Nikodemus Mitglied des Sanhedrins sein musste. 361 Wie andere Pharisäer (vgl. Joh 9,16b) sympathisiert er mit Jesus und kommt deswegen bei Nacht - vielleicht aus „Angst vor den Juden“ (vgl. Joh 7,13; 9,22; 12,42; 19,38; 20,19) - zu Jesus. 362 Während die Rezipienten in der ersten Begegnung zwischen den „Jerusalemer Juden“ und Jesus in Joh 2 gewisse Spannungen und Missverständnisse vonseiten 176 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="178"?> 363 D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 80) schreibt sogar: „Er [Nikodemus] eröffnet das Gespräch mit einer Art Verbeugung vor Jesus“. 364 Vgl. W E N G S T 2019, 112. 365 Auch A P P O L D (2016, 260) beobachtet: „The reference to ‚a Jew‘ seems odd since all who are pictured in this scene, both Jesus und John and their disciples, are Jews“. 366 D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 91) hält es für möglich, dass es sich hier um einen von Jesus getauften Juden handeln könnte. 367 Gegen V O N W A H L D E (1982, 50), der hier einen „neutralen Gebrauch“ des Begriffs sieht. der Juden erkennen, zeigt sich ihnen in dieser Szene ein Pharisäer und Oberer der Juden, der Jesus aufsucht, ihn respektvoll als „Rabbi“ anspricht und ihn als „von Gott gekommenen Lehrer“ ( Joh 3,2) bezeichnet. 363 Von Anfeindung oder Ablehnung ist nichts zu erkennen. Stattdessen erhalten die Leser durch das Gespräch des Nikodemus mit Jesus Einblick in das „Wissen“ und „Denken“ der (oberen) Juden. Nikodemus bestätigt als Repräsentant der Juden: 364 „[W]ir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen […]“ ( Joh 3,2), und bringt damit zum Ausdruck, dass die Juden - oder zumindest ein Teil der Juden - durchaus aufgrund der Taten Jesu erkannt haben, dass Jesus von Gott gesandt ist und dass Gott „mit ihm“ (μετ᾽ αὐτοῦ) ist. Trotz dieses Wissens zeigt sich im Gespräch aber das anhaltende Unverständnis der Juden den Aussagen und der Lehre Jesu gegenüber. In der unmittelbar darauffolgenden Szene wird der Begriff Ἰουδαῖος in Joh 3,22 erstmals im Singular verwendet. Ἰουδαῖος dient an dieser Stelle der Erzäh‐ lung der Benennung des Gebietes, in das Jesus mit seinen Jüngern geht, nämlich „in das jüdische Land“ (εἰς τὴν Ἰουδαίαν γῆν). Dieselbe Gegend wird im weiteren Verlauf der Erzählung ab Joh 4,3 vom Erzähler nur noch als „Judäa“ (Ἰουδαία) bezeichnet (vgl. Joh 4,47.54; 7,1.3; 11,7). Nach der Bestimmung des Raumes, in dem die Szene spielt, wird in Joh 3,25 eine Auseinandersetzung zwischen den Jüngern des Johannes und einem Juden erwähnt. Dieser wird weder namentlich benannt noch näher charakterisiert und steht somit in deutlichem Kontrast zum davor erzählten Juden Nikodemus. Dass dieser Figur die Bezeichnung „ein Jude“ zugewiesen wird, während alle anderen Beteiligten ebenfalls Juden sind, 365 lässt vermuten, dass es sich hierbei nicht um irgendeinen Menschen handelt, sondern dass der Erzähler die Bezeichnung „ein Jude“ bewusst anführt, um auf einen der oberen Juden aus Jerusalem anzuspielen, der wie die anderen „Jeru‐ salemer Juden“ im Tempel und darüber hinaus eine gewisse Kontrollfunktion ausübt. 366 Vielleicht ist er gesandt worden und gekommen, um den Umgang seiner Landsleute mit den kultischen Reinheitssitten zu überprüfen. 367 Dadurch, dass hier nach Joh 2,6 erneut eine Verbindung der Begriffe Ἰουδαῖος und „Reinigungssitte“ (καθαρισμός) auftritt, wird den Lesern wiederholt der hohe 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 177 <?page no="179"?> 368 S C H N E L L E 2016, 125. Stellenwert verdeutlicht, den die kultische Reinigung und Reinheit für die Juden haben. Im weiteren Verlauf der Erzählung begegnet den Lesern der Begriff Ἰουδαῖος in Joh 4,9 im Singular und als Hinweis darauf, dass Jesus ein Jude ist. Im glei‐ chen Vers gebraucht der Erzähler Ἰουδαῖος im Plural, um die ethisch-religiöse Abgrenzung der Juden von den Samaritanern aufzuzeigen. In Joh 4,22 findet sich daraufhin dann die zugespitzte Aussage, dass „die Rettung aus den Juden ist“ (ἡ σωτηρία ἐκ τῶν Ἰουδαίων ἐστίν). Diese Aussage ist durchaus interessant: Bei aller Polemik gegenüber ‚den Juden‘ im 4. Evangelium wird hier der grundlegende jüdische Anspruch aufgenommen, bejaht und zugleich in spezifischer Weise abge‐ wandelt: Der Jude Jesus von Nazareth (vgl. V.9: σὺ Ἰουδαῖος ὢν = ‚du als Jude‘) ist der alleinige authentische Offenbarer Gottes, in ihm realisiert sich das Heil. 368 Stoßen die intendierten Rezipienten nach dem bisherigen Lektüreprozess auf das für diese Arbeit relevante fünfte Kapitel des JohEv, so erkennen sie dort eine Kontinuität in der Art und Weise, wie der Begriff Ἰουδαῖος vom Erzähler gebraucht und gefüllt wird. Einleitend wird in Joh 5,1 vom „Fest der Juden“ (ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων) in Jerusalem erzählt, wobei der Begriff Ἰουδαῖος wie zuvor in Joh 2,13 zum Hinweis auf den jüdischen Hintergrund des Festes dient. Nach der Darstellung der Heilung eines Kranken durch Jesus betreten in Joh 5,10 die Juden die Bühne, die - wie dem Leser vertraut - ihrer „Kontrollfunk‐ tion“ nachkommen und in Jerusalem die rechte Einhaltung des Sabbats und vermutlich auch der Reinheitsvorschriften überprüfen. Bei ihrem Kontrollgang treffen sie auf den Geheilten, der am Sabbat sein Bett trägt. Als sie sein Tun kritisieren, antwortet dieser ihnen: „Der mich gesund machte, der sagte zu mir: Nimm dein Bett auf und geh umher“ ( Joh 5,11). Mit seiner Aussage und der Rückfrage der Juden, wer dieser sei, der so etwas von ihm gefordert habe, spitzt sich die Erzählung auf Jesus zu. Nach einem Szenenwechsel stehen der Geheilte und Jesus im Fokus der Erzählung. Als Raum der Erzählung wird in Joh 5,14 explizit der Tempel genannt. Die Handlung spielt sich somit nicht mehr einfach nur in Jerusalem, sondern im „Machtzentrum der Juden“ - im Tempel - ab. Als dem Geheilten bewusst ist, wer ihn gesund gemacht hat, berichtet er dies den Juden ( Joh 5,15). Im darauffolgenden Vers 16 schiebt der Erzähler in prägnanter Weise ein, dass die Heilung am Sabbat der Auslöser dafür ist, dass die Juden Jesus verfolgen. Um ohne Spannungsverlust zum Höhepunkt des Erzählabschnitts zu gelangen, folgt direkt nach diesem Einschub ganz ohne Über- oder Einleitung die Gegenüberstellung Jesu und der Juden. Durch Jesu 178 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="180"?> 369 „According to the beliefs of first century Judaism, God continues to work for the benefit of the creation even on the Sabbath: Jesus, therefore, being the Son of God, shares in this divine activity“ (B E U T L E R 2006, 20). 370 C U L P E P P E R 1987, 127. 371 C U L P E P P E R 1987, 127. 372 Vgl. V O N W A H L D E (1982, 42), der fünf Gründe anführt, warum er „die Juden“ für eine „autoritative Gruppe“ hält. kurze Aussage „mein Vater wirkt bis jetzt, und ich wirke ( Joh 5,17)“ spitzt sich die Situation weiter zu. 369 Nun geht es den Juden nicht mehr nur darum, Jesus zu „verfolgen“ (διώκειν; vgl. Joh 5,16), sondern „nun suchten die Juden noch mehr, ihn zu töten, weil er nicht nur den Sabbat brach, sondern auch Gott seinen eigenen Vater nannte, weil er sich selbst Gott gleichmachte“ ( Joh 5,18). Durch diese starke Innenperspektive werden den Rezipienten die beiden zentralen Anklagepunkte der Juden vermittelt: Ihrer Meinung nach bricht Jesus den Sabbat und er macht sich selbst zu Gott - für die Juden Grund genug, Jesus abzulehnen und nach dessen Leben zu trachten. „The plot line of the prologue has begun to unfold - Jesus comes to his own and his own people do not receive him (1: 11).“ 370 Diese ablehnende Haltung der Juden Jesus gegenüber zieht sich von da an durch den Rest der Erzählung des JohEv. Auch wenn sich die Juden unterein‐ ander zuweilen uneins sind (vgl. Joh 6,52) und einige wenige Juden sogar mit Jesus sympathisieren und sich ihm zuwenden (vgl. 3,1; 8,30.31; 11,45; 12,11; 19,38.39), so steht der Großteil der Juden Jesus doch feindlich und abweisend gegenüber. Dies zeigt sich sehr deutlich in Joh 6,41, wo der Erzähler vom „Murren“ (γογγύζειν) der Juden über Jesu Anspruch, das Brot des Himmels zu sein, berichtet. Noch deutlicher wird dies dann im Auftakt zu Kapitel 7. Direkt im ersten Vers werden ein weiteres Mal nach Joh 5,18 die Tötungsabsichten der Juden genannt. „This episode, however, begins at a higher level of intensity, since the aim of the Jews to kill Jesus is repeated at the outset (7: 1).“ 371 Später zeigt sich im selben Kapitel in Vers 11, wie die „Jerusalemer Juden“ Jesus nachstellen und ihn suchen. Die in Joh 7,13 erwähnte „Angst vor den Juden“ im Volk bestärkt die bereits gewonnene Vorstellung der Leser, dass es einen Unterschied zwischen „den Juden“ und dem (jüdischen) Volk gibt und dass „die Juden“ eine gewisse Kontroll- und Machtposition innehaben, weil sie sogar aus den Synagogen auszuschließen vermögen (vgl. Joh 9,22). 372 Im Gespräch der Juden mit Jesus zeigt sich in Joh 7,15 deren Verwunderung über die Gelehrsamkeit Jesu, während in Joh 7,35 erneut das Unverständnis der Juden über Jesu Aussagen erkennbar ist. 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 179 <?page no="181"?> 373 B E N N E M A 2009a, 247. Vgl. Z I M M E R M A N N 2016a, 88. 374 Ein gleicher Aufbau zeigt sich in Joh 9. Siehe unten. 375 So auch B E N N E M A (2009a, 247): „Thus, although from 8: 22 onward Jesusʼ audience is identified as οἱ Ἰουδαῖοι, the Pharisees probably belong to this group“. 376 Z I M M E R M A N N (2016a, 88) bemerkt zurecht bezüglich des Glaubens einiger Juden: „This characterisation is surprising after Jesus created a clear contrast between their origin (from below, from this world) and his own (from above, not from this world) (8: 23) and spoke of their death unless they believed in him“. 377 S C H E N K E 2014, 158. Das darauffolgende achte Kapitel sticht besonders hervor. „John 8: 12-59 is undoubtedly the most poignant episode in the conflict between Jesus and οἱ Ἰουδαῖοι.“ 373 Während in den Versen Joh 8,12-20 der Konflikt zwischen Jesus und den Pharisäern geschildert wird, sind es ab Joh 8,22 plötzlich die Juden, die die Unterhaltung mit Jesus dominieren. 374 Die Leser bekommen den Eindruck, dass die zuvor genannten Pharisäer völlig hinter den Juden verschwinden oder aber einen Teil der Juden ausmachen, wodurch davon ausgegangen werden kann, dass ab Joh 8,22 die gesamte Gruppe, bestehend aus Juden und Pharisäern, im Dialog mit Jesus steht. 375 In der Darstellung der Juden zeigen sich vor allem und erneut das Unverständnis und die Verwunderung der Juden über Jesus und obgleich einige der Juden an Jesus glauben (vgl. Joh 8,30-31), 376 spitzt sich die Feindseligkeit der meisten Juden gegenüber Jesus weiter zu. Während sie ihn zu Beginn als Samaritaner, der einen bösen Geist habe, beschimpfen ( Joh 8,48.52), weichen diese verbalen Anfeindungen am Ende der Szene dem konkreten Versuch, Jesus physischen Schaden zuzufügen. Die Juden heben Steine auf und sind bereit, Jesus an Ort und Stelle zu steinigen ( Joh 8,59). Nachdem Jesus diesem Mordversuch entkommen ist, zeigen sich in Joh 9 ein ganz ähnlicher Aufbau und Ablauf wie in Kapitel 8. In der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen werden zunächst wieder nur die Pharisäer erwähnt, die sich nach der Heilung im Gespräch mit dem Geheilten befinden, um das Wunderwirken Jesu am Sabbat zu kritisieren und seiner Sendung von Gott zu widersprechen: „Dieser Mensch ist nicht von Gott“ ( Joh 9,16). Es folgen kurze Berichte über die aufkommende Zwietracht unter den Pharisäern und über eine weitere Befragung des Geheilten. Wie zuvor in Joh 8,22 tauchen dann auch hier in Joh 9,18 plötzlich und unerwartet die Juden auf und dominieren bis zum Schluss des Erzählabschnitts das Bild, während die Pharisäer nur noch einmal am Ende der Episode in Joh 9,40 erwähnt werden. Aus dem Zusammenhang erschließt sich den intendierten Lesern erneut, dass der Erzähler die zuvor genannten Pharisäer in die Gruppe der Juden einbezieht. Zur Gruppe der Juden zählen auch die „gegen Jesus eingenommene[n] Pharisäer und ihr Anhang“. 377 Dies bestätigt sich vor allem aus Joh 9,24, wo der Erzähler berichtet, wie die 180 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="182"?> 378 B E N N E M A 2009a, 247. Ebenso Z I M M E R M A N N (2016a, 91): „A close connection, indeed a certain superimposition of ‚the Jews‘ onto the Pharisees exists in this chapter“. 379 „‚Die Juden‘ erscheinen hier als behördliche Macht, die rigoros gegen Abweichler im eigenen Bereich vorgeht“ (W E N G S T 2019, 303). 380 W E S T C O T T 1958, 149. 381 B E U T L E R 2016, 293, K Ö S T E N B E R G E R 2004, 293; S C H N E L L E 2016, 225; T H Y E N 2015, 468; Z I M M E R M A N N 2016a, 92. 382 B E N N E M A 2009a, 250. Juden den Geheilten „ein zweites Mal“ (ἐκ δευτέρου) zu sich rufen. „That οἱ Ἰουδαῖοι question the man for a second time (9: 24), after he had previously been interrogated by the Pharisees (9: 13-17), almost demands the conclusion that the Pharisees are part of οἱ Ἰουδαῖοι“. 378 Wie in Joh 8 tritt hier nun die vereinte Gruppe aus Pharisäern und Juden gegen den Geheilten und dessen Heiland Jesus auf. Die erste Eigenschaft, die der Gruppe zugeschrieben wird, ist Unglaube. Sie glauben nicht oder wollen nicht glauben, dass der Blindgeborene tatsächlich blind gewesen ist. Neben dem Unglauben bestätigt sich den Lesern die vorab gewonnene Erkenntnis, dass die Juden eine gewisse Macht und Kontrollfunktion innehaben: Sie überprüfen den „Tathergang“ der Heilung, haben die Vollmacht, die Eltern und den Geheilten später ein weiteres Mal ( Joh 9,24) zu sich zu rufen und zu befragen, und ihnen steht im Zweifelsfall die Möglichkeit offen, Menschen aus der Synagoge auszu‐ schließen ( Joh 9,22), was letzten Endes dem Geheilten auch widerfährt. 379 Nach dem Verhör wird er „hinausgeworfen“ (ἐκβάλλειν; Joh 9,34) - zunächst aus dem Verhörraum, 380 wohl aber auch aus der Synagogengemeinschaft insgesamt. 381 Erkennen lässt sich aus dieser Szene Folgendes: „The group that responds with hostility to Jesusʼ healing of the blind man in 9: 13-10: 21 is a mix of οἱ Ἰουδαῖοι (9: 18; 10: 19) and the Pharisees (9: 13, 40), representing the religious authorities in Jerusalem“. 382 Im Vorgehen gegen den Geheilten spiegelt sich in dieser Szene zugleich die feindliche Gesinnung der Juden gegenüber Jesus wider. Sie wollen verhindern, dass Jesus Ehre, Anerkennung und Bewunderung zukommen. Daher bezeichnen sie ihn als „Sünder“ (ἁμαρτωλός; Joh 9,24) und stellen nach Joh 9,16 in Joh 9,29 ein weiteres Mal seine Herkunft infrage. Während die Juden bei ihrer ablehnenden Haltung bleiben, wendet sich der Geheilte mehr und mehr Jesus zu, bis er ihn schließlich im Glauben als Herrn bekennt und anbetet ( Joh 9,38). In weitgehender Übereinstimmung mit den vorausgehenden Erzählab‐ schnitten tauchen die Juden das nächste Mal in Joh 10,19.24.31.33 auf. Wie zuvor in Joh 9,16 wird zunächst vom Streit und „Zwiespalt“ (σχίσμα) unter den Juden erzählt ( Joh 10,19). Die Juden sind sich abermals uneins, was die Person Jesu betrifft. In zitierten Reden gibt der Erzähler die unterschiedlichen 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 181 <?page no="183"?> 383 T H Y E N 2015, 494. Meinungen der Juden über Jesus wieder. Dabei fällt den Lesern in dieser Szene ein gewisser Unterschied zwischen den Juden und den Pharisäern auf: Während die Pharisäer in den vorausgehenden Erzählabschnitten recht sachlich Jesu Selbstzeugnis und seine Herkunft infrage stellen (vgl. Joh 8,13ff.; 9,16), sind es die Juden, die ihn als „Samaritaner mit einem Dämon“ ( Joh 8,48.52), als „Sünder“ ( Joh 9,24) und hier nun erneut als „dämonisch Besessenen“ und als „von Sinnen“ bezeichnen ( Joh 10,20). Nur einige wenige Juden stellen hier wie dort in Joh 9,16 die negativen Aussagen über Jesus infrage: „Diese Reden sind nicht die eines Besessenen; kann etwa ein Dämon der Blinden Augen auftun? “ ( Joh 10,21). Trotz der Hinterfragung sind es doch „viele“ (πολλοί), die sagen: „Er hat einen Dämon und ist von Sinnen; warum hört ihr ihn? “ ( Joh 10,20). Neben der Uneinigkeit unter den Juden lässt sich in Joh 10,24 erneut die Kontrollfunktion der Juden erkennen. Sie „umringen“ (κυκλόειν) Jesus im Tempel und fordern Rechenschaft von ihm, ob er der Christus sei. „Der gesamte Kontext […] spricht deutlich für diese Deutung des ἐκύκλωσαν αὐτόν im Sinne eines ‚Einkreisens in feindlicher Absicht‘, so daß dem derart Gestellten kein Ausweg mehr verbleibt […]“ 383 Jesu Antwort und Reaktion in dieser Situation zeigen deutliche Parallelen zu Joh 8,59. An beiden Stellen wird erzählt, wie sich die Lage derart zuspitzt, dass die Juden Steine aufheben, um Jesus zu steinigen ( Joh 10,31). Grund für diese Eskalationen sind nicht etwa die Taten Jesu - auch wenn diese aufgrund ihrer Ausübung am Sabbat heftig kritisiert werden -, sondern vielmehr die angebliche Gotteslästerung und die Überzeugung der Juden: „Du [ Jesus] bist ein Mensch und du machst dich selbst zu Gott“ ( Joh 10,33). Diese Anklagen führen am Ende der Szene dazu, dass die Juden Jesus ergreifen wollen. Der dabei verwendete Begriff „ergreifen“ (πιάζειν), der in Joh 7,32 und Joh 11,57 gebraucht wird, um die Autorität und Macht der Pharisäer und der Hohepriester aufzuzeigen, wird hier in Joh 10,39 vom Erzähler wohl bewusst gewählt, um die intendierten Rezipienten erneut auf die Autorität oder den Einfluss der Juden hinzuweisen. Im nachfolgenden elften Kapitel wird, abgesehen davon, dass die Jünger Jesus an die versuchte Steinigung erinnern ( Joh 11,8), überwiegend neutral oder sogar positiv von den Juden berichtet. Nach dem Tod des Lazarus, des Freundes Jesu aus Bethanien, waren „viele von den Juden […] zu Martha und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten“ ( Joh 11,19). Dass sie gekommen waren, um zu „trösten“ (παραμυθεῖσθαι; Joh 11,19.31) und sich an dem „Weinen“ und der „Klage“ (vgl. κλαίειν; Joh 11,33) der Schwestern des Lazarus zu beteiligen, wirft ein positives Licht auf die sonst so feindselig 182 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="184"?> 384 S C H N E L L E 2016, 250. 385 B E U T L E R 2016, 335. 386 S C H N A C K E N B U R G 1980, 423. 387 Z U M S T E I N 2016, 431. 388 W E N G S T 2019, 349. 389 W E N G S T 2019, 352. 390 Zur ausführlicheren Darstellung vgl. „Szene 8: Das Volk“ in vorliegender Arbeit S.-186−201. dargestellten Juden. Auch ihre zitierte Aussage über Jesus („Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt! “; Joh 11,36) und die Folgen der Begegnung mit ihm und seiner Wunderkraft ( Joh 11,45) drücken Anteilnahme und entgegengebrachten Glauben anstatt Ablehnung und Anfeindung aus. Nur einmal wird auch hier das Unverständnis einiger Juden erwähnt, die nicht nachvollziehen können, warum Jesus nicht eher gekommen ist, um Lazarus zu heilen ( Joh 11,37). Dieser Hinweis lässt sich aber schwerlich als Feindseligkeit gegen Jesus, sondern eher als „Argwohn“ 384 , „kritische Infragestellung“ 385 , „Vorwurf “ 386 , „abschätziges Urteil“ 387 oder als „negativer Akzent“ 388 verstehen. An einer einzigen anderen Stelle in diesem Abschnitt wird geschildert, dass „einige aber von ihnen“ (τινὲς δὲ ἐξ αὐτῶν), den Juden, zu den Pharisäern gehen und ihnen von Jesu Tun berichten ( Joh 11,46). Dies ist die einzige Andeutung in diesem Kapitel, an der die Leser möglicherweise eine gewisse Feindseligkeit einiger weniger Juden erahnen können, „die im Kontrast zu den vorher erwähnten ‚vielen‘“ 389 stehen. Ansonsten überwiegt deutlich die positive Darstellung der Juden. Dies hält Jesus aber nicht davon ab, sich nach den Ereignissen von den Juden zurückzuziehen und wegzugehen „in die Gegend nahe bei der Wüste, in eine Stadt, genannt Ephraim“ ( Joh 11,54). Die positive Charakterisierung der Juden setzt sich auch in Kapitel 12 weiter fort. Vor dem anstehenden „Passah der Juden“ erteilen die Pharisäer und Hohepriester den Befehl, dass Jesu Auftreten beim Fest gemeldet werden müsse, damit er ergriffen werden könne. Doch die „große Volksmenge aus den Juden“ (ὄχλος πολὺς ἐκ τῶν Ἰουδαίων; Joh 12,9) kommt diesen Anweisungen nicht nach, sondern zieht los, um Jesus und Lazarus zu sehen, woraufhin viele der Juden an Jesus glauben ( Joh 12,11). Auch die Volksmenge in Jerusalem, die zum Fest nach Jerusalem gekommen ist und wohl zu einem Großteil aus Juden besteht, ist Jesus gegenüber positiv gesinnt. Sie ziehen Jesus entgegen und begrüßen ihn als „König von Israel“, nachdem sie von einem anderen Teil des Volkes das Zeugnis über Jesu Wundertat gehört haben (vgl. Joh 12,13-17). 390 Doch die positive Reaktion auf Jesus führt zu Spannungen unter den Pharisäern, weil ihre Anordnungen nicht befolgt werden, sie nichts gegen Jesus ausrichten können und befürchten müssen, dass „die Welt ihm nachläuft“ ( Joh 12,19). 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 183 <?page no="185"?> 391 Vgl. Z I M M E R M A N N 2016a, 93. An anderer Stelle wiederholt Z I M M E R M A N N (2016a, 101): „The behavior of ‚the Jews‘ in connection with the death of Lazarus in John 11−12 reveals a completely different side of this group“. 392 Abgesehen von Joh 11,46, wo erzählt wird, dass einige Juden den Pharisäern über Jesus berichten. 393 C A R T E R 2006, 69. Aus diesen Darstellungen erkennen die Leser, dass die Juden und die Pharisäer nicht immer einen einheitlich denkenden und handelnden Gruppencharakter darstellen. Die Pharisäer sind zwar Teil der Juden und zuweilen mag eine Einheit unter ihnen gegeben sein, wie sich beispielsweise in Joh 9,18ff. zeigt; hier nun aber präsentiert der Erzähler eine Spaltung zwischen den Pharisäern und den Juden, wie sie zuweilen auch innerhalb der Gruppe der Juden oder unter den Pharisäern erkennbar ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Joh 11-12 ein überwiegend positives Bild der Juden abgibt. „‚The Jews‘ encountered in John 11-12 present the reader with a rather different picture of this group than the one sketched of them up to this point“. 391 Kaum etwas in diesen Szenen weist auf die sonst so ablehnende oder feindselige Haltung der Juden Jesus gegenüber hin. Daraus wird den Lesern ersichtlich, dass es die Juden in der Erzählung des JohEv nicht gibt. Während die Juden zu Beginn der Erzählung neutral, daraufhin dann aber als mehrheitlich feindselig dargestellt werden, folgt in Joh 11-12 eine überwie‐ gend positive Charakterisierung der Juden, die fast jegliche Anspielungen und Hinweise auf die Autorität und Kontrollfunktion der Juden vermissen lässt. 392 Carters Zusammenfassung der Kapitel 6-12 ist daher sehr treffend, wenn auch unvollständig, weil er die Unterscheidung zwischen Pharisäern und Juden und die positive Darstellung der Juden in Joh 11-12 unberücksichtigt lässt: Chapters 6-12, often in the context of festivals (6: 4; 7: 2; 11: 55), emphasize their [the Jewsʼ] resistance to his teaching (6: 41, 52; 8: 57), their nonunderstanding (7: 11, 15, 35; 8: 22, 48, 52; 10: 24), their intimidation of the people and Jesusʼ followers (7: 13; 9: 22; 12: 42), their alienation from Jesus (11: 54), and their desire to arrest (7: 30, 32, 44; 10: 39; 11: 57) and kill Jesus (5: 18; 7: 1, 19-20, 25; 8: 37, 40; 10: 31-33; 11: 53). 393 Nach der überwiegend positiven Darstellung der Juden in Joh 11-12 und einer einzelnen Erwähnung der Juden in Joh 13,33, aus der erneut ein Unverständnis der Juden in Bezug auf Jesu Aussagen hervorgeht, spielen die Juden bis Kapitel 18 keine Rolle mehr in der Erzählung. Erst in der Passionsgeschichte in den Kapiteln 18 und 19 lässt sich wieder ein häufigerer Gebrauch des Wortes Ἰουδαῖος erkennen. Insgesamt 22-mal verwendet der Erzähler den Begriff 184 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="186"?> 394 Joh 18,12.14.20.31.33.35.36.38.39; 19,3.7.12.14.19.20.21(3x).31.38.40.42. 395 Joh 18,12.14.20.31.36.38; 19,7.12.14.20.21.31.38. 396 Ist hierbei tatsächlich eine Kohorte gemeint, dann umfasst die Schar derer, die Jesus festnehmen, 400−500 Soldaten (L E B O H E C 1993, 22). W E N G S T (2019, 484) verweist auf Josephus (Bell III, 67), der als Mannschaftsstärke einer Kohorte eine Zahl von 600−1000 Soldaten nennt. W E N G S T (2019, 484) schreibt weiter: „Selbst wenn man speira nicht - wie üblich - einer Kohorte entsprechen lässt, sondern einem Manipel, ist der militärische Aufwand mit 200 Soldaten immer noch sehr groß vorgestellt.“ 397 B E U T L E R 2016, 474. C A R T E R (2006, 41) bezeichnet die Gruppe als „police from the Jerusalem leadership“, Z I M M E R M A N N (2016a, 94) spricht von „‚Jewish police/ officers‘“ und M A N N I N G (2016, 391) von „‚the officers oft he Jews‘“. 398 Diese Annahme wird bestärkt durch die Darstellung in Joh 1,19.24, wo die Macht der Juden scheinbar auf die Pharisäer unter den Juden zurückzuführen ist. Dabei ist deutlich erkennbar: „[T]he Pharisees in Jesusʼ time had the power of influence rather than control“ (B E N N E M A 2009a, 246). Ἰουδαῖος in diesen Kapiteln. 394 13-mal gebraucht er dabei den Plural, um über die Juden zu schreiben - außer an den Stellen, in denen Jesus als „König der Juden“ ( Joh 18,33; 19,3.19.21) bezeichnet wird, und den Stellen, die von jüdischen Bräuchen sprechen ( Joh 19,40.42). 395 Gleich in der ersten Erwähnung der Juden in Joh 18,12 ist für die Leser die vertraute Feindseligkeit der Juden gegenüber Jesus erneut und zugespitzt er‐ kennbar. Dieses Mal bleibt es nicht bei ihrer Absicht, Jesus zu ergreifen, sondern die Absicht wird jetzt gegen Ende der Erzählung in die Tat umgesetzt. Jesus wird festgenommen. Geschildert wird hierbei, dass nicht die Juden selbst, sondern eine Schar von römischen Soldaten (σπεῖρα) 396 , angeführt von einem hohen Offizier (χιλίαρχος), und „die Gehilfen der Juden“ (οἱ ὑπηρέται τῶν Ἰουδαίων) bzw. „die Gerichtsdiener der jüdischen Autorität“ 397 Jesus „festnehmen“ und „binden“ ( Joh 18,12). Vergleicht man diese Stelle mit Joh 18,3, wo vom Erzähler die Vorbereitungen zur Ergreifung Jesu geschildert werden, dann fällt auf, dass dort nicht von den „Gehilfen der Juden“, sondern von den „Gehilfen der Pharisäer“ die Rede ist. Es sind die Hohepriester und Pharisäer, die Judas „Gehilfen“ oder „Diener“ (ὑπηρέτης) zur Seite stellen, um Jesus zu verhaften. Verbindet man die beiden Aussagen aus Joh 18,3 und Joh 18,12, dann werden erneut die enge Verbindung zwischen Juden und Pharisäern sowie deren Autorität und Macht erkennbar (vgl. Joh 1,19.24; 8,1-21.22ff.; 9,1-17.18ff.). Die Pharisäer machen einen Teil der Juden aus und sind wohl die treibende Kraft mitten unter und hinter den Juden. Weil ein Teil der Juden Pharisäer und Hohepriester sind, haben die Juden auch die Macht, untergebene Diener zu senden und zu beauftragen, Jesus zu verhaften. 398 Nach Jesu Inhaftierung werden die Pharisäer bis zum Ende des JohEv nicht mehr erwähnt. Die Juden, bestehend aus Juden, Pharisäern und Hohepriestern, 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 185 <?page no="187"?> 399 B E N N E M A 2009a, 249. 400 Die hier vorgenommene nähere Bestimmung der „Welt“ (κόσμος) ist hier insofern wichtig, als dass im JohEv „ein mehrschichtiges Kosmosverständnis“ vorliegt (S C H N E L L E 2016, 110). 401 Vgl. im Gegensatz dazu V O N W A H L D E 1982, 53. treten an ihre Stelle und prägen das Bild des Prozesses gegen Jesus. Bezüglich der Pharisäer fasst Bennema zusammen: In sum, the Pharisees are part of οἱ Ἰουδαῖοι, probably even of the religious authorities. Some could even belong to the more exclusive body known as the Sanhedrin. As such the Pharisees were part of the opposition to Jesus and particular in plotting his death (cf.-11: 45-57), but they did not actually arrest Jesus, bring him to Trail or demand his death. The Pharisees are in effect dissociated from Jesusʼ passion, and John holds οἱ Ἰουδαῖοι in general, but the chief priest in particular, responsible for Jesusʼ death. 399 Nach Joh 18,12 führt der Erzähler οἱ Ἰουδαῖοι in einer Zwischenbemerkung in Joh 18,14 an. Er erinnert an die Versammlung aus Joh 11,47-53, bei der der Ent‐ schluss gefasst worden ist, Jesus zu töten, und wiederholt, dass der Hohepriester Kaiphas den Juden geraten hat, „es sei nützlich, dass ein Mensch für das Volk sterbe“ ( Joh 18,14). Dass die Juden seinem Rat folgen, verdeutlicht nicht nur, dass sie tatsächlich als die Auftraggeber der Inhaftierung Jesu verstanden werden müssen, sondern auch, dass die Juden zwar Autorität und Einfluss haben, selbst aber wiederum von anderen beeinflusst und angetrieben werden (vgl. Joh 1,19.24). Sie sind kein völlig autonom agierender Gruppencharakter, sondern Teil einer größeren Einheit, letztlich des negativ dargestellten, ungläubigen Teils der Welt, der gegen Jesus vorgeht. 400 Im weiteren Verlauf dieser Szene begegnen den Lesern die Juden in Jesu Antwort auf eine Frage des Hohepriesters ( Joh 18,20). Jesus bezeugt, dass er nicht „im Verborgenen“ (ἐν κρυπτῷ) geredet habe, sondern in aller „Offenheit“ (παρρησία) zu der Welt und in den Synagogen und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen. Dass „alle Juden“ (πάντες οἱ Ἰουδαῖοι) sich dort versammelt und Jesus gehört haben, bestätigt den Lesern das Bild von der Einheit der Gruppe. Ferner legt sich den Lesern die Schlussfolgerung nahe, dass nicht nur alle Juden Jesus dort gehört haben, sondern dass es dabei auch immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den Juden und Jesus gekommen ist und dass die Juden daraufhin letztendlich die Verhaftung und Auslieferung zu den Verhören veranlasst haben. 401 Nach dem ersten Verhör wird in der darauffolgenden Szene ( Joh 18,28-19,16) das zweite Verhör vor Pontius Pilatus erzählt. Dabei erwähnt der Erzähler die Juden insgesamt sechs Mal ( Joh 18,31.36.38; 19,7.12.14). Nachdem Jesus 186 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="188"?> 402 V O N W A H L D E (1982, 48) zählt Joh 18,31 deshalb zu den Stellen, in denen eine vierte Gruppe dargestellt ist: „In a fourth group of texts, the intense hostility and stereotyped group reaction to Jesus mark them as ‚Johannine Jews‘ but in these texts it is not explicitly clear that they are authorities“. Dennoch zählt der die Juden aus Joh 18,31 später zu den „hostile authorities“: „However these texts [19.12,14,31] refer to the group defined in 18. 12, 14, 31, 36, who are hostile authorities“ (V O N W A H L D E 1982, 49). 403 Zum Beispiel aus Josephusʼ Bell II, 117. 404 S C H N E L L E 2016, 351, vgl. B A R R E T T 1978, 533−535; M O R R I S 1995, 695−97. von der Gruppe, die ihn zuvor verhaftet hatte, zu Pilatus geführt worden ist ( Joh 18,28), geht aus Joh 18,31 nicht nur eine Machteinschränkung der Juden hervor, 402 sondern auch deren klare Absicht, Jesus zu töten. Auf Pilatusʼ Angebot „Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz“ müssen die Juden erwidern: „Es ist uns nicht erlaubt, jemanden zu töten“ ( Joh 18,31). Dass sie den Tod Jesu wollen, ist unmissverständlich deutlich (vgl. Joh 5,18; 7,1; 8,37.40; 11,53). Warum es ihnen aber nicht zusteht, jemanden zu töten, wird den Lesern nicht näher erläutert. Dem Erzähler ist es hier wichtiger, auf die Erfüllung der Worte Jesu hinzuweisen. Jesus hatet vorausgesagt, welchen Todes er sterben müsse, nämlich des Todes durch „Erhöhung“ (vgl. Joh 12,32-33). Diese „Erhöhung“ wurde nun und nur durch eine römische Kreuzigung ermöglicht. Auch ohne nähere Erläuterung, weswegen die Juden niemanden töten dürfen, ist den Lesern ersichtlich, dass die Juden keine uneingeschränkte Macht be‐ sitzen. Dies mag die Leser zunächst verwundern, da bisher der Eindruck entstand, dass die Juden sehr viel Autorität, Macht und Einfluss haben. Ihre Macht reicht aber nur bis dorthin, wo sie durch die übergeordnete Macht der Römer eingeschränkt ist, wie hier im Falle einer Hinrichtung. Denn eine solche stand - so dürften die intendierten Rezipienten aus anderen Quellen wissen 403 - „in Judäa allein dem römischen Prokurator zu“. 404 Im weiteren Verlauf des Verhörs vor Pilatus werden die Juden in Joh 18,36 in der zitierten Rede Jesu genannt. Dabei bestätigt Jesus, dass er „den Juden nicht überliefert werden würde“ (μὴ παραδοθῶ τοῖς Ἰουδαίοις), wenn sein Reich von dieser Welt wäre und seine Diener dafür kämpften. Weil Jesu eigenen Aussagen zufolge sein Reich aber nicht von dieser Welt ist, ist Jesus - so können die Leser selbstständig schlussfolgern - den Juden und von den Juden an Pilatus überliefert worden. Damit bestätigt Jesus indirekt, was Pilatus im Satz zuvor in Joh 18,35 gesagt hat: Jesus ist von seiner „Nation“ (ἔθνος), den Juden, und den Hohepriestern „überliefert worden“ (παραδιδόναι) und daher sind sie letztlich verantwortlich für die gegenwärtige Situation. Da Pilatus im Verhör keine Schuld an Jesus findet, wendet er sich in Joh 18,38b-40 an die Juden, teilt ihnen seine Beurteilung mit und versucht, Jesu Freilassung zu vereinbaren. Doch die Juden „schreien“ und fordern von Pilatus, 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 187 <?page no="189"?> 405 Dieser Prozess, die Prozessmotivik, sowie die damit verbundene Rechtsstreitmotivik und -methaphorik wurde vielfach herausgestellt und untersucht, zuletzt von L A N G E 2019. dass er nicht Jesus, sondern einen Mann namens Barabbas freigeben solle ( Joh 18,40). Mit dem hierbei verwendeten Wort „schreien“ (κραυγάζειν), das von seinen sechs Vorkommnissen im JohEv fünfmal für das Schreien des Volkes, der Hohepriester und der Juden verwendet wird, erinnert der Erzähler an den Einzug Jesu in Jerusalem und das Volk, das „schreit“ (κραυγάζειν): „Hosanna! Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König Israels! “ ( Joh 12,13). Wenig später nun ist dieses freudige Schreien dem abweisenden Schrei „Nicht diesen“ (μὴ τοῦτον; Joh 18,40) gewichen und mündet schließlich in das Schreien der Hohepriester ( Joh 19,6) und der Juden nach dem Tod Jesu ( Joh 19,12.15). Bevor es zu diesem Schreien der Juden nach Jesu Tod kommt, schildert der Erzähler in Joh 19,7, wie die Juden als direkte Ankläger gegen Jesus auftreten. Wie zuvor (vgl. Joh 5,18; 8,59; 10,31.33) beschuldigen sie ihn, sich selbst zu Gottes Sohn gemacht zu haben, was ihrem Gesetz zufolge die Todesstrafe fordert. Der Hinweis auf die Forderung ihres Gesetzes nach dem Tod eines Gotteslästerers impliziert, dass sie Jesu Tod wollen. Als Pilatus sich von dem Verhör zurückzieht und weiterhin vorhat, Jesus freizulassen, setzt das bereits erwähnte Schreien der Juden ein. Zunächst „schreien“ (κραυγάζειν) sie gegen Pilatus, nicht des Kaisers Freund zu sein, und setzen ihn unter Druck ( Joh 19,12). Wieder zeigt sich, dass die Juden Macht haben und Einfluss ausüben können, denn Pilatus gibt dem Druck nach und setzt sich schließlich zum Urteilsspruch auf den Richterstuhl. Es folgt die Schilderung des „Schreiens“ (κραυγάζειν) der Menge: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn! “ ( Joh 19,15a). Als Pilatus diese Forderung noch einmal hinterfragt, mischen sich zuletzt die Hohepriester ein, um ein schnelleres und endgültiges Urteil herbeizuführen und um die Haltung der Juden zu bekräftigen: Sie haben und wollen keinen König ( Jesus), denn sie haben bereits einen (weltlichen) Kaiser ( Joh 19,15b). Mit dieser Aussage positionieren sich die Hohepriester und mit ihnen vermutlich auch die Juden eindeutig auf der Seite der ungläubigen „Welt“, wodurch der eigentliche Prozess im Fall Jesu erkennbar wird: Es ist der Prozess der ungläubigen Welt gegen Gott, 405 der sich in seinem Sohn offenbart und mitteilt. Nach dem eindeutigen Bekenntnis der Juden zum Kaiser hat Pilatus keine andere Wahl, als Jesus kreuzigen zu lassen. Nach der Kreuzigung begegnen die Juden den Lesern nochmals in Joh 19,20. Hier berichtet der Erzähler, dass „viele Juden“ die Aufschrift über Jesu Kreuz lesen, weil sich die Kreuzigungsszene nahe bei der Stadt abspielt. Aufgrund des Hinweises auf die Nähe zur Stadt können die Leser schlussfolgern, dass es sich bei den „vielen Juden“ wohl um „Jerusalemer Juden“ handelt. Der Aussage, dass 188 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="190"?> 406 Z I M M E R M A N N (2016a, 96) sieht hingegen in diesem Vers die Einheit der Gruppe bestätigt: „‚The Jews‘ reading it [the sign on the cross] are initially presented as a group“. „viele Juden“ gekommen sind, könnte entnommen werden, dass der Erzähler hier erneut auf eine Spaltung in der Gruppe der Juden hindeuten will 406 und eine Relativierung der Zahl der Juden vornimmt, die zur Kreuzigung gekommen sind - es sind eben nicht „die Juden“, sondern lediglich „viele Juden“ gekommen, während andere aus Desinteresse oder aufgrund ihres Glaubens an Jesus nicht gekommen sind. Im nachfolgenden Vers erwähnt der Erzähler, wie die Hohepriester eine Änderung des Titulus Crucis von Pilatus fordern ( Joh 19,21). Der Bezeich‐ nung dieser Hohepriester als „die Hohepriester der Juden“ (οἱ ἀρχιερεῖς τῶν Ἰουδαίων) ist zu entnehmen, dass Hohepriester aus den Juden und Teil der Juden sind. Als Hohepriester sind sie in der Position, sich mit ihrer Forderung an Pilatus zu wenden - wie sie dies zuvor schon bei der Forderung nach der Hin‐ richtung Jesu getan haben. Einmal mehr wird dadurch der Anschein erweckt, dass sie gemeinsam mit den Pharisäern die treibende Kraft hinter den Juden darstellen. Dass Pilatus der Forderung der Hohepriester aber nicht nachkommt, lässt dann abermals die Macht- und Einflussgrenzen der Hohepriester und damit auch der Juden erkennen. Pilatus bleibt bei seiner Inschrift: „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben“ ( Joh 19,22). Diese eingeschränkte Macht und Verfügungsfreiheit der Juden zeigen sich erneut in der vorletzten Erwähnung der Juden in Joh 19,31. Nach der Kreuzigung Jesu, als noch nicht alle wissen, dass Jesus bereits gestorben ist, wenden sich die Juden mit einer weiteren Forderung an Pilatus. Sie „bitten“ (ἐρωτᾶν) ihn, den drei Gekreuzigten die Beine zu brechen, um ein schnelleres Ende herbeizuführen und um die Leichname noch vor dem hereinbrechenden Sabbat abhängen zu können. In dieser Bitte zeigt sich zum einen, dass die Juden nicht die Befugnis haben, das Brechen der Beine selbst vorzunehmen. Zum anderen gibt die Bitte aber auch Aufschluss über das Bestreben der Juden, den Sabbat rein zu halten, worin sich zugleich aber auch die Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit gegenüber Jesu Tod zeigen. Die Einhaltung der Sabbatordnung steht über dem Mitgefühl für das Leiden und Sterben des „Königs der Juden“ und des „Herrn über den Sabbat“ (vgl. Mt 12,8). Vielleicht liegt in der Bitte aber auch der bloße Wunsch, „kurzen Prozess“ mit diesem „Gotteslästerer“ und „Sabbatbrecher“ zu machen. Die immer wieder zum Ausdruck gebrachte Feindseligkeit der Juden gegen Jesus klingt mit dem Tod Jesu nicht ab, sondern richtet sich anschließend gegen seine Jünger und Anhänger. Dies zeigt sich deutlich in den späteren 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 189 <?page no="191"?> 407 Vgl. V O N W A H L D E 1982, 46. 408 T H Y E N 2015, 166. In Bezug auf die Leser geht B E U T L E R (2001, 230) davon aus: „the original readers of John were capable enough to distinguish the various senses the word ‚Jews‘ could have in the Gospel of John“. Anmerkungen des Erzählers, dass manche der Jünger nur heimliche Jünger Jesu sind, „aus Furcht vor den Juden“ ( Joh 19,38), und dass der engere Jüngerkreis Jesu sich hinter verschlossener Tür trifft, „aus Furcht vor den Juden“ ( Joh 20,19). Beide abschließenden Erwähnungen der Juden lassen die Leser erkennen, dass die Juden im JohEv doch als überwiegend feindselig gegenüber Jesus und seinen Jüngern einzustufen sind. Trotz aller Einschränkungen durch die Römer haben sie genug Macht und Einfluss, andere in Angst und Schrecken zu versetzen. Fasst man abschließend zusammen, welche Vorstellung die Leser am Ende der Lektüre mit dem Begriff Ἰουδαῖος bzw. οἱ Ἰουδαῖοι verbinden, dann lässt sich Folgendes festhalten: Den Lesern ist von vornherein ersichtlich, dass der Erzähler den Begriff Ἰουδαῖος auf unterschiedliche Weise gebraucht. Zum einen gebraucht er den Begriff neutral, um Riten, Feste und die Religion der Juden, das „Land der Juden“ bzw. das „jüdische Land“ und die ethisch-religiöse Abgrenzung der „Juden“ von den Samaritanern zu beschreiben. 407 Zum anderen wird der Begriff aber an den meisten Stellen und vorrangig im Plural verwendet, um eine Figur der Erzählung, nämlich „die Juden“ (οἱ Ἰουδαῖοι), zu charakterisieren. Den Stellen, an denen οἱ Ἰουδαῖοι für einen Gruppencharakter gebraucht wird, entnehmen die Leser, dass mit dieser Bezeichnung nicht immer und an allen Stellen eine einheitlich-gleichbleibende Figur dargestellt ist. Von Abschnitt zu Abschnitt zeichnet sich ein anderes Bild der Juden ab, sodass in jeder ein‐ zelnen Stelle unvoreingenommen die Darstellung der Juden untersucht werden muss. „Wie jedes andere Lexem auch - es sei denn, es handelt sich um einen terminus technicus - wird das Wort Ἰουδαῖος durch seinen jeweiligen Kontext definiert und es haftet ihm nicht etwa von Haus aus irgendeine ‚eigentliche Bedeutung‘ an.“ 408 Ausgehend von diesem Befund lässt sich festhalten, dass mit οἱ Ἰουδαῖοι teilweise ein neutraler oder sogar positiver Gruppencharakter gemeint sein kann ( Joh 1; 3; 11; 12). Diese positiv dargestellten Juden wenden sich mit echtem, aufrichtigem Interesse an Jesus. Sie wünschen sich und versuchen trotz aller Missverständnisse zu verstehen. Einige erweisen ihm Respekt, bezeichnen ihn als „Rabbi“ oder als „von Gott gekommenen Lehrer“. Diese sind es auch, die kommen, um zu trösten und mit den „Trauernden zu trauern“, und viele dieser Juden wenden sich Jesus zu, sympathisieren mit ihm oder glauben sogar an ihn ( Joh 2,23; 3,1; 8,30.31; 11,45; 12,11; 19,38.39). 190 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="192"?> 409 Diese religiöse Bedeutung weist B E N N E M A (2009a, 243−245) auch außerbiblisch nach: „[…] the religious meaning of the term Ἰουδαῖος was employed well before the First Century AD, and hence would be readily available for John to use“. B E U T L E R (2001, 230) bestätigt ebenfalls die gewonnenen Erkenntnisse: „There is a large consensus that in the following instances Ἰουδαῖος in the Gospel of John means ‚Jewish authorities in Jerusalem‘: John 1: 19; 2: 18, 20; 5: 10, 15 f, 18; 7: 1, 11, 13, 15, 35; 8: 22, 31, 48, 52, 57; 9: 18, 22 (twice); 10: 24, 31, 33; 11: 8; 13: 33; 18: 12, 14, 31, 36, 38; 19: 7, 12, 14, 31, 38; 20: 19“. 410 Vgl. B E U T L E R 2006, 15 ff. 411 B E N N E M A 2009a, 260. Neben diesen neutralen und positiven Charakterisierungen überwiegen aber bei weitem diejenigen, die ein negatives Bild von den Juden im Kopf der Rezipienten entstehen lassen. Es fällt auf, dass die negativ dargestellten Juden vorrangig mit Jerusalem und dem Tempel in Verbindung gebracht und häufig in enger Beziehung zu den Pharisäern und Hohepriestern dargestellt werden, was sie als „religiöse Gruppe“ auszeichnet. 409 Die Pharisäer und Hohepriester sind Teil dieser Juden, zeigen sich oftmals als deren treibende Kraft und sind mit ein Grund für den Einfluss, die Autorität sowie die Macht- und Kontrollfunktion, die die Juden innehaben und ausüben. Aufgrund dieser ihnen zukommenden Kontroll- und Machtposition sind diese Juden die Fragenden, die Hinterfragenden, die Prüfenden und Kritisierenden, vor allem wenn es um Jesu Person, Herkunft und Handeln geht. Sie sind als religiöse Gruppe an der Befolgung der Gesetze - vor allem der Reinheitsgebote, der Sabbatord‐ nungen 410 und des Blasphemieverbots - interessiert und fordern vehement deren Einhaltung ein. Wo dieser Forderung nicht nachgekommen wird, sind sie bereit, bis zum Äußersten zu gehen und ein Nichteinhalten der Gebote mit aller Härte zu bestrafen, wodurch sie eine „Angst vor den Juden“ heraufbeschwören. Deutlich zeigt sich aber, dass ihrer Macht und ihrem Einfluss Grenzen gesetzt sind, nämlich da, wo die übergeordnete Macht der Römer greift. So sind es zwar die Juden, die sich Jesus und seinen Jüngern gegenüber als feindlich gesinnt auszeichnen, Jesus der Gotteslästerung und des Verstoßes gegen die Sabbatordnungen beschuldigen, seinen Tod beschließen, ihn verfolgen und spontan steinigen wollen; doch letzten Endes können sie ihn „nur“ inhaftieren und an Pilatus übergeben, um dort seinen Tod zu fordern, weil sie selbst nicht befugt sind, Jesu Tötung vorzunehmen oder ihm später die Beine zu brechen, um sein endgültiges Ende herbeizuführen. Bei dieser Entwicklung des Konflikts wird deutlich, dass die Feindseligkeit der Juden gegenüber Jesus nicht immer einheitlich und gleichbleibend ist. „John presents a shift in hostility from a religious-theological conflict within the Pharisees in the middle of Jesusʼ ministry to a religious-political conflict within the chief priests at the end of Jesusʼ ministry.“ 411 6.2 Zeugnisempfänger: die Juden 191 <?page no="193"?> 412 „In fact, all the attempts to kill Jesus during his ministry are instigated by οἱ Ἰουδαῖοι (5: 18; 7: 1, 19; 8: 37, 40, 59; 10: 31−33; 11: 8)“ (B E N N E M A 2009a, 260). 413 Mit der Frage, ob hier vom „Schaftor“ oder vom „Schafteich“ die Rede ist, setzt sich T H Y R E N (2015, 294−295) auseinander und kommt zu dem Ergebnis: „Deshalb sind wir […] der Meinung, daß hier die Rede vom ‚Schaftor‘ […] den Vorzug verdient“. So auch S C H N E L L E (2016, 139): „Zu προβατικῇ (‚Schaf ‘) muss τύλῃ (‚Tor‘) ergänzt werden […]“. So zeigt sich trotz der großen Einigkeit, die immer wieder unter den Juden und unter den Juden, Pharisäern und Hohepriestern besteht, dass es doch auch immer wieder zu Uneinigkeit und Zwiespalt unter den Juden oder zwischen den Juden und den Pharisäern kommt. Daraus erkennen die Rezipienten, dass auch die feindlich gesinnten Juden im JohEv nicht immer gleich denken, fühlen und handeln, also keine stereotype Gruppe bilden. Auch unter ihnen herrscht teilweise Uneinigkeit, was die Person und die Mission Jesu betrifft. Und dennoch sind die Juden diejenigen, die in ihrem Unglauben und Unverständnis verharren. Sie sind es, die Jesus beleidigen und beschimpfen und von deren Seite aus unmissverständlich klar ist, dass sie Jesus feindselig gegenüberstehen, dass sie seinen Tod beschließen und herbeiführen wollen 412 und diesen letzten Endes auch lautstark herbeirufen: „Hinweg, hinweg! Kreuzige ihn! “ ( Joh 19,15a). Geht man nach Durchsicht der gesamten Lektüre und der Betrachtung der Juden zur Zeugnisszene in Joh 5,14-47 zurück, dann ist den Rezipienten trotz der unterschiedlichen Darstellung der Juden im JohEv ersichtlich, dass die Juden in Joh 5 zu den negativen und Jesus gegenüber feindselig gesinnten Juden zählen. Dies geht vor allem aus Joh 5,18 hervor, wo narratorial die Einstellung der Juden geschildert wird: Die Juden trachten danach, Jesus zu töten, weil er ihrer Meinung nach den Sabbat bricht und sich selbst Gott gleichmacht. Diese Gruppe von Juden wird in Joh 5 nun zum zentralen Zeugnisempfänger. Interessant dabei ist, dass gerade dieser feindseligsten und ablehnendsten Zeugnisempfängergruppe das am stärksten bekräftigte Zeugnis gegeben wird, nämlich - ausgenommen das Selbstzeugnis Jesu - ein dreifaches Zeugnis durch den Vater, durch die Werke und durch die Schriften. Die genaueren Umstände des Zeugnisakts sollen im Folgenden untersucht werden. 6.3 Die Umstände des Zeugnisgebens Das fünfte Kapitel des JohEv schildert mehrere Szenen, die sich an verschie‐ denen Orten, wohl aber am selben Tag abspielen. Zu Beginn der ersten Szene werden die Stadt Jerusalem und ein dort beim „Schaf(tor)“ 413 gelegener Teich namens „Bethesda“ (Βηθζαθά) erwähnt. Dieser Ort wird vom Erzähler am Ende 192 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="194"?> 414 B E U T L E R 2006, 16. 415 Durch μετὰ ταῦτα werden im JohEv mehrere Szenen eingeleitet ( Joh 3,22; 5,1 .22; 6,1; 7,1; 13,7; 21,1). der Szene nochmals erwähnt, ohne dabei den Namen des Ortes zu wiederholen ( Joh 5,13). Zur Bestimmung des Zeitpunkts der Handlung (erzählte Zeit) wird zunächst das Wort „danach“ (μετὰ ταῦτα) genannt und daraufhin ist von einem „Fest der Juden“ (ἑορτὴ τῶν Ἰουδαίων) die Rede (vgl. Joh 5,1-2). Die Szene folgt in der erzählten Zeit also unmittelbar auf den vorausgehenden Erzählabschnitt und ereignet sich an einem nicht näher bestimmten „Fest der Juden“. Später wird in der Erzählung ergänzt, dass sich die Szene an einem Sabbat abspielt ( Joh 5,9). Der „Sabbat“ (σάββατον) wird an dieser Stelle das erste Mal im JohEv genannt und spielt von da an eine bedeutende Rolle in der Entwicklung des Konflikts zwischen Jesus und den Juden, weil Jesus zweimal genau am Sabbat heilt ( Joh 5,9; 9,14). Dabei wird die Dramatik der Handlungen vom Erzähler bewusst gesteigert, indem er jeweils erst nach der Wundertat beifügt, dass Jesus am Sabbat geheilt hat. „One could even say that the readers are taken for a ride by the narrator! The passage takes an unexpected twist and so could even be called a ‚Sabbath Trick‘“. 414 Durch eine neue Orts- und Zeitangabe in Joh 5,14 wird die für die vorliegende Arbeit entscheidende Szene eröffnet. Wieder ereignen sich die Dinge „danach“ (μετὰ ταῦτα) 415 , zeitlich gesehen also nach der vorausgehenden Szene, aber immer noch am selben Tag, dieses Mal nun „im Tempel“ (ἐν τῷ ἱερῷ). Wie in anderen Stellen ( Joh 2,14-18; 7,28; 8,20.59; 10,23) wird auch hier der Tempel zum Raum der Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden. Dies ist kein Zufall, denn hier vollzieht sich im Kleinen, was der Erzähler im Prolog beschreibt: Jesus kommt in sein Eigentum, hier in das Haus seines Vaters ( Joh 2,16), den Tempel, aber die Seinen (die Juden) nehmen ihn nicht an. Vielmehr beschuldigen sie ihn einer zweifachen Sünde - der Gotteslästerung und des Sabbatbruchs - und trachten danach, ihn zu töten. Nach der Zuspitzung der Szene und der klaren Darstellung der Tötungsab‐ sichten der Juden gibt der Erzähler eine Rede Jesu wieder, die sich bis ans Ende der Szene zieht und dort mit einer offenen und unbeantworteten Frage endet (vgl. Joh 5,47). In seiner Rede stellt Jesus in einem ersten Teil ( Joh 5,19-30) sein Verhältnis zum und seine Einheit mit dem Vater dar und erläutert von daher seine Vollmacht und seine eschatologische Richterfunktion. In einem zweiten Teil ( Joh 5,31-47) nennt Jesus die drei „übermenschlichen“ Zeugen (Werke, Vater und Schriften), die für ihn Zeugnis ablegen und seine Aussagen sowie sein Wirken am Sabbat rechtfertigen. Wendet man sich den drei von Jesus 6.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 193 <?page no="195"?> 416 Die Erzählung der Zeugnisse erfolgt hier nun auf einer anderen Kommunikationsebene: Erzähler 1 schildert, wie Jesus (Erzähler 2 = erzählte Erzähler) erzählt, welches Zeugnis die Werke, der Vater und die Schriften (Erzähler 3 ) über Jesus ablegen. 417 Vgl. B O I C E 1970, 26; T H Y E N 2015, 313. Vgl. T E N N E Y (1975, 232), der in seiner Untersuchung des Zeugnisses im JohEv ebenfalls zum Ergebnis kommt: „Particularly was the Fatherʼs witness apparent in the works of Jesus, for He performed them by delegated power (5: 20) - a type of witness which was extended also to Jesusʼ followers as […]“. dargestellten Zeugnissen zu, 416 so müssen separat bei jedem Zeugnisakt die genauen Umstände untersucht werden, da scheinbar jedes Zeugnis jeweils an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen, aus einem bestimmten Grund und mit einer bestimmten Absicht gegeben wird. Genaue Angaben lassen sich dabei oftmals nur schwer herausstellen, weil sie nicht detailliert erzählt werden. Schwierig sind die Unterteilung und differenzierte Untersuchung der Zeugen und Zeugnisakte auch deshalb, weil diese sich überschneiden und ineinander übergehen. Es zeigt sich, dass der Vater, die Werke und die Schriften zwar als eigenständige Zeugen angeführt werden, dass das Zeugnis des Vaters sich aber in den Werken und den Schriften vollzieht. Da alle drei Zeugen trotzdem als eigenständige Zeugen angeführt werden, sollen sie im Folgenden auch als solche separat betrachtet werden. 6.3.1 Das Zeugnis des Vaters Im zweiten Teil der zitierten Rede Jesu ( Joh 5,31-47) nennt Jesus die drei „über‐ menschlichen“ Zeugen: den Vater, die Werke und die Schriften. Folgt man der Reihenfolge der Nennung der Zeugen, so wird in Joh 5,32 als erster Zeuge (nach dem Selbstzeugnis Jesu) der Vater genannt. Beginnt man mit der Untersuchung des Zeugnisses des Vaters, den Jesus als den „anderen“ Zeugnisgeber ( Joh 5,32), der ihn gesandt hat ( Joh 5,37a; vgl. 8,16.18; 12,49), bezeichnet, so wird von Jesus über den Vater erzählt, dass er „der Zeugnisgebende ist“ (ἄλλος ἐστὶν ὁ μαρτυρῶν; Joh 5,32) und dass er „Zeugnis gegeben hat“ (μεμαρτύρηκεν; Joh 5,37b). Beide Aussagen deuten aufgrund der unterschiedlichen Zeitformen auf zwei unterschiedliche Zeugnisakte hin. Die erste Aussage legt den Lesern durch das verwendete Partizip Präsens nahe, dass der Vater beständig Zeugnis für Jesus ablegt ( Joh 5,32). Gemeint ist damit das gegenwärtige Zeugnis des Vaters für den Sohn (vgl. das Präsens in Joh 5,32b), das durch den Sohn und durch die Werke des Sohnes gegeben wird. 417 Der Ort, an dem dieses Zeugnis für Jesus gegeben wird, ist daher genau da, wo Jesus ist und wirkt - hier folglich im Tempel in Jerusalem. Was bezeugt wird (Inhalt des Zeugnisses), ist zum einen die Vollmacht Jesu, die durch sein Werk 194 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="196"?> 418 H E N N E & R E H B O C K 2001, 29. der Heilung des Blinden ausgedrückt wird, zum anderen ist es vor allem das, was der Vater durch das Reden Jesu bezeugt, nämlich dass der Sohn und der Vater eins sind, dass der Sohn nichts aus sich selbst tun kann ( Joh 5,17.19.30) und dass der Sohn vom Vater geliebt wird. Darüber hinaus wird bezeugt, dass dem Sohn das Gericht übergeben ist und er Gericht halten wird, weil er der „Menschensohn“ ist ( Joh 5,22.27.30). Weiter wird vom Vater durch den Sohn über den Sohn bezeugt, dass der Sohn den Vater ehrt ( Joh 5,20-23), dass der Sohn Leben in sich selbst hat ( Joh 5,26) und dass er durch seine Stimme alle Toten auferwecken wird zum Leben oder zum Gericht ( Joh 5,28). Stellt man die Frage nach dem Zeugnismodus, könnte oberflächlich gesehen angenommen werden, dass das Zeugnis nur indirekt gegeben wird, weil es vom Vater durch den Sohn und durch dessen Werke übermittelt wird. Ein direktes „Zeugnisgespräch“ zwischen dem Zeugen, dem Vater und den Zeugni‐ sempfängern, den Juden, scheint nicht stattzufinden. Beziehen die intendierten Rezipienten jedoch die Aussagen des Erzählers und das dargestellte Selbstver‐ ständnis Jesu mit in den Zeugnisakt ein, so kann nicht von einem Zeugnis „zweiter Hand“ gesprochen werden. Da der Sohn eins ist mit dem Vater, ist im Reden Jesu das Zeugnis des Vaters für den Sohn ein direktes Zeugnis und die direkte Begegnung des Vaters mit den Zeugnisempfängern. Bei diesem „Zeugnisgespräch“, das der Vater durch Jesus (und die Werke) mit den Juden führt und durch das der Vater Zeugnis für den Sohn ablegt, handelt es sich um ein öffentliches, natürlich-spontanes, nicht vorbereitetes Gespräch in einer Kleingruppe. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner ist asymmetrisch. Aus menschlicher Sicht liegt eine soziokulturell bedingte Asymmetrie vor, die durch „institutionell und gesellschaftlich bedingte Konstellationen und Machtverhältnisse“ 418 zum Ausdruck kommt. „Die Juden“ fühlen sich Jesus überlegen und halten sich für diejenigen, die die Macht und Kontrolle haben und für die Ordnung im Volk und in Jerusalem zuständig sind. In Jesus sehen sie den Unruhestifter, Gotteslästerer und Sabbatbrecher, der sich nicht an die religiösen Satzungen und Gebote hält und den es daher zu beseitigen gilt (vgl. Joh 5,18). Den Lesern ist aber auch hier bewusst, dass die Asymmetrie der Gesprächspartner in diesem Zeugnisgespräch letztlich daher rührt, dass Jesus, der Vater und die Werke den Juden weit überlegen sind. Was den Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner angeht, so lässt sich er‐ kennen, dass der eigentliche Zeuge, nämlich der Vater, den Zeugnisempfängern unbekannt ist, denn die Empfänger haben „weder jemals seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen“ ( Joh 5,37). Auch Jesus, durch den der Vater Zeugnis 6.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 195 <?page no="197"?> 419 Vgl. die kurze Auflistung der verschiedenen Auslegungsvarianten bei Z U M S T E I N (2016, 235). 420 B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 78; B E U T L E R 1972, 260−261; 2016,199; B O I C E 1970, 78−79; K Ö S ‐ T E N B E R G E R 2004, 192; S C H E N K E 2014, 96; S C H N E L L E 2016, 151; W E S T C O T T 1958, 90; gegen gibt, ist den Juden zwar vordergründig gesehen in gewisser Weise bekannt, letztlich aber unbekannt. Jesus selbst bezeugt wenig später: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich gekannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater gekannt haben“ ( Joh 8,19). Umgekehrt ist natürlich ersichtlich, dass die Juden sowohl Jesus als auch dem Vater sehr wohl und bis in ihre Gedanken hinein vertraut sind, weil sie wissen, was im Menschen ist ( Joh 2,24; 6,64; 16,30). Wie bei den anderen Gesprächen und Zeugnisakten zeigt sich auch hier wieder eine deutliche Themafixiertheit des Gesprächs. Im Fokus des „Zeugnisge‐ sprächs“ stehen Jesus, seine Herkunft und Sendung, sein Selbstverständnis und seine Mission. Gerade davon zeugt der Vater durch den Sohn und für den Sohn und davon handelt letztlich die gesamte Erzählung. Im Gespräch wird darüber hinaus deutlich, warum und wozu das Zeugnis gegeben wird. Obwohl die Handlungsdimension des Gesprächs überwiegend narrativ und diskursiv ist, lässt sich unterschwellig eine direktive Dimension erkennen, da das Zeugnis des Vaters Anweisungs- und Handlungscharakter aufweist. Das Zeugnis des Vaters ist gegeben, damit die Zeugnisempfänger - in diesem Fall die Juden - auf Jesu wahre Identität hingewiesen werden. Sie sollen erkennen und glauben, dass das Zeugnis über Jesus wahr ist. Durch die Annahme des Zeugnisses und den Glauben an Jesus, seine Worte und den, der ihn gesandt hat, sollen die Glaubenden ewiges Leben empfangen ( Joh 5,24). Im Empfangen des ewigen Lebens durch und in Christus kommt das Zeugnis zu seinem Ziel. Jedes Zeugnis und die gesamte Erzählung sind von Anfang bis zum Ende darauf ausgerichtet, dass Jesus das Leben ist ( Joh 1,4; 11,25; 14,6), das Leben in sich hat ( Joh 5,26), Worte des ewigen Lebens hat ( Joh 6,68), das ewige Leben gibt ( Joh 17,2) und dass derjenige, der an ihn glaubt, ewiges Leben hat ( Joh 3,15.16.36; 5,24; 6,47.54; 10,28; 11,26; 20,31). Neben dem „gegenwärtigen Zeugnis“ des Vaters durch die Worte und Werke Jesu zeigt sich in der Aussage Jesu in Joh 5,37, dass der Vater auch schon früher, vor der erzählten Zeit, Zeugnis für den Sohn abgelegt hat. In der zitierten Rede Jesu wird dies durch das Perfekt μεμαρτύρηκεν deutlich: „Und der Vater, der mich gesandt hat, er hat Zeugnis von mir gegeben“. Den Lesern ist aus der Lektüre nicht ersichtlich, auf welchen Zeugnisakt der Vergangenheit hier Bezug genommen wird. 419 Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um Gottes Zeugnis in den und durch die alttestamentlichen Schriften handelt. 420 „Side by side with the continuous witness of the Father (v. 32) there is a witness 196 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="198"?> B A R R E T T 1978, 266; T H Y E N 2015, 321; Z U M S T E I N 2016, 235. C A R S O N (1991, 262) sieht hier hingegen eine „general reference to all of the Fatherʼs revealing work“. 421 W E S T C O T T 1958, 90. which is complete. This was given […] in the prophetic teaching of the Old Testament closed by the work of the Baptist“. 421 Stellt man auch in Bezug auf dieses durch die Schriften gegebene Zeugnis des Vaters die Fragen, wo, wann und wie es abgelegt worden ist, dann lassen sich keine genauen Antworten finden. Der Erzähler gibt weder Auskunft über Ort(e) und Zeit(en), wo bzw. wann das Zeugnis abgelegt wurde, noch über die sonstigen näheren Umstände. Von den Lesern kann aber geschlussfolgert und angenommen werden, dass das Ablegen des Zeugnisses des Vaters durch die Schriften immer dort erfolgte (und auch weiterhin erfolgt), wo die Schriften gelesen und gehört wurden (und werden). Der Verzicht des Erzählers auf genaue Angaben erweckt auch hier wieder den Eindruck, als sei dem Erzähler die Erläuterung der genauen Umstände weniger wichtig als das Zeugnis und dessen Inhalt. Bezüglich des Inhalts dieses Zeugnisses kann sowohl von den erzählten Zeugnisempfängern als auch von den Lesern Folgendes angenommen werden: Wenn Jesus mit dem hier angeführten Zeugnis, das der Vater für ihn abgelegt hat, tatsächlich das Zeugnis des Vaters in den und durch die alttestamentlichen Schriften meint, dann deckt sich der Inhalt dieses Zeugnisses des Vaters für Jesus mit dem Inhalt des Zeugnisses der alttestamentlichen Schriften für Jesus. Die erzählten Zeugnisempfänger, die Juden, und die intendierten Rezipienten können das hier erwähnte, aber nicht genauer entfaltete Zeugnis des Vaters also insofern kennen oder rekonstruieren, als sie sich mit dem Zeugnis der Schriften für Jesus auseinandersetzen. Da das Zeugnis der Schriften im weiteren Verlauf der Rede Jesu separat und für sich genommen als Zeugnis für Jesus angeführt wird, können im Folgenden die beiden deckungsgleichen Zeugnisse und deren übereinstimmender Zeugnisinhalt zusammen untersucht werden. 6.3.2 Das Zeugnis der Schriften Wie die vorausgehende Darstellung gezeigt hat, stimmt das früher abgelegte Zeugnis des Vaters mit dem Zeugnis der Schriften überein. Es ist das Zeugnis, das schon vor der erzählten Zeit abgelegt worden ist, zur erzählten Zeit und darüber hinaus aber weiterhin von Jesus zeugt. Deutlich wird dies in der Aussage Jesu durch die Verwendung des Präsens εἰσιν und des Partizips Präsens αἱ μαρτυροῦσαι: „Jene [die Schriften] sind es, die Zeugnis ablegen von mir“ ( Joh 5,39b). Der Vater hat sein Zeugnis für den Sohn (in den Schriften) zwar früher 6.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 197 <?page no="199"?> 422 Vgl. L A B A H N 2011, 144−145. 423 Im weiteren Verlauf von Joh 5 werden die „Schriften“ in Verbindung mit Mose gesetzt (vgl. Joh 5,45−47). Er (und daher auch seine Schriften) „zeugt“ von Jesus, weil er von Jesus „geschrieben hat“ (ἔγραψεν; Joh 5,46). Da in diesem Zusammenhang das Verb μαρτυρεῖν jedoch nicht verwendet wird, soll dieser Abschnitt, die Charakterisierung und das Zeugnis des Moses in vorliegender Arbeit nicht näher untersucht werden. Zur näheren Charakterisierung Moses siehe H A R S T I N E 2002. abgelegt, „er hat gezeugt“ (μεμαρτύρηκεν; Joh 5,37), aber dieses Zeugnis zeugt auch weiterhin für Jesus in verschriftlichter Form durch die Schriften. Wo und wann dieses verschriftlichte Zeugnis abgelegt wurde und wird, ist, wie oben bereits erwähnt, offensichtlich: Das Zeugnis für Jesus durch die Schriften wird an den Orten gegeben, an denen die Schriften gelesen bzw. gehört werden - zur erzählten Zeit also vorrangig im Tempel und in den Synagogen -, und jedes Mal dann, wenn die Schriften aufgerollt, gelesen und gehört werden. Wie die obige Untersuchung der Darstellung der Schrift im JohEv zeigt, geht der Erzähler davon aus, dass die Schrift eine aktiv handelnde, sprechende und autoritäre Figur ist. Ihr Zeugnis wird nicht einfach nur gelesen, sondern (geist‐ lich) hörbar wahrgenommen. Dreimal wird explizit ihr „Sprechen“ genannt und darüber hinaus auf ihr „Wissen“ über zukünftige Ereignisse, vor allem über das Leben, Wirken und Sterben Jesu, hingewiesen. Sie ist als Zeuge also bemüht, hörbar und deutlich von der wahren Identität Jesu zu überzeugen. 422 Daher kommt es bei jeder Begegnung mit den Schriften zum Hören und Wahrnehmen des Zeugnisses für Jesus. 423 Das entstehende „Gespräch“ bzw. der Zeugnisakt kann öffentlich geschehen - dort, wo die Schriften im Tempel oder der Synagoge „sprechen“ - oder privat, wo das Zeugnis der Schriften von einer einzelnen Person gehört wird. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner lässt sich auch hier als asymmetrisch erkennen. Die Schriften sind weit erhabener als ihre Leser. Sie sind das göttliche Zeugnis des Vaters für den Sohn, welches der Vater durch alle Zeiten für den Sohn abgelegt hat und ablegt. Sie beinhalten weit mehr Informationen und Wissen, als „die Juden“ (und die künftigen Leser) jemals besitzen können. Daher sind die Juden auch bemüht, die Schriften gewinnbringend zu erforschen, zu untersuchen und zu ergründen (ἐραυνᾶν; Joh 5,39; vgl. 7,52). Doch jede Suche in den Schriften ist vergebens, wenn nicht das Zeugnis über Jesus darin wahr- und angenommen wird. Nur wer das Christuszeugnis in den Schriften hört und dem glaubt, der den Christus gesandt hat, findet das ewige Leben ( Joh 5,24). Diesen Aussagen Jesu über die Schrift können die Rezipienten gewisse Handlungsdimensionen entnehmen. Die Schriften berichten nicht nur narrativ von Jesus, sondern ihr Zeugnis beinhaltet immer zugleich auch eine direktive 198 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="200"?> 424 S C H N E L L E 2016, 151−152. Vgl. B E U T L E R 1972, 263−264. Dimension. Bewirkt werden soll durch ihr Zeugnis, dass die Zeugnisempfänger glauben, dass das alttestamentliche Zeugnis über Jesus wahr ist und sich in Jesus erfüllt, dass Jesus tatsächlich der von Gott gesandte Sohn Gottes ist und dass durch den Glauben ewiges Leben empfangen wird ( Joh 5,24). Doch trotz des Forschens der Juden in den Schriften muss Jesus an dieser Stelle einräumen: „Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt“ ( Joh 5,40). Die Juden können oder wollen den Inhalt des Zeugnisses der Schriften über Jesus nicht wahrhaben oder nicht wahrnehmen. Sie glauben dem Zeugnis der Schriften nicht. Sie erkennen nicht, dass gerade die Schriften von Jesus Zeugnis ablegen und damit auf ihn verweisen. Deshalb bleibt ihre Suche nach dem ewigen Leben ohne Frucht, denn sie erkennen nicht, wer das Leben ist und ewiges Leben zu geben vermag. Ihr Irrtum besteht darin, der Schrift beizumessen, was allein Jesus Christus gebührt: Lebensspender zu sein. 424 Jesu Aussage zeigt, dass den Juden die Schriften letztlich in ihrer Tiefe nicht zugänglich und bekannt sind und der Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner daher als „unbekannt“ oder höchstens „flüchtig bekannt“ eingestuft werden muss. Obwohl das Gespräch und das Zeugnis des Vaters und der Schriften immer wieder klar auf Jesus fixiert sind, auf ihn und seine wahre Identität hinweisen und zum Glauben führen wollen, nehmen „die Juden“ das Zeugnis des Vaters und der Schriften nicht an. Dies ist aber nicht nur beim Zeugnis der Schriften der Fall, sondern, wie sich im Folgenden zeigen wird, auch beim Zeugnis der Werke. 6.3.3 Das Zeugnis der Werke Im Verlauf der erzählten Rede Jesu nennt Jesus als weiteren Zeugen „die Werke“ (τά ἔργα): „[…] denn die Werke, die der Vater mir gegeben hat, damit ich sie vollbringe, die Werke selbst, die ich tue, zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat“ ( Joh 5,36). Das Zeugnis der Werke ist in mehrfacher Hinsicht besonders. Zum einen sind die Werke, die Jesus wirkt, letztlich nicht seine Werke, sondern die Werke des Vaters ( Joh 10,37), die der Vater dem Sohn gibt, die der Vater durch den Sohn wirkt ( Joh 4,34; 14,10) und die der Sohn im Namen des Vaters vollbringt ( Joh 10,25; 17,4). Daher kann Jesus diese Werke auch als „ein größeres Zeugnis als das des Johannes“ bezeichnen ( Joh 5,36a), weil durch sie Gott selbst als 6.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 199 <?page no="201"?> 425 Z U M S T E I N 2016, 234; vgl. S C H N E L L E 2016, 151. 426 Vgl. Joh 3,17.34; 5,38; 6,29.57; 7,29; 8,42; 10,36; 11,42; 17,3.8.18.21.23.25; 20,21. Zurecht bezeichnet H A H N (2011, 608) die Sendung Jesu durch Gott als „das Herzstück der johanneischen Theologie“ und als „Schlüsselmotiv für das Verständnis des Johannese‐ vangeliums“ (605). Zeuge auftritt. Zum anderen ist das Zeugnis der Werke besonders, weil es ganz von der Person und der Gegenwart Jesu abhängig ist. Während die Zeugnisse des Täufers, der Samaritanerin, des Volkes, der Schriften, des Geistes und des Erzählers überall und unabhängig von der Gegenwart Jesu für Jesus abgelegt werden können, wird das Zeugnis der Werke nur da wahrnehmbar, wo Jesus ist und wirkt, und zwar immer dann, wenn Jesus diese Werke wirkt. Darin gleicht das Zeugnis der Werke dem Zeugnis des Vaters. Denn abgesehen vom Zeugnis des Vaters durch die Schriften ist das Zeugnis des Vaters durch Jesus ebenso wie das Zeugnis der Werke an die Gegenwart Jesu gebunden. Nur dort, wo Jesus ist, spricht und wirkt, werden diese Zeugnisse übermittelt. Dennoch sind beide Zeugnisse kein Selbstzeugnis Jesu, sondern Zeugnis des Vaters, der durch Jesu Worte und Werke für Jesus Zeugnis ablegt. Wenn Jesus in diesem Abschnitt von den Werken spricht, die Zeugnis für ihn geben, dann steht nicht nur das eine, eben gewirkte Werk der Heilung des Kranken am Teich Bethesda im Fokus. Der durch den Plural gegebene Hinweis auf „die Werke“ verdeutlicht, dass hiermit sowohl die Heilung des Kranken als auch „die Fähigkeit des Sohnes, das wahre Leben zu schenken“, und darüber hinaus auch sein gesamtes Wirken und Handeln gemeint sind. 425 Durch jedes von Jesus gewirkte Werk wird bezeugt, dass Jesus vom Vater gesandt ist, denn gerade „die Werke […] zeugen von mir, dass der Vater mich gesandt hat“ ( Joh 5,36). Mit dem Hinweis auf die Sendung des Sohnes vom Vater weist Jesus nicht nur auf den Inhalt des Zeugnisses hin, sondern zugleich auch auf das zentrale Thema des JohEv. 426 Jesus ist der von Gott gesandte und ausgehende Sohn Gottes. Die Bedeutung dieser Sendung wird mehrfach hervorgehoben. Sie ist nach Jesu eigenen Aussagen zentraler Glaubensinhalt ( Joh 11,42; 13,20; 17,22-25) sowie Ausgangspunkt und Grundlage für die spätere Sendung der Jünger ( Joh 20,21). Und gerade diese Wahrheit soll durch die Werke bezeugt und geglaubt werden. In Bezug auf das Zeugnis der Werke stellt sich mehr als bei anderen Zeugnissen die Frage, wie dieses Zeugnis in dieser Szene übermittelt wird. Offensichtlich handelt es sich zunächst um ein nonverbales und damit für die erzählten Zeugnisempfänger „unhörbares“ Zeugnis. Das Zeugnis der Werke wird nur optisch wahrgenommen und bezeugt daher lediglich die außerordent‐ liche Macht und Kraft dessen, der die Werke tut. Erst durch die Erläuterung der 200 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="202"?> Herkunft und Bedeutung des hier gewirkten Werkes wird dann das, was die Werke bezeugen wollen, umfassender verständlich und auf die Frage nach Jesu Identität zugespitzt. Das eigentliche Wunderwerk bzw. Zeugnis bedarf hier also einer Interpretation, damit es als Zeugnis des Vaters für Jesus in vollem Ausmaß verstanden werden kann. Um dies zu gewährleisten, wird in dieser Zeugnisszene der Inhalt des Zeugnisses der Werke von Jesus explizit herausgestellt: Das Zeugnis ist gegeben, um zu bezeugen, „dass der Vater mich gesandt hat“ ( Joh 5,36). Bezieht man diese verbale Erläuterung des Zeugnisses mit in die Untersu‐ chung des Zeugnisakts ein, dann lassen sich dieser Akt und das entstehende Zeugnisgespräch näher erörtern: Das Zeugnis der Werke und die dazugehörige Erläuterung der Bedeutung dieses Zeugnisses durch Jesus erfolgen in einem natürlich-spontanen Gespräch mit den Juden. Die Konstellation der Gesprächs‐ partner hat sich nicht verändert und das Zeugnis wird auch hier in einem öffentlichen Rahmen abgelegt. Das soziale Verhältnis und der Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner ( Jesus und die Juden) wurden bereits oben dargestellt. Ebenso verhält es sich mit der Themafixiertheit: Wie die anderen Zeugnisse in der Szene ist auch das Zeugnis der Werke ganz auf Jesus fixiert - auf seine Identität und speziell auf seine Herkunft von Gott. Dabei weist das Zeugnis neben einigen narrativen Handlungsdimensionen auch hier wieder eine direktive Handlungsdimension auf. Warum und wozu das Zeugnis gegeben wird, erschließt sich den Rezipienten sehr deutlich aus dem Zusammenhang: Das Zeugnis der Werke soll den erzählten Zeugnisempfängern die Augen öffnen für Jesu Sendung vom Vater, für seine Einheit mit dem Vater und für seine wahre Identität. Ziel der Vermittlung des Inhalts des Zeugnisses der Werke ist die gläubige Annahme dessen, was bezeugt wird, nämlich dass Jesus als der von Gott gesandte Sohn Gottes die Werke des Vaters wirkt und eins mit dem Vater ist (vgl. das „damit sie glauben“ in Joh 11,42; Joh 17,21-25). 6.4 Die Folgen und Auswirkungen der Zeugnisse Die vorausgehenden Untersuchungen haben gezeigt, dass die in dieser Szene von Jesus angeführten Zeugen mit ihrem Zeugnis etwas bewirken wollen. Sie sollen nicht nur Jesu Wunderwerke am Sabbat legimitieren, sondern auch seine wahre Identität herausstellen und zum Glauben an ihn herausfordern. Während in anderen Szenen teilweise die Folgen und Auswirkungen der abgelegten Zeugnisse erzählt werden, lässt der Erzähler diese Szene in Joh 5,47 mit der folgenden zitierten rhetorischen Frage Jesu enden: „Wenn ihr aber seinen 6.4 Die Folgen und Auswirkungen der Zeugnisse 201 <?page no="203"?> 427 S C H N A C K E N B U R G 1980, 182. [Moses] Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr da meinen Worten glauben? “ Den Lesern ist die Antwort auf diese Frage ersichtlich: Da die ( Jerusalemer) Juden Mose nicht glauben, ist davon auszugehen, dass sie auch den Worten Jesu nicht glauben werden, denn beide stimmen in ihren Aussagen und ihrem Zeugnis für Jesus überein: Das gesprochene Jesuswort entspricht dem geschriebenen Mosewort und gerade „die geschulten Schriftgelehrten (vgl. 7,15) hätten sich auf Grund ihres Studiums überzeugen müssen, daß Jesus der von Mose verheißene Messias ist“. 427 Doch zu dieser Überzeugung gelangen sie in der Erzählung scheinbar nicht. Die Annahme, dass die Juden weder Mose (bzw. dem Pentateuch) noch Jesus Glauben schenken, könnte die Leser darüber hinaus vermuten lassen, dass mit der Ablehnung der Worte Moses zugleich auch eine Ablehnung der übrigen Schriften und somit auch des Zeugnisses des Vaters in den Schriften einhergeht. Wenn nun aber Jesu Worten kein Glaube geschenkt wird, wieso sollte dann dem Zeugnis seiner Werke und deren Interpretation durch Jesus Glaube geschenkt werden? Auf all diese Überlegungen und Fragen gibt der Erzähler keine klaren Ant‐ worten. Die Szene und die Rede Jesu enden abrupt und lassen die intendierten Rezipienten einmal mehr mit der Frage zurück, ob die Juden nun Jesus, Mose oder den übrigen genannten Zeugen Glauben schenken werden oder nicht. 