Bewegungskonstruktionen des Deutschen
Korpusstudien zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive
0429
2024
978-3-3811-1032-2
978-3-3811-1031-5
Gunter Narr Verlag
Laura Gusehttps://orcid.org/0000--000-2-94-40-8
10.24053/9783381110322
Der Band zeigt anhand zweier Korpusstudien erstmals eine Bandbreite von Verben, die in Bewegungskonstruktionen des Deutschen auftreten können und kontrastiert diese Daten zu Versprachlichungsstrategien des Englischen und Schwedischen. Der Fokus wird auf bislang wenig systematisch erhobene Versprachlichungsstrategien gerichtet, wie etwa reexive Konstruktionen (Sie kichern sich frisch verliebt durch die Gegend) oder Modalkonstruktionen (Sie wollen nach Hamburg). Aus Perspektive der Konstruktionsgrammatik wird die theoretische Frage aufgeworfen, wie die verschiedenen Konstruktionen auf dem Kontinuum zwischen Kompositionalität und Idiomatik zu verorten sind.
<?page no="0"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Der Band zeigt anhand zweier Korpusstudien erstmals eine Bandbreite von Verben, die in Bewegungskonstruktionen des Deutschen au reten können und kontrastiert diese Daten zu Versprachlichungsstrategien des Englischen und Schwedischen. Der Fokus wird auf bislang wenig systematisch erhobene Versprachlichungsstrategien gerichtet, wie etwa re exive Konstruktionen (Sie kichern sich frisch verliebt durch die Gegend) oder Modalkonstruktionen (Sie wollen nach Hamburg). Aus Perspektive der Konstruktionsgrammatik wird die theoretische Frage aufgeworfen, wie die verschiedenen Konstruktionen auf dem Kontinuum zwischen Kompositionalität und Idiomatik zu verorten sind. 590 Guse Bewegungskonstruktionen des Deutschen Bewegungskonstruktionen des Deutschen Korpusstudien zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive Laura Guse ISBN 978-3-381-11031-5 <?page no="1"?> Bewegungskonstruktionen des Deutschen <?page no="2"?> Tübinger Beiträge zur Linguistik herausgegeben von Gunter Narr 590 <?page no="3"?> Laura Guse Bewegungskonstruktionen des Deutschen Korpusstudien zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive <?page no="4"?> Zugleich Dissertation am Institut für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Hildesheim. Gutachterin: Professorin Dr. Ursula Bredel, Gutachter: Professor Dr. Ulrich Heid, Tag der mündlichen Prüfung: 11. November 2022. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381110322 © 2024 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0564-7959 ISBN 978-3-381-11031-5 (Print) ISBN 978-3-381-11032-2 (ePDF) ISBN 978-3-381-11033-9 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 9 11 13 13 1 15 1.1 15 1.2 20 1.3 21 2 25 2.1 26 2.2 31 2.2.1 32 2.2.2 33 2.2.3 36 2.2.4 37 2.2.5 38 2.3 39 2.3.1 40 2.3.2 42 2.3.3 45 2.3.4 56 2.3.5 59 2.4 60 2.4.1 61 Inhalt Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zum Umgang mit Konventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zur Empirie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellungen und Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinführung: Bewegungsereignisse und Bewegungskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Klassifikation von Bewegungsereignissen . . . . . . . . . . . . . Faktive und fiktive Bewegungsereignisse . . . . . . . . . . . Subklassen fiktiver Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzeptuelle Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Körperassoziierte Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien . . . . . . . . . . . . Framing typology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Actuating typology . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Typologische Einordnung des Deutschen . . . . . . . . . . . Co-Events in der deutschen Sprache: eine Annäherung Nesting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grenzfälle der Klassifikation - Fuzzy Boundaries . . . . <?page no="6"?> 2.4.2 62 2.4.3 64 2.5 67 3 69 3.1 70 3.1.1 70 3.1.2 71 3.1.3 75 3.2 78 3.2.1 79 3.2.2 84 3.2.3 87 3.2.4 93 3.2.5 95 3.3 99 3.3.1 101 3.3.2 102 3.3.3 109 3.3.4 111 3.3.5 114 3.3.6 123 3.4 125 3.4.1 126 3.4.2 131 3.4.3 132 3.5 135 4 139 4.1 139 4.2 141 4.3 145 4.3.1 145 4.3.2 150 Methodologische Bemerkungen zur Introspektion . . . . Zur Kompositionalität von Bewegungskonstruktionen Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebrauchsbasierte Sprachmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Genese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prästrukturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strukturalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Generative Grammatiktheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen . . . . . . . . Das Verhältnis von Sprache und Kognition . . . . . . . . . . Sprache als soziales Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normen und Exploitationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikon-Grammatik-Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sprache als emergentes System - Sprache als Netzwerk Konstruktionsgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstruktionsgrammatische Strömungen im Überblick Der Konstruktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Konstruktikon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schematizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Verhältnis von Konstruktionsgrammatik und Valenzgrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frame-Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Scenes und Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . FrameNet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frame-Semantik und Konstruktionsgrammatik . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Schwedische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Englische . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geräuschverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modalverben und Kopulaverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 4.3.3 153 4.3.4 156 4.4 157 5 161 5.1 162 5.1.1 167 5.1.2 171 5.1.3 179 5.1.4 181 5.1.5 198 5.2 198 5.2.1 199 5.2.2 201 5.2.3 214 5.2.4 224 5.2.5 230 5.2.6 235 5.2.7 236 5.3 237 5.3.1 237 5.3.2 242 5.3.3 246 5.4 257 6 263 6.1 263 6.2 266 6.2.1 267 6.2.2 268 6.2.3 268 6.2.4 268 Weitere Lexeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Reflexive Bewegungskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpusanalyse I: Bewegungskonstruktionen des Deutschen im DWDS-Kernkorpus (1900-1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wahl des Korpus: Das DWDS-Kernkorpus (1900- 1999) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erarbeitung der Suchanfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung des Samples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kodierung der Korpusbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse der Korpusstudie I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktive Bewegungsereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fiktive Bewegungsereignisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Metaphorische Bewegungsereignisse . . . . . . . . . . . . . . . Körperassoziierte Bewegungsereignisse . . . . . . . . . . . . Überlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse aus Korpusstudie I . Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I . . . . . . . . . . . . . Modalverben in Bewegungskonstruktionen . . . . . . . . . Reflexive Bewegungskonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . Co-Events und Exploitationen deutscher Bewegungskonstruktionen im Sprachvergleich Schwedisch - Englisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wahl der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Wahl des Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erarbeitung der Suchanfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Darstellung des Samples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kodierung der Korpusbelege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="8"?> 6.2.5 270 6.2.6 273 6.2.7 273 6.3 273 6.3.1 274 6.3.2 280 6.3.3 282 6.3.4 285 6.3.5 287 6.4 302 6.4.1 302 6.4.2 304 6.4.3 304 6.5 305 6.6 306 7 309 7.1 309 7.2 315 7.2.1 316 7.2.2 318 323 325 327 347 348 351 357 Assoziationsmaße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dimensionen der Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kollokationsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Globale Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Types und Tokens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Assoziationswerte ITECX 1 und ITECX 2 . . . . . . . . . . . . . Produktivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normen und Exploitationen - Kollokationsanalysen . . Weitere Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Frames . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Modalkonstruktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Komplexverben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodenkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einordnung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Theoretische Desiderate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt <?page no="9"?> Der Sprachwissenschaftler muß, wenn das Bild gestattet ist, Botaniker und Gärtner zu‐ gleich sein: er muß zur Herausbildung abs‐ trakter und ideeller Blumentypen gelangen, doch nur, um damit das wechselvolle, viel‐ schichtige und jedesmal überraschend neue Leben seiner lebendigen und wirklichen Blumen besser pflegen zu können; er muß Botaniker werden, um ein besserer Gärtner zu sein. Coseriu [1952] 1975: 16 Dank Eine der vielen seltsamen Eigenschaften von Wörtern ist, dass ihre Bedeutung verblassen kann. Das passiert vor allem dann, wenn man sie besonders oft benutzt. Das Phänomen des Verblassens der Bedeutung lässt sich auch bei dem Wort danke beobachten. Worte des Danks benutzt man bei den alltäglichsten Dingen: Beim Einkaufen an der Supermarktkasse, beim Versenden von E-Mails, beim gemeinsamen Essen. Danke, auf Wiedersehen! Danke gleichfalls! Vielen Dank und herzliche Grüße! Und dann gibt es da diese Situationen, die sich so gar nicht alltäglich anfühlen, weil man sie vielleicht nur ein einziges Mal im Leben erlebt. Situationen, in denen die Diskrepanz zwischen dem, was man bekommen hat, und dem, was man sprachlich erwidern kann, so groß scheint. Dann bräuchte man ein Wort, dass sich etwas weniger blass anfühlt als danke. Man kann natürlich auf andere Wörter zurückgreifen und danke ein wenig anreichern. Ein Blick in das Wortauskunftsystem des DWDS zeigt, dass das eine beliebte Strategie ist: Man kann sagen: vielen, vielen Dank! oder auch ganz herzlichen Dank! oder lieben Dank! oder verbindlichsten Dank! Beliebt scheinen auch die Kombinationen mit tiefempfunden, aufrichtig, ausdrücklich, innig und überschwänglich zu sein. So richtig hilft das, meine ich, nicht. Das Verfassen einer Danksagung für die Dissertation gehört zu diesen nicht-alltäglichen Situationen. Man wünscht sich ein Spezialwort, das das Gefühl der Dankbarkeit in angemessener Weise zum Ausdruck bringen kann. Leider habe ich keines und würde ich eines erfinden, so würde mich niemand verstehen. So sage ich also Danke! und hoffe, alle in dieser Danksagung <?page no="10"?> Angesprochenen und meine Leser/ -innen wissen, was ich damit formulieren möchte. Mein Danke! geht an meine Betreuerin Prof. Dr. Ursula Bredel und meinen Betreuer Prof. Dr. Ulrich Heid. Danken möchte ich außerdem Prof. Dr. Katerina Stathi und Prof. Dr. Thomas Herbst. Ein Dankeschön gebührt außerdem PhD Gertrud Faaß und ihren Studierenden des korpuslinguistischen Praktikums. Danken möchte ich allen Promovierenden des Promotionskolloquiums unter der Leitung von Prof. Dr. Ursula Bredel und allen Korrekturleser/ -innen: Christin Johnen, Iryna Honscharyuk, Louisa-Kristin Maiwald, Nina Streib, Wiebke Veddeler, Dorothee Wielenberg sowie Mark Döring. Danken möchte ich meinen Hilfskräften Julia Ryll und Michelle Woloszyn sowie der Hilde‐ gard-Henssler Stiftung für ihre Unterstützung. Danke! rufe ich meiner kleinen Familie Juan Sebastian, Oskar Joaquín, Catalina Maria und meiner großen Familie und allen Freundinnen und Freunden zu. So vielen Menschen danken zu können - was für ein Glück! 10 Dank <?page no="11"?> Abkürzungsverzeichnis AKK ADV adverbialer Akkusativ ASK Argumentstrukturkonstruktion CCxG Cognitive Construction Grammar DaE Deutsch als Erstsprache DaF Deutsch als Fremdsprache DaZ Deutsch als Zweitsprache FE frame elements HPSG Head-Driven Phrase Structure Grammar IB intentional induziertes Bewegungsereignis ITECX item in construction KB kausal induziertes Bewegungsereignis KxG Konstruktionsgrammatik L1 Erstsprache L2 Zweitsprache LNRE large number of rare events LU lexical units P Produktivitätsindex P* Produktivitätsindex* PCxG Pedagogical Construction Grammar RCxG Radical Construction Grammar S-framed satellite framed STLP Standard theory of lexicalization patterns in the encoding of motion events SuS Schülerinnen und Schüler TNE Theory of Norms and Exploitations TTR Type-Token-Ratio V-framed verb framed <?page no="13"?> 1 Abrufbar unter https: / / www.eva.mpg.de/ lingua/ pdf/ Glossing-Rules.pdf, letzter Zugriff am 03-30-22. Hinweise zum Umgang mit Konventionen Für die vorliegende Arbeit wurden die sprachwissenschaftlichen Konventionen der Textgestaltung übernommen. Die Glossierung folgt den Leipzig Glossing Rules. 1 Die Korpusbelege des theoretischen Teils sind mit Quellenangaben versehen. Für den empirischen Teil der Arbeit wurde zugunsten der Lesefreundlichkeit auf die Angabe verzichtet. Mögliche orthografische oder grammatische Fehler der Belege wurden nicht korrigiert. Hinweise zur Empirie Die Daten der vorliegenden Arbeit stammen aus dem DWDS-Kernkorpus (1990-1999) sowie dem Korpus DWDS WebXL. Die Korpora sind abrufbar unter https: / / www.dwds.de/ . Bei Interesse stelle ich die aufbereiteten Samples gern zur Verfügung. <?page no="15"?> 1 Einleitung Menschen artikulieren bei durchschnittlichem Sprechtempo zwischen 100 und 200 Wörter pro Minute - eine beachtliche Menge. Die meiste Zeit unseres Lebens sprechen wir, wie wir atmen. So wie wir unseren Atem aus uns herausfließen lassen, ohne darüber nachzudenken, wie wir unser Zwerchfell zur Kontraktion bringen, so wenig denken wir darüber nach, welche Wörter wir bei der Sprachproduktion auswählen. Sicherlich gibt es Momente, in denen wir unsere Wortwahl hinterfragen oder bewusst darüber nachdenken, welche Wörter und Sätze am besten passen, um unsere Gedanken mitzuteilen. Den überwiegenden Teil der Sprachproduktion aber lassen wir unreflektiert geschehen. Auf scheinbar magische Weise produzieren wir Wörter und Sätze, sobald wir unseren Mund öffnen oder den Stift zum Schreiben ansetzen. Warum aber nutzen wir dieses Wort und nicht jenes? Warum finden wir jenen Ausdruck normal, den anderen aber seltsam? Diese Fragen beschäftigen Sprachwissen‐ schaftler/ -innen seit dem Beginn der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sprache. 1.1 Phänomen Die vorliegende Dissertation versucht sich dem Faszinosum sprachlicher Norm einerseits und sprachlicher Kreativität andererseits aus einer sprachgebrauchs‐ basierten Perspektive anzunähern. Eine der theoretischen Linien der vorlie‐ genden Arbeit geht auf Coserius 1952 publizierten Aufsatz „Sistema, norma y habla“ zurück. Coseriu (1952) betont in seinem Aufsatz den Stellenwert der Un‐ tersuchung des tatsächlichen Sprachgebrauchs durch die Sprachwissenschaft. Damit rüttelt er an der Dichotomie von langue und parole und bereitet den Weg für einen sprachgebrauchsbezogenen Ansatz. Es zeigt sich in der Ausein‐ andersetzung mit Coserius Ideen allerdings, dass die Begriffe Norm und System weniger trennscharf sind als man denken möchte: Was als sprachliche Norm gilt, variiert womöglich in Abhängigkeit von Zeit, Raum und Individuum. Einen Beitrag, der sich der Untersuchung des tatsächlich realisierten Sprachgebrauchs verschrieben hat, bringt Patrick Hanks knapp 60 Jahre nach Coserius Papier mit seiner Theory of Norms and Exploitations in den Diskurs ein (Hanks 2013). Hanks beschreibt die Rolle der Korpuslinguistik für die sprachwissenschaftliche Theoriebildung und unterbreitet Vorschläge zur Deskription prototypischer <?page no="16"?> und weniger prototypischer Versprachlichungsmuster. Ausgehend von einer empirisch ermittelten Norm können potenzielle Exploitationen beschrieben werden. Die vorliegende Arbeit folgt der Definition von Hanks (2013: 92): “A norm is a pattern of ordinary usage in everyday language with a particular meaning or implicature associated”. Unter Exploitationen werden unübliche Verwendungsweisen verstanden, deren Bildung eigenen Regeln folgt (vgl. Hanks 2013). Die Vorschläge von Hanks (2013) bilden einen weiteren Pfeiler der vorliegenden Arbeit. Auch die Strömung der kognitiven Linguistik (Lakoff 1987; Langacker 1987b; Talmy 2000a) und der Usage-based linguistics (Bybee 1985; Bybee 2002b, 2003, 2006; Bybee & Scheibman 1999; Diessel 2013; Langacker 2006, 2010) verhan‐ delt die Frage nach sprachlichen Normen. Tomasello beschreibt Sprache als soziales Werkzeug und sprachliche Normen als eine soziale Norm unter vielen (Tomasello 2003). Goldberg lotet die Anforderungen an Sprache aus und ver‐ ortet die Frage nach sprachlicher Norm im Spannungsfeld von Expressivität und Ökonomie (Goldberg 2019). Sprachliche Formen zeigen sich verschieden flexibel, was die Kombination mit neuen, noch nicht gehörten Kombinationen angeht. Man bezeichnet diese Eigenschaft als die Produktivität sprachlicher Zeichen. Es sind verschiedene Verfahren vorgeschlagen worden, das Konzept der Produktivität zu operationalisieren (Baayen 1989, 1992; Barðdal 2008; Evert & Lüdeling 2001; Zeldes 2012). Auf diese Überlegungen werden in der Disser‐ tation zurückgegriffen, um auszuloten, wie sich das Verhältnis von Normen und Exploitationen am Gegenstand der Versprachlichung von Bewegungsereig‐ nissen modellieren lässt. Werden Bewegungsereignisse versprachlicht, werden die genutzten sprachlichen Zeichen im Rahmen der Konstruktionsgrammatik als Bewegungskonstruktionen bezeichnet, die dabei unterschiedliche Komplexi‐ tätsgrade aufweisen können. Bewegungsereignisse sind als Untersuchungsgegenstand besonders geeignet, da sie zentrale Komponenten der menschlichen Kognition darstellen (vgl. Zacks & Swallow 2007). Die Ereigniskonstruktion ist ein Mechanismus der Kognition höherer Lebewesen, den beständig auf sie einströmenden Informationsfluss zu reduzieren und ökonomisch zu verarbeiten. Für die Sprachwissenschaft stellt die Versprachlichung von Bewegungsereignissen ein hoch relevantes Feld dar, da man sich durch intrawie intersprachliche Vergleiche der Versprachlichungsst‐ rategien Rückschlüsse auf das Verhältnis von Sprache und Kognition erhofft (vgl. u. a. Slobin 1987). Das Forschungsfeld zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen hat der Typologe Leonard Talmy (1985, 2000, 2017) begründet. Talmy postuliert vier grundlegende Komponenten, um ein Bewegungsereignis zu konstituieren: 16 1 Einleitung <?page no="17"?> 2 In dieser Arbeit wird eine Reihe an sprachlichen Beispielen angeführt. Handelt es sich um einen zur Illustration konstruierten Ausdruck, wird von Beispiel gesprochen. Handelt es sich um einen Korpusbeleg, wird von Beleg gesprochen. Die Nummerierung unterscheidet nicht zwischen den beiden Typen, sondern ist fortlaufend. F I G U R E , G R O U N D , P ATH und M O TI O N . Hierbei bewegt sich (M O TI O N ) ein Objekt (F I G U R E ) im Verhältnis (P ATH ) zu einem anderen Objekt (G R O U N D ). Talmy klassi‐ fiziert die Sprachen der Welt in zwei unterschiedliche Typen. Das entscheidende Kriterium ist dabei, welches sprachliche Element die Komponente P ATH ver‐ sprachlicht. Das Deutsche realisiert P ATH in einem Verb-externen Element, zum Beispiel in Form einer Adposition. Sprachen, die diesem Muster folgen, werden satellite-framed (S-framed) genannt. Andere, wie viele romanische Sprachen, realisieren P ATH Verb-intern. Man nennt diese Sprachen verb-framed Sprachen (V-framed). Möchte man etwa im Spanischen etwas darüber aussagen, wie die Bewegung der F I G U R E aussieht, muss man diese Information außerhalb des Verbs platzieren. (1) Joan entra al cuatro corriendo. - F I G U R E M O T I O N + P A T H G O A L M A N N E R - ‘Joan betritt das Zimmer rennend’ Im Deutschen und anderen S-framed Sprachen ist es hingegen üblich, im Verbslot neben der Bewegung an sich weitere Informationen zu geben, zum Beispiel über die Art und Weise der Bewegung (M AN N E R ) oder aber über kausale Relationen (C AU S E ). (2) Sie rannte - über die Straße. - F I G U R E M O T I O N + M A N N E R - P A T H (3) Sie trägt das Kind über die Straße. - F I G U R E M O T I O N + C A U S E - P A T H Durch die unterschiedlich stark konventionalisierten Bedeutungs-Form-Paare der jeweiligen Sprachgemeinschaften kann das Bewegungsereignis im Zuge der Versprachlichung unterschiedlich perspektiviert werden. In Beispiel (4) 2 wird durch die verwendete Konstruktion beispielsweise die Geschwindigkeit und die Zeitnot der FIGURE fokussiert. (4) Sie hetzte mit dem Kind über die Straße. Auch in Beispiel (5) liegt die Versprachlichung eines Bewegungsereignisses vor. (5) Sie winkte das Kind über die Straße. 1.1 Phänomen 17 <?page no="18"?> Das Ereignis ist dabei ein komplexes: Die F I G U R E bewegt sich aufgrund der Tatsache über die Straße, dass eine weitere Person sie mittels gestischer Mittel dazu auffordert. Ein solches komprimiertes Versprachlichen komplexer Ereig‐ nisketten bezeichnet man als nesting (Talmy 2017). S-framed Sprachen wie das Deutsche, das Schwedische und das Englische zeigen bei der Versprachlichung von Bewegungsereignissen eine unterschiedlich hohe Variabilität. Studien aus dem Schwedischen weisen darauf hin, dass neben M AN N E R und C AU S E auch weitere Relationen realisiert werden. Olofsson (u. a. 2014, 2017) hat Bewegungs‐ konstruktionen des Schwedischen erhoben und dabei festgestellt, dass auch prädikative oder modale Relationen möglich sind. Modale Relationen sind auch für das Deutsche zu beobachten. So dürfte Beispiel (6) von den wenigsten Sprachnutzern als eine Normverletzung aufgefasst werden, auch wenn der Infinitivslot der Konstruktion nicht besetzt ist. (6) Sie musste mit dem Kind über die Straße. Es liegen keine empirischen Studien für das Deutsche vor, die das Phänomen modaler Relationen für Bewegungskonstruktionen beschreiben. Was aber ist mit Ausdrücken wie unter (7)? (7) ? Sie lachte mit dem Kind über die Straße. Für das Deutsche scheint eine solche Perspektivierung über eine Bewegungs‐ konstruktion tendenziell nicht der Norm zu entsprechen. Olofsson (2017) zeigt, dass im Schwedischen eine derartige Versprachlichung durchaus möglich ist (vgl. Beleg (8)). (8) Mannen skrattade iväg till posten - Mann-DEF Lach-PST zu Postamt-DEF - ‘Der Mann lacht zum Postamt’ - (Olofsson 2017) Ein Vorweggriff auf die Ergebnisse meiner Korpusstudien der vorliegenden Arbeit zeigt, dass eine ähnliche Konstruktion unter bestimmten Umständen auch im Deutschen durchaus genutzt werden kann. (9) Sie kicherten sich frisch verliebt durch die Gegend. Beleg (9) weist darauf hin, dass Sprachnutzer möglicherweise kreativer bei der Versprachlichung von Bewegungsereignissen vorgehen, als in der Literatur bislang diskutiert. Eine besondere Rolle scheint für solche Exploitationen bestehender Gebrauchsnormen die reflexive Konstruktion zu spielen: So zeigt sich eine weitere Klasse von Bewegungsereignissen an Beleg (10). Die F I G U R E 18 1 Einleitung <?page no="19"?> 3 Der Ausdruck Sprachnutzer (auch: Sprachbenutzer) referiert auf Theorien der Ge‐ brauchsbasierten Linguistik, die den Einfluss des sprachlichen Inputs in konkreter sozialer Interaktion auf den Spracherwerb betonen. Dass der Terminus irreführend wird dabei redundant, d. h., sowohl durch das Subjekt als auch über den Reflexivmarker versprachlicht. (10) Sie krümelt sich aufs Sofa. Diese reflexive Konstruktion wird vor allem bei körperassoziierten Bewegungs‐ ereignissen genutzt, etwa des Setzens, Stellens und Legens des eigenen Körpers oder der Positionierung von Körperteilen. Reflexive Konstruktionen werden auch zur Versprachlichung sogenannter fiktiver Bewegungsereignisse genutzt. Ein fiktives Bewegungsereignis nutzt die gleichen sprachlichen Konstruktionen wie faktive Bewegungsereignisse; dennoch kommt der Sprachnutzer zu einer statischen Interpretation des Ereignisses. Ein prototypisches Beispiel für ein fiktives Bewegungsereignis stellt Beleg (11) dar. (11) Der Weg schlängelt sich den Berg hinauf. Ein Beleg wie (12) zeigt ein prototypisches Beispiel einer konzeptuellen Meta‐ pher. Der Fußballverein gelangt durch das Schießen von Toren an die Spitze der Tabelle. Möglich ist eine solche Versprachlichung aufgrund der konzeptuellen Metapher G U T I S T O B E N (Lakoff 1987). (12) Dortmund schießt sich an die Tabellenspitze. Die weitgehende Nicht-Beachtung solcher Strukturen, wie sie die Beispiele (4)-(12) zeigen, hängt womöglich mit der vorherrschenden Verengung auf den Sprachgebrauch zusammen, den man gemeinhin als Standardsprache be‐ zeichnen könnte. Diese Fixierung verhinderte ggf. einen Blick auf Aspekte des Sprachgebrauchs, die als okkasionelle Bildungen oder periphere Phänomene abgetan wurden. Die Konstruktionsgrammatik bietet an dieser Stelle aus mehreren Gründen einen vielversprechenden Rahmen zur theoretischen Modellierung. In kon‐ struktionsgrammatischen Frameworks wird die strikte Trennung von Lexikon und Grammatik zugunsten eines Kontinuums aufgegeben, wodurch die Analyse formelhafter Wendungen, routinisierten Ausdrücken und Mehrworteinheiten ermöglicht wird. Anstelle eines Regelwerks generativer Art treten Schemata un‐ terschiedlicher Abstraktionsgrade, die „in bestimmten Kontexten vorkommen und nur teilweise frei mit Wortmaterial aufgefüllt werden können“ (Imo 2007: 23). All diese Konstruktionen unterschiedlicher Schematizität sind von Sprach‐ nutzern mental repräsentiert. 3 Man spricht vom sogenannten Konstruktikon. 1.1 Phänomen 19 <?page no="20"?> sein kann, da Sprache im Rahmen der Gebrauchsbasierten Linguistik gerade nicht als vorliegendes Material verstanden wird, diskutiert u. a. Willems (2003). Weiterhin wird postuliert, dass auch Wissen über die Verwendung der Kon‐ struktion als implizites Wissen der Sprachnutzer im Konstruktikon vorliegen muss. Dieses implizite Wissen muss, um eine erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten, sowohl Informationen über semantische und pragmatische Eigenschaften der Konstruktion umfassen als auch darüber, welche Slots der Konstruktion mit welchen sprachlichen Einheiten zu besetzen sind. Insbeson‐ dere Letzteres führt zur Frage der sprachlichen Norm. 1.2 Fragestellungen und Ziele der Arbeit Die Dissertationsschrift möchte die Frage beantworten, wie Bewegungsereig‐ nisse im Deutschen versprachlicht werden. Diese übergeordnete Fragestellung lässt sich in drei empirisch-deskriptive Teilfragestellungen gliedern: • Welche Verben werden in welchen Konstruktionen des Deutschen genutzt? • Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zu Bewegungs‐ konstruktionen des Schwedischen und Englischen feststellen? • Inwiefern sind die ermittelten Verben und Konstruktionen gebräuchlich oder idiosynkratisch? Das Ziel ist es dabei, das Verhältnis von sprachlichen Normen und Exploitation am Gegenstand der Bewegungskonstruktionen auszuloten. Die bisherige For‐ schung zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen im Deutschen hat sich bislang auf Konstruktionen konzentriert, in denen das Lexem des Verbslots entweder die Art und Weise (M AN N E R ) der Bewegung spezifiziert oder eine kausale Relation (C A U S E ) denotiert. Einige wenige Arbeiten für das Deutsche thematisieren sogenannte Geräusch-als-Bewegungsverben, wie unter Beispiel (13) angeführt (u. a. Maienborn 1994, Engelberg 2009, Goschler 2011). Von einem Bewegungsverb kann dann gesprochen werden, wenn das Verb ohne sprachlichen oder nicht-sprachlichen Kontext einen Bewegungsframe evoziert. (13) Sie rumpelte mit dem Auto über die Straße. Es liegen für das Deutsche jedoch eine Reihe weiterer Konstruktionen zur Ver‐ sprachlichung unterschiedlicher Klassen an Bewegungsereignissen vor, dessen empirische Untersuchung das ausgewiesene Desiderat schließen soll. Empirisch heißt hierbei, zwei Korpusstudien durchzuführen, um den Sprachgebrauch für 20 1 Einleitung <?page no="21"?> diesen Phänomenbereich systematisch zu erschließen. Korpusstudie I dient dazu, Konstruktionen und Verben in der gesamten Breite zu ermitteln. Somit kann die typologische Einordnung des Deutschen hinsichtlich der Versprach‐ lichung von Bewegungsereignissen feingranularer erfolgen, als dies bislang geschehen ist. Korpusstudie II hingegen widmet sich einer teilschematischen Konstruktion und zeigt dadurch eine Detailaufnahme. Die vorliegende Arbeit berührt dabei zwei grundlegende Fragen, die die sprachwissenschaftliche Theo‐ riebildung betreffen: • Ist es gerechtfertigt und beschreibungsadäquat, semantische Verbklassen wie Bewegungsverben, Geräuschverben etc. anzusetzen? • Inwiefern dient die Konstruktionsgrammatik der Beschreibung sprachlicher Strukturen? 1.3 Aufbau der Arbeit Das Phänomen der Versprachlichung von Bewegungsereignissen lässt sich aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. In der vorliegenden Arbeit verbinden sich eine typologische und eine gebrauchsbasierte Perspektive. In Kapitel 2 wird dargelegt, wie unterschiedliche Sprachen Bewegungse‐ reignisse perspektivieren und welche Konstruktionen den Sprachnutzern der jeweiligen Sprachgemeinschaft zur Verfügung stehen. Die Ausführungen be‐ ruhen in erster Linie auf den Arbeiten Leonard Talmys, der eine typologische Klassifikation vorgenommen hat, die bis heute weiterentwickelt wird. Flankiert werden die Überlegungen Talmys von den Studien der Arbeitsgruppen rund um Dan I. Slobin, die die Talmy’sche Typologie um wichtige Erkenntnisse erweitert hat. Zusammen werden die Arbeiten Talmys und Slobins als Standard theory of lexicalization patterns in the encoding of motion events (kurz STLP) bezeichnet (vgl. Berthele 2013: 55). Die STLP bietet einen ersten Zugriff auf das untersuchte Phänomen und ermöglicht eine typologische Einordnung des Deutschen hin‐ sichtlich der Versprachlichungsstrategien von Bewegungsereignissen. Allerdings zeigt die STLP einige Schwachstellen, die sowohl methodologi‐ scher als auch theoretischer Art sind. Mit Kapitel 3 wird eine gebrauchsba‐ sierte (usage-based) Modellierung vorgeschlagen. Dafür wird zunächst ein kurzer Abriss zur Genese gebrauchsbasierter Ansätze dargelegt und deren theoretische Axiome vorgestellt. Wichtig wird dabei die Unterscheidung in sprachliche Normen und deren Exploitationen unter Rückgriff auch die Theory of Norms and Exploitations (TNE) von Patrick Hanks. Es folgt eine Fokussierung der konstruktionsgrammatischen Grundlagen, bei der die Eigenschaften von 1.3 Aufbau der Arbeit 21 <?page no="22"?> Konstruktionen, des Konstruktikons und die Idee der Schematizität von Argu‐ mentstrukturkonstruktionen dargelegt werden. Ein weiterer Abschnitt themati‐ siert die Produktivität von Argumentstrukturkonstruktionen, indem der Begriff der Produktivität zunächst aus der Morphologie abgeleitet und anschließend auf Argumentstrukturkonstruktionen übertragen wird. Es werden unterschied‐ liche Vorschläge zur Operationalisierung des Produktivitätsbegriffes diskutiert sowie mögliche Faktoren, die die Produktivität von Argumentstrukturkonstruk‐ tionen beeinflussen könnten, aus der gesichteten Literatur zusammengeführt. Schließlich wird das Zusammenspiel von Konstruktionsgrammatik und der Fillmor’schen Frame-Semantik aufgefaltet, da die Frame-Semantik und das zugehörige Tool FrameNet zur semantischen Annotation der erhobenen Belege herangezogen werden. Es wird darüber hinaus aufgezeigt, inwiefern konstrukti‐ onsgrammatische und valenzgrammatische Ansätze symbiotisch sein könnten. Kapitel 4 fasst den aktuellen Forschungsstand zur Variabilität von Lexemen im Verbslot von Bewegungskonstruktionen zusammen und beleuchtet die Argu‐ mentation sowie das methodische Vorgehen der jeweiligen Studien kritisch. Die Auseinandersetzung beginnt erneut ausgehend von einer sprachvergleichenden Perspektive. Es wird eine Reihe an Studien zur Produktivität von Bewegungs‐ konstruktionen des Schwedischen wiedergegeben. Die Erkenntnisse legen nahe, dass die Produktivität der Bewegungskonstruktionen sowohl von den konkreten verwendeten Konstruktionen als auch vom weiteren sprachlichen Kontext abhängig ist. Die Studien zu Bewegungskonstruktionen des Englischen geben einen Hinweis darauf, dass das heutige Englisch weniger tolerant hin‐ sichtlich der Besetzung des Verbslots von Bewegungskonstruktion ist als frühere Sprachstadien und andere S-framed Sprachen, wie das Schwedische oder das Deutsche. Zudem wird ersichtlich, dass das Zusammenspiel zwischen Argu‐ mentstrukturkonstruktion, Adposition und Lexemen des Verbslots komplexer ist, als es einige konstruktionsgrammatische Arbeiten suggerieren. Die Studi‐ enlage für das Deutsche ist recht ergiebig, was sogenannte Geräusch-als-Bewe‐ gungsverben angeht. Es wird die Debatte darüber nachgezeichnet, inwiefern eine valenz- oder eine konstruktionsgrammatische Modellierung zielführender sein kann. Die übrigen Studien zu Modalverben, Kopulaverben oder verblosen Konstruktionen sowie reflexiven Konstruktionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen sind methodologisch weniger systematisch und weniger umfangreich, was das ausgewertete Datenmaterial angeht. An dieser Stelle wird ein Desiderat erkennbar, dem ich mit der vorliegenden Arbeit nachgehen möchte. Kapitel 5 bildet die erste Teilstudie der vorliegenden Arbeit ab. Ziel des Kapitels ist es, die prototypischen Versprachlichungsstrategien von Bewegungs‐ 22 1 Einleitung <?page no="23"?> ereignissen des Deutschen zu erheben. Zu Beginn des Kapitels wird das für die Teilstudie I verwendete Korpus DWDS-Kernkorpus (1990-1999) vorgestellt. Darauffolgend wird dargelegt, wie die Erarbeitung der Suchanfragen erfolgt ist. Es wird gezeigt, wie man durch ein systematisches Bootstrapping-Verfahren Lexeme als unbekannte Zielgrößen erheben kann. Das derart erhobene Sample wird schließlich vorgestellt. Das methodische Vorgehen wird durch eine aus‐ führliche diskursive Darlegung der manuellen Annotation abgeschlossen. Unter Kapitel 5.2 werden die Ergebnisse der ersten Teilstudie aufgeschlüsselt. Die Dar‐ stellung richtet sich nach den jeweiligen Bewegungsereignissen sowie nach der Argumentstruktur der Konstruktionen. In der anschließenden Diskussion unter 5.3 werden insbesondere Modalkonstruktionen sowie reflexive Konstruktionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen beleuchtet. In Abschnitt 5.4 wird erläutert, warum bei einer empirischen Studie mit jedem Schritt poten‐ ziell problematische Entscheidungen zu treffen sind, welche methodischen Schwierigkeiten Korpusstudie I zeigt und wie versucht wurde, mit diesen Schwierigkeiten umzugehen. Mit Kapitel 6 folgt die zweite Teilstudie der vorliegenden Arbeit. Im Kontrast zu Teilstudie I wird hierbei kein globales Bild angestrebt, sondern eine Nahauf‐ nahme einer teilschematischen Konstruktion angefertigt. Hierzu wird zunächst begründet, inwiefern sich die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] in besonderer Weise als gewinnbringend für eine solche Nahaufnahme er‐ weist. Unter Abschnitt 6.2 wird das methodische Vorgehen begründet sowie auf die wesentlichen methodologischen Unterschiede zu Teilstudie I eingegangen. Wichtig sind dabei die verwendeten Assoziationsmaße sowie die Operationali‐ sierung der Produktivität. Ein wesentlicher Unterschied zu Teilstudie I stellt zudem die Kollokationsanalyse dar, die für die frequentesten Lexeme der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] durchgeführt wurde. Es zeichnen sich deutliche idiosynkratische Gebrauchspräferenzen ab, was die verwendeten Lexeme des Verbslots betrifft. Die Kollokationsanalysen weisen allerdings gleichzeitig darauf hin, dass sich die festgestellten Exploitationen in systematischer Weise von den frequentesten lexikalisch spezifizierten Kon‐ struktionen ableiten lassen. Die Diskussion wird unter Kapitel 7 der vorliegenden Arbeit geführt. Zu‐ nächst werden die zentralen Ergebnisse dargelegt, aber auch weitere Desiderate sowie Limitierungen der vorliegenden Arbeit aufgezeigt. Ein Unterkapitel widmet sich den offenen Fragen der konstruktionsgrammatischen Theoriebil‐ dung. Dabei werden Fragen der Formalisierung sowie der Terminologie ange‐ sprochen. 1.3 Aufbau der Arbeit 23 <?page no="25"?> 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen In diesem Kapitel sollen die für die Fragestellung der Arbeit zentralen Begriffe definiert werden. In einem ersten Schritt wird der Begriff des Bewegungsereig‐ nisses aufgefaltet und dieser in Zusammenhang zu dem Begriff der Bewegungs‐ konstruktion gebracht. Ich folge in diesem Kapitel weitgehend den Arbeiten Leo‐ nard Talmys, da seine typologischen Studien den Forschungsraum begründet haben. Zusammen mit den Arbeiten Dan I. Slobins werden seine Arbeiten auch als „The standard theory of lexicalization patterns in the encoding of motion events (kurz STLP)“ bezeichnet (Berthele 2013: 55). Auf der Grundlage der STLP wird eine Abgrenzung zwischen faktiven und fiktiven Bewegungsereignissen vorgenommen. Die beiden Klassen werden von konzeptuellen Metaphern und körperassoziierten Bewegungsereignissen abgegrenzt. Es werden im Anschluss zwei unterschiedliche Perspektiven auf die Versprachlichung von Bewegungsereignissen vorgestellt. Im Rahmen der sogenannten framing typology wird der Frage nachgegangen, wie semanti‐ sche Elemente in unterschiedlichen Sprachen durch sprachliche Formen ver‐ packt werden: Es steht somit die onomasiologische Perspektive im Fokus. Die actuating typology hingegen spiegelt diesen Blickwinkel und greift die semasiologische Perspektive auf: Im Rahmen der actuating typology werden die syntaktischen Kategorien unterschiedlicher Sprachen konstant gehalten und beobachtet, welche semantischen Elemente von diesen versprachlicht werden. Darauf aufbauend wird in diesem zweiten Kapitel eine typologische Einordnung des Deutschen vorgenommen. Durch einen Vorweggriff auf die Korpusstudien der vorliegenden Arbeit wird deutlich, dass das Bild ein deutlich komplexeres ist, als es die bisherigen Arbeiten zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen im Deutschen suggerieren. In einem abschließenden Unterkapitel werden drei zentrale Kritikpunkte an der STLP ausgeleuchtet. Die Kritik betrifft die Unschärfe von Kategorien, methodologische Aspekte rund um die Introspektion sowie die Idee der semantischen Dekomposition als theoretische Grundannahme der STLP. <?page no="26"?> 2.1 Hinführung: Bewegungsereignisse und Bewegungskonstruktionen Um die Frage „Was ist ein Bewegungsereignis? “ zu beantworten, muss zunächst ein zweiter Begriff eingeführt werden: der Begriff des Events, im Folgenden für das Deutsche als Ereignis bezeichnet. Diese beiden Begriffe sind sowohl in der Linguistik als auch in anderen an kognitiven Prozessen interessierten Wissenschaften eng verbunden. Ich beginne mit meinem Definitionsversuch bei den Ansätzen der STLP, da diese Axiome als Grundlage für die gesamte folgende Analyse dienen werden. Unschwer zu erkennen ist in Talmys früheren Arbeiten seine Anlehnung an die Generative Linguistik. Im Kontrast zu Fillmore und dessen Idee von Tiefenkasus (1968) setzt Talmy zunächst keine Handlungsträger an, sondern geht als zentrale Idee von sogenannten Ereignissen aus. Der Begriff des Ereignisses lässt sich anhand einer alltäglichen Handlung explizieren. Nehmen wir das simple Beispiel des Blumen‐ pflanzens: Diese komplexe Handlung lässt sich in mehrere Subsequenzen zerlegen: Man nimmt die Blume aus dem Plastiktöpfchen, steckt sie in die vorbereitete Erde, drückt diese an und gießt die frisch eingetopfte Pflanze. In jedem dieser vier Schritte steckt jedoch eine Reihe weiterer Teilhandlungen. Wenn Sie die Blume aus dem Plastiktöpfchen nehmen, müssen Sie sich zunächst zum Plastiktöpfchen hinbewegen, dann Ihre Arme und Hände koordiniert in Richtung der Pflanze strecken, an entspre‐ chender Stelle des Stängels zupacken, ziehen, schütteln, drücken, bis sich die Pflanze aus dem Töpfchen löst, das Töpfchen abstellen und anschließend in Richtung der vorbereiteten Erde bewegen. Das Zupacken, Ziehen, Schütteln und das sich-Bewegen lässt sich selbstredend abermals in kleinere Teilhandlungen zerlegen, die an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden sollen. Die potenzielle Unabgeschlossenheit an Teilhandlungen sollte deutlich geworden sein. Ein Ereignis ist Talmy zufolge das Ergebnis einer Konzeptualisierung, die auf grundlegenden kognitiven Fähigkeiten des menschlichen Geistes beruht (Talmy 1991: 481). Ereignisse existieren nicht in der realen Welt, sondern werden durch mentale Grenzziehungen einerseits sowie die Zuschreibung von Ganzheit andererseits konstruiert. Talmy weist darauf hin, dass somit Entitäten geschaffen werden, die anderweitig ein Kontinuum darstellten. Genannt werden Raum, Zeit sowie andere qualitative Domänen: Among various alternatives, one category of such an entity is perceived or conceptu‐ alized as an event, a type of entity that includes within its boundary some portion of a qualitative domain in correlation with some portion of time, that possibly rests on primitive phenomenological experience which may be characterized as dynamism, and that is probably both foundational and universal in human cognition. (Talmy 1991: 481) 26 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="27"?> Talmys Verweis auf ein Kontinuum wird am eingangs dargelegten Beispiels der bis ins Unendliche zerlegbaren Handlungen deutlich. Eine unendlich kleine Einteilung führt zu einem kontinuierlichen Strom an Informationen. An dieser Stelle wird ebenso deutlich, warum die Fähigkeit zur Konstruktion von Ereignisrepräsentationen einen evolutionären Vorteil bietet: Sie ermög‐ licht einen möglichst ökonomischen Umgang mit dem auf die menschlichen Sinnesorgane einströmenden Informationsfluss und stellt eine angemessene Reaktionszeit auf diese eingehenden Umweltreize sicher. Talmys Ausführungen zur Ereigniskonstruktion werden durch Erkenntnisse aus der Psychologie und den Neurowissenschaften gestützt (Zacks & Swallow 2007). Ereignisse sind somit Abstraktionen frequenter Handlungsschemata, die es uns erlauben, potenziell unendliche Teilhandlungen zu kompakten Einheiten zu bündeln. Bewegungsereignisse stellen eine Subgruppe von Ereignissen dar, die sich dadurch auszeichnet, dass eine oder mehrere Entitäten eine Veränderung der Position im Raum erfährt. Unterschiedliche Sprachen zeigen nun unterschiedliche Strategien zur Ver‐ sprachlichung von Bewegungsereignissen. Nach Talmy (1972) ist allen Spra‐ chen ein Grundinventar an semantischen Elementen, die isoliert voneinander existieren, gemein. Als semantische Grundelemente postuliert er in seinem 1985 erschienenen Aufsatz “Lexicalization patterns: semantic structure in lexical forms” M O TI O N , P ATH , F I G U R E , G R O U N D , M AN N E R und C A U S E (Talmy 1985: 57). Die Versprachlichung dieser Elemente erfolgt jedoch nicht über eine eins-zu-eins-Zuordnung sprachlicher Einheiten. Mehrere semantische Grundelemente können vielmehr durch ein einziges sprachliches Element, Talmy spricht von surface elements, ausgedrückt werden, oder ein einzelnes semantisches Grundelement kann mehrere sprachliche Elemente benötigen, um versprachlicht zu werden. Die semantischen Grundelemente F I G U R E und G R O U N D stammen ursprünglich aus der Gestaltpsychologie, haben in Talmys Framework jedoch eine abwei‐ chende Bedeutung. Der Begriff Figure referiert auf eine sich bewegende oder sich potenziell bewegende Entität, während der Begriff G R O U N D auf einen Referenzraum verweist, zu welchem sich das Objekt in seiner Bewegung verhält (ebd.: 61). Der Begriff P ATH referiert auf den Weg, den die F I G U R E zurücklegt. M AN N E R beschreibt dabei die Art und Weise der Bewegung und die semantische Grundkomponente C A U S E kann auftreten, wenn die Bewegung durch Fremd‐ einwirkung eintritt. Die vorliegende Arbeit übernimmt die Terminologie der STLP. Zusätzlich wird eine feinere Unterscheidung eingeführt, was das Element P ATH betrifft. Je nachdem, ob sich die F I G U R E von einem Ort entfernt, sich auf 2.1 Hinführung: Bewegungsereignisse und Bewegungskonstruktionen 27 <?page no="28"?> einen Ort zubewegt oder sich auf dem Weg dazwischen befindet, spreche ich von S O U R C E (Quelle), G O AL (Ziel) oder R O U T E (Pfad) (vgl. Jackendoff 1983). Talmy unterscheidet weiterhin zwischen zwei grundlegenden Typen von Bewegungsereignissen (Talmy 2000a: 25). Der erste Typ wird als translational motion bezeichnet. Die translational motion liegt dann vor, wenn sich die Lokalisation der Entität in einem bestimmten Zeitintervall verändert. Davon abzugrenzen ist eine Lokalisation ohne Veränderung innerhalb eines Zeitin‐ tervalls. Das bedeutet, dass innerhalb dieser Theorie auch solche Ereignisse miteinbezogen werden, bei der die F I G U R E keine Veränderung im Raum erfährt (L O C ATI O N ). Aus den bisherigen Überlegungen ergibt sich eine Systematisierung, die Tabelle 1 zeigt. - M A N N E R C A U S E M O T I O N The pencil rolled off the table. The pencil blew off the table. L O C A T I O N The pencil laid on the table. The pencil stuck to the table (after I glued it). Tabelle 1. Systematisierung von Bewegungsereignissen nach Talmy (2005a: 25). Eine zweite Kategorie von Bewegungsereignissen ist die sogenannte self-con‐ tained motion. Hierbei bewegt sich die F I G U R E , ohne jedoch eine wahrnehmbare Strecke im Raum zurückzulegen. Unterschieden werden kann innerhalb dieser Kategorie in Rotationsbewegungen, Oszillationsbewegungen sowie Verände‐ rungen durch Dilatation (ebd.). In der deutschsprachigen Literatur finden sich zur Unterscheidung dieser beiden Konzepte auch die Begriffe Fortbewegung für translational motion in Abgrenzung zum Terminus Bewegung für self-contained motion (Ágel 2017). Abbildung 1 bietet einen Überblick über die unterschied‐ lichen Bewegungsereignisse in Form eines Organigramms durch Einbezug distinktiver semantischer Merkmale. 28 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="29"?> Ereignis LOCATION dynamisch MOTION + dynamisch self-contained motion - Ortsveränderung translational motion + Ortsveränderung intentional motion fremdverursacht caused motion + fremdverursacht Abbildung 1. Klassifikation von Bewegungsereignissen durch eine distinktive Merkmals‐ analyse. Unter Berücksichtigung des Organigramms aus Abbildung 1 lassen sich die bisher angesprochenen Klassen von Bewegungsereignissen eindeutig identifi‐ zieren und benennen. Grenzfälle werden im Laufe der vorliegenden Arbeit diskutiert werden. Zunächst sollen die angesetzten Kategorien durch sprach‐ liche Beispiele für das Deutsche fruchtbar gemacht werden. Tabelle 2 dient der Illustration. Bewegungsereignis Beispiel deutsche Begriffsentsprechung intentional motion Der Vogel flattert auf den Baum. Intentionale Bewegung caused motion Die Serviette weht vom Tisch. Kausal-induzierte Bewegung self-contained motion Sie tippelt auf der Stelle. Ego-zentristische Bewegung Tabelle 2. Begriffsbestimmungen von Bewegungsereignissen. In der linken Spalte sind die Bewegungsereignisse als Kategorien der STLP auf‐ geführt. Es folgen in der zweiten Spalte Beispiele für die deutsche Sprache. Die Übertragung der englischen Originalbeispiele in das Deutsche wirft zunächst keine größeren Schwierigkeiten auf. Das ist insofern wenig überraschend, 2.1 Hinführung: Bewegungsereignisse und Bewegungskonstruktionen 29 <?page no="30"?> als dass die STLP nach Talmy den Anspruch erhebt, übereinzelsprachliche Konzepte zu bestimmen. Zudem liegen das Englische und das Deutsche aus typologischer Perspektive nah beieinander. Zu den sprachspezifischen Unter‐ schieden komme ich in den Kapiteln 2.3 sowie 5.3. Es sind in Tabelle 2 außerdem die für diese Arbeit vorgeschlagenen Termini aufgeführt. Die Definition läuft hierbei über die Semantik und nicht etwa über die jeweilige syntaktische Umsetzung des Bewegungsereignisses. Unter caused motion findet sich als exemplarischer Beleg Die Serviette weht vom Tisch. Aus syntaktischer Perspektive liegt eine intransitive Konstruktion vor. Talmy argumentiert, dass konzeptuell ein kausal-induziertes Bewegungsereignis vor‐ liegt, auch wenn die verursachende Entität sprachlich nicht realisiert wird. Es wird somit eine Trennung zwischen Semantik und Syntax vorgenommen, die sich in der Terminologie entsprechend niederschlägt. In einigen Arbeiten zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen wird diese Trennung aufge‐ weicht, indem die Begriffe intentional motion und intransitive motion bzw. caused motion und transitive motion als quasi-Synonyme verwendet werden (exemplarisch dafür u. a. Rohde 2001). Tabelle 3 hingegen verdeutlicht die Unterschiede zwischen den Begriffen und illustriert die Verwendung innerhalb der vorliegenden Arbeit. - Syntax - Semantik intransitive Konstruktion transitive Konstruktion Intentionale Bewegung (IB) Sie steigt auf den Berg. Sie besteigt den Berg. kausal-induzierte Bewegung (KB) Die Serviette weht vom Tisch. Der Wind weht die Serviette vom Tisch. Tabelle 3. Unterschiede zwischen syntaktisch und semantisch motivierter Terminologie. Ein weiterer, für diese Arbeit grundlegender Aspekt lässt sich ebenfalls aus Ta‐ belle 3 ableiten: Sprachnutzer haben bei der Versprachlichung eines Ereignisses unterschiedliche sprachliche Konstruktionen zur Auswahl (vgl. Hanks 2013), um das Ereignis auf eine bestimmte Art und Weise zu perspektivieren. Wie sich das Verhältnis von sprachlichen Normen und Exploitation theoretisch und empirisch bestimmen lässt, ist eine der zentralen Fragen der dieser Arbeit. Nachdem der Begriff des Bewegungsereignisses abgeleitet wurde, wende ich mich der zweiten, eingangs formulierten Frage zu: Was ist eine Bewegungs‐ konstruktion? Als mögliche Alternativen zum Begriff der Bewegungskonstruk‐ tion werden in der Literatur auch die Begriffe Direktivum/ Direktional/ Direk‐ 30 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="31"?> 4 Für Ágel (2017) besteht eine Notwendigkeit, direktionale Satzteile unter dem Begriff Direktivum im Deutschen Komplementstatus einzuräumen, da es wesentlich häufiger auftrete und produktiver sei als beispielsweise Genitivobjekte. Zur gleichen Einschät‐ zung kommt auch Welke (2011), dessen Satzgliedlehre nicht auf semantischen, sondern auf formalen Kriterien fußt. tionale Ergänzung genutzt. Für eine erste Annäherung lohnt ein Blick auf die vorgeschlagene Definition im Metzler Lexikon Sprache: „Direktional (lat. dīrēctum ‹(aus)gerichtet›) Ausdruck, der eine räuml. Richtung bezeichnet (z. B. von hinten, jenseits des Flusses), auch ↑ Kasus in der Funktion des Richtungskasus; ↑ Lokativ“ (Glück & Rödel 2016). Als Direktional werden demnach sprachliche Formen bezeichnet, die eine Richtung im Raum kodieren. Dies beinhaltet nicht zwangsläufig Bewegung, denn auch L O C ATI O N wird durch Direktionale ausgedrückt: (1) Sie steht neben dem Blumentopf. (2) Jenseits der Grenze befindet sich weites Land. Eine Diskussion, ob es sich dabei, je nach grammatiktheoretischem Hintergrund, um ein Satzglied oder eine Ergänzung des Verbes handelt, soll in dieser Arbeit nicht geführt werden 4 . Somit ist der Begriff des Direktionals/ Direktivums nicht geeignet für meine Arbeit: Er ist mit Form-/ Funktionszusammenhängen assoziiert, die nicht im Fokus meines Erkenntnisinteresses stehen. Daher nutze ich im Folgenden den Begriff der Bewegungskonstruktion. Die Perspektive ist somit primär eine ono‐ masiologische: Ausgehend von der Bedeutungsseite des sprachlichen Zeichens wird die Form in den Blick genommen. Bedeutungs- und Formseite sind dabei untrennbar miteinander verwoben: Das stellt ein Axiom dar, das die Konstrukti‐ onsgrammatik aus den strukturalistischen Arbeiten de Saussures übernommen hat und auch für die vorliegende Arbeit gilt. Somit erklärt sich der zweite Teil des Determinativkompositums, die Konstruktion als Bedeutungs-Form-Paar. Diese und weitere theoretischen Grundlagen der Konstruktionsgrammatik werden in Kapitel 3 dargelegt. Ich verbleiben vorerst bei der Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen. 2.2 Die Klassifikation von Bewegungsereignissen In den folgenden Abschnitten werde ich die Unterschiede zwischen Subklassen von Bewegungsereignissen für das Deutsche darlegen. Dabei werden erste Ver‐ schiebungen zu den Talmy’schen Postulaten sichtbar werden. Ich beginne mit 2.2 Die Klassifikation von Bewegungsereignissen 31 <?page no="32"?> der grundlegenden Unterscheidung zwischen faktiven und fiktiven Bewegungs‐ ereignissen, bevor die konzeptuelle Metapher als eine dritte Klasse eingeführt werden. Es folgt die Thematisierung körperassoziierter Bewegungsereignisse als eine vierte Klasse. 2.2.1 Faktive und fiktive Bewegungsereignisse Zu Beginn dieses Abschnitts werden unter (3) und (4) zwei Belege angeführt, die prototypische Beispiele für Bewegungskonstruktionen des Deutschen dar‐ stellen. (3) Sie fährt zum Gartencenter. (4) Sie steckt die Pflanze in den Kübel. In (3) handelt es sich um eine durch die F I G U R E selbst initiierte translationale Bewegung in Richtung eines konkreten Ziels, also ein IB-Ereignis. In (4) liegt ebenfalls eine translationale Bewegung vor. Im Unterschied zu (3) ist die Bewegung der F I G U R E jedoch extern verursacht. Es handelt sich somit um ein KB-Ereignis. Die dargelegten Beispiele in (3) und (4) sind insofern unproblematisch, als dass hier ein von der menschlichen Wahrnehmung als wirkliche Fortbewegung konstruiertes Ereignis sprachlich durch eine zu dieser Wahrnehmung passende direktionale Konstruktion ausgedrückt wird. Dass dies nicht immer der Fall ist, illustriert Beispiel (5): (5) Der Pfad geht vom Waldrand bis zum Aussichtsturm. In allen drei Beispielen liegt ein Verb vor, das mit (kausaler) Bewegung assoziiert ist, sowie direktionale Präpositionalphrasen. Trotzdem weiß man intuitiv, dass sich (5) von den Beispielen (3) und (4) unterscheidet. Worin genau besteht der Unterschied zwischen den angeführten Äußerungen? Während in den Beispielen (3) und (4) eine „reale“, physische Bewegung vorzuliegen scheint, so versprachlicht das Beispiel (5) hingegen eine für die menschliche Wahrnehmung stationäre Situation, in der keine physische Bewegung einer F I G U R E vorliegt. Auf sprachlicher Ebene jedoch sind die Beispiele analog konzipiert. Auch in (5) liegt ein Bewegungsverb in Kombination mit einer direktionalen Präpo‐ sitionalphrase vor. In anderen Worten ausgedrückt: In Beispiel (5) stimmen die Ebenen der Wahrnehmung einerseits und der Versprachlichungsstrategie andererseits nicht überein. Talmy (2000b) postuliert zur Erklärung dieses sich sprachübergreifend zeigenden Phänomens drei unterschiedliche Subsysteme der menschlichen Kognition. Eines dieser Systeme sei dafür verantwortlich, die Bewegung sprachlich zu repräsentieren. Ein zweites produziere den Eindruck 32 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="33"?> eines stationären Zustandes der Situation, welche versprachlicht wurde. Das dritte Subsystem bewerte nun die Wahrheit beider, wobei die sprachliche Repräsentation als fiktiv und der Eindruck des stationären Zustandes als faktiv bewertet werde. Talmy erhebt somit nicht den Anspruch, Aussagen über die außersprachliche oder außerkognitive Wirklichkeit zu treffen, sondern folgt konstruktivistischen Ansätzen. Unter fiktiver Bewegung wird, Talmy folgend, die sprachliche Repräsentation von Bewegung verstanden, bei der keine physische Bewegung wahrgenommen wird (Talmy 2000a). In Talmy (1983) wird hierbei noch von virtual motion gesprochen. Andere verwendete Begriffe verschiedener Autor/ -innen sind mentally simulated motion (Matlock 2004), subjective motion (Matsumoto 1996), extension ( Jackendoff 1983) und abstract motion (Langacker 1986). Matlock (2004) findet im Rahmen ihrer psycholinguistischen Studien zu fiktiven Bewegungsereignissen Evidenz dafür, dass Sprachnutzer fiktive Bewegungsereignisse mental als faktive Bewegung verarbeiten. Daher leitet sich auch ihr Begriff mentally simulated motion ab. Hörten wir beispielsweise die Äußerung „Der Park befindet sich die Straße hin‐ unter“, so erstellten wir Matlock zufolge eine mentale Repräsentation des Weges, der abzuschreiten ist, um vom jetzigen Standpunkt zum Park zu gelangen. Dieses Prinzip der Verarbeitung würde die sprachliche Nähe zwischen faktiver und fiktiver Bewegung erklären. Für das Englische sind die Konstruktionen für beide Typen von Bewegungsereignissen nahezu identisch. Für das Deutsche liegt nach meinem jetzigen Kenntnisstand keine systematische oder empirische Studie zum Vergleich faktiver und fiktiver Bewegungskonstruktionen vor. Das Desidarat soll durch die vorliegende Arbeit geschlossen werden. 2.2.2 Subklassen fiktiver Bewegung Talmy (2018) unterscheidet sechs Subklassen fiktiver Bewegungsereignisse. Ta‐ belle 6 überträgt die Überlegungen zu Subklassen fiktiver Bewegungsereignisse des Englischen ins Deutsche. Sub‐ klasse Definition Beispiel für das Deutsche Emana‐ tion paths Eine fiktive Entität entspringt einem faktiven Objekt, bewegt sich auf einem geraden Pfad durch den Raum (und trifft auf ein entferntes faktives Objekt). (1) Die Wand des Bergmassivs zeigt Richtung Norden. Pattern paths Ein faktives Muster zeigt fiktive Bewe‐ gung, da Komponenten des Musters fak‐ tive Bewegung ausgeübt haben. (2) Als ich den Flur strich, tropfte Farbe die Wand ent‐ lang. 2.2 Die Klassifikation von Bewegungsereignissen 33 <?page no="34"?> Sub‐ klasse Definition Beispiel für das Deutsche Framerelative motion Ein erstes Objekt, das sich faktiv bewegt, ist als fiktiv stationär zu einem zweiten Objekt repräsentiert, wobei das zweite Objekt als sich fiktiv bewegend konstru‐ iert ist. (3) Ich saß im Auto und sah die Landschaft an mir vor‐ beiziehen. Advent paths Die Anordnung von faktiv statio‐ nären Objekten ist durch Ausdrücke versprachlicht, die ein fiktives An‐ kommen-Szenario beschreiben. (4) Die Bäume gruppieren sich um den Felsen. Access paths Die Lokalisation eines faktiv stationären Objektes ist so beschrieben, dass eine Entität dieser an einem fiktiv began‐ genen Weg begegnet. (5) Die Bäckerei ist von der Bank aus gesehen in der Straße gegenüber. Coexten‐ sion paths Die Form, Orientierung oder Lokalisa‐ tion eines faktiv stationären Objektes ist durch einen Ausdruck versprachlicht, der einen fiktiven Pfad über die Ausdeh‐ nung des Objektes beschreibt. (6) Der Zaun führt vom Plateau bis hinunter ins Tal. Tabelle 4. Subklassen fiktiver Bewegung (Talmy 2017), Adaption für das Deutsche. In der Forschungsliteratur findet sich eine Auseinandersetzung mit den Coexten‐ sion paths (vgl. Talmy 2011); die übrigen Subklassen fiktiver Bewegung sind nach meinem Kenntnisstand eher stiefmütterlich behandelt worden. Es scheint, als sei die Subklasse Coextension paths der Prototyp fiktiver Bewegungsereignisse. In der Tat scheint diese Kategorie die am wenigsten problematische zu sein. Die Kategorie der Emanation paths ist eine weniger prototypische Kategorie, da die von Talmy aufgeführten Vollverben eine eher deiktische als dynamische Lesart evozieren. Weitere genannte Beispiele für die Gruppe fiktiver Bewegungsereig‐ nisse sind Emissionsereignisse (z. B. scheinen, strahlen) sowie Ereignisse, die Sinneswahrnehmungen versprachlichen (wie etwa sehen, riechen, hören.) (6) Light shone from the sun into the cave. - ‘Von der Sonne schien Licht in die Höhle’ Inwieweit ist das Licht in Beispiel (6) eine fiktive Entität? Ähnliche Schwie‐ rigkeiten bereiten Ereignisse der Sinneswahrnehmung wie in (7), mit dem Unterschied, dass dabei aus biologischer bzw. physikalischer Perspektive fälsch‐ licherweise ein A G E N S konzipiert wird, von dem die Bewegung ausgeht, während das betrachtende Auge aus biologischer Perspektive ein passiver Rezipient der Lichtwellen ist. 34 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="35"?> (7) I looked down the valley. - ‘Ich schaute ins Tal hinab’ Für die Klasse an fiktiver Bewegung, die sensorische Ereignisse versprachli‐ chen, schlägt Matlock (2014: 14) eine vollständige Abgrenzung von fiktiven Bewegungsereignissen vor. Sie bezeichnet diese Klasse als perceived motion. Ich folge Matlocks Abgrenzung nicht, da die Talmyʼsche Einteilung ausreichend funktional erscheint. Kehren wir zurück zu den Subklassen fiktiver Bewegung innerhalb der STLP: Die Kategorie der Pattern paths zeigt per Definition Anteile faktiver Bewegung, sodass an dieser Stelle bereits Abgrenzungsschwierigkeiten zu faktiven Bewegungsereignissen deutlich werden. Ähnliche Schwierigkeiten bereitet die Klasse der Frame-relative paths, denn auch bei dieser Klasse liegt faktive Bewegung vor. Allerdings sind F I G U R E und G R O U N D auf sprachlicher Ebene gewissermaßen vertauscht. Die Kategorie der Access paths wiederum beschreibt in meinen Augen einen stationären, nicht-dynamischen Zustand, der durch ein nicht-dynamisches Verb ausgedrückt wird. Insofern bleibt die Auf‐ nahme der gesamten Kategorie in die Klasse der fiktiven Bewegungsereignisse fragwürdig. Nicht ausgeschlossen werden kann jedoch, dass die von Talmy für das Englische konzipierten Beispiele der Access paths eine dynamischere Lesart zeigen, als dass für das Deutsche der Fall ist (für eine ausführlichere Diskussion zur Notwendigkeit einzelsprachlicher Kategorien siehe die Abschnitte 2.4 sowie 5.3). Talmy (2000a: 104) selbst argumentiert hinsichtlich der Vagheit seiner Klassifikation wie folgt: Most observers can agree that languages systematically and extensively refer to stationary circumstances with forms and constructions whose basic reference is to motion. We can term this constructional fictive motion Speakers exhibit differences, however, over the degree to which such expressions evoke an actual sense or conceptualization of motion - what can be called experienced fictive motion. Aus diesem Zitat geht hervor, dass die Sprache stationäre Ereignisse mithilfe von Zeichen ausdrückt, die ein dynamische Basisbedeutung haben; die in vielen Kontexten mit Dynamik assoziiert werden. Talmy verweist nun auf sprecherindividuelle Unterschiede, was die Interpretation des sprachlichen Zeichens betrifft. Er eröffnet somit ein Kontinuum hinsichtlich der Dynamik des versprachlichten Ereignisses. Das Kontinuum ist nicht sprachlich begründet, sondern findet seine Ursache in der konstruktivistischen Wahrnehmung von Sprechenden. 2.2 Die Klassifikation von Bewegungsereignissen 35 <?page no="36"?> 5 Dieser Absatz beispielsweise würde sich wunderbar für eine Metaphernanalyse eignen: Vordergrund, Hintergrund, begreifbar, sich hinter etwas verbergen, … . 2.2.3 Konzeptuelle Metaphern Eine dritte Kategorie ist notwendig, um den Untersuchungsgegenstand ab‐ grenzen zu können: Neben faktiven und fiktiven Bewegungsereignissen finden sich in den Sprachen der Welt metaphorische Verwendungen von sprachlichen Elementen, die eine Bewegungskomponente tragen, wie in den Beispielen (8) deutlich wird. (8) a. Die Zeit läuft uns davon. - b. Die Tage flogen nur so vorbei. Nach der Metapherntheorie von George Lakoff und Marc Johnson sind Meta‐ phern mehr als rhetorische Stilmittel. In ihrem Grundlagenwerk Metaphors we live by zeigen die beiden kognitivistisch orientierten Linguisten anhand inzwischen vielfach zitierter Sprachbeispiele, dass Metaphern Werkzeuge des Denkens sind und unsere Vorstellungen über unsere Umwelt strukturieren (Lakoff & Johnson 1980a, 1980b; Lakoff 1987). Dabei sind alle Konzepte, die sich nicht unmittelbar körperlich erfahren lassen, notwendigerweise durch Metaphern strukturiert, die es uns ermöglichen, diese nicht-wahrnehmbaren Konzepte begreifbar werden zu lassen. Diese Struktur ist Sprachnutzern weit‐ gehend nicht zugänglich. So wie das Sprechen an sich in den meisten Fällen unbewusst verläuft, so unbewusst bleibt auch die Metaphorik, die sich hinter alltäglichen Aussagen verbirgt. Die Sprache bietet dabei Hinweise auf diese unbewussten Denkstrukturen. Aus der metaphorischen Versprachlichung abs‐ trakter Konzepte ergeben sich bestimmte Konsequenzen. Eine der vermutlich wichtigsten Konsequenzen der Metapherntheorie nach Lakoff & Johnson ist, dass durch das Mapping einer Quelldomäne auf eine Zieldomäne bestimmte Aspekte eines Konzeptes in den Vordergrund treten, während andere im Hin‐ tergrund verbleiben. 5 Unterschieden werden kann im Rahmen der Metapherntheorie in Subklassen konzeptueller Metaphern: Ontologische Metaphern dienen der Konstruktion von Entitäten. Typische Beispiele sind Personifikationen nicht-belebter Ge‐ genstände oder von Konzepten, die keine natürlichen/ physisch erkennbaren Grenzen aufweisen. Strukturmetaphern hingegen dienen der Organisation und Hierarchisierung von komplexen Wissensbereichen, wobei alltägliche Konzepte auf alltagsferne Konzepte übertragen werden. Im Zusammenhang mit dieser Arbeit sind konzeptuelle Metaphern höchst relevant, denn eine Vielzahl von abstrakten Wissensfeldern wird mithilfe von 36 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="37"?> Raumausdrücken organisiert: Allein die beiden konzeptuellen Metaphern T IM E I S A M O VIN G O B J E C T sowie C HAN G E I S M O TI O N sind Grundlage für eine Vielzahl von Ausdrücken, die mit Bewegung assoziiert sind (Lakoff & Johnson 1980a: 468). Hinzu kommen die konzeptuellen Metaphern G U T I S T O B E N ; S C HL E C HT I S T U N T E N , die wiederum eine Basis für eine breite Sprachverwendung bilden. Exemplarisch sind die Belege (9) a. und b. angeführt. (9) a. Gesundheitlich geht es wieder bergauf. - b. Nach der Trennung war ich tief gefallen. 2.2.4 Körperassoziierte Bewegung Nicht erfasst sind bislang solche Bewegungsereignisse, die die Bewegung von Körperteilen beinhalten. Bei der Bewegung von Körperteilen handelt es sich deswegen um eine spezielle Kategorie von Bewegungsereignissen, da die Relation zwischen A G E N S und P ATI E N S eine Teil-Ganzes-Relation sein kann, wie an Beleg (10) sowie (11) gezeigt wird. (10) Der Übende beugt den Rumpf vorwärts und setzt die Hände in Schulterbreite auf dem Boden auf, die Finger zeigen nach vorn. [Borrmann, Günter u. Mügge, Hans: Gerätturnen in der Schule, Berlin: Volk u. Wissen 1957, S.-261] (11) Steil und drohend stach er den Finger nach oben. [Neutsch, Erik: Spur der Steine, Halle: Mitteldeutscher Verl. 1964 [1964], S.-248] Es handelt sich somit nicht um prototypisch faktive, kausal induzierte Bewe‐ gungsereignisse. Bei prototypisch kausalen Bewegungsereignissen fallen A G E N S und P ATI E N S nicht zusammen, sondern stellen verschiedene Entitäten dar. Da sich die Bewegung von Körperteilen also deutlich von kausalen Bewegungs‐ ereignissen unterscheidet, wurde die Klasse körperassoziierte Bewegungsereig‐ nisse für die vorliegende Arbeit angesetzt und im empirischen Teil berück‐ sichtigt. Den nicht-prototypischen Charakter machen Knop & Dirven (2008: 307) daran fest, dass Körperteile lediglich das Element G O AL der Bewegung ausdrücken könnten. Dies trifft es in meiner Einschätzung nicht, denn Beleg (12) zeigt sehr wohl die Versprachlichung der S O U R C E . (12) Sie wandte ihr Gesicht langsam von mir ab dem Fenster zu […] [Rinser, Luise: Mitte des Lebens, Frankfurt a. M.: S. Fischer 1952 [1950], S.-35] Neben diesen Bewegungsereignissen wurden durch die Suchanfragen in den Korpusstudien der vorliegenden Arbeit auch solche identifiziert, in denen der gesamte Körper des A G E N S positioniert wird. Dazu gehören die Konstruktionen mit den klassischen Positionsverben setzen, stellen, legen sowie weniger frequ‐ 2.2 Die Klassifikation von Bewegungsereignissen 37 <?page no="38"?> 6 Für eine ausführliche Beschreibung von Reflexivverben und reflexiven Konstruktionen siehe Abschnitt 5.1.4.7. ente Verben wie plumpsen oder krümeln, jeweils in reflexiven Konstruktionen 6 und teilweise in Passivkonstruktion. Eine weitere Unterkategorie der körperli‐ chen Bewegungsereignisse stellt die Gruppe der Konstruktionen dar, in denen Körperflüssigkeiten bewegt werden (vgl. Belege (13)-(15)). (13) […] und Laura weinte ins Bett hinein, weinte in die noch schweißwarmen Kissen hinein, […] [Koeppen, Wolfgang: Der Tod in Rom. In: ders., Drei Romane, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972 [1954], S.-555] (14) Er hält ein Nasenloch zu, rotzt auf den Boden, […] [Knef, Hildegard: Der geschenkte Gaul, Berlin: Ullstein 1999 [1970], S.-80] (15) Er hebt seinen rechten Arm, winkelt ihn an und speit Priemtabaksaft durch den Armwinkel in den Sand. [Strittmatter, Erwin: Der Laden, Berlin: Aufbau-Verl. 1983, S.-269] Die Kategorie körperassoziierte Bewegungsereignisse subsumiert somit eine Bandbreite an Bewegungsereignissen, die das besondere Merkmal zeigen, das A G E N S und P ATI E N S entweder identisch sind oder aber durch Teil-Ganzes-Bezie‐ hungen strukturiert sind. 2.2.5 Zusammenfassung Nach diesen Ausführungen können die unterschiedlichen Bewegungsereignisse kategorisiert und definiert werden. Das Ergebnis der Systematisierung zeigt Tabelle 5. Kategorie Definition faktive Bewegung Die Bewegungskonstruktion wird vom Sprachnutzer als dynami‐ sches Bewegungsereignis gewertet. fiktive Bewegung Die Bewegungskonstruktion wird als nicht-dynamisches Bewe‐ gungsereignis gewertet. konzeptuelle Metapher Die Bewegungskonstruktion resultiert aus dem Mapping eines dy‐ namischen Quellbereichs auf einen nicht-dynamischen Zielbereich. körperassozi‐ ierte Bewegung Die Bewegungskonstruktion wird als dynamisch gewertet und ent‐ weder durch eine Teil-Ganzes-Beziehung strukturiert oder A G E N S und P A T I E N S sind identische Entitäten. Tabelle 5. Bewegungsereignisse und deren Definitionen. 38 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="39"?> Mögliche Abgrenzungsschwierigkeiten sind auf unterschiedlichen Ebenen be‐ gründet und werden daher an unterschiedlichen Stellen der vorliegenden Arbeit aufgegriffen und diskutiert. Zunächst ergeben sich Probleme, die bereits in der Theorie der Talmy’schen STLP angelegt sind. Dazu wird in Abschnitt 2.4 die Fuz‐ zylogik herangezogen. Als zweite Ursache lassen sich Ambiguitäten wie etwa bei unklarem Referentenbezug feststellen. Schließlich taucht das Phänomen sich überlagernder Bewegungsereignisse auf, das die eindeutige Zuordnung in die vier abgeleiteten Klassen faktive Bewegung, fiktive Bewegung, konzeptuelle Metapher und körperassoziierte Bewegung verhindert. Anhand authentischer Korpusbelege werden somit unscharfe Kategoriengrenzen sichtbar. Die beiden letzteren Probleme stellen ein eher methodisches Problem für die Korpusstudien dar. Daher werden diese Probleme im empirischen Teil unter Abschnitt 5.1.4 erörtert, wenn es um die Frage der Datenkodierung geht. Während Kapitel 2.2 weitere grundlegende Konzepte der Versprachlichung von Bewegungsereignissen beleuchtet hat, werden in 2.3 die typologischen Unterschiede im Mapping der hier eingeführten semantischen Grundbausteine auf sprachliche Einheiten aufgefaltet. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien Talmys Ziel ist es, das Verhältnis von Bedeutungseinheiten und sprachlichen Einheiten zu beschreiben. Postuliert werden demnach zwei unterschiedliche Ebenen, die beide konzeptualisiert und mental repräsentiert seien: (1) die semantische Ebene sowie (2) die syntaktische Ebene. Potenziell sind zwei Wege gangbar, um das Ziel einer Beschreibung der Relationen zwischen diesen beiden Ebenen zu erreichen: (1) Die abstrakte Bedeutungsentität wird konstant gehalten und ermittelt, welche sprachlichen Elemente von Sprechern genutzt werden, um diese auszudrücken. (2) Die konkreten sprachlichen Ele‐ mente werden als Ausgangspunkt genutzt, um die semantischen Elemente zu analysieren, die durch das sprachliche Element ausgedrückt werden. Der zweite Ansatz ist als framing typology bekannt, vielfach zitiert, erweitert und entsprechend kritisiert worden (u. a. Slobin 2004; Pourcel & Kopecka 2005; Ibarretxe-Antuñano & Hijazo-Gascón 2012; Ibarretxe-Antuñano 2017a). Mit diesem Ansatz werde ich mich im folgenden Abschnitt auseinandersetzen. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 39 <?page no="40"?> 2.3.1 Framing typology Talmy postuliert als Ergebnis seiner Arbeiten zur Versprachlichung von Bewe‐ gungsereignissen drei typologische Klassen, nach denen semantische Elemente im Verb repräsentiert sind (siehe Tabelle 6). Sprache/ Sprachfamilie im Verb lexikalisierte Elemente Romanische Sprachen Semitische Sprachen Polynesisch Nez Perce Caddo P A T H + M O T I O N Indo-Europäische exklusive der romanischen Sprachfamilie Chinesisch M A N N E R / C A U S E + M O T I O N Atsugewi Navajo F I G U R E + M O T I O N Tabelle 6. Typologische Klassifikation nach Talmy (1985: 75, 2000: 222). In der darauffolgenden Rezeption und Weiterentwicklung wurden für dieje‐ nigen Sprachen, welche P ATH + M O TI O N durch das Verb versprachlichen, der Begriff verb-framed languages eingeführt. Es wird auf diesen Sprachtyp mit der gebräuchlichen Abkürzung V-framed verwiesen. Für diejenigen Sprachen, in denen MAN N E R + M O TI O N bzw. C A U S E + M O TI O N im Verb lexikalisiert sind, wurde der Begriff satellite-framed languages, kurz S-framed, geprägt. In diesem Abschnitt soll näher auf diese beiden typologischen Klassen eingegangen werden. Sicherlich gibt es sowohl in S-framed Sprachen einige Konstruktionen, die sich am Muster der V-framed Sprachen orientieren und vice versa. Die typologische Klassifikation einer Sprache stellt eine starke Abstraktion des Sprachgebrauchs dar, bei der nicht alle Strukturen gleichermaßen berücksichtigt werden. Talmy bemerkt dazu (2017: Foreword): While every language may exhibit a certain variety of such cross-tier relations, each typology rests on determining the characteristic pattern for a given language—that is, the cross-tier pattern that is most colloquial in style, frequent in occurrence, and pervasive across different types of constructions. Das Zitat mag darüber hinwegtäuschen, dass Talmy selbst keine quantitativen Daten von Sprachen für seine Analyse nutzt. Die angeführten Eigenschaften 40 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="41"?> Unmarkiertheit, Frequenz und Produktivität werden nicht weiter operationali‐ siert. Eine ausführlichere Diskussion hierzu bietet Abschnitt 2.4.2. Ich fahre zunächst mit dem Typ der V-framed Sprachen fort. Dazu werden die sprachlichen Beispiele in (16) und (17) aus dem Spanischen angeführt, das als prototypisch für V-framed Sprachen betrachtet werden kann (Talmy 1985: 69). (16) La botella entró a la cueva (flotando). - the bottle moved-in to the cave (floating) - ‘Die Flasche trieb in die Höhle’ (17) La botella salió de la cueva (flotando). - the bottle moved-out from the cave (floating) - ‘Die Flasche trieb aus der Höhle’ Talmys Beobachtungen zufolge sei es in V-framed Sprachen unüblich, die Art und Weise der Bewegung zu versprachlichen. Vielmehr werde diese durch den Rezipienten aus dem Kontext konstruiert. Daher sind die Angaben, die M AN N E R kodieren, in Klammern dargestellt. Jedoch lägen in diesen Sprachen eine Reihe von Verben vor, die die P ATH -Komponente der Bewegung spezifizieren. In den Beispielen (16) und (17) sind dies die Verben entro sowie salio, die sowohl die Richtung als auch das Überschreiten einer konzeptionellen Grenze ausdrücken. Diese Beobachtungen gehen Wälchli (2001) zufolge bereits auf Tesnière (1959) zurück. Wie bereits in Tabelle 6 dargelegt, wird das Deutsche als indo-europäische Sprache zum Typ der S-framed Sprachen gezählt. S-framed Sprachen zeichnen sich dadurch aus, dass sie die P ATH -Komponente nicht durch das Verb versprach‐ lichen, sondern durch ein Verb-externes Element, das sogenannten satellite, wodurch sich auch der Terminus satellite-framed bedingt. Unter satellite versteht Talmy (2000: 102): „It is the grammatical category of any constituent other than a noun-phrase or prepositional-phrase complement that is in a sister relation to the verb root“. Für das Englische werden Partikeln aufgeführt sowie Wörter, die ebenso als Präpositionen fungieren können. Für das Deutsche werden trennbare und nicht-trennbare Präfixe angeführt. Der Vorteil einer neu eingeführten Wortkategorie statt der Nutzung tradierter Begriffe liegt für Talmy darin, Wörter, die in verschiedenen Sprachen ähnliche Funktionen erfüllen, durch eine einzige übersprachliche Klasse zu systematisieren (vgl. ebd.). Der Zusammenfall mit einzelsprachlichen Wortartenklassen kann eine Abgrenzung jedoch erschweren und die explizite Abgrenzung zwischen dem Begriff satellite und Adposition hat zu Kontroversen in der Rezeption von Talmys 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 41 <?page no="42"?> Arbeiten geführt (vgl. u. a. Goschler & Stefanowitsch 2013, siehe Abschnitt 2.4 der vorliegenden Arbeit). Da die P ATH -Komponente in Sprachen des S-framed Typs Verb-extern ver‐ sprachlicht wird, kann eine andere semantische Komponente innerhalb des Verbs erscheinen. Typischerweise, so Talmy (1985), sei dies entweder die Art und Weise der Bewegung, M AN N E R , wie in Beispiel (18) aus Talmy (1985: 62), oder die Verursachung der Bewegung, C AU S E . (18) The rock slid/ rolled/ bounced down the hill. - ‘Der Stein rutschte/ rollte/ sprang den Berg herunter’ Neben den Relationen MAN N E R und C AU S E definiert Talmy (2000, 2017) eine Reihe weiterer Kategorien, die in der einschlägigen Literatur jedoch bislang weniger rezipiert worden sind. Eine Auseinandersetzung mit diesen Relationen auch für das Deutsche findet sich in Kapitel 2.3.4 der vorliegenden Arbeit. 2.3.2 Actuating typology Während sich der vorausgehende Abschnitt mit der framing typology auseinan‐ dergesetzt hat, wird in diesem Teil der Arbeit die actuating typology thematisiert, die bislang weit weniger rezipiert wurde, wie Talmy selbst bemerkt (Talmy 2017). Die beiden Typologien unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Perspekti‐ vierung: Die framing typology hält das semantische Element P ATH konstant und nimmt dessen Enkodierung in verschiedenen Sprachen in den Blick. Die actua‐ ting typology hingegen fokussiert das Vollverb von Bewegungskonstruktionen, um die enkodierten semantischen Elemente zu fassen. Der Unterschied in der Perspektivierung wird in Abbildung 2 illustriert. 42 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="43"?> PATH Verbintern Verbextern Verb FIGURE Co- Event PATH actuating typology framing typology Abbildung 2. Perspektive der framing typology und der actuating typology im Vergleich. Als Co-Event bezeichnet Talmy (2000b) die zusätzlich zum Fakt der Bewe‐ gung hinzutretende Komponente, die innerhalb des Verbs ausgedrückt werden kann. Diesen typologischen Ansatz fasst Ibarretxe-Antuñano (2017b: 14-16) zusammen, indem sie die drei unterschiedliche Sprachtypen kontrastiert. In Beispiel (19) für das Spanische fallen die semantischen Komponenten M O TI O N sowie P ATH im Verb zusammen: (19) El niño entra corriendo. - ‘Der Junge tritt rennend ein’ Im Englischen hingegen ist es die semantische Komponente M AN N E R , die im Verb mit der M O TI O N Komponente verschmilzt, siehe (20). Diese Sprachen nennt Ibarretxe-Antuñano (2017b) Co-event languages. (20) The boy runs in. - ‘Der Junge rennt rein’ In nur wenigen der bisher weltweit beschriebenen Sprachen fallen die F I G U R E und M O TI O N im Hauptverb einer sprachlich kodierten Bewegungssituation zusammen. Einer dieser Sprachen ist Atsugewi, eine inzwischen beinahe ausge‐ storbene Sprache eines gleichnamigen amerikanischen Ureinwohnervolkes, das im Nordosten Kaliforniens lebt. Es war diese Sprache, über die Talmy seine Dissertationsschrift (Talmy 1972: Semantic structures in English and Atsugewi) verfasste und ihn zu seiner sprachtypologischen Theorie führte. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 43 <?page no="44"?> (21) ‚w ca st’aq‘ -íc’tɑ - 3SG from the wind blowing on it runny icky material moved into liquid - ‘Dadurch, dass der Wind auf das Material geblasen hat, ist das eklige Material zu Flüssigkeit zerlaufen’ Die Holprigkeit der Übertragungsversuche sowohl ins Englische als auch ins Deutsche zeigen auf, wie eng Kognition und Versprachlichungsstrategien verbandelt sind. Die Idee, dass F I G U R E und M O TI O N im Verb einer sprachlich kodierten Bewegungssituation zusammenfallen, ist für Sprachnutzer des Deut‐ schen oder Englischen schwer zu fassen. Diese Beispiele aus drei typologisch völlig unterschiedlichen Sprachen illus‐ trieren erneut den Talmy’schen Grundgedanken: Nach Talmy (2000b; 2017) ist ein Bewegungsereignis auf zwei unterschiedlichen Ebenen konzeptualisiert und repräsentiert: (1) auf der semantischen Ebene, die die Komponenten F I ‐ G U R E / M O TI O N / P ATH / G R O U N D umfasst und (2) auf der syntaktischen Ebene, die u. a. die Elemente Subjekt NP / Verb(en) / Objekt NP(s) / Satellit(en) / Präpo‐ sition(alphrase) enthalten kann. Diese Annahmen haben nach Talmy (2000; 2017) übersprachliche Gültigkeit. Form und Funktion syntaktischer Kategorien werden hierbei nicht trennscharf unterschieden: Die Kategorien Subjekt-NP sowie Objekt-NP referieren auf funktionale Kategorien, während andere gelis‐ tete Elemente auf die Form verweisen (Präposition, Verb). Wichtig für die weitere Argumentation ist die Unterscheidung in simple Ereignisse und komplexe Ereignisse (Talmy 1991: 481). Ein simples Ereignis kann durch einen einzigen Satz versprachlicht werden. Komplexe Ereignisse hingegen lassen sich lediglich durch einen übergeordneten und einen unterge‐ ordneten Satz paraphrasieren. Sie können nicht durch einen einzelnen Satz paraphrasiert werden. Deutlich wird dies an den Beispielen in (22) für ein simples Ereignis und (23) für ein komplexes Ereignis (Talmy 1991: 488): (22) The bottle moved into the cave. In (23) handelt es sich um ein komplexes Ereignis, da sich das Ereignis durch zwei Prädikate ausdrücken lässt. (23) The bottle floated into the cave. - [the bottle MOVED into the cave] DURING-WHICH [it floated] Für Sprachnutzer von Co-Event-Sprachen scheint das Zerlegen in ein „nacktes“ Prädikat M O TI O N und ein separates Prädikat M AN N E R / C A U S E zunächst irritie‐ rend, was nicht zuletzt dadurch bedingt ist, dass die denotierten Handlungen zeitgleich stattfinden und eine Verschmelzung beider Ereignisse somit nahe 44 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="45"?> liegt. Erst aus typologischer Perspektive erscheint die Argumentation schlüssig. Die Klammern unterhalb des Beispiels in (23) illustrieren die Zweiteilung des komplexen Ereignisses, das jedoch in dieser Äußerung des Englischen durch ein einziges Verb ‚to float‘ ausgedrückt werden kann. Die Beobachtungen Talmys (1983, 1985, 1991, 2000b, 2018) weisen darauf hin, dass in den meisten Sprachen der Welt diese Art von Verschmelzung (‚conflation‘) vorkommt. Das Englische ist somit eine Co-Event-Sprache, das Spanische hingegen nicht. Die Liste an Relationen, die in Co-Event-Sprachen als zusätzliche Kompo‐ nenten im Verb kodiert sein können, hat sich bis Talmy (2017) im Vergleich zu seinem 1985er Aufsatz um sechs weitere Relationen erweitert. Diese werden in 2.3.4 für das Deutsche dargestellt. Die Fragen, die man sich nun ausgehend von diesen Beobachtungen stellen kann, sind (1) Welche dieser Relationen sind spezifisch für Einzelsprachen? (2) Ist die Liste dieser nun acht Relationen erschöpft oder liegen in anderen Sprachen andere Muster vor? (3) Wie sieht das quantitative Muster für Einzelsprachen aus? (4) Wie sieht das quantitative Muster sprachübergreifend aus? Die bisherigen Ausführungen in dieser Arbeit deuten darauf hin, dass M AN N E R und C A U S E sowohl sprachübergreifend als auch einzelsprachlich am frequentesten sind. Möglicherweise sind es jedoch lediglich die am bisher besten erfassten Relationen, da zu den anderen sechs von Talmy (2000, 2017) postulierten bislang nur wenige weiterführende Studien vorliegen. 2.3.3 Typologische Einordnung des Deutschen In diesem Abschnitt werden primäre und sekundäre Versprachlichungsstrate‐ gien des Deutschen vorgestellt. Eine diachrone Perspektive bietet einen loh‐ nenden Zugriff auf das komplexe Bild, das sich durch einen Vorweggriff auf die Daten dieser Korpusstudie ergibt. Zudem wird D E IXI S als semantisches Element vorgeschlagen und die Relevanz lokaler Deixis für die Versprachlichung von Bewegungsereignissen im Deutschen thematisiert. - 2.3.3.1 Primäre und sekundäre Versprachlichungsstrategien Die deutsche Sprache zählt, wie das Englische auch, zu den sogenannten Co-Event-Sprachen (Ibarretxe-Antuñano 2017a). In Abschnitt 2.2 wurde dar‐ gelegt, was diesen Sprachtypus auszeichnet: Im Vollverb der Bewegungskon‐ struktion werden M O TI O N sowie eine zusätzliche semantische Komponente versprachlicht. Dass das für das Deutsche zutrifft, kann an folgenden Belegen aus der Korpusstudie dieser Dissertation nachvollzogen werden: 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 45 <?page no="46"?> (24) Zweimal in der Woche quält sich ein Omnibus durch die Schlaglöcher der schlechten Straße herüber, und er ist die einzige Verbindung mit der Welt. [Neue deutsche Literatur, 1953, Nr.-2, Bd.-1] (25) Vielleicht trollte sich Voigt aber auch durch die einzig ansehnliche Gasse Köpenicks - den Kietz. [Ketman, Per u. Wissmach, Andreas: DDR - ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S.-279] (26) Unzählige Lastwagen karren Sand nach vorn, um Stichstraßen für Artillerie und neue Aufmarschwege in die sumpfige Einöde zu legen. [Archiv der Gegenwart, 2001 [1986]] Die Vollverben in den Beispielen (24), (25) und (26) quälen, trollen und karren sind in unterschiedlichem Maße mit Bewegung assoziiert. Allen drei Verben wird im Rahmen der STLP neben dem M O TI O N -Prädikat eine weitere semantische Komponente zugeschrieben, die entweder die Art und Weise (M AN N E R ) der Bewegung beinhaltet (Belege (24) und (25)) oder die Fremdverursachung der Bewegung (C A U S E ) ausdrückt (Beleg (26)). Die Beobachtung, dass S-framed Sprachen wie das Deutsche regelmäßig zusätzliche Informationen über die Art und Weise oder die Verursachung ausdrücken, führt zu der Frage, ob Sprachnutzer die Ereignisse auch anders konzeptualisieren als Sprachnutzer von V-framed Sprachen. Eine zentrale Hypothese zum Zusammenhang zwischen Konzeptualisierung und Versprach‐ lichung stammt von Slobin und wird als Thinking for Speaking-Hypothese bezeichnet. Zwei Annahmen sind für die Thinking for Speaking-Hypothese zentral: Zum einen handle es sich sowohl beim Denken als auch beim Sprechen um dynamische Prozesse, weshalb die statischen Begriffe Sprache und Denken zugunsten des Begriffspaares Speaking und Thinking von Slobin verworfen werden. Zum anderen postuliert Slobin einen moderaten wechselseitigen Ein‐ fluss von Sprechtätigkeit und Denktätigkeit: Dadurch, dass das Sprachsystem den Sprachnutzern ein bestimmtes Lexikalisierungsmuster vorgebe, schärfe dies die Aufmerksamkeit für bestimmte Aspekte eines Ereignisses (Slobin 1987, 1991, 1996, 2006, 2000). My claim is that the preferred construction type in a language predisposes speakers to deal differently with the events encoded in the construction - in this instance, motion events. […] By contrast, in S-languages direction is almost always encoded outside of the main verb, leaving that slot open for an array of manner verbs. As a consequence, these languages have elaborated the domain of manner of movement - presumably because this domain is routinely expressed in a syntactically obligatory component. (Slobin 2000: 109-110) 46 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="47"?