KI in der Projektwirtschaft 2
Eine neue Ära der Effizienz und Innovation
0923
2024
978-3-3811-1142-8
978-3-3811-1141-1
UVK Verlag
Christian Bernerthttps://orcid.org/0000-0002-5869-5146
Steffen Scheurer
Harald Wehnes
10.24053/9783381111428
Dieser Band zeigt, wie KI die Projektwirtschaft verändert und welche Potenziale in der Projektarbeit damit gehoben werden können. Mit den Schwerpunktthemen KI-Einsatz in der PM-Forschung, im Projekt- und Projektportfoliomanagement, in der Mustererkennung und im Rollenwandel im Projektumfeld liegt der Fokus auf konkreten Anwendungen.
Wie bei jeder Einführung einer neuen Technologie gilt es, zunächst die Kernfrage zu klären: Was will ich mit Hilfe von KI konkret erreichen? In der Regel muss die Unternehmensstrategie neu ausgerichtet werden. Um erfolgreich zu sein, bedarf es auch einer KI-Readiness.
Auch hierfür bietet der Band wertvolle Hilfestellungen und zeigt die Bedeutung neuer Berufsbilder und Rollen auf, wie z.B. Datenanalysten für Projekte, KI-Strategen oder spezialisierte KI-Trainer. Besonders wichtig ist die Aus- und Weiterbildung, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit auf die KI-Reise zu nehmen.
Als besonders innovatives Anwendungsfeld von KI in der Projektwirtschaft wird der Bereich "Early Warning Systems" gesehen, in dem durch Mustererkennung gezieltes präventives Handeln ermöglicht und damit bessere Projektergebnisse erzielt werden können.
<?page no="0"?> EIN BAND AUS DER GPM-REIHE PROJEKTMANAGEMENT NEU DENKEN GPM TREND Layout Layout Dieser Band zeigt, wie KI die Projektwirtschaft verändert und welche Potenziale in der Projektarbeit damit gehoben werden können. Mit den Schwerpunktthemen KI-Einsatz in der PM- Forschung, im Projekt- und Projektportfoliomanagement, in der Mustererkennung und im Rollenwandel im Projektumfeld liegt der Fokus auf konkreten Anwendungen. Wie bei jeder Einführung einer neuen Technologie gilt es, zunächst die Kernfrage zu klären: Was will ich mit Hilfe von KI konkret erreichen? In der Regel muss die Unternehmensstrategie neu ausgerichtet werden. Um erfolgreich zu sein, bedarf es auch einer KI-Readiness. Auch hierfür bietet der Band wertvolle Hilfestellungen und zeigt die Bedeutung neuer Berufsbilder und Rollen auf, wie z. B. Datenanalysten für Projekte, KI-Strategen oder spezialisierte KI-Trainer. Besonders wichtig ist die Aus- und Weiterbildung, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit auf die KI-Reise zu nehmen. Als besonders innovatives Anwendungsfeld von KI in der Projektwirtschaft wird der Bereich „Early Warning Systems“ gesehen, in dem durch Mustererkennung gezieltes präventives Handeln ermöglicht und damit bessere Projektergebnisse erzielt werden können. ISBN 978-3-381-11141-1 Bernert / Scheurer / Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Christian Bernert / Ste en Scheurer / Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Eine neue Ära der E izienz und Innovation <?page no="1"?> Herausgegeben von der PROJEKTMANAGEMENT NEU DENKEN Die Autor: innen der Reihe Projektmanagement neu denken zeichnen sich durch einen hohen Erfahrungsschatz in der Projektmanagementpraxis und fundierte Kenntnisse der Theorien in diesem Themengebiet aus. In den Bänden werden insbesondere neue Fachthemen und neue Herangehensweisen behandelt. Dabei steht der konkrete Nutzen für die praktische Anwendung im Vordergrund. Leser: innen dürfen sich sowohl auf einen Wissenszuwachs als auch Tipps für den Praxisalltag freuen. <?page no="3"?> Christian Bernert / Steffen Scheurer / Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Eine neue Ära der Effizienz und Innovation <?page no="4"?> DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381111428 © UVK Verlag 2024 ‒ Ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2748-4629 ISBN 978-3-381-11141-1 (Print) ISBN 978-3-381-11142-8 (ePDF) ISBN 978-3-381-11143-5 (ePub) Umschlagmotiv: © dem10 · iStockphoto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® <?page no="5"?> 13 1 15 2 27 3 37 4 51 5 61 6 73 7 83 91 8 93 9 103 10 113 Inhalt Teil A: -Branchenübergreifender KI-Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs | Sabine Jaritz, Susanne Marx Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI | Frank Thurner, Peter Stirnweiß . . . . . . . . . . . Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen | Marco Schlimpert, Moritz Schirmer, Bernd Linder-Hofmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung | Nicole Schelter; Dirk Veiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen | Elaheh Nabati, Luciana Kröseler, Frank Pfirmann, Noah Sentürk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen | Irene Teich, Peter Schnupp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? | Annika Günther . . . . . . . Teil B: Branchenspezifischer KI-Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus | Martin Barth, Margit Sarstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen | Martin Holland, Johannes Lützenberger, Josip Stjepandić . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte | Miriam Sasse, Christoph Wegener, Constantin Kauffmann . . <?page no="6"?> 11 123 12 131 13 141 14 151 15 161 16 173 187 17 189 18 201 19 211 20 221 21 231 Effizientes und modernes Software-Testing der Zukunft: Der BTC-BugBusterBot | Björn Friedrich, Coline Rabsilber, Dennis Mildslaff, Irmtraud Behrens, Olga Kolov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele, wie KI Studierende projektorientiert unterstützt und befähigt | Claudia Bornemeyer, Beate Gleitsmann, Silke Schönert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung, Effizienzsteigerung und Innovation einer Zukunftsbranche | Klaus Kilvinger; Thomas Salvador . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Automatisierte Analysen von MRT-Bildern | Hendrik Nolte, Philip Langer, Julian Kunkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen | Stefanie Mühlhausen, Felix Kegel, Till Ole Diesterhöft, Claudia Niederée, Bart Jan de Noord, Bodo Rosenhahn, Lutz Kolbe, Julian Kunkel . . . . . . . . . . KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie: Leistung und Effizienz, Herausforderungen und ethische Aspekte | Siegfried Zürn, Karin Melzer, Senem Özdemir . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil C: -Weitere praktische Anwendungsfälle von KI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . KI braucht Agilität - Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement | Miriam Sasse, Joachim Pfeffer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten vor dem Hintergrund wachsender EU-weiter regulatorischer Anforderungen | Michael Martin, Ann-Kathrin Strutzenberger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen in den Bereichen Projektmanagement und Entwicklung | Thomas Schlereth, Cornelia Düran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . MLOps in der Projektpraxis | Andreas Mäder, Arindam Chakraborty . . . . . . Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten | Michael Boxheimer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt <?page no="7"?> 22 239 23 249 267 24 269 25 283 26 295 27 305 317 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement auf Grundlage eines multimodalen Large Language Models im regulierten und lokalen Betrieb | Michael Jentgens, Christian Bernert, Andre Büsgen, Bodo Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht | Sibylle Schmidtke, Julia Hartenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil D: -Rollenveränderung im Projektmanagement durch KI . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rollenbilder und KI | Andreas Nachbagauer, Gerhard Ortner . . . . . . . . . . . . . Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für die Funktion und Rollenverständnis des Projektmanagers | Martin Bialas . . . . . . . . . . . . . Talentstrategien für die Zukunft von Projekten | Miriam Sasse . . . . . . . . . . MitarbeiterInnen-Partizipation und KI | Knut Stang, Elaheh Nabati . . . . . . . Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 <?page no="9"?> Vorwort Die Reise durch die faszinierende Welt der Künstlichen Intelligenz und des Projektma‐ nagements geht weiter. In einer Ära, in der Innovationen unaufhörlich voranschreiten und die Grenzen des Machbaren ständig neu definiert werden, öffnet sich vor uns ein unermessliches Terrain an Möglichkeiten. Dieser Folgeband, „KI in der Projekt‐ wirtschaft“, baut auf dem vorherigen Band auf und führt uns weiter in verschiedene Anwendungsbereiche. Der erste Abschnitt, „Branchenübergreifender KI-Einsatz“, beschreibt verschiedene Kontexte in denen Künstliche Intelligenz zum Einsatz gebracht werden kann, während der zweite Abschnitt sich dann den Einsatzfeldern in verschiedenen Branchen widmet. Der Bogen wird gespannt von Industrieüber Bauanwendungen hin zur Softwarein‐ dustrie und dem Einsatz in der Medizin. Damit wird anhand meist praxisgeleiteter Beiträge ein weites Feld aufgespannt und gezeigt, dass es sich bei Künstlicher Intelli‐ genz eben nicht um eine Spielwiese von IT-Experten, sondern um ein Technologiefeld handelt, das in den nächsten Jahren unser gesamtes Wirtschaftssystem durchdringen und nachhaltig verändern wird. Diese Beobachtung wird durch die Darstellung weite‐ rer praktischer Anwendungsfälle in Abschnitt III weiter verfestigt. Dem Umstand, dass sich diese umwälzende Veränderung nicht zuletzt in Verände‐ rungen des Rollenverständnisses und des Berufs von Projektmanagern niederschlägt, trägt der letzte Abschnitt Rechnung, in dem Beiträge zusammengefasst sind, die sich den Auswirkungen der KI auf den Arbeitsmarkt im Projektmanagement widmen. Dass es dabei vor allem um die Nutzung der Chancen geht, die Künstliche Intelligenz bietet und nicht die zweifelsohne bestehenden Risiken in den Vordergrund gestellt werden, davon ist dieser Band insgesamt geprägt. Möge er Sie inspirieren, ermutigen und befähigen, die Chancen der KI im Projektmanagement voll auszuschöpfen und so einen nachhaltigen Einfluss auf die Zukunft Ihrer Projekte und Organisationen zu gestalten. Prof Dr Peter Thuy Präsident der GPM - Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e.V. Nürnberg, im Mai 2024 <?page no="11"?> Prolog der Herausgeber Wir stehen an einem spannenden Wendepunkt in der Anwendung künstlicher Intelli‐ genz. Nach einer anfänglichen Phase, die von überschwänglichem Optimismus und weitreichenden Versprechungen geprägt war, ist es nun an der Zeit, eine realistischere Perspektive einzunehmen. In diesem Buch präsentieren wir Ihnen den aktuellen Stand der KI-Technologien, abgestimmt auf die praktischen Anforderungen der Projektwirt‐ schaft. Ziel des Band 2 ist es, die Lücke zwischen dem ersten Hype und den Erfahrungen aus tatsächlich realisierten Projekten zu schließen. Der Einsatz von KI in verschiedenen Branchen hat gezeigt, dass eine gründliche Planung unerlässlich ist, um den vollen Nutzen dieser Technologie zu erschließen und gleichzeitig Enttäuschungen zu vermeiden. Viele multinationale Unternehmen haben dies erkannt und bereits spezialisierte AI-Abteilungen etabliert, die sich der Integration und Optimierung von KI-Systemen widmen. Diese Firmen nutzen KI, um globale Prozesse zu vereinheitlichen, Innovationen voranzutreiben und einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil zu erzielen. Dabei gewinnt die Datensouveränität und die strikte Einhaltung der DSVGO immer mehr an Bedeutung. Viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) erkennen zwar das Potenzial der KI, verfügen jedoch oft nicht über die erforderlichen Ressourcen, um eigene AI-Abteilungen zu gründen oder umfangreiche KI-Projekte eigenständig zu managen. Dieses Buch richtet sich daher auch speziell an KMUs, um ihnen praktische Hilfestellungen und bewährte Methoden anzubieten, die den Einstieg in und den Umgang mit KI-Technologien erleichtern. In diesem Sinne gliedern wir den Inhalt unseres Buches in vier zentrale Kategorien: den bran‐ chenübergreifenden Einsatz von KI, den branchenspezifischen Einsatz, weitere praktische Anwendungsfälle von KI und die Rollenveränderungen im Projektmanagement durch KI. Diese Abschnitte bieten eine umfassende Darstellung der Vielseitigkeit und Anpassungs‐ fähigkeit von KI-Technologien und geben Einblick in die spezifischen Herausforderungen und Chancen, die sie für Unternehmen unterschiedlicher Größe mit sich bringen. In den Abschnitten zu branchenspezifischen und weiteren praktischen Anwendun‐ gen zeigen wir auf, wie KI in verschiedenen Kontexten genutzt wird und welche strategischen Überlegungen KMUs vor dem Einsatz anstellen sollten. Der Abschnitt zu den Rollenveränderungen im Projektmanagement durch KI bietet ebenfalls wertvolle Erkenntnisse darüber, wie sich Führungskompetenzen und Teamdynamiken anpassen müssen, um die neuen technologischen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Wir hoffen, Ihnen mit diesem Buch nicht nur fundiertes Wissen zu vermittelt, son‐ dern Sie auch zu inspirieren, die Herausforderungen und Chancen der KI zu erkennen und zu nutzen. Tauchen Sie mit uns ein in die faszinierende Welt der Künstlichen Intelligenz in der Projektwirtschaft und lernen Sie, wie Sie diese bahnbrechende Technologie erfolgreich in Ihren Projekten und Organisationen einsetzen können. Prof. Dr. Harald Wehnes, Prof. Dr. Steffen Scheurer, Christian Bernert <?page no="13"?