6.5 Zusammenfassung und Beurteilung In der hier untersuchten Szene aus Joh 5,17-47 werden von Jesus, in Reaktion auf die Auseinandersetzung mit den Juden aufgrund seiner vollbrachten Heilung am Sabbat, mehrere Zeugen angeführt. Diese sollen sein „Arbeiten“ am Sabbat überzeugend verteidigen und legitimieren, indem sie seine wahre Identität und Herkunft bezeugen. Zwei der Zeugen führt Jesus zwar an (sich selbst und Johannes den Täufer), stellt sie sogleich aber zurück, weil ein von ihnen vorgebrachtes Zeugnis für die Juden nicht überzeugend sein würde. Als weitaus glaubwürdigere und überzeugendere Zeugen werden stattdessen der Vater, die Werke und die (alttestamentlichen) Schriften angeführt - insgesamt drei weitere Zeugen, wodurch der jüdischen Forderung nach „zwei oder drei Zeugen“ Genüge getan ist (Num 35,30; Deut 17,6; 19,15). Aus der Charakterisierung der Zeugen im vorausgehenden und nachfol‐ genden Lektüreverlauf der Szene ist den Rezipienten ersichtlich, wer die von 202 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="204"?> Jesus angeführten Zeugen sind. Von der komplexen Figur des Vaters wissen sie, dass er der väterlich liebende, gebe- und sendungsbereite Gott ist, der den Willen hat, sich durch die Person, die Worte und die Taten Jesu der Welt zu offenbaren. Ebenso handelt es sich bei den vom Vater gegebenen Werken um eine komplexe Figur. Der Erzähler schreibt ihnen eine derart enge Verbindung zu Jesus zu, dass ihr Zeugnis gerade im Reden, Handeln und Wirken Jesu in Erscheinung tritt und daher nur da wahrgenommen wird, wo Jesus selbst ist und Werke wirkt. Beim dritten Zeugen, den Schriften, handelt es sich um eine komplexe, autoritäre Figur, die sich durch ihr Reden und ihr Vorherwissen über Jesus auszeichnet. Sie zeugt nicht nur selbst für Jesus, sondern in ihr und durch sie zeugt auch der Vater für den Sohn. Als Zeugnisempfänger werden in dieser Szene die Juden genannt. Den intendierten Rezipienten ist aus der Erzählung ersichtlich, dass die Bezeichnung οἱ Ἰουδαῖοι bzw. Ἰουδαῖος sehr unterschiedlich gebraucht wird. Spricht der Erzähler jedoch von den Juden als einer Jesus feindselig gegenüberstehenden Gruppe, dann sind damit meist und vorrangig „Jerusalemer Juden“ gemeint, ein Gruppencharakter, der sich aus normalen Einwohnern Jerusalems, vor allem aber aus religiösen, jüdischen Führern und Gelehrten zusammensetzt und der eine gewisse Autorität, Macht und Kontrollfunktion in Jerusalem und darüber hinaus ausübt. Diesem Gruppencharakter präsentiert Jesus in der vorliegenden Szene seine Zeugen. In einem nicht vorbereiteten, offenen, natürlichen Gespräch, in dem sich sowohl narrative als auch direktive Hand‐ lungsdimensionen erkennen lassen und das ganz auf Jesu Identität fixiert ist, konfrontiert Jesus die Jerusalemer Juden, die ihn und den Vater letztlich nicht kennen, mit dem Zeugnis des Vaters. Der Vater ist es, der schon früher Zeugnis abgelegt hat, aber auch jetzt noch Zeugnis für den Sohn ablegt. Des Weiteren weist Jesus auf seine Werke hin, die seine Herkunft und Einheit mit dem Vater bezeugen, und er hält ihnen gegen Ende des Gesprächs die Schriften vor, die zwar Objekt ihrer Forschung sind, deren wahren Inhalt und Hinweis auf Jesus sie in ihrer Blindheit aber nicht erkennen können. Obwohl Jesus dieser ihm am feindseligsten gegenüberstehenden Gruppe die meisten Zeugen entgegenstellt, bleiben am Ende die Auswirkungen und die Folgen des Zeugnisakts unklar. Die Szene und die Rede Jesu enden in Joh 5,47 abrupt mit einer offenen Frage. Gerade das offene und abrupte Ende sowie die Unklarheit über die Folgen und Auswirkungen der Zeugnisse stellen die intendierten Rezipienten wiederholt vor die herausfordernde Frage, wie sie selbst auf Jesus, seine Aussagen und die angeführten Zeugen reagieren. Damit lässt sich bereits hier mitten in der Erzählung und durch die Art der narrativen Darstellung der Szene erkennen, dass der Erzähler durchweg und nicht nur am Ende ( Joh 20,31) ein gewisses 6.5 Zusammenfassung und Beurteilung 203 <?page no="205"?> Ziel verfolgt. Er will die intendierten Rezipienten zum Nachdenken über Jesus anregen, sie davon überzeugen, dass „Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“, und zum Glauben an Jesus rufen. Wo dieser Glaube geweckt wird, sind der Er‐ zähler, die Erzählung und die darin enthaltenen Zeugnisse zum Ziel gekommen. 204 6 Zeugnisszene 5: Der Vater, Johannes der Täufer, die Werke und die Schriften ( Joh 5,17-47) <?page no="206"?> 428 μαρτυρεῖν 4x in Joh 8,13.14.18 (2x); μαρτυρία 3x in Joh 8,13.14.17. 429 Wie einleitend erwähnt, soll in dieser Arbeit nicht näher auf die Text- und Überliefe‐ rungsgeschichte von Joh 7,53-8,11 eingegangen werden, sondern der Text in seiner vorliegenden Endfassung (gemäß dem Haupttext von N E S T L E -A L A N D 2 8 ) als Grundlage der Untersuchung dienen. Für eine Auseinandersetzung mit der Text- und Überliefe‐ rungsgeschichte von Joh 7,53-8,11. Vgl. B E C K E R 2018 und B O R S E 1994. 430 Die scheinbar widersprüchlichen Aussagen Jesu wurden bereits oben thematisiert. 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) Nachdem die Zeugnisthematik in Joh 5 durch die Erwähnung dreier Zeugen und den geballten Gebrauch der Zeugnisbegriffe ihren Höhepunkt erfahren hat, folgen in den Kapiteln 6 und 7 Szenen, in denen das Zeugnis für Jesus nicht explizit thematisiert wird. Erst in der Szene Joh 8,12-20 treten die für die vorliegende Arbeit relevanten Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία erneut und sehr häufig auf. 428 Anknüpfend an die Szene der Ehebrecherin ( Joh 7,53-8,11) 429 schildert der Erzähler, wie es aufgrund einer Selbstdarstellung Jesu zu einem weiteren Konflikt zwischen Jesus und seinen Hörern kommt. Um die Aussagen über sich selbst zu bekräftigen, führt Jesus gemäß dem alttestamentlichen Gesetz zwei Zeugen an: sich selbst und den Vater. Deutlich lassen sich hierbei Parallelen zu Joh 5 erkennen. Das Zeugnis, das Jesus für sich selbst ablegt, wird hier wie dort infrage gestellt und mit ähnlichem zitierten Wortlaut zurückgewiesen: „Du zeugst von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr“ ( Joh 8,13; vgl. Joh 5,31). 430 Daraufhin nennt Jesus, wie in Joh 5, den Vater als Zeugen, um seine Identität und den vorgebrachten Selbstanspruch zu bestätigen ( Joh 8,18). Wie dies im Einzelnen geschieht, wird im Folgenden untersucht. 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Die Szene aus Joh 8,12-20 wird durch den Begriff πάλιν eingeleitet. Damit knüpft der Erzähler direkt an die vorausgehenden Ereignisse an. Jesus redet nun „wiederum“ oder „abermals“ (πάλιν) „zu ihnen“. Unklar ist, auf wen sich das „ihnen“ (αὐτοῖς) bezieht. Wirft man einen Blick auf die vorausgehende Szene, lässt sich erkennen, dass Jesus dort mit den „Schriftgelehrten“ (γραμματεῖς) und „Pharisäern“ (παρισαῖοι) im Gespräch ist (vgl. Joh 8,3.7). Am Ende der Szene wird berichtet, dass beide Parteien Jesus verlassen und allein mit der Frau zurücklassen. Da in Joh 8,13 aber erneut die Pharisäer genannt werden, <?page no="207"?> 431 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 256. 432 Vgl. S C H N A C K E N B U R G 1980, 237. 433 Joh 1,24; 3,1; 4,1; 7,32 (2x).45.47.48; 8,3.13; 9,13.15.16.40; 11,46.47.57; 12,19.42; 18,3. 434 Vgl. Z I M M E R M A N N 2014, 32. P O P L U T Z (2012, 26) spricht von einer starken Typisierung und erklärt: „‚Typisierung‘ meint, dass die Figuren einen überschaubaren Fundus an Eigen‐ müssen die intendierten Rezipienten davon ausgehen, dass Jesus sie nach ihrem Weggang erneut antrifft bzw. anspricht und sie daher in Joh 8,12-20 als Gesprächspartner Jesu und somit als Zeugnisempfänger angesehen werden müssen. Jesus lässt sich auf eine Auseinandersetzung mit ihnen ein, präsentiert ihnen sein Selbstzeugnis und verleiht diesem Gewicht, indem er ab Vers 16 den Vater erwähnt und diesen schließlich in den Versen 17 und 18 eindeutig als zweiten Zeugen für sich selbst und seine Aussagen anführt. „Here, Jesus focuses exclusively on the Father as corroborating his own testimony.“ 431 Den genannten Versen ist somit deutlich zu entnehmen, wer die Zeugen und wer die Zeugnisempfänger sind. 7.1.1 Zeugnisgeber: der Vater Als Zeuge für Jesus wird in Joh 8,18 in zitierter Figurenrede der Vater genannt: „Und der Vater, der mich gesandt hat, zeugt von mir“. Da der Vater bereits in Joh 5 als Zeuge angeführt wurde und in jenem Zusammenhang eine Untersuchung der narrativen Darstellung dieser Figur unternommen worden ist, bedarf es hier keiner erneuten Betrachtung der Figur. Das Augenmerk kann direkt auf die Zeugnisempfänger gerichtet werden. 7.1.2 Zeugnisempfänger: die Pharisäer In der vorliegenden Szene lassen sich von den intendierten Rezipienten ein‐ deutig „die Pharisäer“ als Zeugnisempfänger identifizieren. 432 Sie sind es, die mit Jesus in die Auseinandersetzung über seine Identität treten und denen der Vater als Zeuge für Jesus präsentiert wird. Wie in anderen Szenen stellt sich auch hier die Frage, welches Bild die intendierten Rezipienten von den Zeugnisempfängern haben (sollen) bzw. welches Bild ihnen vom Erzähler vermittelt wird. Die Bezeichnung Φαρισαῖος wird insgesamt 20-mal im JohEv verwendet. 433 Wie „die Juden“ zeichnen sich auch „die Pharisäer“ durch die wiederholte namentliche Benennung als eigenständiger und wiedererkennbarer Gruppen‐ charakter aus. 434 Erstmals tritt diese Figur direkt im Anschluss an den Prolog in Joh 1,24 auf. Neben den Juden spielen also auch die Pharisäer von Anfang 206 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="208"?> schaften und Qualitäten aufweisen und dadurch einen hohen Wiedererkennungswert haben“. 435 B E N N E M A (2009a, 247) bemerkt mehrfach: „There is ample evidence in the Gospel of John that the Pharisees are a subset of οἱ Ἰουδαῖοι“. P O P L U T Z (2012, 20) zieht ebenfalls diesen Schluss und zählt „die Pharisäer, Hohepriester, Leviten und Schriftgelehrten zur Figurengruppe der Ἰουδαῖοι, die im Johannesevangelium sehr pauschal als die Jesus gegenübergestellte oppositorische Gruppe fungiert“ (vgl. P O P L U T Z 2016, 119). 436 P O P L U T Z 2012, 25. 437 P O P L U T Z 2012, 22. 438 Wie oben unter „6.2. Zeugnisempfänger: Die Juden“ bereits dargestellt: In Joh 1,24 ist umstritten, ob ἐκ τῶν Φαρισαίων die Pharisäer als Sender beschreibt (ἐκ hier also im Sinne von ἀπό), oder ob die Gesandtschaft aus Pharisäern besteht (S C H N A C K E N B U R G 1081, 280; S C H N E L L E 2016, 75). Mit B E U T L E R (2016, 102), B E N N E M A (2009a, 247) und P O P L U T Z (2016, 120) wird hier von ersterem ausgegangen (vgl. T H Y E N 2015, 113). 439 Entsprechend weist T H Y E N (2015, 113) auf die bedeutende Tatsache hin, dass der Autor des JohEv es liebt, „Dinge, die für die Erzählung wesentlich sind, nicht schon in der an eine bedeutende Rolle in der Erzählung und beide stehen, wie sich bereits bei der Betrachtung der Darstellung der Juden gezeigt hat, in enger Verbindung zueinander. 435 „Als ‚Pharisäer‘ gehören sie zunächst einmal zum Kollektiv ‚der Juden‘ und sind diesen funktionell zugeordnet.“ 436 Diese Zuordnung und die Verbindung zwischen den beiden Gruppencharakteren wird vom Erzähler teilweise so eng gezogen, dass die Grenzen zwischen ihnen verschwimmen und den Lesern eine Differenzierung und spezifische Charakterisierung der Pharisäer getrennt von den Juden oftmals unmöglich scheinen und vom Erzähler vielleicht auch gar nicht gewollt sind. Allerdings können die Stellen, in denen die Pharisäer separat genannt sind, analysiert werden, um das Bild nachzuzeichnen, das der Erzähler den intendierten Rezipienten vermittelt. Dabei ist aber „gerade der unklare Befund ernst zu nehmen und zu interpretieren“, da vielleicht „aus‐ gerechnet die unspezifische Abgrenzung der Pharisäer von anderen jüdischen Gruppierungen diese in besonderer Weise determiniert und somit zu ihrer spezifischen Charakterisierung beiträgt“. 437 Beginnt man die Untersuchung der Darstellung der Pharisäer an der bereits genannten ersten Erwähnung in Joh 1,24, dann muss auch Joh 1,19 betrachtet werden. In Joh 1,19 wird vom Erzähler geschildert, wie eine Delegation, beste‐ hend aus Priestern und Leviten, von Jerusalem aus zu Johannes dem Täufer gesandt wird. Als Sender und Auftraggeber der Delegation werden zunächst die Juden (οἱ Ἰουδαῖοι) genannt ( Joh 1,19). Wenig später, bei einer zweiten Erwähnung der Gesandtschaft, nennt der Erzähler jedoch nicht mehr die Juden, sondern die Pharisäer (οἱ Φαρισαῖοι) als Sender ( Joh 1,24). 438 Grund hierfür scheint nicht eine Nachlässigkeit in der Genauigkeit der Erzählung zu sein, sondern eine gewollte Zuspitzung auf die Pharisäer. 439 Sie zählen zwar zu den 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 207 <?page no="209"?> Exposition zu nennen, sondern ihnen dadurch besonders Gewicht zu verleihen, daß er sie wie beiläufig nachträgt (vgl. 2,6; 5,9; 9,14 u.ö.)“. 440 S A L D A R I N I (2001, 189) merkt an: „Here and often John locates the Pharisees in Jerusalem, contrary to the synoptic tradition and in agreement with Josephusʼ presentation“. 441 Zu einer ausführlicheren Charakterisierung des Nikodemus vgl. B E N N E M A 2014, 147−160; C U L P E P P E R 2016, 249−259; D S C H U L N I G G 2002, 106−121. 442 Vgl. P O P L U T Z 2016, 123. Auch C U L P E P P E R (1987, 135) hält Nikodemus für einen Reprä‐ sentanten der Pharisäer, zugleich aber für ein Individuum: „Nicodemus […] is both individual and representative, a foil and a character with conflicting inclinations with which the reader can identify“. 443 Vgl. C U L P E P P E R 2016, 254. 444 P O P L U T Z 2016, 123. 445 Vgl. „wir wissen […]“ in Joh 3,2. Juden und sind selbst Juden, zugleich aber machen sie den Teil der Juden aus, der hinter den Jerusalemer Juden steht, deren treibende Kraft ist und überwiegend in oder von Jerusalem aus agiert. 440 Die Autorität und der Einfluss der Pharisäer gestatten es den in Joh 1,19 erwähnten Juden, Priester und Leviten von Jerusalem aus loszuschicken, um Informationen einzuholen - in diesem Fall über Johannes den Täufer. Nach dieser ersten Erwähnung der Pharisäer, der die Rezipienten die Sonder‐ stellung der Pharisäer unter den Juden entnehmen und aus der sie schließen können, dass nicht alle Juden zugleich auch Pharisäer sind, folgt ein weiterer Gebrauch des Begriffs Φαρισαῖος in Joh 3,1. Die Rede ist dabei von „einem Menschen aus den Pharisäern“ (ἄνθρωπος ἐκ τῶν Φαρισαίων). Nicht mehr die Juden (wie in Joh 1,19) oder die Pharisäer aus den Juden (wie in Joh 1,24) oder „viele“ ( Joh 2,23) stehen im Fokus der Erzählung, sondern „ein Mensch aus den Pharisäern“. 441 Diesem Menschen wir der Name Nikodemus zugeschrieben. Durch die namentliche Benennung bekommt der bislang unpersönlich darge‐ stellte Gruppencharakter ein „Gesicht“, denn die Bezeichnung des Nikodemus als Pharisäer erweckt den Eindruck, es hier mit einem Repräsentanten der Gruppe zu tun zu haben, 442 der vielleicht sogar „von den Pharisäern“ (ἐκ τῶν Φαρισαίων; vgl. Joh 1,24) gesandt worden ist. 443 Dass diese Figur zugleich „Oberster der Juden“ (ἄρχων τῶν Ἰουδαίων) und „der Lehrer Israels“ (ὁ διδάσκαλος τοῦ Ἰσραὴλ; Joh 3,10) ist, lässt erkennen, dass sich die Pharisäer aus Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildungs‐ schicht zusammensetzen. „They are not an isolated group, as is shown by the character of Nicodemus, who belongs to three different groups at once.“ 444 Der Pharisäer Nikodemus kommt zu Jesus bei Nacht. Durch diesen Besuch ereignet sich zugleich eine erste Begegnung zwischen Jesus und den durch Nikodemus repräsentierten Pharisäern. 445 Der erste Eindruck, der dabei von den Pharisäern entsteht, ist positiv. Nikodemus zeigt scheinbar ein echtes und 208 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="210"?> 446 S C H E N K E 2016, 72. So auch S A L D A R I N I (2001, 189): „The implication is that the Pharisees will disapprove of Jesus and be a threat to him in some tangible way“. 447 B E U T L E R 2016, 154. 448 S C H N A C K E N B U R G 1981, 457; Das vermuten auch B E N N E M A (2014, 90) und K Ö S T E N B E R G E R (2004, 145). respektvolles Interesse an Jesus und schildert die bis dahin wohl gängige Sicht der Pharisäer von Jesus: „Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, wenn nicht Gott mit ihm ist“ ( Joh 3,2; eigene Hervorhebung). Das daraufhin entstehende Gespräch zeigt jedoch, dass ein Wissen über Jesus und ein bloßes Bekenntnis zu Jesus nicht ausreichend sind, sondern dass eine durch den Geist gewirkte Wiedergeburt nötig ist, um in das Reich Gottes zu gelangen, und dass an den Sohn geglaubt werden muss, um ewiges Leben zu haben. Mit dieser klaren Differenzierung zwischen Wissen und echtem Glauben, zwischen Bekenntnis und Wiedergeburt endet die Unterhaltung in Joh 3,21. Die Rezipienten erfahren nichts über die Reaktion und Antwort des Nikodemus. Dennoch ist die Grundlage für die nachfolgenden Begegnungen zwischen Jesus und den Pharisäern gelegt. Unmissverständlich geht zugleich aus der Begegnung das Anliegen des Erzählers hervor, dass jeder Einzelne der Pharisäer (und auch der Rezipienten) sich für oder gegen Jesus entscheiden muss. Das Wissen über Jesus und das Bekenntnis zu Jesus allein reichen nicht aus. Was zählt, ist der Glaube an ihn und die dadurch und durch den Geist gewirkte Wiedergeburt. Mit diesen gewonnenen Eindrücken treffen die intendierten Rezipienten in Joh 4,1 auf eine weitere kurze Erwähnung der Pharisäer. Mit einem Satz wird erzählt, dass Jesus von Judäa wieder nach Galiläa zurückreisen will, weil die Pharisäer gehört haben, dass Jesus „mehr zu Jüngern macht und tauft als Johannes“ ( Joh 4,1). An dieser Stelle wird der wirkliche Grund für die Abreise Jesu nicht konkret entfaltet. Aus dem bisherigen Lektüreverlauf deutet nichts auf eine feindselige Haltung der Pharisäer gegenüber Jesus hin. Dennoch entsteht bei den Lesern der Eindruck, Jesus reise aus Angst vor den Pharisäern ab. „Die Überleitung vermittelt dem Leser, dass Jesus die Pharisäer für gefährliche Gegner hält.“ 446 Vielleicht erkennt er in ihrem Wissen um seine Tätigkeit und seinen Erfolg „eine Gefahr für seine persönliche Sicherheit und die seiner Jünger […]“. 447 Oder aber er fürchtet die Pharisäer deshalb, weil sie zuvor schon „Johannes wegen seiner Tauftätigkeit zur Rechenschaft gezogen [haben] (1,24)“. 448 Wie dem auch sei: An dieser Stelle wird zum ersten Mal in der Erzählung die gesamte Gruppe der Pharisäer direkt mit Jesus in Verbindung gebracht. Obwohl sehr knapp und unklar formuliert, wirft das Erzählte ein 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 209 <?page no="211"?> 449 Vgl. B E N N E M A (2014, 92) überschreibt diese Kapitel mit „The domination of the Pharisees ( John 7−10)“. 450 Vgl. dazu das Murren der Juden ( Joh 6,41) und der Jünger ( Joh 6,61). 451 S C H N A C K E N B U R G 1980, 206. 452 P O P L U T Z 2016, 121. 453 Z U M S T E I N 2016, 313. eindeutig negatives Licht auf die Pharisäer. Den Rezipienten legt sich nahe, die Pharisäer hier und vielleicht auch von da an als Opponenten Jesu einzustufen. In den Kapiteln 5 und 6 werden die Pharisäer nicht genannt. Ab dem siebten Kapitel werden sie wieder verstärkt in die Erzählung einbezogen. 449 Beim „Laubhüttenfest“ (σκηνοπηγία) in Jerusalem kommt es während eines Lehrvortrags Jesu zu Auseinandersetzungen im Volk über die Identität Jesu ( Joh 7,25-31). Einige aus dem Volk halten Jesus für den Christus und viele glauben an ihn ( Joh 7,31), andere zweifeln und wollen ihn festnehmen ( Joh 7,30). In Joh 7,32 wird daraufhin erzählt, dass die Pharisäer von diesem Ereignis und dem „(unwilligen) Murren“ (γογγύζειν; vgl. γογγυσμός in Joh 7,12) 450 im Volk hören - ob direkt oder indirekt durch ihre Spitzel im Volk, wird nicht näher erläutert. Aus dem Erzählten entsteht jedenfalls folgender Eindruck: „Die Pharisäer haben gute Kontakte zum Volk, sind überall anwesend und hören das Gerede der Leute“. 451 Nachdem die Pharisäer von den Ereignissen gehört haben, informieren sie die Hohepriester und spornen diese zum Handeln an. Es zeigt sich, dass die Pharisäer eine Art Bindeglied zwischen dem Volk und der priesterlichen Ober‐ schicht darstellen 452 und dass sie gemeinsam mit den Hohepriestern die Macht haben, „Diener“ (ὑπηρέτης) auszusenden. Gemeinsam „als Figurengruppe der religiösen Autorität“ 453 reagieren die Pharisäer und Hohepriester auf die Situa‐ tion, senden Diener aus und wollen Jesus festnehmen lassen. Zum zweiten Mal nach Joh 1,24 wird berichtet, dass die Pharisäer in der Position sind, andere für sich auszusenden. Die Autorität, einen Menschen aus dem Volk offiziell durch die gesandten Diener „ergreifen“ (πιάζειν) zu lassen, scheint dabei aber von den Hohepriestern herzurühren, denn an allen Stellen, an denen es um die Sendung der Knechte und um eine Festnahme geht, werden die Hohepriester immer vor den Pharisäern genannt (vgl. Joh 7,32.45; 11,57; 18,3). Was sich den Lesern aus dieser Szene bestätigt, ist der aus Joh 4,1 gewonnene Eindruck, dass die Pharisäer als Gegner Jesu anzusehen sind. Nach einigen Szenen, in denen die Begegnung der gesandten Diener mit Jesus geschildert wird und die Pharisäer keine Rolle spielen, rücken diese in der Szene aus Joh 7,45-53 wieder in den Mittelpunkt der Erzählung. Die in Joh 7,32 erwähnte Gesandtschaft trifft nach einiger Zeit wieder bei den Hohepriestern und Pharisäern ein - jedoch ohne Jesus. Auf die zitierte Frage der Hohepriester 210 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="212"?> und Pharisäer, warum Jesus nicht mitgebracht worden sei ( Joh 7,45), folgt eine Antwort der Diener, in der sich ihr aus der Begegnung mit Jesus gewonnener Respekt und ihre Bewunderung widerspiegeln: „Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch“ ( Joh 7,46). Die geschilderte Reaktion der Pharisäer auf diese Aussage lässt die intendierten Rezipienten einmal mehr die ablehnende Haltung der Pharisäer Jesus gegenüber erkennen. Die Pharisäer halten Jesus für einen Verführer, ebenso wie es das Volk kurz zuvor von Jesus behauptete (vgl. Joh 7,12), sie stellen ihren eigenen Unglauben und den der Oberen auf eine höhere Stufe und bezeichnen den Glauben an Jesus als primitiven Glauben des unwissenden Volkes, welches das Gesetz nicht kennt ( Joh 7,48). Durch die in diesem Erzählabschnitt verwendeten Bezeichnungen „Oberen“ (ἄρχοντες) und „aus den Pharisäern“ (ἐκ τῶν Φαρισαίων) werden die Leser unweigerlich an Nikodemus erinnert, der zuvor in Joh 3,1 ebenfalls als „Oberer der Juden“ (ἄρχων τῶν Ἰουδαίων) und „aus den Pharisäern“ (ἐκ τῶν Φαρισαίων) beschrieben wurde. Und tatsächlich wird Nikodemus direkt nach diesen Be‐ zeichnungen und der damit einhergehenden Erinnerung an ihn in die Szene eingeführt. Dabei zeigt sich, dass er nicht nur Teil des hier zusammengekom‐ menen Hohen Rates ist, sondern dass er, aufgrund der von ihm vorgenom‐ menen Zurückweisung der vorschnellen Schlussfolgerungen über Jesus und der Forderung nach einer rechtmäßigen Anhörung, eine hohe Stellung in der Ratsversammlung innehat ( Joh 7,51). Mit der Stellungnahme des Nikodemus bringt der Erzähler zugleich zum Ausdruck, dass die Pauschalisierung, der Glaube an Jesus sei nichts für die Oberen und Pharisäer, unzutreffend ist. Auch unter den Oberen und Pharisäern gibt es, wie sich an Nikodemus zeigt, solche, die an Jesus glauben oder zumindest mit Jesus sympathisieren (vgl. Joh 9,16b). Aus der gesamten Darstellung erhalten die Leser erneut, wie zuvor schon aus Joh 3, ein positives Bild von Nikodemus. Er bezieht hier als scheinbar Einziger Stellung für Jesus. Dadurch bringt der Erzähler die unterschiedlichen Meinungen zum Ausdruck, die unter den Pharisäern über Jesus herrschen. Die „Spaltung“ (σχίσμα), die sich im Volk ( Joh 7,34) und unter den Juden ( Joh 10,19) zeigt, tritt hier nun auch unter den Pharisäern zutage. Sie breitet sich mehr und mehr unter ihnen aus, bis sie schließlich in Joh 9,16 ausdrücklich als „Spaltung“ unter den Pharisäern bezeichnet wird. Deutlich ist schon hier - und später umso mehr - zu erkennen, dass „die Pharisäer“ genauso wenig wie „die Juden“ einen homogenen Gruppencharakter bilden. 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 211 <?page no="213"?> 454 Ließe man diese Begebenheit aus textkritischen Gründen unberücksichtigt, so fände sich die erste Begegnung zwischen Jesus und den Pharisäern erst in Joh 8,12−20. So beispielsweise P O P L U T Z (2016, 122): „While the Pharisees first act by means of delegations (cf. John 1: 24; 7: 32), they step into direct confrontation with Jesus for the first time in John 8: 12−20“. In einer Fußnote merkt sie an: „Joh 8: 3−11 is a non-Johannine interpolation“ (2016, 122). 455 Z U M S T E I N 2016, 320. 456 Z U M S T E I N 2016, 320. Auf die Darstellung der unterschiedlichen Meinungen unter den Pharisäern folgt in Joh 8,3 eine erste direkte Begegnung der Pharisäer mit Jesus. 454 Ge‐ meinsam mit den nur hier erwähnten „Schriftgelehrten“ (γραμματεύς) bringen die Pharisäer eine Frau zu Jesus, die beim Ehebruch ertappt worden ist. In der geschilderten Begegnung sprechen die Pharisäer Jesus zunächst respektvoll mit „Lehrer“ (διδάσκαλος; Joh 8,4) an. In ihren Worten und Taten zeigt sich ihre Gesetzestreue. Ihre Fragen, ihr Vorgehen und vor allem die narratoriale Erläuterung des Innenlebens der Pharisäer in Joh 8,6 zeigen jedoch deutlich ihre feindselige Gesinnung und ihre hinterhältige Art, mit der sie Jesus „versuchen“ (πειράζειν) wollen, um ihn „anklagen“ (κατηγορεῖν) zu können. Den Lesern wird auch hier ein Bild vermittelt, welches die Pharisäer klar als Antagonisten Jesu erkennen lässt. Als Jesus schließlich verbal auf die Fragen der Pharisäer und Schriftgelehrten reagiert und beide Gruppen indirekt auf ihre eigenen Verfehlungen aufmerksam macht, wird erzählt, dass sie alle, „einer nach dem anderen, hinausgingen, angefangen von den Älteren“ ( Joh 8,9). Der Grund, warum alle weggehen und die Frau und Jesus allein zurücklassen, wird vom Erzähler nicht explizit genannt. Ob die Pharisäer und Schriftgelehrten hier tatsächlich erkennen, dass jeder Einzelne von ihnen „wie die Frau in Sünde lebt und deshalb nicht berechtigt ist, andere zu verurteilen“ 455 , bleibt unklar. Fest steht jedenfalls: „Das Weggehen der Ankläger (V.9) symbolisiert ihre Niederlage“. 456 Sie müssen von ihrem Vorhaben absehen, Jesus durch Verführung zu einer Falschaussage zu bewegen, um ihn daraufhin anklagen zu können. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Pharisäer in dieser Szene deutlich als verschlagen, hinterhältig und Jesus feindlich gesinnt dargestellt werden. Selbst wenn die Szene der Ehebrecherin nicht zur ursprünglichen Erzählung gerechnet werden kann, zeigt die darauffolgende Szene ein sehr ähnliches Bild der Pharisäer. Wieder werden sie (gemeinsam mit den Juden) als Gegner Jesu dargestellt, diesmal jedoch nicht, wie in der Szene der Ehebrecherin, als hinterlistige und Jesus versuchende, sondern vielmehr als Jesus öffentlich widersprechende und ihn anfeindende Gruppe. Der Konflikt zwischen Jesus und seinen Gegnern hat sich verschärft. „The conflict between Jesus and his 212 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="214"?> 457 B E N N E M A 2014, 92; vgl. B E N N E M A 2009a, 247. 458 Auch S A L D A R I N I (2001, 191) beobachtet: „Usually the Pharisees do not legitimate Jesus by treating him as an equal. Rather, they maintain a superior position based on social recognition on their learning, their influence with the people and their political power in conjunction with the chief priests“. 459 Z U M S T E I N 2016, 326. opponents deepens in John 7-10, with 8: 12-59 undoubtedly being the most poignant episode.“ 457 Die Szene beginnt mit einer Anknüpfung an eine vorausgehende Unterhal‐ tung Jesu mit den Pharisäern. Unklar ist, an welche Unterhaltung angeknüpft wird - ob an die in der Szene mit der Ehebrecherin, an die in einem anderen Erzählabschnitt oder aber an ein nicht erzähltes Ereignis. Jedenfalls kommt es erneut zu einer Begegnung Jesu mit den Pharisäern (vgl. Joh 8,12.13). Nachdem Jesus sich hier nun (nach Joh 6,35) mit einem weiteren, absoluten Ich-bin-Wort als „das Licht der Welt“ (τὸ φῶς τοῦ κόσμου; Joh 8,12) vorgestellt hat, bezichtigen die Pharisäer ihn öffentlich der Lüge. Der erzählten Darstellung zufolge scheinen sich die Pharisäer Jesus weit überlegen zu fühlen. 458 Sie gehen nicht auf den Inhalt der Aussage Jesu ein und meinen zu wissen und beurteilen zu können, was wahr und was unwahr, was ein glaubwürdiges und was ein unglaubwürdiges Zeugnis ist. Jesus lässt sich auf den Rechtsstreit ein und hält ihnen entgegen, dass sie eben nicht wissen (vgl. ὑμεῖς δὲ οὐκ οἴδατε; Joh 8,14) und nur „nach dem Fleisch richten“ ( Joh 8,15). Sie sehen nur das, was vor Augen ist (vgl. Joh 7,24), und beurteilen nach menschlichen, diesseitsbezogenen Kriterien. „Ihre rechtliche Entscheidung beruht auf Kriterien, die in ‚dieser‘ Welt (κατὰ τὴν σάρκα) herrschen. Sie taugen also nicht dazu, eine Aussage über die von Jesus verkörperte Realität zu machen, die zur göttlichen Welt gehört.“ 459 Jesu Beurteilung der Pharisäer verdeutlicht, dass die erzählten Pharisäer trotz ihrer Religiosität doch ganz aufs Diesseits fixiert sind und wegen ihrer Religiosität nicht über dieses hinausdenken können, geschweige denn glauben wollen oder können, dass Jesus das Licht bzw. das Heil der Welt ist. Der überheblichen und zurückweisenden Art der Pharisäer begegnet Jesus nicht nur dadurch, dass er den Pharisäern ihr Wissen und ihre Fähigkeit, gerecht zu richten, abspricht, sondern auch dadurch, dass er sich in einem weiteren Schritt mehr auf ihre Ebene begibt. Er hält ihnen ihr Gesetz entgegen, wonach „das Zeugnis zweier Menschen wahr ist“ ( Joh 8,17). Um diesem Gesetz zu entsprechen, führt Jesus zwei Zeugen an: „Ich bin es, der von mir selbst zeugt, und der Vater, der mich gesandt hat, der zeugt von mir“ ( Joh 8,18). Die Reaktion und die zitierte Rückfrage „Wo ist dein Vater? “ ( Joh 8,19) zeigen, dass die Pharisäer den Rechtsstreit nach wie vor auf einer menschlichen und aufs 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 213 <?page no="215"?> 460 S C H N E L L E 2016, 205. 461 Vgl. „Πάλιν οὖν αὐτοῖς ἐλάλησεν ὁ Ἰησοῦς λέγων·“ ( Joh 8,12) und „εἶπεν οὖν πάλιν αὐτοῖς·“ ( Joh 8,21). „Johannäisch“ ist dabei vor allem das πάλιν. Öfter als in allen anderen Evangelien und Briefen wird es insgesamt 45x im JohEv verwendet. Diesseits bezogenen Ebene weiterführen. Sie wollen wissen, wo der Vater ist. Sie wollen ihn sehen, um ihn als Zeugen und sein Zeugnis zu prüfen. Dabei zeigt ihre Frage deutlich, „dass sie Jesu Rede, sein Wesen und sein Gesandtsein vom Vater nicht verstanden haben. Für […] [den Erzähler] gibt es keine Gotteserkenntnis an Jesus vorbei, vielmehr offenbart sich Gott exklusiv in Jesus von Nazareth. Wer den Sohn nicht kennt, kennt auch den Vater nicht.“ 460 Genau das benennt Jesus als größtes Problem der Pharisäer: „Ihr kennt weder mich noch meinen Vater; wenn ihr mich gekannt hättet, würdet ihr auch meinen Vater gekannt haben“ ( Joh 8,19). Ohne auf die Reaktion der Pharisäer einzugehen, beendet der Erzähler die Szene mit einer präzisen Ortsangabe und eröffnet daraufhin in Joh 8,21 mit ähnlicher Wortwahl wie in Joh 8,12 eine neue Szene. 461 Da in den folgenden Szenen die Pharisäer nicht mehr genannt werden und in der Erzählung an ihre Stelle die Juden (vgl. Joh 8,22.31) treten, bleibt es auch hier zunächst der Phantasie der Leser überlassen, sich auszumalen, wie die Pharisäer letztendlich zu Jesus stehen und ob sie ihrem eigenen Gesetz zufolge das Doppelzeugnis anerkennen und für wahr halten oder nicht. Erst in Joh 8,30 gibt der Erzähler dann durch eine starke Innenperspektive den Lesern eine Reaktion einiger Pharisäer zu erkennen: „Viele glaubten an ihn“. Nach diesen Szenen begegnet den Lesern der Begriff Φαρισαῖος erst wieder in Joh 9,13 und das Bild, das die Leser von den Pharisäern erhalten sollen, wird hier weiter ausgemalt. Bevor die Leser jedoch auf die Nennung und Darstellung der Pharisäer stoßen, erfahren sie aus der Vorgeschichte ( Joh 9,1-12), wie Jesus einen Blindgeborenen heilt und wie er sich in diesem Zusammenhang erneut als „das Licht der Welt“ bezeichnet ( Joh 9,5). Durch die Behauptung, das Licht der Welt zu sein, werden die Leser an dieselbe Aussage Jesu in Joh 8,12 und die dort geschilderte Begegnung zwischen Jesus und den Pharisäern erinnert und dadurch auf die folgende Szene und die darin enthaltene Darstellung der Pharisäer vorbereitet. Denn nachdem erzählt worden ist, dass die einfachen Nachbarn nichts mit der Heilung des Blindgeborenen anzufangen wissen, werden die Pharisäer in die Szene eingeführt. Als Erstes wird dabei erzählt, dass der Geheilte zu den Pharisäern geführt wird. Die Schilderung dieser Handlung bestätigt den Lesern einige der bereits aus der Lektüre gewonnenen Eindrücke von den Pharisäern: 214 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="216"?> 462 S A L D A R I N I 2001, 192. Ebenso P O P L U T Z (2016, 121): „John 9: 13−16 characterizes the Pharisees as an institution that observes the religious order“. S C H N A C K E N B U R G (1981, 313) denkt in die gleiche Richtung: „Die Pharisäer, die guten Kontakt zum Volk haben (vgl. 7,32), gelten als die mit der Tora und ihrer Auslegung Vertrauten, die in religiösen Zweifelsfragen zu entscheiden haben“. 463 S C H N E L L E 2016, 223; vgl. S C H N A C K E N B U R G 1980, 313. 464 Im Gegensatz zu „einige der Pharisäer“ (ἐκ τῶν Φαρισαίων τινές) in Joh 9,16a. In this narrative the Pharisees are leaders concerned with teaching, order and the exercise of power in the community. They use their socially accepted role as accurate interpreters of the tradition to condemn Jesus according to the laws and customs which give the community its identity and shape. What is especially noteworthy is that the people turn to them as the local officials concerned with public order and community norms. 462 Nach der ersten, kurzen Erwähnung der Pharisäer, in der sie als diejenigen ausgezeichnet werden, zu denen der Geheilte geführt wird, erfolgt nachträglich die Erläuterung, dass die Heilung des Blinden - ebenso wie zuvor die Heilung in Joh 5,10 - an einem Sabbat stattgefunden hat. Diese nachgeschobene Zeitangabe steigert die Dramatik des Geschehens 463 und erklärt den scharfen Ton, der sich im öffentlichen Urteil einiger Pharisäer zeigt: „Dieser Mensch ist nicht von Gott, denn er hält den Sabbat nicht“ ( Joh 9,16). Mit dieser Behauptung sprechen sich die Pharisäer nicht nur gegen das Selbstverständnis Jesu aus, er sei von Gott gesandt worden, sondern sie bezeichnen ihn zugleich als Lügner und Sabbatbrecher. Den intendierten Rezipienten offenbart sich hierdurch die arrogante Haltung der Pharisäer, die sich anmaßen, das Gesetz zu verstehen und Jesus, sein Tun und seine Herkunft richtig beurteilen zu können. Wieder, so erkennen die Leser, richten die Pharisäer nach dem Fleisch, ohne zu erkennen, wer und woher Jesus wirklich ist (vgl. Joh 8,14.15). Um einer Stereotypisierung der Pharisäer durch die Leser entgegenzuwirken, räumt der Erzähler direkt im Anschluss ein, dass nicht alle Pharisäer einer Meinung sind. Es gibt „andere“ (ἄλλοι; Joh 9,16) 464 , die sagen: „Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? “ An dieser Darstellung der konträren Meinungen und aus der darauffolgenden Ergänzung zeigt sich, dass die zuvor angeklungene Meinungsverschiedenheit unter den Pharisäern eine Zuspitzung erfahren hat und nun zu ihrem Höhepunkt gekommen ist. Unverhohlen formu‐ liert der Erzähler schließlich: „Es war Zwiespalt unter ihnen“ ( Joh 9,16). Nach der Nennung dieses Zwiespalts und der Darstellung der Unterhaltung der Pharisäer mit dem Geheilten verschwinden die Pharisäer (wie in Joh 8,12-20) aus der Erzählung, um erst in Joh 9,40 ein letztes Mal in dieser Episode in Erscheinung zu treten. Die Rezipienten lesen hier am Ende des Erzählabschnitts, 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 215 <?page no="217"?> 465 Vgl. P O P L U T Z 2016, 124. 466 S C H E N K E 2014, 163. 467 Z U M S T E I N 2016, 381. 468 Z U M S T E I N 2016, 381. 469 S C H N E L L E 2016, 226. dass sich einige der Pharisäer bei Jesus aufhalten. Da nirgends beschrieben wird, wann und wozu sie sich zu Jesus gesellt haben, tauchen die Pharisäer hier unerwartet als Gesprächspartner Jesu auf. Den Lesern stellt sich die Frage, ob die Pharisäer gekommen sind, um Jesus zu folgen und, wie Nikodemus, mehr über ihn zu erfahren, 465 oder ob sie gekommen sind, um sein Reden und Tun zu beobachten und zu kontrollieren. Sind sie die „feindliche Eskorte“, die „ständig zu Auseinandersetzungen bereit“ ist? 466 Unternehmen sie dort, wo sie keine Spitzel im Volk haben oder wo direkte Information eingeholt werden muss, selbst die Rolle der Ermittler und kritischen Hörer? Letzteres legt sich den Lesern spätestens nach der Darstellung der Reaktion der Pharisäer nahe. Sie hören Jesus aufmerksam zu und hinterfragen ihn dann kritisch: „Wir sind doch nicht auch blind, [oder]? “ ( Joh 9,40). Die angeführte Frage der Pharisäer ist durch die Fragepartikel μή so gestellt, dass eine negative Antwort erwartet wird. 467 „Wie können sie, die doch im Besitz des Wissens sind, ‚blind‘ sein? “ 468 Einmal mehr zeigt sich den Lesern die überhebliche Selbsteinschätzung der Pharisäer. Sie nehmen für sich in Anspruch, die Wissenden zu sein, die den Durchblick haben. Sie meinen, sehen und verstehen zu können. Doch in Wirklichkeit sind sie in Bezug auf geistlich zu beurteilende Dinge blind und unwissend. Während der Blindgeborene in doppeltem Sinne (physisch und geistlich) sehend wird, muss Jesus den Pharisäern sagen: „Wenn ihr blind wäret, so hättet ihr keine Sünde. Nun aber sagt ihr: Wir sehen. [Daher] bleibt eure Sünde“ ( Joh 9,41). Die Pharisäer verharren in ihrem Unglauben. „Sie haben Jesu große Wundertaten gesehen, sind dem Offenbarer begegnet und dennoch nicht zum Glauben gekommen, so dass sie in ihrer Sünde schlechthin bleiben: der Ablehnung des Offenbarers (vgl. Joh 8,21; 15,22.24; 16,9; 19,11).“ 469 Nach dieser harten Beurteilung der Pharisäer, durch welche der Erzähler zugleich Einsicht in das Innenleben der Pharisäer gewährt, weil die Beurteilung Jesu von den Lesern für zutreffend gehalten werden soll, treten diese erneut in den Hintergrund. Auch hier unterlässt es der Erzähler, die Reaktion der Pharisäer genauer zu schildern. Stattdessen folgt unmittelbar eine Figurenrede Jesu, die erst in Joh 10,19 durch die folgende Anmerkung unterbrochen wird: „Es entstand wieder ein Zwiespalt unter den Juden dieser Worte wegen“. Wenn der Erzähler hier von einem „erneuten Zwiespalt“ (σχίσμα πάλιν) unter den Juden spricht, bezieht er sich mit dem „erneut“ entweder auf die zuvor 216 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="218"?> 470 S C H N A C K E N B U R G 1980, 380, B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 172. 471 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 308. Auch T H Y E N (2015, 491) sieht den Bezug zu Joh 9,16, verweist zugleich aber auch auf die Spaltung im Volk in Joh 7,43. 472 „The Pharisees were a learned group who had influence with the people because they were accepted by them as guides in Jewish behavior and belief“ (S A L D A R I N 2001, 196). 473 S C H E N K E 2014, 196. 474 S C H E N K E 2014, 196. 475 Beachtlich ist, dass der Begriff ἐντολή im gesamten JohEv (abgesehen von Joh 11,57) nur für die Gebote des Vaters ( Joh 10,18; 12,49.50; 15,10) oder die Gebote Jesu ( Joh 13,34; 14,15.21; 15,10.12) gebraucht wird. geschilderte Uneinigkeit unter den Juden in Joh 7,12 470 oder aber er greift - was wahrscheinlicher ist - mit dem Begriff σχίσμα die in Joh 9,16 erwähnte Spaltung unter den Pharisäern auf. „The division among the Jews ‚again‘ probably alludes to 9: 16. ‚The Jews‘ here [in 10: 19] may refer not just to the Jewish leaders but more broadly to the people at large.“ 471 Trifft es zu, dass hier Pharisäer und Juden unter der Bezeichnung Ἰουδαῖος zusammengefasst sind, dann ist es den Lesern nicht möglich, diesem Abschnitt eine separate und spezifische Charakterisierung der Pharisäer zu entnehmen. Eine Isolierung der Pharisäer von den Juden lässt sich nicht vornehmen, sodass dieser Abschnitt in Bezug auf eine Charakterisierung der Pharisäer unberücksichtigt bleiben muss. In Joh 11 treten die Pharisäer noch einmal allein und häufiger in der Erzählung auf. Nach der Auferweckung des Lazarus, durch welche viele Juden zum Glauben an Jesus kommen, wird in Joh 11,46 von einigen Juden berichtet, die das Wunder‐ wirken Jesu bei den Pharisäern anzeigen. Die zuvor erwogene Annahme, dass die Pharisäer Spitzel oder Informanten im Volk haben, bestätigt sich hier (vgl. die obigen Ausführungen zu Joh 7,32). Dass das Tun Jesu gerade den Pharisäern gemeldet wird, bekräftigt ferner, dass die Pharisäer beim Volk als Ordnungs- und Gesetzeshüter gelten. 472 Ihnen werden religiöse Verstöße gemeldet und sie werden daraufhin aktiv. Da sie scheinbar allein nichts ausrichten können, weil ihnen die Vollmacht dazu fehlt, informieren sie die Hohepriester, um mit ihnen gemeinsam den gesamten Hohen Rat einzuberufen. Die Pharisäer „initiieren nun, was sie seit 5,18 (vgl. 7,32; 8,20.59; 10,31) planen, seine [ Jesu] Tötung“. 473 Dabei erscheinen die Pharisäer den Lesern „- wie auch sonst im JohEv - als die treibende Kraft (vgl. 1,24; 4,1; 7,32.45ff; 8,13.20; 11,57; 12,19), die das Vorgehen der Gegner Jesu gegen ihn voranbringen und koordinieren“. 474 Als solche und aufgrund ihres Einflusses können sie gemeinsam mit den Hohepriestern „Befehl“ (ἐντολάς) erlassen, dass Jesu Aufenthaltsort von jedem im Volk angezeigt werden muss ( Joh 11,57). 475 In dieser Szene ist weder von einer Spaltung noch von unterschiedlichen Meinungen unter den Pharisäern zu lesen. Vielmehr lässt der Erzähler die 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 217 <?page no="219"?> 476 Ob die Pharisäer historisch gesehen überhaupt die Macht zum Synagogenausschluss besaßen oder diese erst später nach der Tempelzerstörung hatten spielt für die Erzäh‐ lung an dieser Stelle keine Rolle. 477 S A L D A R I N (2001, 195) bestätigt: „In the Gospel of John the Pharisees, along with the Jews and the chief priests, are the most important opponents to Jesus and have an integral role in the plot of the gospel“. Pharisäer als geschlossene Einheit auftreten und zeigt, mit welchem Nachdruck die Pharisäer gegen Jesus vorgehen und wie sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um ihn zu inhaftieren und, wenn möglich, zu töten. Dieselbe Einheit unter den Pharisäern zeigt sich erneut in Joh 12,19. Beim Einzug Jesu und dem Jubel der Volksmengen sind sich die Pharisäer einig und sprechen untereinander: „Ihr seht, dass ihr gar nichts ausrichtet; siehe, die Welt ist ihm nachgegangen“. Die Einschüchterung durch Drohung mit dem Ausschluss aus den Synagogen (vgl. Joh 12,42) zeigt nur bedingt Wirkung. 476 Einige der Gläubigen aus der Oberschicht lassen sich dadurch zwar von einem öffentlichen Bekenntnis zu Jesus abhalten, aber nach wie vor sind es aus Sicht der Pharisäer zu viele, die Jesus folgen. Dass viele der Oberen zwar an Jesus glauben, sich aber „wegen der Pharisäer“ nicht öffentlich zu ihm bekennen ( Joh 12,42), macht den Lesern auch hier deutlich, welchen Einfluss und welche Macht die Pharisäer besitzen. Sie sind die Aufseher und die Ordnungs- und Gesetzeshüter, die darüber entscheiden, wer in die Synagogen kommen darf und wer nicht. Aufgrund dieser Position sind sie gefürchtet und üben dadurch Einfluss und Druck auf die Menschen im Volk aus. All ihr Tun und Handeln scheint darauf gerichtet zu sein, das Volk von Jesus abzuhalten und Jesus zu beseitigen. Zum wiederholten Mal bestätigt sich den Lesern, dass die Pharisäer die Gegenspieler Jesu sind. 477 In einer letzten Nennung der Pharisäer in Joh 18,3 wird das Bild, das die Leser bislang und überwiegend von den Pharisäern gewonnen haben, ein letztes Mal bestätigt. Zu Beginn der Passionserzählung wird erzählt, dass Judas mit einer Schar von Soldaten und „Dienern der Hohepriester und Pharisäer“ (ἐκ τῶν ἀρχιερέων καὶ ἐκ τῶν Φαρισαίων ὑπηρέτας) kommt, um Jesus zu verraten und verhaften zu lassen. Ganz dem bisher gezeichneten Bild der Pharisäer entsprechend werden auch in dieser letzten Nennung der Pharisäer ihre Macht, ihr Einfluss und ihre feindselige Haltung Jesus gegenüber geschildert. Wie in Joh 7,32 sind es die Hohepriester und Pharisäer, in deren Macht es liegt, „Diener“ (ὑπηρέται) zu beauftragen und auszusenden, dieses Mal aber, um Jesus ein für alle Mal zu beseitigen. Dass in Joh 18,12 statt von den „Dienern der Pharisäer“ von den „Dienern der Juden“ (οἱ ὑπηρέται τῶν Ἰουδαίων) die Rede ist, macht am Ende noch einmal die enge Verbindung zwischen Juden und Pharisäern deutlich. 218 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="220"?> 478 Vgl. B E N N E M A 2009a, 246. Wie bei der Untersuchung der Juden gezeigt, machen die Pharisäer einen Teil der Juden aus und sind die treibende Kraft hinter den Juden. Nur durch die Pharisäer und Hohepriester haben die Juden die Autorität, Diener zu senden und diese zu beauftragen, Jesus zu verhaften. 478 Nachdem dies geglückt ist, werden die Pharisäer bis zum Ende der Erzählung nicht mehr genannt. Weiterhin bilden sie aber wohl den Teil der Juden, der den Prozess gegen Jesus vorantreibt. Eine spezielle Charakterisierung der Pharisäer lässt sich dem letzten Teil der Erzählung aber nicht mehr entnehmen, da sich, wie oben bereits in Bezug auf Joh 10 gesagt, eine isolierte Untersuchung der Pharisäer getrennt von den Juden hier nicht vornehmen lässt. Nach der Betrachtung aller Stellen, an denen die Pharisäer erwähnt werden, ergibt sich den intendierten Rezipienten folgendes Bild von den Pharisäern: Ob‐ wohl die gleichbleibende Bezeichnung Φαρισαῖος den Lesern durchweg einen wiedererkennbaren, sehr komplexen Gruppencharakter präsentiert, bildet diese Gruppe genauso wenig wie „die Juden“, „die Volksmenge“ und später „die Welt“ eine homogene Einheit. Immer wieder zeigen sich die unterschiedlichen Meinungen über Jesus, was, wie auch bei den anderen Gruppencharakteren, zu Spaltungen in der Gruppe führt. Diese Spaltungen werden den Lesern mehrfach angedeutet und schließlich explizit vom Erzähler genannt ( Joh 9,16). Trotz einiger Pharisäer, die mit Jesus sympathisieren und sogar zum Glauben an ihn kommen, ist der repräsentative Teil der Pharisäer Jesus feindlich gesinnt. Gemeinsam mit den Juden und als treibende Kraft hinter den Juden agieren die Pharisäer überwiegend in oder von Jerusalem aus. Sie sind Aufseher, Behörde sowie Ordnungs- und Gesetzeshüter, die ein hohes Maß an Autorität und Einfluss besitzen. Das ermöglicht es ihnen, Diener, Priester oder Leviten zu beauftragen, ihre Befehle auszuführen. Das Volk wendet sich mit seinen Anliegen an sie und sie sind in der Position, Einzelne aus dem Volk als Spione oder Informanten zu nutzen, um sich über die Entwicklungen, vor allem in Bezug auf Jesus, informieren zu lassen. Die erhaltenen Informationen teilen sie mit den Hohepriestern, um gemeinsam mit ihnen und als Hoher Rat gegen Jesus und seine Anhänger vorzugehen. Dabei scheuen sie sich nicht, ihre Macht auszuspielen, Druck auszuüben und den Anhängern Jesu mit dem Ausschluss aus der Synagoge zu drohen. Durchweg zeigt sich, dass der Großteil der Pharisäer gemeinsam mit den ( Jerusalemer) Juden die Gegenspieler Jesu sind und dass sie das Volk von Jesus abhalten und Jesus beseitigen wollen. Immer wieder stellen sie sich in ihrer arroganten, selbstsicheren und verschlagenen 7.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 219 <?page no="221"?> 479 S C H N E L L E 2016, 205. 480 M O R R I S 1995, 393. 481 W E S T C O T T (1958, 129): „The witness of the Father from whom Christ came was given not merely in the miracles done but in the whole ministry of the Son“. Ebenso B O I C E 1970, 26; T H Y E N 2015, 313. Art Jesus entgegen, merken dabei aber nicht, dass Jesus sie durchschaut und ihr Unwissen über geistlich zu beurteilende Dinge offenlegt. Mit diesem vom Erzähler gezeichneten Bild der Pharisäer treffen die Leser in Joh 8,12-20 auf die Szene, in der den Pharisäern Zeugnis von Jesus gegeben wird. Die genauen Umstände des Zeugnisakts werden im Folgenden untersucht. 7.2 Die Umstände des Zeugnisgebens In der untersuchten Szene aus Joh 8,12-20 lassen sich neben den beiden Zeugen und der kurzen Vorstellung der Pharisäer als Zeugnisempfänger auch Angaben zu den Umständen des Zeugnisakts erkennen. Als Ort, an dem Jesus mit den Pharisäern spricht, wird ganz am Ende der Szene (vgl. Joh 6,59) in Joh 8,20 und mit zu erwartender geringer Intensität und Genauigkeit der „Opferkasten“ (γαζοφυλάκιον) genannt. Auch ohne genauere Angaben dürfte den intendierten Rezipienten bewusst sein, wie dieser „erzählte Raum“ bzw. der Schauplatz gestaltet ist: Jesus hielt die Rede an jener Stelle im Tempelbezirk, wo der Frauenvorhof lag, das gesamte Volk Zutritt hatte und die Opferkästen sowie die Aufbewahrungskammer für die Tempelschätze lagen. Der Frauenvorhof war auch der Ort, wo während des Laubhüttenfestes die große nächtliche Lichtfeier stattfand. Wie in Joh 7,37ff überbietet Jesus jüdische Heilsvorstellungen, denn er ist das wahre Licht. 479 Was nun das Zeugnis des Vaters betrifft, das Jesus in Joh 8,18 anführt, so ist ähnlich wie in Joh 5 unklar, welches Zeugnis genau gemeint ist und wann und wo es abgelegt wird. Da der Erzähler Jesus an dieser Stelle vom Zeugnis des Vaters im Präsens sprechen lässt (μαρτυρεῖ), kann davon ausgegangen werden, dass hier wie in Joh 5,32 das gegenwärtige und anhaltende Zeugnis des Vaters durch den Sohn und durch die Werke gemeint ist. 480 Das Zeugnis des Vaters wird da erfahrbar und „greifbar“, wo Jesus ist, wirkt und Zeugnis von sich selbst ablegt, aber nur insofern Jesu Reden und Tun ernst genommen, angenommen und geglaubt werden. 481 Die Annahme, dass das Zeugnis des Vaters dem Zeugnis des Sohnes ent‐ spricht, bestätigt sich den Lesern nicht nur aus anderen Stellen, in denen die 220 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="222"?> 482 S C H N A C K E N B U R G 1980, 247. Vgl. S C H E N K E 2014, 143. Einheit zwischen Vater und Sohn aufgezeigt wird (vgl. Joh 12,45; 14,9), sondern auch aus dem unmittelbar anknüpfenden Zwiegespräch zwischen Jesus und den Pharisäern. Auf die Frage der Pharisäer „Wo ist dein Vater? “ erklärt Jesus, dass die „Fassbarkeit“ des Zeugnisses des Vaters von der Erkenntnis Jesu und dem Glauben an ihn abhängig ist: Nur wer Jesus wirklich (er)kennt, (er)kennt den Vater und wird auch das Zeugnis des Vaters im und durch den Sohn wahrnehmen. Dieser Überzeugung ist auch Schnackenburg und bemerkt, dass das Zeugnis des Vaters offenbar doch wieder in dem [besteht], was Jesus - der Gesandte - selbst sagt und bezeugt. Als Gesandter Gottes gibt er selbst ein vollgenü‐ gendes Zeugnis, weil in ihm der Vater spricht (V 14); als Gesandter Gottes aber läßt er sich vom Sendenden unterscheiden, und so treten zwei Zeugen in den Blick. 482 Da das Zeugnis beider Zeugen im und durch den einen Zeugen übermittelt wird, ist davon auszugehen, dass beide Zeugnisse zur selben Zeit und am selben Ort abgelegt werden, nämlich da, wo Jesus ist und Zeugnis gibt - in diesem Fall am bereits genannten Opferkasten im Tempel, vermutlich noch während des Laubhüttenfestes (vgl. Joh 7,2.14; 8,2). Dass das Zeugnis im Tempel abgelegt wird, ist deswegen interessant, weil der Tempel als Machtzentrum und Ausgangspunkt der Aktivitäten der Pharisäer gesehen werden muss. Genau hier erfolgen die Selbstoffenbarung Jesu und die Bestätigung seines Selbstzeugnisses durch das Zeugnis des Vaters. Stellt man die Frage, wie dieses Zeugnis gegeben wird, dann könnte auch hier, wie in Joh 5, oberflächlich gesehen davon ausgegangen werden, dass das Zeugnis des Vaters nur indirekt durch den Sohn übermittelt wird und dass es zu keiner direkten Begegnung des zweiten Zeugen mit den Zeugnisempfängern kommt. (Darauf deutet auch die Frage der Pharisäer hin, wo der zeugnisgebende Vater sei.) Die intendierten Rezipienten wissen aber bereits aus Joh 5 und anderen Stellen, dass es sich beim Zeugnis des Vaters nicht um ein Zeugnis „zweiter Hand“ handelt, sondern dass es aufgrund der Einheit des Vaters mit dem Sohn zu einer direkten Begegnung des Zeugen mit den Zeugnisempfängern kommt und dass dabei das Zeugnis unmittelbar präsentiert wird. Untersucht man diese Begegnung genauer, dann wird ersichtlich, dass es sich beim hier erzählten Gespräch, das der Vater durch Jesus mit den Pharisäern und vermutlich auch den Schriftgelehrten (vgl. Joh 8,3) führt, um ein öffentliches, natürliches und vorbereitetes Gespräch in einer Kleingruppe handelt - vorbe‐ reitet deshalb, weil dem eigentlichen Zeugnisakt bereits eine Unterhaltung im Tempel am Opferkasten vorausgeht. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner 7.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 221 <?page no="223"?> 483 S T U H L M A C H E R 1999, 230. Vgl. B A R R E T T 1978, 333; D I E T Z F E L B I N G E R 2001a, 247. Etwas vorsichtiger formuliert K Ö S T E N B E R G E R (2004, 256): „There may be a hint of deity in Jesusʼ ‚I am‘ statement, recalling passages such as Isa. 43: 10“. ist dabei asymmetrisch. Oberflächlich gesehen könnte angenommen werden, dass die Pharisäer als Aufseher, Behörde sowie Ordnungs- und Gesetzeshüter Jesus überlegen sind. Sie, die Pharisäer, stellen Jesu Aussagen und den von ihm angeführten Zeugen infrage. Sie sind es, die sich als Richter aufspielen und meinen, richtig urteilen und beurteilen zu können, was ihnen letztlich aber nicht gelingt, weil sie nur nach dem Fleisch richten. In Jesus sehen sie den Hochstapler, der von sich selbst zeugt, der behauptet, der „Ich-bin“ und das „Licht der Welt“ zu sein, um Menschen in seine Nachfolge zu rufen, und der, um dies zu beglaubigen, zusätzlich einen vermeintlich fiktiven Zeugen anführt. Bei genauerem Hinsehen ist aber auch hier ersichtlich, dass das asymmetrische Verhältnis der Gesprächspartner nicht daher rührt, dass die Pharisäer Jesus und dem Vater überlegen sind, sondern daher, dass letztlich der Vater, der durch Jesus wirkt und für ihn zeugt, den Pharisäern an Wissen und Macht überlegen ist. Wenn in dieser Szene nach dem Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner gefragt wird, dann lässt sich der Erzählung deutlicher als in Joh 5 entnehmen, dass der Vater den Zeugnisempfängern unbekannt ist. Die Zeugnisempfänger kennen weder Jesus noch den Vater; denn wenn sie Jesus wirklich kennten, kennten sie auch seinen Vater ( Joh 8,19). Da sie aber den Vater in und durch Jesus nicht sehen und daher auch nicht kennen, bleibt ihnen nur die Frage, durch die der Erzähler ihr gesamtes Unverständnis und ihre ganze Unwissenheit offenlegt: „Wo ist dein Vater? “ ( Joh 8,19). Wie den Juden gilt auch den Pharisäern das Urteil, dass sie weder jemals die Stimme des Vaters gehört noch seine Gestalt gesehen haben ( Joh 5,37). Was die Themafixiertheit des Gesprächs und des Zeugnisakts betrifft, muss wie an anderen Stellen auch von einer starken Themafixiertheit gesprochen werden. Da das Selbstzeugnis des Sohnes zugleich als Zeugnis des Vaters für den Sohn verstanden werden kann, muss hier, um den Inhalt des Zeugnisses des Vaters herauszustellen, vor allem das Zeugnis des Sohnes beleuchtet werden. Im Zentrum des Zeugnisses Jesu steht er selbst. Was dabei genau bezeugt wird, ist Folgendes: Zunächst bezeugt Jesus von sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt“. Wie in anderen Ich-bin-Aussagen deutet Jesus durch den Gebrauch des ἐγώ εἰμι die Einheit zwischen Vater und Sohn an. Es wird deutlich, „daß in Jesus die heilschaffende Wirklichkeit des einen Gottes einmalig und unüberbietbar auf den Plan getreten ist“. 483 Durch die Identifikation mit „dem Licht der Welt“ ( Joh 8,12) stellt Jesus sich als das göttliche bzw. von Gott kommende Licht dar 222 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="224"?> 484 S C H N E L L E 2016, 204. 485 S C H N E L L E 2016, 204. 486 K Ö S T E N B E R G E R (2004, 254) in Anlehnung an Bultmann: „For John, ‚believing‘ and ‚following‘ are virtual synonyms“. Ähnlich S C H N E L L E (2016, 204): „Nachfolgen meint das Eintreten in eine grundlegende Glaubensbeziehung, die totale und vollständige Grundausrichtung der gesamten Lebenseinstellung auf Jesus Christus“. Vgl. auch S C H N A C K E N B U R G 1980, 241. 487 B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 128. (vgl. Ps 36,10; 43,3; Jes 60,1), wobei „Licht“ offensichtlich „als Metapher für die Offenbarung bzw. das Heil“ verstanden werden muss. 484 Durch den in dieser Aussage verwendeten Artikel τό (φῶς) wird signalisiert, „dass Jesus nicht nur der Bringer, sondern selbst das Licht, die Offenbarung und das Heil ist“. 485 Bedeutend an dieser Selbstbeschreibung ist auch die dahinterliegende alttes‐ tamentliche Prophetie über den Gottesknecht, der das „Licht der Völker“ sein wird ( Jes 42,6; 49,6). Den intendierten Rezipienten dürfte bewusst sein, dass das Prädikat „Licht der Völker“ hier nun von Jesus auf sich selbst bezogen wird. Über Jesus wird somit bezeugt, dass der universale Heilsplan Gottes in ihm nicht nur die Juden erleuchtet, sondern alle Völker der Erde, weil er das Licht „der Welt“ (τοῦ κόσμου) ist, das als das wahre Licht alle Menschen erleuchtet ( Joh 1,9). Aus der beigefügten Aussage „wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben“ ( Joh 8,12) lässt sich die Handlungsdimension des Gesprächs bzw. der Zeugniszweck erkennen. Das Zeugnis des Vaters, das im Selbstzeugnis Jesu ergeht, wird gegeben, um Jesu Selbstanspruch, Identität und Herkunft zu bestätigen und um die Zeugnisemp‐ fänger zum Handeln herauszufordern. Sie sollen nicht nur erkennen, dass das Zeugnis der beiden Zeugen übereinstimmend wahr ist, sondern sie sollen Jesus „nachfolgen“ (ἀκολουθεῖν). Der Aufruf zur „Nachfolge“ ist hierbei am ehesten als Synonym für „wahrhaftige[s] Glauben“ zu verstehen 486 und soll die Leser möglicherweise auch an das alttestamentliche Gottesvolk erinnern, das ebenfalls dem Licht nachfolgte. When the original setting of 8: 12 is seen in the Feast of Tabernacles, it is understood why the imagery of ‚following‘ the Light is employed instead of receiving it, or walking in it, or the like: this is what Israel did in the wilderness! The people followed the Light as it led from the land of slavery through the perilous wilderness to the promised land. The picture harmonizes perfectly with the call of Jesus to ‚follow‘ him as disciples, but makes plain its soteriological and eschatological dimensions: following Jesus, the Light of the World, gives to the believer assurance of avoiding the perils and snares of the darkness and the promise of possessing ‚the light of life‘, i.e., liberation from the realm of death for life in the kingdom of light. 487 7.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 223 <?page no="225"?> 488 Auf die Auseinandersetzung, wie der nachfolgende Vers 31 aufgrund des dort verwen‐ deten Partizip Perfekt πεπιστευκότας zu Vers 30 passt, soll hier nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu T H Y E N 2015, 432−434. Auf einen solchen Glauben bzw. eine solche Nachfolge zielt das Zeugnis ab. Wo das Zeugnis des Vaters durch den Sohn die Hörer zum Glauben und zur Nachfolge Jesu bewegt, da hat das Zeugnis seinen Zweck erfüllt und sein Ziel erreicht. Einmal mehr zeigt sich auch hier, dass die im JohEv erzählten Zeugnisse für Jesus eine Reaktion der Zeugnisempfänger fordern. 7.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Über die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses wird in der Szene selbst nichts gesagt. Wie viele Zeugnisszenen zuvor endet auch diese in Joh 8,20 abrupt und mit einer abschließend gelieferten Ortsangabe. Erst die darauffolgenden Szenen liefern Informationen über die weiteren Ereignisse. Der Erzähler setzt in Joh 8,21 neu an und lässt Jesus „abermals“ (πάλιν) zu „ihnen“ (αὐτοῖς) reden. Mit „ihnen“ müssen von den vorausgehenden Szenen herkommend nach wie vor die Pharisäer gemeint sein (vgl. Joh 8,3.13). Ab Joh 8,22 treten diese dann aber in den Hintergrund und die Juden führen den Dialog mit Jesus weiter. Für die Leser hat es den Anschein, als ob die Pharisäer, die erst wieder in Joh 9,13 separat genannt werden, in die Gruppe der Juden mit einbezogen sind, sodass nun die Juden, bestehend aus Juden und Pharisäern, Jesus gegenüberstehen. Nach einem erzählten Dialog gibt der Erzähler schließlich in Joh 8,30 die Reaktion auf die Rede Jesu und das Doppelzeugnis preis: „Viele glaubten an ihn“ (πολλοὶ ἐπίστευσαν εἰς αὐτόν). Diese Aussage am Ende des Erzählabschnitts lässt die Leser annehmen, dass unter den „vielen“ auch einige der Pharisäer sind. Auch sie zählen zu denen, die nun an Jesus glauben. 488 Ist diese Annahme zutreffend, dann zeigt der Erzähler damit - wenn auch nur kurz zusammenge‐ fasst und fast unscheinbar -, dass die Zeugnisse für Jesus und seine Reden nicht vergebens sind, sondern von vielen angenommen werden und zum Glauben an Jesus führen. Das Zeugnis des Vaters durch und für den Sohn ist „erfolgreich“ und hat ganze Überzeugungsarbeit geleistet, sodass viele der Hörer zum Glauben an Jesus finden. 224 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="226"?> 489 Bezüglich der Bedeutung zweier Zeugen vgl. T R I T E S 1977, 121−122; L A N G E 2019, 50.61−64. 490 Das Selbstzeugnis Jesu, das Zeugnis des Täufers, das Zeugnis der Werke, des Vaters und der Schriften. 7.4 Zusammenfassung und Beurteilung Der in diesem Abschnitt dargestellte und untersuchte Zeugnisakt beginnt mit der Selbstoffenbarung Jesu als dem „Ich-bin“ und dem „Licht der Welt“. Diese absoluten Aussagen werden von den zuhörenden Pharisäern umgehend infrage gestellt und als unglaubwürdiges Selbstzeugnis verworfen. Als Jesus sich auf die Auseinandersetzung mit den Pharisäern einlässt und ihnen, wie von ihrem Gesetz gefordert, einen zweiten Zeugen, nämlich den Vater, präsentiert, um die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Aussagen zu bestätigen, wird dessen Zeugnis von den Pharisäern abgelehnt, weil sie den Zeugen weder sehen noch sein Zeugnis wahrnehmen können. 489 Dass das Zeugnis des Vaters im und durch den Sohn gegeben wird und somit der Zeugnisakt auf einer anderen Ebene erfolgt, bleibt den Pharisäern verhüllt und unzugänglich. Dies führt dazu, dass vom Erzähler in Joh 8,12-20 zunächst nichts über die Folgen oder Auswirkungen des zweifachen Zeugnisses berichtet wird. Erst nach anhaltendem Dialog zwischen Jesus und den Juden - zu denen, wie der Zusammenhang zeigt, auch die Phari‐ säer gerechnet werden müssen - wird vom Erzähler fast beiläufig geschildert, dass schließlich viele an Jesus glauben. Obwohl nicht sofort und unmittelbar, haben die Zeugnisse für Jesus und die Rede Jesu doch Wirkung gezeigt und schlussendlich zum Glauben an Jesus geführt. Hervorstechend aus dieser Zeugnisszene ist, dass auch hier wieder, wie zuvor bei den Juden in Joh 5, die größten Gegner Jesu mit einem mehrfachen Zeugnis bedacht werden. Obwohl die Pharisäer in dieser Szene nur kurz erwähnt und kaum charakterisiert werden, ist den Lesern aus der Gesamtlektüre bekannt, dass der repräsentative Teil der Pharisäer zu den unerbittlichsten Opponenten Jesu in der Erzählung zählt. In Verbindung mit den Juden und teilweise in die Bezeichnung οἱ Ἰουδαῖοι untrennbar einbezogen sind sie, die Pharisäer, die treibende Kraft hinter den Juden, die das Vorgehen gegen Jesus und seine An‐ hänger vorantreiben. Gerade ihnen wird, wie zuvor den Juden, ein mehrfaches Zeugnis gegeben. In Joh 5 ist es ein fünffaches Zeugnis 490 , hier das zweifache Zeugnis des Vaters und des Sohnes, das den Pharisäern, gemäß der Forderung ihres eigenen Gesetzes, präsentiert wird. Beide Male, hier wie in Joh 5, wird zunächst das Selbstzeugnis Jesu als unglaubwürdig verworfen und daraufhin durch einen oder mehrere weitere Zeugen bestätigt und bekräftigt. Während in Joh 5 die Reaktion auf das mehrfache Zeugnis offengelassen wird, wodurch 7.4 Zusammenfassung und Beurteilung 225 <?page no="227"?> die Leser verstärkt zum Nachdenken und zu einer persönlichen Reaktion auf die Zeugnisse für Jesus herausgefordert werden, erfahren sie hier, wenn auch erst in der darauffolgenden Szene, dass das Doppelzeugnis schlussendlich bei vielen den Glauben an Jesus weckt, wohl auch bei einigen Pharisäern. Ob dieser Glaube auch zum Bleiben bei Jesus und zu wahrer Nachfolge führt, wird vom Erzähler nicht weiter ausgeführt, scheint aber aufgrund der Darstellung des anhaltenden und heftigen Streitgesprächs zwischen Jesus und den Juden eher unwahrscheinlich. Diese Überlegungen und Spekulationen sowie die narrative Darstellung der gesamten Szene sorgen auch hier dafür, dass die Leser mit in die Zeugnisszene hineingenommen, mit der Zeugnisaussage über die Wahrheit dessen, was Jesus vorgibt zu sein, konfrontiert und vor die Entscheidung gestellt werden, den Zeugnissen und damit Jesus selbst zu glauben oder nicht. Auch bei ihnen soll das Zeugnis zum Ziel kommen und der Glaube geweckt werden, dass Jesus tatsächlich der „Ich-bin“ und „das Licht der Welt“ ist. 226 7 Zeugnisszene 6: der Vater ( Joh 8,12-20) <?page no="228"?> 491 T H Y E N 2015, 493. 492 Vgl. entsprechende Aussage in 1Kor 1,22, wonach „die Juden“ auf Zeichen und Wunder fixiert sind. 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) Nachdem Jesus in den beiden vorausgehenden Zeugnisszenen seinen Haupt‐ gegnern, den Juden und Pharisäern, mehrere Zeugen zur Bestätigung seiner Identität und Herkunft präsentiert hat, folgt in Joh 10,22-39 die Darstellung einer weiteren Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Juden. Die Zeug‐ nisszene beginnt in Joh 10,22-23 mit einer genauen Angabe über Ort und Zeit. Obgleich die Passage durch die erneute Nennung der ‚Schafe‘ in den V. 26-29 eng mit der vorausgehenden Szene verknüpft ist, macht der Erzähler sie durch ihre Datierung in den folgenden Winter (χειμὼν ἦν) sowie durch ihre Verbindung mit dem Fest der Tempelweihe (ἐγκαίνια) absichtsvoll zu einer eigenständigen neuen Szene. 491 Ab Vers 24 betreten die Juden den erzählten Raum. Wie zuvor in Joh 5,17-47 geht es ihnen auch in dieser Begegnung mit Jesus um die Frage nach Jesu Identität. Deutlich aufdringlicher als zuvor fordern sie nun eine klare, endgültige Antwort. Jesus lässt sich auf das Streitgespräch ein und reagiert mit einem Hinweis auf sein bereits erbrachtes Selbstzeugnis („Ich habe es euch gesagt und ihr glaubt nicht“) und auf das Zeugnis der Werke, die er im Namen seines Vaters tut und die seine Aussagen bestätigen ( Joh 10,25). Dass gerade den Juden ein weiteres Mal das Zeugnis der Werke vorgehalten wird, lässt vermuten, dass gerade für sie Werke von großer Bedeutung und Überzeugungskraft sein müssen. Diese Vermutung wird wenig später vom Erzähler durch die zitierte Rede Jesu bestätigt. Jesus deutet darauf hin, dass der Glaube der Juden gerade durch die Werke hervorgerufen werden kann und soll: „Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht; wenn ich sie aber tue, so glaubt den Werken“ ( Joh 10,37-38). 492 Aus diesen einleitenden Versen ist den Lesern ersichtlich, wer in der vorliegenden Szene Zeugnisgeber und wer Zeugnisempfänger ist. 8.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Wie an allen für die vorliegende Arbeit relevanten Stellen wird auch in Joh 10,25 mit dem Begriff μαρτυρεῖν deutlich ein Zeugnisakt angezeigt. Diesem Vers und <?page no="229"?> 493 Die Unterteilung von Figuren aufgrund ihrer Entwicklung in dynamische oder statische Figuren wie bei M A R T Í N E Z & S C H E F F E L (2016, 151) wurde von B E N N E M A (2014, 28−29) erweitert. Er unterteilt die Entwicklung in vier Kategorien: „none“ (0), „little“ (−), „some“ (+) und „much“ (++). Dieser Unterteilung zufolge könnte bei der hier untersuchten Gruppe von „little“ (wenig) Entwicklung gesprochen werden. Daher auch die gewählte Bezeichnung „bedingt dynamische Figur“. dessen Kontext können die Leser entnehmen, dass die Juden Zeugnisempfänger, die Werke Zeugnisgeber sind. Da die narrative Darstellung der Charakterisierung der Juden und der Werke in der fünften Zeugnisszene ( Joh 5,17-47) bereits untersucht worden ist, erfolgen an dieser Stelle nur eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse und anschließend die Betrachtung der Umstände des Zeugnisgebens in dieser Szene. 8.1.1 Zeugnisgeber: die Werke Wie die oben unternommene Untersuchung der Darstellung der zeugnisgeb‐ enden Werke zeigt, handelt es sich bei diesem Zeugen um eine komplexe, dynamische Figur. 493 In der Erzählung tritt sie vor allem in enger Verbindung mit der Person, dem Reden, Handeln und Wirken Jesu auf, ist zugleich aber auch untrennbar mit dem Vater verbunden. Vom Vater her ist sie dem Sohn zur Seite gestellt. Durch ihr Zeugnis für den Sohn wird das Zeugnis des Vaters für den Sohn übermittelt. Die Dynamik der Figur zeigt sich darin, dass diese Figur im Laufe der Erzählung eine gewisse Veränderung durchläuft und plötzlich auch mit den Jüngern und anderen zukünftig Gläubigen in Verbindung gebracht wird. Indem die Werke durch die Jünger und andere Gläubige gewirkt werden, soll das Zeugnis der Werke auch künftig für Jesus übermittelt werden. Das Zeugnis der Werke bleibt somit weiterhin hörbar und das Zeugnis des Vaters für den Sohn wird durch die von den Jüngern und Gläubigen gewirkten Werke weitergetragen. Selbst nach Jesu Weggang von der Erde und nach Beendigung seines Wirkens wird das Zeugnis der Werke weiterhin zu Wort kommen und Jesu wahre Identität, Herkunft und Mission bezeugen. Die Werke sind somit, ebenso wie die anderen übermenschlichen Zeugen (der Geist und die Schriften), bleibender Zeuge für Jesus, durch den fortwährend und anhaltend Zeugnis für Jesus abgelegt wird. 8.1.2 Zeugnisempfänger: die Juden Neben dem Zeugen lassen sich in dieser Szene eindeutig die Juden als Zeugnis‐ empfänger erkennen. Ihnen werden nach Joh 5 ein zweites und letztes Mal 228 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) <?page no="230"?> 494 S C H N A C K E N B U R G 1980, 383, T H E O B A L D 2009, 690; vgl. Bell V, 184 f; Ant XV, 396−401; XX, 220 f. die Werke als Zeuge für Jesus präsentiert. Aus den Untersuchungen der Zeug‐ nisszene in Joh 5 zeigt sich, welche Vorstellung die Leser durch die Erzählung von den Juden haben (sollen). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem Begriff Ἰουδαῖος, obwohl er sehr unterschiedlich gebraucht wird, in den meisten Fällen doch ein Jesus feindlich gegenüberstehender Gruppencharakter gemeint ist. Aufgrund der hinter dieser Gruppe stehenden Pharisäer und Hohepriester haben diese Juden Einfluss, Autorität und eine gewisse Macht- und Kontrollfunktion in der erzählten Welt. Wegen ihrer Position werden die Juden bevorzugt als prüfende und kritisch hinterfragende religiöse Instanz charakterisiert, die sich vehement für die Einhaltung der Gesetze engagiert. Da Jesus sich ihrem Verständnis nach den Gesetzen widersetzt und vermeintlich neue, gesetzeswidrige Lehren verbreitet, wird er zum Feind erklärt und sein Tod gefordert. Bei aller Einmütigkeit, die die Juden auszeichnet, wissen die Leser zugleich um die Spaltungen innerhalb dieser wie auch anderer Gruppen. Vor allem was die Person und Mission Jesu betrifft, herrscht unter den Juden Uneinigkeit. Während einige sich Jesus zuwenden und an ihn glauben, sind es letzten Endes aber doch die Juden, die der Erzählung nach im Unglauben und Unverständnis verharren und Jesus nicht nur feindlich gesinnt sind, sondern auch seinen Tod beschließen und herbeiführen wollen. Mit diesem Bild der Juden treffen die Leser in Joh 10 auf die Zeugnisszene, in der diesen feindlich gesinnten Hauptgegnern Jesu ein weiteres Mal das Zeugnis der Werke unterbreitet wird. 8.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Wie bereits erwähnt, beginnt der Erzähler vorliegende Szene mit einer genauen Orts- und Zeitangabe. Demnach tragen sich die Ereignisse erneut im Tempel in Jerusalem zu, genauer gesagt in „der Säulenhalle Salomos“ (τῇ στοᾷ τοῦ Σολομῶνος; Joh 10,23). Den intendierten Rezipienten dürfte bekannt sein, dass diese Säulenhalle, „an der östlichen Begrenzungsmauer gelegen, angeblich schon vom König Salomo erbaut“ worden war. 494 Als Zeitangabe nennt der Erzähler den „Winter“ (χειμών) und das „Fest der Tempelweihe“ (ἐγκαίνια). Da beide Angaben ohne weitere Erklärungen sehr kurz gehalten sind, kann angenommen werden, dass der Erzähler davon ausgeht, dass den Lesern dieses 8.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 229 <?page no="231"?> 495 „Das Tempelweihfest, zur Erinnerung an die Tempelweihe am 25. Kislev 165 v. Chr. durch Judas Makkabäus eingeführt, wurde acht Tage lang ähnlich wie das Laubhütten‐ fest gefeiert“ (S C H N A C K E N B U R G 1980, 382; vgl. B A R R E T T 1978, 379; C A R S O N 1991, 391). 496 S C H N A C K E N B U R G 1980, 383; B A R R E T T 1978, 379. 497 S C H N A C K E N B U R G 1980, 383. ebenso B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 173; T H E O B A L D 2009, 690. 498 Deutlich und zurecht weist Z U M S T E I N (2016, 400) darauf hin, dass eine „symbolische Deutung des ‚Winters‘ […] keinen Anhalt im Text“ hat. 499 T H Y E N 2015, 494. Ebenso T H E O B A L D (2009, 691), der im Wort „umringen“ ein „in die Mitten zwischen“ „wie in einem Prozess“ erkennt. Fest bekannt ist, 495 oder aber, dass eine nähere Kenntnis des Festes bzw. der Hintergründe des Festes für die Erzählung und die Leser unwichtig ist. Was die ausdrückliche Nennung des Winters (χειμὼν ἦν; Joh 10,22) angeht, so ist unklar, ob der Erzähler damit nur eine Verortung des Festes in die kalte Jahreszeit bzw. die zweite Dezemberhälfte 496 vornimmt oder ob damit zugleich auch auf das nahe Ende des öffentlichen Wirkens Jesu oder das „geistliche Klima“ im Volk angespielt werden soll. 497 Auf diese Gedanken und Fragen gibt die Erzählung keine Antwort. 498 Sie regen die Leser aber zum Nachdenken an. Nach der Eröffnung der neuen Szene nennt der Erzähler als Erstes den Protagonisten, der an besagtem Ort „umhergeht“ (περιπατεῖν; Joh 10,23). Direkt im Anschluss werden als Antagonisten die Juden in die Szene eingeführt. Das Erste, was von ihnen gesagt wird, ist, dass sie Jesus „umringen“ (κυκλοῦν). Dadurch, dass „umringen“ hier im Sinne von „bedrängen“ oder „in die Zange nehmen“ verstanden werden muss, wirkt die Situation bedrohlich. 