> 7 Slobins Thinking-for-speaking-Hypothese ist nicht unumstritten. Für eine kritische Auseinandersetzungen mit den Studien von Slobin et al. siehe u. a. Berthele (2013). Es lässt sich aus dieser Behauptung die Hypothese ableiten, dass Sprachnutzer einer S-framed Sprache im Vergleich zu Sprachnutzern einer V-framed Sprache mehr Types an Verben zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen nutzen. Diese Hypothese, beziehungsweise die negativ formulierte Nullhypothese, es bestünde kein Unterschied, lässt sich auf unterschiedliche Weise falsifizieren. Slobin und seine Arbeitsgruppe haben eine Reihe von Elizitationsexperimenten mit Sprachnutzern unterschiedlicher Sprachen angestellt, um die Hypothese zu testen. Die Evidenz ist eindeutig: S-Sprachen verfügen über mehr Verben, die M AN N E R und C A U S E ausdrücken, als V-framed Sprachen (Slobin 2004, 2005a; Slobin et al. 2014). Zudem sind Sprachnutzer von S-framed Sprachen aufmerk‐ samer, wenn es um die Art und Weise der Fortbewegung geht, als Sprachnutzer von Sprachen, die diese semantischen Elemente Verb-extern ausdrücken (u. a. Papafragou et al. 2002) und nennen diese in Sprachproduktionsexperimenten entsprechend häufiger (Fagard et al. 2013; Slobin et al. 2014; Berthele 2017). 7 Studien zeigen, dass das Deutsche im Vergleich zum Dänischen etwa eine hö‐ here Variabilität im Verbslot von Bewegungskonstruktionen aufweist. In einer Elizitationsstudie von Jessen & Cadierno (2013), die auf Grundlage von Video‐ clips vorgenommen wurde, nutzen Sprecher des Deutschen 69 Types gegenüber 41 Types bei Sprechern des Dänischen zur Versprachlichung der gezeigten Bewegungsereignisse. Die gleiche Evidenz zeigt sich in Übersetzungsstudien. In Lewandowski & Mateu (2016) wird das Deutsche mit dem Polnischen, ebenfalls S-framed, kontrastiert. Grundlage des Vergleichs ist J.R.R Tolkiens Roman Der kleine Hobbit. Neben einer höheren Anzahl an Verbtypes betonen die Autoren die besondere Komplexität des Deutschen hinsichtlich der Versprachlichung des P ATH -Elementes, das durch ein Präfix, ein Adverbial, eine Partikel, eine PP oder gar keine Kombination ausgedrückt werden kann. Diese Beobachtung führt uns zu den sekundären Versprachlichungsstrategien des Deutschen. Neben diesen im Deutschen frequenten wie produktiven Mustern gibt es wei‐ tere, sekundäre Strategien der Versprachlichung von Bewegungsereignissen. So liegen auch im Deutschen Bewegungskonstruktionen vor, die sich dem V-framed-Typus zuordnen lassen. Hierzu zählen Belege wie (27) und (28). (27) Nach ein paar Minuten verläßt er wieder den Tisch […]. [Schulze, Ingo: Simple Storys, Berlin: Berlin-Verl. 1998, S.-282] (28) Nach kurzer Zeit kamen Irene und Liane wieder aus dem Haus, bestiegen den Volkswagen und fuhren zum Bahnhof. [Die Zeit, 13.03.1970, Nr.-11] 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 47 <?page no="48"?> In diesen direktionalen Konstruktionen ist es die P ATH -Komponente, die mit dem M O TI O N -Prädikat im Vollverb zusammenfällt. Versprachlicht wird hierbei das Übertreten einer fiktiven Grenze. Für Beleg (27) bedeutet dies, dass es der Raum des Tisches ist, der verlassen wird. In Abbildung 3 wird der Unterschied der Perspektivierung illustriert. Er verlässt den Tisch. Er geht vom Tisch weg. Abbildung 3. V-framed und S-framed Konstruktionen des Deutschen im Vergleich. Allerdings nutzt das Deutsche weniger aus dem Latein entliehene P ATH -Verben als andere germanische Sprachen wie etwa das Englische (Hijazo-Gascón 2021: 153). Dass es sich um sekundäre Strategien des Deutschen handelt, lässt sich neben der Frequenz und der Produktivität auch an der Markiertheit der Verben ablesen: Verben, die P ATH kodieren, sind im Deutschen in der Regel morpholo‐ gisch komplex. Sie lassen sich hinsichtlich ihres kompositionellen Charakters sowie ihres Grades an Konventionalisierung in drei Klassen unterscheiden: (1) Präfixverben, (2) Partikelverben und (3) Komplexverben. Als Präfixverben werden solche Verben bezeichnet, deren Verbwurzel sich nicht mehr ohne Weiteres vom Erstglied separieren lässt, die also nicht-kompositionell sind. Ágel (2017) listet {ent-}, {ver-}, {er-} oder {miss-} als typische Präfixe. Die Verben in den Belegen (27) und (28) zählen somit zu den Präfixverben. Die Klasse der Partikelverben hingegen zeigt ein abtrennbares Erstglied, die Gesamtbedeutung ist jedoch trotzdem nicht zwangsläufig kompositionell. Daher spricht Ágel (2017: 309) von „scheinbar freien Morphemen“. Er folgt mit dieser Einschätzung Fleischer (1974), der die Erstglieder von Partikelverben als „homonyme Mor‐ pheme“ bezeichnet. Beispiele für Partikeln sind {auf-}, {ab-}, {zu-}, {um-}. Dass die Kategorien auch an dieser Stelle unscharfe Ränder aufweisen, sieht man daran, dass {um-} sowohl als Präfix als auch als Partikel vorkommen kann. Zur Abgrenzung werden drei Testverfahren vorgeschlagen: Die Weglassprobe, der Topikalisierungstest sowie die Klammerprobe. Ágel (2017) führt eine dritte Klasse morphologisch komplexer Verben ein und nennt diese schlicht Komplexv‐ erben. Hierzu zählt er aus dem Bereich direktionaler Konstruktionen Morpheme 48 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="49"?> wie {herum-}, {weiter-}, {weg-} und {vorbei-}. Die Belege (29) und (30) enthalten solche Komplexverben: hinunterstapfen und durchqueren. (29) Ich bin drüben, sagt Mattern, dreht sich um und stapft den Weg hinunter. [Bobrowski, Johannes: Levins Mühle, Frankfurt a. M.: Fischer 1964, S.-30] (30) Hesselbart vermied nur deshalb die Flucht, weil sie stören würde, denn er hätte, um zum Ausgang zu gelangen, alle drei Schiffe durchqueren müssen. [Neutsch, Erik: Spur der Steine, Halle: Mitteldeutscher Verl. 1964 [1964], S.-277] Im Unterschied zu den Partikelverben sind diese opak und nicht konventionali‐ siert, beispielsweise auch nicht in Wörterbüchern gelistet. Präfix- und Partikelv‐ erben hingegen sind „als Produkte konventionalisiert (und in Wörterbüchern festgehalten)“ (Ágel 2017: 311). Sprachnutzern des Deutschen stehen somit mehrere Strategien zur Verfügung, Bewegungsereignisse auszudrücken: Es gibt zum einen die Möglichkeit, P ATH Verb-extern über eine Präpositionalphrase zu kodieren oder eine zweite Möglichkeit, ein morphologisch komplexes Verb in Kombination mit einem adverbialen Akkusativ (AKK ADV ) zu wählen. Diese Alternation bei bestimmten Verben des Deutschen zeigt Bausewein (1990: 47) an folgenden Belegen (31)-(35): (31) a. Er steigt auf den Berg. b. Er besteigt den Berg. (32) a. Er geht auf die Brücke. b. Er begeht die Brücke. (33) a. Er wandert in dieser Gegend. b. Er erwandert diese Gegend. (34) a. Das Auto fährt durch die Stadt. b. Das Auto durchfährt die Stadt. (35) a. Die Maschine fliegt über Rom. b. Die Maschine überfliegt Rom. Auch Bausewein (1990) hält fest, dass die jeweils erste der beiden Möglichkeiten die unmarkierte Form für das Deutsche sei und zeigt somit die gleiche Einschät‐ zung, wie die, die bereits zu Beginn dieses Abschnitts getroffen wurde. Welche Gründe mögen Sprachnutzer des Deutschen nun haben, die zweite Variante zu nutzen? Bausewein (ebd.) zufolge ergeben sich aus der Transitivität zwei Konsequenzen: Einerseits erhöhe sich die Affiziertheit des G R O U N D S . Bausewein konstatiert, der Ort sei „ganzheitlicher betroffen“ (ebd.: 47). Andererseits erhält man durch die Transitivierung eine Änderung der Aktionsart: In den b.-Vari‐ anten handelt es sich um perfektive Ereignisse. Somit handelt es sich bei den Versprachlichungsstrategien nicht um freie Varianten, sondern um komplemen‐ 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 49 <?page no="50"?> täre, sich ergänzende Muster, die sich hinsichtlich ihres semantischen Gehalts unterscheiden. Eine Variante c. fehlt in den Belegen Bauseweins (ebd.). Die Autorin ver‐ gleicht jeweils morphologisch einfache Bewegungsverben mit der Präfixverb‐ variante. Komplexverben werden nicht angeführt, doch auch diese treten mit AKK ADV -Konstruktionen auf, wie die Belege (36)-(38) herausstellen: (36) Sie geht die Treppe hoch. (37) Sie geht den Weg runter. (38) a. Er steigt auf den Gipfel. b. Er besteigt den Gipfel. c. Er steigt auf den Gipfel herauf. Ágel (2017: 401, 439 f.) beschreibt diese Variante als einen Typ der Valenzerhö‐ hung; Eisenberg & Thieroff (2013: 289-290) erwähnen die Konstruktion am Rande als freien Akkusativ, ohne weitere Ausführungen zu bieten. Dieser Um‐ stand ist einigermaßen erstaunlich, scheinen die Komplexverben in Verbindung mit AKK ADV -Konstruktionen doch produktiv zu sein, wie die Ergebnisse dieser Arbeit in Kapitel 5.2 zeigen. - 2.3.3.2 Diachrone Perspektive Eine diachrone Perspektive nimmt Kopecka (2008) ein. Sie untersucht Ver‐ sprachlichungsstrategien für Bewegungsereignisse des Französischen. Die fran‐ zösische Sprache wird als romanische Sprache gemeinhin den V-framed-Spra‐ chen zugeordnet. Kopecka (2008) zeigt jedoch ein deutlich komplexeres Bild, dass sie aus diachronen Linien zeichnet. Sie hält ebenfalls fest, dass es graduelle Abstufungen hinsichtlich der Verschmelzung bei morphologisch komplexen Bewegungsverben des Französischen gibt, recht analog zu den Beobachtungen, die innerhalb dieser Arbeit bislang für das Deutsche angestellt worden sind. Für die Typologin ist diese Gradualität ein Ergebnis von Sprachwandelprozessen. Ihren Analysen zufolge haben sich einige direktionale Konstruktionen der französischen Sprache vom Alt-Französischen zum heutigen Französisch vom S-framed-Typ hin zum V-framed-Typ gewandelt. 50 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="51"?> Satellite-framed pattern Hybrid pattern Verb-framed pattern [ PREF PATH ] - [V MANNER ] [ V PATH + MANNER ] [ V PATH ] ac-courir affluer arriver dé-rouler déferler descendre s’é-couler échapper éloigner entrer montre passer … Abbildung 4. Grammatikalisierung von direktionalen Konstruktionen des Französischen aus Kopecka (2008: 18). Der diesem Kontinuum zugrunde liegende Prozess sei ein mittlerweile robust beschriebener Grammatikalisierungspfad. Bei diesem Prozess werden Adverben oder Präpositionen zunächst in transparenten Wortbildungsprozessen als Erst‐ glieder genutzt, um den P ATH zu kodieren, während die Verbwurzel M AN N E R kodiert. Es kommt nun im Laufe der Zeit zu einer Fusion von Erstglied und Verbwurzel. Das komplexe Verb lässt sich von Sprachnutzern nicht länger in seine ursprünglichen Morpheme zerlegen. Die Gesamtbedeutung des Verbs ergibt sich aus der Integration beider Teile, sodass P ATH nun durch die neue Verbwurzel kodiert wird (Kopecka 2008). Einen interlingualen Vergleich, basierend auf den Analysen von Kopecka (2008), konstruieren Goschler & Stefanowitsch (2010: 112), zusammengefasst durch Abbildung 5. Freie Adverben Verbpartikeln Verbaffixe Univerbierte Affixverben E NGLISCH D EUTSCH R USSISCH F RANZÖSISCH S-Sprache V-Sprache Abbildung 5. Lexikalisierungspfad von Szu V-Sprachen (Goschler & Stefanowitsch 2010: 112). Goschler & Stefanowitsch (2010) stellen zudem vorsichtige Versuche an, Grammatikalisierungsprozesse innerhalb des Deutschen nachzuvollziehen. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 51 <?page no="52"?> Vorsichtig sind ihre Versuche deswegen, weil sie sich lediglich auf eine syn‐ chrone Datenbasis aus ihrer Studie zum gesprochenen Deutsch stützen. Sie nutzen die Methode der Kollexemanalyse nach Stefanowitsch & Gries (2005), bei der durch statistische Verfahren Assoziationswerte zwischen Lexemen ermittelt werden. Die Gebrauchshäufigkeit von bestimmten Partikeln in Kombination mit bestimmten Verben wird von Stefanowitsch und Goschler (2010) als Index interpretiert, der auf Lexikalisierungstendenzen schließen lässt. Ihre Ergebnisse lassen sich exemplarisch an dem Verb laufen zeigen. loslaufen entlanglaufen geradeaus laufen vorbei laufen rumlaufen Freie syntaktische Verbindung Lexikalisierte Verbindung Abbildung 6. Lexikalisierungspfad innerhalb des Deutschen (Goschler & Stefanowitsch 2010: 113) Der Versuch, das Deutsche eindeutig einem Framing-Typ zuzuordnen, zeigt, dass das Bild ein wesentlich facettenreicheres ist als bislang in dieser Arbeit angenommen. Die Ursachen hierfür liegen auf zwei unterschiedlichen Ebenen begründet: Aus sprachinterner Perspektive liegen den Sprachnutzern des Deut‐ schen neben der default-Konstruktion [M AN N E R / C AU S E -Verb + PP] weitere Kon‐ struktionen vor, wie etwa [P ATH -Verb + AKK ADV ]. Diese Varianten ergeben sich aus Sprachwandelprozessen. Aber nicht nur die diachrone Sicht führt zu einem komplexeren Bild; auch die synchrone Betrachtung ist bislang nicht ausreichend erfolgt, was uns zum zweiten Aspekt führt: Auch in der vorliegenden Arbeit ist eine nicht hinterfragte Simplifizierung des Begriffs Sprache zugrunde gelegt. Berthele (2013) bringt es auf den Punkt, wenn er konstatiert: “Languages such as French, English, German, or Atsugewi are bundles of sociologically, stylistically, and regionally stratified usage patterns. The boundaries of languages are notoriously unclear […]” (Berthele 2013: 57). Es liegen mittlerweile eine Reihe von Studien vor, die Varietäten des Deutschen hinsichtlich der Versprachlichung von Bewegungsereignissen untersuchen (z. B. Goschler et al. 2013; Berthele 2004b; Berthele 2017) und somit zu einem vollständigeren Bild beitragen. Diese Studien werden in Kapitel 4 zum aktuellen Forschungsstand zusammengefasst und diskutiert. 52 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="53"?> 2.3.3.3 Verb-interne und Verb-externe Versprachlichung von Deixis Ich möchte auf die Möglichkeiten zurückkommen, die Sprachnutzer des Deut‐ schen zur Verfügung haben, wenn sie ein Bewegungsereignis versprachlichen möchten. In den bisherigen Ausführungen fehlt eine weitere, auch für das Deutsche wichtige semantische Komponente: D E IXI S . Im Falle der Lokaldeixis kann die Referenz sprecher-bzw. hörerreferenziell sein, aber auch einen dritten Bezugspunkt darstellen. D E IXI S als semantische Komponente von Bewegungse‐ reignissen bleibt in der Forschung bislang eher weniger prominent thematisiert. Wie Fagard et al. (2013: 370) anmerken, werden bei Studien zu Bewegungsereig‐ nissen D E IXI S und P ATH in vielen Fällen nicht voneinander getrennt analysiert. Auch Talmy fasst D E IXI S als eine Subkomponente von P ATH auf (Talmy 2000b: 57). Slobin (2004) hingegen schlägt neben den typologischen Klassen S-framed und V-framed eine dritte Klasse für solche Sprachen vor, die D E IXI S durch das Verb kodieren. Als Beispiel wird Thai herangezogen. Exemplarisch kann der Beleg (39) aus Fagard et al. (2013: 364) angeführt werden. (39) kháw wîŋ khâw pay nay bâan (Thai) - 3SG run enter go in house - - ‘He ran into the house.’ In dieser Sprache entfallen M AN N E R , P ATH sowie D E IXI S auf das Verb, im Beleg lautet es wîŋ khâw pay ‘sich entfernen und rennend betreten’. In manchen Sprachen ist die lokale Referenz zu einem bestimmten Aspekt des Sprachaktes somit obligatorisch. Wie können nun Sprachnutzer des Deutschen D E IXI S kodieren? Zur Illustra‐ tion sind zunächst die Belege (40)a. und (40)b. angeführt. (40) a. Der kommt einfach zum Bahnhof und wartet hier auf mich, obwohl er gar nicht genau wußte, welchen Zug ich nehme und wann ich komme. [Merian, Svende: Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980 [1980], S.-43] - b. Bevor er aber zu lesen begann, ging er zur Tür, um zu prüfen, ob sie auch verschlossen sei. [Walser, Martin: Ehen in Philippsburg, Frankfurt a. M.: Suhr-kamp 1997 [1957], S.-175] In den Belegen aus (40) sind es die Verben kommen und gehen, durch die D E IXI S kodiert ist. Diese Verben zählen zu den häufigsten im Deutschen verwendeten Verben: Im FOLK-Korpus ist gehen das dritthäufigste Verb nach sagen und machen, kommen liegt auf Rang fünf in diesem Korpus gesprochener Sprache (Zeschel 2017). Kommen und gehen kodieren weder M AN N E R noch C A U S E noch P ATH , sondern sind relationale Ausdrücke, die das Bewegungsereignis perspek‐ 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 53 <?page no="54"?> tivieren. Es wird postuliert, kommen drücke eine Bewegung zum Sprechenden aus, während gehen eine Bewegung versprachliche, die vom Sprechenden wegführe (u. a. Fillmore 1997; Talmy 2000b). Die Referenzpunkte sind jedoch nicht fix, wie die Belege in (40) deutlich werden lassen. Nicht in jedem Fall stellt der Sprecher das deiktische Zentrum dar. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt Oshima (2006). Stattdessen schlägt Oshima für das Englische vor, come und go als Indexe zu begreifen, die ihre Bedeutung aus dem Kontext erhalten. So ergibt sich die Bedeutung von gehen in Beleg (40)b. aus dem vorausgegangenen Kontext: Eine Person befindet sich zunächst an Position X, um diese dann zu verlassen und sich zu Position Y zu bewegen. Referenzpunkt ist somit nicht der Sprechende, sondern Position X. Wälchli (2001: 311) behauptet, kommen und gehen seien im Englischen wie in anderen germanischen Sprachen sowohl als Perspektivierung vom Sprechenden als auch als abweichende Raumreferenz zu gebrauchen. Interessanterweise stehen sich die beiden Perspektiven diametral gegenüber, wie Tabelle 7 zeigt. - C O M E G O Deiktische Verwendung mit Sprecherperspektive Bewegung zu 1.Pers.SG. Bewegung von der 1.Pers.SG. weg Verwendung als Indexe mit abweichender Referenz Bewegung vom lokalen Referenzpunkt weg Bewegung zum lokalen Referenzpunkt hin Tabelle 7. Verwendungen von COME und GO nach Wälchli (2008: 311). Es herrscht bislang keine Einigkeit darüber, wie die Verben kommen und gehen adäquat zu klassifizieren sind. In einigen Studien werden sie zu den Bewe‐ gungsverben gezählt (u. a. Zeschel & Proske 2015), wieder andere verwenden den Begriff generische Verben (Goschler & Stefanowitsch 2013). Goschler & Stefanowitsch (2013: 5) merken zu den Möglichkeiten der Versprachlichung von Bewegungsereignissen an: “They [die Sprecher] can (and frequently do) choose generic or deictic motion verbs, and of course they have the option of encoding manner in a separate constituent in the same way as speakers of verb framed languages”. Die Lösung des Klassifikationsproblems der Verben kommen und gehen liegt nach meiner Einschätzung in der Berücksichtigung des hochgradig polysemen Charakters der beiden Verben. Während die Verwendungen von kommen und gehen in den Belegen (40)a. und b. eine deiktische ist, zeigen die folgenden Belege unter (41)-(43) die generische Verwendung von kommen und gehen. 54 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="55"?> (41) Herr Jutz kam immer mit dem Rad von Kreßbronn, […] [Walser, Martin: Ein springender Brunnen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S.-199] (42) Jeden Sonntag geht sie zur Kirche. [Archiv der Gegenwart, 2001 [1990]] (43) Wieso gehen Sie noch zur Schule? [Kant, Hermann: Die Aula, Berlin: Rütten & Loening 1965, S.-46] Ich argumentiere somit gebrauchsorientiert: Je nach Kontext und je nach Konstruktion ändert sich die Bedeutung der Verben kommen und gehen, sodass eine top-down-Klassifikation nicht sinnvoll sein kann. Ähnlich verhält es sich mit den kausalen Verben bringen und holen (Klein 2001). Auch bei diesem Verbpaar lässt sich sowohl eine deiktische Bedeutung als auch eine Reihe von Verwendungen feststellen, die aus Bedeutungserweiterung oder Metaphorisie‐ rung resultieren, wie die konstruierten Beispiele (44) und (45) illustrieren. (44) Er bringt das Wasser zum Kochen. ‘Er erhitzt das Wasser solange, bis es kocht’ (45) Ich hol mir die neue Xbox 360. ‘Ich gehe in ein Geschäft und kaufe mir die neue Xbox 360’ Es wird deutlich, dass eine gebrauchsbasierte Grammatiktheorie benötigen wird, um die Konstruktionen adäquat beschreiben zu können. Ich verbleibe zunächst beim Phänomen der D E IXI S , das im Deutschen nicht nur durch Verben versprachlicht werden kann: Neben der Möglichkeit, D E IXI S Verb-intern zu kodieren, verfügen Sprachnutzer des Deutschen zudem über Verb-externe Deiktika. Beispiele hierfür zeigen die Belege unter (46), die ebenfalls aus der Korpusstudie dieser Arbeit stammen. (46) a. Dann grätschte sie die Beine auseinander, watschelte wie eine Ente ganz dicht an den Spiegel heran und senkte den Kopf zu Boden. [Biller, Maxim: Cilly. In: ders., Wenn ich einmal reich und tot bin, Köln: Kiepenheuer & Witsch 1990, S.-149] - b. Lena drückte das, bevor sie wieder aus dem Fenster hinausturnte, so aus: [Walser, Martin: Ein springender Brunnen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S.-395] Die Komplexverben heranwatscheln und hinausturnen lassen sich in Verben zer‐ legen, die M AN N E R kodieren, sowie in deiktische Adverben: watscheln [M O TI O N + M AN N E R ] + heran bzw. turnen [M O TI O N + M AN N E R ] + hinaus. Eine Möglichkeit, das Mapping für das Deutsche darzustellen, führt Slobin (2005b: 309) mit Beleg (47) an. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 55 <?page no="56"?> (47) Johann lief ins Zimmer hin -ein - F I G U R E MOTION+MANNER P A T H G O A L D E I X I S P A T H Slobin (2005b) stellt zudem fest, dass P ATH auf zwei syntaktische Strukturen verteilt ist: auf die Präposition ins (Klitikon aus in + A R T ) und das Morphem {-ein}. D E IXI S wiederum, die laut Slobin im Deutschen eine obligatorische Per‐ spektivierung des Bewegungsereignissen in Relation zum deiktischen Zentrum darstelle, falle auf das Affix {hin-}. Für eine derartige Dekomposition des Komplexverbs hineinlaufen spricht nach meiner Einschätzung recht wenig. Die Lexikalisierung scheint für solche Komplexverben schon zu weit fortge‐ schritten, als dass Sprachnutzer diese Art von Komplexverben dekonstruieren würden. Mindestens der Zugriff auf das Erstglied {hinein-} dürfte ein holistischer sein. Nach Klein (2001) drücken direktionale Adverben des Deutschen wie hierher, dorthin, dahin usw. zwei Dinge aus: „ […] sie verweisen deiktisch auf einen Ort, und sie geben zudem an, daß es sich bei diesem Ort um einen Z I E L O R T oder um einen A U S G AN G S O R T handelt“ (Klein 2001: 588). Diese Einschätzung erscheint stimmiger als die Analyse Slobins (2005b), gerade im Hinblick auf die Belege (46)a. und (46)b. 2.3.4 Co-Events in der deutschen Sprache: eine Annäherung Wie bereits dargelegt wurde, sind es insbesondere M AN N E R und C A U S E , die für Co-Event-Sprachen in der Literatur diskutiert werden. In diesem Zusam‐ menhang werden für das Deutsche Bewegungsereignisse genannt, in denen Geräuschverben als Vollverben dienen (Engelberg 2009; Goschler 2011; Maien‐ born 1994; Engelberg et al. 2011). Zwei Belege seien zur Illustration angeführt: (48) Die Harleys knattern gemütlich über die märkischen Landstraßen, die sport‐ licheren Maschinen jagen gefährlich um die Kurven. [B00/ JUN.51081 Berliner Zeitung, 24.06.2000 [S.-35]] (zitiert nach Engelberg 2009: 75) (49) Pferdedroschken und Straßenbahnen rumpelten über den einst ruhigen Witten-bergplatz. [T90/ JUL.27736 die tageszeitung, 07.07.1990, S. 39; Inszenierte Re-korde] (ebd.: 75) Die Beispiele (48) und (49) lassen sich analysieren, indem man den Paraphrasie‐ rungstest anwendet. Somit tritt die Relation zwischen dem Prädikat M O TI O N und der zusätzlichen durch das Geräuschverb kodierten Komponente hervor (siehe Belege (50) und (51)). 56 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="57"?> (50) Die Harleys knattern gemütlich über die märkischen Landstraßen […] [Die Harleys bewegen sich über die Landstraßen] WOBEI DIESE [knattern] (51) Pferdedroschken und Straßenbahnen rumpelten über den […] Wittenbergplatz. [Pferdedroschken und Straßenbahnen bewegten sich über den Wittenbergplatz] WOBEI DIESE [rumpelten] Aus der Paraphrasierung durch Zerlegung in ein nacktes M O TI O N -Prädikat + [X] wird deutlich, dass die Relation zwischen der Bewegung und der zusätzlichen Komponente weder durch M AN N E R noch durch C AU S E adäquat beschrieben wird. Knattern und rumpeln beschreiben gerade nicht die Art und Weise des Fahrens, sondern das Geräusch, das gleichzeitig zur Bewegung vom Fahrzeug produziert wird. Daher schlägt Talmy eine feinkörnigere Analyse der Relationen in Co-Event-Sprachen vor. Diese Relation, die in Belegen (50) und (51) auftaucht, bezeichnet man als C O N C O MITAN C E (Talmy 2017), da eine Gleichzeitigkeit der Ereignisse vorliegt, ohne dass sich ein kausaler Zusammenhang identifizieren ließe. Tabelle 8 zeigt die acht der in der STLP vorgeschlagenen Relationen in einer Adaption für das Deutsche. Semantische Relation Sprachliches Beispiel Paraphrasierung durch Zerlegen in simple Ereignisse P R E C U R S I O N Ich mahle den Pfeffer in die Suppe. Ich mahlte zuerst den Pfeffer, der dann direkt in die Suppe fällt (aber ich hätte den Pfeffer auch in die Suppe schütten können). E N A B L E M E N T Könntest du mir die Flasche herunter‐ reichen? Zuerst greifst du nach der Flasche, um diese zu greifen, was es dir dann ermöglicht, die Flasche herunterzubewegen. O N S E T C A U S A T I O N Ich schlug den Puck weg über das Eis. Zuerst schwang ich den Hockeyschläger gegen den Puck, was diesen als Resultat weg vom Schläger über das Eis bewegte. E X T E N D E D C A U S A T I O N Das Wasser kochte bis zur Hälfte des Topfes herunter. Das Wasser evaporierte durch das Kochen für eine Zeit lang und als Resultat bewegte sich die Oberfläche kontinuierlich nach unten, bis sie die Mitte des Topfes erreicht hat. M A N N E R Der Ball hüpfte den Weg entlang. Der Ball bewegte sich den Weg entlang und hüpfte dabei auf und ab. C O N C O M I T A N C E Der Rabe krächzte durch die Lüfte. Der Rabe flog durch die Luft und produzierte dabei ein krächzendes Geräusch, während er sich fortbewegte. 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 57 <?page no="58"?> Semantische Relation Sprachliches Beispiel Paraphrasierung durch Zerlegen in simple Ereignisse S U B S E Q U E N Z Ich schaue nach dem Eintopf auf dem Herd. Zuerst werde ich in die Küche gehen und das ermöglicht es mir, nach dem Eintopf auf dem Herd zu sehen. C O N C U R R E N T R E S U L T Der Stein platschte ins Wasser. Der Stein bewegte sich ins Wasser, was das Platschen des Wassers während des Eintau‐ chens des Steins ins Wasser verursachte. Tabelle 8. Co-Events nach Talmy 2017, Adaption für das Deutsche. Für das Deutsche setzt Talmy noch eine weitere Relation an, die im Englischen nicht vorkomme. Er bezeichnet diese Relation als R E V E R S E E NA B L E M E N T . Als Beispiel führt er die Belege (52) und (53) an (Talmy 2017). (52) Ich habe den Sack aufgebunden. (53) Ich habe den Hund losgekettet. Dass es nicht ausreichend ist, für die Co-Events in S-framed Sprachen lediglich M AN N E R und C A U S E anzusetzen, bemerken neben Talmy noch weitere Autoren. Slobin (2004: 255) spricht von einer fehl-definierten M AN N E R -Kategorie, da diese eine Reihe von Relationen subsumiere, beispielsweise die Intensität der Bewegung, die Geschwindigkeit der Bewegung, die äußere Krafteinwirkung oder eben die Art und Weise der Bewegung. Olofsson (2014) schlägt ebenfalls eine alternative Analyse vor: Er unterscheidet, maßgeblich auf Goldberg (1995) basierend, zwischen vier Funktionen, die ein Verb in einer Bewegungskonstruk‐ tion im Schwedischen erfüllen kann: • M AN N E R of Motion: Das Verb beschreibt eine Charakteristik der Bewegung. • M E AN S of Motion: Die F I G U R E bedient sich eines Mittels, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. • I N C R E M E N TAL (Israel 1996; Olofsson 2014): Eine Aktivität oder ein Ereignis findet zeitgleich zur Bewegung statt. • R E S U L T : Das Verb denotiert eine Konsequenz oder ein Resultat der Bewe‐ gung. An dieser Stelle der Arbeit kann noch keine Aussage darüber getroffen werden, welche der vorgeschlagenen Analysen bzw. ob eine der vorgeschlagenen Ana‐ lysen für die deutsche Sprache beschreibungsadäquat sind. An diesem Punkt der Arbeit soll lediglich konstatiert werden, dass es unterschiedliche Zugriffs‐ möglichkeiten auf die Analyse von Co-Event-Sprachen gibt. Eine weitere Perspektivierung wird im nächsten Abschnitt thematisiert. 58 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="59"?> 2.3.5 Nesting In seinen späteren Arbeiten generalisiert Talmy das Schema der Bewegungse‐ reignisse, um im Rahmen der framing-Typology weitere Ereigniskategorien zu analysieren (Talmy 2000b). Hierfür führt er den Begriff Macro-Event, zu Deutsch Makro-Ereignis, ein. Die für diese Arbeit relevante Eigenschaft der Makro-Ereignisse nach Talmy ist, dass es S-framed Sprachen möglich ist, eine mehrfache Verschachtelung von unterschiedlichen Ereignissen in einem einzigen Satz auszudrücken. Talmy (2017) nennt dieses Phänomen nesting. Für das Englische seien bis zu vier Ebenen der Verschachtelung möglich. Auch für das Deutsche lässt sich die Idee des nestings nutzen, um Ereignisstrukturen aufzufalten. Ich ziehe dazu die Belege (54), (55) und (56) aus Korpusstudie I der vorliegenden Arbeit heran. (54) Sie hatte Frau Behrend in den Laden gewinkt. [Koeppen, Wolfgang: Tauben im Gras. In: ders., Drei Romane, Frankfurt: Suhrkamp 1972 [1951], S.-134] (55) Die Mutter grüßte zuerst, dann sagte sie, sie habe Tell droben ins Zimmer ge‐ sperrt, […] [Walser, Martin: Ein springender Brunnen, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1998, S.-138] (56) Zum Behelf reicht der Fährmann eine Plastikplane nach vorne, […]. [Ketman, Per u. Wissmach, Andreas: DDR - ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S.-286] In Beleg (54) handelt es sich insofern um die Verschachtelung von Ereignissen, als dass sich der Beleg wie folgt paraphrasieren lässt: ‘Sie winkt und das verursacht die Handlung von Frau Behrend, sich in den Laden zu begeben’. Analog dazu verhalten sich die Belege (55) und (56). Beleg (55) kann mithilfe mehrerer Prädikate wiedergegeben werden: ‘Mutter bewirkt, dass sich Tell ins Zimmer begibt und schließt die Tür des Zimmers zu’. Beleg (56) wird von Talmy für das Englische ebenfalls als Prototyp für das nesting angesehen. Talmy argumentiert, man müsse für ein Ereignis des Reichens zunächst die Hand austrecken, den gewünschten Gegenstand ergreifen, um diesen dann in die gewünschte Richtung zu befördern. Nach meiner Einschätzung ist die Zerlegung in simple Ereignisse bei Beleg (56) jedoch nicht so eindeutig vorzunehmen wie in den beiden Belegen (54) und (55). Welche Gründe könnten Ursache für den Dissens sein? Möglicherweise handelt es sich um sprachspezifische Unterschiede, aus denen sich die unterschiedlichen Intuitionen speisen. Auch sprecherspezifische Präferenzen sind denkbar. Wie meine Wortwahl zeigt: Ich bewege mich im Bereich der Spekulation, was die Grenzziehung zwischen simplen und komplexen Ereignisstrukturen angeht. An dieser Stelle bedarf 2.3 L. Talmys Framing- und Actuating-Typologien 59 <?page no="60"?> 8 Twinkle twinkle sentence starred, The asterisk means that you are marred. Because of you the linguists try Inventing rules which you defy. […] (Peter Reich 1980) es anderer, experimenteller Methoden, um das aufgeworfene Desiderat zu bearbeiten. Festzuhalten ist, dass Sprachen wie das Englische und das Deutsche ihren Sprachnutzern die Möglichkeit bieten, komplexe Ereignisse durch ein einziges Prädikat auszudrücken. Welche Grenzziehungen zwischen Ereignissen vorge‐ nommen werden, ist für den Sprachnutzer durch seine Sprache weitgehend determiniert. Durch die Versprachlichung und insbesondere das, was als kon‐ ventionalisierte Versprachlichungsstrategie bezeichnet werden kann, wird je‐ weils ein Teilereignis der komplexen Szene in den Vordergrund gerückt (Talmy 1991; Tomasello 2015). 2.4 Kritik Funkel, funkel kleiner Stern Die Linguistin hat dich gern Zu beweisen, ohne Frag erfindet Regeln, wie sie mag. frei übersetzt nach Peter Reich (1980) 8 An unterschiedlichen Stellen dieses Kapitels sind die Grenzen der STLP zutage getreten. In diesem Unterkapitel sollen diese Grenzen ausgeleuchtet werden. Sie betreffen unterschiedliche Dimensionen der Theorie. Zunächst liegt ein grund‐ sätzliches Problem vor: Die Unschärfe von Kategorien, die in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen unter dem Begriff Fuzzylogik etabliert ist. Dieses Problem wissenschaftlicher Kategorisierungsversuche wird uns in Methoden‐ kapitel erneut begegnen, soll aber bereits nun für den theoretischen Rahmen diskutiert werden. Ein weiterer Kritikpunkt betrifft das methodische Vorgehen L. Talmys: Die Introspektion als Methode ist ein aus mehreren Gründen unzu‐ reichendes sowie unzuverlässiges Instrument der Datenerhebung. Ein dritter Kritikpunkt zielt auf den Erklärungsansatz der STLP und den Versuch einer semantischen Dekomposition. 60 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="61"?> 2.4.1 Grenzfälle der Klassifikation - Fuzzy Boundaries Ein grundlegendes Problem jeglicher wissenschaftlicher Klassifikationssysteme ist unter dem Terminus Fuzzylogik bekannt. Unter Fuzzylogik versteht man die wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen unscharfer Kategorienränder. Dieser Ansatz stammt ursprünglich aus der Mathematik und diente zur Erfas‐ sung von Elemente, deren Zugehörigkeit zu Mengen nicht distinktiv, sondern graduell zu beschreiben ist (Zadeh 1996). In seinem Aufsatz Vagueness (1937) schreibt der für seine Metapherntheorie in der Linguistik bekannte Mathema‐ tiker und Philosoph Max Black zu diesem Phänomen: While the mathematician constructs a theory in terms of „perfect“ objects, the experimental scientist observes objects of which the properties demanded by theory are and can, in the very nature of measurement, be only be approximately true. (Black 1937: 427) Für die Sprachwissenschaft übernahmen insbesondere Ross (1972) und Lakoff (1973) diese Perspektive für ihren Gegenstandsbereich, die unter anderen von Ronald Langacker (1987) in Rahmen seiner Kognitiven Grammatik thematisiert wurde. Lakoff (1973: 1) fasst die Erkenntnisse der Vorarbeiten von Ross bündig zu sechs Axiomen zusammen, wovon (1) und (2) für die weitere Diskussion wichtig sind und daher angeführt werden: (1) Grammatikalische Regeln treffen in Abstufungen zu. (2) Grammatikalische Elemente sind nicht einfach Vertreter oder keine Vertreter einer Kategorie; die Zugehörigkeit ist graduell. Dass letzteres Prototypeneffekte in Sinne Roschs (Rosch 1975) sind, zeigen zum Beispiel Taylor & Tomasello (1998) für syntaktische Kategorien: Prototype effects are pervasive in human categorization. Nevertheless, the signific‐ ance of prototype categorization for linguistic theory is still a matter of debate. Many mainstream linguistic theories are predicated on well-defined, clear-cut categories, and thus are incapable in principle of accommodating facts of graded membership in a category and fuzziness of category boundaries. (Taylor & Tomasello 1998: 177) Auch die STLP basiert auf klaren Kategoriengrenzen. Lediglich wenn es um die Interpretation fiktiver Bewegungsereignisse durch Sprachnutzer geht, wird ein Kontinuum hinsichtlich der Konzeption der Fiktivität eingeräumt (vgl. hierzu auch Abschnitt 2.2.1 und Abschnitt 2.2.2.). Dem Umstand unscharfer Kategoriengrenzen und den Prototypeneffekten werden u. U. nicht genügend Beachtung geschenkt. 2.4 Kritik 61 <?page no="62"?> 9 Für eine umfassende Betrachtung der Introspektion als Instrument der sprachwissen‐ schaftlichen Arbeit und dem Potential von Grammatikalitätsurteilen in der linguisti‐ schen Forschung siehe Schütze (2016). 2.4.2 Methodologische Bemerkungen zur Introspektion Die STLP nach Talmy basiert auf der Methode der Introspektion. Unter Intro‐ spektion versteht man innerhalb der Linguistik die Konzeption von sprachlichen Beispielen, anhand derer das Befragen des eigenen Sprachgefühls exerziert wird. Die Introspektion als Methode ist eng verbunden mit dem Kompetenz- und Performanzbegriff von Noam Chomsky im Rahmen der Generativen Grammatik. Chomskys Ziel war es, die Sprachkompetenz von Sprechern, insbesondere im Spracherwerb, abzubilden. Die Kompetenz ist hierbei eine abstrakte Fähigkeit, die es Sprechern ermöglicht, Urteile über grammatikalische Phänomene zu fällen. Kommt es bei kompetenten Sprechern zu Fehlern beim Sprachvorgang, so sind diese auf die Performanz zurückzuführen: „What we know and what we do are different things“ (Schütze 2016: 21). Folgerichtig müssen Performanzphäno‐ mene in der Chomsky’schen Schule aus der sprachwissenschaftlichen Analyse ausgeblendet werden. Die Unterscheidung in Kompetenz und Performanz erin‐ nert an die Unterscheidung de Saussures in langue und parole, bezieht sich je‐ doch nicht auf die Abstraktion des Sprachgebrauchs einer Sprachgemeinschaft, sondern auf die kognitiven Vorgänge von Individuen. Vergleichbar argumentiert Talmy (2000a: 4) in der Einleitung zu seinem zweibändigen Werk Toward a cognitive semantics: The issue of methodology is raised by the fact that cognitive semantics centers its research on conceptual organization, hence, on content experienced in consciousness. That is, for cognitive semantics, the main object of study itself is qualitative mental phenomena as they exist in awareness. Cognitive semantics is thus a branch of phenomenology, specifically, the phenomenology of conceptual content and its structure in language. What methodology, then, can address such a research target? As matters stand, the only instrumentality that can access the phenomenological content and structure of consciousness is that of introspection. Gleich mehrere Einwände lassen sich gegen die starke These Talmys anführen, die Introspektion sei das einzige geeignete Instrument, um semantische Struk‐ turen in Sprachen sichtbar werden zu lassen. 9 Zwei dieser Gegenargumente sollen in diesem Zusammenhang detaillierter betrachtet werden: Zum einen stellt sich die Frage des Idiolektes der Forschenden im Gegensatz zum Sprach‐ usus einer Sprachgemeinschaft; zum anderen muss die Frage der bewussten oder unbewussten Manipulation von Daten durch die Forschenden gestellt werden. 62 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="63"?> Für das erste Gegenargument wird ein Sprung zurück ins späte 19. Jahrhundert unternommen. Einer der großen Sprachwissenschaftlicher seiner Zeit, Herman Paul, trifft folgende Einschätzung zum methodischen Vorgehen seiner Disziplin: Wir sind häufig auf die Beobachtung einiger wenigen Individuen, ja eines einzelnen beschränkt und vermögen auch den Sprachorganismus dieser wenigen oder dieses einzelnen nur partiell zu erkennen. Aus der Vergleichung der einzelnen Sprachor‐ ganismen lässt sich ein gewisser Durchschnitt gewinnen, wodurch das eigentlich Normale in der Sprache, der Sprachusus bestimmt wird. Dieser Durchschnitt kann natürlich um so sicherer festgestellt werden, je mehr Individuen und je vollständiger jedes einzelne beobachtet werden kann. Je unvollständiger die Beobachtung ist, um so mehr Zweifel bleiben zurück, was individuelle Eigentümlichkeit und was allen oder den meisten gemein ist. (Paul 1995 [1880]: 29) In Abschnitt 2.3.3 Typologische Einordnung des Deutschen wurde deutlich, dass die deutsche Sprache in einer derartigen Abstraktion nicht existiert, sondern aus einer Vielzahl an Varietäten besteht und somit primäre und sekundäre Versprachlich‐ ungsstrategien für die jeweiligen Varietäten des Deutschen bestimmt werden können. Auch aus diachroner Perspektive ergibt sich ein Bild, das wesentlich komplexer ist als dasjenige, das Talmy anhand weniger durch Introspektion gewonnenen Beispiele für das Englische und einiger weiterer Sprachen zeichnet. Um Herman Pauls Worte zu nutzen: Die Zweifel, „was individuelle Eigentüm‐ lichkeit“ ist, sind berechtigt und sollten durch eine breitere Datenbasis validiert werden. Dies bemerkt auch Talmy selbst und nennt eine Reihe von linguistischen Methoden, um eine Validierung vorzunehmen (Talmy 2000a). Dass beispielsweise die Konstruktion [Verb+AKK ADV ] in den herangezogenen Standardgrammatiken trotz ihrer Frequenz und ihrer Produktivität nur am Rande thematisiert wird, mag durchaus daran liegen, dass in der Linguistik lange Zeit wieder und wieder die glei‐ chen konstruierten Sätze zur Begründung ganzer Theorien herangezogen wurden und eine breite Datenbasis fehlt. Lediglich Ágel (2017) widmet der Konstruktion [Verb+AKK ADV ] längere, ausführlichere Abschnitte; und seine grammatische Textanalyse basiert auf authentischen Sprachdaten. Das führt zum zweiten großen Problem der Introspektion als Methode, der Frage der bewussten oder unbewussten Manipulation von Daten durch die Forschenden: „What is to stop linguists from (knowingly or unknowingly) manipulating the introspection process to substantiate their own theories? “ (Schütze 2016: 5). Wissenschaftliche Gütekriterien wie Objektivität, Validität und Reliabilität sind nicht vereinbar mit der Methode der Introspektion. Talmy (2000a: 5) bemerkt hierzu: „Like any method in a scientific endeavour, introspec‐ 2.4 Kritik 63 <?page no="64"?> tion must be employed with rigor. For example, it must include such procedures as the controlled manipulation of the linguistic material whose meanings are being assessed“. Wie allerdings solche Prozeduren aussehen können, was die kontrollierte Manipulation linguistischer Daten in der Praxis bedeutet, wie die Operationalisierung von Fragestellungen aussehen kann, diese Fragen bleiben unbeantwortet. Es folgt die recht lapidare Aussage „going where the data are“, bei dem die Linguistik mit der Geologie verglichen wird: So wie ein Geologe herausgehen muss, um die Erde zu studieren, so sollten Semantiker dahin gehen, wo die Bedeutung liegt: in die Kognition eines jeden einzelnen (Talmy 2000a). Diese Analogie ist jedoch nicht theoriefrei anzuwenden, sondern setzt ein bestimmtes Verhältnis von Sprache und Kognition voraus, womit wir wieder bei den Axiomen der STLP angelangt wären. Somit ist es fragwürdig, inwiefern das Vorgehen als phänomenologisch bezeichnet werden kann. Sprachwissen‐ schaftler/ -innen sind alles andere als naive Sprecher, sodass eine unbefangene, theoriefreie Konstruktion von Sprachbeispielen und Selbstbefragung unmöglich erscheint. Die Analogie hinkt aus einem weiteren Grund: Lässt man sich auf den Vergleich zwischen einer Sprachwissenschaftlerin und einer Geologin ein, so wird die Geologin sicherlich mehr als eine Bodenprobe entnehmen und sie wird dies an mehr als einer einzelnen Stelle tun, wenn Sie etwas über die komplexen Zusammenhänge auf und unter der Erde erfahren möchte. Daher werden in dieser Arbeit vorwiegend authentische Sprachbelege herangezogen, die aus mehreren „Sprachproben“ gewonnen wurden; wohl wissend, dass diese aus einem bestimmten Korpus und somit aus einem bestimmten sprachlichen Register stammen (mehr zur Auswahl des Korpus und zum Sample siehe Abschnitte 5.1, 5.4 sowie 6.2 und 6.5). Nichtsdestotrotz hat und kann die Introspektion wertvolle Einsichten bieten, wenn es um die Interpretation der erhobenen Daten geht. Die Auswertung sprachlicher Daten beruht letztlich auf den Interpretationen der Linguist/ -innen und somit auf introspektiven Verfahren. Dieser Widerspruch sollte nicht verschwiegen werden, sondern bedarf einer reflexiven Haltung während des Forschungsprozesses (siehe dazu auch die Abschnitte 5.4 sowie 6.6 der vorliegenden Arbeit). 2.4.3 Zur Kompositionalität von Bewegungskonstruktionen Bereits in Abschnitt 2.3.3 ist angeklungen, dass die Art der Dekonstruktion, wie sie Talmy und auch Slobin vornehmen, problematisch ist. Dazu ziehe ich ein zweites Mal das Beispiel aus Slobin (2005b: 309) heran. (57) Johann lief ins Zimmer hin -ein - F I G U R E M O T I O N + M A N N E R P A T H G O A L D E I X I S P A T H 64 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="65"?> In dieser Art der Glossierung wird eine eindeutige Zuschreibung von semanti‐ schen Grundkomponenten auf sprachliche Formen vorausgesetzt, die, wenn wir sie als gegeben voraussetzen wollen, in einem direkten Verhältnis zu den konkreten sprachlichen Formen stehen. Berthele (2004b: 87) merkt zu dieser Art der Zuordnung kritisch an: „Ob beispielsweise die deutsche P in einen Ort oder eine Richtung angibt, hängt einerseits vom von in regierten Kasus ab, aber auch oft vom (Bewegungs)Verb“. In seiner Studie zur Versprachlichung von Bewe‐ gungsereignissen in unterschiedlichen Dialekten des Deutschen nennt Berthele (ebd.) daher als Alternative die verteilte Raumsemantik nach Sinha & Kuteva (1995). Die Bedeutung ergebe sich hierbei nicht aus den Einzelteilen, sondern aus der Gesamtform. Ziel dieser Theorie von Sinha & Kuteva (1995) sei es, die Wichtigkeit der unterschiedlichen Formklassen für die Versprachlichung von Bewegungsereignissen herauszuarbeiten. Berthele (2004b) beispielsweise stellt im Rahmen seiner Elizitierungsexperimente fest, dass Sprachnutzer schwei‐ zerdeutscher Dialekte im Vergleich zu Sprachnutzern des Standarddeutschen bevorzugt Partikelverben nutzen. Dies illustriert Beleg (58) (Berthele 2004b: 88). Somit komme den Partikelverben, Berthele spricht von Raumadverbien, in Dialekten des Schweizerdeutschen eine besondere Bedeutung zu. (58) da uf z mau isch do der hund vom fenschtersims ache kchiit. - ‘da auf ein Mal ist da der Hund vom Fenstersims hinunter gefallen’ (59) der Hund fällt vom Fenstersims runter - F I G U R E M O T I O N + P A T H G R O U N D + P A T H P A T H Beleg (59) zeigt den Vorschlag von Berthele (ebd.), eine solche Versprachlich‐ ungsstrategie des Schweizerdeutschen zu glossieren. Die Termini wurden dabei für die vorliegende Arbeit angepasst. Es wird argumentiert, ein Verb wie fallen enthalte bereits eine Richtungsbedeutung; es drücke eine Bewegung in der Vertikalen aus. Somit werde P ATH in einem solchen Satz nicht nur in der Präposition und in einer Partikel, sondern auch im Verb kodiert. Der Vorschlag von Berthele löst das Problem in meinen Augen nicht, sondern verschiebt es nur. Interessanterweise wird im Aufsatz selbst eine weitere Alternative vorgeschlagen, die jedoch nicht weiter verfolgt wird: „Es ist daher oft angemessen, die direktionale oder lokale Bedeutung eines Ausdrucks nicht einfach einer P zuzuschreiben, sondern dem ganzen Ausdruck (etwa im Sinne einer Konstruktion der Construction Grammar)“ (Berthele 2004b: 87). Ähnliche Beobachtungen wie Berthele (ebd.) beschreiben Fagard et al. (2013). Die Arbeits‐ gruppe zieht parallele Schlüsse aus ihren Daten, auch wenn sie Berthele (2004b) nicht zitieren. Die Arbeitsgruppe von Fagard et al. untersucht in einem quan‐ titativen Ansatz sechs typologisch unterschiedliche Sprachen hinsichtlich der 2.4 Kritik 65 <?page no="66"?> Versprachlichungsmuster von Bewegungsereignissen. Sie nutzen als Grundlage die sogenannte holistic spatial semantics nach Zlatev (2003, 2007). Wie der Name dieser Semantiktheorie bereits andeutet, wird in diesem Rahmen postuliert „that the minimal unit of spatial analysis is the whole (trans)locative utterance, where the meaning of the parts is dependent on the whole utterance and vice-versa“ (Fagard et al. 2013: 366). In diesem Ansatz wird davon ausgegangen, dass körperliche Erfahrungen bis zu einem gewissen Grad zu sprachlichen Universalien führen, der Einzelsprache wird jedoch ein weitaus größeres Ge‐ wicht eingeräumt, als dies bei anderen kognitiven Semantikern der Fall ist. Dies führt uns zu einem weiteren, eng verwandten Kritikpunkt an den Typologien: Es werden übereinzelsprachliche syntaktische Kategorien eingeführt. Dieses Vorgehen führte zu großen Kontroversen unter Grammatikern. Vor allem der zentrale Begriff satellite stößt auf Kritik. Talmy (2000a: 102) subsumiert unter dem Begriff satellite jegliche syntaktische Form, die weder ein nominales noch ein adpositionales Element ist und in Schwesterrelation zum Verb stehe. Goschler & Stefanowitsch (2013) thematisieren die Probleme des Begriffs in einem ganzen Unterkapitel ihres Aufsatzes. Die Hauptkritikpunkte lassen sich bündig zusammenfassen: Je nach Perspektive sei der Begriff entweder zu eng als auch zu weit gefasst. So bliebe die Frage offen, warum Adpositionen exkludiert werden, Affixe jedoch trotz ihrer heterogenen Funktionen in unterschiedlichen Sprachen zu einer großen Klasse aufaddiert werden. Diese Kritik üben auch Croft et al. (2010). Sie schlagen vor, das alles als satellite zu bezeichnen, das keine Verbwurzel ist (Croft et al. 2010: 206). Somit werden auch Adpositionen inkludiert, die in S-framed Sprachen wie dem Deutschen oder Englischen auch ohne begleitende G R O U N D -Komponente auftreten (ebd.). Ich folge diesem Vorschlag. Noch einen Schritt weiter gehen Levinson & Wilkins (2006). In ihrer sprachvergleichenden Studie zu zehn nicht miteinander verwandten Sprachen kommen die Autoren zu dem Schluss, dass nicht nur die syntaktische Ebene von Sprache zu Sprache unterschiedlich abgebildet ist. Sie postulieren basierend auf den Daten ihrer Elizitationsstudie eine grundlegend verschiedene Konzep‐ tualisierung von Bewegungsereignissen durch Sprachnutzer unterschiedlicher Sprachen und plädieren nicht nur für eine syntaktische Typologie, sondern auch für eine semantische Typologie. Es wird also behauptet, dass sich sowohl die Versprachlichungsstrategien als auch die zugrundeliegende Konzeptualisierung fundamental unterscheide. Die Idee von sprachübergreifenden semantischen Grundbausteinen, wie sie der STLP zugrunde liegt, wird verworfen. Die durch unsere Sprachbrille gesehen natürlich erscheinende Vorstellung, dass beispiels‐ weise M O TI O N durch ein Verb kodiert sein müsste, würde durch die Analyse 66 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="67"?> verschiedener Sprachen zerschlagen. Levinson & Wilkins (2006: 551) schreiben hierzu: There really is no room at all for the Fodorean view that universal concepts are macro-packages […]. The evidence points to much more abstract underlying parame‐ ters as the common root of human conceptualization - old-fashioned compenential analysis seems to be a necessary mode of analysis in comparative semantics, even if for processing purposes speakers treat complex semantic macro-molecules as chunks. The implications are that the child language learner is a constructivist - he or she is not just mapping local forms onto pre-existing innate concepts but building those concepts as he or she learns the language. […] the child must construct both domain and range and the mappings between them. Eine konstruktivistische Perspektive auf die Fähigkeit, Sprache zu erwerben und zu nutzen, nehmen auch gebrauchsbasierte Grammatiktheorien ein. Im Gegen‐ satz zu Berthele (2004b) möchte ich den Ansatz der Konstruktionsgrammatik nicht aus den Augen verlieren, sondern mit Kapitel 3 der vorliegenden Arbeit verfolgen, um zu sehen, inwieweit er für die Analyse der Versprachlichung von Bewegungsereignissen des Deutschen trägt. In folgendem Kapitel dieser Arbeit soll daher ausgeleuchtet werden, inwieweit gebrauchsbasierte Ansätze und darunter im Speziellen die Konstruktionsgrammatik beschreibungsadäquate Er‐ klärungen für die Versprachlichung von Bewegungsereignissen des Deutschen bieten können. 2.5 Zusammenfassung In diesem zweiten Kapitel wurden einleitend die Begriffe Ereignis, Bewegungs‐ ereignis sowie Bewegungskonstruktion definiert. Es folgte eine Systematisierung von Bewegungsereignissen hinsichtlich der lokalen Veränderung durch die F I G U R E im Raum. Darauf aufbauend wurden Bewegungsereignisse voneinander abgegrenzt, die zwar mit einem ähnlichen sprachlichen Muster kodiert werden, von Sprachnutzern jedoch unterschiedlich konzeptualisiert werden. In diesem Zugriff konnten die Kategorien faktives Bewegungsereignis, fiktives Bewegungs‐ ereignis, konzeptuelle Metapher sowie körperassoziiertes Bewegungsereignis un‐ terschieden werden. Eine sprachvergleichende Perspektive führte zum Kern der STLP. Dabei lassen sich zwei Blickwinkel auf die Versprachlichung von Bewegungsereignissen konstruieren, die als framing typology und actuating typology bekannt sind. Auf dieser Basis konnte das Deutsche typologisch eingeordnet werden. Durch einen Vorgriff auf die Daten dieser Arbeit wurde 2.5 Zusammenfassung 67 <?page no="68"?> im Zuge der Einordnung erkennbar, dass das Bild ein komplexeres ist als es die typologischen Arbeiten von Talmy suggerieren. An diesem sowie an weiteren Punkten sind die Grenzen der Theorie aufgezeigt worden. In einem nächsten Schritt wurde das Phänomen des nestings dargelegt und gezeigt, dass S-framed Sprachen über kompakte Konstruktionen verfügen, um komplexe Ereignisse zu versprachlichen. Schließlich wurde die Frage aufgeworfen, welche zusätzlichen semantischen Relationen in einer S-framed Sprache wie dem Deutschen in Bewegungskonstruktionen versprachlicht werden. Diese Frage ist zugleich eine der Leitfragen der vorliegenden Arbeit. Talmy unterbreitet hierbei eine Reihe von Vorschlägen, die vorgestellt wurden und bietet einen ersten Ansatz für die Antwort auf die Frage, wie man sich dieses Phänomen der zusätzlichen Co-Events erklären kann. Alternative Erklärungen werden im folgenden Kapitel diskutiert. 68 2 Die Standardtheorie zu Lexikalisierungsmustern von Bewegungsereignissen <?page no="69"?> 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle Das Kunststück der Verwandlung eines Hau‐ fens von Wörtern in ein komplexes zu‐ sammenhängendes Ganzes wird vielmehr mittels eines ausgeklügelten Systems struk‐ tureller Konventionen vollbracht, die von einer Sprache zur nächsten erheblich variieren können. (Guy Deutscher 2008: 38) In diesem Kapitel werden gebrauchsbasierte Sprachmodelle als alternative Modellierungen zum Framework der STLP vorgestellt. Ein besonderer Fokus wird auf der Konstruktionsgrammatik, kurz KxG, liegen. Den engen Zusam‐ menhang zwischen den typologischen Arbeiten Talmys auf der einen und konstruktionsgrammatischen Ansätzen auf der anderen Seite stellen Croft et al. (2010: 203) heraus: Talmy’s typological classification, like typological classifications in general, is fun‐ damentally constructional in the sense of ‚construction‘ in current versions of construction grammar. Constructions are pairings of form and meaning ranging from individual atomic units (morphemes) to complex grammatical units such as a clause. Typological comparison is always ultimately based on equivalent meanings or functions across languages (Croft 2003: 13-19), and typological classification contrasts different grammatical structures that are used to express the meaning/ function in question. Thus, what typologists compare across languages are constructions: particular meanings/ functions and the form paired with that meaning or function. There is thus a close relationship between typological theory and construction grammar. (Croft 2001, 2008) Entscheidend ist in beiden Ansätzen der Form-Bedeutungszusammenhang sprachlicher Zeichen. Zu den sprachlichen Zeichen werden im Rahmen der Kon‐ struktionsgrammatik sowohl sprachliche Zeichen wie Morpheme und Lexeme, aber auch komplexe sprachliche Zeichen wie Phrasen und Sätze gezählt. Daraus ergeben sich theoretische wie methodische Konsequenzen, die im folgenden Kapitel dargelegt werden. Ich beginne mit der Genese und den Grundlagen gebrauchsbasierter Sprachtheorien, denen die KxG zuzurechnen ist. <?page no="70"?> 3.1 Genese Theorien werden in der Regel nicht im Vakuum erzeugt. Ein theoretisches Gebilde ist in den meisten wissenschaftlichen Disziplinen als ein Gegenentwurf zu einer bis dato vorherrschenden Grundannahme zu verstehen, die jedoch weiterhin parallel und in konkurrierender Relation zueinander im wissenschaft‐ lichen Diskurs stehen. Insofern sind die Prämissen eines neuen Entwurfes nur vor der Folie des ihm vorausgegangenen Gedankenganges angemessen einzuordnen. Insbesondere in den Geisteswissenschaften existieren nicht selten konkurrierende Theorien nebeneinander, ohne dass eindeutige empirische Befunde die eine oder andere theoretische Linie eindeutig und endgültig falsi‐ fizieren könnte. Das gilt auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Sprache. Jedoch lassen sich im Rückblick logische Entwicklungslinien des Diskurses nachzeichnen, die für aktuelle Debatten um nach wie vor ungelöste Fragen wie die der Polysemie, der Vagheit oder der Kompositionalität fruchtbar sein können (Geeraerts 1997, 2006, 2009). Tatsächlich offenbart ein Blick in die prästrukturalistische Semantik offenkundige Parallelen zum Framework der kognitiven Semantik des 21.-Jahrhunderts. 3.1.1 Prästrukturalismus Die Epoche vor Beginn des Strukturalismus wird entweder als Epoche der präst‐ rukturalistischen Semantik (Geeraerts 1997) oder als historisch-philologische Semantik (Geeraerts 2009) bezeichnet. Historisch ist nicht als Hinweis auf eine vergangene Epoche zu verstehen, vielmehr wirft der Terminus Licht auf einen wichtigen Aspekt der damaligen Forschungsinteressen. Der Fokus semantischer Analysen in der Zeit vor der strukturalistischen Ausrichtung liegt auf semanti‐ schem Wandel, also einer historisch orientierten Perspektive auf das Lexikon (Diessel 2019: 3). Geeraerts (2009) zufolge sind es drei Pfeiler, auf denen die his‐ torisch-philologische Semantik beruhe: dem der spekulativen Etymologie, der Rhetorik sowie der Erarbeitung von Wörterbüchern. Im 19. Jahrhundert entsteht eine echte wissenschaftliche Form der Analyse, die sich gegen die spekulative Etymologie richtet. Anstelle des Vergleichs von Wörtern innerhalb der gleichen Sprache werden nun systematische Formvergleiche verschiedener Sprachen angestellt. Aus der Schule der Rhetorik übernimmt man die Konzepte Metapher und Metonymie, um systematische semantische Relationen zu erklären. Lexi‐ kographische Untersuchungen bieten Daten für empirische Untersuchungen. Neben Hecht (1888), Bréal (1897) und Dilthey (1910) nennt Geeraerts (1997) Hermann Paul als einen der bedeutendsten Denker des Prästrukturalismus, 70 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="71"?> der von einer psychologischen Konzeption von Semantik geprägt ist. Für diese Arbeit ist insbesondere Pauls Unterscheidung von usueller und okkasioneller Wortbedeutung relevant. Wir verstehen also unter usueller Bedeutung den gesamten Vorstellungsinhalt, der sich für den Angehörigen einer Sprachgenossenschaft mit einem Worte verbindet, unter okkasioneller Bedeutung denjenigen Vorstellungsinhalt, welchen der Redende, indem er das Wort ausspricht, damit verbindet, und von welchem er erwartet, das ihn auch der Hörende damit verbinde. (Paul 1995 [1880]: 75) Wie aus dem Zitat Pauls hervorgeht, ist es die Situation, in die Sprecher und Hörer während der stattfindenden Kommunikation eingebettet sind, die die entscheidenden Hinweise liefert, welcher Vorstellungsinhalt von Produzenten‐ seite intendiert und von Rezipientenseite zu verstehen ist. In diesem Sinne handelt es sich um einen kontextsensitiven Semantikbegriff. Paul nutzt diesem Ansatz weiterhin, um semantischen Wandel erklärbar zu machen: Okkasionelle Bedeutungen können zu usuellen Bedeutungen übergehen, sofern sie häufig genug genutzt werden (vgl. auch Geeraerts 2009). Frequenz ist dabei also ein entscheidender Faktor. Geeraerts (2009) zufolge entwickelt Paul ([1880] 1995) einen gebrauchsorientierten, pragmatischen Ansatz, um semantischen Wandel zu erklären. Die Parallelen zu den heute unter dem Begriff „usage-based“ gruppierten, empirisch-pragmatisch orientierten Sprachmodellen sind offen‐ sichtlich. Im Rückblick erscheint es, als drehe der Diskurs lange Schleifen. 3.1.2 Strukturalismus Der Strukturalismus bricht mit den Ideen einer psychologisch fundierten, gebrauchsorientierten Semantik. Die Leitidee der Strukturalisten ist die Kon‐ zeption von Sprache als System. Die Gründungsfigur des Strukturalismus und für viele damit einhergehend auch der Begründer der modernen Sprachwis‐ senschaft, Ferdinand de Saussure, legt seine Ansichten über das Wesen von Sprache und Bedeutung mithilfe einer Schachmetapher dar: Wie die Regeln des Schachs konventionalisierte Überlieferungen über Gebote und Verbote sind, die sich nicht aus den Formen der Spielfiguren ableiten lassen, so handelt es sich bei natürlichen Sprachen um konventionalisierte Bedeutungen, die in einem arbiträren Verhältnis zu ihrer Form (den Wörtern einer Sprache) stehen. Wie ein Schachspiel in seinen Regeln ein abgeschlossenes System ohne direkten Einfluss von oder zu der Welt außerhalb des Spiels darstellt, so bilden natürliche Sprachen in sich geschlossene Systeme, die es zu beschreiben gilt (Saussure & Lommel 1931: 127-131). Die Schachmetapher greift auch hier: Die Beschreibung 3.1 Genese 71 <?page no="72"?> natürlicher Sprachen erfolgt durch die Beschreibung einzelner Segmente in Beziehung zum restlichen System. An dieser Stelle wird der kategorische Ausschluss von psychologisch-kognitiven Anteilen sowie von semantischen Analysen, die die außersprachliche Welt einbeziehen, expliziert. Erkennbar wird das im folgenden Zitat: Wenn wir die Summe der Wortbilder, die bei allen Individuen aufgespeichert sind, umspannen könnten, dann hätten wir das soziale Band vor uns, das die Sprache ausmacht. Es ist ein Schatz, den Praxis des Sprechens in den Personen, die der gleichen Sprachgemeinschaft angehören, niedergelegt hat, ein grammatisches System, das virtuell in jedem Gehirn existiert, odervielmehr in den Gehirnen einer Gesamtheit von Individuen; denn die Sprache ist in keinem derselben vollständig, vollkommen existiert sie nur in der Masse. Indem man die Sprache vom Sprechen scheidet, scheidet man zugleich: 1. das Soziale vom Individuellen; 2. das Wesentliche vom Akzessorischen und mehr oder weniger Zufälligen. (Saussure & Lommel 1931: 16) Für Geeraerts (2009: 49) bedeutet das in negativer Konsequenz den Verlust eines vielversprechenden Zweiges prästrukturalistischer Zeit. In positiver Kon‐ sequenz hingegen ermögliche der system- und funktionsbezogene Ansatz des Strukturalismus neue Wege, das Lexikon einer Sprache systematisch zu er‐ gründen, und dies nicht mehr vorwiegend diachron, sondern um eine synchrone Perspektive erweitert. Es lassen sich im Rückblick drei große analytische Äste des Strukturalismus ausmachen: Die Theorie lexikalischer Felder nach Jost Trier (1931), die Kompo‐ nentenanalyse nach Pottier (1964) und Coseriu (1967) sowie als dritten Ast die Relationale Semantik, die auf John Lyons (1963) zurückgeführt werden kann. Diese drei bis heute weit verbreiteten, teilweise in Laufe der wissenschaftli‐ chen Auseinandersetzung stark weiterentwickelten und auch miteinander in Kombination genutzten Säulen des Strukturalismus sollen nun der Reihe nach betrachtet werden. Wie de Saussure mit Verwendung der Schachmetaphorik nutzt auch Trier ein eindrückliches Bild, um seine Vorstellung einer angemes‐ senen Analyse lexikalischer Bedeutungen auszudrücken. Trier (1931) bemüht das Bildnis eines Mosaikes, um die Relevanz der paradigmatischen Beziehungen zwischen Wörtern für die Bedeutung einzelner Lexeme herauszuarbeiten. Zunächst fügt sich Triers Ansatz sich insofern nahtlos in den Strukturalismus de Saussures ein, als dass auch bei Trier (1931) die Abgeschlossenheit der Sprache, die Arbitrarität des sprachlichen Zeichens sowie der Systembegriff propagiert wird. Wie Geerarts (2009: 53 f.) herausstellt, ist es die fundamentale Einsicht Triers, Wörter in Verhältnis zueinander und nicht etwa in Isolation zu analy‐ 72 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="73"?> sieren. Der Fokus liegt bei Trier auf den paradigmatischen Relationen, doch mit Walter Porzigs Begriff der wesenhaften Bedeutungsbeziehungen aus seiner gleichnamigen Schrift (1934) wird eine syntagmatische Analyseebene etabliert (vgl. u. a. Baumgärtner 1967), die heute sowohl von Korpuslinguist/ -innen als auch in den Bereichen angewandter Linguistik wieder Verwendung findet und unter den Begriffen Kollokation oder, in generativen Schulen, selektive Restriktionen kursiert (Geerearts 2009: 58). Diese Idee wird in der Distributions‐ hypothese von Harris (1954) zusammengefasst, die postuliert, dass Wörter, die im gleichen Kontext erscheinen, dazu tendieren, die gleiche Bedeutung zu tragen oder wie Firth (1957) es formuliert: „You shall know a word by the company it keeps“ (Firth 1957: 11). Anhänger des Strukturalismus erhoffen mithilfe distributioneller Kriterien das Problem der Subjektivität zu umgehen, indem man formale, nicht-interpretative und daher (vermeintlich) objektive Analysewerkzeuge ansetzt, um die Bedeutung von Wörtern zu fassen zu bekommen. Baumgärtner (1967: 197) verweist auf das Problem lexikalischer Lücken und plädiert aus diesem Grund für eine Abschaffung des Mosaikmodells zugunsten eines Bedeutungsfeldes samt generativer Methoden, worauf später noch eingegangen werden wird. Bleiben wir zunächst bei den Vertretern des Strukturalismus: Den zweiten Pfeiler des Strukturalismus bildet die Kompo‐ nentenanalyse. Ausgangspunkt der Komponentenanalyse ist die Analogie zur Analyse von Phonemen im Bereich der Phonologie. Phoneme einer Sprache werden in der Phonologie durch ein Merkmalbündel eindeutig voneinander unterschieden, den sogenannten distinktiven Merkmalen. Ganz analog dazu, so die Idee, lässt sich die Bedeutung von Wörtern in kleinere Bedeutungsbausteine zerlegen, und zwar in Form einer erschöpfenden Analyse. Unter Wortfeld wird im Rahmen der semantischen Dekomposition eine Menge sinnverwandter Wörter verstanden, deren Bedeutungen sich gegenseitig begrenzen und die einen bestimmten begrifflichen oder sachlichen Bereich abdecken und in der Regel in paradigmatischer Relation zueinanderstehen. Die Grundannahme der Komponentenanalyse ist, dass Bedeutung nicht etwas Holistisches, sondern etwas Analytisches ist, sich also in kleinere Bedeutungseinheiten zerlegen lässt. Eine semantische Spezifizierung erfolgt so weit, bis das Lexem von allen anderen unterscheidbar ist. Dieses Vorgehen bezeichnet man als Kontrastprinzip. Die Zugehörigkeit zu einer Kategorie ist binär, d. h., entweder zutreffend (+) oder nicht-zutreffend (-). Weiterhin gibt es keine Hierarchisierung; alle Lexeme einer Kategorie haben den gleichen Status innerhalb des Wortfeldes. Die Kategorien haben zudem klare Grenzen, sind universell, nicht weiter zerlegbar und generell. 3.1 Genese 73 <?page no="74"?> S E M / L E X E M Fluss Bach Kanal See Meer [ F L I E ẞ E N D ] + + + - - [ N A TÜ R L I C H ] + + - + + [S A L Z W A S S E R ] - - - - + [ G R Oẞ ] - - + +? + Tabelle 9. Merkmalssemantische Analyse des Wortfeldausschnittes G E WÄ S S E R . Anhand von Tabelle 9 lassen sich die bereits viel diskutierten Probleme der Komponentenanalyse beschreiben. Die Wahl der jeweiligen semantischen Merkmale ist willkürlich. Eine Festlegung auf [+ S ÜẞWA S S E R ] hätte ebenso gut [- S AL ZWA S S E R ] lauten können. Problematisch ist zudem die Frage, inwieweit mit dieser Analyse sprachliches Wissen erfasst werden kann oder ob es hierbei um die spezifischen Eigenschaften und Definitionen von Fachwissenschaftlern geht, die dem allgemeinen, intuitiv handelnden Sprachnutzern nicht bewusst sind. Gebrauchsfrequenz sowie Gebrauchskontext bleiben unbeachtet. Als dritte Säule der strukturalistischen Semantik macht Geeraerts (2009) die Relationale Semantik aus. Während die Komponentenanalyse Eigenschaften der außersprachlichen Welt heranzieht, um semantische Eigenschaften von Le‐ xemen zu beschreiben, verordnen sich die Anhänger der Relationalen Semantik insofern stärker der strukturalistischen Grundidee, als dass die außersprachliche Welt aus der Analyse auszublenden ist. Die grundlegenden Beschreibungskom‐ ponenten von Lexemen werden auf sprachliche Repräsentationen beschränkt. Das heißt, dass Begrifflichkeiten wie Synonymie und Antonymie keine Be‐ schreibungen über Identität oder Nicht-Identität in einer realen Welt enthalten sollen, sondern auf rein lexikalischer Ebene agieren. Lyons (1977: 444) formuliert dieses methodische Vorgehen: „The question ‘What is the sense of x? ’ [. . .] is methodologically reducible to a set of questions, each of which is relational: Does sense-relation R hold between x and y? “ Während die Komponentenanalyse auf semantische Bausteine der realen Welt zurückgreift, beschränkt sich die Schule der relationalen Semantik auf Sinnrelationen. Als die wichtigsten Relationen gelten Synonymie, Antonymie, Referenzidentität sowie Hyperonymie bzw. Hyponymie (vgl. u. a. Schwarz-Friesel and Chur 2004). Der Strukturalismus hat die Sprachwissenschaft in ihrer heutigen Form begründet und die lexikalische Semantik um bedeutende Einsichten bereichert. Die synchrone Perspektive, die von Trier, Bloomfeld und weiteren Semantikern in den Fokus gerückt wurde, sowie die von ihnen beschriebenen Sinnrelationen finden sich heute in jeder Einführung in die Sprachwissenschaft wieder. Psycho‐ 74 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="75"?> linguistische Studien wie Reaktionszeittests und Eye-Tracking Studien sowie die Versprecherforschung deuten darauf hin, dass das Mentale Lexikon Lexeme tatsächlich durch ihre semantischen Relationen strukturiert speichert und somit in der Sprachproduktion einen schnellen Zugriff auf das sprachliche Zeichen ermöglicht (u. a. Aitchison 2012). Theoretische Schwierigkeiten und offene Fragen der strukturalistischen Semantik beschäftigen die moderne Sprachwissenschaft bis ins heutige 21. Jahr‐ hundert. Kritik am Vorgehen gab es jedoch auch Anfang bis Mitte des 20. Jahr‐ hunderts aus den eigenen Reihen. Wartburg (1962) weist unter anderem auf eines der zentralen Probleme der Komponentenanalyse hin: Die Unschärfe von Kategoriegrenzen. Für Coseriu (Coseriu und Kastovsky 1978: 20-21) operiere Wartburg mit seinen Einwänden gegen die lexikalische Feldtheorie allerdings auf der falschen Ebene: Der Einwand hat nichts mit der Sprache selbst zu tun, höchstens mit der Wirklichkeit und deren Erfahrung durch den Sprecher. Die sprachlichen Begriffe selbst sind klar und abgegrenzt, erst durch sie kann man feststellen, daß die Grenzen zwischen den Gegenständen der Realität unklar sind. [. . .] Die Aufgabe der Sprachwissenschaft ist es jedoch nicht, festzustellen, wie Gegenstände voneinander getrennt werden können, sondern die Grenzen zwischen den Begriffen festzustellen, die allerdings zum Teil mit den Grenzen zwischen den durch sie bezeichneten Gegenständen zusammenfallen können. Die Prototypentheorie nach Rosch und Mervis (1975) und Rosch (1978) wird diese Gedanken aufgreifen und erwidern. Die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Lexem, Konzept und der außersprachlichen Welt sind nicht die einzigen Schwierigkeiten der strukturalistischen Semantik. Die lexikalische Feldtheorie droht im schlechtesten Fall zirkulär zu erscheinen, wenn a) willkür‐ liche Seme zur Komponentenanalyse hinzugezogen werden und/ oder b) keine distinktiven Seme herangezogen werden können und da c) die Seme „auf der subjektiven Wirklichkeit durch den Sprecher“ (Coseriu 1978: 55) basieren. Auch der strikte Ausschluss von pragmatischen Überlegungen führte schließlich zu einem neuen theoretischen Modell, das im richtungsweisenden Aufsatz „The Structure of a Semantic Theory“ von Katz und Fodor (1963) strukturalistische Analysen, generative Syntax und gebrauchsorientierte Ansätze kombiniert. 3.1.3 Generative Grammatiktheorien Die generative Schule lässt sich seit ihrer inzwischen mehr als 50-jährigen Geschichte nicht mehr als einheitliches Theoriegebilde beschreiben. Auch erhebt diese Arbeit nicht den Anspruch, generativistische Ideen in einer Breite 3.1 Genese 75 <?page no="76"?> und Tiefe ausführen zu wollen (und können). Die Gründerfigur der Generativen Grammatik, Noam Chomsky, begreift seinen Ansatz als kognitiv und gibt als Ziel aus: „Die Aufgabe des Linguisten besteht darin, das Wesen der Elemente [..] zu entdecken: der Daten, des Sprachvermögens, der Sprache und der durch die Sprache festgelegten Ausdrücke“ (Chomsky (1987/ 1996 in Hoffmann 2019: 147)). Nach Chomsky (ebd.) ist [d]as Sprachvermögen […] eine Komponente des Geistes/ Gehirns, Teil der mensch‐ lichen biologischen Ausstattung. Mit Daten konfrontiert, bildet das Kind, oder spezi‐ fischer, das Sprachvermögen des Kindes, eine Sprache aus, ein Berechnungssystem bestimmter Art, das strukturierte Repräsentationen sprachlicher Ausdrücke liefert, die deren Bedeutung und lautliche Form festlegen. Diessel (2019: 2) zufolge sind es drei grundsätzlich zu hinterfragenden Prinzi‐ pien, die die klassischen Strömungen des Generativismus teilen und die Wende zur gebrauchsbasierten Grammatik begründen, welche der generativen Schule diametral gegenübersteht: 1) Die Fähigkeit zur Sprache wird auf genetische Faktoren zurückgeführt, die es der menschlichen Kognition erlauben, aus einer finiten Anzahl von Regeln eine infinite Anzahl an grammatischen Sätzen zu bilden. Diese Fähigkeit wird als Kompetenz bezeichnet. Der Kompetente Sprecher einer Sprache verfüge demnach über alle notwendigen Regeln, die es ihm ermöglichten, wohlgeformte Sätze zu generieren. Kommt es zu fehlerhaften Äußerungen, so liege die Ursache nicht auf der kognitiven Ebene, sondern sei ein sogenanntes Performanzphänomen. Somit wird eine klare Trennung zwischen Sprachwissen und Sprachgebrauch gezogen. 2) Da der Fokus sprachwissen‐ schaftlicher Untersuchungen auf dem Wissen des Kompetenten Sprechers beruht, kann die diachrone Perspektive auf Sprache vernachlässigt werden (ebd.: 4). Die prästrukturalistischen Ansätze des frühen 20. Jahrhunderts werden mit der generativen Idee weiter in den Hintergrund gedrängt. 3) Die Dichotomie von Lexik und Grammatik, von Wörtern und Regeln, wird manifestiert. Pinker bringt die Idee eines Algorithmus, dem die menschliche Sprachfähigkeit zu‐ grunde liege, in seinem Aufsatz „Words and Rules“ (1998) auf den Punkt: […] a plausible specification of the basic design of human language might run as follows. Language maximizes the distinct advantages of words and rules by comprising both, each handled by a distinct psychological system. There is a lexicon of words for common or idiosyncratic entities; the psychological mechanism designed to handle it is simply a kind of memory. And there is a separate system of combinatorial grammatical rules for novel combinations of entities; the psychological mechanism designed to handle it is symbolic computation. Pinker (1998: 4) 76 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="77"?> 10 Dass die Behältermetapher für Gedächtnisleistungen ungeeignet ist, diskutiert u. a. Langacker (2010). 11 Für eine ausführliche Diskussion des Phänomens der Übergeneralisierung im Rahmen eines konstruktionsgrammatischen Ansatzes des kindlichen Erstspracherwerbs siehe u. a. Tomasello (2017 [2008]). Pinker definiert das Wort im Sinne des Strukturalismus als Symbol arbiträrer Form-Bedeutungsbeziehung, wobei die Laut-Zeichen-Zuordnung von allen Sprechern einer Sprachgemeinschaft geteilt werde (ebd.: 3). Jedes Wort habe hierbei drei Einträge im Gedächtnis des Sprechers: Den Laut, eine Bedeutung sowie eine grammatische Kategorie. Das Symbol ‚Ente‘ hätte für das Deutsche Pinker zufolge den Eintrag [‘Ɛn.tɘ], die Bedeutung ‘Tier, das quackt’ und die grammatische Kategorie [N] oder Substantiv. Der Vorteil dieses Ansatzes liegt in seiner Effizienz: Redundanzen werden vermieden und die Gedächtniskapazität, die auf der Behältermetapher beruht, nicht unnötig belastet. 10 Als Evidenz für ein computatives Sprachmodel führt Pinker Studien heran, die zeigen, dass Kinder im L1-Erwerb dazu neigen, reguläre Flexionsformen von Verben zu übergeneralisieren. Dies zeige, dass Kinder einer abstrakten Regel folgten, um neue Sätze zu generieren (Pinker 1998: 5 f.). Bei erwachsenen Sprechern sei diese Regel für irreguläre Verben blockiert, sodass hier keine Performanzprobleme aufträten. 11 Die Eigenschaften einer neuen Kombination ließen sich aus den Eigenschaften der Teile und den Regeln, mit denen diese kombiniert worden sind, ableiten: „As with syntax in general, the syntax of words encompasses a scheme by which the properties of a novel combination can be predicted from the properties of its parts and the way they are combined“ (ebd.: 15). Pinker expliziert damit das sogenannte Projektionsprinzip von Sprachen, wobei Eigenschaften komplexer Phrasen auf die grammatischen Eigenschaften sowie die Hauptbedeutung auf den Kopf zurückgeführt werden können. In einer Formel ausgedrückt: XP = X-YP (Chomsky 2019: 755), wobei X als die Variable der lexikalischen Kategorie definiert ist und den Kopf der Phrase darstellt und YP, ebenfalls eine Projektion, das Komplement von XP (ebd.: 755). Sprachen unterscheiden sich hinsichtlich der Reihenfolge von Kopf und Komplement. Das sei einer der wichtigen Parameter im Rahmen einer Universalgrammatik. Auch Talmy (2006) zieht eine scharfe Linie zwischen Wörtern und Regeln, die er auf deren grundlegend verschiedene Funktionen zurückführt: A fundamental design feature of language is that it has two subsystems which can be designated as the grammatical and the lexical […]. Why is there this bifurcation when, in principle, a language could be conceived having only a single system, the lexical? The explanation in this paper is that the two subsystems have distinct semantic 3.1 Genese 77 <?page no="78"?> functions, ones that are indispensable and complementary. […] The grammatical specifications in a sentence, thus, provide a conceptual framework or, imagistically, a skeletal structure or scaffolding, for the conceptual material that is lexically specified. Talmy (2006: 69) Obwohl Talmy der Strömung der kognitiven Linguistik zugeordnet wird, bleibt er ein Anhänger der Dichotomie von Lexikon und Grammatik. Aufgrund solcher fundamentalen Unterschiede der theoretischen Axiome bleibt festzuhalten, dass die Label Cognitive Linguistics, Cognitive Grammar und Construction Grammar samt deutscher Entsprechungen nicht beliebig austauschbar und keineswegs als Synonyme zu verwenden sind. Auch die Generative Grammatik wird wahlweise der Kognitiven Grammatik zugeordnet oder aber die Kognitive Grammatik als Gegenentwurf zur generativen Schule dargestellt. Im folgenden Unterkapitel werden die zentralen Konzepte gebrauchsbasierter Sprachtheorien (Lakoff 1987, Bybee 1985) beleuchtet und so Abgrenzungen zwischen Kognitiver Linguistik, Kognitiver Grammatik (Langacker 1987, 1990) und Konstruktionsgrammatik (u. a. Goldberg 1995, 2006) erkennbar. 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen Es kann an dieser Stelle festgehalten werden, dass sowohl der Strukturalismus als auch die generative Schule für eine Dichotomie plädieren: Für den Struktu‐ ralismus gilt die Unterscheidung in langue und parole, eine Unterscheidung, die zwar den Aspekt der sozialen Funktion von Sprache einschließt, dafür aber das Individuum ausklammert. Noam Chomsky hingegen zieht eine etwas andere Trennlinie in Kompetenz und Performanz, bei der nun die psychologischen Pro‐ zesse einbezogen werden, die soziale Funktion von Sprache jedoch unbeachtet bleibt (vgl. Geeraerts 2006). In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren wird diese Funktion von einigen Linguisten wieder in den Blick genommen und bestehende Konstruktionen als Ergebnisse bestimmter kommunikativer Anforderungen begriffen (vgl. Diessel 2013). Die gebrauchsbasierte Linguistik (auch: usage-based linguistics. usage-based grammar, usage-based model) negiert eine scharfe Trennung in Kompetenz und Performanz bzw. in langue und parole als solche und plädiert für eine alternative Modellierung, die Sprache als emergentes, fluides Netzwerk versteht, das sich unter ständigem Druck kom‐ munikativer Anforderungen in unablässigem Wandel befindet (vgl. Langacker 1987b, 2017, Tomasello 2000, Bybee & Hopper 2001, Diessel 2013, 2019). Welche Argumente werden für einen solch radikalen Bruch ins Feld geführt? Es sind vor allem drei große Argumentationsstränge, die sich ausmachen lassen. Eine 78 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="79"?> dieser Argumentationslinien entstammt der Spracherwerbsforschung. Promi‐ nente Vertreter sind Michael Tomasello und im deutschsprachigen Raum Heike Behrens. Ein zweiter Argumentationsgang kommt aus der diachron orientierten Linguistik. Als wichtigste Vertreterin dieser Ausrichtung dürfte neben William Croft und Thomas (Talmy) Givón allen voran Joan Bybee gelten. Die dritte Linie ist eine semantisch orientierte: Gründerfiguren sind hierbei Ronald Langacker, Charles Fillmore, Paul Kay und George Lakoff. Für die Konstruktionsgrammatik ist Adele Goldberg der erste assoziierte Name. Goldberg wiederum baut auf den Vorarbeiten Charles Fillmores und George Lakoffs auf. 3.2.1 Das Verhältnis von Sprache und Kognition Als einer der Gründerfiguren der gebrauchsbasierten Grammatik kann Ronald Langacker gesehen werden. In seinem 1987 veröffentlichten zweibändigen Werk Foundations of Cognitive Grammar legt er die Grundlagen seiner Theorie dar. Zum Zusammenhang von Sprache zu anderen kognitiven Modulen schreibt Langacker: Even if the blueprints for language are wired genetically into the human organism, their elaboration into a fully specified linguistic system during language acquisition, and their implementation in everyday language use, are clearly dependent on expe‐ riential factors and inextricably bound up with psychological phenomena that are not specifically linguistic in character. Thus we have no valid reason to anticipate a sharp dichotomy between linguistic ability and other aspects of cognitive processing. (Langacker 1987b: 13) Deutlich wird an diesem kurzen Zitat Folgendes: Zunächst einmal wird die von Generativisten postulierte genetische Manifestation von Bedeutungen angezweifelt. Wichtiger für dieses Kapitel ist jedoch die Einordnung von sprach‐ lichen Fähigkeiten als eine unspezifische psychologische Fähigkeit im Rahmen allgemeiner kognitiver Mechanismen. Diese Fähigkeit muss Langacker zufolge im Zusammenhang mit den alltäglichen Erfahrungen der Sprachnutzer und dem Sprachgebrauch analysiert werden. Damit ist der Rahmen gebrauchsbasierter Grammatiken schon recht gut abgesteckt. Im Folgenden werden diejenigen kognitiven Mechanismen, die auch für die menschliche Sprachfähigkeit relevant sind, kurz dargestellt. Aus der Gestaltpsychologie wird die F I G U R E -G R O U N D -Un‐ terscheidung übernommen und um die Prinzipien der Force Dynamics (Talmy 1988) erweitert. Hinzu kommen im Rahmen der gebrauchsbasierten Grammatik der Mechanismus von Kategorisierungsprozessen durch Vergleichen unter‐ schiedlicher Entitäten, die Fähigkeit zur Abstraktion und zur Schemabildung 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 79 <?page no="80"?> (Langacker 1999). Aus den Arbeiten von Lakoff (1987) sowie Lakoff & Johnson (1980) werden die Begriffe Metapher und Metonymie übernommen. Diessel (2019) führt an, dass sich der Fokus im Verlauf des Diskurses innerhalb funktional und kognitiv orientierter Grammatiktheorien weg von semantischen und pragmatischen Einflussgrößen hin zu Prozessierungsmechanismen des Gedächtnisses verschoben habe (Diessel 2019: 30). Hierzu zählt Diessel (2019: 30-39) neben den bereits bei Langacker aufgeführten Prinzipien von Kategori‐ sierung und Schematisierung nun zusätzlich die Fähigkeit zur Analogiebildung, die Koordination von Aufmerksamkeit in der Wahrnehmung, lexikalisches und syntaktisches Priming, exemplarbasiertes Lernen und Automatisierung. Diese Begriffe werden im folgenden Abschnitt in Zusammenhang gesetzt. Unter Kategorisierung versteht Bybee (2011: 7) den allgemeinen kognitiven Mechanismus, bei dem gleiche oder ähnliche Strukturen im Zuge der Wahr‐ nehmung zu einer Kategorie abstrahiert werden bzw. beim Wiedererkennen als zu einer Kategorie zugehörig analysiert werden. Für sprachliche Prozesse seien dies laut Bybee die Kategorien Phonem, Morphem, Wort, Phrase oder Kon‐ struktion. Werden nun Einheiten dieser Kategorien wiederholt zusammen ge‐ braucht, werden diese ebenfalls als Einheiten im Gedächtnis repräsentiert. Man bezeichnet diesen Prozess als Chunking. Chunking als allgemeiner kognitiver Prozess tritt bei automatisierten Fertigkeiten wie beispielsweise Autofahren, sportlichen Bewegungsabläufen oder beim Spielen eines Instrumentes auf und vermag zu erklären, wieso es durch wiederholtes Ausüben der Abläufe zu einer Verbesserung der Leistung kommt. Bybee (2001: 34) bezieht sich auf den Informatiker und Kognitionspsychologen Allen Newell, der Chunking wie folgt definiert: A chunk is a unit of memory organization, formed by bringing together a set of already formed chunks in memory and welding them together into a larger unit. Chunking implies the ability to build up such structures recursively, thus leading to a hierarchical organization of memory. Chunking appears to be a ubiquitous feature of human memory. (Newell 1990: 7) Innerhalb der gebrauchsbasierten Sprachtheorien kommt dem Prozess des Chunkings eine zentrale Rolle zu: Wie bereits dargelegt, werden häufig wie‐ derholte sprachliche Sequenzen als Einheiten abgespeichert und als Einheiten abgerufen. Dieser Mechanismus vermag zu erklären, wie es zu den unterschied‐ lichen Graden an Kompositionalität und Analysierbarkeit kommen kann (Bybee 2011: 7). So zeigen Kollokativgefüge wie in (60), Ellipsen wie in (61) oder 80 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="81"?> idiomatische Ausdrücke wie in (62) einen geringeren Grad an Kompositionalität und Analysierbarkeit. (60) Die Demonstranten nahmen in den nahegelegenen Gebäuden De-ckung […]. [Archiv der Gegenwart, 2001 [1956]] (61) Also hopp rauf aufs Rad, durch den Regen und ab nach Raststatt. [http: / / blog.xooyoo.de/ 2007/ 06/ 15/ irgendwie-regnets/ 15.06.2007] (62) Die interne Programmdebatte ging ohne störenden Konflikt über die Bühne, […]. [Die Zeit, 19.03.1998, Nr.-13] Vorerst kann festhalten werden, dass Chunking einen Einfluss auf syntaktisch komplexe Einheiten hat und Chunking als Prozess dafür verantwortlich ge‐ macht wird, dass die hierarchische Struktur von Sprachen entsteht (Bybee 2011: 35). In Abschnitt 3.2.4 werden die Begriffe Kompositionalität und Hierarchisie‐ rung dann ausführlicher im Zusammenhang mit dem Konstruktionsbegriff dis‐ kutiert. Ich fahre zunächst mit den grundlegenden Kategorisierungsprozessen fort. Hierbei werden Bybee (ebd.) zufolge nun nicht bloß die phonologischen und semantischen Informationen der Chunks repräsentiert, sondern auch wei‐ tere morphologische, syntaktische und pragmatische Informationen, wozu der Verwendungskontext sowie Inferenzen im Zusammenhang mit der Äußerung gezählt werden Bybee (ebd.: 7). Auch Aspekte wie das Wiedererkennen von Stimmen und bestimmte phonetische Details von Einheiten sind mental reprä‐ sentiert und zwar sowohl als konkrete Instanzen als auch durch abstrakte Kategorien (ebd.: 14-32). Bybee nutzt somit das in der Phonologie verbreitete Modell exemplarbasierter Repräsentationen (siehe Abbildung 7) und weitet es auf alle sprachlichen Zeichen aus, zu denen sie Morpheme, Wörter und Argumentstrukturkonstruktionen zählt (vgl. auch Diessel 2019: 32). Ebene 1: / a/ Ebene 2: [a] 1 [a] 2 [a] 3 [a] n Abbildung 7. Kategorisierung von Phonen zum Phonem. Entscheidend für exemplarbasierte Repräsentationen sind Wiederholungen, mit anderen Worten ausgedrückt, die Frequenz. Hierbei hat jedes Vorkommen einen Einfluss auf die mentale Repräsentation. Vereinfacht ausgedrückt: je höher die Tokenfrequenz, desto stärker die mentale Repräsentation des Types 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 81 <?page no="82"?