> Teil A: Branchenübergreifender KI-Einsatz <?page no="15"?> 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs Sabine Jaritz, Susanne Marx Abstract Dieser Beitrag befasst sich mit der Rolle externer Unterstützungsangebote in der Umsetzung von Projekten zur Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Mittelstand. Während Großunternehmen Mittel und Ressourcen haben, externe Beratungsleistungen einzukaufen, um sich bei KI-Themen unterstützen zu lassen, so haben kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) diese Möglichkeit in der Regel nur eingeschränkt. Die Nachfrage nach Support, um für das KI-Zeitalter gerüstet zu sein, ist auch bei KMUs groß. Der Artikel bietet einen Überblick über die verschiedenen Anbietergruppen und ihre unterschiedlichen Angebots‐ formen für KMUs. Dazu werden im ersten Schritt diverse Angebotsformen, wie Wissensvermittlung mit Hilfe von Informationsmaterialien und Veranstaltungen, Erstgespräche, Potenzialanalysen, individuelle Beratung bei KI-Projekten und Vernetzung, auf Basis einer Desk-Research erfasst. Im zweiten Schritt wird sich dann auf individuelle Beratung von KMUs als spezifische Angebotsform fokussiert. Durch Tiefeninterviews mit KI-Beratern wird beleuchtet, welche Art von KI-Projekten von KMUs derzeit priorisiert werden und welche zentralen Aufgaben die externen Begleitungen dabei übernehmen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, KI-Berater, KI-Begleiter, KI-Unterstützer, KI-Trainer, KMU, Mittelstand, Angebote, Implementierung, Projekte, Netzwerk, digitale Transfor‐ mation, Wettbewerbsvorteil 1.1 Einleitung und Grundlagen „Wir sind die 99 Prozent“ - mit dieser Botschaft wirbt der BVMW e. V., der Verband des Mittelstands, auf seiner Homepage [1]. In Deutschland sind über 99 Prozent aller Unternehmen KMUs, also kleine und mittlere Unternehmen. Diese stellen über die Hälfte aller Arbeitsplätze und sind bedeutsamer Partner für Großunternehmen weltweit [1]. Nicht ohne Grund wird der Mittelstand in Deutschland daher oft als Wirtschafts- und Beschäftigungsmotor bezeichnet. Um auch in Zukunft ein Garant für Fortschritt und Innovation zu sein, ist es unum‐ gänglich, dass KMUs die Potenziale im Bereich der Digitalisierung und insbesondere im Bereich der KI-basierten Anwendungen für sich nutzen und sich digital transformie‐ ren. Laut Statistischem Bundesamt nutzt im Jahr 2023 jedes achte Unternehmen in Deutschland KI, wobei große Unternehmen KI deutlich häufiger nutzen als KMUs [2]. <?page no="16"?> Die geschickte Nutzung von Daten ermöglicht jedoch zum einen eine Effizienzsteigerung in unternehmerischen Abläufen entlang des gesamten Wertschöpfungsprozesses: von der Entwicklung, über den Einkauf und die Produktion bis hin zum Kundenservice. Zum anderen können KI-Anwendungen auch auf der Umsatzseite positiv zu Buche schlagen. Im Bereich der Nutzung generativer KI hat sich seit der Einführung von ChatGPT Ende 2022 bereits viel getan: Gemäß einer repräsentativen Umfrage des ZEW, des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, wird in 2023 bereits in jedem vierten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland generative KI für geschäftliche Zwecke eingesetzt. Im Jahr 2025 wird laut der Umfrage bereits jedes zweite Unternehmen generative KI nutzen, was einer Verdopplung der Nutzung inner‐ halb von nur zwei Jahren entspricht [3]. Unternehmen versprechen sich insbesondere Produktivitätssteigerungen, können sich aber auch neue Geschäftsmodelle auf Basis generativer KI vorstellen. Nicht überraschend, befinden sich die meisten Unternehmen derzeit noch in einer Pilotphase oder dem Training eigener Modelle, in dem es darum geht, leistungsfähige Sprachmodelle mit den eigenen Daten zu verknüpfen, um die Anwendungsgebiete entsprechend zu verbreitern und weitere Potenziale zu realisieren. Viele kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen sich mit der Frage, wie und wo sie KI-Anwendungen einsetzen können. Jedoch schreckt viele die Komplexität von KI-Projekten ab, zumal das Knowhow oftmals nicht vorhanden ist und relevante Schlüsselkompetenzen erst gezielt aufgebaut werden müssen. Hier sind externe Bera‐ tungsangebote gefragt, die insbesondere KMUs bei der Implementierung von KI - und im Schritt zuvor bei einer Analyse der Potenziale und Risiken - unterstützen. Wie eingangs geschrieben, zählen 99 Prozent aller Unternehmen in Deutschland zu den KMUs; in absoluten Zahlen sind das über 3 Millionen KMUs. Der Begriff KMU umfasst dabei Kleinstunternehmen, kleine Unternehmen und mittlere Unternehmen. Gemäß der Empfehlung 2003/ 361/ EG der Europäischen Kommission gelten Unterneh‐ men mit weniger als 250 Mitarbeitenden und entweder weniger als 50 Mio. Euro Jahresumsatz oder weniger als 43 Mio. Euro Bilanzsumme als KMU [4]. All diese Unternehmen sind dem Wandel der Unternehmenswelt ausgesetzt, der durch die Etablierung neuer Technologien vorangetrieben wird und der sich auch auf die gesamte Gesellschaft auswirkt. Wir sprechen in dem Zusammenhang von einer digitalen Transformation [5], die vor keiner Branche Halt macht. Und wie hängt KI nun damit zusammen? Künstliche Intelligenz hilft letztlich bei der digitalen Transformation, indem zahlreiche Aufgaben optimiert und teilweise automatisiert werden können. Gemäß der Definition des Fraunhofer-Instituts für Kognitive Systeme (IKS) imitiert eine KI menschliche kognitive Fähigkeiten, indem sie Informationen aus Eingabedaten erkennt und sortiert. Das kann demnach sowohl auf Basis von programmierten Abläufen erfolgen oder durch maschinelles Lernen [6]. Die zentralen Fragen, die in diesem Beitrag erörtert werden sollen, sind demnach, welche Unterstützung KMU zur Einführung von KI außerhalb kommerzieller Dienst‐ leister angeboten wird und welche Erfahrungen diese KI-Berater in Projekten mit KMU bisher gemacht haben. 16 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs <?page no="17"?> 1.2 Forschungsmethodik Die Informationen zur Beantwortung der vorgenannten Fragen wurden in einem zwei‐ stufigen Prozess erhoben. Im ersten Schritt wurde eine Desk-Research durchgeführt, um die verfügbaren externen Begleitungsangebote für deutsche KMU systematisch zu erfassen. Im zweiten Schritt wurden sechs semi-strukturierte Tiefeninterviews mit gezielt ausgewählten Experten durchgeführt (Überblick siehe Abbildung 1-1), die über Erfahrungen in der Begleitung von KI-Vorhaben für KMUs verfügen, vornehmlich in den Bundesländern Bayern und Mecklenburg-Vorpommern. Die Interviews wurden transkribiert und durch strukturierte Zusammenfassung auf Basis von Mayring [7] über zwei bis drei Abstraktionsstufen analysiert. Abbildung 1-1: Übersicht Interviews 1.3 Ergebnisse und Diskussion Es gibt verschiedene Förderprogramme und Anbieter, die sich - mit unterschiedli‐ chen Angeboten und Formaten - auf die Unterstützung von KMUs bei KI-Projekten fokussieren. Neben privaten, kommerziellen Anbietern, die in diesem Beitrag nicht berücksichtigt werden, sind es in erster Linie vom Bund oder von Ländern geförderte Programme, die 79 Industrie- und Handelskammern, die 53 Handwerkskammern und Institute der Fraunhofer-Gesellschaft. Das aktuell größte Programm für KMUs in Deutschland ist das vom Bundesminis‐ terium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderte „Mittelstand-Digital“-Programm mit einem bundesweiten Netzwerk an regionalen und thematischen Zentren, die kleine und mittlere Unternehmen sowie das Handwerk anbieterneutral mit Expertenwissen, 1.2 Forschungsmethodik 17 <?page no="18"?> Schulungen, Demonstrationszentren, Netzwerkveranstaltungen und individueller Be‐ gleitung unterstützen. Es handelt sich hier um wissenschaftlich unterstützte und kostenfreie Angebote, die von ausgebildeten KI-Trainern angeboten werden. Zentrale Ziele sind die Befähigung der Unternehmen und die Umsetzung konkreter KI-Anwen‐ dungen. Insbesondere Expertennetzwerke helfen zur langfristigen und vertieften the‐ menspezifischen Zusammenarbeit von KMU und wissenschaftlichen Einrichtungen. Zudem erhalten KMUs auf den Webseiten des „Mittelstand-Digital“-Programms in der Regel einen aktuellen Überblick über Förderangebote von Bund, Land und der EU [8]. Weitere Förderprogramme speziell für KMUs gibt es auf Bundesland-Ebene. Hier sol‐ len exemplarisch Programme aus Bayern und Mecklenburg-Vorpommern dargestellt werden: In Bayern wurde 2021 das „KI Transfer Plus - KI-Regionalzentren für Bayerns Mittelstand“-Programm vom Bayerischen Staatsministerium für Digitales mit der ap‐ pliedAI Initiative aufgesetzt, mit dem Ziel, die Anwendung von KI in KMUs zu fördern. In der ersten Phase standen Einführungstrainings und Diskussion von Potenzialen von KI-Anwendungen im Fokus. In der zweiten Phase geht es nun um die nachhaltige Unterstützung des KI-Transfers. Ähnlich wie bei „Mittelstand-Digital“ handelt es sich um ein dezentrales Programm, das die Unternehmen aus lokalen KI-Regionalzentren heraus unterstützt. Im Unterschied zu „Mittelstand-Digital“ müssen sich hier Unter‐ nehmen für das auf neun Monate ausgelegte und klar strukturierte Programm bewer‐ ben und Teilnahmevoraussetzungen erfüllen. Neben dem Management-Committment und Personalressourcen ist auch eine Eigenbeteiligung - zusätzlich zur staatlichen Förderung - in Höhe von mindestens 29.000 Euro notwendig. KMUs, die an diesem Programm teilnehmen, sollen befähigt werden, sich langfristig und eigenständig mit KI auseinandersetzen zu können [9]. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es seit 2020 das Zentrum für Künstliche Intelligenz an der Universität Rostock, das durch das Land Mecklenburg-Vorpommern gefördert wird [10]. Neben der Information und Aufklärung ist die Vernetzung zwischen Wissenschaft und interessierten KMU ein Schwerpunkt des Zentrums. Ferner finden auch Einzelberatungen für KMUs statt, die sowohl Einstiegsals auch Tiefenberatungen umfassen [11]. Die 79 Industrie- und Handelskammern (IHK) in Deutschland, die sich vor Ort für die Interessen der gewerblichen Wirtschaft stark machen, bieten ihren Mitgliedsunternehmen ebenfalls Unterstützung bei der digitalen Transformation und im KI-Bereich an. Auf Grund der dezentralen Organisation lässt sich jedoch kein einheitliches und vergleichbares Angebot festmachen, zumal die Kammern auch eine regional sehr unterschiedliche Mitgliederstruktur aufweisen. Gemeinsam ist ihnen - auf einer übergeordneten Ebene - die Förderung wissenschaftlichen Austausches und der Ausbau der Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Gesellschaft. Auf den Homepages der IHKs finden sich in der Regel Informationsmaterial, Videos und Veranstaltungsangebote im KI-Bereich. Auch wird jeweils der kostenlose Online-Kurs „Elements of AI“ der Industrie- und Handelskammern in Deutschland beworben und ein Überblick über KI-Förderprogramme für KMUs gegeben (vergleiche beispielhaft [12]). Die Beratungsangebote beschränken sich in der Regel auf Erstgespräche und die Ermittlung eines KI-Reifegrades. 