499 Den Lesern ist ersichtlich, dass die Juden in dieser Szene erneut als feindselige Gegner Jesu verstanden werden müssen. Die Jesus entgegengebrachte und vom Erzähler zitierte Figurenrede der Juden zeigt, dass es auch in dieser Begegnung im Kern wieder um die Person und Identität Jesu geht: „Wenn du der Christus bist, so sage es uns frei heraus“ ( Joh 10,24). Die vorausgehende, ebenfalls bedrohlich wirkende Frage „Bis wann hältst du unsere Seele hin? “ verdeutlicht die Ungeduld und den Nachdruck, mit denen die Juden die Identität Jesu herausfinden und bestätigt haben wollen. Wie an anderen Stellen lässt sich Jesus auch hier auf die Auseinandersetzung mit seinen Gegnern ein. Er erklärt, dass er seine wahre Identität bereits preisgegeben hat, dass sie, die Juden, ihm jedoch nicht glauben (wollen). Daher hält Jesus ihnen direkt im Anschluss die Werke vor, die Zeugnis für ihn ablegen. Gerade die Werke, die er im Namen seines Vaters tut, bestätigen sein Selbstzeugnis sowie seine wahre Identität und Herkunft. Die Frage, die sich den Lesern an dieser Stelle stellt, ist, wo und wann dieses Zeugnis gegeben wird. Welche „Werke“ sind hier gemeint, die die Juden von Jesu Identität überzeugen sollen? In der Szene selbst wird von keinen Werken 230 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) <?page no="232"?> erzählt, die Jesus wirkt. Dennoch spricht er im Präsens davon, dass die Werke von ihm „zeugen“ (μαρτυρεῖ; Joh 10,25). Eine Antwort auf diese Fragen findet sich in der Untersuchung der Darstel‐ lung der Werke in Joh 5. Demnach sind die Werke so eng an die Person Jesu gebunden, dass ihr Zeugnis immer und überall da abgelegt und gehört wird, wo Jesus ist und/ oder wirkt. Trotz der engen Bindung an Jesus ist das Zeugnis der Werke aber nicht Selbstzeugnis Jesu, sondern Fremdzeugnis für Jesus. Wenn in dieser Szene vom gegenwärtigen Zeugnis der Werke die Rede ist, dann meint Jesus damit zum einen das Zeugnis, das allein schon durch seine Anwesenheit und sein Reden übermittelt wird, weil sein gesamtes Reden, Handeln und Tun zu „den Werken“ gezählt werden müssen. Zum anderen ist das Zeugnis der Werke deshalb präsent, weil den Juden ein Großteil der von Jesus gewirkten Wunderwerke bekannt ist. Dadurch, dass Jesus diese Werke erwähnt, geschieht eine Vergegenwärtigung der Werke in Gedanken. Die Erinnerung an die Werke Jesu und die gedankliche Fixierung auf die Werke machen die Werke zu einem gegenwärtigen Zeugen, auch wenn zur erzählten Zeit am erzählten Ort keine Werke gewirkt werden. Dieser Beobachtung und der Aussage Jesu zufolge kann die Frage nach Ort und Zeit des Zeugnisakts klar beantwortet werden: Das Zeugnis der Werke wird in der vorliegenden Szene zur erzählten Zeit am erzählten Ort abgelegt, und zwar durch Jesu Gegenwart, durch sein Reden und Handeln und durch die Erinnerung an die von ihm gewirkten Wundertaten. Die Juden haben somit keine Möglichkeit, sich der Zeugenaussagen der Werke zu entziehen. Mit der Beantwortung der Frage, wo und wann das Zeugnis der Werke abgelegt wird, ist ansatzweise auch die Frage beantwortet, wie dieses Zeugnis übermittelt und präsentiert wird. Es geschieht auf zweifache Art und Weise: zum einen durch die Erinnerung an die von Jesus gewirkten Werke in der Vergangenheit und deren gedankliche Vergegenwärtigung, zum anderen durch die gegenwärtige Begegnung mit Jesus im Tempel. Will man in dieser Szene den Zeugnismodus genauer analysieren, dann müssen beide Seiten der Begegnung mit dem Zeugnis separat untersucht werden. Betrachtet man als Erstes die Begegnung der Juden mit dem Zeugen und dem Zeugnis der Werke in der Erinnerung, so lässt sich Folgendes erkennen: Während in Joh 5 das Zeugnis der Werke durch die Heilung des Kranken sichtbar und unmittelbar zugänglich ist, lebt das Zeugnis der Werke in der Zeugnisszene in Joh 10 aus der Erinnerung an die von Jesus gewirkten Werke in der Vergangenheit. Bei diesem „Zeugnisakt“ handelt es sich um ein spontanes „inwendiges Zweiergespräch“, das der Öffentlichkeit völlig entzogen ist, folglich vom Grad der Öffentlichkeit her als „privat“ eingestuft werden muss. Es vollzieht 8.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 231 <?page no="233"?> sich nur in den Gedanken und der Erinnerung, denn eben hier kommt es zur Begegnung zwischen dem Zeugen (den Werken) und den Zeugnisempfängern (den Juden). Bei dieser Begegnung mit den Werken und dem Zeugnis der Werke in der Erinnerung kann das entstehende Zeugnisgespräch vom Grad der Vorbereitetheit der Gesprächspartner her als „nicht vorbereitet“ angesehen werden. Erst durch Jesu Hinweis auf die Werke wird das gedankliche Zeugnisgespräch „aktiviert“ und erst daraufhin beginnen die Juden mit der gedanklichen Vergegenwärti‐ gung dessen, was Jesus in der Vergangenheit gewirkt hat. Wendet man sich der Frage nach dem Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner zu, so kann hier nur sehr vage vermutet werden, dass den Juden ihr „Gesprächs‐ partner“, die Werke als Zeugnisgeber, bekannt oder sogar vertraut sein dürfte. Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Juden mit dem Tun und Handeln Jesu gedanklich auseinandersetzen (müssen). Die Gedanken an die Werke und das Nachdenken über sie sind den Juden bekannt, sodass ihnen auch die Werke an sich bekannt oder vertraut sind. Bei dieser Begegnung ist zu erkennen, dass der Zeuge den Zeugnisempfän‐ gern überlegen ist. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner muss somit als asymmetrisch angesehen werden, denn die Werke, die durch Jesus gewirkt werden, sind Gottes Werke. Sie legen mit göttlicher Autorität Zeugnis von Jesus ab und sind somit den Juden wissensmäßig überlegen. Von seiner Handlungsdi‐ mension her ist dieser „inwendige Zeugnisakt“ narrativ und direktiv - narrativ, weil in und durch die Erinnerung die Wunderwerke Jesu nacherzählt werden; direktiv, weil zugleich auch der Glaube an das, was Jesus von sich behauptet und was durch die Werke bezeugt wird, gefordert wird. Die vollbrachten Werke, an die sich „die Juden“ hier nun erinnern (sollen), wollen von Jesu Vollmacht, Messianität und Gottheit überzeugen. Wendet man sich nach der Betrachtung des Modus der Übermittlung des Zeugnisses der Werke in der Erinnerung dem Modus der Übermittlung durch die unmittelbare Begegnung mit Jesus zu, so lässt sich erkennen, dass auch dieses Zeugnisgespräch von seiner Gesprächsgattung her als natürlich-spon‐ tanes Gespräch verstanden werden muss. Die Begegnung mit Jesus und mit dem durch sein ganzes Sein, Reden und Handeln übermittelten Zeugnis der Werke geschieht spontan in einer Kleingruppe, als die Juden Jesus in aller Öffentlichkeit im Tempel umringen. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner muss auch hier als asymmetrisch angesehen werden. Zwar scheint es, wie in Joh 5, zunächst so, als seien die Juden Jesus und seinen Werken überlegen, weil sie ihn umringen und bedrängen und sich in der Position sehen, ihn ausfragen und Rechenschaft von ihm fordern zu dürfen; den Lesern ist aber 232 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) <?page no="234"?> aus den vorausgehenden Erzählabschnitten und dem Reden Jesu ersichtlich und bewusst, dass Jesus und die Werke den Juden überlegen sind, weil die Juden gerade durch die Werke belehrt, zurechtgebracht und über Jesu wahre Identität aufgeklärt werden sollen, was deutlich zeigt, dass die Asymmetrie der Gesprächspartner von der Überlegenheit Jesu und der Werke herrührt. Dabei zeigt sich auch, dass, was den Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner angeht, die Juden ihren Gesprächspartner im Grunde nicht kennen. Oberfläch‐ lich gesehen könnte von einer Bekanntschaft oder einer flüchtigen Bekannt‐ schaft ausgegangen werden, weil sich Jesus und die Juden schon öfter begegnet sind. In der vorliegenden Szene selbst zeigt sich aber, dass eine „einseitige Unbekanntheit“ vorherrscht - einseitig deshalb, weil die Juden Jesus nicht kennen und deshalb nicht an ihn glauben, Jesus hingegen aber die Juden kennt und sogar Einblick in ihr Innenleben und ihren Unglauben hat. Was die Handlungsdimension des Gesprächs betrifft, so ist hier zwar keine direkte Anweisung zu erkennen, das Reden und Tun Jesu sind aber immer darauf ausgerichtet, zum Glauben an Jesus einzuladen. In Joh 10,25-26 spricht Jesus zweimal davon, dass die Juden ihm und dem Zeugnis der Werke nicht glauben. Durch diesen Hinweis auf ihren Unglauben fordert Jesus die Juden indirekt zum Überdenken der eigenen Haltung, zum Umdenken und zum Glauben an ihn heraus. Stellt man nach dieser kurzen Betrachtung der Art und Weise, wie das Zeugnis der Werke durch die Erinnerung an die Werke und durch die Begegnung mit Jesus übermittelt wird, die Frage nach dem Inhalt des Zeugnisses, dann ist zu erkennen, dass das Zeugnis der Werke in beiden Fällen speziell themafixiert ist und einzig und allein die Person Jesu zum Inhalt hat. Jesus selbst macht dies deutlich, indem er sagt: „Die Werke […] zeugen von mir“ (περὶ ἐμοῦ Joh 10,25). Beachtet man zu dieser Aussage den weiteren Kontext, dann lässt sich erkennen, was Jesus damit meint und was genau von ihm bezeugt wird, nämlich dass er der vom Vater geheiligte und in die Welt gesandte Sohn Gottes ist ( Joh 10,36), der ewiges Leben gibt ( Joh 10,28), der die Seinen sicher festhält und der mit dem Vater eins ist ( Joh 10,30). Warum und wozu diese Wahrheiten von den Werken bezeugt werden, wird aus der Szene deutlich ersichtlich. Der Hinweis auf das Zeugnis der Werke erfolgt als Reaktion auf die Anfrage, ob Jesus der Christus sei, und die Ablehnung des Selbstzeugnisses Jesu. Der Zeugniszweck wird aus dem mehrfachen Hinweis auf die Notwendigkeit des Glaubens ersichtlich: Ein weiteres Mal nach Joh 10,25-26 weist Jesus in Joh 10,37-38 darauf hin: „Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht; wenn ich sie aber tue, so glaubt den Werken - wenn ihr auch mir nicht glaubt -, damit ihr erkennt und glaubt, dass 8.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 233 <?page no="235"?> der Vater in mir ist und ich in ihm“. Deutlich geht aus dieser Aussage hervor, dass das Zeugnis der Werke zum Glauben einlädt. Wenn Jesus die Werke tut, dann soll und muss diesen Werken geglaubt werden. Wo ihnen geglaubt wird, erwachsen die Erkenntnis und der Glaube, dass Jesus der vom Vater geheiligte und in die Welt gesandte Sohn Gottes ist, der jedem Glaubenden ewiges Leben gibt. 8.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Ausführlicher als in den vorausgehenden Zeugnisszenen werden in Joh 10 die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses für Jesus beschrieben. Zunächst gibt der Erzähler zweimal in der zitierten Rede Jesu zu erkennen, dass die Juden trotz der Worte Jesu und des Zeugnisses der Werke nicht an Jesus glauben ( Joh 10,25.26). Sie verharren in ihrem Unglauben und wollen das offensichtliche Zeugnis der Werke nicht annehmen. Darüber hinaus zeigt sich im Verlauf der Erzählung, dass die Juden aggressiv auf das Zeugnis reagieren. Sie heben Steine auf, um Jesus zu steinigen ( Joh 10,31). Als Jesus ihr Vorhaben hinterfragt und sich nach dem Grund für ihr Vorgehen erkundigt, kommt es zu einer interessanten Unterscheidung zwischen dem Zeugen und seinem Zeugnis. Auf die Frage Jesu, um welches Werkes willen die Juden ihn steinigen wollen, antworten sie: „Wegen eines guten Werkes steinigen wir dich nicht, sondern wegen Lästerung und weil du, der du ein Mensch bist, dich selbst zu Gott machst“ ( Joh 10,33). In dieser Antwort zeigt sich, dass der Zeuge selbst (die Werke) durchaus geduldet ist und anziehend wirkt. Das, was aber durch den Zeugen und die Erklärung der Werke bezeugt wird, nämlich dass Jesus und der Vater eins sind und dass Jesus somit selbst Gott ist, wird von den Juden abgelehnt und verworfen. Als Folge und Auswirkung des Zeugnisses kommt somit das Nicht-glauben-Wollen oder Nicht-glauben-Können der Juden zum Vorschein. Als Jesus daraufhin erneut zum Glauben an die Werke und um der Werke willen aufruft, berichtet der Erzähler abschließend, dass die Juden Jesus aber‐ mals ergreifen wollen ( Joh 10,39). Die Szene endet damit, dass Jesus sich diesem Zugriff entzieht. Dass dieses Sichentziehen nicht zugleich auch bedeutet, dass den Juden die Möglichkeit zum Glauben entzogen wird, zeigt sich im weiteren Verlauf der Erzählung. Obwohl diese Szene mit der Darstellung der Ablehnung und Anfeindung Jesu vonseiten der Juden endet, macht der Erzähler seinen Lesern in einem kurzen Nachtrag zur Szene Hoffnung. Er beschreibt, wie Jesus auf die andere Seite des Jordans geht, an den Ort, wo Johannes der Täufer getauft hatte. 234 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) <?page no="236"?> Viele folgen Jesus dorthin und der Erzähler schließt diesen Abspann mit den Worten: „Und viele glaubten dort an ihn“ ( Joh 10,42). Dass unter den Vielen auch einige der Juden sein dürften, legt sich den Lesern nahe, vor allem weil die Wendung „viele glaubten dort an ihn“ (πολλοὶ ἐπίστευσαν εἰς αὐτὸν ἐκεῖ) in den folgenden Szenen zweimal in Bezug auf die Juden verwendet wird ( Joh 11,45; 12,11). Somit ist auch hier zu erkennen - wenn auch erst im Abspann der Szene -, dass auch das Zeugnis der Werke zu seinem Ziel gekommen ist. Das abgelegte Zeugnis führt - wenn auch nicht alle, so doch viele - zum Glauben an Jesus und an das, was er von sich behauptet zu sein, nämlich dass er der vom Vater ausgesonderte und gesandte Sohn Gottes ist, der aufgrund seiner Einheit mit dem Vater Gott selbst ist und jedem, der an ihn glaubt, ewiges Leben gibt. 8.4 Zusammenfassung und Beurteilung Nach Joh 5 wird in Joh 10 ein zweites Mal den Juden das Zeugnis der Werke entgegengehalten. Gerade die Juden sollen von dem Zeugnis der Werke überführt und zum Glauben an Jesus geleitet werden. Doch wie an anderen Stellen, an denen die Juden charakterisiert werden, zeigen sich auch in dieser Szene die ablehnende Haltung und feindliche Gesinnung der Juden gegenüber Jesus. Der Erzähler berichtet sogar, dass die Juden Jesus „abermals“ (πάλιν) steinigen ( Joh 10,31) und „abermals“ ergreifen wollen ( Joh 10,39), womit er auf frühere negative Ereignisse hinweist (vgl. Joh 7,30.32.44; 8,59) und das Bild der Anfeindung Jesu durch die Juden verfestigt. Es zeigt sich, dass die Juden weder verstehen noch glauben können oder wollen. Sie sehen in Jesus nach wie vor nur einen Menschen, der sich selbst zu Gott macht. Sie erkennen nicht, dass gerade die Werke von seiner Einheit mit dem Vater und seiner Messianität und Gottheit zeugen. Erst im Abspann der Szene zeichnet der Erzähler ein differenzierteres, hoffnungsvolleres Bild der Juden: Nicht alle verharren in ihrer ablehnenden Haltung. Trotz des anfänglichen und teilweise anhaltenden Widerstands kommt bei vielen das Zeugnis der Werke zum Ziel. Während die einen im Unglauben und Unverständnis verharren, Jesus feindlich gesinnt sind und seinen Tod beschließen und herbeiführen wollen, sind es viele, die sich überzeugen lassen und zum Glauben an ihn finden. Den Lesern legt sich nahe, dass unter den hier genannten Vielen auch Juden sein müssen. Somit ist offensichtlich, dass die Juden ein genauso gespaltener Gruppencharakter sind wie die Pharisäer und, wie sich später zeigt, „die Welt“ und „die Volksmenge“. Aufgrund der immer wiederkehrenden Darstellung eines Zwiespalts in den einzelnen Gruppen und 8.4 Zusammenfassung und Beurteilung 235 <?page no="237"?> der Präsentation der unterschiedlichen Auswirkungen des Zeugnisses auf die Gruppen werden die Leser unaufhörlich vor die Frage und Entscheidung gestellt, auf welcher Seite sie sich positionieren: auf der Seite der Juden, der Pharisäer, der Volksmenge oder der Welt, die die vielen Zeugenaussagen über Jesus und damit Jesus selbst ablehnen, oder auf der Seite derer, die das Zeugnis annehmen und glauben, dass Jesus derjenige ist, der er vorgibt zu sein und dessen Identität, Herkunft und Mission die Zeugen bestätigen. Übergehen es die Leser, sich an dieser Stelle der Erzählung klar zu positionieren, werden sie spätestens in der folgenden Zeugnisszene in Joh 12,12-19 und der dortigen Darstellung der Volksmenge erneut vor dieselbe Entscheidung gestellt. 236 8 Zeugnisszene 7: Die Werke ( Joh 10,25-39) <?page no="238"?> 500 Der im JohEv erwähnten „Volksmenge“ wurde in der Forschung bislang wenig Auf‐ merksamkeit gewidmet. R E S S E G U I E (2005, 125) zieht in Bezug auf die Volksmengen in den Evangelien sogar in Erwägung, sie nicht als eigenständige Figuren zu sehen, sondern vielmehr als Teil des Settings. 501 Der Begriff ὄχλος taucht im Neuen Testament nur in den Evangelien, der Apostelge‐ schichte und vier Mal in der Offenbarung des Johannes auf. In jedem der Synoptikern sowie in der Apostelgeschichte wird ὄχλος häufiger verwendet, als im JohEv (Mt 50x; Lk 41x; Mk 38x, Apg 22x; Joh 20x). 502 Joh 5,13, 6,2.5.22.24; 7,12 (2x).20.31. 32.40.43.49; 11,42; 12,9.12.17.18.29.34. 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) In der bekannten Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem führt der Erzähler dieses Mal „das Volk“ bzw. „die Volksmenge“ (ὁ ὄχλος) als Zeuge für Jesus an. Nach dem Auftreten einzelner Zeugen und dem Zeugnis der Werke und der Schriften (vgl. Joh 5,17-47) ist dies nun die erste und einzige Zeugnisszene ( Joh 12,12-19) in der gesamten Erzählung, in der der Erzähler einen Gruppen‐ charakter als Zeugen auftreten lässt und diesen mit dem Begriff μαρτυρεῖν für den Leser unmissverständlich als Zeugen für Jesus auszeichnet. 500 Wendet man sich der Szene zur näheren Untersuchung des Zeugnisakts zu, dann soll auch hier zunächst wieder den Fragen nach der narrativen Darstellung und Charakterisierung der Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger nachgegangen werden. 9.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Während sich in vielen Szenen die Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger leicht ausmachen und charakterisieren lassen, gestaltet sich dies in der vorliegenden Szene schwieriger. Der Begriff „Volk“ bzw. „Volksmenge“ (ὄχλος) findet sich vergleichsweise selten im JohEv. 501 Er taucht, abgesehen von Erwähnungen in Joh 5,13 und Joh 11,42, vor allem in den Kapiteln 6, 7 und 12 auf. 502 Beim Über‐ fliegen dieser Stellen ist ersichtlich, dass ὄχλος vom Erzähler für verschiedene Volksmengen verwendet wird. Trotz dieser Beobachtung und der Tatsache, dass die für diese Arbeit relevante Stelle und Erwähnung der Volksmenge in Kapitel 12 liegt, soll kurz auf die Volksmengen in den Kapiteln 6 und 7 eingegangen werden, da sich bei den Lesern, herkommend von diesen Stellen, bereits ein gewisses Bild von der Volksmenge gebildet und eingeprägt hat, welches später <?page no="239"?> 503 Vom südlich gelegenen Jerusalem herkommend, entspräche dies dem Nordufer des Sees, wo Kapernaum und Tabgha liegen oder aber dem Ostufer. Da in Joh 6,17 berichtet wird, dass Jesus mit seinen Jüngern ans jenseitige Ufer nach Kapernaum fährt, muss Jesus in Joh 6,1 wohl vom Südans Ostufer gefahren sein (falls er nicht schon zuvor eine Seeüberquerung vorgenommen hatte). Vom Ostufer gehen auch die meisten Ausleger aus (K Ö S T E N B E R G E R 2004, 199; S C H N A C K E N B U R G 1980, 7; S C H N E L L E 2016, 159; Z U M S T E I N 2016, 244). K E E N E R (2012a, 664) weist darauf hin: „The ‚other side‘ of the lake (6: 1) contrasts with Jesusʼ usual Galilean location on the west side of the lake (e.g., 2: 1, 12; 4: 45−46), though the exact location is uncertain“. 504 Der Erzähler spricht explizit vom „gesehen haben“ (ἐθεώρουν) der Zeichen als Grund der Nachfolge (vgl. Joh 2,23−25), nicht vom „gehört haben“. 505 Davon geht beispielsweise T H Y E N (2015, 333) aus. Auf die früheren Zeichen in Joh 4,46−54 und Joh 5,1−9a verweisen auch S C H N E L L E (2016, 159) und Z U M S T E I N (2016, 244). bewusst oder unbewusst auf die Volksmenge in Kapitel 12 projiziert wird, auch wenn es sich dort um eine andere Volksmenge handelt. 9.1.1 Die Volksmengen in Joh 6 und 7 Bei der ersten Volksmenge, die in Joh 6 genannt wird, handelt es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um Personen aus Galiläa, da als erzählter Raum der See Genezareth genannt wird. Nach seinem Aufenthalt in Jerusalem (vgl. Joh 5,1) ist Jesus nach Galiläa zurückgekehrt und „ans jenseitige Ufer des Galiläischen Sees von Tiberias weggegangen“ (vgl. Joh 6,1). 503 Über den Weg Jesu von Jerusalem zum See Tiberias, über die Ereignisse auf dem Weg oder über etwaige Wegbegleiter berichtet der Erzähler nichts. In der stark gerafften Erzählung springt er direkt und mit nur wenigen einleitenden Worten zum neuen Schauplatz. Trotz dieses Sprungs ist dem auch nur halbwegs ortskundigen Leser klar, dass Jesus sich nun 160-180 km nördlich von Jerusalem auf der gegenüberliegenden Seite des Sees befindet. Im weiteren Verlauf der Szene führt der Erzähler in Joh 6,2 neben Jesus eine „große Volksmenge“ (ὄχλος πολύς) in den Aktionsraum ein. Diese folgt Jesus nach. Begründet wird die Nachfolge damit, „dass sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat“. Ausgehend von dieser Begründung ist zunächst nicht ersichtlich, auf welche Zeichen der Erzähler hier anspielt und von welcher Volksmenge die Rede ist. Aufgrund der Tatsache, dass vorab nirgends erwähnt wird, dass Jesus in der Umgebung des Sees Zeichen und Wunder getan hat, und aufgrund des abrupten Raum- und Szenenwechsels von Jerusalem zum See entsteht bei den Lesern der Eindruck, dass es sich hier um die Volksmenge aus Jerusalem handelt, die dort die Zeichen Jesu „gesehen hat“ 504 (vgl. die erste Erwähnung von ὄχλος in Joh 5,13) und ihm nun bis hierher nachgefolgt ist. 505 Diesem Eindruck zufolge müssten diese Menschen die gesamte beschwerliche, 238 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="240"?> 506 Davon geht auch B E N N E M A (2014, 202) aus und bezeichnet die Volksmenge in Joh 6 als „A Galilean Crowd of Commen People […]“. 507 Diese Speisung dürfte die Leser an die Prüfung des alttestamentlichen Volkes durch eine ähnliche Speisung erinnern (vgl. Ex 15,25; 16,4; 20,20; Deut 13,3). K E E N E R (2012, 665) sieht hier vor allem eine Prüfung für die Jünger: „Jesus here tests his disciplesʼ faith, to prepare them for larger tests to come (6: 67−71)“. 508 Die Hoffnung, die der Erzähler der Volksmenge zuschreibt, geht wohl auf Deut 18,15 oder PsSal 17,21ff. zurück. ca. 160-190 km lange Strecke mit Jesus von Jerusalem zum See zurückgelegt haben. Da dies den Lesern eher unwahrscheinlich erscheint, muss alternativ angenommen werden, dass Jesus in der Umgebung des Sees ebenfalls Zeichen an Kranken getan hat - auch wenn dies nicht erzählt wird - und dass die hier nun erzählte, nachfolgende Volksmenge aus der näheren Umgebung des Sees stammt. 506 Die in Joh 6 erwähnte „große Volksmenge“ taucht in der Erzählung abrupt aus dem Nichts auf und folgt Jesus nach. Grund für die Nachfolge ist nicht etwa der Glaube an Jesus, sondern vielmehr die Sensationsgier, die nicht Jesus, sondern seine Zeichen sucht. Im Verlauf der Erzählung wird später eine Brotvermehrung geschildert. Die hier zum zweiten Mal nach Joh 6,2 erwähnte „große Volksmenge“ (πολὺς ὄχλος; Joh 6,5) ist Jesus auf einen Berg gefolgt und wird dort von Jesus infolge des Wunders der Brot- und Fischvermehrung gespeist. 507 Die Reaktion auf das Zeichen schildert der Erzähler auf zweifache Weise: Zum einen lässt er durch zitierte Rede die Volksmenge selbst zu Wort kommen und untereinander sprechen: „Dieser ist wahrhaftig der Prophet, der in die Welt kommen soll“ ( Joh 6,14). 508 Zum anderen gibt der Erzähler den Lesern durch eine starke Innenperspektive Einblick in die Erkenntniswelt Jesu, der „erkennt“ (γινώσκειν), „dass sie kommen und ihn ergreifen wollten, um ihn zum König zu machen“ ( Joh 6,15). Damit verdeutlicht der Erzähler zugleich die bereits in Joh 2,25 genannte Fähigkeit Jesu, in die Innenwelt anderer Menschen einzusehen (später erneut in Joh 6,61). Hier, wie auch später in Joh 6,25, ist unverkennbar, dass die Volksmenge nicht erkennt, wer Jesus ist. Sie halten ihn für einen Propheten und wollen ihn zum König machen, obwohl sein Königreich nicht von dieser Welt ist ( Joh 18,36). Nach Jesu eigener Auffassung glauben sie nicht an ihn ( Joh 6,36) und suchen letztlich nicht ihn, sondern seine Zeichen und deren Folgen, nämlich Heilung, Gesundheit und Sättigung (vgl. Joh 6,26). Als Jesus sich ihnen entzieht, schildert 9.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 239 <?page no="241"?> 509 Dem Leser ist zunächst nicht ersichtlich, wo Jesus angetroffen wird. Erst aus Joh 6,59 lässt sich annehmen, dass das Volk Jesus in der Synagoge antrifft. Dass diese Ortsangabe erst ganz am Ende folgt, könnte darin begründet sein, dass der Erzähler dadurch die Wichtigkeit und vor allem die Lehrhaftigkeit des vorausgegangenen Gesprächs besonders hervorheben und dem Leser „mit auf den Weg“ geben möchte. 510 Es gibt unterschiedliche Meinungen, wie viele „Missverständnisse“ es im JohEv. gibt. Culpepper will 18 + 3 erkennen, Carson sogar 25 + 3. Zu den unterschiedlichen Meinungen und Erklärungsversuchen der Missverständnisse siehe R E Y N O L D S 2000, 150−159. 511 D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 145) geht davon aus, dass hier die Volksmenge „bezeichnender‐ weise unmerklich […] in die Gruppe der ‚Juden‘“ übergeht. Ein weiterer Figurenwechsel liegt dann ab Joh 6,60 vor, wo nicht mehr die Juden, sondern die Jünger Jesu in den Fokus rücken und berichtet wird, dass auch sie, wie zuvor die Juden in Joh 6,41, über Jesus „murren“ (γογγύζειν; Joh 6,61). Vom gesamten Kontext der Brotvermehrung und der Rede vom Manna in der Wüste spielt der Erzähler mit dem Gebrauch des Wortes „γογγύζειν“ gezielt auf das Murren des alttestamentlichen Volkes an (vgl. „διαγογγύζειν“ in LXX Ex 15,24; 16,2.7.8), was den Leser gedanklich Parallelen zwischen den beiden Ereignissen ziehen lässt. Auffällig ist jedoch, dass das Volk Israel vor der Speisung durch Manna murrte, während das Volk jetzt nach der Speisung murrt (K E E N E R 2012, 684−885). 512 B E N N E M A 2014, 203. Vgl. dazu die Charakterisierung der Juden in Szene 5 und 7. der Erzähler die Hartnäckigkeit und Aufdringlichkeit des Volkes, das Jesus sogar über den See nachreist, ihn dort sucht und schließlich findet. 509 Im Dialog zwischen Jesus und dem Volk kommt es hier wie an anderen Stellen des JohEv zu Missverständnissen. 510 Während Jesus in seiner Rede vom irdischen Brot, das den leiblichen Hunger stillt, zum geistlichen Brot übergeht, bleibt die zuhörende Volksmenge gedanklich beim irdischen Brot stehen und begreift daher die geistlichen Aussagen Jesu nicht. Dies mündet in eine Einmischung der Juden ( Joh 6,41ff.), die plötzlich auftreten und in der Erzählung im restlichen Erzählabschnitt den Platz der Volksmenge einnehmen, während die Volksmenge nicht mehr erwähnt wird. 511 Bennema merkt an: While it is possible that the crowd consists of ‚the jews‘, it is more likely that from among the crowd of common Galileans a group of ‚the Jews‘ emerges and becomes openly hostile to Jesus. Although ‚the Jews‘ start out as part of the crowd, their emerging from it and their increased hostility demand that they be distinguished from the crowd. 512 Aus den Versen vor und bis Joh 6,41 erhalten die intendierten Rezipienten hinreichend Informationen, um sich ein Bild von der galiläischen Volksmenge zu machen. Das vom Erzähler skizzierte Volk wird mehrfach in Verbindung mit den Zeichen Jesu genannt, was zusammen mit den Aussagen Jesu über den Unglauben des Volkes den Eindruck erhärtet, dass es dieser Volksmenge nicht 240 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="242"?> 513 Später auch nach Jesu eigenen Worten in Joh 8,12; 10,4.5.27. 514 Gegen S C H N E L L E (2016, 162), der hier die Entwicklung „vom Sehen des Wunders […] [zum] daraus entstehenden Glauben, allerdings in einem unzureichenden Sinn“ sehen will. 515 Vgl. B E N N E M A 2014,202; K E E N E R 2012, 665. so sehr um Jesus, sondern vielmehr um seine Zeichen und Wunder geht. Sie „folgen“ (ἀκολουθεῖν) Jesus zwar nach, was vom Sprachgebrauch des Erzählers her und aufgrund der Verwendungen des Wortes in Joh 1,37-38.40.43 bei den Lesern den Anschein echter Jüngerschaft erwecken könnte; 513 doch nach Jesu eigenen Aussagen glauben sie nicht an ihn und wollen ihn nur aufgrund seiner Zeichen zum König, Heiler und Stiller ihrer physischen Bedürfnisse machen. In diesem Bestreben werden sie als hartnäckig und aufdringlich dargestellt, wobei sich keine Entwicklung des Gruppencharakters erkennen lässt. 514 Während in der Erzählung das Murren der Juden und der Jünger erwähnt wird, bleibt eine Darstellung der schlussendlichen Reaktion der Volksmenge auf die Wunder Jesu aus. Die Volksmenge verschwindet fast unmerklich hinter den Juden von der Bildfläche und es bleibt den Lesern überlassen, Vermutungen anzustellen, wie das Volk letztendlich zu Jesus steht. Diese Überlegungen und Vermutungen lassen wie so oft bei den Lesern die Frage aufkommen, wie sie selbst zu Jesus stehen. Deutlich geht für sie Folgendes aus der Darstellung hervor: Entscheidend sind nicht so sehr die anfängliche Begeisterung für Jesus, die kurzzeitige Nachfolge Jesu und/ oder das Interesse an seinen Wundern, sondern vielmehr das Bleiben bei Jesus. 515 Im weiteren Verlauf der Erzählung begegnet den Lesern der Begriff ὄχλος nach Joh 6,24 das nächste Mal in Joh 7,12. Deutlich geht aus dem Kontext hervor, dass sich die hier geschilderten Ereignisse in Jerusalem zutragen und es sich somit um eine andere Volksmenge handeln muss. Nach dem Aufent‐ halt in Galiläa ist Jesus „nicht öffentlich, sondern heimlich“ ( Joh 7,10) nach Jerusalem hinaufgegangen. Neben der Ortsangabe und der Figur Jesu nennt der Erzähler hier die Juden ( Joh 7,11.13.15.35) und die „Volksmenge(n)“ ( Joh 7,12.20.31.32.40.43.49). Im Gegensatz zur homogen wirkenden Volksmenge im sechsten Kapitel wird in Joh 7,12ff. durchweg die Zerrissenheit des Volkes deutlich. Gleich eingangs wird durch die nur hier verwendete Pluralform „Volksmengen“ (ὄχλοι) und das erwähnte „(unwillige) Murren“ (γογγυσμός) der Volksmengen (ein Verhalten, das in Kapitel 6 den Juden und Jüngern zugeschrieben wird) der Zwiespalt im Volk betont und vom Erzähler in den folgenden Versen entfaltet. Grund für die Entzweiung des Volkes ist, dass „die einen sagten: Er ist gut; andere sagten: Nein, sondern er verführt die Volksmenge“ ( Joh 7,12b). Den Lesern wird deutlich, dass es in dieser Szene 9.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 241 <?page no="243"?> 516 Vgl. B E N N E M A 2014, 204. 517 Gegen B E U T L E R (2016, 349), der das Volk für „gewöhnlich neutral“ gegenüber Jesus hält. nicht die eine, einheitlich denkende Volksmenge gibt, sondern dass sich auch dieser Gruppencharakter aus einer Vielzahl von Individuen zusammensetzt, die sich je nach Interessen und Überzeugungen zu unterschiedlichen Gruppen zusammenschließen, dennoch aber alle unter der Bezeichnung „Volksmengen“ zusammengefasst werden. In Joh 7 sind es mindestens zwei Gruppierungen innerhalb des Volkes, die sich deutlicher als in Joh 6 von den Juden ( Joh 7,11-13), den religiösen Führern ( Joh 7,26) und dem Sanhedrin ( Joh 7,49) unterscheiden 516 und deren Meinungen über Jesus auseinandergehen. Während die Lehrtätigkeit Jesu in Joh 6,59 erst ganz am Ende der Szene er‐ wähnt wird, stellt der Erzähler sie in Joh 7,14 an den Anfang des Erzählabschnitts und markiert damit den Ausgangspunkt des darauffolgenden Streitgesprächs. Zunächst sind es in Joh 7,15 die Juden, die sich über Jesu Auftreten wundern, weil sie ihn für ungelehrt halten. In Joh 7,20 mischt sich „die Volksmenge“ (ὁ ὄχλος) ein und wirft Jesus scheinbar einmütig Besessenheit vor. Nach Jesu Reaktion auf diesen Vorwurf wird in der weiteren Erzählung erneut der Zwiespalt im Volk verdeutlicht. Ab Joh 7,25 berichtet der Erzähler von „einigen aus Jerusalem“ (τινες ἐκ τῶν Ἱεροσολυμιτῶν), die sich über die Identität und Messianität Jesu im Unklaren sind. Diesen „Jerusalemern“ stellt er ab Joh 7,31 „viele aus dem Volk“ (ἐκ τοῦ ὄχλου δὲ πολλοι) gegenüber, die aufgrund der Zeichen Jesu an ihn glauben und ihn für den Christus halten. Jesu öffentliches Auftreten am letzten Tag des Laubhüttenfestes und sein Aufruf zum Glauben an ihn vertiefen den Zwiespalt im Volk ( Joh 7,38). Die Diskrepanz bezüglich der Auffassungen des Volkes über Jesus wird in den letzten Versen erneut dargestellt (vgl. Joh 7,40-41) und abschließend vom Erzähler in Vers 43 explizit als „Zwiespalt“ (σχίσμα) im Volk bezeichnet. Versucht man zusammenfassend, die bis hierher in den Kapiteln 6 und 7 erzählten Volksmengen zu charakterisieren, so ist dies aufgrund der Ge‐ spaltenheit der Volksmenge und der Tatsache, dass es sich um verschiedene Gruppencharaktere handelt, kaum möglich. Die zu Beginn von Kapitel 7 ver‐ wendete Pluralform „Volksmengen“ ist charakteristisch für die Zerrissenheit des gesamten jüdischen Volkes. Einige halten Jesus für einen guten Menschen, andere glauben an ihn und halten ihn für den Christus oder zumindest für einen Propheten, wieder andere sind sich über seine Identität im Unklaren oder können angesichts ihres alttestamentlichen Halbwissens Jesu Herkunft nicht mit den ihm zugewiesenen Titeln vereinbaren. Ein weiterer Teil des Volkes tritt Jesus sogar feindselig gegenüber. 517 Mit ihrem Murren und dem Vorwurf, dass 242 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="244"?> 518 B E N N E M A 2014, 205. 519 Joh 12,9.12.17.18.29.34. Jesus besessen sei, stellen sich manche aus der Volksmenge auf die Seite der Juden, die in gleicher Weise über Jesus murren (vgl. Joh 6,41; 7,12.32) und ihn für besessen halten (vgl. Joh 7,20; 8,48.52). Ergänzend lässt sich zur Darstellung der Volksmengen in den genannten Ka‐ piteln sagen, dass durch die erzählte Spaltung innerhalb der unterschiedlichen Volksmengen in Bezug auf die Identität Jesu eines der zentralsten Themen des JohEv angeschnitten wird. Schon im Prolog wies der Erzähler programmatisch darauf hin, dass die Reaktionen auf Jesus unterschiedlich sein würden. Die einen würden Jesus annehmen und an ihn glauben, während die anderen ihn ablehnen würden (vgl. Joh 1,11-12; 3,18.36). Diese Tatsache wird u. a. anhand der Volksmengen verdeutlicht und wird zum Bild für die gesamte Menschheit. „The crowd seems a microcosm of humanity, and the reactions and divisions in the crowd represent the responses of acceptance and rejection that humankind can make […]“ 518 Durch diese Darstellung werden auch die Leser einmal mehr vor die Entscheidung gestellt, auf welche Seite sie sich stellen - auf die Seite derer, die an Jesus glauben, oder die Seite derer, die ihn ablehnen. Nach der kurzen Betrachtung der Volksmengen in den Kapiteln 6 und 7 wird im Folgenden die für diese Arbeit relevante Volksmenge in Kapitel 12 untersucht, da in diesem Zusammenhang explizit vom Zeugnisgeben für Jesus und seine Taten die Rede ist. 9.1.2 Die Volksmenge in Johannes 12 Nach den beiden vorausgegangenen Darstellungen der Volksmenge in Joh 6 und Joh 7 treffen die Leser mit einer vorgeprägten Vorstellung von „der Volksmenge“ - auch wenn es sich um andere Volksmengen handelte - in Joh 12 auf weitere Szenen, in denen der Begriff ὄχλος mehrfach verwendet wird. 519 In einer ersten Szene ( Joh 12,1-11) wird eine „große Volksmenge“ erstmals in Vers 9 erwähnt und narratorial als eindeutig jüdisch identifiziert (ὄχλος πολὺς ἐκ τῶν Ἰουδαίων). Diese erstgenannte jüdische Volksmenge ist zu Jesus nach Bethanien gezogen, um Jesus und Lazarus zu sehen. Der gerafften Darstellung lässt sich nur wenig entnehmen, um diesen Gruppencharakter genauer zu charakterisieren. Aus der Angabe, dass die Volksmenge „nicht allein um Jesu willen“ gekommen ist, „sondern auch, um Lazarus zu sehen“, lässt sich aber erkennen, dass diese Volksmenge, ähnlich wie die Volksmenge in Joh 6, von 9.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 243 <?page no="245"?> 520 Auch B E U T L E R (2016, 349) hält das „Sensationsbedürfnis“ für eine Motivation für das Kommen der Volksmenge. 521 Bezüglich der Übersetzung von ὑπάγειν mit „weggehen“, „hingehen“ oder „fortgehen“ vgl. B A U E R 1988, 1667. B A R R E T T (1978, 415) sieht schon im Begriff ὑπάγειν eine Abkehr der Juden von ihrem bisherigen Lebensweg: „ὑπάγειν is a common word in John. Here it means that many Jews left their former Jewish allegiance and way of life to become disciples“. Ebenso M O R R I S (1995, 517): „It [the verb ὑπῆγον] seems to be used with the meaning ‚depart from oneʼs allegiance‘ (i.e., to the chief priests)“. 522 Vgl. die fast gleiche Wortwahl in Joh 11,45: Πολλοὶ οὖν ἐκ τῶν Ἰουδαίων […] ἐπίστευσαν εἰς αὐτόν· und in Joh 12,11: ὅτι πολλοὶ δι᾽ αὐτὸν ὑπῆγον τῶν Ἰουδαίων καὶ ἐπίστευον εἰς τὸν Ἰησοῦν. 523 B E U T L E R (2016, 350). Neugier und Schaulust getrieben zu Jesus eilt. 520 Sie haben von dem Wunder erfahren, das Jesus getan hatte. Nun wollen sie sich selbst von der Wirklichkeit der Totenauferweckung überzeugen. Die Begegnung mit Jesus und Lazarus führt dazu, dass viele der Juden um Jesu willen „weggehen“ (ὑπάγειν) 521 und an Jesus glauben ( Joh 12,11). Die anfängliche Neugier und das Interesse, den auferstandenen Lazarus zu sehen, weichen dem Glauben an Jesus. Im Gegensatz zur statischen Volksmenge des sechsten Kapitels lässt sich bei einem Teil der hier in Joh 12 erzählten Volksmenge eine geringfügige Entwicklung erkennen, sodass diese Gruppe als bedingt dynamische, nicht komplexe Figur eingestuft werden kann. Mit einem die Szene abschließenden kontrastreichen Satz über die Feindseligkeit der Hohepriester und den Glauben vieler Juden greift der Erzähler die bereits in Joh 11,45 getroffene Aussage über den Glauben vieler Juden erneut auf 522 und „schließt auch diese[n] Abschnitt wie alle vorherigen mit der doppelten Stellungnahme gegenüber Jesus“. 523 Die folgende Szene ( Joh 12,12-19) ist zwar aufgrund der Zeitangabe mit der vorhergehenden verbunden, durch den Ortswechsel und das Auftreten neuer Figuren entsteht aber ein völlig neues Szenario. Der Erzähler berichtet nun über gewisse Ereignisse in Jerusalem und führt dabei zwei weitere Volksmengen in die Erzählung ein. Durch die Verwendung des für diese Arbeit relevanten Begriffs μαρτυρεῖν in Joh 12,17 zeichnet er die eine der beiden Volksmengen als Zeugnisempfänger, die andere als Zeugnisgeber aus. Beide Gruppencharaktere sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. 9.1.3 Zeugnisempfänger: die Volksmenge Gleich zu Beginn der Szene wird die erstgenannte Volksmenge narratorial als „die große Volksmenge“ (ὁ ὄχλος πολύς) bezeichnet, „die zum Fest gekommen war“ ( Joh 12,12). Aus der vorausgehenden Szene ist ersichtlich, dass es sich 244 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="246"?> 524 Die gängige Praxis, dass viele Juden zum Passah nach Jerusalem reisten, bestätigt auch Josephus, wenn er schreibt, dass „eine ungeheure Volksmasse vom Lande zur Festfeier nach Jerusalem herein[kam] […]“ (Bell II, 10). In Bell II, 280 berichtet er sogar von „nicht weniger als 3 Millionen“, die sich z.Z. Cestius Gallus zum Passah in Jerusalem aufhielten. 525 Dies ergibt sich aus dem Zuruf „ὡσαννά“, hebr. „ ה ָ עי ִ שׁוֹה א ָ נ “ (hilf/ rette doch). 526 Dies passt zur Feststellung von F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R (2016, 205), dass Nebenfiguren „nicht selten stereotype Züge“ besitzen. 527 B E N N E M A 2014, 208. 528 D I E T Z F E L B I N G E R (2001a, 145) charakterisiert sie als „neugierig, zweifelnd, diskutierend, glaubend (7,31.40), […] weitere Wunder erhoffend“. bei dem hier erwähnten Fest um das Passahfest handeln muss (vgl. Joh 12,1). Woher die einzelnen Mitglieder der genannten Volksmenge kommen, wird vom Erzähler nicht näher ausgeführt. Den intendierten Lesern dürfte jedoch bekannt sein, dass es sich um Menschen aus dem ganzen Land handelt, die bereits vor dem Passah angereist sind, um sich zu reinigen (vgl. Joh 11,55). 524 Im Verlauf der Erzählung wird deutlich, dass diese erstgenannte Volksmenge die Hauptfigur der Szene ist. Durch das zweimalig erwähnte „Hören“ (ἀκούειν; Joh 12,12.18) wird überdies hervorgehoben, dass es sich bei dieser Gruppe um die Empfänger des Zeugnisses handelt. Sie hören nicht nur, dass Jesus nach Jerusalem kommt, sondern sie hören auch das Zeugnis von dem Zeichen, das Jesus getan hat. Dieses Hören von dem Zeichen Jesu wird im Folgenden vom Erzähler als Grund für das Hinausziehen, Jesus entgegen, genannt ( Joh 12,18). Zugleich zieht der Erzähler mit diesem Hinweis auf den Grund für das Hinausziehen der Volksmenge eine erste Parallele zu den Volksmengen aus den vorhergehenden Szenen. Beide Volksgruppen ziehen Jesus entgegen oder nach, weil sie seine Taten gesehen ( Joh 6,2) oder von ihnen gehört haben ( Joh 12,9). Darüber hinaus lässt sich auch im Enthusiasmus der hier genannten Volksmenge eine Ähnlichkeit zu den anderen Volksmengen vorheriger Szenen erkennen. Die Volksmengen sind allesamt begeistert von Jesu Taten, was zweimal dazu führt, dass sie ihn zum König machen wollen - beim ersten Mal zum „Brotkönig“ ( Joh 6), beim zweiten Mal zum „König der Juden“, der helfen und retten soll ( Joh 12,13). 525 Durch die Parallelen und Übereinstimmungen zwischen den verschiedenen Volksmengen ergibt sich ein fast stereotypes Bild des ὄχλος. 526 „Even though ‚the crowd‘ occurs in different geographical locations […] and has different referents […] in each instance it shows similar behavior.“ 527 Insgesamt und durchweg zeichnet sich die Volksmenge in der Erzählung durch Begeisterung, Neugier, Sensations- oder Schaulust aus, die sie zu Jesus treibt. 528 Ähnlichkeiten zeigen 9.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 245 <?page no="247"?> 529 Diese Unklarheit mag auch der Grund für die Textvarianten sein. Einige Textvarianten (P 66 D K L 579 al it vg mss sy p co) verwenden statt ὅτε ὅτι. Dadurch würde der Inhalt des μαρτυρεῖν näher bestimmt werden, wie dies in vielen Fällen im JohEv durch ὅτι und vor allem durch περί geschieht. (Vgl. μαρτυρεῖν mit περί: Joh 1,7.8.15; 2,25; 5,31.32 (2x).36.37.39; 7,7: 8,13.14.18 (2x); 10,25; 15,26; 18,23; 21,24; μαρτυρεῖν mit ὅτι: Joh 1,32.34; 3,28; 4,39.44; 15,27; ohne περί und ὅτι: Joh 3,11.26.32; 5,33; 12,17; 13,21; 18,37; 19,35). Der Text würde somit in folgende Richtung deuten: „Die Volksmenge, die bei ihm war, bezeugte nun, dass (ὅτι) er Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn aus den Toten auferweckt hatte.“ (In dieser Weise übersetzt die Elberfelder Bibel 2003 und 2006.) Diese Textvariante würde dann eher auf das Volk hinweisen, das mit ihm aus Bethanien zurückkehrt. In diese Richtung deuten W E S T C O T T 1958, 179 und S C H E N K E 2014, 201. 530 Vgl. Joh 12,17 in N E S T L E -A L A N D 2 8 . 531 In dieser Weise übersetzen die meisten deutschen Bibelübersetzungen (vgl. Luther 2017, Schlachter 2000, Menge Bibel, Neues Leben Übersetzung, Einheitsübersetzung 2016). sich darüber hinaus auch darin, dass ein Teil zum Glauben an Jesus kommt, während ein anderer Teil der Volksmenge im Unglauben verharrt. 9.2 Zeugnisgeber: die Volksmenge Wendet man sich nach dieser Betrachtung der Zeugnisempfänger den Zeug‐ nisgebern zu, so tauchen diese erst gegen Ende der Szene in Joh 12,17 auf. Durch eine angeführte nähere Bestimmung der Volksmenge unterscheidet der Erzähler diese Volksmenge deutlich von der erstgenannten Volksmenge der Zeugnisempfänger. Die erste Gruppe (die Zeugnisempfänger) ist „die große Volksmenge, die zum Fest gekommen war“ (ὁ ὄχλος πολὺς ὁ ἐλθὼν εἰς τὴν ἑορτήν; Joh 12,12), die zweite Gruppe (die Zeugnisgeber) ist „die Volksmenge, die mit Jesus war/ ist“ (ὁ ὄχλος ὁ ὢν μετ᾽ αὐτοῦ; Joh 12,17). Bei dieser näheren Bestimmung der zweiten Volksmenge ist nicht sofort ersichtlich, von welcher Gruppe der Erzähler spricht - ob von derjenigen, die in der vorausgehenden Szene in Joh 12,1-11 erwähnt wird, oder aber von der Volksmenge, die bei Jesus war, als er Lazarus von den Toten auferweckt hatte (vgl. Joh 11,42.45). 529 Den Lesern legt sich zunächst nahe, an die im unmittelbaren Kontext genannte Volksmenge zu denken, die Jesus in Bethanien aufgesucht hat und nun gemeinsam mit ihm von dort nach Jerusalem zurückkehrt. Das im Text 530 verwendete ὅτε legt dagegen aber nahe, dass es sich bei der genannten Gruppe um diejenigen handelt, „die bei Jesus waren als [ὅτε] er Lazarus aus dem Grab rief und ihn von den Toten auferweckt hatte“. 531 „Wenn die Lesart ὅτε ursprünglich ist, erinnert der Evangelist an die Volksmenge von 11,42, die bei 246 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="248"?> 532 S C H N A C K E N B U R G 1980, 473; B E U T L E R 2016, 355; M O R R I S 1995, 522; vgl. C A R S O N 1991, 435. Für S C H N A C K E N B U R G (1980, 473) ist diese Lesart „auch deshalb wahrscheinlicher, weil ausdrücklich auf den Vorgang der Auferweckung (‚aus dem Grab herausrufen‘) angespielt wird, die nur die damals Anwesenden bezeugen können“. 533 Das Dorf Bethanien, das „nahe bei Jerusalem, etwa fünfzehn Stadien [ca. 2,7 km] weit“ entfernt lag ( Joh 11,18). 534 S C H N E L L E 2016, 250. der Auferweckung des Lazarus anwesend war.“ 532 Dass diese Volksmenge nicht durchgängig bei Jesus blieb, bis er nach Jerusalem kam, geht daraus hervor, dass Jesus nach der Auferweckung des Lazarus allein mit seinen Jüngern in eine Stadt namens Ephraim ging (vgl. Joh 11,54). Die Volksmenge hingegen dürfte kurze Zeit nach der Wundertat direkt nach Jerusalem zurückgekehrt sein. Es lässt sich also festhalten, dass die Volksmenge, die in Joh 12,17 als Zeuge für Jesus und seine Taten auftritt, dieselbe ist, die bei der Auferweckung des Lazarus anwesend war. Nach Jesu Wundertat dürfte diese Gruppe nach Jerusalem zurückgekehrt sein, mit dem Wissen, dass Jesus später zum Fest kommen würde. In Jerusalem legen sie vor einer anderen Volksmenge, die (ebenfalls) zum Fest gekommen war, Zeugnis über die Taten Jesu ab. Wenn es sich in Joh 11,42 und Joh 12,17 also um dieselbe Gruppe handelt, müssen zur näheren Charakterisierung dieser Zeugnisgeber beide Stellen be‐ trachtet werden. Bei der in Joh 11 geschilderten Auferweckung des Lazarus nennt der Erzähler neben den Hauptfiguren (Maria, Martha und Jesus) den Ort des Geschehens 533 und ab Vers 19 als Nebenfigur die Juden (οἱ Ἰουδαῖοι). Diese numerisch nicht näher bestimmte Gruppe ist „zu Martha und Maria gekommen, um sie über ihren Bruder zu trösten“ ( Joh 11,19.31). Dass diese jüdische Trau‐ ergesellschaft gekommen ist, setzt einen gewissen Bekanntheitsgrad zwischen ihnen und den Geschwistern voraus. Dieselbe Gruppe folgt Maria, als diese Jesus entgegengeht, und weint mit ihr, als sie Jesus vom Tod ihres Bruders berichtet ( Joh 11,31.33). In diesem Zusammenhang lässt der Erzähler die Gruppe selbst zu Wort kommen und verdeutlicht darin die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Jesus. Die einen sehen die Liebe, die Jesus zu Lazarus gehabt haben muss, die anderen äußern sich eher vorwurfsvoll und stellen seine Vollmacht infrage. „Der Rückgriff auf die Blindenheilung im Mund der Juden muss als Zweifel an der Wundermacht Jesu aufgefasst werden.“ 534 Mit der Ankunft am Grab nähert sich der Erzählabschnitt seinem Höhepunkt. Obgleich nicht ausdrücklich erwähnt, so ist doch davon auszugehen, dass die zuvor genannte jüdische Trauergesellschaft Jesus und Martha zum Grab folgt und dort impliziert auftritt, wenn der Erzähler berichtet, dass „sie nun den Stein wegnahmen“ (ἦραν οὖν τὸν λίθον; Joh 11,41). Im darauffolgenden zitierten 9.2 Zeugnisgeber: die Volksmenge 247 <?page no="249"?> 535 τῶν Ἰουδαίων ἐληλύθεισαν πρὸς τὴν Μάρθαν καὶ Μαριάμ ( Joh 11,19); τῶν Ἰουδαίων οἱ ἐλθόντες πρὸς τὴν Μαριάμ ( Joh 11,45). Gebet Jesu findet sich dann erstmals in diesem Abschnitt der Begriff ὄχλος ( Joh 11,42). Umfassend schließt Jesus in diese Bezeichnung alle mit ein, die sich beim Grab aufhalten. Weil in der Erzählung außer der jüdischen Trauergesellschaft keine andere Personengruppe genannt wird, die mit zum Grab gekommen ist oder sich dort bereits aufgehalten haben könnte, und weil der Erzähler am Ende der Szene in Joh 11,45 mit an Vers 19 angelehnter Wortwahl festhält, dass „viele nun von den Juden, die zu Maria gekommen waren und sahen, was er getan hatte, an ihn glaubten“ 535 , können die Leser davon ausgehen, dass sich die im Gebet Jesu verwendete Bezeichnung ὄχλος auf die mitgekommenen und mittrauernden Juden bezieht. Aus der Figurencharakterisierung in Joh 11 ergibt sich somit den implizierten Rezipienten folgendes Bild dieser Volksmenge: Obwohl es sich um eine andere Volksmenge als in Joh 6 und Joh 7 handelt, wird auch hier vom Erzähler wieder ein Bild eines zwiegespaltenen Gruppencharakters gezeichnet, der Jesus zunächst zum Teil argwöhnisch gegenübersteht, aus dem dann aber doch „viele“ (πολλοί) durch das Sehen der vollbrachten Wundertat zum Glauben an Jesus finden. Für diejenigen, die zum Glauben an Jesus kommen, wird der Glaube dann in Joh 12,17 zur Motivation, Zeugnis für Jesus abzulegen. Der Darstellung in Joh 12,17, in der der Erzähler für die Zeugen erneut den Begriff ὄχλος verwendet, lassen sich nur wenig zusätzliche Informationen entnehmen, um die zeugnisgebende Volksmenge eingehender zu charakteri‐ sieren. Gesagt wird nur, dass es sich um dieselbe Gruppe handelt, die dabei war und erlebt hat, wie Jesus Lazarus „aus dem Grab gerufen und von den Toten auferweckt hatte“ ( Joh 12,17). Wie in der Zeugnisszene in Joh 4 werden somit auch in diesem Abschnitt diejenigen zu Zeugen Jesu, die kurz zuvor noch zweifelten und sich über die Identität Jesu im Unklaren waren. Durch die Begegnung mit Jesus und seiner Wundermacht finden sie zum Glauben an ihn und werden daraufhin werbende und einladende Zeugen für ihn. Abschließend lässt sich sagen, dass die zeugnisgebende Volksmenge, obwohl sie viele Ähnlichkeiten mit anderen erzählten Volksmengen aufweist, in einem Punkt merklich von diesen abweicht. Der deutlichste Gegensatz zu anderen Volksmengen besteht darin, dass die zeugnisgebende Volksmenge nicht des‐ wegen zu Jesus gekommen ist, weil sie von seinen Zeichen und Wundern gehört hat und diese nun selbst sehen und erleben will, sondern weil sie zufällig im Rahmen der Trauerfeier mit Jesus in Kontakt kommt und dabei Zeuge der Auferweckung des Lazarus wird. Dadurch, dass die Gruppe der trauernden 248 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="250"?> 536 Vgl. 2,23; 4,39.41; 7,31; 8,30; 10,42; 11,45; 12,11.42. 537 Aus mehreren Stellen des JohEv ist selbst für den unkundigen Rezipienten erkennbar, dass das Passahfest in Jerusalem gefeiert wird ( Joh 2,23; 6,4; 11,55−56; 13,1). 538 Gegen S C H E N K E (2014, 201), der beobachtet: „Sie [die vielen von 11,55] begleiten Jesus auf seinem Weg nach Jerusalem und bezeugen dabei das Wunder der Totenerweckung (12,17), während die in Jerusalem verbliebenen ihnen entgegen ziehen (12,13) und die Bezeugung des Zeichens hören (12,18)“. Maria folgt, gelangt sie zu Jesus und erlebt seine Wundermacht hautnah mit. Dies überzeugt jedoch nicht alle Anwesenden von Jesu Macht und Besonderheit und es kommt zu einer Spaltung der Gruppe. Diese Darstellung sorgt dafür, dass den Lesern einmal mehr eine zwiegespaltene Volksmenge präsentiert wird. Dennoch hebt der Erzähler wie an anderen Stellen hervor, dass „viele“ zum Glauben an Jesus kommen. 536 Gerade die Gruppe derer, deren Glaube durch die Beobachtung der Wundertat geweckt worden ist, wird nach der Rückkehr nach Jerusalem zum Zeugen für Jesus. 9.3 Die Umstände des Zeugnisgebens Zu den näheren Umständen des Zeugnisgebens wird in der Szene Joh 12,12-19 nicht viel erzählt. Der Raum, in dem das Zeugnis abgelegt wird, ist Jerusalem. Dies ergibt sich aus folgenden Beobachtungen: Die zeugnisempfangende Volks‐ menge ist bereits „zum Fest gekommen“. Traditionell, so dürfte den intendierten Rezipienten bekannt sein, wird „das Fest“ (aus dem Kontext geht hervor, dass es sich um das Passahfest handelt) in Jerusalem gefeiert. 537 Dies wird durch die Angabe bestätigt, dass auch Jesus nach Jerusalem kommen will ( Joh 12,12b). Jerusalem ist der Ort, an dem die Volksmenge, die Zeuge der Auferweckung des Lazarus geworden war, der Volksmenge, die zum Fest gekommen ist, Zeugnis über Jesus und seine Wundertat gibt. Dass das Zeugnis nicht nahe bei oder vor Jerusalem abgelegt wird, geht daraus hervor, dass die Volksmenge gerade wegen des empfangenen Zeugnisses aus der Stadt hinauszieht. Ohne das empfangene Zeugnis in der Stadt hätten die Festbesucher keinen Anlass gehabt, aus der Stadt hinaus- und Jesus entgegenzugehen. 538 Was den erzählten Zeitpunkt des Zeugnisakts betrifft, so nennt der Erzähler in der vorausgehenden Szene ( Joh 12,1-11) als Zeitangabe „sechs Tage vor dem Passah“ (πρὸ ἓξ ἡμερῶν τοῦ πάσχα). Zu jener Zeit ist Jesus nach einem Aufenthalt in Ephraim ( Joh 11,54) wieder in Bethanien, „wo Lazarus war“ (ὅπου ἦν Λάζαρος; Joh 12,1). Die Volksmenge, die zuvor bei der Auferweckung des Lazarus anwesend war, wird nicht mehr erwähnt und scheint nach Jerusalem 9.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 249 <?page no="251"?> 539 So auch B E U T L E R 2016, 353. zurückgekehrt zu sein, um sich auf das Passahfest vorzubereiten. Hier, irgend‐ wann nach ihrer Rückkehr und noch vor dem Passahfest, bezeugen sie den anderen angereisten Festbesuchern, dass Jesus nach Jerusalem kommen wird und dass er Lazarus von den Toten auferweckt hat ( Joh 12,17). Die eigentliche Zeugnisszene ( Joh 12,12-19) beginnt mit der bereits mehrfach und hier zum letzten Mal verwendeten Überleitung „am nächsten Tag“ (τῇ ἐπαύριον; vgl. Joh 1,29.35.43; 6,22). Wenn sich die beiden vorausgehenden Szenen an einem Tag abspielen, dann würde sich diese Szene fünf Tage vor dem Passah zutragen (vgl. die Zeitangabe in Joh 12,1). Dies lässt sich dem Text aber nicht eindeutig entnehmen. Sicher ist jedoch, dass sich der Zeugnisakt vor dem Passahfest ereignet, denn zum einen ist die große Volksmenge bereits zum Fest angereist ( Joh 12,12) 539 , was laut Joh 11,55 immer schon einige Zeit vor dem Passahfest geschieht, um sich vor der Feier zu reinigen (vgl. 2Chr 30,17), zum anderen ist Jesus mit seinen Jünger noch nicht in Jerusalem eingetroffen, obwohl der Erzähler in Joh 2,13 vermuten lässt, dass auch Jesus die Gewohnheit hat, vor dem Fest anzureisen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich der Zeugnisakt irgendwann nach der Rückkehr der zeugnisgebenden Volksmenge von Bethanien und vor dem Passahfest und dem Eintreffen Jesu zum Passahfest abspielt. Wie der Zeugnisakt genau abläuft, bleibt den Lesern verborgen. Sie können sich aber ausmalen, dass es sich bei diesem Zeugnisakt um ein natürlich-spon‐ tanes Gruppengespräch handelt, das öffentlich geführt wird. Anlass für das zeugnishafte Gespräch ist die Wundertat Jesu in Bethanien. Im Gegensatz zu anderen Zeugnisakten (z. B. in Joh 4) ist hier von einer narrativen Handlungs‐ dimension auszugehen, keiner direktiven, da nichts in der Figurenrede Anwei‐ sungs- oder Hinweischarakter aufweist, wodurch Folgehandlungen bewirkt oder vorbereitet werden sollen. Was den Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner angeht, so kann davon ausgegangen werden, dass sich die Teilnehmer der beiden Volksmengen nur flüchtig kennen oder sich unbekannt sind, mit Ausnahme einiger weniger, die untereinander bekannt oder gut bekannt sein dürften. Dass es sich auch hier wieder um kein vorbereitetes Gespräch handelt, ergibt sich aus der Außergewöhnlichkeit der Situation. Die erzählte zeugnisgebende Volksmenge, die bei der Auferweckung des Lazarus anwesend war, war von dem Ereignis zutiefst beeindruckt, weil sie so etwas noch nie erlebt hatte. Beeindruckt und überwältigt von diesem Zeichen kehrt diese Volksmenge nach Jerusalem zurück und berichtet hier offensichtlich spontan von den Ereignissen, ohne das Zeugnis vorbereitet zu haben. Das Wissen über Jesus und seine Macht, 250 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="252"?> 540 P 66 D K L 579 al it vg mss sy p co. das ihnen aufgrund ihrer Anwesenheit bei der Auferweckung des Lazarus zuteilwurde, sorgt dafür, dass das soziale Verhältnis der Gesprächspartner als asymmetrisch eingestuft werden muss. Zwar besteht zwischen den beiden Volksmengen äußerlich gesehen eine Gleichheit, durch das erlangte Wissen, die neue Erkenntnis über Jesus und die damit verbundene Aufgabe, als Zeugen für Jesus aufzutreten, ist das Verhältnis in diesem Zeugnisgespräch aber eindeutig asymmetrisch, weil die zeugnisgebende der zeugnisempfangenden Volksmenge wissensmäßig überlegen ist. Der genaue Inhalt des Zeugnisses wird vom Erzähler nur indirekt wieder‐ gegeben. Wie oben dargestellt, wird durch das in Joh 12,17 verwendete ὅτε nur die zeugnisgebende Volksmenge näher bestimmt, und zwar als diejenigen, die bei Jesus waren, als (ὅτε) er Lazarus von den Toten auferweckte. Würde, wie in manchen Textvarianten 540 , im Haupttext statt des ὅτε ein ὅτι stehen, so wäre der Inhalt des μαρτυρεῖν genauer bestimmt. Da dies aber nicht der Fall ist, überlässt der Erzähler es den Lesern, in der näheren Bestimmung der Zeugnisgeber zugleich auch den Inhalt des Zeugnisses zu vermuten. Diese Vermutung bestätigt der Erzähler im nachfolgenden Satz. In der transportierten Figurenrede in Joh 12,18 nennt er nicht nur den Grund für das Hinausziehen der Volksmenge, sondern zugleich auch den Inhalt des Zeugnisses: Die Volksmenge „hörte, dass Jesus dieses Zeichen getan hatte“. Das hier genannte „Hören“ setzt ein Reden bzw. ein Bezeugen voraus. Als Inhalt des Gehörten wird „dieses Zeichen“ (τοῦτο … τὸ σημεῖον) genannt, was auf die in der näheren Bestimmung der Zeugnisgeber angeführte Auferweckung des Lazarus hindeutet und zugleich mit μαρτυρεῖν in Verbindung gesetzt werden muss. Dem Zusammenhang zwischen Joh 12,17 und 18 lässt sich also entnehmen, dass der Inhalt des Zeugnisses der Bericht über den Ablauf und die Tatsache der Auferweckung des Lazarus von den Toten sowie die Wunderkraft Jesu ist. Die Volksmenge, die bei der Auferweckung dabei war, bezeugt der Volksmenge, die zum Fest gekommen ist, von dem Zeichen, das Jesus getan hatte, nämlich dass „er Lazarus aus dem Grab gerufen und ihn von den Toten auferweckt hatte“ ( Joh 12,17). Stellt man sich am Ende die Frage, warum und wozu das Zeugnis abgelegt wird, dann liegt der Grund für das Zeugnisgeben vermutlich im Miterleben der Totenauferweckung, in der Verwunderung über die Wunderkraft Jesu und im Glauben, zu dem zumindest ein Teil der Volksmenge aufgrund des Zeichens gefunden hat (vgl. Joh 11,45). Aufgrund der fehlenden direktiven Handlungsdimension lässt sich dem Erzählabschnitt nicht exakt entnehmen, wozu das Zeugnis bei der zeugnisempfangenden Volksmenge dienen soll. 9.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 251 <?page no="253"?> 541 Obwohl von der „Volksmenge“ scheinbar niemand an Jesus glaubt, wird in Joh 12,42 berichtet, dass viele von den Oberen an ihn glauben. Aus dem Lektüreprozess und den bisherigen Zeugnisszenen können die Leser aber annehmen, dass auch das hier abgelegte Zeugnis einen „Kommt und seht“-Charakter aufweisen dürfte und die Zeugnisempfänger zur Begegnung mit Jesus und zum Glauben an ihn führen will. Was sich an dieser Stelle darüber hinaus erkennen lässt, ist die Tatsache, dass die intendierten Leser, trotz aller Unklarheiten und der Vermutungen, die sie anstellen müssen, um die Leerstellen der Erzählung zu füllen, durch die Nennung des Zeugnisses über die Wunderkraft (Zeichen) Jesu einmal mehr mit der Besonderheit Jesu konfrontiert und dadurch selbst vor die Entscheidung gestellt werden, dem Zeugnis und den Zeichen zu glauben oder nicht. Durch diese Konfrontation der Leser mit den Zeichen Jesu und dem Zeugnis für Jesus versucht der Erzähler, sein übergeordnetes Ziel zu erreichen, welches er später in Joh 20,30-32 eindeutig formuliert: „Diese [Zeichen] aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen.“ 9.4 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Obgleich die Figurenrede keine klare Anweisung für die Zeugnisempfänger enthält, schildert der Erzähler doch die Folgen und Auswirkungen, die das Zeugnis hervorbringt. Durch das in Joh 12,18 verwendete „deshalb“ (διὰ τοῦτο) und das begründende „weil“ (ὅτι) wird die Reaktion der Zeugnisempfänger auf das Zeugnis erläutert: Sie ziehen Jesus deshalb entgegen, weil sie von seinem Zeichen gehört haben. Der Art und Weise, wie sie zu Jesus hinausziehen (vgl. Joh 12,12-13), lässt sich entnehmen, dass die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses eine gesteigerte Euphorie und Sensationslust sind, wie es in vielen anderen Stellen, in denen Volksmengen charakterisiert werden, dargestellt ist. Den Lesern mag diese Begeisterung positiv und beispielhaft erscheinen. Doch im weiteren Verlauf offenbart der Erzähler, dass die anfängliche Euphorie nicht zugleich auch echten Glauben und ein Bleiben bei Jesus zur Folge hat. Ganz im Gegenteil berichtet er sehr ernüchternd: „Obwohl er [ Jesus] aber so viele Zeichen vor ihnen getan hatte, glaubten sie nicht an ihn“ ( Joh 12,37). 541 Mit dieser Aussage erinnert der Erzähler an die große Kluft zwischen Glauben und Nichtglauben, die sich durch das ganze JohEv zieht (vgl. Joh 3,18.36). So oft, wie von den vielen die Rede ist, die an Jesus glauben, erwähnt er auch diejenigen, 252 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="254"?> 542 Das „nicht glauben“ bezeugt der Erzähler selbst (9,18; 12,37.39), zumeist aber durch den Mund Jesu ( Joh 4,48; 5,38; 6,36.64; 8,45.46; 10,25.26.37; 16,9). Dass „viele glauben“ findet sich in Joh 2,23; 4,39.41; 7,31; 8,30; 10,42; 11,45; 12,11.42. 543 Auch bei „den Werken“ und „den Schriften“ handelt es sich letztlich um einen Grup‐ pencharakter, jedoch aber in einem recht abstrakten Sinn. die „nicht glauben“ (οὐ/ οὐκ πιστεύω). 542 Und jedes Mal sind dadurch zugleich die Leser herausgefordert, sich selbst zu positionieren. 9.5 Zusammenfassung und Beurteilung Die untersuchte Szene aus Joh 12,12-19 unterscheidet sich von den bisherigen Zeugnisszenen insofern, als in ihr erstmals ein menschlicher Gruppencha‐ rakter 543 , nämlich eine „Volksmenge“, als Zeuge für Jesus angeführt wird. Bevor die Leser an diese Szene gelangen, in der eine Volksmenge als Zeuge für Jesus auftritt, ist ihre Vorstellung von dem hinter dem Begriff ὄχλος steckenden Gruppencharakter bereits durch die Darstellungen anderer Volksmengen in vorausgegangenen Szenen vorgeprägt. Unter ὄχλος verstehen sie eine Gruppe von Menschen, die an verschiedenen Orten, vor allem im Zusammenhang mit den Wundern und Taten Jesu, auftaucht. Die erzählten Gruppen zeichnen sich zumeist durch große Euphorie aus, was das Wunderwirken Jesu betrifft. Getrieben von Begeisterung und Schaulust sucht der ὄχλος Jesus auf und folgt ihm nach. Dabei wird dieser Gruppencharakter, was seine Einstellung Jesus gegenüber betrifft, teilweise als sehr homogen dargestellt, teilweise schildert der Erzähler aber auch die Zerrissenheit, die innerhalb der Gruppe bezüglich Jesus herrscht. Von großer Anerkennung und Annahme Jesu als des Christus oder eines Propheten bis hin zur kategorischen Ablehnung und Anfeindung findet sich in der Volksmenge alles. Auch hinsichtlich der gläubigen Annahme Jesu erkennen die Leser, dass es neben den Vielen, die an Jesus glauben, immer auch viele gibt, die nicht glauben. Deutlich geht aus vielen Kontexten, in denen eine Volksmenge erwähnt wird, hervor, dass eine anfängliche Begeisterung nicht immer echten Glauben und Nachfolge zur Folge hat. Mit dieser aus dem Lektüreprozess gewonnenen Vorstellung treffen die Leser in Kapitel 12 auf zwei weitere Volksmengen, die vom Erzähler deutlich voneinander unterschieden werden. Die erste Volksmenge besteht offenkundig aus Personen der umliegenden Bevölkerung, die zum Passahfest nach Jerusalem gekommen sind. Bei der zweiten Volksgruppe, die erst in Vers 17 erwähnt wird, handelt es sich um eine Gruppe von Juden, die an der Trauer der Schwestern des Lazarus teilgenommen hat, dadurch mit Jesus und seiner Wundermacht 9.5 Zusammenfassung und Beurteilung 253 <?page no="255"?> in Berührung gekommen und Augenzeuge der Auferweckung des Lazarus geworden ist. Nach ihrer Rückkehr von Bethanien nach Jerusalem bezeugt diese Volksmenge vor der erstgenannten Volksmenge das Zeichen der Auferweckung, woraufhin diese Jesus entgegenzieht. Auffällig ist in dieser Szene, dass hier die Zeugnisgeber noch stärker als die Zeugen anderer Szenen hinter ihr Zeugnis und die Zeugnisempfänger zurückweichen. Von den sieben Versen der Szene verwendet der Erzähler nur einen Vers, um die Zeugen zu erwähnen und den Inhalt des Zeugnisses indirekt zu nennen. Nach der Nennung der Zeugen und der Andeutung des Inhalts des Zeugnisses verschwinden die Zeugen aus der Szene. Davor und danach ist der Fokus ganz auf die Zeugnisempfänger und die Tatsache gerichtet, dass ihnen Zeugnis von Jesus und seinen Taten gegeben worden ist und sie daraufhin Jesus entgegenziehen. Beiläufig wird vom Erzähler aufgezeigt, dass das (vorläufige) Ziel der Zeugen und ihres Zeugnisses erreicht ist: Sie haben auf Jesu Besonderheit und Wunderkraft hingewiesen und zu Jesus eingeladen und ihr Zeugnis für Jesus führt jetzt die Zeugnisempfänger zu Jesus. Die Szene endet zwar zunächst mit dem Hinweis darauf, dass die Volksmenge Jesus begeistert entgegenzieht, sodass es für die Pharisäer sogar den Anschein hat, als würde bald „die Welt hinter ihm hergehen“ ( Joh 12,19); diese geschilderte anfängliche Euphorie endet aber letztendlich doch im Unglauben der Volksmenge ( Joh 12,37) - eine Reaktionsmöglichkeit, die der Erzähler von Beginn seiner Erzählung an mit einräumt: Jesus kommt in das Seine und zu den Seinen, aber die Seinen nehmen ihn nicht an ( Joh 1,11). Dennoch haben die Zeugen ihren Auftrag ausgeführt, auch wenn sie die Auswirkung ihres Zeugnisses nicht beeinflussen können. 254 9 Zeugnisszene 8: Das Volk ( Joh 12,12-19) <?page no="256"?> 544 Vgl. B E N N E M A (2014), H U N T (2009), H U N T , T O L M I E & Z I M M E R M A N N (2013), H Y L E N (2009), S K I N N E R (2013a). Ein Grund dafür könnte die Unsicherheit darüber sein, „inwiefern ‚numinose Wesen‘ als Figuren betrachtet werden sollen, die zwar in anthropomorpher Weise handeln, aber sich als transzendente Wesen (Engel, Teufel oder Paraklet) […] der unmittelbaren Vorstellung und Erfahrung entziehen“ (Z I M M E R M A N N 2014,32). 545 Vgl. M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 147. Der Heilige Geist taucht nicht einmal im sehr umfassend und ausführlich dargestellten „Table on Characters in the Forth Gospel“ bei H U N T , T O L M I E & Z I M M E R M A N N (2013, 34−45) auf. 546 Jannidis zitiert in Z I M M E R M A N N 2014,31. Auch W A G E N E R (2015, 56−59) geht der Frage nach, was eine „Figur“ ist und nennt dazu drei Konzepte. Er erwähnt zwar nicht den Geist, geht aber „[n]arratologisch betrachtet“ davon aus, dass „Gott ebenso als Figur untersucht werden kann wie die menschlichen Figuren“ (59). 547 F I N N E R N 2010, 125. Vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 197. Schon in seiner Dissertation bedauerte F I N N E R N (2010, 125), dass „himmlischen Figuren […] bei der Figurenanalyse der Evangelien oft zu Unrecht vernachlässigt [werden]“ (siehe Fußnote 422). Daran hat sich auch durch die neueren Erscheinungen nichts geändert. 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) Nach dem mehrfach angeführten Selbstzeugnis Jesu ( Joh 3,32-33; 4,44; 5,31; 8,12-20; 13,21) und dem Zeugnis des Vaters ( Joh 5,31.37; 8,18) führt der Erzähler in Joh 15 und 16 in einer langen zitierten Abschiedsrede Jesu die dritte Person der Gottheit, den Geistparakleten, als Zeugen für Jesus an. Auffällig ist, dass der Geist in keiner der neueren Figurenanalysen Beachtung findet, 544 obwohl er eindeutig figurale Eigenschaften aufweist. Das zeigt sich an folgender Defini‐ tion: „Das einzige unerlässliche Merkmal für den Status einer Figur ist wohl, dass man dieser Intentionalität, also mentale Zustände (Wahrnehmungen, Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten) zuschreiben können muss“. 545 Einer anderen Definition zufolge müssen Figuren menschliche oder menschenähnliche Züge aufweisen und „als prinzipiell handlungsfähig angesehen“ werden. 546 Da der Geist diese Anforderungen erfüllt, können er und „andere Entitäten“ als Figuren angesehen werden. 547 Ausgehend von dieser Feststellung und aufgrund der Tatsache, dass der Geist eindeutig mit der für diese Arbeit relevanten Zeugnisthematik in Verbindung gebracht wird (vgl. Joh 15,26), soll er im Folgenden als Figur verstanden, als Zeuge ernst genommen und dementsprechend analysiert werden. Da der ei‐ gentlichen Zeugnisszene in Joh 15 und 16 eine Vielzahl von Charakterisierungen des Geistes in anderen Szenen vorausgehen und die intendierten Rezipienten demzufolge mit einer vorgeprägten Vorstellung und einem Vorwissen an die <?page no="257"?> 548 Joh 1,32.33 (2x); 3,5.6 (2x).8 (2x).34; 4,23.24 (2x); 6,63 (2x); 7,39 (2x); 11,33; 13,21; 14,17.26; 15,26; 16,13; 19,30; 20,22. 549 Clemens von Alexandrien (2./ 3. Jh.) Hypotyposen VI.; nach Eusebius 6,14,7: „Zuletzt hat Johannes, als er sah, daß die leiblichen Dinge in den Evangelien bekannt gemacht worden waren, auf die Ermahnung von Freunden hin und vom Geist inspiriert, ein geistliches Evangelium verfasst“ (F R E Y 2013, 699). 550 Die Wendung „der Geist der Wahrheit“ ( Joh 14,17; 15,26; 16,13) zählt dabei zu den Eigenarten des johanneischen Sprachgebrauchs (H A H N 2011a, 658). 551 Obwohl hier die Taufe Jesu nicht genannt wird, kann der intendierte Rezipient aus dem Zusammenhang und aus der Kenntnis des Markusevangeliums (Mk 1,10) annehmen, dass dieses Ereignis bei der Taufe Jesu stattgefunden hat. Von einer Kenntnis des Alten Testaments und des Markusevangeliums geht auch B E N N E M A (2014, 25) aus. eigentliche Zeugnisszene und den darin genannten Geist herantreten, soll vorab eine kurze, zusammenfassende Betrachtung der Charakterisierung des Geistes in den vorhergehenden Szenen erfolgen. 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium Die 24-fache Verwendung des Pneumabegriffs 548 sowie der „geistliche Cha‐ rakter“ der gesamten Erzählung haben früh dazu geführt, das JohEv als „geist‐ liches Evangelium“ zu verstehen. 549 Beim Überfliegen der Erzählung zeigt sich, dass der Erzähler überwiegend das absolute τὸ πνεῦμα verwendet und es gelegentlich mit anderen Wörtern wie „Wasser und Geist“ ( Joh 3,5), „Geist und Wahrheit“ ( Joh 4,23.24b) oder „Heiliger Geist“ ( Joh 1,33; 20,22) verbindet. 550 Ein erster Gebrauch des Pneumabegriffs findet sich in Joh 1,32. Hier wird der Geist in Verbindung mit dem Begriff μαρτυρεῖν angeführt. Es ist aber nicht der Geist, der an dieser Stelle Zeugnis ablegt oder in anderer Form spricht, sondern Johannes der Täufer bezeugt, dass der Geist wie eine Taube aus dem Himmel auf Jesus herabstieg und auf ihm blieb. 551 Mit der zitierten Figurenrede und der Aussage, dass der Geist „aus dem Himmel herabstieg“, wird narratorial von Beginn an festgehalten, dass der Geist „aus dem Himmel“ (ἐξ οὐρανοῦ), also von Gott her, kommt. Diese Tatsache wird den Lesern in Joh 3,34 noch deutlicher, wenn der Erzähler aufzeigt, dass der Geist von Gott gesandt ist. Mit dem verwendeten Begriff „herabsteigen“ (καταβαίνειν) in Joh 1,32 un‐ terstreicht der Erzähler neben der göttlichen Herkunft zugleich, dass dem Geist personale Eigenschaften und Fähigkeiten zugesprochen werden müssen. Die aktive Form καταβαῖνον legt nahe, dass der Geist keine von Gott gesandte, unpersönliche Macht ist, sondern eine eigenständig handelnde Figur. Überdies 256 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="258"?> 552 Jes 11,2; 42,1; 61,1, vgl. auch Weish 7,27; PsSal 17,37; 18,8. Ohne auf den alttestamentli‐ chen Bezug einzugehen merkt D I E T Z F E L B I N G E R (2001b, 51) an: „Daß der Geist auf Jesus bleibt, hat im Johannesevangelium ein besonderes Gewicht, und ‚bleiben‘ ist einer der johanneischen Zentralbegriffe (8,13.35; 14,17; 15,4−10.16; 21,22f)“. 553 S C H N E L L E 2016, 104. wird durch die Verwendung des Begriffs „herabsteigen“ vom Erzähler eine enge Verbindung zwischen dem Geist und Jesus gezogen, denn auch Jesus ist, wie sich in der weiteren Erzählung mehrfach zeigt, vom Himmel „herabgestiegen“ ( Joh 3,13; 6,33-58). Durch die Anmerkung, dass der Geist „auf Jesus bleibt“ (vgl. καὶ ἔμεινεν ἐπ᾽ αὐτόν; Joh 1,32), wird den Lesern nicht nur einmal mehr die enge Verbindung zwischen dem Geist und Jesus verdeutlicht, sondern sie werden zudem an die alttestamentlichen Verheißungen über das Bleiben des Geistes auf dem kommenden Heilsbringer erinnert. 552 Nach dieser ersten Erwähnung stoßen die Leser in Joh 3 ein weiteres Mal auf den Geist. Hier wird er in enge Beziehung zu einer „geistlichen Geburt“ gesetzt. Jesus betont im Gespräch mit Nikodemus, dass ein Mensch „von oben/ Neuem“ (ἄνωθεν; Joh 3,3) und „aus Wasser und Geist“ (ἐξ ὕδατος καὶ πνεύματος) geboren werden muss ( Joh 3,5), um in das Reich Gottes zu gelangen, weil nur „das aus dem Geist Geborene“ (τὸ γεγεννημένον ἐκ τοῦ πνεύματος) Geist ist ( Joh 3,6). Der Erzähler unterstreicht damit, dass die Zeugung aus dem Geist nicht in der Verfügungsgewalt des Menschen steht. Insbesondere der weisheitsgeprägte V. 8a (vgl. Spr 30,4; Pred 11,5; Sir 16,21) hebt die Unverfügbarkeit der Neugeburt hervor; sie ist nicht menschlich, sondern ausschließlich göttliche Möglichkeit. Wie der Wind nicht von Menschen beeinflusst werden kann, so ist auch Gott in seinem Handeln frei. 553 Aus dieser Darstellung legt sich den Lesern erneut nahe, den Geist als aktive, handelnde Figur wahrzunehmen, da er die geistliche Geburt bewirkt und voll‐ zieht, während sie am passiven Menschen vollzogen wird. Das „Geborenwerden aus dem Geist“ erinnert die Leser an das zu Beginn des Evangeliums genannte „Geborenwerden aus Gott“ (ἐκ θεοῦ ἐγεννήθησαν; Joh 1,13). Somit wird der Geist nicht nur in Verbindung zu Jesus, sondern auch in Verbindung zu Gott gesetzt, denn Neugeburt geschieht aus Gott und aus dem Geist. Noch enger wird diese Beziehung in der bereits untersuchten Szene in Joh 4 gezogen. Der Erzähler betont dort, dass „Gott Geist ist“ (πνεῦμα ὁ θεός; Joh 4,24) und dass daher eine angemessene Anbetung Gottes nur „in Geist und Wahrheit“ (ἐν πνεύματι καὶ ἀληθείᾳ) möglich ist. „Der Mensch selbst muß (δεῖ) erst ein anderer, pneumatischer Mensch werden, um Gott den adäquaten 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 257 <?page no="259"?> 554 S C H N A C K E N B U R G 1981, 474. 555 Der Geist-Fleisch Dualismus ist anthropologisch, nicht christologisch zu verstehen (K Ö S T E N B E R G E R 2004, 219; M O R R I S 1995, 340; S C H N E L L E 2016, 186; Z U M S T E I N 2016, 279; gegen S C H N A C K E N B U R G 1980, 105; S C H N E K E 2014, 120). 