> (Bybee & Hopper 2001; Bybee 2006; Bybee 2011). Evidenz für ein solches Sprachverständnis zieht Bybee aus der Phonologie, der Soziophonetik, der Morphologie und der Syntax heran. So resultieren aus Frequenzunterschieden unterschiedliche Sprachwandelprozesse auf phonologischer und morphologi‐ scher Ebene: Auf phonologischer Ebene führen Frequenzeffekte zu einem Reduktionseffekt. Sehr frequent gebrauchte Wörter tendieren beispielsweise eher zu einer Lautdeletion bei unbetonten Vokalen (u. a. van Bergem 1995 für das Dänische) und auch Vokalwandel scheint durch die Gebrauchsfrequenz determiniert zu sein (u. a. Bybee 2002a). Auf morphologischer Ebene zeigen sich Frequenzeffekte in umgekehrter Richtung: Dieser Effekt ist als Konservierungs‐ effekt (Bybee 1985) bekannt geworden. Das scheint zunächst kontraintuitiv. Die Argumentation für einen Konservierungseffekt beruht wiederum auf exemplar‐ basierten Repräsentationen: So zeigen morphologisch komplexe Wörter eine höhere Stabilität, je höher ihre Tokenfrequenz ist. Für das Deutsche lässt sich dies am Wandel starker Verben zu schwachen Verben zeigen. Niedrig frequente Wörter wie backen tendieren eher dazu, sich von der starken Klasse zur schwachen Verbklasse zu bewegen. Interessanterweise hängt dies zudem von den grammatischen Kategorien Person und Numerus ab: Bei infrequenten Formen wie der 2.Pers.Pl. zeigt sich der Sprachwandelprozess stärker als bei der frequenteren 1.Pers.Sg. Bei frequenten Verben wie kommen und gehen lässt sich keine Veränderung beobachten. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass es typspezifische Frequenzen sind, die aus unterschiedlichen Token-Frequenzen resultieren und schließlich zu unterschiedlich stark repräsentierten mentalen Exemplaren führen. Die Argumente, die auf syntaktischer Ebene für ein solches Sprachmodell sprechen, werden in Kapitel 3.3 aufgefaltet, in dem der Begriff der Konstruktion definiert wird. Innerhalb dieses Kapitels ist erarbeitet worden, dass der Prozess der Katego‐ risierung auf dem Erkennen von Ähnlichkeiten zwischen unterschiedlichen Strukturen beruht. Unklar ist allerdings geblieben, wie sich Ähnlichkeit defi‐ nieren lässt. So wie nicht-sprachliche Entitäten und Konzepte können sich auch sprachliche Strukturen hinsichtlich unterschiedlicher qualitativer Eigen‐ schaften in unterschiedlicher Qualität ähneln. Bybee (2011: 58) hält fest, dass die Ähnlichkeiten, die von Sprachnutzern zur Analogiebildung genutzt werden, in der Regel auf a) semantischen oder b) phonologischen Ähnlichkeiten beruhen, räumt aber ein, dass ein empirisches Problem darin besteht, die jeweiligen rele‐ vanten Eigenschaften zur Operationalisierung von Ähnlichkeit zu identifizieren (ebd.: 62). Diessel (2019: 32) unterscheidet Gentner (1983) sowie Holyoak et al. (1995) folgend zwischen Objektähnlichkeit und Strukturähnlichkeit. 82 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="83"?> Set A Set B Set C Abbildung 8. Objektähnlichkeit und Strukturähnlichkeit nach Diessel (2019: 33). Betrachtet man Abbildung 8, so stellt man fest, dass die drei dargestellten Sets der Abbildungen sich untereinander ähnlich sind. Die Art der Ähnlichkeit jedoch unterscheidet sich: Zwischen den Sets B und C können wir eine Ähnlich‐ keit feststellen, die die Objekte betreffen. Es handelt sich jeweils um Sterne, die dargestellt sind. Es lässt sich auch eine Ähnlichkeit ausmachen, die die Struktur betrifft: Es sind in beiden Sets drei Sterne abgebildet. Die Strukturähnlichkeit zwischen Set A und Set B ist ebenfalls gegeben, denn es sind jeweils drei Figuren abgebildet, von denen zudem die erste gefüllt, die folgenden beiden ungefüllt sind. Die Strukturähnlichkeit zwischen Set A und Set B ist somit höher als die zwischen Set B und Set C. Jedoch liegt zwischen Set A und Set B keine Objektähnlichkeit vor. Nach Diessel (2019) sind es insbesondere die struk‐ turellen Ähnlichkeiten, die zur Analogiebildung fruchtbar gemacht werden. Die Analogiebildung wiederum ist innerhalb gebrauchsbasierter Sprachmodelle eine entscheidende kognitive Fähigkeit für den Spracherwerb, für Grammatika‐ lisierungsprozesse sowie für den produktiven und kreativen Sprachgebrauch. Als Entrenchment bezeichnet man die mentale Verfestigung einer sprachlichen Einheit, deren Grad der Etablierung maßgeblich von ihrer Gebrauchsfrequenz abhängig ist (vgl. Langacker 1987a, Ziem & Lasch 2013: 194), und zwar im Besonderen der Token-Gebrauchsfrequenz (vgl. Tomasello 2000; Bybee 2006; Langacker 2017). Automatisierung ist hierbei ein zentraler Mechanismus, um die Frage zu beantworten, welche sprachlichen Formen als Einheiten verfestigt werden. Diessel (2019) definiert Automatisierung als den Prozess, der die Asso‐ ziationen zwischen sprachlichen Formen durch Wiederholung stärkt (Diessel 2019: 35). Automatisierung ist somit nicht nur ein Prozess, der die phonologische Ebene der Sprachproduktion betrifft, sondern auch die lexikalisch-semantische Ebene, wenn es beispielsweise um die Wortwahl geht. Automatisierung trägt dazu bei, Entscheidungen bei der Sprachproduktion und -rezeption zu mini‐ mieren. Als Evidenz lassen sich beispielsweise Studien anführen, in denen gezeigt wird, dass Sprachnutzer die Fortführungen von Sätzen antizipieren können (u. a. Altmann & Kamide 1999; Kamide et al. 2003). Ein mit der Analogie eng verwobener Mechanismus ist Priming. Diessel (2019: 33-34) zufolge kann 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 83 <?page no="84"?> zwischen lexikalischem und strukturbasiertem Priming unterschieden werden: Eine Vielzahl an Studien weise daraufhin, dass beide Mechanismen einen großen Einfluss auf die Wahl lexikalischer und syntaktischer Einheiten habe. Als Konsequenz aus diesen bisherigen Überlegungen ergibt sich ein Sprach‐ strukturmodell, das überaus viele Redundanzen zeigt, denn es müssen so‐ wohl konkrete Instanzen als auch Abstraktionen mental repräsentiert sein. Im Vergleich zu generativen und strukturalistischen Ansätzen wird dies als Schwäche der Theorie angesehen. Wie allerdings soll ein Sprachnutzer zu einer Generalisierung kommen, ohne dass der konkrete sprachliche Input Spuren im Gedächtnis hinterlässt? Die Anhänger gebrauchsbasierter Modelle argumentieren mit den allgemeinen kognitiven Gedächtnisleistungen, die keine Beschränkungen hinsichtlich ihrer Speicherkapazität zeigen (Langacker 1987a, 2017). Auf Roman Jakobsons Argument, eine solche Repräsentation grammati‐ scher Relationen würde die Sprecher erschöpfen, erwidert Bybee (2011: 15) „Jakobson is not giving the speakers enough credit“. 3.2.2 Sprache als soziales Werkzeug Wenn über Alternativen zum Generativismus gesprochen wird, werden Funk‐ tionalisten und Anhänger gebrauchsbasierter Grammatiktheorien manchmal gleichgesetzt. Dies liegt vermutlich daran, dass beide Schulen Sprache als ein Werkzeug (vgl. Bühler 1934) begreifen, das primär eine soziale Funktion aufweist. Um die Grundidee gebrauchsbasierter Grammatiktheorien besser verstehen zu können, lohnt es sich, einen Blick auf die Motive zu werfen, die für das Nutzen von Sprache ausgemacht werden. Die drei Hauptmotive für menschliche kooperative Kommunikation sind Tomasello (2017 [2008]: 261) zufolge Auffordern, Informieren und Teilen (von Informationen, Gefühlen und Einstellungen). Damit diese Motive erfüllt werden können, muss Homo sapiens sapiens über eine evolutiv entwickelte Fähigkeit verfügen, die man als geteilte Intentionalität bezeichnet (Tomasello 2017 [2008]). Entscheidend hierbei ist „das rekursive Erkennen geistiger Zustände“ - ich muss wissen, dass du weißt, was ich weiß usw. Dies erst ermöglicht die Verwendung ikonischer (Zeige-)Gesten. Ikonische Gesten spielten vermutlich eine tragende Rolle bei der Evolution der menschlichen Sprachfähigkeit, denn durch diese lassen sich bereits Bezüge zu Entitäten und Vorgängen herstellen, die außerhalb der unmittelbaren Hier-Ich-jetzt-Origo liegen. Nach Tomasello (2017 [2008]: 237) müssen Menschen in ihrer Geschichte an einem bestimmten Zeitpunkt dazu übergegangen sein, ikonische Zeigegesten konventionell zu benutzen. An dieser Stelle wird deutlich, warum der geteilten Intentionalität eine so zentrale 84 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="85"?> Rolle bei der Evolution menschlicher Sprache zukommt: Grundlage für die Konventionalisierung von Zeichen ist das Vertrauen darauf, dass der Kommu‐ nikationspartner über das gleiche Wissen verfügt wie ich; d. h. ein rekursives Erkennen geistiger Zustände ist Grundvoraussetzung. Arbiträr sind Gesten nun insofern, als dass sich für Handlungen wie etwa Jagen auch alternative Gesten nutzen ließen. In anderen Worten, das kommunizierende Individuum trifft eine Auswahl unter vielen plausiblen Möglichkeiten, die Handlung ikonisch darzu‐ stellen. Zudem ist Arbitrarität ein kontinuierliches Konzept: Wie Tomasello (2017 [2008]: 235) bemerkt, tendieren ikonische Zeichen über längere Zeiträume hinweg zur zunehmenden Arbitrarität, konventionalisiert sind sie jedoch zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Sprachgemeinschaft. Natürlich bewegen sich Überlegungen, wie Tomasello sie zur Evolution der menschlichen Sprachfähigkeit darlegt, im Bereich des Spekulativen, da es keine Möglichkeit gibt, Daten zu erheben, die eine solche Hypothese falsifizieren könnten. Allerdings sprechen viele der Beobachtungen zum menschlichen Erstspracherwerb sowie zur Kommunikation von Menschenaffen für diese Schlüsse. Sind Zeigegesten erst einmal konventionalisiert, so fehlt nicht sehr viel zur Arbitrarität. Teilaspekte der Handlung des Jagens beispielsweise können von anderen Mitgliedern der sozialen Gruppe auf die ikonische Geste projiziert werden bzw. könnten sie diese Geste, wenn sie außerhalb der konkreten Situation verwendet wird, für eine verwandte Bedeutung, wie beispielsweise den Aufbruch zur Jagd, reanalysieren (Tomasello 2017 [2008]: 238-240). Für die Handlung des Aufforderns, was auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen beherrschen, ist keine komplexe Grammatik notwendig, denn die Ereignisse lassen sich durch einfache ikonische Gesten darstellen. Für die Handlung des Informierens wird die Sache deutlich komplexer: Wir benötigen nun kommunikative Mittel, die es erlauben, auf abwesende Entitäten Bezug zu nehmen, Sachverhalte temporal oder kausal zu strukturieren sowie den Unterschied zwischen den Sprachhandlungen des Aufforderns und des Informierens für den Kommunikationspartner deutlich zu machen. Für Toma‐ sello besteht die Grammatik daher „zuallererst aus einer Menge konventionali‐ sierter Hilfsmittel und Konstruktionen - die in einzelnen Sprachen verschieden konventionalisiert werden“ (Tomasello 2017 [2008]: 294). Das Teilen von Ge‐ fühlen, Erlebnissen und Einstellungen, kurz Narration, ist Tomasello zufolge die komplexeste Sprachhandlung und sei entsprechend spät in der Evolution des Menschen aufgetreten (vgl. auch Givón 2014 [1979], 2002). Die komplexen Konstruktionen ermöglichten es, Beziehungen zwischen Ereignissen innerhalb einer Erzählung darzustellen. Die komplexen Konstruktionen werden nun beim Spracherwerb durch Imitation in konkreten Situationen erlernt, sodass die Er‐ 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 85 <?page no="86"?> rungenschaften von Generation zu Generation zu weiten Teilen weitergegeben werden: Menschen, die miteinander kommunizieren, müssen sich nicht bei jedem Sprecher‐ eignis zu kreativen Höchstleistungen aufschwingen, um aus mehreren Einheiten bestehende Äußerungen zusammensetzen zu können. […] Sie besitzen also nicht bloß Wörter und isolierte grammatische Hilfsmittel, sondern verfügen als Mitglieder einer Sprachgemeinschaft schon über vorgefertigte, innerlich komplexe Kommuni‐ kationskonventionen, die als Sprachkonstruktionen bezeichnet werden. Sprachkonst‐ ruktionen sind im Wesentlichen vorgefertigte, bedeutungstragende Strukturen, die in bestimmten wiederkehrenden Kommunikationssituationen verwendet werden können. Tomasello (2017 [2008]: 316-317) Diese im Spracherwerb erlernten Konstruktionen können von Menschen zur Perspektivierung von Ereignissen genutzt werden. Welche Konstruktion für welche Perspektive brauchbar ist, ist eine wesentliche Frage, die Kleinkinder im ungesteuerten Erstspracherwerb für sich beantworten müssen: Mit anderen Worten: So wie Sprachgemeinschaften einzelne Wörter in ihrem Voka‐ bular erzeugen und weitergeben, geben sie auch grammatikalische Konstruktionen weiter und erzeugen sie. Konstruktionen, die bestimmte Wörter und Phrasen ent‐ halten, können auf übliche kulturelle Weise durch Imitation tradiert werden. Da jedoch abstrakte Konstruktionen im Wesentlichen abstrakte Gebrauchsmuster sind, lassen sie sich nicht direkt imitieren, sondern Kinder müssen sie stattdessen über in‐ dividuelle Lernerfahrungen hinweg anhand verschiedener Beispiele (re)konstruieren. Tomasello (2017 [2008]: 318) Wenn Sprache ein soziales Werkzeug ist, dann ist es naheliegend, dass der Sprachgebrauch eines Individuums nicht vogelfrei ist, sondern bestimmten Erwartungen der sozialen Gruppe gerecht werden muss. Es bilden sich Sprach‐ normen heraus. Das Verhältnis zwischen dem Befolgen sprachlicher Normen und dem kreativen Umgang mit den Gebrauchsmustern der Sprachgemeinschaft wird im folgenden Abschnitt herausgearbeitet. Es werden dazu drei unterschied‐ liche theoretische Stränge zusammengeführt: Der erste Strang geht auf Coseriu (1952) zurück, der sich an der Überwindung der Dichotomie von langue und parole versucht. Ein zweiter Strang kommt aus der lexikographischen Korpus‐ linguistik rund um Patrick Hanks, dessen Theory of Norms and Exploitations (TNE) als eine Inspirationsquelle für die vorliegende Arbeit gedient hat. Ein dritter Strang wurde mit den Arbeiten Tomasellos bereits eingeführt, soll aber im 86 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="87"?> 12 Sicherlich gibt es weitere Sprachfunktionen, die in spezifischen Textsorten primär sind, wie z.-B. politischen Reden usw. Folgenden durch konstruktionsgrammatische Ideen ergänzt und ausgearbeitet werden. 3.2.3 Normen und Exploitationen Wenn Sprachnutzer im Diskurs agieren, haben sie dabei unterschiedliche Ziele: Primär möchten sie verstanden werden. D.h., Sprecher müssen sich so ausdrücken, dass ihr Gegenüber dasjenige mentale Bild entwickelt, das sie durch den Sprachgebrauch im jeweiligen Kontext zu evozieren versuchen. Weiterhin möchten Sprecher ihre eigenen mentalen Bilder in der Regel so exakt wie möglich über das Medium Sprache transportieren. 12 Sprache hat hierbei eine expressive Funktion. Der Expressivität sind natürliche Grenzen gesetzt, denn eine maximal expressive Sprache würde eine individuelle Form für jede mögliche Bedeutung ansetzen. Die Expressivität wird somit durch den Faktor der Ökonomie begrenzt. Die Sprache im Gebrauch sollte effizient sein; d. h., einen möglichst geringen kognitiven wie physiologischen Aufwand bedeuten. Diese sich widersprechenden Anforderungen von Effizienz und Expressivität an Sprache wurden im linguistischen Diskurs bereits vielfach diskutiert (u. a. Paul 1995 [1880]; Grice 1993 [1975]; Bybee 2003; Goldberg 2019). Um den Begriff der Produktivität (siehe Abschnitt 3.3.5) zu definieren, ergänzt Goldberg (2019) diese beiden Faktoren Effektivität und Ökonomie um den Faktor der Normativität. Denn wenn Sprache eine Form sozialen Handelns ist, so ist es plausibel anzunehmen, dass der Sprachgebrauch ähnlichen sozialen Zwängen unterliegt wie anderen soziale Handlungen auch. Diese Überlegung soll anhand eines Beispiels illustriert werden: Es dürfte unter Laienlinguisten die verbreitete Meinung herrschen, dass die Konjunktion weil eine Subjunktion ist und als solche im Schriftlichen einen Satz mit Verbletztstellung einleitet. Eine Abweichung von dieser Gebrauchsnorm wird registriert und bewertet werden. Sprachnormen beruhen auf Sprachpraktiken; entstehen also durch den Sprachgebrauch im konkreten Kontext der Sprachhandlung. Die sozialen Zwänge werden unbewusst befolgt und erst durch eine etwaige Verletzung sichtbar. Für Goldberg (2019: 9) erklärt sich durch die Normativität auch der Gebrauch längerer, umständlicher Ausdrucksweisen von Sprechern, obwohl es kürzere, grammatikalisch korrekte Alternativen gäbe: „We respect the patterns that are evident in the input“. Eine ähnliche Sichtweise vertritt Tomasello: Er 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 87 <?page no="88"?> fasst das Phänomen der Grammatikalität als „eine weitere Instantiierung von sozialen Normen für alltägliches Verhalten“ auf ( Tomasello 2017 [2008]: 311). Zusammengefasst lässt sich bisher konstatieren: Sprecher agieren im Sprach‐ gebrauch so, dass sie (1) ihre Gedanken maximal verständlich ausdrücken können, (2) dies mit möglichst geringem Aufwand tun und (3) dabei solche sprachlichen Ausdrücke verwenden, wie sie in ihrer Sprachgemeinschaft üblich sind. Wenn Sprecher nun Verben in Argumentstrukturen verwenden, die sie zuvor noch nicht gehört haben, so ist dies eine produktive Verwendung der Argumentstruktur. Ein Beispiel stellt Beleg (63) aus der Pilotstudie zu meiner Dissertation dar: (63) Da kann man nicht mit 30 km/ h durch die Gegend schnecken. (aus dem Korpus DWDS Blogs, koch-werkstatt.de, 2008-03-26, http: / / koch-werkstatt.de/ 2008/ 03/ 26/ post-vom-buergermeister/ ) Mit einer solchen Verwendung verletzen Sprecher die normativen Erwartungen der Sprachgemeinschaft. Die Faktoren der Effizienz und der Expressivität scheinen bei neuartigen Verwendungen einen die Normverletzung rechtferti‐ genden Einfluss auf den konkreten Sprachgebrauch zu haben. Einer der einflussreichsten Aufsätze zu sprachlichen Normen geht auf E. Coseriu zurück. In Coseriu (1975 [1952]) wird dargelegt, wie die aus seiner Sicht unzureichende Dichotomie Saussures überwunden werden kann, indem er die Begriffspaare langue und parole analytisch aufdröselt, mit den Ideen anderer Zeitgenossen kontrastiert und schließlich wieder zusammenfügt. Als Ergebnis der Ausführungen steht die Unterscheidung in das wirkliche Sprechen, die Norm und das System (Coseriu 1975 [1952]: 86). Abbildung 9 stammt aus Coseriu (1975 [1952]: 86). Abbildung 9. Das wirkliche Sprechen, die Norm und das System aus Coseriu (1975 [1952]: 86). 88 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="89"?> Das äußere Rechteck ABCD umfasst in diesem Modell Coserius alle Sprachakte, die von Sprechern einer Sprache getätigt werden. Das mittlere Rechteck abcd beinhaltet die Sprachnorm und stellt somit eine erste Abstraktion dessen dar, was im Sprachgebrauch von Sprechern geäußert wird. Die Norm umfasst, in den Worten Coserius „die Wiederholung früherer Vorlagen“, nicht aber alle individuellen Abweichungen und Neuerungen (Coseriu 1975 [1952]: 86). Mit dieser Auffassung liegen wir schon recht nah an dem, was man innerhalb gebrauchsbasierter Grammatiktheorien als Schemata oder Konstruktionen be‐ zeichnen würde. Das innere Rechteck aʼbʼcʼdʼ stellt das System einer Sprache dar. Das System einer Sprache beinhaltet Coseriu zufolge alle theoretisch denkbaren Kombinationen und geht somit über das hinaus, was Sprecher, gefangen durch die Norm, tatsächlich realisieren. Somit ist die von Coseriu gewählte Darstellung dreier ineinander gebetteter Rechtecke auf den ersten Blick irreführend: Das System einer Sprache bietet mehr Freiheiten als die Norm einer Sprachgemein‐ schaft. Gleichzeitig aber verdeutlicht die Abbildung den zweiten Schritt der Abstraktion und somit auch eine Reduktion: Das System einer Sprache bildet lediglich die notwendigen funktionellen Oppositionen ab. Wie wirkmächtig der Aufsatz von Coseriu (1952) ist, zeigt sich beispielsweise an den Ausführungen in den Wörterbüchern zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (Schierholz & Uzonyi 2021): Die Sprachnorm befindet sich zwischen dem System der Sprache, das mit seinen Re‐ geln alle grammatisch richtigen Ketten zur Verfügung stellt, und dem Sprachgebrauch, in dem nur ein Teil der großen Menge der möglichen grammatischen Sätze wirklich produziert wird. Die Norm als eine Art Filter lässt nur normgerechte Gebilde durch. (Schierholz & Uzonyi 2021: 67) Zwei Dinge sind hierbei bemerkenswert: Zum einen wird Coseriu als Quelle weder im Fließtext noch im Literaturverzeichnis angeführt. Die Unterscheidung in Norm und System ist jedoch auf Coseriu (1952) zurückzuführen. Zum anderen wird der Normbegriff von Schierholz & und Uzonyi (2021) durch eine unglück‐ lich gewählte Metapher definiert. Aus einer gebrauchsbasierten Perspektive ist die Perspektive genau umzudrehen: Nicht vom System ausgehend wird gefiltert, sondern vom Gebrauch ausgehend abstrahiert. In dieser Lesart ist auch Coseriu (1952) zu verstehen. Der Begriff der Norm ist bei Coseriu zweideutig, da er zwischen einer gesellschaftlichen und einer individuellen Sprachnorm (Coseriu 1975 [1952]: 87) differenziert. Keine dieser Normen sei Sprechern bewusst zugänglich oder gar explizit ausformuliert. Der Normbegriff Coserius ist somit etwas gänzlich anderes als eine explizit ausformulierte Norm im Sinne einer Vorschrift, wie sie 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 89 <?page no="90"?> etwa im Bereich der Orthographie vorliegt (Bredel 2013: 133). Diese wesentliche Unterscheidung greift Bredel auf und weist darauf hin, dass der Unterschied zwischen Systemverletzung sowie der Verletzung einer Norm im Sinne eines üblichen Gebrauchsmusters nicht immer trennscharf auszumachen ist. Eine etwas andere Konzeption formulieren Dürscheid (2012) sowie Gloy (2012). Dürscheid (2012) unterscheidet in ihrem Aufsatz zwischen Norm 1 und Norm 2 . Unter Norm 1 versteht Dürscheid die Frequenz eines Phänomens (2012: 110), unter Norm 2 hingegen die normativen Erwartungen der jeweiligen Sprach‐ gemeinschaft an den Sprechenden. Dürscheid postuliert, ebenso wie Gloy (2012), dass Norm 1 und Norm 2 in keinem direkten Zusammenhang stünden. Sie unter‐ stützt ihre Argumentation durch ein Beispiel aus der gesprochenen Sprache, den Gebrauch von weil mit Verbzweitstellung. Dieses Phänomen sei zwar frequent, entspräche jedoch nicht den Erwartungen der Sprachgemeinschaft an das sprachliche Handeln. Aus meiner Perspektive unterscheidet Dürscheid nicht ausreichend zwischen impliziten und expliziten Normen. Werden Sprecher dazu aufgefordert, als Laienlinguisten bestimmte Sprechakte zu bewerten, ist eine Ablehnung des Phänomens auch im mündlichen Gebrauch denkbar. In einer Gesprächssituation, in der die Übermittlung der Botschaft im Vordergrund steht, ist eine Sanktionierung durch die Gesprächsteilnehmer nur schwer vorstellbar. Es ist nicht plausibel anzunehmen, dass ein regelmäßig frequent erscheinendes Phänomen in einer bestimmten Gesprächssituation (Norm 1 ) keinen Einfluss auf die Erwartungen an die Gesprächsteilnehmer in zukünftigen vergleichbaren Gesprächssituationen nehmen wird (Norm 2 ). Einen wichtigen Einwand, beide Begriffe nicht gleichzusetzen, stellt die Unterscheidung dennoch dar. Den Zusammenhang zwischen Sprachgebrauch, Sprachnorm sowie ihrer (systematischen? ) Verletzungen hat der Korpuslinguist Patrick Hanks in den Mittelpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit gestellt. Für Hanks bietet die Korpuslinguistik eine Möglichkeit, die Unschärfe der Konzepte des Sprachge‐ brauchs, der Norm und des Systems zu händeln (Hanks 1994, 2004, 2013; Hanks & Ma 2021). Da sowohl die theoretischen Überlegungen als auch die daraus resultierenden methodischen Konsequenzen für meine Fragestellung interessant sind, wird die von Hanks erarbeitete Theory of Norms and Exploitations (TNE) im folgenden Abschnitt zusammengefasst. Ich beginne mit einem Beispiel zur Versprachli‐ chung von Bewegungsereignissen: Stellt man sich die Frage, welche theoreti‐ schen Möglichkeiten im Sprachsystem angelegt sind, um Bewegungsereignisse auszudrücken, wird man zu der Antwort kommen: eine Menge, die gegen unendlich tendiert (vgl. Hanks 2013: 6). Der Slot der F I G U R E ist variabel, der Slot des G R O U N D S ist variabel, und, wie ich in dieser Arbeit aufzeige, insbesondere 90 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="91"?> der Slot des Verbs. Aus einer Kurzgeschichte von Max Scharnigg stammen die Belege (64) und (65). (64) Ich pullovere heute nur so rum. (65) Wir mantelten heute Morgen durch die ganze Stadt. Die Konversion pullovern nutzt der Autor, um das Bild von Müßiggang zu er‐ zeugen, wie er in seiner Kurzgeschichte selbst erklärt. Der Neologismus manteln soll laut Aussage des Autors die Stimmung eines winterlichen Einkaufsbummels vermitteln. Es können somit sogar, wenn der entsprechende Kontext gegeben ist, Kleidungsstücke im Verbslot von Bewegungskonstruktionen gebraucht werden. Dieser Gebrauch ist, sofern in einen entsprechenden Kontext eingebettet, verständlich und somit funktional in Bezug auf die kommunikative Situation. Die Intuition aber sagt uns, dass die Belege weder das System noch die Norm repräsentieren, sondern eine Erweiterung bzw. eine Verletzung der Norm darstellen. Nun mag die Intuition in vielen Lebenslagen ein wichtiger Ratgeber sein, in der Wissenschaft ist sie es nicht. Innerhalb von Hanks TNE ist es daher zentral, durch ein korpusgesteuertes Verfahren zunächst die prototypische Versprachlichungsstrategie zu ermitteln: Linguists who seek to explain all possibilities in a single step have failed, will fail, and are bound to fail. We will have a better chance if we focus first on identifying normal, central, and typical usage, as evidence in a corpus of a language (written or spoken) uttered by native speakers, and if we then (assuming we are working with a large sample) see whether the recalcitrant residual uses, which do not fit neatly into any pattern, can be explained, not as ʽperformance errorsʼ, but in a second step, using a different set of rules: rules that account for deliberate irregularities and that explain something about linguistic creativity. (Hanks 2013: 7) Hanks unterscheidet somit zwei unterschiedliche Regelsysteme. Eines reguliert den prototypischen Sprachgebrauch. Die Norm ist hierbei operationalisiert, und zwar in Form von Frequenz. Hanks Normbegriff entspricht somit der Norm 1 aus Dürscheid (2012). Ein anderes, davon verschiedenes Regelset strukturiert hingegen die sogenannten exploitations der Norm. Das englische Wort exploita‐ tion kann eine eher positive Konnotation tragen und lässt sich in diesen Fällen mit den deutschen Ausdrücken Nutzung oder Erschließung übersetzen. Häufiger jedoch ist eine negative Konnotation, die mit den Übersetzungsäquivalenten Ausbeutung/ Ausnutzung einhergeht. Das Wort Exploitation ist als solches auch im deutschen Wortschatz vorhanden, dann allerdings ausschließlich in der negativen Lesart (vgl. https: / / www.dwds.de/ wb/ Exploitation, 23.09.2021). In 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 91 <?page no="92"?> seinen deutschsprachigen Aufsätzen spricht Hanks von Regelverletzungen (u. a. Hanks 2011: 493). Diese Abweichungen von der Norm sind nach Hanks nicht un‐ systematisch, sondern ebenfalls regelgeleitete Erweiterungen der Norm. Ganz ähnlich fasst bereits Coseriu (1975 [1952]: 57) das kreative Potential von Sprache: „Aber sind andererseits nicht die meisten dichterischen Neuschöpfungen von der Art? Sind sie nicht fast immer Übertretungen oder Erweiterungen der Norm, im Einklang mit dem System? “ Besondere Bedeutung kommt beim spielerischen Umgang mit Sprache dem Lexikon zu. Anhand einiger Beispiele illustriert Coseriu den Unterschied zwischen System und Norm auf der Systemebene der Lexik. So seien die Antonyme zu den Lexemen unerbittlich, unerschütterlich und unwirsch nicht *erbittlich, *erschütterlich und *wirsch, auch wenn dies „vom System aus möglich wäre“ ([1952] 1975: 79). Die Norm jedoch sieht an dieser Stelle etwas anderes vor. Für Hanks liegt die Ursache für solche Idiosynkrasien auch in der Frage begründet, wie der Zusammenhang zwischen Wörtern und Be‐ deutung zu verstehen ist. Die Frage, ob Wörter Bedeutung tragen, beantwortet Hanks (2013: 65-83) mit einem „ja - wenn“. Die Grundlage der TNE ist das Axiom, dass Wörter nur im konkreten Kontext Bedeutung tragen. Daraus ergibt sich, dass Bedeutungen Ereignisse sind, die stattfinden, wenn Sprecher und Hörer in einer kommunikativen Situation interagieren (vgl. Hanks 1994). Hanks (2000) fasst seinen Gedankengang wie folgt zusammen: „In the everyday use of language, meanings are events, not entities“ (Hanks 2000: 210). Außerhalb eines konkreten Kontextes, Hanks spricht von Wörtern in Isolation (Hanks 2013: 82), trügen Wörter Bedeutungspotentiale. Hanks und Coseriu stimmen dahingehend überein, dass viele Wörter ein recht gut zu umreißendes Bedeutungspotential haben. Hanks (2013: 73) nennt als Beispiele die Lexeme Elefant und Zahnstocher, Coseriu ([1952] 1975: 78) die Lexeme „Arm, Baum, Haus, Meer“. Es dürfte kein Zufall sein, dass es sich hierbei in allen Fällen um Substantive, noch genauer, um Konkreta handelt. Coseriu spricht von „ʽKernʼ- oder Hauptbedeutung, während die übrigen bei ihnen möglichen Bedeutungen nur ʽnebensächlichʼ sind“. Er greift damit auf die Ideen der Prototypentheorie vorweg, die Labov (1973) und Rosch (1975) entwickeln und auf die Hanks sich in seinen Publikationen ab 1994 bezieht. Im nächsten Abschnitt wird auf den Überlegungen aufgebaut. Ich versuche, die Idee von Wörtern als Trägern von Bedeutungspotentialen in Zusammen‐ hang zum postulierten Lexikon-Grammatik-Kontinuum zu setzen und als Kon‐ sequenz daraus zu diskutieren, inwiefern sich das Kompositionalitätsprinzip im gesteckten theoretischen Rahmen als haltbar erweist. 92 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="93"?> 3.2.4 Lexikon-Grammatik-Kontinuum Einer der Grundpfeiler gebrauchsbasierter Sprachtheorien ist das sogenannte Lexikon-Grammatik-Kontinuum. In Abbildung 10 nach Lehmann (2021) wird das Lexikon-Grammatik-Kontinuum mit dem Kompositionalitätsprinzip in Zu‐ sammenhang gesetzt. Lehmann folgend lässt sich auch das Kompositionalitäts‐ prinzip als Kontinuum verstehen. Tendenziell sind Morpheme (bei Lehmann: Morphemikon) und Wörter hierbei idiosynkratischer, grammatische Formen regelmäßiger, was die Bildung angeht. Parallel dazu verhält sich der Zugriff: Lexikalische Elemente sind tendenziell einem holistischen Zugriff zuzuordnen, grammatische Elemente durchaus einem analytischen. Die Konstruktionsgram‐ matik verschiebt nun den Fokus auf die holistischen, idiosynkratischen Formen, die jedoch nicht ausschließlich im Bereich Morphologie/ Lexik zu finden sind. Wichtig ist meines Erachtens, dass es weder eine absolute Kompositionalität noch eine absolute Arbitrarität sprachlicher Zeichen geben kann. Selbst in den Bereichen der Phonologie zeigt sich mehr und mehr Evidenz dafür, dass be‐ stimmte Phoneme mit der Versprachlichung bestimmter Ereignisse überzufällig frequent assoziiert sind (vgl. Lev-Ari et al. 2021; Ćwiek et al. 2022). Umgekehrt ist an verschiedenen Stellen der vorliegenden Arbeit darauf hingewiesen worden, dass das Prinzip der Kompositionalität eine Idealisierung des Sprachgebrauchs darstellt, die nicht haltbar ist. Das liegt insbesondere daran, dass sprachliche Zeichen erst im Gebrauch mit anderen sprachlichen Zeichen bedeutungshaltige Elemente sind. Somit sind komplexe sprachliche Zeichen nicht kompositionell im strengen Sinne, die holistische Bedeutung eines komplexen Ausdrucks durchaus aber durch die einzelnen Formen motiviert. 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 93 <?page no="94"?> Abbildung 10. Lexikon-Grammatik-Kontinuum und das Kompositionalitätsprinzip nach Lehmann (2021, www.christianlehmann.eu/ ling/ lg_system/ sem/ index.html? https: / / ww w.christianlehmann.eu/ ling/ lg _system/ sem/ kompositionalitaet_ganzheitlichkeit.html). Die scharfe Trennung zwischen einem Lexikon auf der einen und syntaktischen Regeln auf der anderen Seite zweifeln bereits Sadock (1984), Lakoff (1987) und Fillmore et al. (1988) sowie Langacker (1987) an. Die Argumente hierfür fasst Broccias (2012) zusammen. Er unterscheidet hierbei in Argumente der Synchronie und Argumente der Diachronie. Aus synchroner Perspektive lässt sich zunächst beobachten, dass die Be‐ deutung von lexikalischen Einheiten maßgeblich von ihrer syntaktischen Umgebung beeinflusst wird. Wie mehrfach in der vorliegenden Arbeit ange‐ sprochen, lässt sich die Gesamtbedeutung eines Ausdrucks nicht zielsicher auf die einzelnen Komponenten zurückführen. Zudem lizenzieren bestimmte Konstruktionen das Auftreten bestimmter lexikalischer Elemente und vice versa (siehe auch Abschnitt 3.3.5). Insofern ist es plausibel anzunehmen, dass die Verbindung zwischen lexikalischen und syntaktischen Einheiten enger ist als gemeinhin angenommen (so auch Herbst & Schüller 2008 für eine Analyse aus valenzgrammatischer Perspektive). Die Anhänger der Konstruktionsgrammatik postulieren weiterhin, dass auch abstrakte Schemata bedeutungshaltig sind und somit ebenfalls als Form-Bedeutungspaare analysiert werden sollten. Aus diachroner Perspektive zeigt sich, dass kognitive Mechanismen wie Analogiebil‐ dung sowohl auf lexikalische Einheiten als auch auf Konstruktionen wirken (vgl. u. a. Bybee 2003). Auch Sprachwandelprozesse wie Bedeutungserweiterung 94 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="95"?> oder -verengung lassen sich auf lexikalische wie auf syntaktische Einheiten beziehen (Broccias 2012: 738). Einen weiteren Hinweis auf die enge Verflechtung von Lexik und Syntax bietet die Grammatikalisierungsforschung. Sie bietet Evidenz dafür, dass grammatikalische Einheiten aus lexikalischen Einheiten her‐ vorgehen und es einen recht großen Graubereich dazwischen gibt. Ein Beispiel hierfür wäre für das Deutsche der Status von sogenannten Halbmodalverben wie gehören, lassen oder brauchen. Aus typologischer Perspektive lässt sich die enorme Varianz hinsichtlich der Komplexität von Wörtern anführen: Wie Diessel (2019: 67-68) herausstellt, gibt es Sprachen, die morphologisch einfache Lexeme nutzen, aber auch Sprachen, in denen Lexeme aus sechs oder mehr Morphemen bestehen. Die Grenzen zwischen Wort und Satz lassen sich somit nur sprachintern beschreiben. Auch sprachintern muss man eine Reihe an definitorischen Anstrengungen unter‐ nehmen, um die Begriffe Wort oder Satz fassen zu können. Herbst & Schüller (2008) unterstreichen in diesem Zusammenhang die Bedeutung von prefabri‐ cated chunks. Für das Deutsche lassen sich Routinewendungen wie „Einen schönen Abend noch“ oder „Das Ding ist…“ anführen, auf die Sprachnutzer in ganz bestimmten Kontexten zuverlässig zurückgreifen können (für Idiome siehe Stathi 2011). Zu ähnlichen Einschätzungen kommen auch Korpuslinguist/ -innen wie etwa Sinclair (1991). In Abschnitt 3.3.3 schließlich wird dargelegt, dass es plausibel ist anzunehmen, dass Mehrworteinheiten und abstrakte Schemata auf ähnliche Weise mental repräsentiert sind, wie es das Modell des Mentalen Lexikons postuliert (vgl. auch Herbst & Schüller 2008). 3.2.5 Sprache als emergentes System - Sprache als Netzwerk In der Einleitung zu diesem dritten Kapitel der Dissertation wurde „Sprache als emergentes, fluides Netzwerk beschrieben, das sich unter dem ständigem Druck kommunikativer Anforderungen in unablässigem Wandel befindet“ (vgl. Langacker 1987b, 2017, Tomasello 2000, Bybee & Hopper 2001, Diessel 2013, 2019). Die kommunikativen Anforderungen, die den zweiten Teil der Definition ausmachen, sollten nun hinreichend beschrieben sein. Ich möchte nun auf den ersten Teil der Definition zurückkommen. Unter Emergenz versteht man disziplinenübergreifend einen Effekt, der sich nicht aus einzelnen kausalen Zusammenhängen erklären lässt und somit zu nicht-vorhersagbaren Ergebnissen führt (vgl. Auer & Pfänder 2011; Greve & Schnabel 2019). Emergenz ist somit eine wesentliche Eigenschaft komplexer Systeme. Häufig sind die Wechselbeziehungen zirkulärer Natur. Zur Anwen‐ dung kommt das Konzept in unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 95 <?page no="96"?> wie der Biologie, der Ökonomie oder auch im Bereich der IT und der Digitali‐ sierungsforschung. Der Begriff Emergenz verweist innerhalb der Linguistik auf die Grundan‐ nahme heutiger gebrauchsbasierter Grammatikmodelle, die besagt, dass die Struktur der Sprache aus und durch den Gebrauch entsteht (vgl. Givón 2014 [1979]). Langacker (2017) betont den engen Zusammenhang zwischen dem System einer Sprache und ihrem Gebrauch: „ […] structure emerges from usage, is immanent in usage, and is influenced by usage on an ongoing basis“ (Langacker 2017: 109). Wie Willems (2003) bemerkt, ist daher der Begriff Sprachgebrauch „irreführend und erkenntnistheoretisch unzureichend“, denn er suggeriere, man könne Sprache als vorliegende Entität nutzen. Das dem nicht so ist, betonen Bybee & Hopper (2001): From this perspective, mental representations are seen as provisional and temporary state of affairs that are sensitive, and constantly adapting themselves, to usage. ʽGrammarʽ itself and associated theoretical postulates like ʽsyntaxʼ and ʽphonologyʼ have no autonomous existence beyond local storage and real-time processing. (Bybee & Hopper 2001: 2-3) Es lassen sich hier Parallelen zum bereits 49 Jahre zuvor erschienen Aufsatz „System, Norm und Rede“ von Coseriu ausmachen, der Sprache und die Aufgabe der Sprachwissenschaft wie folgt charakterisiert: Ganz konkret gibt es denn nur Sprechakte, existiert nur das wirkliche Sprechen, das Gespräch, die Sprechtätigkeit, die zugleich individuell und sozial ist und an sich asystematisch, zumal sie ständige Schöpfung noch nicht dagewesener, ebensolchen Intuitionen entsprechender Ausdrücke ist, und in der die Herausstellung eines mehr oder weniger stabilen Systems noch keine Feststellung einer weiteren, von den Redeakten unterschiedenen Wirklichkeit bedeutet, sondern nur eine wissenschaftlich notwendige Abstraktion, und das im Hinblick auf ein Studium der Sprache, das über ein bloßes Registrieren und Analysieren des wirklichen Sprechens hinausgeht und vielmehr Geschichte werden kann. (Coseriu [1952] 1975: 16-17) Coseriu selbst bezieht sich in seinen folgenden Ausführungen auf die Idee Humboldts, Sprache als Tätigkeit und nicht als Werk zu begreifen. Es lässt sich somit erneut konstatieren, dass die Grundpfeiler gebrauchsbasierter Gramma‐ tiktheorien nicht revolutionär im eigentlichen Sinne sind. Vielmehr handelt es sich um die Wiederentdeckung bereits angelegter Konzepte, die etwas anders akzentuiert werden. Hierzu zählt die Modellierung als dynamisches Netzwerk mit einem starken Fokus auf die dem Sprechen zugrunde liegende Kognition 96 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="97"?> und den entsprechenden psychologischen und neurologischen Verarbeitungs‐ mechanismen: In that model, as mentioned earlier, entries sharing phonetic and semantic features are highly connected depending upon the degree of similarity. Thus in such a network, all the compounds that share words would already be connected in storage, making the application of the analogical process more direct. (Bybee 2011: 62) Im Sinne gebrauchsbasierter Sprachmodelle ist der Aspekt der Dynamik zu unterstreichen, denn das Netzwerkmodell von Sprache ist durch Frequenzen und weitere Faktoren, wie selektiver Aufmerksamkeit, ständigem Wandel un‐ terworfen. Die Netzwerkmetapher sollte daher nicht überstrapaziert werden, denn Knoten und Verbindungen sind, wie bereits ausgeführt, keine starren Komponenten. So wie der Begriff der Emergenz findet auch das Modell des Netzwerkes in anderen Disziplinen Anwendungen. Für gebrauchsbasierte Sprachtheorien sei insbesondere das neuronale Netzwerk ein interessanter Ansatz, bemerkt Diessel (2019: 10). Die Eigenschaften bzw. das „Gewicht“ der einzelnen Knoten sind bei neuronalen Netzwerken durch den tatsächlichen Gebrauch geformt: „[…] the more often a particular link, or a particular pattern of links, is processed, the stronger are the weight(s) of the connections and the higher is the probability that these connections (or links) will be reused in the future“ (Diessel 2019: 10). Im sprachgebrauchsbasierten Netzwerkmodell nach Diessel (2019) sind es drei primäre Relationen, die das sprachliche Wissen von Sprachnutzern strukturierten: (1) S Y M B O LI S C H E R E LATI O N E N , sprich, Form-Bedeu‐ tungspaare, (2) S E Q U E N TI E L L E R E LATI O N E N sowie (3) TAX O N O MI S C H E R E LATI O N E N , die Schemata unterschiedlichen Abstraktionsgrads verbinden. Wie Diessel (2019) selbst herausstellt, sind dies bereits in der Linguistik etablierte Konzepte zur Beschreibung sprachlichen Wissens. Er addiert drei zusätzliche Relationstypen, die das Netzwerk strukturierten: (4) L E XIKALI S C H E R E LATI O N E N , angelehnt an die Konzepte des Mentalen Lexikons (Synonymie, Antonymie, phonologische Eigenschaften etc.), (5) K O N S T R U K TI O NAL E R E LATI O N E N , die Konstruktionen des selben Abstraktionsgrades verbinden sowie (6) F IL L E R -S L O T R E LATI O N E N , die bestimmte lexikalische Einheiten mit bestimmten Slots von schematischen Konstruktionen in Beziehung setzen (vgl. Diessel 2019: 12-22). 3.2 Zentrale Konzepte gebrauchsbasierter Strömungen 97 <?page no="98"?> Relation Sprachliches Beispiel Erläuterung S Y M B O L I S C H E R E L A T I O N Wir fliegen nach Mallorca vs. Es fliegen überall im Raum Kleidungsstücke durch die Gegend. Sowohl lexikalische Einheiten als auch Konstruktionen verfügen über Be‐ deutungspotentiale, die in konkreten kommunikativen Situationen aktiviert werden. S E Q U E N T I ‐ E L L E R E L A T I O N Wir geh’n ins Kino. Sprachliches Wissen beinhaltet das Ver‐ fügen über sequentiell organisierte Ein‐ heiten. Automatisierung kann dabei zu einer phonologischen Reduktion führen. T A X O N O M I ‐ S C H E R E L A T I O N [P A T H NP VP] [durch die Gegend V E R B ] [durch die Gegend fliegen] Sprachnutzer verfügen über Wissen über unterschiedliche Abstraktionsgrade von Konstruktionen. Es beinhaltet sowohl abstrakte Schemata als auch lexikalisch spezifizierte Konstruktionen. L E X I K A L I ‐ S C H E R E L A T I O N durch die Gegend zo‐ ckeln/ zotteln vs. staksen/ stapfen Lexikalische Einheiten sind sowohl über semantische als auch über phonologische Ähnlichkeiten assoziiert. K O N S T R U K ‐ T I O N A L E R E L A T I O N Sie brüllt durch die Gegend vs. Sie brüllt sich durch die Ge‐ gend. Wie lexikalische Einheiten sind auch an‐ dere Konstruktionen im Netzwerk mit‐ einander assoziiert. Dabei verfügt jede Konstruktion über ihre eigene Funktion. F I L L E R - S L O T - R E L A T I O N Sie läuft durch die Gegend vs. Sie geht durch die Gegend Sprachnutzer verfügen über Wissen, welche lexikalischen Einheiten mit wel‐ chen Slots von Argumentstrukturkonst‐ ruktionen assoziiert sind. Tabelle 10. Relationen nach Diessel (2019), illustriert anhand von Beispielen der vorlie‐ genden Arbeit. Jeder dieser Relationen sei auf spezifische kognitive Prozesse zurückführbar. Symbolische Relationen beruhten vorwiegend auf pragmatischer Inferenz sowie Konzeptualisierungsmechanismen. Taxonomische Relationen hingegen entstünden durch die Fähigkeit zur Analogiebildung (Diessel 2019: 21). Bei Konstruktionen des gleichen Abstraktionsgrades spricht man von Schwester‐ konstruktionen. Bei Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades wird der Begriff Elternbzw. Tochterkonstruktion genutzt. Innerhalb der Konstrukti‐ onsgrammatik hat sich zur Beschreibung der Sprache als Netzwerk der Begriff des construct-i-con (Goldberg 1995), dt. Konstruktikon, etabliert. Der Begriff des Konstruktikons wird in Abschnitt 3.3.3 der vorliegenden Arbeit erläutert. Zuvor wird der theoretische Rahmen der Konstruktionsgrammatik abgesteckt und der Konstruktionsbegriff definiert. 98 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="99"?> 3.3 Konstruktionsgrammatik Innerhalb der gebrauchsbasierten Grammatik wird vielfach der Begriff der Konstruktion genutzt. Zunächst wurde der Konstruktionsbegriff verwendet, um auf bestimmte idiosynkratische Strukturen aufmerksam zu machen. Es hat sich seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine eigene Theorie‐ linie herausgebildet, die unter dem Label Construction Grammar, kurz CxG, bekannt ist. Die Construction Grammar, zu Deutsch und im folgenden Text als Konstruktionsgrammatik (KxG) bezeichnet, nimmt im Gegensatz zu anderen gebrauchsbasierten Modellen, die insbesondere Arbeiten zur Phonologie und Morphologie hervorgebracht haben (u. a. Bybee 1985), schwerpunktmäßig die Satzebene in den Blick. Sie versteht sich somit als eine neue Syntaxtheorie (vgl. Croft & Cruse 2004). Wie jede neue Idee wird auch die KxG auf den Prüfstand gestellt. Es wird zunächst der Vorwurf ins Feld geführt, die KxG sei im Grunde nicht mehr als „alter Wein in neuen Schläuchen“. Dem würde ich teilweise zustimmen wollen. In der Tat ist in den vorausgehenden Abschnitten dieser Arbeit herausgearbeitet worden, dass nicht alle Ideen gebrauchsbasierter Sprachtheorien und der KxG neu sind. Einige Ideen sind in Vergessenheit geraten und wiederentdeckt worden. Dies ist aber weniger ein Argument gegen eine Theorie als für eine Theorie: Kehren Ideen und Argumente wiederholt im Diskurs auf, scheint womöglich ein interessanter Punkt vorzuliegen. Die Debatte um die KxG bietet sowohl inhaltlich fundierte Argumentationslinien (vgl. z. B. Müller 2013) als auch polemisierende Darstellungen der KxG (vgl. z.-B. Leiss 2009): Insgesamt handelt es sich [bei der KxG] somit um eine Mischung von Behaviorismus und Kognitivismus. Innovative Argumentationslinien sind kaum vorhanden, was die Axiomatik betrifft. Die gesamte Sprache wird als Ansammlung von Idiomatik gesehen. Sprache wird auf Phraseologismen reduziert. Die Suche nach Invarianten ist nicht mehr interessant. Sprachen werden als nicht miteinander vergleichbar betrachtet. Universalgrammatik, Syntax und Sprachtypologie sind keine interessanten Betätigungsfelder mehr. (Leiss 2009: 270) Im Zitat von Leiss (2009) wird deutlich, dass die theoretischen Annahmen der KxG missverstanden oder aber derart karikiert wiedergegeben werden, dass sie mit der eigentlichen Aussage der zugrundeliegenden Studien, die sich der KxG verschrieben haben, nur noch wenig gemein haben. Es wird vom „systematischen Ausbeuten“ theoretischer Schwachstellen des generativen Programms für „konstruktionsgrammatische Zwecke“ gesprochen (vgl. Leiss 3.3 Konstruktionsgrammatik 99 <?page no="100"?> 13 Ein Missverständnis rührt m. E. daher, dass Leiss (2009) davon ausgeht, es handle sich bei der Fähigkeit zur Imitation um eine „niedere“ Fähigkeit. Bybee (2011: 16-17) greift diesen Standpunkt auf und zeigt evidenzbasiert, dass die Fähigkeit zu Imitation und Mimikry keinesfalls eine „niedere“ Fähigkeit/ Tätigkeit ist, sondern ein sehr zentraler Mechanismus menschlicher Kultur; siehe auch Zlatev (2008). 14 Vgl. auch Kapitel 7 der vorliegenden Arbeit zu theoretischen Desideraten. 2009: 268) oder auch von „einer immensen Abwertung von Sprache und Sprachen, ja sogar zu sozialen Pathologien“ komme es durch die KxG (vgl. Leiss 2009: 267) 13 . Die Zuspitzung betrifft insbesondere die Frage nach der Struktur des Sprachsystems, die Frage nach sprachwissenschaftlichen Kategorien wie Wortarten oder Wortgruppen sowie die Unterschiede zwischen grammatischen und lexikalischen Einheiten. Diese vulnerablen Punkte der KxG sollen daher in den folgenden Abschnitten thematisiert werden. 14 Die Anfänge der Konstruktionsgrammatik werden gemeinhin auf die Ar‐ beiten von Langacker (1987), Lakoff (1987) und Fillmore (1988) Ende der achtziger Jahre datiert. Der Anspruch der Konstruktionsgrammatiker ist es zum einen, eine Grammatiktheorie zu entwickeln, die eine Abbildung psychologi‐ scher Realität darstellt. Zum anderen soll diese Grammatiktheorie das gesamte Inventar einer Sprache erfassen und durch wenige allgemeine Prinzipien be‐ schreiben. While construction grammars have similarities to a number of other approaches to grammar, meaning, and natural language understanding, construction grammarians differ from many other workers in the generativist tradition by their insistence on simultaneously describing grammatical patterns and the semantic and pragmatic purposes to which they are dedicated, and by their tendendy to give attention to the fine and fussy details of what might be called the non-central constructions of a language. (Fillmore 1988: 36) Im Zitat Fillmores wird die Ausrichtung auf Bereiche der Sprache deutlich, die von generativen Schulen als Phänomene der Performanz ausgeklammert wurden. Einer der frühsten und bekanntesten Aufsätze zu einem solchen als bis dato als „randständig“ angesehenen Ausdrucks stammt von Fillmore et al. (1988) und trägt den Titel Regularity and idiomaticity in grammatical constructions: The case of let alone. In diesem Aufsatz argumentieren Fillmore et al. ausgehend von idiomatischen Strukturen, dass sich das syntaktische, semantische wie pragmatische Verhalten dieser sprachlichen Strukturen nicht mit generativen Analysen modellieren ließen (vgl. auch Croft & Cruse 2004: 224-247). Beispiele (66) und (67) illustrieren die deutsche Entsprechung der let-alone-Konstruktion. 100 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="101"?> (66) Max isst keine Garnelen, geschweige denn Tintenfisch. (67) Max wird keine Garnele anfassen, geschweige denn einen Tintenfisch säubern Wie Croft & Cruse (2004: 238) betonen, ist die Bedeutung der let-alone-Kon‐ struktion nicht opak. Gleiches gilt für das deutsche Äquivalent, die ge‐ schweige-denn-Konstruktion. Beide sind sogenannte paired-focus-Konstruk‐ tionen, denn sie richten die Aufmerksamkeit der Sprachnutzer auf zwei zu vergleichende Elemente. Sprachnutzer müssen zur erfolgreichen Interpretation der Konstruktion eine mentale Skala konstruieren, wobei dem zweiten Teil des Fokus auf der imaginierten Skala der negativere Wert zugeschrieben wird. Für lexikalistische Ansätze, die die Gesamtbedeutung des Ausdrucks auf die einzelnen Lexeme und Regeln zurückführen, ist die Erklärung der let-alonebzw. der geschweige-denn-Konstruktion schwerlich möglich. Ausgehend von der Beobachtung, dass Idiome durchaus variabel hinsichtlich der konkreten Realisierung sein können und zudem über eine Art Familienähnlichkeit (Witt‐ genstein [1953] 2019) mit anderen Konstruktionen verwandt sind, drehen Fillmore et al. die Argumentationslinie nun um: Anstatt Idiome an die Peripherie sprachwissenschaftlicher Interessenbereiche zu verbannen, wird versucht, ein Syntaxmodell zu entwickeln, das die Existenz von Idiomen, Phrasemen und voll‐ ständig opak erscheinenden Ausdrücken gleichermaßen zu erklären vermag. Somit beschränken Fillmore et al. den konstruktionsgrammatischen Ansatz nicht nur auf nicht-kompositionelle Ausdrücke wie Idiome, sondern formu‐ lieren die These: „The grammar of a language can be seen as a repertory of constructions, plus a set of principles which govern the nesting and superimpo‐ sition of constructions into or upon one another“ (Fillmore 1988: 37). Es ist im Laufe der Zeit darüber debattiert worden, wie man sich die Prinzipien der Kombination von Konstruktionen vorstellen kann, wenn man auf Regeln, wie sie die Generative Grammatik postuliert, verzichten möchte. In der hier zitierten Aussage von Fillmore bleibt dieses Problem noch reichlich unterbelichtet, wird hier doch recht lapidar auf ein „set of principles“ verwiesen, mit Hilfe derer Sprachnutzer die Konstruktionen im konkreten Sprachgebrauch ineinander verweben. Diese Diskussion sowie weitere theoretische Disparitäten hinsichtlich des Konstruktionsbegriffs als solchem führten zur Herausbildung von Subströmungen, die im folgenden Abschnitt kurz vorgestellt werden sollen. 3.3.1 Konstruktionsgrammatische Strömungen im Überblick Ziem & Lasch (2013) unterteilen die unterschiedlichen Ansätze, die die Kon‐ struktionsgrammatik in den letzten dreißig Jahren entwickelt hat, in zwei grundlegende Richtungen: Es lasse sich eine große Strömung ausmachen, die 3.3 Konstruktionsgrammatik 101 <?page no="102"?> 15 Die Konstruktionsgrammatik hat den Konstruktionsbegriff nicht erfunden und paten‐ tieren lassen. Er erscheint Goldberg & Casenhiser (2006) zufolge bereits in mittelalter‐ lichen Schriften über Sprache. Insofern findet sich eine Vielzahl an Aufsätzen, die den Begriff Konstruktion verwenden, ohne aber die Axiome der Konstruktionsgrammatik bedienen zu wollen. eng mit der kognitiven Tradition der KxG verbunden bleibe. Hierzu zählen Ziem und Lasch (2013) die Cognitive Construction Grammar Lakoff und Goldbergs, die Cognitive Grammar von Langacker sowie die Radical Construction Grammar von Croft. In der vorliegenden Arbeit werde ich mich auf diese drei theoreti‐ schen Ansätze konzentrieren und, wenn notwendig, auf die unterschiedlichen Akzentuierungen hinweisen. Der zweiten großen Strömung innerhalb der Konstruktionsgrammatik werden die Berkeley Construction Grammar von Fillmore und Kay, die Sign-based Construction Grammar von Sag, Kay, Michaelis et al., die Embodied Construction Grammar von Bergen, Chang et al. sowie die Fluid Construction Grammar von Steels et al. zugerechnet. Diese zweite Strömung sei „formal[er] ausgerichtet“ (Ziem und Lasch 2013: 48). Ziel ist es dabei, eine Theorie aufzustellen, die insbesondere der Technik von maschineller Sprachverarbeitung dienlich sein kann (vgl. ebd.). 3.3.2 Der Konstruktionsbegriff Eine der frühesten Definitionen für den Begriff der Konstruktion 15 , wie er innerhalb der gebrauchsbasierten Theorien Anwendung findet, stammt aus Lakoff (1984) und Lakoff (1987). Lakoff führt Fallstudien zur sogenannten there-Konstruktion an. Er identifiziert elf Subkonstruktionen, die hinsichtlich ihrer Semantik und ihres pragmatischen Gehaltes leicht divergieren. Zur Illus‐ tration dient die Auswahl an Adaptionen aus dem englischen Original für das Deutsche in den Belegen (68) bis (75). (68) Da ist Harry mit der roten Jacke. (69) Da geht unsere letzte Hoffnung dahin. (70) Da freuen wir uns aber. (71) Da brauchen wir uns nichts vormachen. (72) Da kommt unsere Pizza. (73) Da geht’s voran. (74) Da war ich mitten im Dschungel, als plötzlich… (75) Da auf diesem Hügel habe ich Radfahren gelernt. 102 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="103"?> Analog zu Fillmore et al. (1988) für die let-alone-Konstruktion entfaltet Lakoff (1984, 1987) anhand der there-Konstruktion eine Argumentationslinie, die Sätze oder satzähnliche Strukturen als eigene, holistische Form-Bedeutungspaare definiert: „Each construction will be a form-meaning pair (F, M), where F is a set of conditions on syntactic and phonological form and M is a set of conditions on meaning and use“ (Lakoff 1987: 467). Der Saussuresche Zeichenbegriff wird ausgeweitet auf Einheiten, die größer als ein lexikalisches Element sein können. Damit verschiebt die Konstruktionsgrammatik die traditionelle Grundeinheit Wort zu einer potenziell größeren Grundeinheit Konstruktion. Bereits in der Antike ging man davon aus, dass Wörter über Phrasen zu Sätzen kombiniert werden. In der Generativen Grammatik wurden hierzu Pro‐ jektionsregeln postuliert, die auf der Computermetaphorik beruhen (vgl. hierzu Abschnitt 3.1.3). Auch wenn der Terminus Konstruktion es anders implizieren mag, gehen die meisten Strömungen der KxG davon aus, dass Konstruktionen holistisch und per se bedeutungshaltig sind. Es geht also gerade nicht darum, Konstruktionen in kleine Einheiten zu zerlegen (vgl. auch Welke 2019: 23-25). Phonologie Syntax Semantik Pragmatik F M C Abbildung 11. Die Konstruktion als Form-Bedeutungspaar bei Lakoff (1987). Dass Konstruktionen holistisch sind, bedeutet für Lakoff jedoch nicht, dass die Bedeutung in vollständig arbiträrer Relation zu den Bedeutungen der Konstruktionsteile stehe (vgl. Lakoff 1987: 465). Vielmehr sei die Bedeutung der Konstruktion sehr wohl durch die einzelnen lexikalischen Elemente moti‐ viert, nicht aber vorhersagbar (Lakoff 1987: 465). Prominenter noch als Lakoffs Arbeiten zu Konstruktionen dürften die seiner ehemaligen Studentin sein, Adele Goldberg. Im Jahr 1995 erschien ihre erste Monographie Constructions: A construction grammar approach to argument structure, in der sie Konstruktionen folgendermaßen definiert: C is a C O N S T R U C T I O N iff def C is a form-meaning pair < F i ,S j > such that some aspect of F i, or some aspect of S j is not strictly predictable from C’s component parts or from previously established constructions. 3.3 Konstruktionsgrammatik 103 <?page no="104"?> 16 Fillmore (2014: 161) bemerkt zum Kriterium der nicht-Kompositionalität: „It is miss‐ leading to characterize grammatical constructions, idioms and fixed expressions as ʽnon-compositionalʼ. Once we know what a fixed expression means, or what effect a construction has on the meaning of the phrases it licences, it can figure perfectly in the compositional process. Cases of ʽmeaningʼ that go beyond compositionality belong to pragmatics, where the reasoning involves more than conventions attending linguistic form“. (Goldberg 1995: 4) Interessant ist der Unterschied zur Definition aus Fillmore (1988): Goldberg beschränkt den Konstruktionsbegriff im Gegensatz zu Fillmore (1988) explizit auf solche sprachlichen Strukturen, deren Gesamtbedeutung nicht durch die einzelnen Komponenten der Konstruktion vorhersagbar ist oder sich aus der Bedeutung anderer etablierter Konstruktionen ableiten lässt. 16 Ihre erste Defi‐ nition einer Konstruktion C hat Goldberg in ihrer zweiten Monographie aus dem Jahr 2006 abgewandelt, indem sie nun anfügt: „In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency […]“ (Goldberg 2006: 3). Mit anderen Worten: Das Kriterium der Nicht-Kompositionalität wird von Goldberg (2006) abgeschwächt. Goldberg (2006) greift nun das Argument der Frequenz auf, um den Konstruktionsstatus abzuleiten. Werden Wörter wiederholt in Kookkurrenz gebraucht, werden sie als mentale Einheiten und ggf. als holistische Einheiten repräsentiert. Wie hoch die Frequenz liegen muss, bleibt eine empirisch zu beantwortende Frage. In ihrer jüngsten Monografie von 2019 revidiert Goldberg ihre ursprüngliche Definition von Konstruktionen und betont nun die kognitiven Mechanismen, die der menschlichen Sprachfähigkeit zugrunde liegen: Here, as explained in the following chapters, constructions are understood to be emergent clusters of lossy memory traces that are aligned with our high- (hyper! ) dimensional conceptual space on the basis of shared form, function, and contextual dimensions. (Goldberg 2019: 7) Abbildung 12 illustriert den Konstruktionsbegriff nach Croft & Cruse 2004 sowie Ziem & Lasch 2013. Im Vergleich zum Konstruktionsbegriff von Lakoff (1987) aus Abbildung 11 zeigen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Geblieben ist die grundlegende Idee der Konstruktion als Form-Bedeutungspaar. In qualitativer Weise hat der Begriff eine Erweiterung erfahren: Auf formaler Ebene wurden morphologische Eigenschaften ergänzt. Auf semantischer Ebene findet sich eine Erweiterung um diskurs-funktionale Eigenschaften von Kon‐ struktionen. Diese Entwicklungen zeigen sich im aktuellen Forschungsraum, 104 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="105"?> 17 Für einen ersten Überblick siehe u. a. Stein & Stumpf (2019): Muster in Sprache und Kommunikation. Eine Einführung in Konzepte sprachlicher Vorgeformtheit. 4., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin: Erich Schmidt Verlag. denn mehr und mehr Studien thematisieren Konstruktionen innerhalb der Inter‐ aktionalen Linguistik (u. a. Deppermann 2006; Auer 2006; Imo 2012; Günthner & Imo 2012). syntaktische Eigenschaften morphologische Eigenschaften phonologische Eigenschaften C symbolische Verbindung semantische Eigenschaften pragmatische Eigenschaften diskurs-funktionale Eigenschaften Abbildung 12. Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare nach Croft & Cruse (2004) sowie Ziem & Lasch (2013: 14). In Tabelle 11 findet sich eine Liste an Konstruktionen in Anlehnung an die Darstellung von Ziem & Lasch (2013: 19) für das Deutsche. Es ist erkennbar, dass der Konstruktionsbegriff von der Morphemebene bis zur Satzebene genutzt wird, um sprachliche Strukturen zu beschreiben. Plausibel erscheint es, dass künftige Studien auch größere Einheiten wie Texte in den Blick nehmen, um die Bedeutungs-Form-Beziehungen zu beschreiben. 17 Konstruktionen Beispiele Derivations-/ Flexionsmorpheme {-in} {-t} Lexeme Schülerin Phraseme geschweige denn Sprichwörter Der frühe Vogel fängt den Wurm Idiome jmdn. zum Kochen bringen Vergleichssätze je mehr desto besser 3.3 Konstruktionsgrammatik 105 <?page no="106"?> 18 Für einen Vergleich der Positionen zwischen Konstruktionsgrammatik und Kognitiver Linguistik nach Langacker siehe Broccias (2006). Konstruktionen Beispiele Argumentstrukturen [NP] [VP] [NPdat] [NPakk] syntaktische Formen [S U B S T A N T I V ] syntaktische Funktionen [S U B J E K T ] Tabelle 11. Auswahl an Konstruktionen in Anlehnung an Ziem & Lasch (2013: 19). Aus dem Blickwinkel strukturalistischer Syntaxtheorien werden in Tabelle 11 sprachliche Einheiten aufgelistet, die auf unterschiedlichen Ebenen operieren. So bezieht sich der Ausdruck S U B J E K T auf eine syntaktische Funktion, der Begriff S U B S TAN TIV auf eine morpho-syntaktische Form. Es scheint, als herrsche eine gewisse Willkür, was innerhalb der Konstruktionsgrammatik als Konstruktion bezeichnet werden könne. Im Unklaren ist bislang auch geblieben, ob weiterhin mit dem tradierten Begriffsinventar operiert werden solle oder ob der Begriff der Konstruktion die Begriffe Nominalphrase, Akkusativ oder Subjekt ersetzen sollte. Nicht umsonst stellt beispielsweise Welke (2019) seiner Monografie Konstruktionsgrammatik des Deutschen ein zweiseitiges Begriffsinventar voran. Unterschiedliche Linguist/ -innen haben auf diese terminologischen Fragen unterschiedliche Antworten formuliert. Die prominentesten Haltungen, was den Status syntaktischer Kategorien und dessen Terminologie angeht, sollen im Folgenden gegenübergestellt werden, um daraus eine eigene Position abzu‐ leiten, die insbesondere im empirischen Teil der Arbeit zum Tragen kommen wird. Dazu zählen die Radical Construction Grammar (RCxG) von Croft (2001) sowie die Cognitive Construction Grammar (CCxG) Lakoff und Goldbergs, denen man im Grundsatz auch die Arbeiten von Boas (u. a. Boas 2003; Boas 2011a) und Hilpert (2014) zuordnen kann. 18 Die vermutlich radikalste Position hierbei vertritt der Linguist William Croft, der aus sprachtypologischer Perspektive die theoretische Strömung der Radical Construction Grammar (RCxG) entwickelt hat. In seiner gleichnamigen Monografie aus dem Jahr 2001 bricht er mit der Idee, dass Sprachnutzer über abstrakte Kategorien wie Wortarten verfügten. Die Existenz syntaktischer Kategorien als solcher, losgelöst von konkreten Instanziierungen, wird negiert (vgl. Croft 2001). Der Name ist somit Programm. Crofts Thesen beziehen sich zum einen auf sprachübergreifende Generalisierungen, die Formklassen betreffen: Da sich die Kategorie Adverb, Adjektiv oder gar eine so basale 106 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="107"?> Kategorie wie Verb derart unterschieden, was Distribution und Morphologie anginge, könne man keine sprachübergreifenden Kategorien ansetzten, da man sonst Elemente zusammenfasse, die sich zu verschieden verhielten. Dies sei deswegen so lange ignoriert worden, weil sich die Linguistik auf den Vergleich von Sprachen konzentriert habe, die enge Verwandtschaftsverhältnisse zeigten. Zum anderen beziehen sich seine Thesen aber auch auf sprachinterne Form- und Funktionsklassen. Auch hier sei ein Begriff, der syntaktische Relationen anzeige, wie etwa Subjekt, insofern unbrauchbar, als dass dieser vom Sprachnutzer nur in der jeweiligen Konstruktion seine Bedeutung zugeschrieben bekommen könnte. Als Beispiele führt Croft (2001) Argumentstrukturkonstruktionen an, die in den Belegen (76)-(78) für das Deutsche adaptiert wurden (vgl. Tomasello 2019: 831). (76) John hat Bill umarmt. (77) John wurde von einem Freund begrüßt. (78) Da ist John. Nach Croft sind die Subjekte der Belege derart heterogen, dass eine Subsu‐ mierung unter eine Kategorie nicht plausibel sein könne. Statt grammatische Relationen anzusetzen, plädiert Croft für eine rein semantisch motivierte Klas‐ sifikation, in der die Konstruktion Gestalt-Charakter hat und sich die Beziehung der Komponenten nur in Bezug auf die konkrete Konstruktion beschreiben lässt (Croft 2001). In einem weiteren Argumentationsgang analysiert Croft das Verb to dance ‘tanzen’ als ein Verb, das sowohl intransitiv als auch transitiv verwendet werden kann. Hierbei ergebe sich für eine reduktionistisches Gram‐ matikmodell, also für ein Grammatikmodell, dass von einer Dekomposition von Konstruktionen ausgeht, das Problem der Zuordnung: Handelt es sich bei tanzen um ein transitives Verb oder um eine intransitives Verb? Dieses Problem soll Croft zufolge gelöst werden, indem die Konstruktion die elementare Einheit darstellt. Somit existierten keine intransitiven Verben per se, sondern es handle sich um intransitive Verben in intransitiven Konstruktionen (vgl. Croft 2001; Croft & Cruse 2004). Die morphosyntaktischen Eigenschaften seien demzufolge keine grammatischen Marker, die Formklassenzugehörigkeit oder syntaktische Relationen kodierten, sondern hülfen den Sprachnutzern dabei, die Rolle zu entschlüsseln, die das jeweilige Element in der konkreten Konstruktion spiele: In other words, the syntactic properties that seemingly encode syntactic relations in fact encode symbolic relations, between individual elements and components of the construction and between the constructional form as a whole and its meaning. (Croft & Cruse 2004: 268) 3.3 Konstruktionsgrammatik 107 <?page no="108"?> 19 Zum Begriff teilschematisiert siehe Abschnitt 3.3.4. Konsequenterweise plädiert Croft (2001) für einen vollständigen Verzicht auf die tradierte Terminologie. Für Newman & Rice (2006) ergibt sich aus ihrer Untersu‐ chung zur Realisierung von Objekten der Verben eat ‘essen’ und drink ‘trinken’ als ein Ergebnis, dass die realisierte Argumentstruktur erheblich schwankt, und zwar in Abhängigkeit von der flektierten Form der Verben. Die Autorinnen der Studie ziehen daraus die Schlussfolgerung, dass eine Eigenschaft wie etwa die Valenz eines Verbs nicht typebasiert, sondern tokenbasiert zu sein scheint. Dies deckt sich mit den Ansichten der Radical Construction Grammar. Eine vergleich‐ bare Argumentation führt Boas (2003) in seiner Studie zu Resultativkonstrukti‐ onen aus. Statt eine sehr abstrakte Generalisierung einer Resultativkonstruktion anzusetzen, postuliert er ein Netzwerk teilschematisierter 19 Konstruktionen, die über Familienähnlichkeiten (Wittgenstein [1953] 2019) verwoben sind. Tomasello greift die Positionen Crofts für seine Modellierung des kindlichen, ungesteuerten Erstspracherwerbs auf. Für den ungesteuerten Erstspracherwerb ergibt sich nach Tomasello aus den Überlegungen der Radical Construction Grammar die Konsequenz, dass Kinder syntaktische Relationen als Epiphä‐ nomen erwerben (Tomasello 2019: 832). Bei dem Versuch, die Äußerungen im Erwerb zu entschlüsseln, käme es durch Analogiebildung zur Herausbildung eine Vorstellung über syntaktische Relationen wie Subjekt. Tomasello grenzt an dieser Stelle syntaktische Relationen deutlich von syntaktischen Kategorien ab: Da syntaktische Kategorien wie Verb oder Substantiv paradigmatische Ei‐ genschaften aufwiesen, sich also über ihre Distribution ermitteln ließen, seinen hier nicht Analogiebildung, sondern Kategorisierungsprozesse die Grundlage des Erwerbs. Für Tomasello bietet der Ansatz Crofts eine Erklärung für den „langwierigen Prozess der syntaktischen Entwicklung von Kindern“ (Tomasello 2019: 832). Als Epiphänomen bezeichnet auch Hilpert (2014) die syntaktischen Kategorien: In the dictionary-and-grammar model of linguistic knowledge, syntax rests on the notions of words, word classes, and phrase structure rules. […] These concepts have a proper status in Construction Grammar, but […] they are seen as an epiphenomenon of knowledge of constructions, rather than as the basis of syntactic knowledge. (Hilpert 2014: 74) Im Vergleich zur Position Crofts ist Hilpert deutlich moderater, denn er fordert nicht die gänzliche Ausräumung aller linguistischer Kategorien. Was die Exis‐ tenz von Phrasen angeht, macht Hilpert deutlich, dass diese als emergentes Phänomen betrachtet werden sollten und nicht als grundlegende Operation der 108 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="109"?> Sprachproduktion (vgl. Hilpert 2014: 69). Insofern könne man auch innerhalb der KxG durchaus von NPs sprechen, der Status dieser Kategorien ist dann jedoch ein gänzlich anderer als in generativen Frameworks. Hilpert (2014) folgt damit den Analysen von Bybee zur Konstituenz (Bybee & Scheibman 1999; Bybee 2002a). Bybee (2002) zeigt anhand unterschiedlich komplexer Nominalphrasen, dass die Bindung zwischen einem Determinierer und dem nominalen Element keine dichotome Frage ist, sondern eine graduelle, die in Abhängigkeit der phonologischen Länge der Einheiten steht. Phrasenstrukturen ergeben sich diesen Überlegungen folgend aus dem Gebrauch und weisen zudem Unterschiede auf, je nachdem, welches lexikalische Item in der Phrasenstruktur erscheint. Evidenz aus dem L1-Erwerb für diese Position führen u. a. Lieven et al. (2003), Chan et al. (2009) sowie Lieven (2014; Lieven 2016) an. Da die hierarchische Struktur eine grundlegende und notwendige Eigenschaft menschlicher Kommunikation zu sein scheint, beziehe ich mich in dieser Arbeit auf die Kategorien, die sich aus dem Sprachgebrauch ergeben. Die verwendete Terminologie lehnt sich, wenn nicht explizit anders erwähnt, an die gängigen Form- und Funktionsbeschreibungen gebrauchsbasierter Grammatiktheorien an. 3.3.3 Das Konstruktikon Der Begriff construct-i-con (Goldberg 1995) ist das Produkt einer Kontamina‐ tion aus den Begriffen construction und lexicon (Ziem & Lasch 2013: 95). In der deutschsprachigen Literatur hat sich das Übersetzungsäquivalent Kon‐ struktikon etabliert. Wie die Bezeichnung vermuten lässt, handelt es sich beim Konstruktikon um ein Netzwerkmodell, das das mentale Inventar an Bedeutungs-Form-Paaren eines Sprachnutzers und das gesamte Wissen über sprachliche Konventionen abbilden soll: […] our ʽconstruct-i-conʼ, or knowledge of language, is composed of a rich network of partially overlapping constructions, which are learned in order to convey the variety of messages that people choose to talk about. (Goldberg & Herbst 2021: 286, vgl. auch Langacker 1987a, Goldberg 1995, Hilpert 2014: 50-57). Wie beim Modell des Mentalen Lexikons (Aitchison 2012) geht man auch beim Modell des Konstruktikons davon aus, dass die Einträge nicht unstrukturiert, sondern vielmehr in geordneter Weise vorliegen. Diese Ordnung lässt sich als taxonomische Struktur begreifen, die durch Vererbungshierarchien begründet ist. Unter Vererbung versteht man Welke (2019: 337) zufolge 3.3 Konstruktionsgrammatik 109 <?page no="110"?> […] Ableitungen, Derivationen, Transformationen von sprachlichen Strukturen aus sprachlichen Strukturen bzw. in sprachliche Strukturen. Das sind in der Generativen Grammatik syntaktische Transformationen, […] in der Valenztheorie lexikalische Derivationen und in der Konstruktionsgrammatik Konstruktionsvererbungen. Ver‐ erbung kann sprachgebrauchsbasiert und nicht-sprachgebrauchsbasiert definiert werden. Konstruktionsgrammatische Strömungen, die sich den gebrauchsbasierten Sprachtheorien zuordnen, plädieren für eine unvollständige Vererbung von Merkmalen, während sich formal orientierte Konstruktionsgrammatiker, etwa der HPSG, für eine vollständige Vererbung aussprechen (vgl. Ziem & Lasch 2013: 96, siehe auch Abschnitt 3.3.1 zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden inner‐ halb der Konstruktionsgrammatik). Das Konstruktikon bildet sich gebrauchsba‐ sierten Konstruktionsgrammatiken wie der CCxG zufolge durch Entrenchment aus. Es bilden sich sogenannte „Knoten“ im Netzwerk. Diessel (2019) nutzt die Metapher der ökologischen Nische, um die Verortung einer Konstruktion innerhalb des Netzwerkes zu beschreiben: „The underlying hypothesis is that every construction has a particular ʽecological locationʼ in the grammar network that is defined by its relationship to other constructions in the system“ (Diessel 2019: 18). Am Beispiel eines Flexionsparadigmas lateinischer Verben illustriert Diessel die Relationen zwischen den einzelnen Schemata. Diese Konzeption ähnele auf den ersten Blick den Analysen des Strukturalismus, unterscheide sich aber konzeptionell dahingehend, als dass die Einträge im Konstruktikon durch den Gebrauch emergent und geformt würden (vgl. Diessel 2019: 18-19). Die Verbindungen zwischen den Einträgen im Konstruktikon sind sowohl formseitig als auch bedeutungsseitig motiviert. Eine formseitige Darstellung zur Taxonomie der Argumentstrukturkonstruktionen des Deutschen bietet Welke (2019). Welche inhaltsbezogenen Vererbungsmechanismen werden nun aber angesetzt? Eine erste Übersicht über mögliche Mechanismen des Inheritance findet sich in Goldberg (1995). Sie postuliert als Relationstypen (1) Polysemie, (2) Meronymie, (3) Instantiierung (Beispiel-von-Beziehung) sowie (4) metapho‐ rische Beziehung. In der weiteren Rezeption wurden diese Relationstypen teil‐ weise modifiziert, teilweise auch vollständig abgelehnt. Deutliche Kritik an den von Goldberg (1995) postulierten inhaltsbezogenen Vererbungsmechanismen formuliert beispielsweise Welke (2019: 337-373), da diese einen theoretischen Bruch in der Goldberg’schen Argumentationslinie darstellten: Indem Gold‐ berg deklarative Ableitungen ansetzte, verlasse diese den gebrauchsbasierten Ansatz und nutze Mechanismen nicht-gebrauchsbasierter, projektionistischer Sprachtheorien. Welke arbeitet heraus, dass es sich bei den inhaltsbezogenen Vererbungsmechanismen um einen Kategorisierungsprozess handle, den Lin‐ 110 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="111"?> 20 Neben dem Begriff der Token-Konstruktion wird auch von item-spezifischen Kon‐ struktionen (Herbst 2018) oder Minikonstruktionen (Boas 2011) gesprochen. In der vorliegenden Arbeit nutze ich für den empirischen Teil den Begriff der lexikalisch spezifizierten Konstruktion für solche Konstruktionen, bei denen der Verbslot lexikalisch gefüllt ist. Das Kriterium der Konventionalität muss für diese Begriffssetzung nicht erfüllt sein, es handelt sich lediglich um eine Beschreibung des Abstraktionsgrades. guist/ -innen vollzögen, wenn sie sprachliches Material sortierten. Dies sei aber nicht gleichzusetzen mit den Prozessen der Sprachproduktion und -verarbei‐ tung. Es zeigt sich, dass eine Reihe an empirischen Studien notwendig sein wird, um diesen und weitere strittige Punkte beantworten zu können. In der vorliegenden Arbeit werden die in Kapitel 3.2.5 diskutierten und für diese Arbeit fruchtbar gemachten Relationen nach Diessel (2019) angesetzt, um das sprachliche Netzwerk zu beschreiben. 3.3.4 Schematizität An verschiedenen Stellen der vorliegenden Arbeit ist bereits angeklungen, dass Konstruktionen unterschiedlich stark schematisiert sein können. Im folgenden Abschnitt wird dargelegt, inwiefern das Ansetzen unterschiedlicher Grade an Schematizität vorteilhaft sein kann, um sprachliche Strukturen zu beschreiben. Dazu komme ich zunächst auf das umstrittene Kompositionalitätsprinzip zurück: Welke (2019: 31) verzichtet gänzlich auf den Begriff der nicht-Kompo‐ sitionalität, um Konstruktionen zu definieren. Er setzt den Begriff der Konven‐ tionalität dagegen. Dieser Zugriff bietet den Vorteil, das gesamte Kontinuum an Schematizität zu erfassen. Unter Schematizität verstehe ich im Folgenden ange‐ lehnt an Traugott & Trousdale (2013) und Perek (2018a: 66) „the level of detail in the form or the function of constructions, and correspondingly the restrictions that are placed on their instances“. Man kann zunächst zwischen vollständig schematisierten Konstruktionen, teilschematischen Konstruktionen und kon‐ ventionalisierten Token-Konstruktionen (vgl. Welke 2019) differenzieren. 20 Ich werde das Kontinuum an Argumentstrukturkonstruktionen auffächern, da die Argumentstrukturkonstruktionen die Grundlage des empirischen Teils dieser Arbeit bilden. Argumentstrukturkonstruktionen fallen in den Kernbereich der Syntaxtheorien, denn sie korrespondieren im Wesentlichen mit der Satzebene. Entscheidend ist für die KxG die Perspektivierung: Während die Valenzgram‐ matik und andere projektionistische Grammatiktheorien davon ausgehen, dass das Verb alle relevanten semantischen und syntaktischen Informationen des Satzes trage, geht die KxG davon aus, dass die Umgebung des Verbs das Verb lizenziere (vgl. Welke 2019: 65). Als Evidenz für diese Behauptung werden 3.3 Konstruktionsgrammatik 111 <?page no="112"?> 21 Für eine kritische Diskussion des Begriffs Grundvalenz siehe Welke 2019. Token-Konstruktionen angeführt, in denen Verben erscheinen, deren Grundva‐ lenz 21 abweichend von der tatsächlichen Realisierung in der Argumentstruktur‐ konstruktion ist (u. a. Goldberg 1995, Ziem & Lasch 2013; Welke 2019), wie etwa beim Beispiel der Resultativkonstruktion in (79) und (80) aus Goldberg (1995: 3) und Markantonatou & Sadler (1996: 1). (79) She kissed him unconscious. - ‘Sie küsst ihn bewusstlos/ bis zur Bewusstlosigkeit’ (80) He hammered the metal flat. - ‘Er hämmerte das Metall flach/ so lange, bis es flach war’ Aus semantischer Perspektive lassen sich solche Resultativkonstruktionen auf die Formel X verursacht, dass Y zu Z wird abstrahieren (vgl. Goldberg 1995: 3). Auch formseitig können Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades ermittelt werden. Zur Illustration greife ich auf Belege aus Korpusstudie II der vorliegenden Arbeit zurück: (81) Ein Großmaul blufft sich nach oben. [https: / / www.fnp.de/ frankfurt/ grossmaul-blufft-sich-nach-oben-10421048.html, 23.08.2020, abgerufen am 20.01.2021] (82) Eine Frau wienert sich nach oben. [https: / / www.medienkorrespondenz.de/ leit‐ artikel/ artikel/ eine-frau-wienert-sichnbspnachnbspoben.html, 29.04.2016, abge‐ rufen am 18.01.2021] (83) Felix Lücht aus Bietigheim malt sich an die Spitze. [https: / / www.badisches-tagblatt.de/ Nachrichten/ Felix-Luecht-aus-Bietig‐ heim-malt-sich-an-die-Spitze-57008.html, 23.09.2020, abgerufen am 29.01.2021] Die Belege (81) und (82) lassen sich zur Struktur [[NP] [VP] [NP] [nach oben]] abstrahieren, Beleg (83) analog dazu zur Struktur [[NP] [VP] [NP] [an die Spitze]]. Bei den Belegen handelt es sich um vollständig lexikalisierte Token-Konstruktionen, die in einem ersten Analyseschritt zu einer teilschema‐ tischen Konstruktion zusammengefasst worden sind. Nimmt man zusätzlich Beleg (83) hinzu, kann man zu einem noch abstrakteren Schema gelangen: [[NP] [VP] [NP] [PP]]. Um die der Konstruktion eigentümliche Gesamtbedeutung zu fassen, muss jedoch zwingend eine semantische Einschränkung erfolgen, denn nicht jede PP kann gleichermaßen im entsprechenden Slot der Konstruktion erscheinen. (84) Eine Linguistin arbeitet sich zur Seite 112 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="113"?> 22 Die Konstruktion scheint vor allem in der journalistischen Sportberichterstattung Verwendung zu finden, vgl. z. B. Dortmund schießt sich an die Spitze/ zum Titelgewinn/ … Beleg (84) weist die gleiche formale Struktur auf, führt jedoch zu keiner sinn‐ vollen Inferenz, da die konzeptuelle Metapher G U T I S T O B E N in der Abstraktion nicht beachtet wurde, die der Konstruktion zugrunde liegt. Die Abstraktion ist somit zu weit gegangen. Erweitert um eine semantische Perspektive, könnte man die Konstruktion mit der Struktur: [[NP] [VP] [NP] [PP]Goal metaphorisch positiv konnotiert] beschreiben. 22 Einen Vorschlag zur formalen Darstellung von Argumentstrukturkonstruk‐ tionen unterbreitet Goldberg (1995). Abbildung 13 zeigt die Goldbergsche Darstellung am Beispiel der caused motion-Konstruktion mit dem Verb to sneeze für den Beleg He sneezed the napkin off the table ‘Er nießte die Serviette vom Tisch’. Sem CAUSE - MOVE < cause goal theme > R R: means S NEEZE < sneezer > Syn V S UBJ O BL OBJ Abbildung 13. Die caused-motion Konstruktion nach Goldberg (1995: 54). Goldberg (1995) nutzt für ihre Darstellung die Partizipantenrollen der Fillmor’‐ schen Frame-Semantik. In der ersten Zeile der Abbildung ist die Semantik der Konstruktion repräsentiert. Im Falle der caused-motion-Konstruktion handelt es sich um eine kausal induzierte Bewegung CAUSE-MOVE , wobei die Partizipan‐ tenrollen CAUSE als Verursacher und THEME als bewegtes Objekt angesetzt werden. Die Partizipantenrolle GOAL verweist auf das Ziel der Bewegung. Die Zwischenebene R steht für Relation. Angelehnt an Talmys Cognitive Semantics können hier Relationen wie zum Beispiel MANNER oder RESULT stehen. Die syntaktische Ebene kann die Formen Subjekt, Objekt, Oblique beinhalten. Die gestrichelten Linien zeigen an, dass es sich um Rollen handelt, die von der Konstruktion und nicht vom Verb beigesteuert werden. Zur Fusionierung kann es dann kommen, wenn die Partizipantenrollen des Verbs und die Argument‐ struktur der Konstruktion kompatibel sind. So kann erklärt werden, warum ein 3.3 Konstruktionsgrammatik 113 <?page no="114"?> Verb wie sneeze ‘nießen’ in einer direktionalen Konstruktion verwendet werden kann. Es kann vermieden werden, für jede mögliche Verwendung des Verbs einen eigenen Lexikoneintrag anzusetzen (Goldberg 1995; Boas 2011b). Diese Art der Formalisierung ist in der Rezeption nicht ohne Kritik geblieben. Auch innerhalb dessen, was man unter der KxG subsumiert, wurden einige Aspekte abgelehnt oder Modifikationen vorgeschlagen. Sie beziehen sich auf die angesetzten semantischen Rollen (u. a. Welke 2019), die Simplifizierung von Verbbedeutungen (u. a. Boas 2011b) oder die grundlegende Art der Formalisie‐ rung (u. a. Croft 2001). Zwei Kritikpunkte werden herausgestellt, da sie für die Fragestellung dieser Arbeit von besonderer Relevanz sind: Zum einen wird von Goldberg (1995) der Begriff des Linking aus generativen Grammatiktheorien beibehalten, der eine Trennung von syntaktischer und semantischer Ebene sug‐ geriert und damit der Bilaterialität der Konstruktion als sprachlichen Zeichen widerspricht (vgl. auch Welke 2019: 88-89). Zum anderen ist die Verwendung der Begriffe Subjekt und Objekt für eine formale Analyse fragwürdig. Auch wenn Goldberg mit den Begriff Subjekt und Objekt auf morphosyntaktische Eigenschaften verweisen möchte (Goldberg 2006, siehe auch Herbst 2014), verweisen die Begriffe Subjekt und Objekt i. d. R. nicht auf rein formal definierte Konzepte. Dies führt zu einer weiteren Komplikation: Subjekt und Objekt sind terminologisch derart überfrachtete Begriffe, dass die Erklärungskraft der gesamten Formalisierung dürftig ist, wenn keine dezidierte Definition gegeben wird. Diese fehlt aber in Goldberg (1995). Herbst (2014) schlägt daher vor, die formale Seite abstrakter Konstruktionen durch Phrasenstrukturen anzugeben. Dieses Vorgehen deckt sich mit dem ersten intuitiven Vorgehen bei der Gene‐ ralisierung der Belege (81), (82) und (83) in diesem Unterkapitel der Arbeit. 3.3.5 Produktivität Eine zentrale Frage innerhalb der Linguistik lautet, wie es Sprechern gelingt, über die reine Imitation hinauszugehen und kreativ mit Sprache umzugehen. Eine erste Annäherung, was innerhalb der KxG unter dem Begriff der Pro‐ duktivität verstanden werden kann, bietet Langacker (Langacker 1999: 114): „Productivity is a matter of how available a pattern is for the sanction of novel expressions“. Es geht also um die neuartige Verwendung eines existierenden Musters, genauer, um das Maß, in dem ein Muster für neuartige Verwendungen zur Verfügung steht. In diesem Unterkapitel wird thematisiert, wie der Produk‐ tivitätsbegriff in dieser Arbeit verwendet wird und welche Faktoren einen Einfluss auf den Grad der Produktivität zu haben scheinen. 114 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="115"?> 23 Der gesamte Beleg lautet: Ob ein Bett als " bepflegbar " gemeldet wird oder nicht, liegt aber in der Definition der diensthabenden Oberärzte - und damit bei den einzelnen Krankenhäusern. http: / / www.sueddeutsche.de/ wissen/ covid-19-sars-cov-2 -intensivbetten-todesfaelle-lockdown-welle-wellenbrecher-1.5100285, gefunden über Wortwarte.de Der Begriff Produktivität wird zumeist in Zusammenhang mit morphologi‐ schen Analysen verwendet. Auf morphologischer Ebene gilt ein Affix genau dann als produktiv, wenn es an einen neuen Stamm angehängt werden kann. Mit neu ist hierbei gemeint, dass der Sprachnutzer die Kombination aus Stamm und Affix bislang noch nicht wahrgenommen hat. Ein prototypisches Beispiel wäre der Ausdruck bepflegbar aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zur Bettenbelegung in Krankenhäusern. 23 Das Adjektiv lässt sich zerlegen in {bepfleg} und {bar}. Oftmals wird in der Literatur zwischen Produktivität und Kreativität unter‐ schieden. In einem generativen Ansatz ist es ungünstig, jede Innovation eines Sprechers als einen produktiven Prozess zu begreifen. Wortschöpfungen, die nicht regelbasiert scheinen, werden daher unter dem Begriff der Kreativität gefasst (vgl. Bauer 2001). Für einen gebrauchsbasierten Ansatz lässt sich diese Unterscheidung nicht aufrechterhalten, da die Unterscheidung zwischen regel‐ basiert vs. nicht-regelbasiert/ lexikalisch vs. phrasal nicht getroffen wird (vgl. Zeschel 2012: 170). Im Gegenteil, gerade einmalige Vorkommen können ein Hinweis darauf sein, dass sich hier ein produktives Schema zu etablieren beginnt. Dazu in Kürze mehr. In meiner Arbeit wird der Begriff der Produkti‐ vität als eine graduelle Eigenschaft von sprachlichen Einheiten, genauer: von Konstruktionen, definiert, die sich als Epiphänomen durch den Sprachgebrauch ergibt. Kreativität hingegen ist eine menschliche Fähigkeit zur Neuschöpfung und Abwandlung bestehender Muster. In der Forschung zur morphologischen Produktivität lassen sich zwei zentrale Fragen ausmachen: Wie lässt sich die Produktivität messen? Welche sprachli‐ chen und außersprachlichen Faktoren bedingen den Grad der Produktivität? Erstere Frage bezieht sich somit auf eine quantitative Erfassung der Produkti‐ vität; zweitere auf eine qualitative Beschreibung möglicher Restriktionen, die in Zusammenhang mit semantischen, phonologischen, morphologischen oder syntaktischen Eigenschaften der beteiligten Einheiten stehen (Baayen 1992; Evert & Lüdeling 2001). Für eine quantitative Beschreibung morphologischer Produktivität haben vor allem die Arbeiten von Harald Baayen einen großen Beitrag geleistet. In Baayen (2008) wird ein guter Überblick über die drei wich‐ tigsten Verfahren zur Operationalisierung der morphologischen Produktivität gegeben, die im Folgenden kurz zusammengefasst werden. Der Begriff der 3.3 Konstruktionsgrammatik 115 <?page no="116"?