18 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs <?page no="19"?> Das Pendant zur IHK für die Handwerksbetriebe sind die Handwerkskammern (HWK), welche die Interessen des regional ansässigen Handwerks vertreten. In Deutschland gibt es derzeit 53 HWKs [13]. Eine Mitgliedschaft ist für Handwerksbe‐ triebe verpflichtend. Eine Recherche der KI-Beratungsangebote hat ergeben, dass die HWKs ihren Mitgliedern derzeit nur in begrenztem Rahmen Informationen im KI-Bereich zur Verfügung stellen. Sehr häufig ist auf den Homepages unter dem Schlagwort „Künstliche Intelligenz“ nichts zu finden. Die in Summe 76 Institute und Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft fokus‐ sieren sich auf anwendungsorientierte Forschung und begleiten Unternehmen in verschiedenen Bereichen. Die Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz bündelt hierbei die branchenübergreifende Erfahrung von über 30 Fraunhofer-Insti‐ tuten. Das herstellerneutrale und branchenunabhängige Unterstützungsangebot der Fraunhofer-Allianz erstreckt sich von der Begleitung der Umsetzung von KI-Strategien, über die Entwicklung von KI-Anwendungen bis hin zu Schulungsprogrammen [14]. Abbildung 1-2 gibt einen strukturierten Überblick über das Unterstützungsangebot der oben beschriebenen Programme und Anbieter (HWKs sind auf Grund der einge‐ schränkten Angebote nicht im Überblick enthalten). Auf Grund der Dynamik im KI-Bereich sei darauf hingewiesen, dass es sich hier um eine Momentaufnahme vom Januar 2024 handelt und sich das Angebot weiterentwickeln wird. Abbildung 1-2: Übersicht KI-Beratungsanbieter und Angebote 1.3 Ergebnisse und Diskussion 19 <?page no="20"?> Die sechs Interviews wurden mit KI-Beratern geführt, die im Rahmen der vorgenannten Angebote (mit Ausnahme von Fraunhofer) tätig sind. Diese sind zumeist befristete Mitarbeitende an Hochschulen in dafür eingerichteten Projekten, die über EU-, Landes- oder Bundesmittel finanziert werden. Diese Begleitungsprojekte haben teils einen regionalen oder Branchenfokus und sind vorwiegend kostenfrei für KMUs, bis auf ein Unterstützungsprogramm, das eine finanzielle und personelle Beteiligung der KMU erfordert. Trotzdem berichten die Interviewpartner von intensiven Akquisebemühun‐ gen, um die KMU zur Zusammenarbeit zu motivieren. In den Begleitungsprojekten werden ca. 10 Unternehmen pro Jahr pro Person unterstützt. Die Angebote erreichen somit einen begrenzten Kreis an KMUs. Während einige Unterstützungsformate einen reinen Fokus auf KI haben, ist die Begleitung der KMU häufig breiter angelegt auf Digitalisierung oder sogar weitere Themen (bspw. Innovation, Nachhaltigkeit). Die Ansatzpunkte der Begleitung sind verschieden: „Hilfe zur Selbsthilfe ist da ein gutes Stichwort“ (I5). Vorwiegend wird eine konzeptionelle Begleitung bspw. durch Anforderungs- und Potenzialanalysen, Vernetzung und in seltenen Fällen auch die Umsetzung von Anwendungsfällen angeboten. Letztes ist an eine finanzielle und personelle Beteiligung der Unternehmen gebunden. Im Fokus stehen Vernetzung mit Experten und anderen KMU sowie die Qualifizierung für den Kompetenzaufbau in den KMU, ganz im Sinne der Selbsthilfe und nachhaltigen Befähigung. Allgemeine Informationen zum Thema KI sowie insbesondere die Demonstration von KI-Anwen‐ dungen scheinen zum Standardrepertoire der KI-Berater zu gehören. In seltenen Fällen erfolgen auch eine Beratung zur Förderung oder rechtliche Erstberatung, bzw. über Branchenverbände auch die Interessensvertretung zur Politik zu Förderbedarfen. Das Verständnis von KI ist bei KMU sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die Mehr‐ zahl ist laut den befragten Experten durch Veröffentlichung von ChatGPT auf KI aufmerksam geworden, verfügt jedoch nur bedingt über Vorwissen. Häufig erfolgt keine Abgrenzung zu Digitalisierung (I6: „da muss jetzt auf einmal so ein magisches Tool ins Haus.“). So sind die KI-Unterstützer mit überhöhten Erwartungen an KI, die alles lösen kann, konfrontiert (I1 „Also sie denken immer, das ist ein Allheilmittel, was relativ schnell viele komplexe Aufgaben übernehmen kann.“). Die hohen Erwartungen schüren jedoch auch Ängste. Weit digitalisierte KMU mit konkreten Anwendungsfällen, die KI als Wettbewerbsvorteil sehen, suchen auch die Begleitung der KI-Berater, jedoch eher selten. Insgesamt nehmen die Experten KI als Hype wahr, der jedoch bereits wieder abnimmt. Die Projektaufgaben, mit denen die KMU an die Begleiter herantreten, reichen von „Nichts verpassen“ bis zu konkreten Problemstellungen. Durch die mediale Aufmerk‐ samkeit haben viele KMU den Eindruck, KI integrieren zu müssen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Jedoch beklagen die KI-Berater, dass die KI-Readiness vielfach nicht gegeben sei. Fälle mit großer Datenbasis sind eher selten. Vielmehr bräuchten die KMU zunächst Unterstützung bei Datenerhebung und -verarbeitung sowie der IT-Sicherheit, dann würden Situations- und Potenzialanalysen durchgeführt und Use Cases geschaffen. Diese seien so spezifisch, so die Experten, dass Best Practices nicht 20 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs <?page no="21"?> überall übertrag- und einsetzbar seien (I3 „Die suchen ja nach schnellen Lösungen für ihre konkreten Probleme.“). In den Ausnahmefällen von KMU mit konkreter Problemstellung und hohem Digitalisierungsgrad werden Anwendungsfälle gelöst und die KI-Berater unterstützen bei Fördermittelakquise und Projektanträgen. Die Anfragen der KMU adressieren auch häufig Probleme, die nicht vordergründig mit KI lösbar sind, sondern durch einfache Digitalisierung oder gar nicht durch technische Lösungen (I1: „Es kann natürlich auch sein, dass man zu dem Ergebnis kommt, dass künstliche Intelligenz an dem Punkt nicht der richtige Weg ist.“). KMU blicken dabei oft auf zügiges Wachstum zurück, in dem die Managementstrukturen nicht angepasst wurden. So helfen zum Beispiel ganzheitliche Betrachtungen der Unternehmensarchitektur, bevor über KI-Einsatz nachgedacht werden kann. KI wird von den Unterstützungsanbietern als Aufhänger wahrgenommen, um KMU zu motivieren sich überhaupt mit Digitalisierung intensiver zu befassen. Die Interviewpartner nehmen zum Teil eine höhere Priorität der von ihnen beglei‐ teten KI-Projekte bei KMU wahr als früher. Uneindeutig sind die Experten in ihrer Aussage zum Einfluss der Unternehmensgröße: Manche argumentieren, dass kleinere Unternehmen KI-Projekten eine hohe Priorität und Dringlichkeit geben, andere sehen die hohe Priorität und Investmentbereitschaft eher bei größeren KMU mit bestehender digitaler Infrastruktur. Die KI-Projekte, die von den KI-Beratern begleitet werden, star‐ ten überwiegend auf Initiative der KMU-Geschäftsleitung, bei größeren Unternehmen auch durch andere Bereiche (bspw. IT, Marketing, Innovation). Die Motivation liegt dabei in der Perspektive, einen strategischen Wettbewerbsvorteil zu erreichen oder durch KI eine Lösung konkreter Einzelprobleme zu realisieren. In den begleiteten KMU sind die KI-Projekte eher klein, mit einer Beteiligung von ein bis 20 Personen aus dem KMU (überwiegend unter zehn Personen) vornehmlich aus der IT und dem Kreis der Anwender. Da die Begleitung der KMU projektbasiert gestaltet ist, stellt sich die Frage nach der Weiterführung nach Projektabschluss. Im Sinne der zuvor genannten Zielsetzung der Befähigung der KMU ist in den meisten Förderprogrammen, aus denen sich die Unterstützungsangebote für KMU selbst speisen, keine weitere Begleitung über das Initialprojekt hinaus vorgesehen oder erfolgt nur in kleinem Umfang, bspw. nur über die Vernetzung mit Partnern. Die KI-Begleitungsprojekte kommen zum Abschluss durch eine einsatzfähige, zum Teil auch KI-unabhängige Lösung. Jedoch sind auch Projektabbrüche mangels Personals mit hinreichender KI-Kompetenz in den KMU beobachtet worden. Die Weiterführung der KI-Vorhaben im Anschluss an die Begleitungsprojekte werden durch die KMU selbst realisiert, z. B. durch Kauf eines kommerziellen Produkts, durch Fortsetzung mit Forschungspartnern, Dienstleistern oder ein neues, separates Projekt mit einer Hochschule für Entwicklungen bis vor Marktreife. Chancen für die Nutzung von KI in KMU sehen die KI-Berater vor allem in der Arbeitserleichterung für Mitarbeitende durch Automatisierung, dem Ausgleich des Fachkräftemangels durch Effizienzsteigerung (I2: „Also ich kann Sachen entweder 1.3 Ergebnisse und Diskussion 21 <?page no="22"?> schneller oder besser, sonst sollte ich es gar nicht einsetzen.“) sowie der Möglichkeit für KMU, sich weiter auf die eigenen Kernkompetenzen zu fokussieren. Wie in Abbildung 1-3 nochmals zusammengefasst, nehmen die Interviewpartner die Herausforderungen auf der persönlichen Ebene, der Unternehmensebene und dem Umfeld wahr. Abbildung 1-3: Zusammenfassung der Herausforderungen Mehreren Interviewpartnern begegnen regelmäßig Skepsis und Angst gegenüber der (vermuteten) Mächtigkeit von KI. Dabei steht weniger die Angst vor Jobverlust im Vordergrund als vielmehr Fragen zum Datenschutz oder rechtliche Bedenken, jedoch auch eine Vorstellung von allumfassenden KI-Fähigkeiten à la „Terminator“ (I2, I3). Mangelndes Wissen ist eine weitere Herausforderung für die KI-Berater, von der Abgrenzung von KI, unter der oft einfach alle neuen Softwarelösungen verstanden werden, bis hin zu, dass KI alles kann. Auf Unternehmensebene wurden die Antworten der KI-Berater vier Teilbereichen zugeordnet: IT, Personal, Finanzen und Organisation. Die KI-Readiness ist hier das zentrale Thema (I5: „Wir sehen einen großen Bedarf eher in der KI-Readiness.“). Die befragten KI-Berater weisen hier auf das Fehlen von Grundlagen hin. Sie treffen auf KMU ohne nennenswerte Digitalisierung bzw. Daten in ausreichender Qualität (I6: „Daten ist halt immer das leidige Thema.“), jedoch auch auf solche, die sich ihres vor‐ 22 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs <?page no="23"?> handenen Datenbestands nicht bewusst sind. Zudem seien passgenaue, eher kleinere Lösungen nötig, wohingegen Standardlösungen über Zukauf häufig überdimensioniert seien. Die Interviewpartner betonen die Wichtigkeit, die KI-Projekte der KMU auf eine breite Basis zu stellen, durch Partizipation der Mitarbeitenden, Change-Management und Weiterbildung zum nachhaltigen Aufbau interner KI-Kompetenz. In der Praxis wird diese Kompetenz stattdessen eher extern eingekauft. Ein Grund dafür ist die Schwierigkeit, geeignetes Personal zu finden. Hierbei wurden auch Schwierigkeiten von KMU beobachtet, überhaupt passend nach den entsprechenden Kompetenzen zu suchen. KMU werden oft mit Knappheit von finanziellen Ressourcen in Verbindung gebracht. Die Interviewpartner nennen hier neben der Verfügbarkeit von Zeit und Geld auch die Bereitschaft, beides zu investieren (I5: „Wir haben hier bei uns (…) viele Unternehmen, die da sehr vorsichtig sind, ja auch fast ein bisschen ängstlich sind.“). Die KMU sind mit mehreren dringlichen Themen befasst, so dass die Akquise von KMU für KI-Unterstützungsangebote einiger Anstrengung bedarf. Organisationale Fragen werden von den KI-Beratern als weitere Herausforderung genannt. Hier wird von zeit‐ begrenzten KI-Projekten einerseits und fortlaufenden Prozessen für die KI-Integration andererseits gesprochen. Die Anpassung von Prozessen, Unternehmensorganisation, IT-Sicherheit etc. sei nötig, um KI sinnvoll einsetzen zu können. Jedoch sind KI-Projekte mit hoher Unsicherheit und einem (u. a. finanziellen) Risiko verbunden, für die Agilität in der Projektumsetzung und somit im Projektmanagement (PM) nötig ist. Dazu sei eine Unternehmenskultur mit flachen Hierarchien, Offenheit für Innovation und Fehler nötig, wie in den Interviews genannt wurde: in „diesen KI-Projekten, wo man diese Ungewissheiten hat. Da brauchen die Mitarbeiter einfach Freiheiten zum Ausprobieren und dann muss das auch vom Unternehmen, von der Kultur akzeptiert werden, dass mal was fehlschlägt“ (I4). Zusätzlich werden Herausforderung aus dem Umfeld wahrgenommen, wie rechtliche Änderungen und Fragen des Datenschutzes, was der Umfeldanalyse in KI-Projektvorhaben eine wichtige Rolle gibt. Was versetzt nun die KI-Berater in die Lage, die KMU im Umgang mit den genannten Herausforderungen zu unterstützen? Trotz Studium oder Promotion in Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Wirtschaftswissenschaften, einem persönlichen Interesse an KI und eigener, wenn auch begrenzter Verwendung von KI, sind sich alle Inter‐ viewpartner einig: niemand kann stets aktuell alles über KI selbst wissen: „wer sagt, [er weiß] alles über KI, der muss eigentlich lügen, weil es ja von bis geht“ (I3). So verwundert es nicht, dass der Austausch im Kollegenkreis auch über Projekte hinweg die wichtigste Wissensquelle zu aktuellen KI-Themen für die Befragten ist. Daneben spielen Medien (z. B. Tech-Magazine, Newsletter und -feeds, YouTube, Unternehmens‐ informationen von Tech-Firmen, Nachrichten, Radio, Blogs, LinkedIn, Podcasts) ebenso wie die Recherche in wissenschaftlicher Literatur eine Rolle. Fortbildungen werden zur Vertiefung genutzt und Technologien erprobt, getrieben nicht nur durch die berufliche Aufgabe, sondern das persönliche Interesse. Somit steht eine engagierte KI-Community bereit, die KMUs auf dem Weg zur Nutzung von KI begleiten kann und häufig zunächst bei Fragen der Digitalisierung und Unternehmensentwicklung ansetzen muss. Und 1.3 Ergebnisse und Diskussion 23 <?page no="24"?