556 B E U T L E R 2016, 229. 557 H A H N 2011a, 659. 558 Umstritten ist hier, ob vom Leib Christi (B E A S L E Y −M U R R A Y 1989, 116; B E U T L E R 2016, 257; K E E N E R 2012a, 728−30; M O S E R 2014, 202; S C H N A C K E N B U R G 1980, 213−14; S C H N E K E 2014, 140; S C H N E L L E 2016, 198; W E N G S T 2019, 244) oder vom Leib des Gläubigen die Rede ist (C A R S O N 1991, 324; B A R R E T T 1978, 328; K Ö S T E N B E R G E R 2004; 240−241). Eine ausführlichere Darstellung der Diskussion findet sich bei M O S E R 2014, 198−202. Die Argumente sind, wie die meisten Ausleger erkennen, weit aus gewichtiger für die erstere Annahme. Auch aus narratologischer Sich kann festgehalten werden, dass aus allem, was der implizierte Rezipient bisher gelesen hat und weiß, er diese Aussage auf den Leib Christi bzw. auf Christus selbst deuten müsste. Christus ist es, der „lebendiges Wasser“ geben will ( Joh 4,10). Wer von ihm und von dem Wasser, das er gibt, trinkt, d. h. wer an ihn glaubt, wird geistlich gesehen satt werden ( Joh 4,14, 6,35.47; 7,37) und den Glaubenden wird er das ewige Leben geben ( Joh 3,18.36; 5,24). Außerdem ist er es, der den lebendigmachenden Geist geben wird, worauf der Erzähler im unmittelbaren Kontext ja hinweist. Kult erweisen zu können.“ 554 In Anlehnung an die vorausgegangenen Aussagen in Kapitel 3 wird erneut auf die Notwendigkeit der Veränderung durch den Geist hingewiesen. Wieder wird dem Geist eine aktive, verändernde Wirkkraft zugeschrieben, was ihm persönliche Charakterzüge verleiht. Die bislang den Lesern vermittelten Beobachtungen bezüglich des Geistes entsprechen der narrativen Darstellung des Geistes im weiteren Verlauf der Erzählung. In Joh 6,63 deutet der Erzähler, wie schon in Joh 3, auf den Geist-Fleisch-Dualismus hin 555 und betont, dass „der Geist es ist, der lebendig macht“. Ein weiteres Mal macht der Erzähler damit auf die Bedeutung des Werkes des Geistes aufmerksam. „Während das Fleisch von sich aus kein göttliches und ewiges Leben zu verleihen vermag, so kann doch der Geist dieses Leben schenken, da er der Geist des Lebens ist.“ 556 Wie in den vorausgegangenen Darstellungen liegt auch hier das aktive Handeln aufseiten des Geistes. Dadurch wird die Einheit zwischen Vater, Sohn und Geist erneut unterstrichen, weil die „lebendigmachende Kraft und Funktion des Geistes […] dem lebendigmach‐ enden Handeln Gottes und des Sohnes [entspricht] (vgl. Joh 5,21)“. 557 Folgen die Leser dem Verlauf des JohEv, stoßen sie in Joh 7,38-39 auf einen weiteren Hinweis auf den Geist. Nach der Wiedergabe der Worte Jesu in Vers 38 ergänzt der Erzähler in Vers 39, dass sich Jesus mit seiner Rede vom Leib 558 , aus dem Ströme lebendigen Wassers fließen sollen, auf das Empfangen des Geistes bezieht: „Dies sagte er aber von dem Geist, den die an ihn Glaubenden empfangen sollten; denn noch war der Geist nicht da, weil Jesus noch nicht 258 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="260"?> 559 Vgl. K A M M L E R 1996, 154. 560 Zu verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten und Deutungen siehe weiter unten. 561 Vgl. M A R T Í N E Z & S C H E F F E L 2016, 152. 562 Auf die Bedeutung des Kontextes weist auch S C H N E L L E (2016, 305−306) hin: „Es ist kein Zufall, dass Johannes ausschließlich in den Abschiedsreden vom Parakleten spricht, denn die Funktionen des Parakleten sind eng mit der literarischen Gattung ,Ab‐ schiedsrede/ Vermächtnisrede/ literarisches Testament‘ verbunden […] Die Verwendung des Begriffs ὁ παράκλητος = ‚der Herbeigerufene/ Helfer für andere/ Beistand‘ dürfte sich bei Johannes aus der Gattung Abschiedsrede erklären.“ Ebenso K A M M L E R (1996, 89): „Für ein angemessenes Verständnis des ersten Parakletenspruchs 14,16.17 ist die Erkenntnis wesentlich, daß er auf das engste in seinen unmittelbaren Kontext (14,15−24) eingebunden ist“. verherrlicht worden war“ ( Joh 7,39). In dieser narratorialen Erklärung verbindet der Erzähler nicht nur „trinken“ und „lebendiges Wasser“ mit dem Empfangen des Geistes, sondern weist zugleich auch durch das Wort „nehmen/ empfangen“ (λαμβάνειν) darauf hin, dass dieser Geist „gesandt“ (πέμπειν; Joh 14,26; 15,26; 17,7) und „gegeben“ (διδόναι; Joh 3,34; 14,16) wird und „daß der verherrlichte Gekreuzigte selbst der Geber und Spender des Geistes ist“ (vgl. Joh 7,38f.; 19,30; 20,22). 559 Mit der bis hierher vom Erzähler gelieferten narrativen Darstellung des Geistes als des vom Himmel und von Gott gesandten und kommenden, Neuge‐ burt wirkenden, lebendig machenden, Veränderung schaffenden Wesens, das in inniger Verbindung zu Gott und Jesus steht, gelangen die Leser ab Joh 13,31 bis Joh 16,33 zu den Abschiedsreden Jesu. In diesen wird das bislang gezeichnete Bild des Geistes stark erweitert. Der Geist wird ab hier nicht mehr nur als τὸ πνεῦμα bezeichnet (außer in Joh 19,30), sondern bis zum Ende der Erzählung fast ausschließlich als „der Geist der Wahrheit“ (τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας; Joh 14,17; 15,26; 16,13), als „der Heilige Geist“ (τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον; Joh 14,26) oder als „der Beistand“ 560 (ὁ παράκλητος; Joh 14,16.26; 15,26; 16,7). Da gerade Namensgebungen und Figurenbezeichnungen wichtige Informa‐ tionen zur Charakterisierung einer Figur beinhalten, 561 sollen sie im Folgenden näher untersucht werden. Dabei soll vor allem auf den Kontext geachtet werden, da er die Wahl der Bezeichnungen und die Benennungen des Geistes beeinflusst und (mit)bestimmt haben dürfte und Aufschluss über deren Bedeutung geben kann. 562 Überfliegt man die in den letzten Reden Jesu verwendeten Bezeichnungen für den Geist, so fällt zunächst ein sehr einheitlicher Gebrauch auf. Der Begriff „Geist der Wahrheit“ taucht immer in Verbindung mit dem παράκλητος auf, während dieser darüber hinaus einmal allein und einmal in Verbindung mit dem „Heiligen Geist“ genannt wird. 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 259 <?page no="261"?> 563 Hier rückblickend in Bezug auf den Parakleten aus Joh 16,7. ἐκεῖνος, jener „bezeichnet die Abwesenden als solche, die aber irgendwie vorher erwähnt sind“ (B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F 1979, 239). 564 S C H N E L L E 2016; W E I D E M A N N 2004, Z U M S T E I N 2016. Etwas anders B E U T L E R (2016): Er unterteilt in drei Reden (1. Rede: Joh 14,1−31; 2. Rede: Joh 15,1−16,4d; 3. Rede: Joh 16,4e−33). 565 Vgl. 14,15.21 (4x).23 (2x).24.28.31. 566 Vgl. B E H M 1954, 798−812; B E T Z 1963, 4−35; B R A U M A N N 1997, 415; S C H A C K E N B U R G 1982, 157−173; K E E N E R 2011a, 953−969; P A S T O R E L L I 2006. Joh 14,16f.: παράκλητον … τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας Joh 14,26: ὁ δὲ παράκλητος, τὸ πνεῦμα τὸ ἅγιον Joh 15,26: ὁ παράκλητος … τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας Joh 16,7: ὁ παράκλητος Joh 16,13: ἐκεῖνος 563 , τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας Die erste Stelle, in der παράκλητος in Verbindung mit dem „Geist der Wahrheit“ genannt wird, findet sich in Joh 14,16f. Diese Verse liegen in der ersten Abschiedsrede Jesu ( Joh 13,31-14,31). 564 Im ersten Teil der Rede ( Joh 13,31-35) spricht Jesus von seiner Verherrlichung und der Bedeutung der Liebe, die die Jünger untereinander haben sollen. In einem kurzen Einschub ( Joh 13,36- 38) schildert der Erzähler einen Dialog zwischen Jesus und Petrus und die Vorhersage Jesu, dass Petrus ihn verleugnen werde. In der darauffolgenden Figurenrede ( Joh 14,1-14) stellt Jesus die Notwendigkeit des Glaubens und die Folgen des Glaubens und des Gebets in den Vordergrund, während er zugleich seinen Weggang zum Vater (14,2-3) und seine Einheit mit dem Vater ( Joh 14,9-11) darlegt. Der nachfolgende Abschnitt Joh 14,15-31 ist bestimmt vom zehnmaligen Gebrauch des Wortes „lieben“ (ἀγαπᾶν). 565 Jesus betont, dass sich die Liebe zu ihm in der Liebe zu seinen Geboten (14,15.21) bzw. seinem Wort (14,23.24) zeige. Diese Aussage greift er später in Joh 15,9-14 erneut auf. Im Kontext des Weggangs Jesu, des Gebets im Namen Jesu und der demonstrierten Liebe durch das Halten der Gebote folgen in Joh 14,16f. weitere Bezeichnungen und Charakterisierungen des Geistes: „[…] und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand [παράκλητος] geben, damit er mit euch sein möge in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit […]“ Abgesehen von der hier angeführten Stelle und den oben genannten Stellen in Joh 14,26, 15,26, 16,1 und 1Joh 2,1 wird der Begriff παράκλητος nirgends sonst im Alten oder Neuen Testament der griechischen Bibel verwendet. Dies führte in der langen Forschungsgeschichte zu einer Vielzahl unterschiedlicher Interpretationen des Begriffs und teilweise zu abstrusen Spekulationen. 566 260 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="262"?> 567 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R (2016, 131) erklären: „Rezipienten haben vor der Lektüre zahlreiche Schemata im Kopf, die beim Leseprozess aktiviert und zugleich bestätigt, ergänzt, mit anderen Schemata verknüpft oder auch hinterfragt werden.“ 568 Das Verb παρακαλεῖν findet sich 140-mal in der LXX (89-mal im Alten Testament, 51-mal in den Apokryphen) das Substantiv παράκλησις 16-mal (11-mal im AT und 5-mal in den Apokryphen). 569 S C H M I T Z 1954, 797. Diese Beobachtung wird auch durch die eigene nachfolgende Untersuchung bestätigt. Für die vorliegende Arbeit und die darin methodisch angewandte kognitive Narratologie steht jedoch die Frage im Vordergrund, was die intendierten Rezipienten unter diesem Begriff verstehen konnten bzw. verstehen sollten. Welche Vorstellung konnten sie aufgrund ihres Vorwissens haben? Über wel‐ ches textexterne und textinterne Wissen verfügten sie und wie dürften sie von daher den Begriff παράκλητος verstanden bzw. gefüllt? 567 10.1.1 Mögliches Verständnis des Parakletenbegriffs aus dem biblischen Kontext Nähert man sich mit diesem Ansatz der Untersuchung des Textes und des Parakletenbegriffs, dann lässt sich vorab festhalten, dass den intendierten Rezi‐ pienten ein Verstehen des Begriffs aufgrund des bisherigen Lektüreprozesses nicht möglich ist, da weder der Begriff παράκλητος noch das Verb παρακαλεῖν noch das Substantiv παράκλησις vom Erzähler bislang verwendet wurde. Aus dem Kontext von Joh 14,16f. ergibt sich für die Leser somit nur die Vorstellung vom Parakleten als einer Figur, die nach Jesu Weggang vom Vater gesandt werden wird, um die Stelle Jesu einzunehmen und in Ewigkeit bei den Jüngern zu sein. Ein Blick in die Septuaginta oder die zur Erzählzeit möglicherweise bekannten neutestamentlichen Schriften ergibt, dass auch dort der Begriff παράκλητος nirgends verwendet wird, dafür aber häufig das Verb παρακαλεῖν und das Substantiv παράκλησις. 568 Aus dem Gebrauch dieser Lexeme im biblischen und alltäglichen Kontext der intendierten Rezipienten sowie aus der Tatsache, dass παράκλητος ein passivisches Verbaladjektiv zu παρακαλεῖν ist, kann abgeleitet werden, dass παράκλητος ebenso wie das Verb παρακαλεῖν folgende Bedeu‐ tungskomponenten beinhaltet: „herbeirufen“, „bitten“, „zusprechen“, „trösten“, „ermahnen“, wobei „herbeirufen“ im Neuen Testament ganz zurücktritt. 569 Aufgrund der passivischen Struktur der Wortbildung des substantivierten παράκλητος kommen aus den Belegstellen der LXX und der bekannten neutes‐ tamentlichen Schriften vor allem die Bedeutungen „Helfer“, „Beistand“ oder 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 261 <?page no="263"?> 570 H A H N 2002a, 663. Vgl. B A U E R 1988, 1250; S C H N A C K E N B U R G 1982, 157. Auch B R A U M A N N (1997, 414) weist auf den ursprünglichen passiven Sinn hin, betont aber, dass diese Bedeutung dem NT fern liegt. 571 Eine spätere Übersetzung des hellenistisch-jüdischen Gelehrten Theodotion (um ca. 200 n. Chr.) gibt das hebräische Wort dann mit παράκλητοι wieder (B E T Z 1963, 140; P A S T O R E L L I 2006, 65). Dies könnte in der johanneischen Exegese die Kirchenväter beeinflusst haben und Grund dafür sein, warum der Parakletenbegriff in den darauf‐ folgenden Jahrzehnten häufig mit „Tröster“ übersetzt wurde (so die Theorie Hastings, wiedergegeben bei P A S T O R E L L I 2006, 65). 572 Vgl. „Ankläger, Widersacher“( ן ָ ט ָ שׂ ; LXX διάβολος) in Hiob 1,6ff. 573 Dementsprechend fasst B R O W N (2003, 171) zusammen: „Here the word παράκλητος has a non-forensic connotation of one who comforts and helps another in a general sense“. 574 Vgl. P A S T O R E L L I 2006, 66. „Fürsprecher“ infrage, wobei die anderen Bedeutungskomponenten durchaus mitschwingen können. 570 Neben παρακαλεῖν und παράκλησις tauchen in der LXX zwei weitere verwandte Begriffe auf: παρακλήτορες und παρακλητικός. Dadurch, dass diese Begriffe jeweils nur einmal verwendet werden, kann kaum davon ausgegangen werden, dass sie das Verständnis und Vorwissen der Leser in Bezug auf den Parakletenbegriff beeinflusst oder geprägt haben dürften. Trotzdem sollen sie im Folgenden kurz beleuchtet werden. Der erste verwandte Begriff findet sich in Hi 16,2, wo das hebräische Wort י ֵ מ ֲ ח ַ נ ְ מ in der LXX mit dem Hapaxlegomenon παρακλήτορες wiedergegeben wird. 571 Die Rede ist hier von den Freunden Hiobs, die gekommen sind, um zu trösten, dies aber nicht zu leisten vermögen. Vielmehr endet ihr Trost im Hiob‐ buch häufig in Anklagen, worin sie letztlich dann dem eigentlichen Ankläger gleichen, dem Satan, der Hiob vor Gott anklagt. 572 Auch wenn diese Stelle kaum Aufschluss über die Bedeutung oder ein davon abzuleitendes Verständnis des Parakletenbegriffs liefert - außer, dass die Freunde als „Tröster“ oder als „Beistände“ gekommen waren, nicht aber als „Anwälte“ oder „Fürsprecher“ 573 -, so ist doch denkbar, dass diese Stelle, sofern bekannt, den Rezipienten helfen konnte, die im JohEv genannten Aufgaben des Parakleten als Beistand und Ankläger (vgl. Joh 16,8) besser einordnen zu können. Neben der Verwendung des Begriffs παρακλήτορες in Hi 16,2 LXX findet sich in Sach 1,13 LXX der Begriff παρακλητικός als Übersetzung des hebräischen Wortes „Trost, Mitleid“ ( םי ִ מ ֻ ח ִ נ ). Das Substantiv םי ִ מ ֻ ח ִ נ wird ebenfalls in Jes 57,18 und Hos 11,8 verwendet. Doch auch dabei ist schwer vorstellbar, dass die in‐ tendierten Leser aus diesen Stellen ein besonderes Vorwissen oder ein über die oben genannte Grundbedeutung hinausgehendes Verständnis des Begriffs παράκλητος gewinnen konnten. 574 262 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="264"?> 575 B E H M 1954, 799−801; B E T Z 1963. K A M M L E R 1996 (vgl. den Forschungsüberblick bei P A S T O R E L L I 2006, 4−36). In näherer Vergangenheit hat sich vor allem P A S T O R E L L I (2006) in seiner Dissertation „Le Paraclet dans le corpus johannique“ mit diesen Quellen auseinandergesetzt. 576 Ob bestimmte Quellen bekannt und zugänglich waren lässt sich anhand zweier Teilkri‐ terien, der „Hörbarkeit“ und der „Lautstärke“, überprüfen (vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R (2016, 156−159). Die Hörbarkeit und Lautstärke könnte im vorliegenden Abschnitt auf zwei Ebenen untersucht werden: auf einer tieferliegenden Eben und ausgehend von einem authentischen Bericht historischer Ereignisse wäre zu überprüfen, welche Quellen zur erzählten Zeit, also kurz vor der Kreuzigung Jesu um 30 n. Chr. (vgl. K O C H 2014, 153; H E N G E L 2006, 146) den erzählten Hören (in diesem Fall den Jüngern) zugänglich und bekannt gewesen sein könnten. Will man jedoch, wie im Fall der vorliegenden Arbeit, untersuchen, welche Quellen zur Erzählzeit den intendierten Rezipienten zugänglich und bekannt gewesen sind, dann ist dies abhängig von der Abfassungszeit des JohEv. zwischen 80 - 110 n.-Chr. 577 Vgl. zu diesen Quellen P A S T O R E L L I 2006, 46−61. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die intendierten Rezipienten des JohEv, sollten ihnen diese Schriften bekannt gewesen sein, aus der Kenntnis dieser Schriften ein lediglich geringes Vorwissen über die Bedeutung des Begriffs παράκλητος gehabt haben dürften. Das Kennen und Verstehen des Be‐ griffs beschränken sich aus diesen Stellen wohl auf die vom Verb und Substantiv abgeleitete Bedeutung „Herbeigerufener“, „Helfer“, „Beistand“, „Fürsprecher“ oder „Tröster“. 10.1.2 Mögliches außerbiblisches Verständnis des Parakletenbegriffs Abgesehen von der Septuaginta stellt sich die Frage, inwiefern andere, außer‐ biblische Quellen zum Verstehen des Parakletenbegriffs bei den intendierten Rezipienten beigetragen haben könnten. In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl von Quellen ausfindig gemacht und untersucht, in denen der Parakle‐ tenbegriff verwendet wird. 575 Aus der Menge der genannten Quellen sind für die vorliegende Arbeit nur diejenigen relevant, die sowohl dem Erzähler als auch den intendierten Rezipienten zur Erzählzeit zugänglich und bekannt gewesen sein könnten und von daher als Bezugstexte für ein Verstehen des Begriffs infrage kommen. 576 Ausgehend von der Abfassungszeit des JohEv um ca. 90-110 n. Chr. kommen von der „Hörbarkeit“ und „Lautstärke“ nur die Quellen infrage, die zur Erzählzeit in Umlauf und allgemein bekannt und zugänglich waren. Dies schließt die Schriften von Demosthenes (343 v. Chr.) und Lykurfos (um 390-324 v. Chr.) aus, da diese Jahrhunderte vor dem JohEv abgefasst wurden und somit den intendierten Lesern wohl kaum noch vertraut gewesen sein dürften. 577 Es ist zu 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 263 <?page no="265"?> 578 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 157. 579 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 157; Hervorhebungen im Original. 580 Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Parakletenbegriff vom Erzähler des JohEv (mit)geprägt und prominent gemacht worden ist und der Wissensstand über die folgenden Generationen erhalten geblieben ist (vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 156), lässt sich aus der Untersuchung der Verwendung des Parakletenbegriffs in diesen Schriften kein sonderlicher Nutzen ziehen (vgl. B E H M 1954, 799; P A S T O R E L L I 2006, 53−58), nicht einmal was einen gerichtlichen Kontext betrifft. Denn während bei Cassius Dio ein gerichtlicher Kontext erkennbar ist, spielen sich die Ereignisse bei Diogenes Laertios im Privaten ab (P A S T O R E L L I 2006, 64). Bei Diogenes Laertios handeln die Parakleten als Vertreter „on behalf of Bionʼs client, helping him to attain access to the benefit of the patron, Bion“ (B R O W N 2003, 173; vgl. B E H M 1954, 799). 581 Dion. Hal. ant. 11, 37, 1. 582 Eine genaue Datierung und Zuordnung der „Homerischen Allegorien“ ist nicht einfach. Vor einigen Jahrhunderten noch wurde das Werk Heraklides Pontikos (390−322 v.-Chr.) zugeschrieben (vgl. Schultheß 1779). Heute geht man jedoch davon aus, dass ein unbekannter (Pseudo-)Heraklit die Allegorien von Homer wahrscheinlich im ersten Jhd. n.-Chr. geschrieben hat (vgl. R E V E N T L O W 1990, 42; P A S T O R E L L I 2006,58). bedenken, dass „[e]inzelne Quellen, die sich in […] größerem zeitlichem Abstand zum Ausgangstext befinden, […] zunehmend kritisch zu beurteilen bzw. als unergiebig einzustufen [sind]“. 578 Würde man diese Quellen dennoch in Betracht ziehen wollen, dann müsste nachgewiesen werden, warum die Vorstellungen einer Quelle über einen noch längeren Zeitraum als drei Generationen tradiert wurden. Ein Grund hierfür kann z. B. ein großes kulturelles oder religiöses Interesse an einer Quelle bzw. ihrem Inhalt sein, wenn diese Quelle zum Teil des gelebten ‚Kulturellen Gedächtnisses‘ wird, z. B. durch regelmäßige Verlesungen alttestamentlicher Texte und durch das jüdische Festjahr, das von Erinnerungsritualen geprägt ist. 579 Da dies auf die oben erwähnten Quellen nicht zuzutreffen scheint, können sie hier als „nicht hörbar“ unberücksichtigt bleiben. Ebenso kann auch die Untersuchung der Verwendung des Parakletenbegriffs bei Lucius Cassius Dio oder Diogenes Laertios vernachlässigt werden, da diese ihre Werke lange nach der Abfassung des JohEv erstellt haben und somit weder dem Erzähler noch den Rezipienten verfügbar waren. 580 Abschnitte, die zumindest von ihrer Abfassungszeit her als „hörbar“ infrage kommen, finden sich in Dionysios von Halikarnassosʼ „Antiquitates Romanae“ (Dion. Hal. ant.) aus dem ersten Jahrhundert v. Chr. 581 und in Heraklits „Homerische Allegorien“ (Herakl. Hom. all.) aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. 582 . Beide Quellen sollen im Folgenden näher betrachtet werden. Bei Dionysios findet sich die Pluralform παράκλητοι nur ein einziges Mal im gesamten Werk im elften Buch. Die Rede ist hier von einem Gerichtsprozess 264 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="266"?> 583 Gemeint ist wohl Konsul Appius Junius Silanus. 584 ὡς δὲ ταῦτ᾽ ἤκουσαν, ὅσοι μὲν ἦσαν ἀκέραιοι τε καὶ τῶν τὰ δίκαια λεγόντων παράκλητοι τὰς χεῖρας ἄραντες εἰς τὸν οὐρανὸν ἀνέκραγον ὀδυρμῷ καὶ ἀγανακτήσει μεμιγμένην κραυγήν, οἱ δὲ τῆς ὀλιγαρχίας κόλακες τὴν ἐπικελεύουσάν τε καὶ θάρσος ἐμποιῆσαι δυναμένην τοῖς κρατοῦσι φωνήν. (Dion. Hal. ant. 11.37.1). vor Appius, dem alleinigen Vorsteher des Gerichts. Zwei Gruppen stehen sich hier gegenüber und verhandeln darüber, wem ein gewisses Mädchen namens Verginia gehören sollte. Auf der einen Seite steht Marcus Claudius, der von Appius heimlich angestiftet wurde, das Mädchen zu entführen. Besagter Appius 583 ist von der Schönheit des Mädchens so besessen, dass er sie, obwohl sie verlobt und er selbst verheiratet ist, für sich haben will. Da eine Entführung missglückt, gelangt der Fall vor Gericht, dessen alleiniger Vorsteher Appius selbst ist. Als Vorsteher des Gerichts gibt er sich unwissend über die Hinter‐ gründe des Prozesses, stellt sich aber angeblich unparteiisch auf die Seite des Marcus Claudius. Auf der anderen Seite treten der Onkel, der Vater und der Verlobte des Mädchens gemeinsam mit Freunden und Bekannten den Prozess an, um sich für die gerechte Sache einzusetzen. Als Appius am Ende des Prozesses Claudius Recht spricht, um dadurch an das Mädchen zu gelangen, sorgt das verkündete Urteil für Entsetzen. Dionysios berichtet, dass alle, die es hörten und „unvoreingenommen/ arglos“ (ἀκέραιοι) gekommen waren, um als „Fürsprecher/ Beistände“ (παράκλητοι) für Gerechtigkeit einzutreten, die Hände zum Himmel hoben und laut aufschrien. 584 Aus dem Zusammenhang dieser Geschichte lässt sich in Bezug auf die παράκλητοι sagen, dass sie keine Advokaten, keine Tröster oder „Herbeige‐ rufenen“ sind. Vielmehr bestehen die παράκλητοι aus Familienangehörigen, Verwandten, Freunden und sonstigen Bewohnern der Stadt, die nicht herbei‐ gerufen, sondern selbstständig gekommen sind, um sich für die Gerechtigkeit einzusetzen und der im Recht seienden Partei beizustehen. Nicht zu übersehen ist hierbei dennoch der gerichtliche Kontext, in dem der Begriff verwendet wird. Auch wenn dieser Textabschnitt zum Verstehen des Parakletenbegriffs beiträgt, so ist doch fraglich, ob die einmalige Verwendung von παράκλητοι in einem 20-bändigen Werk dem Erzähler des JohEv bekannt gewesen sein konnte und ob er davon ausgehen konnte, dass seine Leser bei der Erwähnung des Parakletenbegriffs Rückschlüsse aus dieser einen Erwähnung ziehen würden. Da dies eher unwahrscheinlich ist, scheidet auch dieser Text für das Verstehen des Parakletenbegriffs aus, weil er als nicht „laut“ bzw. prominent genug angesehen werden muss. Abgeleitet werden kann hier lediglich, dass es schon früh eine gewisse Vorstellung von der Bedeutung und dem angemessenen Gebrauch des Begriffs gegeben haben muss, auch wenn der Begriff nur selten in 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 265 <?page no="267"?> 585 Vgl. Hom. Il. 24. 586 Herakl. Hom. all. 59,1; Übersetzung nach Meiser 1911, 6−7. S C H U L D H E ẞ (1779, 71) übersetzt: „So läßt er [Homer] denn auch gegen das Ende der Iliade in einer handgreif‐ lichen Allegorie den Merkur [Hermes] den Priamos begleiten. Denn Silber oder Gold oder kostbare Geschenke haben allzuwenig Kraft erzörnte Männer zu besänftigen. Die schmeichelnden und herzerobernden Waffen, womit ein Fußfälliger sieget, sind Rednerkünste“. 587 „Durch die wenigen Worte dieses beredsamen Eingangs hat er Achilles so hingerissen, dass er beinahe den Peleus, nicht den Priamus, vor sich sah. Er ist zu solchem Mitleid bewogen worden, dass er ihn an seine Tafel einlud, und Hektors Leichnam ward sogleich rein gewaschen und ihm ausgeliefert“ (S C H U L D H E ẞ 1779, 71). den heute erhaltenen Schriften der vorchristlichen Jahrhunderte Verwendung findet. Wirft man einen Blick auf die einmalige Verwendung des Parakletenbegriffs in Heraklits „Homerische Allegorien“ (Herakl. Hom. all.), dann lässt sich Fol‐ gendes erkennen: Heraklit geht in § 59 auf das Ende von Homers Ilias (Hom. Il.) ein. Nach dem Tod Hektors und der Schändung seines Leichnams durch Achilles, der wiederum den Tod seines Freundes rächen wollte, wendet sich König Priamos, Hektors Vater, an Achilles, um ihn um den Leichnam seines Sohnes zu bitten. 585 Der Gang des Priamos zu Achilles und die dort vorgebrachte Bitte werden von Heraklit genauer beschrieben. Er zeigt auf, wie Homer dem Priamos den Gott Hermes als Wegbegleiter zur Seite stellt und wie gerade dieser hinter dem Wort Priamosʼ steht und ihm die überzeugende Kraft verleiht. Am Ende der Ilias hat er [Homer] geschildert, wie Hermes ganz leibhaftig dem Priamos folgte [gesandt wurde; ἀπέστειλεν], worin eine Allegorie liegt. Denn nichts ist so wirksam bei Erzürnten, nicht Silber, nicht Gold, nicht kostbare Geschenke, wohl aber ist eine milde und sanfte Waffe beim Bitten die Überredung durch das Wort. 586 Die Überredungskraft des „Wortes“ und des „flehentlichen Bittens“ (ἱκεσία; ἱκετεία; § 59,3.6.9) liegt vor allem in der Milde (μειλίχιος), Freundlichkeit (προσηνής) und der Weichheit (ἐκθηλύνω) (vgl. § 59,3) des Wortes, mit dem Priamos spricht. Durch ebendiese verliehene Redekunst gelingt es ihm, das „Mitleid“ (ἐλεέω; § 59,8) des Achilles zu wecken, an dessen Tisch gebeten zu werden und zuletzt den Leichnam seines Sohnes zurückzubekommen. 587 Im darauffolgenden Satz fasst Heraklit die Wirksamkeit des Wortes zu‐ sammen und verwendet hierbei den Begriff παράκλητος: „So viel vermochte das Wort, der Dolmetscher [ἑρμηνεύς] unserer Gefühle, den Homer ihm beigab [oder: sandte; ἀπέστειλεν] zur Unterstützung seiner Bitte [oder als Unterstützer 266 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="268"?> 588 Meiser 1911, 6 f. S C H U L D H E ẞ (1779, 71 f.) übersetzt: „So viel hat die Rede, die Wortführerin (ερμινευς) des Affects, der Merkur (ερμες) vermocht, den Homer ihm zum Sachverwalter seines demütigen Gesuches zugegeben hat“. 589 Vgl. P A S T O R E L L I 2006, 59. 590 Dies passt zu der Auffassung, dass Hermes der Logos ist. 591 Ebenso P A S T O R E L L I (2006, 59): „Das Wort, das die Gefühle übersetzt, das von Homer an Priamos gesandt wurde, und der ,Paraklet des Flehens‘ sind gleichermaßen Bezeich‐ nungen für Hermes“ (la parole qui interprète les sentiments, celle quʼa envoyée Homère auprès de Priam et le „paraclet de supplication“ sont autant de désignation dʼHermés). 592 Auch wenn gerade darin gewisse Ähnlichkeiten zur Verwendung von παράκλητος im JohEv erkennbar sind. des Flehens; τῆς ἱκετείας παράκλητον]“. 588 Dieser komplizierte Satz lässt sich am besten aus dem Zusammenhang mit dem einleitenden Satz aus § 59,1 und den dort erwähnten Personen (Homer, Hermes und Priamos) deuten. 589 Da Homer in § 59,9 explizit als der Sender des Hermes genannt wird, ist er in § 59,1 auch Subjekt von δεδήλωκεν ἀλληγορήσας. Priamos, der namentlich in § 59,1 als Empfänger des Hermes bezeichnet wird, wird in § 59,9 nur noch mit dem Personalpronomen αὐτῷ als derjenige erwähnt, dem der Hermes zugesandt wurde. Die weiteren Bezeichnungen lassen sich dann Hermes zuordnen: Er, Hermes (τὸν ʼΕρμην), der namentlich in § 59,1 genannt wird, ist derjenige, der dem Priamos zugesandt wurde. Daher muss er auch in § 59,9 mit dem „Wort“ (λόγος) 590 und dem „Dolmetscher/ Übersetzer“ (ἑρμηνεύς) gleichgesetzt und als „Unterstützer/ Beistand des Flehens“ (τῆς ἱκετείας παράκλητον) verstanden werden. 591 Zusammenfassend lässt sich aus diesem Abschnitt in Bezug auf den Gebrauch des Begriffs festhalten, dass der παράκλητος bei Heraklit in einem nicht forensischen Kontext die positive Funktion eines Helfers, Beistands oder Unter‐ stützers innehat. Er wird zur Hilfe nicht herbeigerufen, sondern von Homer als Beistand zu Priamos gesandt. Dass der Paraklet dabei von Homer mit dem Gott Hermes und dem Logos bzw. der Redekunst identifiziert wird, bedeutet nicht, dass der παράκλητος immer als göttlich oder in Verbindung mit dem Logos verstanden werden muss. 592 Dies wird dadurch deutlich, dass Heraklit gerade in der Identifizierung des Hermes mit dem Wort und dem Parakleten die homerische Allegorie erkennt. Der Parakletenbegriff kann folglich auch in einem nicht allegorischen Kontext verstanden und verwendet werden, um im positiven Sinn eine Person als Helfer oder Beistand zu bezeichnen. Wie bei den vorherigen Schriften stellt sich auch bei Heraklit die Frage, in‐ wiefern der Erzähler und die intendierten Rezipienten des JohEv Kenntnis über und Zugang zu diesem Text gehabt haben konnten. Da das Abfassungsdatum des Textes unbestimmt ist, lässt sich nicht ausmachen, ob der Text zur Erzählzeit 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 267 <?page no="269"?> 593 Die Verwendung von παράκλητος bei Eusebius von Caesarea und Johannes von Damaskus soll hier aufgrund der viel späteren Abfassung nicht berücksichtigt werden, da sie für das Verständnis des Begriffs der Rezipienten des JohEv wohl keine Rolle gespielt haben dürften. 594 De opificio mundi (OpMund) 23.165; De Josepho ( Jos) 238; De vita Mosis (VitMos) II,134; De specialibus legibus (SpecLeg) I,237; De praemiis et poenis (Praem) 166; In Flaccum (Flacc) 13.22.23.151.181. 595 OpMund 23; Übersetzung nach C O H N 1962a, 34. des JohEv bereits in Umlauf war oder ob er gleichzeitig oder sogar erst später abgefasst wurde. Sollte er früher abgefasst worden sein, bleibt dennoch unklar, wie bekannt und zugänglich der Text in den ersten Jahren nach seiner Abfassung war. Da sich diese Fragen nicht beantworten lassen, ist Vorsicht geboten, den Parakletenbegriff des JohEv vom Text des Heraklit her ableiten und erklären zu wollen. Wovon eher ausgegangen werden kann, ist, dass zur Abfassungszeit des JohEv und der „Homerischen Allegorien“ der Begriff παράκλητος und dessen Bedeutung bereits bekannt und verständlich waren und die Verwendung des Begriffs gebräuchlicher geworden war als in den Jahrhunderten davor, wo der Begriff nur sehr selten in der aus dieser Zeit erhaltenen Literatur auftaucht. Diese Annahme wird von der Beobachtung gestützt, dass der Begriff in der frühchristlichen und frühjüdischen Literatur der ersten Jahrhunderte n. Chr. plötzlich häufiger auftaucht als davor und, wie sich zeigt, überwiegend auf ähnliche Weise verwendet wird. Dies soll im Folgenden anhand der Schriften des Philo, des Barnabasbriefs, der Didache, des 2. Clemensbriefs und bei Clemens von Alexandria nachgewiesen werden, um die Verwendung, Bedeutung und das Verständnis des Parakletenbegriffs weiter zu erhellen. 593 Häufiger als alle anderen Schreiber verwendet der einflussreiche jüdische Philosoph und Theologe Philo von Alexandria den Begriff παράκλητος elf Mal in seinen Schriften. 594 In De opificio mundi (OpMund), Philos Abhandlung über die Schöpfung und den Sündenfall, spricht Philo in OpMund 15-25 von der Güte Gottes als Ursache der Schöpfung. Dabei verwendet er in OpMund 23 den Begriff παράκλητος und beschreibt, dass Gott „von keinem Helfer [οὐδενὶ δὲ παρακλήτῳ] […] sondern nur von sich selber beraten erkannte […], dass er mit reichen und verschwenderischen Gaben die Natur ausstatten müsse, die ohne göttliches Gnadengeschenk nicht imstande ist, irgend etwas Gutes von selbst zu erlangen“. 595 Als Grund dafür, warum Gott keinen Helfer hatte, nennt Philo die Tatsache, dass niemand sonst neben ihm existiert habe und dass Gott auch keines Helfers „bedurfte“ (χρῆται). Laut Pastorelli ist die Verwendung von παράκλητος in diesem Abschnitt rein rhetorisch zu verstehen: „Philo hebt die Güte Gottes hervor, die weit über das hinausgeht, was ein möglicher 268 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="270"?> 596 P A S T O R E L L I (2006, 83); eigene Übersetzung: „Philon met en relief la bonté de Dieu qui va bien au-delà de ce quʼun éventuel paraclet aurait pu obtenir“. 597 C O H N 1962a, 27. 598 OpMund 165: „παράκλητον ἐπαγόμεναι πειθὼ περὶ τοῦ μηδὲν ἀπώσασθαι τὸ παράπαν“; vgl. C O H N 1962, 86. 599 Im Wörterbuch von G E M O L L (1988, 587) wird als Übersetzungsmöglichkeit interessanter weise sogar „3. Göttin der Überredung“ vorgeschlagen. 600 B R O W N 2003, 176. Paraklet hätte erreichen können.“ 596 Für Philo ist der παράκλητος in diesem Zusammenhang also ein Helfer oder Beistand, der beratend zur Seite stehen kann, falls er gebraucht wird - was in diesem Zusammenhang aber nicht der Fall ist. Er ist nicht zwingend eine Person, sondern kann auch eine moralische Eigenschaft oder ein Empfinden sein, welches Gott bei der Schaffung der Welt hätte beraten, unterstützen und antreiben können. Später, in OpMund 151-169, geht Philo auf den Sündenfall ein, wobei er den alttestamentlichen Text nicht mehr rein philosophisch, sondern auch allegorisch auslegt. Dabei deutet er Adam als den menschlichen Geist, Eva als die Sinnlichkeit, die Schlange als die Wollust und den Sündenfall als die Lust, die „mit Hilfe der Sinne den Geist zur Sünde verleitet“. 597 Dies geschehe, indem die Wollust bei den Sinnen anknüpfe und diese zu locken versuche. Ließen sich die Sinne auf die Lockungen ein, dann genössen sie alle Reize und Lockungen und nähmen sie wie „Geschenke“ (δῶρον) in Empfang, um sie dann dem Geist weiterzureichen, „indem sie als Beistand die Überredungs‐ kunst mitbringen [παράκλητον ἐπαγόμεναι πειθὼ], damit er [der Geist] keine gänzlich zurückstoße“. 598 Um den Geist willig zu machen, die Reizungen und Verlockungen zuzulassen, sei den Sinnen, so Philo, jedes Mittel recht. Um den Geist zu überzeugen, werde als Helfer sogar die „Überredungskunst“ (πειθώ) hinzugezogen. Wie bei Heraklit steht der Paraklet also auch bei Philo in enger Verbindung mit der „Überredungskunst“. 599 Here the παράκλητος, Persuasion, acts not only as an assistant of the senses but as an influential force between the seductive senses and the prey, Reason. The παράκλητος functions to ‚persuade‘ Reason to give the senses what they want. In this sense Persuasion, the παράκλητος, serves as a broker. However, as in the Dionysius Halicarnassus passage, the παράκλητος does not represent the interests of both parties, since the subjugating of Reason by the senses through the assistance of Persuasion cannot be viewed as serving the interests of Reason. This is a non-forensic passage in which a παράκλητος performs the tasks of a rhetorician, and in a limited sense, those of a broker. 600 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 269 <?page no="271"?> 601 De Josepho ( Jos 238). 602 Jos 238: „ἀδελφὸν ὃν ἀπέδοσθε εἰς Αἴγυπτον, ἐκεῖνος ὃν ὁρᾶτε νῦν παρεστῶτα αὐτός εἰμι ἐγώ“. 603 Jos 239; oder: ihr bedürft keines anderen Fürsprechers/ Beistandes (μηδενὸς ἑτέρου δεῖσθε παρακλήτου). 604 P A S T O R E L L I (2006, 75) ergänzt, dass „kein anderer Paraklet“ auch bedeuten könnte, „dass kein Mensch Joseph beugen kann und dass nur ,die Vorsehung Gottes‘ letztlich für alle Ereignisse seines Lebens verantwortlich ist (§236)“ („,Aucun autre paraclet‘ peut aussi signifier quʼaucun être humain ne peut faire fléchir Joseph et que seule ,la providence de Dieu‘ est en dernier ressort à lʼorigine de tous les événements de sa vie (§236)“). Neben diesen beiden Verwendungen des Parakletenbegriffs in Philos De opificio mundi findet sich eine weitere in Philos De Josepho. 601 Der betreffende Abschnitt findet sich im letzten Teil des Buches (§§ 157-270), in welchem sich Philo den abschließenden Kapiteln 42-45 des Genesisbuches widmet. In §§ 237-240 geht Philo auf den Höhepunkt der Geschichte ein, die Selbstoffenbarung Josephs vor seinen Brüdern. Nachdem Joseph seinen ägyptischen Dienern befohlen hat, ihn mit seinen Brüdern allein zu lassen, bricht er in Tränen aus, bittet seine Brüder näher zu sich und bekennt ihnen: „‚Der Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt, bin ich selbst, den ihr jetzt vor euch stehend seht.‘“ 602 Als die Brüder dies hören, sind sie von der unerwarteten Kunde erschrocken und bestürzt, senken die Blicke und stehen stumm und starr da. Im darauffolgenden Satz schildert Philo unter Verwendung des Begriffs παράκλητος, wie Joseph auf dieses Verhalten der Brüder eingeht: „‚Seid nicht bestürzt‘, sagte er, ‚ich gewähre euch Verzeihung für alles, was ihr mir getan habt, ihr habt keinen anderen Beistand [παράκλητος] nötig.‘“ 603 Aus dem Zusammenhang wird deutlich, dass der παράκλητος hier wieder einen Beistand, Helfer oder Fürsprecher meint. Wenn Joseph seinen Brüdern keine Vergebung zugesprochen hätte, dann hätten sie einen Beistand nötig gehabt (und ihn herbeirufen müssen? ), damit er als Fürsprecher und Helfer stellvertretend für sie vor Joseph eingestanden hätte. Doch weil Joseph selbst des begangenen Unrechts nicht gedenken und Vergebung gewähren oder schenken (παρέχειν) will, brauchen die Brüder weder bestürzt noch erschrocken zu sein (μὴ κατηφεῖτε), noch haben sie einen anderen Beistand nötig. Die Bezeichnung „anderer Beistand“ (ἑτέρου … παρακλήτου), die sich in ähnlicher Weise im JohEv findet (ἄλλον παράκλητον; Joh 14,16), ist hier am besten im Zusammenhang mit dem darauffolgenden Satz in § 240 zu verstehen: 604 Was die Brüder vor Joseph vertritt und was ihnen zu Hilfe kommt, sind zwei „Ratgeberinnen“ (συμβούλοις). Joseph bezeugt, dass er diesen beiden folge, nämlich der „Pietät gegen den Vater, dem ich hauptsächlich meine Gnade widme, und der natürlichen Freundlichkeit, 270 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="272"?> 605 Jos 240; Übersetzung nach C O H N 1962b, 206−207. 606 B R O W N 2003, 176. 607 P A S T O R E L L I (2006, 75) weist hier auf die Ähnlichkeit zu Philos In Flaccum hin: „Josephs Position ist vergleichbar mit der der Kaiser Tiberius und Caius In Flaccum. Ihm kann nichts gegeben werden, um seinen Willen zu beeinflussen; nur die Überredung durch einen Paraklet kann zu Vergebung führen“ („La position de Joseph est comparable à celle des empereurs Tibère et Caius dans In Flaccum. Rien ne peut lui etre donné pour influencer sa volonté; seule la persuasion par un paraclet peut conduire au pardon“). 608 Vgl. B A D T 1962, 221. 609 VitMos II,133. 610 VitMos II,134; Übersetzung nach B A N D T 1962, 329. die ich gegen alle Menschen übe, besonders aber gegen die von meinem Blute“. 605 Weil sich Joseph von diesen Ratgeberinnen, der Pietät und der Freundlichkeit, leiten lässt, spricht er bereitwillig seine Vergebung aus. Somit wird letztlich Joseph selbst, geleitet von den Ratgeberinnen, zum Fürsprecher für die Brüder. Er tritt vor sich selbst für sie ein. „The brothers do not need a mediator between themselves and Joseph, for he willingly absolves them and, in so doing, expiates the gulf between them.“ 606 Er, der die Macht hätte (vgl. § 242), seine Brüder zu strafen, wird von seinem Inneren bewogen, Gnade walten zu lassen, sodass sie keinen anderen Fürsprecher zu ihrer Verteidigung nötig haben. 607 Ein weiteres Vorkommen des Begriffs findet sich in Philos zweiteiliger apologetischer Schrift De vita Mosis (VitMos). Während Philo im ersten Teil Mose als Führer des Volkes beschreibt, wendet er sich im zweiten Teil dem Leben Moses als Gesetzgeber, Priester und Prophet zu. Philo präsentiert dabei die Besonderheit Moses in dessen Würdigkeit, Offenbarungen zu empfangen, wie beispielsweise die Offenbarung über die Priesterkleidung und deren Be‐ deutung (§§ 109-135). 608 In diesem Abschnitt findet sich in § 134 der Begriff παράκλητος. Philo berichtet, mit welcher Kleidung geschmückt und bekleidet der Hohepriester zu den heiligen Handlungen übergeht. Die einzelnen Teile der Kleidung und die darauf angebrachten Abbildungen und Inschriften identifiziert Philo mit den Elementen Luft, Wasser, Erde, Feuer, Himmel usw., sodass, wenn der Hohepriester zu Gebeten und Opfern in das Heiligtum hineintrete, „das ganze Weltall mit ihm hineingeht“ (συνεισέρχηται πᾶς ὁ κόσμος αὐτῷ). 609 Im darauffolgenden Satz weist Philo auf eine grundsätzliche Bedingung hin, die ein Hohepriester erfüllen musste: Denn wer dem Vater des Weltalls zum Priester geweiht war, musste unbedingt dessen an Vortrefflichkeit äusserst vollkommenen Sohn zu seinem Fürsprecher nehmen, sowohl zur Vergebung der Sünden als auch zur Bitte um Gewährung unerschöpflichen Glückes. 610 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 271 <?page no="273"?> 611 B A D T 1962, 329; Fußnote 1. Badt verweist bei seiner Auffassung auf eine Parallelstelle bei Philo: „Ebenso wird De spec. leg. I § 96, wo diese Auslegung der Priesterkleidung wiederkehrt, die Welt ausdrücklich Gottes Sohn genannt (vgl. zu dieser Stelle L. Cohn im Hermes XLIII S. 187). Quod Deus sit immutabilis § 31 heisst unsere sinnlich wahrnehmbare Welt Gottes jüngerer Sohn, ihr Urbild, die ideale Welt, der ältere Sohn Gottes.“ 612 Vgl. B R O W N 2003, 177. 613 B A L L E N S T E D T 1802, 37. 614 L E O N H A R D T −B A L Z E R (2004, 298) bemerkt hierzu: „Der Begriff, der immer wieder ver‐ wendet wird, um die verschiedenen Aspekte des Logos zu vereinen, ist der des Mittlers zwischen Gott und seiner Schöpfung“. 615 Vgl. B R O W N 2003, 177. 616 B R O W N 2003, 177. 617 De specialibus legibus (SpecLeg) I,237. Umstritten ist hier, wen oder was Philo mit „Sohn“ (υἱός) meint - ob „die ganze Welt, deren Sinnbild (in seiner Kleidung) mit ihm im Heiligtum erscheint“ 611 , oder den Logos 612 . Bereits früh wurde erkannt, dass der Bezeichnung „Sohn Gottes“ bei Philo eine zweifache Bedeutung anhaftet: „eine uneigentliche, da es die Welt anzeigt, und eine eigentliche, da es den Logos bedeutet, durch den die Welt geschaffen ist.“ 613 Da der υἱός in VitMos II,134 in Verbindung mit der „Verzeihung“ bzw. dem „Vergessen der Sünde“ (ἀμνηστίαν ἁμαρτημάτων) gebracht wird und dem Sohn hier eine Mittlerrolle zukommt, 614 ist hier wohl eher vom Logos die Rede. 615 Philo beschreibt weiter, wie der Priester ebendiesen Sohn des Vaters des Alls zum παράκλητος nehmen muss. Die Welt erscheint als von Gott getrennt. Als Mittler, sowohl zur Vergebung der Sünden als auch zur Bitte um Gewährung un‐ erschöpflichen Glückes, komme nur „der an Tugendhaftigkeit vollkommenste Sohn“ (τελειοτάτῳ τὴν ἀρετὴν υἱῷ) infrage. Er sei es, der als „Mittler“ oder „Fürsprecher“ zwischen Priester und Gott eintreten solle. Dass der Paraklet hierbei am besten als „Mittler“ zu verstehen ist, betont auch Brown: Here […] ‚the Fatherʼs Son‘ is depicted as critical to the exchange of resources between the Father [God] and the high priest. The brokerage of the Logos proves essential to the acquisition of the good gifts and to the forgiveness of sin. The Father and humanity appear to be disconnected and estranged; they are of disparate spheres that must be mediated. Brokerage best characterizes the role of the παράκλητος. 616 Neben VitMos II,134 taucht der Parakletenbegriff in Philos vielbändigem Werk De specialibus legibus (SpecLeg) auf. 617 Während Philo im ersten Buch auf die Hauptgesetze eingeht (§§ 1-31), widmet er sich in einem zweiten Teil den Einzelgesetzen (§§ 32-345). Dabei betrachtet er in §§ 162-256 die verschiedenen Opfer, in §§ 226-246 speziell die Sündopfer. In diesem Abschnitt taucht in § 237 272 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="274"?> 618 SpecLeg 1,236; Übersetzung nach H E I N E M A N N 1910, 77. 619 SpecLeg I,237; Übersetzung nach H E I N E M A N N 1910, 77. 620 B R O W N 2003, 178. der Begriff παράκλητος auf. Philo kommentiert die gesetzlichen Verordnungen über unabsichtliche Versündigungen und schreibt ab § 235 über die vorsätzli‐ chen Verfehlungen. Philo geht auf denjenigen ein, der von einer Falschaussage über Besitz und Gut durch das eigene Gewissen im Inneren überführt wird, sein Unrecht offen eingesteht und um Verzeihung bittet. In diesem Fall, so Philo, gebiete das Gesetz einem solchen Manne Verzeihung zu gewähren, nachdem er seine Reue nicht durch ein Versprechen, sondern durch Taten wahrgemacht hat, nämlich durch Rückgabe des anvertrauten, geraubten, oder gefundenen oder sonst widerrechtlich angeeigneten fremden Gutes, und zwar unter Hinzufügung des fünften Teiles des Wertes zur Beschwichtigung des Geschädigten. 618 Im darauffolgenden Satz fährt Philo fort: Nachdem er aber den Geschädigten versöhnt hat, dann - so heißt es - geht er auch ins Heiligtum, um Vergebung seines Vergehens zu erflehen, wozu er als gewichtigen Fürsprecher die Mahnung seines Gewissens mitbringt; denn diese hat ihn aus unheilbarem Missgeschick gerettet, die tödliche Krankheit ihm beseitigt und völlige Gesundheit an ihre Stelle gesetzt. 619 Philo zeigt auf, dass nicht nur der Geschädigte versöhnt werden solle, sondern dass auch Gott Vergebung gewähren müsse. Um solche „Vergebung“ (ἄφεσις) zu erlangen, müsse der Schuldige ins Heiligtum gehen und Vergebung „erflehen“ (αἰτεῖν). Dabei könne er die „Mahnung des Gewissens“ bzw. „die Zurechtwei‐ sung durch die Seele“ (τὸν κατὰ ψυχὴν ἔλεγχον) „hinzuziehen“ (ἐπάγω). Sie diene ihm als παράκλητος, als „Mittler“ oder „Fürsprecher“ zwischen sich und Gott und rette ihn vor späteren Folgen und Strafen, die er anderweitig aufgrund seiner Vergehen zu erwarten hätte. Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass der Parakletenbegriff auch hier im nicht forensischen Kontext verwendet wird. The sinner is not brought before God in a trial context. Rather he comes to seek forgiveness from God because of his own conviction, which spares him facing judgment in the courtroom of heaven. Though the context of the passage is a legal discussion about the consequences of wrongful action, the lawgiver recommends that this particular scenario be dealt with out of the courtroom. The offender must prove his repentance by propitiating the injured person and then by going to God and offering propitiation. Both means of a reparation are social and not forensic. They indicate the avoidance of legal proceedings, not the use of them. 620 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 273 <?page no="275"?> 621 Gliederung nach C O H N 1910, 382−383. 622 Praem 163; Übersetzung nach C O H N 1910, 424. 623 Praem 164; Übersetzung nach C O H N 1910, 424. 624 Praem 165; Übersetzung nach C O H N 1910, 424. 625 Praem 166; Übersetzung nach C O H N 1910, 424; eigene Hervorhebung. 626 Praem 166−167; Übersetzung nach C O H N 1910, 424. 627 C O H N 1910, 424; Fußnote 1. Dem Begriff παράκλητος kommt in diesem Text also erneut die Bedeutung „Mittler“ oder „Fürsprecher“ in einem nicht gerichtlichen Kontext zu. Ein weiterer Beleg des Begriffs παράκλητος findet sich in Philos De praemiis et poenis (Praem), genauer in § 166. Insgesamt hantet dieses Werk, wie der Titel besagt, von Belohnungen und Strafen für Israel. Es gliedert sich in zwei Teile: Im ersten Teil (§§ 1-78) geht Philo auf Belohnungen und Strafen ein, im zweiten Teil (§§ 79-161) auf Segnungen und Flüche. Mit §§ 162-172 schließt Philo das Buch mit einigen Verheißungen für die Reuigen ab. 621 Der Abschnitt, in welchem der Parakletenbegriff verwendet wird, liegt demnach in den Schlussbemerkungen. Hierin geht Philo darauf ein, dass die angedrohten Flüche und Strafen, richtig verstanden, als Warnung dienen und zur Bekehrung führen würden, sodass das Volk „Vergebung erlangen [wird] bei dem hilfreichen und gnädigen Gott“. 622 Eine solche „völlige Bekehrung zur Tu‐ gend“ führe auch zur Freilassung aller Gefangenen und Weggeführten. 623 Nach der Freilassung würden sich alle an „einem ihnen ausgewiesenen Ort“ sam‐ meln, wohin sie von „einer göttlichen, übermenschlichen Erscheinung“ geleitet würden, „die für andere unsichtbar und nur für die Wiedergeretteten sichtbar ist “ . 624 Hierbei würden sie „unterstützt von drei Helfern [τρισὶ χρησάμενοι παρακλήτοις], um die Versöhnung mit dem himmlischen Vater zu erlangen“. 625 Im folgenden Satz erläutert Philo, wer unter diesen „Helfern“ zu verstehen sei, nämlich „die Milde und Güte des Angerufenen“, „die Frömmigkeit der Erzväter des Volkes“ und zum Dritten „die Besserung der zum Frieden und zur Versöhnung (mit Gott) Zurückgeführten“. 626 Die hier von Philo angeführten παράκλητοι sind also keine Personen, sondern Eigenschaften oder Verhaltens‐ weisen wie „Milde“ (ἐπιείκεια), „Güte“ (χρηστότης), „Frömmigkeit“ (ὁσιότης) und „Besserung“ (βελτίωσις), die als Fürsprecher vor Gott für das Volk eintreten, um Versöhnung zu erlangen. In diesem Zusammenhang weist Cohn auf eine interessante Tatsache hin: Auch die Rabbinen gebrauchen bei der Nennung der Mittel, Vergebung der Sünden bei Gott zu erlangen, bisweilen den griechischen Ausdruck παράκλητοι ( ןיטילקרפ ) = Helfer, Fürsprecher, Mittler; besonders Busse ( הבושת ) und gute Werke ( םישעמ םיבוט ) werden die grossen Parakleten genannt: Schabbat 32a u.-ö. 627 274 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="276"?> 628 Vgl. B R O W N 2003, 178. 629 Flacc 13.22.23.151.181. 630 Vgl. G E R S C H M A N N 1964, 126−129. 631 Gemeint ist hier der Prätorianerpräfekt Quintus Naevius Cordus Sutorius Macro, der Befehlshaber der als Garde des römischen Kaisers dienenden Elitetruppe der Prätorian er. 632 Flacc 12; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 132. 633 Flacc 12; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 132. 634 Flacc 13; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 132. Wie in anderen Stellen wird auch hier der Begriff παράκλητος nicht im juristischen Kontext gebraucht. Die παράκλητοι sind keine Personen, sondern Tugenden, die zwischen Gott und sein Volk treten, um das Volk in die richtige Beziehung mit Gott zu bringen. 628 Der Begriff παράκλητος ist hier im Sinne von „Helfer“ oder „Fürsprecher“ zu verstehen. Die letzten fünf Vorkommnisse des Parakletenbegriffs bei Philo finden sich in In Flaccum (Flacc). 629 Dieses Werk besteht aus drei Abschnitten: Im ersten Teil (§§ 1-19) werden die Person und Situation des Aulus Avillius Flaccus beschrieben, in §§ 20-96 die Judenverfolgung in Alexandria und in §§ 97-191 die Verbannung und das Ende des Flaccus. 630 Die erste Verwendung des Begriffs taucht in § 13 auf, wo Macro 631 als παράκλητος des Kaisers Tiberius bezeichnet wird. Der Erzählung zufolge hatte Gaius nach dem Tod des Kaisers Tiberius den Thron bestiegen und seinen Mitherrscher, Tiberius Gemellus, Enkel des verstorbenen Kaisers Tiberius, ermorden lassen. Zu Lebzeiten des Tiberius hatte dieser immer die Absicht gehabt, „den seiner Meinung nach tückischen und zur Herrschaft nicht geborenen Gaius aus dem Weg zu räumen“. 632 Dazu sei es aber nicht gekommen, da sich Macro für Gaius eingesetzt, ihn „als geraden, fehlerfreien und umgänglichen Menschen“ gelobt, seine Unterwürfigkeit betont und dadurch die Bedenken des Tiberius zerstreut habe. 633 Von den Reden und der Fürsprache des Macro habe sich Tiberius überzeugen lassen und nicht Hand an Gaius gelegt. Dadurch aber „hinterließ er [Tiberius] unwissentlich einen unversöhnlichen Feind seiner selbst, seines Enkels [Tiberius Gemellus] und seiner Familie, einen Feind sogar seines Fürsprechers Macro und aller Menschen“. 634 Aus dem Kontext geht hervor, dass Macro hier als Fürsprecher des Gaius, nicht des Tiberius zu verstehen ist. Macro hatte sich für Gaius vor Tiberius eingesetzt, um dessen Beseitigung zu verhindern. Dabei war es nicht Gaius, der Macro als Fürsprecher herbeigerufen hatte, sondern Macros eigener Eifer hatte 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 275 <?page no="277"?> 635 P A S T O R E L L I (2006, 68) spricht hier von einer „Überaktivität eines Parakleten […] die seinen eigenen Verlust verursacht“ (Est ici mise en valeur la suractivité dʼun paraclet qui cause sa propre perte). 636 Flacc 14; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 132. 637 Flacc 14; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 132. 638 So auch P A S T O R E L L I 2006, 68. 639 Vgl. G E R S C H M A N N 1964, 126. 640 Flacc 22−23; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 134; eigene Hervorhebung. in angespornt, für Gaius einzutreten. 635 Im weiteren Verlauf der Geschichte stellt sich heraus, „dass Gaius auf Abwege geriet und zügellos gegen alle ausbrach, wie es sich gerade traf […]“ 636 , und dass deswegen der Einsatz Macros zugunsten des Gaius weder angemessen noch berechtigt gewesen war, sondern er sogar die „schwere Strafe für seine grenzenlose Anhänglichkeit [zahlte], indem er selbst mit seiner Familie, mit Weib und Kindern beseitigt wurde wie eine übergroße Last und ein Ärgernis“. 637 Aus diesem Abschnitt ist ersichtlich, dass mit dem Begriff παράκλητος eine Person bezeichnet wird, die sich in einem nicht juristischen Kontext zugunsten eines anderen als „Fürsprecher“ oder „Verteidiger“ einsetzt, ohne dazu herbeigerufen oder aufgefordert worden zu sein. 638 Wenige Zeilen später berichtet Philo, dass Flaccus über den Tod seines Freundes Macro verzweifelt sei und wie er in dieser Situation von seinen falschen Freunden Dionysius, Lampo und Isidorus aufgrund seines offiziellen Herrschertitels missbraucht und zur Verfolgung der Juden gedrängt worden sei und mit der Benachteiligung der Juden begonnen habe. 639 In diesem Zusam‐ menhang seien die falschen Freunde heimlich zu Flaccus gekommen und hätten gesagt: Was du dir von dem jungen Tiberius Nero erwartet hast - damit ist es vorbei; vorbei ist es auch mit dem, der nach jenem deine Hoffnung war, dein Freund Macro. Vom Kaiser kannst du nichts Gutes erwarten. Also müssen wir einen mächtigen Fürsprecher finden, der den Gaius freundlich stimmen kann. Dieser Fürsprecher ist die Stadt Alexandria. Sie genoss von Anfang an die Achtung des ganzen Kaiserhauses, besonders die unseres jetzigen Herrschers. Sie wird für dich sprechen, wenn du ihr etwas schenkst. Und den größten Gefallen wirst du ihr tun, wenn du die Juden preisgibst und opferst. 640 Nach dem Tod des Tiberius und des Macro, so erzählt Philo weiter, habe nun auch Flaccus im Fokus des Gaius gestanden. Um seiner Feindseligkeit zu entgehen, sollte Flaccus sich auf Empfehlung falscher Freunde hin einen Parakleten suchen, der ihn vor Gaius verteidigen und schützen könnte. Das Anliegen dieser „Freunde“ sei aber weniger der Schutz des Flaccus gewesen als 276 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="278"?> 641 Flacc 151; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 158. 642 Die Verwendung von παράκλητος im Zusammenhang mit χρῆσθαι taucht auch in VitMos II,134 auf, wo vor dem Vater des Weltalls die Tugendhaftigkeit des vollkom‐ mensten Sohnes als Fürsprecher gebraucht werden sollte (vgl. παρακλήτῳ χρῆσθαι τελειοτάτῳ τὴν ἀρετὴν υἱῷ); in OpMund 23, wo Gott keine Helfer „braucht“, um die Welt zu schaffen und in Praem 166, zur Unterstützung drei Helfer gebraucht werden (τρισὶ χρησάμενοι παρακλήτοις), um die Versöhnung mit dem himmlischen Vater zu erlangen. 643 Vgl. P A S T O R E L L I (2006, 72): „Avec χράομαι, est clairement affiché le besoin du requérant, […] “. 644 Dies erinnert an § 13, wo die Stellung und die Fürsprache des Macros dem Gaius zugutekommen. vielmehr der hinterhältige Gedanke, Flaccus zur Preisgabe und Unterdrückung der Juden zu verleiten. Deswegen hätten sie ihm empfohlen, die Stadt Alexandria als Paraklet heranzuziehen. Könnte er sie durch die Preisgabe der Juden für sich gewinnen, dann stünde sie, die Stadt Alexandria, als Paraklet für ihn vor Gaius ein. In diesem Abschnitt ist der παράκλητος nicht jemand, der, wie oben gesehen, unaufgefordert kommt, sondern jemand, der „gesucht“ (εὑρεῖν; §-22), gefunden und herbeigerufen werden muss. Dabei handelt es sich um eine Person (oder ein Kollektiv), die mächtig genug ist, dem Kaiser die Stirn zu bieten und ihn „günstig zu stimmen“ (ἐξευμενισθήσεται; § 22). Der παράκλητος ist hier die Stadt Alexandria, die aufgrund von entgegengebrachten Geschenken als „Verteidigerin“ bzw. „Fürsprecherin“ in einem nicht offiziell juristischen Kontext zur Verteidigung eintritt. Im letzten großen Abschnitt des Werkes (§§ 125-191), in dem der Prozess, die Verbannung und der Tod des Flaccus geschildert werden, finden sich in § 151 und § 181 zwei weitere Verwendungen des Begriffs παράκλητος. In (§§-146-151) wird berichtet, wie der ganze Besitz des Flaccus in den Besitz des Kaisers Gaius übergeht, womit er sein gesamtes Eigentum verliert und daraufhin verbannt wird. Ursprünglich, so ist zu erkennen, hätte er nach Gyara verbannt werden sollen; „dank der Fürsprache des Lepidus durfte er es jedoch mit Andros vertauschen, das ganz in der Nähe lag“. 641 An dieser Stelle tritt Lepidus als παράκλητος für Flaccus auf: Er wird von Flaccus „als Fürsprecher genommen“ (παρακλήτῳ χρησάμενος Λεπίδῳ). 642 Dies zeigt die Bedürftigkeit des Flaccus nach einem Helfer, 643 der ein engeres Verhältnis und einen besseren Zugang zum Kaiser hat als er selbst. Nur ein angesehener Fürsprecher kann das Schicksal des Flaccus in dieser Situation mildern. 644 Wie es genau dazu kommt, dass Lepidus als Fürsprecher für Flaccus eintritt - ob er von Flaccus darum gebeten wird oder von sich aus an Gaius 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 277 <?page no="279"?> 645 Flacc 181; Übersetzung nach G E R S C H M A N N 1964, 163. Selbiger vermerkt in Anmerkung 1: „Lepidus, Drusillas Gatte, wurde wegen Ehebruchs und Mitwissenschaft um eine Verschwörung gegen Gaius 39 hingerichtet [Sueton, Caligula 24])“. 646 Vorausgesetzt, αἰδεῖσθαι ist hier im Sinne von „achten“, „Achtung haben“ zu verstehen, nicht im Sinne von „Scheu empfinden“, „sich scheuen“, „sich schämen“ (G E M O L L 1988, 16). herantritt -, wird nicht berichtet. Jedenfalls tritt er fürsprechend für ihn ein, was Lepidus hinterher aber Vorwürfe vonseiten des Gaius einbringt. Dieser nämlich wünscht sich später, den Flaccus nicht nur verbannt, sondern getötet zu haben: Oft reute es ihm, den Flaccus nur zur Verbannung, nicht zum Tode verurteilt zu haben; und obwohl er den Lepidus als Verteidiger achtete, machte er ihm Vorwürfe, so daß dieser aus Furcht, selbst bestraft zu werden, seine Bemühungen aufgab. Es lag nahe, daß er Angst vor einer härteren Strafe hatte, nachdem er einem anderen eine leichtere erwirkt hatte. 645 An dieser Stelle wird inhaltlich noch einmal auf § 151 zurückgegriffen, wo Lepidus bereits als παράκλητος bezeichnet wurde. Hier in §-181 bestätigt sich, was aus § 151 bereits vermutet werden konnte, nämlich, dass Lepidus vor Kaiser Gaius eine geachtete Stellung innehat. 646 Obwohl Lepidus aber anfänglich noch von Gaius als παράκλητος „geachtet“ (αἰδεῖσθαι) ist, „beschuldigt“ bzw. „tadelt“ (αἰτιᾶται) er ihn später, missachtet nach dessen Verschwinden die vorgebrachte Fürsprache und lässt Flaccus töten (§§ 183-191). Lepidus konnte sich also nur vorübergehend als παράκλητος schützend und verteidigend vor Flaccus stellen. Die Aufgabe des Parakleten war in diesem Fall zeitlich begrenzt und konnte die anhaltende Anfeindung nicht dauerhaft von Flaccus fernhalten. Aufgrund des inhaltlichen Rückgriffs auf § 151 ist παράκλητος hier wie dort am besten als „Verteidiger“ oder „Fürsprecher“ zu verstehen, der in einem nicht offiziell juristischen Kontext für einen anderen eintritt. Auch dem § 181 lässt sich nicht entnehmen, ob Flaccus den Lepidus als Verteidiger bzw. Fürsprecher beauftragt oder ob dieser von sich aus ein gutes Wort für ihn bei Gaius eingelegt hatte. Aus den elf Vorkommnissen des Parakletenbegriffs bei Philo lässt sich zusam‐ menfassend Folgendes über die Bedeutung, Verwendung und das Verständnis des Begriffs sagen: Ein παράκλητος kann entweder eine einzelne Person (Macro, Lepidus), ein Kollektiv (Alexandria) oder aber, wie in den meisten Fällen, eine Tugend oder eine moralische Eigenschaft (Güte Gottes, Überredungskunst, Pietät, Freundlichkeit oder Mahnung des Gewissens) sein. Als Paraklet kann er/ sie herbeigerufen und beauftragt werden oder aber von sich aus herbeikommen, um 278 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="280"?> 647 Auf diese Dreiecksbeziehung hat vor allem P A S T O R E L L I (2006, 84−85) immer wieder hingewiesen. Zudem sind ihm auch besondere Wortkonstellationen wichtig, die er auf Seite-85 ausführlich darlegt. 648 P R O S T M E I E R 1999, 111. 649 Vgl. P R O S T M E I E R 1999, 130. 650 Vgl. P R O S T M E I E R 1999, 10. 651 N I E D E R W I M M E R 1993, 79. sich vor einem meist höher Gestellten für einen meist Geringeren einzusetzen. 647 Dabei zeichnet sich der Paraklet selbst vorwiegend durch das Innehaben einer hohen bzw. anerkannten Stellung aus. Diese ermöglicht ihm den Zugang zu einer anderen höhergestellten Person, sichert ihm deren Aufmerksamkeit und Anerkennung und sorgt dafür, dass die vorgebrachte Fürsprache berücksichtigt wird. Neben den elf Verwendungen des Parakletenbegriffs bei Philo finden sich fünf weitere relevante Vorkommnisse im Barnabasbrief, in der Didache, im 2. Clemensbrief und bei Clemens von Alexandria. Im Barnabasbrief (Barn), der zwischen 70 und 190 n. Chr. abgefasst wurde, 648 findet sich der Begriff παράκλητος am Ende des zweiten Hauptteils (18,1-20,2), in welchem der unbekannte Verfasser 649 eine „Zwei-Wege-Lehre“ darstellt, die Lehre vom „Weg des Lichts“ (19,1-12) und vom „Weg des Schwarzen“ (20,1-2). 650 In Bezug auf den „Weg des Schwarzen“ listet er eine Vielzahl von Sünden (20,1) und Sündern (20,2) auf. Darunter findet sich auch die Bezeichnung „Fürsprecher“, „Verteidiger“ oder „Helfer“ der Reichen (πλουσίων παράκλητοι; Barn 20,2). Die exakt gleiche Bezeichnung (πλουσίων παράκλητοι) findet sich in einer nahezu identischen, wenn auch etwas gekürzten Liste in der Didache (Did 5,2), die ca. 110-120 n.-Chr. abgefasst wurde. 651 Barnabasbrief 20,2 Didache 5,2 διῶκται τῶν ἀγαθῶν, μισοῦντες ἀλήθειαν, ἀγαπῶντες ψεῦδος, οὐ γινώσκοντες μισθὸν δικαιοσύνης, οὐ κολλώμενοι ἀγαθῷ, οὐ κρίσει δικαίᾳ, χήρᾳ καὶ ὀρφανῷ οὐ προσέχοντες, ἀγρυπνοῦντες οὐκ εἰς φόβον θεοῦ, ἀλλ᾽ ἐπὶ τὸ πονηρόν, ὧν μακρὰν καὶ πόρρω πραΰτης καὶ ὑπομονή, ἀγαπῶντες μάταια, διώκοντες ἀνταπόδομα, οὐκ ἐλεῶντες πτωχόν, οὐ πονοῦντες ἐπὶ καταπονουμένῳ, εὐχερεῖς ἐν κατα‐ λαλιᾷ, οὐ γινώσκοντες τὸν ποιήσαντα αὐτούς, φονεῖς τέκνων, φθορεῖς πλάσματος θεοῦ, ἀποστρεφόμενοι διῶκται ἀγαθῶν μισοῦντες ἀλήθειαν ἀγαπῶντες ψεῦδος οὐ γινώσκοντες μισθὸν δικαιοσύνης οὐ κολλώμενοι ἀγαθῷ οὐδὲ κρίσει δικαίᾳ […] -ἀγρυπνοῦντες οὐκ εἰς τὸ ἀγαθόν ἀλλ᾽ εἰς τὸ πονηρόν· ὧν μακρὰν […] πραΰτης καὶ ὑπομονή μάταια ἀγαπῶντες διώκοντες ἀνταπόδομα οὐκ ἐλεοῦντες πτωχόν οὐ πονοῦντες ἐπὶ καταπονουμένῳ […] οὐ γινώσκοντες τὸν ποιήσαντα αὐτούς φονεῖς τέκνων φθορεῖς πλάσματος θεοῦ ἀποστρεφόμενοι τὸν ἐνδεόμενον 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 279 <?page no="281"?> 652 N I E D E R W I M M E R 1993, 151. 653 Vgl. N I E D E R W I M M E R (1993, 151), der hier schlicht auf die Übersetzung aus Bauers Wörterbuch verweist und παράκλητος als „jemand, der für einen anderen eintritt“ versteht. 654 P R A T S C H E R 2007, 108. τὸν ἐνδεόμενον, καταπονοῦντες τὸν θλιβόμενον, πλουσίων παράκλητοι, πενήτων ἄνομοι κριταί, πανθαμάρτητοι. καταπονοῦντες τὸν θλιβόμενον πλουσίων παράκλητοι πενήτων ἄνομοι κριταί πανθαμάρτητοι· Tabelle 5: Vergleich Barnabasbrief 20,2 und Didache 5,2 Wer diese „Verteidiger“, „Fürsprecher“ oder „Helfer“ der Reichen sind, wird in den Texten nicht näher ausgeführt. Da ihr Verhalten und Handeln in der Liste der Sünden und Sünder auftauchen, müssen diese παράκλητοι und ihr Tun negativ gesehen werden. Die Wendung πλουσίων παράκλητοι kann sogar als ironisch angesehen werden, denn „für die Armen und Bedürftigen sollten sie [die παράκλητοι] als Fürsprecher auftreten; aber nein: als Fürsprecher der Reichen gerieren sie sich! “ 652 Es ist anzunehmen, dass sich diese Menschen für die Reichen einsetzen, um selbst daraus einen Nutzen und Vorteil zu ziehen. Aus einem Eintreten für die Armen könnten sie hingegen keinen Nutzen ziehen. Die παράκλητοι sind hier also Menschen, die sich für andere in den unterschiedlichsten Kontexten einsetzen - sei es vor Gericht oder im Alltag -, um selbst einen Nutzen und Vorteil daraus zu ziehen. 653 Wendet man sich der Verwendung des Parakletenbegriffs im 2. Clemensbrief zu, so fällt auf, dass er hier deutlich in einem gerichtlichen und eschatologi‐ schen Kontext verwendet wird. In 2Clem 6,7 spricht der Verfasser davon, dass derjenige, der den Willen Christi tue, Ruhe finden werde. Wer dementgegen den Willen Christi nicht tue und seine Gebote überhöre, den werde nichts und niemand (οὐδείς) „retten vor der ewigen Strafe“ (ῥύσεται ἐκ τῆς αἰωνίου κολάσεως). Diese Tatsache belegt der Verfasser mit einem Verweis auf Hes 14,14-20 und führt in 2Clem 6,9 aus: Wenn aber sogar diese Gerechten [Noah, Daniel und Hiob] mit ihren gerechten Taten ihre Kinder nicht retten können, mit welcher Zuversicht werden wir, wenn wir die Taufe nicht rein und unbefleckt bewahren, in das Reich Gottes kommen? Oder wer wird unser Anwalt sein, wenn wir nicht als solche erfunden werden, die gottgefällige und gerechte Taten getan haben? 654 Aus den beiden rhetorischen Fragen geht hervor, welch hohen Wert der Ver‐ fasser auf ein moralisch anständiges bzw. ein „reines und unbeflecktes“ (ἁγνὸν 280 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="282"?> 655 P R A T S C H E R 2007, 116; vgl. P A S T O R E L L I (2006, 91), der ebenfalls erkennt, dass „die rhetorische Frage ,wer wird unser Paraklet sein? ‘ bedeutet, dass es im letzten Urteil keinen anderen Fürsprecher für uns geben kann, außer unsere guten Taten“ (Le question rhétorique ,qui sera notre paraclet? ‘ signifie quʼil ne peut y avoir, lors du jugement dernier, aucun autre intercesseur pour nous sinon nos bonnes œuvres). 656 Clem. Al. protr. 9,85.3; Übersetzung nach S T Ä H L I N 1934a, 162. Online im Internet: http s: / / bkv.unifr.ch/ de/ works/ cpg-1375/ versions/ protrepticus/ divisions/ 95 [04.08.2023]. 657 Clem. Al. q.v.s. 25,7; Übersetzung nach S T Ä H L I N 1934b, 256. Online im Internet: https: / / bkv.unifr.ch/ de/ works/ cpg-1397/ versions/ welcher-reiche-wird-gerettet-werden-bkv/ divisions/ 26 [04.08.2023]. καὶ ἀμίαντον) Leben und auf „heilige und gerechte Werke“ (ἔργα … ὅσια καὶ δίκαια) legt. Sie werden beim Endgericht die Grundlage des Gerichts bilden: Wer keine solchen gottgefälligen und gerechten Taten aufweisen kann, für den wird es auch keinen anderen παράκλητος geben. Deutlich geht aus diesem Abschnitt hervor, dass der Begriff παράκλητος hier als „Anwalt vor Gericht“ oder „Fürsprecher“ zu verstehen ist und dass „im Gegensatz zu 1 Joh 2,1 […] nicht Christus, sondern das eigene rechte Tun“ die Rolle dieses Anwalts übernimmt. 655 Betrachtet man abschließend die beiden Vorkommnisse des Begriffs bei Cle‐ mens von Alexandria, so ergibt sich hieraus Folgendes: Aus Clemensʼ „Mahnrede an die Heiden“ (Clem. Al. protr.) lässt sich keine zusätzliche Erkenntnis über den Gebrauch und die Bedeutung des Begriffs ziehen. Clemens verweist lediglich und ohne weitere Erklärung auf den Parakleten aus dem JohEv: Da aber der Herr voll Liebe zu den Menschen ist, beruft er alle Menschen ‚zur Erkenntnis der Wahrheit‘, indem er den Tröster sendet [ὁ τὸν παράκλητον ἀποστέλλων]. Was ist nun die Erkenntnis? Frömmigkeit. ‚Frömmigkeit aber ist zu allem nützlich‘, wie Paulus sagt, ‚da sie die Verheißung des gegenwärtigen und des zukünftigen Lebens hat.‘ 656 In seiner Schrift „Welcher Reiche wird gerettet werden? “ (Clem. Al. q.v.s.) richtet sich Clemens mit einem einfachen Rat an den Reichen: „Kehre dich von jenem Besitz ab“. Stattdessen empfiehlt er, sich dem Evangelium zuzuwenden und „den Retter“ (σωτήρ) allem anderen vorzuziehen. Im darauffolgenden Satzteil um‐ schreibt Clemens diesen „Retter“ näher als „den Verteidiger und Tröster deiner Seele“ (τὸν τῆς σῆς συνήγορον καὶ παράκλητον ψυχῆς) und als „den Fürsten des ewigen Lebens“. 657 Wie in 1Joh 2,1 bezieht sich der Begriff παράκλητος hier auf Jesus. Er ist der Retter und als solcher auch derjenige, der der Seele zur Seite steht. Aufgrund der engen Bindung an den Begriff „Verteidiger“ (συνήγορος) scheint auch beim Parakletenbegriff ein juristischer Unterton mitzuschwingen, 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 281 <?page no="283"?> 658 Zu diesem Schluss kommt auch S C H N A C K E N B U R G (1982, 159) nach seinem kurzen Überblick über die außerbiblischen Quellen: „Aus all dem darf man den Schluß ziehen, daß der Evangelist bzw. sein Kreis den vorgefundenen Ausdruck ‚der Paraklet‘ aufgreift und über ihn theologische Aussagen macht, die der joh. Geistlehre entsprechen.“ Später ergänzt er (1982, 167−168): „Wir gehen von der Annahme aus, die von den meisten Forschern geteilt wird, daß der Titel ‚Paraklet‘ dem Evangelisten schon vorgegeben war, und zwar bereits in christlicher Tradition“. 659 B R A U M A N N 1997, 414. sodass an dieser Stelle eine Übersetzung mit „Fürsprecher“ oder „Beistand“ zu bevorzugen ist. 10.1.3 Zusammenfassung des Verständnisses des Parakletenbegriffs Ausgangspunkt der vorausgehenden Untersuchung waren folgende Fragen: Welches Verständnis könnten die intendierten Rezipienten vom Begriff παράκλητος aufgrund einer möglichen Kenntnis dieser außerbiblischen Quellen gehabt haben? Wie könnte die mögliche Kenntnis der Verwendung des Begriffs in diesen Quellen oder ein allgemein kursierendes Verständnis des Begriffs ihr Verständnis bezüglich des Begriffs (vor)geprägt oder vorgefertigt haben? Welche Vorstellung könnte der Erzähler bei seiner Verwendung des Parakletenbegriffs bei ihnen vorausgesetzt und erwartet haben, als er diesen in Joh 14,16 anführte? Auch wenn unklar ist, welche der betrachteten Quellen dem Erzähler und seinen intendierten Rezipienten zugänglich und bekannt gewesen sein dürften, so lässt sich den zahlreichen außerbiblischen Belegstellen und der Art und Weise, wie der Begriff gebraucht, gefüllt und verstanden wird, entnehmen, dass παράκλητος ein weitläufig bekannter und einheitlich, wenn auch vielseitig gebrauchter Begriff war, dessen Bedeutung auch dem Erzähler und den inten‐ dierten Rezipienten bekannt gewesen sein müsste. 658 Ihnen dürfte bekannt gewesen sein, ● dass ein Paraklet nicht zwingend eine Person, sondern auch ein Kollektiv, eine Gottheit, die Redekunst, eine Tugend, eine Emotion oder eine morali‐ sche Eigenschaft sein kann; ● dass ein Paraklet zwar gelegentlich in einem gerichtlichen Kontext als „Anwalt“ und „Fürsprecher“ auftritt, überwiegend aber ein Freund, Famili‐ enangehöriger oder eine Eigenschaft ist, der/ die in einem nicht juristischen Umfeld als „Beistand“ oder „Helfer“ eintritt; ● dass ein Paraklet „nicht nur ein gutes Wort ein[legt], sondern […] tätige Hilfe [bringt]“ 659 ; 282 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="284"?> 660 B R A U M A N N 1997, 414. 661 Vgl. 1Joh 2,1. ● dass ein Paraklet, um seine Tätigkeit auszuführen, entweder herbeigerufen wird oder von sich aus hinzukommt oder aber von einem anderen gesandt wird; ● dass ein Paraklet beinahe immer in einer Dreiecksbeziehung auftritt und sich zwischen zwei Parteien stellt. Dabei kommt ihm seine angesehene, anerkannte und meist höhere Stellung zugute, die ihm Zugang zu und Anhörung von einem Höhergestellten gewährt und Fürsprache für einen Geringeren ermöglicht. Ein solcher Paraklet tritt zugunsten eines anderen als Mittler, Beistand oder Fürsprecher ein. Auch wenn dies in den außerbiblischen Quellen überwiegend in einem nicht juristischen Kontext geschieht, so „ist das Wort in der Profangräzität durchaus vom Rechtsleben her verständlich“. 660 Wendet man sich mit diesem dem Erzähler und den Lesern (möglicherweise) bekannten Vorwissen wieder den Abschiedsreden Jesu zu, so kann Folgendes festgehalten werden: Durch die Verwendung des Begriffs παράκλητος erwei‐ tert der Erzähler das bislang gezeichnete Bild der Figur des Geistes. Zu der bislang in der Erzählung gegebenen narrativen Darstellung des Geistes als des vom Himmel und von Gott gesandten, von oben her kommenden, Neugeburt wirkenden, lebendig machenden, Veränderung schaffenden Wesens, das in inniger Verbindung zum Vater und Sohn steht, tritt nun durch die Verwendung des Parakletenbegriffs die Vorstellung vom Geist als dem „Beistand“ und „Fürsprecher“, der als höhergestellte Autorität helfend und vermittelnd zur Seite steht. Die grundlegende Wortbedeutung, die den intendierten Rezipienten bekannt sein dürfte, ergänzt der Erzähler in Joh 14,16 mit dem Wort ἄλλον. Den hier genannten „anderen Beistand“ (ἄλλον παράκλητον) will Jesus selbst vom Vater für die Jünger erbeten und senden. Chronologisch gesehen bedeutet dies, dass mit Jesu Weggang von der Erde dieser Paraklet vom Vater auf die Erde gesandt werden wird. Er ist also nicht ein herbeigerufener, sondern ein gesandter Beistand. Aus der Bezeichnung „anderer Beistand“ geht hervor, dass Jesus sich selbst als den ersten Parakleten bezeichnet, dessen Amt hier auf der Erde nun einem anderen, zweiten Parakleten übergeben wird. Er soll bei den Jüngern sein und ihnen in allen schwierigen Situationen helfend zur Seite stehen. Jesus wird dabei jedoch nicht als Paraklet außer Kraft gesetzt, sondern übernimmt als Paraklet das „Fürsprecheramt“ beim Vater 661 und wird diesen um die Sendung des Geistes „bitten“ (ἐρωτᾶν). Hierin zeigt sich erneut die große Ähnlichkeit zwischen den beiden „Parakleten“: Sowohl Jesus als auch der Geist 10.1 Die Figur des Geistes bzw. des Parakleten im Johannesevangelium 283 <?page no="285"?> 662 K Ü M M E L 1976, 280. Zur Parallelität zwischen Jesus und dem Geist vgl. auch K E E N E R 2003b, 965. 663 K A M M L E R 1996, 92−93. 664 Brown zitiert in K Ü M M E L 1976, 279 f. 665 H A H N 2002a, 667. werden vom Vater gesandt, beide gehen vom Vater aus ( Joh. 8,42; 14,26; 15,26); beide legen für Jesus Zeugnis ab (8,14; 15,26); Jesus klagt die Welt ebenso an wie der Paraklet (7,7; 16,8) usw. Der Paraklet setzt also das Werk Gottes in Jesus fort, er ist der Vertreter des erhöhten Christus, bis die Verheißung in Erfüllung geht: „Ich werde wieder kommen und euch zu mir nehmen, damit ihr auch [dort] seid, wo ich bin“ (14,3). 