> Produktivität bezieht sich in den Arbeiten Baayens stets auf die Regeln, nach denen Morpheme miteinander kombiniert werden können. Eine erste wichtige Größe ist die Anzahl an unterschiedlichen Types, die durch die Affigierung realisiert sind, abgekürzt durch V. Man nennt dies auch Realized Productivity (Baayen 2008: 902). Die Anzahl an Token in einem definierten Sample wird mit N angegeben. Die Funktion V(N) ist somit die Anzahl an unterschiedlichen Types in einer Menge an Token (Baayen 1989). Zeldes (2012) beispielsweise nutzt V, um die Suffixe {-bar} und {-sam} hinsicht‐ lich ihrer Produktivität in einem definierten Sample von 14,5 Mio. Token zu überprüfen. Es zeigt sich, dass {-bar} in 716 Types vorkommt, {-sam} hingegen in lediglich 43 Types. Damit scheint der Wert V die intuitive Vermutung zu bestätigen, dass {-bar} produktiver ist als {-sam}. Um die Realibilität von V zu überprüfen, bildet Zeldes zehn Subkorpora. In diesen zehn Subkorpora bestimmt er jeweils V. Es zeigt sich kein signifikanter Unterschied von V in den Subkorpora, sodass davon ausgegangen werden kann, dass die Verteilung der Suffixe über das Gesamtkorpus hinweg eine homogene ist und der Wert V reliabel. Was V angibt, ist eine deskriptive, mathematische Beschreibung einer Momentaufnahme. Es wird keine Aussage darüber getroffen, ob damit auch zukünftig neue Wortbildungen vorgenommen werden können. Denkbar ist es ja, dass {-bar} in vergangenen Sprachstadien des Deutschen neue Stämme erschlossen hat, dieser Prozess aber zum Erliegen gekommen ist. V ist somit nicht dazu geeignet, Wahrscheinlichkeiten neuer Wortbildungen zu bestimmen und Prognosen über zukünftige Ereignisse zu bieten. Um dieses Problem zu lösen, sind zwei weitere Werte zur Berechnung der Produktivität vorgeschlagen worden: die Expanding Productivity P* sowie die Potential Productivity P (Baayen 2008: 902). Beide beruhen auf der Idee, einmalige Vorkommen von Types zu berücksichtigen: In Baayen (1989) werden erstmals Hapax Legomena herangezogen, um synchrone von diachronen Prozessen diskriminieren zu können. Als Hapax Legomena, altgriechisch für etwa „nur einmal gesagt“, bezeichnet man solche sprachlichen Einheiten, die genau einmal im Sample vorkommen. P* wird berechnet, indem man die Anzahl aller Hapax Legomena eines Korpus bestimmt. Diese werden mit V (1, N) wiedergegeben. V (1, C, N) hingegen steht für die Anzahl an Wörtern einer bestimmten morpho‐ logischen Kategorie C, die nur einmal im Korpus auftauchen. Mit diesen beiden Werten lässt sich nun abschätzen, wie hoch der Anteil an der morphologischen Kategorie C zur globalen Wachstumsrate im Gesamtkorpus ist (Baayen 2008: 902). Hieraus ergibt sich die Formel P * = V (1, C, N ) V 1, N 116 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="117"?> 24 Möchte man herausfinden, welche Anzahl an Types potentiell und unabhängig vom getesteten Sample durch den Prozess möglich sind, benötigt man ein weiteres statis‐ tisches Modell (vgl. Zeldes (2012: 76)). Daher schlägt Evert (2004) unterschiedliche Verfahren vor, die Baayen (2001) folgend LNRE Models genannt werden. LNRE steht hierbei für Large Number of Rare Events. Je nach Fragestellung und Zielsetzung bieten sich somit unterschiedliche statistische Verfahren unterschiedlicher Komplexität an, um die quantitative Seite der Produktivität zu fassen. Die Potential Productivity P hingegen berücksichtigt, dass der Expansion durch eine mögliche Sättigung Grenzen gesetzt sind. P wird berechnet, indem man V (1, C, N) durch N (C) dividiert. In anderen Worten ausgedrückt: Man dividiert die Anzahl an Hapax Legomena einer bestimmten morphologischen Kategorie C durch die Anzahl der Token dieser Kategorie C im Korpus: P = H apax Legomena T oken Zur Illustration ein Beispiel aus Lüdeling et al. (2000): Für die drei Suffixe {-ös}, {-sam} und {-bar} wurden jeweils die Token (N) in einem definierten Sample erhoben. Zusätzlich ist die Anzahl an Hapax Legomena (n 1 ) erhoben worden. Damit kann für jedes Suffix der Produktivitätsindex P berechnet werden: P = n 1 / N. So gibt es für das Suffix {-ös} N = 4383 und n 1 = 70. Eingesetzt in die Formel lässt sich damit P = 0.0160 berechnen. Dabei gilt: Je höher P ausfällt, desto höher die angenommene Produktivität. Herausforderungen liegen in der Anwendung, wie Lüdeling et al. (2000) betonen: Es bedarf einer sorgfältigen Bestimmung dessen, was als Token einbezogen wird. Häufig seien hierbei manuelle Auswer‐ tungsschritte unerlässlich, da eine maschinelle Annotation fehleranfällig sei. Im konkreten Beispiel seien u. a. Token wie bös oder der Name Erdös berücksichtigt worden, die jedoch keinen Derivationsprozess abbilden und somit nicht in die Bestimmung von P einfließen sollten. Von den Herausforderungen in der Anwendung abgesehen, bietet der Produktivitätsindex P den Vorteil, dass er über eine deskriptive Aussage hinausgeht und ein probabilistisches Modell darstellt. Allerdings bleibt die Anwendung von P auf ein definiertes Sample beschränkt. 24 Kein Konsens ist bislang darüber erzielt worden, ob sich der Begriff der Produktivität auf Morpheme, Wörter, Regeln oder Prozesse bezieht (vgl. u. a. Bauer 2001; Barðdal 2008; Zeldes 2012). Auch innerhalb einzelner Forschungs‐ beiträge wird teilweise keine klare Entscheidung getroffen. Mit der zu Beginn dieses Unterkapitels gegebenen, sehr breiten Definition von Langacker (1999) ließe sich eine Festlegung umgehen, da Langacker lediglich von patterns spricht. Für diese Arbeit ist eine Einengung jedoch insofern notwendig, als dass aus 3.3 Konstruktionsgrammatik 117 <?page no="118"?> 25 Für eine Übersicht zu Studien, die sich mit dem Ausmaß von morphologischer Produk‐ tivität beschäftigen, siehe Bauer (2001) sowie Zeldes (2012). Grundlegend ist Baayen (1992). der Definition eine Operationalisierung hervorgehen soll, mithilfe derer die empirische Fragestellung beantwortet werden soll. Zwei Aspekte lassen sich aus den bisherigen Überlegungen festhalten: Zum einen basiert der Produktivitätsbegriff innerhalb der Morphologie auf einem konstanten Part, dem Affix, sowie auf einem variablen Part, dem Verbstamm. Zum anderen ist Produktivität kein distinktes, sondern ein graduelles Phä‐ nomen, denn Morpheme können mehr oder weniger produktiv sein. 25 Zeldes (2012) stellt nun den aus der Morphologie gewachsenen Produktivitätsbegriff einem Produktivitätsbegriff gegenüber, der sich auf Argumentstrukturen be‐ zieht. Im Vergleich werden die Unterschiede sichtbar (Tabelle 12): - Morphologie Syntax konstant Prozess; Affix, das einen Stamm benötigt Prozess; Konstruktion mit einem oder mehreren Slots variabel morphologischer Stamm Slot (Argument) Tabelle 12. Produktivität in Morphologie und Syntax, nach Zeldes (2012: 25). Bezieht man den Produktivitätsbegriff auf Argumentstrukturkonstruktionen, so steht man vor der Herausforderung, dass es in der Regel gleich mehrere offene Slots in einer Konstruktion gibt. Zeldes (2012) schlägt vor, die Produktivität für jeden einzelnen Slot separat anzusetzen, es sei denn, es liegen Konstruktionen vor, in denen die Slots unmittelbar miteinander verwoben sind, wie etwa bei Vergleichskonstruktionen. In meiner Arbeit stehen die Verben im Fokus, die zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen herangezogen werden können. Daher konzentrieren sich die Ausführungen zunächst auf die Produktivität der Argumentstrukturkonstruktionen hinsichtlich des Verbslots. Die Frage, inwieweit die anderen Slots zur Produktivität der Konstruktion beitragen, kann erst im empirischen Teil der Arbeit beantwortet werden. Auch der Grad der Schematizität der Konstruktion ist im empirischen Teil der Arbeit zu erörtern. Der fragliche Abstraktionsgrad, der bereits unter Abschnitt 3.3.4 diskutiert wurde, wird in Bezug auf den Produktivitätsbegriff nochmals relevant. Die Problematik wird in Beleg anhand der Belege (85) und (86) angedeutet: 118 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="119"?> (85) Da kann man nicht mit 30 km/ h durch die Gegend schnecken. [aus dem Korpus DWDS Blogs, koch-werkstatt.de, 2008-03-26, http: / / koch-werk‐ statt.de/ 2008/ 03/ 26/ post-vom-buergermeister/ ] (86) Ich spiele derzeit meinen Hexer weiter hoch, queste lustig durch die gegend (nun Level 51) gehe mit 4 weiteren Leuten lustig in die „kleinen“ Instanzen und hab dort einen Heidenspass…. [aus dem Korpus DWDS Blogs, http: / / www.coldheat .de/ 2007/ 07/ wow-burning-crusade-und-ein-fazit] Ist die Argumentstrukturkonstruktion in (86) als eine vollschematische Kon‐ struktion der Form [[NP] [VP] [ADJ] [PP]] anzusetzen? Oder liegt eine Model‐ lierung als eine teilschematische Konstruktion näher, da wir den Ausdruck durch die Gegend bereits in Beleg (85) beobachten konnten und dieser Beobachtung Rechnung tragen sollten? Eine dritte Variante wäre es, die PP nicht durch konkrete Items zu modellieren, sondern die spezifische Semantik der Raumausd‐ rücke aufzugreifen: Damit ergäbe sich eine teilschematische Konstruktion der Art [[NP] [VP] [ADJ] [PP]Route]. Diskussionswürdig sind auch die anderen Slots der Argumentstrukturkonstruktion aus Beleg (86). Das Adjektiv wurde von mir als gleichwertiges Item zum Verb behandelt. In Beleg (85) jedoch ist dieser Slot nicht belegt. Es könnte sich also um einen fakultativen Slot in dieser Argumentstrukturkonstruktion handeln. Weitere Unterschiede zwischen Beleg (85) und Beleg (86) betreffen u. a. die Subjekte, die Negation sowie die Modalität. Die Analyse hat an dieser Stelle nicht den Anspruch erschöpfend zu sein; vielmehr geht es darum, die für den empirischen Teil der Dissertation relevanten Herausforderungen im Zusammenhang mit der Produktivität von Argumentstrukturkonstruktionen herauszustellen. Eine schlichte Definition syntaktischer Produktivität bietet Perek (2018b: 66): Schematicity refers to the level of detail in the form or the functions of constructions, and correspondingly the restrictions that are placed on their instances. Productivity refers to the range of lexical items that may fill the slot of constructions. Ich möchte festhalten, dass ich, wie Perek (2018), zunächst von folgender Prä‐ misse ausgehe, ohne auf die Problematik der Operationalisierung des Ausdrucks range einzugehen: Die Konstante ist die Konstruktion, die Variable der Verbslot. Diese Ansicht teilt auch Welke (2019), der die Produktivität von Konstruktionen wie folgt definiert: Produktivität ist die Produktivität von Mustern, also von (schematischen) Konstruk‐ tionen. Argumentkonstruktionen sind produktiv, wenn es den Sprechern/ Hörern möglich ist, höherstellige Konstruktionen durch geringerstellige Verben per Coercion zu instantiieren. 3.3 Konstruktionsgrammatik 119 <?page no="120"?> 26 Zur kritischen Auseinandersetzung mit der Methode der Introspektion siehe Abschnitt 2.4.2. (Welke 2019: 275) Unter Coercion versteht man „Implementierungen von Verben in Konstruk‐ tionen, die von diesen Verben nicht projiziert werden“ (Welke 2019: 238, vgl. auch Goldberg 1995). Aus valenzgrammatischer Perspektive würde man dies als Valenzerhöhung bezeichnen. Unter semantischen Gesichtspunkten definiert Michaelis (2004: 25) Coercion: If a lexical item is semantically incompatible with its morphosyntactic context, the meaning of the lexical item conforms to the meaning of the structure in which it is embedded. Aus diesem Vorgang, bei dem ein semantisch nicht erwartbares Verb in eine Konstruktion gezwungen wird, können Konstruktionen hervorgehen, die das bereits diskutierte Kriterium der nicht-Kompositionalität zeigen (vgl. Hilpert 2014). Was den Grad der Produktivität von Argumentstrukturkonstruktionen angeht, plädieren Goldberg (2019) sowie Welke (2019) für eine dreiteilige Skalierung. Jedoch unterscheiden sich die Annahmen, welche Argumentst‐ rukturkonstruktionen in welchem Ausmaß produktiv sind. Goldberg (2019) geht von einer teilweisen Produktivität aus, die für alle Argumentstruktur‐ konstruktionen des Englischen grundlegend ist. Sie weist darauf hin, dass andere Sprachen restriktiver seien, was die Möglichkeiten der Coercion beträfe. Welke (2019: 276) trifft für das Deutsche wesentlich konkretere Annahmen und postuliert folgende Abstufungen: Produktiv seien Direktivkonstrukti‐ onen und Objektsprädikativ-Konstruktionen. Noch produktiver seien Nomi‐ nativ-Dativ-Akkusativ-Konstruktionen, Präpositionalobjekt-Konstruktionen und, bedingt durch das Zusammenspiel mit Partikelverb-Konstruktionen, auch Nominativ-Akkusativ-Konstruktionen. Nicht produktiv hingegen seien Nomi‐ nativ-Dativ-Konstruktionen, Nominativ-Genitiv-Konstruktionen, Subjektsprä‐ dikativ-Konstruktionen und substantivische Objektsprädikativkonstruktionen. Quantitative Evidenz bietet Welke für seine Thesen zum Grad der Produktivität nicht; seine Ausführungen unterstützt er mit Belegen, die durch Introspektion gewonnen wurden. 26 Welke setzt hier einen sehr hohen Grad an Schematizität an, der für eine allgemeine Beschreibung des gegenwärtigen Sprachsystems interessant ist. Er modelliert beispielsweise die Beobachtung, dass Genitiver‐ gänzungen durch alternative Formen wie Dativergänzungen ersetzt werden, mithilfe des Produktivitätsbegriffs. Für meine Arbeit ist diese Beschreibung zu 120 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="121"?> allgemein. Allerdings sehen wir an Welke (2019), dass die Idee, auch syntaktische Strukturen als produktive Einheiten zu beschreiben, eine fruchtbare sein kann. Barðdal (2008) kommt aufgrund ihrer empirischen Studien zu Argumentst‐ rukturkonstruktionen des Isländischen ebenfalls zu der Schlussfolgerung, dass es sich bei der Produktivität von Konstruktionen um ein graduelles Phänomen handle. Die syntaktische Produktivität gibt sie als eine mathematische Funktion wieder. In ihrer mathematischen Darstellung stehen die Faktoren Type-Frequenz und semantische Kohärenz in linearer negativer Korrelation zueinander (Barðdal 2008: 172). Die semantische Kohärenz findet sich im Zusammenhang mit morphologischer Produktivität bereits bei Aronoff (1976) (vgl. Baayen 1992: 109). Die Type-Frequenz wird also, wie bei Berechnung des Baayes’schen Pro‐ duktivitätsindex P, zur Berechnung der Produktivität syntaktischer Strukturen herangezogen. Die Type-Frequenz ist aber nicht nur eine Größe zur Operatio‐ nalisierung der Produktivität, sondern wird in gebrauchsbasierten Ansätzen gleichzeitig auch als entscheidender Einflussfaktor angegeben, der erst zur Produktivität sprachlicher Formen führt. Damit verlasse ich die quantitative Linie der Produktivitätsforschung und wende mich der qualitativen Frage zu: Welche Faktoren bedingen die Produktivität syntaktischer Strukturen? Unstrittig scheint, wie bereits dargelegt, über die gesichtete Literatur hinweg der Faktor der Type-Frequenz zu sein: Je mehr Types ein Sprachnutzer bereits in einer Argumentstrukturkonstruktion vernommen hat, desto weniger restriktiv scheint die Verwendung dieser Konstruktion zu sein, desto wahrscheinlicher der kreative Umgang mit dieser Konstruktion. Auch die semantische Ähnlichkeit bzw. Kohärenz wird häufig genannt. Neben diesen beiden Faktoren, die die Verwendung neuer Verben in Argumentstrukturkonstruktionen beeinflussten, ergänzen Suttle & Goldberg (2011) sowie Goldberg (2016; 2019) drei weitere Faktoren, die vor allem durch Sprachproduktionsexperimente und Beobach‐ tungen aus dem Erstspracherwerb etabliert wurden: Preemption, Variabilität sowie Ähnlichkeit. Somit kommt man in einem Zwischenfazit auf insgesamt fünf Faktoren, die in der folgenden Auflistung zusammengefasst, um Literatur zur Evidenz ergänzt und für das Deutsche adaptiert wurden: • Inferenz: Die Äußerung muss innerhalb des Kontextes für den Sprach‐ nutzer interpretierbar sein. Suttle & Goldberg (2011: 1239) nutzen hierfür den Ausdruck semantically sensical, Goldberg (1995) spricht von semantic compatibility. Da der Kontext aber eine bedeutende Rolle spielt, ob der Hörende zu einer sinnvollen Interpretation gelangen kann, folge ich an dieser Stelle Welke (2019), der den Begriff der Inferenz ansetzt und damit nicht nur die Semantik, sondern auch die pragmatischen Bedingungen einschließt. 3.3 Konstruktionsgrammatik 121 <?page no="122"?> • Preemption: Unter preemption, auch statistical preemption genannt, ver‐ steht man die Blockade einer Äußerung durch eine bereits existierende, etablierte Konstruktion. Hört ein Sprachnutzer wiederholt Konstruktion B in einem Kontext, in dem auch A semantisch und pragmatisch kompa‐ tibel wäre, schließt der Sprachnutzer daraus, dass B die zu bevorzugende Konstruktion unter diesen Bedingungen ist. Der Begriff statistical verweist auf die vom Sprachnutzer inferierte Wahrscheinlichkeit einer Verwendung (Suttle & Goldberg 2011: 1240-1241). • Type-Frequenz: Unter Type-Frequenz versteht man die Anzahl an unter‐ schiedlichen Items, die im Slot einer gegebenen Konstruktion auftauchen (Bybee 1985; Goldberg 1995; Lieven et al. 2003; Barðdal 2008; Brandt et al. 2011). • Variabilität: Die Variabilität wird modelliert als „Reichweite“ der gehörten Äußerungen, die semantische und phonologische Eigenschaften der sprach‐ lichen Einheit umfassen kann (Suttle & Goldberg 2011: 1242-1243). • Ähnlichkeit: Je ähnlicher die Äußerung zu bereits gehörten Instantiie‐ rungen der Konstruktion, desto wahrscheinlicher die Verwendung in dieser Konstruktion (Suttle & Goldberg 2011: 1243). Neben semantischer Ähnlich‐ keit kann auch phonologische Ähnlichkeit ein Faktor sein. Goldberg (2019: 63) modelliert die letzteren drei Faktoren als mehrdimensio‐ nalen Raum. Sie summiert diese auf und prägt für diese Addition den Begriff Coverage; einen Begriff, den sie aus der Literatur zur Induktion entlehnt: The exemplars and the category itself are represented in a hyperdimensional space that includes semantic, syntactic, information-structure, and phonological dimensions and/ or social context“. […] Coverage relates the number of different verbs witnessed in a given construction (a construction’s TYPE FREQUENCY), the semantic and phonological VARIABILITY of witnessed types, and the SIMILARITY of the coinage to attested types. […] Any new coinage will be judged to be acceptable to the extent that it falls within a well-attested cluster (as long as there is no competing more accessible alternative […]) (Goldberg 2019: 63, Majuskeln i. O.). Unklar scheint der Einfluss der Token-Frequenz auf die Produktivität von Argu‐ mentstrukturkonstruktionen. Während eine hohe Token-Frequenz im Verbslot eher blockierend auf die Produktivität hinsichtlich eben diesen Verbsslots von Argumentstrukturkonstruktionen zu wirken scheint (Bybee 1985), legt Goldberg (2019) nahe, dass dafür die Variabilität in den anderen Slots der Argumentstrukturkonstruktion zunimmt. 122 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="123"?> Mit diesen aus der gesichteten Literatur gewonnenen Erkenntnissen zur Produktivität von Argumentstrukturkonstruktionen sind wichtige Grundlagen zur Konzeption der Korpusstudien dieser Arbeit gelegt worden. Im nächsten Abschnitt wird nun erörtert, inwieweit die Konstruktionsgrammatik und die Valenzgrammatik als konkurrierende Theorien erscheinen oder aber als sich wechselseitig ergänzende Perspektiven genutzt werden können. 3.3.6 Das Verhältnis von Konstruktionsgrammatik und Valenzgrammatik Wie bereits im vorausgegangenen Abschnitt dargelegt wurde, steckt bereits in der Goldbergʼschen Darstellung von Argumentstrukturkonstruktionen die Idee, dass Verben mit bestimmten semantischen Rollen assoziiert sind (Goldberg 1995: 50). Diese Erkenntnis ist nicht durch die Konstruktionsgrammatik entstanden, sondern bereits Bühler (1934) formuliert einen Vorläufer dessen, was nach Tesnière (1959) unter dem Label Dependenzgrammatik etabliert werden sollte. Innerhalb der Dependenzgrammatik und anderen projektionistischen Gramma‐ tiktheorien herrscht die Annahme, dass eine Asymmetrie zwischen Wörtern im Satz vorliegt. Bestimmte Wörter determinieren das Erscheinen anderer Wörter im Satz; man spricht daher von Kopf/ Regens und den zugehörigen Dependentien (vgl. Welke 2019: 190-194). Nimmt man ein Verb wie helfen, so wird davon ausgegangen, dass dieses Verb eine Wortgruppe im Nominativ sowie eine weitere Wortgruppe im Dativ fordert. Das Verb lizenziert somit den sogenannten Satzbauplan. Ein anderes Verb wie unterstützen hingegen benötigt ein Komplement im Akkusativ. Wie Welke (2019: 192) anmerkt, zieht sich die Vorstellung einer asymmetrischen Relation zwischen bestimmten Wörtern in Sätzen durch die grammatische Terminologie: Sichtbar wird dies u. a. in der Bezeichnung Adjektiv als Hinzufügung zum Substantiv und Adverb als Hinzufügung zum Verb. Beobachten allerdings lässt sich lediglich ein gemeinsames Auftreten in Satz, die Distribution (ebd.) Die beobachtete Korrelation allein ist noch kein hinreichendes Indiz für eine kausale Relation: Man könnte auch von einem klassischen „Henne-Ei“-Phänomen sprechen. Es handelt sich somit um zwei gegensätzliche Positionen: Innerhalb der Valenzgrammatik gilt das Primat der Worteinheit. Von dort aus gelangt man über Projektionen zur Phrase (gene‐ rative Grammatiktheorie) / zum Satzbauplan (Valenzgrammatik des IDS) / zur Konstruktion (amerikanischer Strukturalismus) (vgl. Welke 2019: 191-192). Innerhalb der Konstruktionsgrammatik hingegen gilt das Primat der Konstruk‐ tion. Von schematischen Konstruktionen mit offenen Slots gelangt man zu 3.3 Konstruktionsgrammatik 123 <?page no="124"?> 27 Allerdings soll an dieser Stelle nochmal darauf hingewiesen werden, dass die Rolle des Verbs auch in Goldberg (1995) nicht unterschätzt wird. In der Rezeption wird dieser Aspekt stellenweise unterschlagen, vermutlich, um zu einer stärkeren Abgrenzung der eigenen Position zu gelangen. Instantiierungen. „It’s constructions all the way down“, wie Goldberg (2006: 18) es pointiert. 27 Was sich zunächst als Gegensatz anhört, könnte unter Umständen trotzdem eine lohnende Symbiose darstellen. Diese Meinung vertreten u. a. der Anglist Thomas Herbst, der den Begriff der valency constructions nutzt (Herbst 2014; Dux 2020) oder der Germanist Klaus Welke, der von einem „Wechselverhältnis“ von Konstruktion und Verb spricht (Welke 2019: 195). Hintergrund dieser Position „zwischen den Stühlen“ ist der Versuch, das Problem der Übergenera‐ lisierung schematischer Konstruktionen zu lösen bzw. deren eingeschränkte Produktivität. Denn insbesondere durch Studien der Korpuslinguistik zeigen sich item-spezifische Restriktionen, die weder mit der Modellierung der Valenz‐ grammatik noch durch die Formalisierung der Konstruktionsgrammatik nach Goldberg zu erklären sind (vgl. auch Stefanowitsch 2011). Zeigen lässt sich das am Beispiel einer Bewegungskonstruktion. (87) a. Die Linguistin stiehlt sich davon. b. *Die Linguistin klaut sich davon. (88) a. Die Linguistin stiehlt sich weg. b. *Die Linguistin mopst sich weg. Die Belege unter (87) und (88) weisen darauf hin, dass bestimmte Verben in Bewegungskonstruktionen zur Norm gehören, andere, semantisch ähnlich erscheinende jedoch nicht. Die konstruktionsgrammatischen Ansätze allein können die verb-spezifischen Restriktionen nicht erklären. Dux (2020) setzt den Begriff der valency construction an, um seinen Ansatz zur Ermittlung von Verbklassen vorzustellen. Er vergleicht in seiner korpusba‐ sierten und sprachvergleichenden Studie Verben der Veränderung und Verben des Stehlens. In seinen Ergebnissen zeigt Dux (2020) sowohl Möglichkeiten der Generalisierung und Abstraktion als auch sprach- und verbspezifische Idiosynkrasien innerhalb dessen, was man als semantische Verbklasse begreifen kann. Auf verb-spezifische Restriktionen und Idiosynkrasien weist auch Stefa‐ nowitsch (2011) hin. Er spricht hierbei von „lexically-bound argument struc‐ ture construction“ (Stefanowitsch 2011: 383). Damit verweist er auf ein sehr ähnliches Konzept wie das in Herbst (2014) vorgeschlagene. Beide Konzepte versuchen, die Ebenen der Konstruktion und der Valenz zu verbinden, legen hierbei aber ein unterschiedlich starkes Gewicht auf die jeweiligen Theorien. 124 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="125"?> Stefanowitsch (2011) schätzt die Rolle der Konstruktion stärker ein als Herbst (2014). Parallel dazu lassen sich die Studien von Boas (2011b) zu Resultativkonst‐ ruktionen des Englischen lesen. Er setzt sogenannte mini-constructions an, die jeweils einen eigenen frame-semantischen Gehalt und ein eigenes syntaktisches Verhalten zeigten. All den aufgeführten Autoren ist gemein, dass sie vor einer zu weiten Abstraktion warnen. Vieles spreche dafür, dass das Wissen von Sprach‐ nutzern weitaus weniger abstrakt sei, als dies gemeinhin postuliert werde. Aus der Spracherwerbsperspektive lassen sich ähnliche Positionen vernehmen. So spricht MacWhinney (2014) von „item-based patterns“ im frühkindlichen Spracherwerb. 3.4 Frame-Semantik Es ist bereits an unterschiedlichen Stellen der vorliegenden Arbeit angeklungen, dass die konstruktionsgrammatische Idee eng verwoben ist mit der Frame-Se‐ mantik nach Charles J. Fillmore. So gibt der Verlag John Benjamins eigens eine Fachzeitschrift mit dem Titel Constructions and Frames heraus, was auf die enge Verknüpfung beider linguistischer Strömungen illustriert. Zur Begründung erläutert der Herausgeber auf seiner Homepage: Constructional models emphasize the role of constructions, as conventional pairings of meaning and form, in stating language-specific and cross-linguistic generalizations and in accounting equally for regular and semi-regular patterns. Frame Semantics, which has become a semantic complement of some constructional approaches, elaborates the analysis of form-meaning relationships by focusing on lexical semantic issues that are relevant to grammatical structure. Es zeigt sich in dieser Darstellung eine Art moderne Arbeitsteilung: Die Kon‐ struktionsgrammatik bietet einen Beschreibungsrahmen insbesondere auf Ar‐ gumentstrukturebene (vgl. Abschnitt 3.3.4 dieser Arbeit). Die Frame-Semantik hingegen fokussiert lexikalische Elemente. Für die vorliegende Arbeit ist der Ansatz der Frame-Semantik insofern relevant, da er einen angemessenen Zu‐ gang zur Beschreibung von Wortbedeutungen in der konkreten Satzumgebung bietet. Für empirische Arbeiten ist es eine Herausforderung, ein Instrument zu entwickeln, das notorisch vage Konzepte wie Wortbedeutungen angemessen zu operationalisieren vermag. Das konkrete methodische Vorgehen wird in Kapitel 5.1.4 dargelegt. Es wird zunächst die Theorie der Frame-Semantik und der praktische Nutzen der digitalen Ressource FrameNet vorgestellt und diskutiert. 3.4 Frame-Semantik 125 <?page no="126"?> 3.4.1 Scenes und Frames Charles J. Fillmore erhebt in seinem 1976 erschienen Aufsatz den Anspruch, eine Semantiktheorie zu entwickeln, die über die Wortbedeutung hinauszugehen vermag und auch Satz-, Text-, sowie Weltinterpretationen umfasst (Busse 2012: 81). Um dieses Anliegen zu realisieren, setzt Fillmore scenes und frames an, Szenen und Rahmen (Fillmore 1976), und weitet seinen Blickwinkel damit nun gegenüber der eigens entworfenen case grammar (vgl. Fillmore 1968) deutlich aus. Etwa zeitgleich zu Fillmore entwickelt Marvin Minsky am MIT im Labor für Artificial Intelligence eine kognitionswissenschaftliche Theorie, die ebenfalls mit dem Begriff des Frames operiert (vgl. Minsky 2019 [1974]). Er skizziert die Kernaspekte seines Ansatzes auf weniger als drei Schreibmaschinenseiten; diese aber haben großen Einfluss auf den folgenden wissenschaftlichen Diskurs. Nach Minsky (1974) ist ein Frame eine Wissensstruktur des Gedächtnisses, die auf ste‐ reotypischen Ereignissen alltäglicher Erfahrungen beruht und zum Teil starre, zum Teil aber auch variable Strukturen zeigt. Die beständigen Eigenschaften von Frames dienen der Entlastung der Verarbeitung, die flexiblen Parameter er‐ möglichen eine ad-hoc-Reaktion auf konkrete, ggf. von der default-Einstellung abweichende Eindrücke (vgl. auch Busse 2012: 257). Eine weitere wesentliche Eigenschaft des Ansatzes besteht in seiner hierarchischen Struktur: Minsky spricht von einem Netzwerk aus Knoten und Relationen. Die obere Ebene dieses Netzwerkes sei gesetzt und unveränderlich. Die darunter angesiedelten Ebenen jedoch weisen Leerstellen auf, terminals oder „Slots“ genannt (Minsky 1974: 1). Diese terminals können Bedingungen aufweisen, die erfüllt sein müssen. Minsky nennt diese Bedingungen marker. So kann vorgegeben sein, ob das terminal mit einer Person oder mit einem unbelebten Objekt gefüllt sein muss. Unterschied‐ liche Frames sind innerhalb eines Frame-Systems miteinander verbunden und besitzen die gleichen terminals. Diese Eigenschaften des Systems, so Minsky (1974), erlaubten es, Informationen zu koordinieren, die aus verschiedenen Standpunkten zusammengetragen wurden. Minksy bezeichnet dies als transfor‐ mation. Wie Busse (2012: 255) hervorhebt, ist das Prinzip der Rekursivität von entscheidender Bedeutung: Die filler eines terminals sind ebenfalls Frames. Vergleicht man die vorausgegangenen Kapitel zur gebrauchsbasierten Lingu‐ istik sowie der Konstruktionsgrammatik mit den hier in aller Kürze skizzierten Ideen Minskys, sind die Parallelen augenfällig und unterstreichen den Einfluss der Kognitionswissenschaften auf bestimmte Strömungen der Sprachwissen‐ schaften, auch wenn Minsky vielfach nicht explizit zitiert wird. Häufiger zitiert wird hingegen der Ansatz Fillmores, der sich an Minsky anzulehnen 126 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="127"?> 28 Ein Hinweis für einen Bezug auf Minsky (1974) findet sich in Fillmore (1976: 23): „[…] the notion „frame“ or „schema“ as it is used in recent work in psychology and artificial intelligence, […]. 29 Tatsächlich schlägt das Textverarbeitungsprogramm mir beim Abtippen dieses Zitates vor, auf vage Ausdrücke und unnötige Füllwörter zugunsten der Leserfreundlichkeit zu verzichten. scheint. 28 Fillmore (1976) führt zwei Argumente aus, die den Frame-Ansatz in der Linguistik begründen sollen: Zum einen betont er die Rolle des Kontextes bei der Interpretation von Wortbedeutungen: First, the meanings of words may, more than we are used to thinking, depend on contextual experiences; that is, the contexts within which we have experienced the objects, properties or feelings that provide the perceptual or experiental base of our knowledge of the meaning of a word (or phrase, or grammatical category) may be inseparable parts of those experiences. (Fillmore 1976: 24) Zum anderen zieht er die Erkenntnisse heran, die Ludwig Wittgenstein, Karl Erdmann und die Arbeitsgruppe um Eleanor Rosch hinsichtlich der Wahrneh‐ mung und Kategorisierung unter den Stichworten Familienähnlichkeit und Prototypikalität erarbeitet haben. Beide Argumente böten Fillmore zufolge Anlass, die Linguistik um den Begriff des Frames zu bereichern. Den Begriff Frame definiert Fillmore (1976: 25) wie folgt: The concept of frame does not depend on language, but as applied to language pro‐ cessing the notion figures in the following way. Particular words or speech formulars, or particular grammatical choices, are associated in memory with particular frames, in such a way that exposure to the linguistic form in an appropriate context activates in the perceiver’s mind the particular frame - activation of the frame, by turn, enhancing access to the other linguistic material that is associated with the same frame. Dies ist eine vorsichtige, vage Definition des Begriffs, 29 der weniger auf theoretischen Annahmen beruht als es bei Minsky (1974) erkennbar wird. Jedoch unterscheidet Fillmore (1976) zwischen interactional frame und cognitive frame. Interactional frames benötigen Sprachnutzer zur Orientierung in einer interaktionalen Situation. Der interactional frame beinhaltet Wissen über die Angemessenheit sprachlichen Handelns und sprachlicher Formen. Zur Illustra‐ tion eines kognitiven Frames zieht Fillmore (1976: 25) das viel zitierte Beispiel eines Kaufen-Szenarios heran. Hierbei beinhaltet der Frame spezifische Rollen, wie der des Verkäufers, des Käufers sowie der Ware, die gegen Geld getauscht werden soll. Hört ein Sprachnutzer nun ein Wort wie kaufen, Kosten o.Ä., wird 3.4 Frame-Semantik 127 <?page no="128"?> der gesamte Frame des Ereignisses aktiviert, wenn auch die einzelnen Lexeme nur bestimmte Aspekte (sub-frames) hervorheben. Eine spätere Definition findet sich in Fillmore (2008): „A ‚frame‘, as the notion plays a role in the description of linguistic meanings, is a system of categories structured in accordance with some motivating context“. Der Begriff Frame zielt hierbei vorrangig auf sprachliche Kategorien ab, während der Begriff der scene auf prototypische Alltagsszenarien verweist. In einigen Arbeiten Fillmores wird das Begriffspaar allerdings nicht systematisch unterschieden. Stattdessen gewinnt der Frame-Begriff zunehmend an Bedeutung (vgl. auch Busse 2012). Wie wird nun der Zusammenhang zwischen lexikalischer Bedeutung sowie von scenes und frames durch Fillmore modelliert? Ausgangspunkt der Fillmo‐ re’schen Überlegungen dürfte die Erkenntnis gewesen sein, dass die Bedeutung von Mehrworteinheiten und Sätzen sich nicht auf die Einzelteile reduzieren lässt, Sprecher wie Hörer somit eine Inferenzleistung vornehmen müssen. Das Gelingen dieser Inferenzleistung hängt Fillmore zufolge maßgeblich davon ab, ob Sprecher und Hörer die gleichen Erfahrungen sowie die gleichen Frames besitzen. Given the assumption about framing and word meaning that I have been suggesting, we can say that the process of understanding a word requires us to call on our memories and experiences-selected, filtered, and generalizedthough which we have learned the words in their labeling or describing functions. It follows, of course, that the kinds of understanding I have been talking about can be communicated only between people who share the requisite frames. (Fillmore 1976: 27) Illustrieren lässt sich diese Argumentation am Beispiel des Lexems Kaffee. Schlägt man dieses im DWDS-Wörterbuch nach, erhält man unterschiedliche Bedeutungen: ‘(geröstete) Kaffeebohnen’, ‘anregendes, aromatisches Getränk aus gemahlenen Kaffeebohnen’, ‘Zwischenmahlzeit am Nachmittag, erstes Frühstück’ (https: / / www.dwds.de/ wb/ Kaffee#wb-1). Die Wörterbucheinträge verweisen damit auf die unterschiedlichen scenes und frames, die das Lexem Kaffee, je nach sprachlichem und außersprachlichem Kontext, evozieren kann. Beleg (87) illustriert die Bedeutung ‘(geröstete) Kaffeebohnen’, verbunden mit dem Appell, diese vom Einkauf mitzubringen. In Beleg (88) wiederum wird ein anderer Frame evoziert: Hier steht die anregende Wirkung des zubereiteten Heißgetränkes im Vordergrund der Aussage, die in kausalen Zusammenhang zum Einschlafen gesetzt wird. In Beleg (89) wird auf das kulturelle Wissen abge‐ hoben, dass man Bekannte zu sich nach Hause einlädt und zu einer bestimmten Uhrzeit Kaffee anbietet. Allerdings, und das ist das Bemerkenswerte, sind auch 128 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="129"?> Tee, Wasser und Saft denkbare Getränke, die bei einer solchen Einladung angeboten werden. Weder Gastgeber noch Gäste sind dem Kaffeekonsum verpflichtet; im Wesentlichen geht es um das Beisammensein am gedeckten Tisch. Beleg (90) lässt eine Lesart zu, in der kein Getränk konsumiert wird. Entscheidend ist der Kontext der Äußerung: In einem Szenario zu späterer Uhrzeit, nach einem gemeinsamen Abend, dient die Frage nach Kaffee als Einladung, auch die restliche Nacht gemeinsam zu verbringen. (87) Ich gehe später zum Supermarkt. - Gut, Kaffee ist leer. (88) Wenn ich nach 16 Uhr Kaffee trinke, kann ich schlecht einschlafen. (89) Ich lade euch gern zum Kaffee zu mir nach Hause ein! (90) Kommst du noch auf einen Kaffee mit rein? Die sprachliche wie die außersprachliche Einbettung eines Lexems beeinflussen somit maßgeblich deren Lesart: In Beleg (87) wird ein KA U F E N -Szenario evoziert, in Beleg (88) ein K O N S U M -Szenario, in Beleg (89) ein B E S U C H -Szenario sowie in (90) ein L I E B E -Szenario. Missverständnisse treten dann auf, wenn sich Sprecher und Hörer in unterschiedlichen Szenarien wähnen: So ist auf die Frage „Kommst du noch auf einen Kaffee mit rein? “ theoretisch auch die Antwort aus Beleg (88) denkbar, verweist jedoch auf einen unterschiedlichen kognitiven Rahmen und dürfte zu Irritationen führen. Ziem (2008: 2) definiert den Begriff frame daher wie folgt: Frames sind konzeptuelle Wissenseinheiten, die sprachliche Ausdrücke beim Sprach‐ verstehen evozieren, die also Sprachbenutzerinnen und Sprachbenutzer aus ihrem Gedächtnis abrufen, um die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks zu erfassen. Zu wissen, was ein Ausdruck bedeutet und wie ein Ausdruck zu verwenden ist, heißt demnach, über eine bestimmte kognitive Struktur zu ‚verfügen‘, die mit einem Ausdruck konventionell assoziiert ist. (Ziem 2008: 2) Die Konventionalität muss an dieser Stelle betont werden. Im Unterschied zur strukturalistischen Sprachtheorie aber liegt die Konventionalität auch außerhalb sprachlicher Einheiten begründet. Sprache fügt sich somit in einen größeren Zusammenhang des sozialen Miteinanders und bildet eine soziale Norm neben anderen sozialen Normen. Ausgeführt wurde im obigen Abschnitt, inwiefern formidentische Lexeme unterschiedliche Frames evozieren können, sprich, wie die Frame-Semantik Polysemie zu erklären vermag. Im Folgenden wird die Perspektive umgekehrt: Es wird dargelegt, inwiefern unterschiedliche Lexeme die gleichen Schemata evozieren können. 3.4 Frame-Semantik 129 <?page no="130"?> It happens that there are many different words capable of indexing this same schema. (…) Each of these words indexes the schema in slightly different way, each puts some aspect of the event in perspective, peripheralizing the rest. (…) But each brings access torequires us to understand - the basic cognitive schema of commercial transactions structured more or less in the way I described earlier. (Fillmore 1987: 101-102) Man könnte auf die Idee kommen, hierbei von Synonymie zu sprechen. Am Zitat Fillmores wird deutlich, warum keine echte Synonymie vorliegen kann. Nach Fillmore kann der KAUFEN -Frame durch unterschiedliche Lexeme evo‐ ziert werden. Als prototypische lexikalische Einheiten führt er hierbei Verben an. Jedes dieser Verben ruft die grundlegende Wissensstruktur auf, dass ein Gegenstand gegen eine Form von Geld ausgetauscht wird und Personen in einer Tauschsituation miteinander agieren. Sieht man sich einen Thesaurus-Eintrag des Lexems kaufen an, so erhält man folgende Lexeme: shoppen, besorgen, schießen, anschaffen, holen, erwerben, erstehen. Jedes dieser Verben rückt, um in Fillmores Metapher zu bleiben, einen anderen Aspekt des Szenarios in den Vor‐ dergrund, während andere Teilaspekte des Szenarios in den Hintergrund treten. Da diese Lexeme nicht frei austauschbar sind, sondern im Sprachgebrauch deutliche Gebrauchspräferenzen zeigen, kann keine Synonymie vorliegen. Ein zentraler Kritikpunkt an der Frame-Semantik lautet, dass die Frame-Se‐ mantik letztendlich kein Wissen über sprachliche Strukturen, sondern vielmehr lediglich Aussagen über Weltwissen anböte. Zum Verhältnis zwischen sprach‐ lichem Wissen und außersprachlichem Wissen im Rahmen der Frame-Semantik hält Busse fest: Das Verhältnis von Sprache und Kognition erschließt sich über das Moment des Wissens, der Episteme. Kognitive Prozesse beim sprachbenutzenden Menschen ope‐ rieren zu einem größeren (und in unserem Kontext interessanteren) Teil auf und mit Wissen, das im Gebrauch von Sprache konstituiert und strukturiert wurde. Verbindendes Moment ist die Schematisierung des Wissens und seine sich aus diesen Schematisierungen ergebende Architektur. Eben für solche Schemabildungen ist das Konzept des Frame vorgeschlagen worden, […]. Schemabildungsprozesse (bzw. die Bildung von Wissensrahmen / Frames) sind insofern sprachlich, als nur (oder, will man es vorsichtiger ausdrücken: vor allem) der aktive Gebrauch der Schemata (Frames) in Akten sprachlicher Kommunikation diese stabilisiert (auf Dauer stellt), mit Wissen anreichert und veränderlich macht. (Busse 2012: 808-809). 130 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="131"?> 30 Um den Stellenwert semantischer Rollen und deren Ausdifferenzierung tobt eine kontroverse Debatte, die hier nicht wiedergegeben werden kann. Für einen Argumenta‐ tionsgang, der sich gegen die Unabgeschlossenheit semantischer Rollendifferenzierung ausspricht, siehe Ágel & Höllein (2021) und Primus (2012). Für einen Argumentations‐ gang, der sich dafür ausspricht, siehe Polenz (2008), Ziem & Lasch (2013), Lasch (2016). Sprache ist Busse (2012) folgend mehr als ein Artefakt; vielmehr kommt ihr eine zentrale Rolle bei der Konzeptualisierung, der Kategorisierung und der Tradierung von Wissenseinheiten zu. 3.4.2 FrameNet FrameNet ist eine im Jahr 1997 am International Computer Science Institut der University of Berkely, California, gestartete lexikalische Datenbank. Diese Datenbank enthält Einträge zu semantischen wie syntaktischen Kategorien von Lexemen des Englischen. Die Daten, die durch FrameNet bereitgestellt werden, gehen weit über das übliche Maß an Information hinaus, das konventionelle Le‐ xika zur Verfügung stellen. Die Zielgruppe dürfte weniger im Bereich von Laien, sondern vielmehr im Bereich von Wissenschaftlern liegen. Die Darstellung in FrameNet beruht auf authentischen Sprachdaten. Die jeweiligen Korpusbelege sowie deren Annotation können von den Nutzer/ -innen nachvollzogen werden. Die Einträge in FrameNet sind in einer bestimmten Struktur aufbereitet und beinhalten unterschiedliche Elemente. Die drei wichtigsten sind (1) der semantische Frame, (2) die frame elements (FE) sowie (3) lexical units (LU). Lexical units sind alle sprachlichen Einheiten, die einen bestimmten Frame evozieren können; dazu zählen auch Mehrworteinheiten. FEs sind semantische Einheiten, die im Wesentlichen auf die Fillmore’sche Case Grammar zurückzu‐ führen sind und somit auf semantischen Rollen beruhen. Im Unterschied zur ersten Fassung seiner Case Grammar von 1968 ist die Anzahl an semantischen Rollen, die im FrameNet annotiert wird, potenziell unabgeschlossen. 30 Mit Hilfe des Frame Index auf der Website von FrameNet lassen sich die unterschiedlichen Frames anzeigen. Der Frame wird zunächst definiert. Anschließend werden Korpusbelege des Frames angezeigt, deren annotierte FEs farblich markiert sind. In FrameNet wird zwischen sogenannten core und non-core FEs unterschieden. Zu den core FEs zählen für den motion_noise frame beispielsweise die FEs Area, Goal, Path, Source sowie Theme. Als non-core FEs werden Cause, Degree, Depicitive, Distance, Duration, Manner, Means, Place, Result, Speed sowie Time gelistet. Eine Liste an LUs, die den Frame evozieren können, ergänzen die bereitgestellten Informationen. Dazu werden die Verben bang, buzz, chug, clack, clang, clank, clatter usw. gezählt. 3.4 Frame-Semantik 131 <?page no="132"?> Über den Status von core FEs scheint Unklarheit zu herrschen, denn die Angaben sind in FrameNet für den hier exemplarisch gezeigten motion_noise frame widersprüchlich. Während an einigen Stellen lediglich die FEs Goal, Path und Source als core set definiert sind, findet sich an anderen Stellen ein umfangreicheres Set, das zusätzlich die FEs Area sowie Theme umfasst. Solche Widersprüche sind es, die auch Busse (2012) bemängelt. Er führt solche Inkongruenzen auf eine mangelnde theoretische Fundierung zurück. Die schwankende Reliabilität sei auch den Tatsachen geschuldet, das FrameNet bewusst data-driven arbeite sowie der Notwendigkeit, viele unterschiedliche Personen an den Daten arbeiten zu lassen. Möchte der Nutzer von FrameNet einen Überblick über die taxonomische Struktur verschiedener Frames erhalten, so ist ein solcher Abruf ebenfalls möglich. Nachdem nun die theoretische Fundierung der Frame-Semantik sowie das Tool FrameNet vorgestellt worden sind, wird nun der Frage nachgegangen, wie diese Überlegungen zu einer Symbiose mit der Konstruktionsgrammatik führen können. 3.4.3 Frame-Semantik und Konstruktionsgrammatik Wie bereits in den einleitenden Worten zu diesem Kapitel dargelegt, besteht zwischen der Frame-Semantik und der (gebrauchsbasierten) KxG ein traditionell enges Verhältnis. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt darauf, dass Fillmore selbst eine Form der KxG begründet hat. In der Zwischenzeit ist eine Reihe an Studien erschienen, die die lohnende Perspektive auf Sprache eindrucks‐ voll illustriert. An dieser Stelle meiner Arbeit kann dies nur exemplarisch wiedergegeben werden, einen Forschungsüberblick bietet jedoch Kapitel 4. Ein Schwerpunkt der nun folgenden Darstellung soll auf den jüngsten Arbeiten um Alexander Ziem und Alexander Lasch liegen, die einen Vorschlag zur Formali‐ sierung anbieten, der sowohl Frame-semantische als auch konstruktionsgram‐ matische Modellierungen integriert. Als Ausgangspunkt dient Abbildung 16 aus Goldberg (1995) zur Konstruktion als Form-Bedeutungspaar, die bereits unter Abschnitt 3.3.4 dieser Arbeit diskutiert wurde. 132 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="133"?> Sem CAUSE - MOVE < cause goal theme > R R: means S NEEZE < sneezer > Syn V S UBJ O BL OBJ Abbildung 14. Fusion der caused-motion construction mit dem Verb ‚sneeze‘ aus Gold‐ berg 1995: 54. Ein Problem an dieser Art der Formalisierung ist die Unterspezifizierung des Goldberg’schen Modells in Bezug auf die angesetzten Elemente der zweiten Zeile des Modells. So setzt Goldberg (1995: 52-55) für das Verb jeweils spezifi‐ sche Relationen an: Für das Verb put sind das die Relationen putter, put.place sowie puttee (siehe Abbildung 15), für das Verb mail in der Ditransitivkonstruk‐ tion analog dazu mailer, mailee, mailed. Eine gewisse Beliebigkeit ist nicht von der Hand zu weisen. Sem CAUSE - MOVE < cause goal theme > R R: means PUT < putter put.place puttee > Syn V S UBJ O BL OBJ Abbildung 15. Fusion der caused-motion construction mit dem Verb ‚put‘ aus Goldberg (1995: 52). Um dieses Defizit zu beheben, schlagen Ziem & Lasch (2013) sowie Lasch (2016; Lasch 2018) vor, die in FrameNet annotierten Frames als Beschreibungsinstru‐ mente der semantischen Relationen zwischen semantischer und syntaktischer Ebene anzusetzen. 3.4 Frame-Semantik 133 <?page no="134"?> Sem H ANDLUNG ‘G EBEN ’ < AG BEN AOB > ≈ resultativ STRICKEN < Creator (Recipient) Created_entity> Syn V N NOM N DAT N AKK Abbildung 16. Fusion der Ditransitivkonstruktion mit dem Verb ‚stricken‘ nach Lasch (2019: Folie 34). Zur Illustration nutze ich ein Beispiel aus Lasch (2019) zur Fusion des Verbs stricken mit der Ditransitivkonstruktion, das er anhand der Beispiele (91), (92) und (93) entwickelt. (91) Ich stricke dir einen Schal. (92) Zum letzten Geburtstag strickte ich dir einen Schal. (93) Du hast mir noch nie einen Schal gestrickt. In Abbildung 16 ist die Fusion des Verbs stricken mit der Ditransitivkonstruk‐ tion nach Lasch (2019: Folie 34) gezeigt. Es sind deutliche Unterschiede zur Darstellung aus Goldberg (1995) erkennbar. Diese betreffen alle Ebenen der Formalisierung. Die wichtigste an dieser Stelle ist die Einbettung der frame‐ semantischen Annotation in der mittleren Ebene des Modells. Anstelle von Bezeichnungen, die aus dem Terminus des Verbs resultieren, werden die in FrameNet hinterlegten Relationen genutzt. Das Verb stricken transzendiert die Frameelemente Creator, Recipient sowie Created_entity. Durch die Fusion mit der Ditransitivkonstruktion ergeben sich die möglichen Belege (91)-(93). Auch andere Verben, die den creating frame evozieren, sind hier mögliche Kandidaten, wie z. B. backen, kochen, schreiben, bauen usw. Weitere Unterschiede hinsichtlich der Formalisierung betreffen die angesetzten semantischen Rollen der oberen Zeile des Modells. Ziem & Lasch (2013) sowie folgende Arbeiten der beiden Linguisten beziehen sich auf den Vorschlag aus der Satzsemantik von Peter von Polenz (2008). Dieser sieht ein potenziell offenes System an semantischen Rollen vor, das im Zusammenspiel mit Prädikatsklassen (Z U S TAN D / E I G E N S C HA F T / H AN D L U N G / …) ein Analyseset ergibt. Bezogen auf Abbildung 16 erhält man somit die Prädikatsklasse H AN D L U N G für die Ditransitivkonstruktion sowie die zuge‐ hörigen semantischen Rollen A G E N S , B E N E F AK TIV und A F F IZI E R T E S O B J E K T . Zur Darstellung der syntaktischen Ebene, die in der unteren Zeile des Modells re‐ präsentiert ist, greift Lasch (2019) auf formale Angaben zurück und spezifiziert, 134 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="135"?> welche Wortgruppe durch welchen Kasus markiert ist. Dies ist m. E. deutlich günstiger als die Goldberg’sche Darstellung, die an dieser Stelle syntaktische Relationen ansetzt; sind syntaktische Relationen doch notorisch schwierig zu definieren und stets in Abhängigkeit von semantischen Parametern, um die es auf dieser Ebene dezidiert nicht gehen sollte. Ein Vorteil der Konzeption aus framesemantischen und konstruktionsgram‐ matischen Perspektiven, wie sie in Abbildung 16 dargestellt ist, liegt Ziem & Lasch (2013: 120) zufolge darin, die valenzgrammatische Perspektive mit der KxG verknüpfen zu können. Ähnliche Argumente sind in Abschnitt 3.3.6 angeführt worden. M. E. bietet eine Formalisierung, die auf den Grundlagen von FrameNet aufbaut, den großen Vorteil sprachvergleichende Analysen vornehmen zu können, wenn man die gleiche Datenbank nutzt. Studien, die ein solches Vorgehen nutzen und Konstruktionen und Frames verschiedener Sprachen kontrastieren, bieten u. a. Boas (2010a) sowie Dux (2020). 3.5 Zusammenfassung In diesem dritten Kapitel der Arbeit wurden die Grundlagen gebrauchsbasierter Sprachtheorien dargelegt. Gebrauchsbasierte Ansätze teilen die Ansicht, dass Sprache durch Gebrauch entsteht und durch den Gebrauch geformt wird. Es handelt sich um ein emergentes System. Die Fähigkeit zur menschlichen Sprachproduktion ist eng verwoben mit anderen kognitiven Prozessen wie der Fähigkeit zur Analogiebildung, der Kategorisierung und Generalisierung, der Fähigkeit zur Herstellung geteilter Aufmerksamkeit und eines gemeinsamen Wahrnehmungsraumes. Das Sprachsystem wird hierbei als Netzwerk model‐ liert, dessen Knoten und Verbindungen sich durch die genannten Einflussfak‐ toren in ständigem Fluss befinden. Als eine Strömung der gebrauchsbasierten Ansätze lässt sich die Konstruktionsgrammatik fassen. Es wurde dargelegt, dass Konstruktionen Bedeutungs-Form-Paare sind, die auf unterschiedlichen sprach‐ lichen Ebenen operieren und von unterschiedlichem Grad an Schematizität sind. Es lassen sich Token-Konstruktionen, teilschematische Konstruktionen sowie vollschematische Konstruktionen unterscheiden. Konstruktionen sind im Konstruktikon gespeichert. Das Konstruktikon ist ein Netzwerkmodell, das hinsichtlich der Strukturierung Parallelen zur Idee des Mentalen Lexikons aufweist. Der Produktivitätsbegriff wird innerhalb der Konstruktionsgrammatik nicht nur bis zur Wortebene verwendet, sondern auch auf größere sprachliche Ein‐ heiten angewandt. Dies ist konsequent, da, wie bereits dargelegt, nicht zwischen 3.5 Zusammenfassung 135 <?page no="136"?> Wort- und Satzebene unterschieden wird und somit Mehrworteinheiten ein gleichwertiger Status im Mentalen Lexikon eingeräumt wird. Suttle & Goldberg (2011: 1238) folgend ist eine Konstruktion dann produktiv, wenn sie die Nutzung neuer Wörter an Slots zulässt und somit eine neue Lesart der Konstruktion er‐ möglicht: „A construction is considered to be productive to the extent that it can coerce new words to appear in it“. Unter Coercion (dt. Zwang) verstehen Suttle & Goldberg (2011) die Eigenschaft der Konstruktion, einem in der Konstruktion verwendeten Verb eine Bedeutung gewissermaßen „aufzudrücken“, sodass die Lesart des Verbs zu der abstrakten Funktion der Konstruktion passt, also kompatibel wird (vgl. Suttle & Goldberg 2011: 1237). Der Produktivitätsbegriff und der Begriff der Coercion (Lesarterzwingung) gehen demnach Hand in Hand. Die Produktivität einer sprachlichen Einheit ist stark geprägt von Type- und Token- Frequenzen, da diese bedingen, wie die Konstruktion kognitiv verfes‐ tigt ist (Entrenchment), d. h., inwiefern abstrahiert wird und wie schnell der Sprachnutzer auf die Konstruktion zugreifen kann (vgl. u. a. Ziem & Lasch 2013). In der Ditransitiv-Konstruktion beispielsweise können verschiedene Lexeme den Verbslot besetzen, die jedoch strukturelle Gemeinsamkeiten aufweisen. Diese Ähnlichkeiten führen zur Verfestigung eines abstrakten Musters, dass selbst bedeutungshaltig ist; der Ditransitiv-Konstruktion, die nun für weitere Types zur Verfügung steht, indem sie offene Slots vorweist. Diese Form von Entrenchment wird als Type-Entrenchment bezeichnet. Token-Entrenchment hingegen liegt vor, wenn eine lexikalisch spezifizierte Konstruktion als Einheit verfestigt ist, beispielsweise bei idiomatischen Wendungen (vgl. Ziem & Lasch 2013: 103-106). Type- und Token-Frequenzen sind demnach wichtige Variablen, um Vorhersagen darüber zu treffen, wie produktiv sprachliche Einheiten in einer konkreten Sprache sind. Zeldes (2012) prägt in seiner korpuslinguistischen Arbeit den Produktivitätsbegriff für die Ebene der Syntax und versucht der Frage nachzugehen, woher die Sprachnutzer einer Sprache wissen, wie produktiv welcher Slot einer Konstruktion tatsächlich ist. Denn nicht jede sprachliche Einheit ist an jedem potenziell variablen Slot einer Konstruktion zu verwenden, auch wenn dies grammatikalisch möglich wäre. Für Zeldes gehört das Wissen über die Produktivität zum impliziten Sprecherwissen: „Knowledge of produc‐ tivity is thus a further kind of implicit knowledge about usage, not unlike the knowledge of the probabilities of different syntactic structures“ (Zeldes 2012: 193). Neben den Type- und Token-Frequenzen liefert für Suttle & Goldberg (2011) sowie für Olofsson (2014) insbesondere die semantische Kompatibilität entscheidende Hinweise für Sprachnutzer darüber, inwiefern die sprachlichen Einheiten produktiv sind. Unter semantische Kompatibilität lassen sich seman‐ tische Relationen zählen, die auch für andere Bereiche der Kategorisierung von 136 3 Gebrauchsbasierte Sprachmodelle <?page no="137"?> Wissen als Strategien genutzt werden: Teil-Ganzes-Relationen, Polysemie-Rela‐ tionen, metaphorische Erweiterungen sowie Beispiel-Relationen (vgl. Goldberg 1995). Neben diesen Aspekten wird auch die Breite des semantischen Feldes der genutzten Types diskutiert (vgl. Olofsson 2014: 5), wobei gilt: Je mehr Types die Sprachnutzer an einem Slot bereits erfahren haben, desto mehr Analogien können sie von dieser Auswahl an Types bilden, d. h., desto höher die Produktivität dieses Slots. Zu einer geringeren Produktivität führt nach Suttle & Goldberg (2011: 1239) das Vorhandensein einer Konstruktion mit der gleichen Funktion, analog zur Blockade bei Lexikalisierungsprozessen, wenn bereits ein Ausdruck mit identischer Bedeutung vorliegt (z. B. Dieb => *Stehl-er). Konstruktionen sind also unterschiedlich produktiv: Neben nicht-produktiven Konstruktionen gibt es teil-produktive Konstruktionen. Der Grad der Produk‐ tivität hängt von mindestens fünf Faktoren ab: Inferenz, Preemption, Type-Fre‐ quenz, Variabilität und Ähnlichkeit. In einem weiteren Schritt wurde die potenzielle Symbiose von Konstrukti‐ onsgrammatik und Frame-Semantik erörtert. Nach Fillmore handelt es sich bei einem Frame um ein wissensorganisierendes Element menschlicher Kognition. In der Datenbank FrameNet werden lexikalische Einheiten mit Frames annotiert und auf diese Weise für einen breiten Nutzerkreis zugänglich gemacht. Ein Vorschlag zur Integration der Frame-Semantik in die Konstruktionsgrammatik lautet, die in FrameNet annotierten semantischen Rollen zur Formalisierung der Form-Bedeutungsbeziehung von Argumentstrukturkonstruktionen anzusetzen (vgl. Ziem & Lasch 2013, Lasch 2016, 2018, 2019). 3.5 Zusammenfassung 137 <?page no="139"?> 31 dt. Übersetzung: Bewegung im Schwedischen - zur Produktivität aus konstruktions‐ grammatischer Perspektive. 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen He runs his eye down and finds that there are more exceptions to the rule than instances of it. Mark Twain (1880): The Awful German Language In diesem Kapitel wird dargelegt, welche Arbeiten bislang zur Variabilität von Lexemen im Verbslot von Bewegungskonstruktionen vorliegen. Ausgangspunkt ist eine Reihe von Studien zum Schwedischen (u. a. mit Olofsson 2014), bevor ich zu Arbeiten gelange, die sich mit dem Phänomen im Englischen auseinan‐ dersetzen. Dabei ist insbesondere die diachrone Perspektive instruktiv, die in Fanego (2012, 2017, 2019) eingenommen wird. Für das Deutsche werden Studien zu sogenannten Geräusch-als-Bewegungsverben (Engelberg 2009; Goschler 2011; Maienborn 1994) sowie zu Modal-als-Bewegungsverben vorgestellt und kritisch diskutiert. Neben den Lexemen des Verbslots sind es im Deutschen zudem Re‐ flexivmarker, die eine Rolle in Bewegungskonstruktionen zu spielen scheinen. Während den Arbeiten zu Geräusch-als-Bewegungsverben eine robuste Empirie zugrunde liegt, sind die Studien zu Modalverben in Bewegungskonstruktionen und der Funktion von Reflexivmarkern bislang eher explorativer Art, sodass sich ein Desiderat abzeichnet. 4.1 Das Schwedische In seiner kumulativen Dissertation Förflyttning på svenska-om produktivitet utifrån ett konstruktionsperspektiv 31 untersucht Joel Olofsson (2018) die Ver‐ wendung rarer Lexeme im Verbslot von Bewegungskonstruktionen des Schwe‐ dischen durch sowohl korpuslinguistische als auch über experimentelle Ver‐ fahren. Im Fokus der Thesis Olofssons stehen sogenannte double adverbial constructions, bestehend aus einem Verb sowie einem direktionalen Adverb und einer Präpositionalphrase (Olofsson 2018), vgl. Belege (94)-(96). <?page no="140"?> (94) Siri springer in i rummet - Siri run-P R S in in room-D E F - ‘Siri runs into the room’ (95) Siri hjortar iväg till veterinären - Siri deer-P R S off to vet-D E F - ‘Siri deers off to the vet’ (96) Siri skojar runt på stan - Siri joke-P R S around on city - ‘Siri is joking around in the city’ - (Olofsson 2018: 77) Olofsson hat vier Studien veröffentlicht, die sich mit unterschiedlichen Teil‐ fragestellungen auseinandersetzen. Das übergeordnete Forschungsziel hierbei lautet, „to investigate and describe the productivity of Swedish motion construc‐ tions from a usage-based construction grammar perspective“ (ebd.). Typologisch zählt Schwedisch wie das Deutsche auch zu den S-framed Sprachen, denn es drückt das P ATH -Element Verb-extern durch einen satellite aus (vgl. Talmy 1985, 2000a, siehe Kapitel 2.3 und 2.4.3). Die erste der vier Studien untersucht die Produktivität einer intransitiven Bewegungskonstruktion des Schwedischen, wie sie in Beleg (94) angeführt ist. In einem ersten Schritt untersucht Olofsson (2014) hierbei durch eine erschöpfende Korpusstudie 17.330 Treffer für die entsprechende Konstruktion. Er gelangt zu einer Type-Frequenz von 193 Verben und 41 unterschiedlichen semantischen Frames. In einem zweiten Schritt wird die Perspektive insofern umgedreht, als dass nun sechs semantische Frames auf Grundlage des schwedischen FrameNet ausgewählt wurden, die auf die mit ihnen assoziierten lexikalischen Einheiten hin untersucht wurden. Als Ergebnis hält Olofsson fest, dass die Konstruk‐ tion zwar mit vielen für Bewegungskonstruktionen prototypischen Lexemen realisiert werde, aber auch niedrigfrequente Lexeme in dieser Konstruktion verwendet werden können. In seiner zweiten Studie untersucht Olofsson (2016) die Rolle des Kontextes beim Verstehen von Lexemen, die in nicht mit Bewegung assoziiert sind, aber in Bewegungskonstruktionen verwendet werden. Als Beispiele werden die Verben chansa ‘wagen’ sowie shoppa ‘shoppen’ angeführt. In einem experimentellen Setting nach Cowart (1997) wurden Probandinnen hierbei Sätze vorgelegt, in denen diese Verben in Bewegungskonstruktionen präsentiert sind. Die Pro‐ banden sollten die Akzeptabilität werten. In einer Bedingung war ein Kontext gegeben, der zum jeweiligen neuen Verb der Bewegungskonstruktion passt. In der Kontrollbedingung wurde ein Kontext gegeben, der semantisch nicht zum neuen Verb in der Bewegungskonstruktion passt. Der Kontext scheint Olofsson 140 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="141"?> (2016) zufolge in manchen Fällen dazu zu führen, die Akzeptabilität der nicht frequent in Bewegungskonstruktionen genutzten Lexeme zu erhöhen und somit Olofsson zufolge einen Einfluss auf die Produktivität der Konstruktion zu haben. In einem dritten Aufsatz aus 2017 werden von Olofsson zwei seman‐ tisch wie syntaktisch ähnliche Konstruktionen miteinander verglichen: die [VERB-iväg-till-NP]- Konstruktion (‘ VERB-ab nach-NP’) und die [VERB-till-NP]-Konstruktion (‘VERB-nach-NP’). Der Unterschied liegt im Ad‐ verb, das erstere Konstruktion aufweist, letztere hingegen nicht. Olofsson (ebd.) untersucht das Vorkommen von 40 Verben des Schwedischen, die mit Bewegung assoziiert sind. Als Ergebnis hält er fest, dass niedrigfrequente Verben eher dazu tendierten, in der Konstruktion mit Adverb zu erscheinen als in der Konstruktion ohne Adverb. Diese Ergebnisse interpretiert Olofsson in seiner Thesis folgendermaßen: „This paper shows that the additional information about direction in the [VERB-iväg-till-NP] construction makes it easier to use with novel verbs, especially in cases where the verbs do not have any inherent motion meaning“ (Olofsson 2018: 85). Im vierten Aufsatz der kumulativen Thesis widmet sich Olofsson (2019) 17 sogenannten double-adverbial constructions, indem er deren Vorkommen und Verteilung in einem großen schwedischen Korpus untersucht. Olofsson zeigt, dass die Produktivität der Konstruktionen erheblich divergiert. Zudem kommen einige der nicht-prototypischen Lexeme in Verbslots von Bewegungskonstruk‐ tionen ausschließlich in bestimmten Bewegungskonstruktionen vor, nicht aber in anderen, verwandten Konstruktionen. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Studien aus Olofsson (2018) weitere Evidenz für ein gebrauchsbasiertes Grammatikmodell bieten. Die Produktivität, sprich die Möglichkeit, neue Lexeme in Bewegungskonstruk‐ tionen zu nutzen, hängt sowohl von syntaktischen und semantischen Eigen‐ schaften der Konstruktionen ab, als auch von der Gebrauchsfrequenz sowie dem außersprachlichen Gebrauchskontext (vgl. Olofsson 2018: 86). 4.2 Das Englische In ihrer Dissertation mit dem Titel Analyzing path: The interplay of verbs, prepositions and constructional semantics aus dem Jahr 2001 legt Ada Rohde eine umfassende Studie zur Interaktion von Konstruktion, Verb und Präposi‐ tionen vor. Sie erhebt sowohl Korpusdaten als auch Akzeptabilitätsurteile zu Bewegungskonstruktionen des Englischen. Einbezogen werden die intransitive Bewegungskonstruktion (intransitive motion construction) sowie die transitive 4.2 Das Englische 141 <?page no="142"?> Bewegungskonstruktion (caused motion construction). Die Zielsetzung der Ar‐ beit Rohdes ist es darzulegen, wie die Dynamizität von Präpositionen und die Bedeutung von Verben in Bewegungskonstruktionen des Englischen inter‐ agieren und welche Rolle Konstruktionen bei dieser Interaktion einnehmen. Für dieses Vorhaben klassifiziert Rohde 19 Präpositionen des Englischen hin‐ sichtlich des Grades an Dynamizität. Grundlage dieser Klassifikation ist die Häufigkeit des Vorkommens in statischen bzw. dynamischen Äußerungstypen. Rohde zeigt auf, dass ein dynamischer P ATH entweder durch die Präposition oder aber durch das Verb realisiert werden muss, wenn Sprecher des Englischen Bewegungsereignisse versprachlichen möchten. Sie zieht daher im Abstract ihrer Dissertation folgendes Fazit, das die Rolle der Konstruktion, auch entgegen der eigenen Erwartungen Rohdes, vergleichsweise geringschätzt: The power of constructions to coerce the meanings of lexical items, i.e. to influence the canonical interpretation of these items where they do not correspond to the construction’s semantics, is thus much more restricted than commonly assumed. (Rohde 2001) Rohdes Arbeit stellt insofern einen wichtigen Erkenntnisfortschritt dar, als dass sie sich bislang eher unbeachtet gebliebenen Elementen von Bewegungskonst‐ ruktionen annimmt. Sie unterstreicht damit die Notwendigkeit, bei der Analyse nicht nur den Zusammenhang zwischen Konstruktion und Verb zu fokussieren, sondern auch weitere Elemente wie Präpositionen miteinzubeziehen. Für die theoretische Auseinandersetzung ergibt sich an dieser Stelle erneut die Frage nach der Kompositionalität, wie Rohde (2001: 333-334) bemerkt: […] the dissertation turned out to place much more emphasis on compositionality than Construction Grammar ever intended to. […] Rather than being able to present a view of language that places less emphasis on compositionality and the necessary lexical predication of semantic elements, the dissertation has shown that it is almost always necessary to lexicalize the element of P A T H at least in written English. Aus den Studien Rohdes geht deutlich hervor, dass ein datengetriebenes Vorgehen zu Ergebnissen führen kann, die nicht in Einklang zu bisherigen theoretischen Konstrukten und auch eigenen Vorannahmen zu bringen sind. Aus diesen Widersprüchen können Revisionen für bestehende Vorstellungen abgeleitet werden. Rohde wirft im siebten Kapitel ihrer Dissertation zudem eine grundsätzliche Frage auf, die auch die Axiome der in der vorliegenden Arbeit diskutierten Studien zum Deutschen berühren wird: Sie fragt: „What is a motion verb? “ (Rohde 2001: 251). Rohde zielt mit ihrer Frage auf die Goldberg’sche Verbklassifikation ab, die eine Unterscheidung zwischen mo‐ 142 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="143"?> tion verbs (Bewegungsverben), instrument verbs (Instrumentverben wie etwa skaten, radeln, rollern) und sound verbs (Geräuschverben wie rattern, tuckern) vorsieht. Für Rohde ist die Unterscheidung Goldbergs nicht hinreichend belegt. Rohdes Argumentation gegen eine Annahme unterschiedlicher semantischer Klassen verläuft wie folgt: Komplexe Ereignisse lassen sich Langacker (1987) folgend nicht dekomponieren. Solche komplexen Ereignisse werden durch Konstruktionen versprachlicht. Eine Konstruktion integriert abstrakte seman‐ tische Einheiten in bestimmte syntaktische Strukturen. Bei jedem Gebrauch wird die Gesamtbedeutung evoziert, auch wenn die einzelnen Lexeme selbst nicht diese Bedeutung evozieren können. Daraus lässt sich ableiten, dass Lexeme, die regelmäßig in einer Bewegungskonstruktion gebraucht werden, so verstanden werden, als dass sie Bewegung ausdrücken, selbst wenn sie ohne entsprechenden Kontext keine Bewegungslesart evozieren können: „That is, a lexical element that is frequently used in a motion context and furthermore in any of the motion construction, will gradually take on the basic semantics of this environment“ (Rohde 2001: 253-254). Eine diachrone Perspektive auf die semantische Bandbreite von Lexemen des Verbslots von Bewegungskonstruktionen bietet Fanego (2017). In ihrem Aufsatz thematisiert Fanego die historische Entwicklung der intransitiven Bewegungs‐ konstruktion für das Englische, das ebenfalls zu den S-framed Sprachen gezählt wird. Als Beispiele werden Verwendungen von Geräuschverben im Verbslot einer intransitiven Bewegungskonstruktion angeführt. (97) The Coaches which had wont to rumble up and downe [1642 J. Taylor, St. Hil-laries Teares 5, zitiert nach Fanego 2017: 30] Fanego formuliert von diesen Belegen ausgehend vier eng verwandte Fragestel‐ lungen in Bezug auf die intransitive Bewegungskonstruktion des Englischen: a) Wie ist das semantische Verhältnis zwischen Verb und Konstruktion in früheren Stadien des Englischen? b) Wie lässt sich die Entwicklung der Konstruktion nachzeichnen, insbesondere, wenn Geräuschverben involviert sind? c) Wie hat sich das Inventar von Geräuschverben für das Englische entwickelt? d) In wel‐ cher Interaktion befinden sich die intransitive Bewegungskonstruktion und die sogenannte way-construction? (vgl. Fanego 2017: 30-31). Die way-construction zeigt sich an Belegen wie The steamer plashed its way forward (vgl. ebd.) ‘Der Dampfer plätscherte voraus/ vorwärts’. Um die Zielsetzungen zu erreichen, nutzt Fanego (2017) ein heuristisches Vorgehen. Als Ausgangspunkt zur Identifikation möglicher Geräuschverben wird Levin (1993) herangezogen, die 119 Geräuschverben für das Englische auflistet. Durch Recherchen in Wörterbüchern und Thesauri wird diese Liste 4.2 Das Englische 143 <?page no="144"?> erweitert. In einem nächsten Schritt wird diese Liste mit Wörterbüchern des Old English und Middle English abgeglichen. Diejenigen Lexeme, die in beiden Ressourcen vorkommen, werden für die eigentliche Korpusstudie genutzt. Fanego (2017) zeigt in ihren Ergebnissen für Fragestellung a), dass das Englische früherer Sprachstadien über eine breitere Palette an Relationen zwischen Verb und Konstruktion verfügte, als das im heutigen Englisch der Fall zu sein scheint. Sie bezieht sich auf die Liste an Relationen Talmys, die in Kapitel 2.3.4 der vorliegenden Arbeit ebenfalls thematisiert sind. Als Beispiel führt sie die Relation subsequence an: Old English Ic to sæ wille ‘I wish [to go] to the sea’. Kjellmer (2002) unterstützt diese Position durch seine Korpusstudie zu Modalverben ohne Infinitive im Modern Standard Englisch, kann aber aufzeigen, dass sich die Konstruktion in einigen Varietäten des Englischen gehalten hat. In Abschnitt 4.3.2 dieser Arbeit wird dargelegt, was der Stand der Forschung zu dieser Konstruktion im Deutschen beiträgt. Insgesamt zeigten die Konstruktionen Fanego (2017) zufolge eine heterogene Entwicklung: Während einige der Relationen sukzessive abgebaut zu werden scheinen, weiten sich andere, wie manner of motion und sound emission aus und ziehen neue Lexeme heran. Die Grundlage hierfür sieht Fanego (2017: 68) „in a process of item-based analogy“ und bewegt sich somit innerhalb gebrauchsbasierter Erklärungsansätze. Bereits Slobin (2006) sowie Fanego (2012) zeigen, dass die intransitive Bewe‐ gungskonstruktion über verschiedene Sprachstadien des Englischen hinweg eine sukzessive Bedeutungserweiterung erfährt, was die M AN N E R -Relation be‐ trifft. Fanego (2012) bestätigt durch ihre Untersuchung die Hypothese Slobins (Slobin 2004, 2006), dass in S-framed Sprachen die Tendenz zur Elaboration des Lexikons hinsichtlich manner verbs bestünde, da Sprachnutzer diesen Sprachtyps aufmerksamer bezüglich der Art und Weise von Bewegungen sei, da sie diese üblicherweise im Verb versprachlichen müssten. Als ein Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass das heutige Schwedi‐ sche eine Reihe an Lexemen in Bewegungskonstruktionen zulässt, die selbst keine Bewegung evozieren. Olofsson betont die Rolle der Konstruktion, zeigt aber auch, dass die Produktivität sowohl von der konkreten Konstruktion als auch vom Kontext abhängig zu sein scheint. Die Studien von Rohde zum heutigen Englisch hingegen starten mit konstruktionsgrammatischen Axiomen, schwächen diese Position aber zugunsten eines eher kompositionellen Ansatzes. Rohde hinterfragt zudem die Einteilung von Verben in semantische Klassen. Aus diachroner Perspektive nutzt Fanego das Instrumentarium Talmys, um die unterschiedliche Produktivität intransitiver Bewegungskonstruktionen nach‐ zuzeichnen. Fanego (2017) zeigt, dass die Norm aus diachroner Perspektive 144 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="145"?> erheblichen Schwankungen unterliegt, insbesondere, was den Gebrauch von Modal-als Vollverben in Bewegungskonstruktionen betrifft. 4.3 Das Deutsche Für die deutsche Sprache sowie den deutschsprachigen Diskurs über Bewe‐ gungskonstruktionen scheint insbesondere eine Verbklasse von besonderem Interesse: Geräuschals (ad-hoc)-Bewegungsverben (Maienborn 1994; Engelberg 2009; Welke 2009b, 2009a; Goschler 2011; Meliss 2012). Der Diskurs thematisiert hierbei in erster Linie, inwieweit Beispiele wie Beleg (98) aus Meliss (2012: 315) aus einer eher valenzgrammatischen oder einer konstruktionsgrammatischen Perspektive zu analysieren sind. (98) Die Münzen scheppern in die Teller auf dem Tresen […]. (E96/ JUL. 16894 Zürcher Tagesanzeiger, 17.07.1996, S.-42) Im folgenden Abschnitt wird dieser Diskurs nachgezeichnet und die wichtigsten Argumente der jeweiligen Positionen vorgestellt. Es folgt darauf ein Abschnitt, der sich mit dem bisherigen Forschungsstand zu Modalverben ohne Infinitiv in Bewegungskonstruktionen auseinandersetzt, wie in Beleg (99) aus Berthele (2007: 229) dargelegt. (99) Er will auf den Baum. Augenfällig wird bei der Rekonstruktion des Forschungsstandes die Asymme‐ trie hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die beide Verbklassen im Zusammen‐ hang mit intransitiven Bewegungskonstruktionen erfahren haben. Während Geräusch-als-Bewegungsverben ein recht intensiv bearbeitetes Phänomen zu sein scheint, beschränkt sich die Analyse von Modalverben ohne Infinitiv in Bewegungskonstruktionen häufig auf das Phänomen der Ellipse, ohne einen größeren Zusammenhang zu verwandten (Bewegungs-)Konstruktionen aufzu‐ zeigen. 4.3.1 Geräuschverben Bereits in vorausgegangenen Abschnitten der vorliegenden Arbeit konnte auf‐ gezeigt werden, dass Geräuschverben eine Gruppe von Verben zu sein scheinen, die in Bewegungskonstruktionen des Englischen produktiv sind (Fanego 2017). Im Folgenden wird rekonstruiert, welche Fragestellungen und Argumente im Diskurs um Geräuschverben in Bewegungskonstruktionen des Deutschen 4.3 Das Deutsche 145 <?page no="146"?> 32 Es liegt eine terminologische Unschärfe vor. Im Diskurs werden sowohl die Termini kompositional/ kompositionell verwendet. In dieser vorliegenden Arbeit wird durch‐ gängig das Adjektiv kompositionell gebraucht. angeführt werden. Ausgangspunkt ist hierbei der Aufsatz von Maienborn (1994), in dem sie direktionale Präpositionalphrasen mit nicht-lokalen Verben untersucht und das Feld somit sehr breit absteckt. Maienborn nutzt hierzu Annahmen der Zweiebenen-Theorie nach Bierwisch & Lang (1987), die an dieser Stelle nicht dargelegt werden kann. Stattdessen beschränke ich mich auf die Beobachtungen, die Maienborn (1994: 232-233) anführt: (100) Ein Motorrad knattert durch das verschlafene Dorf. (101) Christofe drischt den Ball aufs Tor. (102) Der Vermieter wollte Gunda aus der Wohnung klagen. (103) Gunda hilft den Kindern über die Straße. (104) Die Kinder futtern sich durch den Weihnachtsmarkt. (105) Kaufhof sponsert Ihnen die Olympiade ins Haus. In den Belegen (100)-(105) liegen eine Reihe unterschiedlicher Bewegungs‐ konstruktionen bzw. Resultativkonstruktionen vor. In Beleg (100) und (101) handelt es sich um eine intransitive Bewegungskonstruktion, während die Belege (102)-(105) transitive Bewegungskonstruktionen darstellen. Maienborn (1994: 237) nutzt folgende Formalisierung, um den temporären Bewegungs‐ verbcharakter darzustellen: knattern temp : λP [+Dir] λx λs [s INST [ DO (x, MOVE(x)) & P(x) & knatter’(x)]]. Für Maienborn sind Ausdrücke in den Belegen (100)-(105) eine Möglichkeit, komplexe Sachverhalte kompakt auszudrücken (vgl. für eine analoge Argumentation Talmy 2000b, 2017, siehe auch Kapitel 2.3.5 der vorliegenden Arbeit). Ein theoretisches Problem ergibt sich durch die Beschränkungen der Norm; scheinen doch Belege wie (106) nicht möglich: (106) *Gunda liest in die Küche (Maienborn 1994: 237) Für Maienborn liegt die Begründung der Limitierung in ihrem Postulat, dass „ein kausaler Zusammenhang zwischen der vom Verb eingeführten Aktion und dem Bewegungsresultat hergestellt werden muß“ (Maienborn 1994: 239). Sie kommt zu folgendem Fazit: Das syntaktische und prosodische Verhalten dieser kompakten sprachlichen Einheit, die eine direktionale PP mit einem Bewegungsverb eingeht, stützt die Hypothese, auf der die hier präsentierte Analyse beruht, daß nämlich mit dem Auftreten einer direktionalen PP das Fortbewegungsschema aktiviert wird und für eine nicht-kom‐ positionale 32 Interpretationsanpassung in Form einer temporären Erweiterung der 146 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="147"?> 33 Engelberg lag hier der Vorabdruck des Aufsatzes von Jacobs vor, sodass sich die Eigentümlichkeit erklärt, warum auf einen in der Zukunft liegenden Artikel verwiesen wird. lexikalischen Struktur des Verbs bereitsteht. Nichts in der konzeptuellen Struktur von Verben wie etwa schweigen, jubeln oder sponsern läßt die Möglichkeit einer Umdeutung als Bewegungsverb erkennen. Auslöser für die hier beobachtete Assimi‐ lation von nicht-lokalen Verben an Bewegungsverben kann nur die direktionale PP sein. Die Häufigkeit des Vorkommens und die entsprechende Vertrautheit mit dem hier diskutierten Satzmuster darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich bei der Kombination einer direktionalen PP mit einem nicht-lokalen Verb um eine markierte Konstruktion handelt, deren Interpretation auf eine nicht-kompositionale Umdeutung des Verbs angewiesen ist. Die vorzunehmende Interpretationsanpassung ist zwar durch die enge Assoziierung des Denotats von direktionalen PPn mit dem Fortbewegungsschema konzeptuell angelegt, wird aber durch den sprachlichen Ausdruck selbst nicht legitimiert. (Maienborn 1994: 242) Der erste Teil des Zitats ist nahe an konstruktionsgrammatischen Ansätzen, wenn Maienborn von einer „kompakten sprachlichen Einheit, die eine direktio‐ nale PP mit einem Bewegungsverb eingeht“ spricht. Dann allerdings nehmen die Argumente eine Wende: Das Verb wird zu einem temporären Bewegungsverb, wobei als Auslöser die direktionale PP ausgemacht wird. In ihren Schlussfol‐ gerungen nimmt Maienborn (1994) Bezug auf den typologischen Unterschied zwischen S-framed- und V-framed- Sprachen, die bei Maienborn allerdings „Modus-Sprachen“ und „Weg-Sprachen“ genannt werden: „Die innerhalb des deutschen Sprachsystems angelegte Modusvariation bei Bewegungsverben wird damit über die lexikalisch vorgesehenen Grenzen hinaus für die Bildung eines markierten Bewegungsverbs ausgenutzt“ (Maienborn 1994: 243). Diese Arbeit Maienborns ist insofern interessant, als dass der Versuch unternommen wird, eine ganze Bandbreite an sogenannten nicht-lokalen Verben in Bewe‐ gungskonstruktionen über einen Mechanismus zu erklären. Das Postulat Mai‐ enborns, die Relation zwischen Verb und Bewegungsereignis müsse kausaler Natur sein, wird im Diskurs von verschiedenen Linguist/ -innen aufgenommen, wie der folgende Abschnitt zeigen wird. Engelberg (2009) wägt in seinem Zwischenbericht aus einer korpuslingu‐ istischen Studie zur Bewegungsinterpretation bei Geräuschverben einen kon‐ struktionsgrammatischen Zugang nach Welke (2009) gegen einen valenzgram‐ matischen Ansatz nach Jacobs (2010) ab. 33 Die in Engelberg (2009) dargelegte Korpusstudie setzt sich aus drei Teilstudien zusammen. In einer ersten Erhebung 4.3 Das Deutsche 147 <?page no="148"?> ermittelt Engelberg die Verteilung der Emissionsvariante (Die Bahn tuckert laut) gegenüber der Bewegungsvariante (Die Bahn tuckert durch den Tunnel) über eine Abfrage unter COSMAS II. Es wird eine Zufallsstichprobe von 200 Belegen zu den Lexemen donnern, knattern, knistern, quietschen, rauschen, schwirren und tuckern gezogen. Als Bewegungsvariante werden alle Belege gewertet, in denen der Subjektreferent eine Bewegungsveränderung erfährt. Auch metaphorische Bewegungsereignisse werden hierzu gezählt. Als Ergebnis zeigt Engelberg, dass die Verteilung der Geräuschverben über die Varianten ein sehr heterogenes Bild ergibt: Während bei tuckern und schwirren mehr als 75 Prozent der Belege der Bewegungsvariante zuzuordnen sind, macht diese Variante bei quietschen und knistern 4 bzw. 0,5 Prozent der erhobenen Belege aus. Dies spricht Engelberg (2009: 82) zufolge gegen das Postulat Welkes (2009), man könne zwischen einer grundlegenden Lesart (= Emissionsvariante) und einer abgeleiteten Lesart (=-Bewegungsvariante) bei Geräuschverben unterscheiden. Für wenig plausibel erachte ich den Gedankengang Engelbergs zur Notwen‐ digkeit einer kausalen Relation zwischen Geräusch und Bewegung, der bereits bei Maienborn (1994) und Goldberg (1995) behauptet wird. Engelberg (2009: 83) führt hierzu aus: „Insofern ist es nicht möglich zu sagen er pfeift in den Raum (in der Bedeutung ‚er kommt pfeifend in den Raum‘), da Geräusch und Bewegung nicht ursächlich verknüpft sind“. Meines Erachtens ist es weniger die fehlende kausale Relation zwischen Geräuschemission und Bewegung als vielmehr die Blockade durch die Nähe zum fiktiven Bewegungsereignis, das der Hörende als solches interpretieren könnte (‚er steht in der Tür und pfeift gewissermaßen die Töne in den Raum‘). Zudem liegen mit Talmy (2000, 2017) eine Reihe an weiteren Relationen vor, wie in den Abschnitten 2.3.4 sowie 5.3.3 der vorliegenden Arbeit dargelegt wird. In einer nächsten Teilstudie untersucht Engelberg die Kookurrenzprofile der Verben aus Teilstudie I. Im Fokus stehen hierbei direktionale Präpositionen sowie Adverbien. Engelberg zeigt zum einen, dass die untersuchten Verben vor allem mit solchen Präpositionen erscheinen, die P ATH kodieren, wie etwa durch, entlang oder über. Zum anderen weisen seine Ergebnisse darauf hin, dass die Gebrauchsfrequenzen „zumindest zum Teil den Charakter einer idiosynkra‐ tischen lexikalischen Präferenz“ haben (Engelberg 2009: 87). Durch die zweite Erhebung, die Engelberg im Rahmen seiner Studie durch‐ führt, kann er die Musterbildung bei der Füllung der Argumentstrukturen am Beispiel des Verbs knattern nachzeichnen. Als Ergebnis hält er fest, dass etwa 90 Prozent der erhobenen Belege fünf dominanten Kernmustern zuzuordnen sind. Etwa zehn Prozent der Belege fallen nicht in diesen von Engelberg angesetzten Kernbereich, sondern sind in der Peripherie zu verorten und 148 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="149"?> zeigten somit das kreative Potential im Sprachgebrauch. Engelberg versucht sich hinsichtlich der Frage einer konstruktionsgrammatischen Modellierung zu positionieren: Das soll allerdings nicht suggerieren, dass hier ein kompositioneller Bedeutungs‐ aufbau in Frage gestellt wird. Das Muster selbst reflektiert eine solche Kompositio‐ nalität im Bereich der Sättigung von Argumentstellen durchaus. Es wird hier lediglich vermutet, dass konkrete semantische Verarbeitungsprozesse weniger oder nicht nur kompositionell erfolgen, sondern auch in analogischer Weise an präfabrizierten Mustern orientiert sind. (Engelberg 2009: 93) Goschler (2011) bezieht sich in der Konzeption und Argumentation direkt auf den Aufsatz von Engelberg (2009). Sie nutzt ebenfalls quantitative Korpusdaten zur Untersuchung der sogenannten Geräusch-als-Bewegungsverben. Zwei Fragestellungen möchte Goschler (2009) beantworten: Zunächst soll erörtert werden, ob es sich bei Geräuschverben mit direktionaler Erweiterung um eine Konstruktion im Goldberg’schen Sinne handelt, die Bedeutung also nicht kom‐ positionell entsteht. Außerdem wird auf Basis der Korpusdaten diskutiert, ob die Konstruktion als Instanz der intransitiven Bewegungskonstruktion angesehen werden oder eine neue Konstruktion angesetzt werden sollte (vgl. Goschler 2009: 28). Dass es sich in den diskutierten Belegen um eine Konstruktion handle, begründet Goschler (2011) durch ein Ausschlussverfahren in Bezug auf die Kompositionalität der Belege. Sie führt zunächst Beispiele an, in denen nicht zwingend eine Bewegungslesart evoziert wird, obwohl das Subjekt darauf hindeutet, wie in (107), oder aber Direktionale gebraucht werden, ohne dass eine Bewegungslesart evoziert wird, wie in (108). (107) Die Motorboote knattern und rattern, das schwere Hausboot liegt in stiller Bucht (o.A., Berlin auf dem Wasser, in: Berliner Hausfrau 37 [1923/ 24] Nr. 1264, S.-2) (aus Goschler 2011: 30, eigene Hervorhebung) (108) Vom Neckar herauf klapperten stetig die Mühlen (Kolbenheyer, E. G., Das Gestirn des Paracelsus, o.-O. [1921], S.-332) (aus Goschler 2011: 30, eigene Hervorhebung) Um ihre zweite Fragestellung zu beantworten, nutzt Goschler (2011) eine se‐ mantische Klassifikation in telische und atelische Direktionale. Unter die Klasse der telischen Direktionale fasst sie die Präpositionen nach, in, zu sowie Partikeln wie hinein. Zu den atelischen Direktionalen zählt sie P ATH -kodierende Präposi‐ tionen und Partikeln wie entlang oder durch. Sie vergleicht nun die Vorkommen des Verbs fahren mit telischen bzw. atelischen Direktionalen, indem sie die 4.3 Das Deutsche 149 <?page no="150"?> entsprechende Verteilung von Geräusch-als-Bewegungsverben kontrastiert. Es zeigt sich, dass fahren eine telische Erweiterung präferiert und der Unterschied zu Geräusch-als-Bewegungsverben statistisch signifikant ist. In einem nächsten Schritt nutzt sie Verben zur Kontrastierung, die MAN N E R kodieren; also die Art und Weise der Bewegung versprachlichen (sausen, stolzieren usw.). Die Ergebnisse zeigen nun keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen auf. Dies spricht laut Goschler (2011) gegen eine eigenständige Konstruktion der Geräusch-als-Bewegungsverben mit direktionaler Erweiterung. Durch das Verfahren der Kollexemanalyse, bei der Präferenzen bzw. Dispräferenzen für eine gemeinsames Auftreten zweier Lexeme berechnet wird, zeigt Goschler, dass es durchaus (idiosynkratische) Gebrauchspräferenzen zwischen Verben und direktionalen Erweiterungen gibt. Sowohl Engelberg (2009) als auch Welke (2009) sowie Goschler (2011) halten an einer semantischen Klassifikation von Verben fest und nehmen diese als Aus‐ gangspunkt für eine Debatte um mögliche valenz- oder konstruktionsgrammati‐ sche Modellierungen. Eventuell ist die Prämisse der Studien jedoch schief. Wenn wir dem grundsätzlichen Einwand Rohdes (2001) folgen, so stellt sich nicht die Frage, wie Geräuschverben zu Bewegungsverben werden. Vielmehr müsste die Frage dann lauten, welche Lexeme regelmäßig in Bewegungskonstruktionen verwendet werden. Da sowohl die Bewegung als auch die Geräuschemission gleichermaßen zur komplexen Szene gehören, hat der Sprecher die Möglichkeit, die Szene sprachlich durch das eine oder das andere sprachliche Symbol zu perspektivieren (zu Perspektivierung siehe Kapitel 3.3.2 dieser Arbeit). 4.3.2 Modalverben und Kopulaverben In diesem Abschnitt soll der Forschungsstand zu Belegen wie (109) und (110) diskutiert werden. (109) Ich muß nach Hause (gehen) (aus Ágel 1991: 25) (110) Er wollte in den Nachtdienst (aus Welke 1971: 291) Während Ágel (1991) Modalverben mit direktionaler Erweiterung in den Be‐ reich der grammatikalischen Valenz verschiebt und sich in seinem Aufsatz zu lexikalischen Ellipsen somit nicht näher mit dem Phänomen befassen muss, scheint die Angelegenheit für Welke (1971) in Das System der Modalverben im Deutschen wenig komplex: Es treten irgendwelche Richtungsangaben auf, durch die für den Hörer hinlänglich determiniert ist, daß es sich um die Signalisierung irgendeiner Fortbewegung handeln 150 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="151"?