> dafür sind nicht immer die neuesten KI-Anwendungen nötig: „die brauchen ja gar nicht das, was in aktuellen Forschungspapern gemacht wird. Also die sind ja mit KI-Methoden glücklich, die seit 20 Jahren auf dem Markt sind“ (I6). Somit scheint der Hype um KI zu helfen, die Digitalisierung und Modernisierung von KMU insgesamt voranzubringen. 1.4 Ausblick Die Untersuchung zeigt, dass es vielseitige Unterstützungsangebote für KMU zum Thema KI in unterschiedlichen Formaten gibt, mit und ohne Branchen- oder Regional‐ fokus, zumeist kostenfrei für die KMU und finanziert aus öffentlichen Mitteln. Trotz allem berichten KI-Berater in diesen Unterstützungsprogrammen, dass die Gewinnung von KMU für gemeinsame Projekte einer deutlichen Anstrengung bedarf. KI hat zudem bewirkt, dass sich viele KMU mit Digitalisierung befassen, um den Anschluss nicht zu verpassen. Was passiert jedoch, wenn dieser Hype wieder vorbei ist (I6: „Ich habe so jetzt auch den Eindruck, dass diese Hypewelle schon wieder durch ist.“) und die Aufmerksamkeit wieder von anderen Themen beansprucht wird? Ebenso kämpfen KMU mit Problemen, die nicht oder nicht allein durch den Einsatz von KI lösbar sind. Obwohl die öffentlichen Unterstützungsprogramme auf Kompetenzaufbau in den KMU zielen, gelingt dies nur bedingt. KMU können nicht die benötigten Fachkräfte gewinnen und greifen zu kommerziellen, externen Lösungen, die wenig passgenau sind und die Gefahr von digitalen, auch dauerhaften Abhängigkeiten erhöhen [15]. Die Untersuchung hat gezeigt, dass geförderte Projekte öffentlicher Einrichtungen auch ein Portfolio an kleineren Projekten mit einem oder mehreren KMU umsetzen. Diese Projekte sollen wiederum interne Projekte in KMU anstoßen. Im Sinne der Projektwirtschaft ist diese Verzahnung eines Projektes, das wiederum ein Portfolio an Projekten initiiert und steuert, eine interessante Konstellation. In diesem Rahmen von zeitbegrenzten Vorhaben für ein effektives Projekt- und Wissensmanagement und nachhaltige, interorganisationale Vernetzung von Akteuren zu sorgen, scheint eine Hauptherausforderung der Zukunft zu liegen. Literatur [1] Bundesverband mittelständische Wirtschaft - Unternehmerverband Deutschlands e.-V. (Hrsg.) (2023): Über uns - Zahlen und Fakten https: / / www.bvmw.de/ de/ der-verband/ über-u ns/ zahlen-fakten zuletzt geprüft am 25.01.2024 [2] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2023): Pressemitteilung Nr.-453 vom 27. November 2023 h ttps: / / www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2023/ 11/ PD23_453_52911.html zuletzt geprüft am 26.03.2024 [3] ZEW - Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung GmbH Mannheim (Hrsg.) (2003): ZEW Branchenreport Informationswirtschaft - November 2023. 24 1 Externe Begleitung für KI-Projekte in KMUs <?page no="25"?> [4] Statistisches Bundesamt (Hrsg.) (2003): Unternehmen: Kleine und mittlere Unternehmen ht tps: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Unternehmen/ Kleine-Unterneh men-Mittlere-Unternehmen/ _inhalt.html zuletzt geprüft am 25.01.2024 [5] PwC (2013) Digitale Transformation - der größte Wandel seit der industriellen Revolution. PwC, Frankfurt [6] Fraunhofer-Institut für Kognitive Systeme IKS (Hrsg.) (2023): Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen https: / / www.iks.fraunhofer.de/ de/ themen/ kuenstliche-intelligenz.html zuletzt geprüft am 25.01.2024 [7] Mayring, P. (2022): Qualitative Inhaltsanalyse - Grundlagen und Techniken, 13. überarbeitete Auflage, Weinheim: Beltz [8] Mittelstand-Digital (Hrsg.) (2024): Internetpräsenz https: / / www.mittelstand-digital.de zu‐ letzt geprüft am 25.01.2024 [9] KI-Transfer Plus (Hrsg.) (2024): Internetpräsenz https: / / www.ki-transfer-plus.de zuletzt geprüft am 25.01.2024 [10] Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten M-V (Hrsg.) (2024): Ministerin Martin besucht Zentrum für Künstliche Intelligenz in MV an der Universität Rostock https: / / www.regierung-mv.de/ Landesregierung/ wkm/ Presse/ Pressemitteilungen/ ? i d=198165&processor=processor.sa.pressemitteilung zuletzt geprüft am 26.01.2024 [11] Zentrum für Künstliche Intelligenz in Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.) (2024): Internet‐ präsenz https: / / www.ki-mv.de zuletzt geprüft am 25.01.24 [12] IHK Regensburg für Oberpfalz/ Kelheim (Hrsg.) (2024): Künstliche Intelligenz Grundlagen https: / / www.ihk.de/ regensburg/ digitalisierung/ kuenstliche-intelligenz/ kuenstliche-intellige nz-grundlagen-4624766 zuletzt geprüft am 25.01.24 [13] Zentralverband des Deutschen Handwerks (Hrsg.) (2024): Internetpräsenz https: / / www.zd h.de zuletzt geprüft am 25.01.24 [14] Fraunhofer BIG DATA AI (Hrsg.) (2024): Internetpräsenz https: / / www.bigdata-ai.fraunhof er.de zuletzt geprüft am 25.01.24 [15] Wehnes, H./ Bacharach, G. (2023): Digital souveränes Projektmanagement - Wie geht das? , projektmanagement aktuell, 34(5), S.-50-54 1.4 Ausblick 25 <?page no="27"?> 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI Frank Thurner, Peter Stirnweiß Abstract Der Beitrag zeigt anhand eines realen Industrie-Projekts, wie man mit der Methode Robust Design (weiterentwickelt aus Lean Six Sigma und Design for Six Sigma - DfSS) standardisiert die wichtigen Daten zur Themenlösung identifiziert und digitalisiert sowie für ein innovatives Engineering-KI System bereitstellt. Das KI-System erkennt rein auf Basis der Daten unbekannte Wirkmechanismen und schlägt Lösungen und Maßnahmen in Echtzeit vor. So lassen sich halbauto‐ matisiert robuste Produkte und stabile Prozesse nachhaltig erzeugen, steuern und regeln. Das steigert innerhalb kurzer Zeit die Qualität und Effizienz, senkt die Kosten, motiviert so zur weiteren Digitalisierung und löst Fachkräfte-Engpässe. Dargestellt werden die Methode und Engineering-KI am Praxisbeispiel „Neuan‐ lauf und Serie bei Kunststoffspritzguss-Hybrid-Bauteilen mit Rezyklaten“. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Engineering, Qualität, Effizienz, OEE, Maintenance, Res‐ sourceneffizienz, Energieeffizienz, Digitalisierung, Smart Data, Industrie 4.0, Kostenreduktion, Design for Six Sigma, Fachkräfte 2.1 Herausforderungen von Industrie-Projekten Problemstellung Projekte in der Industrie im Bereich Entwicklung, Industrialisierung und Produktion sollen immer mehr Anforderungen erfüllen. Klassische Ziele wie Qualitätsstandards einhalten, OEE steigern und Kosten senken werden seit einigen Jahren mit neuen Themen belastet wie etwa dem Umgang mit dem Fachkräftemangel und Liefereng‐ pässen. Zu all dem kommen die Anforderungen, die sich bezüglich Ressourcen-, Ma‐ terial- und Energieeffizienz aus den Klimaschutzzielen ergeben (Stichwort ESG/ CSR), und die Daueraufgabe Digitalisierung, die zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit mittlerweile unumgänglich ist. Mit der digitalen Transformation wollen Unterneh‐ men vor allem Kosten senken, Produktivität steigern und Prozesse verbessern oder auch die Produktentwicklung flexibilisieren und Time-to-Market-Zeiten verkürzen. Viele dieser Themen kommen in dem Praxisbeispiel zusammen, das hier vorgestellt wird. Sie konnten mit der Methode Robust Design und dem Engineering-KI-System <?page no="28"?> Analyser ® gelöst werden. Im Folgenden werden die Herausforderungen, die Lösungs‐ methode und der Beitrag der Engineering-KI dazu sowie die Ergebnisse erläutert. Praxisbeispiel Neuanlauf und Serie bei Kunststoffspritzguss-Hybrid-Bauteilen mit Rezyklaten Ein Hersteller von hochwertigen Dekorteilen für Fahrzeug-Interieure musste aus zwei Gründen auf Rezyklat-Werkstoffe umstellen: ■ aufgrund von Lieferengpässen beim Rohstoff ■ aufgrund der Anforderung vom OEM, der seinen CO2-Fußabdruck verringern muss. Die Herausforderungen, die deswegen innerhalb kurzer Zeit gelöst werden mussten, waren: ■ Gewährleisten einer hohen Bauteilqualität über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs (Farbe, Maßhaltigkeit, Bauteilintegrität) mit den neuen Rezyklat-Werk‐ stoffen ■ Prozesse inklusive möglicher Werkzeuganpassungen für anspruchsvolle Geome‐ trien neu designen und absichern ■ Dabei Yield und OEE optimieren. 2.2 Engineering-KI und Methode Robust Design - Vorgehen im Projekt Damit ein KI-System schon zur Absicherung und beim Produktneuanlauf eingesetzt werden kann, darf es keine großen Datenmengen („Big Data“) benötigen, da diese in der frühen Phase des Produktlebenszyklus‘ nicht vorliegen. Angewendet wurde in diesem Fall die Engineering-KI Analyser ® . Aufgrund eines international patentierten Algorithmus genügen diesem KI-System meist bereits 6-40 Anlernstichproben, um valide Vorhersagemodelle zu erstellen. Entscheidend für das Ergebnis ist dabei die Qualität der Daten („Smart Data“), die erhoben werden. Die Erfassung der richtigen und notwendigen Daten wird mit der Methode Robust Design sichergestellt. Diese ist auf Basis hunderter Industrie-Projekte aus Design for Six Sigma (DfSS) speziell für Engineering-Projekte mit KI-Unterstützung weiterentwi‐ ckelt worden. Der Robust-Design-Zyklus Der Robust-Design-Zyklus besteht aus 20 Schritten, die jedoch selten alle in einem Projekt durchgeführt werden müssen. Je nach Ausgangslage und Ziel des Projektes kann man in den Zyklus an verschiedenen Stellen ein- und aussteigen. 28 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI <?page no="29"?> Das Vorgehen ist standardisiert, um sofort mit der Engineering-KI arbeiten zu können. Alle Meilensteine sind vorgegeben, egal um was für ein Projekt es sich handelt. Die Schritte 7 bis 12 zum Beispiel dienen der methodischen Erarbeitung und Bewertung von Konzepten. Das war in diesem Praxisbeispiel nicht nötig, da das Konzept vorgegeben war und man direkt bei der Design-Absicherung einsteigen konnte. Deswegen sind diese Schritte in der Abbildung 2-1 grau. Angefangen wird mit dem üblichen Projekt-Steckbrief und dem Meilenstein-/ Res‐ sourcenplan, Schritte 1- 4 (Define). In Schritt 5 und 6 werden die Anforderungen und Requirements auf Systemebene definiert, priorisiert und messbar gemacht. Das Ergebnis fließt in den Schritt 13a ein. Abbildung 2-1: Der Robust-Design-Zyklus - für das Fallbeispiel relevante Schritte sind grün hinterlegt. Für das Projekt Kunststoffspritzguss mit Rezyklat waren die Schritte 13 bis 17 besonders relevant. Dabei beziehen sich die Schritte 13a - 16a auf die Produktabsi‐ cherung, Schritte 13b - 16b auf die Herstellprozesse. Für die Nachhaltigkeit, d. h. die Zuverlässigkeit und Lebensdauer sind die Robust Design Schritte 17 und 18 entscheidend. Nach jeweils 4 Schritten in einem Teilzyklus (Define, Measure, Analyze, Design, Verify) erreicht man einen Ergebnis-Meilenstein (unterste Reihe in Abbildung 2-1), in 2.2 Engineering-KI und Methode Robust Design - Vorgehen im Projekt 29 <?page no="30"?