662 Die hier dargestellte Ähnlichkeit zwischen Jesus und dem Parakleten wird wenig später in der Figurenrede Jesu in Joh 14,18 übertroffen: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme zu euch“. Durch die zitierte Aussage Jesu hebt der Erzähler hervor, dass sich das Kommen Jesu im Kommen des Geistes vollzieht. „In der Ankunft des Geistparakleten (V. 16f.) ereignet sich […] das Kommen des erhöhten Christus (V.-18-21), ja, das Kommen von Vater und Sohn (V. 22-24).“ 663 Somit ist „der Paraklet die Gegenwart Jesu“. 664 Das hier vom Erzähler dargestellte Kommen Jesu im und durch den Geist hebt das „erneute Kommen“ Jesu, im Sinne der eschatologischen Wiederkunft (vgl. Joh 14,3), nicht auf, „aber ein [erstes] Wiederkommen Jesu ereignet sich antizipierend bereits im Kommen des Geistes“. 665 Dass es sich beim kommenden Parakleten aber eben nicht um Jesus, sondern um den Geist handelt, wird durch eine ergänzende Aussage Jesu in Joh 14,17, 15,26 und 16,13 unterstrichen: Der Paraklet ist „der Geist der Wahrheit“ (τὸ πνεῦμα τῆς ἀληθείας). Diese Wendung taucht nur in den Abschiedsreden Jesu auf und erweiterte die bisherige Charakterisierung des Geistes um ein weiteres Element: Der Geist ist nicht nur Paraklet, sondern auch „der Geist der Wahrheit“. Als solchen kann ihn die Welt nicht empfangen ( Joh 14,17). Von den Jüngern hingegen sagt Jesus, dass sie diesen Geist kennen und dass er bei ihnen und in ihnen sein und bleiben werde. Die Kenntnis des Geistes beruht darauf, dass in ihm Jesus selbst gegenwärtig sein wird und der Geist alles aus und von Jesus her sagen und bezeugen wird. Durch die Verknüpfung des Geistes mit dem Begriff „Wahrheit“ (ἀλήθεια) stellt der Erzähler eine weitere Verknüpfung zwischen dem Geist und Jesus her, da sich Jesus kurz zuvor selbst als „die Wahrheit“ (ἡ ἀλήθεια; Joh 14,6; vgl. auch Joh 1,14.17) bezeichnet hat. So wie Jesus in die Welt kam und „nicht erkannt“ (οὐκ ἔγνω; Joh 1,10) und „nicht angenommen“ (οὐ παρέλαβον; Joh 284 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="286"?> 666 K A M M L E R 1996, 140. Ebenso S C H N E L L E 20016, 325. 1,11) wurde, so wird die Welt auch den Geist „nicht nehmen“ (οὐ … λαβεῖν) und ihn „nicht erkennen“ (οὐδὲ γινώσκει; Joh 14,17). Als „Geist der Wahrheit“ wird er die Wahrheit über Jesus bezeugen und die Jünger „alles lehren“ (διδάξει πάντα) und sie an „alles erinnern“ (ὑπομνήσει … πάντα), was Jesus gesagt hat. Später zeigt sich in der Erzählung zudem, dass der Geist der Wahrheit von Jesus als der Wahrheit Zeugnis geben und die Jünger in alle Wahrheit führen wird, was nichts anderes heißt, „als zum immer neuen und besseren oder tieferen Verstehen Jesu [zu] führen“ 666 ( Joh 16,12). 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Mit dem gesamten oben dargestellten textinternen und textexternen Wissen über den Geist und dem erzeugten Verständnis vom Geistparakleten treffen die Leser in der Zeugnisszene ( Joh 15,1-16,33) auf Joh 15,26 und somit auf die eigentliche Stelle, in der das Zeugnis für Jesus geschildert wird. In diesem Zusammenhang begegnet den Lesern die Aussage, dass der „Beistand, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, […] Zeugnis geben wird“ von Jesus. Diese Aussage soll im Folgenden nun in ihrem Kontext genauer untersucht werden, indem die der vorliegenden Arbeit zugrundeliegenden Fragen an den Abschnitt gestellt werden. 10.2.1 Zeugnisgeber: der Geistparaklet Als Zeugnisgeber wird in der Figurenrede Jesu klar der „Paraklet“ bzw. „der Geist der Wahrheit“ genannt. Aus der im JohEv vorausgegangenen Figurencharakte‐ risierung, aus dem textexternen Wissen um die Funktion und Bedeutung eines Parakleten und durch die textinternen Erläuterungen bezüglich des Geistpara‐ kleten haben die intendierten Rezipienten bereits vor und beim Lesen von Joh 15,26 eine vorgeprägte, breit angelegte Vorstellung von dem Geist bzw. dem Parakleten. Für die Leser ist der Geist derjenige, der von dem Vater und Sohn gesandt wird und den Willen des Vaters und des Sohnes ausführt, ebenso wie Jesus den Willen des Vaters tut. Er, der Geist, wird von oben her kommen und die Neugeburt bewirken, er wird lebendig machen und Veränderung schaffen. Die innige und untrennbare Verbindung zum Vater und Sohn ist den Lesern aus vielen vorausgehenden Schilderungen vertraut. Daher ist auch verständlich, warum sich mit dem Kommen des Geistes zugleich auch das Kommen Jesu und 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 285 <?page no="287"?> 667 S C H N A C K E N B U R G 1982, 85. 668 S C H N E L L E 2016, 308. 669 S C H N E L L E 2016, 308. des Vaters ereignen wird. Beide werden kommen, um „Wohnung zu machen“ (μονὴν … ποιησόμεθα; Joh 14,23). Ebenfalls bekannt ist den Lesern die Funktion des Geistes als Paraklet ( Joh 14,16.26). Welche parakletischen Funktionen und Aufgaben der Geist genau übernimmt und für wen er als Paraklet eintritt, wird den Lesern in den vorausgegangenen Parakletensprüchen angedeutet. Gemäß dem ersten Parakletenspruch in Joh 14,16f. ist der Paraklet im wörtli‐ chen Sinn der „Beistand“, da Jesus den Jüngern zusagt, dass der Paraklet „mit/ bei euch sein wird in Ewigkeit“ (μεθ᾽ ὑμῶν εἰς τὸν αἰῶνα ᾖ). So wie Jesus seinen Jüngern bislang als Paraklet beigestanden hat, so wird ihnen in Zukunft der andere Paraklet beistehen. „Für den Paraklet deutet die Präposition μετά c. gen. seine Schutz und Hilfe gebende Gegenwart an (vgl. 3,2; 8,29; 16,32; 17,2).“ 667 Aus dem zweiten Parakletenspruch in Joh 14,26 ist den Rezipienten außerdem bekannt, dass der Paraklet der Heilige Geist ist, dass er im Namen Jesu gesandt werden wird und „dass zwischen Jesus und dem Parakleten eine Beziehung, aber keine völlige Gleichheit besteht“. 668 Dieser Geistparaklet wird an Jesu statt eine lehrende und erinnernde Funktion einnehmen. Er wird die Jünger alles lehren und sie an alles erinnern, was Jesus gesagt hat. Dabei erfolgt die Lehre des Geistes dadurch, dass er in Erinnerung ruft, was Jesus gelehrt hat. „Der Geist bringt keine neuen Offenbarungen über das Wirken Jesu hinaus, sondern er vergegenwärtigt und erschließt die Jesus-Offenbarung.“ 669 Somit ist der Paraklet an dieser Stelle am ehesten als „Beistand“ oder „Helfer“ zu verstehen. Ein gerichtlicher Kontext erschließt sich den Lesern hier noch nicht. Im dritten Parakletenspruch ( Joh 15,26), in den der Zeugnisbegriff inkludiert ist, wird die Vorstellung des Lesers vom Geist nicht sonderlich erweitert. Zum dritten Mal nach Joh 14,14.26 wird der Geist als παράκλητος bezeichnet. Erneut können die intendierten Rezipienten dem Geist aufgrund der Verwendung des Parakletenbegriffs die Rolle eines Beistands, Fürsprechers oder Helfers zu‐ schreiben, wobei an dieser Stelle eine weitere Funktion des Parakleten genannt wird, nämlich die des Zeugnisgebers für Jesus. Aus dem Text geht hervor, dass der Geistparaklet zu dieser Aufgabe nicht herbeigerufen wird, sondern von Jesus und dem Vater gesandt werden wird. Dass der Begriff παράκλητος dabei in Joh 15,26 stärker als bisher juristische Züge aufweist, wird den Lesern durch die Wortwahl und den unmittelbaren Kontext nahegelegt. Seit Joh 15,18 ist vom Hass der Welt die Rede und 286 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="288"?> 670 B E U T L E R 1972, 275. 671 Diese Annahme könnte sich aus oben vorgenommener Untersuchung des außerbibli‐ schen Gebrauchs des Parakletenbegriffs ergeben, wonach ein Paraklet überwiegend ein Freund oder Familienangehöriger ist, der in einem nicht-juristischen Umfeld als „Beistand“ oder „Helfer“ eintritt. 672 Gegen B E U T L E R (2016, 432) und S C H N E L L E (2016, 321) die in erster Linie die Welt im Fokus des Zeugnisses des Geistes sehen. S C H N A C K E N B U R G (1982, 134) hingegen erkennt zurecht, dass der Paraklet „nicht unmittelbar zur Welt sprechen kann, sondern sich dabei der Jünger bedienen muß […]“ (vgl. B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 227). ebenso wie der Geist ‚die Welt bezüglich der Sünde […] überführen‘ wird (16,8), so wird sein Zeugnis über Jesus in den kommenden Auseinandersetzungen auch zugleich der Überführung der Welt dienen und so zugleich die Sünde der Welt besiegeln wie die Worte und Werke Jesu von V. 22 und 24. Damit ist sein Zeugnis Teil des ‚großen Prozesses‘ zwischen Jesus und der ‚Welt‘. 670 Durch die erneute Beifügung „Geist der Wahrheit“ (πνεῦμα τῆς ἀληθείας) unterstreicht der Erzähler, dass es sich um denselben Geist handelt, der bereits in Joh 14,16-17 beschrieben wurde, und dass dieser Geist auch im Kontext des Zeugnisgebens für Jesus zuverlässig ist und sein Zeugnis mit der Wahrheit übereinstimmen wird. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zeuge, der in dieser Szene vom Erzähler angeführt wird, kein geringerer ist als der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, der Geist, der vom Vater und Sohn gesandt werden wird, um als höhergestellte Autorität (und Freund? ) 671 die parakletische Funktion zu übernehmen, den Jüngern an Jesu statt als Beistand, Helfer und Fürsprecher beizustehen, sie zu lehren, sie an die Worte und Taten Jesu zu erinnern und sie in alle Wahrheit zu führen. 10.2.2 Zeugnisempfänger: die Jünger Wem das Zeugnis des Geistparakleten zukommen wird, lässt sich der zitierten Aussage Jesu in Joh 15,26 nicht unmittelbar entnehmen. Da aber im gesamten Abschnitt die Jünger angesprochen werden und der Geistparaklet ihnen gesandt werden soll, um bei bzw. in ihnen zu sein und zu bleiben, ist davon auszu‐ gehen, dass in erster Linie die Jünger als Zeugnisempfänger verstanden werden müssen. 672 „Der Kosmos“ (ὁ κόσμος) hingegen, der erst ab Joh 16,8 erwähnt wird, kommt als direkter Zeugnisempfänger nicht infrage, da ihm der Geist nicht gesandt wird und er den Geist nicht empfangen und nicht sehen kann ( Joh 14,17) und somit wohl auch sein Zeugnis nicht wahrnehmen oder annehmen könnte. Außerdem muss berücksichtigt werden, dass in der Rede vom Parakleten und 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 287 <?page no="289"?> 673 Dass die Jünger selbst in dieser Szene zu zukünftigen Zeugen Jesu erklärt werden, wird weiter unten thematisiert. 674 Diese Annahme steht auch im Einklang mit den Aussagen der Synoptischen Evangelien, wonach der Geist durch die Jesuszeugen reden (Mt 10,19; Mk 13,11) und ihnen im Gericht zur Seite stehen wird, um sie zu lehren, was sie sagen sollen (vgl. Lk 12,11; 21,12ff). 675 S C H N A C K E N B U R G 1982, 134. 676 S C H E N K E 2014, 222. Ebenso B R O W N (2003, 217): „The Paracleteʼs witness to the world on Jesusʼ behalf is apprehended by the disciples, who in turn proclaim Jesusʼ testimony to the world“ (vgl. B E N N E M A 2014, 224). 677 Z I M M E R M A N N (2014, 32) sieht im häufigen Vorkommen von Gruppencharakteren ein „Spezifikum des johanneischen Figurenbestandes“. der Welt in Joh 16,8 nicht das Zeugnis für Jesus im Vordergrund steht, sondern das Öffnen der Augen für Sünde, Gerechtigkeit und Gericht. Obgleich der Kosmos in Joh 15,26 also nicht direkt Empfänger des Zeugnisses des Geistes ist, so ist er es doch indirekt durch das Zeugnis der Jünger, die zu Geist- und Zeugnisträgern werden (vgl. Joh 15,27). 673 Aus der Erzählung geht hervor, dass es später das Zeugnis der Jünger sein soll, das vom Kosmos gehört werden wird. Bei ihrem Zeugnis von der Wahrheit über Jesus wird der Geist sie an alles erinnern und sie in alle Wahrheit leiten (vgl. Joh 14,26; 16,13). 674 Somit bezeugt der Geist zwar indirekt auch der Welt, aber nur durch das Zeugnis der Jünger. Es kann Folgendes festgehalten werden: „Das Zeugnis des Parakleten und das der Jünger […] fließen zu einem einzigen Zeugnis zusammen“ 675 , sodass „das Zeugnis des Geistes […] im Zeugnis der Jünger“ ergeht. 676 Wenn also, wie herausgestellt, in erster Linie die Jünger Jesu als primäre Empfänger des Zeugnisses des Geistes verstanden werden müssen, dann stellt sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit die Frage, wer diese zeugnisempfan‐ genden Jünger sind und wie sie vom Erzähler charakterisiert werden. Geht man dieser Frage nach, fällt zunächst auf, dass die Bezeichnung „Jünger“ oder „Schüler“ (μαθητής) 78-mal im JohEv verwendet wird, öfter als in jedem anderen neutestamentlichen Schriftstück. Da der Begriff an keiner Stelle im JohEv näher erklärt wird, ist anzunehmen, dass der Erzähler ihn bei seinen in‐ tendierten Lesern als bekannt voraussetzt. Auffällig ist, dass der Plural μαθηταí ein Kollektiv bzw. einen Gruppencharakter beschreibt, der aus Einzelfiguren besteht, diese jedoch meist hinter der Gruppe zurücktreten. Nicht der einzelne Jünger, sondern das Kollektiv, die Jünger, steht wie eine Figur im Fokus der Erzählung. 677 Bei der Untersuchung des Begriffs μαθηταí ist zu beachten, dass er in der Erzählung nicht nur für die Jünger Jesu, sondern auch für die Jünger des Johannes (vgl. Joh 1,35.37; 3,25) und für die Jünger des Mose ( Joh 9,28) verwendet 288 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="290"?> 678 F A R E L L Y (2010, 16) bemerkt hierzu: „Since the term μαθητής is not restricted to ‚the Twelve‘ in the Forth Gospel, the exact identity of Jesusʼ μαθηταí is at times ambiguous“. 679 Mt 10,2−4; Lk 6,14−16 oder Mk 3,16−19. 680 Z I M M E R M A N N 2014, 32. 681 Vgl. Joh 1,29.35.43; 6,22; 12,12. wird. 678 Unmittelbar vor und in der Zeugnisszene von Joh 15,1-16,33 bezieht sich der Begriff aber eindeutig auf die Jünger Jesu, vermutlich sogar nur auf den engeren Kreis der zwölf bzw. elf Jünger. Doch wer sind diese Jünger? Welches Bild haben die intendierten Rezipienten aus der vorausgegangenen Erzählung im Kopf, wenn in Joh 15,26 „die Jünger“ als Zeugnisempfänger genannt werden? Das erste Mal wird die Bezeichnung οἱ μαθηταí für die Jünger Jesu in Joh 2,2 verwendet. Wer genau zu diesem Gruppencharakter gehört, was also den Figurenbestand dieses Kollektivs ausmacht und wie es zur Konstellation dieses Jüngerkreises Jesu gekommen ist, lässt sich dem Erzählabschnitt nicht entnehmen. Auch sonst finden die Leser im JohEv nirgends eine umfassende Liste der Namen derer, die zu den Jüngern Jesu gehören, wie es in den Synoptikern der Fall ist. 679 Der Erzähler scheint von Beginn seiner Erzählung an davon auszugehen, dass seine Leser wissen, wer zu den Jüngern bzw. zu den „Zwölfen“ (δώδεκα; Joh 6,67.70.71; 20,24) gehört und wer nicht. Zugleich können die Leser aber „nur deshalb von einer Gruppe sprechen, weil […] [die] Gruppe über ein nomen appellativum als solche ausgewiesen wird“. 680 Wie es zur Zusammenstellung bzw. Berufung der Jünger gekommen ist, schildert der Erzähler ansatzweise und exemplarisch in Joh 1,35-51. Eine erste Szene leitet er mit der mehrfach im JohEv verwendeten Wendung „am nächsten Tag“ (τῇ ἐπαύριον) 681 ein: „Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei von seinen Jüngern“ ( Joh 1,35). Durch den Gebrauch des Wortes „abermals“ (πάλιν) wird die wiederholte Handlung Johannesʼ des Täufers geschildert, der „aufs Neue“ mit seinen Jüngern, die zunächst nicht näher beschrieben werden, dastand. Wo er steht, wird aus den vorausgehenden Szenen ersichtlich. Johannes und seine Jünger halten sich zur erzählten Zeit am Jordan auf, um zu taufen ( Joh 1,28). Bereits am vorausgegangenen Tag war Jesus zu Johannes gekommen, um sich taufen zu lassen ( Joh 1,29-34). Ob die beiden Jünger des Johannes bei diesem Ereignis anwesend sind, wird nicht gesagt. Nun, am folgenden Tag, geht Jesus erneut an Johannes und seinen Jüngern vorüber. Wie am Tag zuvor bezeugt der Täufer auch dieses Mal von Jesus: „Siehe, das Lamm Gottes“ ( Joh 1,36; vgl. Joh 1,29). Ob er noch mehr über Jesus aussagt, bleibt unerwähnt. Die Folge dieser Aussage über Jesus ist jedoch ersichtlich: Die beiden Jünger hören, was Johannes bezeugt, und folgen Jesus nach ( Joh 1,37). Das hierbei erstmals verwendete Wort 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 289 <?page no="291"?> 682 Auf die Bedeutung der ersten Worte weist besonders R E S S E G U I E (2007, 121. 242) hin: „Characters reveal themselves in their speech (what they say and how they say it) […]“. 683 T H Y E N 2015, 128. 684 S C H N A C K E N B U R G 1981, 308. 685 Mit dem in diesem Zusammenhang mehrfach gebrauchten Begriff „bleiben“ (μένειν; erstmals in 1,32), der insgesamt 40 Mal im JohEv auftaucht, wird ein bedeutendes Motiv in die Erzählung des JohEv eingeführt. „Johnʼs understanding of discipleship is not simply coming to Jesus but also remaining with him“ (B E N N E M A 2014, 222). So auch C U L P E P P E R (1987, 116), der im „Bleiben“ (abiding) den Test für echte Jüngerschaft sieht. 686 Folgende Vermutung, der hier aber nicht weiter nachgegangewn werden soll (vgl. dazu aber „11.1.1. Zeugnisgeber: Der Jünger, den Jesus liebt“), legt sich den Lesern, wenn auch erst nach wiederholter Lektüre, nahe: „Bewusst verschweigt […] [der Erzähler] den Namen des zweiten erstberufenen Jüngers, die Hörer/ Leser seines Evangeliums können diese ‚Leerstelle‘ ausfüllen, denn sie kennen ihn ohnehin: den Lieblingsjünger“. (S C H N E L L E 2016, 81). „nachfolgen“ (ἀκολουθεῖν) wird von da an im weiteren Verlauf der Geschichte charakteristisch für die Nachfolge Jesu. Der genaue Grund für die Annahme des Zeugnisses und die daraus resultie‐ rende Nachfolge wird vom Erzähler nicht explizit genannt. Das Zeugnis des Johannes und die Begegnung mit Jesus scheinen so einschneidend zu sein, dass die Jünger des Johannes nun Jesus folgen. Die nach wie vor nicht namentlich genannten Jünger werden daraufhin von Jesus direkt angesprochen und gefragt, was sie suchen. Die folgenden ersten Worte der Jünger 682 verdeutlichen die unterwürfige Haltung der beiden und bestätigen das Lehrer-Schüler-Verhältnis, in welches sie sich nun als Jünger Jesu begeben wollen. Indem sie Jesus respektvoll mit der hebräischen Bezeichnung „Rabbi“ (ῥαββί) ansprechen, was, wie der Erzähler beifügt, dem griechischen διδάσκαλε entspricht, machen sie deutlich, dass sie von ihm Unterweisung und Belehrung erhoffen und erbitten. Es handelt sich „um die respektvolle Anrede von hörbereiten Schülern“. 683 Die Frage „Wo bleibst du? “ bzw. „Wo hältst du dich auf ? “ (ποῦ μένεις; Joh 1,38) bringt zum Ausdruck, dass die Jünger nicht nur hier und jetzt von Jesus Belehrung erwarten, sondern dass sie ihm folgen und längerfristig in seiner Nähe bleiben wollen, um von ihm zu lernen. „Das ‚Folgen‘ der beiden Jünger ist der erste Schritt zum Glauben an Jesus; es führt zum ‚Bleiben‘, nicht nur an jenem Tag (V 39), sondern in beständiger Gemeinschaft mit ihm“. 684 Jesus geht auf die Frage der Jünger ein, antwortet: „[K]ommt und seht“ (ἔρχεσθε καὶ ὄψεσθε), woraufhin die beiden Jünger kommen und sehen und bei ihm bleiben ( Joh 1,39). 685 In Vers 40 wird nachträglich einem der beiden Jünger der Name „Andreas“ (Ἀνδρέας) zugewiesen, während der andere Jünger namenlos bleibt. 686 Der namentlich erwähnte Jünger wird zugleich als Bruder des „Simon Petrus“ (Σίμων Πέτρος) identifiziert, den Andreas alsdann „findet“ und dem er mitteilt: „Wir 290 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="292"?> 687 Zur näheren Charakterisierung Nathanaels vgl. H U N T 2014, 611−624. 688 Insgesamt werden im JohEv nur Simon Petrus, Andreas, Philippus, Thomas, Judas Iskariot, der andere Judas ( Joh 14,22) und Nathanael namentlich erwähnt (vgl. Joh 21,2). Daneben erwähnt werden der Lieblingsjünger, die Söhne des Zebedäus und „zwei andere von seinen Jüngern“ ( Joh 21,2). 689 Dabei kann die Bezeichnung „die Jünger“ für die Volksmenge ( Joh 6,2), für eine Gruppe von Anhängern in Judäa ( Joh 7,2) oder eben für eine Gruppe von Nachfolgern stehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Erzählung bei Jesus ist und ihm folgt (vgl. F A R E L L Y 2010, 16). haben den Messias gefunden“ (εὑρήκαμεν τὸν Μεσσίαν; Joh 1,41). Durch die zweifache Verwendung des Begriffs „finden“ (εὑρίσκειν) wird vom Erzähler verdeutlicht, dass die Jünger nicht nur den Messias gesucht und (endlich) gefunden haben, sondern dass Andreas auch seinen Bruder Simon aufgesucht hat, um ihm von der bedeutenden Begegnung mit dem Messias Jesus zu berichten. Deutlich wird hier der Eifer bzw. die Überzeugung hervorgehoben, mit der Andreas (und die anderen) Jünger Jesu geworden ist und mit der er ihm nun folgt. In einer weiteren Szene ( Joh 1,43-51), die erneut mit den Worten „am folgenden Tag“ eingeleitet wird, schildert der Erzähler die Ausweitung des Jüngerkreises. Jesus selbst „findet“ (εὑρίσκειν) Philippus und ruft ihn direkt mit den Worten „folge mir nach“ (ἀκολούθει μοι) zur Nachfolge auf ( Joh 1,43). Narratorial wird beigefügt, dass Philippus wie auch Andreas und Petrus aus Bethsaida stammen. Philippus ist es dann, der Nathanael 687 „findet“ (εὑρίσκειν) und ihm berichtet: „[W]ir haben gefunden [εὑρήκαμεν], von dem Mose in dem Gesetz geschrieben hat, und die Propheten, Jesus, den Sohn des Joseph, den von Nazareth“ ( Joh 1,45). Nach anfänglicher Skepsis nähert sich Nathanael Jesus. Von dessen Aussagen überführt und beeindruckt bekennt er schließlich: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels“ ( Joh 1,49). Mit der erneuten Verwendung der hebräischen Anrede „Rabbi“, wodurch eine Inclusio um die Berufungsgeschehen gebildet wird, beendet der Erzähler die Schilderung der Berufung der Jünger. Der zuletzt erwähnte und scheinbar als Letzter berufene Jünger stellt sich wie die vor ihm berufenen Jünger mit der Anrede „Rabbi“ unterwürfig unter die Weisung und Belehrung des Meisters und Lehrers. Mit den wenigen genannten Jüngern endet die Darstellung der Berufung der Jünger, ohne dass in der Erzählung auf weitere Jünger und ihre Berufung ein‐ gegangen wird. 688 Die narrative Darstellung der Berufung dieser wenigen Jünger steht exemplarisch für die Berufung aller, die von da an fast ausschließlich und kollektiv als „die Jünger“ bezeichnet werden. 689 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 291 <?page no="293"?> 690 Der Plural μαθηταί wird insgesamt 36x im JohEv verwendet, 31x mit Artikel (ohne Artikel nur in Joh 8,31; 9,27.28; 13,35; 15,8). Wann μαθηταί für die zwölf Jünger und wann es für einen erweiterten Jüngerkreis verwendet wird, muss an jeder Stelle individuell geprüft werden und ist selbst dann nicht immer eindeutig. 691 H Y L E N 2016, 217. Dies zeigt sich in der Erzählung schon bei der Hochzeit zu Kana, wo von Jesus und „seinen Jüngern“ die Rede ist ( Joh 2,1-12). Ohne textexternes Wissen wird den Lesern auch an dieser Stelle nicht ersichtlich, wer alles zum Kreis dieser Jünger gehört. Dennoch wird die Bezeichnung οἱ μαθηταί zum feststehenden Begriff für eine Gruppe von Nachfolgern Jesu, die teilweise aus einer undefinierten Zahl von Jüngern, teilweise nur aus den Zwölfen besteht. 690 Wenn in Joh 2,1-12 berichtet wird, dass Jesus und seine Jünger zur Hochzeit nach Kana eingeladen sind, dann legt sich den Lesern die Vermutung nahe, dass Jesus und seine Jünger eine derart feste Gruppe bilden, dass sie nur als Kollektiv eingeladen werden können. Im Verlauf der Hochzeit vollbringt Jesus sein erstes Zeichen - die Wandlung von Wasser in Wein. Der Erzähler schildert, dass Jesus dadurch seine Herrlich‐ keit offenbart und seine Jünger daraufhin an ihn glauben ( Joh 2,11). „Notably, the first verb that characterizes them as a group is their belief in Jesus (2: 11).“ 691 Durch die Erwähnung des „Glaubens“ der Jünger wird die Gruppe aber nicht nur ein erstes Mal charakterisiert, sondern der Erzähler gibt zugleich Einblick in das Innenleben dieses Gruppencharakters. Es bleibt nicht bei der äußerlichen Nachfolge Jesu, sondern es kommt zum inneren „Vertrauen“ auf bzw. „Glauben“ an Jesus, was sich in einem „Bleiben“ bei Jesus äußert, wie die folgenden Szenen zeigen. Denn nach der Hochzeit wird vom Erzähler bewusst erwähnt, wie die Jünger eine Zeit lang bei Jesus, seinen Brüdern und seiner Mutter in Kapernaum „blieben“ (μένειν; Joh 2,12) und wie Jesus und vermutlich auch seine Jünger von dort aus zum Passahfest nach Jerusalem gehen ( Joh 2,13). Dass die Jünger das Ereignis der sich dort zutragenden Tempelreinigung einordnen können, schreibt der Erzähler der Erinnerung der Jünger an eine alttestamentliche Prophezeiung zu: „Seine Jünger aber erinnerten sich daran, dass geschrieben steht […]“ (μιμνῄσκεσθαι; Joh 2,17). Durch die Erwähnung des scheinbar einheitlichen und gemeinsamen „Erinnerns“ an das, was geschrieben steht, wird ein weiteres Mal die Einheit der Jünger hervorgehoben und erneut Einblick in ihr Innenleben gewährt. Während dieses Ereignis von den Jüngern scheinbar mühelos vom Alten Testament her gedeutet werden kann, erschließt sich ihnen die Aussage Jesu über die Aufrichtung des „Tempels“ in drei Tagen erst später ( Joh 2,22). Dadurch wird nicht nur ein weiteres Mal Einblick in das Innenleben gegeben, sondern den Lesern wird zugleich deutlich, dass die 292 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="294"?> 692 Auf diese Spannung zwischen Glaube und Unglaube bei den Jüngern weist vor allem H Y L E N (2016) hin. 693 Vgl. C U L P E P P E R 1987, 152−165; R E Y N O L D S 1998, 150−159; S K I N N E R 2013b, 111−127; 2016, 127−132. 694 Gegen C U L P E P P E R 1987, 116. Jünger zwischen einem Wissen und Nichtwissen, zwischen einem Verstehen und Nichtverstehen hin- und herschwanken, ebenso wie sie zwischen Glaube und Unglaube hin- und hergeworfen sind. 692 Zu einem späteren Punkt in der Erzählung befinden sich die Jünger mit Jesus im Land Judäa ( Joh 3,22), wo die Jünger taufen ( Joh 4,2). Bei der daraufhin erzählten Reise durch Samaria wird der Fokus ganz auf die Begegnung und Unterhaltung Jesu mit der Samaritanerin gerichtet. Erst im Verlauf des Erzäh‐ labschnitts erwähnt der Erzähler, dass „seine [ Jesu] Jünger weggegangen waren in die Stadt, um Speise zu kaufen“ ( Joh 4,8). Es zeigt sich, dass die Jünger für das eigene und das leibliche Wohl des Meisters verantwortlich sind und anfallende Besorgungen erledigen (vgl. Joh 6,5; 13,29). Als sie zurückkehren, schildert der Erzähler durch einen Einblick in das Innenleben der Jünger die Verwunderung der Jünger darüber, dass Jesus sich mit einer samaritanischen Frau unterhält. Zugleich bringt er damit die starke kulturell-religiöse Prägung der Jünger zum Ausdruck, die sie sich über eine Unterhaltung ihres Meisters mit einer samaritanischen Frau wundern lässt. Dadurch, dass keiner der Jünger sagt: „Was suchst du? , oder: Was redest du mit ihr? “ ( Joh 4,27), wird den Lesern vermittelt, dass der Respekt der Jünger ihrem Lehrer gegenüber größer ist als die Verwunderung über sein Verhalten. Demzufolge sprechen sie ihn auch nach dem Weggang der Frau weiterhin respektvoll mit „Rabbi“ an und fordern ihn auf, etwas zu essen ( Joh 4,31; vgl. Joh 9,2; 11,8). Seine Ablehnung des Essens und die Aussage über seine wahre Speise sorgen bei den Jüngern jedoch für Unverständnis und führen zu Missverständnissen ( Joh 4,33) - ein Thema, das sich durch das ganze JohEv zieht. 693 Während der in Joh 4,43-5,47 geschilderten Ereignisse bleiben die Jünger unerwähnt, auch wenn davon auszugehen ist, dass sie weiterhin an der Seite Jesu sind. 694 Erst in einem längeren Erzählabschnitt in Kapitel 6 werden die Jünger wieder erwähnt und der Erzähler gibt weitere Informationen über sie. Der Erzählung zufolge hält sich Jesus nun mit seinen Jüngern auf einem Berg am See Genezareth auf. Eine große Volksmenge ist ihnen gefolgt. Jesus setzt sich mit seinen Jüngern nieder und betrachtet die herbeigekommene Volksmenge. Nach der Berufung der Jünger im ersten Kapitel werden hier nun erstmals wieder einzelne Jünger namentlich erwähnt. Jesus fordert Philippus auf, zu überlegen, wo Brot für die Menschenmenge gekauft werden könnte ( Joh 6,5). Dass Jesus 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 293 <?page no="295"?> 695 K Ö S T E N B E R G E R 2004, 205. Vgl. D I E T Z F E L B I N G E R 2001, 149; M O R R I S 1995, 310. 696 C U L P E P P E R 1987, 117. 697 Vgl. B E U T L E R 2016, 229; H Y L E N 2016, 218; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 218. 698 H Y L E N 2016, 218. Philippus damit prüfen will, wird den Lesern vom Erzähler erläutert. Andreas schreitet ein und verweist auf ein Kind, das fünf Brote und zwei Fische bei sich hat, äußert sofort aber seine Bedenken, dass dies wohl zu wenig sei für eine so große Menschenmenge ( Joh 6,8.9). Als Jüngerkollektiv erleben sie daraufhin die Brotvermehrung und folgen der Anweisung Jesu, die übrig gebliebenen Reste der Speise einzusammeln ( Joh 6,12). Warum die Jünger genau zwölf Körbe mit Speiseresten füllen, wird vom Erzähler nicht näher erläutert. Im Folgenden steht nicht ihre Reaktion, sondern die der Volksmenge im Fokus, während die Jünger ganz in den Hintergrund der Erzählung rücken. In der folgenden Szene wird der Weggang der Jünger von Jesus zum und über den See beschrieben. Auf dem See und inmitten eines Sturms werden den Lesern die Jünger von einer neuen Seite als ängstlich und mit der Situation überfordert vorgestellt. Sie haben mit den Elementen Wind und Wasser zu kämpfen und fürchten sich vor Jesus, der ihnen auf dem Wasser begegnet. Für die Jünger kommt es hier zu einer Erkenntniserweiterung durch die Selbstidentifikation Jesu mit einem ersten absoluten „ich bin“ (ἐγώ εἰμι; Joh 6,16-21). „On the one level ἐγώ εἰμι […] is Jesusʼ self-identification to his disciples […] Beyond this, there may be overtones of epiphany (‚I am‘ is Godʼs name in the OT; see Exod. 3: 14), especially in light of Jesusʼ walking on water.“ 695 Trotz dieser Selbstoffenbarung Jesu kommt es wenig später dazu, dass unter den Jüngern ein Murren über die Rede Jesu aufkommt ( Joh 6,60-66). Der Erzähler verdeutlicht damit Folgendes: „[…] while Jesusʼ works attract disciples his word drive them away“. 696 Durch die Erwähnung des Murrens und das dabei verwendete Verb γογγύζουσιν wird eine Verbindung zum Murren der Juden in Joh 6,31-58 gezogen. Zudem werden die Leser vielleicht sogar an das Murren Israels gegen Mose und Gott zur Zeit der Wüstenwanderung erinnert (vgl. Ex 16,7; 17,3; Num 14,2.27.36). 697 Erstmals unterscheidet der Erzähler dabei zwischen „vielen seiner Jünger“, die sich von Jesus abwenden und ihm hinfort nicht mehr folgen, und den Jüngern, die Jesus nach eigenen Angaben „erwählt hat“ (vgl. ἐξελεξάμην; Joh 6,70) und die weiterhin bei ihm bleiben. Hylen betont hierbei die Möglichkeit, „to read the dissention among the disciples as something that characterizes the disciple as a corporate character“. 698 In v. 61 Jesus is ‚aware that the disciples were complaining.‘ That is, the group as a whole is characterized by the action of complaint. Even when some turn away, John 294 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="296"?> 699 H Y L E N 2016, 218. Diesen Ansatz vertritt H Y L E N (2009) schon in ihrer Monografie „Imperfect Believers: Ambiguous Characters in the Gospel of John“. 700 Vgl. T H Y E N (2015, 518), der hier ebenfalls „einen unüberhörbaren Ton der Resignation“ wahrnehmen will (gegen B E U T L E R 2016, 329). Dass Thomas, als Einzelfigur, die Gruppe der Jünger repräsentiert, erkennt auch Z I M M E R M A N N (2014, 33). 701 Hier ist zwar nicht von den Jüngern, wohl aber von den „Mitjüngern“ (συμμαθητής) die Rede. continues to identify them as disciples: ‚many of the disciples turned back.‘ Thus, instead of interpreting this division as a rift between true and false believers, the act of turning back may contribute to the disciplesʼ character. The disciplesʼ actions in chapter 6 create a mixed impression: they both believe in Jesus and turn away from following him. 699 Diese Auffassung deckt sich mit der auch später zu erkennenden Zerrissenheit der elf Jünger bei der Verurteilung und Kreuzigung Jesu: Auch der engste Kreis der Jünger „glaubt“ zwar an Jesus, wendet sich dann aber im entscheidenden Moment von ihm ab. Ob es sich bei der nächsten Erwähnung der Jünger in Joh 9,2 nur um die zwölf oder auch um weitere Jünger handelt, ist der Erzählung nicht zu entnehmen. Jedenfalls wird durch die Anrede Jesu mit „Rabbi“ erneut der Respekt der Jünger ihrem Meister gegenüber verdeutlicht und diese somit den Juden gegenübergestellt, die sich selbst als „Jünger des Mose“ bezeichnen und Jesus als „Sünder“ beschimpfen ( Joh 9,24.28). In der Szene der Auferweckung des Lazarus in Kapitel 11 erkennen die Leser einmal mehr die Unsicherheit und Angst der Jünger. In zitierter Figurenrede sprechen sie Jesus zwar mit „Rabbi“ an, wollen ihn aber davon abhalten, zu Lazarus und damit erneut nach Judäa zu ziehen, weil die Juden ihn dort eben noch steinigen wollten ( Joh 11,8). Als Jesus bekundet, dass er trotzdem hinziehen will, kommt stellvertretend in der Figurenrede des Thomas die Resignation des gesamten Jüngerkreises zum Ausdruck (vgl. Joh 11,16). 700 Zudem werden hier, wie auch im weiteren Verlauf der Szene, erneut die Missverständnisse und der Unglaube der Jünger ersichtlich. Die Jünger glauben Jesus nicht, dass die Krankheit des Lazarus „nicht zum Tod, sondern zur Verherrlichung Gottes“ dient, und verstehen nicht, dass Jesus, wenn er vom „Schlaf “ des Lazarus spricht, dessen Tod meint. Letzteres klärt Jesus durch die unmissverständliche Aussage „Lazarus ist gestorben“ ( Joh 11,14) auf, während auf den Unglauben der Jünger in der weiteren Erzählung nicht eingegangen wird. Die Jünger und ihr Unglaube treten ab Joh 11,16 701 in den Hintergrund, während Jesu Unterhaltung mit Maria und Martha und der Glaube an ihn ins Zentrum der Szene gerückt werden (vgl. Joh 11,25-27.40.42.45). 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 295 <?page no="297"?> 702 Bei der Betrachtung der „Identität und Einheit der Gruppe“ ist es üblich, dass „auch unterschiedliche Lager erkennbar werden“ können (Z I M M E R M A N N 2014, 33). 703 Durch den Weggang des Judas wird seine Distanz zur Gruppe, die zuvor immer wieder angedeutet wird, endgültig zum Ausdruck gebracht. 704 In seiner Rede unterrichtet Jesus seine Jünger darüber, woran sich wirkliche Jünger erkennen lassen, nämlich an der Liebe zueinander ( Joh 13,35) und was „Jünger-Sein“ bedeutet, nämlich, Frucht zu bringen und dadurch den Vater zu verherrlichen ( Joh 15,8). Jesus betont in seiner Rede vor allem die Liebe untereinander und die Liebe zu ihm, die sich im Halten der Gebote zeigt. Darüber hinaus hebt Jesus den Glauben an Gott und an sich hervor und weist ab Joh 14,16 auf das Kommen des Parakleten mit all seinen Aufgaben und Funktionen hin. Ein weiteres Nichtverstehen der Jünger wird vom Erzähler in Joh 12,16 angeführt. Obwohl die Jünger zum Teil Begebenheiten vom Alten Testament her zu deuten wissen (vgl. Joh 2,17), bleiben ihnen bei anderen Ereignissen die Augen verschlossen und es wird berichtet, dass sie erst nach Jesu Auferweckung und Verherrlichung zu einem (umfassenden) Verständnis der Geschehnisse gelangen. So auch bei Jesu Einzug in Jerusalem auf einem Esel. Der Erzähler betont: „Dies verstanden seine Jünger zuerst nicht; jedoch als Jesus verherrlicht war, da erinnerten sie sich daran, dass dies von ihm geschrieben war und sie ihm dies getan hatten“ ( Joh 12,16). In der Szene der Fußwaschung in Joh 13 treten die Jünger eher passiv in Erscheinung. Sie sind es, denen ihr Meister und Lehrer die Füße waschen will. Die Einzelfiguren des Jüngerkreises, der sich hier wohl nur aus den Zwölfen zusammensetzt, reagieren sehr unterschiedlich auf Jesu Handlung. Einige Jünger scheinen Jesus willig gewähren zu lassen. Die abwehrende Haltung des Petrus ( Joh 13,6) steht aber exemplarisch auch für die einiger anderer Jünger und ihr Unverständnis über das, was Jesus ihnen tun und zeigen will. Das einheitliche Kollektiv wird hier aufgespalten, sodass nicht mehr von den Jüngern als Gruppencharakter, sondern von einzelnen Jüngern gesprochen wird. 702 Diese Individualisierung zieht sich auch durch die folgende Szene ( Joh 13,21- 30), wo spezifisch einzelne Jünger teilweise namentlich erwähnt werden: „der Jünger, den Jesus lieb hatte“ (13,23), „Simon Petrus“ (13,24) und „Judas, der Sohn des Simon Iskariot“ (13,26). Erst nach Judasʼ Weggang 703 wird die Bezeichnung μαθηταί wieder auf das Kollektiv der Jünger (wahrscheinlich der elf) angewandt (vgl. Joh 13,35). Diese Gruppe von Jüngern ist es dann vermutlich auch, die während der langen Rede Jesu an dessen Seite ist. 704 Mit der bis hierher erfolgten Charakterisierung der Jünger und den in der Figurenrede Jesu hinzugefügten erwarteten Charakterzügen eines Jüngers gelangen die Leser in Joh 15,26 zu der Aussage, dass der Paraklet in naher 296 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="298"?> 705 H Y L E N (2016, 218) erkennt vor allem in der Rede der Jünger ihr Missverständnis: „In contrast to their action, the disciplesʼ speech almost uniformly characterizes them as misunderstanding Jesus“. 706 Daher bezeichnet B E N N E M A (2014, 225) die Zwölf als „‚slow but sticky‘ […] ‚slow‘ in understanding Jesusʼ revelatory teaching, but […] ‚sticky‘ in remaining firmly on Jesusʼ side“. Ähnlich charakterisiert auch C U L P E P P E R (1987, 115) die Jünger: „[…] they are not exemplars of perfect faith, but of positive response and typical misunderstandings“. 707 H Y L E N 2016, 225. Vgl. H Y L E N 2009. Zukunft dieser Gruppe von Jüngern Zeugnis von Jesus geben wird. Den Lesern steht an dieser Stelle als Zeugnisempfänger also ein Gruppencharakter vor Augen, der sich zwar aus einzelnen Individuen zusammensetzt, von denen einzelne namentlich bekannt sind, der aber dennoch zu einer Einheit verschmilzt und als die Jünger bezeichnet wird. Es ist der Gruppencharakter, der von Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu an und bis zum Ende an dessen Seite ist. Es ist die Gruppe von Jüngern, die sich durch die Hinwendung zu Jesus, die Nachfolge, den Glauben an ihn und das Bleiben bei ihm auszeichnet, zugleich aber auch von Angst, Zweifeln, Unglaube, Unsicherheiten, Resignation und Missverständnissen 705 geprägt ist, sich immer wieder von ihm abwendet, im Kern aber doch bis zu diesem Punkt in Joh 15 bei ihm geblieben ist. 706 Die Zerrissenheit der Jünger wird nicht nur durch die Beschreibung ihres Verhaltens und Redens oder durch die Einblicke in ihr Innenleben, sondern auch durch die zitierten Worte Jesu ( Joh 14,1; 16,6) und den weiteren Verlauf der Erzählung bestätigt. Immer wieder wird deutlich: „[…] the disciples believe and doubt, abide and scatter, know and misunderstand“. 707 Nach der vorliegenden Szene ( Joh 15,1-16,33) treten die Jünger immer wieder und bis zum Ende der Erzählung in Erscheinung und werden vom Erzähler dadurch weiter charakterisiert. Im Zusammenhang mit der Gefangennahme und dem Verhör Jesu werden die Jünger neunmal erwähnt. Hierbei wird narratorial zunächst die räumliche Nähe zu Jesus erzählt - sie sind mit ihm im Garten ( Joh 18,1), wo sie sich öfter aufzuhalten pflegen ( Joh 18,2) -, dann aber zeigt sich die räumliche (und wohl auch innerliche) Distanz, weil sie alle Jesus verlassen. Nur zwei der Jünger - Petrus und der Jünger, den Jesus liebt - tauchen wenig später wieder in der Nähe Jesu auf. In der Darstellung der Ereignisse wird Petrus in gewisser Weise zum Repräsentanten der übrigen Jünger, die alle Jesus verlassen und ihn dadurch verleugnet haben. Nach dieser eher negativen Darstellung der Jünger betreten diese erst wieder nach der Darstellung von Jesu Tod und Auferstehung in Joh 20 die Bildfläche. Die Jünger erfahren durch Maria Magdalena von der Auferstehung und den Worten Jesu ( Joh 20,18), zeigen der Erzählung zufolge aber keine Reaktion und halten sich weiterhin aus Furcht vor den Juden versteckt, bis erzählt wird, wie 10.2 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 297 <?page no="299"?> Jesus selbst zu ihnen kommt. Durch eine interne Fokalisierung auf das Frohsein der Jünger über diese Begegnung gibt der Erzähler Einblick in das Innenleben der Jünger, lässt sie in diesem Zusammenhang aber nicht zu Wort kommen. Erst in der darauffolgenden Szene vom „zweifelnden Thomas“ berichten die Jünger von ihrer Begegnung mit Jesus. Doch trotz dieser Begegnung bleiben sie weitere acht Tage in ihrem Versteck, bis Jesus ein weiteres Mal zu ihnen kommt, ihnen erneut seinen Frieden zuspricht und auch den „zweifelnden Thomas“ überzeugt. Der Erzähler schließt diese Begebenheit mit der folgenden bedeutenden Aussage Jesu ab: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ ( Joh 20,29), bevor er dann das zentrale Anliegen seines Schreibens für die intendierten Leser formuliert: „Auch viele andere Zeichen hat nun zwar Jesus vor seinen Jüngern getan, die nicht in diesem Buch geschrieben sind. Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“ ( Joh 20,30-31). Ein letztes Mal tauchen die Jünger ganz am Ende der Erzählung auf. Berichtet wird, wie ein Teil der Jünger - Simon Petrus, Thomas, Nathanael, „die Söhne des Zebedäus“ und „zwei andere von seinen Jüngern“ ( Joh 21,2) - nicht in der unmittelbaren Nähe Jesu anzutreffen sind, sondern bei der Ausübung ihrer früheren Berufstätigkeit. Warum sich die Jünger hier befinden, wo sich die übrigen Jünger aufhalten und ob es sich bei diesem Fischzug um eine einmalige, spontane Aktion oder eine für die Zukunft geplante, anhaltende Tätigkeit handelt, wird vom Erzähler nicht erläutert. Jedenfalls befinden sich die Jünger auf dem See und es wird von einem erfolglosen nächtlichen Versuch, Fische zu fangen, erzählt. Als die Jünger früh am Morgen Jesus am Ufer stehen sehen, gibt der Erzähler Einblick in das Innenleben der Jünger und berichtet, dass sie, obwohl es die dritte Begegnung der Jünger mit Jesus nach seiner Auferstehung ist, nicht wissen, dass es Jesus ist ( Joh 21,4). Erst nach der Aufforderung Jesu, die Netze erneut auszuwerfen, was sie auch gehorsam tun, und nach erfolgreichem Fischfang erkennt einer der Jünger Jesus und teilt seine Erkenntnis zunächst mit Petrus, dann aber wohl auch mit den anderen Jüngern, die dann allesamt ans Ufer fahren und an dem von Jesus vorbereiteten Mahl teilnehmen. Auch hier gibt der Erzähler (ein letztes Mal) Einblick in das Innenleben der Jünger, die es nicht wagen (vgl. οὐδεὶς δὲ ἐτόλμα; Joh 21,12), Jesus zu fragen, wer er ist, weil sie bereits „wussten, dass es der Herr ist“ (εἰδότες ὅτι ὁ κύριός ἐστιν; Joh 21,12). Mit dieser Aussage endet die narrative Darstellung der Jünger durch den Erzähler. Im Abspann treten nur noch Petrus und der Jünger, den Jesus liebt, auf, bevor die Erzählung mit einem Erzählerkommentar beendet wird. Ausgehend von diesen Beschreibungen lässt sich bezüglich der Jünger als Zeugnisempfänger zusammenfassend festhalten, dass sie aufgrund der 298 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="300"?> 708 Vgl. B E N N E M A (2014, 226) zählt zu den unterschiedlichen Eigenschaften der Jünger: „perceptivness (1: 41, 45, 49; 6: 68−69; 16: 30; 17: 7−8), belief (2: 11; 6: 69; 16: 39), loyalty (they stick with Jesus), misunderstanding/ dullness, zeal (11: 16; 13: 37), remembrance (2: 22; 12: 16)“. 709 B E N N E M A 2014, 226. Besonders am „Überraschungsmoment“ macht Bennema fest, ob sich eine Figur entwickelt oder nicht. Erklärend schreibt er (2014, 27): „[…] development is revealed in the characterʼs ability to surprise the reader, when a newly found trait replaces another or does not fit neatly into the existing set of trairs, implying that the character has changed“. 710 F A R E L L Y (2010, 216) betont, über die Aussagen der Erzählung hinausgehend: „The overall narrative depiction of the disciples is that of believers who stood in a living relationship with Jesus even before his glorification, but who also experienced significant growth from the resurrection on“. vielen geschilderten Charakterzüge als sehr komplexe Figur verstanden werden müssen. 708 Außerdem gibt der Erzähler im Vergleich zu anderen Figuren auffal‐ lend häufig und intensiv Einblick in das Innenleben dieses Gruppencharakters. Geschildert werden sein Denken ( Joh 2,17.22; 12,16), ihre Verwunderung ( Joh 4,27), ihre Ängste ( Joh 6,19; 20,19), ihre Annahmen und Vermutungen ( Joh 11,13; 13,29), ihre Ratlosigkeit ( Joh 13,22), ihr Unverständnis ( Joh 12,16; 13,28; 21,4) und ihre Mutlosigkeit ( Joh 21,12). Durch die Reden Jesu werden zudem figural die Empörung ( Joh 6,61) und die Sorgen ( Joh 14,1; 16,6) der Jünger hervorgehoben. An anderer Stelle wird anhand ihrer eigenen Figurenrede das Unverständnis der Jünger ersichtlich ( Joh 16,17). Dass darüber hinaus auch von einer Entwicklung des Gruppencharakters gesprochen werden kann, ist offensichtlich. Their understanding of and belief in Jesus and their ability to stick with him despite frequent misunderstanding are somewhat surprising and are traits that can cause tension, especially since misunderstanding often prevents adequate belief […] or can result even in defection (the disciples in 6: 60-66). 709 Eine solche überraschende Entwicklung zeigt sich auch deutlich am Ende der Geschichte, wo alle Jünger trotz ihres scheinbaren Mutes und ihrer Zusage, bei Jesus zu bleiben, Jesus feige verlassen, sich verstecken und dann doch wieder zu ihm finden und an ihn glauben. 710 10.3 Die Umstände des Zeugnisgebens Nach der Betrachtung des Zeugnisgebers (Geistparaklet) und der Zeugnisemp‐ fänger ( Jünger) sind im Folgenden die Umstände des Zeugnisgebens zu klären. Anders als in den übrigen Zeugnisstellen liegt der Zeugnisakt hier nun aus Sicht der erzählten Zeit in der Zukunft. Dies führt dazu, dass manche Fragen 10.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 299 <?page no="301"?> 711 Bezüglich des futuristischen Sinns des Konj. Aor. vgl. B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F 1979, 293. 712 In diesem Sinn wird das Verb λαλεῖν an den übrigen 58 Stellen des JohEv verwendet. nicht oder nur spekulativ beantwortet werden können. Das zeigt sich bereits bei der Frage nach dem Ort der Zeugnisübermittlung. Erzählt wird nur, dass der Paraklet in Zukunft kommen wird ( Joh 15,26; 16,7.13). Wohin er kommen wird, ist der Erzählung nicht zu entnehmen. Selbst wenn den intendierten Rezipienten möglicherweise aus anderen neutestamentlichen Aussagen bekannt ist, dass die Gabe des Geistes in Jerusalem erfolgt (vgl. Lk 24,49; Apg 1,4.8), ist damit nicht gesagt, dass zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort die Übermittlung des Zeugnisses erfolgen wird. Der Ort, an dem den Jüngern Zeugnis von Jesus gegeben werden wird, kann also anhand des Textes nicht ausgemacht werden. Ebenso bleibt auch die Frage nach dem Zeitpunkt des Zeugnisgebens unbe‐ antwortet. Dadurch, dass der Erzähler den Konjunktiv Aorist (ἔλθῃ; Joh 15,26; 16,13) und das Futur (ἐλεύσεται; Joh 16,7) verwendet, um vom Kommen des Parakleten zu sprechen, steht für die Leser fest, dass dieses Ereignis zur erzählten Zeit noch als zukünftig verstanden werden muss. 711 Ein weiterer Hinweis darauf, dass es sich um ein zukünftiges Ereignis handelt, ist die Verbindung des Kommens des Parakleten mit dem Weggang Jesu ( Joh 16,7). Da Jesus zur erzählten Zeit noch anwesend ist, ist ersichtlich, dass sich das Kommen des Geistes erst zukünftig ereignen wird. Stellt man die Frage, wie das Zeugnis gegeben wird, so ist auch dies aus der Erzählung nur ansatzweise zu erkennen. In Joh 15,26 ist vom „Zeugnisgeben von mir“ (μαρτυρήσει περὶ ἐμοῦ) die Rede. Aus dieser Stelle allein ist den Rezipienten nicht ersichtlich, ob dieses Bezeugen verbal oder nonverbal durch Eindrücke, Träume oder Empfindungen etc. erfolgen wird. Auch die Aussage, dass der Geist die Jünger „in alle Wahrheit leitet“ (ὁδηγήσει … ἐν τῇ ἀληθείᾳ πάσῃ; Joh 16,13), sagt nichts über die Art und Weise der Übermittlung des Zeugnisses aus. Erst aus Joh 16,13b-15 lässt sich erahnen, dass die Kommunikation wohl überwiegend verbal geschehen wird. Zweimal betont der Erzähler, dass der Geist „reden“ (λαλεῖν) wird, und dreimal, dass er „verkündigen“ (ἀναγγελεῖν) wird. Durch die Verwendung der Verben „reden“ und „verkündigen“ wird offensichtlich auf einen akustisch hörbaren Verbalvorgang hingewiesen. 712 Rückblickend können die Rezipienten daraus schließen, dass auch das in Joh 15,26 erwähnte „Zeug‐ nisgeben“ und das „in alle Wahrheit leiten“ ( Joh 16,13) vorrangig verbal und akustisch hörbar passieren werden. Im Sinne einer Gesprächsanalyse handelt es sich daher also bei diesem zukünftigen Zeugnisgeben um ein natürlich-arrangiertes bzw. -inszeniertes Gruppengespräch in einer Kleingruppe - arrangiert bzw. inszeniert deshalb, 300 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="302"?> 713 Sowohl auf der anthropologischen und der sozialkulturellen als auch auf der fachlich oder sachlichen Ebene (vgl. H E N N E & R E H B O C K 2001, 29). weil hier schon vorausgesagt wird, dass der Geist der Jüngergruppe Zeugnis geben wird. Was den Grad der Öffentlichkeit betrifft, ist davon auszugehen, dass es sich um ein privates, nicht öffentliches Gespräch handeln wird. Der Geist wird allein den Jüngern dieses Zeugnis geben, nicht in einem öffentlichen Rahmen vor vielen anderen. Das soziale Verhältnis der Gesprächspartner (Geist - Jünger) muss auf beinahe allen Ebenen 713 als asymmetrisch verstanden werden, da der Geist den Jüngern in jeder Hinsicht überlegen ist und es sich um ein Lehrer-Schüler-Verhältnis handeln wird. Des Weiteren ist zu erwarten, dass das Zeugnisgeben von seiner Handlungs‐ dimension her sehr vielschichtig sein dürfte. Es wird direktiv sein, weil das Zeugnis Anweisungs- und Hinweischarakter besitzen und andere Handlungen bewirken oder vorbereiten wollen wird. Zugleich wird es narrativ sein, weil in Teilen nur nacherzählt und berichtet werden wird, was Jesus gesagt und getan hat ( Joh 14,26). Das Gespräch wird voraussichtlich zudem eine diskursive Dimension haben, weil der Geist über gewisse Entwicklungen informieren und zum Austausch über gewisse Ereignisse anregen wird. Was den Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner betrifft, kann mindestens davon gesprochen werden, dass sich die Jünger und der Geistparaklet bekannt sind, weil Jesus dies selbst vorhersagt ( Joh 14,17). Eher ist sogar von einer tiefen „Vertrautheit“ auszugehen, da der Geist laut Jesu Aussagen nicht nur kommen und bei den Jüngern sein, sondern sogar in ihnen bleiben wird. Dies setzt ein hohes Maß an Vertrautheit voraus. Die Annahme einer solchen Vertrautheit zwischen dem Geist und den Jüngern wird darüber hinaus auch durch die Tatsache bestärkt, dass der Geist nicht aus sich selbst Zeugnis über Jesus geben wird, sondern von dem reden wird, was er hört ( Joh 16,13). Der Geist wird die Jünger also so stark an den ihnen vertrauten Jesus, seine Lehre und sein Handeln erinnern, dass ihnen die Begegnung mit dem Geistparakleten wie die Begegnung mit Jesus selbst vorkommen wird. Umgekehrt werden die Jünger dem Geist in gleicher Weise vertraut sein, da Jesus selbst in ihm und durch ihn zu den Jüngern zurückkehren wird ( Joh 14,18.19). Im Hinblick auf den Grad der Vorbereitetheit der Gesprächspartner muss klar von einer speziellen Vorbereitung gesprochen werden. Gerade durch die vielen Hinweise auf ein Kommen, Reden und Zeugnisgeben des Geistes werden die Jünger auf dieses künftige Ereignis vorbereitet. Wenn das Kommen des Geistparakleten und dessen Zeugnisgeben über Jesus eintreten, dann werden die Jünger darauf vorbereitet sein. 10.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 301 <?page no="303"?> 714 Vgl. das περὶ ἐμοῦ in Verbindung mit μαρτυρεῖν in Joh 5,32 (2x).36.37.39; 8,18; 10,25. 715 Dies beobachtet auch K Ö S T E N B E R G E R (2004, 13): „Johnʼs narrative focuses on Jesus and his messianic mission“ (Vgl. B E N N E M A 2014, 30−31). 716 S T R A T H M A N N 1942: 4, 502. 717 K A M M L E R 1996, 110. Wendet man sich abschließend der Themafixiertheit des Gesprächs bzw. des Zeugnisses zu, dann hängt diese stark mit der Frage nach dem Inhalt des Zeugnisses zusammen. Je klarer sich der Inhalt des Zeugnisses ausmachen lässt, desto eindeutiger kann auch die Themafixiertheit des Zeugnisses herausgestellt werden. Um die Themafixiertheit zu ermitteln, muss im Folgenden als der Frage nach dem Inhalt des Zeugnisses nachgegangen werden. In der für die Fragestellung der Arbeit relevanten Stelle aus Joh 15,26 wird der Inhalt des Zeugnisses in einer Figurenrede wie folgt formuliert: „Jener wird Zeugnis geben von mir“ (ἐκεῖνος μαρτυρήσει περὶ ἐμοῦ). In gleicher Weise wie an anderen Zeugnisstellen wird auch hier der Inhalt des Zeugnisses ganz auf die Person Jesu zugespitzt. Wie der Vater, die Werke und die Schriften „von mir“ (περὶ ἐμοῦ), d. h. von Jesus, zeugen, so wird der Geist dies zukünftig in gleicher Weise tun. 714 Diese Fokussierung auf die Person Jesu entspricht dem Inhalt und Ziel des gesamten JohEv. 715 Ziel des Erzählers ist es, durch die Darstellung Jesu und die Zeugnisse für ihn von dessen Messianität und Gottessohnschaft zu überzeugen und zum Glauben an ihn zu rufen ( Joh 20,31). In diesem Sinne wird auch der Geist der Wahrheit als Teil des großen Ganzen in die Erzählung eingereiht, um die Wahrheit über die Person Jesu zu bezeugen. Das Verb μαρτυρεῖν wird also auch hier, wie überall sonst im JohEv, „ganz auf die Gestalt Jesu als solche, auf die Person und ihre Bedeutung zugespitzt“. 716 Wirft man darüber hinaus einen kurzen Blick auf die anderen Parakleten‐ sprüche, dann lässt sich darin ebenfalls die Zentralität der Person Jesu erkennen. In Joh 14,26 ist die Rede davon, dass der Geist alles lehren und an alles erinnern wird, was Jesus gesagt hat. Bezüglich des zweifach verwendeten Neutrums πάντα ist zu betonen: Was das Neutrum πάντα in V. 26 anbelangt, so hat dieses hier ohne Frage nicht etwa quantitative, sondern vielmehr qualitative Bedeutung. Es hebt auf den theologischen Gehalt und auf die Qualität der Rede Jesu ab. Wenn also der Geist die Glaubenden ‚alles‘ lehren wird und sie an ‚alles‘ erinnern wird, was Jesus geredet hat, so besagt dies, daß er ihnen Jesu Person und Werk vollkommen erschließen wird. 717 So wie Jesu Person und Werk in Joh 14,26 im Mittelpunkt des Redens des Geistes stehen, so tun sie es auch in Joh 16. Nach Jesu eigenen Worten wird der 302 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="304"?> 718 S C H N A C K E N B U R G 1982, 155. In die gleiche Richtung denkt Schenke (2014, 267): „[…] er [der Geist] schöpft aus dem Fundus der Offenbarung Jesu (16,14), so dass sich eine Dynamik zeigt: Jesus offenbart, was er vom Vater gehört, und der Geist erschliesst, was er von Jesus empfangen hat“. 719 Vorausgesetzt, der Inhalt des Zeugnisses des Geistes entspricht dem Inhalt dessen, was in den anderen Parakletensprüchen über das Reden und Wirken des Geistes gesagt wird. 720 K A M M L E R 1996, 110−111. Geist nicht nur „von ihm“ bzw. „über ihn“ Zeugnis ablegen, sondern auch „aus dem seinen“ (ἐκ τοῦ ἐμοῦ) verkünden ( Joh 16,14.15). Wie der Sohn alles vom Vater gehört und empfangen hat, so wird der Geist alles vom Sohn hören und empfangen. „Dem Sohn hat der Vater für seine Offenbarung alles zur Verfügung gestellt (vgl. 3,34f), und aus dieser Fülle schöpft der Paraklet.“ 718 Aus den Aussagen all dieser Parakletensprüche zeigt sich also durchweg, dass im Zentrum der Verkündigung und des Zeugnisses des Geistes allein die Person Jesu stehen wird. Daher kann rückblickend in Bezug auf die Themafixiertheit des Gesprächs bzw. des Zeugnisses des Geistes von einer speziellen Themafixiertheit gesprochen werden, da der Geist von Jesus allein zeugen wird. Nach der Erläuterung des Inhalts des Zeugnisses kann der Frage nach dem Zeugnismotiv und Ziel des Zeugnisses des Geistes nachgegangen werden. Warum der Geistparaklet Zeugnis über Jesus ablegen wird, lässt sich den Aussagen in Joh 15,26 nicht entnehmen. Durch die Wiedergabe der Parakleten‐ sprüche in Joh 14,26 und Joh 16,12-14 gibt der Erzähler jedoch Aufschluss: 719 Gemäß den Aussagen in Joh 14,26 soll das Reden (und das Zeugnis) des Geistes den Jüngern zur Belehrung dienen und der menschlichen Vergesslichkeit ent‐ gegenwirken. „Der Paraklet aber, der Heilige Geist, […] wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ Grund für das Erinnern und das Zeugnis ist, daß die Jünger den sachlichen Gehalt der Verkündigung Jesu begreifen, der ihnen vor Ostern […] verborgen ist. […] Vor Ostern ist den Jüngern aber nicht nur Jesu Wort, sondern ebenso absolut und radikal der theologische Sinn der Schrift verschlossen (12,16; 20,9). Auch diesbezüglich gilt: Erst der Geist eröffnet den Jüngern nach Ostern zusammen mit der Erschließung des sachlichen Gehalts des Wortes Jesu und von dort her das rechte Verständnis der Schrift (2,17.22; 20,9) - und zwar dadurch, daß er ihnen die Erkenntnis schenkt, daß die Schrift von Jesus Zeugnis gibt (5,39.46) und daß er ihre Erfüllung ist (19,28; vgl. 19,24.36.37). 720 Der Inhalt dessen, woran der Geist die Jünger erinnern und was er sie lehren wird, entspricht der Aussage in Joh 16,12-14. Dort ist vom Leiten des Geistes „in 10.3 Die Umstände des Zeugnisgebens 303 <?page no="305"?> 721 Unklar ist in Joh 16,13, ob die Textvariante „ἐν τῇ ἀληθείᾳ πάσῃ“ oder „εἰς πᾶσαν τὴν ἀλήθειαν“ zu bevorzugen ist. Auch hier folgt vorliegende Arbeit dem Haupttext von Nestle-Aland 28 . (Vgl. zudem H A R R I S 2015, 278; T H Y E N 20115, 663). Inhaltlich begründet B E U T L E R (2016,439) die Präposition ἐν wie folgt: „Der Grund [für ἐν] liegt eben darin, dass die Jünger die Wahrheit bereits in Jesus erkannt und gefunden haben (vgl. Joh 14,6) und der Geist keine anderen Aufgabe hat, als die Jünger tiefer in diese Wahrheit einzuführen“. Ebenso B E A S L E Y −M U R R A Y (1987, 283): „In any case the emphasis is on the term ‚all‘: the truth has been made known by Jesus to the disciples, but their grasp of it has been limited; the task of the Paraklet will be to lead them that they may comprehend the depths and heights of the revelation as yet unperceived by them“. 722 S C H N E L L E 2016, 325. Vgl. K A M M L E R 1996, 137 f. 723 Die Frage, ob μαρτυρεῖτε als Indikativ oder Imperativ zu verstehen ist, wird weiter unten behandelt. 724 Vgl. S C H N A C K E N B U R G 1982, 134−135. 725 S C H N E L L E 2014, 321. 726 S C H N A C K E N B U R G 1982, 135. 727 B A R R E T T 1978, 482. alle Wahrheit“ die Rede. 721 „Als Geist der Wahrheit wird er in die ganze Wahrheit einführen, d. h. zu einem tieferen Verstehen der Person Jesu Christi führen.“ 722 Somit stehen für den Erzähler in Joh 14,26 wie auch in Joh 16,12-14 die Person und das Werk Jesu im Zentrum der Verkündigung des Geistes. Und eben darauf zielt auch das Zeugnis des Geistes in Joh 15,26 ab. Was immer der Geist sagen, tun und bezeugen wird, er wird alles aus und von Jesus nehmen und ihn allein erklären und auslegen, ebenso wie der Sohn alles vom Vater hat und den Vater ausgelegt und verkündigt hat ( Joh 1,18). Durch ein solches Zeugnis des Geistes über Jesus sollen die Jünger ein tiefgründigeres Verständnis der Person und des Werkes Jesu erlangen. Ein „Folgeziel“ des Wirkens und Zeugnisses des Geistes ist es, dass die Jünger durch ihre erweiterte, geistgewirkte (Er-)Kenntnis über Jesus selbst Zeugnis von Jesus ablegen sollen/ werden ( Joh 15,27). 723 Weil der Geistparaklet von der Welt nicht gesehen und gekannt wird, bedient er sich der Jünger, um durch ihr Zeugnis zur Welt zu sprechen. 724 Das Zeugnis des Geistes setzt sich also im Zeugnis der Jünger fort, 725 sodass das „Zeugnis des Geistes und das der Jünger […] zu einem einzigen Zeugnis zusammen[fließen]“ 726 und beide „not independently of each other“ das Werk Jesu fortführen. 727 Zusammenfassend lässt sich über den Grund und das Ziel des Zeugnisses des Geistes festhalten, dass der Geist, aus Sicht der erzählten Zeit in der Zukunft, Zeugnis von Jesus geben wird, damit die Jünger die Person Jesu und sein Werk umfassender und tiefgründiger erfassen und verstehen können. Dadurch sollen sie mehr und mehr in alle Wahrheit über Jesus, den Christus, den Sohn Gottes, geleitet werden. Ziel des Zeugnisses ist dabei aber nicht eine 304 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="306"?> umfassendere Erkenntnis Jesu zum eigenen Nutzen, sondern eine profunde Erkenntnis der Wahrheit, die die Jünger selbst antreibt, Zeugnis für Jesus abzulegen, um wiederum andere zum gleichen Glauben an die Messianität und Gottessohnschaft Jesu zu leiten und dadurch das Werk Jesu weiterzuführen. 10.4 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Geistes Die Untersuchung der Zeugnisszene in Joh 15,26 und der parallel dazu stehenden Parakletensprüche gibt Aufschluss über den Zeugen, den Geistparakleten, sowie die Zeugnisempfänger, die Jünger. Inhaltlich lässt sich nur sehr vage ausmachen, wie was aus welchem Grund und mit welchem Ziel vom Geist zukünftig über Jesus bezeugt werden wird. Fragt man nach den Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Geistes, so ist auch dies oberflächlich gesehen aus dem Text nicht zu beantworten. Dies liegt daran, dass das Zeugnis des Geistes erst zukünftig erbracht werden wird und deswegen auch die Folgen und Auswirkungen erst in Zukunft ersichtlich sein werden. Gehen die intendierten Rezipienten jedoch davon aus, dass das ihnen vorlie‐ gende und nachösterlich fertiggestellte Gesamtwerk des JohEv selbst Zeugnis über Jesus ablegt, dann können sie dadurch darauf rückschließen, dass es infolge des vom Geist abgelegten Zeugnisses tatsächlich zur Weitergabe des Zeugnisses durch die Jünger gekommen ist bzw. durch die Erzählung des JohEv kommt. Die gesamte Erzählung an sich ist Beweis dafür, dass das Zeugnis des Geistes von den Jüngern empfangen und daraufhin in mündlicher oder, im Fall des JohEv, in schriftlicher Form weitergegeben worden ist und weitergegeben wird. Damit erübrigt sich auch hier der Gruppencharakter der Zeugen, die Jünger. Sie treten hinter ihrem (verschriftlichten) Zeugnis des JohEv zurück, während dieses durch ein Gelesenwerden weiterwirkt. Beim Lesen des JohEv halten die intendierten Rezipienten im übertragenen Sinne die „Folgen und Auswirkungen“ des Zeugnisses des Geistes und das Zeugnis der Jünger in Händen und sollen dadurch selbst von Jesus überzeugt werden, um in gleicher Weise zu Zeugen Jesu zu werden. 10.5 Erweitertes Zeugnis: die Jünger und die Welt Die Betrachtung der vorliegenden Zeugnisszene in Joh 15,1-16,33 zeigt deutlich, wer der Zeugnisgeber ist und wer die Zeugnisempfänger sind. In erster Linie ist der Geistparaklet der Zeuge, der den Jüngern als Zeugnisempfänger zukünftig 10.4 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses des Geistes 305 <?page no="307"?> 728 Vgl. B E U T L E R 1972, 275; K E E N E R 2003b, 1024; W E S T C O T T 1958, 225. 729 Vgl. C A R S O N 1991, 529; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 468; T H Y R E N 2015, 652. 730 Geht man darüber hinaus davon aus, dass der Erzähler, der Autor und der Lieblings‐ jünger ein und dieselbe Person sind, wie dies auch später aufgezeigt wird, dann nimmt er die Beauftragung zum Zeugesein mit dem Schreiben seines Evangeliums sowie mit der expliziten Erwähnung seines Zeugnisses am Ende des Evangeliums wahr, wenn er bezeugt: „Dies ist der Jünger, der dies alles bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“. nach seinem Kommen Zeugnis von Jesus geben wird. Mit dieser in dieser Szene zitierten Voraussage Jesu ist zugleich aber eine weitere Aussage verbunden, nämlich dass sich das Zeugesein und Zeugnisgeben für Jesus auf die Jünger über‐ tragen werden. Sie sollen von Zeugnisempfängern zu Zeugnisgebern werden. Obwohl dies nur in einem kurzen Nebensatz in Joh 15,27 erwähnt wird, soll im Folgenden näher darauf eingegangen werden. 10.5.1 Zeugnisgeber 2: die Jünger Nachdem der Erzähler in einer Figurenrede Jesu Aussage wiedergegeben hat, wonach der Geistparaklet den Jüngern vom Vater gesandt werden und ihnen Zeugnis von Jesus geben wird, folgt der folgende kurze Zusatz: „[…] und auch ihr sollt zeugen / zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ ( Joh 15,27). Dieser Aussage können die intendierten Rezipienten deutlich entnehmen, dass die Jünger hier mit einem Zeugnisgeben in Verbindung gebracht und als Zeugen angeführt werden. Unklar ist dabei, ob μαρτυρεῖτε als Indikativ 728 oder Impe‐ rativ 729 zu verstehen ist. Zeugen die Jünger bereits von Jesus und ist Jesu Aussage lediglich eine Bestätigung ihrer Zeugentätigkeit oder beauftragt Jesus die Jünger, zukünftig Zeugen für ihn zu sein? Dass hier von Letzterem, also von einem Imperativ und einer gewissen Zukünftigkeit, ausgegangen werden kann, liegt aus mehreren Gründen nahe: Zum einen wurde im bisherigen Verlauf der Erzählung nirgends ausdrücklich vom Zeugnisgeben der Jünger für Jesus berichtet, obgleich einzelne Jünger untereinander Zeugnis von Jesus gaben (vgl. Joh 1,41). Zum anderen legt der Zusammenhang nahe, dass erst das noch zukünftige Kommen des Geistes und das von ihm übermittelte Zeugnis der Auslöser für die Zeugentätigkeit der Jünger sein werden. Eine solche Annahme wird vom Erzähler durch Joh 16,14.15 untermauert. In Joh 16,14.15 gibt er zweimal die Aussage Jesu wieder, dass der Geist aus Jesus bzw. der Fülle Jesu schöpfen und den Jüngern alles geben und verkündigen wird. Erst dadurch und danach werden sie ausgestattet sein, um selbst Zeugnis für Jesus ablegen zu können. 730 Von Zeugnisempfängern 306 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="308"?> 731 S C H N E L L E 2016, 110. 732 Hier besteht eine große Ähnlichkeit zum Begriff Ἰουδαῖος, der ebenfalls auf unter‐ schiedlichste Weise im JohEv verwendet wird. 733 B A U E R 1988, 906. 734 Unklar ist hier, ob sich das Partizip ἐρχόμενον auf τὸ φῶς oder auf πάντα ἄνθρωπον bezieht. Da im Prolog und auch später gerade das Kommen des Logos in die Welt im Vordergrund steht, ist das Partizip wohl eher auf „das Licht“ zu beziehen (vgl. B E U T L E R 2016, 90; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 35; T H Y E N 2015, 80; Z U M S T E I N 2016, 81). werden sie zu Zeugen, wodurch - wie sich auch bei der Samaritanerin und den Samaritanern zeigte - ein wichtiges Ziel des Zeugnisgebens erfüllt wird. Da die Untersuchung der narrativen Darstellung und Charakterisierung der Jünger bereits oben vorgenommen worden ist, kann im Folgenden direkt auf die Zeugnisempfänger eingegangen werden. 10.5.2 Zeugnisempfänger 2: die Welt Stellt man an diese erweiterte Zeugnisszene die Frage, wer die Empfänger des Zeugnisses der Jünger sein werden, so gibt der Erzähler durch die Verse Joh 15,26-27 keine direkte Antwort. Aufgetragen wird durch die zitierte Rede Jesus nur: „Ihr sollt (be)zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen“. Da im Kontext der Verse ( Joh 15,18-25; 16,5-11) aber immer wieder von „der Welt“ bzw. „dem Kosmos“ (ὁ κόσμος) die Rede ist, legt sich den Lesern nahe, „die Welt“ als Empfänger des Zeugnisses der Jünger zu verstehen. Dies wurde oben bereits thematisiert und es hat sich gezeigt, dass „die Welt“ zwar nicht direkter Empfänger des Zeugnisses des Geistes, wohl aber indirekter Empfänger des Zeugnisses des Geistes durch das Zeugnis der Jünger wird, da die Jünger zu Geist- und Zeugnisträgern werden (vgl. Joh 15,27). Ihr Zeugnis soll von der Welt gehört werden, wobei der Geist die Jünger beim Ablegen ihres Zeugnisses für Jesus an alles erinnern und sie in alle Wahrheit leiten wird (vgl. Joh 14,26; 16,13). Wenn hier also die Welt Empfänger des Zeugnisses der Jünger werden soll, dann stellt sich die Frage, was die intendierten Rezipienten unter dem Begriff ὁ κόσμος verstehen (sollen). Es ist offensichtlich, dass der Begriff für den Erzähler und sein Werk eine bedeutende Rolle spielt. Mehr als in allen anderen neutestamentlichen Schriften und häufiger als der Begriff Ἰουδαῖος (71-mal) wird ὁ κόσμος 78-mal im JohEv verwendet und ist somit „[e]insetzend mit dem Prolog […] ein durchgängiges Leitbild innerhalb des 4. Evangeliums“. 731 Das Bild, das den Rezipienten von der Welt gezeichnet wird, ist ein mehr‐ schichtiges. 732 Ausgehend vom Prolog ist die Welt zunächst der neutrale Lebens‐ raum der Menschen - die Erde bzw. der Erdkreis 733 , in den auch Christus als das Licht der Welt „hineinkam“ (vgl. ἔρχεσθαι; Joh 1,9). 734 Auch er kam in die Welt 10.5 Erweitertes Zeugnis: die Jünger und die Welt 307 <?page no="309"?> 735 B E N N E M A (2014, 75−85) und S K I N N E R (2016b, 61−70) erkennen „die Welt“ als Figur: „[…] the world is described as having human emotions and respones to Jesus“ (S K I N N E R 2016b, 62). 736 Oder wie B A U E R (1988, 1187): „alle, welche“. 737 Z U M S T E I N 2016, 83. und „war in der Welt“, die „durch ihn gemacht“ ist ( Joh 1,10b). Bezüglich der Welt wird ergänzend beigefügt: „[…] aber die Welt erkannte ihn nicht“ ( Joh 1,10c). Mit dieser Aussage wird der Begriff κόσμος, der eben noch für den neutralen Lebensraum des Menschen stand, nun vom Erzähler für die Darstellung einer „Figur“ bzw. eines „Gruppencharakters“ verwendet, nämlich „der Menschheit“, die den Schöpfer und Eigentümer der Welt ablehnt. 735 Der zu Beginn der Erzählung wahrnehmbare unterschiedliche Gebrauch von ὁ κόσμος legt den Lesern nahe, bei jeder weiteren Begegnung mit dem Begriff zu unterscheiden, ob der Erzähler von der sichtbaren Welt, also dem Lebensraum des Menschen, oder vom Gruppencharakter, also der gesamten Menschheit, spricht. Nur wenn diese Unterscheidung vorgenommen wird, kann die narrative Darstellung der Welt als Figur angemessen vorgenommen werden. Aus den Stellen, an denen ὁ κόσμος für die Menschheit steht, lässt sich Folgendes erkennen: Gleich beim ersten „Auftritt“ der Figur in Joh 1,10 wird erzählt, dass die Welt ihn, „das Licht“ (τό φῶς) bzw. „das Licht der Welt“ ( Joh 8,12), nicht „erkannt hat“ (ἔγνω). Dies deckt sich mit den Aussagen des Erzählers im unmittelbaren Kontext, dass „die Finsternis“ (ἡ σκοτία) das Licht „nicht ergriffen hat“ (οὐ κατέλαβεν; Joh 1,5) und dass „die Seinen“ (οἱ ἴδιοι) bzw. „sein Eigentum“ (τὰ ἴδια) ihn „nicht aufgenommen hat“ (οὐ παρέλαβον; Joh 1,11). Die Welt wird hier sowohl mit der Finsternis als auch mit seinem Eigentum in Verbindung gebracht, wobei durchweg betont wird, dass das Licht abgelehnt wird. Erst in Joh 1,12 berichtet der Erzähler von „all denjenigen“ (ὅσος) 736 , die ihn „aufnahmen“ (ἔλαβον). Aus dem Zusammenhang erschließt sich den Lesern, dass die hier Genannten, die „ihn aber aufnahmen“, Teil der Welt und der Finsternis sind bzw. waren, nun aber das Licht und den Logos angenommen haben. „Die Ablehnung des Logos durch die Welt ist nicht das letzte, tragische Wort der Geschichte des Logos mit den Menschen. Die Finsternis ist keine verhängnisvolle Fatalität, da sich ebenfalls Menschen finden, die die Offenbarung des Lichtes annehmen (adversatives δέ).“ 737 Diese Beobachtung zeigt, dass der Erzähler die Welt von Anfang an sowohl negativ als auch positiv darstellt. Einerseits spricht der Erzähler von „der Sünde der Welt“ (ἁμαρτία τοῦ κόσμου; Joh 1,29) und davon, dass die Welt weder Gott ( Joh 7,28; 8,55; 15,21; 16,3; 17,25) noch den Geist ( Joh 14,17) noch Jesus erkennt ( Joh 1,10; 8,14; 9,29; 16,3) und Jesus auch nicht annimmt ( Joh 17,25), sondern 308 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="310"?> 738 S C H N E L L E 2016, 110. Joh 8,23; 12,25; 14,17.22.27.30; 15,19; 16,8.20.33; 17,6.11.13f.16; 18,36. 739 B E N N E M A 2014, 83. 740 Auch K Ö S T E N B E R G E R (2004, 35) beobachtet: „Most characteristically, however, the term [kosmos] refers to sinful humanity (e.g., 3: 16)“. 741 Aufgrund der Parallelen zwischen „der Welt“ und „den Juden“ wurde teilweise an‐ genommen, ὁ κόσμος sei im JohEv sogar ein Symbol oder eine Metapher für „die Juden“. K I E R S P E L (2006) hat dies in seiner Untersuchung aber widerlegt. Auch B E N N E M A (2014, 81) betont: „However, while ‚the Jews‘ par excellence represent the world in its rejection, hostility and unbelief, the two characters cannot simply be equated; rather, ‚the Jews‘ are a subset of the world“. ihn und seine Jünger hasst ( Joh 7,1-7; 15,18.19; 17,14-15) und sich freuen wird, wenn Jesus die Welt verlässt ( Joh 16,20). Weiter beschreibt der Erzähler die Welt als „von unten“ ( Joh 8,23) und als „Bereich des Widergöttlichen“ 738 , dessen treibende Kraft der Teufel ist ( Joh 12,31; 14,30; 16,11) und über den das Gericht ergehen wird ( Joh 9,39; 12,31; 16,11). Andererseits wird positiv dargestellt, dass der Grund für die Sendung Jesu in die Welt die Liebe Gottes zur Welt ist ( Joh 3,16; vgl. 10,36). Jesus wird nicht nur als „Licht der Welt“ ( Joh 9,5), sondern auch als „Retter der Welt“ ( Joh 4,42) bezeichnet. Die Welt wird von ihm als dem Sohn Gottes besucht, um gerettet zu werden ( Joh 3,17; 12,47) und um durch ihn als das Brot des Lebens, Leben zu erhalten ( Joh 6,33; vgl. 6,51). Schließlich zeigt der Erzähler sogar auf, dass die Welt teilweise doch in der Lage ist bzw. sein wird, Jesus zu folgen ( Joh 12,19) - wenn auch nur aus Neugier und Euphorie -, ihn zu „erkennen“ ( Joh 17,23) und an ihn zu „glauben“ ( Joh 17,21). Diejenigen, die glauben, sind dann nicht länger „von dieser Welt“. Insgesamt kann zusammenfassend Folgendes festgehalten werden: „[…] the world as ‚world‘ or realm below will not change in its attitude but will remain a hostile environment - toward both Jesus and his followers. Yet some individuals from the world will respond with belief and escape from this environment“. 739 Nehmen die Leser diese mehrschichtige Charakterisierung der Welt wahr und ernst, so erkennen sie bei der Betrachtung dieser Figur deutliche Parallelen zu anderen Gruppencharakteren. Wie „die Volksmenge“, „die Juden“ und „die Pharisäer“ ist auch „die Welt“ in sich selbst gespalten. Ein Teil der Welt wird ablehnend charakterisiert und zeichnet sich durch Unglaube aus, 740 ein anderer, wenn auch sehr kleiner Teil nimmt Jesus an und glaubt an ihn (vgl. Joh 17,20f.). Die Parallelen zwischen den Figuren werden vom Erzähler teilweise so eng gezogen, dass stellenweise „die Welt“ sogar durch „die Juden“, „die Pharisäer“ oder „die Volksmenge“ repräsentiert wird. 741 10.5 Erweitertes Zeugnis: die Jünger und die Welt 309 <?page no="311"?> 742 S C H E N K E 2014, 267. 