> muß […]. In allen diesen Fällen bleibt die Konstruktion mit dem Infinitiv im Hinter‐ grund. Sie ist die Grundlage, auf der diese Ellipsen zu verstehen sind. (Welke 1971: 291) Sowohl für Ágel (1991) als auch für Welke (1971) scheint es außer Frage zu stehen, dass es sich in den Belegen (109) und (110) um Ellipsen handelt. Als Kern einer Ellipse macht Ágel (1991: 28) den Umstand aus, dass zwischen vollständiger und reduzierter Form Synonymie herrscht. Er bezieht sich hierbei auf die Definition Helbigs von 1971. Bereits in Kapitel 3.4 ist das Problem der Synonymie diskutiert worden. An dieser Stelle soll anhand der Belege aufgezeigt werden, worin die Probleme des Ansatzes liegen, für Modalverben mit direktionaler Erweiterung Ellipsen zu postulieren. Zunächst ist es eine interessante Beobachtung, dass Ágel (1991) seinen (vermeintlich elliptischen) Beleg mit einer Klammer versieht, in der der (feh‐ lende? / inferierte? / wahrscheinlichste? ) Infinitiv steht, in Beleg (109) aus Ágel (1991: 25) ist das der Infinitiv des Verbs gehen. Welke (1971) ist hier vager; er spricht von einer „Signalisierung irgendeiner Fortbewegung“ (Welke 1971: 291). Damit liegt der Kern des Problems auf dem Tisch: Es kann keine „völlige Bedeutungsgleichheit“ (Helbig 1971: 276) vorliegen, solange nicht klar ist, welcher Infinitiv durch den Hörer inferiert werden soll. (111) Ich muss nach Hause (gehen/ laufen/ fahren/ radeln/ hetzen/ galoppieren/ …) (112) Er wollte in den Nachtdienst (schlurfen/ stolpern/ wanken/ segeln/ eilen/ …) Wahrscheinlicher ist es an dieser Stelle davon auszugehen, dass der Sprecher keine Absicht hatte, etwas über die Art und Weise der Fortbewegung aus‐ zusagen, sondern lediglich die Modalität zum Ausdruck bringen wollte. Es dürfte nicht von ungefähr kommen, dass Ágel (1991) das Verb gehen angesetzt hat, ist es doch von allen Bewegungsverben des Deutschen das semantisch vagste, ein sogenanntes Passepartout-Verb. Fraglich bleibt zudem, wie es zur diachronen Beobachtung des Englischen passt, dass die Konstruktion einen Wandel hinsichtlich der Akzeptabilität unternommen hat. Zudem ist es auch in anderen S-framed Sprachen wie dem Schwedischen möglich, Modalverben mit direktionaler Erweiterung ohne Infinitiv zu gebrauchen, wie die Studien von Olofsson (2014, 2016, 2017, 2018, 2019) gezeigt haben (vgl. Abschnitt 4.1 dieser Arbeit). Nur wenige Studien scheinen sich systematisch mit Bewegungskonstrukti‐ onen auseinanderzusetzen, die Kopulaverben im Verbslot aufweisen. Eine dieser Studien liegt mit Berthele (2007) vor. Ausgangspunkt seiner Untersuchung sind solche Belege wie unter (113) und (114) aufgeführt, die er aus varietätenlingu‐ 4.3 Das Deutsche 151 <?page no="152"?> istischer Perspektive thematisiert. Für ihn handelt es sich um eine dialektale Konstruktion alemannischer Varietäten. (113) Er ist auf den Baum. (Berthele 2007: 229) (114) Sie ist ins Haus. (Berthele 2007: 229) Allerdings ist die Treffermenge seiner Korpusstudie zur Konstruktion sein + hinauf in allen geschriebenen Korpora des COSMAS II mit sechs Belegen überschaubar. Berthele nutzt einen konstruktionsgrammatischen Zugang, um die Belege zu beschreiben. Als Argument nennt er den Vorteil, auf den problematischen Begriff der Ellipse verzichten zu können. Als weiteren möglichen Vorteil sieht Berthele (2007) den postulierten Netzwerkcharakter, durch den Konstruktionen im Konstruktikon in Beziehung stehen. Somit, so Berthele, ließen sich weitere Belege, die eine Bewegung ohne jedes Bewegungsverb versprachlichen, syste‐ matisch erfassen. Als Bedingungen, in welchen Fällen eine Bewegungslesart evoziert wird, formuliert Berthele (2007: 247) folgende vier Aussagen: (a) wenn sie entweder direkt selber die Bewegung spezifizieren: d. h. alle Bewegungsverben i.e.S., wo das Figur-Konzept der Konstruktion mit der Figur des Bewegungsverbs problemlos fusionieren kann, (b) wenn sie ein - z. B. auch akustisches - Co-Ereignis der Bewegung angeben: z. B. in die Gänse schnattern aus dem Gehege, wo also das Agens des (hier akustischen) Co-Ereignis-Verbs mit der Figur der Konstruktion fusioniert, (c) wenn sie „modale Rahmenbedingungen“ der Bewegung ausdrücken: z. B. er darf jetzt wieder aus dem Bett, wo die Figur mit dem Dürfenden, Wollenden etc. fusioniert, (d) wenn sie semantisch so leicht sind, dass sie nur noch maximal schemati‐ sche Konzepte wie ZUORDNEN oder zumindest PROZESS […] denotieren: er ist auf den Baum. (Berthele 2007: 247) In Berthele (2004a) werden nun keine Korpusdaten, sondern Elizitationsdaten herangezogen, um die Frage zu beantworten, wie sich Varietäten des Deutschen hinsichtlich ihrer Bewegungskonstruktionen verhalten. Verglichen werden Sprecher des Standarddeutschen, des Französischen sowie einer Schweizer Mundart, dem Muotathal Dialekt. Genutzt wird hierzu die sogenannte Frog Story von Mayer (1969), die auch von Slobin (2004) zur Elizitation genutzt wird. Die Belege (115)-(117) stammen aus den Elizitationsexperimenten Bertheles (2004: 112). 152 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="153"?> (115) der Hund isch em Hirsch nache - der Hund ist ART+DAT Hirsch nach - ‘Der Hund folgt dem Hirsch’ (116) der bueb wott ufe baum ufe - der Junge will auf+ART Baum hoch - ‘Der Junge will auf den Baum hoch’ (117) de frosch ussem glas - der Frosch aus+DAT Glas - ‘Der Frosch [ist/ ging] aus dem Glas’ Die Ergebnisse, in welchem Umfang Sprecher jeweils Konstruktionen ohne Bewegungsverb nutzen, um Bewegung zu versprachlichen, divergiert in hohem Maße: Sprecher des Muotathal Dialekts nutzen solche Konstruktionen in 19 Pro‐ zent aller Äußerungen, Sprecher des Standarddeutschen hingegen überhaupt nicht. 4.3.3 Weitere Lexeme De Knop (2020) untersucht Subkategorien der Transitivkonstruktion für eine sprachdidaktische Perspektivierung. Sie greift in ihrem Aufsatz Konstruktionen auf, die bereits in Maienborn (1994) beschrieben sind, dann aber im Forschungs‐ diskurs nicht weiterverfolgt worden sind. Die Belege (118)-(120) aus De Knop (2020: Absatz 46), die ohne prototypische Bewegungsverben auskommen, werden zu einer „Familie“ verwandter Konstruktionen gebündelt, wobei der Unterschied zwischen den Konstruktionen von De Knop betont wird. Sie unterscheidet zwischen kausalen und kausativen Konstruktionen. (118) Maria befiehlt das Kind ins Bett. (119) Maria brüllt ihren Hund auf den Berg. (120) Sie mogeln ihren Freund ins Theater. Nach De Knop sollten die Belege (118) und (119) zu den kausalen Bewegungs‐ konstruktionen (caused motion construction) gezählt werden, denn sie folgten der Semantik ‚X causes Y to move to Z‘. In Beleg (120) handle es sich hingegen um eine kausative Konstruktion (causative motion construction) des Typs ‚X moves Y to Z‘. Verblose Bewegungkonstruktionen wie Ab ins Bett! werden von De Knop zu den kausalen Bewegungskonstruktionen gezählt. De Knop führt keine eigene Evidenz an, sondern nutzt die Ausführungen Maienborns, um sie für eine Didaktisierung im Bereich DaF fruchtbar zu machen. 4.3 Das Deutsche 153 <?page no="154"?> In zwei Pilotstudien zu dieser Dissertation wurde ebenfalls untersucht, welche Verben im Verbslot von welchen faktiven Bewegungskonstruktionen des Deutschen verwendet werden. In Faaß & Guse (2019) wurden korpuslin‐ guistische Verfahren erprobt, um Bewegungskonstruktionen in Korpora iden‐ tifizieren zu können. Es wird gezeigt, dass weitere Bewegungskonstruktionen vorliegen, die bislang vom Diskurs nicht zur Kenntnis genommen wurden. Dazu zählen beispielsweise Vergleichskonstruktionen der Art Sie wuseln wie die Ameisen. In Guse (2018) wurden zwei Fragestellungen formuliert: Wie produktiv sind faktive Bewegungskonstruktionen des Deutschen und welche zusätzlichen Frames werden in faktiven Bewegungskonstruktionen evoziert? Um die Frage‐ stellungen zu beantworten, wurde das Korpus DWDS Blogs genutzt. 1.300 Belege wurden gesichtet, 808 aus diesen konnten für die Auswertung berücksichtigt werden. Die Auswertung der Verben erfolgte manuell. Grundlage der Kodierung ist FrameNet sowie die Verbklassifikation nach Hentschel & Weydt (2012). Neben dem erwartbaren self_motion frame sind 59 weitere Frames in faktiven Bewegungskonstruktionen identifiziert worden. Einen Ausschnitt aus den Er‐ gebnissen der Frameanalyse zeigt Abbildung 17. Abbildung 17. Token/ Frame-Distribution aus Guse (2018). Um zu ermitteln, wie sich die einzelnen Frames hinsichtlich der genutzten Verben verhalten, wurde zusätzlich die Type/ Frame-Distribution ermittelt (siehe Abbildung 18). 154 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="155"?> Abbildung 18. Type/ Frame-Distribution aus Guse (2018). Zur Bestimmung der Produktivität wurde die Type/ Token-Ratio (TTR) heran‐ gezogen. T T R = T ypes T okens Hierbei werden die Tokens durch die Types per Frame dividiert: je höher die Ratio, desto höher die Produktivität. Der Frame make_noise hat eine TTR von 1. Das bedeutet, auf zehn Tokens entfallen zehn unterschiedliche Types. Soge‐ nannte Geräuschverben sind somit innerhalb der Korpusbelege, die untersucht wurden, eine hochgeradig produktive Verbklasse. Am unteren Ende der Skala findet sich beispielsweise der desiring frame mit einer TTR von lediglich 0,062, da der überwiegende Teil der Tokens auf das Verb wollen zurückzuführen sind. Frame TTR Beispielbeleg make_noise 1 Die Menschen husten sich über die Straße. motion_directional 0,783 Ich klettere siebenundsechszig Stufen zur Burg hinauf. motion 0,615 Aus den Nebenstraßen rutschen Fahrzeuge quer über die Straße. experiencer_focus 0,466 Ohne zu schauen haste ich über die Straße. activity_start 0,392 Beide machten sich auf den Weg nach Hause. cause_motion 0,333 Stieß ihn mit einer Tablette fort, keuchte ihn wie Hoch‐ schwangere aus dem Zimmer, […] cotheme 0,294 Mein nach Hauseweg führte mich letztendlich dann über tolle Orte. 4.3 Das Deutsche 155 <?page no="156"?> Frame TTR Beispielbeleg taking 0,25 Also rissen sie mich vom OP-Tisch und nahmen mich mit nach Hause. self_motion 0,213 Ich spiele derzeit meinen Hexer weiter hoch, queste lustig durch die gegend permitting 0,153 Wir dürfen sogar ins Haus und duschen. arriving 0,108 Sie kam zu mir ins Zimmer und nahm mich in den Arm. operate_vehicle 0,076 Gestern fahre ich mit dem Auto von der Arbeit nach Hause. desiring 0,062 Der Junge wollte nicht ins Bett, sondern weiter dabei sein. Tabelle 13. TTR ausgewählter Frames aus Guse (2018). Diese Korpusstudie weist bereits deutlich darauf hin, dass weitaus mehr Lexeme im Verbslot von Bewegungskonstruktionen des Deutschen genutzt werden als in der Literatur diskutiert. Dazu gehören u. a. die genutzten Lexeme aus Tabelle 13 wie (sich) husten für den make_noise frame, (jmdn. aus etw.) keuchen für den cause_motion frame oder questen für den self_motion frame. Allerdings nutzt die Korpusstudie ein mit dem Korpus DWDS Blogs ein spezielles Korpus und fokussiert zudem lediglich faktive Bewegungsereignisse. 4.3.4 Reflexive Bewegungskonstruktionen In einer Studie zu Präfix- und Partikelverben des Deutschen untersucht Dewell (2011) den Gebrauch reflexiver Bewegungskonstruktionen. Er unterscheidet zu‐ nächst zwischen Verben, die ohnehin transitiv sind, wie z. B. durchschieben / sich durchschieben und Verben, die erst in einer Bewegungskonstruktion ein Refle‐ xivpronomen erhalten (Dewell 2011: 107). Zur Illustration des Unterschieds führt er unter anderem die Belege (121)-(123) an. (121) Der Londoner Taxifahrer Phil hat alle Hände voll zu tun, um seine Familie und sich durchzubringen. (122) Ein Gauner, der sich versucht immer irgendwo wie eine Schlange durchzu‐ winden. (123) Die deutschen Soldaten kämpfen sich von Sieg zu Sieg durch. Beleg (121) steht in diesem Zusammenhang für ein Verb, das ohnehin tran‐ sitiv ist und sich somit unproblematisch in die Reihe der KB einfüge. Nun 156 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="157"?> wird die weitere Argumentation von Dewell (2011) diffus, denn es fehlt eine Beschreibung der Belege (122) und (123). Klar sei, so Dewell (2011: 108), dass das Reflexivpronomen nicht das direkte Objekt des Verbs sein könne, sondern vielmehr die F I G U R E der Bewegung darstelle. Die Frage, welche Lexeme im Verbslot von reflexiven Bewegungskonstruktionen gebraucht werden (können), beantwortet er folgendermaßen: „[…] and nearly any base verb can be used in the construction if it can be conceived as a manner of going foreward.“ (Dewell 2011: 108). Die Erklärung klingt zunächst einleuchtend: There is a natural transition from the basically spatial sequence […] to more abstract sequences such as a series of informational items to be inspected or searched, or a series of obstacles or control points to be passed, or difficult reading material that needs to be worked through. (Dewell 2011: 109) Allerdings bleiben entscheidende Aspekte vage: Was unter dem Ausdruck natural transition zu verstehen? Zudem bietet die Studie von Dewell (2011) keine quantitativen Angaben. Zwar werden sowohl Referenzkorpora als auch Google als Korpora verwendet, es werden jedoch keine Angaben über Frequenzen ge‐ macht, die Rückschlüsse auf Analogiebildung und Exemplarität bieten würden. 4.4 Zusammenfassung Erneut ausgehend von einer typologischen Perspektive auf die Versprachli‐ chung von Bewegungsereignissen sind Studien zu Bewegungskonstruktionen des Schwedischen sowie des Englischen diskutiert worden. Beide Sprachen zählen, wie das Deutsche auch, zu den S-framed Sprachen, sodass eine Kon‐ trastierung zu Versprachlichungsmustern des Deutschen lohnend ist. Mit den Studien von Olofsson liegen konstruktionsgrammatische Arbeiten zu Bewe‐ gungskonstruktionen des Schwedischen vor, die die (unerwartete) Variabilität von Lexemen des Verbslots zeigen. Auch im Englischen zeigt sich eine gewisse Variabilität hinsichtlich des Verbslots, allerdings scheint diese im Vergleich zum Schwedischen weniger hoch zu sein. S-framed Sprachen scheinen somit unterschiedlich großzügig zu sein, was das zulässige Maß an Kreativität betrifft. Darauf weisen auch die Studien von Berthele (2004a) hin, die diatopische Ge‐ brauchsunterschiede fokussieren. Für das Deutsche sind Studien zur Klasse der sogenannten Geräuschverben angeführt worden. Andere Lexeme im Verbslot von Bewegungskonstruktionen, wie Modalverben, Kopulaverben oder eine Nullbesetzung sind bislang nicht systematisch, d. h. in einer größeren quantita‐ 4.4 Zusammenfassung 157 <?page no="158"?> tiven Studie, untersucht worden. Somit ergibt sich an dieser Stelle ein deutlich umrissenes Desiderat, das durch die Studien von Guse (2018) sowie Guse & Faaß (2018) bislang nur explorativ untersucht wurde. Die im Theorieteil dieser Arbeit angeführten Studien gehen von homogenen, semantisch motivierten Verbklassen aus (Geräuschverben, Modalverben, Geruchsverben usw.). Es ist fraglich, ob eine Klassifikation von Verben in dieser Art zielführend sein kann. Die Frage besteht darin, ob es tatsächlich scharf umrissene Verbklassen sind, die gänzlich in Bewegungskonstruktionen erscheinen, oder ob die Gebrauchsprä‐ ferenzen idiosynkratischer Natur sind. Engelberg (2009) zufolge deute einiges auf verbklassenspezifische Tendenzen hin. Dies ist eine Frage, die empirisch zu beantworten sein wird und einen Schwerpunkt der vorliegenden Dissertation bildet. Unterschiedliche Autor/ -innen haben Aussagen darüber getroffen, wie die Relation zwischen dem Lexem im Verbslot von Bewegungskonstruktionen und dem versprachlichten Bewegungsereignis beschaffen sein muss, damit eine Coercion möglich ist. Dass verschiedene S-framed Sprachen unterschiedlich restriktiv bzw. tolerant sind, weist m. E. darauf hin, die an dieser Stelle formu‐ lierten Postulate als Gebrauchspräferenzen von Einzelsprachen zu betrachten und die Beobachtungen nicht zu einer Regel absolutieren zu können. Die Studien Olofssons zu Bewegungskonstruktionen beziehen sich explizit auf die Talmy’sche STLP und adaptieren die dort getroffenen Vorschläge für das Schwedische. So ergänzt Olofsson die Liste an postulierten Co-Events für die schwedische Sprache. Die deutschsprachige Literatur bezieht sich teilweise auf die STLP, greift die vorgeschlagenen Relationen jedoch an keiner Stelle auf, um sie einer Prüfung für das Deutsche zu unterziehen. So bleiben die von Maienborn (1994), Berthele (2008) sowie Engelberg (2011) postulierten Beschränkungen zur Coercion vergleichsweise vage. Vorgeschlagen werden eine kausale Relation zwischen der „Grundbedeutung“ des Lexems und der Bewegungskonstruktion sowie bei Berthele (2008) eine modale Relation, die in Talmy (2000; 2017) nicht aufgeführt ist, vermutlich, da sie im heutigen Englisch nicht über Normstatus verfügt. Der Begriff Grundbedeutung ist in Anführungszeichen gesetzt, da m. E. einige Schwierigkeiten mit diesem Begriff einhergehen. Verben sind notorisch polysem; welcher Gebrauch sollte also der Default sein? Wenn sich diese Frage nicht operationalisieren lässt, fällt die Frage nach der Relation zwischen Grundbedeutung und Bewegungskonstruktion allerdings in sich zusammen. Um dieses Problem zu umgehen, nutze ich das Prinzip der Framesemantik und frage danach, welche Frames im konkreten Beleg der konkreten Bewegungs‐ konstruktion evoziert werden. 158 4 Forschungsstand: Lexeme des Verbslots von Bewegungskonstruktionen <?page no="159"?> Was die Frage nach einer adäquaten theoretischen Modellierung betrifft, lässt sich aus den bisherigen Befunden ableiten, dass ein konstruktionsbasierter An‐ satz zur Analyse der Phänomene zu favorisieren ist. Die Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen: Rohde (2001) für das Englische sowie Goschler (2011) für das Deutsche zeigen unter Berücksichtigung quantitativer Korpusdaten, dass sich die Lesart als Bewegungskonstruktion nicht auf einzelne sprachliche Elemente reduzieren lässt. Weder kann die Bedeutung der Bewegungskonstruk‐ tion eindeutig auf Kasusmarkierungen noch auf ein bestimmtes Subjekt oder Adverbial zurückgeführt werden. Vielmehr scheint die Gestalt der Konstruktion als Bedeutungs-Form-Paar zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen relevant zu sein (vgl. auch Kapitel 2.4.3 dieser Dissertation). Bewegungskonstruktionen, die Modalverben ohne weiteren Infinitiv auf‐ weisen, wurden und werden von unterschiedlichen Autor-/ innen als Ellipsen ausgewiesen (vgl. u. a. Welke 1971; Ágel 1991; van Riemsdijk 2002 für einen ge‐ nerativen Aufschlag). Es konnte gezeigt werden, dass eine solche Modellierung wenig sinnvoll ist. Berthele (2008) reiht diese modalen Bewegungskonstrukti‐ onen sowie Bewegungskonstruktionen mit Kopulaverben in die Systematik der faktiven Bewegungskonstruktionen ein, in dem er auf Talmys STLP zurück‐ greift und von einem varietätenlinguistischen Standpunkt aus argumentiert. An dieser Stelle vermag also eine sprachgebrauchsbasierte Theorie Abhilfe schaffen: So zeigen sich Unterschiede in der Frequenz solcher Konstruktionen über verschiedene Sprachstadien des Englischen hinweg (vgl. Fanego 2017), d. h., der Gebrauch hat hier einen maßgeblichen Einfluss auf den Normstatus von Bewegungskonstruktionen mit Modalverben ohne weiteren Infinitiv. Ein konstruktionsgrammatischer Zugriff bietet zudem den Vorteil, die vorliegenden Bewegungskonstruktionen als ein Netzwerk verwandter Konstruktionen zu modellieren (vgl. Olofsson 2014; De Knop 2020). Es geht hierbei weniger um die Modellierung einer kognitiven Realität als vielmehr um das Aufzeigen von Relationen unterschiedlicher Versprachlichungsstrategien. Mit diesem Ansatz sind intrasowie intersprachliche Vergleiche möglich. 4.4 Zusammenfassung 159 <?page no="161"?> 5 Korpusanalyse I: Bewegungskonstruktionen des Deutschen im DWDS-Kernkorpus (1900-1990) The corpus is fundamental to the enterprise of theorizing language. Until now, linguistics has been like physics before 1600: having little reliable data and no clear sense of the relationship between observation and theory. (Halliday & Matthiessen 2014: 115) In diesem Kapitel wird die erste Korpusanalyse der Arbeit vorgestellt. Die zugrunde liegenden Zielsetzungen sind durch die vorausgehenden Kapitel ab‐ geleitet worden. Es wurde in Kapitel 4 eine Reihe an Studien für das Schwedische sowie das Englische diskutiert, die zur gleichen typologischen Sprachklasse wie das Deutsche gezählt werden: Die Arbeiten von Olofsson (2014, 2016, 2017, 2018, 2019) zeigen, dass Bewegungskonstruktionen in unterschiedlichen Maßen produktiv sind. In Bewegungskonstruktionen wird eine überraschend hohe semantische Vielfalt an Lexemen genutzt. Eine diachrone Perspektive zeichnet Fanego (2012, 2017) zu Bewegungskonstruktionen des Englischen. Ein interessantes Ergebnis Fanegos ist, dass Bewegungskonstruktionen des Englischen hinsichtlich ihrer Produktivität temporale Schwankungen zeigen: Während Geräuschverben in ihrer Frequenz zunehmen, ist der Gebrauch von Modal-als Vollverben vom Old Englisch zum Modern Englisch im Rückgang. Für das Deutsche liegt ebenfalls eine Reihe von Aufsätzen zu Geräuschverben vor, die als sogenannte ad-hoc-Bewegungsverben den Verbslot von Bewegungs‐ konstruktionen besetzen können (u. a. Maienborn 1994, Engelberg 2011, Welke 2011, Goschler 2013). Zudem gibt es einige wenige Untersuchungen zu Modal- und Kopulaverben in Bewegungskonstruktionen, die jeweils die Funktion eines Vollverbs übernehmen können (Berthele 2007, 2008). Weiterhin gibt es vereinzelte Untersuchungen zu verblosen Bewegungskonstruktionen (Berthele 2007, Knop & Mollica 2022). Die bisherigen Ausführungen deuten darauf hin, dass die Literatur Lücken aufweist, wenn es um die Beschreibung von Bewegungskonstruktionen des Deutschen geht. Dies ist insofern erstaunlich, als dass die Versprachlichung von Bewegungsereignissen ein zentrales Feld innerhalb der Linguistik ist. Das <?page no="162"?> Problem liegt m. E. darin, dass die Untersuchungen als „Inseln“ im Raum stehen und eine Einordnung in einen größeren Rahmen fehlt. Sicherlich hat das Vorgehen, sich lediglich mit einer spezifischen Konstruktion auseinander‐ zusetzen, seine Berechtigung, jedoch bleibt so die Frage offen, in welchem Zusammenhang die behandelte Konstruktion mit Nachbarkonstruktionen steht, die im Sprachgebrauch eine ähnliche Funktion erfüllen können. Ein Kritikpunkt an konstruktionsgrammatischen Untersuchungen lautet, dass sich diese zu sehr auf „randständige“ Phänomene konzentrierten und dabei den Bereich der Sprache vernachlässigen, der sich durch regelbasierte Ansätze beschreiben lasse. Das wissenschaftshistorische Pendel sei somit zu weit in die der Generativen Grammatik entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen darüber das eigentliche Ziel aus den Augen verloren (vgl. auch Kapitel 3.2). Im Grund‐ satz möchte ich dieser Kritik widersprechen. Die in der vorliegenden Arbeit angeführten Arbeiten gebrauchsbasierter Linguistik analysieren sehr frequente sprachliche Phänomene und thematisieren grundlegende Fragen des Zusam‐ menhangs zwischen der menschlichen Sprachfähigkeit und anderen kognitiven Modulen. Allerdings kann das wiederholte Zitieren prototypischer Beispiele, wie etwa „Pat sneezed the napkin off the table“ usw., zum Eindruck führen, dass sich die konstruktionsgrammatische Forschung auf marginal vorkommende Strukturen beschränke. Um dem Einwand der Überbewertung randständiger Phänomene Rechnung zu tragen und um die bisherigen, isoliert betrachteten Bewegungskonstruktionen des Deutschen in einen größeren Zusammenhang zu betten, ist die erste Korpusstudie dieser Arbeit konzipiert worden. Die Fragestellungen dieser ersten Korpusstudie lauten wie folgt: 1. Welche Bewegungskonstruktionen weist das Deutsche auf ? 2. Welche Lexeme werden im Verbslot der identifizierten Bewegungskonst‐ ruktionen verwendet? 5.1 Methodisches Vorgehen In diesem Unterkapitel werden das methodische Vorgehen und die Operationa‐ lisierung der Fragestellung vorgestellt. Zunächst werde ich die Wahl des Korpus begründen und das Korpus als solches vorstellen. Es folgt die Erarbeitung der Suchanfragen durch die Bootstrapping-Methode. Anschließend wird das Sample beschrieben und schließlich die Kodierung der Korpusbelege begründet. Dabei wird anhand ausgewählter Belege exemplarisch dargelegt und argumen‐ tativ entfaltet, wie die Kodierentscheidungen für die Daten aus Korpusstudie I getroffen wurden. Ich beginne den methodischen Teil dieser Dissertation 162 5 Korpusanalyse I <?page no="163"?> 34 Für eine Diskussion zum Begriff „Korpus“ und die Zweckbindung an die linguistische Forschung siehe z.-B. Kennedy (2016). mit einigen allgemeinen Hinweisen zur Einordnung von Korpusdaten. Die Eigenschaften einer Korpusstudie lassen sich nach Biber et al. (2012: 4) wie folgt zusammenfassen: • Das Vorgehen ist empirisch, denn es werden authentische Texte analysiert, die den Sprachgebrauch von Sprachnutzern wiedergeben. • Das Vorgehen nutzt eine große Menge an zusammengestellten Texten als Grundlage der Analyse. Diese Zusammenstellung nennt man Korpus. • Es wird extensiver Gebrauch von Computern gemacht, wobei sowohl automatisierte als auch manuelle Arbeitsschritte genutzt werden. • Die Bearbeitung der Fragestellung hängt sowohl von quantitativen als auch von qualitativen Analysetechniken ab. Unter einem Korpus versteht man demnach eine in der Regel digitalisierte Sammlung von authentischen Texten, die nach gewissen Kriterien ausgewählt und für die linguistische Forschung aufbereitet wurden (vgl. u. a. Tognini-Bo‐ nelli 2001; Biber et al. 2012; Egbert et al. 2020). 34 Dies sind mehrheitlich Texte geschriebener Sprache; jedoch kommen mehr und mehr Ressourcen gesprochener Sprache hinzu. In den 1950er Jahren begannen Quirk und Twaddell die ersten geschriebenen Texte zu Korpora zusammenzutragen, was mit der Erfindung des Computers zunehmend schneller und automatisierter ablaufen konnte (vgl. Halliday & Matthiessen 2014). Heutige Korpora wie das British National Corpus (BNC) enthalten etwa 100 Millionen Wörter geschriebener und gesprochener Sprache. Für das Deutsche sind es die IDS-Korpora sowie die DWDS Kernkorpora, die die größten Sammlungen an aufbereiteten und abrufbaren Sprachdaten bereitstellen (Korpora — Korpuslinguistik und Morphologie 2021). Doch schon vor Erfindung des PCs arbeiteten Linguist/ -innen u. a. der Prager Schule in den 1930er Jahren mit quantitativen Daten, wie Kennedy (2016) unterstreicht. Heutige digitalisierte Korpora sind diesen jedoch in der Quantität und durch die gewissenhafte Zusammenstellung der Texte auch hinsichtlich der Qualität weit überlegen. Durch die Arbeit mit diesen Korpora lassen sich Einsichten gewinnen, die sich mit anderen Methoden, wie etwa der Introspektion, nicht gewinnen ließen. Doch worin genau liegen die Vorteile einer korpuslinguistischen Arbeit? Um dieser Frage nachzugehen, ist es sinnvoll, zunächst die analytischen Schritte beim Arbeiten mit Korpora nachzuvollziehen. Tabelle 14 ist angelehnt an 5.1 Methodisches Vorgehen 163 <?page no="164"?> Tognini-Bonelli (2001: 3) und bietet einen Vergleich zwischen der Arbeit mit einem Text und mit einem Korpus. Im Gegensatz zu klassischen Textarbeiten werden bei der korpuslinguistischen Arbeit lediglich Textfragmente gelesen. Die Leserichtung ist hierbei vertikal und zeilenorientiert. Im Fokus stehen i. d. R. formale Aspekte der Sprache. Durch den fehlenden Kontext handelt es sich um ein nicht-kohärentes kommunikatives Ereignis, dass sich durch die Addierung einzelner kommunikativer Ereignisse zu einer Sammlung sozialer Praktiken subsumieren lässt. Tognini-Bonelli (2001) zufolge gewährt die korpuslinguisti‐ sche Arbeit durch diese Art der Analyse Einblicke in das, was im Saussure’schen Sinne unter langue verstanden wird. Es ließe sich an dieser Stelle m. E. jedoch auch andersherum argumentieren: Da es sich bei den individuellen Belegen um konkrete Instanzen des Sprachgebrauchs handelt, wird die parole in den Fokus gerückt. Text Korpus Gesamtheitliches Lesen Fragmentarisches Lesen Horizontales Lesen Vertikales Lesen Inhaltsorientiertes Lesen Formorientiertes Lesen Instanz der parole Einblicke in die langue kohärentes kommunikatives Ereignis nicht-kohärentes kommunikatives Ereignis Ausdruck eines individuellen Willens Sammlung sozialer Praktiken Tabelle 14. Analytische Aspekte von Text und Korpus im Vergleich (vgl. Tognini-Bonelli 2001: 3). M. E. liegt der wichtigste Vorteil der Arbeit mit digitalen Korpora in der Authentizität der Sprachdaten begründet. Wie Halliday & Matthiessen (2014: 115) konstatieren ist das, was Sprachnutzer sagen, nicht das, was sie zu sagen meinen. Und was sie sagen ist darüber hinaus vermutlich auch nicht dasselbe, was sie glauben sagen zu sollen. Diese Diskrepanz umgehen Korpora. Denn sie bilden - auf eine ganz bestimmte Art und Weise - das ab, was Sprach‐ nutzer tatsächlich äußern. Hieraus ergibt sich ein zweiter zentraler Vorteil: Durch die Auswahl der Texte lassen sich Korpora für bestimmte Zwecke konstruieren. Es ist möglich, eine Varietät oder ein sprachliches Register hinsichtlich einer definierten Eigenschaft zu untersuchen, indem man viele Daten derjenigen Sprachnutzer vergleicht, von denen man annimmt, dass sie diese Varietät benutzen. Dies führt zum dritten Vorteil von Korpusanalysen: 164 5 Korpusanalyse I <?page no="165"?> Man hat die Möglichkeit, quantitative Daten zu nutzen, um linguistischen Fra‐ gestellungen nachzugehen. Basierend auf diesen quantitativen Daten lassen sich unterschiedliche Schlüsse ziehen. So beruhen maschinelle Übersetzungstools auf statistischen Modellen, die aus großen Mengen an Sprachdaten extrahiert wurden. Linguistik wird somit zu einer Wissenschaft, die mit mathematischen Modellen und Wahrscheinlichkeiten argumentiert. Sie rückt damit näher an eine naturwissenschaftliche Disziplin heran. Halliday & Matthiessen (2014: 115-116) identifizieren hier eine Schwachstelle der jüngeren Entwicklungen. Für sie liegt eine Gefahr darin, mathematische Operationen zu überschätzen und die theo‐ retische Einbettung zu vernachlässigen. Nach meiner Einschätzung zeigen sich stellenweise durchaus Tendenzen zur Spezialisierung in „reine Datensammler“ (Halliday & Matthiessen 2014) auf der einen Seite des wissenschaftlichen Feldes und in Theoretiker auf der anderen Seite. Jedoch lässt sich auch eine Reihe an Wissenschaftler/ -innen aufzählen, die beide Ansätze zu fruchtbaren Arbeiten kombinieren oder in arbeitsteiligen Arbeitsgruppen organisiert sind, um Empirie und Theorie zusammenzuführen. Als gutes Beispiel hierfür ziehen Egbert et al. (2020: 60) die gebrauchsbasierte Linguistik heran, zu der auch die vorliegende Arbeit gezählt werden kann. In den bisherigen Ausführungen ist davon ausgegangen worden, dass es sich bei der Arbeit mit Sprachkorpora um eine linguistische Methode handelt. Diese Ansicht ist jedoch umstritten, denn es gibt eine Reihe von Wissen‐ schaftler/ -innen, die die Korpuslinguistik als linguistische Theorie behandeln (vgl. u. a. Tognini-Bonelli 2001). Diese Unterscheidung steht in Zusammenhang mit dem Status, der den Korpusdaten eingeräumt wird, und dem Weg, wie diese Daten aufbereitet werden. Hier sind zwei Wege gangbar, die u. a. in Dipper (2008) sowie Gilquin (2010) gegenübergestellt werden: Der bottom-up-Ansatz der Korpuslinguistik räumt theoretischen Axiomen minimalen Platz ein. Der Weg der Erkenntnis führt von den erhobenen Korpusdaten hin zu einer Theo‐ retisierung. Dieses Vorgehen wird auch als corpus driven bezeichnet. Eine Alternative hierzu ist ein top-down-Ansatz, bei dem eine aus der Theorie abgeleitete These durch eine korpuslinguistische Methode geprüft werden soll. Dieses Vorgehen wird auch als corpus based bzw. corpus tested bezeichnet. Gefunden wird bei diesem Ansatz i. d. R. nur, wonach dezidiert gesucht wurde. Linguist/ -innen nutzen beispielsweise authentische Korpusbelege in ihrer Ar‐ gumentation, statt durch Introspektion gewonnene Beispielsätze anzuführen. Im Extremfall werden allerdings nur genau die Belege angeführt, die die theo‐ retischen Annahmen stützen. Gilquin (2010: 9) zeigt ein solches Vorgehen an einem Aufsatz von Goldberg (1996). Goldberg zieht in ihrer Argumentation zwar authentische Korpusbelege heran, gibt aber keine funktionale Einbettung oder 5.1 Methodisches Vorgehen 165 <?page no="166"?> 35 Für Näheres zur Arbeit von Rohde (2001) siehe Kapitel 4.2 der vorliegenden Arbeit. Hinweise auf die Frequenz der beschriebenen Konstruktion. Dieses Vorgehen hat dann nur noch sehr wenig mit der Idee einer korpusbasierten Arbeit gemein und ähnelt hinsichtlich der Repräsentativität eher introspektiven Verfahren. Diese Überlegung führt zu weiteren Vor- und Nachteilen der bottom-up- und top-down-Ansätze. Ein Einwand gegen einen reinen bottom-up-Ansatz wurde bereits mit der Kritik von Halliday & Matthiessen (2014) angeführt. Dass es nicht zielführend sein kann, mehr oder weniger komplexe statistische Methoden zu nutzen, um große Datenmengen zu beschreiben, ohne die Ergebnisse in einen linguistischen Rahmen samt sinnhafter Fragestellung einzubetten, stellen auch Biber et al. (2012: 5) heraus: „The goal of corpus-based investigations is not simply to report quantitative findings, but to explore the importance of these findings for learning about the patterns of language use“. Funktionale Interpretationen quantitativer Daten zu bieten, sei hierbei die zentrale Aufgabe von Linguisten. Überkomplexe statistische Verfahren bergen zudem laut Egbert et al. (2020: 47) die Gefahr, die gewonnen Daten nicht mehr hinsichtlich der linguistischen Fragestellung interpretieren zu können und gewissermaßen zu weit von Sprache und ihrer sozialen Funktion zu abstrahieren. Ziel müsse es sein, die Statistik auf das absolute Minimum zu beschränken, das für die Fragestellung notwendig sei: „ […], linguistics is done by linguists, not by computers“ (Egbert et al. 2020: 59). Ein Vorteil des bottom-up-Ansatzes ist jedoch, dass beispielsweise Korrela‐ tionen zwischen lexikalischen Elementen und grammatikalischen Strukturen durch andere Methoden keine Beachtung gefunden hätten, da starke theo‐ retische Vorannahmen den Blick auf bestimmte Phänomene verengen bzw. für bestimmte Strukturen trüben können. Ein positives Beispiel für einen gelungenen bottom-up-Ansatz ist die Dissertation von Rohde (2001) zu Bewe‐ gungskonstruktionen des Englischen (vgl. Kapitel 4.1). Rohde nutzt korpuslin‐ guistische Verfahren, um die Rolle der Präposition in Bewegungskonstruktionen zu untersuchen. Die Daten ihrer Korpusstudie stehen im Kontrast zu zentralen Annahmen der Konstruktionsgrammatik, die das theoretische Fundament ihrer Arbeit bilden sollten, wie sie selbst feststellt. 35 Solche Widersprüche zu identi‐ fizieren ist ein zentraler Auftrag für Linguist/ -innen, um den Forschungsdiskurs voranzutreiben. Wie passend ein Vorgehen letztlich ist, sei es eher bottom-up oder top-down orientiert, hängt freilich davon ab, wie gut es zur Fragestellung passt. Eine Fragestellung, die darauf ausgelegt ist, neue Hypothesen zu generieren und ein bislang unbespieltes Feld zu ergründen, kann sicherlich von einem explorativen 166 5 Korpusanalyse I <?page no="167"?> 36 Auch in der Didaktik lassen sich bottom-up-Ansätze nutzen: Sie werden u. a. bereits in der angelsächsischen Sprachdidaktik zugrunde gelegt. Hierbei werden Lernende im L2-Erwerb mit einer Vielzahl von Kollokationen und typischen Wortverbindungen, auch prefabs genannt, konfrontiert. Wie Tognini-Bonelli (2001: 22) herausstellt, bleiben solche Muster für Lehrende häufig im Unbewussten. An dieser Stelle können Korpus‐ daten eine wichtige didaktische Ressource darstellen. Vorgehen profitieren. Eine theoretisch gut fundierte Fragestellung hingegen vermag durch eine Operationalisierung der postulierten Variablen und deren systematischer Testung zu einer neuen Erkenntnis führen. 36 Im Falle der Fragestellung dieser Arbeit wird der Versuch unternommen, ein Wechselspiel zwischen top-down- und bottom-up-Analysen herzustellen, wobei als Ziel ausgegeben wird, dass die Theorie einen Erklärungsrahmen für die Daten bietet, die Daten aber wiederum zu einer Modifizierung der theoretischen Überlegungen beitragen. Gilquin (2010), die für ihre Korpusstudie zu kausativen Konstruktionen ein ähnliches Verfahren vorschlägt, bezeichnet dies als „to-ing and fro-ing between data and theory“ (Gilquin 2010: 10). Wie genau diese Methode funktioniert, wird in den kommenden Unterkapiteln dargelegt werden. Ich beginne mit der Wahl und der Darstellung des Korpus. 5.1.1 Zur Wahl des Korpus: Das DWDS-Kernkorpus (1900-1999) Von entscheidender Bedeutung für die Qualität einer Korpusstudie ist die Pas‐ sung des Korpus zur Fragestellung (vgl. Egbert et al. 2020). Zwei Überlegungen sollten angestellt werden: Repräsentiert das Korpus das zu untersuchende Register bzw. die zu untersuchende Sprachvarietät in angemessener Weise? Um die erste Fragestellung dieser Arbeit zu beantworten, wird ein Korpus benötigt, das ausreichend groß ist und zudem eine gewisse Breite hinsichtlich der vertretenen Register zeigt. Hierfür kommen mindestens zwei Korpora in die nähere Auswahl: Das Deutsche Referenzkorpus (kurz DeReKo) des Instituts für deutsche Sprache (IDS) sowie das DWDS- Kernkorpus (1900-1999). In der Pilotphase der Dissertation haben sich zwei entscheidende Vorteile des DWDS-Kernkorpus (1900-1999) gegenüber dem Referenzkorpus DeReKo des IDS herauskristallisiert: Der erste Vorteil ist technischer Natur. Die Suchanfragensyntax des DWDS ist flexibler, was hinsichtlich der Datenerhebung wichtig wird. Näheres dazu wird in Ab‐ schnitt 5.1.2 erläutert. Der zweite Vorteil betrifft die angesprochene Passung von Fragestellung und Korpus. Das DWDS-Kernkorpus (1900-1999) ist ebenfalls ein Referenzkorpus, das mit dem Ziel erstellt wurde, den gesamten deutschen Wortschatz des 20. Jahrhunderts möglichst repräsentativ abzubilden (Geyken 5.1 Methodisches Vorgehen 167 <?page no="168"?> 37 Eine Darstellung aller Dokumente im DWDS-Kernkorpus (1900-1999) findet sich unter www.dwds.de. 2007). Dadurch, dass Korpora durch die Selektion bei der Zusammenstellung das Ideal einer vollständigen Repräsentation aller Texte des Deutschen nicht erreichen können, legten die Korpuslinguisten des DWDS den Fokus auf die Balanciertheit (Geyken 2007). Im Vergleich zum DeReKo ist das DWDS-Kern‐ korpus balanciert; sowohl was die Register als auch was die Zeitspannen angeht. Die Informationen zur Zusammensetzung des DWDS-Kernkorpus ent‐ stammen primär der Publikation von Geyken (2007) über das DWDS-Kern‐ korpus sowie dem Webauftritt des Projektes. Das Korpus setzt sich aus vier unterschiedlichen Registern zusammen, die jeweils in etwa ein Viertel der Gesamtdokumente ausmachen, wie Tabelle 15 aufschlüsselt. Register Anteil Belletristik 26,35 % Zeitungstexte 27,29 % Wissenschaft 24,59 % Gebrauchsliteratur 21,77 % Tabelle 15. Registerverteilung des DWDS-Kernkorpus (1900-1999). Das Korpus enthält 79.116 Dokumente, die sich in 5.819.573 Sätze gliedern lassen. Die Tokenanzahl beträgt für das Korpus 121.397.601. 37 Die Auswahl der Texte für die Gattung Prosa erfolgte durch das Projektteam der Akademie der Wissenschaften, die für jedes Jahr zwischen 1900 und 1999 drei Werke auswählten. Zwei längere davon sollten der klassischen Literatur zugeordnet werden können. Mitglieder der Akademie der Wissenschaften sowie drei Experten für deutsche Literatur wurden dazu aufgefordert, die Auswahl zu kommentieren. Die ausschlaggebenden Kriterien sollten hierbei die Reichweite, der Einfluss auf die deutsche Sprache und die Popularität der Werke sein. Für die Gattung Lyrik diente beispielsweise die Anthologie Das große deutsche Gedichtbuch von Karl-Otto Conrad (1977) als Referenzpunkt, für die Gattung Drama bot Reclams Schauspielführer (1996) diese Grundlage. Das Register Zeitungstexte setzt sich aus mehr als 50 unterschiedlichen regionalen und überregionalen Zeitungen und Zeitschriften zusammen. Hinzu kommen ausgewählte Artikel historischer Ereignisse, von denen man annimmt, dass sie den Wortschatz des Deutschen in besonderer Weise geprägt haben. Für 168 5 Korpusanalyse I <?page no="169"?> die Zeit des Nationalsozialismus kommen Zeitungen und Zeitschriften aus dem Exil hinzu. Für das Register Wissenschaft wurden über 100 Mitglieder der Akademie für Wissenschaften dazu aufgerufen, für jede Dekade vier Werke auszuwählen, die sie für besonders prägend erachten. Dabei wurden alle wissenschaftlichen Disziplinen gleichermaßen einbezogen. Das Ergebnis der Umfrage bietet die Grundlage der Textauswahl für das Register Wissenschaft. Es wurde darauf geachtet, Publikationen aus West- und Ostdeutschland gleichermaßen zu be‐ rücksichtigen. Das gleiche gilt für das Subkorpus Andere nicht-fiktionale Texte. Für dieses Register, das mit Gebrauchsliteratur betitelt wurde, wurden Texte aus unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens zusammengestellt. Eine genauere Aufschlüsselung für dieses sowie die drei anderen Register im DWDS-Kernkorpus (1900-1999) bietet Tabelle 16. Belletristik Prosa Klassiker Science Fiction Abenteuerromane Kriminalromane Kinderliteratur Lyrik - Dramatik - Zeitungstexte Regionale Zeitungen - Überregionale Zeitungen - Artikel über historische Ereignisse - Wissenschaft Monografien - Aufsätze - Populärwissenschaftliche Aufsätze - Gebrauchsliteratur Reparaturanleitungen - Kochbücher - Benimmratgeber - Juristische Texte - 5.1 Methodisches Vorgehen 169 <?page no="170"?> 38 Für eine Diskussion des Lemmabegriffs siehe u. a. Sinclair (2004). 39 Für weitere Informationen zum TAGH-System siehe Geyken & Hanneforth (2006). 40 Siehe www.sfs.uni-tuebingen.de/ resources/ stts-1999.pdf für eine detaillierte Beschrei‐ bung des STTS-Tagsets. 41 Nähere Informationen zur Suchmaschine DDC findet man unter der Projektwebsite w ww.ddc-concordance.org/ . Gebrauchsanweisungen Dokumentationen - Werbetexte - Tabelle 16. Zusammensetzung des DWDS-Kernkorpus (1900-1999). Neben der Größe des Korpus, der Repräsentativität bzw. der Balanciertheit und der Passung gibt es noch einen weiteren entscheidenden Aspekt, der bei der Wahl des Korpus beachtet werden muss: Korpora unterscheiden sich zum Teil massiv darin, welche zusätzlichen Informationen die einzelnen Belege bieten. Dies gilt für den Bereich der Metadaten, aber insbesondere auch für den Bereich der linguistischen Annotation. Das DWDS-Kernkorpus (1990-1999) ist ein lemmatisiertes Korpus. 38 Die Lemmatisierung beruht auf dem System TAGH, einem System zur automatischen Analyse von morphologischen Struk‐ turen des Deutschen 39 . Zusätzlich zur Lemmatisierung sind die Einträge im DWDS-Kernkorpus (1990-1999) tokenisiert. Das bedeutet, dass jeder Satz in Wörter und Satzzeichen zerlegt wurde, die sich entsprechend durch Suchab‐ fragen analysieren lassen. Die Einträge im DWDS-Kernkorpus (1990-1999) sind außerdem lexikalisch annotiert. Die lexikalische Annotation folgt hierbei dem STTS-Tagset (Stuttgart-Tübingen-Tagset). Das STTS-Tagset ist ein soge‐ nanntes Part-of-Speech-Tagset, das im Grundsatz auf Wortarten basiert, jedoch feinere Unterscheidungen trifft, sodass man in diesem Tagset auf insgesamt 54 unterschiedliche Tags kommt 40 . Durch diese strukturellen und syntakti‐ schen Annotationsebenen lassen sich unterschiedliche Suchanfragen stellen. Die Suchanfragesyntax des DWDS-Kernkorpus (1990-1999) beruht auf der Software DDC. 41 Neben schlichten Einwortabfragen können durch Boolesche Operatoren beispielsweise Bedingungen formuliert werden, Abstandssuchen realisiert werden oder Filter gesetzt werden. Diejenigen Funktionen, die für die Erarbeitung der Suchanfragen dieser Arbeit relevant sind, werden in Abschnitt 5.1.2 detaillierter vorgestellt. 170 5 Korpusanalyse I <?page no="171"?> 5.1.2 Erarbeitung der Suchanfragen Für meine Fragestellung ergibt sich die methodische Herausforderung, dass nach Konstruktionen gesucht wird, deren exakte Struktur sowie deren Abstrak‐ tionsgrad unbestimmt ist. Es liegt somit eine Art „Henne-Ei“-Problematik zu‐ grunde. Um diese Herausforderung methodisch zu lösen, nutzt die vorliegende Arbeit die Erkenntnisse von Firth (1957), zusammengefasst und vielfach zitiert in seiner Aussage „You shall know a word by the company it keeps“. Suchanfragen mit 81 prototypischen "Bewegungsverben" des Deutschen rennen, laufen, gehen, hüpfen, ... Analyse des Syntagmas mittels des Tools "DWDS-Wortprofile" Adverbiale, Präpositionalgruppen, Objekte, Vergleiche Identifikation konkreter Lemmata von Bewegungskonstruktionen schreiend, vorneweg, über die Ziellinie, wie wahnsinnig, ... Systematisierung sowie Erprobung weiterer Variablen wie Wortabstände Makros für Suchanfragen zur Ermittlung von Bewegungskonstruktionen und Lexemen des Verbslots $p={VVFIN,VMFIN} #5 {Treppe,Stufen,Weg,Straße,Straßen,Gang,Flur,Hauptstraße,Highway,Autobahn,Piste,Pfad ,Gasse,Platz,Rasen,Bahnsteig,Boulevard,Bürgersteig,Fußweg,Radweg,Strand,Berg} #5 {hoch,rauf,runter,hinunter,herunter,hinauf,hinab,hindurch,entlang, nach oben, nach unten} Abbildung 19. Bootstrappingverfahren zur Erstellung der Suchanfragen. Die Erarbeitung der Suchanfragen erfolgte mittels eines Bootstrapping-Ver‐ fahrens. Das entwickelte Verfahren wird in Abbildung 19 anhand einiger lexikalischer Beispiele visualisiert. Der Begriff des Bootstrappings lehnt sich an den Begriff aus der Informatik an. Bootstrapping bezeichnet hierbei ein Ver‐ fahren, das das Problem löst, Software zu starten, die selbst wiederum Software zum Starten benötigt. Das für diese Arbeit entwickelte korpuslinguistische Bootstrapping-Verfahren nimmt als Ausgangspunkt prototypische Verben, die 5.1 Methodisches Vorgehen 171 <?page no="172"?> 42 Zur Operationalisierung des Begriffs Kollokation können unterschiedliche statistische Verfahren genutzt werden. Hierbei spielen insbesondere Assoziationsmaße eine wich‐ tige Rolle. Für eine Übersicht siehe u. a. Evert (2008). eindeutig mit Bewegung assoziiert sind. Diese 81 „Bewegungsverben“ wurden im Rahmen eines korpuslinguistischen Praktikums unter der Leitung PhD Ger‐ trud Faaßʼ von Studierenden der Universität Hildesheim ermittelt und durch eine Überprüfung in gängigen Wörterbüchern bestätigt. Eine Auflistung findet sich im Anhang dieser Arbeit. Diese 81 Verben wurden in einem nächsten Schritt mit Hilfe des Tools DWDS-Wortprofile hinsichtlich der typischen syntagmatischen Verbindungen untersucht. Für jedes dieser Verben wurden durch Verwendung des Tools in einem automatisierten Prozess Kollokationen ermittelt. Unter Kol‐ lokation versteht man statistisch signifikante Kookurrenzen; also Kookurrenzen, die in gewisser Hinsicht motiviert sind (vgl. Geyken 2011). 42 Nach Sinclair (2004: 37) bedingt die Wahl eines ersten Wortes im Syntagma die Wortwahl für den nächsten Slot. Diese Erkenntnis habe ich zur Entwicklung der Suchanfragen genutzt. Im DWDS-Wortprofil werden nicht die absoluten Frequenzen angezeigt, sondern statistische Werte ermittelt, die eine Aussage darüber treffen, inwie‐ weit die Wortverbindung überzufällig ist. Die verwendeten statistischen Maße beruhen im Grundsatz auf dem Wert der mutual information (Geyken 2011). Tabelle 17 zeigt das Ergebnis der DWDS-Wortprofilanalyse exemplarisch für das Verb rennen. Wenn wir uns das exemplarische Wortprofil des Verbs rennen in Tabelle 17 ansehen, so sind einige Kollokationspaare (Evert 2008) vertreten, die durchaus erwartbar sind, wie etwa deiktische Adverbiale (hinterher, runter) oder auch Objekte wie Treppe oder Marathon. Einige der Ergebnisse dieser Wortprofilanalyse sind jedoch, auf den ersten Blick zumindest, einigermaßen überraschend: Dass unter den Objekten auch das Lexem Potente auftaucht, ist erklärungsbedürftig. Die DWDS-Wortprofilanalyse bietet den weiteren Vorteil, dass auf die Konkordanzzeilen zugegriffen werden kann, sodass sichtbar wird, aus welchen Belegen die Kollokationspaare stammen. Sieht man sich die ein‐ zelnen Belege im Falle von rennen an, stellt sich heraus, dass die Kookurrenz von rennen und Potente durch den Film Lola rennt motiviert ist. In diesem Film spielt die Schauspielerin Franka Potente die Hauptrolle. Die Spalte „vergleichende Wortgruppe“ zeigt an, dass das Verb frequent in Konstruktionen des Typs wie ein Hase/ Wahnsinniger/ … gebraucht wird. Eine solche Quantität an Kollo‐ kationspaaren, wie sie durch die DWDS-Wortprofilanalyse oder vergleichbare computerlinguistische Software ermittelt wird, kann nicht durch die Methode der Introspektion gewonnen werden. Zudem können auch erst durch die 172 5 Korpusanalyse I <?page no="173"?> Sichtung einer größeren Anzahl von Konkordanzzeilen Rückschlüsse auf die Motiviertheit von Kollokationspaaren gezogen werden (vgl. auch Sinclair 2004). Adverbiale Präpositional‐ phrasen Objekte Vergleichende Wortgruppe rauf, schreiend, hinterher, runter, her, los, nackt, durcheinander, ent‐ lang, ein, panisch, vorneweg, jubelnd, quer, hin, voraus, wild, barfuß, hek‐ tisch über Haufen, in Panik, um Wette, ins Verderben, durch Gegend, ins Freie, gegen Wand, aufs Klo, aufs Spiel‐ feld, in Kabine, aus Leib, von Pontius, gegen Mauer, durch Wald, auf Straße, über Rasen, über Wiese, in Küche Lunge, Km, Po‐ tente, Marathon, Treppe, Meter, Weltrekord, Sprinter, Kilometer, Richtung, Sekunde, Tribüne, Läufer, Gegenspieler, Strecke, Messer, Seele, Branden‐ burger, Sonntag, Minute Hase, Wahnsin‐ niger, Huhn, Ver‐ rückter, Stier, Wiesel, Hamster, Wilde, Teufel, Pferd, Hund, Tier, Kind, Mensch Tabelle 17. DWDS-Wortprofil für „rennen“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache, <https: / / www.dwds.de/ wp? q=rennen&comp-me‐ thod=diff&comp=&pos=4&minstat=0&minfreq=5&by=logDice&limit=20&view=table>, abgerufen am 05.03.2019. Im nächsten Schritt des Bootstrapping-Verfahrens erfolgte die Systematisierung der Ergebnisse aus den erhobenen Wortprofilen für die 81 Verben, die den Ausgangspunkt bildeten. Dazu wurden die einzelnen Wortprofile hinsichtlich ihrer Semantik kategorisiert. Diese Systematisierung hat zwei Ziele: Zum einen dient sie der Komprimierung der Information, um konkrete Suchanfragen kon‐ zipieren zu können. Zum anderen abstrahiert sie von konkreten Kollokationen, denn es sollen ja gerade nicht diejenigen Verben ermittelt werden, die bereits als Bewegungsverben diskutiert werden. Würde dieser Schritt der Abstraktion nicht erfolgen, wäre das Bootstrapping-Verfahren ein zirkuläres Unterfangen. Ziel des Verfahrens ist es aber, durch die Analyse konkreter Items möglichst viele strukturelle Indikatoren zu ermitteln, die auf die Versprachlichung von Bewegungsereignissen unabhängig vom Verb hinweisen. Kategorie Ausprägung Beispiele für Präposi‐ tionalphrasen Beispiele für Adverbiale + räumlich S O U R C E von, aus hervor, davon, weg - R O U T E über, durch, entlang herum 5.1 Methodisches Vorgehen 173 <?page no="174"?> Kategorie Ausprägung Beispiele für Präposi‐ tionalphrasen Beispiele für Adverbiale - G O A L in, nach, zu hinein, herauf, empor - Richtung in Richtung - räumlich Dauer in Sekunden stundenlang, ewig - Geschwindigkeit mit Vollgas schnell, fix, rasch - Bewegungsart im Laufschritt wild, unbeholfen - Instrument auf/ mit dem Motorrad/ Boot - - Mengenangaben der F I G U R E in Scharen, zu Tau‐ senden - - Psychischer Zustand der F I G U R E in Eile/ Panik panisch, schreiend Vergleiche Tiere wie Ameisen - Menschen wie ein Sieger - andere wie ein Flummi Tabelle 18. Beispielhafte Systematisierung der extrahierten Kollokationen. Auf der Grundlage dieses Systematisierungsschrittes konnten nun erste kon‐ krete Suchanfragen durchgeführt werden. Bei jeder Korpusanalyse sind zwei Kennzahlen zu beachten, die die Qualität der Ergebnisse maßgeblich bedingen: precision und recall. Diese Kennzahlen stammen aus dem Gebiet des informa‐ tion retrival, werden aber auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen, wie beispielsweise der Medizin, verwendet. Unter precision versteht man die Kennzahl, die eine Aussage darüber trifft, wie viele der erhobenen Items für das Forschungsdesign relevant sind. Ein anderer Begriff für precision ist die deutsche Entsprechung positiver Vorhersagewert. Unter recall hingegen versteht man die Sensitivität der Testung, sprich, wie viele korrekte bekannte Items von einem Werkzeug als korrekt identifiziert wurden (siehe Tabelle 19). Da in der Korpuslinguistik die Verwendung der englischen Fachtermini verbreiteter ist als die deutschen Entsprechungen, werden auch in dieser Arbeit die Begriffe precision und recall verwendet. 174 5 Korpusanalyse I <?page no="175"?> + R - R + P echt positiv falsch positiv - P falsch negativ echt negativ Tabelle 19. Klassische binäre Kontingenztabelle (verändert nach Powers 2020: 38). Hätte das Leben einer Linguistin eine unendliche Dauer und unendliche Res‐ sourcen, so wäre es möglich, alle Dokumente zu analysieren und die beiden Kennzahlen zu ignorieren. Da dem nicht so ist, besteht jede Korpusanalyse aus einem Kompromiss zwischen einer möglichst vollständigen Ausbeute (recall) und einer möglichst geringen Anzahl an falsch positiven Belegen (precision). Der recall lässt sich aufgrund des Arbeitsaufwandes nur an Stichproben oder an dafür zusammengetragenen Referenzkorpora ermitteln. Hierzu ermittelt man manuell die Types und gleicht diese Ergebnisse mit dem recall des Werkzeugs ab. Wie Powers (2020: 38) kritisch anmerkt, bestünde in der Computerlinguistik die Tendenz dazu, den recall zugunsten der precision zu vernachlässigen. Als Grund wird angeführt, dass die Treffermengen in der Regel so hoch erscheinen, dass es schlicht nicht notwendig sei, eine noch größere Datenmenge zu erheben. Auch Gilquin (2010) wendet zu dieser Diskussion ein, dass der recall innerhalb der Linguistik unterschätzt werde. Gilquin hält dies insofern für problematisch, als dass falsch positive Treffer manuell ausgesiebt werden können. Belege jedoch, die eigentlich zur Treffermenge hätten gehören müssen, aufgrund einer zu engen Suchanfrage jedoch nicht aufgenommen worden sind, können nicht nachträglich eingefügt werden. Ob diese Tendenz wirklich besteht, sei dahin‐ gestellt. Der vierte Arbeitsschritt des Bootstrappingverfahrens besteht in jedem Fall darin, die Balance zwischen precision und recall herzustellen, die für die zugrundeliegende Fragestellung und Arbeit angemessen erscheint. Dies wurde experimentell überprüft. Das heißt, es wurden erste aus dem Arbeitsschritt der Systematisierung abgeleitete Suchanfragen im DWDS-Kernkorpus (1990-1999) durchgeführt und hinsichtlich der Treffermengen und der falschen Positiven evaluiert. Eine der Variablen hierbei war der Wortabstand. Dieser Parameter des Wortabstandes wurde so lange variiert, bis ein vernünftig erscheinendes Verhältnis von precision und recall erreicht worden ist. Außerdem wurde der Zeitraum eingegrenzt: Inkludiert wurden Belege ab dem Jahr 1950 bis zum Jahr 1999, um ein aktuelleres Bild zu Bewegungskonstruktionen des Deutschen generieren zu können, als die ein längerer Zeitraum hätte ermöglichen können. 5.1 Methodisches Vorgehen 175 <?page no="176"?> 43 Mögliche Sprachwandelprozesse werden für Korpusstudie I zunächst ausgeblendet, da die Vorarbeiten nicht auf einen gravierenden Unterschied in den letzten fünfzig Jahren hindeuten. Allerdings ist es durch die Erhebung der Metadaten möglich, den Faktor Zeit zusätzlich zu berücksichtigen, falls Ergebnisse darauf hindeuten sollten. 44 Es ist nicht üblich, die einzelnen Suchanfragen im Text der Arbeit darzulegen. M. E. gehört das Offenlegen der Suchanfragen jedoch zwingend zum wissenschaftlichen Arbeiten, denn nur so können die gewonnenen Daten überprüft und ggf. repliziert werden. Die Suchanfragen bei Korpusstudien sind so bedeutsam wie die Beschreibung der Testpersonen oder des Testmaterials in anderen Disziplinen. Sind die Suchanfragen zu eng oder zu weit gefasst, entscheidet dies maßgeblich über die Ergebnisse und die durch die Daten zu gewinnenden Erkenntnisse. Somit kann eine Abstraktion über diesen Zeitraum vorgenommen werden. 43 Die precision der einzelnen Suchanfragen der vorliegenden Korpusstudie kann Tabelle 21 in Abschnitt 5.1.3 entnommen werden. Aus diesem bisher dargelegten Bootstrapping-Verfahren sind insgesamt 40 Suchanfragen für die Korpusstudie I hervorgegangen, die, wie in Tabelle 20 aufgelistet, durchgeführt worden sind. 44 Die Suchanfragen 1-33 aus Korpusstudie I weisen folgende Struktur auf: Gefunden werden sollen finite Vollverben/ Modalverben/ Auxiliare im Abstand von bis zu fünf Wörtern zu einer konkreten Präpositionalgruppe, die wiederum im Abstand von bis zu drei Wörtern zu einem konkreten P ATH -Element steht. Ich nutze somit die im DWDS annotierten Part-of-Speech Informationen. VVFIN beispielsweise sucht nach im DWDS als finites Verb hinterlegten Einheiten. Der Wortabstand wird durch # definiert. Das Zeichen @ wird verwendet, um nach der exakten Wortform zu suchen. Dies ist für die Suchanfragen relevant, da der Kasus ein Hinweis auf ein potenzielles Bewegungsereignis bietet. Die Suchanfragen 34-37 zeigen eine leicht modifizierte Struktur, da sie auf die Konstruktion [[NP] [VP] [AKK] ADV ] abzielen. Die Suchanfrage 38 fragt Bewegungskonstruktionen mit Vergleichsstrukturen ab. Die Suchanfragen 39 und 40 schließlich fokussieren Bewegungskonstruktionen mit Mengen- und Zeitangaben. Nr. Suchanfragen $p={VVFIN,VMFIN,VAFIN} #5 [X] 1 in @das #3 {Wohnzimmer,Schlafzimmer,Bad,Badezimmer,Gefängnis,Gefährt, Büro,Auto,Zimmer} 2 in @die #3 {Küche,Ecke,Richtung,Tiefe,Höhe,Hauptstadt,Halle,Arena,Bahn, S-bahn,S-Bahn,Stadt,Busse} 3 in @den #3 {Knast,Baum,Bus,Hörsaal,Graben,Straßengraben,Raum,Eingang, Strafraum,Laden,Saal} 4 ins #3 {Bad,Badezimmer,Zimmer,Wohnzimmer,Bett,Büro,Auto,Haus,Kino,Meer, 176 5 Korpusanalyse I <?page no="177"?> Nr. Suchanfragen $p={VVFIN,VMFIN,VAFIN} #5 [X] Wasser,Café,Schwimmbad,Restaurant,Schlafzimmer,Freie,Tal} 5 nach #2 {Hause,hause,Haus,haus,rechts,links,oben,unten,vorn,vorne,hinten} 6 zu #2 Boden 7 zur #3 {Schule,Grabstätte,Hintertür,Tür,Unglücksstelle,Unfallstelle,Bahn, Arbeit,Kasse,Kirche,S-Bahn,Toilette,Haltestelle,Bushaltestelle,Party,Disko, Tür,Theke,Bank} 8 zum #3 {Bahnhof,Bus,Grab,Friedhof,Ausgang,Eingang,Hotel,Training,Flug‐ hafen,Krankenhaus,Arzt,Bett,Supermarkt,Telefon,Kühlschrank,Klo,Bad,Restau‐ rant,Treffpunkt} 9 unter @den #3 {Baum,Tisch,Stuhl,Schirm,Schrank} 10 unter @die #3 {Bettdecke,Decke,Bank,Bäume} 11 unters #3 {Bett,Dach} 12 auf @den #3 {Gipfel,Stuhl,Sessel,Baum,Flur,Gang,Fels,Felsen,Wipfel,Ast} 13 auf @die #3 {Toilette,Gegenfahrbahn,Landebahn,Schiene,Matte,Couch, Matratze,Stühle,Leiter} 14 aufs #3 {Klo,Bett,Sofa,Dach} 15 ans @ {Telefon,Krankenbett,Ufer,Meer} 16 über @den #3 {Weihnachtsmarkt,Markt,Marktplatz,Platz,Highway,Boulevard, Campus,Wochenmarkt,Asphalt,Teppich,Zaun,Strand,Fußboden,Bahnsteig, Schnee,Deich} 17 über @die #3 {Hürde, Piste,Bühne} 18 über @das #3 {Wasser,Meer,Dach} 19 übern #3 {Weihnachtsmarkt,Markt,Marktplatz,Platz,Highway,Boulevard, Campus,Wochenmarkt,Asphalt,Teppich,Zaun,Strand,Fußboden,Bahnsteig, Schnee,Deich} 20 übers #3 {Wasser,Meer,Dach} 21 durch @den #3 {Wald,Hintereingang,Eingang,Ausgang,Matsch,Dreck,Matsch, Sand,Dschungel,Garten,Gang,Flur,Tunnel,Berg,Boden,Raum} 22 durch @die #3 {Gegend,Stadt,Altstadt,Straße,Straßen,Gasse,Gassen,Fußgänger‐ zone,Lobby,Halle,Pampa,Wüste,Steppe,Massen,Menschenmenge,Passage, Gänge,Abteilung,Häuser} 23 durch @das #3 {Gewässer,Meer,Becken,Unterholz,Treppenhaus,Gebüsch, Gedränge,Abteil,Wasser,Fenster,Tor,Gartentor} 5.1 Methodisches Vorgehen 177 <?page no="178"?> Nr. Suchanfragen $p={VVFIN,VMFIN,VAFIN} #5 [X] 24 durchs #3 {Gebüsch,Unterholz,Wasser,Gewässer,Treppenhaus,Becken,Meer, Gedränge,Abteil,Tor,Gartentor,Haus,Zimmer} 25 auf @der #3 {Wiese,Straße,Autobahn,Uferpromenade,Promenade,Landstraße, Fahrbahn,Bahn,Strecke} 26 auf @dem #3 {Rasen,Weg,Bürgersteig,Fußweg,Radweg,See,Meer,Boulevard, Pfad,Sand,Platz} 27 am #3 {Abgrund,Grat,Wegrand,Wegesrand,Strand} 28 im #3 {Windschatten} 29 von #3 {Bühne,Brücke,Fenster,Hauptstraße,Straße,Fahrbahn,Landebahn,Steg} 30 vom #3 {Rasen,Platz,Balkon,Steg,Schiff,Boot,Baum,Berg} 31 aus #3 {Hintertür,Zimmer,Bett,Fenster,Haus,Saal,Wagen,Fenster,Büro,Raum, Gebäude,Flur,Wrack,Loch,Keller,Hand,Eingang} 32 gegen #3 {Baum,Pfeiler,LKW,Wand,Leitplanke,Fenster} 33 Richtung #3 {Norden,Süden,Westen,Osten,Heimat,Hause,Bahnhof,Stadt,Innenstadt} 34 $p={VVFIN,VMFIN} #5 {Treppe,Stufen,Weg,Straße,Straßen,Gang,Flur,Haupt‐ straße,Highway,Autobahn,Piste,Pfad,Gasse,Platz,Rasen,Bahnsteig,Boule‐ vard,Bürgersteig,Fußweg,Radweg,Strand,Berg} #5 {hoch,rauf,runter,hin‐ unter,herunter,hinauf,hinab,hindurch,entlang, nach oben, nach unten} 35 {rasch,schnell,fix,gemächlich,geschwind,allmählich,langsam,gemütlich} #5 {rauf, runter, herauf, herunter, hinein, hinaus, hin, her, hervor, empor, herum, entgegen, hinterher, vorneweg, hinterdrein, davon, weg, aneinander, durcheinander, hin‐ durch, heran} 36 {wild,ungestüm,unbeholfen,vorsichtig,schwerelos, lässig, locker, furios, gemüt‐ lich, leichtfüßig, elegant,behäbig,wackelig,wacklig,unsicher} #5 {rauf, runter, herauf, herunter, hinein, hinaus, hin, her, hervor, empor, herum, entgegen, hin‐ terher, vorneweg, hinterdrein, davon, weg, aneinander, durcheinander, hindurch, heran} 37 {jubelnd,schreiend,freuend,frustriert,weinend,lachend,klagend,lustlos,ge‐ langweilt,genervt,hektisch,panisch,entspannt,grölend,kichernd,singend,pfei‐ fend,summend,brüllend,donnernd} #5 {rauf, runter, herauf, herunter, hinein, hinaus, hin, her, hervor, empor, herum, entgegen, hinterher, vorneweg, hinterdrein, davon, weg, aneinander, durcheinander, hindurch, heran} 38 wie #2 {Panter, Fisch, Delphin, Frosch, Kröte, Ameise, Löwe, Tiger, Rennpferd, Känguruh, Kücken, Tier, Katze,Boxer, Sieger, Verlierer, Rumpelstilzchen, Der‐ wisch, Kind,Gummiball,Flummi,Springball} #5 {rauf, runter, herauf, herunter, hinein, hinaus, hin, her, hervor, empor, herum, entgegen, hinterher, vorneweg, hinterdrein, davon, weg, aneinander, durcheinander, hindurch, heran} 39 mit #3 {Höchstgeschwindigkeit,Tempo,Vollgas,Motorrad,Traktor,Auto, 178 5 Korpusanalyse I <?page no="179"?> Nr. Suchanfragen $p={VVFIN,VMFIN,VAFIN} #5 [X] Fahrrad,Rad,LKW,Mofa,Moped,Inlineskates,Schlitt‐ schuhen,Schlitten,Karre,Schubkarre,Rollstuhl,Rollator,Roller,Rennwagen} 40 {Sekunden,Sekundenbruchteilen,Tage,tagelang,Stunden,stundenlang,plötz‐ lich,ständig,dauernd} #5 {rauf, runter, herauf, herunter, hinein, hinaus, hin, her, hervor, empor, herum, entgegen, hinterher, vorneweg, hinterdrein, davon, weg, aneinander, durcheinander, hindurch, heran} Tabelle 20. Suchanfragen zu Korpusstudie I. Die aus den Suchanfragen 1-40 gewonnenen Belege müssen in weiteren Ar‐ beitsschritten aufbereitet werden. In Abschnitt 5.1.3 wird zunächst das Sample vorgestellt, welches durch die Korpusabfragen gewonnen wurde. In 5.1.4 wird anschließend dargelegt, wie dieses Sample manuell kodiert wurde. 5.1.3 Darstellung des Samples Die beiden Kennzahlen precision und recall, die bereits in Abschnitt 5.1.2 thematisiert wurden, unterscheiden sich für jede einzelne der durchgeführten Suchanfragen. Dieser Unterschied und der Unterschied in der absoluten Häu‐ figkeit der konkreten Lemmata der Suchanfragen führen zu einem sehr hetero‐ genen Trefferbild für jede Suchanfrage. Die Treffermengen sind in Tabelle 21 abgebildet. Für die Suchanfragen 19, 25, 26 und 40 keine Werte eingetragen. Dies hat verschiedene Gründe: Für die Suchanfrage 19 gab es tatsächlich keine Treffer, der recall ist hier also maximal ungünstig. Für die Suchanfragen 25 und 26 hingegen war die precision nicht ausreichend hoch, sondern lag unter einem kritischen Wert von 0,35. Die beiden Suchanfragen ergaben jeweils eine große Rate an falsch positiven Belegen, die auf statische Ereignisse zu‐ rückzuführen sind und keine Bewegungsereignisse abbilden. Daher wurden die Abfragen nicht im Sample berücksichtigt. Gleiches gilt für Suchanfrage 40; auch hier überwog der Anteil an Belegen, die keine Bewegungsereignisse versprachlichen, deutlich. Somit wurden diese Belege ebenfalls vom Sample ausgeschlossen. Suchanfrage 6 zeigt einen recht hohen Anteil an Belegen, die mehrfach im Korpus vorkommen. Da dieses Problem jedoch auch bei weiteren Suchanfragen auftrat und sich zudem durch manuelle Überarbeitung vernünftig handhaben lässt, wurden diese Treffer im Sample berücksichtigt, Dopplungen jedoch manuell ausgesiebt. 5.1 Methodisches Vorgehen 179 <?page no="180"?> Nr. der Suchan‐ frage Treffermenge im DWDS-Kernkorpus (1950-1999) Stichprobe von 40-Prozent je Suchanfrage Treffer precision 1 101 40 39 0,975 2 861 344 322 0,94 3 335 134 108 0,81 4 1117 447 430 0,96 5 2452 981 852 0,87 6 155 62 59 0,95 7 568 227 161 0,71 8 299 120 96 0,80 9 42 17 15 0,88 10 20 8 8 1,00 11 4 2 2 1,00 12 132 53 41 0,77 13 63 25 25 1,00 14 100 40 38 0,95 15 50 20 19 0,95 16 101 40 36 0,98 17 20 8 8 1,00 18 37 15 14 0,93 20 20 8 7 0,88 21 144 58 48 0,84 22 297 119 103 0,87 23 82 33 28 0,85 24 58 23 22 0,96 27 72 29 11 0,38 28 4 2 2 1,00 29 209 83 59 0,70 180 5 Korpusanalyse I <?page no="181"?> Nr. der Suchan‐ frage Treffermenge im DWDS-Kernkorpus (1950-1999) Stichprobe von 40-Prozent je Suchanfrage Treffer precision 30 89 36 27 0,75 31 766 306 251 0,82 32 84 34 34 1,00 33 30 12 7 0,58 34 162 65 55 0,85 35 260 104 85 0,82 36 77 31 23 0,74 37 144 58 44 0,76 38 12 5 4 0,80 39 508 203 129 0,87 ∑ 9475 3792 3212 Ø 0,85 Tabelle 21. Treffermengen und Stichproben der Korpusstudie I. Wie Tabelle 21 zu entnehmen ist, beträgt die gesamte Treffermenge der ver‐ bleibenden 36 Korpusabfragen 9.475 Treffer. Die Belege wurden als Volltextan‐ sicht extrahiert. Für die Bearbeitung meiner Fragestellung ist es in weiteren Arbeitsschritten notwendig, diese Treffer manuell auszuwerten, da zurzeit keine technische Lösung existiert, die semantische Annotation automatisiert durchführen zu können. Da sich daraus ein Ressourcenproblem ergibt, wurde die Entscheidung getroffen, aus der Treffermenge einer jeden Abfrage eine randomisierte Stichprobe von 40 Prozent zu ziehen. Der Stichprobenumfang ist der rechten Spalte aus Tabelle 21 zu entnehmen. Somit komme ich für das Sample von Korpusstudie I zu 3792 Belegen. Im nächsten Abschnitt 5.1.4 werde ich darlegen, wie diese manuell aufbereitet und kodiert wurden. 5.1.4 Kodierung der Korpusbelege Der finale Arbeitsschritt der Datenaufbereitung besteht in der Kodierung der Variablen. Aus dem theoretischen Hintergrund sowie dem Kapitel zum aktuellen Forschungsstand konnten die Variablen identifiziert werden, die zur Beantwortung der Fragestellungen relevant sind. Wie bereits in Abschnitt 5.1.3 angedeutet, gibt es meines Wissens bislang kein Werkzeug zur automatischen 5.1 Methodisches Vorgehen 181 <?page no="182"?> Annotation der für diese Arbeit relevanten Variablen. Somit wurden die Belege zunächst in eine Exceldatei überführt und manuell kodiert. In diesem Abschnitt der Arbeit wird dargelegt, welche Kategorien nach welchem Schema kodiert wurden. Ich beginne mit einem Überblick zu den Metadaten, die im DWDS hinterlegt sind und komme anschließend zum Vorgehen bei der manuellen Annotation. Jede Konkordanzzeile einer Korpusabfrage ist mit Metadaten ausgestattet, die im DWDS-Kernkorpus (1990-1999) hinterlegt sind. Diese Metadaten, die zur Auswertung der Ergebnisse beitragen können, sind in Tabelle 22 aufgelistet. das Jahr der Veröffentlichung - das Genre Belletristik Zeitungstexte Wissenschaft Gebrauchsliteratur die bibliografische Angabe Autor/ Herausgeber/ Zeitschriftentitel Jahr der Veröffentlichung Seitenzahl Tabelle 22. Metadaten in Korpusstudie I Als zusätzliches Metadatum wurde die Nummer der Suchanfrage hinterlegt, die zu dem Beleg geführt hat, sowie eine ID für den Beleg vergeben. Manuell wurden außerdem zusätzliche grammatische und semantische Informationen zu jedem Beleg angeführt, die auf den Konstruktionsstatus, die Konstruktionsbedeutung sowie auf den Grad der Produktivität Einfluss haben könnten. Die semantische Klassifikation von Korpusdaten ist nicht unproblematisch. Wie Zeschel (2012) treffend bemerkt, lassen sich formale Eigenschaften sprachlicher Zeichen, wie beispielsweise das Vorkommen eines Morphems, vergleichsweise leicht identifizieren und quantifizieren. Für semantische Eigenschaften gilt dies nicht: From an empiricist perceptive, the most fundamental problem of semantic analyses is the fact that meanings are not directly observable. […] even if the social dimension is ignored for the moment and meanings are located in the heads of individual speakers, there is no direct access to the semantic representation that they entain. (Zeschel 2012: 162-163) 182 5 Korpusanalyse I <?page no="183"?> Die Kategorien der manuellen Annotation sind in Tabelle 23 als Übersicht aufgeführt und sind als vorläufiges Ergebnis der bisherigen theoretischen Auseinandersetzung mit dem Untersuchungsgegenstand zu verstehen. In der zweiten Spalte ist die jeweilige Kategorie angegeben, in der dritten Spalte die möglichen Ausprägungen der Kategorie. So gibt es für die Kategorie Bewegungsereignis die möglichen Ausprägungen faktiv, fiktiv, metaphorisch, körperassoziiert sowie die Ausprägung kein Bewegungsereignis. Hierbei handelt es sich, im prototypischen Fall, um sich gegenseitig ausschließende Ausprä‐ gungen. Ausnahmen und Zweifelsfälle werden unter den folgenden jeweiligen Abschnitten zu den einzelnen Kategorien diskutiert werden. Einige wenige Kategorien haben unterspezifizierte Mengen. Dafür wird in Tabelle 23 das Zeichen [] genutzt. So ist die Menge an semantischen Frames potenziell erweiterbar und unabgeschlossen. Direktionale Präpositionen sind in meiner Darstellung ebenfalls eine offene Klasse, auch wenn sie traditionell zu geschlossenen gezählt werden. Sichtbar wird dies u. a. an der komplexen PP in Richtung, die zunehmend als NP in Erscheinung tritt (Richtung/ richtung Schule) und sich auf dem Pfad der Grammatikalisierung hin zu einer Präposition befindet. Im Anschluss an Tabelle 23 erfolgt die diskursive Entfaltung der jeweils getroffenen Kodierentscheidungen. Hierbei werden die Herausforderungen der semantischen Klassifikation beschrieben. Neben der bereits angesprochenen mangelnden direkten Beobachtbarkeit spielen auch weitere Aspekte eine Rolle, die in Zeschel (2012) dargelegt werden. Knapp zusammengefasst betreffen die Aspekte die Frage nach der • nur indirekten Beobachtbarkeit semantischer Eigenschaften. • Repräsentativität: Dies betrifft die Frage, welche Eigenschaften eines Aus‐ druckes dem Ausdruck von allen Sprechern einer Sprachgemeinschaft zugeschrieben werden. • Fluidität: Wortbedeutungen sind keine festen Inhalte eines Wortes, sondern Wörter besitzen vielmehr ein Potential, bestimmte Assoziationen hervorzu‐ rufen. Dies bezeichnet man innerhalb gebrauchsbasierter Grammatiktheo‐ rien als Fluidität. In der Korpuslinguistik ist der Ausdruck meaning potentials aus der TNE nach Hanks (2013) verbreitet. • Granularität: Es ist unklar, auf welcher taxonomischen Ebene die Katego‐ rien der Klassifikation angesetzt werden sollte. Wünschenswert ist eine möglichst hohe Vergleichbarkeit, i. a. W. eine homogene Einordnung. • Diskretheit: Legt man die Konzepte der Prototypizität und Familienähnlich‐ keit zugrunde, führt dies konsequenterweise zur Frage, wo ein Konzept aufhört und ein anderes Konzept beginnt. 5.1 Methodisches Vorgehen 183 <?page no="184"?> Diese Aspekte werden auch in Kapitel 2.4 im Zusammenhang mit der kritischen Auseinandersetzung mit der STLP diskutiert. Um den aufgezeigten Herausfor‐ derungen zu begegnen, habe ich, neben der nun folgenden ausführlichen Dis‐ kussion der Kodierung, ein weiteres Verfahren angewandt: Zur Abschätzung der Reliabilität der Daten ist ein erneutes Kodieren einer Stichprobe von 10 Prozent der Belege vorgenommen und anschließend der Kappa-Koeffizient berechnet worden (Cohen 1960). Zum Ergebnis und zum Hintergrund der Berechnung siehe Abschnitt 5.4 Methodenkritik. Infinitiv des relevanten Verbs [ ] Art des Bewegungsereignisses fiktiv faktiv körperassoziiert metaphorisch kein Bewegungsereignis Agens belebt unbelebt nicht spezifiziert Valenz des Verbs intransitiv transitiv adverbialer Akkusativ Passiv semantische Klassifikation: Frame [ ] Morphologie des Verbs/ der Verbalgruppe Simplexverb Komplexverb Modalverb Kollokativgefüge Idiom Reflexivität nicht-reflexiv endoreflexiv reflexiv 184 5 Korpusanalyse I <?page no="185"?> 45 Eine erste Begründung zur Notwendigkeit einer feineren Unterscheidung findet sich in Kapitel 2.2. Direktionale Präposition [ ] Semantische Rolle der Präpositionalgruppe - SOURCE ROUTE GOAL Kombination der Elemente Tabelle 23. Kategorien der manuellen Annotation in der Übersicht - 5.1.4.1 Infinitiv des Verbs Sowohl in der STLP als auch in der gebrauchsbasierten Konstruktionsgram‐ matik wird dem Lexem im Verbslot ein zentraler Stellenwert eingeräumt. Der Fokus liegt somit auf dem Verb des Belegs. Nicht immer handelt es sich bei den Belegen um einfache Sätze. Liegen mehrere Verben vor, so wurde dasjenige Verb annotiert, dessen Konstruktion auf die jeweilige Suchanfrage zurückzuführen ist. Davon wurde in Einzelfällen abgewichen, wenn die eigentliche Suchanfrage keinen Treffer ergeben hätte, wohl aber eine andere Konstruktion innerhalb des erhobenen Belegs. Da die Type-Token-Ratio der Konstruktionen von beson‐ derem Interesse ist, ist es notwendig, den Infinitiv des Zielverbs festzustellen. Es wurde nicht nur die Verbwurzel, sondern der Verbalkomplex als solcher annotiert. Grammatische Informationen wie Tempus, Person und Numerus sind für die globale Auswertung in Korpusstudie I von sekundärem Interesse und wurden daher nicht annotiert. - 5.1.4.2 Art des Bewegungsereignisses Die Grundlagen für diese Kategorien wurden in Kapitel 2.1 erarbeitet und sollen an dieser Stelle der Arbeit als Übersicht gegeben werden. Wenn notwendig, werden Zweifelsfälle diskutiert, um die Annotation nachvollziehbar darzulegen. In Talmys STLP werden faktive gegen fiktive Bewegungsereignisse abgegrenzt. Ich habe die Dichotomie um die Kategorie der konzeptuellen Metaphern ergänzt. Die Abgrenzung zwischen fiktiver Bewegung und konzeptuellen Metaphern erscheint auf den ersten Blick vage, weshalb diese für das vorliegende Kapitel erneut begründet wird. 45 Herangezogen wird hierfür die Relation zwischen der Sprachebene, der Konzeptualisierung sowie der außersprachlichen Welt. Bei 5.1 Methodisches Vorgehen 185 <?page no="186"?> fiktiven Bewegungsereignissen handelt es sich auf Sprachebene um direktionale Konstruktionen. In der außersprachlichen Realität existiert ein korrespondie‐ render Pfad. Die Konzeptualisierung durch die Sprachnutzer ist jedoch ein statisches Ereignis und entbehrt jeglicher Dynamik. Ein prototypisches Beispiel für ein fiktives Bewegungsereignis ist Beleg (124). (124) Der Weg schlängelt sich den Berg hinauf. Bei konzeptuellen Metaphern ist die Sprachebene ebenfalls durch eine direk‐ tionale Konstruktion gekennzeichnet. In der außersprachlichen Welt existiert jedoch kein realer Weg. Es handelt sich um die dynamische Konzeptualisierung eines an sich statischen Sachverhaltes. Dies geschieht immer dann, wenn Spre‐ cher/ -innen abstrakte Konzepte durch Erfahrungen auszudrücken versuchen, die auf Sinneswahrnehmungen beruhen. Beleg (125) bietet für diese Kategorie ein prototypisches Beispiel. (125) Die Begriffe flogen nur so durch die Gegend. Es kann - in seltenen Fällen - zu Überlagerungen von fiktiven und metapho‐ rischen Bewegungsereignissen kommen. Erkennbar wird dies an Belegen wie (126). (126) Autos, deren eingebaute Scheinwerfergläser so aussehen, als schielten sie zum Himmel, […]. Es handelt sich um Ereignis, dass eine statische mentale Situation hervorruft und somit zu den fiktiven Bewegungsereignissen gezählt werden kann. Jedoch existiert zugleich kein realer außersprachlicher Weg, was für eine konzeptuelle Metapher spricht. Belege, die eine solche Ereignisstruktur aufweisen, wurden als fiktive und zugleich metaphorische Ereignisse gewertet. Das heißt, es wurde eine weitere Ausprägung beobachtet und in das Annotationsschema aufgenommen. Als falsch positive Treffer wurden solche Belege gewertet, die in keine der aufgeführten Kategorien passen. Einen Großteil der falsch positiven Belege machen Substantivierungen wie in Beleg (127) aus. (127) Einmal hatte ich die Herrn Dr. Draber angekündigte Fahrt von Bremen nach Düsseldorf (mit Auto) unternommen, […] [Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht 1975-1995, Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 2001 [1999], S.-65] Bei dieser Form der Substantivierung kommt es zur Vererbung der Präposi‐ tionalgruppe vom Verb auf das gebildete Substantiv: Sie fährt von Bremen nach Düsseldorf/ die Fahrt von Bremen nach Düsseldorf […] (Welke 2019: 186 5 Korpusanalyse I <?page no="187"?> 458). Sicherlich ist es eine interessante Fragestellung, wie die Versprachlichung von Bewegungsereignissen mit solchen Nominalisierungen interagiert. Da sich diese Arbeit aber auf den Verbslot von Argumentstrukturkonstruktionen konzentriert, wurden solche Belege von der Auswertung ausgeklammert. - 5.1.4.3 Belebtheit des A G EN S Die Belebtheit des A G E N S ist eine Kategorie, die einen Einfluss auf unterschied‐ liche morphologische und syntaktische Phänomene hat und somit als Informa‐ tion zur Auswertung hinterlegt sein sollte. Die Belebtheit lässt sich zunächst binär in die Ausprägungen [±belebt] unterscheiden. Hinzu treten Belege, in denen eine Passivkonstruktion vorliegt, das A G E N S somit nicht identifizierbar ist. Um diesen Fällen Rechnung zu tragen, wurde eine dritte Ausprägung nicht spezifiziert ergänzt. Die Anwendung scheint auf den ersten Blick trivial, stößt aber bei Belegen wie (128) auf Grenzen. (128) Ein Gericht, das, da es auf dem Weg in den Richterraum den Saal durch‐ queren muß, artig den Weg an der Verteidigerbank entlang nimmt, […] Hannover, Heinrich: Die Republik vor Gericht 1975-1995, Berlin: Aufbau-Ta‐ schenbuch-Verl. 2001 [1999], S.-151 Bei dem Ausdruck ein Gericht handelt es sich, den Kontext ausblendend, um eine unbelebte Entität. Die unmittelbare Satzumgebung miteinbeziehend stellt sich die Frage, ob die Belebtheit des A G E N S dennoch als [+belebt] anzusetzen ist. Argumente hierfür liefert die Frage nach der Intentionalität und der Kontrolle, über die das A G E N S in der Situation verfügt. Da beide als hoch gewertet werden können, ist es plausibel, ein belebtes A G E N S anzusetzen, dass zwar nicht prototypisch, doch aber als peripherer Vertreter der Kategorie gewertet werden kann. Begründen lässt sich eine solche Zuordnung durch die vorliegende Bedeutungsrelation der Polysemie, bei der der Ausdruck ein Gericht für die konkret agierenden Personen verwendet wird. Die Eigenschaft der Belebtheit wird hierbei auf den stellvertretenden Ausdruck übertragen. Einen ähnlichen Zweifelsfall stellen Belege wie (129) dar, bei welchen ein Fahrzeug als A G E N S erscheint. (129) Ein Streifenwagen der Polizei fuhr über den Marktplatz vor dem Rathaus und verschwand hinter der Sankt-Bonifatius-Kirche. Die Entscheidung darüber ist nicht trivial und wurde letztlich vor dem Hin‐ tergrund weiterer Korpusbelege getroffen, die zur Abgrenzung herangezogen wurden. 5.1 Methodisches Vorgehen 187 <?page no="188"?> (130) Kerzengerade klemmte er hinter dem Lenkrad und kurvte waghalsig durch die engen Gassen. [ Jentzsch, Kerstin: Seit die Götter ratlos sind, München: Heyne 1999 [1994], S.-17] (131) Jeden Morgen fuhr Rietz vier Kilometer mit dem Fahrrad durch die Maisinger Schlucht. [ Jentzsch, Kerstin: Ankunft der Pandora, München: Heyne 1997 [1996], S.-180] In den Belegen (130) und (131) werden alternative Konstruktionen aufgezeigt, die entweder ohne Versprachlichung des Fahrzeugs auskommen oder aber das Fahrzeug in einer Präpositionalgruppe ausdrücken. Sprecher/ -innen haben somit eine Auswahl an verwandten Konstruktionen, aus denen sie sich diejenige wählen, die die gewünschte Perspektivierung des Ereignisses bestmöglich aus‐ zudrücken vermag. Bei der Annotation wurde diese Perspektivierung insofern berücksichtigt, als dass das A G E N S in Beleg (129) als [-belebt] gewertet wurde. Theoretisch gestützt wird das Vorgehen durch die Annahme, dass weder eine rein semasiologisch noch eine ausschließlich onomasiologische Bestimmung tragfähig sein kann, da sie den Kontext sowie die Perspektivierung der Situation durch die Sprecher/ -innen nicht ausreichend zu berücksichtigen vermag (vgl. Fillmore 1977; Welke 2002, 2019). - 5.1.4.4 Valenz des Verbs In Kapitel 3.3.6 wurde dargelegt, inwieweit eine Kombination aus valenz- und konstruktionsgrammatischen Ansätzen eine lohnende theoretische Model‐ lierung erzielen könnte. Daher wurde im Rahmen dieser Korpusstudie die Valenz des Verbes in der jeweiligen Satzumgebung annotiert. Die Entscheidung musste auch an dieser Stelle lauten, die Valenz in der konkreten Satzumge‐ bung zu bestimmen und nicht auf ein abstraktes Konzept wie „Grundvalenz“ auszuweichen. Somit können bei der Auswertung beispielsweise Aussagen über die Verteilung von intransitiven und transitiven Verwendungen eines Verbes getroffen werden. Als mögliche Ausprägungen dieser Kategorie wurden Intransitivität, Transitivität, Reflexivität sowie Passiv festgestellt. Die Kategorie Reflexivität wurde in einem weiteren Annotationsschritt feiner analysiert (vgl. Abschnitt 5.1.4.7 der vorliegenden Arbeit). - 5.1.4.5 Frame des Verbs/ der Verbalgruppe Die im Verbslot der Konstruktionen gefundenen Lexeme sollen zur näheren Beschreibung hinsichtlich ihrer Semantik klassifiziert werden. Bevor auf das Vorgehen bei der Annotation der Verben mithilfe der digitalen Datenbank FrameNet eingegangen wird, werden mögliche Alternativen der semantischen Klassifikation von Verben dargelegt und begründet verworfen. Es folgt die 188 5 Korpusanalyse I <?page no="189"?> zusammenfassende Darstellung der Frame-Semantik sowie deren Applikation, FrameNet. Schließlich wird exemplarisch die semantische Annotation der Le‐ xeme im Verbslot der Konstruktionen gezeigt. Auf die theoretischen Annahmen der Frame-Semantik wird in Kapitel 3.4 eingegangen. Die semantische Klassifikation von Verben ist nach wie vor ein umstrittenes Feld innerhalb der Linguistik. Dux (2020: 21-22) folgend lassen sich dabei zwei grundlegende Vorgehensweisen ausmachen: Eine Linie thematisiert Groß‐ klassen von Verben, indem Eigenschaften wie der Aspekt oder die Ereignis‐ struktur betrachtet werden (Vendler 1957; Rappaport Hovav & Levin 1998). Eine zweite Linie beschäftigt sich hingegen mit Subklassen von Verben wie etwa der Veränderung, des Stehlens (Dux 2020), des Essens (Croft 2009) oder der Kom‐ munikation (Shi 2008; Boas 2010b; Urban & Ruppenhofer 2001). Die erste Linie fokussiert die Gemeinsamkeiten, zweitere die Unterschiede zwischen Verben einer Klasse. Zur Klassenbildung werden Eigenschaften semantischer, morpho‐ logischer und distributioneller Natur angeführt. Diese Eigenschaften werden in der Regel aus der Verbwurzel abgeleitet, da diese die Kernbedeutung des Verbs trage. Eine viel zitierte Klassifikation von Verben stammt von Rappaport Hovav & Levin (1998). Der Ansatz beruht auf der Idee, dass unterschiedliche Verbwur‐ zeln mit unterschiedlichen Ereignisstrukturen kombiniert und realisiert werden können. Sichtbar wird dies am Unterschied der Argumentstrukturen, die ein Verb wie wischen gegenüber einem Verb wie zerbrechen realisieren kann, vgl. Belege (132)-(137). (132) Sie wischt. (133) Sie wischt die Krümel vom Tisch. (134) Sie wischt den Tisch sauber. (135) Sie zerbricht die Vase. (136) *Sie zerbricht die Vase vom Tisch. (137) *Sie zerbricht die Vase kaputt. Aus diesen Beobachtungen lassen sich Rappaport Hovav & Levin (1998) zufolge mindestens zwei Verbklassen, result verbs und manner verbs, voneinander abgrenzen. Die theoretische Modellierung geht von einer lexikalischen Dekom‐ position des Verbes aus (vgl. Engelberg 2019: 65-69) und lehnt sich stark an Vendler (1957) an. Die Grundbedeutung eines Verbes wie wischen beruht Rappaport Hovav & Levin (1998) zufolge auf einer Aktivität, bei zerbrechen hingegen handelt es sich um ein accomplishment. Ein Verb wie wischen wird von Rappaport Hovav & Levin (1998) formal als [x ACT < wischen >] repräsentiert und geht aus dem sogenannten template [x ACT <MANNER> ] hervor. Da Verben auch in anderen syntaktischen Umgebungen eingesetzt werden können, wird das 5.1 Methodisches Vorgehen 189 <?page no="190"?> Modell um ein Prinzip ergänzt, das den Varianten Rechnung trägt. Nach diesem Prinzip können templates von Verben ineinander eingebettet werden, sodass ein Verb wie wischen nicht nur als activity, sondern auch als accomplishment verwendet werden kann. Formal dargestellt sieht dies folgendermaßen aus: [[x ACT <MANNER> ] CAUSE [BECOME [y < STATE >]]] (vgl. Dux 2020: 35). Die Arbeiten von Levin und Rappaport Hovav haben wichtige Ansätze zu der Frage geliefert, wie der Zusammenhang zwischen Verbsemantik und Argumentstruktur modelliert werden kann, und mit Levin (1993) wurde zudem eine sehr breite Klassifikation für Verben des Englischen vorgenommen. Für die vorliegende Arbeit ließe sich eine semantische Klassifikation der im Verbslot erscheinenden Lexeme an die Arbeiten von Levin und Rappaport Hovav & Levin anlehnen. Mindestens zwei Argumente sprechen jedoch gegen ein solches Vorgehen. Aus methodischer Perspektive sind die Ergebnisse insofern proble‐ matisch, als dass diese ausschließlich auf introspektiven Verfahren beruhen. In den Abschnitten 2.4.2 und 5.1 der vorliegenden Arbeit werden Argumente angeführt, die für ein korpusbasiertes Vorgehen sprechen. Wie Dux (2020: 46- 51) anmerkt, komme es zudem, vermutlich durch die Introspektion, insbeson‐ dere bei Levin (1993) zu semantisch recht heterogen anmutenden Verbklassen. Es erscheint zudem auf Grundlage der bisherigen Ausführungen fraglich, ob Verbwurzeln eine Grundbedeutung zugeschrieben werden kann. Auf diesen wichtigen Aspekt wird sowohl innerhalb dieses Abschnittes als auch bei der Darstellung der Ergebnisse nochmals verwiesen. Eine Alternative zur semantischen Klassifikation von Verben fassen Hent‐ schel & Weydt (2013: 34-37) in ihrem Handbuch der deutschen Grammatik zusammen. Es handelt sich insofern um ein verwandtes Klassifikationssystem, als dass auch darin Ereignisstrukturen von Verben angesetzt werden. Die Autoren verwenden den Begriff der Aktionsart, der im Gegensatz zum Begriff des Aspekts nicht auf morphologische, sondern auf lexikalisch kodierte Eigen‐ schaften von Verben verweise. Die Grammatik unterscheidet für das Deutsche neun Aktionsarten, die in Tabelle 24 gezeigt werden. Aktionsart Beschreibung Beispiele für Verben inchoativ/ ingressiv den Beginn einer Handlung/ eines Vorganges ausdrückend erblühen transformativ eine Zustandsveränderung ausdrückend sich ändern egressiv/ finitiv das Ende einer Handlung/ eines Vorganges ausdrückend verblühen 190 5 Korpusanalyse I <?page no="191"?