> diesem Fall ein robustes Produkt- und Prozessdesign und danach ein serientaugliches Produkt. Die Schritte 13 - 17 sind mit der Methode Robust Design noch einmal genauer aus‐ differenziert in acht Schritte, die sich speziell auf die Datenqualität, -bereitstellung und -auswertung beziehen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Messbarmachung aller Zielgrößen und der Identifizierung und Priorisierung möglicher Einflussgrößen. Dies dient dazu, valide Anlernstichproben für die Engineering-KI bereit zu stellen. Auf diese acht Schritte und ihre Durchführung im Praxisbeispiel wird nun eingegan‐ gen. Acht Schritte für robuste Produkte und stabile Prozesse mit Engineering-KI Abbildung 2-2: 8 Schritte zu robusten Produkten und stabilen Prozessen mit Engineering-KI-System Schritt 1: Anforderungen/ Qualitätsmerkmale messbar machen Entscheidend bei der Methode Robust Design ist es, die Anforderungen nicht in Form von i.O./ n.i.O. zu messen. Sie müssen in Merkmale überführt werden, die einem der folgenden Datentypen angehören: stetig, ordinal oder Verlaufskurve mit stetigen Achsen. Im Praxisbeispiel mussten die Q-Merkmale für die I-Tafel eines Fahrzeugsvon i.O./ n.i.O. zunächst ersetzt werden durch die Merkmalsgruppen Geometrie, Oberfläche und Materialhärte und deren messbaren Größen wie z. B. Längenmaß 01, Glanzgrad und Haptik. Die stetigen Messwerte plus deren Spezifikationsgrenzen werden im weiteren Projekt verwendet (statt i.O./ n.i.O.). Bei der Oberflächenbeschaffenheit war die Überführung in stetige Messwerte nicht möglich. Hier wurde jeweils durch subjektive Bewertung der Beschaffenheit nach Glanz, Farbstufe, Transparenz etc. in ordinale Daten von 0 bis 3 aufgelöst, z. B. beim 30 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI <?page no="31"?> Glanzgrad: 0 = perfekt glänzend nach Musterbuch, 1 = mäßig glänzend, 2 = wenig glänzend, 3 = matt. Abbildung 2-3: Anforderungen / Qualitäts-Merkmale messbar machen Schritt 2: Produktfunktionen und Prozesse analysieren und Messorte festlegen Pro Bauteil gibt es in diesem Projekt verschiedene Prozesse, für die in Schritt 2 Messorte festgelegt werden. Im konkreten Beispiel lagen oft nur proprietäre Schnittstellen zu den Maschinen vor. Eine Zusammenfassung von möglichen Einflussgrößen und Prozessparametern gab es nicht bzw. nur unvollständig. Durch das Projekt-Team und die Methode Robust Design wurden die potenziell relevanten Prozessschritte/ Messorte identifiziert, die die größte Wirkung auf die messbaren Anforderungen/ Q-Merkmale/ Zielgrößen haben. Um die Daten aus den proprietären Schnittstellen im richtigen Format für die Engineering-KI bereitstellen zu können, wurde an den relevanten Prozessschritten und deren Messorten der Analyser ® DataCollector eingesetzt. Die weniger wichtigen Prozessschritte Vorfertigung, Vormontage und Montage wurden zurückgestellt und von ihnen keine Daten erhoben (Abbildung 2-4). 2.2 Engineering-KI und Methode Robust Design - Vorgehen im Projekt 31 <?page no="32"?> Abbildung 2-4: Die Prozessschritte, die für den Projekterfolg entscheidend sind, werden zuerst digital aufgezeichnet, um Daten für die Engineering-KI bereitzustellen. Mit den an den relevanten Messorten erhobenen Daten für die möglichen Einfluss‐ größen konnte die Engineering-KI innerhalb kurzer Zeit Lösungen für zeitkritische Themen erbringen, in diesem Fall die Parametrierung, Validierung und Ausschussver‐ meidung beim Einsatz des Ersatzwerkstoffs. Schritt 3: Mögliche Einflussgrößen sammeln und priorisieren In diesem Projekt-Beispiel wurden die möglichen Einflussgrößen in Form von Pro‐ zesstechnologien und deren Parametern in House of Quality 3 und 4 gesammelt und in einer zweidimensionalen Priorisierungsgrafik (technische Bedeutung über Prozess-FMEA-Risikozahl RZ = A x B) priorisiert. Abbildung 2-5: Priorisierte Einflussgrößen mittels technischer Bedeutung TB über Risikozahl RZ aus der P-FMEA 32 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI <?page no="33"?> Die Winkelhalbierende (Abbildung 2-5) markiert dabei eine Grenze. Oberhalb sind die wichtigen, wahrscheinlich relevanten Einflussgrößen mit hoher Technischer Be‐ deutung für die Qualitätsmerkmale und/ oder sie sind schwer auf Toleranz zu fertigen. Unterhalb liegen die Einflussgrößen mit geringer Technischer Bedeutung und niedriger Risikozahl RZ, d.-h. sie sind leicht in ihren Spezifikationsgrenzen zu fertigen. Schritt 4: Valide Anlernstichprobe erheben Um eine valide Anlernstichprobe für die Engineering-KI zu erhalten, müssen folgende Regeln beim Erfassen der richtigen Daten und Messwerte bzw. beim Verwenden von historischen Daten beachtet werden: ■ Alle Daten und Messwerte müssen gelabelt, d. h. einem bestimmten Bauteil zugeordnet sein. ■ Alle Einflussgrößen rechts oberhalb der Winkelhalbierenden in Abbildung 2-5 sollten gemessen werden. Einflussgrößen unterhalb der Linie, für die Messdaten bereits vorliegen oder die einfach zu ermitteln sind, sollten mit einfließen. Auf die übrigen Einflussgrößen kann zunächst verzichtet werden. ■ Für jede Zielgröße ist eine repräsentative Stichprobe für ein möglichst großes Arbeitsfenster der in der Realität zu erwartenden Verteilung der Q-Merkmale zu erheben. ■ Auch Störgrößen, d. h. nicht beeinflussbare Einflussfaktoren, sollen mit einbezo‐ gen werden. ■ Für schwer zu messende Einflussgrößen und alle Zielgrößen sind Messsystema‐ nalysen Typ II sehr zu empfehlen, um das Engineering-KI-System mit validen Daten und Werten anlernen zu können. Die Testpläne werden in Form einer eigens entwickelten, standardisierten IoT-Daten‐ struktur direkt in das KI-System eingespeist. Wenn alle Regeln zur Datenerfassung eingehalten werden, kann die Engineering-KI valide Vorhersagemodelle erstellen. Schritt 5: Valide Vorhersagemodelle mit Engineering-KI Analyser ® erstellen Im vorliegenden Projekt sagte das Engineering-KI-System nach dem Zusammenstellen der Anlernstichproben die 150 Geometriemerkmale plus alle Oberflächenmerkmale (s. Abbildung 2-3) vorher gemäß der Formel Yn = f(Xi), wobei Yn die Qualitätsanforderun‐ gen sind und Xi die Einflussgrößen in Form von Prozessparametern und Bedingungen außerhalb der Maschinen. Das bedeutet konkret, dass das Engineering-KI-System die neuen Soll-Werte für die Prozesstechnologien und deren Parameter ausgab, um die Qualitätsanforderungen und deren Spezifikationen zu erreichen. 2.2 Engineering-KI und Methode Robust Design - Vorgehen im Projekt 33 <?page no="34"?> Eine wichtige Erkenntnis aus den Vorhersagemodellen war z. B., dass die Einspritz‐ geschwindigkeit passend zum Einspritzdruckverlauf im Werkzeug eingestellt werden muss. Da die Umform-, Kaschier- und Spritzgussmaschinen für die Herstellung dieses Rezyklat-Bauteils nur ca. 60 Prozent der möglichen Einflussgrößen aus den Maschinen‐ steuerungen lieferten, wurden die restlichen 40 Prozent der möglichen Einflussgrößen von Hand erfasst. Das war möglich, da für das Engineering-KI-System Analyser ® wenige Stückzahlen für die Anlernstichprobe ausreichen. Es stellte sich heraus, dass mit der zusätzlichen manuellen Datenerfassung um ein Vielfaches bessere Erklärungsraten möglich sind als mit den Maschinen-Logs allein. Als Folge wurde ein Upgrade der Datenerfassung aus den Maschinen initiiert, um in Zukunft ohne manuellen Aufwand schneller bessere Ergebnisse zu erhalten. Damit wurde ein wichtiger Schritt bei der Digitalisierung auf dem Weg zur Industrie 4.0 mit vollautomatischer Steuerung und Regelung realisiert, der zuvor mangels konkreten Nutzens nicht gemacht worden war. Schritt 6: Komplexe Wirkzusammenhänge erkennen und Lösungen umsetzen Ein Vorteil der Engineering-KI ist, dass sie komplexe Wirkzusammenhänge und Wechselwirkungen erkennt, auch wenn hunderte, mitunter tausende Einfluss- und Zielgrößen im Spiel sind. Dabei wird bei den Einflussgrößen nach deren Herkunft unterschieden: ■ Qualität (Rohware, Design- und Prozessparameter), ■ Maschine, Werkzeug und Spannmittel (jeweils Prozessparameter und Mainte‐ nance-relevante Einflussgrößen), ■ Umwelt. Durch Bilden von multiplen, nicht-linearen Vorhersagemodellen über mehrere Ebenen werden die neuen Nominale und Soll-Werte errechnet. Durch die Vorhersagemodelle stellte sich heraus, dass das bisherige Formwerkzeug mit einer reinen Spritzgusspara‐ meter-Anpassung nicht alle Q-Merkmale der Geometrie erfüllen konnte. Deswegen wurde das Werkzeug an den entsprechenden Q-Merkmalen um den von der Enginee‐ ring-KI vorgeschlagenen Wert geändert und neu abgemustert. Für einige Prozessparameter konnten die Toleranzen geöffnet werden, ohne die Qualität zu beeinträchtigen. Denn enge Toleranzen führen nicht zwangsläufig zu Qualität, Funktionalität oder Prozess-Stabilität. Schritt 7: Best Settings aller Einflussgrößen Durch statistisch abgesicherte Parametrierung und statistische Tolerierung der Pro‐ zessparameter wurde Over Engineering vermieden. Die optimale Parametrierung 34 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI <?page no="35"?> und Tolerierung mit den Spezifikationen für alle Einflussgrößen wurden über 2 Einflussgrößen-Level errechnet und ausgegeben. Für alle nicht signifikanten oder schwachen Einflussgrößen Xi konnten die Toleran‐ zen ebenfalls entsprechend geöffnet werden. Das reduzierte die Herstellkosten um bis zu 10 Prozent. Bezogen auf Validierungsschleifen ohne Engineering-KI-Einsatz konnten bei den neuen Werkzeugen die Kosten um bis zu 60 Prozent sowie die Durchlaufzeiten um 50-Prozent reduziert werden. Der Yield pendelte sich schon nach dem C-Muster bei 97 Prozent ein, was den bisherigen OEE signifikant verbesserte. Damit sind auch erhebliche Steigerungen der Material-, Energie- und Ressourceneffizienz verbunden. Schritt 8: Verifizierung der Spezifikationen mit Bestätigungslos Zuletzt wurde sichergestellt, dass mit den neuen Rezyklat-Werkstoffen und den durch die Engineering-KI ermittelten Nominal-/ Soll-Werten für die Prozessparameter in Ver‐ bindung mit dem überarbeiteten Werkzeug tatsächlich nachhaltig Qualität produziert wird. Die neuen Nominale aus der Engineering-KI (aus Liste Best Setting, Schritt 7) wurden ingenieurtechnisch verifiziert und anschließend samt Spezifikationen mit den neuen Toleranzen ausgerollt und in einem Bestätigungslos validiert. Die Experten haben durch das Anlernen der Engineering-KI ihr Wissen transparent im KI-System verankert. Es steht in Form von eindeutigen Vorgaben der neuen Nominal-/ Soll-Werte mit Toleranzen und Spezifikationen 24/ 7 vor Ort zur Verfügung und ermöglicht so eine reibungslose Produktion mit weniger Fachpersonal. Optional können die relevanten Einflussgrößen Xi unter Statistische Prozesskon‐ trolle (SPC) gestellt werden. Durch Verbindung mit einem Automatic Messaging System wird dann bei Überschreiten der Warnbzw. Eingriffsgrenzen eine Nachricht gesendet. Dadurch werden mögliche Drifts der Einflussgrößen in Echtzeit erkannt, so dass man gegensteuern kann, noch bevor Ausschuss produziert wird. 2.3 Ergebnis Durch die Methode Robust Design und das Engineering-KI-System Analyser ® konnten im Projekt „Neuanlauf und Serie bei Kunststoffspritzguss-Hybrid-Bauteilen mit Rezy‐ klaten“ folgende Ergebnisse erzielt werden: ■ Die Rezyklat-Werkstoffe wurden in acht Wochen statt üblicherweise in vier Monaten in Serie gebracht werden, d.-h. die Durchlaufzeit wurde halbiert. ■ Die Herstellkosten konnten durch Öffnen der Toleranzen um 10 Prozent reduziert werden. ■ Es wurde abgesichert, dass mit dem überarbeiteten Werkzeug alle Q-Merkmale erfüllt werden können. 2.3 Ergebnis 35 <?page no="36"?> ■ Die Validierung mit den neuen Rezyklat-Werkstoffen erfolgte in nur 2 Validie‐ rungsschleifen statt der üblichen 5, d. h. die Werkzeug- und Anlaufkosten wurden um 60-Prozent reduziert. ■ Die Rückweiserate war bereits ab C-Muster auf Serien-Niveau. ■ Für die messbaren Qualitätsmerkmale erstellte die Engineering-KI die Best Settings der Prozessparameter für die Rezyklat-Werkstoffe. Die Rückweiserate betrug am Ende der Optimierung weniger als 3-Prozent. Die Methode Robust Design und die Engineering-KI Analyser ® haben sich im Fa‐ brik-Alltag zahlreicher Industrie-Unternehmen bewährt. Sie lassen sich verfahrens- und branchenübergreifend sowohl für Produktoptimierungen und -absicherungen als auch für Prozessoptimierungen einsetzen.