10.5.3 Die Umstände des Zeugnisgebens Stellt man bei der Untersuchung dieses erweiterten Zeugnisakts die Frage nach den genauen Umständen des Zeugnisgebens, so ist es teilweise unmöglich, der Erzählung nähere Angaben zu entnehmen. Da sich das Zeugnis aus Sicht der erzählten Zeit erst zukünftig ereignen wird, geht der Erzähler nicht näher auf Ort(e) und Zeit(en) ein. Was den Inhalt des Zeugnisses angeht, so wird zwar auch dieser nicht explizit genannt, er lässt sich aber aus dem Kontext erschließen. In Joh 15,26 spricht Jesus davon, dass der Geist „Zeugnis geben wird von mir“ (μαρτυρήσει περὶ ἐμοῦ). Direkt im Anschluss folgt die Aufforderung an die Jünger, ebenfalls Zeugnis zu geben. Den Lesern legt sich folglich nahe, dass das „von mir“ (περὶ ἐμοῦ) aus dem vorausgehenden Satz in der Aufforderung an die Jünger zu ergänzen ist. Wie der Geist sollen auch die Jünger durch den Geist Zeugnis von Jesus geben. Was das genau beinhalten wird, lässt sich aus dem Zusammenhang nur vermuten. Da der Geist die Jünger „in alle Wahrheit“ (ἐν τῇ ἀληθείᾳ πάση; Joh 16,13) führen wird, indem er „aus dem Fundus der Offenbarung Jesu (16,14)“ 742 schöpft, sind auch die Jünger befähigt, aus dieser ihnen offenbarten, allumfassenden Wahrheit heraus Zeugnis für Jesus abzulegen. Das Zeugnis der Jünger wird daher ein umfassendes Zeugnis für und über Jesus, dessen Identität, Herkunft und Mission sein. Wenn die Jünger gerade der Welt dieses Zeugnis von Jesus geben sollen, dann - so können sich die intendierten Rezipienten über die Erzählung hinaus ausmalen - werden diese „Zeugnisgespräche“ sehr unterschiedlich ausfallen. Das Zeugnis wird teilweise auf natürlich-spontane, teilweise auch natürlich-ar‐ rangierte Weise in Klein- oder Großgruppen abgelegt werden. Die Jünger werden vor einzelnen Menschen, aber auch vor größeren Gruppen von Jesus zeugen. Es lässt sich auch vermuten, dass vom Grad der Öffentlichkeit her die Gespräche sehr verschieden sein werden. Manche Zeugnisse werden „privat“ oder „nicht öffentlich“ abgelegt werden, andere dagegen „halb öffentlich“ oder sogar „öffentlich“. Was das soziale Verhältnis der Gesprächspartner ( Jünger - Welt) betrifft, so können die Leser auch hier wieder von einem asymmetrischen Verhältnis ausgehen - nicht, weil anzunehmen ist, dass ein Teil der Welt den Jüngern überlegen ist / sein wird, sondern weil die Jünger als Zeugen und aufgrund ihres Zeugnisses, welches ein besonderes Wissen über Jesus beinhaltet, im Zeugnisgespräch der Welt - egal wer sie sein mag, ob einfache Menschen des 310 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="312"?> 743 Ein solcher Schluss legt sich den Lesern, sofern bekannt, auch aus Mk 13,11 nahe: „Und wenn sie euch hinführen, um euch zu überliefern, so sorgt euch vorher nicht, was ihr reden sollt, sondern was irgend euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist“. Volkes oder religiöse oder politische Obrigkeiten - wissensmäßig überlegen sein werden. Was die Handlungsdimension des Zeugnisses angeht, so dürfte diese sehr viel‐ schichtig sein. Die Leser können über die Erzählung hinaus spekulieren, wie die Jünger einerseits erzählend das Leben und Wirken Jesu darstellen. Andererseits werden die Zeugnisse von ihrer Handlungsdimension her aber auch direktiv sein, weil sie wohl Anweisungs- und Hinweischarakter besitzen werden und verändertes Denken über Jesus und entsprechende Folgehandlungen bewirken oder vorbereiten wollen. Wie sich aus allen bisherigen Untersuchungen gezeigt hat, zielt das Zeugnis für Jesus immer darauf ab, den Glauben an Jesus zu wecken. Dementsprechend betet Jesus wenig später in der Erzählung für diejenigen aus der Welt, die durch die Worte der Jünger an ihn glauben werden ( Joh 17,20). Wie bei den bisher genannten Kategorien können sich die Leser auch beim Bekanntheitsgrad der Jünger und der Zeugnisempfänger eine Vielzahl von Mög‐ lichkeiten ausmalen. Sie können spekulieren, dass manche Zeugnisempfänger den Jüngern vertraut sein werden. Zu anderen wird ein freundschaftliches Verhältnis oder aber eine Bekanntschaft bestehen. Sicher wird es aber auch Zeugnisempfänger geben, die den Jüngern nur flüchtig bekannt oder völlig unbekannt sein werden. Im Hinblick auf die Vorbereitetheit der Gesprächspartner können die Leser ebenfalls mit sehr unterschiedlichen Graden der Vorbereitetheit rechnen. Die Zeugnisse werden in manchen Situationen sicher spontan gegeben werden, sodass weder die Jünger noch die Zeugnisempfänger bewusst darauf vorbereitet sein werden. In anderen Fällen, wie z. B. bei Verhören vor Synagogenvorstehern oder staatlichen Gewalten, werden die Jünger teilweise vorbereitet sein oder sich vorbereitet haben, um „routiniert-vorbereitet“ oder „speziell vorbereitet“ in das Gespräch zu gehen. Nicht vergessen werden darf hierbei aber die Unter‐ stützung durch den Geist. Gerade er soll, so hebt es der Erzähler hervor, bei aller menschlichen Vor- oder Unvorbereitetheit den Jüngern zur Seite stehen, um sie in alle Wahrheit zu leiten ( Joh 16,13). Somit werden sie, die zeugnisgebenden Jünger, in gewisser Weise immer vorbereitet sein und daran erinnert werden, was zu bezeugen ist. 743 Bei der Frage nach der Themafixiertheit des Gesprächs bzw. des Zeugnisses legt sich den intendierten Rezipienten vom Kontext her nahe, eine spezielle Themafixierung des künftigen Zeugnisses zu erwarten. Der Erzählung lässt sich 10.5 Erweitertes Zeugnis: die Jünger und die Welt 311 <?page no="313"?> 744 Vgl. auch hier das περὶ ἐμοῦ in Verbindung mit μαρτυρεῖν in Joh 5,32 (2x).36.37.39; 8,18; 10,25. entnehmen, dass der Inhalt des Zeugnisses der Jünger dem Inhalt des Zeugnisses des Geistes entsprechen wird. Wie der Geist „von mir“, also von Jesus, zeugt, so sollen auch die Jünger von Jesus zeugen. 744 Der Fokus liegt wieder ganz auf Jesus. Seine Herkunft „von oben“, seine Identität, die den Jüngern besonders durch die Ich-bin-Worte offenbart ist, und seine Mission, Licht und Retter der Welt zu sein, stehen im Zentrum des Zeugnisses. Stellt man abschließend die Fragen nach dem Zeugnismotiv und Zeugnis‐ zweck, dann lässt sich der Grund sehr deutlich Joh 15,27 entnehmen. Der hier verwendete Imperativ μαρτυρεῖτε ist eine Aufforderung zum Zeugnisgeben und somit „Missionsbefehl“. In diesem Befehl und Auftrag liegt zugleich auch das Ziel des Zeugnisses der Jünger begründet: Die Jünger sollen dem Ruf Jesu folgen und seine Zeugen sein. Der Auftrag zur Weiterführung seiner „Mission“ durch den Geist und die Jünger ist der Hauptgrund für eine künftige Zeugnistätigkeit der Jünger. Wird Jesus als „Licht der Welt“ und als „Retter der Welt“ gerade „der Welt“ bezeugt, dann mit dem Ziel, dass die Welt durch die Worte der Jünger glaubt, dass Jesus vom Vater gesandt ist ( Joh 17,20-21) und „dass die Welt gerettet wird“ ( Joh 3,17), um in Einheit untereinander und mit dem Vater und dem Sohn zu leben ( Joh 17,20-23). 10.5.4 Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses der Jünger Der engere Kontext der Zeugnisszene gibt Aufschluss darüber, was die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses der Jünger sein werden. In den Versen vor der Beauftragung der Jünger zum Zeugendienst wird vom Erzähler in der zi‐ tierten Rede Jesu auf den Hass der Welt gegen Jesus und die Seinen aufmerksam gemacht. Direkt im Anschluss an den hier angeführten „Missionsbefehl“ folgt eine weitere Ausführung der Folgen des Zeugnisgebens. Den Jüngern wird durch Jesus vorausgesagt, dass sie von der Synagoge ausgeschlossen und sogar getötet werden ( Joh 16,2) und dass sie (deswegen) in der Welt Angst haben werden ( Joh 16,33). Neben diesen erschreckenden Folgen zeigt der Erzähler zugleich aber, dass das Zeugnis der Jünger, wie oben bereits dargestellt, auch positive Folgen und Auswirkungen haben wird. Es wird Einzelne geben, die durch das Wort und Zeugnis der Jünger an Jesus glauben werden. Aus anderen Aussagen im Zusammenhang mit der Welt ist den Lesern darüber hinaus bekannt, dass denjenigen, die glauben und Jesus annehmen werden, zugesagt ist, „Kinder 312 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="314"?> Gottes genannt zu werden“ ( Joh 1,14) und als Glaubende nicht verloren zu gehen, sondern ewiges Leben zu haben ( Joh 3,16). Mit diesen zu erwartenden zukünftigen Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses der Jünger gliedert sich auch diese Zeugnisszene in das große Ganze des JohEv ein. Wie in anderen Szenen ist auch hier das Zeugnis zu seinem Ziel gekommen, wenn es den Glauben an Jesus als den Sohn Gottes weckt und dem Glaubenden durch ebendiesen Glauben ewiges Leben vermittelt. 10.6 Zusammenfassung und Beurteilung Neben den menschlichen und sächlichen Zeugen (Werke, Schriften) führt der Erzähler in Joh 15,26 den Geistparakleten als Zeugen für Jesus an. Bis die Leser zu dieser Zeugnisszene gelangen, haben sie bereits aus den vorausgehenden Erzählabschnitten ein umfassendes Verständnis von dieser Figur vermittelt bekommen. Aus dem Lektüreverlauf ist ihnen bekannt, dass der Geist vom Vater und Sohn gesandt werden wird, um den Willen des Vaters und des Sohnes zu tun. Diesem Willen entsprechend wird der Geistparaklet die Neugeburt bewirken, geistliche Tote lebendig machen und in Gläubigen Veränderung schaffen. Durch die dargestellte innige Verbindung zwischen Vater, Sohn und Geist ist den Lesern außerdem verständlich, dass sich im Kommen des Geistes zugleich auch das Kommen Jesu und des Vaters vollziehen wird. Wenn der Geist kommt, wird er die Aufgabe eines „Parakleten“ übernehmen. Dass der Begriff παράκλητος nicht näher erläutert wird, lässt vermuten, dass der Erzähler die Kenntnis des Begriffs und ein Wissen um die Bedeutung und Funktion eines Parakleten voraussetzt. Demzufolge dürfte den Lesern vertraut sein, dass der Geist, wenn er als Paraklet bezeichnet wird und als solcher kommt, als eine höhergestellte Autorität die Funktion eines Beistands, Helfers und Fürsprechers einnehmen wird. Er wird den Jüngern bleibend zur Seite stehen und sie an Jesu statt als Geist der Wahrheit durch sein Zeugnis in alle Wahrheit leiten. Neben dem zeugnisgebenden Geistparakleten wird den Lesern in dieser Zeugnisszene ein Bild der Zeugnisempfänger gezeichnet. Aus dem Kontext von Joh 15,26 geht hervor, dass als Zeugnisempfänger zunächst nur die Jünger infrage kommen. Dieser Gruppencharakter wird es sein, dem der Geist nach Jesu Weggang und nach seinem eigenen Kommen Zeugnis von Jesus geben wird. Wer dieser Gruppencharakter ist, wird den Lesern durch die ganze Erzählung hindurch geschildert. „Die Jünger“ setzen sich zwar aus einzelnen Individuen zusammen, im Vordergrund steht aber zumeist das Kollektiv, der eine Gruppen‐ charakter, hinter welchem die einzelnen Jünger zurücktreten und aufgrund 10.6 Zusammenfassung und Beurteilung 313 <?page no="315"?> dessen nur wenige Individuen mit Namen genannt werden. Die Jünger sind es, die von Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu an an dessen Seite sind. Wie es zur Bildung dieser Gruppe kommt, wird vom Erzähler nur exemplarisch anhand einiger weniger Beispiele geschildert. Der Fokus liegt weniger auf dem Jünger-Werden als vielmehr auf dem Jünger-Sein und -Bleiben, also auf dem anhaltenden Glauben an und Bleiben bei Jesus. Auffällig ist, dass die Jünger, ob als Kollektiv oder im Einzelnen, in der Erzählung nicht als ideale Glaubensvorbilder oder Glaubenshelden dargestellt werden, sondern als gewöhnliche Figuren, mit denen sich die Leser identifi‐ zieren können. Neben dem Glauben und der anhaltenden Nachfolge der Jünger werden zugleich auch sehr nahbar ihre Ängste, ihre Zweifel, ihr Unglaube, ihre Unsicherheiten, ihre Resignation und ihre Missverständnisse unbeschönigt erzählt. Gerade deswegen ist es plausibel und von Bedeutung, dass diese Jünger nach Jesu Weggang Unterstützung, Beistand und Hilfe durch den Geist erfahren sollen. Die Gegenwart und das Zeugnis des Geistes, das vor allem Jesus und sein Werk zum Inhalt hat, sollen die Jünger zukünftig stärken und zu tieferer Erkenntnis der Person und des Werkes Jesu geleiten, sodass sie im Glauben gefestigt werden und selbst zu Zeugen für Jesus werden. Die in diesem Zusammenhang erzählte Aufforderung an die Jünger, selbst zukünftig Zeugnis für Jesus abzulegen, bildet ein Novum in der Erzählung des JohEv. An keiner anderen Stelle werden die Zeugnisempfänger direkt zu eigenständigem Zeugnisgeben herausgefordert. Durch den kommenden Geist soll dies jedoch möglich gemacht werden, weil er selbst in und durch die Jünger das Zeugnis für Jesus weitertragen wird, und zwar an die Welt. Neben den Geistparakleten als ersten erzählten Zeugen sollen also die Jünger als weitere Zeugen treten und neben die Jünger als Zeugnisempfänger wird die Welt als künftiger Zeugnisempfänger des Zeugnisses der Jünger gestellt. Wie andere Gruppencharaktere der Erzählung ist auch die Welt eine viel‐ schichtige Figur. Abgesehen von der Verwendung des Begriffs für den natür‐ lichen Lebensraum des Menschen steht „Welt“ in der Erzählung vor allem für die Menschheit - für einen Gruppencharakter, der, wie auch „die Juden“, „die Pharisäer“ und „die Volksmenge“, in sich selbst gespalten ist. Teile der Welt, wie auch der Juden, der Pharisäer und der Volksmenge, werden Jesus und das Zeugnis für ihn ablehnen. Jedoch wird es auch, wie bei den anderen Gruppencharakteren, aus der Welt Einzelne geben, die das Zeugnis der Jünger annehmen und an Jesus glauben werden. Über Ort(e) und Zeit(en), an dem/ denen bzw. zu wlcher/ welchen die Zeug‐ nisse des Geistes und der Jünger abgelegt werden, gibt der Erzähler keine Auskunft. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass aus Sicht der erzählten Zeit 314 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="316"?> 745 Vgl. Johannes der Täufer, die Samaritanerin, die Volksmenge und später der Erzähler selbst. die Zeugnisakte in der Zukunft liegen und die näheren Umstände vom Erzähler nicht ausgemalt werden können/ wollen. Der Erzähler überlässt es der Phantasie seiner intendierten Rezipienten, sich Ort(e) und Zeit(en), an dem/ denen bzw. zu wlcher/ welchen die Zeugnisse abgelegt werden, selbst auszumalen. Was die Art und Weise betrifft, wie das Zeugnis des Geistes und das der Jünger zukünftig übermittelt werden wird, lässt sich nur in Bezug auf das Zeugnis des Geistes etwas aus der Darstellung erschließen. Da in Joh 16,13-15 vom „Reden“ und „Verkündigen“ gesprochen wird, liegt es nahe, beim Zeugnis des Geistes primär an einen verbalen und akustisch hörbaren Zeugnisakt zu denken. Beim Zeugnis der Jünger gegenüber der Welt lässt sich hingegen über die Art und Weise der Zeugnisübermittlung aus der Erzählung nichts erörtern. Die Leser können sich auch hier nur ausmalen, wie die Jünger ihr Zeugnis vor einer Vielzahl unterschiedlicher Menschen ablegen werden und dass daher die Zeugnisübermittlung so unterschiedlich sein wird wie die Zeugnisempfänger und die Situationen, in denen Zeugnis für Jesus abgelegt wird. Übereinstimmend mit dem Zeugnis des Geistes und klar auszumachen sind hingegen die Themafixiertheit und die Handlungsdimension des Zeugnisses der Jünger. Wie das Zeugnis des Geistes ganz auf Jesus ausgerichtet sein wird und zum Glauben und zur Nachfolge Jesu herausfordern soll, ebenso wird es sich mit dem Zeugnis der Jünger gegenüber der Welt verhalten: Auch ihr Zeugnis soll und wird ein Zeugnis für Jesus sein. Es wird zum Glauben rufen und ein Umdenken über Jesus fordern. So wie das Zeugnis des Geistes ganz auf die Person Jesu fixiert sein wird, so wird auch das Zeugnis der Jünger, weil in ihnen das Zeugnis des Geistes über Jesus weitergetragen wird, ganz auf Jesus und seine Mission ausgerichtet sein. Was für die intendierten Rezipienten in dieser Zeugnisszene einmal mehr heraussticht und eine bereits getroffene Beobachtung unterstreicht, ist die Tatsache, dass fast alle Zeugen der Erzählung zunehmend hinter ihr Zeugnis zurücktreten, sich selbst überflüssig machen und vom Erzähler aus der Erzäh‐ lung genommen werden, während ihr Zeugnis weiterwirkt und Folgen und Auswirkungen hat. 745 Auch wenn erzählt wird, dass das Zeugnis des Geistes erst zukünftig abgelegt werden wird, und über den Ausgang, den Verbleib und die weitere Entwicklung des Zeugnisses und des Zeugen keine genauen Angaben gemacht werden, so lässt sich von den Lesern doch Folgendes erkennen und schlussfolgern: Vom Geistparakleten wird zwar gesagt, dass er nach seinem Kommen ein fortwährender Zeuge sein wird, der bis in Ewigkeit den Jüngern 10.6 Zusammenfassung und Beurteilung 315 <?page no="317"?> zur Seite stehen wird, um sein Amt als Christuszeuge, Lehrer, „Erinnerer“ und Paraklet auszuführen; trotzdem ist darüber hinaus aber ersichtlich, dass das Zeugnis des Geistes in das Zeugnis der Jünger übergehen und der Geist als Zeuge in gewisser Weise hinter die Jünger und ihr Zeugnis zurücktreten wird. Der Geist wird zwar einerseits ein bleibender Zeuge sein, der beständig und unmittelbar Zeugnis vor den Jüngern für Jesus ablegen wird, andererseits wird er aber als Zeuge hinter die Jünger als Zeugnisempfänger zurücktreten, sodass sein Zeugnis weiterwirken und - wenn auch nur indirekt - im und durch das Zeugnis der Jünger an die Welt übermittelt werden wird. Ein solches Zurücktreten des Zeugen hinter sein Zeugnis können die Leser ebenfalls von den Jüngern erwarten: Auch von ihrer zukünftigen Zeugentätig‐ keit ist anzunehmen, dass sie enden wird. Sie werden ihr Zeugnis übermitteln, zum Glauben rufen und als Zeugen überflüssig werden. Doch ihr Zeugnis wird weitergetragen werden und weiterwirken - indirekt, aber anhaltend im weiterhin hörbaren Zeugnis der Erzählung des JohEv. Aus der vorausgehenden Untersuchung zeigt sich, dass jedes der ange‐ führten Zeugnisse der Erzählung, auch das des Geistes und der Jünger, das Gesamtzeugnis des JohEv ausmacht und mitgestaltet. Jedes Zeugnis, sei es ein menschliches, göttliches, das der Werke oder das der Schriften, hat Jesus zum Zeugnisinhalt und und ist ein Zeugnis, das beglaubigen soll und davon überzeugen will, was der Erzähler zusammenfassend am Ende der Erzählung als Ziel sämtlicher Zeichen, Wunder und Zeugnisse nennt: „Diese [Zeichen] aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen“ ( Joh 20,31). 316 10 Zeugnisszene 9: Der Geist, die Jünger und die Welt ( Joh 15,1-16,33) <?page no="318"?> 746 Johannes der Täufer, die Samaritanerin, der Vater, die Werke, die Schrift, das Volk, der Geistparaklet und die Jünger. 747 Nach T H Y E N (2015, XI) ist Joh 18,1−19,40 der sechste Akt. Ebenso sehen S C H N A C K E N B U R G (1982, 310) und Z U M S T E I N (2016, 12) hier den sechsten Abschnitt. S C H E N K E (2014, 280) hingegen zählt Joh 18,1−19,42 zum neunten Bild. 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) Nachdem in den vorausgegangenen neun Zeugnisszenen acht unterschiedliche Zeugen 746 dargestellt worden sind, die in der erzählten Welt Zeugnis für Jesus ablegen, wird in Joh 19,35 ein weiterer Zeuge angeführt. Dieser Zeuge, sein Zeugnis sowie der Zeugnisakt unterscheiden sich deutlich von den Zeugen, Zeugnissen und deren Darstellungen in den Szenen davor. Während in den Kapiteln 1-18 Zeugnisse vor unterschiedlichen erzählten Zeugnisempfängern über das Leben, die Mission und die Identität Jesu abgelegt wurden, richtet sich das Zeugnis hier nun direkt an die intendierten Rezipienten des JohEv und hat nicht so sehr das Leben und die Identität Jesu zum Inhalt, sondern vielmehr dessen „schriftgemäßes“ Leiden und Sterben. Der in dieser Szene genannte Zeuge, die Zeugnisempfänger und die näheren Umstände des Zeugnisgebens werden im Folgenden analysiert. 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? Die Szene Joh 19,31-37 ist eng mit der vorausgehenden Szene Joh 19,16b-30 verbunden. Beide gehören zum großen Akt der Gefangennahme, der Geiße‐ lung und der Hinrichtung Jesu ( Joh 18,1-19,40). 747 Nachdem die Leser in der Erzählung der Kreuzigungsszene den Figurenbestand (die Soldaten, die Frauen und den Jünger, den Jesus lieb hatte) wahrgenommen haben und ihnen das Ende Jesu dargestellt worden ist ( Joh 19,30), werden in der nachfolgenden Szene Joh 19,31-37 die Ereignisse geschildert, die sich unmittelbar nach dem eigentlichen Akt der Kreuzigung zutragen. Erzählt wird, dass wegen des am folgenden Tag stattfindenden Sabbats, der ein besonderer Sabbat und hoher Festtag war, die Leichname auf Drängen der Juden hin schnellstmöglich von den Kreuzen abgenommen werden sollen. Um dies tun zu können, müssen die Gekreuzigten gestorben sein, und um einen schnelleren Tod der Gekreuzigten <?page no="319"?> 748 Diese Unterscheidung macht beispielsweise T H Y E N (2015, 746−747) für den der erstge‐ nannte Zeuge der Soldat ist, „jener“ aber der „Lieblingsjünger“. In Erwägung gezogen wurde auch, ob sich „jener“ nicht sogar auf Jesus selbst oder auf Gott beziehen könnte (vgl. eine Auflistung der Auslegungsmöglichkeiten bei B A R R E T T 1978, 557; S C H N A C K E N B U R G 1982, 340). Auch C U L P E P P E R (1987, 43) unterscheidet zwischen den beiden Zeugen, bezieht ἐκεῖνος auf den Erzähler, der das Zeugnis des geliebten Jüngers bestätigt: „The Beloved Disciple has borne witness (19: 35; 21: 24−25), and the narrator confirms that his witness is true“ (so auch B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 354; B E U T L E R 2016, 509; K E E N E R 2003a, 1154). C A R S O N (1991, 626) geht einen Schritt weiter und sieht im Erzähler den geliebten Jünger, der hier von sich selbst in der 3. Person redet. Diese Möglichkeit zieht auch T H E O B A L D (2010, 501) in Erwägung: „[I]m Licht von 21,24, wo der allwissende Erzähler mit dem geliebten Jünger als explizitem Autor identifiziert wird, läßt sich dann dieser auch hier [in Joh 19,35] als in der 3. Person von sich selbst sprechend wiedererkennen.“ Er verweist dabei auf die Dissertation Küglers „der auf die ‚auch im Zeitalter der Entstehung des Joh‘ gültige ‚historiographische Regel‘ verweist, ‚daß ein Verfasser von sich in der 3. Person spricht, wenn er selbst in seinem Werk als erzählte Figur vorkommt‘“ (K Ü G L E R 1988, 407 zitiert in T H E O B A L D 2010, 501; vgl. auch F E N S K E 2007). R E S S E G U I E (2016, 544) geht in dieselbe Richtung und setzt den geliebten Jünger mit dem Erzähler gleich: „Here the Beloved Disciple - as narrator - intrudes into the story with parenthetical remark and addresses the reader directly […] By this direct address of the implied reader, the narrator draws the readerʼs attention to the significance of Jesusʼ death on the cross“. herbeizuführen, sollen ihnen die Beine gebrochen werden. Der Darstellung zufolge übernehmen diese Aufgabe die Soldaten. Nachdem sie den ersten beiden Gekreuzigten die Beine gebrochen haben, kommen sie zu Jesus. Der Erzähler berichtet: „Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite und sogleich kam Blut und Wasser heraus“ ( Joh 19,33-34). Direkt im nachfolgenden Vers folgt unter Verwendung der Begriffe μαρτυρία und μαρτυρεῖν der Hinweis auf den Zeugen, sein Zeugnis und die Zeugnisempfänger: „Und der es gesehen hat, hat es bezeugt, und wahr ist sein Zeugnis; und jener hat gewusst (erkannt), dass wahr ist, was er sagt, damit auch ihr glaubt“ ( Joh 19,35). 11.1.1 Zeugnisgeber: der Jünger, den Jesus liebt Der kurzen Aussage in Joh 19,35 ist zunächst nicht eindeutig zu entnehmen, wer der genannte Zeuge ist und ob es sich um einen oder mehrere Zeugen handelt. Teilweise wird unterschieden zwischen einem ersten Zeugen, „der es gesehen hat und es bezeugt hat“, und „jenem“ (ἐκεῖνος), der das Zeugnis des ersten Zeugen bestätigt, weil er „gewusst“ bzw. „erkannt“ (οἶδα) hat, „dass wahr ist, was er sagt“ ( Joh 19,35). 748 Für die vorliegende Arbeit ist diese Unterscheidung 318 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="320"?> 749 In diese Richtung geht der Großteil der Ausleger (B A R R E T T 1978, 557; B A U C K H A M 2006, 393; B A U C K H A M 2007, 85; B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 354; B E N N E M A 2014, 304; C A R S O N 1991, 626; C U L P E P P E R 1987, 43−49; F E N S K E 2007, 131; K E E N E R 2003a, 1154; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 553; K Ü G L E R 1988, 267; R E S S E G U I E 2016, 537; S C H E N K E 2014, 286.307; S C H N A C K E N B U R G 1982, 340; S C H N E L L E 2016, 374; S T I B B E 1994, 77; T H E O B A L D 2010, 494; W E N G S T 2019, 537; Z U M S T E I N 2016, 733). zunächst nicht relevant. Selbst wenn es sich um zwei unterschiedliche Zeugen handeln sollte, ist doch nur der erste Zeuge samt seinem Zeugnis bedeutsam, da nur er Zeugnis für Jesus ablegt, während der zweite Zeuge (oder er selbst? ) bezeugt, dass das erste Zeugnis über Jesus zuverlässig ist. In der vorliegenden Arbeit muss also der Frage nachgegangen werden, wer der erstgenannte Zeug‐ nisgeber ist. Aus der Formulierung „der, der es gesehen hat“ (ὁ ἑωρακὼς) geht hervor, dass es sich bei dieser Figur um einen männlichen Augenzeugen handelt. Dem vorausgehenden Erzählabschnitt zufolge kommen nur zwei Figuren infrage: der in Joh 19,26 erwähnte „Jünger, den er [ Jesus] liebte“ (ὁ μαθητὴς ὃν ἠγάπα), der in Rufweite des Kreuzes Jesu stand, oder der „Soldat“ (στρατιώτης) und der mit einem Speer Jesu Seite durchbohrte ( Joh 19,34). Gegen den Soldaten spricht, dass für ihn der Speerstoß und der dadurch festgestellte Tod eines Gekreuzigten kaum einen Anlass darstellen, über den es sich lohnt, Zeugnis abzulegen. Außerdem stellt sich die Frage, warum sich der Erzähler auf das Zeugnis eines unbekannten Soldaten anstatt auf das des den Lesern vertrauten geliebten Jüngers berufen sollte. Es kann also davon ausgegangen werden, dass der hier genannte Zeuge der geliebte Jünger Jesu aus Joh 19,26 ist. 749 Doch wer ist dieser geliebte Jünger, der hier als Zeuge auftritt? Die Verbindung von „Jünger“ (ὁ μαθητής) und „den er liebte“ (ὃν ἠγάπα) taucht im JohEv an vier Stellen auf ( Joh 13,23; 19,26; 21,7.20), die Verbindung von „Jünger“ und „den er liebte“ (ὃν ἐφίλει) einmal in Joh 20,2. An keiner dieser Stellen wird diesem Jünger ein Name zugewiesen. Ob der Erzähler erwartet, dass die intendierten Rezipienten dessen Namen und Identität trotzdem kennen, ist unklar, aber durchaus denkbar. Aus dem wiederholten Lektüreprozess und den Stellen, in denen einer der Jünger als „geliebter Jünger“ bezeichnet wird, wodurch dieser sich deutlich von allen anderen Jüngern, auch von anderen anonymen Jüngern, abhebt, ergibt sich den Lesern folgendes Bild des geliebten Jüngers: Ein erstes Mal tauchen die Bezeichnung und der damit titulierte Jünger in Joh 13,23 im Rahmen der Fußwaschung und der letzten Mahlfeier auf. Das Thema „Liebe“ spielt in diesem Zusammenhang eine bedeutende Rolle. Einleitend berichtet der Erzähler von der Liebe Jesu: „Da er die Seinen, die in der Welt 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 319 <?page no="321"?> 750 B E C K 2013, 225. 751 D S C H U L N I G G 2002, 249. K Ü G L E R (2003, 222) geht soweit, dass er schreibt: „Seine [des geliebten Jüngers] ganze Identität verdankt sich der Liebe Jesu! “. Zu dieser Überzeugung kommt er aufgrund der fehlenden Namensnennung: „Wo […] der Name wegfällt, und eine Figur anonym bleibt, treten bei wiederholtem Auftreten andere Merkmale an die Stelle des Namens und übernehmen seine personkonstituierende Funktion“ (K Ü G L E R 1988, 145). 752 T H E O B A L D 2010, 517. 753 „Joh 13,23 (ἐν τῷ κόλπῳ) und Lk 16,23 (ἐν τοῖς κόλποις) in der Wendung ,an jemandes Brust liegenʻ (Ehrenplatz)“ (S C H N E I D E R 2011c, 758). Vgl. B A U E R 1988, 898; F E N N E L L 2010, 324. Möglicherweise zeichnet ihn das Innehaben dieses Platzes zugleich auch als Gastgeber des Mahles aus (vgl. F E N N E L L 2010, 324). waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende“ ( Joh 13,1). Wenig später gibt Jesus seinen Jüngern das Liebesgebot: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebt, damit, wie ich euch geliebt habe, auch ihr einander liebt. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ ( Joh 13,34-35). Inmitten dieser Aussagen, der Darstellung der in der Fußwaschung erwiesenen Liebe Jesu zu seinen Jüngern und der Erzählung der letzten Mahlfeier ( Joh 13,21-30) erfolgt die folgende narratoriale Anmerkung: „Einer aber von seinen Jüngern, den Jesus liebte, lag zu Tisch an der Brust Jesu“ ( Joh 13,23). Bezeichnend für die Untersuchung der Charakterisierung des hier scheinbar erstmals auftretenden Jüngers ist, dass er ohne Nennung seines Namens oder seiner Herkunft schlicht als „Jünger, den Jesus liebte“, dargestellt wird. „There is no explanation of who he is or where he came from. It is almost as if the reader is to assume he has been there all along, but with no indication he is to be identified with any particular disciple previously encountered.“ 750 Die hier vorgenommene „Bezeichnung des namenlosen Jüngers“ als geliebter Jünger ist aber „bedeutender als jede Namensangabe […]“. 751 Sie räumt diesem Jünger eine „Favoriten- oder Ausnahmerolle“ 752 unter den Jüngern ein. Obwohl erzählt wird, dass Jesus alle seine Jünger liebt ( Joh 13,1), wird nur dieser eine als Jünger bezeichnet, den Jesus liebt. Diese Angabe wird in Joh 13,23 dadurch gesteigert, dass der Jünger eine besondere Position, einen Ehrenplatz, bei diesem Zusammensein innehat: Er liegt zu Tisch „an der Brust Jesu“ (ἐν τῷ κόλπῳ τοῦ Ἰησοῦ). 753 Dadurch wird nicht nur die örtliche Nähe des Jüngers zu Jesus, sondern vor allem auch die besondere Intimität und Vertrautheit der beiden herausgestellt. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass fast dieselbe Wendung in Joh 1,18 gebraucht wird, um die innige Verbundenheit Jesu mit seinem Vater anzuzeigen: Jesus ist „an der Brust des Vaters“ (εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρός). „What stands out in this scene is the Beloved discipleʼs special 320 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="322"?> 754 R E S S E G U I E 2016, 539. 755 R E S S E G U I E 2016, 539. Ähnlich K Ü G L E R (2003, 223): „Der GJ hat in Bezug auf Jesus […] die gleiche Position wie dieser beim Vater“. 756 Für das hier verwendete Verb ἀπορέω übersetzt B A U E R (1988, 195): „In Ungewißheit, ratlos, in Verlegenheit sein“ oder in Zweifel sein „wovon er spreche“. 757 Die erkennt auch K Ü G L E R (1988, 148): „Dadurch, daß der namenlose Jünger in dieser Szene der einzige ist, der Kontakt zu Jesus aufnehmen kann, wird er als für die Jünger notwendige Zwischeninstanz gekennzeichnet“. 758 Die Anrede mit „Herr“ ist respektvoll aber nicht außergewöhnlich. Insgesamt findet sich eine Anrede mit κύριε 33 x im JohEv. 759 S C H E N K E 2014, 235; Hervorhebungen im Original. Ebenso K Ö S T E N B E R G E R (2004, 416): „Jesus replay must have been given discreetly, for in 13: 27−30 the other disciples are still guessing as to the reason for Judasʼs departure (Carson 1991: 474).“ Auch S C H N A C K E N B U R G (1982, 35) bemerkt: „Ihm [dem geliebten Jünger] gibt Jesus Aufschluß und nennt ihm die Geste, mit der er den Verräter bezeichnen will“ (eigene Hervorhebung). C U L P E P P E R relationship with Jesus which the verbal thread (bosom) in 13: 23 and 1: 18 reinforces.“ 754 „His intimacy recalls the Sonʼs relationship to the Father in 1: 18.“ 755 Neben der Bezeichnung des Jüngers als „geliebter Jünger“ und der Darstellung seiner besonderen Vertrautheit und Verbundenheit mit Jesus lässt sich in dieser Szene erkennen, dass der Jünger - vielleicht aufgrund seiner besonderen Nähe zu Jesus - gegenüber den anderen Jüngern bevorzugt wird. Während des letzten gemeinsamen Mahls äußert Jesus seinen Jüngern gegenüber: „Amen, amen ich sage euch: Einer unter euch wird mich verraten“ ( Joh 13,21). Die Aussage sorgt bei den Jüngern für Ratlosigkeit und Verlegenheit. 756 In dieser Situation ergreift Petrus die Initiative, wendet sich aber nicht selbst an Jesus, sondern an den geliebten Jünger, der an der Brust Jesu liegt. Der geliebte Jünger wird somit zum Mittler 757 zwischen Petrus und Jesus. Der Erzähler schildert, wie Petrus „diesem zuwinkt, damit er frage, wer es wohl sei, von dem er rede“ ( Joh 13,24). Der geliebte Jünger lehnt sich daraufhin noch näher an die Brust Jesu und fragt ihn: „Herr, wer ist es“? (κύριε, τίς ἐστιν; Joh 13,25). Diese ersten zitierten Worte des Jüngers zeigen hierbei den angemessenen Respekt, den er trotz seiner Vertrautheit mit Jesus diesem gegenüber hat. 758 Die Antwort Jesu folgt unverzüglich: „Der ist es, dem ich den Bissen, wenn ich ihn eingetaucht habe, geben werde“ ( Joh 13,26). Der Erzähler beschreibt, wie Jesus daraufhin einen Bissen eintaucht und ihn Judas gibt. Aus der Darstellung geht nicht hervor, ob alle Jünger die Antwort Jesu hören und den Hinweis auf Judas wahrnehmen oder ob Jesus sich nur an den geliebten Jünger wendet. Letzteres scheint der Fall zu sein. „Jesus offenbart seinem geliebten Jünger mit einer bei einem Mahl völlig unverdächtigen Geste, wer ihn verraten wird. Nur der geliebte Jünger kann Jesu Hinweis verstehen und weiß nun - als Einziger(! ): Der Verräter ist Judas Iskariot.“ 759 Dadurch, dass er der Einzige ist, der die Antwort Jesu hört 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 321 <?page no="323"?> (1987, 44): „Jesus reveals to him the identity of the betrayer (13: 25−26) through the dipping of the morsel“. 760 T H E O B A L D 2010, 518. T H E O B A L D (2010, 518) bemerkt zudem: „Daß die Freundschaf Jesu zum geliebten Jünger in der Tat in diesem Sinne Modellcharakter besitzt, belegt ein zentraler Text […]: ‚Ich nenne euch nicht mehr Knechte, denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt, denn ich habe euch alles kundgetan, was ich von meinem Vater vernommen habe […]‘ (15,15)“. 761 S C H N E L L E 2016, 286. 762 T H E O B A L D 2010, 518. 763 Gegen K Ö S T E N B E R G E R 2004, 418; S C H N A C K E N B U R G 1982, 37; S C H N E L L E 2016, 286. Es gibt keinen Grund, den geliebten Jünger nicht mit in das οὐδείς einzubeziehen. 764 Rückblickend weiß und versteht der geliebte Jünger als Erzähler natürlich, warum und wozu Jesus dies zu Judas sagte. Er kann hier aber durchaus zugeben, dass er es zur erzählten Zeit noch nicht versteht. Gegen S C H N A C K E N B U R G (1982, 37), der davon ausgeht, dass diese Anmerkung „auf die Redaktion zurückgehen dürfte“. 765 Gegen C U L P E P P E R (1887, 121 und S K I N N E R 2016, 130−131), der behauptet: „As a player in the Johannine drama, the Beloved Disciple gets everything right […] Within the story the Beloved Disciple functions as the disciple par excellence“. und durch die Geste den Hinweis auf Judas als Verräter versteht, zeigt sich die oben angesprochene Bevorzugung des geliebten Jüngers gegenüber den anderen Jüngern und die „besondere Qualität [s]einer Freundschaft“ 760 zu Jesus. „Er ist […] der erste Jünger, der in das Geschick Jesu eingeweiht wird, während Petrus mit den anderen Jüngern im Vordergründigen verbleibt.“ 761 Aus diesen Beobachtungen entspringt für die Leser folgende weitere Schlussfolgerung: „Jünger zu sein scheint […] lediglich eine erste Stufe der Initiation in der Nachfolge Jesu zu sein, die Intimität einer auf Wissensteilhabe gründenden Freundschaft aber eine zweite.“ 762 Dass auch der geliebte Jünger zur erzählten Zeit noch nicht alles umfassend versteht, zeigt der weitere Verlauf der Erzählung. Nachdem Jesus den Bissen Judas gegeben hat, sagt er zu diesem: „Was du tust, tu schnell! “ ( Joh 13,27). Im Folgenden gibt der Erzähler Einblick in das Innenleben der Jünger und erwähnt, dass „keiner aber von den zu Tisch Liegenden verstand, wozu er ihm dies sagte“ ( Joh 13,28). „Keiner“ (οὐδείς) schließt hier den geliebten Jünger mit ein. 763 Während der geliebte Jünger zwar durch die Antwort und Geste Jesu weiß, dass Judas der Verräter ist, und aufgrund dieses Wissens den anderen Jüngern überlegen ist, versteht er doch zur erzählten Zeit genauso wenig wie die anderen Jünger, wozu Jesus zu Judas sagt: „Was du tust, tu schnell! “ 764 Somit wird der geliebte Jünger in dieser Szene zwar als geliebter und privilegierter, nicht aber als der ideale, allwissende oder perfekte Jünger charakterisiert. 765 Abgesehen von den bislang herausgestellten Charakterisierungen präsentiert der Erzähler hier wie auch an anderen Stellen ( Joh 20,1-10; 21,7.20) eine weitere Besonderheit, nämlich das Verhältnis des geliebten Jüngers zu seinem Mitjünger 322 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="324"?> 766 Vgl. K Ü G L E R 2016; K Ü G L E R 2003, 234. 767 Z U M S T E I N 2016, 722. Petrus. 766 Wo der geliebte Jünger erwähnt und dargestellt wird, taucht zumeist im unmittelbaren Kontext auch die Figur des Petrus auf. Hier in Joh 13 wird Petrus, direkt nach der Nennung des geliebten Jüngers, mit in die Erzählung aufgenommen. Er liegt der narrativen Darstellung zufolge räumlich gesehen etwas weiter von Jesus entfernt. Um Jesus zu fragen, wer der Verräter sei, wendet er sich an den geliebten Jünger, der dann zum Überbringer seiner Frage wird. Die räumliche Distanz sowie die Tatsache, dass er hier mittels des geliebten Jüngers mit Jesus kommuniziert, erwecken bei den Lesern den Eindruck, dass auch Petrus dem geliebten Jünger unterlegen ist und dass der geliebte Jünger eine innigere Beziehung und Freundschaft zu Jesus hat als Petrus und all die anderen Jünger. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch in anderen Szenen, die im Folgenden betrachtet werden. Nachdem der Jünger ein erstes Mal in der Erzählung mit dem Zusatz „den er [ Jesus] liebte“ genannt worden ist, taucht er in Verbindung mit dieser Bezeichnung ein zweites Mal in der Kreuzigungsszene in Joh 19,16b-30 auf. Im Anschluss an die Darstellung der Kreuzigung und des Verhaltens der Soldaten unter dem Kreuz nennt der Erzähler die außer den Soldaten anwesenden An‐ hänger Jesu: „Bei dem Kreuz Jesu standen aber seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleopas, und Maria Magdalena“ ( Joh 19,25). Im darauffolgenden Vers wird fast beiläufig erwähnt, dass bei Jesu Mutter der Jünger steht, den Jesus liebt: „Als nun Jesus die Mutter sah und den Jünger, den er liebte, dabeistehen […]“ ( Joh 19,26). Der geliebte Jünger wird, ebenso wie die anderen Anwesenden, abrupt und ohne auf die näheren Umstände einzugehen, in die Szene eingeführt und rückt zusammen mit der Mutter in den Mittelpunkt der Erzählung. Die zentrale Bedeutung dieser beiden Personen wird dadurch verstärkt, dass die in 19,25 genannten drei anderen Frauen in dieser Szene keine weitere Rolle spielen. Andererseits wird dadurch der nötige Handlungsraum geschaffen, um ein letztes Ge‐ spräch zwischen dem ‚erhöhten‘ Jesus und den ihm Nahestehenden zu ermöglichen. 767 Direkt im Anschluss schildert der Erzähler die Anweisungen, die Jesus an seine Mutter und an den geliebten Jünger richtet. Auffällig ist, dass Jesus weder seine Mutter (wie in Joh 2,4) noch den geliebten Jünger mit Namen nennt. Jesus sagt nur: „Frau, siehe, dein Sohn! “, und zum geliebten Jünger: „Siehe, deine Mutter! “ ( Joh 19,26-27). Ohne zu zögern und ohne dass der Jünger oder die Mutter in der Szene zu Wort kommen, folgt der Jünger den Anweisungen Jesu und der 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 323 <?page no="325"?> 768 B E C K (2013, 227) bemerkt: „This is his only explicitly designated appearance without Peter alongside him. Instead he appears here beside the mother of Jesus […]“. Jesu Mutter wird hier nach Joh 2,4 zum zweiten Mal erwähnt, „d.h. sie ist die Zeugin der ersten und letzten Tat Jesu“ (S C H N E L L E 2016, 368). 769 S C H N E L L E (2016, 369) merkt hierzu an: „Dem Lieblingsjünger gelten die letzten Worte Jesu, er ist durch das Testament Jesu am Kreuz autorisiert und sein wahrer Nachfolger. Als legitimer Deuter und Vermittler der Botschaft Jesu ist der Lieblingsjünger zugleich der Gründer und anerkannter Führer der joh. Gemeinde“. 770 Dies bedeutet aber nicht, dass der geliebte Jünger und die Mutter Jesu den Schauplatz sofort verlassern haben. „Aus der allgemeinen Formulierung (εἰς τὰ ἴδια) zu schließen, er [der geliebte Jünger] habe die Mutter augenblicklich in sein Haus weggeführt, stellt eine Konkretisierung dar, die durch keine Anweisung des Textes gedeckt und deshalb illegitim ist“ (K Ü G L E R 1988, 266−267). 771 Die Betonung liegt hier ganz eindeutig gegen eine mariologische Auslegung darauf, dass der Jünger die Mutter zu sich nimmt. „[D]er letzte Wille des am Kreuz Erhöhten [enthält] keinen Aufruf an die Mutter Jesu, für den Lieblingsjünger die Rolle der Mutter zu spielen, um so (vorausgesetzt, dass der Lieblingsjünger eine exemplarische Symbolfigur des Gläubigen sei) zur Mutter aller Gläubigen zu werden“ (Z U M S T E I N 2016, 724). Erzähler berichtet: „Und von jener Stunde an nahm der Jünger sie zu sich“ ( Joh 19,27). In diesem kurzen Abschnitt vermittelt der Erzähler den intendierten Rezipi‐ enten folgendes Bild des geliebten Jüngers: Der geliebte Jünger ist offensichtlich der einzige männliche Anhänger Jesu, der diesem bis zum Kreuz gefolgt ist. 768 Dies verdeutlicht seinen Mut (die anderen Jünger, auch Petrus, haben Jesus wohl aus Angst verleugnet und verlassen), seine Treue zu Jesus, seine Zuverlässigkeit ( Jesus vertraut ihm seine Mutter an) und sein konsequentes Bleiben bei Jesus. Da der Erzähler im gesamten JohEv das Bleiben bei Jesus als eines der bedeutendsten Erkennungsmerkmale wahrer Jüngerschaft hervorhebt, wird hier der geliebte Jünger durch sein Bleiben vor allen anderen Jüngern als wahrhafter und treuer Jünger ausgezeichnet. Zusätzlich spiegelt sich in der narrativen Darstellung der unbedingte Gehorsam des Jüngers wider. Er ist derjenige, der nicht nur die letzten Anweisungen Jesu vor dessen Tod erhält, 769 sondern diesen auch umgehend Folge leistet und Jesu Mutter gehorsam zu sich nimmt. 770 Aufgrund seines Gehorsams wird Jesu Mutter in gewisser Weise zu seiner Mutter 771 und der geliebte Jünger zum Bruder Jesu. Durch diese Worte und den Tod Jesu wird somit eine neue Familienordnung gegründet. Es lässt sich Folgendes festhalten: In the narrative description, Mary progresses from‚his mother‘ to ‚the mother‘ to ‚woman‘ to ‚your mother‘. Similarly the Beloved Disciple is given a new relationship: 324 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="326"?> 772 Vgl. R E S S E G U I E 2013, 543. B E C K (2013, 227−228) betont: „The symbolic understandings of this scene are numerous“. Einen Überblick über verschiedene Auslegungen verschafft S C H N A C K E N B U R G (1982, 325−328). 773 „Rüsttag, nach jüd. Sprachgebr. ( Jos., ant. 16,163. Synes., ep. 4 p. 161 D) d. Freitag, an dem alles für d. Sabbat, an dem nicht gearbeitet werden durfte, vorzubereiten war“ (B A U E R 1988, 1257). 774 D S C H U L N I G G 2002, 252. Wie oben angeführt, vertritt die Mehrheit der Ausleger die Auffassung, dass es sich beim Zeugen in Joh 19,35 um den geliebten Jünger handelt. 775 Dass hier der Erzähler (bzw. der Evangelist) das Zeugnis des geliebten Jüngers bestätigt, wird von vielen Auslegern angenommen (B E U T L E R , 2016, 509: C U L P E P P E R 1987, 43−44; Z U M S T E I N 2016, 733). Ob der Erzähler zugleich auch der Zeuge selbst und somit der geliebte Jünger ist, ist umstritten, durchaus aber möglich und denkbar (vgl. B A R R E T T he is the son of Jesusʼ mother and, as son, Jesusʼ brother. As Craig Koester notes, the Beloved Disciple is the first of many brethren. 772 In Joh 19,30 endet die Kreuzigungsszene mit dem Hinscheiden Jesu. Die dar‐ auffolgende Szene wird mit dem narratorialen Hinweis eröffnet, dass sich die Kreuzigung am „Rüsttag“ (παρασκευή) 773 zugetragen hat. Aufgrund dieses besonderen Tages und des bevorstehenden Sabbats bitten die Juden Pilatus, den drei Gekreuzigten die Beine brechen zu lassen, um so deren schnellen Tod herbeizuführen und deren Leichname noch vor dem Anbrechen des Sabbats abhängen und begraben zu können (vgl. Joh 19,31). Pilatus geht auf die Bitte ein. Nachdem die Soldaten den ersten beiden Gekreuzigten die Beine gebrochen haben, kommen sie zu Jesus. Der Erzähler berichtet hierbei: „Als sie [die Soldaten] aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten durchbohrte mit einem Speer seine Seite, und sogleich kam Blut und Wasser heraus“ ( Joh 19,33-34). Dieser Darstellung der Ereignisse sollen die Leser vor allem entnehmen, dass Jesus tatsächlich gestorben ist. Um die Tatsache seines Todes zusätzlich zu untermauern und um aufzuzeigen, dass die Art und Weise, wie Jesus gestorben ist und nach seinem Tod behandelt wurde, eine Erfüllung alttestamentlicher Prophezeiungen darstellt, wird in Joh 19,35 unvermittelt ein Zeuge in die Erzählung angeführt. Obwohl dieser Zeuge nicht näher beschrieben wird, ist den Lesern klar: „Nach dem Vorangehenden kann dieser Zeuge nur der Lieblingsjünger sein […]“ 774 Er, der mit am Kreuz steht und alles gesehen hat, kann von dem, was er gesehen hat, Zeugnis geben. So bezeugt er, dass sich alles so zugetragen haben, wie es geschildert ist, denn „der es gesehen hat, hat es bezeugt“ ( Joh 19,35a). Unmittelbar nach der Nennung dieses Zeugnisses wird durch einen Erzählerkommentar ergänzend bestätigt, dass das Zeugnis wahr ist: „[…] und sein Zeugnis ist wahr“ (καὶ ἀληθινὴ αὐτοῦ ἐστιν ἡ μαρτυρία; Joh 19,35b). 775 Daraufhin gibt der Erzähler Einblick in das Innenleben des geliebten 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 325 <?page no="327"?> 1978, 557−558; B A U C K H A M 2006, 369−386; B A U C K H A M 2007, 87; B E N N E M A 2014, 306; C A R S O N 1991, 626; K E E N E R 2003, 112; 2003a, 1155; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 553; R E S S E G U I E 2016, 544; T H E O B A L D 2010, 501). 776 D S C H U L N I G G 2002, 253. 777 Treffend formuliert F E N N E L L (2010, 325−326) bezüglich der Einzigartigkeit des Zeug‐ nisses: „In this way, the Beloved Disciple once again accrues honor at the expense of other disciples, whose witness is not as authoritative because it is derivative, at least on this matter“. Bezüglich der Glaubwürdigkeit antiker Augenzeugen vgl. B A U C K H A M 2006. 778 Dies geht aus dem Ende von Joh 19,35 hervor, wo es heißt „damit auch ihr glaubt“ (ἵνα καὶ ὑμεῖς πιστεύ[σ]ητε). 779 Vgl. die Zählung der Akte bei T H Y E N 2015, 754. Jüngers und ergänzt: „[ J]ener hat gewusst, dass wahr ist, was er sagt, damit auch ihr glaubt“ ( Joh 19,35). Dadurch, dass an dieser Stelle ein Zeuge und sein Zeugnis auf diese ein‐ zigartige Weise dargestellt und beglaubigt werden, zeigt der Erzähler seinen Lesern die große Bedeutung der hier geschilderten Ereignisse. Die Erzählung hat hier, im Leiden und Sterben Jesu, ihren Höhepunkt erreicht. Das Sterben des vom Himmel gekommenen, fleischgewordenen Logos ist die letzte Konsequenz seiner Menschwerdung, die Erfüllung seines Auftrags („es ist vollbracht“; Joh 19,30) und der entscheidende heilsbringende Akt. Der kurzen Erwähnung des geliebten Jüngers in Joh 19,35 lässt sich bezüglich seiner Charakterisierung nicht viel Neues entnehmen. Wie bereits erwähnt, zeigt sich, dass der geliebte Jünger in der Erzählung des JohEv der einzige männliche Anhänger Jesu ist, der diesem mutig bis zu dessen Tod am Kreuz gefolgt ist. Durch die erzählte Anwesenheit am Kreuz wird er „über alle anderen Jünger hinaus aufgewertet“ 776 und zugleich als Augenzeuge ausgezeichnet, was ihn für die intendierten Rezipienten zu einem einzigartigen, überzeugenden und glaubwürdigen Zeugen Jesu macht bzw. machen soll. 777 Der Erzähler zeichnet ihn sowohl als wahrhaftigen und entscheidenden Zeugen des Leidens und Sterbens Jesu aus als auch als Garant der Tatsache, dass sich in der postmortalen Behandlung Jesu alttestamentliche Prophetie erfüllt. Der geliebte Jünger ist selbst der Glaubende, der will, dass auch die Empfänger seines Zeugnisses glauben. 778 Kurz nach Joh 19,35 wird der geliebte Jünger ein weiteres Mal in der ersten Szene des siebten Akts 779 im Zusammenhang mit den Ereignissen am leeren Grab erwähnt. Die Szene beginnt mit einer ausführlichen Zeitangabe: Es ist „der erste Tag der Woche“ (τῇ δὲ μιᾷ τῶν σαββάτων), und zwar „frühmorgens, als es noch dunkel war“ (πρωῒ σκοτίας ἔτι οὔσης; Joh 20,1). Die Ereignisse, die sich zu Beginn der erzählten Zeit zutragen, werden nur sehr gerafft dargestellt. 326 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="328"?> 780 Das Verb τρέχωειν taucht zwei Mal auf, hier und in Joh 20,4. 781 Auffällig ist, dass an dieser Stelle ὃν ἐφίλει, statt dem an anderen Stellen gebrauchten ὃν ἠγάπα ( Joh 13,23; 19,26; 21,7.20), verwendet wird, um den Jünger näher zu bestimmen. Dies ist aber nicht ungewöhnlich: vgl. Joh 11,3.5 und 21,15−17. 782 Obwohl keine weitere Person erwähnt wird, deutet der Erzähler durch das „wir wissen nicht“ (οὐκ οἴδαμεν; Joh 20,2) und in Übereinstimmung mit den Synoptikern an, dass Maria Magdalena nicht allein am Grab war. 783 Das Verb βλέπειν wird im JohEv 17x verwendet, θεωρεῖν 24x. 784 S Ö D I N G o.-J., 7. 785 Treffend merkt D U N D E R B E R G (2002, 256) an: „The narrator seems to say in John 20: 8−9 simply that both the Beloved Disciple and scripture bear witness to the ressurection of Jesus. If so, the Beloved Discipleʼs faith could be understood as exemplary to the audience of the gospel“. Maria Magdalena gelangt zum Grab Jesu. Warum sie so früh kommt, wird hier vom Erzähler nicht berichtet. Sie nimmt wahr, dass der Stein vom Eingang des Grabes weggerollt ist. Ohne in das Grab zu schauen, „läuft sie“ (τρέχει) 780 und kommt zu Simon Petrus „und zu dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte“ (τὸν ἄλλον μαθητὴν ὃν ἐφίλει ὁ Ἰησοῦς; Joh 20,2). 781 Den beiden Jüngern berichtet sie: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben“ ( Joh 20,2). 782 Nachdem den beiden Jüngern die Nachricht zugetragen worden ist, wird erzählt, wie sie zum Grab gehen. In Joh 20,4 schildert der Erzähler detaillierter, dass auch die beiden Jünger „laufen“ (τρέχωειν), dass der geliebte Jünger, der von da an nur noch als „der andere Jünger“ (ὁ ἄλλος μαθητής; Joh 20,3.4.8) bezeichnet wird, „vorausläuft“ (προτρέχω), „schneller als Petrus“ (τάχιον τοῦ Πέτρου), und daher das Grab „als Erster“ (πρῶτος) erreicht. Trotzdem geht er aber nicht als Erster in das Grab, sondern schaut nur hinein und „sieht die Leinentücher liegen“ (βλέπει κείμενα τὰ ὀθόνια). 783 Petrus hingegen, der kurz danach beim Grab eintrifft, geht in das Grab. Der geliebte Jünger lässt ihm, dem vermutlich älteren Jünger, den Vortritt, wodurch möglicherweise das Respektverhältnis ausgedrückt werden soll. 784 Auch Petrus „sieht die Leinentücher liegen“ (θεωρεῖ τὰ ὀθόνια κείμενα; Joh 20,6) „und das Schweißtuch, das auf seinem Haupt war, nicht bei den Leinentüchern liegen, sondern für sich zusammengewickelt an einem Platz“ ( Joh 20,7). Als der andere Jünger daraufhin auch in das Grab geht, berichtet der Erzähler sehr pointiert: „[U]nd er sah und glaubte“ (καὶ εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν; Joh 20,8), obwohl die beiden Jünger die Schrift noch nicht verstanden hatten und somit nicht wissen konnten, dass Jesus von den Toten auferstehen würde ( Joh 20,9). 785 Betrachtet man diese Szene in Bezug auf die Charakterisierung des geliebten bzw. anderen Jüngers, so fällt auf, dass der Erzähler dem Jünger auch hier keinen Namen zuschreibt. Er bleibt der anonyme „geliebte Jünger“ bzw. „andere 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 327 <?page no="329"?> 786 Vgl. „inhaltlicher Standpunkt“ (S Ö N K E & R Ü G G E M E I E R 2016, 185). Dass hier ein Motiv der Rivalität zwischen den beiden Jüngern vorliegt ist möglich, nicht aber zwingend (gegen S C H N E L L E 2016, 380). Treffender scheint die Beschreibung S Ö D I N G S (o. J., 6), dass eine „erhebliche Konkurrenz zwischen den beiden“ besteht. „,Konkurrenz‘ freilich in des Wortes wahrer Bedeutung: ein echter Wettlauf, der auch ein gemeinsamer Lauf ist, allerdings mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, nicht ganz ohne Rivalität, aber letztlich in fairer Kameradschaft“. Zu einer Konkurrenz zwischen dem geliebten Jünger und Petrus vgl. K Ü G L E R 2003, 234 f. 787 M Ü L L E R 2011, 534: „Bei Joh ist das bezeugende „Sehen“ [βλέπειν] noch fundamentaler gefaßt, indem der geistliche Sehakt des christologischen Glaubens als Offenbarung der Sohneswirklichkeit im Glaubenden verstanden wird.“ S C H N A C K E N B U R G (1982, 368) hingegen nimmt „keinen erkennbaren semantischen Eigenwert“ in den Verben des Sehens des JohEv wahr, sondern geht davon aus, dass sie „variierend und synonym gebraucht“ werden. Jünger“, der ein weiteres Mal im Zusammenhang mit einem der bedeutendsten Ereignisse der Erzählung auftritt. Nachdem er in der vorausgehenden Zeugnis‐ szene bei der Kreuzigung anwesend gewesen ist, ist er hier nun einer der Ersten, die das leere Grab begutachten. Beide Male wird er als Augenzeuge der Geschehnisse dargestellt, wodurch den Lesern erneut die einzigartige Rolle des geliebten Jüngers in der Erzählung und dessen Vorrangstellung vor allen anderen Jüngern aufgezeigt werden. Abgesehen von dieser ihm zukommenden Sonderstellung erkennen die Leser im vorliegenden Erzählabschnitt den Eifer dieses Jüngers. Auch wenn der Erzähler nicht erläutert, warum „der andere Jünger“ das Grab als Erster erreicht, können die Leser doch vermuten, dass dies nicht so sehr seiner physischen Überlegenheit, sondern vielmehr seiner psychischen Beschaffenheit und der Tatsache geschuldet ist, dass er als der geliebte Jünger Jesu eine besondere Beziehung zu Jesus hat. 786 Dies treibt ihn an, schnellstmöglich und vor allen anderen herauszufinden, ob die Aussagen Marias der Wahrheit entsprechen. Aufgrund seiner innigen Verbundenheit mit Jesus und als Augenzeuge der Kreuzigung und des Todes Jesu muss er mit eigenen Augen sehen, was sich zugetragen hat. Er will seine eigenen Schlüsse ziehen und Antworten auf seine Fragen bekommen. Nach der Darstellung des Erzählers findet er diese auch - im „Sehen und Glauben“. Er „sieht“ (βλέπειν) nicht nur die Leinentücher liegen, wobei das hier verwendete Wort βλέπειν möglicherweise schon für einen „geistlichen Sehakt des christologischen Glaubens“ stehen könnte, 787 sondern er „sieht“ (ὁρᾶν) auch im Grab das von Petrus zuvor wahrgenommene Schweiß‐ tuch Jesu „zusammengewickelt an einem besonderen Ort“ liegen und er „glaubt“ (πιστεύειν; Joh 20,8). Die möglicherweise durch die Aussage Marias erweckte Befürchtung, Jesu Leichnam könnte weggeschafft oder gestohlen worden sein, wird aufgrund dessen, was der Jünger hier sieht und was er schlussfolgern kann, 328 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="330"?> 788 S C H N E L L E 2016, 381. Mit ähnlichem Wortlaut S C H N A C K E N B U R G (1982, 368): „Dieser Jünger erfaßt gleichsam mit einem Blick den Tatbestand und kommt sogleich zum Glauben […] Nach dem Kontext ohne Zweifel zu dem vollen Glauben an die Auferstehung Jesu; jegliche Abschwächung (im Hinblick auf V 9) verbietet sich“. Ebenso C A R S O N 1991, 638; B A U C K H A M 2006, 165; D S C H U L N I G G 2002, 254; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 564; S C H E N K E 2014, 317; T H E O B A L D 2010, 519; vgl. auch M O R R I S , 1995, 736, der das „Sehen“ der Leichentücher dem „Glauben“ der Auferstehung Jesu zuordnet. 789 T H Y E N 2015, 758. 790 Inhaltlich weisen die beiden Abschnitte große Ähnlichkeit auf. In Joh 21 werden viele der Themen und Begriffe aus Joh 6 wieder aufgegriffen wie z. B. der See, die Boote, Brot und Fisch usw. verworfen. Einen Leichnam ohne die Leinentücher, in die er gewickelt worden war, mitzunehmen, ist unwahrscheinlich. Noch unwahrscheinlicher ist es, sich dabei die Mühe zu machen, das Schweißtuch an einem separaten Ort geordnet abzulegen. Für den geliebten Jünger spricht die Sachlage eindeutig für einen Akt des auferstandenen Herrn. „Mit einem Blick erfasst er [der geliebte Jünger] die Situation und kommt zum vollen Glauben an die Auferstehung Jesu.“ 788 Mit dieser Innenperspektive in die Einsicht und Erkenntnis des geliebten Jüngers hebt der Erzähler diesen ein zweites Mal von Petrus ab. Der geliebte Jünger ist nicht nur schneller am Grab als Petrus, sondern kommt auch - ohne den Auferstandenen gesehen zu haben - zum Glauben an die Auferstehung Jesu. Durch diese Darstellung wird der geliebte Jünger zugleich mit Thomas kontrastiert, der wenig später erst glaubt, nachdem er Jesus gesehen hat (vgl. Joh 20,24-29), während der andere Jünger hier glaubt, ohne gesehen zu haben. Die in jenem Zusammenhang zitierte Figurenrede Jesu „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ ( Joh 20,29) kann von den Lesern rückblickend auf den geliebten Jünger bezogen werden, denn er sieht Jesus nicht und glaubt trotzdem, auch wenn er dies weder Petrus noch den anderen Jüngern mitteilt. Daß er […] seine Glaubenserkenntnis nicht an Petrus weitergibt […] entspricht seinem im Evangelium seit 13,21ff absichtsvoll gezeichneten Bild. Zum Verkündiger der Glorie seines Herrn wird er erst im letzten Kapitel (21,7) und vor allem dann und dadurch werden, daß er die Feder in die Hand nimmt und Jesu ganze Geschichte in festen Buchstaben schreibt (21,24). 789 Im hier erwähnten Kapitel 21, das die letzten beiden Szenen der Erzählung beinhaltet, finden sich die letzten expliziten Hinweise auf den geliebten Jünger. Die beiden Szenen spielen sich erneut, nach Joh 6,1-21, am See Tiberias ab ( Joh 21,1) 790 - teilweise auf dem Boot, teilweise am Ufer des Sees. Zusammen mit dieser Angabe des Handlungsraumes gibt der Erzähler gleich einleitend in die Szene ( Joh 20,1-14) zusammengefasst den Inhalt des Abschnitts wieder: 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 329 <?page no="331"?> 791 Dieses textexterne Wissen könnte beispielsweise auf der Kenntnis von Mk 1,19.20; 3,17 und 10,35 beruhen. 792 Klar ist jedenfalls, dass er mit einem dieser Vier identifiziert werden muss: „The reader is led by the narrative to conclude that the disciple whom Jesus loved is one of the four unnamed disciples in this list“ (B E C K 2013, 231). Ebenso D S C H U L N I G G (2002, 254): „Nach dem bisherigen Verlauf des Evangeliums kann er am ehesten unter ‚die (Söhne) des Zebedäus‘ oder unter ‚zwei andere aus den Jüngern‘ Jesu fallen“. 793 So auch B E U T L E R (2016, 543): „Der Verfasser des Johannesevangeliums bzw. von Joh 21 lässt offenbar die Identität des Geliebten Jüngers bewusst in der Schwebe.“ Es geht um die abermalige Offenbarung Jesu vor seinen Jüngern. Unmittelbar im Anschluss an die Orts- und Inhaltsangabe nennt der Erzähler im zweiten Vers der Szene den Figurenbestand. Neben dem später hinzukommenden Prot‐ agonisten Jesus treten die folgenden Jünger auf: „Simon Petrus und Thomas, genannt Zwilling, und Nathanael, der von Kana in Galiläa war, und die Söhne des Zebedäus und zwei andere von seinen Jüngern […]“ ( Joh 21,2). Während die ersten drei Jünger mit Namen genannt werden, lassen sich die letzten vier Jünger nicht identifizieren. Es ist aber anzunehmen, dass die intendierten Rezipienten aufgrund ihres textexternen Vorwissens zumindest den beiden Söhnen des Zebedäus die Namen „Jakobus“ und „Johannes“ zuordnen können. 791 Die „zwei anderen aus seinen Jüngern“ bleiben hingegen gänzlich anonym, sodass die Leser über deren Identität nur spekulieren können. Ebenso unklar bleibt, mit welchem der vier letztgenannten Jünger der Jünger, den Jesus liebt, aus Joh 21,7 gleichzusetzen ist - ob mit einem der zwei „anderen Jünger“ oder mit einem der Söhne des Zebedäus. 792 Eine Antwort auf diese Frage wird den Lesern in diesem Abschnitt nicht gegeben. 793 Im Anschluss an die Nennung des Figurenbestands wird erzählt, dass die Jünger nach den Begegnungen mit Jesus fischen gehen. Nach einem misslun‐ genen nächtlichen Fischzug sehen sie Jesus am folgenden Morgen am Ufer stehen. Durch eine interne Fokalisierung gibt der Erzähler Einblick in die Unwissenheit der Jünger. Obwohl es das dritte Mal ist, dass sich Jesu seinen Jüngern offenbart ( Joh 21,14), erkennt keiner von ihnen - auch nicht der später identifizierte geliebte Jünger -, dass es Jesus ist, der am Ufer steht ( Joh 21,4). Erst nachdem Jesus sie angesprochen und aufgefordert hat, die Netze noch einmal zur anderen Seite auszuwerfen, und sie daraufhin eine große Menge an Fischen gefangen haben, erkennt einer der Jünger, dass es Jesus ist, der am Ufer steht. Dieser eine Jünger, der Jesus erkennt, wird vom Erzähler direkt im Anschluss eindeutig identifiziert: Er ist „der Jünger, den Jesus liebte“. Zum wiederholten Mal deutet der Erzähler an, dass der geliebte Jünger höhere Jesus(er)kenntnis hat als die übrigen Jünger. Er ist es, der Jesus als Erster erkennt und seine Erkenntnis verbal (ausgerechnet und gezielt) mit Petrus teilt: „Es ist der Herr“ ( Joh 21,7). 330 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="332"?> 794 D S C H U L N I G G 2002, 255. Vgl. D U N D E R B E R G (2002, 254−256) und R E S S E G U I E (2016, 546−547): „The Beloved Disciple is one who sees what others do not see. His is the ideal point of view of the narrative, for he is able to interpret who the person is behind the miracle. […] Just as he was the first to judge correctly the meaning of the abandoned grave cloths, he is the first to exegete correctly the significance of the miraculous catch of fish“. Erzählt wird weiter, dass Petrus daraufhin ins Wasser springt, um zu Jesus zu gelangen - diesmal vor dem geliebten Jünger. Die anderen Jünger folgen ihm im Boot, gelangen wenig später ans Ufer und werden von Jesus zum vorbereiteten Essen eingeladen. Der Erzähler gibt dabei erneut Einblick in das Innenleben der Jünger und beschreibt, dass keiner von ihnen „es wagt“ (τολμᾶν), Jesus zu fragen, wer er ist, denn sie alle „wissen“ (οἶδα), dass es der Herr ist. Obwohl in dieser Szene nur wenig über den geliebten Jünger gesagt wird, können die Leser bezüglich seiner Charakterisierung doch Folgendes erkennen: Als Erstes fällt auf, dass der Jünger sich in dieser Szene nicht bei Jesus aufhält. Obwohl er in der vorausgehenden Erzählung durchweg als derjenige beschrieben wird, der bei Jesus ist und bleibt, tritt er hier nun zusammen mit weiteren sechs Jüngern räumlich getrennt von Jesus in Erscheinung. Wieso der geliebte Jünger bei den anderen Jüngern ist, warum sie fischen und ob es sich dabei um eine einmalige Tätigkeit oder um eine angestrebte dauerhafte Beschäftigung handelt, lässt sich der Erzählung nicht entnehmen. Jedenfalls ist der geliebte Jünger nicht bei Jesus, sondern bei den Jüngern. Des Weiteren fällt den Lesern auf, dass der Jünger auch hier namenlos bleibt, zugleich aber wieder als derjenige identifiziert wird, „den Jesus liebte“ (ὃν ἠγάπα ὁ Ἰησοῦς; Joh 21,7). Im unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Betitelung folgt die Darstellung seiner erkenntnis- und wissensmäßigen Überlegenheit, sodass er in dieser Szene in doppelter Weise von den anderen Jüngern abgehoben wird. Er ist nicht nur der von Jesus in besonderer Weise geliebte Jünger, sondern auch derjenige, der Jesus als Erster nach dem Wunder oder durch das Wunder erkennt, wodurch seine überragende Jesuserkenntnis dargelegt wird. „Wie in der Erzählung vom leeren Grab (20,8) erweist er sich als der herausragende Jünger, der mehr erkennt und tiefer blickt, hier im Vergleich zu Petrus und den anderen.“ 794 Trotz dieser Vorrangstellung reiht der Erzähler den geliebten Jünger wenig später in Joh 21,12 mit ein unter diejenigen, die es „nicht wagen“, Jesus zu fragen, wer er sei. Eine Erklärung für dieses eingeschüchterte Verhalten des geliebten Jüngers wird nicht geliefert. Die Leser können nur vermuten, dass 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 331 <?page no="333"?> 795 W O L T E R 2011, 874. 796 D S C H U L N I G G 2002, 256. R E S S E G U I E (2013, 547) merkt auch hierzu an, wie sehr die Position des geliebten Jüngers ihm die ideale Perspektive auf die Ereignisse gibt: „The narrative commentary reinforces the Beloved Discipleʼs special relationship with Jesus that makes him especially qualified to voice the ideological point of view of the Gospel“. 797 Das Verb ἀκολουθεῖν kommt im JohEv einem terminus technicus der wahren Jün‐ gerschaft gleich. Von den 19 Vorkommnissen des Verbs beziehen sich 17 auf die Jesusnachfolge (S C H N E I D E R 2011a, 123). 798 S C H N E L L E 2016, 402. Dementsprechend richtig beobachtet und ergänzt K Ü G L E R (1988, 405): „Der geliebte Jünger folgt Jesus von selbst, ohne daß er aufgefordert werden mußte. Das bedeutet für die Charakterisierung des Petrus, daß ihm mit dem zweimaligen Nachfolgeruf ein (im Verhältnis zum Lieblingsjünger) negatives Merkmal zugewiesen ist“. dadurch seine „respektvolle Furcht […] gegenüber der Überlegenheit […] des Auferstandenen“ 795 zum Ausdruck gebracht wird. Im Anschluss an Joh 21,1-14 folgt ab Joh 21,15 die letzte Szene des JohEv und damit auch die letzte explizite Erwähnung des geliebten Jüngers. Nach dem in der vorausgehenden Szene geschilderten gemeinsamen Essen berichtet der Erzähler, wie Jesus mit Simon Petrus ein Gespräch eröffnet. Gegen Ende des Gesprächs gerät plötzlich der geliebte Jünger in den Fokus der Unterhaltung ( Joh 21,20). Alle übrigen Jünger werden in der gesamten Szene Joh 21,15-25 völlig ausgeblendet. Bevor der Erzähler die Frage des Petrus bezüglich des geliebten Jüngers zitiert, führt er eine kurze Beschreibung dieses Jüngers an. Dargestellt wird, dass dieser Jünger Jesus „folgt“, dass er der Jünger ist, „den Jesus liebt“, und dass er es ist, der an der Brust Jesu gelegen und nach dem Verräter gefragt hatte. Mit dieser Erinnerung „an sein erstes ausdrückliches Auftreten im Joh […] wird […] seine Vorzugsstellung nochmals herausgestellt, die in der besonderen Liebe Jesu gründet“. 796 Den Lesern wird also auch hier erneut und abschließend die Besonderheit des Jüngers vorgestellt bzw. in Erinnerung gerufen und sie erkennen, dass der geliebte Jünger doch, wie zuvor im ganzen Evangelium dargestellt (abgesehen von Joh 21,1-14), bei Jesus ist und bleibt. Er ist, wie durch den Gebrauch des Verbs ἀκολουθεῖν hervorgehoben wird, 797 der wahre Jünger, „während Petrus sich noch umschaut und zögert“. 798 Auch wenn der Erzähler den geliebten Jünger in dieser Szene vorerst nicht selbst zu Wort kommen lässt, so wird in Joh 21,21-23 narratorial doch einiges über ihn gesagt, was zu seiner Charakterisierung beiträgt. Nach der zitierten Frage des Petrus „Herr, was wird aber mit diesem? “ ( Joh 21,21) antwortet Jesus mit der merkwürdigen Entgegnung: „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! ( Joh 21,22)“. Obgleich der Inhalt dieser Aussage sowohl für die Jünger als auch für die intendierten Rezipienten schwer verständlich ist, zeigt sie doch die individuelle und spezielle 332 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="334"?> 799 H A R R I S 2015, 346; ebenso B E U T L E R 2016, 556−557; C U L P E P P E R 1987, 45; K Ö S T E N B E R G E R 2005, 603; K Ü G L E R 1988, 406; S C H E N K E 2014, 336; S C H N A C K E N B U R G 1982, 445; S C H N E L L E 2016, 403. 800 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R (2016, 180) weisen auf diese Möglichkeit hin, „dass der Autor selbst als Erzähler auftritt und keinen von sich unterschiedenen Erzähler erschafft“. In gleiche Richtung geht S C H N E L L E (2016, 403): „Der Lieblingsjünger bezeugt nicht nur diese aufgeschriebenen Dinge, er ist sogar der Autor des Buches! “ (vgl. B A U C K H A M 2006, 358; B E N N E M A 2014, 305; D S C H U L N I G G 2002, 257; D U N D E R B E R G 2002, 243.254; F E N S K E 2007, 130 f.; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 603; R E S S E G U I E 2016, 548; S C H E N K E 2014, 336). K Ü G L E R (2003, 221) betont: „Festzuhalten ist, dass der Text den GJ [Geliebten Jünger] als historische Gestalt präsentiert und ihn zu seinem Autor macht […]“. K Ü G L E R (1988, 406−407) beschreibt an anderer Stelle ausführlicher: „Der geliebte Jünger ist der, der dies, also das gesamte Evangelium, bezeugt. Und nicht nur Zeuge ist er, sondern auch der Verfasser der vorliegenden Schrift. Wenn hier der geliebte Jünger als Autor bezeichnet wird, so ist ein expliziter Bezug zu den Komunikationsebenen des Textes hergestellt. Eine erzählte Figur wird mit dem Erzähler identifiziert. Diese Identifizierung mag heutige Leser überraschen, schließlich hatte sich der Erzähler innerhalb der Erzählung immer vom geliebten Jünger unterschieden, hatte immer von ihm in der 3. Person gesprochen. Innerhalb antiker Literaturnormen ist freilich ein solches Verhältnis vom Erzähler und erzählten Figuren nicht ungewöhnlich“. Nach der Anführung einiger Beispiele schluss‐ folgert K Ü G L E R (1988, 407): „Es kann also geschlossen werden, daß im Zeitalter der Entstehung des Joh die historigraphischen Regel gültig war, daß ein Verfasser von sich in der 3. Person spricht, wenn er selbst in seinem Werk als erzählte Figur vorkommt.“ Beziehung Jesu zum geliebten Jünger. Das Verhältnis der beiden zueinander und die Entscheidungen, die Jesus für das Leben des Jüngers trifft, gehen keinen anderen etwas an. Es ist eine Sache zwischen Jesus und dem von ihm geliebten Jünger. Petrus hingegen muss seinen eigenen Weg gehen und Jesus bereitwillig folgen, ohne auf andere zu blicken oder sich mit ihnen zu vergleichen oder zu messen. Petrus und der geliebte Jünger treten auch hier wieder neben- und miteinander auf, jeder der beiden hat aber seine persönliche, individuelle Geschichte mit Jesus und für jeden von ihnen hat Jesus einen speziellen Plan. Neben diesen Beobachtungen sticht hinsichtlich der Charakterisierung des geliebten Jüngers vor allem eine der letzten Aussagen der Szene heraus. Ohne die Unterhaltung zwischen Jesus und Petrus über den geliebten Jünger weiter auszuführen, endet die Erzählung in Joh 21,24-25 abrupt mit den folgenden Worten: „Dies(er) ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und der dieses geschrieben hat […]“ Das zu Beginn dieses Satzes verwendete Demonstrativ‐ pronomen „dieser“ (οὗτός) bezieht sich eindeutig auf den in den Versen davor genannten geliebten Jünger. 799 Er ist es, „der von diesen Dingen zeugt und der dieses geschrieben hat“. An dieser Stelle, am Ende der Erzählung, wird den Lesern unmissverständlich eröffnet, dass kein anderer als der geliebte Jünger sowohl Erzähler („der von diesen Dingen zeugt“) als auch Autor („und der dieses geschrieben hat“) des Buches ist. 800 Dies mag die Leser zunächst überraschen. 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 333 <?page no="335"?> Weiter führt Kügler (1988, 407−408) aus, dass hinter der „Trennung von Erzähler und erzählten Person“ eine „erzählerische Logik“ steht: „Die Alternative ist ja, daß der Erzähler sich mit seiner erzählten Person verbindet und in der Ich-Form redet. Damit ist aber ein Perspektivenwechsel verbunden. Aus dem auktorialen Erzähler wird ein Ich-Erzähler. Das hat für die Zuverlässigkeit der Erzählung aber gewichtige Nachteile. Der Ich-Erzähler ist nämlich von Natur aus ein unzuverlässiger Erzähler. […] Deshalb wird eine Erzählung, die absolut zuverlässig informieren will, in auktorialer Perspektive geschrieben, auch wenn der Autor ein Augenzeuge ist (oder zu sein beansprucht). Die auktoriale Perspektive ermöglicht den Einsatz eines allwissenden, allgegenwärtigen und unbedingt zuverlässigen Erzählers. Die Teilnahme des Autors am Geschehen wirkt sich so zwar nicht in der Erzählperspektive aus, erhöht aber im Kommunikationsprozeß mit den Lesenden die Glaubwürdigkeit des Textes. Die umfassende Informiertheit des Er‐ zählers wird durch die Augenzeugenschaft des Autors geschichtlich rückgekoppelt. Die Kombination von Augenzeugenschaft und auktorialer Perspektive verschafft deshalb einem Erzähltext ein Maximum an Wahrheitsanspruch. Wenn also in Joh 21,24 behauptet wird, der Lieblingsjünger sei der Autor des Evangeliums, so wird damit genau diese Erzählstrategie angewandt und der entsprechende Wahrheitsanspruch erhoben“ (Alle Hervorhebungen im Original). Trotz dieser Aussagen kommt Kügler in Bezug auf Joh 21,24−25 zum Schluss, dass hier von einem „Meta-Sprecher“ auszugehen sei, „der den Lesenden das Werk des geliebten Jüngers […] vorlegt“ (1988, 409). Der geliebte Jünger werde „mit dem implizierten Autor und dem Erzähler identifiziert“ (409−410) und „[d]as Werk des geliebten Jüngers […] den Lesenden in V. 24.25 […] von einem zu einer Gruppe gehörenden Sprecher vorgelegt“ (410). Ob der geliebte Jünger der reale oder nur der implizierte Autor ist, und ob es neben ihm noch einen oder mehrere Herausgeber gibt, ist jedoch nicht so einfach geklärt. (Zu verschiedenen Theorien vgl. C U L P E P P E R 1987, 45−49). Da die gesamte Erzählung keinen Anlass für die Annahme verschiedener Autoren bietet (höchstens für eine redaktionelle Überarbeitung des Textes) und der Autor selbst kein von sich getrenntes Bild eines implizierten Autors zeichnet, muss bei der Lektüre des JohEv von einem Autor ausgegangen werden, der sich zugleich als Erzähler in dieser homodiegetischen Erzählung identifiziert. Diese Feststellung deckt sich mit neueren Forschungsansätzen, wonach „einerseits der implizierte Autor als werkimmanente Größe an Plausibilität verliert, […] andererseits der reale, historische Autor […] in der Literatur- und Erzähltheorie zurück[kehrt] […]“ (F I N N E R N 2010, 50; vgl. F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 180). Dieser Beobachtung entsprechen auch die neuesten Ansätzen der neueren Optional-Narrator Theory, wonach nicht jede Erzählung einen fiktiven Erzähler haben muss (P A T R O N 2021) und wonach sogar vom „Tod des Erzählers“ gesprochen werden kann (P A T R O N 2019). 801 B A U C K H A M 2007, 75. Rückblickend und nach wiederholter Lektüre ist dies aber einleuchtend. Als geliebter Jünger, der sich durchweg an der Seite Jesu aufhält, ist er der ideale Erzähler und Autor der vorliegenden Erzählung. „[T]he beloved disciple is portrayed in the Gospel narrative in such a way as to show that he is ideally qualified to be the author of the Gospel.“ 801 Ausgehend von dieser neu gewonnenen Einsicht über den Erzähler, den Autor und sein Werk, eröffnet sich den Lesern rückblickend und bei erneuter Lektüre, dass auch andere Stellen, wie Joh 1,35 und 18,15-18, in denen sehr unscharf von 334 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="336"?> 802 B E C K 2013, 226.229; B E N N E M A 2014, 301.304.307; C A R S O N 1991, 154.581; C U L P E P P E R 1987, 44; F R E N S K E 2007, 109−113.145−148; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 76.513; M O R R I S , 1995, 136.666; T H E O B A L D 2010, 494−498). Wenn viele Ausleger und heutige Leser in diese Richtung denken und besagte Stellen so verstehen, warum sollten dann nicht auch die intendierten Rezipienten nach wiederholter Lektüre zu diesem Schluss kommen können? 803 S C H N E L L E 2016, 287. Vgl. S T I B B E 1994, 77. 804 Dieser Überzeugung ist auch D S C H U L N I G G (2002, 261): „[E]in Verweis auf den geliebten Jünger [wäre] an dieser frühen Stelle bei der Berufung eher unpassend, als solcher hat er sich erst nach einer längeren Zeit der Jüngerschaft herausgestellt“. 805 Vgl. dazu und zum „Gesamtarrangement der Lieblingsjünger-Texte“ T H E O B A L D 2010, 498-501. einem „anderen Jünger“ die Rede ist, auf den geliebten Jünger bezogen werden müssen. 802 „In Joh 1,37-40 und 18,15-18 muss der Lieblingsjünger in den Text eingetragen werden, er fungiert als ›Leerstelle‹, die besetzt werden muss, damit der Text funktioniert.