> Aktionsart Beschreibung Beispiele für Verben punktuell ein einmaliges Geschehen ausdrückend platzen iterativ ein wiederholtes Vorgehen ausdrückend sticheln diminutiv/ deminutiv eine geringere Intensität eines Vorgehens ausdrückend hüsteln intensiv eine höhere Intensität eines Vorganges aus‐ drückend schnitzen kausativ die Argumentstruktur verändernde Verben der Verursachung tränken faktitiv aus Adjektiven abgeleitete transitive Verben der Verursachung säubern Tabelle 24. Aktionsarten nach Hentschel & Weydt (2013: 35-36). Diese Klassifikation bietet einige interessante Einsichten. So berücksichtigen die Autoren in dieser Darstellung im Gegensatz zu Rappaport Hovav & Levin (1998) die Möglichkeiten der Affigierung. Problematisch an dieser Perspektive auf die Semantik von Verben erscheint mir jedoch zum einen, dass dabei nicht das Wissen von Sprechern repräsentiert ist, sondern das Wissen von Linguist/ -innen. Deutlich wird das an folgendem Auszug aus dem Nachschla‐ gewerk, das exemplarisch herangezogen wird: intensiv, die (höhere) Intensität kennzeichnend, oft zugleich iterativ; z. B. schnitzen (eigentlich ‘ausdauernd schneiden’ (Hentschel & Weydt 2013: 35) Der Ausdruck „eigentlich“ im Zitat lässt auf eine diachrone Perspektive schließen, die nur Expert/ -innen zugänglich ist: Dass das Wort schnitzen „ei‐ gentlich“ ‘ausdauernd schneiden’ bedeutet, dürfte den meisten Sprecher/ -innen des Deutschen verborgen bleiben. Es ist anzunehmen, dass die Verbbedeutung in den wenigsten Fällen diachron abgeleitet wird, zumal das Wortbildungsmuster im heutigen Deutsch nicht produktiv ist. Plausibler scheint es, dass die Verbbe‐ deutung von Sprachnutzern aus den konkreten Kontexten entnommen wird; für das Verb schnitzen somit aus einer Situation, in der eine Person eine Handlung mit einem scharfen Gegenstand an einem Objekt aus Holz vornimmt, um dieses in einer bestimmten Weise zu gestalten. Um Missverständnissen vorzubeugen: Sicherlich haben etymologische Darstellungen einen hohen Mehrwert, wenn es um Fragen der Lexikalisierung geht. Es lassen sich aber bei weitem nicht alle Verben von diesen neun angesetzten Kategorien fassen. Zudem wird der 5.1 Methodisches Vorgehen 191 <?page no="192"?> 46 Es ließe sich darüber diskutieren, das Problem empirisch zu lösen und die Grundbedeu‐ tung mit der am häufigsten gebrauchten Variante gleichzusetzen. 47 Sicherlich kann diese zusammenfassende Darstellung den theoretischen Implikationen der Frame-Semantik nicht gerecht werden. Eine knapp 900 Seiten umfassende deutsch‐ sprachige Darstellung bietet Busse, Dietrich (2012): Frame-Semantik. Ein Kompendium. Berlin,Boston: De Gruyter. unmittelbare sprachliche Kontext in diesem Zugriff ausgeblendet, analog zur Reduktion auf die Verbwurzel im Ansatz von Rappaport Hovav & Levin (1998). Die konstruierten Beispiele in (138)-(141) illustrieren die Komplikation, die sich aus einem lexikalisch orientierten Ansatz ergeben, wenn eine konkrete Satzumgebung vorliegt, wie es bei Korpusstudien üblicherweise der Fall ist. (138) Sie quält sich stetig voran. [atelisch] (139) Sie quält sich auf den Gipfel. [telisch] (140) Sie hungert. [atelisch] (141) Sie hungert sich zu Tode. [telisch] Es zeigt sich, dass sich eine „Grundbedeutung“ hinsichtlich der Ereignisstruktur von quälen oder hungern nicht bestimmen lässt. 46 In den Belegen liegen jeweils unterschiedliche Aktionsarten vor, die sich nicht durch das Verb ergeben. Die Ereignisstruktur wird massiv von der Satzumgebung beeinflusst und kann nicht unabhängig von diesem analysiert werden. Für die Fragestellung dieser Arbeit wird somit eine Semantiktheorie benötigt, die über einen lexikalischen Zugriff hinaus operiert und zugleich das außer‐ sprachliche Wissen von Sprechern berücksichtigt. Mit der Frame-Semantik liegt eine theoretisch elaborierte und methodisch funktionale Alternative vor, die diesen Anforderungen gerecht wird und in Kapitel 3.4 dieser Arbeit bereits in ihren Grundzügen dargelegt wurde. 47 Im Zuge der vorliegenden Studie wurden die durch die Korpusstudie ermittelten Lexeme des Verbslots durch Abfragen der FrameNet-Datenbank abgeglichen. Die mit FrameNet bereitgestellte Datenbank dient als Inventar, mithilfe dessen die semantische Klassifikation der im Verbslot von Bewegungskonstruktionen erscheinenden lexikalischen Einheiten vorge‐ nommen wurde. Das Vorgehen kann hierbei nur ein explorativ-heuristisches sein. Es geht darum, das Potential an Assoziationen, die lexikalische Einheiten bergen, in vergleichbarer Weise quantifizieren zu können. Da FrameNet eine auch sprachübergreifend vielfach genutzte Ressource ist und sich semantische Frames relativ gefahrlos generalisieren lassen, scheint dieses Vorgehen gerecht‐ fertigt. Nun kurz zum Hintergrund vom FrameNet: Im FrameNet-Projekt von Fill‐ more und Kolleg/ -innen der University of Berkeley stehen ebenfalls lexikalische 192 5 Korpusanalyse I <?page no="193"?> 48 Für Busse (2012) stellt das Projekt FrameNet „in gewisser Weise einen Rückschritt“ für die semantische Theoriebildung Fillmores dar, was seiner Ansicht nach auf die notwendige Reduktion der sprachlichen Komplexität für die technische Umsetzung des Vorhabens zurückzuführen ist. Einheiten (lexical units, LUs) als sogenannte frame-evoking elements im Fokus der Modellierung. Die Frames werden durch frame elements (FE) beschrieben. A lexical unit (LU) is a pairing of a word with a meaning. Typically, each sense of a polysemous word belongs to a different semantic frame, a script-like conceptual structure that describes a particular type of situation, object, or event along with its participants and props. (Ruppenhofer et al. 2006: 5) Deutlich sichtbar ist bei der FrameNet-Konzeption die starke Anlehnung an valenzgrammatische Strömungen, wie sie Fillmore innerhalb seiner Kasusthe‐ orie selbst entwickelt hat. FrameNet wurde nach Aussagen der Entwickler ins Leben gerufen, um eine lexikalische Onlineressource zu bieten, die korpus‐ gestützt und durch semi-automatische Annotationsprozesse die Bandbreite semantischer und syntaktischer Kombinationsmöglichkeiten jedes Wortes des Englischen darzustellen vermag, um dessen Bedeutung(smöglichkeiten) abzu‐ bilden (vgl. Ruppenhofer et al. 2006: 5). 48 Für die Benutzer von FrameNet bietet sich die Möglichkeit, lexikalische Einheiten über eine Suchanfrage an die FrameNet-Datenbank abzurufen. Man erhält daraufhin eine Übersicht über die möglichen Bedeutungsvarianten polysemer Verben sowie deren syntaktischen Realisierungsmuster. Zur konkreten Annotation: Zunächst wurden die von mir erhobenen lexika‐ lischen Einheiten mit ihren potenziellen englischen Übersetzungsäquivalenten abgeglichen und anschließend die FrameNet-Datenbank nach entsprechenden Einträgen durchsucht. Im Zweifelsfall wurde die Permutationsprobe zur Ermitt‐ lung des relevanten Frames herangezogen. Ein Beispiel zur Illustration: Das Verb gehen hat das Potential, eine große Bandbreite unterschiedlicher Frames zu aktivieren. (142) Sie geht so schnell sie kann. In Beleg (142) ist es der sogenannte self-motion frame, der durch das Verb evoziert wird. Es lässt sich innerhalb dieses Frames durch das Verb rennen ersetzen, wie Beleg (143) zeigt. (143) Sie rennt so schnell sie kann. Komplexer zeigt sich das Bild, wenn wir zusätzlich Beleg (144) betrachten. 5.1 Methodisches Vorgehen 193 <?page no="194"?> (144) Morgen geht sie mit Freunden ins Kino. (145) ? Morgen radelt sie mit Freunden ins Kino. Versucht man in diesem Fall das Verb gehen durch ein Verb zu ersetzen, das in der Lage ist, den self_motion frame zu evozieren, kann man einen Beleg wie (145) erhalten. Die Zweifel ergeben sich dadurch, dass Beleg (144) nach meiner Einschätzung nicht den self_motion frame evoziert, sondern vielmehr den acitivity_frame. In dieser Äußerung steht ja nun gerade nicht die Art der Bewegung im Vordergrund, sondern die Tatsache, dass ein Kinobesuch geplant ist. Durch einen Permutationstest wurde bei der Kodierung eine Art Rechtfertigungsprozedur ex post unternommen (vgl. Lehmann 2018). Eine weitere Herausforderung bei der Annotation der potenziell evozierten Frames war die zu leistende Übersetzung. Auch wenn FrameNet sprachüber‐ greifend und sprachvergleichend genutzt werden kann (vgl. Boas 2003), ist es eine Ressource, die aus dem Englischen heraus und für das Englische konzipiert wurde. So ist für L2-Sprecher des Englischen nicht sofort ersichtlich, welche Variante eines Verbes am nächsten an der deutschen Zielform liegt. Leider sind mögliche deutschsprachige Alternativen wie das SALSA-Projekt oder das FrameNet des Deutschen in ihrer Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten, als dass sie hätten nutzbar sein können. Zeschel (2017) setzt in seiner Korpusstudie zu den Verben kommen und gehen im gesprochenen Deutsch gar eigens Frames an, um diese Schwierigkeit zu umgehen. Damit ist allerdings das Problem der Transparenz sowie der Vergleichbarkeit ungleich größer, sodass ein auf FrameNet basierendes Verfahren als die bestmögliche Umsetzung erschien. - 5.1.4.6 Morphologie des Verbs/ der Verbalgruppe Für die Auswertung der Daten ist nicht nur die Semantik des Verbs bzw. der Verbalgruppe von Interesse, sondern auch morpho-syntaktische Eigenschaften. Daher wurde ein weiterer Annotationsschritt vorgenommen, bei dem festge‐ stellt wurde, ob es sich bei den Lexemen des Verbslots um morphologisch einfache oder komplexe Wörter handelt. Präfix- und Partikelverben zählen hierbei zu den morphologisch komplexen Verben. Davon abgegrenzt wurden in Anlehnung an Ágel (2017: 305-334) zudem Kollokativgefüge sowie idiomatische Ausdrücke. Belege wie (146) wurden als Kollokativgefüge gefasst, Belege wie (147) hingegen als Idiome. (146) Die Demonstranten nahmen in den nahegelegenen Gebäuden Deckung […] [Archiv der Gegenwart, 2001 [1956]] 194 5 Korpusanalyse I <?page no="195"?> (147) Stellen Sie sich vor, eines Tages flattert plötzlich eine Einladung ins Haus, auf der Sie zu einem Frühstück geladen werden. Im Zuge dieses Schrittes wurde auch festgehalten, ob ein Modalkomplex vorliegt. Belege mit dem Verb lassen (vgl. Beleg (148)) wurden hierbei als Modalkomplex klassifiziert. (148) Dann läßt sie sich mit der Flasche aufs Bett plumpsen. [Dückers, Tanja: Spielzone, Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 2002 [1999], S.-190] - 5.1.4.7 Reflexivität Einige der Konstruktionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen erscheinen mit einer grammatischen Form sich, was je nach semantischem Ge‐ halt und syntaktischem Verhalten unterschiedlich gewertet werden kann (vgl. Haspelmath 1987; Hentschel & Weydt 2013: 59-60; Ágel 2017: 335; Hentschel & Weydt 2013: 59-60; Welke 2019: 407, 274-275). Eine Annotation, die lediglich [ ±vorhanden] bemerkt, greift zu kurz. (149) Früh morgens schleicht sie auf blanken Füßen an Gesines Bett. (150) Sie schlich sich in das Haus. Die Belege (149) und (150) zeigen auf, dass das Vorkommen eines Reflexivmar‐ kers unter bestimmten Umständen optional zu sein scheint. Die Belege (151) und (152) illustrieren ein weiteres Phänomen im Zusam‐ menhang mit Reflexivmarkern. Unter bestimmten Umständen lässt sich die Konstruktion in eine kausale Bewegungskonstruktion überführen. (151) Sie drängen sich, Ada voran, durch die Menschenmenge, in Richtung Back‐ stage. [Dückers, Tanja: Spielzone, Berlin: Aufbau-Taschenbuch-Verl. 2002 [1999], S.-183] (152) Sie drängen ihn an die Wand. In Beleg (153) schließlich erscheint der Reflexivmarker zusammen mit einem Lexem im Verbslot, das im prototypischen Fall nicht mit Bewegung assoziiert ist, zumindest nicht mit intentional motion. (153) Im Café Altstadt krümelte er sich in die dämmerigste Ecke […] [Walser, Martin: Halbzeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 [1960], S.-412] Die Positionen, wie die unterschiedlichen Funktionen von sich adäquat zu beschreiben sind, divergieren in der gesichteten Literatur deutlich. Für die Auswertung der Belege ist ein zuverlässiges Testinstrument zur Diagnostik der möglichen reflexiven Verwendung der erhobenen Verben notwendig. Für die 5.1 Methodisches Vorgehen 195 <?page no="196"?> Kodierung der Belege wurden die Testverfahren aus Ágel (2017: 340) sowie der Dudengrammatik (Eisenberg 1998) genutzt, die im Folgenden aufgelistet sind: • Das Verb wird sowohl reflexiv als auch nicht reflexiv gebraucht, ohne dass sich eine Bedeutungsveränderung ergibt. • Der Reflexivmarker ist insofern ein reguläres Satzglied, als dass er - getilgt werden kann (Tilgungstest). - durch ein anderes nominales Element ersetzt werden kann (Ersatz‐ probe). - koordiniert werden kann (Koordinationstest). - erfragt werden kann (Fragetest). - negiert werden kann (Negationstest). - an den Satzanfang gestellt werden kann (Vorfeldtest). • Der Reflexivmarker lässt sich mit dem Ausdruck selbst verbinden. • Der Reflexivmarker ist nicht semantisch ausgebleicht. Wendet man nun die obigen Tests zur Diagnostik an, kann dadurch zwischen echt reflexiven Verben und endoreflexiven Konstruktionen unterschieden werden. An Beleg (154) wird das exemplarisch gezeigt. (154) Im Café Altstadt krümelte er sich in die dämmerigste Ecke […] [Walser, Martin: Halbzeit, Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1997 [1960], S.-412] Es handelt sich um eine endoreflexive Verwendung des Verbs krümeln, da Verursacher und Handlungsträger in Beleg (154) identisch sind und die Kon‐ struktion die Veränderung der eigenen Körperposition im Raum ausdrückt. Gebraucht man das Verb ohne entsprechenden Reflexivmarker, kommt es zu einer Bedeutungsverschiebung. Die Tests zur Satzgliedbestimmung führen zu uneindeutigen Ergebnissen. Diese uneindeutigen Ergebnisse sprechen dafür, die endoreflexive Konstruktion als eigenständige Kategorie anzusetzen. Ich komme somit zu einer Einordnung des Reflexivmarkers, die sowohl auf grammatischen Prozeduren als auch auf semantischen Eigenschaften beruht. Tabelle 25 zeigt prototypische Beispiele der Annotation. Ausprägung Beispiel nicht reflexiv Früh morgens schleicht sie auf blanken Füßen an Gesines Bett. endoreflexiv Sie schlich sich in das Haus. reflexiv Sie traut sich ins Wasser. Tabelle 25. Ausprägungen des Reflexivmarkers. 196 5 Korpusanalyse I <?page no="197"?> 5.1.4.8 Direktionale Präposition Da der aktuelle Forschungsstand darauf hinweist, dass die direktionalen Präpo‐ sitionen der Konstruktionen mit unterschiedlichen Auftretenshäufigkeiten von bestimmten Verben korrelieren, wurde die direktionale Präposition annotiert. Annotiert wurde hierbei auch, ob es sich um Klitika handelt. Bei Beleg (155) wurde somit zur als direktionale Präposition annotiert, bei Beleg (156) zu. (155) Der Arzt wendet sich zur Tür. [Horster, Hans-Ulrich [d.-i. Rhein, Eduard]: Ein Herz spielt falsch, Köln: Lingen 1991 [1950], S.-33] (156) Die Geliebte wird das Gewicht des Sterbenden nicht halten können, wird mit ihm zu Boden sinken. [Busch, Werner: Das sentimentalische Bild, München: Beck 1993, S.-110] Auf eine Lemmatisierung wurde verzichtet, weil davon ausgegangen werden kann, dass es sich bei den Varianten zu + def.Art., zur/ zum, zu + Nullartikel nicht um Synonyme handelt, sondern ein Bedeutungsunterschied zwischen diesen Varianten vorliegt und von Sprecher/ -innen auch als solcher wahrgenommen werden kann (vgl. Nübling 1992). Wenn mehrere direktionale Präpositionen vorliegen, wurden alle Präpositionen annotiert (vgl. Beleg (157)). (157) Er ging durch den dunklen Gang von der Straße in den Hinterhof. [Süskind, Patrick: Das Parfum, Zürich: Diogenes 1985, S.-167] Komplexe Präpositionen oder solche, die sich auf dem Weg der Grammatikali‐ sierung befinden, wurden als Präpositionen annotiert. Ein Beispiel ist das Lexem Richtung, das mit anderen Präpositionen zusammen als nominales Element auftreten kann, jedoch auch Verwendungen als eigenständige Präposition zeigt (vgl. Beleg (157) und (158)). (158) Wir fuhren durch den polnischen Wald in Richtung Deutschland. [Hilsenrath, Edgar: Der Nazi & der Friseur, Köln: Literar. Verl. Braun 1977, S.-123] (159) Sie flog Richtung Westen, in die untergehende Sonne. [Moers, Walter: Die 13 1/ 2 Leben des Käpt’n Blaubär, Frankfurt a. M.: Eichborn 1999, S.-72] Lag in einem Beleg keine direktionale Präpositionalgruppe vor, wurde das ebenfalls als eine weitere mögliche Ausprägung annotiert. - 5.1.4.9 Semantische Rolle der Präpositionalgruppe In Kapitel 2.1 wurde auf Grundlage der STLP Talmys dargelegt, dass allen Sprachen ein Grundinventar an semantischen Elementen, die isoliert vonein‐ ander existieren, gemein ist. Als semantische Grundelemente postuliert er in seinem 1985 erschienenen Aufsatz “Lexicalization patterns: semantic structure 5.1 Methodisches Vorgehen 197 <?page no="198"?> in lexical forms” M O TI O N , P ATH , F I G U R E , G R O U N D , M AN N E R U N D C AU S E (Talmy 1985: 57). Das P ATH -Element wiederum lässt sich noch feiner analysieren. Unterschieden werden hierbei die Elemente S O U R C E , R O U T E und G O AL . Mit diesem Inventar lassen sich die direktionalen Präpositonalgruppen hinsichtlich ihrer Semantik klassifizieren (vgl. Jackendoff 1983; Talmy 1991). (160) John F I G U R E rannte M O T I O N +M A N N E R ins P A T H Zimmer. G O A L (161) John F I G U R E rannte M O T I O N +M A N N E R aus P A T H dem Zimmer. S O U R C E (162) John F I G U R E rannte M O T I O N +M A N N E R über P A T H die Straße. R O U T E Folgende Kategorisierung wurde dabei von mir vorgenommen (vgl. Guse (2022)). • Präpositionen, die im Deutschen G O AL kodieren: auf, nach, gegen, in, in Richtung, Richtung, zu, unter, hinter • Präpositionen, die im Deutschen S O U R C E kodieren: aus, von, von … weg, aus … weg • Präpositionen, die im Deutschen R O U T E kodieren: über, durch, entlang 5.1.5 Zusammenfassung In diesem Abschnitt wurde dargelegt, welche Schritte bei der Datenerhebung vorgenommen wurden. Ausgangspunkt war die Wahl des Korpus. Von dort aus wurde diskutiert, wie die Konzeption der einzelnen Suchanfragen durch ein Bootstrapping-Verfahren vorgenommen wurde. Aus den extrahierten Rohdaten wurde das eigentliche Sample gewonnen, indem doppelte Belege sowie falsch positive Treffer exkludiert wurden. Es wurde dargelegt, welche Metadaten und welche weiteren semantischen wie syntaktischen Kategorien durch manuelle Annotation zur Auswertung hinterlegt sind. Hierbei lag der besondere Fokus auf möglichen Zweifelsfällen, die auf periphere Vertreter von Kategorien zurück‐ zuführen sind. In der Methodenkritik unter Abschnitt 5.4 wird das Vorgehen kritisch reflektiert. Es folgen mit Kapitel 5.2 nun die Ergebnisse der ersten Korpusstudie. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I Dieses Ergebniskapitel ist wie folgt strukturiert: Die Versprachlichung der Be‐ wegungsereignisse faktiv, fiktiv sowie metaphorisch und körperassoziiert wird in 198 5 Korpusanalyse I <?page no="199"?> jeweils eigenen Abschnitten dargelegt. Für diese Bewegungsereigniskategorien werden hierbei die jeweils identischen Teilfragestellungen der Dissertation zugrunde gelegt: • Welche Verben werden in welchen Konstruktionen des Deutschen genutzt? • Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zu Bewegungs‐ konstruktionen des Schwedischen und Englischen feststellen? • Inwiefern sind die ermittelten Verben und Konstruktionen gebräuchlich oder idiosynkratisch? 5.2.1 Übersicht Zunächst bietet Abbildung 20 eine Übersicht über die absoluten Häufigkeiten der einzelnen Bewegungsereigniskategorien im Sample. Hierbei ist zu beachten, dass daraus keine direkten Rückschlüsse auf die Verteilung der Bewegungse‐ reignisse im DWDS-Kernkorpus oder gar für das Deutsch im Allgemeinen gezogen werden können, da durch die Auswahl der Suchanfragen möglicher‐ weise eine Verzerrung vorliegt. Aus diesem Grund wird auf eine Angabe der relativen Häufigkeiten verzichtet. 2297 376 262 249 27 1 0 500 1000 1500 2000 2500 t i e k g i f u ä H e t u l o s b a Bewegungsereignis Abbildung 20. Verteilung der Bewegungsereigniskategorien im Sample von Korpus‐ studie I. Als Tendenz dürften sich die absoluten Häufigkeiten jedoch verstehen lassen. Wie zu erwarten, ist die häufigste Kategorie die der faktiven Bewegungsereig‐ 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 199 <?page no="200"?> nisse, gefolgt von der Kategorie der fiktiven Bewegungsereignisse. Es folgen die metaphorischen Bewegungsereignisse sowie diejenigen, die körperassoziierte Bewegungsereignisse ausdrücken. Überlagerungen von Bewegungsereigniska‐ tegorien sind selten im Sample vertreten. So entfallen 27 Belege auf eine Überlagerung von fiktiven und metaphorischen Bewegungsereignissen. In einem Fall kommt es zur Überlagerung von einem faktiven und einem fiktiven Bewegungsereignis. Abbildung 21 zeigt die absoluten Häufigkeiten der unterschiedlichen Bewe‐ gungsereignisse, aufgeschlüsselt nach dem jeweiligen Genre. Es zeigt sich zunächst, dass das Genre Belletristik das am häufigsten im Sample vertretene Genre ist; hierauf entfallen 1854 Belege, was einem Anteil von etwa 58 Prozent entspricht. Es folgt das Genre Gebrauchsliteratur mit 773 Belegen und einem Anteil von 24 Prozent. 328 Belege entfallen auf das Genre Zeitung (etwa zehn Prozent) sowie 257 Belege auf das Genre Wissenschaft (etwa acht Prozent). Diese Ungleichverteilung ist nicht der Verteilung der Genres im DWDS-Kernkorpus geschuldet, denn dies ist, wie in Abschnitt 5.1.1 beschrieben, ein balanciertes Korpus, was die vertretenen Genres betrifft. Eine mögliche Erklärung dürfte in den Suchanfragen liegen: Diese nutzen überwiegend konkrete Substantive im P ATH -Slot der Konstruktionen, wie etwa Büro, Treppe usw. Es ist zu vemuten, dass durch dieses Vorgehen ein Genre bevorzugt wird, in dem häufiger über alltägliche Fortbewegung berichtet wird, als es in wissenschaftlichen Publika‐ tionen der Fall ist. 200 5 Korpusanalyse I <?page no="201"?> 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 Belletristik Gebrauchsliteratur Zeitungstexte Wissenschaft absolute Häufigkeit Genre Belletristik Gebrauchsliteratur Zeitungstexte Wissenschaft faktiv 1407 544 214 132 fiktiv 229 80 29 38 konzeptuelle Metapher 63 68 66 65 körperassoziiert 151 74 7 17 fiktiv/ konzeptuelle Metapher 3 7 12 5 faktiv/ fiktiv 1 0 0 0 Abbildung 21. Absolute Häufigkeiten der Bewegungsereignisse, aufgeschlüsselt nach Genre. Interessant ist zudem die Verteilung an metaphorischen Bewegungsereignissen über die Genres hinweg. Sie ist in allen vier Genres mit 63/ 68/ 66/ 65 Belegen an‐ nährend identisch. Angesichts der absoluten Häufigkeiten der vorkommenden Genres ist das unerwartet. Es zeigt sich an der Verteilung, dass gerade in der Wissenschaft metaphorische Ausdrucksweisen genutzt werden, um abstrakte oder komplexe Konzepte zu versprachlichen (vgl. Lakoff & Johnson 1980a). 5.2.2 Faktive Bewegungsereignisse In diesem Unterkapitel wird die Versprachlichung der Bewegungsereignisse der Kategorie faktiv analysiert, die durch Korpusstudie I erhoben wurde. Die Darstellung erfolgt nach Argumentstrukturkonstruktionen, einer groben, aber zugleich sehr brauchbaren syntaktischen Subklassifikation. Ich unterscheide zwischen intransitive Bewegungskonstruktionen und transitiven Bewegungs‐ konstruktionen. Die Passivkonstruktion, die Reflexivkonstruktion sowie die AKK ADV -Konstruktion sind nicht unter der Kategorie transitive Bewegungskonst‐ ruktionen subsumiert worden: Da einige Studien darauf hindeuten, dass die Wahl zwischen einer Aktiv- oder einer Passivkonstruktion auch abhängig vom 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 201 <?page no="202"?> jeweiligen Verb ist (vgl. u. a. Hanks 2013), ist an dieser Stelle eine feinere Unterscheidung vorgenommen worden, die neben syntaktischen Kriterien auch semantische Kriterien beachtet (vgl. 5.1.4 zur Kodierung der Korpusbelege). In Abbildung 22 sind die absoluten Häufigkeiten der fünf von mir angesetzten Argumentstrukturkonstruktionen aufgeführt. 1435 560 126 115 61 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 1600 intransitiv transitiv reflexiv passiv Adverbialer Akkusativ t i e k g i f u ä H e t u l o s b A Argumentstruktur Abbildung 22. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kate‐ gorie faktive Bewegungsereignisse. - 5.2.2.1 Faktive Bewegungsereignisse: Intransitive Bewegungskonstruktion Zunächst werden die Type-Token-Verhältnisse des Verbslots dargelegt. Für die intransitive Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse sind im untersuchten Sample 402 Types auf 1435 Tokens aufgetreten. Das entspricht einer Type-Token-Ratio von ≈ 0,28. 202 5 Korpusanalyse I <?page no="203"?> 277 134 89 33 30 26 23 23 23 23 19 16 16 13 13 12 11 11 10 10 8888 77777 66666 555555555 444444444444 0 50 100 150 200 250 300 gehen kommen fahren laufen wollen müssen treten steigen fallen springen ziehen fliegen rennen zurückkehren folgen können gehen stürzen hinausgehen zurückgehen eilen reisen gelangen hereinkommen rollen kriechen gleiten sein sollen kommen greifen klettern sollen gehen dürfen rutschen kein Verb schweben wandern einsteigen zurückkommen wanken kippen marschieren fliehen taumeln rücken verschwinden ankommen vorbeigehen wollen fahren schleichen zurückfahren schlüpfen huschen wehen eindringen schreiten absolute Häufigkeit Types Abbildung 23. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Tris Legomena, Dis Legomena und Hapax Legomena. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 203 <?page no="204"?> Im Teilsample der intransitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungse‐ reignisse sind 283 Hapax Legomena bei 402 Types und 1435 Tokens aufgetreten. Zur Annäherung an die Produktivität der intransitiven Konstruktion lässt sich der Produktivitätsindex P nach Baayen (1991) heranziehen (vgl. Kapitel 3.3.5). Da P = H apax Legomena T oken , erhält man einen Produktivitätsindex von P ≈ 0,197. Dieser Arbeit liegt die Prämisse zugrunde, dass Wörter nicht über Bedeutung verfügen, sondern über Bedeutungspotentiale, die in konkreten Kontexten durch Sprachnutzer über Inferenz spezifiziert werden, um zu einer sinnvollen Interpretation der sprachlichen Symbole zu gelangen. Daher ist es nicht ausrei‐ chend, allein auf die in den Verbslots der Konstruktionen verwendeten Lexeme zu blicken, um eine Aussage über Gebrauchsnormen und Exploitationen zu treffen. Es bedarf außerdem der Berücksichtigung potenziell evozierter seman‐ tischer Frames. In Abbildung 24 ist eine vollständige Auflistung aller kodierter Frames für die intransitiven Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse dargestellt. 204 5 Korpusanalyse I <?page no="205"?> 602 191 119 64 45 37 34 31 26 22 17 16 16 15 12 11 11 11 10 10 9 88 77 66 55 44444444 3 333 222222 111111111111111111 0 100 200 300 400 500 600 700 self_motion arriving operate_vehicle desiring needing motion_directional motion possibility change_direction desirable_event cotheme education_teaching activity invading sleep make_noise traversing letting travel mass_motion work impact evading manipulation visiting board_vehicle kein Verb quitting_a_place becoming_visible placing body_movement use_firearm ride_vehicle ceasing_to_be cause_motion contacting excreting sex attack disembarking cause_harm grooming abounding_with event breaking gesture dying motion_in_place start departing oparte_vehicle activity_start destroying breathing bungling moving_in_place become_visible dispersal bringing hostile_encounter come_together visiting_scenario_depa… emission pushing exporting absolute Häufigkeit Frame Abbildung 24. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion faktiver Bewegungsereignisse. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 205 <?page no="206"?> Wie zu erwarten, entfällt knapp die Hälfte aller Belege auf den self_motion frame. Es folgen mit größerem Abstand der arriving frame sowie der operate_vehicle frame. Die zehn frequentesten semantischen Frames stammen aus den Domänen motion sowie modality. Zu letzterem gehören desiring, needing und possibility. - 5.2.2.2 Faktive Bewegungsereignisse: Transitive Bewegungskonstruktionen Die Lexeme des Verbslots transitiver Bewegungskonstruktionen faktiver Bewe‐ gungsereignisse sind in Abbildung 25 aufgeschlüsselt. Nicht aufgeführt sind aus Darstellungsgründen Hapax/ Dis und Tris Legomena. 41 24 23 18 17 14 11 10 9999 8 77 7 6 55 444 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 bringen nehmen werfen führen legen ziehen machen schieben tragen stellen schicken mitnehmen holen treiben bitten heben fahren stecken schleppen einladen setzen schmeißen absolute Häufigkeit Types Abbildung 25. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Tris Legomena, Dis Legomena und Hapax Lego‐ mena. 206 5 Korpusanalyse I <?page no="207"?> Für die transitiven Bewegungskonstruktionen faktiver Bewegungsereignisse liegen 194 Hapax Legomena auf 560 Tokens vor. Daraus berechnet sich ein Produktivitätsindex P von ≈ 0,346. Die annotierten Frames der transitiven Konstruktionen unterscheiden sich deutlich von den semantischen Frames der intransitiven Konstruktionen fak‐ tiver Bewegungsereignisse. Gemeinsam ist der hohe Anteil an semantischen Frames der Domäne modality, zu denen possibility, letting und needing gezählt werden können, siehe Abbildung 26. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 207 <?page no="208"?> 126 66 49 45 35 25 21 19 19 14 14 13 12 11 10 9 8 4 333333333 2222222222 111111111111 0 20 40 60 80 100 120 140 cause_motion placing bringing taking cotheme self_motion possibility letting desiring needing getting request sending carry_goods operate_vehicle desirable_event giving traversing moving_in_place cause_to_fragment abounding_with arriving motion_directional transport breathing impact visiting cause_harm closure grooming mass_motion dispersal pushing change_direction motion hostile_encounter ingestion cause_to_move_in_place cause_bodily_experience kein make_noise locating departing invading ride_vehicle visit distributed position gesture start absolute Häufigkeit Frame Abbildung 26. Frames und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruk‐ tion faktiver Bewegungsereignisse. 208 5 Korpusanalyse I <?page no="209"?> 5.2.2.3 Faktive Bewegungsereignisse: Passivkonstruktionen Es wurden 115 Belege als passive Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse annotiert. Die Lexeme des Verbslots samt absoluter Häufigkeiten sind in Abbil‐ dung 27 aufbereitet worden. Auf die Angabe aller erhobenen Hapax Legomena wurde aus Darstellungsgründen verzichtet. 11 6 4 3 333 22 22222 0 2 4 6 8 10 12 bringen schicken legen holen reißen einladen verlegen versetzen liefern entlassen entfernen fahren führen wehen absolute Häufigkeit Types Abbildung 27. Types und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen faktiver Be‐ wegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Für die Passivkonstruktionen faktiver Bewegungsereignisse liegen 68 Hapax Legomena auf 115 Tokens vor. Daraus berechnet sich ein Produktivitätsindex P von ≈ 0,591. Die semantischen Frames der passiven Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse lassen sich aus Abbildung 28 entnehmen. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 209 <?page no="210"?> 22 15 14 9 8 6 5 44 3 222 222 111111111 111 0 5 10 15 20 25 cause_motion placing bringing sending possibility cotheme request getting taking cause_to_fragment needing removing grooming operate_vehicle hostile_encounter motion carry_goods communication change_direction attaching pushing transport path_shape cause_to_be_included moving_in_place letting manipulation mass_motion absolute Häufigkeit Frame Abbildung 28. Frames und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktion faktiver Bewe‐ gungsereignisse. - 5.2.2.4 Faktive Bewegungsereignisse: Reflexive Bewegungskonstruktionen Aus Abbildung 29 kann man die Lexeme des Verbslots der reflexiven Bewe‐ gungskonstruktionen faktiver Bewegungsereignisse entnehmen. Auch hier sind die Hapax Legomena nicht dargestellt worden. 210 5 Korpusanalyse I <?page no="211"?> 9 8 7 6 5 444 333 22 2222222 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 sich zurückziehen sich stürzen sich begeben sich bewegen sich schieben sich schleichen sich trauen sich verlagern sich auf den Weg machen sich drängen sich verziehen sich wälzen sich drängeln sich schleppen sich nähern sich tasten sich aufmachen sich zwängen sich versammeln sich lassen fahren absolute Häufigkeit Types Abbildung 29. Types und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Für die reflexiven Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse liegen 51 Hapax Legomena auf 126 Tokens vor. Daraus lässt sich ein Produktivitätsindex P von ≈ 0,405 berechnen. In Abbildung 30 sind die semantischen Frames und die absoluten Häufig‐ keiten für die reflexiven Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse darge‐ stellt. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 211 <?page no="212"?> 42 21 13 8 7 44 33 22 1111111111111111 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 self_motion motion quitting_a_place letting activity_start motion_in_place arriving gathering_up experiencer_focused_emotion placing taking change_posture rescuing dispersal expansion escaping body_movement path_shape bringing communication_noise capacity residence cotheme work losing_track_of_theme desiring change_direction absolute Häufigkeit Frame Abbildung 30. Frames und absolute Häufigkeiten der reflexiven Konstruktion faktiver Bewegungsereignisse. - 5.2.2.5 Faktive Bewegungsereignisse: AKK ADV -Konstruktionen Für die AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse sind 61 Belege im Sample vertreten. In Abbildung 31 sind die Lexeme des Verbslots für alle Types außer den Hapax Legomena dargestellt. Es zeigt sich, dass für die AKK ADV -Konstruktionen nahezu ausschließlich Präfix- und Partikelverben gebraucht werden. Der weitaus häufigste Typ ist hierbei verlassen mit 14 Tokens. 212 5 Korpusanalyse I <?page no="213"?> 14 3 2 2 2 2 2 2 2 2 0 2 4 6 8 10 12 14 16 verlassen hinunterstapfen überqueren hinunterlaufen hinunterhasten entlangfahren kein Verb entlangschlurfen erreichen hinuntereilen absolute Häufigkeit Types Abbildung 31. Types und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Auch die Hapax Legomena lassen sich, bis auf einen Typ, den Präfix- und Par‐ tikelverben zurechnen. Die Hapax Legomena können Abbildung 32 entnommen werden. abbiegen • durchkämmen • durchqueren • durchstreifen • entlangbummeln • entlangrennen • herabschreiten • hinaufeilen • hinauffahren • hinaufhumpeln • hinaufkeuchen • hinaufrennen • hinaufschleppen • hinaufstaken • hinaufsteigen • hinauftragen • hinunterhüpfen • hinunterpoltern • hinunterrennen • hinuntersteigen • hochrennen • hochsteigen • können hinunter • runterstapfen • runterstiefeln • runtertaumeln • sich hinaufquälen • umfließen Abbildung 32. Hapax Legomena der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereig‐ nisse. In zwei Belegen bleibt der Verbslot unbesetzt. Diese Belege sind unter (163) und (164) angeführt. (163) Also wir nichts wie die Treppen hoch, […] (164) Er sagte: Ach so, du meinst, die Treppe hinunter. Es ist plausibel anzunehmen, dass sich hinter Beleg (163) ein konstruktionali‐ sierter Ausdruck verbirgt, der dem Schema [nichts wie P ATH ] folgt. In Beleg (164) handelt es offenbar um den Auszug aus einem Dialog, sodass eine elliptische Konstruktion naheliegend erscheint. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 213 <?page no="214"?> Neben den Types des Verbslots sind auch die evozierten Frames annotiert worden. Eine Übersicht bietet Abbildung 33. 31 14 3 2222 11111 0 5 10 15 20 25 30 35 self_motion departing operate_vehicle traversing arriving transport kein Verb possibility fludic_motion searching abounding_with make_noise absolute Häufigkeit Frame Abbildung 33. Frames und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse. 5.2.3 Fiktive Bewegungsereignisse Für die Kategorie der fiktiven Bewegungsereignisse wird mit Abbildung 34 zunächst eine Übersicht nach Argumentstruktur gegeben. 214 5 Korpusanalyse I <?page no="215"?> 271 67 18 15 5 0 50 100 150 200 250 300 intransitiv transitiv reflexiv passiv Adverbialer Akkusativ absolute Häufigkeit Argumentstruktur Abbildung 34. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kate‐ gorie fiktive Bewegungsereignisse. Es überwiegen für die Kategorie deutlich die intransitiven Konstruktionen mit 271 Belegen. Damit entfallen dreiviertel aller Belege auf intransitive Konstruk‐ tionen. Es folgen auf Rang zwei die transitiven Konstruktionen. Die übrigen Argumentstrukturen machen zusammen lediglich zehn Prozent an den fiktiven Bewegungsereignissen aus. Im Folgenden werden die Argumentstrukturkonst‐ ruktionen hinsichtlich des Verbslots und evozierter Frames analysiert. - 5.2.3.1 Fiktive Bewegungsereignisse: Intransitive Konstruktionen In Abbildung 35 werden die Types für den Verbslot der intransitiven Konstruk‐ tionen fiktiver Bewegungsereignisse aufgeschlüsselt. Aus Darstellungsgründen wurde auf die Angabe der Hapax Legomena verzichtet. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 215 <?page no="216"?> 28 22 21 17 11 11 555 44444 333 22222222222222222 0 5 10 15 20 25 30 schauen blicken sehen gehen starren zeigen dringen kommen abschließen fallen führen passen ragen hineinschreien arbeiten gucken abbiegen wehen deuten leuchten durcheinanderschreien sein fragen laufen ausweichen müssen sehen hersehen schallen hineinsagen verlaufen ziehen weisen hinüberblicken hinunterblicken absolute Häufigkeit Types Abbildung 35. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion fiktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Für die intransitiven Konstruktionen der Kategorie wurden 82 Hapax Legomena auf 271 Types ermittelt. Aus diesen Frequenzen ergibt sich für den Produktivi‐ tätsindex P ≈ 0,303. Auch die Frames sind annotiert worden. 32 Types wurden ermittelt. Abbil‐ dung 36 zeigt alle erhobenen Frames für die intransitiven Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. 216 5 Korpusanalyse I <?page no="217"?> 114 41 17 13 9 8 7 666 44444 33 222 111111111111 0 20 40 60 80 100 120 perception_active path_shape communication_noise cause_to_perceive self_motion make_noise needing change_direction invading arriving light_movement motion_directional mass_motion cotheme suitability work motion cause_motion gesture possibility change resolve_problem communication_manner protecting contacting residence desiring become_visible come_together event communication hostile_encounter absolute Häufigkeit Frame Abbildung 36. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion fiktiver Bewegungsereignisse. Es dominiert der perception_active frame. Ein Beispiel für eine solchen Frame bietet Beleg (165). (165) Elsa schaute wieder schräg in die Höhe. Daneben ließen sich viele weitere Belege dem Frame path_shape zuordnen. Beleg (166) illustriert diesen Frame. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 217 <?page no="218"?> (166) […] es ragten nur noch Brandmauern in die Höhe. Ein weiterer frequent auftretender Frame ist communication_noise, wie Beleg (167) zeigt. (167) Döskopp feixte von der Luke ins Zimmer. - 5.2.3.2 Fiktive Bewegungsereignisse: transitive Konstruktionen In Abbildung 37 sind die Lexeme des Verbslots der transitiven Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse aufgeführt. Auch hier wurde auf die Darstellung der Hapax Legomena verzichtet. 6 4 3 2 2 2 2 2 2 2 0 1 2 3 4 5 6 7 rufen beobachten schreien bekommen richten schreiben sehen heruntersingen hören streuen absolute Häufigkeit Types Abbildung 37. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion fiktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Es wurden 40 Hapax Legomena auf 67 Belege für diese Kategorie ermittelt. Hieraus ergibt sich ein Produktivitätsindex P von ≈ 0,597. Auf 67 Belege kommen 18 Types an Frames. Welche Frames annotiert wurden, ist Abbildung 38 zu entnehmen. 218 5 Korpusanalyse I <?page no="219"?> 24 15 4 3 3 3 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 5 10 15 20 25 30 communication_noise perception_active communication letting communication_manner getting path_shape possibility dispersal self_motion placing desiring arriving amounting_to sending giving diversity light_movement absolute Häufigkeit Frame Abbildung 38. Frames und absolute Häufigkeiten transitiver Bewegungskonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Es überwiegen die Frames, die mit Kommunikation assoziiert sind, wie commu‐ nication_noise, communication oder communication_manner. (168) Und fragte in den Saal, ob sich jemand denken könne, von wem das sei. Eine weitere Domäne stellt Modalität dar. Das zeigen die Frames letting, possibility und desiring. (169) […] und ließ Tanzmusik durch die Straßen hallen. - 5.2.3.3 Fiktive Bewegungsereignisse: Passivkonstruktionen Wie bereits erwähnt, sind für die Passivkonstruktionen fiktiver Bewegungse‐ reignisse lediglich 15 Belege annotiert worden. In Abbildung 39 sind alle Lexeme des Verbslots dieser Kategorie gelistet. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 219 <?page no="220"?> 2 1111111111111 0 1 2 3 ziehen müssen ausgleichen einteilen abtrennen richten aufhängen korrigieren begrenzen reflektieren deuten sollen belästigen durchziehen abknicken einpassen absolute Häufigkeit Types Abbildung 39. Types und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen fiktiver Be‐ wegungsereignisse. Auf die Berechnung des Produktivitätsindexes P wird verzichtet, da das Sub‐ sample dieser Kategorie schlicht zu klein ist, um aus dem Wert eine valide Aussage ableiten zu können. Vergleicht man die erhobenen Types der Passiv‐ konstruktion mit den Types der transitiven Konstruktionen fiktiver Bewegungs‐ ereignisse, so wird man keine Übereinstimmungen feststellen. Es zeigen sich an dieser Stelle gänzlich andere Types. Wir haben somit deutliche Gebrauchsunter‐ schiede zwischen Lexemen in Passivkonstruktionen und Lexemen in transitiven Konstruktionen. Die Unterschiede spiegeln sich auch in den annotierten Frames wider, wie Abbildung 40 zeigt. 220 5 Korpusanalyse I <?page no="221"?> 3 22 1111111 0 1 2 3 4 path_shape placing cause_motion stimulate_emotion needing cause_to_perceive resolve_problem change_direction boundary light_movement absolute Häufigkeit Frame Abbildung 40. Frames und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Es wurden zehn unterschiedliche Frames annotiert. Die drei häufigsten sind hierbei path_shape, placing sowie cause_motion. - 5.2.3.4 Fiktive Bewegungsereignisse: Reflexivkonstruktionen Im annotierten Sample liegen 18 Belege für Reflexivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse vor. In Abbildung 41 sind alle Lexeme des Verbslots der Kategorie aufgeführt. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 221 <?page no="222"?> 2 1111111111111111 0 1 2 3 sich herumsprechen sich ausdehnen sich verjüngen sich einfügen sich erheben sich ziehen sich erstrecken sich schlängeln sich schlingen sich steigern sich umschauen sich hinausmachen sich weiten sich hinziehen sich zusammenlegen sich öffnen sich schieben absolute Häufigkeit Types Abbildung 41. Types und absolute Häufigkeiten von Reflexivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Auch für die Kategorie der reflexiven Konstruktionen ergibt die Berechnung von P keinen Sinn, da der Stichprobenumfang zu gering für einen aussagekräftigen Wert ist. Das Bild der Frames ist recht homogen, denn es wurden nur vier Types annotiert. Die annotierten Frames können Abbildung 42 entnommen werden. 14 2 1 1 0 2 4 6 8 10 12 14 16 path_shape communication quitting_a_place motion absolute Häufigkeit Frame Abbildung 42. Frames und absolute Häufigkeiten von Reflexivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. 222 5 Korpusanalyse I <?page no="223"?> 5.2.3.5 Fiktive Bewegungsereignisse: AKK ADV -Konstruktionen Als letzte Argumentstruktur der fiktiven Bewegungsereignisse werden die Ergebnisse für die AKK ADV -Konstruktionen dargelegt. Es sind fünf Belege zu dieser Kategorie zugeordnet worden. In Abbildung 43 sind die Lexeme des Verbslots gelistet. 1 1 1 1 1 0 1 2 hinunterrufen entlangschauen hinunterspähen erreichen hinunterblicken absolute Häufigkeit Types Abbildung 43. Types und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Auch hier liegen, wie für AKK ADV -Konstruktionen der faktiven Bewegungs‐ ereignisse, ausschließlich Präfix- und Partikelverben vor. Insbesondere {hin‐ unter-} scheint für diese Kategorie frequent zu sein. 3 11 0 1 2 3 4 perception_active arriving communication_noise absolute Häufigkeit Frame Abbildung 44. Frames und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Abbildung 44 zeigt die annotierten Frames der AKK ADV -Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. Die Frames fügen sich ins bisher gezeichnete Bild fiktiver Bewegungsereignisse ein. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 223 <?page no="224"?> 5.2.4 Metaphorische Bewegungsereignisse Zunächst werden mit Abbildung 45 die Belege der metaphorischen Bewegungs‐ ereignisse nach Argumentstruktur aufgeschlüsselt. 129 80 34 17 2 0 20 40 60 80 100 120 140 intransitiv transitiv reflexiv passiv Adverbial-Akkusativ Absolute Häufigkeit Argumentstruktur Abbildung 45. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kate‐ gorie metaphorische Bewegungsereignisse. Hierbei stellt die intransitive Verwendung den häufigsten Typen, gefolgt von transitiven, reflexiven und passiven Konstruktionen. Für die AKK ADV -Konstruk‐ tionen wurde ein Beleg annotiert. - 5.2.4.1 Metaphorische Bewegungsereignisse: Intransitive Konstruktionen Wie bereits in Abbildung 45 dargelegt, sind für die intransitiven Konstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse 129 Belege annotiert worden. Die intran‐ sitiven Konstruktionen stellen somit die häufigste Argumentstrukturkonstruk‐ tion der metaphorischen Bewegungsereignisse dar. 224 5 Korpusanalyse I <?page no="225"?> 10 9 555 44 33 22222222 0 2 4 6 8 10 12 gehen stehen zurückkehren losgehen kommen fallen führen dringen stammen geraten wirken verlieren ausschlagen fließen diskutieren gelangen steigen absolute Häufigkeit Type Abbildung 46. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion metaphorischer Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Für die intransitiven Konstruktionen metaphorischer Bewegungskonstrukti‐ onen sind 62 Hapax Legomena auf 129 Tokens erhoben worden. Die Frames der intransitiven Bewegungskonstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse sind in Abbildung 47 dargelegt. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 225 <?page no="226"?> 22 15 9 6 55555 44 3333 2222222 1 1111111111111111 0 5 10 15 20 25 self_motion arriving event desiring change_position_on_a_scale motion_directional cotheme cause_motion motion change_direction needing becoming_visible mass_motion origin invading losing becoming objective_influence discussion process activity_start expansion adducing cause_change ceasing_to_be light_movement getting change_state cause_coming_to_be cogitation operate_vehicle migration possibility cause_harm quitting breaking_out_captive tranversing moving_in_place cause_to_fragment absolute Häufigkeit Frame Abbildung 47. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruk‐ tion metaphorischer Bewegungsereignisse. 226 5 Korpusanalyse I <?page no="227"?> 5.2.4.2 Metaphorische Bewegungsereignisse: Transitive Konstruktionen Mit Blick auf Abbildung 48 zeigt sich, dass für die transitiven Konstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse 80 Belege annotiert wurden. Der Abbil‐ dung sind die Lexeme des Verbslots zu entnehmen. 55 4 333 2222 0 1 2 3 4 5 6 bringen treiben werfen tun tragen machen erhalten stellen bitten zwingen absolute Häufigkeit Type Abbildung 48. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion metaphorischer Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. Die Hapax Legomena sind aus Darstellungsgründen nicht in Abbildung 48 aufgelistet. Es wurden für die Kategorie 49 Hapax Legomena auf 80 Types ermittelt. Auch für die transitiven Bewegungskonstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse wurden semantische Frames annotiert. Die ermittelten Frames können Abbildung 49 entnommen werden. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 227 <?page no="228"?> 24 10 6 3333 222222 111111111111111 0 5 10 15 20 25 30 cause_motion self_motion bringing getting placing carry_goods dispersal possibility cause_coming_to_be request cotheme taking giving cause solve_a_problem pushing breaking_out_captive needing sending cause_to_perceive arithmetic desiring letting communication_manner locating kein Verb activity_start fluidic_motion absolute Häufigkeit Frame Abbildung 49. Frames und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruk‐ tion metaphorischer Bewegungsereignisse. Obwohl es sich um transitive Konstruktionen handelt, liegen zehn Belege vor, die den self_motion frame evozieren. Zwei Beispiele sind mit Beleg (170) und (171) gegeben. (170) Schwer von Entschluß, täten sie einen Schritt doch unveränderlich in die vernünftige Richtung. (171) Wir haben bereits große Sprünge nach vorn gemacht […] 228 5 Korpusanalyse I <?page no="229"?> 5.2.4.3 Metaphorische Bewegungsereignisse: Reflexive Konstruktionen Für die reflexiven Konstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse sind 34 Belege des Samples annotiert worden. Abbildung 50 zeigt die erhobenen Lexeme des Verbslots mit Angabe der jeweiligen absoluten Häufigkeit. 10 2 1111111111111111111111 0 2 4 6 8 10 12 sich zurückziehen sich hängen sich trinken sich öffnen sich lassen hineinziehen sich absetzen sich sollen einfügen sich drängen sich weitertragen sich drehen sich lassen nähren sich durchfressen sich orientieren sich entfernen sich stemmen sich verlegen sich abgrenzen sich vollziehen sich vorschieben sich hinbewegen sich werfen sich hineinfinden sich lassen einziehen sich können erheben absolute Häufigkeit Types Abbildung 50. Types und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstrukti‐ onen metaphorischer Bewegungsereignisse. Unter den erhobenen Types sind 22 Hapax Legomena. Dass der Anteil an Hapax Legomena vergleichsweise hoch erscheint, ist vermutlich auf den recht kleinen Umfang der Stichprobe zurückzuführen. In Abbildung 51 sind die Frames der reflexiven Bewegungskonstruktionen metaphorischer Bewegungs‐ ereignisse dargestellt. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 229 <?page no="230"?> 11 5 3 222 2 1111111 0 2 4 6 8 10 12 quitting_a_place self_motion letting activity_start diversity ingestion motion locating activity_end path_shape hostile_encounter desiring moving_in_place openness absolute Häufigkeit Frame Abbildung 51. Frames und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstrukti‐ onen metaphorischer Bewegungsereignisse. - 5.2.4.4 Metaphorische Bewegungsereignisse: AKK ADV -Konstruktionen Für die AKK ADV -Konstruktionen liegen im Sample zwei Belege vor, die unter (172) und (173) wiedergegeben sind. (172) Die Depolarisation erreicht nahe der erregten Stelle zuerst die Schwelle, eine neue Erregung beginnt, und der Verlauf der Stromlinien und des Potentials verschiebt sich nach links. (173) Die Revolution hatte ihren extremsten Punkt erreicht und rutschte von da an wieder nach rechts in die Hände des Besitzbürgertums. Beide Belege nutzen das Lexem erreichen und evozieren den arriving frame. 5.2.5 Körperassoziierte Bewegungsereignisse Auch für die körperassoziierten Bewegungsereignisse erfolgt die Darstellung der Lexeme des Verbslots systematisiert nach den jeweiligen Argumentstruk‐ turkonstruktionen. 230 5 Korpusanalyse I <?page no="231"?> 51 73 111 13 1 0 20 40 60 80 100 120 intransitiv transitiv reflexiv passiv Adverbialer Akkusativ absolute Häufigkeit Argumentstruktur Abbildung 52. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kate‐ gorie körperassoziierte Bewegungsereignisse. In Abbildung 52 sind die absoluten Häufigkeiten der Argumentstrukturkonst‐ ruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse dargestellt. Es zeigt sich ein deutlich anderes Bild als bei den anderen Klassen an Bewegungsereignissen. Das unterstreicht die Notwendigkeit, eine eigene Kategorie körperassoziierte Bewe‐ gungsereignisse anzusetzen. Für die körperassoziierten Bewegungsereignisse machen die reflexiven Konstruktionen den häufigsten Typen aus. Es folgen in absteigender Reihenfolge die transitiven Konstruktionen, die intransitiven Konstruktionen sowie die passiven Konstruktionen. Für die AKK ADV -Konstruk‐ tionen liegt lediglich ein Beleg vor. Da für alle körperassoziierten Bewegungs‐ ereignisse der semantischer Frame body_movement zugrunde gelegt wird, bleibt eine Aufschlüsselung nach semantischen Frames für diese Klasse aus. - 5.2.5.1 Körperassoziierte Bewegungsereignisse: reflexive Konstruktionen Die reflexiven Konstruktionen stellen unter den körperassoziierten Bewegungs‐ ereignissen des häufigsten Typen dar. Im annotierten Sample wurden 111 Belege als reflexive Konstruktion gewertet. In Abbildung 53 werden die Lexeme des Verbslots aufgeschlüsselt. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 231 <?page no="232"?> 17 16 77 6 555 33 222 1111111111111111111111111111111 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 sich legen sich setzen sich lehnen sich beugen sich lassen fallen sich wenden sich erheben sich werfen sich drehen sich ziehen lassen fallen sich niederlassen sich umdrehen sich neigen sich dagegenlehnen sich rappeln sich hin und herbewegen sich lösen sich hinsetzen sich niedersetzen sich hochreißen sich bequem machen sich hochziehen sich aufsetzen sich können hochquälen sich müssen fallen lassen sich krümeln sich herumrollen sich lassen abfallen sich pressen sich herumdrehen sich schließen sich stellen sich hervorwinden sich umwenden sich wollen herumdrehen sich bücken wollen sich legen sich heben sich abbiegen sich lassen nieder sich wollen setzen sich lassen plumpsen sich abdrücken absolute Häufigkeit Types Abbildung 53. Types und absolute Häufigkeiten reflexiver Konstruktionen körperasso‐ ziierter Bewegungsereignisse. Als semantischer Frame wurde ausschließlich der body_movement frame annotiert. 232 5 Korpusanalyse I <?page no="233"?> 5.2.5.2 Körperassoziierte Bewegungsereignisse: transitive Konstruktionen Für die transitiven Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse wurden 73 Belege annotiert. Die Lexeme des Verbslots werden in Abbildung 54 dargestellt. 66 5 4444 222222 1111111111111111111111111111 0 1 2 3 4 5 6 7 werfen stecken schwingen drücken strecken legen ziehen wenden schlagen schieben herausstrecken drehen stoßen speien hin und herwerfen führen können lenken senken lassen gleiten hinausatmen anziehen hin und herrollen lehnen aufwärtsrollen heben sollen verlagern abwenden stechen tragen verschieben müssen krümmen stützen aufsetzen treiben abbeißen weghauen reißen durchdrehen rotzen neigen pressen absolute Häufigkeit Types Abbildung 54. Types und absolute Häufigkeiten transitiver Konstruktionen körperasso‐ ziierter Bewegungsereignisse. 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 233 <?page no="234"?> 5.2.5.3 Körperassoziierte Bewegungsereignisse: intransitive Konstruktionen Im Sample wurden 51 Belege als intransitive Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse annotiert. In Abbildung 55 sind die erhobenen Lexeme des Verbslots aufgeführt. 14 6 3 2 111111111 11111111111111111 0 2 4 6 8 10 12 14 16 aufstehen sinken aufspringen spucken schieben pissen wippen drücken rücken fallen auskeilen gehen zurückfallen hineinweinen pochen hochsteigen rutschen abrollen schnellen steilen übergehen in die gleiche Richtung gehen ticken ins Rollen kommen vorbeischießen kommen zucken können zeigen abfallen kullern absolute Häufigkeit Types Abbildung 55. Types und absolute Häufigkeiten intransitiver Konstruktionen körperas‐ soziierter Bewegungsereignisse. - 5.2.5.4 Körperassoziierte Bewegungsereignisse: passive Konstruktionen Es liegen im annotierten Sample 13 Belege für passive Konstruktionen körperassozi‐ ierter Bewegungsereignisse vor. In Abbildung 56 werden die im Verbslot gebrauchten Lexeme nach Frequenz in absteigender Reihenfolge aufgeschlüsselt. 234 5 Korpusanalyse I <?page no="235"?> 33 1111111 0 1 2 3 4 schieben stoßen bringen ausführen strecken bürsten verschieben gehen neigen absolute Häufigkeit Types Abbildung 56. Types und absolute Häufigkeiten passiver Konstruktionen körperassozi‐ ierter Bewegungsereignisse. - 5.2.5.5 Körperassoziierte Bewegungsereignisse: AKK ADV -Konstruktionen Für die AKK ADV -Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse liegt lediglich ein Beleg im Sample vor. Daher ist dieser unter Beleg (174) aufgeführt. (174) Kurz bevor der sich vorwärts bewegende Körperschwerpunkt die stützenden Hände erreicht, drücken sich diese kräftig von den Holmenden ab, und der Körper wird nach vorn vom Gerät weggedrückt. 5.2.6 Überlagerungen In einigen Belegen zeigen sich Überlagerungen von unterschiedlichen Be‐ wegungsereignissen. Hierbei lassen sich zwei Arten von Überlagerungen unterscheiden. Zunächst können fiktive und zugleich metaphorische Bewe‐ gungsereignisse versprachlicht werden. Für diese Klasse von fiktiven und metaphorischen Bewegungsereignissen liegen im ausgewerteten Sample 28 Belege vor. Die Belege (175)-(177) sind Beispiele für solche Überlagerungen. (175) Eine Radierung, sagt er, ein Holzausschnitt ist fertig und verfließt nicht nach allen Seiten in den Raum, […] (176) Ein Rumba prasselt durch den Raum. (177) Sonst wird jeder schwören, ich hätte es nach rechts hin verfälscht! 5.2 Ergebnisse der Korpusstudie I 235 <?page no="236"?> Die F I G U R E ist in den angeführten Belegen jeweils eine unbelebte Entität, die sich entweder durch einen metaphorischen, nicht-realen Raum bewegt oder deren Bewegung selbst metaphorischer Art ist. Eine weitere Klasse stellt die Überlagerung von faktiven und fiktiven Bewe‐ gungsereignissen dar. Da für diese Klasse nur ein Beleg annotiert wurde, ist der Klassenstatus an dieser Stelle allerdings fraglich. Beleg (178) ist als eine solche Überlagerung annotiert worden. (178) Ich male lange Kringel von links nach rechts über die Seite. Die Überlagerung ergibt sich in diesem Fall aus der unklaren Perspektivierung. Zwar bewegt sich die Hand des Zeichnenden real von links nach rechts, die F I G U R E des Belegs aber ist lange Kringel. Die F I G U R E ist unbelebt und der Beleg als solches beschreibt eine Ausdehnung der F I G U R E im Raum, was auf ein fiktives Bewegungsereignis hindeutet. 5.2.7 Zusammenfassung der Ergebnisse aus Korpusstudie I Die Darstellung der Ergebnisse aus Korpusstudie I erfolgte zunächst nach dem zugrundeliegenden Bewegungsereignis. Als Kategorien wurden faktive und fiktive Bewegungsereignisse angesetzt. Diese Unterscheidung geht auf die STLP zurück. Wie unter Kapitel 2 dargelegt, scheint die dichotome Un‐ terscheidung noch nicht fein genug. Zusätzlich wurde daher die Klasse an metaphorischen sowie körperassoziierten Bewegungsereignissen angesetzt. In den Ergebnissen aus Korpusstudie I zeigt sich, dass sich die Gebrauchsmuster der Lexeme in Verbslot der Kategorien recht gut umreißen lassen, sodass sich die Sinnhaftigkeit einer feineren Klassifikation der Bewegungsereignissen zu bestätigen scheint. Systematisiert wurden die Ergebnisse weiterhin nach vorliegender Argumentstruktur. Auch dieses Vorgehen erweist sich als sinn‐ voll, möchte man die Normen und Exploitationen der Bewegungsereignisse systematisieren. So werden Präfix- und Partikelverben besonders häufig in der AKK ADV -Konstruktion gebraucht. Auch zeigen die transitive Konstruktion und die Passivkonstruktion unterschiedliche Präferenzen, was die Besetzung des Verbslots betrifft. In Korpusstudie I liegen wenige Lexeme im Verbslot von Bewegungskonst‐ ruktionen vor, die als deutlich kreative Verwendung ausgewiesen werden können. Lexeme, die kontextfrei keinen Bewegungsframe evozieren, finden sich entweder bei der Versprachlichung fiktiver Bewegungskonstruktionen oder metaphorischer Bewegungskonstruktionen. Lexeme, die Geräusche denotieren, finden sich zur Versprachlichung faktiver Bewegungsereignisse. Lexeme der 236 5 Korpusanalyse I <?page no="237"?> Kommunikation können jedoch nur dann zur Versprachlichung faktiver Bewe‐ gungsereignisse verwendet werden, wenn sie in einer reflexiven Konstruktion verwendet werden, da sie sonst zur Versprachlichung fiktiver Bewegung genutzt werden. Die reflexive Konstruktion sichert die hörerseitige Interpretation der Fortbewegung der F I G U R E . Frequent, aber itemspezifisch schwankend, werden Modalverben im Verbslot deutscher Bewegungskonstruktionen gebraucht. 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I In der folgenden Diskussion werden die Schwerpunkte auf diejenigen Phä‐ nomene gesetzt, die m. E. bislang (zu) wenig Beachtung gefunden haben. Dazu zählen die Modalverben in Bewegungskonstruktionen, zu denen keine systematische empirische Arbeit vorzuliegen scheint. Auch die reflexiven Konstruktionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen sind in der gesichteten Literatur bislang wenig konsistent bearbeitet worden. Die Literatur fokussiert vielfach den Unterschied zwischen echter und unechter Reflexivität bzw. dem Status des Reflexivmarkers als Komplement. Inwiefern eine reflexive Konstruktion aber zum Evozieren eines Bewegungsframe beitragen kann, wird im folgenden Abschnitt diskutiert werden. An die Diskussion der jeweiligen Phänomene schließt sich eine sprach‐ vergleichende Einordung an, bei der unter Rückgriff auf die Talmyʼschen Co-Events (vgl. Kapitel 2) und die aktuelle Forschungslage (vgl. Kapitel 4) zentrale Fragen debattiert werden sollen. Zu den zentralen Fragen, die von einem Sprachvergleich der S-framed Sprachen Deutsch - Englisch - Schwedisch profitieren können, gehört die Frage nach dem Verhältnis zwischen Norm und Exploitation bei der Versprachlichung von Bewegungsereignissen sowie die Frage nach der Angemessenheit der theoretischen Modellierung. In Kapitel 4 wurden hier diametrale Positionen festgestellt. Durch den Sprachvergleich lässt sich weiterhin die Frage beantworten, ob die zu beobachtenden Muster bei der Versprachlichung von Bewegungsereignissen tendenziell einzelsprachliche Präferenzen sind oder eher allgemeinerer Natur zu sein scheinen. Begonnen wird die Diskussion mit einer Nahaufnahme der Modalverben in deutschen Bewegungskonstruktionen. 5.3.1 Modalverben in Bewegungskonstruktionen 338 von 3792 Belegen weisen Modalverben auf. Das entspricht einem Anteil von knapp neun Prozent. Somit enthält in etwa jede zehnte Bewegungskon‐ 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 237 <?page no="238"?> struktion ein Modalverb. Vor dem Hintergrund der Konstruktionsgrammatik ist insbesondere die Frage relevant, wie sich die Modalkonstruktion ohne weiteren Infinitivslot modellieren lässt. Hierzu werde ich aufschlüsseln, wie das Verhältnis der Konstruktion mit und ohne Infinitivslotbesetzung ausfällt, wie sich die Verteilung nach Genres darstellt und ob sich eine besondere Assoziation zwischen bestimmten P ATH -Elementen und den jeweiligen Varianten mit und ohne Besetzung des Infinitivslots nachzeichnen lässt. Zunächst bietet Abbildung 57 eine Übersicht: 31 26 12 7 66 555 444 3333333 2222222222222222222 0 5 10 15 20 25 30 35 wollen müssen können gehen sollen kommen sollen gehen dürfen sich lassen fallen müssen gehen können fahren lassen fallen wollen gehen wollen fahren können können kommen wollen bringen mögen fahren mögen wollen treiben müssen bringen wollen folgen können sehen können abbiegen lassen bringen wollen einsteigen können bringen müssen fahren müssen sehen können schieben müssen umsteigen müssen ausgleichen sich lassen fahren wollen mitnehmen lassen gehen lassen sollen bringen sollen fahren müssen durchqueren müssen zurück absolute Häufigkeit Types Abbildung 57. Lexeme der Verbslots von Modalkonstruktionen, ohne Hapax Legomena. 238 5 Korpusanalyse I <?page no="239"?> Von den 338 Belegen für Modalkonstruktionen entfallen 71 auf solche, bei denen der Verbslot des Infinitivs nicht belegt ist. Die beiden häufigsten Types sind hierbei wollen und müssen. Zunächst ist zu klären, wie häufig der Infini‐ tivslot von Modalkonstruktionen im erhobenen Sample unbesetzt bleibt. Das Verhältnis wird in Abbildung 58 visualisiert. 71 260 7 ohne weiteren Infinitiv mit weiterem Infinitiv ohne weiteren Infinitiv, mit Verbpartikel Abbildung 58. Modalkonstruktionen mit und ohne Besetzung des Infinitivslots im Ver‐ gleich. In sieben Belegen wird kein Infinitiv, dafür aber eine Verbpartikel genutzt. Ein Beispiel findet sich unter (179): (179) Am nächsten Tag wurde ich von der Kriminalpolizei sehr eingehend ver‐ nommen und durfte dann wieder nach Hause zurück. Modalverben gehören zu der Gruppe an Verben, die frequent in Bewegungs‐ konstruktionen erscheinen, jedoch selbstständig keinen Bewegungsframe evo‐ zieren. Verschiedene Autor/ -innen haben postuliert, dass Sprachnutzer bei solchen Verben vermehrt auf Verbpartikeln zurückgriffen, um ein Bewegungs‐ ereignis zu versprachlichen (vgl. Rohde 2001, Olofsson 2018). Diese Strategie diene gewissermaßen der Sicherstellung, dass ein Bewegungsereignis evoziert wird. Die Datenbasis weist nicht darauf hin, dass Sprachnutzer diese Strategie in der Kombination mit Modalverben nutzen. Es stell sich weiterhin die Frage, ob das Verhältnis zwischen Besetzung und nicht-Besetzung des Infinitivslots der Modalkonstruktionen über alle Lexeme hinweg identisch ist oder ob sich Gebrauchsunterschiede in Abhängigkeit des je‐ 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 239 <?page no="240"?> weiligen Modalverbs zeigen. Hierzu wurden die jeweiligen Lexeme verglichen. Abbildung 59 zeigt das Ergebnis des Vergleichs. 0 10 20 30 40 50 60 70 80 dürfen können lassen mögen müssen sollen wollen absolute Häufigkeit Types Anzahl mit Infintiv Anzahl ohne Infintiv Abbildung 59. Vergleich der potenziellen Infinitivslotbesetzung, aufgeschlüsselt nach Modalverben. Während wir für das Modalverb dürfen ein nahezu ausgeglichenes Verhältnis zwischen beiden Varianten sehen, zeigen die Modalverben sollen und können eine deutliche Präferenz für die Variante mit Infinitivslotbesetzung. Die ver‐ schiedenen Modalverben zeigen, zumindest für das untersuchte Sample, starke Gebrauchsunterschiede, was die Besetzung des Infinitivslots angeht. Es ist somit nicht möglich, eine für alle Modalverben gültige Norm anzusetzen, nach der eine Nicht-Besetzung des Infinitivslots zulässig wäre. Vielmehr hängt die Norm von konkreten Lexem ab. Möglicherweise müssen weitere Faktoren einbezogen werden, wie etwa der unmittelbaren Satzumgebung. Ein Blick ins Sample zeigt, dass viele der Belege für müssen die PPs nach Hause/ zur Schule/ zur Arbeit nutzen. Für das Lexem wollen entfällt ein Drittel der Belege auf die PP nach Hause. Unter Umständen handelt es sich bei den Belegen um eine bereits verfestigte Konstruktion, die von Sprachnutzern als Chunk verarbeitet wird. Um diese Thesen zu prüfen, werden weitere Studien notwendig, die sich beispielsweise psycholinguistischer Methoden bedienen oder die phonologische Struktur solcher Äußerungen in den Blick nehmen. Die Auswertung hinsichtlich des P ATH -Elements der Modalkonstruktionen ohne Infinitivslotbesetzung zeigt eine deutliche Präferenz für die Versprachli‐ chung von G O AL , also für das Ziel der Bewegung. 240 5 Korpusanalyse I <?page no="241"?> 68 4 3 2 1 Goal keine PP Source Route Source + Goal Abbildung 60. Absolute Häufigkeit der P A T H -Elemente bei Modalkonstruktionen ohne Besetzung des Infinitivslots. Aus Abbildung 60 lässt sich entnehmen, dass knapp 90 Prozent der Belege ohne Besetzung des Infinitivslots G O AL versprachlichen. Die Belege (180) und (181) stehen exemplarisch für diese Konstruktion. (180) […], er könnte schon in den Saal und sich dumm und dröge tanzen, […] (181) Diesmal durfte Paul mit in die Küche, […] Die übrigen Elemente S O U R C E , R O U T E sowie deren Kombination machen zu‐ sammen etwas mehr als zehn Prozent aus und setzen sich aus Belegen wie (182)-(184) zusammen. (182) […] will nicht aus dem Bett […] (183) Ja, mit dem könntest du durchs Gebirge, durch die Steppe. (184) […] die Meine muß abends von Hilden nach Hause, […] Das heißt, es ist für Sprachnutzer des Deutschen in vielen Fällen möglich, den Infinitivslot unbesetzt zu lassen, wenn auch das G O AL der Bewegung versprachlicht werden soll. Für die Versprachlichung anderer P ATH -Elemente wird die Variante mit Infinitiv bevorzugt gebraucht. Neben der unmittelbaren Satzumgebung ist eine Nicht-Besetzung des Infi‐ nitivslots unter Umständen auch vom jeweiligen Genre abhängig. Eine Auf‐ schlüsselung nach Genre zeigt, dass überdurchschnittlich viele der Belege ohne Besetzung des Infinitivslots aus dem Genre Belletristik stammen. Hierbei kommen etwa 40 Prozent aller Belege ohne weiteren Infinitiv aus. Für das Genre Wissenschaft liegt der Anteil bei lediglich 15 Prozent. Die Genres Gebrauchsli‐ 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 241 <?page no="242"?> teratur sowie Zeitungstexte zeigen für eine Nicht-Besetzung des Infinitivslots Anteile von 22 bzw. 23 Prozent. Der Durchschnittwert liegt bei 29 Prozent, sodass wir für die beiden Genre ein geringeres Vorkommen haben als eine gleichmäßige Verteilung vorsehen würde. Das Genre Belletristik allein liegt über dem durchschnittlichen Wert. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Nutzen einer Modalkonstruk‐ tion ohne Besetzung des Infinitivslots für Bewegungsereignisse im Deutschen möglich ist. Die Norm ist jedoch abhängig vom jeweiligen Modalverb. Für die Modalverben dürfen, müssen und wollen ist ein Gebrauch ohne weiteren Infinitiv durchaus als üblich einzuschätzen. Für die Modalverben sollen, mögen und können sowie lassen ist der Gebrauch ohne weiteren Infinitiv weit weniger üblich. Für alle Modalverben gilt, dass bei Versprachlichung des G O AL S eine nicht-Besetzung des Infinitivslots eher möglich ist als bei der Versprachlichung anderer P ATH -Elemente. Hinzu kommt die Beobachtung, dass die Frequenz beider Varianten über die im DWDS-Kernkorpus hinterlegten Genres hinweg Unterschiede zeigt. 5.3.2 Reflexive Bewegungskonstruktionen In den einzelnen Abschnitten des Ergebniskapitels sind die Lexeme, die in refle‐ xiven Konstruktionen erscheinen, nach Argumentstruktur aufgeführt worden. Aus diesen Darstellungen lässt sich die Beobachtung ableiten, dass vor allem in reflexiven Konstruktionen Lexeme erscheinen, die nicht selbstständig einen motion frame evozieren. Hierzu zählen Verben wie fressen, stehlen, schlagen, ordnen und krümeln. (185) Das sind die Hypotheken, die fressen sich von oben nach unten durch. (186) Flora stiehlt sich in diesem Moment heimlich aus dem Zimmer, (187) »Dann haben wir uns durch den Wald geschlagen«, setzte Zille die Wegbe‐ schreibung fort. (188) […] , und was er berührt, ordnet sich wieder an seinen alten Platz. (189) Im Café Altstadt krümelte er sich in die dämmerigste Ecke […] Gemein ist den Verben der Belege (185)-(189), dass sie regelmäßig in transitiven Konstruktionen erscheinen. Nun liegt in den Belegen anstelle eines prototypi‐ schen P ATI E N S jeweils eine Ergänzung in Form eines Pronomens vor, die auf die F I G U R E zurückverweist. Neben dieser Konstruktion taucht eine weitere Klasse an Verben auf. Bei dieser Klasse handelt es sich um Verben, die regelmäßig in Bewegungskonst‐ ruktionen erscheinen, selbstständig einen motion frame evozieren können und 242 5 Korpusanalyse I <?page no="243"?> deren Pronomen semantisch verblasst ist. Zu dieser Klasse zählen die Verben sich nähern und sich begeben aus den Belegen (190) und (191). (190) Gegen 14.20 Uhr, […], näherte sich ein dunkelblauer BMW 2002 der Kontroll‐ stelle, […] (191) Ich nicke befriedigt und begebe mich ins Badezimmer, […] Es lässt sich also eine Differenzierung in echt reflexive und endoreflexive Verben vornehmen. Zu den endoreflexiven Verben gehören diejenigen Verben, die sich auch mit einem prototypischen P ATI E N S verwenden lassen. Deutlich wird das an den Beispielen (192)-(195), die jeweils eine endoreflexive sowie eine transitive Konstruktion darstellen. (192) […] er legt sich ins Wohnzimmer oder in die Küche auf die Couch. (193) Er legte ihn ins Wohnzimmer oder in die Küche auf die Couch. (194) Dazu gehört die Kraft, sich ins Freie zu bringen. (195) Dazu gehört die Kraft, ihn ins Freie zu bringen. Bei den echt reflexiven Verben ist die transitive Konstruktion nicht möglich, wie die Beispiele (196) und (197) illustrieren. (196) Ich begebe mich ins Badezimmer (197) *Ich begebe ihn ins Badezimmer. Kehren wir zurück zu den Verben fressen, stehlen, schlagen, ordnen und krümeln: Es erscheint plausibel, dass die Verwendung der Lexeme in einer Bewegungs‐ konstruktion auf eine Analogiebildung zu den endoreflexiven Konstruktionen zurückzuführen ist. Die endoreflexive Konstruktion dient der Perspektivierung, dass das A G E N S auch zugleich die F I G U R E der Bewegung darstellt. (198) Das sind die Hypotheken, die fressen sich von oben nach unten durch. (199) *Das sind Hypotheken, die fressen von oben nach unten durch. Wenn Sprachnutzer eine kompakte Konstruktion nutzen möchten, zum Beispiel, um auf den Umstand hinzuweisen, dass ein F R E S S E N -Ereignis gleichzeitig zu einem Bewegungsereignis stattfindet, stellt die endoreflexive Konstruktion die benötigte Perspektive zur Verfügung. Das wird in den Beispielen (198) und (199) erkennbar. Man könnte auch argumentieren, dass eine alternative Erklärung in der Valenzstruktur des Verbs fressen liege, das eine fakultative Ergänzung im Akkusativ aufweist. (200) Der Hund frisst seinen Knochen. (201) Der Hund frisst wieder normal. 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 243 <?page no="244"?> Allerdings handelt es sich um eine fakultative und nicht um eine obligatorische Ergänzung, sodass die Normverletzung in Beispiel (199) dadurch nicht erklärt werden kann. Dass ich innerhalb dieses Kapitels mal von einem reflexiven Verb, an anderer Stelle aber von einer endoreflexiven Konstruktion spreche, liegt nicht an einer terminologischen Unschärfe. Vielmehr ist die verwendete Terminologie auf den Umstand zurückzuführen, dass das Pronomen reflexiver Verben stärker an das Verb gebunden ist als das bei einem endoreflexiven Gebrauch der Fall ist. Erkennbar wird die Nähe zum Verb daran, dass es kein Paradigma für den Reflexivmarker reflexive Verben gibt, für den Marker in endoreflexiven Konstruktion hingegen schon. Daher spreche ich von einem reflexiven Verb, aber gleichzeitig von einer endoreflexiven Konstruktion im Sinne einer Argumentstrukturkonstruktion. In Abbildung 61 sind die absoluten Häufigkeiten von reflexiven Verben und von endoreflexiven Konstruktionen des erhobenen Samples aus Teilstudie I im Vergleich dargestellt. 220 69 endoreflexive Konstruktion echt reflexives Verb Abbildung 61. Absolute Häufigkeiten reflexiver Verben und der endoreflexiven Kon‐ struktion im Vergleich. Es liegen 220 endoreflexive Konstruktionen und 69 Vorkommen reflexiver Verben im Verbslot der ausgewerteten Belege vor. Systematisiert man hinsicht‐ lich des zugrundeliegenden Bewegungsereignisses, so zeigen sich deutliche Frequenzunterschiede zwischen reflexiven Verben und endoreflexiven Kon‐ struktionen. Die Frequenzen sind Tabelle 26 zu entnehmen. 244 5 Korpusanalyse I <?page no="245"?> echt reflexive Verben endoreflexive Konstruktion ∑ faktiv 47 81 128 fiktiv 11 8 19 körperassoziiert 7 102 147 metaphorisch 4 29 33 ∑ 69 220 289 Tabelle 26. Absolute Häufigkeiten reflexiver Verben und endoreflexiver Konstruktionen, aufgeschlüsselt nach Bewegungsereignis. Reflexive Verben werden frequenter zur Versprachlichung fiktiver Bewegungs‐ ereignisse genutzt als endoreflexive Konstruktionen. Ein Beispiel für ein fiktives Bewegungsereignis bei Nutzung eines reflexiven Verbs bietet Beleg (202). (202) Viele Termitenbauten erstrecken sich nur in die Tiefe. Endoreflexive Konstruktionen hingegen werden frequenter zur Versprachli‐ chung körperassoziierter Bewegungsereignisse genutzt, wie etwa unter Beleg (203). (203) Ich rollte mich so schnell es ging herum, […] Bisherige Studien weisen darauf hin, dass Lexeme, die nicht mit Bewegung asso‐ ziiert sind, bei Versprachlichung von Bewegungskonstruktionen insbesondere die Präposition durch nutzen, oder, allgemeiner formuliert, das P ATH -Element R O U T E perspektivieren (Engelberg 2009). Wie die Belege (204)-(208) zeigen, lassen sich sowohl R O U T E als auch S O U R C E und G O AL in endoreflexiven Kon‐ struktionen versprachlichen. (204) Das sind die Hypotheken, die fressen sich von oben nach unten durch. (205) Flora stiehlt sich in diesem Moment heimlich aus dem Zimmer, (206) »Dann haben wir uns durch den Wald geschlagen«, setzte Zille die Wegbe‐ schreibung fort. (207) […], und was er berührt, ordnet sich wieder an seinen alten Platz. (208) Im Café Altstadt krümelte er sich in die dämmerigste Ecke […] Eine Auswertung der Daten aus Korpusstudie I hinsichtlich der PP zeigt keine Unterschiede zwischen der endoreflexiven Konstruktion und reflexiven Verben. 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 245 <?page no="246"?> Für beide Typen stellen Präpositionen, die G O AL versprachlichen, den häufigsten Fall dar. In einigen Fällen wird eine endoreflexive Konstruktion genutzt, obwohl eine nicht reflexive Konstruktion ebenfalls möglich wäre. Zunächst zeige ich mit (209) und (210) die Originalbelege aus dem erhobenen Sample. (209) Sie schlich sich in das Haus, hastete die Treppen hinauf, […] (210) An der Fensterseite des Kleiderraums tappte er sich im Dunkel nach hinten zum Winkel, schob den Stapel zur Seite. Unter (211) und (212) finden sich die gleichen Belege als intransitive Konstruk‐ tionen. (211) Sie schlich in das Haus, […] (212) An der Vorderseite des Kleiderraums tappte er im Dunkeln nach hinten zum Winkel […] Beide Varianten erscheinen akzeptabel und beide erscheinen im erhobenen Sample. Über einen möglichen Bedeutungsunterschied oder einen Gebrauchs‐ unterschied lässt sich an dieser Stelle nichts sagen. Es bedürfte weitere Studien, die sich ggf. auch anderer Methoden bedienen, um Fragen des Gebrauchs- oder Bedeutungsunterschieds zwischen beiden akzeptabel erscheinenden Varianten herauszuarbeiten. 5.3.3 Co-Events und Exploitationen deutscher Bewegungskonstruktionen im Sprachvergleich Schwedisch - Englisch Im nun folgenden Teil der Diskussion werden die unter Kapitel 2 dargelegten Co-Events nach Talmys STLP genutzt, um mögliche Exploitationen zu systema‐ tisieren. Außerdem können aus einem Vergleich der Co-Events Hinweis dazu extrahiert werden, wie sinnvoll eine konstruktionsgrammatische Modellierung ist. Weiterhin dient die Systematisierung über die genutzten semantischen Relationen verschiedener S-framed Sprachen dazu, der Frage nachzugehen, ob die vorliegenden sprachlichen Strukturen eher auf sprachspezifische Eigen‐ schaften zurückzuführen sind oder eher auf einer abstrakteren Ebene der Ereigniswahrnehmung beruhen. - 5.3.3.1 Manner Teilstudie I dieser Arbeit hat weitere Evidenz dafür gebracht, das Deutsche als S-framed Sprache zu klassifizieren. Der überwiegende Teil der Lexeme des Ver‐ 246 5 Korpusanalyse I <?page no="247"?> 49 Kunkel (2019): Duden, deutsches Universalwörterbuch, 9. Auflage. Berlin: Dudenverlag 50 Insgesamt liegen 170 Treffer vor für die Suchanfrage „hirschen“, entnommen aus dem Korpus WebXL des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache, <https: / / www.dwds.de/ r/ ? q=hirschen&corpus=webxl&format=full&date-start=1995&date-end=2021&p=2&sort=date_de sc&limit=10>, abgerufen am 06.02.2022. Eine Prüfung von 50 randomisierten Belegen zeigt 15 Belege für eine Bewegungskonstruktion. 51 Insgesamt liegen 698 Treffer vor für die Suchanfrage Korpustreffer für „schnecken“, entnommen aus dem Korpus WebXL des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache, <https: / / www.dwds.de/ r/ ? q=schnecken&corpus=webxl&date-start= 1995&date-end=2021&format=full&sort=random&limit=50>, abgerufen am 06.02.2022. bslots von faktiven Bewegungskonstruktionen steht in einer M AN N E R -Relation zum Bewegungsereignis, d. h., es wird die Art und Weise der Bewegung durch das Lexem im Verbslot versprachlicht. Hierzu zählen Simplexe wie balancieren, bummeln, brausen, fahren, flattern, fliegen, fliehen, flüchten, gehen, gleiten, holpern, humpeln, huschen, joggen, klettern, krabbeln, kriechen, laufen, manövrieren, marschieren, pendeln, pilgern, radeln, rasen, reisen, reiten, rennen, rollen, rutschen, sausen, schleichen, schlen‐ dern, schliddern, schlingern, schlittern, schlüpfen, schlurfen, schnellen, schreiten, schweben, schwimmen, segeln, sich drängeln, sich schleichen, sich tappen, sich tasten, spazieren, springen, sprudeln, stapfen, steigen, stelzen, steuern, stiefeln, stoßen, streifen, strömen, stürmen, stürzen, tänzeln, tanzen, tauchen, taumeln, toben, torkeln, traben, trotten, wandern, wanken, wehen, wogen, wuseln, ziehen. Für das Schwedische beschreibt Olofsson (2022) eine Reihe an niedrigfre‐ quenten manner verbs und Neologismen. Dazu zählen insbesondere solche, die aus der Konversion einer Tierbezeichnung resultieren: älga ‘elchen’, ‘sich wie ein Elch fortbewegen’, snigla ‘schnecken’, ‘sich wie eine Schnecke fortbewegen’, hjorta ‘hirschen’, ‘sich wie ein Hirsch fortbewegen’, groda ‘froschen’, ‘sich wie ein Frosch fortbewegen’, krabba ‘krabben’, ‘sich wie eine Krabbe fortbewegen’. Lexikalisiert sind nach Olofsson die Verben älga ‘elchen’, ‘sich wie ein Elch fortbewegen’, snigla ‘schnecken’, ‘sich wie eine Schnecke fortbewegen’ sowie die beiden Verben orma ‘schlängeln, sich wie eine Schlange fortbewegen und åla ‘aalen, sich wie ein Aal fortbewegen’. Auch im Deutschen finden sich nach Sichtung einschlägiger Ressourcen lexi‐ kalisierte Verben, 49 die einen motion frame evozieren und auf Tierbezeichnungen zurückzuführen sind. Dazu zählen dackeln, hechten, krebsen, robben, storchen, tigern, und wieseln. Unter einem Vorweggriff auf die Ergebnisse von Teilstudie II ist das Hapax Legomenon affen zu ergänzen. Eine Überprüfung der aus dem Schwedischen ins Deutsche übertragenen Lexeme aus Olofsson (2022) zeigt Treffer für hirschen 50 sowie schnecken 51 . 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 247 <?page no="248"?> Eine Prüfung von 50 randomisierten Belegen ergibt einen Treffer für eine Bewegungskon‐ struktion. 52 2061 Korpustreffer für „aalen“, aus dem Korpus WebXL des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache, <https: / / www.dwds.de/ r/ ? q=aalen&corpus=webxl&datestart=1995&date-end=2021&format=full&sort=random&limit=50>, abgerufen am 06.02.2022. Eine Prüfung von 50 randomisierten Belegen zeigt keine Belege für eine Bewegungskonstruktion, sondern ausschließlich Lokalisation. 53 Zur Diskussion des Salienz-Begriffs siehe Kapitel 6.6 der vorliegenden Arbeit. (213) […], ab sofort wird Arnautovic wie der sprichwörtliche Strich in der Landschaft über die Felder hirschen. [DWDS WebXL, Neues ÖFB-Dress: „An Marko schaut jedes Trikot gut aus“. kurier.at, 2019-11-12] (214) Und nachdem ich mich so ein bisschen ausgepowert habe, kann ich gemütlich bergauf schnecken und mich letztlich mit meinen Bleibeinen doch wieder halb‐ wegs versöhnen. [DWDS WebXL, Bleibeine. Weinbergschnecke, 2013-01-30] Für das im Schwedischen lexikalisierte Verb älga ‘elchen’ gibt es keinen Treffer im DWDS Web XL. Für åla ‘aalen, sich wie ein Aal fortbewegen’ ist der Fall komplexer: Zwar existiert das lexikalisierte Verb aalen, das aber denotiert eine Lokalisation. 52 (215) Schläfrig robben sie zu ihrem Schlummerplatz und aalen sich dann gähnend auf dem Gestein. [DWDS WebXL, Putzige Pelzrobben hautnah. Sidetracksnz, 2013-03-30] Somit lässt sich festhalten, dass in beiden S-framed Sprachen Tierbezeich‐ nungen im Verbslot von Bewegungskonstruktionen genutzt werden können. Die Frequenzen zwischen den Tierbezeichnungen schwanken intra- und inter‐ sprachlich. Das bedeutet, dass die Beschreibung von sprachlichen Normen und Exploitation nicht auf semantische Verbklassen, sondern nur item-spezifisch zu beschreiben ist. Es ist naheliegend, dass kulturelle Unterschiede die Frequenz und damit die Lexikalisierung von Tierbezeichnungen als Verben prägen. Während Hirsche in beiden Kulturräumen vorkommen, ist das Vorkommen von Elchen auf Schweden begrenzt. Somit verfügt die Bezeichnung über eine höhere Salienz, was die Wahrscheinlichkeit der Versprachlichung erhöhen dürfte. 53 Im Sample aus Teilstudie I finden sich neben Tierbezeichnungen auch Konversionen aus Phantasielebewesen, wie etwa geistern und sich trollen. Für das Englische können die Verben ‘to troll’ sowie ‘to ghost’ angeführt werden. Im Schwedischen scheinen die Konversionen nicht lexikalisiert zu sein. 248 5 Korpusanalyse I <?page no="249"?> 5.3.3.2 Concurrent result Neben dem Co-Event MAN N E R ist das Co-Event C O N C U R R E N T R E S U L T im Deutschen wie im Schwedischen frequent. Die Relation zwischen der Bewegung und dem zusätzlich versprachlichten Ereignis lässt sich laut Talmy (2000: 46) so beschreiben, dass das Co-Event aus der Bewegung resultiert und ohne es nicht zustande käme. Nach Olofsson (2022: 199) sind es typischerweise Geräusch‐ verben, die dieses Ereignis denotieren. Im erhobenen Sample finden sich die Simplexe donnern, knallen, krachen, poltern, prallen, sowie die Komplexverben ab- und davonsurren, davonrattern, davonsummen, hinunterpoltern, hinuntertu‐ ckern. Olofsson (ebd.) unterscheidet zwischen Geräuschverben und einer ver‐ wandten Gruppe, die er collision verbs (Kollisionsverben) nennt, wie etwa (e.g. bumpa ‘bumsen’, dunka ‘pumpern’, krascha/ krocka/ kvadda ‘crashen, krachen’ törna ‘prallen’. Die Gruppe der collision verbs kann laut Olofsson lediglich der teilspezifizierten Konstruktion [ V E R B -in-i] ‘[ V E R B -in-hinein]’ des Schwedischen verwendet werden. Für das Deutsche sind hingegen keine Restriktionen auf bestimmte teilspezifizierte Konstruktionen erkennbar. - 5.3.3.3 Concomitance Ein weiteres Co-Event ist C O N C O MITAN C E . Es bezeichnet eine Aktivität, die die F I G U R E während der Fortbewegung zusätzlich ausübt (Talmy (2000: 46), auch Israel (1996) sowie Beliën 2008) für das Niederländische und Olofsson (2022) für das Schwedische). Im Schwedischen scheint dieses Co-Event frequent zu sein. Olofsson (2022) beschreibt Verben wie hosta ‘husten’, mumla ‘murmeln’ sowie skatta ‘lachen’, die in Bewegungskonstruktionen des Schwedischen im Verbslot verwendet werden. In Korpusstudie I der vorliegenden Arbeit finden sich lediglich zwei Belege, die diesem Co-Event zuzurechnen sind. (216) […] glücklich keuchte er den Weg hinauf, der zum Appellplatz führte. (217) Aber die Sonne … die lachte … die lachte höhnisch über den verzweifelten Schnee. Die Ergebnisse der ersten Korpusstudie weisen darauf hin, dass dieses Co-Event im Deutschen seltener aufzutreten scheint als im Schwedischen. Im Schwedi‐ schen findet sich eine Reihe weiterer Lexeme, die mit ‘feiern, Party machen’ assoziiert sind, wie parta ‘feiern’ oder svirva ‘saufen’. Beleg (218) stammt aus Olofsson (ebd.: 200). 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 249 <?page no="250"?