[1] Literatur [1] Ein Beispiel für die Produktabsicherung im Bereich NVH/ Getriebe mit der Methode Robust Design und der Engineering-KI Analyser ® ist in den VDI-Berichten veröffentlicht: Thurner, F. (2022): Light into the Black Box. Using AI software to identify unknown mechanisms of action and resolve acoustic/ NVH problems - practical example of a passenger car powertrain, VDI-Berichte Nr.-2389, 2022, S.-779-785. 36 2 Digitalisierung vorantreiben und Qualität und Effizienz steigern mit Methode und Engineering-KI <?page no="37"?> 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen Marco Schlimpert, Moritz Schirmer, Bernd Linder-Hofmann Abstract Dieser Beitrag zeigt auf, wie mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ein erfolgreicher Transformationsprozess in einem internationalen, mittelständi‐ schen Konzern innerhalb von 3 Monaten messbar, effektiv und effizient gestaltet werden konnte. Die erzielten Ergebnisse und positiven Veränderungen durch die Nutzung KI-gestützter Tools in der beschriebenen Fallstudie haben sowohl die Erfahrungen mit bisherigen Transformationsprozessen ohne den Einsatz von KI als auch die Erwartungen des Top-Managements übertroffen. Der Artikel zeigt den Ansatz und die Vorgehensweise auf, wie KI transformierende Organisations‐ entwicklungen noch weiter deutlich wirksamer optimieren kann. Stichworte Künstliche Intelligenz, integral-systemische Transformation, Agilität, High Per‐ formance, Reorganisation, mentale Landkarten, intuitive Muster, Large Language Models (LLM), Tokenizer, Wertschätzung, Vertrauen, Empowerment 3.1 Einleitung In diesem Buchbeitrag befassen wir uns mit der Herausforderung, Menschen in einem Unternehmensbereich im Rahmen einer Reorganisation und in schwierigen ökonomischen Zeiten zur High Performance zu führen. Das Fallbeispiel zeigt, wie eine integral-systemische Vorgehensweise in Kombination mit Künstlicher Intelligenz dazu beitragen kann, den hierfür notwendigen Transformationsprozess zu begleiten und innerhalb kurzer Zeit positive Wirkung zu entfalten. Führungskräfte und deren Teams sind in der heutigen Zeit mehr denn je gefordert: Energiewende, fragile globale Lieferketten und Fachkräftemangel sind einige der unmittelbaren Themen, die kurzfristig gelöst werden müssen. Dadurch steigt die Komplexität in der Welt und damit die Notwendigkeit zu lernen, mit dieser umzugehen und unser Handeln entsprechend anzupassen. Im Kontext dieser Komplexität sind die Zeiten nun vorbei, in der die Unternehmensstrategie von der Unternehmensfüh‐ rung erarbeitet, Top-Down vorgegeben und von den Abteilungen linear geplant und umgesetzt werden können. Kaum haben die Führungskräfte ihre Teams auf die Strategie eingeschworen, Maßnahmenpläne erarbeitet und mit der Umsetzung begonnen, verändert sich das Umfeld. Neue Prioritäten entstehen und die erarbeitete Strategie ist obsolet geworden. <?page no="38"?> In solch herausfordernden Situationen ist es für Führungskräfte umso bedeutsamer darauf zu achten, dass das Engagement und die Verbundenheit der Mitarbeiter: innen zur Abteilung und zum Unternehmen zumindest erhalten und im besten Fall erhöht wird. Zwei Begriffe, sogenannte „Schlag-Wörter“ speziell für Mitarbeiter: innen, finden Einzug in die Managementsprache und treffen oftmals auf Irritation: Agilität und High Performance. Wie soll das in turbulenten und unsicheren Zeiten funktionieren? Agilität ist die Fähigkeit, die eigene Verhaltensweise auf einen sich ändernden Kontext anzupassen und trotzdem die gesteckten Ziele zu erreichen. Agilität bedeutet nicht, den gleichen Arbeitsinhalt in kürzerer Zeit schneller und besser umzusetzen. Sie beschreibt viel eher ein Attribut, wie schnell Mitarbeiter*innen sich an neue Situationen anpassen und trotzdem erfolgreich sind und nicht, wie schnell sie ihre Arbeit erledigen. Agilität ist nicht primär abhängig von Erwartungen der anderen, sondern wird aufgrund der Notwendigkeit von äußeren Umständen angestoßen. High Performance hingegen ist ein kontextuelles Attribut und hängt von der Erwar‐ tungshaltung des Managements ab - oftmals in Bezug auf Zeit, Kosten und Qualität. High Performance wird gefördert durch eine hohe Meinungsdiversität zur Erzielung von kreativen Spannungen, hohen Zusammenhalt sowie den tatsächlich erzielten Ergebnissen: entsprechen sie den Erwartungen kontinuierlich oder übertreffen sie diese sogar? 3.2 Die Ausgangssituation Die vorliegende Fallstudie betrachtet einen international agierenden, börsennotierten mittelständischen Konzern in der Prozessindustrie. Aufgrund der oben beschriebenen Dynamiken musste der Vorstand innerhalb kurzer Zeit das Unternehmen an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen. Markterweiternde und umsatzsteigernde Maßnahmen (Top-Line) wurden ebenso getroffen wie Anpassungen der Organisati‐ ons- und Kostenstrukturen (Bottom-Line). In diesem Zusammenhang wurde eine Reorganisation, Personalabbau sowie die Reduktion der Führungsspannen auf den jeweiligen Organisationsebenen durchgeführt. In dem konkreten Fall wurden zwei wesentliche und zukunftsorientierte Abteilungen in einen Vice-President-Bereich zusammengelegt. Der Auftrag des Vorstandes war, die gesamte Innovationskraft und Technologie des Konzerns zu bündeln und das Powerhouse der Innovation zu gründen. Es handelte sich dabei um den Bereich Continuous Improvement sowie die Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Continuous Improvement wurde drei Jahre zuvor mit der Zielsetzung etabliert, das operative Technologie Know-How des Konzerns zu bündeln, mit Methoden von Lean Management anzureichern und konzernweit signifikante EBITDA-Verbesserungen zu erzielen. Des Weiteren sollten Technologiestandardisierungen sowie innovative Vorgehensweisen für die Produktion umgesetzt werden. Die Gruppe bestand aus Prozesstechnologen, erfahrenen ehemaligen Produktionsmanagern in der letzten De‐ kade ihres aktiven Arbeitslebens, Lean Management Berater und Automatisierungs‐ 38 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="39"?> techniker. Im Sinne einer holistischen Vorgehensweise wurde sowohl eine zentrale, kleine und effektive Gruppe gegründet, als auch dezentral die Expertise in den Produktionswerken gestärkt und die jeweiligen Organisationsstrukturen angepasst. Der erfolgreiche Aufbau der Organisation gelang mit dem Fördern von Diversität, von Zusammenhalt über eine gemeinsam erarbeiteten Purpose und Strategie, dem Aufbau der hierfür notwendigen Rollen und Strukturen sowie die Erarbeitung von gemeinsamen Zielen. Die partizipative Vorgehensweise verschaffte dem Team eine neue gemeinsame Identität. Dies führte innerhalb von zwölf Monaten zu Ergebnissen, die die Erwartungen des Vorstands übertrafen: Das Team hat sich im Konzern innerhalb kurzer Zeit als High-Performance Team etabliert. Die Abteilung Forschung und Entwicklung existierte seit der Unternehmensgrün‐ dung und entwickelte sich in dieser Zeit evolutionär. Visionäre Manager der frühen Stunde hatten neue Produkttechnologien entwickelt, von denen der Konzern noch heute profitiert. Die Entwicklungszyklen für disruptive Produkttechnologien betrugen rund 15-20 Jahre, anwendungsbezogene Produktanpassungen wurden in Zyklen von 3-5 Jahren umgesetzt. Der Innovationsprozess umfasste die klassische Vorgehensweise der Stage-Gate Modell Logik: von der Idee zu Laborversuchen, zu ersten Produkti‐ onsversuchen in Pilotanlagen und der entsprechenden Evaluierung des Business Cases bis hin zur industriellen Skalierung in einem Produktionswerk. Im Laufe der Zeit wurden vermehrt externe Partner in den Innovationsprozess integriert. Somit umfasste die Organisation neben dem klassischen Forschungsbereich die spezifischen Produktlabore, die Pilotanlagen sowie das Management von externen Stakeholdern. Nach dem letzten CEO-Wechsel jedoch verlor die Abteilung ihr ursprünglich sehr hohes Ansehen und die Performance wurde von der Führung eher als stagnierend oder gering mit hohem Verbesserungspotenzial empfunden. 3.3 Die Reorganisation Im Rahmen der Restrukturierung des Geschäfts wurde das Unternehmen neu organi‐ siert und ein Mitarbeiterabbauprogramm durchgeführt. Es wurden insgesamt drei marktorientierte und ergebnisverantwortliche Business Units eingeführt. Continuous Improvement wurde mit der Forschung zusammengelegt, die produktorientierte Ent‐ wicklung wurde in die jeweiligen Business Units eingegliedert. Dieser nun neu formierte Innovationsbereich berichtete nicht mehr an den CEO, sondern an die neugeschaffene Funktion des Chief Technology Officer (CTO). Die Reorganisation führte zu einer schlagartigen Demotivation der Mitarbeiter: in‐ nen. Zunächst stieg die Unsicherheit aufgrund des Personalabbaus. Die organisatori‐ sche Komplexität in der Kommunikation ist durch die Schaffung von drei Business Units ebenfalls gestiegen und damit auch die Unklarheit über Rollen, Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse. Zudem wurde aus der subjektiven Sicht der Mitarbei‐ ter: innen die F&E Abteilung „degradiert“ (die Abteilung wurde erstmalig in der Unternehmensgeschichte aufgespalten und berichtete fortan nicht mehr an den CEO, 3.3 Die Reorganisation 39 <?page no="40"?> sondern an den CTO). Der Bereich der Pilotanlagen wurde in ihrer ursprünglichen For‐ schungs-Logik hinterfragt und nun mit der Effizienz-Logik eines Produktionsbetriebes gesteuert, was zu einer massiven Disruption im Selbstverständnis der Forschungs‐ mitarbeiter: innen führte. Schließlich führte die unsichere Situation zu einer hohen Fluktuation von hoch qualifizierten Mitarbeiter: innen. Die Führungskraft eines solchen Bereichs steht nun vor einer komplexen Führungs‐ situation: notwendige marktbedingte Anpassungen müssen umgesetzt werden und die Performance sinkt signifikant mit der Zusammenlegung der beiden Abteilungen. Zudem nehmen die ungeplanten Störungen in den Produktionsbetrieben zu und geplante Ausbauprojekte funktionieren technologisch nicht mehr so wie erwünscht. Wie integriert man nun das Team in einer solch herausfordernden Situationen innerhalb kurzer Zeit? Welche Maßnahmen müssen getroffen werden, damit die Interventionen zielgerichtet wirksam werden? Welcher ist der Kern dessen, was die Mitarbeiter: innen tatsächlich bewegt und wie kann ein Prozess aussehen, der innerhalb kurzer Zeit seine Wirksamkeit entfaltet? Wie kann die Führungskraft dem Mantra begegnen: „Veränderungen benötigen ihre Zeit“? Die klassischen Change Management Methoden stoßen in solche komplexen Situa‐ tionen an ihre Grenzen. Ein großer Teil dieser Methoden wirkt auf die sichtbaren Verhaltensweisen von Menschen und beschreibt den Wirkungsverlauf, wenn Verän‐ derungen von außen induziert werden. Sie vernachlässigen jedoch den inneren Kern, was Menschen tatsächlich bewegt. Dies führt oft zu linearen und vereinfachten Ursache-Wirkungsprinzipien, die in komplexen Situationen jedoch nicht hilfreich sind. Die integral-systemische Vorgehensweise greift genau an diesem Punkt an: sie iden‐ tifiziert die Quelle der Verhaltensweisen der Menschen und setzt dort mit geeigneten Interventionen an. Sie führt zu Resonanz im gesamten Team, denn Interventionen sind sofort wirksam und müssen nicht kaskadenförmig in die Organisation eingeführt werden. Das Grundprinzip lautet: „Vertraue darauf, dass Menschen im Grunde sehr gut mit Krisen umgehen können“. In Krisen werden jedoch oftmals die in der Vergan‐ genheit aufgestauten negativen Empfindungen oder Verletzungen sichtbar und treten aus der Innenwelt der Menschen ins außen vor. So entstehen, je nach Disposition der Menschen, jene Verhaltensweisen, die einen Veränderungsprozess erschweren. Die Ursachen dieser Verhaltensweisen resultieren im beruflichen Kontext sehr häufig aus Situationen, in denen die systemischen Führungsprinzipien über einen längeren Zeitraum missachtet wurden. Diese systemischen Führungsprinzipien lauten: ■ Würdigung über Anerkennen des Vorhandenen, der Altersreihenfolge und der Zugehörigkeit. ■ Zusammenarbeit über Klarheit, Wertschätzung, Lösungs-, Zweck- und Aufgaben‐ orientierung, sowie ■ Akzeptanz der Kompetenz, des persönlichen Einsatzes und der Hierarchie, und ■ Ausgleich von Geben und Nehmen 40 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="41"?