“ 803 Um also ein umfassendes Bild des geliebten Jüngers zu erhalten, müssen folglich auch diese unklareren Stellen in die Untersuchung der Charakterisierung des geliebten Jüngers mit einbezogen werden. Beginnt man dazu mit einer Betrachtung von Joh 1,35-39, so ist dort von zwei Jüngern Johannesʼ des Täufers die Rede. Sie werden Zeuge der Aussagen des Täufers über Jesus als das Lamm Gottes. Kurz und schlicht wird geschildert, dass die beiden Jünger dieses Zeugnis hören, daraufhin Jesus „folgen“ (ἀκολουθεῖν; Joh 1,37) und schließlich bei ihm „bleiben“ (μένειν; Joh 1,39). Einer der beiden Jünger wird narratorial als „Andreas, Bruder des Simon Petrus“ identifiziert, der zweite Jünger bleibt anonym. Handelt es sich hierbei tatsächlich um den geliebten Jünger, wie die intendierten Rezipienten rückblickend und bei wiederholter Lektüre annehmen können, dann erfahren sie an dieser Stelle, dass er zusammen mit Andreas als Erster und von Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu an diesem folgt und bei ihm bleibt - „Eigenschaften“, die vom Erzähler in der Figurenrede Jesu als „Schlüsselqualifikationen“ für gute Zeugenschaft angeführt werden, wenn zitiert wird: „[I]hr seid Zeugen, weil ihr von Anfang an bei mir seid“ ( Joh 15,27). Dass dieser Jünger bei der ersten Begegnung mit Jesus und in diesem frühen Stadium der Jesusnachfolge noch nicht als „geliebter Jünger Jesu“ bezeichnet werden kann, dürfte den Lesern im Nachhinein einleuchten. Eine solche Betitelung des Jüngers durch Jesus setzt eine besondere Beziehung voraus, die sich erst über einen gewissen Zeitraum entwickeln muss. 804 Die hier getroffenen Aussagen und die verwendeten Verben „folgen“ und „bleiben“ bilden zusammen mit den Aussagen in Joh 21,20-23 und den auch dort verwendeten Verben „folgen“ und „bleiben“ eine Inclusio. 805 „Beidemal geht es um den Jünger, den Jesus liebte; beidemal wird er in seiner Funktion als 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 335 <?page no="337"?> 806 S C H N A C K E N B U R G 1982, 340. 807 Zu den Parallelen zwischen Joh 10,1−18 und Joh 18,15−16 vgl. R E S S E G U I E 2016, 541−543; B E N N E M A 2014, 307; S T I B B E 1994, 102−105. 808 W E N G S T (2019, 489) bemerkt mit Verweis auf Schlatter, „dass bei ‚bekannt‘ ‚nicht an Freundschaft gedacht wurde, sondern nur daran, dass der Betreffende kein Unbe‐ kannter war‘“. 809 Nach B A U E R (1988, 243) ein „offener, umfriedeter Raum am Hause“. Zeuge angeführt; beidemal wird sein Zeugnis als zuverlässig unterstrichen. Verschieden sind nur die sein Zeugnis Bekräftigenden.“ 806 Aus der Verbindung der beiden Stellen erkennen die Leser den geliebten Jünger in einzigartiger Weise als loyalen und treuen Jünger, der Jesus von Anfang bis zum Ende folgt, bei ihm bleibt und dadurch, wie vom Erzähler auch in der Aussage Jesu in Joh 15,27 hervorgehoben wird, zum idealen Zeugen für Jesus sowie zum idealen Erzähler („der von diesen Dingen zeugt“) und Autor („der dieses geschrieben hat“) des Evangeliums werden kann. Erkennt man, herkommend von Joh 1,35-40 und Joh 21,20-24, auch im „anderen Jünger“ in Joh 18,15 den geliebten Jünger - was sich von Joh 20,3.4.8 her nahelegt, wo der „andere Jünger“ (ἄλλος μαθητής) eindeutig mit dem geliebten Jünger identifiziert wird -, dann muss auch dieser Erzählabschnitt untersucht werden, um das Bild, das den Lesern vom geliebten Jünger gezeichnet wird, umfassend zu erhellen. In der Szene Joh 18,12-27 807 wird Jesus nach seiner Gefangennahme vor Hannas, den Schwiegervater des Kaiphas, geführt und dort verhört. Die einzigen beiden Jünger, die Jesus in dieser Situation folgen, sind Simon Petrus und „ein anderer Jünger“ ( Joh 18,15a). Der Erzähler schildert, dass der andere Jünger dem Hohepriester „bekannt“ (γνωστός) ist, 808 was ihm den Zugang zum „Hof “ (αὐλή) 809 des Hohepriesters ermöglicht. Petrus hingegen bleibt vorerst vor dem Hof zurück. Erst als der andere Jünger hinausgeht und mit der Türhüterin geredet hat, führt er Petrus hinein in den Hof, wo dieser dann bei einer Feuerstelle stehen bleibt, um sich zu wärmen. Der Fokus der Erzählung bleibt dabei auf Petrus gerichtet, während der andere Jünger bis zum Ende der Szene nicht mehr erwähnt wird, sich wohl aber durchgehend in der Nähe Jesu aufhalten dürfte. Dieser kurzen narrativen Darstellung des geliebten Jüngers können die Leser entnehmen, dass er nicht nur aufgrund seiner besonderen Beziehung zu Jesus eine Sonderstellung in diesem Erzählabschnitt einnimmt, sondern auch aufgrund seiner Beziehung zum Hohepriester. Diese ermöglicht es ihm, an Jesus Seite zu bleiben und Petrus den Zugang zum Hof des Hohepriesters zu verschaffen. Wieder tauchen Petrus und der geliebte Jünger Seite an Seite 336 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="338"?> 810 Zurecht merkt B E U T L E R (2016, 475−476) hierzu an: „Der Ausdruck (ἠκολούθει) erscheint fast als Beispiel johanneischer Ironie. In der Tat folgt Petrus seinem Herrn nur räumlich. Schon bald wird er zeigen, dass er sich nicht wie ein Jünger verhält“. auf - ein weiterer Hinweis darauf, dass der andere Jünger tatsächlich der geliebte Jünger sein muss, weil dieses erzählte „Duo“, bestehend aus Petrus und dem geliebten Jünger, fast durchweg gemeinsam auftritt. Im Gegensatz zu den übrigen Jüngern folgen nur diese beiden Jünger Jesus, wobei der Erzähler auch in dieser Szene wieder bewusst das Verb ἀκολουθεῖν wählt, um auf die wahre und anhaltende Nachfolge und Jüngerschaft der beiden anzuspielen. 810 Trotz der Tatsache, dass sich diese beiden Jünger durch ihre konsequentere Jesusnachfolge von den anderen Jüngern abheben, zeigt sich doch auch ein deutlicher Unterschied zwischen ihnen. Während anfänglich beide Jünger Jesus folgen ( Joh 18,15), bleibt Petrus später hinter dem geliebten Jünger zurück und vor dem Hof stehen. Dies erinnert an Kapitel 20, wo Petrus auf dem Weg zum Grab ebenfalls hinter dem geliebten Jünger zurückbleibt. Auch als er kurz darauf in den Hof hineingeführt wird, tritt er nicht in die unmittelbare Nähe Jesu, sondern bleibt (aus Angst? ) abseits am Feuer stehen, während der andere Jünger - so legt es sich den Lesern aus der Erzählung nahe - Jesus nicht von der Seite weicht. Er erlebt das Verhör mit und kann als Augenzeuge nacherzählen, bezeugen und niederschreiben, was sich zugetragen hat. Wie in anderen Szenen zeigt sich der andere, geliebte Jünger auch hier wieder als treuer Jünger, der Jesus folgt, bei ihm bleibt und demzufolge eine herausragende Stellung unter den Jüngern einnimmt, ohne dass er diese in überschwänglicher Weise in seiner Erzählung hervorheben würde. Fasst man nach der Betrachtung sämtlicher Stellen, in denen der geliebte Jünger dargestellt wird, zusammen, welche Vorstellung die intendierten Rezi‐ pienten vom geliebten Jünger haben (sollen), dann ergibt sich folgendes Bild: Der Jünger bleibt durchweg namenlos und wird nur durch die Bezeichnungen „der andere Jünger“ oder „der Jünger, den Jesus liebt“ näher bestimmt und von anderen Jüngern abgehoben. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er als Erster und von Anfang an Jesus folgt und bei ihm bleibt. Dies wird zum Grund und Anlass dafür, dass sich zwischen ihm und Jesus eine so innige Beziehung und Vertrautheit entwickeln, dass sie ihm nicht nur die einzigartige Bezeichnung „Jünger, den Jesus liebt“ einbringen, sondern dass er auch auf einzigartige Weise am Wissen Jesu teilhat und sich durch dieses besondere Wissen von allen anderen abhebt. Die Sonderstellung als „Jünger, den Jesus liebt“, und als „Wissensteilhaber“ mindert aber nicht dessen Respekt und Ehrfurcht vor Jesus. Jesus bleibt für ihn „der Herr“ ( Joh 21,7). 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 337 <?page no="339"?> 811 B A U C K H A M 2007, 86. Vgl. C A R T E R 2006, 181; B E N N E M A 2014, 303−304. 812 T H E O B A L D 2010, 517. Vgl. D U N D E R B E R G (2002, 251), der ebenfalls zum Schluss kommt: „[…] the Beloved Disciple is often portrayed as being superior to other characters in the Johannine narrative“. 813 Für den idealen bzw. herausragenden Zeugen halten ihn auch B E N N E M A 2014, 303−304; B A U C K H A M 2007, 86−87; C U L P E P P E R 1981, 121−123; D S C H U L N I G G 2002, 264; D U N D E R B E R G 2002, 245; F E N N E L L 2010, 326; R E S S E G U I E 2016, 537; S C H N E L L E 2016, 287; S Ö D I N G o.-J., 1. 814 R E S S E G U I E 2016, 544.548; T H E O B A L D 2010, 501; F E N N E L L 2010, 329. 815 B E N N E M A 2014, 305−306; B A U C K H A M 2007, 86−89; C A R S O N 1991, 683−685; K E E N E R 2012a, 83−112. F E N N E L L (2010, 326) verwendet den Begriff „ideal witness-author“. Die erzählte permanente Anwesenheit des Jüngers in der unmittelbaren Nähe Jesu lässt die Leser verstehen, dass der geliebte Jünger Zeuge der Wunder, des Wirkens und sämtlicher Schlüsselmomente des Lebens Jesu ist: Er ist anwesend bei Jesu „Amtsantritt“, bei Jesu Verhör, Verurteilung und Hinrichtung wie auch bei Jesu Auferstehung und Offenbarung vor den Jüngern. Es zeigt sich, dass er der Glaubende ist, der durch seinen Glauben an und seine Kenntnis von Jesu tieferen Einblick in Ereignisse, das Leben und Handeln Jesu hat und daher schneller Zusammenhänge wahrnehmen und deuten kann als die anderen Jünger. „[T]he beloved disciple is portrayed as a perceptive witness, with spiritual insights into the meaning of the events of the Gospel story.“ 811 Dies alles räumt ihm in der Erzählung eine „Favoriten- oder Ausnahme‐ rolle“ 812 ein, zeigt ihn als überaus treuen, loyalen Jünger und lässt ihn als idealen, herausragenden Zeugen Jesu 813 , als Erzähler 814 und als bestmöglichen Autor 815 des JohEv erkennen. Zeuge Jesu ist der geliebte Jünger dabei nicht nur und nicht so sehr in der Erzählung des JohEv, sondern vielmehr durch die Erzählung und durch die zeugnishafte Wiedergabe aller Ereignisse (vgl. Joh 20,30-31). Insgesamt kann der geliebte Jünger als komplexe Figur angesehen werden, in deren Innenleben die Leser aber nur wenig Einblick bekommen. Dafür werden sie aber mehrfach von dieser Figur überrascht, weil sie sich aus der Erzählung heraus direkt an die Leser wendet und erst im Nachhinein ersichtlich ist, dass sie an Stellen in der Erzählung auftaucht, wo man es zunächst nicht wissen, sondern nur vermuten kann. All das macht den geliebten Jünger zu einer dynamischen, sich stark entwickelnden Figur. 11.1.2 Zeugnisempfänger: „ihr“ Nachdem im vorausgegangenen Abschnitt die Charakterisierung des geliebten Jüngers im gesamten JohEv beleuchtet und er als Zeugnisgeber in Joh 19,35 un‐ tersucht worden ist, stellt sich die Frage, wer in diesem Abschnitt die erzählten Empfänger des Zeugnisses sind. In Joh 19,35 wird zunächst sehr allgemein 338 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="340"?> 816 K Ö S T E N B E R G E R 2005, 553. 817 Dass mit dem „ihr“ (ὑμεῖς) in Joh 19,35 die Leser des JohEv gemeint sind, wird von den meisten Auslegern angenommen (vgl. B A R R E T T 1978, 558; B E U T L E R 2016, 509; K Ö S ‐ T E N B E R G E R 2004, 552; L I N C O L N 2002, 19; R E S S E G U I E 2016, 544; S C H E N K E 2014, 308; W E N G S T 2019, 536−37; Z U M S T E I N 2016, 733). In der Narratologie wird jedoch, wie in der Einleitung bereits dargestellt, aufgrund der Annahme unterschiedlicher Kommunikationsebenen unterschieden zwischen „fiktivem Leser (Narrataire)“, „unterstelltem Adressat“, „idealer Rezipient“ und „konkretem Leser“ (so beispielsweise die Bezeichnungne bei S C H M I D 2014, 46) bzw. zwischen „(1) the actual audience, (2) the authorial audience, (3) the narrative audience, and (4) the ideal narrative audience“ (C U L P E P P E R 1986, 203−204). Eine solche Unterscheidung scheint im JohEv wenig sinnvoll, weil der Text keinen Anlass dazu gibt, zwischen vielen verschiedenen „Lesergruppen“ oder „Adressaten“ zu unterscheiden. Im JohEv richtet sich, wie sich gezeigt hat, der Autor als der Erzähler mit seiner Erzählung an eine seiner Vorstellung entsprechende Empfängergruppe, die Erzähladressaten, die in vorliegender Arbeit als intendierten Rezipienten oder schlicht als Leser bezeichnet werden. Sie sind in dieser Szene die Zeugnisempfänger, die aus den Angaben des Texts heraus analysiert werden sollen. Dass es darüber hinaus den realen heutigen Leser bzw. den „konkreten Leser“ gibt, ist unbestritten. 818 Die Frage nach dem „Glaubensstatus“ der intendierten Rezipienten wird weiter unten thematisiert. gesagt: „Und der es gesehen hat, hat es bezeugt […]“ Das hier verwendete Perfekt μεμαρτύρηκεν zeigt den fortdauernden Zustand bzw. die anhaltend bedeutsame und etablierte Natur des Zeugnisses an. 816 Der Formulierung kann entnommen werden, dass das genannte Zeugnis zwar schon in der Vergangenheit abgelegt worden ist (wann genau, ist der Erzählung nicht zu entnehmen), entscheidend sind aber seine in die Gegenwart reichende Hörbarkeit und Wirkung. Gerade die Wirkung wird vom Erzähler dann im weiteren Verlauf des Satzes zur Geltung gebracht. Durch einen Erzählerkommentar wird bestätigt: „[…] und sein Zeugnis ist wahr“ (καὶ ἀληθινὴ αὐτοῦ ἐστιν ἡ μαρτυρία), und es ist gegeben, „damit auch ihr glaubt“ (ἵνα καὶ ὑμεῖς πιστεύσητε; Joh 19,35). Im Fokus des genannten Zeugnisses stehen als Zeugnisempfänger diejenigen, die hier als „ihr“ (ὑμεῖς) angesprochen werden - die intendierten Rezipienten des JohEv. 817 Die Überzeugung, dass sich das Zeugnis an dieser Stelle vor allem an die ersten, ursprünglichen Erzähladressaten, die intendierten Rezipienten des JohEv richtet, deckt sich mit Joh 20,31. Mit fast gleichem Wortlaut wird auch dort das zentrale Anliegen des JohEv wiedergegeben und als ganz auf die intendierten Rezipienten ausgerichtet hervorgehoben: ἵνα πιστεύσητε ( Joh 20,31; vgl. Joh 19,35: ἵνα ὑμεῖς πιστεύσητε). 818 Indem sich der Erzähler (und, wie sich oben gezeigt hat, der Autor) an beiden Stellen direkt an seine intendierten Rezipi‐ enten wendet, verlässt er die zweite Erzählebene und geht zur ersten über, „die die Kommunikationsebene zwischen Autor und intendierten Rezipienten 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 339 <?page no="341"?> 819 F I N N E R N & R Ü G G E M E I E R 2016, 180. 820 K Ü G L E R 1988, 273. 821 Vgl. T H E O B A L D 2010, 501; R E S S E G U I E 2016, 544. 822 K Ü G L E R 1988, 274. 823 Vgl. K Ü G L E R 1988, 407−409. 824 Dieser Ansatz wird von vielen Auslegern geteilt (vgl. dazu H W A N G & V A N D E R W A T T 2007, 687). Die nachfolgenden Hinweise auf die erste Leserschaft sind überwiegend der Zusammenfassung C U L P E P P E R S (1987, 211−227) entnommen. 825 Vgl. C U L P E P P E R 1987, 216−219. 826 Ausführlich dargestellt bei B A R R E T T (1978, 27−29) mit dem Ergebnis: „This brief analysis suggests, as had been said, that John regularly used the LXX, but that he was able to use, and on occasions did use, the Hebrew“. bezeichnet“. 819 „Der Erzähler bespricht Erzähltes und öffnet den Text so auf die Rezipienten hin. Dies geschieht in 19,35-37, wo die erzählte Zeit angehalten wird und der Erzähler in der so entstehenden Pause das vorher Erzählte bespricht“. 820 Der auktoriale Erzähler tritt somit plötzlich selbst als erzähltes Ich bzw. als Icherzähler in seiner eigenen Erzählung in Erscheinung, 821 es kommt zu einer „Bewegung aus der Figurenebene heraus auf die Rezipienten hin“ 822 , wodurch der Erzähler die Bedeutung dessen, was er zu bezeugen beabsichtigt, für seine Leser in einzigartiger Weise hervorhebt. 823 Sind die intendierten Rezipienten in dieser Szene die Empfänger des Zeug‐ nisses, dann stellt sich die Frage, welches Bild der Erzähler von ihnen hat und welche Rückschlüsse sich aus der Erzählung über das Bild bzw. die Vorstellung des Erzählers von seinen intendierten Rezipienten ziehen lassen. Wendet man sich mit diesen Fragen dem JohEv zu, so zeigt sich, dass darin keine direkte Charakterisierung der intendierten Rezipienten auffindbar ist. An lediglich zwei Stellen werden sie unmittelbar angesprochen ( Joh 19,35; 20,31). Eine Rekonstruktion des Bildes bzw. der Vorstellung des Erzählers von den Rezipienten seines Werkes kann somit nur anhand indirekter Hinweise vorgenommen werden. 824 Einer dieser Hinweise findet sich im Gebrauch der Sprachen Griechisch und Hebräisch. An mehreren Stellen übersetzt der Erzähler hebräische Begriffe ( Joh 1,38.41; 20,16) oder Namen ( Joh 1,42; 9,7) ins Griechische, verwendet anstelle der eher hebräischen Schreibweise Ἰερουσαλήμ zwölfmal die stärker hellenistisch geprägte Form Ἱεροσόλυμα oder weist darauf hin, dass bestimmte Ortsnamen der hebräischen Sprache entstammen ( Joh 5,2; 19,13.17). 825 Auffällig ist zudem, dass der Erzähler vorrangig aus der Septuaginta zitiert, obwohl er durchaus auch mit dem hebräischen Text vertraut ist. 826 Aus einem solchen Gebrauch der Sprachen lässt sich schließen, dass der Erzähler sich unter seinen 340 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="342"?> 827 C U L P E P P E R 1987, 216. 828 C U L P E P P E R 1987, 218. ersten Rezipienten eine eher Griechisch sprechende als eine hebräischsprachige Gruppe vorstellt. Ein weiterer Hinweis auf die Vorstellung des Erzählers von seinen Lesern findet sich in der Art und Weise, wie er Orte darstellt oder lokalisiert. Einerseits werden Orte teilweise nur erwähnt, ohne auf deren genaue Lage einzugehen. Orte wie Jerusalem, die Region „jenseits des Jordans“ ( Joh 1,28; 3,36; 10,40), Galiläa ( Joh 1,44), Judäa ( Joh 3,22) und Samaria ( Joh 4,4; 5,7), Nazareth ( Joh 1,45) und Kapernaum ( Joh 2,12; 4,46; 6,59) werden aufgeführt, geografisch aber nicht lokalisiert. Nur Kana wird „in Galiläa“ ( Joh 2,1; 4,46) verortet, um eine Ver‐ wechslung auszuschließen. Dem lässt sich Folgendes entnehmen: „The narrator assumes that the reader has a general knowledge of the geography of the gospel story.“ 827 Andererseits fügt der Erzähler bei anderen Ortsangaben teilweise kurze Anmerkungen bei, um die Lage einiger Orte oder deren Topografie näher zu erläutern. Dies geschieht beispielsweise bei der Nennung des „Sees von Galiläa“, der dann zusätzlich als „der von Tiberias“ bezeichnet wird ( Joh 6,1; vgl. 21,1). Auch Ephraim ( Joh 11,54), Bethanien ( Joh 11,1.18; 12,1) und „Änon, nahe bei Salim“ ( Joh 3,23), werden näher bestimmt, ebenso auch Teile Jerusalems ( Joh 3,23; 5,2; 9,7), der Umgebung Jerusalems ( Joh 18,1; 19,13.17.20) und des Tempels ( Joh 8,20; 10,23). Dies zeigt, dass der Erzähler zwar davon ausgeht, dass seine Leser über eine allgemeine Kenntnis der Stadt, der Umgebung und der Gebiete Judäa und Galiläa verfügen, zugleich aber um mangelnde Kenntnis der exakten Gegebenheiten weiß. „The resulting picture, which again must be very tentative due to the nature of the evidence, is that while the reader may have some idea of the topography of Jerusalem (the temple, the Pool of Siloam, the Kidron valley), most of the sites in the city are unfamiliar, and the reader knows little or nothing of Judea (Bethany and Ephraim).“ 828 Abgesehen von diesen Hinweisen lässt sich anhand der Darstellung des Judentums das Bild des Erzählers von den Empfängern erkennen. Es zeigt sich, dass er an manchen Stellen ergänzend Erklärungen beifügt, um für das richtige Verständnis gewisser Feste, Sitten und Bräuche zu sorgen. So wird beispielsweise das Passahfest anfänglich in der Erzählung genauer als „das Passah der Juden“ (2,13; 11,55) oder „das Passah, das Fest der Juden“ ( Joh 6,4) definiert. Zudem wird beschrieben, dass das Fest in Jerusalem stattfindet, dass viele aus dem Land zu diesem Fest nach Jerusalem gehen, um sich zu reinigen ( Joh 11,55), dass es vor dem Passahfest einen „Rüsttag“ (παρασκευή; Joh 19,14) gibt und dass die Gefahr besteht, sich vor dem Fest durch bestimmte Handlungen 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 341 <?page no="343"?> 829 Mose wird insgesamt 13 Mal namentlich im JohEv erwähnt ( Joh 1,17.45; 3,14; 5,45.46; 6,32; 7,19.22 [2x].23; 8,5; 9,28.29). 830 C U L P E P P E R 1987, 220. zu verunreinigen ( Joh 18,28). Neben den Erläuterungen zum Passahfest wird den Lesern auch in Bezug auf andere Sitten und Gebräuche eine ergänzende Erklärung geliefert: Bezüglich der steinernen Wasserkrüge in Joh 2,6 beschreibt der Erzähler, dass diese der Reinigung gemäß der jüdischen Reinigungssitte dienen, in Joh 4,9 fügt er erklärend an, dass die Juden keinen Umgang mit den Samaritanern haben, auch wenn der nähere Grund dafür nicht genannt wird, und in Joh 19,40 wird bei der Grablegung und Einbalsamierung Jesu ergänzend erklärt, dass die Juden dies so zu tun pflegen. Diese und weitere Beispiele zeigen, dass der Erzähler davon ausgeht, dass viele seiner Leser mit Details der jüdischen Feste, Sitten und Bräuche nicht (mehr) vertraut sind und demzufolge erläuternde Erklärungen zu einem besseren Verständnis wichtig sind. Zugleich zeigt sich aber in Bezug auf andere Begriffe und Bezeichnungen, dass der Erzähler bei seinen Lesern sehr wohl ein textexternes Vorwissen voraussetzt. Priester, Leviten, Pharisäer, Oberste der Juden ( Joh 3,1; 7,26), die Hohepriester (7,32) und der Hohepriester (11,49) werden ohne genauere Erläuterung in der Erzählung angeführt. Begriffe wie „das Lamm Gottes“ ( Joh 1,29.36) und „der Sohn des Menschen“ ( Joh 1,51), „Rabbi“ ( Joh 1,38.49) und „Messias“ ( Joh 1,41; 4,25) werden ebenfalls nur genannt, höchstens übersetzt, nicht aber erklärt. Dass der Erzähler bei seinen Lesern ein Verständnis dieser alttestamentlich-jüdischen Begriffe und Bezeichnungen erwartet, dürfte daher rühren, dass er bei ihnen eine Kenntnis des Alten Testaments voraussetzt. Dies zeigt sich auch an vielen anderen Stellen, wo immer wieder auf die „Schrift“ (γραφή) und die „Erfüllung der Schrift“ ( Joh 13,18; 17,12; 19,24.36; vgl. 12,38; 15,25) verwiesen wird. Wo alttestamentliche Figuren erwähnt werden, geschieht dies meist ohne nähere Erläuterung. Abraham ( Joh 8,33-58), Jakob ( Joh 4,5.12), Joseph ( Joh 4,5), Mose 829 , der Prophet Elia ( Joh 1,21) und Jesaja ( Joh 1,23; 12,38.39.41) werden unter der Annahme genannt, dass sie den Lesern bekannt sind. „We may conclude from both the narratorʼs comments and the general use of scripture material and images in the gospel that the intended reader had a rather extensive knowledge of the Old Testament.“ 830 Bezüglich der beiden zuletzt genannten Hinweise lässt sich zusammenfas‐ send Folgendes festhalten: Der Evangelist setzt […] bei seinen Lesern zwar eine bemerkenswerte Kenntnis der Schrift voraus und verarbeitet selbst auch jüdische Auslegungstraditionen, er muß ihnen aber jüdische Gebräuche wie auch Details der palästinischen Topographie 342 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="344"?> 831 F R E Y 2013, 303. Dieser Überzeugung ist auch C U L P E P P E R (1987, 220): „These references leave the clear impression that the reader is not a Jew […] A Jewish audience would not need such explanations“. 832 C U L P E P P E R 1987, 214. 833 Davon geht auch H Y L E N (2013, 104) aus: „John does assume that the reader has some knowledge that characters on the level of the story could not have - for example, that Jesus will die“. erläutern. Dies deutet darauf hin, daß die Adressaten des Evangeliums bereits in größerer Distanz zum Judentum standen und womöglich mehrheitlich einem nicht‐ jüdischen, heidnischen Umfeld entstammen. 831 Neben den bislang genannten Hinweisen auf die Vorstellung des Erzählers von den intendierten Rezipienten findet sich ein weiterer in der narrativen Darstel‐ lung der Figuren und Ereignisse. Viele der Figuren und Ereignisse werden als den Lesern bekannt vorausgesetzt und deswegen nicht näher beschrieben. Im Gegensatz zu den Synoptikern werden beispielsweise die Jünger Jesu nicht alle mit Namen genannt. Dennoch spricht der Erzähler von „den Zwölfen“ ( Joh 6,67.70.71; 20,24) und scheint davon auszugehen, dass seine Leser diese Bezeichnung zuordnen können und wissen, wer zum Kreis der zwölf Jünger gehört. Das Gleiche gilt für die Kenntnis einzelner Personen des Jüngerkreises. Wenn Andreas schlicht als der „Bruder des Simon Petrus“ ( Joh 1,40) bezeichnet wird, setzt dies voraus, dass die Leser Petrus bereits kennen, da er zuvor nicht genannt worden ist und auch später nur noch von Jesus als „Simon, Sohn des Johannes“ ( Joh 1,42) identifiziert wird. Ebenso bei Philippus und Nathanael: „No special effort is made to introduce Philip or Nathanael, though the circumstances of Nathanaelʼs call are described in detail through the dialogue (1: 43-51; cf. 21: 2). Their names will presumably be recognized by the reader.“ 832 Das Gleiche gilt auch für andere Jünger, die teilweise nur genannt, nicht aber näher beschrieben werden. Was die erzählten Begebenheiten betrifft, so setzt der Erzähler auch hier zuweilen ein textexternes Vorwissen voraus. 833 Die Bedeutung und der Grund für die Taufe Jesu werden in der Erzählung nicht erläutert und als bekannt vorausgesetzt. Ebenso wird der Hinweis auf „meine/ seine Stunde“ ( Joh 2,4; 7,30; 8,20; 13,1) oder „die Stunde“ ( Joh 4,21.23; 5,25), die noch kommen soll, nicht näher entfaltet. Wenn der Erzähler in Joh 2,22 vorab schon von der Auferstehung Jesu spricht, setzt er auch hier voraus, dass seine Leser um dieses Ereignis bereits wissen, bevor er es zu einem späteren Zeitpunkt in der Erzählung anführt. In summary, the reader has prior knowledge of many of the key elements of the gospel story: Jesusʼ death and resurrection, John the Baptistʼs imprisonment, the presence 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 343 <?page no="345"?> 834 C U L P E P P E R 1987, 223. 835 H Y L E N 2013, 104. 836 Dennoch gehen viele Ausleger davon aus, dass es sich bei den Erzähladressaten um Christen handelt (Frey 2013, 308; H E N G E L 1993, 298.300; H Y L E N , 2013, 104; H W A N G & V A N D E R W A T T 2007, 688.689; S C H N E L L E 2019, 9; S C H E N K E 2014, 358; Z U M S T E I N 2019, 54; vgl. auch Z U M S T E I N 2019, 768−770). 837 Ausführlich notieren H W A N G & V A N D E R W A T T (2007, 693) nach einer Untersuchung der vom NA 28 abweichenden Textvarianten: „According to Metzger (1994: 219−220), the [hier vorliegende] aorist tense, strictly interpreted, suggests that the Fourth Gospel was addressed to non-Christians so that they might come to believe that Jesus is the Messiah; the present tense [in anderen Textvartianten] suggests that the aim of the writer was to strengthen the faith of those who already believe (‚that you may continue to believe‘). To put it more precisely, the former [the aorist tense] could suggest inviting people to of the Spirit, the synagogue ban, the fear of the Jews, the anointing of Jesus by Mary, and probably the betrayal of Jesus (6: 64; cf. 6: 70-71). The meaning of Jesusʼ ‚glorification‘ and perhaps Jesusʼ ‚hour‘ can also be assumed, and as we noted in the discussion of the evangelistʼs ironizing treatment of Jesusʼ origin, the evangelist and his intended audience share more understanding of Jesusʼ birth than is ever made explicit in the gospel. 834 Dadurch, dass der Erzähler bei den intendierten Rezipienten ein über das JohEv hinausgehendes Wissen um Figuren und Begebenheiten voraussetzt und dieses durch seine eigene Erzählung ergänzt, vertieft und festigt, stellt er sie mit sich auf eine den erzählten Figuren übergeordnete Stufe. „[R]eaders will understand themselves as the chosen elite, in contrast to those who misunderstand Jesusʼ simple claims. This reinforces the reception of the implied reader as all-knowing, one who understands the self-revelation of Jesus.“ 835 Dieses vom Erzähler bei den Lesern vorausgesetzte Wissen und Verstehen beinhalten die Einladung und Erwartung des Erzählers, dass sich die Leser aufgrund ihres Wissens nicht nur überlegen fühlen, sondern sich diesem Wissen zufolge auch auf der richtigen Seite positionieren: auf der Seite derer, die „von oben“ sind, nicht derer, die „von unten“ sind, auf der Seite derer, die glauben, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. Ob der Erzähler dabei davon ausgeht, dass seine intendierten Rezipienten christusgläubig sind, oder ob er darauf abzielt, dass sie es werden, lässt sich der Darstellung des JohEv nicht mit letzter Gewissheit entnehmen. 836 Auch die an dieser Stelle untersuchte Zeugnisszene und die darin enthaltene relevante Aussage „damit auch ihr glaubt“ lassen keine eindeutige Bestimmung des Glaubensstatus der Rezipienten zu. Dem vom Erzähler verwendeten Aorist πιστεύσητε in Joh 19,35 (und Joh 20,31) ließe sich zwar streng genommen entnehmen, „that the Fourth Gospel was addressed to non-Christians so that they might come to believe that Jesus is the Messiah“ 837 ; da das verwendete 344 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="346"?> faith, the latter [the present tense] encouraging people to continue in their faith; the former thus implies an evangelistic purpose, the latter an instructional or paraenetic purpose; the former that the Gospel was directed at outsiders (unbelievers), the latter that it was directed at those within the church…“. 838 Von einer glaubensvertiefende Wirkung des Zeugnisses geht Z U M S T E I N (2016, 733) aus: „Zuletzt handelt es sich um ein Zeugnis, das nicht zum Glauben ruft, um den Leser zu bekehren, sondern um seinen Glauben zu strukturieren und zu vertiefen“. 839 S C H N E L L E 2019, 374. 840 H W A N G & V A N D E R W A T T 2007, 695. ἵνα aber sowohl final als auch kausal („deswegen könnt auch ihr glauben“) verstanden werden kann, lässt der Text auch die Interpretationsmöglichkeit zu, dass die Rezipienten bereits gläubig sind und dass der vorhandene Glaube lediglich strukturiert und vertieft 838 und/ oder „durch das wahrhaftige Zeugnis des Lieblingsjüngers gestärkt und vor falschen Lehren geschützt werden soll“. 839 Diese Unklarheit und Offenheit des Textes bezüglich des Glaubensstatus der Rezipienten sind vom Erzähler möglicherweise absichtlich gewählt bzw. rühren vielleicht daher, dass der Erzähler unter seinen Rezipienten beides erwartet - sowohl ungläubige, die durch die Erzählung, die Zeugnisse und den Aufruf des Erzählers zum Glauben gerufen werden sollen, als auch gläubige, deren Glaube durch die Erzählung, die Zeugnisse und den Aufruf des Erzählers gestärkt werden soll. In diese Richtung denken auch Hwang & van der Watt: Although it seems that the main aim of the author is to strengthen the faith of those who already believe, a secondary aim, namely of bringing others to faith in Jesus, should not be excluded. As Van der Watt (2002: 93) argues, there is ample evidence in the Gospel that it invites people to believe, but equally convincing evidence that the Gospel wants to strengthen the faith of believers. Thus, it is reasonable to conclude that the Fourth Gospel was written with both evangelistic and didactic aims in view. 840 Fasst man sämtliche Hinweise auf die Vorstellung des Erzählers von den intendierten Rezipienten zusammen, ergibt sich folgendes Bild: Durch die Erklärungen und Übersetzungen hebräischer Begriffe ins Griechische zeigt sich, dass der Erzähler davon ausgeht, dass die Leser seiner Erzählung des Hebräischen nicht (mehr) mächtig sind. Bei den von ihm dargestellten Orten und Landschaften kann er zwar von einem allgemeinen Wissen um die ungefähre Position einiger Orte ausgehen, nicht aber von einer detaillierten Kenntnis der Orte selbst und deren exakter geografischer Lage. Aus der Betrachtung der Darstellung des Judentums ergibt sich, dass der Erzähler gewisse Feste, Riten, Sitten und Gebräuche erklärt, weil er annimmt, dass sie den Lesern unbekannt sind. Andere Begriffe und Bezeichnungen setzt er hingegen als bekannt voraus - vielleicht weil er von ihnen eine beachtliche Kenntnis des 11.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger: Wer bezeugt wem? 345 <?page no="347"?> 841 Zurecht kommt T H Y E N (2015, 99) aufgrund der anspruchsvollen Erzählung zu der Überzeugung: „Angesichts des hohen literarischen Anspruchs an seine implizierten Leser und zumal wegen der poetischen Raffinesse seines Prologs […] dürfte das sich selbst nachdrücklich als ‚geschrieben‘ deklarierte Evangelium (20,30f u. 21.24) auf ein Publikum gebildeter Leser bzw. Vorleser zielen“. 842 In diese Richtung denkt auch F R E Y (2013, 303): „Einen größeren Abstand zum Judentum legt […] die distanzierte Rede vom Gesetz sowie von Festen und Gebräuchen ‚der Juden‘ nahe“. 843 Sollten die intendierten Rezipienten Nicht-Christen sein, dann steht fest: „If the intended audience is not Christian, it is certainly familiar with Christian beliefs and the Christian story“ (C U L P E P P E R 1987, 223). Alten Testaments erwartet. In Bezug auf die Darstellung einzelner Figuren und Ereignisse zeigt sich, dass der Erzähler Figuren anführt, ohne sie genauer zu identifizieren, dass er Ereignisse der Chronologie der erzählten Zeit vorweg‐ nimmt oder dass er Ereignisse nennt, ohne sie genauer zu erläutern. Dies tut er, weil er von einem Vorwissen und einer textexternen Kenntnis seiner Leser um diese Figuren und Begebenheiten ausgeht und weil er der Kompetenz der Leser vertraut, unvollständige narrative Darstellungen zu verstehen und offengebliebene Lücken ausfüllen zu können. Bei den ersten Erzähladressaten des JohEv, den intendierten Rezipienten, die die Zeugnisempfänger dieser Szene bilden, handelt es sich also der Vorstellung des Erzählers zufolge vorwiegend um ein gebildetes 841 , nicht jüdisches oder dem Judentum entfremdetes 842 , vielleicht schon, aber noch nicht tief genug christusgläubiges Publikum. 843 11.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Eine Untersuchung der genauen Umstände des Zeugnisgebens gestaltet sich in dieser Szene schwierig. Der Erzähler tritt aus der erzählten Welt heraus und wendet sich direkt an die intendierten Rezipienten. Dem kurzen Satz in Joh 19,35 lassen sich dabei keinerlei Angaben über den Ort und die Zeit des Zeugnisakts entnehmen. Formuliert wird nur, dass der Augenzeuge (der geliebte Jünger), der es gesehen hat, „es bezeugt hat“ (μεμαρτύρηκεν). Es folgt ein Erzählerkommentar, der bestätigt, dass „sein Zeugnis wahr ist“, daraufhin eine interne Fokalisierung auf das Denken des „er“ (des Augenzeugen), der „weiß“, dass wahr ist, was er sagt, und eine abschließende Zuspitzung des Zeugnisses auf die intendierten Rezipienten: „[…] damit auch ihr glaubt“ (ἵνα ὑμεῖς πιστεύσητε). 346 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="348"?> 844 Bezüglich des Ortes und der Zeit kann auch hier gesagt werden: Das genannte Zeugnis wird immer dann übermittelt, wenn die Erzählung des JohEv gelesen/ gehört wird und immer da, wo es gelesen/ gehört wird. 845 H E N N E & R E H B O C K (2001, 28) erklären weiter: „Insofern werden z. B. Tonbandbriefe nicht der Kategorie Gespräch zugeordnet.“ Obwohl über den Ort und die Zeit des Zeugnisakts keine Angaben ge‐ macht werden, 844 zeigt sich bei einer Betrachtung der Art und Weise, wie das Zeugnis gegeben wird, Folgendes: Im Gegensatz zu allen bislang erzählten Zeugnisgesprächen erfolgt die Übermittlung des hier in diesem Erzählab‐ schnitt angeführten Zeugnisses nicht in einer erzählten „Nahkommunikation“ (Face-to-Face-Kommunikation), sondern in einer Art „Fernkommunikation“, und zwar in schriftlicher Form durch die Lektüre des JohEv. Da die Übermittlung des Zeugnisses also nicht direkt, sondern nur mittels der Lektüre und zeitlich versetzt durch ein späteres Lesen erfolgt, kann der an dieser Stelle genannte Zeugnisakt im eigentlichen Sinne „nicht der Kategorie Gespräch zugeordnet“ werden, denn: „Gespräche bedürfen, sofern sie noch als Gespräch gelten sollen, des zeitlich unmittelbaren (und nicht phasenverschobenen) Kontakts der Gesprächspartner, also dessen, was als direkte Rückkoppelung in der Informationstheorie bezeichnet wird.“ 845 Löst man sich jedoch von dieser modernen Definition und versteht und behandelt das hier schriftlich übermittelte Zeugnis als „Zeugnisgespräch“ und nutzt das Kategorieninventar der Gesprächsanalyse für eine Untersuchung des hier vorliegenden Zeugnisakts, dann lassen sich folgende Beobachtungen über die Art und Weise des Zeugnisgebens machen: Zunächst handelt es sich aufgrund der verschriftlichten Form und vonseiten des Erzählers von der Gesprächsgattung her um ein natürlich-arrangiertes „Zeugnisgespräch“. Für die Zeugnisempfänger, die intendierten Rezipienten, könnte die Begegnung mit dem Zeugnis sowohl natürlich-arrangiert als auch natürlich-spontan sein, je nachdem, wie sie der Erzählung begegnen. Wegen der schriftlich vorliegenden, offen zugänglichen Form des Zeugnisses kann vom Grad der Öffentlichkeit her von einem öffentlichen „Zeugnisgespräch“ gesprochen werden, weil der Zeuge sich mit seinem Zeugnis öffentlich an die Empfänger wendet. Durch den Gebrauch des Plurals „ihr“ (ὑμεῖς) ist ersichtlich, dass sich das Zeugnis an eine Gruppe richtet. Der Zeugnisgeber wendet sich nicht an eine einzelne Figur, wie es beispielsweise im Lukasevangelium der Fall ist (vgl. Lk 1,3), sondern an eine Empfängergruppe, die intendierten Rezipienten. Bei der Konstellation der Gesprächspartner handelt es sich also um ein „Gruppengespräch“, wobei die Gruppengröße nicht auszumachen ist. 11.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 347 <?page no="349"?> 846 Der Frage, ob der Erzähler davon ausgeht, dass die intendierten Rezipienten glauben oder nicht glauben wurde weiter oben nachgegangen. 847 Mehr als in allen neutestamentlichen Schriften verwendet das JohEv 98 Mal das Verb πιστεύειν. 848 S C H N E L L E 2019, 374. Was den Grad der Bekanntheit der Gesprächspartner betrifft, so könnte wegen der direkten Ansprache der Empfänger als „ihr“ eine Vertrautheit oder Bekanntheit zwischen Zeuge und Zeugnisempfänger angenommen werden: Der Erzähler hat ein klares Bild und eine klare Vorstellung von seinen intendierten Rezipienten vor Augen, von denen, denen er erzählt und Zeugnis gibt. Dabei ist zu erkennen, dass das soziale Verhältnis der Gesprächspartner fachlich und sach‐ lich bedingt asymmetrisch ist. Der Zeugnisgeber hebt sich als Erzähler, Autor und geliebter Jünger von den Zeugnisempfängern ab. Seine Teilhabe am Wissen Jesu, seine Augenzeugenschaft der sich tatsächlich zugetragen habenden Ereig‐ nisse und seine damit verbundene Favoriten- und Ausnahmerolle unter den Jüngern lassen ihn als den Zeugnisempfängern überlegen erkennen. Zudem zeigt sich das vorliegende asymmetrische Verhältnis der Gesprächspartner auch in der Formulierung „damit auch ihr glaubt“ (ἵνα καὶ ὑμεῖς πιστεύσητε; Joh 19,35). Gesagt wird damit, dass der Zeuge bereits glaubt, während die Zeugnis‐ empfänger nicht oder noch nicht tiefgründig genug glauben. 846 Der Zeuge hat somit also nicht nur einen Wissens-, sondern auch einen Glaubensvorsprung vor den Empfängern. Er ist ihnen sowohl wissensals auch glaubensmäßig überlegen. Aus der Aussage „damit auch ihr glaubt“ lassen sich noch weitere Schlüsse ziehen, und zwar in Bezug auf die Themafixiertheit und die Handlungsdimension des Zeugnisgesprächs. Die Aussage „damit auch ihr glaubt“ rückt das zentrale Thema des Glaubens 847 und die Fixiertheit auf den Glaubensinhalt, welcher Jesus ist, in den Fokus. Wie oben angeführt, kann dieser Aussage „damit auch ihr glaubt“ ebenso wenig wie anderen Angaben im JohEv eindeutig entnommen werden, ob es sich bei den intendierten Rezipienten um ein christusgläubiges Publikum handelt oder nicht. Diese Offenheit und Unschärfe in der Charakte‐ risierung der intendierten Rezipienten lassen davon ausgehen, dass der Erzähler beide Seiten vertreten sieht: sowohl solche, die (vielleicht noch) nicht glauben, als auch solche, die bereits glauben. Die erkennbare Themafixiertheit und die Handlungsdimension des Zeugnisses zielen also darauf ab, dass die, die nicht glauben, zum Glauben gerufen werden sollen und dass der Glaube derer, die schon glauben, strukturiert, vertieft, gestärkt und „vor falschen Lehren geschützt werden soll“. 848 348 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="350"?> 849 T E N N E Y (1975, 236) weist darauf hin: „In the narratives of the Crucifixion there are three declarations that the aspects of that event fulilled the Scripture“. 850 B A R R E T T 1978, 558. 851 K Ü G L E R 1988, 272. Was genau nun geglaubt werden soll, ist dem Zeugnis nicht direkt zu ent‐ nehmen. Da das Zeugnis aber im unmittelbaren Kontext mit den Aussagen über das „Gesehene“ (die Kreuzigung und den Lanzenstich in die Seite Jesu) steht, ist ersichtlich, dass von den zeugnisempfangenden Lesern geglaubt werden soll, dass Jesus tatsächlich gekreuzigt wurde, gestorben ist und durchbohrt wurde, denn der Zeuge, der mit am Kreuz stand, bezeugt, dass er diese Dinge mit eigenen Augen gesehen hat und dass sie tatsächlich so passiert und deshalb glaubwürdig sind. Mit den in den darauffolgenden Versen angeführten alttesta‐ mentlichen Aussagen soll darüber hinaus aufgezeigt werden, dass sich in dem, was geschehen ist und in der Art und Weise, wie es geschehen ist, Vorhersagen des Alten Testaments erfüllt haben. 849 Was im Alten Testament bezeugt ist, erfüllte sich in Jesu Tod buchstäblich: Jesus wurde kein Knochen gebrochen (Ex 12,46; Num 9,12), aber er wurde durchbohrt (vgl. Sach 12,10). Dem können die Leser in Verbindung und Übereinstimmung mit dem gesamten Zeugnis des JohEv entnehmen, dass Jesus das alttestamentlich bezeugte Passahlamm bzw. Lamm Gottes ist, das die Sünde der Welt trägt (vgl. Joh 1,29.35), und dass er der Erhöhte ist ( Joh 3,14), der denen Heil bringt, die auf ihn schauen. Die Leser sollen also nicht nur glauben, dass Blut und Wasser aus der Seite Jesu geflossen sind und Jesus tatsächlich gestorben ist, sondern sie sollen zu umfassendem Glauben an Jesus gelangen. 850 11.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Ob das Ziel der Glaubensweckung und/ oder -stärkung bei den intendierten Rezipienten erreicht wird, kann vom Erzähler selbst nicht beantwortet werden, da es sich „um eine echte Vorschau handelt, die in der erzählten Welt noch nicht an ihr Ziel gelangt ist“. 851 Die möglichen Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses liegen aus Sicht der Erzählzeit noch in der Zukunft. Vom genannten Zeugnis in Joh 19,35 geht der Erzähler, ohne die Zeugnisempfänger ein weiteres Mal zu erwähnen, unmittelbar zum Verweis auf mehrere alttestamentliche Aussagen über, um aufzuzeigen, dass der Tod Jesu und die Art und Weise, wie er zu Tode kam, den Prophezeiungen der Schriften entsprechen. Das vom geliebten Jünger abgelegte Zeugnis soll also nicht nur desswegen geglaubt werden, weil es das Zeugnis eines Augenzeugen ist, sondern auch deshalb, 11.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses 349 <?page no="351"?> weil der Zeugnisinhalt mit den alttestamentlichen Vorhersagen übereinstimmt. Das Zeugnis ist wahr und es ist gegeben worden, damit zukünftig auch die Rezipienten dem Erzählten Glauben schenken. 11.4 Zusammenfassung und Beurteilung Das in dieser vorletzten Zeugnisszene angeführte Zeugnis hebt sich in seiner Darstellung von allen vorausgehenden Zeugnissen ab. Bei den bisherigen Zeugnissen handelte es sich um erzählte Zeugnisse, die in der erzählten Welt von erzählten Zeugnisgebern vor erzählten Zeugnisempfängern abgelegt wurden. Hier nun, in Joh 19,35, wird das Zeugnis auf eine andere Stufe gehoben. Der Erzähler übermittelt das Zeugnis des geliebten Jüngers direkt an die intendierten Rezipienten und legt für die Wahrhaftigkeit des Zeugnisses selbst Zeugnis ab. Ob der Erzähler dabei von sich selbst in der 3. Person spricht und sich dadurch mit dem geliebten Jünger identifiziert, ist umstritten, aber anzunehmen. Jedenfalls wird das Zeugnis durch eine verschriftlichte Erzählung an die intendierten Leser gerichtet, um sie dazu einzuladen, dem Zeugnis zu glauben. Aus dem Zusammenhang mit den vorausgehenden Versen ist ersichtlich, dass auch das in dieser vorletzten Zeugnisszene genannte Zeugnis Jesus und den Glauben an ihn zum Inhalt hat. Der geliebte Jünger legt als Augenzeuge Zeugnis von den Ereignissen der Kreuzigung ab. Diese decken sich, wie bewusst akzentuiert wird, ganz mit den alttestamentlichen Weissagungen. Jesus ist der Gekreuzigte und Gestorbene, dessen Knochen nicht gebrochen, dessen Seite aber durchstochen wurde. Aus der Darstellung des Zeugnisses, dem Verweis auf die alttestamentlichen Stellen und aus der Verbindung mit anderen Stellen des JohEv sollen die intendierten Rezipienten Jesus mit dem alttestamentlichen Passahlamm in Verbindung bringen und ihn als das Lamm Gottes erkennen, das die Schuld der Welt trägt. Auffällig in dieser Zeugnisszene ist, dass das Zeugnis des geliebten Jüngers ebenso wie auch die anderen erzählten Zeugnisse - und sogar noch unverkenn‐ barer - die Zeugnisempfänger zum Glauben an Jesus rufen will. Dabei zeigt sich, dass der Zeuge nicht direkt genannt wird, sondern aus dem Kontext der Erzählung ermittelt werden muss und im Anschluss an die Übermittlung des Zeugnisses vorerst nicht mehr genannt wird. Das Zeugnis des geliebten Jüngers blitzt somit an dieser zentralen Stelle auf und fordert über die erzählte Welt hinaus auch die intendierten Rezipienten zum Glauben heraus, während der 350 11 Zeugnisszene 10: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 19,31-37) <?page no="352"?> 852 Dies erkennt auch B E C K 2013, 223: „The reason for the anonymity of this disciple is not that he was not well known to the readers and his name would not be recognized, nor even that his naming is unnecessary because he is already known to the author and reader. The significance of his anonymity is rather to be found in the Fourth Gospelʼs revelation that there is only One whose name is significant and only One person whose identity matters.“ Ausführlich geht auch F E N N E L L (2010, 330−336) der Frage nach dem Grund der Anonymität des geliebten Jüngers nach und kommt zu dem Schluss: „The Beloved Disciple remains purposefully anonymous in order to create a narrative ‚opening‘ for the reader to enter the story. […] reader-disciples are welcome to share in the intimacy that the Beloved shares with Jesus“ (333). D U N D E R B E R G (2002, 258) bemerkt bezüglich der Anonymitär des geliebten Jüngers: „The Beloved Disciple can be left anonymous, because it is not his name but his status as the closest disciple of Jesus that is of importance as regard his role as the guarantor of this gospel“. Zeuge selbst unscheinbar im Hintergrund, ja fast gänzlich anonym bleibt. 852 Wieder stellen sich das Zeugnis und die Übermittlung des Zeugnisses als wich‐ tiger heraus als der Zeuge und die Darstellung der Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses. Im Mittelpunkt der Erzählung steht das Zeugnis für Jesus, das bleibt und das über die erzählte Welt und Zeit und über die Erzählung und Erzählzeit hinaus jeden zum Glauben ruft, der es hört oder liest. Sooft die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses unerzählt bleiben, sind die Leser herausgefordert, selbst zu überlegen, wie sie auf das Zeugnis reagieren - ob mit Unglaube oder Glaube, ob mit Annahme oder Verwerfung. Überdies bieten die Anonymität des geliebten Jüngers und sein umfassendes, in dieser Szene abgelegtes und im und durch das JohEv präsentiertes Zeugnis den Lesern eine Möglichkeit, sich in diesen Jünger hineinzuversetzen und in, mit und durch ihn die in der Erzählung dargestellten Ereignisse mitzuerleben und selbst zu Zeugen für die Wahrhaftigkeit der Zeugnisse über das Wirken Jesu und dessen Herkunft, Identität und Mission zu werden. Die Leser sind also nicht nur Zeugnisempfänger, sondern sie sind und werden darüber hinaus selbst Zeuge der Identität, des Lebens und des Wirkens Jesu, um dem Zeugnis zu glauben und um wiederum selbst das empfangene Zeugnis als Zeugen weiterzugeben. 11.4 Zusammenfassung und Beurteilung 351 <?page no="354"?> 853 S C H N E L L E 2016, 403. Ob sich a) das „wir“ auf „die Angehörigen der Redaktion, also einen engeren Kreis, oder auf die ganze Gemeinde“ bezieht (S C H N A C K E N B U R G 1982, 447; vgl. B A R R E T T 1978, 588) oder ob b) der Autor hier „auf das bewährte Instrument des plural auctoris zurückgreift“, und damit das Glaubensbekenntnis nennt, „,in dem er sich und 12 Zeugnisszene 11: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 21,24-25) In Joh 21,24 findet sich ein letzter Gebrauch der Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία. Nachdem in der vorausgehenden Szene des JohEv ( Joh 21,15-23) die Unterhaltung und das Verhältnis zwischen Petrus und Jesus in den Fokus gerückt worden sind, endet der Erzählabschnitt abrupt mit der folgenden zitierten rhetorischen Frage Jesu und dem Hinweis auf einen anderen Jünger: „Wenn ich will, dass er bleibe, bis ich komme, was geht es dich an? “ ( Joh 21,23). Im Anschluss an die zitierte Rede Jesu folgen die narratoriale Identifizierung und nähere Bestimmung des Jüngers: „Dies ist der Jünger, der von diesen Dingen zeugt und der dieses geschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist“ ( Joh 21,24). Da mit diesem und einem weiteren, abschließenden Satz das JohEv endet, ist ersichtlich, dass der hier genannte Jünger nicht nur der letzte Zeuge ist, sondern, wie oben bereits herausgestellt, zugleich der ideale Erzähler und Autor der Erzählung. Wer er ist, wem er Zeugnis gibt und was über die Umstände des Zeugnisakts berichtet wird, soll auch in diesem letzten Erzählabschnitt untersucht werden. 12.1 Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger Beim Lesen von Joh 21,24 fällt sofort die Ähnlichkeit zu Joh 19,35 auf. An beiden Stellen nennt der Erzähler einen Zeugen und dessen Zeugnis und fügt mit fast identischer Wortwahl und Wortfolge eine Bestätigung bei, durch die die Wahrhaftigkeit des Zeugnisses bestätigt wird: ● Joh 19,35: καὶ ἀληθινὴ αὐτοῦ ἐστιν ἡ μαρτυρία ● Joh 21,24: καὶ οἴδαμεν ὅτι ἀληθὴς αὐτοῦ ἡ μαρτυρία ἐστίν Während das Zeugnis in Joh 19,35 vom Erzähler beglaubigt wird, geschieht die Bestätigung des Zeugnisses in Joh 21,24 durch „eine nicht näher gekennzeich‐ nete Gruppe (οἴδαμεν = ‚wir wissen‘)“. 853 Für die vorliegende Arbeit sind jedoch <?page no="355"?> den Leser […] eins weiß“‘(T H Y E N 2014, 793; vgl. B E U T L E R 2016, 558−559) oder ob c) das „wir“ als Selbstreferenz des Evangelisten zu verstehen ist, „with the first-person plural functioning editorially, as in other places in the present Gospel or elsewhere in the NT“ (K Ö S T E N B E R G E R 2004, 604) ist umstritten und für die vorliegende Arbeit von zweitrangigem Interesse, da der Fokus auf dem Zeugen und seinem Zeugnis liegt, nicht auf der das Zeugnis bestätigenden Figur oder Gruppe. 854 Durch seine dreifach bejahende Antwort des Petrus auf die Frage, ob er Jesu liebt, wird der Kontrast aufgehoben. „Apparently the reactor of chapter 21 wants to release Peter from his earlier subordination to the Beloved Disciple“ (W A E T J E N 2014, 25). Auch Z U M S T E I N (2016, 787) geht in diese Richtung: „Das in diesem Kapitel von Anfang an zu beobachtende Anliegen, einen Ausgleich zwischen der Vorrangstellung des Lieblingsjüngers und der des Petrus zu erreichen, wir nun fortgeführt: Wenn auch der Lieblingsjünger der ist, den Jesus liebt (vgl. V.7.20), so hat doch von nun an Petrus von allen Jüngern die vollkommenste Liebe für Jesus.“ 855 S C H N A C K E N B U R G 1982, 445. Vgl. F E N N E L L 2010, 329. nicht die Figuren relevant, die die Wahrheit des Zeugnisses bestätigen, sondern der Zeuge und dessen Zeugnis. 12.1.1 Zeugnisgeber: der Jünger, den Jesus liebt Der Erzählabschnitt Joh 21,15-23 endet abrupt mit einer rhetorischen Frage Jesu, dem Hinweis auf einen anderen Jünger und einer narratorialen Identifizierung und Bestimmung dieses Jüngers ( Joh 21,24). Aus dem Abschnitt, der Vers 24 vorausgeht, ist deutlich zu erkennen, wer der genannte Jünger und Zeuge ist: Es ist der „geliebte Jünger“, der in Joh 21,20 erwähnt und mit Rückbezug auf Joh 13,23-26 als derjenige ausgezeichnet wird, der an der Brust Jesu lag. Mit der Bezeichnung „geliebter Jünger“ und dem Hinweis auf seine besondere Position beim Mahl wird er deutlich zu Petrus und der Liebe des Petrus zu Jesus in Kontrast gesetzt. 854 Während Petrus ohne weitere Erwähnung aus der Erzählung verschwindet, werden am Ende nur der geliebte Jünger, sein Zeugen und sein niedergeschrie‐ benes Zeugnis genannt, durch welches er selbst bzw. sein Zeugnis - wie es auch zuvor in Joh 19,35 und das dort gebrauchte Perfekt (μεμαρτύρηκεν) angedeutet wird - „bleibt“. Der geliebte Jünger lebt in und durch sein Zeugnis weiter und in seinem Zeugnis „erfüllt sich das Wort von seinem ‚Bleiben‘“. 855 Da der geliebte Jünger und seine Charakterisierung bereits im Rahmen der vorausgehenden Zeugnisszene untersucht worden sind, kann hier direkt zu einer Betrachtung der Zeugnisempfänger übergegangen werden. 354 12 Zeugnisszene 11: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 21,24-25) <?page no="356"?> 856 An dieser Stelle γράψας mit „veranlassen zu schreiben“ zu übersetzten ist möglich, aber unpassend. „The most natural meaning of these words, and therefore the meaning to be adopted unless very strong reasons are brought against it, is that the disciple himself not only bore witness to but also wrote down ταῦτα“ (B A R R E T T 1978, 587; vgl. B A U C K H A M 2006; 358−363; B A U C K H A M 2007, 79). 857 B L A S S , D E B R U N N E R & R E H K O P F 1979, 277. 12.1.2 Zeugnisempfänger: die intendierten Rezipienten Untersucht man Joh 21,24 auf die oder den möglichen Zeugnisempfänger hin, so zeigt sich, dass der Erzähler darüber keine Auskunft gibt. Die Betonung des Verses liegt ganz auf dem Zeugen und dessen Zeugnis. Der dabei genannte Jünger wird beschrieben als „der Bezeugende“ (ὁ μαρτυρῶν) und als „der, der geschrieben hat“ (ὁ γράψας). 856 Während das Niederschreiben durch ein Partizip Aorist in eine „relative Vergangenheit“ verortet wird, 857 erhält das Zeugnisgeben durch die Verwendung des Partizips Präsens einen stärker gegenwärtigen und anhaltenden Charakter: Der geliebte Jünger ist es, der auch gegenwärtig von diesen Dingen zeugt, und zwar durch das niedergeschriebene Zeugnis. Es kann also davon ausgegangen werden, dass auch hier, wie in Joh 19,35, die intendierten Rezipienten, obwohl sie nicht explizit angesprochen werden, als Zeugnisempfänger angenommen werden müssen. Der geliebte Jünger richtet sich als Zeuge, Erzähler, der bezeugt, und Autor, der geschrieben hat, mit seinem Zeugnis an seine intendierten Rezipienten, bei denen es sich seiner Vorstellung nach um einen - wie oben herausgestellt - gebildeten, dem Judentum entfrem‐ deten oder nicht jüdischen Gruppencharakter handelt, der sich (teilweise) dem christlichen Glauben zugewandt hat und/ oder (teilweise) kurz davorsteht, dies zu tun. Dieser Gruppencharakter wurde bereits im vorausgehenden Kapitel der vorliegenden Arbeit beleuchtet, sodass hier nun direkt zu einer Untersuchung der näheren Umstände des Zeugnisgebens übergegangen werden kann. 12.2 Die Umstände des Zeugnisgebens Wie in der Zeugnisszene Joh 19,35 finden sich auch in Joh 21,24 keine genauen Angaben über die näheren Umstände des Zeugnisakts. Es kann also auch hier nur vermutet werden, dass sich das gesamte „Zeugnisgespräch“ in gleicher Weise und unter gleichen Bedingungen, Voraussetzungen und Umständen zutragen wird, weil es sich bei beiden „Zeugnisgesprächen“ um den gleichen Zeugen, die gleichen Zeugnisempfänger und den gleichen zukünftigen, sich 12.2 Die Umstände des Zeugnisgebens 355 <?page no="357"?> 858 Demzufolge ist auch die Gesprächsgattung, die Konstellation der Gesprächspartner, der Grad der Öffentlichkeit, das soziale Verhältnis der Gesprächspartner, die Hand‐ lungsdimension des Gesprächs, der Bekanntheitsgrad der Gesprächspartner und die Themafixiertheit identisch. 859 So auch die Mehrheit der Ausleger (B A R R E T T 1978, 588; B A U C K H A M 2006, 362; B E N ‐ N E M A 2014, 306; B E U T L E R 1972, 282; B E U T L E R 2016, 557; B E A S L E Y −M U R R A Y 1987, 415; D S C H U L N I G G 2000, 257; K Ö S T E N B E R G E R 2004, 603; L I N C O L N 2002, 11; S C H E N K E 2014, 336; S C H N A C K E N B U R G 1982, 446; u.-a.). 860 Dabei ist sich der Erzähler bewusst, dass nicht alles, was Jesus getan hat niederge‐ schrieben werden konnte und kann ( Joh 20,30; 21,25). „Diese Dinge“ geben daher nur Einblick in einen Teil dessen, was Jesus getan hat. durch das Lesen des JohEv ereignenden Zeugnisakt handelt. 858 Auch in Bezug auf den Ort oder Zeitpunkt, wo bzw. wann das Zeugnis abgelegt wird, kann wie in Joh 19,35 gesagt werden, dass das Zeugnis des geliebten Jüngers bzw. Erzählers in seiner verschriftlichten Form immer dann an die intendierten Rezipienten übermittelt wird, wenn sie sein Zeugnis lesen oder hören, und jeweils an dem Ort, wo dies geschieht. Was sich darüber hinaus hier wie in Joh 19,35 aus den unspezifischen Angaben und Schlussfolgerungen erkennen lässt, ist die Tatsache, dass es in der Erzählung nicht um genaue Orts- oder Zeitangaben geht, sondern vielmehr darum, dass Zeugnis gegeben wird. Im Zentrum von Joh 21,24 stehen der Zeuge und sein Zeugnis, das ein für alle Mal abgelegt und niedergeschrieben worden ist und dadurch anhaltend „von diesen Dingen“ (περὶ τούτων) zeugt. Stellt man an dieser Stelle die Frage, was mit „diesen Dingen“ gemeint ist und was demzufolge der Inhalt des Zeugnisses ist, so könnte oberflächlich gesehen aus dem unmittelbaren Kontext angenommen werden, dass sich der Ausdruck „diese Dinge“ nur auf die in Joh 21 geschilderten Ereignisse bezieht. Dies ist aber zu kurz gegriffen. Da das JohEv mit dem Hinweis auf den geliebten Jünger als Zeugen und dessen Zeugnis von „diesen Dingen“ abgeschlossen wird, ist anzunehmen, dass sich diese abschließende Aussage über das Zeugnis von „diesen Dingen“ auf das gesamte JohEv bezieht. 859 Will man den Inhalt des JohEv bzw. „dieser Dinge“ genauer definieren, so lässt sich herkommend von Joh 20,30-31 und durch die nachfolgende Aussage in Joh 21,25 feststellen, dass im Zentrum des Zeugnisses von „diesen Dingen“ bzw. im Zentrum des Zeugnisses des gesamten JohEv die Person Jesu und das, was „Jesus getan hat“ (vgl. ἐποίησεν ὁ Ἰησοῦς in Joh 20,30 und Joh 21,25), d.-h. die Zeichen, Werke und Wunder Jesu, die seine Herkunft, Identität und Mission erhellen, stehen. 860 Obwohl aus Joh 21,24 nicht erkennbar ist, warum das Zeugnis abgelegt wird und was das abgelegte Zeugnis von „diesen Dingen“ erreichen oder 356 12 Zeugnisszene 11: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 21,24-25) <?page no="358"?> 861 In diese Richtung denkt auch F E N N E L L (2010, 336): „The reader of the Fourth Gospel in the end is in fact called upon to be a believer who continues to give testimony about Jesus, and thus extend the story of Jesus and his people through history and into the wider world“. bewirken soll, so ist doch aus dem Gesamtzusammenhang der Erzählung und einigen bedeutenden Aussagen das zentrale Anliegen des JohEv und des dadurch übermittelten Zeugnisses klar ersichtlich. Das verschriftlichte Zeugnis von den Taten Jesu und der durch die Taten präsentierten Identität, Herkunft und Mission Jesu soll dazu führen, „dass auch ihr [die Erzähladressaten] glaubt [vgl. Joh 19,35], dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und dass ihr glaubend Leben habt in seinem Namen“ ( Joh 20,31). 12.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses Da das JohEv in Joh 21,25 endet, lassen sich über Auswirkungen des Zeugnisses auf die intendierten Rezipienten und die weiteren Folgen keine Angaben machen. Sie liegen jenseits der erzählten Welt. Spekuliert werden kann ledig‐ lich, wie in Joh 19,35, über den Wunsch des Erzählers, dass das Zeugnis des geliebten Jüngers und die im übrigen JohEv erzählten Zeugnisse die intendierten Rezipienten zum Glauben an Jesus oder zur Festigung ihres bereits vorhandenen Glaubens führen sollen und dass die Empfänger daraufhin selbst zu Weiterträ‐ gern des Zeugnisses des JohEv und der Zeugnisse im JohEv werden. 861 Ob dieser (vermutete) Wunsch des Erzählers erfüllt wird, kann nur von den Lesern selbst beantwortet werden. Sie selbst stehen vor der Entscheidung, den erzählten Zeugnissen über Jesus und dem dadurch übermittelten Zeugnis des geliebten Jüngers zu glauben oder sie abzulehnen. 12.4 Zusammenfassung und Beurteilung In der letzten Erwähnung der Zeugnisthematik in Joh 21,24 wird nach Joh 19,35 abschließend noch einmal der geliebte Jünger als Zeuge für Jesus genannt. Dies geschieht an dieser Stelle am Schluss des JohEv aus gutem Grund, denn er wird hier als derjenige identifiziert, der sowohl Erzähler als auch Autor der gesamten Erzählung ist und der durch sein Werk die Taten Jesu zeugnis‐ haft den intendierten Rezipienten nahebringen will. Von den Empfängern des Zeugnisses, den intendierten Rezipienten, die vom Erzähler und Autor für ein verständiges und einsichtiges Publikum gehalten werden, wird erwartet, dass sie 12.3 Die Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses 357 <?page no="359"?> dem umfassenden Zeugnis des geliebten Jüngers von „diesen Dingen“ Glauben schenken, weil er ja der ideale Zeuge Jesu ist, der von Anfang an mit Jesus unterwegs war, sämtliche seiner Reden, Zeichen und Wunder miterlebt hat, bis zu dessen Ende bei ihm blieb und nach Jesu Auferstehung als Erster zum Auferstehungsglauben gelangte. „Sein Zeugnis ist wahr“ - so wird es ganz am Ende vom Erzähler bestätigt und sein verschriftlichtes, wahrhaftiges Zeugnis für Jesus soll von nun an fortwährend durch das JohEv weitergetragen werden. Was bei diesem letzten Zeugnisakt auffällt, ist, dass der Fokus erneut nicht so sehr auf die Umstände des Zeugnisakts gerichtet wird, sondern auf den Zeugen, ja vielmehr noch auf dessen Zeugnis. Der Zeuge selbst wird nur als „Jünger“, nicht als „Zeuge“ bezeichnet und seine Identität lässt sich nur aus dem Kontext erschließen. Sein Zeugnis hingegen wird nun am Ende in besonderer Weise hervorgehoben, weil es sämtliche erzählten Ereignisse und Zeugnisse in sich vereint. Die erzählten Zeugnisse sollen somit nicht nur in der erzählten Welt die erzählten Zeugnisempfänger zum Glauben an Jesus als den Christus rufen, sondern darüber hinaus auch die intendierten Rezipienten. Durch die Lektüre des JohEv erleben die Leser an der Seite des geliebten Jüngers und Erzählers oder durch eine Identifikation mit ihm die Geschichte Jesu mit. Sie werden selbst zu Zeugen der Reden, Taten und Wunder Jesu, sie sind selbst durch die Erzählung bei den erzählten Zeugnisakten anwesend und sollen mit den erzählten Zeugnisempfängern überzeugt werden, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. Wird dieser Glaube geweckt, ist das Zeugnis des geliebten Jüngers bzw. das des gesamten JohEv zu seinem Ziel gekommen: Es hat die Zeugnisempfänger zum Glauben und zum ewigen Leben geführt. 358 12 Zeugnisszene 11: Der Jünger, den Jesus liebt ( Joh 21,24-25) <?page no="360"?> Kapitel III: Zusammenfassung und Auswertung <?page no="362"?> 1 Vgl. B E N N E M A (2014, 29). Grad der Komplexität: „nicht komplex“ (0), „geringfügig komplex“ (−), „komplex“ (+), „sehr komplex“ (++); Grad der Entwicklung: „keine Entwicklung“ (0), „geringfügige Entwicklung“ (−), „Entwicklung“ (+), „starke Entwick‐ lung“ (++); Grad der internen Fokalisierung: „keine Fokalisierung“ (0), „geringfügige Fokalisierung“ (−), „Fokalisierung“ (+), „starke Fokalisierung“ (++). 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse In der nachfolgenden tabellarischen Zusammenfassung werden auch der Grad der Komplexität, der Grad der Entwicklung und der Grad der internen Fokali‐ sierung bei den Zeugnisgebern und Zeugnisempfängern angegeben. Dies erfolgt in Anlehnung an die von Bennema unternommene Unterteilung. 1 Szene 1 Joh 1,1-18 Zeugnisgeber Johannes der Täufer (Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής]) Charakterisierung - gewöhnlicher Mensch; Rabbi, Lehrer, Täufer - bekannt, angesehen, umstritten - selbstbewusst, mutig, kühn - von Gott gesandt und beauftragt; Herold, Wegbereiter, Zeuge (der Wahrheit) - „Prediger in der Wüste“ - „Freund des Bräutigams“ - Freude an/ über Jesus - Wissen und Erkenntnis über Jesus - Jesus gegenüber loyal, untergeordnet, de‐ mütig - uneigennützig, selbstlos - fester Glaube ohne Mängel - idealer Christuszeuge ● Komplexität = komplex (+) ● Entwicklung = Entwicklung (+) ● Fokalisierung = Fokalisierung (+) Zeugnisempfänger „alle“ (πάντες); gesamte Menschheit Charakterisierung - Jesus untergeordneter Gruppencharakter - Möglichkeit und Fassungsvermögen, von Gott gelehrt zu werden und zu lernen - gespaltener Gruppencharakter: hö‐ rend / nicht hörend; lernend / nicht ler‐ nend; zu Jesus kommend, glaubend (= vom Vater gegeben) / nicht kommend, nicht <?page no="363"?> glaubend; ewiges Leben besitzend / ewiges Leben nicht besitzend ● Komplexität = geringfügig (−) ● Entwicklung = keine (0) ● Fokalisierung = keine (0) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - • Gesprächsgattung - zur erzählten Zeit: natürlich-spontan - später: natürlich-arrangiert/ natür‐ lich-spontan • Konstellation der Gesprächs‐ partner (G.p.) Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit - zur erzählten Zeit: öffentlich - später: öffentlich / halb öffentlich / nicht öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Johannes > „alle“ • Handlungsdimension direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. - zur erzählten Zeit: Täufer den Empfängern flüchtig bekannt / be‐ kannt / vertraut? ; Empfänger dem Täufer unbekannt / flüchtig bekannt / be‐ kannt / vertraut? - später: gänzlich unbekannt • Grad der Vorbereitetheit der G.p. - zur erzählten Zeit: speziell vorbereitet - später: nicht vorbereitet / speziell vorbe‐ reitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Jesus, das Licht der Welt; Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt; Sohn Gottes; Geistträger, der mit Heiligem Geist tauft Erzählter Zeugnisort unbekannt (an jedem Ort - überall, wo Zeugnis bzw. JohEv gelesen/ gehört wird) Erzählte Zeugniszeit unbekannt (zu jeder Zeit - immer, wenn Zeugnis bzw. JohEv gelesen/ gehört wird) Erzähltes Zeugnismotiv Sendung und Beauftragung durch Gott Erzählter Zeugniszweck alle sollen glauben - - 362 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="364"?> Folgen und (Aus-)Wirkungen unbekannt (Möglichkeiten: erkennen / nicht erkennen; aufnehmen / nicht aufnehmen; glauben / nicht glauben) Auffälligkeiten bleibendes Zeugnis für Jesus; Leser von Beginn der Erzählung an mit in die Rolle der Zeugnis‐ empfänger hineingenommen; Ungenauigkeit in Erzählung zeigt, dass die Darstellung der Umstände des Zeugnisakts weniger wichtig sind als der Grund und das Ziel des Zeugnisses sowie die Nennung der möglichen Reaktionen auf das Zeugnis Tabelle 6: Zeugnisszene 1: Johannes der Täufer und die gesamte Menschheit Szene 2 Joh 1,19-28 Zeugnisgeber Johannes der Täufer (Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής]) Charakterisierung siehe oben bei Szene 1 - - Zeugnisempfänger Priester und Leviten (ἱερεῖς καὶ Λευίτας) Charakterisierung - Priester den Leviten übergeordnet - Experten der rituellen Reinigung - gesetzestreu - verantwortlich für Einhaltung der Reini‐ gungsvorschriften und Gebote - von Juden aus Jerusalem beauftragt und gesandt - den Juden aus Jerusalem, speziell den Pha‐ risäern, unterstellt - Laufburschen der Juden aus Jerusalem - nicht allen Juden unterstellt - eröffnen Gespräch, fühlen sich überlegen - befragen, hinterfragen, ermitteln - wollen schnelle Antworten - weniger an Erklärungen und Identität des Johannes als an Erfüllung des Auftrags und Zufriedenstellung ihrer Hintermänner in‐ teressiert - zeigen wenig Reaktion - kennen Jesus nicht ● Komplexität = nicht komplex (0) ● Entwicklung = keine (0) ● Fokalisierung = geringfügig (−) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 363 <?page no="365"?> • Gesprächsgattung - für Täufer: natürlich-spontan - für Priester und Leviten: natürlich-arran‐ giert • Konstellation der G.p. Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Johannes > Priester und Leviten • Handlungsdimension diskursiv / bedingt direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. unbekannt • Grad der Vorbereitetheit der G.p. - für Täufer: nicht vorbereitet - für Priester und Leviten: speziell vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Jesus, der Kommende, der bereits mitten unter euch ist, ihr kennt ihn nicht; Jesu hohe Stellung und Unwürdigkeit des Men‐ schen Erzählter Zeugnisort in Bethanien, jenseits des Jordans; Ort in der Wüste, an dem Johannes tauft Erzählte Zeugniszeit unbekannt Erzähltes Zeugnismotiv Sendung und Beauftragung durch Gott Erzählter Zeugniszweck Zeugnisempfänger sollen Richtigkeit der Aus‐ sage überprüfen, den Kommenden suchen und dem gegenwärtigen Christus begegnen - - Folgen und (Aus-)Wirkungen unbekannt Auffälligkeiten - zu Beginn der Erzählung weniger Inter‐ esse an Darstellung der Umstände, Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses als viel‐ mehr an schrittweiser Einführung der zen‐ tralen Zeugnisthematik, der Zeugen und des Zeugnisses für Jesus - Leser werden durch offene Fragen über Entwicklung und Verbleib der Zeugnisemp‐ fänger vor die Überlegung gestellt, wie überzeugend das dargelegte Zeugnis ist und welche Folgen und Auswirkungen es auf das Leben hat 364 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="366"?> - abgelegtes Zeugnis fordert Reaktion / will Annahme des Zeugnisses bewirken und Glaube an Jesus wecken Tabelle 7: Zeugnisszene 2: Johannes der Täufer und die Priester und Leviten Szene 3 Joh 1,29-34 Zeugnisgeber Johannes der Täufer (Ἰωάννης [ὁ βαπτιστής]) Charakterisierung siehe oben bei Szene 1 - - Zeugnisempfänger unbekannter Gruppencharakter Charakterisierung nicht möglich - - Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - • Gesprächsgattung natürlich-spontan • Konstellation der G.p. Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Johannes > unbekannter Grup‐ pencharakter • Handlungsdimension direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. unbekannt / flüchtig bekannt • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt; Kommen und Bleiben des Geistes auf Jesus = Messianität Jesu; Jesus wird mit Heiligem Geist taufen; Sohn Gottes Erzählter Zeugnisort in Bethanien, jenseits des Jordans; Ort in der Wüste, an dem Johannes tauft Erzählte Zeugniszeit „am nächsten Tag“ = zweiter erzählter Tag 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 365 <?page no="367"?> Erzähltes Zeugnismotiv (Sendung und Beauftragung durch Gott); mit‐ erlebter Geistempfang Jesu Erzählter Zeugniszweck Unkenntnis, Unwissenheit und Unglaube der Zeugnisempfänger überwinden und Glaube an Jesus als den Christus und Sohn Gottes wecken - - Folgen und (Aus-)Wirkungen unbekannt Auffälligkeiten - Erzähler weniger an Zeugnisempfänger, Reaktion auf Zeugnis und Umständen des Zeugnisgebens interessiert als am Zeugnis selbst - Leser werden vom Zeugnis angesprochen - Nach Erfüllung des Auftrags und der Pflicht wird erster Zeuge zunehmend aus der Er‐ zählung genommen - Zeuge hat Ziel erreicht, ist überflüssig, wird aus Erzählung genommen - obwohl Zeuge Bühne verlässt, ist Zeugnis ein bleibendes Zeugnis Tabelle 8: Zeugnisszene 3: Johannes der Täufer und ein unbekannter Gruppencharakter 366 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="368"?> Szene 4 Joh 4,(28) 31-42 Zeugnisgeber Frau aus Samaria (γυνή ἐκ τῆς Σαμαρείας) Charakterisierung - nicht namentlich genannte (anonyme) sa‐ maritanische Frau, Städterin (aus Sychar) - Frau der Unter- oder Mittelschicht - meidet Begegnungen mit anderen (Frauen) (aufgrund ihres Lebensstils? ) - Gefühl der eigenen Überlegenheit (Besitz eines Krugs) - unzufrieden mit Lebenssituation - religiöse und traditionsbewusste Frau - weiß um kulturelle und religiöse Konflikte und um sozial-moralische Barrieren - unwissend in Bezug auf Objekt der Anbe‐ tung - unwissend, mangelnde Erkenntnis, Miss‐ verständnis in Bezug auf Jesus und seine Aussagen - verwundert, verunsichert über Jesu An‐ sprache - selbstbewusst, beherzt, mutig, schlagfertig, redegewandt, skeptisch, spöttisch, überheb‐ lich, respektlos - Entwicklung hin zur Offenheit und Ehrlich‐ keit • Komplexität = sehr komplex (++) • Entwicklung = starke Entwicklung (+ +) • Fokalisierung = starke Fokalisierung (+ +) Zeugnisempfänger Samaritaner (Σαμαρῖται) Charakterisierung - Menschen (ἄνθρωποι); Stadtbewohner - gleiche Herkunft/ Hintergründe wie Frau - Opponenten der Juden - religiös, traditionell, intolerant (Ausgren‐ zung der Frau? ) - skeptisch, abweisend gegenüber anderen Glaubensformen und Lehrmeinungen - unwissend in Bezug auf das Objekt der An‐ betung • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = Entwicklung (+) • Fokalisierung = Fokalisierung (+) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - • Gesprächsgattung natürlich-spontan 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 367 <?page no="369"?> • Konstellation der G.p. Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. symmetrisch/ asymmetrisch: Frau =/ >/ < Sama‐ ritaner • Handlungsdimension narrativ/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. bekannt / flüchtig bekannt / unbekannt • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt „Allwissenheit“ Jesu und die Frage, ob der Mensch Jesus nicht der Christus sei Erzählter Zeugnisort nahe der Stadt Sychar an der „Quelle Jakobs“ Erzählte Zeugniszeit um die sechste oder siebte Stunde? Erzähltes Zeugnismotiv eigene Begegnung mit Jesus Erzählter Zeugniszweck Einladung zu Jesus („kommt und seht, […] ob dieser nicht der Christus sei“) - - Folgen und (Aus-)Wirkungen - Zeugnis weckt Interesse - Zeugnis führt zur Begegnung mit Jesus - Zeugnis weckt Glaube - Zeugnis und Begegnung mit Jesus führen zu qualitativem Glaubenswachstum und zu erweiterter Glaubenserkenntnis Auffälligkeiten - Zeugnis führt zu Jesus und wird durch Be‐ gegnung und Erfahrung mit Jesus ersetzt - Zeugnisempfänger „zweiter Hand“ werden zu Zeugnisempfängern „erster Hand“ - Zeuge hat Ziel erreicht, ist überflüssig, wird aus Erzählung genommen - Anonymität lässt Frau stark hinter ihrem Zeugnis zurücktreten - Gesamtdarstellung und Frage („Dieser ist doch nicht etwa der Christus? “) fordern Leser heraus, eigene Meinung zu bilden Tabelle 9: Zeugnisszene 4: Samaritanerin und die Samaritaner 368 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="370"?