> (218) Vi partajade iväg till Kajskjul 8. - 1Pl party-P S T auf nach Kajskjul 8 - ‘Wir feierten auf nach Kajskjul 8’ Für das Deutsche liegen keine Belege dieser Art vor. Interessant ist, dass die von verschiedenen Autor/ -innen postulierte Notwendigkeit einer Kausalbeziehung (Maienborn 1994; Goldberg 1995; Goschler 2011) für dieses Co-Event nicht zutrifft (vgl. auch Olofsson 2022: 200). - 5.3.3.4 Modality In Kapitel 5.3.1 der vorliegenden Arbeit sind die modalen Bewegungskonstruk‐ tionen für das Deutsche diskutiert worden. Ein zentrales Ergebnis aus Teilstudie I ist es, dass die Möglichkeit Modalverben ohne Infinitiv in Bewegungskonst‐ ruktionen zu nutzen davon abhängt, welches Modalverb versprachlicht wird. Olofsson (2014, 2019, 2022) zeigt durch Korpusstudien für das Schwedische, dass die Verwendung von Modalverben im Verbslot von Bewegungskonstruktionen des Schwedischen ebenfalls möglich ist. Ein Beleg findet sich unter (219) aus Olofsson (2022: 203). (219) Siri vill till puben - P N wollen-P R S zu Pub-D E F - ‘Siri will zum Pub’ Vergleicht man die frequentesten Modalverben in Bewegungskonstruktionen beider Spachen, stellt man Unterschiede fest. Für das Deutsche ist die Möglich‐ keit, wollen und müssen ohne Infinitiv zu benutzen, von allen Modalverben am größten. Die beiden Varianten mit und ohne Infinitiv zeigen in Korpusstudie I eine recht ähnliche Verteilung. Im Schwedischen hingegen ist es das Verb ska ‘sollen’, das „one of the most common verbs in the verb slot of Swedish motion constructions“ darstellt (Olofsson ebd.: 203). Zudem treten ihm zufolge Restriktionen auf, was die Verwendung in bestimmten Konstruktionen angeht. Nicht normgerecht sei die Verwendung in den Konstruktionen [ V E R B -runt-i], [ V E R B -runt-på] sowie in [ V E R B -omkring]. Diese teilspezifizierten Konstruktionen fokussieren auf das P ATH -Element R O U T E und entsprechen den deutschen Ausdrücken ‘in/ im … herum, auf … herum’ sowie um … herum’. Wie Olofsson (ebd.: 204) bemerkt, ist es für die Relation M O DALIT Y nicht immer eindeutig zu bestimmen, ob das Bewegungsereignis auch tatsächlich stattfindet. Daher bemerkt er, dass auch eine Zuordnung zu den Co-Events E NA B L E M E NT oder P R E C U R S I O N zu überlegen wäre. Er führt den Gedankengang jedoch nicht weiter. Aufgrund der hohen Tokenfrequenz, die zumindest für 250 5 Korpusanalyse I <?page no="251"?> einige Modalverben in bestimmten Genres einen Normstatus rechtfertigen würde, und der Tatsache, dass auch weitere S-framed Sprachen Modalverben in Bewegungskonstruktionen zulassen (Kjellmer 2002), spricht vieles für das Ansetzen einer eigenen Kategorie. - 5.3.3.5 Predicative Olofsson (2022) definiert ein weiteres, bislang nicht beschriebenes Co-Event für das Schwedische, das er als P R E DI C ATIV E bezeichnet. Bei diesem Co-Event beschreibt das Verb „not the manner in which the figure walks, but rather the state of mind or some attribute of the walker“ (Olofsson ebd.: 201). (220) Han flummade omkring i parken - 3SG laufen.vernebelt-P S T herum im Park - ‘Er läuft vernebelt/ verwirrt im Park herum’ (221) Hon coolar iväg till stan - 3SG cool-P S T auf zur Stadt - ‘Sie geht los zur Stadt und ist dabei cool’ Eine weitere Gruppe an Lexemen im Verbslot von Bewegungskonstruktionen des Schwedischen denotiert ohne entsprechende Konstruktion Körpereigen‐ schaften wie beispielsweise knubba ‘mollig’ oder feta ‘fett’, speist sich also aus Adjektiven. In der vorliegenden Korpusstudie I sind keine Lexeme erhoben worden, die ein deutsches Äquivalent darstellen könnten. Einige wenige lexika‐ lisierte Verben des Deutschen verweisen auf den mentalen Zustand der F I G U R E . Hierzu zählen die Verben irren, sich quälen, hetzen und hasten. - 5.3.3.6 Request Eine weder für das Schwedische noch für das Englische beschriebene Relation findet sich in den Belegen (222)-(226) des Samples aus Korpusstudie I. (222) Sie bat die Frau in den Raum. (223) Sie hatte Frau Behrend in den Laden gewinkt. (224) […] und dirigierten mich nach hinten aus dem Saal hinaus. (225) […] und kurz vor Mitternacht wurden die Leute aus den Betten herausgejagt. (226) 1930 entsandte ihn der KJVD zur Schule der Kommunistischen Jugend-Inter‐ nationale in Moskau. Die Relation zeichnet sich dadurch aus, dass das Subjekt die F I G U R E durch eine Aufforderung zur Bewegung veranlasst. Dies kann sowohl verbal als auch nonverbal geschehen. Die Verben, die eine solche Relation denotieren 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 251 <?page no="252"?> und Teilstudie I entnommen sind, sind für das Deutsche u. a. bitten, einladen, entsenden, hinausdirigieren, scheuchen, weisen, winken, zurücklotsen. Da die Relation im erhobenen Sample eine verhältnismäßig hohe Typewie Tokenfrequenz zeigt, ist es angebracht, die Relation als ein eigenständiges Co-Event für das Deutsche anzusetzen. Im Folgenden möchte ich das Co-Event als R E Q U E S T bezeichnen. In Beleg (227) findet sich ein Grenzfall. Das Co-Event in Beleg (227) könnte sowohl als R E Q U E S T als auch als S U B S E Q U E NZ klassifiziert werden. (227) So klingelt er ihn aus dem Bett. - [Er klingelt] A L S -A U F F O R D E R U N G [die andere Person verlässt das Bett] - [Er klingelt] M I T - D E R -F O L G E [die andere Person verlässt das Bett] Sicher ist, dass es sich um ein komplexes Ereignis, ein sogenanntes nesting (vgl. Talmy 2000, auch Kapitel 2.3.5 der vorliegenden Arbeit), handelt, wie die Paraphrasen zeigen. In den Ausführungen De Knops (2020) wird die Relation als „kausale Bewegungskonstruktionen des Typs [X veranlasst Y sich zu Z zu bewegen]“ bezeichnet (De Knop 2020: 1371). Der Terminus kausal verfehlt meiner Einschätzung nach die Relation, die zwischen der Bewegung und dem zusätzlichen Ereignis besteht. De Knop (ebd.) zählt auch verblose Konstruk‐ tionen zu diesen kausalen Bewegungskonstruktionen. Auch hier würde ich eher eine Aufforderung als Kausalität sehen, zumindest, was die Belege (228) und (229) aus meiner Korpusstudie angeht. (228) Nun aber rasch hinein damit in die Weihnachtsempfehlungen! (229) Lisa hörte Alexandras hektisches Rufen: „Bier her, Bier her! “ Es liegen m. W. keine Studien vor, die die Relation R E Q U E S T im Schwedischen beschreiben würden. Eine nicht-systematische Befragung von Sprachnutzern mit Erstsprache Schwedisch weist auf das regelmäßige Vorkommen der Relation in Bewegungskonstruktionen des Schwedischen hin. Den Nicht-Linguisten zufolge existierten Konstruktionen wie kallar in ‘jmdn. hereinrufen’ und vinkar in ‘jmdn. hineinwinken, einweisen’ sowie sjasa ut ‘hinausscheuchen’. Für das Englische lassen sich gleichermaßen Ausdrücke zuordnen, wie etwa „We asked them into the house“ ‘Wir haben sie ins Haus gebeten’. Somit scheint die von mir vorgeschlagene Relation R E Q U E S T in verschiedenen S-framed Sprachen Normstatus zu besitzen. - 5.3.3.7 Zusammenfassung Die Daten aus Korpusstudie I zeigen, dass unterschiedliche Sprachgemein‐ schaften unterschiedliche Normen herausbilden, was die Versprachlichung von 252 5 Korpusanalyse I <?page no="253"?> Bewegungsereignissen betrifft. Dass diese Gebrauchsnormen Schwankungen unterliegen, kann unter Rückbezug des aktuellen Forschungsstandes aus Kapitel 4 angenommen werden. Zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen werden in S-framed Sprachen wie dem Schwedischen, Englischen und Deut‐ schen nicht nur sogenannte Bewegungsverben genutzt, sondern auch weitere Lexeme. Welche Lexeme frequent in Bewegungskonstruktionen erscheinen, lässt sich nur bedingt durch das Konzept semantischer Verbklassen erklären. Es ist somit nicht sinnvoll, von Geräuschverben oder Artikulationsverben zu sprechen, die gewissermaßen ad-hoc zu Bewegungsverben werden. Vielmehr werden diese Lexeme in konventionalisierten Konstruktionen von Sprachge‐ meinschaften genutzt, um eine ganz bestimmte Perspektivierung des Bewe‐ gungsereignisses zu erzielen. Für einen zusammenfassenden Vergleich der in der vorliegenden Arbeit diskutierten S-framed Sprachen bietet sich die Modellierung über die Co-Events an. In Kapitel 2.3.4 wurde eine Adaption der von Talmy (2000, 2017) postulierten Co-Events vorgeschlagen, die auf konstruierten sprachlichen Beispielen beruhte. Nach Korpusstudie I und dem Vergleich mit dem Schwedischen unter Bezugnahme auf die Daten aus den Studien Olofssons (2014, 2019, 2022) und den Arbeiten Talmys (2000, 2017) kann nun eine zusammenfassende, qualitative Darstellung über die Co-Events im Deutschen, Schwedischen und Englischen gegeben werden, die auf authen‐ tischen Korpusbelegen basiert. NA steht hierbei für not available, das heißt, es liegen keine Belege vor. Daraus lässt sich jedoch nicht unmittelbar ableiten, dass die Relation in der jeweiligen Sprache nicht vorkommt. Co-Event Deutsch Schwedisch Englisch P R E C U R S I O N ✓ ✓ ✓ E N A B L E M E N T ✓ ✓ ✓ O N S E T C A U S A T I O N ✓ ✓ ✓ E X T E N D E D C A U S A T I O N ✓ ✓ ✓ M A N N E R ✓ ✓ ✓ C O N C O M I T A N C E ✓ ✓ ✓ S U B S E Q U E N Z ✓ ✓ ✓ C O N C U R R E N T R E S U L T ✓ ✓ ✓ R E V E R S E E N A B L E M E N T ✓ NA ✗ M O D A L I T Y ✓ ✓ ✗ 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 253 <?page no="254"?> Co-Event Deutsch Schwedisch Englisch P R E D I C A T I V E ✓ ✓ NA R E Q U E S T ✓ NA NA Tabelle 27. Co-Events in einer sprachvergleichenden Übersicht. Die Angaben aus Tabelle 27 sind qualitativer Art und lassen keine Aussage über die Produktivität der Co-Events in den drei untersuchten S-framed Sprachen zu. Dies liegt u. a. daran, dass Olofsson (2022) keine Angaben zu Frequenzen unterbreitet. Der Normstatus lässt sich nur indirekt aus der Studie ablesen, indem man die Anzahl an Types und Hapax Legomena, die aufgeführt sind, berücksichtigt. Methodisch ist das Vorgehen Olofssons (ebd.) nicht ganz unpro‐ blematisch: Seine Daten beruhen zum Teil auf Korpusbelegen eines schwedi‐ schen Referenzkorpus, zum Teil wurde das Web mit der Suchmaschine Google nach raren Treffern durchforstet. Es ist somit nicht nachzuvollziehen, wie die Suchanfragen und die Treffermengen aussehen. Auch in Talmys STLP wird keine Angabe darüber gemacht, inwiefern quantitative Unterschiede zwischen den postulierten Relationen bestehen. Sicherlich existieren recht deutliche Unterschiede hinsichtlich der Produktivität der Relationen in den jeweiligen S-framed Sprachen. So zeigt beispielsweise die von Olofsson angesetzte Relation P R E DI C ATIV E kaum Treffer in Korpusstudie I der vorliegenden Arbeit zum Deut‐ schen; Talmy aus dem Blickwinkel des Englischen kommend setzt die Relation nicht einmal an. Während das Schwedische und das Deutsche die Relation M O DALIT Y frequent in direktionalen Konstruktionen zeigen, ist der Gebrauch im Englischen, je nach Lexem und Register, stark markiert bis ungrammatisch. Die Relation C O N C O MITAN C E , die sich dadurch auszeichnet, dass zwischen vom Lexem denotierter Handlung und dem Fakt der Bewegung keine kausale oder modale Relation besteht, scheint nach Auswertung der Daten aus Korpusstudie I für das Deutsche wenig frequent zu sein. Aus dieser Beobachtung erklärt sich möglicherweise, warum viele der in Kapitel 4 zitierten Linguist/ -innen davon ausgehen, dass eine kausale Relation zwingend notwendig ist, um ein Nicht-Bewegungsverb in einer Bewegungskonstruktion nutzen zu können. Das Schwedische scheint an dieser Stelle weniger restriktiv zu sein. Im Englischen zeigt sich die Relation insbesondere bei Verben der Geräuschemission oder Kommunikation. Diese Verben werden im Deutschen allerdings für fiktive Be‐ wegungsereignisse genutzt und können nicht ohne Weiteres für die Versprachli‐ chung faktiver Bewegungsereignisse eingesetzt werden. Wenn ein Sprachnutzer des Deutschen ein faktives Bewegungsereignis versprachlichen möchte und 254 5 Korpusanalyse I <?page no="255"?> gleichzeitig eine kommunikative Handlung ausdrücken will, ist er gezwungen auf eine reflexive Konstruktion auszuweichen. Die Ergebnisse aus Korpusstudie I und der erste Vergleich mit den S-framed Sprachen Schwedisch und Englisch lassen wichtige Rückschlüsse hinsichtlich mindestens dreier Dimensionen zu: Die erste Dimension betrifft das Verhältnis zwischen Norm und Exploitationen deutscher Bewegungskonstruktionen. Die zweite Dimension zielt auf die Angemessenheit der theoretischen Modellierung durch die Konstruktionsgrammatik. Die dritte Dimension schließlich zielt auf die sehr grundsätzliche Frage nach dem Zusammenhang zwischen Ereignis‐ wahrnehmung und Versprachlichungsstrategien unterschiedlicher Sprachge‐ meinschaften. Die Daten aus Korpusstudie I zeigen starke Frequenzunterschiede zwischen semantisch vermeintlich ähnlichen Verben und damit verbunden auch einen unterschiedlichen Normstatus. Das wirft abermals die Frage nach der Sinnhaf‐ tigkeit des Ansetzens semantischer Verbklassen auf. Die Ergebnisse sprechen für ein recht hohes Maß an Idiosynkrasie. Teilspezifizierte Konstruktionen ziehen demnach unterschiedliche Lexeme an und sind unterschiedlich produktiv. Welche theoretischen Implikationen lassen sich aus dem bisher Erarbeiteten ableiten? In Kapitel 4 wurde dargelegt, dass Rohdes Diskussion zu Bewegungs‐ konstruktionen des Englischen tendenziell gegen eine konstruktionsgrammati‐ sche Modellierung läuft (vgl. Rohde 2001). Die Argumentation Olofssons, der zu schwedischen Bewegungskonstruktionen gearbeitet hat, stärkt und befürwortet sehr dezidiert einen konstruktionsgrammatischen Ansatz. Aus meiner Perspek‐ tive sind beide Argumentationslinien nachvollziehbar, und zwar im Kontext des jeweils untersuchten Phänomens und der jeweils untersuchten Sprache. Die sich diametral gegenüberliegenden Positionen sind weder das Resultat methodologischer noch argumentativen Schwächen, sondern den intra- und intersprachlichen Unterschieden geschuldet: Es zeigt sich, dass das Schwedische im Bereich der Versprachlichung von Bewegungsereignissen tendenziell mehr Konstruktionen aufweist, die sich nicht kompositionell beschreiben lassen. Das Englische hingegen scheint den Daten Rohdes zufolge restriktiver: Lexeme, die kontextfrei keinen Bewegungsframe evozieren können, werden bevorzugt in Konstruktionen verwendet, die eine Vielzahl an Hinweisen auf den Bewe‐ gungsframe bieten (vgl. Rohde 2001). Diese Beobachtungen münden in eine Modellierung, die keine konstruktionsgrammatischen Ansätze braucht, um die erhobenen Daten erklären zu können. Wie verhält sich nun das Deutsche an dieser Stelle? Diese Frage lässt sich mithilfe der Daten aus Korpusstudie I nicht eindeutig beantworten. Es lassen sich Belege anführen, die vollständig kompositionell zu beschreiben sind, andere 5.3 Diskussion der Ergebnisse aus Korpusstudie I 255 <?page no="256"?> hingegen scheinen sich einem analytischen Zugriff zu verweigern; sie können nur als holistische Einheit in ihren semantischen und pragmatischen Eigen‐ schaften beschrieben werden. Präfix- und Partikelverben werden bevorzugt in AKK ADV -Konstruktionen verwendet, nicht jedoch mit Modalkonstruktionen. Es lässt sich nicht feststellen, dass Sprachnutzer des Deutschen gezielt auf Präfix- und Partikelverben zurückgreifen, wenn sie Lexeme verwenden, die kontextfrei keinen Bewegungsframe evozieren. Tatsächlich scheinen diese Elemente häufig redundant. Allerdings greifen Sprachnutzer des Deutschen auf die endoreflexive Konstruktion zurück, um ein faktives Bewegungsereignis zu versprachlichen, wenn das Lexem ansonsten auf ein fiktives Bewegungsereignis hindeutet. In der Tendenz gilt m.-E., was Sinclair (2004) wie folgt beschreibt: Successive meanings can be discerned in the text, and you can associate a meaning or a component of meaning or a shade of meaning with this or that word or phrase that is present in the text. But it is often impossible in the present state of our knowledge to say precisely where the realization of that meaning starts and stops, or exactly which pattern of morphemes is responsible for it. This may be simply an unfortunate stage in the development of the description, but I do not think so. (Sinclair 2004: 37) Um ein exakteres Bild davon zu zeichnen zu können, wie Sprachnutzer mit Normen und Exploitationen deutscher Bewegungskonstruktionen umgehen, bedarf es einer Nahaufnahme. Diese Nahaufnahme einer teilschematischen Bewegungskonstruktion wird mit Korpusstudie II der vorliegenden Arbeit rea‐ lisiert. Durch die Analyse einer einzelnen teilschematischen Konstruktion kann das Verhältnis zwischen Norm und Exploitation ausgelotet werden. Es kann aufgezeigt werden, inwiefern Exploitationen systematische Realisierungen sind, die auf bestehende Gebrauchsnormen zurückzuführen sind und sich weitgehend durch Analogiebildung zu speisen scheinen. Somit werden gegen Ende der Zusammenfassung die Limitationen von Kor‐ pusstudie I erkennbar. Wie jede empirische Arbeit unterliegen Korpusstudien im Allgemeinen wie im konkreten Fall bestimmten Restriktionen, was die Aussagekraft der Daten angeht. Diese Restriktionen beruhen zu einem großen Teil auf methodischen Entscheidungen, die aus theoretischen wie praktischen Erwägungen hervorgegangen sind, die jedoch immer Auswirkungen auf die Ergebnisse haben, die zu reflektieren sind. 256 5 Korpusanalyse I <?page no="257"?> 5.4 Methodenkritik Bei einer empirischen Untersuchung erfordert jeder Schritt des Arbeitsprozesses Entscheidungen, die sich mehr oder weniger direkt auf die Daten und somit auf die Ergebnisse auswirken werden. Dazu zählt zunächst die Wahl der Methode an sich. Es ist wichtig sich vor Augen zu führen, welche Art von Evidenz Korpusstudien zum Forschungsdiskurs beisteuern können. Korpusstu‐ dien können vermutlich keine direkte Evidenz für oder gegen Hypothesen bieten, die sich auf kognitive Prozesse von individuellen Sprachnutzern be‐ ziehen. Ein direkter Zusammenhang zwischen sogenannten offline-Daten und Sprachverarbeitungsprozessen kann den Teilstudien von Blumenthal-Dramé (2012) zufolge stark bezweifelt werden. Blumenthal-Dramé (ebd.) untersucht in ihrer Dissertation den Zusammenhang zwischen Frequenzen in natürlichen Sprachen und dem Grad des Entrenchments komplexer sprachlicher Ausdrücke von individuellen Sprachnutzern. Sie vergleicht dabei Korpusdaten mit anderen experimentellen Methoden aus den Bereichen der Neuro- und Psycholinguistik. Die Ergebnisse aus Blumenthal-Dramé (ebd.) sowie den Ergebnissen einer Studie zur Sprachverarbeitung analytischer und synthetischer Formen des Englischen fasst Kortmann in seinem Positionspapier zur quantitativen Wende in der Linguistik wie folgt zusammen: What the above two case studies show very clearly is that only experimental data offer the chance to reveal direct evidence, whereas corpus data are purely observational, show us how people use language but reveal no more than indirect evidence for cognitive processes, and may thus at most give rise to the formulation of research hypotheses concerning cognitive processes. (Kortmann 2021: 1218) Während Korpusdaten also lediglich indirekte Hinweise auf individuelle Sprachverarbeitungsprozesse bieten können, stellen sie dennoch ein wichtiges Werkzeug der deskriptiven Linguistik dar, denn sie zeigen den Sprachgebrauch einer großen Menge von Sprachnutzern in unterschiedlichen Modalitäten, Genres und Registern. Aus diesem beobachteten Sprachgebrauch lassen sich begründete Annahmen und theoretische Rückschlüsse formulieren, wenn die Grundlagen wissenschaftlichen Arbeitens beachtet sind. Wenn die Fragestellung und die Operationalisierung durch geeignete Va‐ riablen erfolgt sind, bleiben im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses eine Reihe von Entscheidungen offen. Für Korpusstudien sind die zentralen Parameter die Wahl des Korpus, die Erarbeitung der Suchanfragen, die Zusam‐ mensetzung des Samples, die Aufbereitung der Belege durch weitere manuelle 5.4 Methodenkritik 257 <?page no="258"?> oder automatisierte Annotation sowie den Grad der Granularität bzw. den Grad an Abstraktion der sprachlichen Daten. Für Korpusstudie I ist ein Bootstrapping-Verfahren entwickelt worden, um nach unbekannten Lexemen in Bewegungskonstruktionen suchen zu können. Hierfür wurden zunächst prototypische Verben ausgewählt, die auch ohne Bewegungskontext einen Bewegungsframe evozieren. Für diese Verben wurden Kollokationsanalysen durchgeführt, um die Satzumgebungen der sogenannten Bewegungsverben systematisieren zu können. Aus dieser Systematisierung wurden erste Suchanfragen generiert, die durch ein try-and-error-Verfahren hinsichtlich der Werte precision und recall validiert werden sollten. Aller‐ dings beruht das Vorgehen auf der Annahme, dass Lexeme, die kontextfrei keinen Bewegungsframe evozieren können, in den gleichen Satzumgebungen gebraucht werden wie sogenannte Bewegungsverben. Ob diese Annahme tragfähig ist, müsste genauer untersucht werden. Die Suchanfragen nutzen konkrete P ATH -Elemente, wie etwa Büro oder Kino. Es ist denkbar, dass diese Ausdrücke item-spezifische Präferenzen für bestimmte Lexeme im Verbslot der Konstruktion aufweisen, sodass in Korpusstudie I in erster Linie die Norm der Versprachlichung von Bewegungskonstruktionen erhoben wurde, weniger aber Exploitationen. Auch die Wahl des Korpus führt mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Bild, das die Norm deutscher Bewegungskonstruktionen zeigt, denn es handelt sich um eine schriftsprachlich geprägtes Referenzkorpus. Exploitati‐ onen sind, wenn vorhanden, im Genre Belletristik vertreten. Um die Treffermenge handhabbarer zu gestalten, wurde eine Stichprobe von 40 Prozent der Treffermengen der jeweiligen Suchanfragen gezogen. Dadurch, dass die Stichproben randomisiert gezogen wurden, ist das grundsätzliche Vor‐ gehen einer Reduktion der Treffermenge zunächst unproblematisch. Allerdings führt ein kleineres Sample dann zu Problemen, wenn bestimmte statistische Werte ermittelt werden sollen. Da sprachliche Daten nicht normalverteilt sind, sondern einer Zipf ’schen Verteilung unterliegen, spielt der Umfang des Samples eine bedeutende Rolle. Für kleinere Samples ist die Angabe bestimmter statistischer Werte wie etwa des Produktivitätsindex P aus Baayen (1992) nicht sinnvoll. Diesem Umstand wurde in Korpusstudie I Rechnung getragen, indem auf die Angabe der Werte bei zu geringem Stichprobenumfang verzichtet wurde. Allerdings liegen komplexere mathematische Verfahren vor, die die Natur der Zipf ’schen Verteilung berücksichtigen und für die Anwendung sprachlicher Daten entwickelt wurden. Hierzu zählen u. a. die LNRE-Modelle von Evert (2004) sowie Evert & Baroni (2007). Folgende Studien könnten diese statistischen Verfahren nutzen. Insgesamt sind die in Korpusstudie I angegebenen statisti‐ schen Werte nicht als absolute Aussagen, sondern als erste Approximationen zu 258 5 Korpusanalyse I <?page no="259"?> verstehen, die sorgfältiger linguistischer Interpretation bedürfen. Auch dieses Argument spricht dafür, eine zweite Korpusstudie durchzuführen, die neben einer quantitativen Operationalisierung der Produktivität auch qualitative Ver‐ fahren nutzt. Ein weiterer zentraler Schritt einer empirischen Studie ist die Annotation der Daten. Die Frage, welche Kategorien angesetzt werden und wie granular die Ausprägungen der Kategorien ausfallen sollen, sollte möglichst vor dem Hinter‐ grund der bisherigen Studien zum Phänomenbereich beantwortet werden. Eine Pilotstudie kann ebenfalls nützlich sein, um eine Validierung der Annotation vorzunehmen. Für die vorliegende Arbeit sind zwei Pilotstudien durchgeführt worden. Die Studien samt ihren Ergebnissen sind auf einer computerlinguis‐ tischen Postersession sowie auf einer internationalen Konferenz präsentiert worden. Die Anmerkungen sind in den Annotationsprozess eingeflossen. Als nicht optimal hat sich nach dem Annotationsprozess die Wahl der Kategorie morphologische Komplexität erwiesen. Unter dieser Kategorie werden Ebenen konfundiert, die besser separat hätten betrachtet werden sollen. Hierzu zählen die Ausprägungen Komplexverb auf der einen Seite sowie Modalverbkonstruk‐ tion auf der anderen Seite. Da sich diese Ausprägungen nicht gegenseitig ausschließen, ist die praktische Handhabung der Kategorie für die Ergebnisdar‐ stellung unnötig erschwert worden. Neben der Frage der Annotationskategorien spielt der Prozess der eigent‐ lichen Annotation eine bedeutende Rolle, denn für jede Kategorie liegt für den Rater ein mehr oder weniger großer Spielraum bei der Interpretation der Daten vor. Für grammatische Kategorien dürfte der Interpretationsraum eher klein ausfallen. Für semantische Kategorien wie die Annotation der semantischen Frames könnte der Spielraum größer sein. Eine Möglichkeit, mit der Unsicherheit umzugehen, ist die Annotation der erhobenen Daten durch unterschiedliche, unabhängig voneinander arbeitende Rater. Das Maß der Über‐ einstimmung der Kodierentscheidungen (inter-rater reliability, IRR) kann mittels der Berechnung des Kappa-Koeffizienten angegeben werden (Cohen 1960). Der Kappa-Koeffizient, auch Cohen’s kappa genannt, ist für nominale Variablen geeignet. Er berücksichtigt neben den Werten der Übereinstimmung auch die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Übereinstimmung durch die verschiedenen Rater. Je nachdem, wie die Ausprägungen der Kategorien im Sample verteilt sind, kann eine zufällige Übereinstimmung mehr oder weniger wahrscheinlich sein und muss daher notwendigerweise in die Statistik einfließen (vgl. Hallgren 2012). Berechnet wird der Koeffizient mit durch die Formel K = P (a) − P (e) 1 − P (e) 5.4 Methodenkritik 259 <?page no="260"?> P(a) gibt an, wie hoch der prozentuale Anteil an Übereinstimmungen ist, P(e) die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Übereinstimmung (vgl. Cohen 1960; Hallgren 2012). Neben den Hauptgütekriterien spielen auch Nebengütekriterien eine Rolle. Hierzu zählt die Ökonomie. Aus ökonomischen Gründen musste für Korpusstudie I auf ein weiteres unabhängiges Annotieren der Daten verzichtet werden. Stattdessen wird die Stabilität der Kodierung geschätzt, indem die intrapersonale Übereinstimmung ermittelt wurde (vgl. Hussy et al. 2013: 258. Dazu wird eine randomisierte Stichprobe von 10 Prozent der Belege gezogen und die Daten in einem Abstand von 12-14 Monaten erneut nach dem entwickelten Kodierschema für die kritische Kategorie semantischer Frame annotiert. Die Übereinstimmung P(a) beträgt 91 %, P(e) beträgt 0,83 %. Der so ermittelte Kappa-Koeffizient beträgt für die Kategorie semantischer Frame 0,47. In der Interpretation nach Landis & Koch (1977) handelt es sich um eine moderate Übereinstimmung. Eine Analyse der Abweichungen bei der Annotation zeigt, dass die Abweichungen i. d. R. auf eng verwandte semantische Frames zurück‐ zuführen sind: Es betrifft die Frames desiring vs. desirable_event, departing vs. quitting_a_place sowie self_motion vs. motion_directional. In einem Fall handelt es sich um einen echten Fehler in der Annotation. Es wurde im ersten Annotationsgang der Frame path_shape hinterlegt, es müsste sich aber um perception_active handeln. Wie bereits angesprochen, ist die Operationalisierung der Produktivität keine triviale Angelegenheit. Die Verteilung der Daten als auch die Größe der Korpora nehmen maßgeblichen Einfluss auf die resultierenden Werte. Und auch die Interpretation der Werte stellt einen Aspekt dar, der durchaus strittig ist (vgl. Schneider-Wiejowski 2011). Die Interpretation sprachlicher Daten, seien sie qualitativer oder quantitativer Art, steht in engem Zusammenhang zur Frage der Generalisierung und Abstraktion ebendieser Daten. Hanks (2003) beschreibt den Prozess des empirischen Arbeitens treffend: More thorough analysis reveals further patterns, hidden below the surface. The whole of a language is permeated with interconnecting patterns. But as analysis of corpus data proceeds, something very alarming happens: the patterns in a concordance that seemed so obvious and that caught the eye at first glance begin to seem more and more difficult to formalize, as more and more unusual cases are noticed. The difficulty lies in achieving just the right level of generalization. More and more exceptions show up as the data accumulates, so there is in fact no single right level of generalization, although it is only to easy to make generalizations that are badly wrong. (Hanks 2013: 411) 260 5 Korpusanalyse I <?page no="261"?> Diese Warnung im Hinterkopf habend, wurde in Korpusstudie I versucht, zunächst ein möglichst geringes Abstraktionslevel anzubieten. Auch einige der jüngeren konstruktionsgrammatischen Arbeiten (vgl. Boas 2011b; Herbst 2020) plädieren für eine möglichst feingranulare Analyse der Daten, um Idiosynkra‐ sien und item-spezifische Präferenzen nicht durch einen zu hohen Abstraktions‐ grad zu verdecken. Allerdings kann dieses Vorgehen dazu führen, interessante Einsichten über Kategorisierungsprozesse von Sprachnutzern durch übermä‐ ßige Vorsicht zu verhindern und lediglich den Gebrauch wiederzugeben, ohne dass ein wirklicher theoretischer Fortschritt erreicht würde. Um das Dilemma aufzulösen, wird in Korpusstudie II eine einzelne teilschematische Konstruktion untersucht, deren Versprachlichung von konkreten Belegen zu abstrakten linguistischen Kategorien durch ein sorgfältiges bottom-up-Verfahren unter Berücksichtigung von Kollokationen nachgezeichnet werden soll. 5.4 Methodenkritik 261 <?page no="263"?> 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend VERB ] People do talk, and they often seem to communicate decently well. Langacker (2017) Nachdem in Kapitel 5 ein weites Bild der Versprachlichung von Bewegungse‐ reignissen im Deutschen gezeichnet wurde, folgt mit diesem Kapitel nun eine Nahaufnahme, indem eine einzelne teilschematische Konstruktion analysiert wird. Folgende Teilfragestellungen sollen beantwortet werden: 1) Welche Lexeme werden im Verbslot der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] verwendet? 2) Wie lässt sich der Zusammenhang zwischen den Lexemen und der teilschematischen Konstruktion modellieren? 3) Inwieweit ist die teilschema‐ tische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] produktiv? 4) Wie lassen sich Normen und Exploitationen modellieren? Aus der Beantwortung dieser Fragen lassen sich Rückschlüsse auf die übergeordneten Fragestellungen ziehen, ob es beschreibungsadäquat ist, semantische Verbklassen anzusetzen und inwiefern die konstruktionsgrammatische Perspektive zielführend sein kann. 6.1 Zur Wahl der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend VERB ] Bei der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] handelt es sich um eine teilsche‐ matische Konstruktion. Das bedeutet, dass die Mehrworteinheit [durch die Gegend V E R B ] fixiert und lexikalisch spezifiziert ist, die weiteren Slots der Konstruktion jedoch nicht spezifiziert sind. Es ist jedoch davon auszugehen, dass es bestimmte Gebrauchspräferenzen für die jeweiligen Slots gibt. Nach meinem jetzigen Kenntnisstand liegen hierzu keine Studien vor. Die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] eignet sich aus verschiedenen Gründen für eine Nahaufnahme: Beobachtungen weisen darauf hin, dass die teil‐ schematische Konstruktion eine vergleichsweise hohe Variabilität im Verbslot der Konstruktion aufweist, wie die Belege (230)-(233) illustrieren. (230) Die beiden […] kichern sich frischverliebt durch die Gegend. (231) Sido pfeffert Geräte durch die Gegend. <?page no="264"?> (232) Nicht nur beleidigt durch die Gegend kucken. (233) Trump holzt durch die Gegend. Es stellt sich die Frage, ob sich zu der beobachteten Variabilität im Verbslot der teilschematischen Konstruktion Gebrauchspräferenzen beschreiben lassen, die einer gewissen Systematik folgen, oder ob es sich um Idiosynkrasien handelt. Gleichzeitig scheint es, als ermögliche die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] die Versprachlichung aller Kategorien an Bewegungs‐ ereignissen. So liegt in den gezeigten Belegen mit (230) ein IB-Ereignis (in‐ tentionales Bewegungsereignis) vor, mit (231) ein KB-Ereignis (kausal-indu‐ ziertes Bewegungsereignis), in (232) ein fiktives Bewegungsereignis und mit (233) schließlich ein metaphorisches Bewegungsereignis. Diese Beobachtung suggeriert zunächst, dass dem Verbslot eine entscheidende Rolle bei der Ver‐ sprachlichung der unterschiedlichen Bewegungsereigniskategorien zukommt. Allerdings sprechen die Belege (234)-(237) gegen diese Argumentation: (234) Jäger ballert durch die Gegend und bringt Radfahrer in Gefahr. (235) Man ballert wie eine Gummi-Flipperkugel durch Gegend. (236) In „Mechanic: Resurrection“ ballert er sich wieder gekonnt durch die Gegend. (237) #Akademiker mit Niveau ballern nicht durch die Gegend, sondern parshippen. In den Belegen erscheint jeweils das Verb ballern. Trotzdem erhalten wir unterschiedliche Bewegungsereignisse in den einzelnen Belegen. Das ist erklä‐ rungsbedürftig und weist darauf hin, dass die Beschränkung auf den Verbslot, wie in Korpusstudie I vorgenommen, zu kurz greift. Es müssen zusätzlich weitere sprachliche Strukturen der unmittelbaren Satzumgebung in die Analyse einbezogen werden. Zudem scheint es, als führe die Verwendung bestimmter Verben, wie etwa fliegen, in einigen Fällen zu einem fiktiven Bewegungsereignis und nicht etwa zu einem faktiven Bewegungsereignis. Das zeigt sich in Belegen wie (238)-(239). (238) Bunte Kugeln, Tannengrün und Weihnachtsfiguren flogen nur so durch die Gegend. (239) Alles fliegt durch die Gegend, ich bin nur am putzen und aufräumen. Das ist bemerkenswert, handelt es sich doch um ein Verb, dass auch kontextfrei einen Bewegungsframe evozieren kann. Klärungsbedürftig ist weiterhin die Beobachtung, dass die teilschematische Konstruktion eine Präferenz für das Verb laufen aufzuweisen scheint, das semantisch zunächst ähnlich erscheinende Verb gehen jedoch nicht gebräuchlich zu sein scheint. Zusammengefasst ist die Untersuchung der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] aus drei Gründen lohnend: 264 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="265"?> 1. Die Konstruktion scheint eine hohe Variabilität im Verbslot aufzuweisen. Die Untersuchung der Variabilität lässt Rückschlüsse auf mögliche syste‐ matische oder idiosynkratische Gebrauchspräferenzen zu. 2. Die Verteilung der semantisch ähnlichen Verben laufen und gehen scheint stark abweichend von der Verteilung der beiden Verben in Korpusstudie I. Das ist erklärungsbedürftig und weist auf eine bestimmte semantische oder pragmatische Funktion der lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] hin. 3. Die Verwendung des Verbs fliegen in Verbindung mit der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] führt in einigen Fällen nicht zu einem faktiven Bewegungsereignis, sondern lässt lediglich eine fiktive Interpretation zu. Dies weist darauf hin, die Satzumgebung stärker zu berücksichtigen als in Korpusstudie I. Eine stärkere Berücksichtigung der Satzumgebung verlangt auch die Beobachtung, dass bei identischer Besetzung des Verbslots unterschiedliche Bewegungsereignisse evoziert werden können. Deutlich wird dies an den exemplarischen Belegen zum Verb ballern. Da bislang keine Studien zur teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] vorliegen, können ihre semantischen und pragmatischen Eigenschaften nur auf Grundlage der bislang angeführten Belege skizziert werden. Die Präposi‐ tion durch kann zu den Präpositionen gezählt werden, die auf die zurückgelegte Strecke einer Bewegung verweisen. Aus typologischer Perspektive würde man von R O U T E sprechen (Dewell 2011: 47). Die NP die Gegend ist ein semantisch unterspezifizierter Ausdruck. Laut des Wortauskunftsystems des DWDS lässt sich die Bedeutung des Substantivs Gegend mit ‘ein nicht bestimmt begrenzter Teil einer Fläche’ paraphrasieren. Der Ausdruck Fläche kann sich hierbei auf eine Landschaft, eine Umgebung oder eine Körperzone beziehen. Auch meta‐ phorische Lesarten sind gelistet (https: / / www.dwds.de/ wb/ Gegend, 20.10.2021). Das etymologische Wörterbuch nach Wolfgang Pfeifer gibt den Hinweis, es handle sich um eine Nominalisierung aus einer Präposition (ebd.). Der definite Artikel innerhalb der teilschematischen Konstruktion verweist darauf, dass das bezeichnete Areal kontextuell oder durch die sprachliche Umgebung eingeführt und dem Sprecher bekannt ist. Die Aktionsart der teilschematischen Konstruk‐ tion [durch die Gegend V E R B ] ist zunächst als atelisch zu charakterisieren. Es handelt sich um ein potenziell unabgeschlossenes Bewegungsereignis. In einem Beitrag von Günthner zur Grammatik der gesprochenen Sprache findet sich folgender Beleg: 6.1 Zur Wahl der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] 265 <?page no="266"?> (240) der hat sicher wieder gsoffen. (-) weil(.)sie läuft total deprimiert durch die Gegend. (Günthner 2000: 360) Günthner thematisiert anhand des Belegs die Funktion der Verbzweitstellung. Interessant für meine Fragestellung ist allerdings die Verwendung der Konstruk‐ tion [durch die Gegend laufen]. Der Sprachnutzer, der die Äußerung getätigt hat, bezieht sich nicht auf ein spezifiziertes Areal. Ausgedrückt wird mithilfe der Konstruktion in Beleg (240) vielmehr der psychische Zustand der F I G U R E . Die F I G U R E bewegt sich hierbei in einem von anderen wahrnehmbaren, vermutlich öffentlichen, Raum. Fokussiert wird also nicht auf die Fortbewegung oder auf das zu erreichende Ziel, sondern auf die Eigenschaften der F I G U R E während der Fortbewegung. Damit hebt sich die Konstruktion in ihrer Funktion von anderen in dieser Arbeit thematisierten Konstruktionen zur Versprachlichung von Be‐ wegungsereignissen ab. Es ist nun zu zeigen, ob die Korpusstudie die bislang introspektiv gewonnenen Erkenntnisse zur teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] stützt. In den folgenden Unterkapiteln werde ich auf die methodische Umsetzung von Korpusstudie II eingehen. Dazu wird zunächst die Wahl des Korpus begründet, um anschließend auf die Erarbeitung der Suchanfragen einzugehen. Es folgt die Darstellung des Samples sowie das Vorgehen bei der Kodierung der Belege. Anschließend wird dargelegt, welche Assoziationsmaße berechnet und zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen Lexem und Konstruktion herangezogen wurden. Schließlich folgt die Darstellung zur Operationalisierung der Produktivität und zu den durchgeführten Kollokationsanalysen. 6.2 Methode Im Vergleich zum Umfang des Kapitels zur Methode der ersten Korpusstudie dieser Arbeit wird dieses Kapitel zur Beschreibung der Methode von Korpus‐ studie II vergleichsweise schmal ausfallen. Dies liegt u. a. daran, dass die theoretischen Grundlagen eines korpusgesteuerten Vorgehens in Kapitel 5 bereits dargelegt sind. Auch ähneln sich die erhobenen und kodierten Variablen in beiden Korpusstudien, sodass auf eine ausführliche Begründung verzichtet wurde. Stattdessen wird primär auf die Unterschiede im Vorgehen eingegangen werden. Ich beginne mit der Wahl des Korpus WebXL, das sich in seiner Konzeption deutlich vom DWDS-Kernkorpus 1990-1999 unterscheidet, das Korpusstudie I zugrunde liegt. 266 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="267"?> 6.2.1 Zur Wahl des Korpus Das Korpus WebXL stammt, wie das Kernkorpus 1990-1999 auch, aus dem Hause DWDS. Es handelt sich im Gegensatz zum Kernkorpus jedoch ausdrück‐ lich nicht um eine Referenzkorpus, sondern um ein sogenanntes Metakorpus. Dieses Metakorpus setzt sich aus folgenden Teilkorpora zusammen: • Webkorpus • Webkorpus Ballsportarten • Jurakorpus • Medizinkorpus • Corona-Korpus • Mode- und Beauty-Blogs • IT- Blogs • Blogs Die Teilkorpora werden durch ein webcrawling-Verfahren generiert (Barbaresi & Geyken 2020). Das bedeutet, dass das deutschsprachige Web maschinell nach geeigneten Websites durchforstet wird. Als geeignete Texte erscheinen solche, die über bestimmte Metadaten wie Titel und Datumsangaben verfügen (https: / / www.dwds.de/ d/ korpora/ webxl, 19.10.2021). Betont wird vonseiten des DWDS außerdem, dass sowohl private als auch öffentliche Webauftritte berücksichtigt werden, „so dass das Korpus Sprechsituationen unterschiedlichster Art abdeckt“ (ebd.). Zum Stand der Korpusrecherche dieser Arbeit verfügt das Korpus WebXL über 25.754.616 Dokumente, die sich aus 261.089 verschiedenen Quellen speisen. Es ergibt sich ein Umfang von 11.419.204.555 Tokens. Was spricht nun für die Verwendung eines solchen Spezialkorpus gegenüber einem balancierten Referenzkorpus, wie es in Korpusstudie I genutzt wurde? Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Frage nach sprachlichen Normen und sprachlicher Kreativität auszuloten. Es ist anzunehmen, dass die in Korpusstudie I vertretenen Genres insbesondere standardsprachliche Konstruk‐ tionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen genutzt haben. Für eine Zielsetzung, die auch und gerade abweichende Konstruktionen ermitteln möchte, ist eine andere Datenbasis notwendig. Barbaresi & Geyken (2020) bemerken hierzu: Empirisch können riesige Textsammlungen Hypothesen genauer oder ausführlicher belegen. Dabei wird deutlich, wie vielfältig Sprache im Gebrauch tatsächlich realisiert wird. Zu diesem Zweck bieten wir auf der DWDS-Plattform neben den zeitlich und nach Textsorten ausgewogenen Kernkorpora und den Zeitungskorpora eine Reihe von Spezialkorpora an, die hinsichtlich ihres Gegenstandes oder ihrer sprachlichen 6.2 Methode 267 <?page no="268"?> Charakteristika von den erstgenannten Korpora abweichen. Die Webkorpora bilden einen wesentlichen Bestandteil dieser Spezialkorpora. Wir haben mit dem Korpus WebXL eine Datenbasis vorliegen, die durch eine große Variabilität gekennzeichnet ist. Die Variabilität betrifft den Grad der Stan‐ dardisierung, den Grad der Privatheit sowie die Funktion der Texte als solche. Auch eine diatopische Heterogenität ist angesichts der unklaren Autorenschaft anzunehmen. Die Heterogenität betrifft somit Diastratik und Diatopik. Was für viele Fragestellungen problematisch ist, wird für die Zielsetzung dieser zweiten Korpusstudie zum Vorteil. Entscheidend war bei der Wahl des Korpus außerdem der Aspekt der Diaphasik: Im Gegensatz zur ersten Korpusstudie, die vergleichsweise lange Zeitabschnitte unter einer Fragestellung subsumiert, ist für diese Korpusstudie der Zeitraum 2020-2021 angesetzt. Es handelt sich also um eine dezidiert synchrone Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand. 6.2.2 Erarbeitung der Suchanfragen Im Vergleich zur Konzeption der ersten Korpusstudie ist die Erarbeitung der Suchanfragen schlicht. Da es sich um eine lexikalisch spezifizierte Konstruk‐ tion handelt, konnten die Lemmata entsprechend als Suchanfrage verwendet werden. Daraus ergibt sich der Suchanfragestring „durch die Gegend“. Es wurden alle gefundenen Treffer extrahiert und berücksichtigt. 6.2.3 Darstellung des Samples Die Suchanfrage ergibt 1142 Treffer. Nach dem Ausschluss aller im Korpus doppelt geführter Belege verblieben für das Sample 1083 Belege. 6.2.4 Kodierung der Korpusbelege Auch das Korpus WebXL führt relevante Metadaten für die Korpusrecherche auf. Tabelle 28 zeigt eine Übersicht. das Jahr der Veröffentlichung - das Korpus web ballsport corona medizin 268 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="269"?> Jura modeblogs Datum - bibliografische Angabe - URL - Tabelle 28. Metadaten des Korpus DWDS WebXL. Neben diesen Metadaten, die durch das DWDS bereitgestellt sind, sind manuell weitere Variablen annotiert worden. Das Verfahren ist analog zur Annotation der Daten aus Korpusstudie I. Daher wird auf eine ausführliche Diskussion an dieser Stelle verzichtet und lediglich auf die Unterschiede eingegangen. Tabelle 29 bietet eine Übersicht zur ersten Orientierung. Infinitiv des relevanten Verbs [ ] Art des Bewegungsereignisses fiktiv faktiv metaphorisch körperassoziiert ambig kein Bewegungsereignis FIGURE belebt unbelebt nicht spezifiziert Valenz des Verbs intransitiv transitiv Adverbialer Akkusativ Passiv semantische Klassifikation: Frame [ ] Morphologie des Verbs/ der Verbal‐ gruppe Simplexverb Komplexverb 6.2 Methode 269 <?page no="270"?> Modalverb Kollokativgefüge Idiom Reflexivität nicht reflexiv endoreflexiv reflexiv Tabelle 29. Manuelle Annotation der Belege aus Korpusstudie II. Im Wesentlichen stimmen die vorgenommenen Annotationsschritte mit dem Vorgehen aus Korpusstudie I überein. Zwei Unterschiede sind zu erklären. Neben den Klassen an Bewegungsereignissen aus Korpusstudie I gibt es eine weitere Ausprägung ambig, die durch die Annotation der Daten erforderlich wurde. Das Label ambig verweist auf die unklare Gesamtbedeutung der ent‐ sprechenden Belege. So war eine eindeutige Zuordnung zu den angesetzten Ausprägungen nicht bei jedem Beleg möglich. Beispiele für Belege, die als ambig annotiert worden sind, finden sich unter (241) und (242). (241) Da bringt es jetzt nichts, wenn die weiter millionenfach mit momentan unwichtigen Dingen durch die Gegend ballern. (242) der ruhig durch die Gegend flauscht. In (241) ist unklar, ob es sich um ein faktives IB handelt, um ein faktives KB oder um eine metaphorische Verwendung. In (242) könnte ein Tippfehler vorliegen oder aber auch eine Verbalisierung des Adjektivs flauschig. Ohne weiteren Kontext kann nicht erschlossen werden, welches Bewegungsereignis vorliegt. Der zweite Unterschied der Annotation besteht darin, dass keine Präposi‐ tionen annotiert worden sind. Das erklärt sich dadurch, dass die PP bereits durch die teilschematische Konstruktion vorgegeben ist und keine weiteren PPs aufgetreten sind. 6.2.5 Assoziationsmaße Es sind unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen worden, um zu berechnen, inwieweit bestimmte Lexeme mit bestimmten Konstruktionen assoziiert sind. Ein vielfach genutztes mathematisches Verfahren ist die sogenannte collostruc‐ tional analysis, die in Stefanowitsch & Gries (2003) sowie Gries & Stefanowitsch (2004) dargelegt wird. Ziel der collostructional analysis ist es, empirisch prüfbare 270 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="271"?> Werte anzugeben, die den Zusammenhang zwischen Lexemen und den Slots einer Konstruktion beschreiben. Weiterhin erhofft man sich über dieses standar‐ disierte Verfahren einen besseren Zugriff zur Beschreibung der Bedeutung einer Konstruktion. Es werden für die collostructional analysis vier unterschiedliche Frequenzen benötigt: die Frequenz eines Lexems in einer gegebenen Konstruk‐ tion, die Frequenz desselben Lexems in anderen Konstruktionen des Korpus, die Frequenz der gegebenen Konstruktion mit anderen Lexemen sowie die Frequenz aller anderen Konstruktionen ohne das gegebene Lexem. - [+Ziellexem] [-Ziellexem] ∑ [+Zielkon‐ struktion] Frequenz des Ziellexems in der Konstruktion Frequenz der Zielkonstruktion mit allen anderen Lexemen - [-Zielkon‐ struktion] Frequenz des Ziellexems in anderen Konstruktionen Frequenz aller anderen Kon‐ struktionen mit allen anderen Lexemen - ∑ - - - Tabelle 30. Kreuztabelle einer collostructional analysis (vgl. Schmid & Küchenhoff 2013: 534) Die Frequenzen lassen sich in einer Kreuztabelle darstellen, wie Tabelle 30 zeigt. Mithilfe eines Fisher-Exakt-Tests lassen sich die Werte auf zufällige Verteilung überprüfen. Die dahinterliegende Grundidee ist mittlerweile um eine Menge an Varianten bereichert worden, sodass man von einer Familie an Verfahren der collostructional analysis sprechen kann. Jedoch gibt es berechtigte Kritikpunkte, die unter anderem in Bybee (2010) angeführt werden. Die Kritik Bybees beruht auf zwei Überlegungen: Zum einen führt sie aus, dass die absolute Frequenz eines Lexemes in einer gegebenen Konstruktion der wichtigste Faktor zur Determinierung von semantischen und pragmatischen Eigenschaften ist. Dieser Gedanke findet sich bereits in Goldberg (2006). Mit Bybee & Eddington (2006) liegt hierfür Evidenz in Form von Korpusanalysen, Akzeptabilitätstests sowie Tests zur Angabe der Ähnlichkeit von Lexemen vor. In Bybee (2010) interpretiert sie die Ergebnisse ihrer Studien wie folgt: A reasonable interpretation of the results of the Bybee and Eddington corpus study and experiment is that lexemes with relatively high frequency in a construction are central to defining the meaning of a construction (Goldberg 2006) and serve as a reference point for novel uses of the construction. If this interpretation is correct, then the frequency of the lexeme in other uses is not important. (Bybee 2010: 100) 6.2 Methode 271 <?page no="272"?> Mit der collostructional analysis liegt ein Verfahren vor, dass vier unterschied‐ liche Frequenzwerte in gleichem Maß berücksichtigt. Die Evidenz aus den Studien Bybees widerspricht einer solchen Annahme zumindest dann, wenn es darum geht, kognitiv plausible Vorgänge zu modellieren. Ein zweiter Ge‐ danke berührt einen sehr grundsätzlichen Punkt: Bei Anwendung statistischer Verfahren, die auf Zufallsverteilung testen, wird implizit davon ausgegangen, dass Sprachdaten einer zufälligen Verteilung unterliegen. Es ist vielfach und an unterschiedlichen Stellen darauf hingewiesen worden, dass Sprachdaten nicht zufällig verteilt sind, da Sprecher situativ angemessene Items wählen (Bybee 2010: 97; Kilgarriff 2005). Da ich die Kritik am Verfahren der collostructional analysis teile, aber nicht auf eine Validierung der Verteilungen verzichten möchte, greife ich für diese zweite Korpusstudie auf ein alternatives Verfahren zur Bestimmung von Asso‐ ziationsmaßen zurück. Mit Schmid (2000) liegt eine Alternative vor, die die Frage nach der Verteilung in der Konstruktion und die Frage nach der Verteilung in Relation zur Frequenz im Korpus separiert. Schmid (2000) untersucht die Verteilung bestimmter Nomen in ausgewählten Konstruktionen. Er schlägt vor, seine Fragestellung mithilfe zweier statistischer Werte zu operationalisieren. Zunächst geht es ihm darum, wie sehr eine Konstruktion ein bestimmtes Nomen „anzieht“, sprich, wie attraktiv eine Konstruktion für ein Nomen ist. Er nennt diesen Wert attraction. Der Wert berechnet sich durch die Formel attraction = Frequenz eines Nomens in einer Konstruktion/ Frequenz der Konstruktion insgesamt. Einen zweiten Wert benennt Schmid (2000) als reliance . Der Wert der reliance gibt an, wie abhängig ein bestimmtes Nomen von einer bestimmten Konstruktion ist. Die Berechnung der reliance erfolgt somit über die Formel r eliance = F r equenz N in C N im K or pus In Herbst (2020) werden diese Werte adaptiert und für eine Theoriebildung herangezogen, die konstruktionsgrammatische und korpuslinguistische Über‐ legungen verknüpft. Herbst (2020) spricht folgerichtig nicht von attraction und reliance, sondern ersetzt die Termini durch den Ausdruck items in construc‐ tion. Dies führt zu den Akronymen ITECX 1 und ITECX 2 für die von Schmid vorgeschlagenen Begriffe. ITECX 1 gibt an, wie viele Types in einer gegebenen Konstruktion verwendet werden. ITECX 2 dagegen fokussiert auf ein Item und beschreibt, wie häufig es in verschiedenen Konstruktionen erscheint. Für meine Korpusstudie werde ich zur Beschreibung der Assoziation von Le‐ xemen im Verbslot und der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] auf die Berechnung von ITECX 1 und ITECX 2 zurückgreifen. 272 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="273"?> 6.2.6 Dimensionen der Produktivität Neben der Assoziation von Lexemen im Verbslot und der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] möchte ich die Frage beantworten, ob die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] produktiv ist, was den Verbslot angeht. Zur Ermittlung der Produktivität sind unterschiedliche Verfahren vorgeschlagen worden und in Kapitel 3.3.5 gegenübergestellt worden. Zur Bestimmung der Produktivität werde ich im Rahmen dieser Korpusstudie auf die Anzahl an Hapax Legomena und Dis Legomena zurückgreifen. Au‐ ßerdem wird die Type-Token-Ratio (TTR) sowie die Hapax-Token-Ratio (HTR) berechnet. 6.2.7 Kollokationsanalyse Zusätzlich zu diesen Werten wird durch eine Kollokationsanalyse der drei frequentesten Types ermittelt, ob es sich bei den Exploitationen um Idiosyn‐ krasien handelt oder ob eine Motiviertheit erkennbar ist, die sich durch die spezifische Semantik und Pragmatik der teilschematischen Konstruktion ergibt. Die Bedeutung einer Kollokationsanalyse zur Bestimmung der semantischen und pragmatischen Eigenschaften einer teilspezifizierten Konstruktion wird in Kuznecova (2015), Herbst (2018), Herbst (2020) sowie Goldberg & Herbst (2021) betont und diskutiert. Die Kollokationsanalyse in dieser zweiten Korpusstudie wird sowohl manuell als auch mithilfe des Tools WordSmith durchgeführt (Scott 2020). Das Vorgehen orientiert sich an den Vorschlägen in Kuznecova (2015), die Darstellung der Ergebnisse ist angelehnt an Goldberg & Herbst (2021). 6.3 Ergebnisse Die Ergebnisse aus Korpusstudie II werden wie folgt dargelegt: Zunächst wird eine globale Darstellung gegeben. Hierbei wird eine Verteilung nach Teilkorpora gezeigt, um die Herkunft der Belege einordnen zu können. Dann wird auf die Häufigkeiten der unterschiedlichen Bewegungsereignisse eingegangen, die durch die Konstruktion versprachlicht werden. Es folgt die Darstellung der in der Konstruktion erscheinenden Lexeme im Verbslot, deren Frequenzen Rückschlüsse auf die Produktivität der Konstruktion zulassen. Nach dieser globalen Sicht auf die Konstruktion folgen die Analysen der lexikalisch gefüllten Tochterkonstruktionen [durch die Gegend laufen/ fahren/ fliegen], siehe Ab‐ bildung 62. Jeder dieser Tochterkonstruktionen ist ein eigener Abschnitt im Ergebniskapitel gewidmet. 6.3 Ergebnisse 273 <?page no="274"?> Bewegungskonstruktion durch die Gegend [VERB ] durch die Gegend laufen durch die Gegend fahren durch die Gegend fliegen durch die Gegend ballern ... ... Abbildung 62. Ausschnitt aus einem Netzwerk an Bewegungskonstruktionen. Es folgt eine Zusammenfassung sowie weitere Beobachtungen hinsichtlich der erhobenen Frames, der Modalkonstruktionen sowie der Kombinierbarkeit mit Präfix- und Partikelverben. In der Diskussion schließlich werden aus den Ergebnissen von Korpusstudie II theoretische und methodische Implikationen herausgearbeitet und Konsequenzen für (konstruktions-)grammatische Model‐ lierungen abgeleitet. 6.3.1 Globale Darstellung In Abbildung 63 ist aufgeschlüsselt, aus welchen Teilkorpora die Belege der zweiten Korpusstudie stammen. Der überwiegende Teil ist den Teilkorpus web zuzuordnen. Es folgen mit deutlichem Abstand die Teilkorpora ballsport, corona, medizin, jura sowie modeblogs. 274 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="275"?> 72% 10% 8% 6% 2% 2% Relative Häufigkeiten nach Teilkorpora web ballsport corona medizin jura modeblogs Abbildung 63. Verteilung nach Teilkorpora. Grundsätzlich können mithilfe der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] alle Kategorien an Bewegungsereignissen versprachlicht werden. Der überwie‐ gende Teil der Belege zeigt faktive Bewegungsereignisse. Mit großem Abstand folgen metaphorische und fiktive Bewegungsereignisse. Körperassoziierte Be‐ wegungsereignisse können als selten gewertet werden. Bewegungsereignis Anzahl Beispiel faktiv 1018 Die Testerin jogge immer ohne Jacke durch die Gegend metaphorisch 31 Dabei geistert die Frage durch die Gegend, […] fiktiv 23 Vielleicht nicht nur beleidigt durch die Gegend kucken körperassoziiert 7 Desinfektions-Klauer, die gleichzeitig unappetit‐ lich durch die Gegend rotzen ambig 4 der ruhig durch die Gegend flauscht Gesamt 1083 - Tabelle 31. Absolute Häufigkeiten und Beispiel unterschiedlicher Bewegungsereignisse aus Korpusstudie II. In Tabelle 31 sind die absoluten Häufigkeiten sowie ein prototypisches Beispiel der Kategorie angegeben. 6.3 Ergebnisse 275 <?page no="276"?> 54 Diejenigen Types, die eine dreistellige Tokenanzahl zeigen, sind in der Auflistung in ppt 16 gedruckt. Es folgen die zweistelligen Types mit Schriftgröße 14 sowie die einstelligen Types mit ppt 12. Davon abgegrenzt wurden in der graphischen Darstellung die Dis Legomena sowie die Types an Hapax Legomena. 6.3.1.1 Die Besetzung des Verbslot der Konstruktion [durch die Gegend VERB ] In einem nächsten Schritt werden die Lexeme des Verbslots aufgeschlüsselt, die in den jeweiligen Versprachlichungen genutzt werden. Die Aufschlüsselung erfolgt nach Art des Bewegungsereignisses, beginnend mit den Lexemen der faktiven Bewegungsereignisse in Abbildung 64. 54 276 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="277"?> Verbslot der faktiven Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend VERB ] laufen, fahren , fliegen, rennen, ziehen, tragen, werfen, streifen, schmeißen, schleppen, hüpfen, düsen, schieben, irren, reisen, schießen , flitzen, wandern, spazieren, rollen, schleudern, humpeln, cruisen, gehen, können fliegen, marschieren, müssen fahren, müssen laufen, kutschieren, springen, schleichen, schicken, brausen, radeln, lassen laufen, stolpern, schubsen, sich bewegen, gondeln, torkeln, eiern, hoppeln, schlendern, tanzen, dürfen laufen, gleiten, wanken, spritzen, hetzen, lassen fahren, flattern, taumeln, müssen schleppen, kicken, sollen fahren, rasen, huschen, können laufen, krabbeln, sausen, sollen ziehen, treten, kommen, können werfen, wollen laufen, paddeln, spuken, heizen, traben, räumen, können rennen, reiten, sich teleportieren, scheuchen, knattern, schippern, steuern, jagen, können fahren, jetten, wandeln, karren, wirbeln, sich lassen fahren, sich lassen kutschieren, schwirren, turnen , stapfen, sollen, gurken, tappern, müssen liefern, sich lassen ziehen, müssen rennen, splattern, müssen schicken, streunen, hasten, möchten fahren, müssen tragen, wehen, müssen transportieren, sich schmeißen, navigieren, sollen streifen, können transportieren, lassen schweifen, patschen, stöckeln, pendeln, stürmen, pfeffern, tollen, pilgern, möchten karren, plätschern, möchten laufen, preschen, wollen rockern, purzeln, sich rumpeln, pusten, sich transportieren, können tanzen, sollen laufen, apportieren, feuern, ballern, klettern, heulen, spülen, krappeln, stiefeln, hinfahren, stolzieren, brummen, stubsen, rudern, gehören kutschiert, rumpeln, flanieren, rumstolpern, touren, rushen, transportieren, zotteln, trudeln, affen, wackeln, schaukeln, können rollen, kugeln, dürfen wandern, bummeln, sich lassen tragen, schlurfen, staksen, joggen, lassen trudeln, schmettern, stinken, schnüffeln, latschen, juckeln, können, schuckeln, strolchen, schucken, stümpern, schweben, tabern, schweifen, tappeln, schwimmen, tapsen, wollen schleppen, toben, wollen wandern, können hüpfen, zerren, dürfen spazieren, zischen, trampen, zockeln, treiben, sich ballern, trotten, lassen fliegen, tuckern, sich kichern, verschicken, sich können schieben, walken, sich lassen befördern, möchten transportieren, sich lassen bewegen, watscheln, lassen kutschieren, können schaukeln, bewegen, müssen fliegen, sich lassen rollen, müssen gehen, sich lassen staken, wuchten, sehen laufen, können schmeißen, sehen rennen, zittern, sehen streifen, können schubsen, sein Abbildung 64. Tokens des Verbslot der faktiven BE für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. In der folgenden Darstellung wird die Besetzung des Verbslot der metaphori‐ schen Bewegungsereignisse dargelegt. Die Types sind in Abbildung 65 aufge‐ führt und mit den jeweiligen Frequenzen der Types in Klammern versehen. 6.3 Ergebnisse 277 <?page no="278"?> Verbslot der metaphorischen Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend VERB ] geistern (5) , surfen (4) , schwirren (3) , ficken (2), blasen , d*deln, flattern, flirten, schleichen, schmeißen, schwimmen, sich graben, spielen, tragen, wabern, watschen, werfen, wüten, ziehen (je 1) Abbildung 65. Tokens des Verbslot der metaphorischen Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. Die metaphorischen Bewegungsereignisse zeigen 19 Types auf 31 Tokens. Die Verbslots lassen sich unterschiedlichen Domänen zuordnen. Die Belege (243)-(245) weisen unbelebte F I G U R E S auf. Es bewegen sich in diesem Belegen Informationen oder kommunikative Einheiten. (243) Dabei geistert seit ein paar Wochen die Frage durch die Gegend, ob das Rau-chen nicht sogar vor Corona schützen kann. (244) Welche Formen von Falschinformationen schwirren derzeit durch die Gegend? (245) Instagram, was da alles für Daten durch die Gegend fliegen. Ist die F I G U R E belebt, so ist der Raum ein metaphorisch konstruierter. Ein prototypisches Beispiel ist Beleg (246), bei dem die F I G U R E sich durch einen virtuellen Raum bewegt. (246) Keine Angst, ich sitze durchaus stundenlang am Rechner, aber ich surfe mehr willenlos durch die Gegend Eine weitere Domäne ist die der Partnersuche, wie Beleg (247) illustriert. (247) Karen ist recht verschlagen und forsch, macht gerne Witze, flirtet wild durch die Gegend […] In Abbildung 66 komme ich zum Verbslot der fiktiven Bewegungsereignisse. Verbslot der fiktiven Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend VERB ] schauen (6) , schreien (2) , brüllen (2) , fliegen (2), senden, glotzen, spammen, knallen, grinsen, kucken, sollen hängen, telefonieren, gucken, poltern, müssen brüllen (je 1) Abbildung 66. Tokens des Verbslot der fiktiven Bewegungsereignisse für die Konstruk‐ tion [durch die Gegend V E R B ]. 278 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="279"?> Bei den fiktiven Bewegungsereignissen lassen sich vier Subklassen ausmachen: (1) Ereignisse der sensorischen Wahrnehmung (schauen, glotzen, kucken), (2) Ereignisse der Kommunikation (schreien, brüllen, senden, spammen, telefo‐ nieren, müssen brüllen, im weiteren Sinne auch grinsen) sowie (3) Ereignisse der Geräuschemission (knallen, poltern). Als vierte Subklasse kommen die coextension paths ins Spiel (müssen hängen), bei denen die Lokalisation einer Entität durch einen Pfad versprachlicht wird, der die Ausdehnung des Objektes beschreibt (vgl. Kapitel 2.2.2). Abbildung 67 zeigt den Verbslot der körperassoziierten Bewegungsereignisse. Verbslot der körperassoziierten Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend VERB ] niesen , rotzen (je 2) , bewegen, können wischen, wischen (je 1) Abbildung 67. Tokens des Verbslot der körperassoziierten Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. Hier zeigt sich der Einfluss der zur Zeit der Datenerhebung aktuellen Debatten rund um die Covid-19-Pandemie. Die Types niesen und rotzen sind dem Corona‐ diskurs zuzuordnen, auch wenn diese nicht aus dem Subkorpus corona stammen. Prototypisch hierfür ist Beleg (248) (248) In Zeiten in denen Hamsterkäufe die Tafeln ruinieren und Desinfektionsmittel von Leuten gekauft werden die sonst durch die Gegend rotzen. Der Type wischen verweist auf die Steuerung eines digitalen Gerätes per Touchscreen (Belege (249) und (250)). (249) Entweder wischt man mit dem Finger durch die Gegend oder aktiviert die Neigungssensoren und den Kompass des iPhone oder iPad. (250) Wenn ich damit beispielsweise einen EQ bedienen sollte, der vor mir auf dem Display in hübsch bunten Liniengrafiken angezeigt wird, dann möchte ich einfach die Knoten direkt anfassen und mit den Fingern durch die Gegend wischen können. Das P ATH -Element ist hierbei ambig: durch die Gegend kann auf eine reale, räumlich begrenzte Fläche des Displays verweisen, kann aber andererseits auch auf den virtuellen Raum verweisen, der auf dem Display angezeigt ist und durch den die Finger gewissermaßen navigieren. 6.3 Ergebnisse 279 <?page no="280"?> 6.3.2 Types und Tokens Das Paretodiagramm in Abbildung 68 schlüsselt die Verhältnisse von Tokens auf Types für die faktiven Bewegungsereignisse präzise auf. Die zehn frequentesten Verben machen bereits über 50 Prozent der Gesamtbelege für die faktiven Be‐ wegungsereignisse der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] aus. Die übrigen Belege verteilen sich auf 256 weitere Types. Die Linie zeigt die Sättigungskurve. Sie steigt zunächst rasch an, um dann ebenso rasch abzuflachen. 280 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="281"?> Abbildung 68. Paretodiagramm für die Type/ Token-Verteilung der faktiven Bewegungs‐ ereignisse der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. 6.3 Ergebnisse 281 <?page no="282"?> 6.3.3 Assoziationswerte ITECX 1 und ITECX 2 Mithilfe der Assoziationswerte ITECX 1 und ITCX 2 soll die Frage beantwortet werden, welche Lexeme mit dem Verbslot der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] assoziiert sind. Wie in Abschnitt 6.2.5 diskutiert, werden hierzu die Assoziationswerte ITECX 1 und ITECX 2 nach Herbst (2018) sowie Goldberg & Herbst (2021) berechnet. Welche Aussagekraft können die Werte haben? Es ist offensichtlich, dass Korpusdaten keinen direkten Blick auf die mentalen Repräsentationen von Sprachnutzern bieten. Wenn wir aber von der Prämisse ausgehen, dass jedes sprachliche Ereignis, dem Sprachnutzer ausgesetzt sind, Spuren in der mentalen Repräsentation hinterlässt, so kann man daraus ableiten, dass Korpusdaten zumindest einen Hinweis geben, welche Lexeme mit welchen Konstruktionen in besonderem Maße verknüpft sind (Bybee 2010; Herbst 2018). Der Wert ITECX 1 illustriert, wie wichtig ein Lexem für die Repräsentation einer Konstruktion ist. Der Wert ITECX 2 hingegen zeigt, in welchem Maß ein Auftreten eines Lexems in einer Konstruktion erwartet werden kann. Herbst (2018: 8) zufolge stellt das einen relevanten Faktor für die Sprachverarbeitung dar. In Tabelle 32 sind die ITECX 1 - und ITECX 2 -Werte für die faktiven Bewegungs‐ ereignisse aufgeführt. Hierbei wurden diejenigen Types inkludiert, die nicht als Hapax Legomenon / Dis Legomenon / Tris Legomenon in der Konstruktion vorkommen. Die Angaben in Tabelle 32 sind in absteigender Frequenz der Types angeordnet und somit auch nach absteigender Größe von ITECX 1 . Types Tokens in Construction ITECX1 Frequenz in WebXL (2020/ 2021) ITEXC2 laufen 192 17,729% 139289 0,00138 fahren 141 13,019% 106777 0,00132 fliegen 59 5,448% 23660 0,00249 rennen 47 4,340% 5518 *0,00852 ziehen 32 2,955% 182416 0,00018 tragen 27 2,493% 446072 0,00006 werfen 21 1,939% 42093 0,00050 schmeißen 15 1,385% 3019 0,00497 streifen 15 1,385% 2459 0,00610 282 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="283"?> Types Tokens in Construction ITECX1 Frequenz in WebXL (2020/ 2021) ITEXC2 schleppen 12 1,108% 1942 0,00618 düsen 12 1,108% 475 *0,02526 hüpfen 12 1,108% 1083 *0,01108 schieben 11 1,016% 13810 0,00080 irren 10 0,923% 6114 0,00164 reisen 10 0,923% 22736 0,00044 wandern 9 0,831% 12957 0,00069 flitzen 9 0,831% 342 *0,02632 schießen 9 0,831% 21849 0,00041 rollen 8 0,739% 7621 0,00105 spazieren 8 0,739% 6336 0,00126 schleudern 8 0,739% 1751 0,00457 schauen 7 0,646% 71970 0,00010 humpeln 7 0,646% 350 *0,02000 cruisen 7 0,646% 189 *0,03704 gehen 6 0,554% 892443 0,00001 schleichen 6 0,554% 2541 0,00236 können fliegen 6 0,554% 2065 0,00291 marschieren 6 0,554% 1989 0,00302 müssen fahren 6 0,554% 3731 0,00161 müssen laufen 6 0,554% 3157 0,00190 springen 5 0,462% 16514 0,00030 schwirren 5 0,462% 557 *0,00898 kutschieren 5 0,462% 160 *0,03125 geistern 5 0,462% 645 *0,00775 surfen 4 0,369% 5179 0,00077 6.3 Ergebnisse 283 <?page no="284"?> Types Tokens in Construction ITECX1 Frequenz in WebXL (2020/ 2021) ITEXC2 radeln 4 0,369% 2633 0,00152 gondeln 4 0,369% 63 *0,06349 lassen laufen 4 0,369% 4363 0,00092 sich bewegen 4 0,369% 54734 0,00007 brausen 4 0,369% 276 *0,01449 stolpern 4 0,369% 2601 0,00154 flattern 4 0,369% 1002 0,00399 schubsen 4 0,369% 922 0,00434 schicken 4 0,369% 43818 0,00009 Tabelle 32. ITECX 1 - und ITECX 2 -Werte für faktive Bewegungsereignisse (*-=-ITECX2-Werte > als Ø = 0,007128). Die ITECX 2 -Werte stehen in unmittelbarer Abhängigkeit von der Frequenz des Lexems im Gesamtkorpus. Zum besseren Verständnis sind diese Frequenzen in der zweiten Spalte von rechts angegeben. Der Mittelwert der ITECX 2 -Werte liegt bei 0,007128. Das bedeutet, dass alle Lexeme mit einem Wert > 0,007128 häufiger in der Konstruktion erscheinen als durch die Frequenz im Gesamtkorpus erwartbar wäre. Dies trifft auf die Lexeme gondeln, cruisen, kutschieren, flitzen, düsen, humpeln, brausen, hüpfen, schwirren, rennen und geistern zu. In Tabelle 32 sind diese Lexeme mit einem Asterisk gekennzeichnet. Absolutes Schlusslicht bildet gehen mit einem ITECX 2 -Wert von 6,72311845126243e -06 . Trifft man also eine von knapp 900000 Verwendungen von gehen im DWDS-WebXL, ist es nicht wahrscheinlich, dass es ein Vorkommen in der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] ist. Sprachnutzer erwarten gehen nicht in dieser Konstruktion, gondeln und cruisen hingegen durchaus. In Abbildung 69 sind die Verhältnisse grafisch aufgearbeitet. Die gestrichelte Linie repräsentiert den Mittelwert und zeigt, welche Types jeweils über und unter dem Mittelwert von ITEXC 2 liegen. 284 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="285"?> Abbildung 69. ITECX 2 -Werte der Types faktiver Bewegungsereignisse. Interessant ist neben den Types mit den größten und kleinsten Werten insbe‐ sondere das Mittelfeld rund um die Lexeme laufen, fahren und fliegen. Zur Erin‐ nerung: Diese drei Types machen zusammen bereits ein Viertel aller Belege aus, sind also überaus frequent und haben dementsprechend hohe ITECX 1 -Werte. Aufgeschlüsselt nach ITECX 2 zeigt sich ein deutlich anderes Bild. Das ist ein weiteres Argument dafür, beide Werte separat zu betrachten. 6.3.4 Produktivität Die Produktivität einer Konstruktion lässt sich über unterschiedliche Wege ope‐ rationalisieren (vgl. Kapitel 3.3.5 dieser Arbeit). Für Korpusstudie II dieser Arbeit sind zwei Wege beschritten worden. Zunächst wurden die Type-Token-Ratios (TTR) für die unterschiedlichen Kategorien an Bewegungsereignissen ermittelt. Für die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] ergibt sich eine TTR von [267/ 1083] ≈ 0,246. Aufgeschlüsselt nach den unterschiedlichen Kategorien an Bewegungsereignissen erhält man: • für faktive Bewegungsereignisse: TTR = [227/ 1018] ≈ 0,223 • für metaphorische Bewegungsereignisse: TTR = [20/ 31] ≈ 0,645 • für körperassoziierte Bewegungsereignisse: TTR = [5/ 7] ≈ 0,714 • für fiktive Bewegungsereignisse: TTR = [15/ 23] ≈ 0,652 6.3 Ergebnisse 285 <?page no="286"?> Ein weiteres Verfahren ist die Operationalisierung der Produktivität über Hapax Legomena. Bei Hapax Legomena kann zumindest nicht unmittelbar davon ausgegangen werden, dass Sprachnutzer das Lexem in der teilschematischen Konstruktion schon einmal verwendet haben, respektive gehört oder gesehen haben. Insofern kann die Anzahl an Hapax Legomena als Indikator dafür heran‐ gezogen werden, wie kreativ Sprachnutzer mit der Konstruktion umgehen. Zur besseren Vergleichbarkeit ist der Produktivitätsindex P (Baayen 1992) ermittelt worden. Es gilt im Allgemeinen: je höher der Produktivitätsindex P, desto höher die angenommene Produktivität. • In der Kategorie der faktiven Bewegungsereignisse sind 149 Hapax Lego‐ mena auf 1018 Belege aufgetreten. P beträgt 0,146. • In der Kategorie der metaphorischen Bewegungsereignisse sind 15 Hapax Legomena auf 31 Belege aufgetreten. P beträgt 0,484. • In der Kategorie der körperassoziierten Bewegungsereignisse sind 3 Hapax Legomena auf 7 Belege aufgetreten. P beträgt 0,429. • In der Kategorie der fiktiven Bewegungsereignisse sind 11 Hapax Legomena auf 23 Belege aufgetreten. P beträgt 0,478. Problematisch ist für den Vergleich der Kategorien die sehr kleine Anzahl an Tokens der fiktiven, metaphorischen und körperassoziierten Bewegungsereig‐ nisse. Lexeme im Korpus folgen einer sogenannten Zipf ’schen Verteilung. Je länger man ein Korpus durchforstet, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit auf einen neuen Type zu stoßen. Daher ist ein direkter Vergleich der ermittelten Werte nicht sinnvoll. Die Daten sollten nicht so interpretiert werden, dass die Kategorie der fiktiven Bewegungsereignisse um den Faktor 4 produktiver sei als die der faktiven Bewegungsereignisse. Solch ein unmittelbarer Rückschluss verbietet sich aufgrund der unterschiedlichen Tokenzahl. Ein weiteres Problem besteht in der Interpretation der ermittelten Werte. Nach meinem jetzigen Kenntnisstand liegt keine Studie vor, die eine eindeutige Einordnung der Produktivitätswerte vorgenommen hat. So resümieren Gold‐ berg & Herbst (2021) zur Produktivität der von ihnen untersuchten Konstruktion recht lapidar: Ninety-seven out of 166 of the adjectives found in the COCA only appeared once […]. From the fact that there are so many distinct adjectives occurring only once („hapaxes“), we can conclude that the construction is used productively. Diese Interpretation des Produktivitätsindexes ist nachvollziehbar, jedoch nicht standardisiert. Das ist ein Grund, die Hapax Legomena auch qualitativ auszu‐ werten. Neben der rein quantitativen Darstellung braucht es eine qualitative 286 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="287"?> Analyse der Hapax Legomena, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob die Exploitationen systematischer oder idiosynkratischer Natur sind. 6.3.5 Normen und Exploitationen - Kollokationsanalysen Unter den Hapax Legomena finden sich sowohl Verben, die mit Bewegung assoziiert sind, als auch solche, die nicht mit Bewegung assoziiert sind und/ oder Neologismen darstellen. Die Belege (251), (252) sowie (253) illustrieren die Unterschiede. (251) Die Testerin jogge immer ohne Jacke durch die Gegend. (252) Die beiden […] kichern sich frisch verliebt durch die Gegend. (253) Ein Motivator muss ja nicht wie auf Aufputschmitteln durch die Gegend affen. Es mutet kontraintuitiv an, alle drei Belege als Formen von Exploitationen zu werten. Während sich joggen in das Paradigma deutscher manner verbs einzu‐ fügen scheint, handelt es sich bei kichern und affen um Ausdehnungen der Norm. Die Intuition lässt sich überprüfen: In einer zufällig ausgewählten Stichprobe von 100 Belegen des Lemmas affen findet sich kein weiterer Beleg für eine Verbalisierung des Substantives und somit auch kein Beleg, bei dem affen zur Versprachlichung eines Bewegungsereignisses genutzt wird. Kichern hingegen ist ein Lexem, das 21.219 Treffer in WebXL aufweist. In einer randomisierten Stichprobe von 100 Belegen findet sich kein Beleg, der die Versprachlichung eines Bewegungsereignisses zeigt. Eine Abfrage für joggen ergibt 28456 Treffer. Eine randomisierte Stichprobe von 100 Belegen zeigt ausschließlich Belege, die mit Bewegung assoziiert sind. Wir haben unter den Hapax Legomena somit eine sehr heterogene Gruppe an Lexemen vorliegen: Solche, die regelmäßig zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen genutzt werden (Typ joggen). Weiterhin gibt es solche, die regelmäßig im Verbslot von Konstruktionen ge‐ nutzt werden, jedoch nicht mit Bewegung assoziiert sind (Typ kichern). Zuletzt sind noch diejenigen zu erwähnen, die weder frequent zur Versprachlichung Bewegungsereignissen genutzt werden noch überhaupt im Verbslot anderer Konstruktionen erscheinen (Typ affen). Unter Umständen stößt somit die Operationalisierung der Konzepte Norm und Exploitationen an ihre Grenzen. In den nun folgenden Abschnitten wird dargelegt, wie sich die Konzepte Norm und Exploitationen anhand der lexikalisch spezifizierten Konstruktionen [durch die Gegend laufen/ fahren/ fliegen] modellieren lassen, indem Kollexe‐ meanalysen durchgeführt werden. Herbst (2018: 10) merkt an: […] it is much more revealing (in the case of the ditransitive, at least) to consider the collexemes of the general construction when being used with particular verbs. This 6.3 Ergebnisse 287 <?page no="288"?> takes us to a less abstract level of construction, namely, item-based constructions such as „the ditransitive construction with give“. Die lexikalisch spezifizierten Konstruktionen [durch die Gegend laufen/ fahren/ fliegen] wurden aufgrund ihrer Frequenz ausgewählt: Sie stellen die drei häufigsten Types dar. Der Argumentation Goldbergs (2006) und Bybees (2010) folgend sind es die frequentesten Types, die die Semantik und Pragmatik der Konstruktion prägen. Indem die Kollokationen dieser Types ausgewertet werden, können die semantischen und pragmatischen Eigenschaften der teil‐ schematischen Konstruktion exakter ausgeleuchtet werden. Die Präzisierung trägt maßgeblich zum Verständnis der Gebrauchsnormen sowie deren Exploi‐ tationen bei. - 6.3.5.1 [durch die Gegend laufen] Bei der Kollokationsanalyse der lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] ist eine Eigenschaft überaus auffällig: die hohe Anzahl an Adverbialen. In lediglich 11 von 193 Belegen tritt kein Adverbial auf, d. h., in 94 Prozent der Belege liegt ein Adverbial vor. Die Adverbiale lassen sich nach Form und Funktion systematisieren. Der Beleg (254) zeigt exemplarisch, wie Präpositionalphrasen genutzt werden, um eine sichtbare Eigenschaft der F I G U R E auszudrücken. Beleg (255) steht hierbei in antonymischer Relation zu Beleg (254), denn hier wird die Abwesenheit einer (sozial erwünschten) Eigenschaft zum Ausdruck gebracht. (254) Sie ist 4 und läuft mit ihren Feuerwanzen auf der Wand durch die Gegend. (255) Wenn ich ohne Maske durch die Gegend laufe, […] Neben Präpositionalphrasen werden auch Adjektivphrasen sowie Partizipien gebraucht, um über Kleidung oder andere äußere Merkmale der F I G U R E zu berichten. In Beleg (256) ist eine Addition von einer komplexen Adjektivphrase zu einer Präpositionalphrase erkennbar. (256) Damit ihr gut beschuht und zu Vorteilspreisen durch die Gegend lauft […] Solche additiven Adverbiale sind für die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend laufen] frequent im erhobenen Sample vertreten. Neben dem Verweis auf äußere Eigenschaften werden Adjektivphrasen und Partizipien auch genutzt, um psychische Zustände der F I G U R E auszudrücken. Exemplarisch hierfür stehen die Belege (257) und (258). (257) Menschen laufen scheinbar planlos durch die Gegend. 288 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="289"?> (258) Es geht ja immerhin um einiges, wenn Spieler in einer solchen Situation grinsend durch die Gegend laufen. Eine Variante des Gebrauchs von Adjektivphrasen stellt die Verwendung des Adjektivs fröhlich dar. (259) Da bringt Quarantäne ja gar nichts, wenn die Kontaktpersonen weiter fröhlich durch die Gegend laufen. Es geht im konkreten Beleg (259) nicht darum, die F I G U R E zu charakterisieren, sondern vielmehr darum, die Handlung moralisch zu werten. Diese pragma‐ tische Funktion lässt sich in dieser Deutlichkeit noch an weiteren Belegen festmachen, schwingt aber unter Umständen in einer Vielzahl an Verwendungen mit und gehört zum Charakteristikum der Konstruktion. Formal und funktional lassen sich weiterhin Vergleichskonstruktionen abgrenzen, wie in Beleg (260) und (261) aufgeführt. (260) Ich habe Angst, mich anzustecken und als Virenschleuder durch die Gegend zu laufen. (261) Und auch wenn ich mir vornehme, nicht wie ein Tourist dauerfotografierend durch die Gegend zu laufen Um einen Eindruck zu vermitteln, wie sich die Kollokationen der lexikalisch spezifizierten Konstruktion verhalten, gibt Tabelle 33 eine Darstellung der Adverbiale aus 35 randomisiert gewählten Belegen wieder. mit völlig leerem Blick, mit der von uns massivst abgehypten ultra-hippen Tickerta‐ sche, mit Maske, mit großen Augen, mit frischem Brot, mit HSV-Trikot, mit Zen-Men‐ talität, mit den Händen oben jubelnd, in Menschengestalt, mit erhobenem Zeigefinger in Flip-Flops, in Adidas- oder Nike-Uniform im Wiegeschritt, zu Fuß vermummt, nackt, planlos, blind, wirr, griesgrämig, völlig orientierungslos, symptom‐ frei, kopflos, fröhlich, barfuß, starrend, viel zu sorglos, nicht freudestrahlend seit langem, ständig, alle naslang wie ein fröhliches Rehlein, wie Forrest Gump, wie der letzte Mensch Tabelle 33. Systematisierte Darstellung der Adverbiale aus 35 randomisiert gewählten Belegen. Neben der Anzahl an Adverbialen sticht in Tabelle 33 ein weiteres Merkmal vieler Belege heraus: die unterschiedlichsten Formen an Negationen, die in 6.3 Ergebnisse 289 <?page no="290"?> 76 Belegen erscheinen. Wir sehen eine ganze Reihe an Ausdruckmitteln der Negation, die gemeinsam mit der lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] auftreten. Die Negationsmittel im Sample reichen von pauschalen Negationen über fokusbezogene Negationen, ausgedrückt in der Regel durch die Partikel nicht, bis hin zur Negation durch Quantifikatoren wie kein, nichts, niemals. Auffällig sind zudem die Adjektivderivationen mit dem Suffix {los} wie in planlos, kopflos, orientierungslos etc. Zudem treten Intensivpartikeln wie völlig und ständig in Kombination mit diesen Adjektiv‐ derivationen auf, was eine verstärkte pejorative Konnotation zur Folge hat. Neben den Adjektivderivationen liegen auch Simplexe vor, die in einer Vielzahl von Kontexten eine negative Konnotation aufweisen dürften, wie etwa wirr und blind. Auch Partizipien wie starrend weisen in eine ähnliche Richtung. Die Adverbiale, die eine Dauer ausdrücken, wie ständig und alle naslang sind nach meiner Einschätzung ebenfalls pejorativer Natur. Es ergibt sich aus diesen Gebrauchspräferenzen eine für die Konstruktion eigene negative semantische Prosodie. Der Begriff der semantic prosody wurde von Sinclair (1991) eingeführt. Er wird verwendet, um auf bestimmte negative Assoziationen, die mit der Verwendung eines Wortes einhergehen, zu beschreiben. In Stubbs (1995) wird das Konzept als semantic profile bezeichnet. Kuznecova (2015) verwendet den Sinclair’schen Terminus semantic prosody, münzt das Konzept konstruktionsgrammatisch, indem sie Konnotationen/ Assoziationen erfasst, die mit bestimmten Konstruktionen einhergehen. Aus dieser Kollokationsanalyse ergibt sich für die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend laufen] ein bestimmtes Funktions-Form-Set, das in Abbildung 70 dargestellt ist. 290 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="291"?> DIE [ DURCH DIE G EGEND LAUFEN ]-K ONSTRUKTION ˈC HARAKTERISIERUNG DER E RSCHEINUNG EINER F IGURE ˈ F IGURE A CTION P ATH C HARAKTERISIERUNG N EGATION TEMPORALE A NGABE laufen durch die Gegend PP/ AdjP Vergleichskonstruktionen Intensivierer Quantifikativa Affixe Satzadverbien Die [N] der [N] ich wir man sie er Menschen Leute einer du viele alle […] laufen läuft laufe lief gelaufen läufst […] mit [NP] in [NP] als [NP] wie [NP] so ganz lieber fröhlich blind froh freudestrahlend […] nicht nichts keine {-los} […] noch wieder schon mal jetzt immer ständig […] Abbildung 70. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend laufen]. Die Abbildung liest sich wie folgt: In der obersten Zeile ist der Name der Konstruktion sowie eine Paraphrase ihrer Semantik angegeben. Es folgt in der nächsten Zeile die Angabe zu den abstrakten Ereignisstrukturen, die aus den konkreten Konstruktionen extrahiert werden können. In der untersten Zeile der Abbildung schließlich sind die Fragmente konkreter Konstruktionen gelistet, die in Korpusstudie erhoben worden sind. Wie in vorherigen Darstellungen auch, ist die Schriftgröße als Hinweis auf die Frequenz zu verstehen. Auch wenn die Erläuterung zu Abbildung 70 von oben nach unten, also in Leserichtung erfolgte, sollte dieses Vorgehen nicht mit der Richtung des Erkenntnisgewinns verwechselt werden. Ausgangspunkt sind die konkreten, lexikalisch spezifi‐ zierten Konstruktionen, die im Sample vertreten sind. Aus diesen Belegen folgt die schrittweise Abstraktion, die in einer Beschreibung der semantischen und/ oder pragmatischen Charakteristika der Konstruktion münden sollte. Für die Konstruktion [durch die Gegend laufen] ist die Semantik mit CHARAK‐ TERISIERUNG DER ERSCHEINUNG EINER FIGURE angegeben worden. Die Begründung liegt in der Summe aller erhobenen Verwendungen. In der überwiegenden Anzahl der Belege geht es nicht um die Versprachlichung eines Bewegungsereignisses im eigentlichen Sinne. Vielmehr wird eine bestimmte 6.3 Ergebnisse 291 <?page no="292"?> äußerliche oder physische Eigenschaft einer F I G U R E zum Ausdruck gebracht. Damit einher geht in vielen Fällen eine explizite oder implizite moralische Wertung dieses Erscheinungsbildes. Das Verb laufen ist in den meisten Verwen‐ dungen semantisch verblichen. Deutlich tritt an dieser Stelle der Ergebnisdarstellung zu Tage, was gebrauchs‐ basierte Theorien postulieren: Prinzipien wie Analogiebildung und Priming haben einen erheblichen Einfluss auf die Wahl der sprachlichen Formen; und zwar in konkreten, spezifizierten Konstruktionen. Erkennbar wird das an Präpositionalphrasen wie mit großen Augen statt der Paraphrase staunend, mit Zen-Mentalität statt entspannt, mit Trauermiene statt traurig, mit erhobenem Zei‐ gefinger statt belehrend, mit den Händen oben jubelnd statt schlicht jubelnd. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen, doch der Punkt sollte ausreichend klar geworden sein. Durch das sehr frequente Vorkommen der Präpositionalphrase [mit + NP] von 91 Tokens auf 192 Belege in der Konstruktion [durch die Gegend laufen] entsteht eine Sogwirkung, die dazu führt, dass Sprachnutzer diejenige Versprachlichungsstrategie nutzen, die näher an ihrem bereits entrenchten Muster liegt. Sie greifen also ebenfalls zur Präpositionalphrase [mit + NP], selbst wenn diese Konstruktion länger, umständlicher und ggf. auch stilistisch fragwürdiger scheint (vgl. Goldberg 2019). Lediglich elf der 193 Belege kommen gänzlich ohne Adverbial aus. Es ist also plausibel anzunehmen, dass dieser Slot ein kognitiv verfestigter Slot der Konstruktion [durch die Gegend laufen] ist. Und somit erreicht man erneut die Grenzen dessen, was die Valenzgrammatik zu erklären vermag: Es ist nicht so, dass das Verb laufen aus valenzgrammatischer Perspektive über einen Valenzeintrag für eine Ergänzung in Form einer Präpositionalphrase oder einer Adjektivphrase verfügen sollte. In der spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] aber ist der Slot definitiv vorgesehen. Für die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend fahren] ergibt sich ebenfalls ein individuelles Funktions-Form-Set. Dieses Funk‐ tions-Form-Set wird im nächsten Abschnitt thematisiert. - 6.3.5.2 [durch die Gegend fahren] Auch für die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend fahren] zeige ich zunächst Belege, die als prototypisch für die Konstruktion gesehen werden können. Zur Entwirrung der unterschiedlichen Funktionen der Kon‐ struktion ziehe ich an dieser Stelle semantische Frames heran. Die Angabe semantischer Frames ist nützlich, um auf die unterschiedliche Perspektivierung der Bewegungsereignisse in den jeweiligen Belegen hinzuweisen. 292 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="293"?> Der semantische Frame operate_vehicle ist dominant. 122 von 140 Belege lassen sich dem operate_vehicle frame zuordnen. In den meisten Fällen kann er auf die Verwendung der Präpositionalphrase [mit + NP] zurückgeführt werden. Beispiele hierfür bieten die Belege (262), (263) sowie (264). (262) Das Fräulein Wunder fährt derweil mit einer Freundin mit dem Fahrrad durch die Gegend. (263) Demnächst fahren bei Euch die 80-jährigen mit Panzern durch die Gegend. (264) Sonnenschein und die Kinder fahren fröhlich mit dem Roller durch die Gegend. In Beleg (265) ist eine alternative Versprachlichungsstrategie des operate_vehicle frame aufgeführt. Statt der Präpositionalphrase [mit + NP] wird die Präpositio‐ nalphrase [in + NP] genutzt. (265) Leuten wie Aubameyang zujubeln, die in goldenen Lamborghinis durch die Gegend fahren? Neben den Präpositionalphrasen, die auf das Steuern eines Fahrzeugs verweisen, gibt es auch solche, die die F I G U R E näher charakterisieren. Hier ist die Nähe zur [durch die Gegend laufen]- Konstruktion erkennbar. In den meisten Fällen wird die Präpositionalphrase [mit + NP] verwendet. (266) Fahren Sie mit offenem Blick durch die Gegend. (267) Da wundert es nicht, dass mehr KFZ mit dem Adler auf dem Heck durch die Gegend fahren. Es zeigt sich eine Überlappung der Gebrauchspräferenzen. Diese Überlappung weist auf den Netzwerkcharakter des Konstruktikons hin, wie er unter Kapitel 3.3.3 diskutiert wurde. Typisch für die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend fahren] ist neben dem operate_vehicle frame auch der transport frame. Der transport frame kann ebenfalls durch die Verwendung der Präpositionalphrase [mit + NP] evoziert werden. (268) Natürlich nicht, wenn jemand mit zwei Kilo Koks durch die Gegend fährt. Eine frequentere Alternative stellt die Verwendung der Konstruktion für kausal-induzierte Bewegung dar. Diese Konstruktion hat einen Anteil von rund 22-Prozent. (269) Wir werden keine heiße Luft durch die Gegend fahren. (270) […] man fährt die ausgewählten Pflanzen in Schubkarren durch die Gegend. Auch temporale Angaben werden genutzt. Ein Beispiel liegt in Beleg (271) vor. (271) Da an diesem Tag der Giro d’Italia durch die Gegend fuhr, […]. 