> Für die Führungskraft ist es nicht ersichtlich, welcher der tiefe Kern der Verhaltens‐ ursache ist. Diesen zu identifizieren ermöglicht es, einen Change Prozess von innen her zu begleiten und damit eine tiefgreifende Transformation durchzuführen, welche innerhalb kurzer Zeit wirksam und erfolgreich ist. Wie sieht die Vorgehensweise in dem konkreten Fallbeispiel aus? 3.4 Die Vorgehensweise Im Rahmen von Reorganisationen ist eine der größten Herausforderung für die Führungskraft herauszufinden, mit welchen Interventionen der bestmögliche Effekt in möglichst kurzer Zeit erzielt werden kann. Es ist nicht notwendig, von Anfang an die Antwort auf diese Frage zu haben. Ein geeigneter Transformationsprozess hilft jedoch, die Antwort zu erhalten und im Sinne von „Build-Measure-Learn“ die geeignete Methode anzuwenden. In dem konkreten Beispiel sah das Design des Transformationsprozesses vier Schritte vor: Abbildung 3-1: Die Vorgehensweise (eigene Darstellung) Erster Schritt: Die Vorbereitung (Prepare) Wie kann der Transformationsprozess für einen neu geschaffenen Bereich mit 200 Mitarbeiter: innen, vier Abteilungsleitern und 25 Teamleitern aussehen? Diese Frage wurde mit den Abteilungsleitern diskutiert und das Design besprochen. Es war den Abteilungsleitern sehr schnell klar, dass die Transformation nur dann funktionieren 3.4 Die Vorgehensweise 41 <?page no="42"?> konnte, wenn der tiefe Kern der Mitarbeiter: innen angesprochen wird. Hierfür wurden zwei Methoden ausgewählt: persönliche Interviews mit allen Teamleitern durch den Vice-President sowie eine qualitative Umfrage auf Basis moderner Kognitionspsy‐ chologie. Mit dieser Art der Umfrage auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurde es erstmals möglich, die handlungsleitenden und intuitiven Muster der Mitarbeitenden zu explizieren und über Künstliche Intelligenz zu analysieren. Die Nominierung eines interdisziplinären und divers aufgestellten Kernteams von sechs Personen, welches den Prozess organisiert, begleitet und als Ansprechpartner für alle Mitarbeiter: innen dient, unterstützte die Führungskraft. Zusätzlich geplante Informationsveranstaltungen an alle Mitarbeiter: innen sollten für Transparenz im gesamten Ablauf sorgen. Zweiter Schritt: Die Entdeckungsreise (Discover) In diesem Schritt wurden die persönlichen Interviews sowie das Umfrageformat als Pre-Test durchgeführt, um die Ist-Situation zu erfassen, was Erlebnisfaktoren aus der subjektiven Perspektive der Mitarbeitenden sind. Während herkömmliche Umfragen von den Anwendern verlangen, schon vorher zu wissen, wonach sie fragen, erklärt das hier verwendete Verfahren die Mitarbeitenden selbst zu den Experten ihres Erlebens. Die Kernthese der Kognitionspsychologie lautet dabei: Mitarbeitende konstruieren die Beweggründe durch ihre eigene Subjektivität und geben so ihrer Arbeitswelt Bedeutung. Um herauszufinden, was die Mitarbeitenden in ihrem tiefen Kern - ihrer mentalen Landkarte - bewegt, müssen die Subjektivität und die damit verbundene Exklusivität des Konstruktionsprozesses von Bedeutung ernst genommen werden. Das heißt nichts anderes, als den Erkenntnissen der Neurowissenschaften zu folgen. Konkret hatte dies mehrere Implikationen für das Design der verwendeten Erhe‐ bung. Mitarbeitende konnten selbst uneingeschränkt antworten und drückten damit ihre erlebte Bedeutung genau so aus, wie sie es in ihrer herkömmlichen Sprachverwendung auch getan hätten. Gleichzeitig war das Erhebungsinstrument so aufgebaut, dass nicht zurechtgelegte Meinungen der Mitarbeitenden erfasst wurden, sondern die intuitiven Muster, die handlungsleitend für den Konstruktionsprozess von Bedeutung waren. Während herkömmliche Freitext-Antwortfelder in Umfragen nur kontextabhängige Meinungen erfassen, sind die intuitiven Unterscheidungen über Zeit und Kontext relativ stabil. In dem konkret verwendeten Umfrageformat wurde dies über die drei folgenden Leistungsschritte erreicht: 1. Intuitive Unterscheidungsleistung 2. Rationale Beschreibungsleistung 3. Intuitive Reflexionsleistung Zu Beginn wurden die Mitarbeitende in eine Unterscheidungssituation gebracht, wo sie mit ihren intuitiven Mustern eine Unterscheidung von Bedeutungen ihrer Arbeitswelt 42 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="43"?> treffen konnten. Im nächsten Schritt wurde auf diese intuitive Unterscheidung Bezug genommen und darum gebeten, die intuitiv getroffene Unterscheidung zu rationalisie‐ ren. So konnte sprachlich explizit gemacht werden, weshalb die Mitarbeitenden diese Unterscheidung getroffen haben. Im letzten Schritt wurden anschließend Sortierungen durchgeführt, die zusammenfassten, in welchem Bedeutungszusammenhang die Mit‐ arbeitenden die expliziten Beschreibungen ihrer intuitiven Unterscheidung einordnen. Letztlich entstand so ein semantischer Raum als qualitative Datengrundlage. Mittels Künstlicher Intelligenz war es nun möglich, diese tausenden sprachlichen Angebote von Zusammenhängen intuitiver Unterscheidungen zu analysieren. Damit wurden auf dieser Datengrundlage genau die Kategorien gebildet, die aus dem Erleben der Mitarbeitenden heraus relevant für Ihren Arbeitskontext waren. Das subjektive Erleben der Mitarbeitenden wurde sichtbar und für den Transformationsprozess nutzbar, was bei herkömmlicher Befragung durch die vorgegebenen Kategorien und Skalierung von Fragebögen in aller Regel verzerrt würde. Als Ergebnis in diesem konkreten Fall sahen die Mitarbeiter: innen: ■ „sich gesehen fühlen“ (Ausdruck von Wertschätzung) ■ „sich Hingabe trauen zu dürfen“ (Ausdruck von Vertrauen) ■ „Gestaltungsraum zugesprochen zu bekommen“ (Ausdruck von Empowerment) als wichtigste Performance-Enabler an. Mittels dieser hoch differenzierten Ist-Analyse ist der Bedeutungshintergrund der Ansatzpunkte für die Gestaltung des Transforma‐ tionsprozesses sichtbar geworden. Das Ziel war es nun, ein Design zu entwickeln, welches genau auf die Verbesserung dieser Enabler abzielte. Dritter Schritt: Der kreative Gestaltungsakt (Design) Mit den Ergebnissen aus der Analyse konnte nun der Transformationsprozess gestaltet werden, welcher intuitions-basierte Elemente und rational-kognitive Elemente vorsah. Spezielle Workshop-Formate zur Förderung der Wertschätzung (Kraftfeldanalyse, 7 Generationen-Workshop), zur Stärkung von Verbundenheit und Vertrauen (vertieftes Zuhören, Case Clinic) sowie der Schaffung von Gestaltungsspielraum und Verantwor‐ tung für Entscheidungen (Erarbeitung eines Purpose, der Strategie und Ziele) konnten damit entwickelt werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war es, den gesamten Bereich zu involvieren. In der Gestaltung des Prozesses war ein Wechselspiel zwischen rational-logischen (Bewusstsein) und intuitiven Elementen (Unterbewusstsein) sehr hilfreich. Die hierfür entwickelte „5 I“ Vorgehensweise unterstützte den Transformationsprozess effektiv. Wie sieht diese Vorgehensweise aus? Sie startet mit einer Intervention, die zu Irritation (erstes „I“) führt. Dadurch entsteht die notwendige Aufmerksamkeit und Bereitschaft für Neues und somit zur Inspiration (zweites „I“). Hier liegt die Schwelle zum Unterbewusstsein. Unter Anwendung von intuitiven Methoden (Halten der Durchbruchsfrage, Nature Walk, Stille, Meditation 3.4 Die Vorgehensweise 43 <?page no="44"?> bis hin zur repräsentativen Wahrnehmung über Organisationsaufstellung) taucht man nun weiter ins Unterbewusstsein ab. Denn genau in diesem Bereich entsteht Neues - die Innovation (drittes „I“). Ab nun können erste Maßnahmen abgeleitet und implementiert werden (viertes „I“). Stetig kehrt man nun zurück an die Schwelle des Bewusstseins. Ab nun ist es wichtig, Prozesse, Systeme und Organisation so anzupassen, dass diese Maßnahmen nachhaltig im Unternehmen inkorporiert werden können (fünftes „I“). Abbildung 3-2: „5-I“ Prozess (eigene Darstellung) Vierter Schritt: Die Umsetzung (Deliver) Die Umsetzung ist Chef-Sache: die Führungskraft des Bereichs führte und begleitete die Transformation aktiv und authentisch, ansonsten würde der Prozess nicht seine Wirkung entfalten. Die Qualität der Intervention hängt vor allem vom inneren Zustand der jeweiligen Führungskraft und ihrer autonomen geistigen Haltung gegenüber Menschen ab. 44 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="45"?> Abbildung 3-3: Das passgenaue Design der Transformation (eigene Darstellung) Das Kernteam unterstützte die Führungskraft bei der Planung, Organisation und Dokumentation. Es fungierte auch als vertrauensvoller Ansprechpartner in die Or‐ ganisation, unterstützte die Mitarbeiter: innen bei auftretenden Fragen und gab der Führungskraft Feedback über die Wirkung der Intervention. Über die regelmäßigen Informationsveranstaltungen wurden die Mitarbeiter: innen des gesamten Bereichs über den aktuellen Status informiert. Der Höhepunkt der Umsetzung in dem konkreten Fall war der dreitägige Pur‐ pose-Quest, an dem ein zwölfköpfiges, interdisziplinäres und divers aufgestelltes Team mit ausgewählten Mitarbeiter: innen aus der gesamten Organisation drei Tage lang nach der Identität und dem Purpose des Bereich geforscht haben. Nach diesen drei Tagen war der Purpose katalysiert, welchen den einzigartigen Beitrag und Effekt des Bereichs innerhalb des Konzerns beschrieben hat. Daraus wurden in sogenannten Purpose Connect Workshops mit der Organisation die Sichtbarmachung des Purpose in der täglichen Arbeit, die entsprechenden Ziele und erwünschten Resultate erarbeitet. Aufgrund des Prozessdesigns stieß das Purpose-Statement sofort mit den Mitarbei‐ ter: innen des Bereichs auf Resonanz. In den darauffolgenden Workshops mit den Führungskräften wurden die Strategie, Strukturen und Prozesse sowie konkrete Maßnahmen inklusive Umsetzungspläne er‐ arbeitet. Der Roll-Out des Purpose, der Strategie und die neue Art der Zusammenarbeit wurde in weiterer Folge vom Kernteam begleitet. 3.4 Die Vorgehensweise 45 <?page no="46"?> 3.5 Die Ergebnisse und Effekte: Der Durchlauf des Prozesses bis zu den Purpose Connect Workshop dauerte drei Monate. Nach diesen Workshops wurde eine Folgeumfrage (Post-Test) mittels dem beschriebenen Umfrageformat durchgeführt (siehe Abschnitt Pre-Test). Wie in der Einleitung beschrieben, können zu jeder Zeit ungeplante Ereignisse eintreten und bereits gefasste Pläne zunichte machen. Während des Transformations‐ prozesses ist eine weitere massive Störung eingetreten: Ein zusätzlicher Personalabbau wurde kurz vor der Folgeumfrage (Post-Test) bekannt gegeben. Trotz der nun auftre‐ tenden Dynamiken konnte die Analyse mittels künstlicher Intelligenz die Effekte des Transformationsprozesses messen. Bei der Analyse wurde zunächst der intuitive und versprachlichte Dateninput als Quantifizierung eingebettet (embedding). Auf dieser Grundlage wurden dimen‐ sionsreduzierende Algorithmen verwendet, um die sprachliche Komplexität zu re‐ duzieren. Anschließend wurden Klassifikationsverfahren angewandt, um letztlich Token-basierte Repräsentationen des semantischen Gehalts zu erzeugen. Über ein Large Language Model (LLM) wurde abschließend ein Fine-Tuning durchgeführt. Dieser KI-basierte Analyseprozess der subjektiven Erlebnisdaten wurde zusätzlich in ein Framework integriert, was die relative Gewichtung der Daten ableitet. Am Ende entstand so die quantitativ valide Vergleichsmöglichkeit zwischen den Messzeit‐ punkten. Abbildung 4 zeigt schematisch den durchgeführten Analyseprozess, um das subjektive Erleben der Mitarbeitenden in ihrem Arbeitskontext vergleichbar zu machen. Abbildung 3-4: KI-Analyseprozess (eigene Darstellung) Im Vergleich zur Referenzgruppe (Mitarbeiter: innen aus der Entwicklung, die in die Business Units eingegliedert wurden und nicht an der Transformation teilgenommen haben) verbesserten sich die ursprünglich angegebenen Performance-Enabler deutlich: ■ „sich gesehen fühlen“ (Ausdruck von Wertschätzung). ■ „sich Hingabe trauen zu dürfen“ (Ausdruck von Vertrauen) ■ „Gestaltungsraum zugesprochen zu bekommen“ (Ausdruck von Empowerment) 46 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="47"?