> Die Unterteilung und tabellarische Darstellung der Zeugnisse des Vaters, der Werke und der Schriften gestalten sich insofern schwierig, als sich das Zeugnis des Vaters in den Werken und den Schriften vollzieht. Da die Erzählung aber deutlich zwischen den drei Zeugen unterscheidet und jeder einzelne als eigenständiger Zeuge für Jesus angeführt wird, sollen die drei Zeugen in der nachfolgenden Tabelle ebenfalls so gut wie möglich separat betrachtet und dar‐ gestellt werden. Lediglich die Folgen und Auswirkungen und die Auffälligkeiten der Szene sollen in der letzten Tabelle zusammengefasst werden. Szene 5.1 Joh 5,14-47 Zeugnisgeber 1 Vater (πατήρ) Charakterisierung - väterlich, liebend, heilig, gerecht - Wille und Bereitschaft zur Selbstoffenba‐ rung (durch Figur, Worte und Taten Jesu) - Geber aller Gaben - Sender Jesu, des Geistes und der Jünger - legt durch Werke und Schrift Zeugnis für Jesus ab • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = keine (0) • Fokalisierung = Fokalisierung (+) Zeugnisempfänger Juden (Ἰουδαῖοι) Charakterisierung - nicht einheitlich-gleichbleibend - stereotyp - gespalten - teilweise neutral bis positiv: • respektvoll, an Jesus interessiert und glaubend • versuchen trotz Missverständnissen zu verstehen - überwiegend negativ: • religiös, gesetzestreu, an Befolgung der Gesetze interessiert • einflussreich, autoritär, mächtig (durch Pharisäer und Hohepriester) • fragend, hinterfragend, prüfend und kritisierend, strafend, Angst verbrei‐ tend • römischer Macht unterstellt und da‐ durch begrenzt handlungsfähig • Jesus gegenüber feindselig und ab‐ lehnend, ungläubig, unverständig, trachten danach, Jesus zu töten • Komplexität = sehr komplex (++) • Entwicklung = starke Entwicklung (++) • Fokalisierung = starke Fokalisierung (+ +) 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 369 <?page no="371"?> Zeugnisakt Erzählter Zeugnismodus Vater legt Zeugnis ab - zur erzählten Zeit: durch den Sohn und durch die Werke des Sohnes - früher, zur erzählten Zeit und später: durch die Schriften (siehe übernächste Tabelle - Zeugnisgeber 3, die Schriften) • Gesprächsgattung natürlich-spontan • Konstellation der G.p. Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Vater > Juden • Handlungsdimension narrativ/ diskursiv/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. den Juden ist der Vater (und Jesus) unbekannt - die Juden sind dem Vater (und Jesus) vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Vollmacht Jesu; Einheit mit dem Vater; Vater liebt den Sohn; Vater übergibt Gericht an den Sohn; Sohn ehrt den Vater; Sohn hat Leben in sich selbst, kann Tote auferwecken; Jesus, seine Herkunft und Sendung, sein Selbstverständnis und seine Mission Erzählter Zeugnisort im Tempel in Jerusalem Erzählte Zeugniszeit am Sabbat, kurz vor oder nach dem Passahfest Erzähltes Zeugnismotiv Legitimation der Wunder Jesu und Bestätigung der Identität und Herkunft Jesu Erzählter Zeugniszweck Glaube wecken, dass das Zeugnis über Jesus wahr ist; Glaube an Jesus wecken - - Folgen und (Aus-)Wirkungen siehe unten bei Szene 5, Zeugnisgeber 3 (Schriften) Auffälligkeiten siehe unten bei Szene 5, Zeugnisgeber 3 (Schriften) Tabelle 10: Zeugnisszene 5.1: Vater und Juden 370 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="372"?> Szene 5.2 Joh 5,14-47 Zeugnisgeber 2 Werke (ἔργα) Charakterisierung - „anderer“, wahrhaftiger Zeuge - stehen in enger Verbindung mit Jesus und Vater - vom Vater gegeben - treten in Jesu Reden, Handeln und Wirken in Erscheinung - umfassen gesamtes Handeln Jesu - können getan und vollendet werden - Teil eines großen Werkes - anhaltender Zeuge: durch das Wirken der Werke durch die Jünger wird weiterhin Zeugnis der Werke für Jesus gegeben • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = geringfügig (−) • Fokalisierung = keine (0) Zeugnisempfänger Juden (Ἰουδαῖοι) Charakterisierung siehe oben - - Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus nur optisch wahrnehmbares Zeugnis, das einer Interpretation bedarf • Gesprächsgattung natürlich-spontan • Konstellation der G.p. Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Werke > Juden • Handlungsdimension narrativ/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. Werke sind (ohne Interpretation) unverständ‐ lich, Jesus und Vater sind den Juden unbekannt - die Juden sind Jesus und dem Vater vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt - Jesus ist der von Gott gesandte und ausge‐ hende Sohn Gottes - Jesus besitzt die außerordentliche Macht und Kraft dessen, der die Werke tut 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 371 <?page no="373"?> Erzählter Zeugnisort im Tempel in Jerusalem (immer da, wo Jesus Werke wirkt) Erzählte Zeugniszeit am Sabbat, vor oder nach Passahfest (immer dann, wenn Jesus Werke wirkt) Erzähltes Zeugnismotiv um Wunder Jesu zu legitimieren und um Iden‐ tität und Herkunft zu bestätigen Erzählter Zeugniszweck damit geglaubt wird, dass Jesus der von Gott gesandte Sohn Gottes ist, dass er die Werke des Vaters wirkt und dass er eins mit dem Vater ist - - Folgen und (Aus-)Wirkungen siehe unten bei Szene 5, Zeugnisgeber 3 (Schriften) Auffälligkeiten siehe unten bei Szene 5, Zeugnisgeber 3 (Schriften) Tabelle 11: Zeugnisszene 5.2: Werke und Juden Szene 5.3 Joh 5,14-47 Zeugnisgeber 3 Schriften (γραφάς) Charakterisierung - anthropomorphe Handlungsweisen - aktive, handelnde und sprechende Figur - unhinterfragbare Autorität - nicht „auflösbar“ - prophetisch „begabte“ Figur • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = geringfügig (−) • Fokalisierung = keine (0) Zeugnisempfänger Juden (Ἰουδαῖοι) Charakterisierung siehe oben - - Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - • Gesprächsgattung natürlich-spontan / natürlich-arrangiert • Konstellation der G.p. Klein- / Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich / halb öffentlich / nicht öffent‐ lich / privat 372 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="374"?> • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Schriften > Juden • Handlungsdimension narrativ/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. den Juden sind Schriften (und Vater) unbe‐ kannt, (späteren Lesern flüchtig bekannt / gut be‐ kannt / vertraut) • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet / speziell vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt göttliches Zeugnis des Vaters für den Sohn; Jesus ist der Christus Erzählter Zeugnisort immer da, wo die Schriften gelesen / gehört werden Erzählte Zeugniszeit immer dann, wenn die Schriften gelesen / ge‐ hört werden Erzähltes Zeugnismotiv um Wunder Jesu zu legitimieren und um Iden‐ tität und Herkunft Jesu zu bestätigen Erzählter Zeugniszweck Glaube wecken, dass das alttestamentliche Zeugnis über Jesus wahr ist, sich in Jesus er‐ füllt und dass Jesus tatsächlich der von Gott gesandte Sohn Gottes ist und dass durch den Glauben ewiges Leben empfangen wird - - Folgen und (Aus-)Wirkungen - unbekannt (wegen des abrupten Endes der Szene) - vermutlich Ablehnung der Worte Moses, der übrigen Schriften und des Zeugnisses des Vaters in den Schriften - Unglaube, Ablehnung des Zeugnisses Auffälligkeiten - den größten Feinden Jesu ( Juden) kommt das größtes, umfassendste Zeugnis zu - Verzicht auf genaue Angaben erweckt Ein‐ druck, dass Umstände weniger wichtig sind als Zeugnis und dessen Inhalt - offenes und abruptes Ende und Unklarheit über Folgen und Auswirkungen stellen Leser vor die Frage, wie sie selbst auf Jesus, seine Aussagen und Zeugen reagieren 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 373 <?page no="375"?> - Erzähler will Leser zum Nachdenken über Jesus anregen und von Glaubwürdigkeit der Zeugen / Zeugnisse überzeugen Tabelle 12: Zeugnisszene 5.3: Schriften und Juden Szene 6 Joh 8,12-20 Zeugnisgeber Vater (πατήρ) Charakterisierung siehe oben bei Szene 5, Zeugnisgeber 1 - - Zeugnisempfänger Pharisäer (Φαρισαῖοι) Charakterisierung - eigenständiger und wiedererkennbarer Gruppencharakter - enge Verbindung mit „den Juden“, Teil der Juden, teilweise Übereinstimmung mit den Juden, treibende Kraft hinter den Juden, Sonderstellung unter den Juden - Auftraggeber der Priester, Leviten und Diener - den Hohepriestern untergeordnet - Bindeglied zwischen Volk und priesterlicher Oberschicht - angesehene, anerkannte (und gefürchtete) Gruppe - teilweise positive und Jesus gegenüber re‐ spektvolle Darstellung - haben Wissen über Jesu Herkunft von Gott, glauben aber nicht - (werden zu) Opponenten Jesu, halten ihn für Verführer - sind gut informiert, haben Spitzel im Volk - hinterhältig/ hinterlistig (wollen Jesus ver‐ suchen und anklagen) - fühlen sich Jesus überlegen, sind Jesus un‐ terlegen - arrogante, überhebliche Haltung - unwissend - kennen weder Gott noch Jesus - religiös, aber diesseitsorientiert - Ordnungs- und Gesetzeshüter - (werden zu/ sind) gespaltene(r) Gruppe: Un‐ glaube/ Glaube • Komplexität = sehr komplex (++) • Entwicklung = Entwicklung (+) • Fokalisierung = Fokalisierung (+) 374 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="376"?> Zeugnisakt Erzählter Zeugnismodus Vater legt Zeugnis ab durch den Sohn und durch die Werke • Gesprächsgattung natürlich-spontan • Konstellation der G.p. Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Vater > Pharisäer • Handlungsdimension direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. - Pharisäern ist Vater (und Jesus) unbekannt - Pharisäer sind Vater (und Jesus) vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt - Jesus, das göttliche bzw. von Gott kom‐ mende Licht (Heil) der Welt - Einheit mit dem Vater Erzählter Zeugnisort am Opferkasten im Tempelbezirk in Jerusalem; da, wo Jesus ist, redet und wirkt Erzählte Zeugniszeit während des Laubhüttenfestes Erzähltes Zeugnismotiv um Jesu Selbstanspruch, Identität und Herkunft zu bestätigen Erzählter Zeugniszweck Glaube und Nachfolge erzeugen - - Folgen und (Aus-)Wirkungen „viele glaubten an ihn“ Auffälligkeiten - Pharisäer und Juden haben von Anfang an bedeutende Rolle in der Erzählung - den größten Feinden Jesu kommt das größte, umfassendste Zeugnis zu - Zeugnisakt erfolgt im Tempel, dem Macht‐ zentrum und Ausgangspunkt der Aktivi‐ täten der Pharisäer Tabelle 13: Zeugnisszene 6: Vater und Pharisäer 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 375 <?page no="377"?> Szene 7 Joh 10,22-39 Zeugnisgeber Werke (ἔργα) Charakterisierung siehe oben bei Szene 5, Zeugnisgeber 2 - - Zeugnisempfänger Juden (Ἰουδαῖοι) Charakterisierung siehe oben bei Szene 5 - - Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus a) durch Erinnerung an Werke; b) durch Begeg‐ nung mit Jesus • Gesprächsgattung a) / b) natürlich-spontan • Konstellation der G.p. a) Zweiergespräch; b) Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit a) inwendig / privat; b) öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. a) / b) asymmetrisch: Werke ( Jesus) > Juden • Handlungsdimension a) narrativ / direktiv; b) direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. a) bekannt / vertraut; b) den Juden sind die Werke (und Jesus) unbekannt - die Juden sind Jesus vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. a) / b) nicht vorbereitet • Themafixiertheit a) / b) speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Jesus gibt ewiges Leben, hält die Seinen fest, ist eins mit dem Vater, ist vom Vater geheiligt und von ihm als Sohn Gottes in die Welt gesandt Erzählter Zeugnisort Säulenhalle Salomos im Tempel in Jerusalem; (da, wo Jesus ist und Werke wirkt) Erzählte Zeugniszeit Fest der Tempelweihe im Winter; (dann, wenn Jesus Werke wirkt) Erzähltes Zeugnismotiv als Reaktion auf die Anfrage, ob Jesus der Christus ist Erzählter Zeugniszweck um zum Glauben an Jesus einzuladen - - 376 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="378"?> Folgen und (Aus-)Wirkungen - wollen das offensichtliche Zeugnis der Werke nicht annehmen - wollen nicht glauben, verharren im Un‐ glauben - reagieren aggressiv auf das Zeugnis, wollen Jesus töten - wollen Jesus ergreifen - später: einige Juden folgen Jesus auf andere Seite des Jordans und glauben dort Auffälligkeiten - Zeugnis der Werke ist aufgrund dessen, dass es durch die Werke der Jünger und Gläubigen weitergetragen wird, bleibendes Zeugnis - während einige sich Jesus zuwenden und glauben, sind es „die Juden“, die im Un‐ glauben und Unverständnis verharren, Jesus feindlich gesinnt sind und seinen Tod beschließen und herbeiführen wollen - Unterscheidung zwischen Zeuge und Zeugnis: Zeuge (die Werke) sind geduldet und anziehend, Zeugnis(-inhalt) wird abge‐ lehnt und verworfen - Leser wird vor die Entscheidung gestellt, sich zu positionieren Tabelle 14: Zeugnisszene 7: Werke und Juden 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 377 <?page no="379"?> Szene 8 Joh 12,12-19 Zeugnisgeber Volksmenge 1 (ὄχλος) „die Volksmenge, die mit Jesus war, als er La‐ zarus […] auferweckte“ ( Joh 4,17) Charakterisierung - jüdisch - mitfühlend, mittrauernd mit Maria und Martha - teils kritisch, vorwurfsvoll, hinterfragend - teils die Liebe Jesu anerkennend - im Unterschied zu anderen Volksmengen sind sie nicht aus Neugier oder Schaulust bei Jesus - werden Augenzeugen der Totenauferwe‐ ckung - „viele“ glauben • Komplexität = nicht komplex (0) • Entwicklung = geringfügig (−) • Fokalisierung = geringfügig (−) Zeugnisempfänger Volksmenge 2 (ὄχλος) „die große Volksmenge, die zum Fest ge‐ kommen war“ ( Joh 4,12) Charakterisierung - religiös - euphorisch, enthusiastisch - begeistert, neugierig, Sensations- oder Schaulust treibt sie zu Jesus - während ein Teil zum Glauben an Jesus kommt, verharrt ein anderer Teil im Un‐ glauben • Komplexität = geringfügig (−) • Entwicklung = keine (0) • Fokalisierung = keine (0) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus - • Gesprächsgattung natürlich-spontan • Konstellation der G.p. Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. symmetrisch • Handlungsdimension narrativ • Bekanntheitsgrad der G.p. flüchtig bekannt / unbekannt / teilweise be‐ kannt • Grad der Vorbereitetheit der G.p. nicht vorbereitet 378 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="380"?> • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Ablauf und Tatsache der Auferweckung des Lazarus = die Wunderkraft Jesu Erzählter Zeugnisort Jerusalem Erzählte Zeugniszeit kurz (fünf Tage? ) vor dem Passahfest Erzähltes Zeugnismotiv erlebte Totenauferweckung und Wunderkraft Jesu in Bethanien Erzählter Zeugniszweck Begegnung mit Jesus („Kommt-und-seht“-Cha‐ rakter) - - Folgen und (Aus-)Wirkungen - Zeugnis weckt Interesse, Euphorie und Sen‐ sationslust - Zeugnis führt zur Begegnung mit Jesus - kein Glaube an Jesus Auffälligkeiten - zu Zeugen Jesu werden diejenigen, die zuvor zweifeln und sich über Identität Jesu im Unklaren sind (vgl. Szene 4) - Zeugnisgeber weichen hinter Zeugnis und Zeugnisempfängern zurück - Fokus ganz auf Zeugnisempfänger und Tat‐ sache und Folgen des Zeugnisses gerichtet - vorläufiges Ziel des Zeugnisses erreicht: Zeugnisempfänger begegnen Jesus - Begegnung der Zeugnisempfänger mit Jesus führt teilweise zum Glauben an ihn - anfängliche Euphorie ist keine Garantie für echten Glauben und Nachfolge Tabelle 15: Zeugnisszene 8: Volksmenge 1 und Volksmenge 2 Auch in der neunten Zeugnisszene liegt ein doppeltes Zeugnis vor: das Zeugnis des Geistparakleten vor den Jüngern und das zukünftige Zeugnis der Jünger vor der Welt. Im Folgenden sollen die beiden Zeugnisakte in zwei separaten Tabellen zusammengefasst werden: 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 379 <?page no="381"?> Szene 9.1 Joh 15,1-16,33 Zeugnisgeber 1 Geistparaklet (παράκλητος, τὸ πνεῦμα) Charakterisierung - von Vater und Sohn gesandt (nicht herbeige‐ rufen) - untrennbar mit Vater und Sohn verbunden - erfüllt Willen des Vaters und des Sohnes - kommt von oben her, um Neugeburt, Leben und Veränderung zu bewirken - parakletische Funktion als Beistand in Ewig‐ keit, Schützer, Helfer, Fürsprecher - Stellvertreter Jesu - lehrt und erinnert - „Geist der Wahrheit“ (Zeugnis stimmt mit Wahrheit überein) • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = geringfügig (−) • Fokalisierung = keine (0) Zeugnisempfänger 1 Jünger (μαθηταί) Charakterisierung - unterschiedliche, teils anonyme Gruppenmit‐ glieder - kulturell-religiös geprägte Gruppe - οἱ μαθηταί terminus technicus für Gruppe von Jesusnachfolgern - sind von Anfang bis Ende bei Jesus - folgen Jesus, bleiben bei Jesus, verlassen ihn aber in den schwersten Stunden - stehen in engem Lehrer-Schüler-Verhältnis zu Jesus - haben Respekt vor Jesus - sind überzeugt von Jesus - glauben an Jesus, teilweise zeigt sich aber ihr Unglaube - gehorchen Jesus - sind (Augen-)Zeugen der Zeichen und Wunder Jesu - haben teilweise hohe (Er-)Kenntnis über Jesus - haben teilweise Schriftkenntnis und Erinne‐ rung an Aussagen der Schrift - haben teilweise Unkenntnis, Unverständnis, Missverständnisse - sind verwundert, ratlos, mutlos, ängstlich, em‐ pört, besorgt, resigniert und murren - teilweise gespaltene Gruppe • Komplexität = sehr komplex (++) • Entwicklung = starke Entwicklung (++) • Fokalisierung = stark (++) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus zukünftig 380 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="382"?> • Gesprächsgattung natürlich-arrangiert • Konstellation der G.p. Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit nicht öffentlich / privat • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: Geistparaklet > Jünger • Handlungsdimension direktiv/ narrativ/ diskursiv • Bekanntheitsgrad der G.p. vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. speziell vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Bedeutung der Person Jesu Erzählter Zeugnisort unbekannt Erzählte Zeugniszeit unbekannt Erzähltes Zeugnismotiv Zur Belehrung und um menschlicher Vergesslich‐ keit entgegenzuwirken Erzählter Zeugniszweck - tieferes Verständnis der Person Jesu Christi - durch erweiterte, geistgewirkte (Er-)Kenntnis Jesu selbst Zeugen werden - - Folgen und (Aus-)Wirkungen - Zeugnis des Geistes ist offensichtlich abgelegt worden - Zeugnis des Geistes ist angenommen worden - Zeugnis des Geistes ist weitergegeben worden / wird weitergegeben durch JohEv Auffälligkeiten - erweiterte Erkenntnis Jesu leitet Zeugnisemp‐ fänger an, Zeugen zu werden - Geistparaklet ist fortwährender Zeuge, bis in Ewigkeit bei den Jüngern - Zeugnis des Geistes setzt sich im Zeugnis der Jünger fort - Zeugnis des Geistes und der Jünger wirkt als verschriftlichtes Zeugnis weiter Tabelle 16: Zeugnisszene 9.1: Geistparaklet und Jünger 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 381 <?page no="383"?> Szene 9.2 Joh 15,1-16,33 Zeugnisgeber 2 Jünger (μαθηταί) Charakterisierung siehe oben bei Szene 9, Zeugnisempfänger 1 - - Zeugnisempfänger 2 „Welt“ (κόσμος); gesamte Menschheit Charakterisierung - gespaltener Gruppencharakter - teilweise negativ dargestellt: • erkennt „Licht der Welt“ nicht • lehnt Schöpfer und Eigentümer ab, nimmt ihn nicht an, glaubt nicht an ihn • ist sündig • kennt Gott, Geist, Jesus nicht • hasst Jesus und seine Jünger • freut sich, wenn Jesus Welt verlässt • ist „von unten“ • rettungsbedürftig - teilweise positiv dargestellt: • von Gott geliebt • soll/ kann gerettet werden • kann/ soll erkennen, glauben und folgen • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = geringfügig (−) • Fokalisierung = Fokalisierung (+) Zeugnisakt - Erzählter Zeugnismodus zukünftig • Gesprächsgattung natürlich-spontan/ natürlich-arrangiert • Konstellation der G.p. Klein-/ Großgruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich / halb öffentlich / nicht öffent‐ lich / privat • Soziales Verhältnis der G.p. symmetrisch/ asymmetrisch: Jünger =/ >/ < „Welt“ • Handlungsdimension narrativ/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. unbekannt / flüchtig bekannt / gut bekannt / ver‐ traut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. speziell vorbereitet / routiniert-vorbereitet / nicht vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert - - Erzählter Zeugnisinhalt Zeugnis über Jesu Identität, Herkunft und Mission 382 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="384"?> Erzählter Zeugnisort unbekannt Erzählte Zeugniszeit unbekannt Erzähltes Zeugnismotiv Sendung und Beauftragung durch Gott Erzählter Zeugniszweck Welt soll durch Worte der Jünger glauben, dass Jesus vom Vater gesandt ist, damit Welt gerettet wird - - Folgen und (Aus-)Wirkungen - teilweise Hass der Welt - teilweise Annahme und Glaube der Welt Auffälligkeiten - Zeugnisempfänger werden direkt herausgefor‐ dert, Zeugen zu sein - Zeugesein ist durch Geist ermöglicht - Zeugen ( Jünger) erübrigen sich, treten hinter ihrem Zeugnis ( JohEv) zurück - Zeugnis wirkt im verschriftlichten Zeugnis weiter und hat Folgen Tabelle 17: Zeugnisszene 9.2: Jünger und Welt Da die Zeugnisszenen 10 und 11 in Bezug auf den Zeugnisgeber, die Zeug‐ nisempfänger und die Umstände des Zeugnisgebens beinahe identisch sind, sollen beide Szenen nachfolgend in einer Tabelle zusammengefasst werden. Wo Unterschiede oder erweiterte Angaben vorliegen, wird dies entsprechend aufgezeigt. Szenen 10 und 11 Joh 19,31-37 und Joh 21,24-25 Zeugnisgeber Jünger, den Jesus liebt (μαθητής ὃν ἠγάπα), Er‐ zähler / erzähltes Ich Charakterisierung - anonyme Figur - „geliebter“ Jünger - einer der ersten Jünger Jesu - vom Anfang bis Ende bei Jesu - folgt Jesus - Augenzeuge sämtlicher Reden, Zeichen, Wunder Jesu und der Schlüsselmomente des Lebens Jesu - besondere Beziehung zu und Vertrautheit mit Jesus - Teilhabe am Wissen Jesu - Sonderstellung unter Jüngern, Favoriten- oder Ausnahmerolle - Respekt und Ehrfurcht vor Jesus 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 383 <?page no="385"?> - mutig, zuverlässig, treu, loyal, bleibt bei Jesus - sieht und glaubt - wissens- und glaubensmäßig überlegen - idealer Zeuge (in der und durch die Erzählung) - bestmöglicher Autor und Erzähler • Komplexität = komplex (+) • Entwicklung = starke Entwicklung (++) • Fokalisierung = Fokalisierung (+) Zeugnisempfänger „ihr“ (ὑμεῖς); intendierte Rezipienten Charakterisierung - griechischsprachige, des Hebräischen nicht (mehr) mächtige Leser-/ Hörerschaft - allgemeines Wissen um ungefähre Position von Orten - keine detaillierte Kenntnis der Orte oder deren exakter geografischer Lage - teilweise Unkenntnis über gewisse Feste, Riten, Sitten und Gebräuche - Kenntnis des Alten Testaments; daher: Kenntnis einiger Begriffe, Bezeichnungen, Fi‐ guren, Ereignisse, Begebenheiten - Kompetenz, unvollständige Darstellungen zu verstehen und Lücken auszufüllen - gebildete, nicht jüdische oder dem Judentum entfremdete, vielleicht (schon) christusgläu‐ bige Leser-/ Hörerschaft • Komplexität = geringfügig (−) • Entwicklung = keine (0) • Fokalisierung = keine (0) Zeugnisakt - Zeugnismodus - • Gesprächsgattung - vonseiten des Erzählers (Zeugen): natürlich-ar‐ rangiert - für Zeugnisempfänger: natürlich-spontan oder natürlich-arrangiert • Konstellation der G.p. Groß-/ Kleingruppe • Grad der Öffentlichkeit öffentlich • Soziales Verhältnis der G.p. asymmetrisch: geliebter Jünger > intendierte Rezi‐ pienten • Handlungsdimension narrativ/ direktiv • Bekanntheitsgrad der G.p. bekannt / gut bekannt / vertraut • Grad der Vorbereitetheit der G.p. Zeuge: speziell vorbereitet Empfänger: nicht vorbereitet / speziell vorbereitet • Themafixiertheit speziell themafixiert 384 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="386"?> Zeugnisinhalt - „Glaube“ - Jesus gekreuzigt, gestorben und durchbohrt - Jesu Leiden und Sterben entsprechen dem alt‐ testamentlichen Zeugnis - Jesus ist alttestamentlich bezeugtes Passah‐ lamm bzw. Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt Speziell zu Joh 21,24-25: - entspricht dem Inhalt des JohEv Zeugnisort überall da, wo das JohEv gelesen/ gehört wird Zeugniszeit immer dann, wenn das JohEv gelesen/ gehört wird Zeugnismotiv Erleben des Leidens und Sterbens Jesu als Augen‐ zeuge Zeugniszweck - Zeugnis soll geglaubt werden - umfassender Glaube an Jesus soll erlangt werden - - Folgen und (Aus-)Wirkungen unbekannt Auffälligkeiten ---------- - Erzähler übermittelt Zeugnis direkt an inten‐ dierte Rezipienten - kein erzähltes Zeugnis, sondern unmittelbar schriftlich vorliegendes Zeugnis - unverkennbare Einladung zum Glauben an Jesus - Zeugnis blitzt auf, fordert zum Glauben heraus, während Zeuge anonym bleibt - Zeugnis und Übermittlung des Zeugnisses wichtiger als Zeuge - im Mittelpunkt der Erzählung steht das Zeugnis für Jesus - anhaltendes Zeugnis, das über erzählte Welt/ Zeit, Erzählung und Erzählzeit hinaus jeden zum Glauben ruft, der es hört oder liest - unerzählte Folgen und Auswirkungen fordern Leser zu eigener Reaktion auf Zeugnis heraus (Glaube/ Unglaube, Annahme/ Verwerfung) - Anonymität des geliebten Jüngers bietet Le‐ sern Möglichkeit, im Jünger die in der Erzäh‐ lung dargestellten Ereignisse mitzuerleben und selbst zum Zeugen zu werden - - Leser nicht nur Zeugnisempfänger, sondern zum Zeugesein herausgefordert Speziell zu Joh 21,24-25: - nicht Orts- oder Zeitangaben wichtig, sondern dass Zeugnis gegeben worden ist 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse 385 <?page no="387"?> - im Zentrum steht Zeugnis, das ein für alle Mal abgelegt/ niedergeschrieben worden ist und an‐ haltend „von diesen Dingen“, also der Person Jesu und dem, was „Jesus getan hat“ ( Joh 20,30; 21,25), zeugt - durch Lektüre erleben Leser Geschichte Jesu mit, sind bei erzählten Zeugnisakten anwe‐ send, sollen mit erzählten Zeugnisempfän‐ gern überzeugt werden und selbst zu Zeugen werden Tabelle 18: Zeugnisszenen 10 und 11: geliebter Jünger (Autor/ Erzähler) und Rezipienten 386 1 Tabellarischer Überblick über die Untersuchungsergebnisse <?page no="388"?> 2 nach H E N N E & R E H B O C K 2001. 2 Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten Ziel der vorausgehenden Untersuchung war es, die narrative Darstellung des Fremdzeugnisses für Jesus im JohEv zu untersuchen. Dazu wurden sämtliche Stellen und die dazugehörigen Erzählabschnitte ausgemacht und abgegrenzt, in denen durch die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία unverkennbar auf einen Zeugnisakt hingewiesen wird. Aus den aufgefundenen Zeugnisszenen wurden diejenigen analysiert, in denen Zeugnis für Jesus abgelegt wird - ausgenommen die Abschnitte, in denen ein Selbstzeugnis Jesu vorliegt. Mit Hilfe ausgewählter Analysemethoden der Narratologie und unter Berücksichtigung einiger Kate‐ gorien des kommunikativpragmatischen Kategorieninventars der Gesprächs‐ analyse 2 wurden in jeder Zeugnisszene nicht nur die erzählten Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger untersucht, sondern auch der erzählte Handlungsraum, die erzählte Zeit, der Zeugnisinhalt, der Zeugnismodus, das Zeugnismotiv, der Zeugniszweck sowie die Folgen und Auswirkungen, die die abgelegten Zeugnisse für bzw. auf die unmittelbaren erzählten Zeugnisempfänger und darüber hinaus für bzw. auf die intendierten Rezipienten des JohEv haben (sollen). Zur besseren Übersicht wurden die Ergebnisse der Untersuchung in den vorausgehenden Tabellen zusammengefasst. Im Folgenden sollen sie reflektiert und ausgewertet werden, um die Besonderheiten und Auffälligkeiten der narrativen Darstellung des Fremdzeugnisses für Jesus herauszustellen. Eine erste Eigenheit lässt sich bei den erzählten Zeugnisgebern und Zeugni‐ sempfängern erkennen. Während es sich bei den Zeugnisempfängern durchweg um menschliche Figuren oder Gruppencharaktere handelt, werden als Zeug‐ nisgeber auch nicht menschliche Zeugen angeführt, nämlich der Vater, der Geistparaklet, die Werke Jesu, die Schriften, und das in schriftlicher Form des JohEv vorliegende Zeugnis des geliebten Jüngers. Grund für die Anführung nicht menschlicher Zeugen ist die Tatsache, dass menschliche Zeugen und ihr Zeugnis in diversen Situationen nicht ausreichen, um das Handeln Jesu zu legitimieren und seine Identität, Herkunft und Mission zu bestätigen. Dazu bedarf es anderer, größerer und übermenschlicher Zeugen. Auffällig in Bezug auf die Zeugnisgeber und -empfänger ist zudem, dass den größten Opponenten Jesu, den Juden und den Pharisäern, in prozessähnlichen Auseinandersetzungen, ihrem Gesetz entsprechend, ein zweifaches oder sogar <?page no="389"?> vierfaches Zeugnis entgegengestellt wird. In Joh 5,14-47 werden den Juden das Selbstzeugnis Jesu sowie die Zeugnisse des Vaters, der Werke und der Schriften, in Joh 8,12-20 den Pharisäern das Selbstzeugnis Jesu und das Zeugnis des Vaters vorgehalten. In allen anderen Szenen, in denen ein missionarisch-einladendes oder religiös motiviertes Zeugnis für Jesus im Vordergrund steht, wird lediglich eine Figur oder ein Gruppencharakter als Zeuge für Jesus angeführt. Fasst man neben den Beobachtungen zur narrativen Darstellung der er‐ zählten Zeugnisgeber und Zeugnisempfänger die Beobachtungen zu den er‐ zählten Handlungsräumen zusammen, so fällt auf, dass sich alle prozessähn‐ lichen Zeugnisakte im Tempel(-bezirk) auf dem Jerusalemer Tempelgelände abspielen ( Joh 5,14-47; 8,12-20; 10,25-39). Hier, im Machtzentrum der Gegner und im „Haus des Vaters“ Jesu (vgl. Joh 2,16), werden das Wirken, die Herkunft und die Identität Jesu am stärksten infrage gestellt, zugleich aber auch am häufigsten und durch die meisten Zeugen bestätigt. Exemplarisch vollzieht sich hier im Kleinen, was auch im Großen geschieht: Jesus kommt in das Seine, in das Eigentum und Haus seines Vaters, aber die Seinen nehmen ihn nicht an ( Joh 1,11). Neben dem Tempel als Ort des Zeugnisgebens werden in der Erzählung nur noch Jerusalem ( Joh 12,12-19), Bethanien ( Joh 1,19-35) und Samaria ( Joh 4,28-42) als Orte genannt, an denen Zeugnis abgelegt wird. Im Zusammenhang mit den übrigen Zeugnisakten, vor allem mit den Zeugnissen, die aus Sicht der erzählten Zeit zukünftig abgelegt werden, macht der Erzähler keine Angaben über die Zeugnisorte. Was die erzählte Zeit der Zeugnisakte betrifft, zeigt sich hier folgende Beson‐ derheit: Während vier Zeugnisse (von denen drei zu den Zeugnissen zählen, die forensisch-juristischen Charakter aufweisen) genau an einem oder kurz vor einem besonderen Fest der Juden abgelegt werden - in Joh 5,14-47 wird das Zeugnis am Sabbat abgelegt, kurz vor oder nach dem Passahfest, in Joh 8,12-20 während des Laubhüttenfestes, in Joh 10,22-39 am Fest der Tempelweihe und in Joh 12,12-19 kurz vor dem Passahfest -, wird vom Erzähler in allen anderen Zeugnisszenen keine oder nur eine sehr ungenaue Angabe darüber gemacht, wann die Zeugnisse abgelegt werden. Diese Ungenauigkeit, die vor allem in den religiös motivierten Zeugnisszenen vorliegt, lässt darauf schließen, dass es dem Erzähler in diesen Szenen weniger um genaue Zeitangaben geht als vielmehr um die Tatsache, dass Zeugnis für Jesus abgelegt wird. Wendet man sich den Zeugnisinhalten zu, so hat die Untersuchung ergeben, dass die Inhalte der einzelnen Zeugnisse immer speziell themafixiert sind und zusammengenommen ein umfassendes Bild von und Zeugnis über die Herkunft, Mission und Identität Jesu ergeben. Den erzählten Zeugnissen zufolge ist Jesus 388 2 Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten <?page no="390"?> das göttliche bzw. von Gott kommende, über allem stehende Licht und Heil der Welt. Er ist eins mit dem Vater und der vom Vater geliebte, geheiligte und in die Welt gesandte Sohn Gottes, der Christus. Auf ihm ruht der Geist Gottes und er ist es, der mit Heiligem Geist tauft. Mit außerordentlicher Vollmacht, Kraft und Allwissenheit ausgestattet, ist es Jesus, der die Werke des Vaters in der Einheit mit dem Vater vollbringt. Sein eigenes Leben gibt Jesus hin: Er ist der Gekreuzigte, Gestorbene und Durchbohrte, dessen Leiden und Sterben dem alttestamentlichen Zeugnis entsprechen, wodurch er sich als das alttestamentlich bezeugte Passahlamm bzw. Lamm Gottes auszeichnet, das die Sünde der Welt trägt. Weil er das Leben ist und Leben in sich selbst hat, schenkt er ewiges Leben jedem, der an ihn glaubt. Deswegen sind der direkte oder indirekte Aufruf und das Ziel der meisten Zeugnisse, selbige anzunehmen und dadurch an Jesus zu glauben. Bei den Zeugnismotiven bzw. den Gründen, warum Zeugnis für Jesus abgelegt wird, lässt sich ebenfalls eine Eigenheit erkennen. Abgesehen von den prozess‐ artigen Zeugnisszenen 5-7 ( Joh 5,14-47, Joh 8,12-20 und Joh 10,25-39), bei denen Zeugen auftreten, weil die Taten und die Identität Jesu infrage gestellt werden und diese durch Zeugen legitimiert und beglaubigt werden sollen, lässt sich bei den übrigen Zeugnissen folgende Besonderheit erkennen: Johannes der Täufer ( Joh 1), der Geistparaklet und die Jünger ( Joh 15) legen Zeugnis für Jesus ab, weil sie von Gott dazu berufen, beauftragt und gesandt sind. Die Samaritanerin ( Joh 4), die Volksmenge ( Joh 10) und der geliebte Jünger ( Joh 19; 21) legen Zeugnis ab, weil es zwischen ihnen und Jesus zu einer unerwarteten, aber eindrücklichen Begegnung gekommen ist, die sie anspornt und motiviert, Zeugnis für Jesus abzulegen. Bei allen Zeugnissen, abgesehen von den oben genannten, gibt es in der gesamten Erzählung also nur zwei Motive für das Zeugnis für Jesus: die direkte Sendung und Beauftragung durch Gott oder die direkte Begegnung mit Jesus. Neben den Beobachtungen zu den Zeugnisinhalten, Zeugniszielen und Zeug‐ nismotiven lassen sich auch aus der Untersuchung der Zeugnismodi Beson‐ derheiten und auffallend viele Übereinstimmungen erkennen. Die Gesprächs‐ gattung ist fast durchweg natürlich-spontan, nicht natürlich-arrangiert. Nur bei Zeugnissen, die aus Sicht der erzählten Zeit zukünftig abgelegt werden, lassen sich keine Angaben über die Gesprächsgattung erkennen. Vom Grad der Öffentlichkeit her finden sämtliche Zeugnisgespräche - außer das Zeugnis der Werke in der Erinnerung und die zukünftigen Gespräche, über die keine genauen Angaben gemacht werden können - öffentlich statt und weisen einheitlich vom sozialen Verhältnis der Gesprächspartner ausgehend ein asym‐ metrisches Verhältnis auf. Dieses beruht darauf, dass die Zeugnisgeber als 2 Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten 389 <?page no="391"?> Zeugen und aufgrund ihres Wissens und ihrer (Er-)Kenntnis Jesu im Zeugnisge‐ spräch einen Informations- und Wissensvorsprung vor den Zeugnisempfängern haben und ihnen daher überlegen sind. Auch bei der Handlungsdimension der Zeugnisgespräche lässt sich eine erstaunliche Übereinstimmung darin erkennen, dass beinahe alle Zeugnisse eine direktive Dimension aufweisen und zur Annahme des Zeugnisses, zur Begegnung mit Jesus oder zum Glauben an Jesus einladen. Eine Ausnahme bildet möglicherweise Szene 8 ( Joh 12,12- 19), wo sich im Zeugnis der Volksmenge nicht ohne Weiteres eine direktive Handlungsdimension nachweisen lässt. Ebenfalls einheitlich ist der Grad der Vorbereitetheit der Gesprächspartner. Auch wenn in manchen Fällen eine Seite der Gesprächsteilnehmer als speziell vorbereitet angesehen werden kann oder bei zukünftigen Zeugnisgesprächen die Möglichkeit besteht, dass beide Seiten der Gesprächsteilnehmer speziell vorbereitet sind, so lässt sich bei fast allen erzählten Zeugnisgesprächen übereinstimmend erkennen, dass nie beide Seiten speziell vorbereitet sind. Immer zeigt sich, dass eine oder häufig sogar beide Seiten nicht auf das Zeugnisgespräch vorbereitet sind. Dies deckt sich mit der oben genannten Beobachtung, dass fast alle Zeugnisgespräche von ihrer Ge‐ sprächsgattung her natürlich-spontan sind. Eine besondere Übereinstimmung lässt sich darüber hinaus in der Themafixiertheit der Zeugnisgespräche erkennen: Die Zeugnisse sind, wie oben erwähnt, durchweg speziell themafixiert. Sie alle sind, wenn auch auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Schwerpunkten, auf Jesus sowie seine Person, Identität, Herkunft und Mission ausgerichtet. Gerade dazu werden die Zeugnisse angeführt: Jedes einzelne soll seinen Beitrag zum großen, ganzen Zeugnis für Jesus im JohEv leisten und gemeinsam mit allen erzählten Zeichen und Wundern bezeugen, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. Neben allen Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zwischen den Zeugni‐ sakten und den Umständen des Zeugnisgebens lassen sich nur in zwei Bereichen Unterschiede erkennen. Zum einen liegt in jedem Zeugnisakt ein anderer Grad der Bekanntheit zwischen Zeugnisgebern und Zeugnisempfängern vor; manchmal variiert der Grad der Bekanntheit sogar innerhalb eines Zeugnisge‐ sprächs zwischen dem Zeugen und den unterschiedlichen Zeugnisempfängern, sodass in diesem Bereich keinerlei Übereinstimmung, Ähnlichkeit oder Schema erkennbar ist. Wesentlich bedeutender sind im Vergleich dazu die Unterschiede in den Folgen und Auswirkungen der abgelegten Zeugnisse. Während der Erzähler in den ersten drei Szenen keine direkten Angaben über die Folgen der Zeugnisse des Täufers macht, zeigt sich in der vierten Szene in Joh 4 eine ganze Kette von Folgen und Auswirkungen des Zeugnisses der samaritanischen Frau, was letztendlich bei den Zeugnisempfängern zu einem über das Zeugnis der 390 2 Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten <?page no="392"?> Frau hinausgehenden Glauben an Jesus führt. In den Szenen 5-7 wird teils vom Glauben, teils vom Unglauben der Zeugnisempfänger berichtet. In der achten Szene ( Joh 12,12-19) lässt sich, ähnlich wie in Joh 4, eine Kette von Folgen des das Zeugnis der Volksmenge erkennen - am Ende steht hier aber nicht der Glaube, sondern der Unglaube der zunächst so euphorisch dargestellten zweiten Volksmenge. Den Szenen 9-11 lassen sich keine Angaben über Folgen und Auswirkungen entnehmen, weil die Zeugnisse aus Sicht der erzählten Zeit erst zukünftig abgelegt werden und somit deren Folgen nicht überschaubar sind. Trotz der unterschiedlichen Folgen und der teilweisen Ungenauigkeit bei den Angaben über die Auswirkungen der abgelegten Zeugnisse lässt sich insofern eine Übereinstimmung erkennen, als letzten Endes nur zwei Reaktionen (und Reaktionsmöglichkeiten) auf die Zeugnisse aufgezeigt werden: Die Zeugnisse werden entweder angenommen und geglaubt, was die Zeugnisempfänger (wenn auch manchmal nur vorübergehend) zum Glauben an Jesus führt, oder sie werden abgelehnt und verworfen, was zur Folge hat, dass die Zeugnisempfänger in ihrem Unglauben verharren. Beide Reaktionsmöglichkeiten auf die Zeugnisse und deren Inhalt werden von Beginn der Erzählung an präsentiert (vgl. Joh 1,10- 11) und durch die ganze Erzählung hindurch thematisiert. Immer wieder stehen die erzählten Zeugnisempfänger und mit ihnen die intendierten Rezipienten des JohEv vor der Entscheidung, den Zeugnissen Glauben zu schenken und somit an Jesus zu glauben oder aber die Zeugnisse zu verwerfen und im Unglauben und in der Ablehnung Jesu zu verharren. Der Wunsch des Erzählers und das Ziel der Zeugnisse für die Zeugnisempfänger sind aus der Erzählung eindeutig erkennbar: Die Zeugnisse sollen für wahr befunden werden und alle sollen die Zeugnisse annehmen und glauben. 2 Zusammenfassung der Besonderheiten und Auffälligkeiten 391 <?page no="394"?> 3 Ergebnisse der Untersuchung Die Untersuchung der narrativen Darstellung des Fremdzeugnisses für Jesus im JohEv hat zu den im Folgenden aufgeführten Ergebnissen geführt. Bei den durch die Lexeme μαρτυρεῖν und μαρτυρία angezeigten Zeugnisakten des JohEv kann zwischen zwei Zeugnistypen unterschieden werden. Auf der einen Seite stehen die Zeugnisse in den Szenen 5 ( Joh 5,14-47), 6 ( Joh 8,12-20) und 7 ( Joh 10,25-39), in denen das Zeugnisgeben unter prozessähnlichen Umständen geschieht. Zu diesen Szenen macht der Erzähler genauere Orts- und Zeitangaben und führt gemäß der frühjüdischen Rechtsprechung zwei oder mehrere Zeugen an. Dabei treten in diesen Szenen vor allem eine Rechtfertigung der Taten Jesu und die Bestätigung seiner Herkunft und Identität in den Vordergrund. Auf der anderen Seite stehen die übrigen acht Zeugnisszenen, die sich vor allem durch ein missionarisch-einladendes bzw. religiös motiviertes Zeugnisgeben auszeichnen. Es zeigt sich, dass es dem Erzähler in diesen Szenen und bei diesem Zeugnistyp nicht so sehr um genaue Orts- und Zeitangaben oder um eine detaillierte Darstellung der näheren Umstände des Zeugnisgebens geht, sondern vielmehr um den Inhalt des Zeugnisses und darum, dass Zeugnis abgelegt wird. Dabei fällt bei diesen missionarisch-einladenden Zeugnisakten zudem auf, dass nicht so sehr die Zeugen im Vordergrund stehen, sondern vielmehr die Zeugnisse und deren Inhalt. Deutlich ist zu erkennen, dass die Zeugen hinter ihren Zeugnissen verschwinden oder sich selbst, nachdem sie ihr Zeugnis abgelegt haben, überflüssig machen, sodass der Erzähler sie nach und nach aus der Erzählung nehmen kann. Gerade das macht aus Sicht des Erzählers einen Zeugen für Jesus aus: Seine Aufgabe und sein Auftrag bestehen darin, auf Jesus hinzuweisen und zu ihm einzuladen, um nach Erfüllung dieses Auftrags in den Hintergrund zu treten. Dies zeigt sich ● bei Johannes dem Täufer, der zunehmend, nachdem er sein Zeugnis abgelegt hat, vom Erzähler aus der Erzählung genommen wird und selbst den markanten Satz prägt: „Er muss zunehmen, ich aber muss abnehmen“ ( Joh 3,30); ● bei der samaritanischen Frau, die, nachdem sie die Bewohner der Stadt zu Jesus eingeladen und zu ihm geführt hat, in der Erzählung nicht mehr erwähnt wird; ● bei der Volksmenge, die die Auferweckungskraft Jesu erlebt hat, diese bezeugt und die andere Volksmenge zu Jesus einlädt, dann aber nicht mehr genannt wird; <?page no="395"?> 3 G N I E S M E R 2000, 131−135. ● beim Geistparakleten, der sein Zeugnis in und durch die Jünger weiterführen wird und dadurch in gewisser Weise hinter die Jünger zurücktritt, während die Jünger wiederum später selbst hinter dem verschriftlichten Zeugnis des JohEv zurücktreten; und ● beim geliebten Jünger, der in der Erzählung durchweg anonym bleibt, als Erzähler und Autor die erzählten Zeugnisse präsentiert, selbst aber hinter ihnen „unsichtbar“ verharrt, um sich nur an zwei Stellen direkt an die intendierten Rezipienten zu wenden, um punktuell sein Zeugnis für Jesus abzulegen. Alle genannten Zeugen der missionarisch-einladenden bzw. religiös motivierten Zeugnisszenen (die Szenen 1-4 und 8-11) weisen ebendiese Eigenart auf. Dadurch verdeutlicht der Erzähler, was für das Fremdzeugnis für Jesus von entscheidender Bedeutung ist: Es geht nicht so sehr um den Zeugen - vielleicht liegt hierin auch ein Grund dafür, dass der Begriff „Zeuge“ (μάρτυς) im JohEv nicht verwendet wird -, sondern vielmehr um das „Zeugnisgeben“ (μαρτυρεῖν), um das „Zeugnis“ (μαρτυρία) und vor allem um den Inhalt des Zeugnisses, nämlich um Jesus, den Christus, den Sohn Gottes, auf den das Gesamtzeugnis des JohEv ausgerichtet ist. Er selbst sowie seine Identität, Herkunft und Mission werden durch jedes Zeugnis und durch die ganze Erzählung hindurch immer wieder bezeugt, mit dem gleich zu Beginn der Erzählung genannten und scheinbar programmatischen Ziel, dass alle glauben mögen. Dass sich der Wunsch und die Aussage, dass alle glauben mögen, auch auf die intendierten Rezipienten und Leser beziehen, ist der Erzählung und der Art und Weise der Darstellung der erzählten Zeugnisse deutlich zu entnehmen. Es fällt auf, dass durch die erzählten Zeugnisse nicht nur die erzählten Zeugnis‐ empfänger vor die Entscheidung gestellt werden, den Zeugnissen zu glauben oder nicht; auch und gerade die intendierten Rezipienten und Leser werden mit in die Erzählung und die Zeugnisakte hineingenommen und zweimal vom Erzähler direkt angesprochen. Diese Beobachtung deckt sich mit den Aussagen, die Gniesmer in Anlehnung an Ricœur über „das Ziel des Erzählens“ macht. 3 Passend zu der eben genannten Feststellung, dass die Rezipienten mit in die Er‐ zählung hineingenommen und vor eine Entscheidung gestellt werden, schreibt Gniesmer, wenn auch in einem anderen Zusammenhang: „Sie [die Leser] werden in der Konfrontation mit der vom Text entworfenen Welt selbst in den Prozeß [und die Zeugnisakte] hineinverwickelt, in Frage gestellt, zur Entscheidung, zur Antwort auf die Erzählung [und das Zeugnis] herausgefordert. So kann man 394 3 Ergebnisse der Untersuchung <?page no="396"?> 4 G N I E S M E R 2000, 136. in einem dritten Sinne von einem Weiterwirken des Prozesses Jesu [und der Zeugnisse] sprechen.“ 4 Das im JohEv dargestellte Fremdzeugnis für Jesus tritt also durch die Erzäh‐ lung und über sie hinaus an die Leser heran. Es kommt zu einer Begegnung zwischen dem Text und den Lesern, zwischen den Zeugnissen und den Lesern, letztlich zwischen dem bezeugten Jesus und den Lesern und jeder Einzelne von ihnen wird herausgefordert und ermutigt zu glauben, dass die Zeugnisse wahr sind und dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes. 3 Ergebnisse der Untersuchung 395 <?page no="397"?> Bibelstellenverzeichnis Altes Testament Gen- 1,1-73 29,34-107 Ex- 3,14-294 12,46-169, 349 14,16-110 14,22-110 15,24-240 15,25-239 16,2-240 16,4-239 16,7-240, 294 16,8-240 17,1−7-170 17,3-294 20,20-239 40,12−15-107 Lev- 10,10-107 16,1−34-107 Num- 9,12-349 14,2-294 14,27-294 14,36-294 18,1−7-107 20,2−13-170 35,30-112, 202 Deut- 13,13-239 17,6-112, 202 18,15-239 19,15-112, 202 33,10-107 Jos- 3,16-110 157-270-270 236-270 237-240-270 238-268, 270 239-270 240-270 f. 242-271 3-110 2Kön- 2,8-110 17,28−41-134 25,23-76 1Chr- 25-107 26,3-76 2Chr- 30,17-250 Esr- 10,6-76 Neh- 6,18-76 8,7-8-107 12,22-76 Hi- 16,2-262 Ps- 36,10-223 69,9-154 77,16-170 77,20-170 <?page no="398"?> Spr- 30,4-257 Pred- 11,5-257 Weish- 7,27-257 Sir- 16,21-257 Jes- 9,2-121 11,2-257 32,15-18-121 40,3-5-110 42,1-257 42,6-223 44,3-5-121 48,21-170 49,6-223 52,6-136 54,13-154 55,1-170 57,18-262 60,1-223 61,1-121, 257 Jer- 40,8ff.-76 Hes- 14,14-20-280 Hos- 2,16ff.-110 11,8-262 Sach- 1,13-262 12,10-169, 349 Mal- 2,7-107 Deuterokanonische Schriften PsSal- 17,21ff.-239 17,37-257 18,8-257 Bibelstellenverzeichnis 397 <?page no="399"?> Philo Flacc-275 1-19-275 12-275 125-191-277 13-268, 275, 277 14-276 146-151-277 151-268, 275, 277 f. 181-268, 275, 277 f. 183-191-278 20-96-275 22-268, 275, 277 22−23-276 23-268, 275 97-191-275 VitMos- II,109-135-271 II,133-271 II,134-268, 271 f., 277 OpMund-268 151-169-269 15-25-268 165-268 f. 23-268, 277 Praem-274 162-172-274 163-274 164-274 165-274 166-268, 274, 277 166−167-274 1-78-274 79-161-274 SpecLeg-272 I,1-31-272 I,162-256-272 I,226-246-272 I,235-273 I,236-273 I,237-268, 272 f. I,32-345-272 398 Bibelstellenverzeichnis <?page no="400"?> Neues Testament Mt- 3,17-156 10,2−4-289 12,8-189 17,5-156 Mk- 1,11-156 1,10-256 1,19-330 1,20-330 3,16−19-289 3,17-330 9,7-156 10,35-330 13,11-311 Lk- 1,3-347 3,22-156 6,14−16-289 9,52-127 9,35-156 16,23-320 24,49-300 Joh- 1,7-17, 76 f., 87, 91, 94, 100, 123, 152 1,51-22, 342 1,1-34-44 1,1-18-73, 105, 154, 361 1,28-73, 80, 108 f., 119, 289, 341 1,1-73, 158 1,4-74, 196 1,5-74, 158, 308 1,15 74, 77 f., 81, 87 f., 95, 97, 99, 102, 105 1,19 74, 78, 87, 105 f., 108, 112, 173-176, 185 f., 207 f. 1,32-74, 80 f., 87, 117, 120, 256 f., 290 1,34-74, 80 f., 87 f., 91, 102, 118, 122 1,6-7-74 1,1-5-75 1,31-76, 81, 95 1,6-76, 79, 88, 90, 101 1,4-5-77 1,8-9-77 1,8-77, 89, 91, 102 1,7-8-77 1,6-8-77, 97 1,19-28-78, 92, 105, 110, 113, 363 1,29-34-78, 80, 92, 117 f., 289, 365 1,35-42-78, 82, 117 1,19−28-78, 80, 90, 105, 125 1,29−34-78, 105, 125 1,20-23-78 1,25-26-78, 108 1,22-78, 174 1,25-78, 80, 108 1,23-78 ff., 85, 110, 176, 342 1,20-79, 85, 89, 91, 102 1,21-79, 89, 91, 102, 110, 134, 342 1,33-80 ff., 90, 113, 118, 122, 158, 256 1,27-80 f., 85 1,29-80 f., 84, 95, 110, 117, 119, 122, 250, 289, 308, 342, 349 1,30-80 f., 118 1,26-81 f., 113 1,35 82, 84, 110, 118, 250, 288 f., 334, 349 1,40-82 f., 290, 343 1,38-83, 290, 340, 342 1,49-83, 291, 342 1,37-83, 288 f., 335 1,36-84, 289, 342 1,19ff.-84 1,24-87, 107, 174, 185 f., 206-210, 217 1,7-8-91, 97 1,35-37-92 1,3-92 1,9-94, 113, 223, 307 Bibelstellenverzeichnis 399 <?page no="401"?> 1,14-95, 113, 284, 313 1,19-37-100 1,18-101, 113 f., 154, 157, 159, 304, 320 f. 1,10-12-101, 103 1,35-39-101, 335 1,6-9-105 1,19-25-105 1,19-24-108 1,10-108, 284, 308 1,26-27-108, 112 1,1f.-113 1,29-31-120 1,32-34-120 1,1−18-125 1,39-142, 290, 335 1,46-142 1,1-3-154 1,17-154, 284 1,12-157, 308 1,13-157, 257 1,19-12,50-157 1,11-179, 254, 285, 308, 388 1,37-43-241 1,11-12-243 1,43-250, 289, 291 1,35-51-289 1,43-51-291, 343 1,45-291, 341 1,41-306, 340, 342 1,37-40-335 1,35-40-336 1,42-340, 343 1,44-341 1,19-35-388 1,10-11-391 2,13-25-44 2,25-66, 239 2,24-93, 196 2,13-125, 175, 178, 250, 292 2,8-128 2,9-128 2,7-128, 303 2,1−12-147 2,11-151, 292 2,16-154, 156 f., 193, 388 2,22-168, 292, 299, 303, 343 2,6-175, 177, 342 2,18-175 2,19-175 2,20-175 2,23-175, 190, 208 2,14-18-193 2,23−25-238 2,2-289 2,1-12-292 2,12-292, 341 2,17-292, 296, 299 2,4-323 f., 343 2,1-341 3,11-21-44 3,31-36-44, 86 3,28-52, 66, 85 3,11-66 3,32-33-66 3,27-75 3,25-82, 84, 177, 288 3,26-83 f., 87 f., 93 3,22-36-83 3,22-83, 125, 177, 293, 341 3,23-83, 341 3,24-84, 88 3,27-36-85 3,29-85 3,30-86 f., 102, 393 3,31-86 3,34-86, 158, 256, 259, 303 3,34-36-86 3,26-30-92 400 Bibelstellenverzeichnis <?page no="402"?> 3,35-92, 156 f. 3,15-16-93 3,20-93 3,15-17-95 3,16-156 ff., 196, 309, 313 3,36-156, 158, 196, 243, 252, 258, 341 3,3-8-157 3,33-160 3,1-176, 179, 190, 208, 211, 342 3,10-176, 208 3,2-177, 208 f., 286 3,15-196 3,21-209 3,18-243, 252, 258 3,32-33-255 3,5-256 f. 3,13-257 3,3-257 3,6-257 3,17-309, 312 3,14-349 4,44-52, 255 4,29-80, 92, 142 ff. 4,42-80, 129, 142, 145 f., 309 4,1-2-86 4,39-92, 126, 139, 143, 145 f. 4,28-30-125 f., 140 4,39-42-125 f., 139 f. 4,7-125 f., 128, 132, 140 4,1-42-125 4,4-27-125 4,27-125, 137, 293, 299 4,28-125, 127, 137, 139 f. 4,30-126, 145 4,31-38-126, 145 4,1-27-126 4,9-126, 128, 132, 138, 175, 178, 342 4,4-5-126 4,5-127, 342 4,8-127 f., 293 4,7-9-128 4,22-129, 135, 139, 175, 178 4,10-130, 132, 258 4,12-130, 139, 342 4,15-132 4,11-132 4,16-132, 158 4,17-133 4,18-133 4,20-24-135 4,21-135, 343 4,25-135 f., 342 4,23-135, 343 4,21-22-135 4,24-135, 159 f., 257 4,26-137, 158 4,29-42-137 4,40-139, 145 4,20-139 4,31-145, 293 4,41-145 f. 4,46−54-147, 238 4,54-151, 177 4,19-22-154 4,34-158, 161 f., 166 f., 199 4,3-177 4,47-177 4,1-209 f., 217 4,23-24-256 4,14-258 4,2-293 4,33-293 4,43-5,47-293 4,4-341 4,46-341 4,31-42-367 4,28-42-388 5,1-47-44 Bibelstellenverzeichnis 401 <?page no="403"?> 5,31-57, 151 f., 205, 255 5,34-75, 88, 90, 151 f. 5,35-77, 88 5,33-77, 87 ff., 113, 151 f. 5,31ff.-86 5,36-87, 151, 153, 157, 161 f., 164 f., 167, 199 ff., 302, 312 5,33-34-87 5,20-92, 157, 161 5,19-30-93, 193 5,23-93, 95, 153 5,22-23-95 5,5−15-147 5,17-47-151, 202, 227 f., 237 5,32-151, 153, 160 f., 194, 220, 302, 312 5,37 151, 153 f., 159, 194 ff., 198, 222, 255, 302, 312 5,39-151, 168 f., 197 f., 302 f., 312 5,1-14-151 5,15-16-151 5,17-153 f., 179, 195 5,30-153, 158, 195 5,38-153 5,44-154 5,46-154, 198, 303 5,37-47-154 5,16-18-154 5,17-18-154 5,18-155 f., 179, 184, 187 f., 192, 195, 217 5,16-155, 158, 179 5,26-156, 195 f. 5,22-157, 195 5,27-157, 195 5,19-157, 195 5,24-158, 196, 198, 258 5,33-35-161 5,1-9-163 5,15-18-172 5,1-175, 178, 238 5,10-178, 215 5,11-178 5,14-178, 193 5,15-178 5,14-47-192, 369, 371 f., 388 f., 393 5,13-193, 237 f. 5,1-2-193 5,9-193 5,47-193, 201, 203 5,31-47-193 5,20-23-195 5,28-195 5,45−47-198 5,40-199 5,1−9-238 5,21-258 5,2-340 f. 5,7-341 5,25-343 6,14-80, 134, 239 6,42-80 6,50-80, 157 6,58-80 6,45-95 f., 154 6,57-156 6,32-156 f. 6,27-157 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241 f. 7,35-179, 184, 241 7,32-182, 184, 210, 215, 217 f., 235, 241, 243, 342 7,30-184, 210, 235, 343 7,44-184, 235 7,19-20-184 7,52-198 7,25-31-210 7,12-210 f., 217, 241, 243 7,45-210 f. 7,45-53-210 7,46-211 7,48-211 7,51-211 7,34-211 7,24-213 7,43-217, 241 f. 7,45ff.-217 7,37ff.-220 7,14-221, 242 7,10-241 7,20-241 ff. Bibelstellenverzeichnis 403 <?page no="405"?> 7,49-241 f. 7,12ff.-241 7,11-13-242 7,40-41-242 7,38-39-258 f. 7,39-259 7,71-289 7,1-7-309 8,31f.-23 8,14-152, 154 f., 205, 213, 215, 284, 308 8,13-152, 205, 213, 217, 224, 257 8,54-154, 156 8,21-155, 214, 216, 224 8,27-156 8,28-157 8,19-159, 196, 213 f., 222 8,55-159, 308 8,38-159 8,26-160 8,59-164, 180, 182, 188, 193, 217, 235 8,30-179, 190, 214, 224 8,31-179, 190, 214, 292 8,12-59-180, 213 8,12-20-180, 205 f., 215, 220, 225, 255, 374, 388 f., 393 8,22-180, 184, 214, 224 8,30-31-180 8,48-180, 182, 184, 243 8,52-180, 182, 184, 243 8,13ff.-182 8,57-184 8,37-184, 187 8,40-184, 187 8,1-21-185 8,22ff.-185 8,20-193, 217, 220, 224, 341, 343 8,16-194, 206 8,18-194, 205 f., 213, 220, 255, 302, 312 8,17-205 f., 213 8,3-205, 212, 221, 224 8,7-205 8,12−20-212 8,4-212 8,6-212 8,9-212 8,12-213 f., 222 f., 241, 308 8,15-213, 215 8,2-221 8,35-257 8,42-284 8,29-286 8,23-309 8,33-58-342 9,1-44-33 9,1-10,39-44 9,8-80 9,9-80 9,19-80 9,20-80 9,1−40-147 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234 f. 10,4-241 10,40-89, 341 10,40−42-109 10,40-41-89 10,40-42-86 10,41-89 10,42-235 10,5-241 11-190, 217, 247 f., 295 11,1-341 11,13-299 11,14-295 11,1-44-165 11,16-295 11,18-247, 341 11,19-182, 247 f. 11,22-157 11,23-26-136 11,25-196 11,25-27-295 11,26-196 11,3-327 11,31-182, 247 11,33-182, 247 11,36-183 11,37-183 11,4-156 11,40-295 11,41-247 11,42-158, 200 f., 237, 246 ff., 295 11,45-179, 183, 190, 235, 244, 246, 248, 251, 295 11,45-57-186 11,46-183 f., 217 11,47-53-186 11,47-57-44 11,49-342 11,5-327 11,51-52-96 Bibelstellenverzeichnis 405 <?page no="407"?> 11,53-184, 187 11,54-183 f., 247, 249, 341 11,55-175, 184, 245, 249 f., 341 11,57-182, 184, 210, 217 11,6-145 11,7-177 11,8-182, 293, 295 11-12-184 1-12-43 f. 12-183, 190, 237, 243 f., 253 12,1-175, 245, 249 f., 341 12,11-179, 183, 190, 235, 244 12,1-11-243, 246, 249 12,12-244 ff., 249 f., 289 12,12-13-252 12,12-19 236 f., 244, 249 f., 253, 378, 388, 390 f. 12,13-188, 245, 249 12,13-17-183 12,16-296, 299, 303 12,17-52, 244, 246-251, 253 12,18-245, 249, 251 f. 12,19-183, 217, 254, 309 12,21-309 12,23-156 12,24-166 12,26-157 12,27-157 12,28-156 12,31-309 12,32-96, 157 12,32-33-187 12,37-252 ff. 12,37-50-44 12,38-342 12,39-253, 342 12,41-342 12,42-176, 184, 218, 252 12,45-221 12,47-309 12,49-157, 194, 217 12,49-50-157 12,50-217 12,9-183, 243, 245 12-13-65 13-296, 323 1-3-152 13,1-175, 320, 343 13,16-159 13,18-342 13,20-159, 200 13,21-52, 255, 321 13,21-30-296, 320 13,21ff.-329 13,22-299 13,23-296, 319 ff., 327 13,23-26-354 13,24-296, 321 13,25-321 13,26-296, 321 13,27-322 13,28-299, 322 13,29-293, 299 13,3-92, 155, 157 13,31-156, 259 13,31-14,31-260 13,31-35-260 13,32-156 13,33-184 13,34-217 13,34-35-320 13,35-292, 296 13,36-38-260 13,6-296 14-65, 164 14,1-297, 299 14,10-159, 165, 199 14,11-159, 165 406 Bibelstellenverzeichnis <?page no="408"?> 14,1-14-260 14,12-159, 163, 165 14,14-286 14,15-217, 260 14,15−24-259 14,15-31-260 14,16-158, 259, 270, 282 f., 286, 296 14,16-17-260 f., 284, 287 14,17-256 f., 259, 284 f., 287, 301, 308 14,18-284, 301 14,18-21-284 14,19-301 14,21-158, 217, 260 14,22-291 14,22-24-284 14,23-158, 260, 286 14,2-3-260 14,24-260 14,26-259 f., 284, 286, 288, 301-304, 307 14,3-284 14,30-309 14,6-196, 284, 304 14,7-159 14,8-164 14,9-159, 221 14,9-11-260 15-65, 166, 255, 297, 389 1-5-65 15,10-217 15,1-16,33-255, 285, 289, 297, 305, 380, 382 15,12-217 15,13-166 15,16-257 15,18-286 15,18-19-309 15,18-25-307 15,18ff.-159 15,20-163 15,21-308 15,22-216 15,24-166, 216 15,25-342 15,26-255 f., 259 f., 284-289, 296, 300, 302-305, 310, 313 15,26-27-307 15,26f.-159 15,27-163, 288, 304, 306 f., 312, 335 f. 15,4−10-257 15,8-292, 296 15,9-156 15,9-14-260 16-255, 302 16,1-260 16,11-309 16,12-285 16,12-14-303 f. 16,13-165, 256, 259 f., 284, 288, 300 f., 304, 307, 310 f. 16,13-15-300, 315 16,14-156, 303, 306, 310 16,15-157, 303, 306 16,17-299 16,2-312 16,20-309 16,23-158 16,27-158 16,3-308 16,30-196 16,32-286 16,33-259, 312 16,5-11-307 16,6-297, 299 16,7-259 f., 300 16,8-262, 284, 287 16,9-216 16-17-65 17,1-156 Bibelstellenverzeichnis 407 <?page no="409"?> 17,11-157 17,12-157, 342 17,14-157, 159 17,14-15-309 17,18-159 17,2-93, 95 f., 157, 196, 286 17,20-311 17,20-21-309, 312 17,20-23-312 17,21-158, 309 17,21-25-201 17,22-157 17,22-25-200 17,23-158, 309 17,23-26-156 17,24-157 17,25-159 f., 308 17,26-157 17,3-154 17,4-157, 161, 166 f., 199 17,5-156 17,6-157 17,7-157, 259 17,8-157 f. 17,9-157 18-184 18,1-297, 341 18,1−19,40-317 18,1−19,42-317 18,1-19,40-317 18,12-185 f., 218 18,12-27-33, 336 18,14-186 18,15-336 f. 18,15−16-336 18,15-18-334 f. 18,2-297 18,20-186 18,23-66 18,28-175, 187, 342 18,28-19,16-37, 39, 186 18,3-185, 210, 218 18,31-186 f. 18,33-185 18,35-187 18,36-186 f., 239 18,37-87 18,38-186 18,38-40-187 18,39-175 18,40-188 18,9-157 18-19-44, 65 19-184, 389 19,11-216 19,12-186, 188 19,13-340 19,14-175, 186, 341 19,15-188, 192 19,16-30-317, 323 19,17-340 f. 19,19-185 19,20-188, 341 19,21-185, 189 19,22-189 19,24-303, 342 19,25-323 19,26-319, 323, 327 19,26-27-323 19,27-324 19,28-303 19,3-185 19,30-166, 259, 317, 325 f. 19,31-189, 325, 341 19,31-37-317, 383 19,33-34-318, 325 19,34-319 19,35-40, 317 f., 325 f., 338 ff., 344, 346, 408 Bibelstellenverzeichnis <?page no="410"?> 348 ff., 353-357 19,35-37-340 19,36-169, 303, 342 19,36-37-171 19,37-169, 303 19,38-176, 179, 190 19,39-179, 190 19,40-185, 342 19,42-175, 185 19,6-188 19,7-186, 188 2-176 20-65, 297, 337 20,1-326 20,1-10-322 20,1-14-329 20,16-340 20,18-297 20,19-176, 190, 299 20,2-319, 327 20,21-159, 200 20,22-256, 259 20,24-289, 343 20,24-29-329 20,29-298, 329 20,3-327, 336 20,30-356 20, 30−31-125 20,30-31-298, 338, 356 20,30-32-252 20,31-44, 53, 81, 91, 100, 124, 196, 203, 302, 316, 339 f., 344, 357 20,4-327, 336 20,6-327 20,7-327 20,8-327 f., 331, 336 20,8−9-327 20,9-303, 327 21-65, 329 f., 356, 389 21,1-329, 341 21,1-14-332 21,12-298 f., 331 21,14-330 21,15-332 21,15−17-327 21,15-23-353 f. 21,15-25-332 21,2-291, 298, 330, 343 21,20-319, 322, 327, 332, 354 21,20-23-335 21,20-24-336 21,21-332 21,21-23-332 21,22-257, 332 21,23-353 21,24-80, 334, 353-357 21,24−25-334 21,24-25-333, 353, 383 21,25-356 f. 21,4-298 f., 330 21,7-319, 322, 327, 329 ff., 337 3-190, 211, 257 f. 4-34, 86, 248, 257, 389 f. 5 86, 151, 192, 198, 205 f., 210, 220 f., 225, 228, 231 f., 235 6-205, 210, 237 ff., 242 f., 245, 248, 293, 329 6-12-184 7-205, 237, 242 f., 248 7-10-213 7-8-65 8-152, 181 9-163, 165, 180 Apg- 1,8-125, 300 1,4-300 5,13-125 8,1-125 Bibelstellenverzeichnis 409 <?page no="411"?> 9,31-125 14,3-52 1Joh- 2,1-260, 281, 283 5,6f-52 Neutestamentliche Apokryphen Barn-279 18,1-20,2-279 19,1-12-279 20,1-279 20,1-2-279 20,2-279 2Clem-280 6,7-280 6,9-280 Did- 5,2-279 11,5-145 Antike Autoren Clem. Al. protr.-281 Clem. Al. q.v.s.-281 25,7-281 Dion. Hal. ant.-264 11, 37, 1-264 11.37.1-265 Herakl. Hom. all.-264, 266 59-266 59,1-266 f. 59,3-266 59,6-266 59,8-266 59,9-266 f. 410 Bibelstellenverzeichnis <?page no="412"?> Literaturverzeichnis Zitation und Literaturverzeichnis erfolgt nach der „author-date citation“ des SBL Handbook of Style: For Biblical Studies and Related Disciplines. 2014. Atlanta/ Georgia SBL Press. Pages 104−107. Antike Autoren Dion. Hal. ant. Dionysios von Halikarnassosʼ „Antiquitates Romanae“ Herakl. Hom. all. Heraklits „Homerische Allegorien“ Hom. Il. Homers Ilias Philo von Alexandria OpMund De opificio mundi Jos De Josepho VitMos De vita Mosis SpecLeg De specialibus legibus Praem De praemiis et poenis Flacc In Flaccum Clemens von Alexandrien: Clem. Al. protr. „Mahnrede an die Heiden“ (Protrepticus) Clem. Al. q.v.s. „Welcher Reiche wird gerettet werden? “ (Quis vive salvetur? ) Flavius Josephus Ant Antiquitates Judaicae Ap Contra Apionem Bell De Bell Judaico Vit Vita Weitere: Barn Barnabasbrief Did Didache Sekundärliteratur A K A L A , Adesola Joan. 2015. The Son-Father Relationship and Christological Symbolism in the Gospel of John. Library of New Testament Studies, Vol. 505. London: T & T Clark. A H N , Sanghee M. 2014. The Christological Witness Function of the Old Testament Char‐ acters in the Gospel of John. (Paternoster Biblical Monographs). Crownhill, Milton Keynes: Paternoster. <?page no="413"?> A L L E N , E. L. 1944. „Controversy in the New Testament“. New Testament Studies. Vol.1/ 02. pp 143−149. Cambridge: Cambridge University Press. A L T E R , Robert. 2011. The Art of Biblical Narrative. New York: Basic Books. A P P O L D , Mark L. 2011. The Oneness Motif of the Fourth Gospel: Motif Analysis and Exegetical Probe in the Theology of John. 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Aufl. 1996, VIII, 422 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1860-2 2 Berthold Lannert Die Wiederentdeckung der neutestamentlichen Eschatologie durch Johannes Weiß 1989, XIV, 304 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1881-7 3 Wilfried Lechner-Schmidt Wortindex der lateinisch erhaltenen Pseudepigraphen zum Alten Testament 1990, XIV, 241 Seiten, geb. €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-1882-4 4 Gunnar Sinn Christologie und Existenz Rudolf Bultmanns Interpretation des paulinischen Christuszeugnisses 1991, XIV, 306 Seiten €[D] 42,- ISBN 978-3-7720-1883-1 5 Henning Pleitner Das Ende der liberalen Hermeneutik am Beispiel Albert Schweitzers 1992, XII, 281 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1884-8 6 Roman Heiligenthal Zwischen Henoch und Paulus Studien zum theologiegeschichtichen Ort des Judasbriefes 1992, X, 196 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1885-5 7 Klaus Berger Unter Mitarbeit von François Vouga, Michael Wolter und Dieter Zeller Studien und Texte zur Formgeschichte 1992, VIII, 233 Seiten €[D] 39,- ISBN 978-3-7720-1886-2 8 Klaus Berger Unter Mitarbeit von Gabriele Faßbeck und Heiner Reinhard Synopse des Vierten Buches Esra und der Syrischen Baruch-Apokalypse 1992, VIII, 287 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1861-9 9 Klaus-Stefan Krieger Geschichtsschreibung als Apologetik bei Flavius Josephus 1994, X, 366 Seiten €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-1888-6 10 Jens Schröter Der versöhnte Versöhner Paulus als unentbehrlicher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2 Kor 2,14-7,4 1993, XIV, 378 Seiten €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1889-3 <?page no="432"?> 11 Bärbel Bosenius Die Abwesenheit des Apostels als theologisches Programm Der zweite Korintherbrief als Beispiel für die Brieflichkeit der paulinischen Theologie 1994, XIV, 231 Seiten €[D] 42,- ISBN 978-3-7720-1862-6 12 Werner Thiessen Christen in Ephesus Die historische und theologische Situation in vorpaulinischer und paulinischer Zeit und zur Zeit der Apostelgeschichte und der Pastoralbriefe 1995, 410 Seiten €[D] 47,- ISBN 978-3-7720-1863-3 13 Matthias Klinghardt Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft Soziologie und Liturgie frühchristlicher Mahlfeiern 1996, XII, 633 Seiten, geb. €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-1879-4 14 Günter Röhser Prädestination und Verstockung Untersuchungen zur frühjüdischen, paulinischen und johanneischen Theologie 1994, XIV, 279 Seiten €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1865-7 15 Jürgen Zangenberg ΣΑΜΑΡΕΙΑ Antike Quellen zur Geschichte und Kultur der Samaritaner in deutscher Übersetzung 1994, XXVIII, 344 Seiten €[D] 47,- ISBN 978-3-7720-1866-4 16 Bernd Wander Trennungsprozesse zwischen Frühem Christentum und Judentum im 1. Jahrhundert nach Christus Datierbare Abfolgen zwischen der Hinrichtung Jesu und der Zerstörung des Jerusalemer Tempels 2. durchges. u. verb. Aufl. 1997, X, 315 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1867-1 17 Kurt Erlemann Naherwartung und Parusieverzögerung im Neuen Testament Ein Beitrag zur Frage religiöser Zeiterfahrung 1995, XVI, 511 Seiten, geb. €[D] 60,- ISBN 978-3-7720-1868-8 18 Manuel Vogel Das Heil des Bundes Bundestheologie im Frühjudentum und im frühen Christentum 1996, 392 Seiten €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-1869-5 19 Peter Busch Der gefallene Drache Mythenexegese am Beispiel von Apokalypse 12 1996, XII, 276 Seiten €[D] 34,- ISBN 978-3-7720-1870-1 20 Gerhard Sellin/ François Vouga (Hrsg.) Unter Mitarbeit von Stefan Alkier, Anja Cornils und Krischan Heinemann Logos und Buchstabe Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Judentum und Christentum der Antike 1997, 269 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-1871-8 <?page no="433"?> 21 Harald Ulland Die Vision als Radikalisierung der Wirklichkeit in der Apokalypse des Johannes Das Verhältnis der sieben Sendschreiben zu Apokalypse 12-13 1997, X, 369 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1872-5 22 Dirk Frickenschmidt Evangelium als Biographie Die vier Evangelien im Rahmen antiker Erzählkunst 1998, XVI, 549 Seiten €[D] 79,- ISBN 978-3-7720-1873-2 23 Stefan Alkier/ Ralph Brucker (Hrsg.) Exegese und Methodendiskussion 1998, XX, 302 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1874-9 24 Heinz Martin Döpp Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr. 1998, XVI, 364 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1875-6 25 Peter Söllner Jerusalem, die hochgebaute Stadt Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum 1998, XII, 348 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-1876-3 26 Hans-Christoph Meier Mystik bei Paulus Zur Phänomenologie religiöser Erfahrung im Neuen Testament 1998, X, 352 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-1877-0 27 Jürgen Zangenberg Frühes Christentum in Samarien Topographische und traditionsgeschichtliche Studien zu den Samarientexten im Johannesevangelium 1998, XIV, 291 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-1878-7 28 Andreas Blaschke Beschneidung Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte 1998, X, 567 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-2820-5 29 Hartmut G. Lang Christologie und Ostern Untersuchungen im Grenzgebiet von Exegese und Systematik 1999, X, 464 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-2821-2 30 Axel von Dobbeler Der Evangelist Philippus in der Geschichte des Urchristentums Eine prosopographische Skizze 1999, 335 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-2822-9 31 Dieter Massa Verstehensbedingungen von Gleichnissen Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht 1999, 389 Seiten €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-2823-6 32 Hanna Roose Das Zeugnis Jesu Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes 1999, 252 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2824-3 <?page no="434"?> 33 Gabriele Faßbeck Der Tempel der Christen Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum 2000, XII, 317 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2825-0 34 Holger Sonntag NOMOΣ ΣΩTHP Zur politischen Theologie des Gesetzes bei Paulus und im antiken Kontext 2000, XII, 376 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2826-7 35 Markus Sasse Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes 2001, XIV, 337 Seiten €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-2827-4 36 Michael Labahn/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Zwischen den Reichen: Neues Testament und Römische Herrschaft Vorträge auf der 1. Konferenz der European Association for Biblestudies 2002, VIII, 286 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2828-1 37 Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheologie 2001, 350 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2829-8 38 Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte 2002, 220 Seiten €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2830-4 39 Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas 2003, XIV, 410 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2831-1 40 Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus 2003, XIV, 409 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2832-8 41 Claudia Losekam Die Sünde der Engel Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten 2010, VI, 407 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8001-2 42 Stefan Alkier/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Unter Mitarbeit von Kristina Dronsch und Michael Schneider Zeichen aus Text und Stein Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments 2003, 540 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8007-4 43 Alexander Mittelstaedt Lukas als Historiker Zur Datierung des lukanischen Doppelwerkes 2005, 271 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8140-8 44 Anja Cornils Vom Geist Gottes erzählen Analysen zur Apostelgeschichte 2006, VIII, 283 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8156-9 <?page no="435"?> 45 Joel White Die Erstlingsgabe im Neuen Testament 2007, 374 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8210-8 46 Jörg Michael Bohnet Die Berichte über die Himmelfahrt Jesu Anfang 2016, ca. 430 Seiten ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8216-0 47 Renate Banschbach Eggen Gleichnis, Allegorie, Metapher Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung 2007, XII, 312 Seiten €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-8238-2 48 Frank Holzbrecher Paulus und der historische Jesus Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte 2007, X, 200 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8242-9 49 Armin D. Baum Der mündliche Faktor und seine Bedeutung für die synoptische Frage Analogien zur synoptischen Frage aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen 2008, XVIII, 526 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8266-5 50 Christian Kurzewitz Weisheit und Tod Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis 2010, 194 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8349-5 51 Sascha Flüchter Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 2010, XIV, 385 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8373-0 52 Philipp Kurowski Der menschliche Gott aus Levi und Juda Die „Testamente der zwölf Patriarchen“ als Quelle judenchristlicher Theologie 2010, VI, 195 Seiten €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8384-6 53 Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur 2011, 358 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8411-9 54 Stephan Hagenow Heilige Gemeinde - Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums 2011, 370 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8419-5 55 Soham Al-Suadi Essen als Christusgläubige Ritualtheoretische Exegese paulinischer Texte 2011, 347 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8421-8 56 Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum/ Meals and Religious Identity in Early Christianity 2012, 372 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8446-1 <?page no="436"?> 57 Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics A Contribution to the Discussion Concerning the Authenticity of Jesus’ Words in the Fourth Gospel 2012, XIV, 491 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8457-7 58 Wichard von Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie 2014, XIV, 567 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8524-6 59 Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung 2015, 432 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8531-4 60 Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band 1: Untersuchung || Band 2: Rekonstruktion | Übersetzung | Varianten 2020, 1480 Seiten €[D] 218,- ISBN 978-3-7720-8742-4 60/ 1 | 60/ 2 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung | Band II: Rekonstruktion, Übersetzung, Varianten 2015, 1296 Seiten €[D] 198,- ISBN 978-3-7720-8549-9 60/ 1 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band 1: Untersuchung 2020, 543 Seiten €[D] 109,- ISBN 978-3-7720-8737-0 60/ 2 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band 2: Rekonstruktion | Übersetzung | Varianten 2020, 937 Seiten €[D] 149,- ISBN 978-3-7720-8741-7 61 Jan Heilmann, Matthias Klinghardt (Hrsg.) Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert 2018, 322 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-7720-8640-3 62 Nathanael Lüke Über die narrative Kohärenz zwischen Apostelgeschichte und Paulusbriefen 2019, 302 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8677-9 63 Alexander Goldmann Über die Textgeschichte des Römerbriefs Neue Perspektiven aus dem paratextuellen Befund 2020, 254 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8709-7 64 Viktor Löwen Die zwölf Jünger Jesu Exegetische Untersuchungen zum Kreis der zwölf Jünger im Matthäusevangelium 2021, 656 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8724-0 65 Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie 2020, 490 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8725-7 <?page no="437"?> 66 Jan Heilmann Lesen in Antike und frühem Christentum Kulturgeschichtliche, philologische sowie kognitionswissenschaftliche Perspektiven und deren Bedeutung für die neutestamentliche Exegese 2021, 707 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8729-5 67 Tobias Flemming Die Textgeschichte des Epheserbriefes Marcion änderte nichts: Eine grundlegend neue Perspektive auf den Laodicenerbrief 2022, 236 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8738-7 68 Manuel Vogel (Hrsg.) Heiliger Krieg Religiöse Konzeptionen und Kontexte des Krieges im Alten Testament, im antiken Judentum und im frühen Christentum 2023, 300 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8787-5 69 Matthias Klinghardt Mahl und Kanon Gesammelte Aufsätze zum 65. Geburtstag. Herausgegeben von Jan Heilmann und Kevin Künzl 2022, 508 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8779-0 70 Markus Vinzent Concordance to the Precanonical and Canonical New Testament 2023, 564 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-381-10601-1 71 Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium 2024, ca. 365 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-381-11001-8 <?page no="438"?> ISBN 978-3-381-11001-8 www.narr.de T A N Z T A N Z T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER Unbestri en ist die Zeugnisthematik eines der bedeutendsten Themen des Johannesevangeliums. Immer wieder wurde diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die verwendeten Begri e in juristischen bzw. gerichtlichen Zusammenhängen begegnen würden und das Johannesevangelium als metaphorischer Gerichtsprozess zu verstehen sei. Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass neben dem Zeugnisgeben unter prozessähnlichen Umständen vor allem ein missionarisch-einladendes bzw. religiös motiviertes Zeugnisgeben im Mi elpunkt der Erzählung steht. Dieser Form des Zeugnisgebens widmet sich die vorliegende Arbeit. Untersucht werden dabei die narrative Darstellung der Zeugen und Zeuginnen, der Zeugnisempfänger und -empfängerinnen sowie des Zeugnisakts und dessen Folgen. Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Aaron Graser Das Fremdzeugnis für Jesus Untersuchung der narrativen Darstellung des Zeugnisgebens für Jesus im Johannesevangelium