6.3 Ergebnisse 293 <?page no="294"?> Zudem lassen sich Adjektivderivationen beobachten. Dafür stehen exempla‐ risch die Belege (272) und (273). (272) Wenn keiner mehr sinnlos durch die Gegend fährt. (273) Und was mir auffällt, viele Ambulanzen fahren nutzlos durch die Gegend. So zeigt sich auch in diesen Gebrauchspräferenzen eine Gemeinsamkeit mit der lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen]. In Tabelle 34 sind die Adverbiale von 35 zufällig ausgewählten Belegen aufgeführt, um einen Eindruck zu vermitteln, wie sich die Kollokationen verhalten. mit einer Freundin mit dem Fahrrad, mit Panzern, lieber mit dem Auto, mit der lokalen Trishaw, nicht mehr mit Dampfloks, ohne Maske im privaten KFZ, in einer Müllkippe, in offenen LKW, in dicken Staatsmobilen mit offenem Mund, mit einer angezogenen Bremse, mit dem gerade erworbenen Lappen ziellos, nutzlos, dünn besetzt, energiesparsam und umweltschonend, nicht blind nicht länger nur leer, nicht allein, nicht einfach mal so, bloß nicht, nur mit ihrem gebrauchten Bus jung und schön wie du bist, als Frau verkleidet stumpf permanent nur, bei gutem Wetter, tagelang, stundenlang, täglich, seit Tagen Tabelle 34. Systematisierte Darstellung der Adverbiale aus 35 zufällig gewählten Belegen. Eine weitere Gemeinsamkeit zur lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] liegt in der Häufigkeit unterschiedlichster Formen der Negation. Die Formen der Negation gehen aus der systematisierten Darstellung in Tabelle 34 hervor. Es wurde eine automatisiert erstellte Frequenzliste aller Lexeme des Sub‐ samples herangezogen (erstellt mit WordSmith, Scott 2020), die in Tabelle 35 dargestellt ist. Unter den zehn frequentesten Types findet sich bereits die Negationspartikel nicht. Um zu ermitteln, inwiefern nicht im Subsample überrepräsentiert sein könnte, wurden zwei Referenzkorpora herangezogen. Die Abfragen nach Annotationsebene „lemma“ in DECOW (Schäfer 2016) und SDEWAC (Faaß & Eckart 2013) weisen darauf hin, dass nicht im erhobenen Subsample für die teilschematische Konstruktion häufiger vertreten ist als es 294 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="295"?> 55 Frequenzen DECOW16: Insgesamt kodierte Tokens: 1728879290, davon Wörter: 1491128673, davon nicht: 13292250, ergibt im Ranking nach Annotationsebene „lemma“ Rank 12 mit einem Anteil von 0,89 Prozent. Frequenzen SDEWAC: Insgesamt kodierte Tokens: 927525189, davon Wörter: 768224948, davon nicht: 5989467, ergibt im Ranking nach Annotationsebene „lemma“ Rank 11 mit einem Anteil von 0,78 Prozent. aufgrund der Verteilung in den beiden getesteten Referenzkorpora erwartbar wäre. 55 N Lexem Freq. % 1 DIE 204 6,71 2 DURCH 144 4,74 3 GEGEND 142 4,67 4 UND 83 2,73 5 FAHREN 76 2,50 6 MIT 68 2,24 7 # 52 1,71 8 ZU 48 1,58 9 DER 48 1,58 10 NICHT 36 1,18 Tabelle 35. Kollokationen für [durch die Gegend fahren], erstellt mit WordSmith (Scott 2020). Hinzu kommen Negationsmittel wie Quantifikatoren, pejorative und negativ konnotierte Adjektive sowie Adjektivderivationen mit dem Suffix {-los} oder dem Präfix {-un}. Die bisherigen Ergebnisse zusammengefasst ergeben sich für die lexikalische Spezifizierung der [durch die Gegend]-Konstruktion mit fahren in letzter Konsequenz mindestens zwei Funktions-Form-Sets: Das erste Set ergibt sich aus dem Gebrauch der Konstruktion, um die Tatsache der Fortbewegung mit einem Fahrzeug hervorzuheben. Die Konstruktion existiert in intransitiver wie in transitiver Variante. 6.3 Ergebnisse 295 <?page no="296"?> DIE [ DURCH DIE G EGEND F AHREN ]-K ONSTRUKTION 1 ˈ EINE F IGURE BEWEGT SICH MIT EINEM F AHRZEUG ˈ F IGURE A CTION P ATH C HARAKTERISIERUNG N EGATION TEMPORALE A NGABE fahren durch die Gegend PP/ AdjP Vergleichskonstruktionen Intensivierer Quantifikativa Affixe Die [N] der [N] ich sie man wir er du fahren fährt fuhr fuhren führe mit [Fahrzeug] in [Fahrzeug] nicht nur nichts keine {-los} {un-} […] {-lang} täglich x Stunden x Tage nachts […] Abbildung 71. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fahren] 1 . Das zweite Set hingegen ist semantisch und pragmatisch näher an der Schwes‐ terkonstruktion mit laufen. Die Semantik des Verbs fahren scheint hier ähnlich verblasst. DIE [ DURCH DIE G EGEND F AHREN ]-K ONSTRUKTION 2 ˈC HARAKTERISIERUNG DER E RSCHEINUNG EINER F IGURE , DIE SICH MIT EINEM FAHRZEUG FORTBEWEGT ˈ F IGURE A CTION P ATH C HARAKTERISIERUNG N EGATION TEMPORALE A NGABE fahren durch die Gegend PP/ AdjP Vergleichskonstruktionen Intensivierer Quantifikativa Affixe Die [N] der [N] ich sie man wir er du fahren fährt fuhr fuhren führe mit [Eigenschaft] in [Fahrzeug] pejorativ als [NP] wie [NP] so allein fröhlich leer blind […] nicht nur nichts keine {-los} […] {-lang} täglich x Stunden x Tage […] Abbildung 72. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fahren] 2 . 296 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="297"?> Es liegen somit mindestens zwei Lesarten vor, die in Abhängigkeit der Adver‐ biale changieren. Typ 1 der Konstruktion liegt näher an dem, was man unter analytischer oder kompositioneller Lesart verstehen kann, denn dem Verb fahren kann hier die zentrale Proposition zugewiesen werden. In Typ 2 ist die Zuordnung der Proposition nicht mehr ohne weiteres möglich. Erkennbar wird die Ausdifferenzierung an Belegen wie Beleg (274). (274) Ob im Anzug, im Minirock oder mit 3 Kindern im Lastenrad - hier fährt gefühlt wirklich jeder auf zwei Rädern durch die Gegend. In Beleg (274) geht es nun nicht darum, eine Aussage über eine Bewegung zu treffen. Vielmehr dürfte es darum gehen, wie viele der Ortsansässigen über ein Fahrrad verfügen und dies regelmäßig als Fortbewegungsmittel nutzen. Auch in den Belegen (275) und (276) geht es um eine Charakterisierung der jeweiligen F I G U R E und weniger um die Tatsache der Bewegung im Raum. Deutlich tritt auch hier die negative semantische Prosodie zutage. (275) Mein Gott, manchen Leuten schien es ja echt Spaß zu machen, in einer Müllkippe durch die Gegend zu fahren. (276) Steuern und Abgaben erdrücken die Bürger und die links-grüne Elite (incl. CDU/ CSU) steckt sich die Taschen noch voller und wird auch über 2040 hinaus in dicken Staatsmobilen durch die Gegend fahren. Die Ausdifferenzierung lässt sich auch an der lexikalisch spezifizierten Kon‐ struktion [durch die Gegend fliegen] aufzeigen. - 6.3.5.3 [durch die Gegend fliegen] Sehen wir uns die vier Belege (277)-(280) aus Korpusstudie II an: (277) Bei diesen Windgeschwindigkeiten fliegen schon so manche Regenschirme durch die Gegend. (278) In der Stadt fliegt Müll durch die Gegend, kaputte Fernseher und Möbel liegen herum. (279) Dann fliegt zumindest nicht mehr alles durch die Gegend - nur ein Tipp. (280) Bei ihrer Freundin fliegen Schals und Tücher durch die Gegend und sie weiß nicht mehr weiter? Wie lassen sich diese Korpusbelege interpretieren? Welche semantischen Frames werden evoziert? Welche Bewegungsereignisse werden versprachlicht? In Beleg (277) dürfte die Antwort auf diese Frage über verschiedene Sprach‐ nutzer hinweg noch einheitlich ausfallen. In der Einschätzung der meisten Sprachnutzer sollte ein faktives Bewegungsereignis evoziert werden. Für diesen 6.3 Ergebnisse 297 <?page no="298"?> Beleg wurde der motion frame annotiert. Ähnlich eindeutig sollten die Ant‐ worten für Beleg (280) sein. Allerdings dürfte hier mit großer Sicherheit kein faktives, sondern ein fiktives Bewegungsereignis evoziert werden. Die semantischen Frames fallen entsprechend verschieden aus. Da in Beleg (280) eine chaotische Anordnung von Gegenständen beschrieben wird, wurde der arranging frame annotiert. An dieser Stelle zeigt sich deutlich die Ausdifferen‐ zierung der Konstruktion in eine kompositionelle und eine konstruktionelle (im Sinne einer nicht-kompositionellen Lesart). Wir haben somit ein sogenanntes Bewegungsverb in einer sogenannten Bewegungskonstruktion vorliegen, und trotzdem wird nicht zwingend ein faktives Bewegungsereignis evoziert. DIE [ DURCH DIE G EGEND F LIEGEN ]-K ONSTRUKTION 1 E INE F IGURE BEWEGT SICH MIT ODER OHNE F AHRZEUG DURCH DIE L UFT F IGURE A CTION P ATH C HARAKTERISIERUNG N EGATION NP fliegen durch die Gegend PP/ AdjP Vergleichskonstruktionen Intensivierer Quantifikativa Affixe sie ich es Flugzeuge Geisterflüge Tröpfchen Unterschicht Oberschicht fliegen flogen fliegt geflogen mit [Flugzeug] unkontrolliert wild ungeschützt kreuz und quer so nicht nur noch keine {-los} […] Abbildung 73. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fliegen] 1 Nun zu den Belegen (278) und (279): Eine nicht-repräsentative Umfrage unter Linguisten und Nicht-Linguisten zeigt ein gemischtes Bild, was die evozierte Ereigniskategorie angeht. Je nach Sprachnutzer scheint entweder ein faktives Bewegungsereignis oder ein fiktives Bewegungsereignis präferiert zu werden. Die Korpusanalyse kommt hier an ihre Grenzen, denn eine eindeutige Annota‐ tion ist nicht möglich. Gesichert scheint, dass beide Konstruktionstypen parallel existieren und je nach Sprachnutzer nur eine der beiden Ereigniskategorien evoziert wird. Erst auf Nachfrage traten Unsicherheit bzw. Irritationen hinsicht‐ lich der Interpretation auf. Die Sprachnutzer sind sich über die parallele Existenz nicht bewusst. Die Ausdifferenzierung lässt sich unter anderem am Tempus beobachten: Für die Typ 2 -Konstruktion liegen im Sample ausschließlich Belege 298 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="299"?> im Präsens vor. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um eine Korrelation und nicht um einen kausalen Zusammenhang handelt. Zur Illustration der Unterschiede hinsichtlich der Filler in den Slots dient Abbildung 74. Es ist naheliegend, dass auch die Belebtheit der F I G U R E sowie das Potential der F I G U R E , sich zu bewegen bzw. als Transportmittel zu fungieren, einen Einfluss darauf nimmt, ob Hörer zu einer faktiven oder fiktiven Lesart tendieren. DIE [ DURCH DIE G EGEND F LIEGEN ]-K ONSTRUKTION 2 E INE F IGURE BEFINDET SICH IN EINEM ZUSTAND DER UNORDNUNG F IGURE A CTION P ATH C HARAKTERISIERUNG N EGATION fliegen durch die Gegend AdjP Intensivierer alles Kinderschuhe Dokumente Schals und Tücher fliegen fliegt wild kreuz und quer nicht nicht mehr Abbildung 74. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fliegen] 2 Zusammenfassend dargestellt ergibt sich ein im Vergleich zur ersten Darstellung (vgl. Abbildung 62 auf S. 254) erweitertes Netzwerk verwandter Bewegungs‐ konstruktionen. Die Erweiterung umfasst eine weitere Hierarchieebene, deren Existenz bei der Konzeption von Korpusstudie II in dieser Form nicht antizipiert wurde. Es zeigt sich eine Ausdifferenzierung noch über die Ebene der lexikalisch spezifizierten Tochterkonstruktionen hinaus, vgl. Abbildung 75. 6.3 Ergebnisse 299 <?page no="300"?> Bewegungskonstruktion durch die Gegend VERB durch die Gegend laufen durch die Gegend fahren Typ 1 Typ 2 durch die Gegend fliegen Typ 1 Typ 2 ... ... Abbildung 75. Erweiterter Ausschnitt aus einem Netzwerk verwandter Bewegungs‐ konstruktionen. Die Ausdifferenzierung in Typ 1 und Typ 2 der lexikalisch spezifizierten Kon‐ struktionen [durch die Gegend fahren/ fliegen] zeigt sich auf Formseite durch die Kollokationen, auf Bedeutungsseite durch die verblichene Semantik des Verbs, die negative semantische Prosodie sowie die pragmatischen Eigenschaften der Konstruktionen. Dies ergibt eine Bedeutung-Form-Beziehung für Typ 2 , die nicht kompositionell ist. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass auch Ar‐ gumentstrukturkonstruktionen über Bedeutungspotentiale verfügen und nicht über eine klar umrissene Bedeutung. Überdeutlich zeigt sich das Phänomen der Bedeutungspotentiale von Argumentstrukturkonstruktionen an einem letzten Beispiel dieser Reihe, der lexikalisch spezifizierten Konstruktion [durch die Gegend ballern]. - 6.3.5.4 [durch die Gegend ballern] Ob eine Bewegungskonstruktion der Kategorie faktiv, fiktiv, körperassoziiert oder metaphorisch zugeordnet werden kann, ist in vielen Fällen unmittelbar durch den Verbslot determiniert. Das zeigen die Daten in Tabelle 36. 300 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="301"?> Types fiktiver BE Tokens schauen 6 schreien 2 brüllen 2 senden 1 glotzen 1 spammen 1 knallen 1 grinsen 1 kucken 1 sollen hängen 1 telefonieren 1 gucken 1 poltern 1 müssen brüllen 1 Tabelle 36. Types und Tokens fiktiver Bewegungsereignisse. Für die Kategorie der fiktiven Bewegungsereignisse erscheinen Lexeme, die entweder mit Sinneswahrnehmungen assoziiert sind (schauen, glotzen, g/ ku‐ cken), mit Artikulationsformen (schreien, brüllen, spammen, senden, telefonieren, brüllen), mit Geräuschen (knallen, poltern) oder aber mit Gesichtsausdrücken (grinsen). Bei manchen Lexemen allerdings ist die evozierte Kategorie massiv vom sprachlichen und vermutlich auch vom außersprachlichen Kontext ab‐ hängig. Dazu zählt das Lexem ballern. Während in (281) der use_firearm frame dominiert, handelt es sich in (282) sowie (283) um den self_motion frame. Bei letzterem sorgt die Endoreflexiv-Konstruktion für eine Auflösung möglicher Ambiguität. (281) Jäger ballert durch die Gegend und bringt Radfahrer in Gefahr. (282) Man ballert wie eine Gummi-Flipperkugel durch Gegend. (283) In „Mechanic: Resurrection“ ballert er sich wieder gekonnt durch die Gegend. In (284) hingegen wird durch den sprachlichen Kontext der dating frame evoziert. 6.3 Ergebnisse 301 <?page no="302"?> (284) #Akademiker mit Niveau ballern nicht durch die Gegend, sondern parshippen. An diesen Belegen wird deutlich, wie komplex die Interaktion zwischen teilsche‐ matischer Konstruktion und Filler-Lexem ist. Bedingt durch die Methode der Korpusanalyse sind weitere wichtige Variablen der Verstehensprozesse wie der außersprachliche Kontext, Gestik, Mimik und Intonation nicht berücksichtigt. 6.4 Weitere Beobachtungen Neben der zentralen Einsicht, dass Exploitationen vielfach durch bestehende Gebrauchsnormen motiviert sind, ergeben sich aus Korpusstudie II weitere Erkenntnisse. Diese Erkenntnisse sind insbesondere vor dem Hintergrund der Ergebnisse aus Korpusstudie I aufschlussreich. Zunächst werden unter 6.4.1 die erhobenen Frames dargelegt. Ein weiterer Abschnitt thematisiert Modal‐ konstruktionen. Modalkonstruktionen sind in Korpusstudie I unterschiedlich frequent ohne weiteren Infinitivslot aufgetreten. Es wird herausgearbeitet, inwiefern die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] von diesem Verhalten abweicht. Unter Abschnitt 6.4.3 werden Komplexverben der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] analysiert und in Beziehung zu den Ergebnissen aus Korpusstudie I gesetzt. 6.4.1 Frames Eine Auswertung nach semantischen Frames ergibt 40 unterschiedliche Frames auf 1.083 Belege. Der häufigste hierbei ist der self_motion frame mit 434 Tokens, was einem Anteil von 40-Prozent entspricht. Es folgen in absteigender Reihen‐ folge die semantischen Frames operate_vehicle, cause_motion, motion, transport und carry_goods. Die genannten Frames stehen in unmittelbarer Tochterrelation zum motion_scenario und sind somit erwartbar. 302 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="303"?> 434 172 109 51 43 27 25 24 24 15 13 12 11 10 10 9999987755443222111111111 0 50 100 150 200 250 300 350 400 450 500 self_motion operate_vehicle cause_motion motion transport carry_goods possibility letting needing ride_vehicle perception_active travel make_noise desirable_event bungling body_movement mass_motion desiring fluidic_motion ambig activity use_firearm sending arranging animal communication_noise communication permitting weather arriving sex mental_activity emitting motion_directional existence being_active sport cause_harm hunting searching Abbildung 76. Frames der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. 6.4 Weitere Beobachtungen 303 <?page no="304"?> 6.4.2 Modalkonstruktionen Wie Abbildung 76 entnommen werden kann, folgen unmittelbar auf diese Tochterframes des motion_scenario die Frames possibility, needing und letting. Diese drei Frames sind nicht mit dem motion_scenario verwandt, sondern beschreiben die Modalität eines Ereignisses. (285) Abwechslung muss da mal rein, sodass man eben nicht mehr mit Waffen durch die Gegend laufen kann, […] (286) Vielleicht muss man gar nicht erst stundenlang durch die Gegend fahren, hier haben wir auch ein Paradies. (287) Wer ’s lieber gemütlicher mag, lässt sich im Bummelzug durch die Gegend kutschieren. Es finden sich in Korpusstudie II insgesamt 91 Belege, die im Verbslot der teilschematischen Konstruktion eine Modalität ausdrücken. Unter diesen 91 Belegen ist kein Beleg, der ohne weiteren Infinitiv auskommt. Diese Ergebnisse für die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] stehen im Kontrast zu den Ergebnissen aus Korpusstudie I. Die Möglichkeit, die Modalkon‐ struktion ohne weiteren Infinitiv zu nutzen, scheint demnach von der konkreten Konstruktion abhängig zu sein. Auch hier zeigt sich, dass ein Großteil des Wissens von Sprachnutzern itemspezifisch zu sein scheint (Diessel 2017). 6.4.3 Komplexverben Unter den 1.083 Belegen der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] finden sich zwei Belege, die ein morphologisch komplexes Verb aufweisen. Das entspricht einem Anteil von 0,18 Prozent. Man kann somit konstatieren, dass die Nutzung eines morphologisch komplexen Verbes in der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] nicht der Norm entspricht. Es lohnt sich, die beiden Belege, die Exploitationen darstellen, zu betrachten: In Beleg (288) wird das Präfixverb verschicken genutzt. (288) Es werden also keine Produkte durch die Gegend verschickt. In Beleg (288) ist die Aktionsart durch die Kombination eines telischen Präfix‐ verbes mit einer PP, die auf eine unbestimmte, unabgeschlossene Strecke ver‐ weist, uneindeutig. Die Uneindeutigkeit durch zwei semantisch inkompatible Ausdrücke stellt eine Normverletzung dar. In Beleg (289) liegt mit hinfahren ein Partikelverb vor. 304 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="305"?> (289) Dann kamen wir aus dem Walde hinaus und fuhren durch die Gegend hin, in der die Felder liegen. Die Partikel {hin-} hat das Potential, auf ein im Diskurs bereits eingeführtes Ziel, das semantische Element G O AL , zu verweisen. Die teilschematische Kon‐ struktion [durch die Gegend] hingegen referiert auf die zurückgelegte Strecke zwischen Ursprung und Endpunkt des Bewegungsereignisses, sprich auf das Element R O U T E . Auch wenn es im Deutschen nicht ungrammatisch ist, mehrere P ATH -Elemente innerhalb eines Satzes zu verwenden, so entspricht es nicht der Norm. Das zeigt sowohl Korpusstudie I dieser Arbeit als auch die Korpusstudie von Guse (im Erscheinen). Für Sprachnutzer des Deutschen gilt die Norm, pro Bewegungsereignis entweder S O U R C E oder R O U T E oder G O AL zu spezifizieren, jedoch nicht eine Kombination aus mehreren Elementen (vgl. ebd.). Werden Präfix- und Partikelverben von Sprachnutzern des Deutschen verwendet, so dienen diese in der Regel nicht der Addition weiterer P ATH -Elemente, sondern der Modifikation oder der Verstärkung, sind also tendenziell Elemente der Redundanz. 6.5 Zusammenfassung Die zunächst ungewöhnlich erscheinenden Type-/ Token-Verhältnisse der teil‐ spezifischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] lassen sich nach einer sorgfältigen manuellen wie automatisierten Kollokationsanalyse erklären. Es lassen sich unterschiedliche Schwesterkonstruktionen ausmachen, die jeweils einen eigenen Prototyp darstellen. Die weniger frequenten Types lassen sich den Schwesterkonstruktionen zuordnen. Auch die Hapax Legomena, sprich die Exploitationen, lassen sich durch die Annahme von unterschiedlichen Tochterkonstruktionen der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend] systematisieren. So gruppieren sich um den Prototyp der lexikalisch spezifi‐ zierten Konstruktion [durch die Gegend laufen] diejenigen Lexeme, die das Auftreten der F I G U R E im öffentlichen Raum beschreiben. Hierzu zählen u. a. Lexeme wie streifen (15 Tokens), irren (10 Tokens), humpeln (7 Tokens), geistern (5 Tokens), hetzen, taumeln, eiern (je 3 Tokens), strolchen, wüten, sich rätseln, sich kichern, kugeln sowie kullern (je 1 Token). Die Liste lässt sich fortsetzen. Eine weitere Tochterkonstruktion ist die lexikalisch spezifizierte Konstruktion [durch die Gegend fahren]. Um den Prototyp gruppieren sich Lexeme wie düsen (12 Tokens), flitzen (9 Tokens), cruisen (7 Tokens), kutschieren (5 Tokens), radeln, gondeln, brausen (je 4 Tokens) usw. Konstatieren lässt sich an dieser Stelle bereits, dass die Idee, jedes Lexem könne durch Coercion in eine Bewegungs‐ 6.5 Zusammenfassung 305 <?page no="306"?> konstruktion gezwungen werden, sich zumindest auf Grundlage der Daten aus Korpusstudie I und II nicht halten lässt. Die von mir erhobenen Types lassen sich als systematische Exploitationen bestehender Gebrauchsnormen modellieren. Das bedeutet nun aber gerade nicht, dass die Konstruktionsgrammatik in Gänze an dieser Stelle als Theorie versagt hätte. Die Daten sprechen klar für eine gebrauchsbasierte Modellierung, wenn wir über grammatische Strukturen Aussagen treffen möchten. Auch zeigt sich, dass viele Belege nicht-kompositi‐ onaler Natur sind, sondern die semantischen und pragmatischen Eigenschaften konstruktioneller Art sind. 6.6 Methodenkritik Wie bereits zu Korpusstudie I der vorliegenden Arbeit soll auch im Anschluss an Korpusstudie II eine kurze Reflexion erfolgen. Es wird diskutiert, inwieweit sich das methodische Vorgehen als sinnvoll erwiesen hat, aber auch, wo durch die methodischen Entscheidungen Limitationen hinsichtlich der Aussagekraft der Ergebnisse vorliegen. Da die Gütekriterien wissenschaftlichen Arbeitens im Allgemeinen und der Korpuslinguistik im Besonderen bereits unter Kapitel 5.1 der vorliegenden Arbeit herausgearbeitet wurden, wird im folgenden Abschnitt lediglich auf die Spezifika der Konzeption von Korpusstudie II verwiesen. Als vulnerable Punkte erweisen sich dabei insbesondere die Suchanfrage, die Wahl der Assoziationsmaße ITECX 1 und ITEXC 2 sowie die Interpretation dieser Werte und des Produktivitätsindexes P. Die Suchanfragen der Korpusstudie II sind recht schlicht gehalten: Da es sich bei der Zielgröße um eine lexikalische spezifizierte Konstruktion handelt, wurde der Suchanfragestring „durch die Gegend“ genutzt. Die DWDS-Korpussuche bietet eine lemmabasierte Abfrage, sodass ein Beachten möglicher Kleinschrei‐ bungen nicht notwendig ist. Sowohl die Schreibungen „durch die Gegend“ als auch Schreibungen wie „Durch die gegend“ sind inkludiert. Allerdings hätte eine Abfrage mithilfe regulärer Ausdrücke insofern gedient, als dass ein vollständiges Ignorieren von Groß- und Kleinschreibungen (z. B. auch wortintern) hätte erreicht werden können. Es wären auch Treffer für etwa „duRch die gegend“ ins Sample aufgenommen worden. Eventuell ist der recall somit schmaler ausgefallen als es technisch möglich gewesen wäre. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass sich das Gesamtbild dadurch grundlegend anders darstellen würde. Ein weiterer Aspekt betrifft die Wahl der Assoziationsmaße ITECX 1 und ITEXC 2 . Im Zuge der vorliegenden Arbeit sind in unterschiedlichen Abschnitten 306 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="307"?> bereits verschiedene statistische Verfahren diskutiert worden, die innerhalb der gebrauchsbasierten Linguistik Verwendung finden. Diese Diskussion soll an dieser Stelle nicht wiederholt werden, aber darauf hingewiesen werden, dass die Berechnung der Assoziationsmaße ITECX 1 und ITECX 2 lediglich eine Möglichkeit darstellt, eine bestimmte Perspektive auf den Sprachgebrauch einzunehmen. Im Zuge von Korpusstudie II ist insbesondere ITECX 1 zum Tragen gekommen. Begründet wurde diese Entscheidung mit einer aus der Theorie abgeleiteten Annahme: Die frequentesten Types eine Konstruktion prägen die Semantik der gesamten Abstraktion. Somit wurden die drei frequentesten Types laufen, fahren und fliegen für Kollokationsanalysen ausgewählt und anhand dieser Types ein Modell zur Darstellung der Ausdifferenzierungen vorgeschlagen. Ein alternatives Vorgehen wäre gewesen, auch die Types zu analysieren, deren ITECX 2 -Werte besonders hoch ausfallen. Zu diesen Types zählen gondeln, cruisen, kutschieren, flitzen, düsen, humpeln, brausen, hüpfen, schwirren, rennen und geistern. Möglicherweise bietet die Auseinandersetzung mit den Types, die im Besonderen mit der teilschematischen Konstruktion assoziiert sind, d. h. in der Konstruktion häufiger erscheinen als in einem zufälligen Sample, neue Erkenntnisse zur Frage, wie normativ Sprachnutzer mit solchen Konstruktionen umgehen. Unter Umständen berührt diese Frage die Unterscheidung verschie‐ dener Salienzbegriffe. Schmid & Günther (2016) unterscheiden vier plausible Antworten auf die Frage, was man unter Salienz verstehen kann: 1. Das Wort scheint salient, weil es das erste Wort war, das mir in den Sinn gekommen ist. 2. Das Wort scheint salient, weil es das erste Wort war, das mir in diesem Kontext in den Sinn gekommen ist. 3. Das Wort scheint salient, weil ich nicht erwartet habe, es in diesem Kontext zu hören. 4. Das Wort scheint salient, weil ich es noch nie gehört habe. Der ITECX 1 -Wert scheint auf die erste Antwort abzuheben. Das Wort ist bekannt und frequent (vgl. ebd.). ITECX 2 hingegen zielt auf die zweite Antwort auf die Frage, was unter Salienz zu verstehen ist. Dieses zweite Salienzkonzept wird von Geeraerts (2017) als onomasiologische Salienz bezeichnet. Er versucht mit diesem Ansatz, den Begriff des Entrechments zu schärfen. Die Antworten (3) und (4) verweisen auf ein Phänomen, das den Neuigkeitswert berücksichtigt. Dabei geht es um die Dimensionen Erwartbarkeit und Vertrautheit. Inwiefern die unterschiedlichen Salienzkonzepte Einfluss auf die Produktivität und somit auf 6.6 Methodenkritik 307 <?page no="308"?> Exploitationen bestehender Gebrauchsnormen nehmen können, ist noch nicht ausreichend untersucht. Schließlich bleibt das Problem, dass die Zuschreibung einer bestimmten Bedeutung auf eine bestimmte Form durch eine Linguistin anfechtbar bleibt. Die Frage, wie viel Bewegung in einer Konstruktion der Art „alles fliegt wild durch die Gegend“ steckt, ob Sprachnutzer eher zu einer faktiven oder fiktiven Interpretation gelangen, kann durch Korpusstudien nicht abschließend beantwortet werden. Sehr wohl aber können statistische Verfahren dazu bei‐ tragen, bestehende und sich verändernde Gebrauchsnormen zu beschreiben und theoretische Schlüsse aus den Beobachtungen abzuleiten. 308 6 Korpusanalyse II: Die teilschematische Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] <?page no="309"?> 7 Diskussion Die Diskussion unter Kapitel 7 bietet zunächst eine zusammenfassende Darstel‐ lung der Ergebnisse und Schlussfolgerungen, die sich aus der vorliegenden Arbeit ziehen lassen. Es wird der Versuch unternommen, den eigenen Beitrag zum Forschungsfeld zu reflektieren. Im Anschluss werden offene Fragen ange‐ sprochen, die sich einerseits durch die zugrundeliegenden Frameworks ergeben, andererseits aber auch neu aufgeworfen worden sind. 7.1 Einordnung der Ergebnisse Die Zielsetzung für Korpusstudie I lautete, die prototypischen Versprachlich‐ ungsstrategien für Bewegungsereignisse des Deutschen zu beschreiben, um somit die Postulate der STLP durch empirisch gewonnene Daten zu überprüfen. Die Zielsetzung lässt sich in die drei bereits in Kapitel 1 formulierten Teilfrage‐ stellungen zerlegen: • Welche Verben werden in welchen Konstruktionen des Deutschen genutzt? • Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede lassen sich zu Bewegungs‐ konstruktionen des Schwedischen und Englischen feststellen? • Inwiefern sind die ermittelten Verben und Konstruktionen gebräuchlich oder idiosynkratisch? Die Ergebnisse aus Korpusstudie I weisen in der Tat darauf hin, dass das Deut‐ sche eine typische S-framed Sprache ist, bei der die Variabilität der Besetzung des Verbslots im Vergleich zum Schwedischen und insbesondere zum Englischen hoch zu sein scheint. Zusammengefasst lassen sich nach Analyse der Daten für das Deutsche folgende Relationen beschreiben, die zwischen dem Bewegungsereignis und der zusätzlichen im Verb kodierten Komponente (Co-Event) bestehen kann (vgl. auch Kapitel 2.3.4 zur theoretischen Einordnung sowie 5.3.3 im Kontrast zum Schwedischen und Englischen). Die von der STLP angesetzten Co-Events wurden im Zuge der vorliegenden Arbeit um die Relationen R E Q U E S T sowie M O DALIT Y erweitert, da die erhobenen Type- und Tokenfrequenzen für eine solche Erweiterung sprechen. Die Relation R E Q U E S T wird frequent über die Verben einladen und bitten in transitiven Konstruktionen versprachlicht. Tabelle <?page no="310"?> 37 zeigt die in deutschen Bewegungskonstruktionen erscheinenden Co-Events anhand eines sprachlichen Beispiels. Co-Event Sprachliches Beispiel E N A B L E M E N T Könntest du mir das Wasser reichen? O N S E T C A U S A T I O N Sie haut den Ball weg. M A N N E R Sie bummeln durch die Straßen. C O N C O M I T A N C E Sie kichern sich durch die Gegend. S U B S E Q U E N Z Sie schaut in der Küche nach dem Herd. C O N C U R R E N T R E S U L T Er poltert die Treppe hinauf. M O D A L I T Y Ich muss zur Arbeit. P R E D I C A T I V E Er irrt nach Hause. R E Q U E S T Sie winkt ihn hinein. Tabelle 37. Co-Events des Deutschen Für die intransitive Bewegungskonstruktionen sind die semantischen Frames desiring, needing und possibility frequent vertreten (vgl. Kapitel 5.2.2 der vorlie‐ genden Arbeit), die zur Relation M O DALIT Y gezählt werden können. Herausge‐ arbeitet wurde in diesem Zusammenhang auch, dass die Tokenfrequenzen der jeweiligen Lexeme im Verbslot erheblich divergieren. Für das Deutsche ist die Besetzung des Verbslots einer Bewegungskonstruktion durch ein Modalverb ohne weiteren Infinitiv nicht für alle Types, die zur Klasse der Modalverben gezählt werden, gleichermaßen häufig. 310 7 Diskussion <?page no="311"?> 46 31 31 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 müssen sollen n e k o T Modalverben Infinitivslot besetzt Infinitivslot unbesetzt Abbildung 77. Die Besetzung des Infinitivslots der Modalverben müssen und sollen im Vergleich. Während müssen in etwa der Hälfte aller Belege in der infinitivlosen Konstruk‐ tion gebraucht wird, ist das Verhältnis für sollen deutlich asymmetrischer. Im Sample überwiegt der Anteil mit Besetzung des Infintivslots, wie Abbildung 77 illustriert. Die Belege (290)-(293) aus Korpusstudie 1 zeigen jeweils ein Beispiel für Modalkonstruktionen des Deutschen mit und ohne Besetzung des Infinitivslots. (290) Ich musste zu einer Sitzung in die Stadt. (291) Um fünf muss ich gehen. (292) Das Wasser soll nach unten. (293) Vor allem sollte ich nach Hause gehen. Vergleicht man diese Verteilungen mit dem Schwedischen, zeigt sich, dass Sprachnutzer des Schwedischen am häufigsten skall ‘sollen’ in der infinitivlosen Konstruktion nutzen (vgl. Olofsson 2018). Das Verhältnis im Schwedischen ist somit genau spiegelbildlich zu den Gebrauchspräferenzen des Deutschen, was die Verwendung von Modalkonstruktionen zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen angeht (vgl. Kapitel 5.3.3 der vorliegenden Arbeit). Aus diesen Befunden lassen sich Rückschlüsse zur Beantwortung der dritten Teil‐ fragestellung ziehen. Es lassen sich somit Gebrauchspräferenzen beschreiben, die nicht auf allgemeine kognitive Mechanismen zurückzuführen sind, sondern 7.1 Einordnung der Ergebnisse 311 <?page no="312"?> auf den Input, dem Individuen einer Sprachgemeinschaft ausgesetzt sind. Das vermag auch die höhere Restriktivität des Englischen zu erklären, was die Besetzung des Verbslots von Bewegungskonstruktionen des Englischen angeht, die in Rohde (2001) beschrieben wird, sowie die diachrone Entwicklung des Englischen, die eine schwankende Akzeptabilität aufweist (vgl. Fanego 2018). Ein weiteres Desiderat, dem sich die vorliegende Arbeit zu widmen versuchte, betrifft die Systematisierung der Versprachlichungsstrategien über faktive Be‐ wegungsereignisse hinaus. Meines Wissens liegt keine Studie vor, die sich durch einen empirischen Ansatz der Versprachlichung auch fiktiver, metaphorischer sowie körperassoziierter Bewegungsereignisse widmet. Erst durch den Zusam‐ menhang dieser Ereignistypen aber können bestimmte Gebrauchspräferenzen adäquat beschrieben werden. Ein Beispiel aus der vorliegenden Arbeit ist die endoreflexive Konstruktion. Die endoreflexive Konstruktion dient meines Erachtens der Disambiguierung von faktiver und fiktiver Bewegung. Während im Schwedischen Verben der Kommunikation zur Versprachlichung faktiver Bewegungsereignisse genutzt werden, vgl. Beleg (294), werden diese Verben in intransitiven Konstruktionen des Deutschen von Sprachnutzern als fiktive Bewegung interpretiert. (294) Mannen skrattade iväg till posten - Mann-DEF lach-PST zu Postamt-DEF - ‘Der Mann lacht zum Postamt’ - (Olofsson 2017) Das heißt, der Sprachnutzer konstruiert ein Ereignis, bei dem das Lachen des Mannes in Richtung des Postamtes wirkt, der Mann selbst jedoch bewegt sich nicht. Soll im deutschen Sprachgebrauch nun sichergestellt werden, dass ein faktives Bewegungsereignis vorliegt, also A G E N S und F I G U R E die gleiche Entität darstellen, können Sprachnutzer des Deutschen auf die endoreflexive Konstruktion zurückgreifen, um einer möglichen Ambiguität vorzubeugen. Zur Illustration der Argumentation dienen die Beispiele (295) und (296). (295) Sie brüllt über den Platz. (296) Sie brüllt sich über den Platz. Während in (295) das Brüllen des A G E N S über den Platz schallt, ist es unter (296) durch Verwendung der endoreflexiven Konstruktion ein Ereignis, bei dem das A G E N S selbst eine Bewegung über den Platz vollzieht. Durch Korpusstudie II wurde eine teilspezifische Konstruktion fokussiert. Anhand der Konstruktion [durch die Gegend] wurde exemplarisch beschrieben, wie das Verhältnis zwischen Norm und Exploitation modelliert werden kann. 312 7 Diskussion <?page no="313"?> Durch diese Nahaufnahme wird eine Beantwortung der dritten Teilfragestellung der vorliegenden Arbeit möglich: • Ist es gerechtfertigt und beschreibungsadäquat, semantische Verbklassen wie Bewegungsverben, Geräuschverben anzusetzen? Hierzu wurden die Assoziationswerte ITECX 1 und ITECX 2 nach Herbst (2018) und Goldberg & Herbst (2021) zur Operationalisierung herangezogen. Die Daten aus Korpusstudie II zeigen zunächst Gebrauchspräferenzen, die sich nicht durch das Ansetzen semantischer Verbklassen erklären lassen. So ist laufen der häufigsten Type und im erhobenen Sample überrepräsentiert, das „Bewegungsverb“ schlechthin gehen hingegen deutlich unterrepräsentiert. 6 192 885 gehen laufen weitere Types Abbildung 78. Tokenzahl der Verben gehen und laufen in der teilschematischen Kon‐ struktion [durch die Gegend]. In Abbildung 78 ist das Verhältnis der beiden Verben abgebildet. Das Verb laufen ist mit 192 Tokens der frequenteste Type im erhobenen Sample, das Verb gehen erscheint mit 6 Tokens. Es zeigt sich somit eine deutliche Asymmetrie in der Gebrauchspräferenz, die sich nicht aus rein semantischen Gesichtspunkten erklären lässt. Um diese Gebrauchspräferenzen zu erklären, kann das Kon‐ zept der preemption herangezogen werden. (Goldberg 2019, Kapitel 3.2.5 der vorliegenden Arbeit). Theoretisch sind sowohl laufen als auch gehen in der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] denkbar, um eine ähnliche Perspektivierung zu denotieren. Sie konkurrieren gewissermaßen um die Besetzung des Verbslots. Dadurch aber, dass Sprachnutzer das Verb laufen 7.1 Einordnung der Ergebnisse 313 <?page no="314"?> in der teilschematischen Konstruktion häufiger wahrnehmen und verwenden, ist der Slot für die Alternative gehen blockiert. Sie erscheint dem Sprachnutzer seltsam. Wodurch die Asymmetrie ursächlich bedingt ist, lässt sich nicht klären. Was die sogenannten Geräusch-als-Bewegungsverben betrifft, zeigen die Daten, dass Verben, die Geräusche denotieren, frequent in Bewegungskonstruk‐ tionen genutzt werden. Sowohl die Typeals auch die Tokenfrequenzen sind als hoch zu bewerten. Trotzdem würde ich an dieser Stelle nicht den Terminus Geräusch-als-Bewegungsverb nutzen, sondern den Ausdruck Geräusch-und-Be‐ wegungsverb präferieren, sofern ein Label gebraucht wird. Denn liegt ein Bewegungsereignis vor, finden Geräusch und Bewegung gleichzeitig statt. Verben wie rattern, poltern, surren etc. versprachlichen sowohl eine Bewegung als auch eine Geräuschemission durch die F I G U R E . Mit der Terminologie der STLP gesprochen, handelt es sich um die Relation C O N C U R R E N T R E S U L T . Diese Relation wird im Deutschen frequent genutzt und ist daher nicht als Exploitation zu werten. Wie lassen sich nun tatsächliche Exploitationen erklären? Nimmt man die häufigsten Types des Samples, kann man beobachten, dass sich die weniger frequenten Types als systematische Exploitationen um diese einzelnen Proto‐ typen gruppieren lassen. Erneut zeigt sich also, dass der Ausgangspunkt der Schematisierung durch den Sprachnutzer konkrete Instanziierungen einer Kon‐ struktion sind. Von dort aus kann der Sprachnutzer zu Exploitationen gelangen, die durch Ähnlichkeitsrelationen unterschiedlicher Art gekennzeichnet sein können. Hierzu zählen Ähnlichkeiten semantischer, pragmatischer, aber auch phonologischer Art (vgl. Kapitel 3.2.1 sowie 3.2.5 der vorliegenden Arbeit). Setzt man bei der sprachwissenschaftlichen Untersuchung eine zu hohe Ge‐ neralisierung an, verschwimmt das Bild und die Exploitationen erscheinen willkürlicher Natur. Jeder frequente Type bildet gewissermaßen eine eigene Insel, um die herum die Exploitationen gruppiert sind. Gleichzeitig teilen die Inseln bestimmte semantische und pragmatische Eigenschaften, die nicht auf die einzelnen Lexeme der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] zurückführbar sind. Die negative semantic prosody (Sinclair 1995) der teil‐ schematischen Konstruktion ergibt sich durch die frequente Verwendung von unterschiedlichen Negationsmarkern. Deren Bedeutung färbt auf die Schema‐ tisierung durch den Sprachnutzer ab, sodass die teilschematische Konstruktion schließlich eine negative Konnotation aufweist, ohne dass ein Negationsmarker in der Konstruktion erscheint. Schließlich zeigt sich, dass sich die Beobachtung aus Goldberg (2019: 10) „we disire to speak like others in our community“ auch auf die Daten aus Korpus‐ studie II übertragen lässt: Die Daten zeigen das Phänomen, dass Sprachnutzer 314 7 Diskussion <?page no="315"?> auf Konstruktionen zurückgreifen, die unnötig komplex und unökonomisch erscheinen. Die Gründe liegen im sprachlichen Input der Sprachnutzer: Hören sie beispielsweise regelmäßig die Konstruktion [mit XY durch die Gegend V E R B ], greifen sie auf diese Kollokation zurück, auch wenn zur Versprachlichung des Ereignisses kürzere oder einfachere Ausdrücke möglich gewesen wären. Beide Korpusstudien zeigen, dass in der Theoriebildung eine zu hohe Abs‐ traktion weg von den konkreten Sprechereignissen die Gefahr birgt, Gebrauchs‐ präferenzen oder gar Regeln zu beschreiben, die zu allgemeiner Natur sind, als dass sie der sprachwissenschaftlichen Theoriebildung dienlich wären. Darüber hinaus neigen einige Linguist/ -innen dazu, aus den von Ihnen postulierten Abstraktionen kognitive Motivationen oder kognitive Mechanismen ableiten zu wollen. Hier ist Vorsicht geboten. Sicherlich teilen Sprachnutzer verschie‐ dener Sprachgemeinschaften die gleiche biologische Ausstattung. Der Faktor der Sozialisation, auch im Hinblick auf den Spracherwerb und das Erlernen der vorherrschenden sprachlichen Normen der Sprachgemeinschaften, dürfte jedoch gewaltig sein. Das über Generationen hinweg akkumulierte Wissen über die situativ angemessene Perspektivierung eines Ereignisses durch die Verwendung einer bestimmten Konstruktion und die beständige Re-Interpre‐ tation beim Erwerb durch die nächste Generation lässt sich nicht adäquat über abstrakte Regeln beschreiben, sondern bedarf im ersten Schritt einer sorgfältigen Deskription der sprachlichen Zeichen. Zudem ist die Art der Daten‐ gewinnung entscheidend: Korpusdaten lassen keine direkten Rückschlüsse auf die Sprachverarbeitungsprozesse einzelner Sprachnutzer zu, sondern können nur zur Deskription des Sprachgebrauchs hinsichtlich eines Phänomens und hinsichtlich ganz bestimmter Register genutzt werden. Das führt zur letzten Teilfragestellung, der sich die vorliegende Arbeit gewidmet hat: Inwiefern dient die Konstruktionsgrammatik der Beschreibung sprachlicher Strukturen? In der Analyse der erhobenen Daten zeigt sich deutlich das Potential der Konstruktionsgrammatik. Allerdings bleiben wichtige Aspekte zu bearbeiten. Diese Aspekte werden im folgenden Unterkapitel gebündelt und thematisiert. 7.2 Offene Fragen Die vorliegende Arbeit möchte einen kleinen Beitrag zur Frage des Verhältnisses von Normen und Exploitationen am Gegenstand der Bewegungskonstruktionen zu leisten. Im Laufe der Ausführungen sind an unterschiedlichen Stellen Desi‐ derate zu Tage getreten, die entweder durch die Limitationen des Forschungsde‐ signs nicht beantwortet werden konnten oder aber durch die theoretischen und 7.2 Offene Fragen 315 <?page no="316"?> empirischen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit erst aufgeworfen worden sind. 7.2.1 Empirische Desiderate Insbesondere in den 2000er und 2010er-Jahren werden innerhalb der gebrauchs‐ basierten Linguistik neben reinen Frequenzwerten zunehmend auch weitere statistische Maße gefordert und genutzt (vgl. u. a. Ellis 2006; Gries 2013). In Gries (2022) werden die Vorwürfe erhoben, dass der Frequenzbegriff sowohl zu häufig als auch zu vereinfacht angewandt wird und angemessenere Alternativen zu wenig beachtet würden. In Korpusstudie II der vorliegenden Arbeit wurde der Kritik insofern Rechnung getragen, als dass neben Type- und Tokenfrequenzen auch Assoziationsmaße berechnet wurden, um das Zusammenspiel von Argu‐ mentstrukturkonstruktion und lexikalischer Spezifizierung auszuleuchten. Als Assoziationsmaße wurden die in Goldberg & Herbst (2021) genutzten ITECX 1 - und ITECX 2 -Werte gewählt. Während diejenigen Types, die einen hohen ITECX 1 -Wert aufwiesen, in der vorliegenden Arbeit ausführlich diskutiert wurden, bleibt die Frage nach dem Status von Verben mit hohen ITECX 2 -Werten in Teilen unbeantwortet (siehe auch Abschnitt 6.6 Methodenkritik). In folgenden Arbeiten sollten diejenigen Types samt Kollokaten untersucht werden, die in besonderer Weise mit der Konstruktion assoziiert sind. Um die in diesem Zusammenhang diskutierten Konzepte der Salienz besser zu verstehen, bietet es sich an, neben Kollokationsanalysen auch psycholinguistische Verfahren wie Elizitationsexperimente oder Reaktionszeittest durchzuführen. Im Zuge der Auseinandersetzung mit Lexemen, die hohe ITECX 1 -Werte aufweisen, zeigte sich eine Ausdifferenzierung in unterschiedliche Konstrukti‐ onstypen, die eine jeweils eigene semantische Charakteristik aufweisen. Für die Konstruktion [durch die Gegend fliegen] zeigt sich eine schwache Tendenz zu unterschiedlichen Tempora: Während Typ 1 stärker mit Perfektformen assoziiert scheint, scheint Typ 2 häufiger im Präsens gebraucht zu werden. Allerdings reicht das untersuchte Sample nicht aus, um zu entscheiden, ob es sich um eine zufällige Korrelation handelt, ob eine Korrelation vorliegt, die durch einen dritten (unbekannten) Faktor verursacht ist oder ob eine kausale Relation zwischen Tempus und Konstruktionstyp besteht. Somit ist unklar, welche Rolle grammatische Informationen bei den unterschiedlichen Konstruktionstypen spielen. Die grundlegenden Fragen in diesem Zusammenhang lauten: Wie weit geht die Itemspezifität? Wie wirkt sich das auf das Entrenchment aus? Sowohl in Korpusstudie II als auch in Korpusstudie I wurde das seman‐ tische Verblassen von Lexemen im Verbslot von Bewegungskonstruktionen 316 7 Diskussion <?page no="317"?> beobachtet. Für Korpusstudie II betrifft das die Verben laufen, fliegen, fahren in den Konstruktionstypen, die die F I G U R E charakterisieren. Das Phänomen zeigt sich in Beleg (297). (297) Er läuft mal wieder sturzbetrunken durch die Gegend. In Korpusstudie I betrifft das Phänomen insbesondere die Verben kommen und gehen. In Zeschel (2017) werden die beiden Verben auf ihren Gebrauch im gesprochenen Deutsch hin untersucht. Es wäre wünschenswert, die Daten für kommen und gehen aus Korpusstudie I mit denen Zeschels zu kontrastieren, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Gebrauch zu identifizieren. Denkbar ist es, dass die Ergebnisse eines solchen Vergleichs insbesondere für DaF-/ DaZ-Lernende instruktiv sind. Auch die Frage, in welchen Fällen von einem Verblassen gesprochen werden kann, könnte davon profitieren, scheint sie noch nicht hinreichend beantwortet. Nur in Teilen beantwortet wurde die Frage nach der Produktivität von Präfix- und Partikelverben. In Korpusstudie I wurde deutlich, dass Präfix- und Partikelverben insbesondere in AKK ADV -Konstruktionen gebraucht werden. Diskutiert werden könnte aber darüber hinaus der Gebrauch in anderen Kon‐ struktionen. Sicherlich wäre es insgesamt denkbar, die Schlüsse, die aus beiden Kor‐ pusstudien gezogen wurden, anhand weiterer (Bewegungs-)Konstruktionen abzugleichen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde beispielsweise die Konstruktion [sich nach oben V E R B ] angesprochen (vgl. Abschnitt 3.3.4). (298) Ein Großmaul blufft sich nach oben. [https: / / www.fnp.de/ frankfurt/ grossmaul-blufft-sich-nach-oben-10421048.html, 23.08.2020, abgerufen am 20.01.2021] (299) Eine Frau wienert sich nach oben. [https: / / www.medienkorrespondenz.de/ leit‐ artikel/ artikel/ eine-frau-wienert-sichnbspnachnbspoben.html, 29.04.2016, ab‐ gerufen am 18.01.2021] (300) Felix Lücht aus Bietigheim malt sich an die Spitze. [https: / / www.badisches-tagblatt.de/ Nachrichten/ Felix-Luecht-aus-Bietig‐ heim-malt-sich-an-die-Spitze-57008.html, 23.09.2020, abgerufen am 29.01.2021] Ausgehend von den Belegen (298)-(300) wurde als Formalisierung der Bedeu‐ tungs-Form-Beziehung die Notation [[NP] [VP] [NP] [PP] GOAL METAPHORISCH POSITIV KONNOTIERT ] vorgeschlagen. Sicherlich gibt es weitere Möglichkeiten, eine Formalisierung vorzunehmen. Mit diesem Desiderat wird nun der Bogen zu den theoretischen Desideraten geschlagen. 7.2 Offene Fragen 317 <?page no="318"?> 7.2.2 Theoretische Desiderate An verschiedenen Stellen dieser Arbeit sind Fragen der Formalisierung und der Terminologie offengeblieben. Anhand einer Schematisierung aus Goldberg (2019: 34) sollen die Überlegungen ausgearbeitet werden. Beginnen werde ich mit den Beispielen, die Goldberg in ihrer Darstellung verwendet, vgl. Abbildung 79. Label Form Example Meaning Intransitive motion construction Subj, V, Oblique path She went down the street. Skiers whooshed down the slopes. X moves (to/ from) Y Way construction Subj, V, <poss> way, Oblique path She made her way into the room. Heather handstands her way out of the bathroom. X creates a path and moves through it (to) Z Abbildung 79. Darstellung verschiedener Bewegungskonstruktionen nach Goldberg (2019: 34). Die Verwendung der Beispiele suggeriert, es bestünde kein Unterschied zwi‐ schen einem Beleg wie She went down the streets und Skiers whooshed down the slopes. Analog dazu lesen sich die Beispiele für die Way construction. Es bleibt offen, ob es sich bei den angeführten Beispielen um frequente Ausdrücke handelt, die zur Norm gezählt werden sollten, oder ob es sich um Exploita‐ tionen handelt. Es entsteht der Eindruck der Gleichberechtigung zwischen diesen Beispielen im realen Sprachgebrauch. Die Daten aus Korpusstudie I und II meiner Arbeit zeigen, dass eine gebrauchsbasierte, korpusgetestete Vorgehensweise notwendig ist, um zu einer Darstellung zu gelangen, die keine missverständlichen Aspekte suggeriert. Es ist zudem problematisch, dass keine Angaben beigefügt sind, ob es sich im Beispiel Heather handstands her way out oft he bathroom um einen authentischen Beleg oder um einen für diesen Zweck konstruierten Satz handelt. Neben der Wahl der Beispiele liegen in Abbildung 79 weitere problematische Aspekte vor. In ihrer Formalisierung greift 318 7 Diskussion <?page no="319"?> Goldberg (2019) einerseits auf Argumentstrukturkonstruktionen zurück sowie andererseits auf Formalisierungen, die auf die Generative Grammatik zurück‐ gehen. Konstruktionsgrammatische Strömungen haben sich bislang nicht auf eine einheitliche Terminologie, geschweige denn auf eine einheitliche Formali‐ sierung einigen können. Einige Autor/ -innen schlagen die Verwendung eines offenen Sets an semantischen Rollen vor (u. a. Lasch 2018). Wieder andere, wie Boas et al. (2016), nutzen semantische Frames zur Formalisierung. Uneinigkeit besteht weiterhin in der Frage, ob auf Phrasenstrukturen zurückgegriffen werden sollte und ob Formalisierungen auf formale Kategorien wie Wortarten oder auf funktionale Kategorien wie Subjekt zurückgreifen sollten. Das führt stellenweise zu einer ungünstigen Mischung an formalen und funktionalen Kategorien, wenn es darum geht, bestimmte Eigenschaften lexikalischer spezi‐ fizierter Konstruktionen zu einem Schema zu abstrahieren. Goldberg (2019) beschränkt sich in ihrer Darstellung auf diejenigen Slots, die aus valenzgrammatischer Perspektive plausibel sind. Aus Korpusstudie II meiner Arbeit ist hervorgegangen, dass das ausschließliche Zurückgreifen auf die Argumentstruktur nicht ausreichend ist. Für die lexikalisch spezifizierten Konstruktionen [durch die Gegend laufen/ fliegen] ist neben den Slots für die FIGURE (bei Goldberg: Subjekt) auch der Slot eines Adverbials konstitutiv. Die Darstellung von Goldberg unterschlägt, was Diessel (2017) als item-specific information bezeichnet: Specifically, these researchers suggest that grammatical constructions are emergent from the language users’ experience with strings of lexical tokens and that the cog‐ nitive representations of grammatical structure are often associated with particular lexical expressions. On this view, knowledge of grammar includes a great deal of item-specific information […]. (Diessel 2017: 14) Diese Idee findet sich in leicht modifizierter Form auch bei Boas (2003, 2011), der für lexikalisch spezifizierte Konstruktionen den Terminus Minikonstruktionen vorschlägt. Boas untersucht in einer Reihe von Aufsätzen das Verhalten von Resultativkonstruktionen. Während Goldberg & Jackendoff (2004) die Existenz einer abstrakten Resultativkonstruktion für das Englisch postulieren, um einen Satz wie John coughed the napkin off the table erklären zu können, argumentiert Boas (2011) dagegen: Genauer gesagt: Wenn es eine neue Situation gibt, in der ein Verb wie cough in einer nichtkonventionalisierten Weise verwendet wird, um Bewegung eines Objekts durch Luftausstoß auszudrücken, dann können Sprecher von bereits existierenden konventionalisierten Minikonstruktionen Gebrauch machen, die diese 7.2 Offene Fragen 319 <?page no="320"?> Bedeutung (als Ereignis-Frame dargestellt) bereits konventionalisiert auf der syn‐ taktischen Ebene als [NP V NP PP] realisieren, in diesem Falle blow. Gibt es eine solche prototypische Minikonstruktion, so kann ein Verb wie cough auch mit nichtkonventionalisierten syntaktischen Konstituenten realisiert werden, soweit sich die kontextuellen Gegebenheiten der jeweiligen Situationen zwischen blow und cough ausreichend überlappen (genaue Einzelheiten sind in Boas 2003a, S. 210—211 dargestellt). Der springende Punkt ist, dass im Falle einer analogischen Erweiterung der Bedeutung eines Verbes wie cough die ganze Bandbreite von semantischen, pragmatischen und syntaktischen Restriktionen eines so bereits konventionalisierten Verbs mit übernommen werden. (Boas 2011: 54) Zu ähnlichen Schlüssen kommt auch Cappelle (2014), der die postulierte Pro‐ duktivität von Resultativkonstruktionen des Englischen in Frage stellt. Capelle (2014) argumentiert, die Resultativkonstruktionen seien nicht produktiv, da kreative Verwendungen lediglich durch Analogiebildung bereits etablierter Gebrauchsmuster erklärbar seien. Mit den Aufsätzen im Band Constructions collocations patterns von Schmid et al. (2014) liegen eine ganze Reihe an Studien vor, die eine Kombination aus konstruktionsgrammatischen Ansätzen und korpuslinguistischen Ideen vorschlagen, also das Konzept von Kollokationen in den Fokus rücken. Auch Goldberg selbst greift in Goldberg & Herbst (2021) auf item-specific constructions zurück, betont nun also auch die Bedeutung von lexikalisch spezifizierten Konstruktionen gegenüber (zu) weiten Abstraktionen. Auf Grundlage der bisherigen Ausführungen ist festzuhalten, dass es nicht ausreichend ist, den frequentesten Type einer Konstruktion zu ermitteln, um eine sichere Charakterisierung der semantischen und/ oder pragmatischen Po‐ tentiale vornehmen zu können. Geschuldet ist das in erster Linie der Tatsache, dass Lexemen keine festumrissene Bedeutung inhärent ist, sondern Lexeme außerhalb eines bestimmten Kontextes zunächst lediglich über Bedeutungspo‐ tentiale verfügen (Hanks 1994, 2000, 2013). Sowohl in Korpusstudie I als auch in Korpusstudie II zeigt sich, dass die Semantik von Lexemen wie gehen, laufen oder fliegen in konkreten Konstruktionen in unterschiedlichem Maß verblasst sein kann. Zur Charakterisierung einer Konstruktion müssen daher neben den Lexemen des Verbslots auch weitere Slots berücksichtigt werden. Erst durch die Kollokationsanalysen wurden die spezifischen semantischen und pragmatischen Eigenschaften der Tochterkonstruktionen sichtbar. Die Kollokationsanalysen offenbarten zudem die negative semantic prosody (Sinc‐ lair 1991, Stubbs 1995, Kuznetsova 2015) der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend]. Die analytischen und die konstruktionellen Varianten der Tochterkonstruktionen existieren im Sprachgebrauch parallel, teilen sich 320 7 Diskussion <?page no="321"?> jedoch bestimmte Charakteristika. Die negative semantic prosody ist eine Ge‐ meinsamkeit der Varianten. Selbst wenn in der realisierten Konstruktion kein Negationsmarker erscheint, ist eine negative Konnotation wahrscheinlich, denn die häufige Verwendung von Negationsmarkern hat einen Einfluss auf die von Sprachnutzern vorgenommene Abstraktion und die mentale Repräsentation der Konstruktion. Anstatt von Bedeutung einer Konstruktion, sollte man daher auch bei Kon‐ struktionen von Bedeutungspotentialen sprechen. Das, was Goldberg (2019: 34) unter Meaning fasst, verweist meiner Ansicht nach nicht auf die Bedeu‐ tung einer Konstruktion, sondern auf die wahrgenommene Ereignisstruktur. Die Bedeutung der angeführten lexikalisch spezifizierten Konstruktionen der Goldbergʼschen Beispiele lässt sich nicht auf eine reduktionistische Weise para‐ phrasieren. Wenn wir Form und Bedeutung derart trennen, wie es Abbildung 79 suggeriert, gelangen wir abermals zu einer Dichotomie, die es eigentlich zu überwinden galt. Sprachliche Zeichen sind Symbole und dienen in ihrer spezifischen Ausdifferenzierung der Perspektivierung bestimmter Ereignisse. Die Konstruktionsgrammatik vermag es, diese wichtige Funktion sprachlicher Zeichen zu betonen. Daher ist es besonders wichtig, Ereignisstrukturen und sprachliche Perspektivierung nicht zu konfundieren. Bedeutung ergibt sich in der Interaktion von Sprachnutzern in konkreten Situationen durch die Verwendung konventionalisierter sprachlicher Symbole. 7.2 Offene Fragen 321 <?page no="323"?> Abstract In dieser Dissertation untersuche ich das Verhältnis zwischen sprachlichen Normen und deren Exploitationen am Gegenstand der Bewegungskonstrukti‐ onen im Deutschen. Dabei nutze ich typologische Erkenntnisse zur Versprach‐ lichung von Bewegungsereignissen (Talmy 2000) und bediene mich gleichzeitig den Ansätzen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (Fillmore 1988; Goldberg 1995, 2006). In Anlehnung an die Theory of Norms and Exploitations (Hanks 1994, 2013) sind zwei Korpusstudien konzipiert und durchgeführt worden. Die erste Korpusstudie hat zum Ziel, die prototypischen Versprachlich‐ ungsstrategien deskriptiv darzulegen und nutzt dazu das DWDS-Kernkorpus (1990-1999). Bisherige Arbeiten zum Deutschen konzentrieren sich weitgehend auf sogenannte Geräuschverben in Bewegungskonstruktionen (u. a. Goschler 2011, Engelberg 2009, Welke 2009). Zur Ermittlung der unbekannten Lexeme im Verbslot der Konstruktionen ist ein Bootstrapping-Verfahren entwickelt worden. Die Systematisierung der ermittelten Lexeme im Verbslot erfolgt unter Rückgriff auf die Frame-Semantik (Fillmore 1976, 2014). Ich zeige auf, dass der Verbslot deutscher Bewegungskonstruktionen variabler gefüllt werden kann, als bislang diskutiert. Die zweite Korpusstudie untersucht anhand der teilspezifischen Konstruk‐ tion [durch die Gegend V E R B ], wie sich sprachliche Normen und Exploitationen systematisieren lassen. Die Belege stammen aus dem Korpus DWDS WebXL. Dazu werden Kollokationsanalysen durchgeführt, der Produktivitätswert P (Baayen 1992) ermittelt und zwei Assoziationsmaße (Herbst 2018) berechnet. Die Ergebnisse zeigen, welche Sogwirkung frequente Sprachgebrauchsmuster auf die Versprachlichung ausüben. Statt kürzere, ökonomischer erscheinende Konstruktionen zu nutzen, greifen Sprachnutzer auf diejenigen Konstruktionen zurück, die mit der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ] assoziiert sind, auch wenn diese länger und komplexer sind als mögliche Alternativen (Goldberg 2019). Zudem tendieren sehr frequente Verben dazu, in der Konstruktion semantisch zu verblassen. Die negative Konnotation, die die teilschematische Konstruktion zeigt, lässt sich dadurch erklären, dass [durch die Gegend V E R B ] häufiger als erwartet mit unterschiedlichen Negationsformen verwendet wird. Es lässt sich ein Abfärben beobachten, sodass die Konstruktion auch ohne explizit versprachlichte Negationsmarker oder pejorative Ausdrücke eine negative Lesart evoziert. Die Ergebnisse meiner Dissertation unterstreichen die Relevanz geeigneter statistischer Maße zur Beschreibung und Analyse des <?page no="324"?> menschlichen Sprachgebrauchs (Bybee 2006; Gries 2022). Meine Arbeit reiht sich in die Ergebnisse anderer konstruktionsgrammatischer Arbeiten ein, wirft allerdings auch Fragen bezüglich des angemessenen Grades der Formalisierung und Abstraktion in der Linguistik auf. This dissertation examines the relationship between linguistic norms and their exploitations on the subject of German motion constructions. The thesis is based on the typological concepts of Cognitive Semantics (Talmy 2000). My work builds upon insights from usage-based linguistics and Construction Grammar (Fillmore 1987; Goldberg 1995, 2006). The questions arise about which constructions are used to encode motion events and how productive motion constructions are in the German Language. Recent work for the German motion constructions has mainly focused on emission verbs in some motion constructions (e. g. Goschler 2011, Engelberg 2009, Welke 2009). The first corpus study aims to use frequency data of written German (DWDS-Kernkorpus 1990-1999) to take an inventory of motion constructions and the lexeme in the verb slot. This analysis uses the methodology of boot‐ strapping large corpora and is based on the Theory of Norms and Exploitations (Hanks 1994, 2013). The results show that in the German language, the verb slot of motion constructions can be filled less restrictively than discussed in the literature. Deictic particles and reflexive markers seem to play an important role in the coercion in the motion constructions. The second corpus study is focussing on the partly schematic motion const‐ ruction [durch die Gegend V E R B ] [‘to V E R B around the area’]. The data is based on the corpus DWDS WebXL. The results show how influential very frequent strategies of encoding are. Speakers tend to use more complex constructions even though there are less complex alternatives (Goldberg 2019). Furthermore, highly frequent types show forms of semantic bleaching. Also, the whole construction has a negative semantic prosody (Sinclair 1991). These features of the construction [durch die Gegend V E R B ] can be revealed by using techniques of collocation analysis and statistical procedures such as association measures (Baayen 1992, Herbst 2018). The findings of this dissertation support the claims of usage-based linguistics and CxG. It must be stressed how important statistical measurements are if we want to describe and analyze human language (Bybee 2006, Gries 2022). Questions remain open concerning the right formalization and the adequate degree of abstraction in the work of linguistics. 324 Abstract <?page no="325"?> Anhang Verbliste zum Start des Bootstrapping-Verfahrens bummeln dackeln donnern dotzen drängeln düsen eiern eilen erkunden fahren fallen flanieren fliegen fliehen flitzen folgen galoppieren gehen humpeln hüpfen huschen jagen kehren klettern kommen krabbeln kraxeln kriechen landen latschen laufen marschieren passieren patroullieren pendeln pilgern prallen queren quillen radeln rennen rollen rutschen sausen schlendern schlüpfen schlurfen schreiten schwabbeln schwimmen siedeln sinken spazieren springen stapfen starten steigen stiefeln stolpern strampeln stürmen stürzen tänzeln tanzen tapsen taumeln <?page no="326"?> torkeln traben treten trippeln trotten turnen verfolgen verlassen verschwinden wandern wanken werfen wimmeln wuseln ziehen 326 Anhang <?page no="327"?> Literatur Ágel, Vilmos. 1991. LEXIKALISCHE ELLIPSEN. 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Strukturähnlichkeit-82 Aktionsart-49, 190, 192, 265, 304 Akzeptabilität-141, 151, 271, 312 Analogie 80, 82 f., 94, 98, 108, 135, 137, 157, 243, 256, 292 Arbitrarität-72, 85, 93 Argumentstrukturkonstruktion-22, 81, 110-113, 118 f., 121, 137, 201 f. Assoziationsmaß-272, 306 f., 316 attraction-272 reliance-272 Automatisierung-80, 83 Bedeutungspotential-92, 204, 320 von Konstruktionen-300, 321 Bewegungsframe-20, 236 f., 239, 255, 258, 264 Bewegungsverb 20, 22, 32, 50, 54, 143, 145, 147, 151 f., 172, 253, 298, 313 Bootstrapping-171, 173, 175 Chunk-67, 81, 240 Chunking-80 f. Coercion-119 f., 136, 158, 305 Co-Event-43, 45, 56 f., 158, 246, 249-253, 309 Cognitive Construction Grammar-102, 106 collostructional analysis-270 f. conflation-45 Construction Grammar-78, 99 corpus based-165 corpus driven-165 Deixis-53, 55 f. Direktional-30 f. Distributionshypothese-73 Ditransitivkonstruktion-133 f. Effizienz-87 Ellipse-80, 145, 150 ff., 159 Emergenz-95 Entrenchment-83, 110, 257, 316 Token-Entrenchment-136 Type-Entrenchment-136 Event-26 Exploitation-16, 18, 23, 236, 246, 258, 273, 287 f., 302, 305, 308, 314 Expressivität-87 f. Familienähnlichkeit-101, 127, 183 Figure-17 f., 27 f., 35, 43 f., 198, 236 f., 266, 292 Filler-Slot Relationen-97 frame element-131, 193 framing typology-25, 39, 42 Fuzzylogik-60 f. generische Verben-54 Geräuschverb-56, 143, 145, 147, 150, 155, 157, 249, 253 Grammatikalisierung-51, 83, 95, 183, 197 Ground-17, 27, 35, 49, 66, 198 Hapax Legomenon-116 Hapax-Token-Ratio (HTR)-273 <?page no="349"?> Idiom-81, 95, 99 ff., 136, 194 Idiosynkrasie-20, 23, 93, 99, 148, 265, 287 Inferenz-81, 98, 113, 121, 128 intentional motion-30, 195 ITECX1-272, 282, 306, 313 ITECX2-272, 282, 285, 307, 313 items in construction-272 Kappa-Koeffizient-184, 259 f. kausative Konstruktion-153, 167 Kodierung-154, 181, 184, 196, 260 Kollisionsverb-249 Kollokation-73, 172 f., 261, 288 f., 300, 315, 320 Komplexverb-48, 50, 55 f., 249, 302 Kompositionalität 56, 70, 80 f., 93, 101, 104, 111, 120, 142, 144, 149, 255, 297, 300 Konstruktikon 19 f., 98, 109 f., 135, 152, 293 Konventionalität 17, 48 f., 60, 71, 84 f., 109, 111, 129, 253, 321 Kopulaverb-151, 157, 159 Kreativität-115, 157, 267 langue-15, 62, 78, 86, 88, 164 let-alone-Konstruktion-100 f., 103 lexical unit-131, 193 Lexikalisierung-52, 56, 137, 191, 248 Location-28, 31 Manner-18, 27, 42 f., 46 f., 51, 53, 55-58, 144, 247 Modalkonstruktion-238 ff., 242, 256, 304, 311 Motiviertheit-173, 273 Neologismus-91, 247, 287 Nesting-18, 59, 252 Netzwerk-78, 95 ff., 108 ff., 126, 152, 159, 293, 299 Ökonomie-16, 27, 87, 315, 323 parole-15, 62, 78, 86, 88, 164 Partikel-41, 47 f., 52, 65, 149, 239, 290, 294, 305 Partikelverb-48 f., 65, 120, 156, 194, 212, 236, 256, 304 f. Patiens-37 f., 242 f. Performanz-62, 76 ff., 100 Perspektivierung-18, 48, 54, 56, 86, 188, 236, 243, 253, 292, 313, 315, 321 Positionsverb-37 Precision-174 ff., 179, 258 Preemption-122, 137, 313 Priming-80, 84, 292 Productivity- Expanding Productivity-116 Potential Productivity-116 Realized Productivity-116 Produktivitätsindex-117, 121, 204, 207, 209, 211, 216, 218, 258, 286 Prototypeneffekt-61 Prototypentheorie-75, 92 Radical Construction Grammar-106, 108 Recall-174 f., 179, 258, 306 Redundanz-77, 84, 305 Referenzpunkt-54 Register-64, 164, 167 f., 254, 315 Request-252, 309 Salienz-248, 307, 316 Satellite-41, 44, 66, 140 Schematizität-19, 111, 118, 120, 135 self-contained motion-28 semantische Prosodie-290, 297, 300 semantische Relationen-70, 136 there-Konstruktion-102 f. Thinking for Speaking-Hypothese-46 translational motion-28 Type-Token-Ratio-185, 202, 273, 285 Usage-based linguistics-16, 21, 78 Valenzerhöhung-50, 120 Valenzgrammatik-111, 123 f., 292 Variabilität-18, 47, 121 f., 157, 263 ff., 268, 309 Register 349 <?page no="350"?> Vererbung-109 f., 186 way-construction-143 Wortart-41, 100, 106, 170, 319 Wortprofilanalyse-172 Zeichenbegriff-103 Zipf ’sche Verteilung-258, 286 350 Register <?page no="351"?> Abbildungsverzeichnis Abbildung 1. Klassifikation von Bewegungsereignissen durch eine distinktive Merkmalsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Abbildung 2. Perspektive der framing typology und der actuating typology im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Abbildung 3. V-framed und S-framed Konstruktionen des Deutschen im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Abbildung 4. Grammatikalisierung von direktionalen Konstruktionen des Französischen aus Kopecka (2008: 18). . . . . . . . . . . . . . . 51 Abbildung 5. Lexikalisierungspfad von Szu V-Sprachen (Goschler & Stefanowitsch 2010: 112). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Abbildung 6. Lexikalisierungspfad innerhalb des Deutschen (Goschler & Stefanowitsch 2010: 113) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Abbildung 7. Kategorisierung von Phonen zum Phonem. . . . . . . . . . . . . . 81 Abbildung 8. Objektähnlichkeit und Strukturähnlichkeit nach Diessel (2019: 33). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Abbildung 9. Das wirkliche Sprechen, die Norm und das System aus Coseriu (1975 [1952]: 86). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 Abbildung 10. Lexikon-Grammatik-Kontinuum und das Kompositionalitätsprinzip nach Lehmann (2021, www.chris tianlehmann.eu/ ling/ lg_system/ sem/ index.html? https: / / w ww.christianlehmann.eu/ ling/ lg _system/ sem/ kompositionalitaet_ganzheitlichkeit.html). . . . . . . . . . . . . . . 94 Abbildung 11. Die Konstruktion als Form-Bedeutungspaar bei Lakoff (1987). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Abbildung 12. Konstruktionen als Form-Bedeutungspaare nach Croft & Cruse (2004) sowie Ziem & Lasch (2013: 14). . . . . . . . . . . . . 105 Abbildung 13. Die caused-motion Konstruktion nach Goldberg (1995: 54). 113 Abbildung 14. Fusion der caused-motion construction mit dem Verb ‚sneeze‘ aus Goldberg 1995: 54. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abbildung 15. Fusion der caused-motion construction mit dem Verb ‚put‘ aus Goldberg (1995: 52). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Abbildung 16. Fusion der Ditransitivkonstruktion mit dem Verb ‚stricken‘ nach Lasch (2019: Folie 34). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Abbildung 17. Token/ Frame-Distribution aus Guse (2018). . . . . . . . . . . . . . 154 Abbildung 18. Type/ Frame-Distribution aus Guse (2018). . . . . . . . . . . . . . . 155 <?page no="352"?> Abbildung 19. Bootstrappingverfahren zur Erstellung der Suchanfragen. . 171 Abbildung 20. Verteilung der Bewegungsereigniskategorien im Sample von Korpusstudie I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Abbildung 21. Absolute Häufigkeiten der Bewegungsereignisse, aufgeschlüsselt nach Genre. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Abbildung 22. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kategorie faktive Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Abbildung 23. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Tris Legomena, Dis Legomena und Hapax Legomena. 203 Abbildung 24. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse. . . 205 Abbildung 25. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Tris Legomena, Dis Legomena und Hapax Legomena. 206 Abbildung 26. Frames und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse. . . 208 Abbildung 27. Types und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen faktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . 209 Abbildung 28. Frames und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktion faktiver Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 Abbildung 29. Types und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstruktion faktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Abbildung 30. Frames und absolute Häufigkeiten der reflexiven Konstruktion faktiver Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . 212 Abbildung 31. Types und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abbildung 32. Hapax Legomena der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abbildung 33. Frames und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen faktiver Bewegungsereignisse. . . 214 Abbildung 34. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kategorie fiktive Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 352 Abbildungsverzeichnis <?page no="353"?> Abbildung 35. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion fiktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Abbildung 36. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion fiktiver Bewegungsereignisse. . . . 217 Abbildung 37. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion fiktiver Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Abbildung 38. Frames und absolute Häufigkeiten transitiver Bewegungskonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . 219 Abbildung 39. Types und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Abbildung 40. Frames und absolute Häufigkeiten der Passivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . . . . 221 Abbildung 41. Types und absolute Häufigkeiten von Reflexivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . . 222 Abbildung 42. Frames und absolute Häufigkeiten von Reflexivkonstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . . 222 Abbildung 43. Types und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . 223 Abbildung 44. Frames und absolute Häufigkeiten der AKK ADV -Konstruktionen fiktiver Bewegungsereignisse. . . 223 Abbildung 45. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kategorie metaphorische Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 Abbildung 46. Types und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion metaphorischer Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . 225 Abbildung 47. Frames und absolute Häufigkeiten der intransitiven Bewegungskonstruktion metaphorischer Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 Abbildung 48. Types und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion metaphorischer Bewegungsereignisse, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . 227 Abbildung 49. Frames und absolute Häufigkeiten der transitiven Bewegungskonstruktion metaphorischer Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 Abbildungsverzeichnis 353 <?page no="354"?> Abbildung 50. Types und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Abbildung 51. Frames und absolute Häufigkeiten der reflexiven Bewegungskonstruktionen metaphorischer Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 Abbildung 52. Absolute Häufigkeiten der Argumentstrukturkonstruktionen der Kategorie körperassoziierte Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Abbildung 53. Types und absolute Häufigkeiten reflexiver Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . 232 Abbildung 54. Types und absolute Häufigkeiten transitiver Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse. . 233 Abbildung 55. Types und absolute Häufigkeiten intransitiver Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse. . 234 Abbildung 56. Types und absolute Häufigkeiten passiver Konstruktionen körperassoziierter Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . . . . . 235 Abbildung 57. Lexeme der Verbslots von Modalkonstruktionen, ohne Hapax Legomena. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Abbildung 58. Modalkonstruktionen mit und ohne Besetzung des Infinitivslots im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Abbildung 59. Vergleich der potenziellen Infinitivslotbesetzung, aufgeschlüsselt nach Modalverben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 Abbildung 60. Absolute Häufigkeit der P ATH -Elemente bei Modalkonstruktionen ohne Besetzung des Infinitivslots. . . 241 Abbildung 61. Absolute Häufigkeiten reflexiver Verben und der endoreflexiven Konstruktion im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . 244 Abbildung 62. Ausschnitt aus einem Netzwerk an Bewegungskonstruktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Abbildung 63. Verteilung nach Teilkorpora. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Abbildung 64. Tokens des Verbslot der faktiven BE für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 Abbildung 65. Tokens des Verbslot der metaphorischen Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 Abbildung 66. Tokens des Verbslot der fiktiven Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . 278 354 Abbildungsverzeichnis <?page no="355"?> Abbildung 67. Tokens des Verbslot der körperassoziierten Bewegungsereignisse für die Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Abbildung 68. Paretodiagramm für die Type/ Token-Verteilung der faktiven Bewegungsereignisse der Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Abbildung 69. ITECX 2 -Werte der Types faktiver Bewegungsereignisse. . . 285 Abbildung 70. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend laufen]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Abbildung 71. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fahren] 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Abbildung 72. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fahren] 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Abbildung 73. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fliegen] 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 Abbildung 74. Funktions-Form-Set der Konstruktion [durch die Gegend fliegen] 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Abbildung 75. Erweiterter Ausschnitt aus einem Netzwerk verwandter Bewegungskonstruktionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 Abbildung 76. Frames der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend V E R B ]. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 Abbildung 77. Die Besetzung des Infinitivslots der Modalverben müssen und sollen im Vergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Abbildung 78. Tokenzahl der Verben gehen und laufen in der teilschematischen Konstruktion [durch die Gegend]. . . . . . 313 Abbildung 79. Darstellung verschiedener Bewegungskonstruktionen nach Goldberg (2019: 34). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Abbildungsverzeichnis 355 <?page no="357"?> Tabellenverzeichnis Tabelle 1. Systematisierung von Bewegungsereignissen nach Talmy (2005a: 25). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Tabelle 2. Begriffsbestimmungen von Bewegungsereignissen. . . . . . . . . . 29 Tabelle 3. Unterschiede zwischen syntaktisch und semantisch motivierter Terminologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Tabelle 4. Subklassen fiktiver Bewegung (Talmy 2017), Adaption für das Deutsche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Tabelle 5. Bewegungsereignisse und deren Definitionen. . . . . . . . . . . . . . 38 Tabelle 6. Typologische Klassifikation nach Talmy (1985: 75, 2000: 222). 40 Tabelle 7. Verwendungen von COME und GO nach Wälchli (2008: 311). 54 Tabelle 8. Co-Events nach Talmy 2017, Adaption für das Deutsche. . . . . 57 Tabelle 9. Merkmalssemantische Analyse des Wortfeldausschnittes G E WÄS S E R . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 Tabelle 10. Relationen nach Diessel (2019), illustriert anhand von Beispielen der vorliegenden Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Tabelle 11. Auswahl an Konstruktionen in Anlehnung an Ziem & Lasch (2013: 19). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Tabelle 12. Produktivität in Morphologie und Syntax, nach Zeldes (2012: 25). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Tabelle 13. TTR ausgewählter Frames aus Guse (2018). . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Tabelle 14. Analytische Aspekte von Text und Korpus im Vergleich (vgl. Tognini-Bonelli 2001: 3). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Tabelle 15. Registerverteilung des DWDS-Kernkorpus (1900-1999). . . . . . 168 Tabelle 16. Zusammensetzung des DWDS-Kernkorpus (1900-1999). . . . . 169 Tabelle 17. DWDS-Wortprofil für „rennen“, erstellt durch das Digitale Wörterbuch der . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Tabelle 18. Beispielhafte Systematisierung der extrahierten Kollokationen. 173 Tabelle 19. Klassische binäre Kontingenztabelle (verändert nach Powers 2020: 38). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 Tabelle 20. Suchanfragen zu Korpusstudie I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Tabelle 21. Treffermengen und Stichproben der Korpusstudie I. . . . . . . . . 180 Tabelle 22. Metadaten in Korpusstudie I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 Tabelle 23. Kategorien der manuellen Annotation in der Übersicht . . . . . . 184 Tabelle 24. Aktionsarten nach Hentschel & Weydt (2013: 35-36). . . . . . . . 190 Tabelle 25. Ausprägungen des Reflexivmarkers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 <?page no="358"?> Tabelle 26. Absolute Häufigkeiten reflexiver Verben und endoreflexiver Konstruktionen, aufgeschlüsselt nach Bewegungsereignis. . . . 245 Tabelle 27. Co-Events in einer sprachvergleichenden Übersicht. . . . . . . . . 253 Tabelle 28. Metadaten des Korpus DWDS WebXL. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Tabelle 29. Manuelle Annotation der Belege aus Korpusstudie II. . . . . . . . 269 Tabelle 30. Kreuztabelle einer collostructional analysis (vgl. Schmid & Küchenhoff 2013: 534) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Tabelle 31. Absolute Häufigkeiten und Beispiel unterschiedlicher Bewegungsereignisse aus Korpusstudie II. . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Tabelle 32. ITECX 1 - und ITECX 2 -Werte für faktive Bewegungsereignisse (*-=-ITECX2-Werte > als Ø = 0,007128). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 Tabelle 33. Systematisierte Darstellung der Adverbiale aus 35 randomisiert gewählten Belegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tabelle 34. Systematisierte Darstellung der Adverbiale aus 35 zufällig gewählten Belegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Tabelle 35. Kollokationen für [durch die Gegend fahren], erstellt mit WordSmith (Scott 2020). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Tabelle 36. Types und Tokens fiktiver Bewegungsereignisse. . . . . . . . . . . . 301 Tabelle 37. Co-Events des Deutschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 358 Tabellenverzeichnis <?page no="359"?> TÜBINGER BEITRÄGE ZUR LINGUISTIK (TBL) Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ linguistik-kat/ linguistikreihen-kat? ___store=narr_starter_de 559 Tingxiao Lei Definitheit im Deutschen und im Chinesischen 2017, 228 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8092-4 560 Fabienne Scheer Deutsch in Luxemburg Positionen, Funktionen und Bewertungen der deutschen Sprache 2017, 416 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8097-9 561 Wolfgang Dahmen, Günter Holtus, Johannes Kramer, Michael Metzeltin, Claudia Polzin- Haumann, Wolfgang Schweickard, Otto Winkelmann (Hrsg.) Sprachkritik und Sprachberatung in der Romania Romanistisches Kolloquium XXX 2017, 427 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8104-4 562 Martina Zimmermann Distinktion durch Sprache? Eine kritisch soziolinguistische Ethnographie der studentischen Mobilität im marktwirtschaftlichen Hochschulsystem der mehrsprachigen Schweiz 2017, 304 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8144-0 563 Philip Hausenblas Spannung und Textverstehen Die kognitionslinguistische Perspektive auf ein textsemantisches Phänomen 2018, 256 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8155-6 564 Barbara Schäfer-Prieß, Roger Schöntag (Hrsg.) Seitenblicke auf die französische Sprachgeschichte Akten der Tagung Französische Sprachgeschichte an der Ludwig-Maximilians- Universität München (13. - 16. Oktober 2016) 2018, 558 Seiten €[D] 128,- ISBN 978-3-8233-8118-1 565 Vincent Balnat L’appellativisation du prénom Étude contrastive allemand-français 2018, 298 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8185-3 566 Silvia Natale Informationsorganisation und makrostrukturelle Planung in Erzählungen Italienisch und Französisch im Vergleich unter Berücksichtigung bilingualer SprecherInnen 2018, 212 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8209-6 <?page no="360"?> 567 Ilona Schulze Bilder - Schilder - Sprache Empirische Studien zur Text-Bild-Semiotik im öffentlichen Raum 2019, 227 Seiten €[D] 59,- ISBN 978-3-8233-8298-0 568 Julia Moira Radtke Sich einen Namen machen Onymische Formen im Szenegraffiti 2020, 407 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8330-7 571 Melanie Kunkel Kundenbeschwerden im Web 2.0 Eine korpusbasierte Untersuchung zur Pragmatik von Beschwerden im Deutschen und Italienischen 2020, 304 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8364-2 573 Mario Franco Barros Neue Medien und Text: Privatbrief und private E-Mail im Vergleich 2020, ca. 750 Seiten €[D] 119,90 ISBN 978-3-8233-8377-2 574 Sofiana Lindemann Special Indefinites in Sentence and Discourse 2020, 250 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8381-9 575 Junjie Meng Aufgaben in Übersetzungslehrbüchern Eine qualitative und quantitative Untersuchung ausgewählter deutschchinesischer Übersetzungslehrbücher 2020, 206 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-8382-6 576 Anne-Laure Daux-Combaudon, Anne Larrory- Wunder (Hrsg.) Kurze Formen in der Sprache / Formes brèves de la langue Syntaktische, semantische und textuelle Aspekte / aspects syntaxiques, sémantiques et textuels 2020, 392 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8386-4 577 Bettina Eiber Wikipedia und der Wandel der Enzyklopädiesprache Ein französisch-italienischer Vergleich 2020, 473 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8407-6 578 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Fachbewusstsein der Romanistik Romanistisches Kolloquium XXXII 2020, 327 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8418-2 579 Lidia Becker, Julia Kuhn. Christina Ossenkop, Anja Overbeck, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti (Hrsg.) Romanistik und Wirtschaft Romanistisches Kolloquium XXXIII 2020, 274 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8420-5 580 Claudia Schweitzer Die Musik der Sprache Französische Prosodie im Spiegel der musikalischen Entwicklungen vom 16. bis 21. Jahrhundert 2021, 201 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8493-9 <?page no="361"?> 581 Roger Schöntag Das Verständnis von Vulgärlatein in der Frühen Neuzeit vor dem Hintergrund der questione della lingua Eine Untersuchung zur Begriffsgeschichte im Rahmen einer sozio- und varietätenlinguistischen Verortung: Die sprachtheoretische Debatte zur Antike von Leonardo Bruni und Flavio Biondo bis Celso Cittadini (1435-1601) 2022, 763 Seiten €[D] 138,- ISBN 978-3-8233-8540-0 582 Lea Schäfer Onymische Flexion Strukturen und Entwicklungen kontinentalwestgermanischer Dialekte 2021, 486 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-8233-8521-9 583 Sarah Brommer, Kersten Sven Roth, Jürgen Spitzmüller (Hrsg.) Brückenschläge Linguistik an den Schnittstellen 2022, 324 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8518-9 584 Mohcine Ait Ramdan Konzeptualisierung von Konkreta und Abstrakta Eine kulturorientierte, kognitionslinguistische Vergleichsstudie zwischen dem Deutschen, dem Arabischen und dem Französischen 2022, 245 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8556-1 585 Steffen Hessler Autorschaftserkennung und Verstellungsstrategien Textanalysen und -vergleiche im Spektrum forensischer Linguistik, Informationssicherheit und Machine-Learning 2023, 426 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8561-5 586 Jakob Wüest Une histoire des connecteurs logiques Causalité, argumentation, conséquence, finalité et concession 2023, 319 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8615-5 587 Bin Zhang Metapherntheorie und Konstruktionsgrammatik Ein vierdimensionaler Ansatz zur Analyse von Metaphern und metaphorischen Konstruktionen 2023, 410 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8614-8 588 Maria Schädler Die Proposition mit Kopula Urteilscharakter, logisch-semantische Valenz und formalisierte Sprache 2023, 872 Seiten €[D] 118,- ISBN 978-3-381-10781-0 589 Eva Lavric, Gerhard Pisek (eds.) Language and Football 2024, ca. 350 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8624-7 590 Laura Guse Bewegungskonstruktionen des Deutschen Korpusstudien zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive 2024, 358 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-381-11031-5 <?page no="362"?> www.narr.de TBL Tübinger Beiträge zur Linguistik Der Band zeigt anhand zweier Korpusstudien erstmals eine Bandbreite von Verben, die in Bewegungskonstruktionen des Deutschen au reten können und kontrastiert diese Daten zu Versprachlichungsstrategien des Englischen und Schwedischen. Der Fokus wird auf bislang wenig systematisch erhobene Versprachlichungsstrategien gerichtet, wie etwa re exive Konstruktionen (Sie kichern sich frisch verliebt durch die Gegend) oder Modalkonstruktionen (Sie wollen nach Hamburg). Aus Perspektive der Konstruktionsgrammatik wird die theoretische Frage aufgeworfen, wie die verschiedenen Konstruktionen auf dem Kontinuum zwischen Kompositionalität und Idiomatik zu verorten sind. 590 Guse Bewegungskonstruktionen des Deutschen Bewegungskonstruktionen des Deutschen Korpusstudien zur Versprachlichung von Bewegungsereignissen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive Laura Guse ISBN 978-3-381-11031-5