> Der beschriebene Transformationsprozess dauerte in dem konkreten Anwendungs‐ beispiel drei Monate. Der betroffene Bereich umfasste 200 Mitarbeiter: innen. 105 Mitarbeiter: innen nahmen an den Umfragen teil, insgesamt gab es mehr als 280 individuelle Feedbacks, welche in dem Prozess zusätzlich verarbeitet wurden. Sechs Leadership- und Kernteam-Workshops, zehn Purpose Connect Workshops mit insge‐ samt 150 Teilnehmer: innen wurden durchgeführt. Die Unterstützung des Prozesses mit den kognitionspsychologisch basierten Um‐ frageformat hat dazu geführt, dass innerhalb dieser drei Monate, trotz schwieriger Ausgangslage, die zu Beginn identifizierten Performance Enabler (Vertrauen, Wert‐ schätzung und Empowerment) zielgerichtet bearbeitet und deutlich verbessert werden konnten. Weitere drei Monate später, am Ende des Geschäftsjahres, war die im Unter‐ nehmen etablierte Value-Creation-Pipeline, welche im Controlling EBITDA-wirksame Verbesserungsmaßnahmen des Konzerns misst, um 70-% gestiegen. Erkenntnisse aus der vorliegenden Fallstudie: Traditionelle Change Management Prozesse wirken an den sichtbaren Symptomen einer Organisation und begleiten Mitarbeiter: innen, wenn Veränderungen von außen induziert werden. Sie stoßen in komplexen und schwierigen Situationen an ihre Grenzen. Herkömmliche Fragebögen geben im Vorfeld die Struktur vor und verzerren dadurch die Aussagekraft. Die Ergebnisse sind nicht valide, weil nur einzelne Perspek‐ tiven erfasst werden. Generell sind die Erstellung, Auswertung und Ableitung von konkreten Maßnahmen von solchen Fragebögen mit sehr hohem Aufwand verbunden. Systemische Transformationsprozesse hingegen wirken an der Quelle der Sym‐ ptome und involvieren alle Mitarbeiter: innen von innen heraus bei der effektiven Gestaltung des Veränderungsprozesses. Sie nehmen die Unterschiede und Konflikte in den Nahtstellen der Organisation auf. Dadurch entsteht eine kreative Spannung. Die Entwicklung dieser mit datenbasierten Analysen und systemischen Interventionen kombinierte Vorgehensweise führte in dem Anwendungsbeispiel zu tiefgreifenden Einsichten und Lösungen für das aktuelle komplexe Problem. Die spezielle Form das Erleben der Mitarbeitenden zu erfassen und mittels Künstlicher Intelligenz zu analysieren, war eine effektive Begleitung des vorliegenden Transformationsprozesses. Sie gab der Führungskraft konkrete und situationsspezifische Handlungsanleitungen, um zielgerichtet den Transformationsprozess zu gestalten und durchzuführen. Dieses Beispiel veranschaulicht, dass Integrations- und Veränderungsprozesse, entsprechend gestaltet, schnelle Wirkung entfalten können. Wird KI so eingesetzt wie hier beschrieben, ermöglicht dies eine menschenorientierte Führung und gibt der Führungskraft Sicherheit für Entscheidungen in schwierigen Situationen. Das subjektive Erleben der Mitarbeitenden sichtbar zu machen und als Referenz für die Gestaltung von Transformationsprozessen zu integrieren, ist ohne solche Tools nur bedingt möglich. 3.5 Die Ergebnisse und Effekte: 47 <?page no="48"?> 1 In Anlehnung an Stacey Matrix (R.D. Stacey) 3.6 Fazit und Ausblick Ein wirksamer Transformationsprozess, wie er hier dargestellt wird, verbindet in einem integralen Verständnis intuitions-basierte Elemente und rational-kognitive Elemente. Beide Herangehensweisen sind gleichwertig und können in einem Prozess, der für seine volle Wirksamkeit ökonomische und kulturelle Elemente miteinander verknüpfen muss, in einer symbiotischen Kombination ihre Wirkung entfalten. Eine kognitiv-rationale Herangehensweise ist vor allem als Zugang für komplizierte Zustände geeignet. Kompliziertheit liegt dann vor, wenn in einem System ein hoher Vernetzungsgrad vorliegt, Änderungen die beabsichtigte Wirkung haben und ein nachvollziehbares Systemverhalten auftritt. Dies ist die Grundlage des technischen Verstehens der Welt. Wenn sich Zustände verändern und komplexer werden, dann stoßen kognitive, rational-logische Herangehensweisen an ihre Grenzen und die Entscheidungsqualität nimmt rapide ab (siehe Abbildung 3-5). Abbildung 3-5: Zustände und Zugänge (eigene Darstellung) 1 Ein intuitives, prozessual-ganzheitliches Erfassen ist ein Zugang zu komplexen Zustän‐ den. Komplexität liegt dann vor, wenn ein System einen hohen Vernetzungsgrad hat, kleine Änderungen große Auswirkungen haben und ein sprunghaftes, ergebnisoffenes 48 3 Der praxisorientierte Einsatz von KI in der Transformation von Organisationen <?page no="49"?> 2 In Anlehnung an Oswald u.-a. 2017, 272 und nicht nachvollziehbares Systemverhalten zeigen. 2 Mit unserer Intuition sind wir in der Lage, uns das rational-logisch Unerklärliche zu erschließen, es ist unsere Fähigkeit zur Relations- und Mustererkennung. Hier liegt die Anknüpfung zur KI: Mustererken‐ nung aus massenhaften Daten ist der Schlüssel zum maschinellen „Lernen“ sowie die Messbarmachung von ansonsten schwer erklärbaren Erkenntnissen. Die intuitiv erkannten Muster bilden die Grundlage, um geeignete Maßnahmen kognitiv zu planen, durchzuführen und zu messen. In dem Zusammenwirken der Intuition mit der Kognition mit Hilfe eines KI-gestützten Systems können Ergebnisse erzielt werden, die mit einer eindimensionalen Herangehensweise derart nicht zu erreichen wären. Durch die hier beschriebene Verfahrensweise bahnt sich eine neuartige Möglichkeit an, die das subjektive Erleben von Mitarbeitenden als qualitative Datenreferenz zur Verfügung stellt und damit die Art und Weise, wie Transformationen in Organisatio‐ nen passgenau und menschenorientiert gestaltet werden können, deutlich erweitert. Sichtbar machen, was wirklich bewegt. Tun, was tatsächlich wirkt. So kann es gehen. Literatur [1] Oswald, Alfred; Köhler, Jens; Schmitt, Roland: Projektmanagement am Rande des Chaos-- -Sozialtechniken für soziale Systeme, 2. Auflage, Wiesbaden 2017 3.6 Fazit und Ausblick 49 <?page no="51"?> 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung Nicole Schelter; Dirk Veiel Abstract Generative KI kann natürlichsprachliche Anforderungen in präzise und visuelle Modelle umwandeln, wodurch Mehrdeutigkeiten reduziert und ein gemeinsames Verständnis unter den Stakeholdern gefördert wird. Die Integration von Feedback‐ schleifen trägt wesentlich zur Genauigkeit und Relevanz der generierten Inhalte bei. Der Artikel zeigt zwei Fallbeispiele, die die Vorteile der Automatisierung bei der Erstellung von Anforderungsdokumenten und der Visualisierung komplexer Anforderungen illustrieren. Er diskutiert Herausforderungen wie technische Li‐ mitationen, ethische Bedenken und die Notwendigkeit effektiver Kommunikation zwischen KI-Systemen und Nutzenden. Der Artikel zeigt ebenfalls das Potenzial generativer KI für die Innovationsförderung und Effizienzsteigerung in der An‐ forderungsermittlung auf. Abschließend wird die Entwicklung neuer Berufsbilder in der Anforderungsermittlung prognostiziert und es wird auf ethische sowie technische Herausforderungen und Lösungsansätze verwiesen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Generative KI, Large Language Models Anwendung, Inno‐ vationen, Anforderungsermittlung, Requirements 4.1 Einleitung Problemstellung Die Anforderungsermittlung ist ein kritischer Schritt im Projektmanagement, da sie die Grundlage für die Entwicklung und den Erfolg eines Projekts bildet. Die Verwendung von Künstlicher Intelligenz (KI), insbesondere generativer KI, kann in diesem Prozess von großem Nutzen sein. Die Ermittlung von Anforderungen auf Basis natürlicher Sprache ist nichtsdestotrotz mit mehreren Herausforderungen verbunden. Natürliche Sprache ist oft mehrdeutig und kann zu Missverständnissen führen [1]. Die Semantik natürlicher Sprache ist komplex, und die Bedeutung von Wörtern und Sätzen kann je nach Kontext variieren [7]. Dies kann zu Problemen bei der Interpretation und Um‐ setzung von Anforderungen führen, da unterschiedliche Stakeholder möglicherweise unterschiedliche Interpretationen derselben Anforderungen haben. Darüber hinaus können kulturelle und sprachliche Unterschiede die Kommunikation zwischen den Beteiligten weiter erschweren. Gerade die Kommunikation und die Einbindung der <?page no="52"?> Nutzenden sind aber kritische Erfolgsfaktoren [4]. Visuelle Darstellungen können wesentlich zur Verdeutlichung beitragen, haben aber auch ihre Herausforderungen. Sie können komplex, schwer zu beschreiben und interpretieren sein, insbesondere für diejenigen, die nicht mit möglicherweise verwendeten Modellierungssprachen vertraut sind. Darüber hinaus können sie wichtige Nuancen und Kontextinformationen verlieren, die in der natürlichen Sprache vorhanden sind. 4.2 Generative KI in der Anforderungsermittlung Generative KI-Systeme können dazu beitragen, die Mehrdeutigkeit der natürlichen Sprache zu überwinden, indem sie Anforderungen in präzisere und visuelle Darstel‐ lungen umwandeln. Solche Systeme generieren aus natürlichsprachlichen Beschrei‐ bungen visuelle Darstellungen, die leichter zu verstehen und zu interpretieren sind. Dies kann die Klarheit und Präzision der Anforderungen verbessern und sicherstellen, dass alle Beteiligten ein gemeinsames Verständnis haben. Generative KI kann zudem eine Vielzahl von Lösungen generieren, was die Kreativität und Innovation [5] fördert. Trotzdem können zwischen Benutzenden und generativer KI Missverständnisse entstehen. Um sicherzustellen, dass die Anforderungen korrekt verstanden und um‐ gesetzt werden, müssen die Benutzenden in den Prozess einbezogen werden. Auf Basis der visuellen Darstellungen können sie ihre Gedanken und Bedenken selbst reflektieren und damit effektiver kommunizieren. Dies ermöglicht es dem Projektteam, Anforderungen schnell anzupassen und zu verfeinern, was zu einer höheren Nutzungs‐ zufriedenheit und einer besseren Produktqualität führt. Darüber hinaus ermöglichen formale Sprachstrukturen wie in [7] eine Präzisierung, die ebenfalls selbstständig reflektiert und überarbeitet werden kann. Für Projektmanagende bietet die Verwendung von KI in der Anforderungsermittlung die Möglichkeit, effizienter und effektiver zu arbeiten. Sie können schnellere und genauere Anforderungsmodelle erstellen und haben ein Werkzeug, um die Kommuni‐ kation zwischen technischen und nicht-technischen Stakeholdern zu erleichtern. [2] zeigt u. a., dass 70-85% der Kosten für Nacharbeit auf Fehlern in den Anforderungen beruhen. Auf der anderen Seite profitieren Benutzende von einer stärkeren Einbindung in den Entwicklungsprozess und einer höheren Wahrscheinlichkeit, dass das Endpro‐ dukt ihren Bedürfnissen entspricht. 4.3 Praktische Anwendungsfälle generativer KI im Projektmanagement Im Rahmen der konkreten Anwendung generativer KI im Projektmanagement be‐ trachten wir zwei praktische Fallbeispiele, die die Automatisierung der Erstellung von Anforderungsdokumenten und die Visualisierung komplexer Anforderungen umfassen. Diese Fallbeispiele demonstrieren, wie generative KI-Technologien die An‐ 52 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung <?page no="53"?> forderungsermittlung effizienter, genauer und benutzerfreundlicher gestalten können. Beide Fallbeispiele basieren auf dem gleichen Projekt, dem gleichen Stakeholder und identischer Anforderung, daher wird es zunächst kurz zusammenfassend vorgestellt. Damit werden Informationen bereitgestellt, die typischerweise in der Zusammenarbeit mit Stakeholdern vorhanden sein sollten [6]. Fallbeispiel Das Project Charter dokumentiert das Vorhaben zur Entwicklung einer Vereinsverwal‐ tung für einen Sportverein, mit dem Ziel, ein umfassendes System für die Verwaltung, Analyse und Berichterstattung von Leistungsdaten, inklusive Spielerstatistiken, Trai‐ ningsergebnissen, Finanzdaten und Mitgliederinformationen, zu implementieren. Es betont die Notwendigkeit eines integrierten Systems zur Effizienzsteigerung, besseren Entscheidungsfindung und erhöhten Transparenz. Zu den Kernanforderungen gehö‐ ren die Sammlung und Verarbeitung verschiedener Datentypen, benutzerfreundliche Schnittstellen, Datensicherheit, Real-Time Reporting und mobile Zugänglichkeit. Es werden auch Risiken, Annahmen, Einschränkungen und Stakeholder identifiziert, wobei ein vorläufiger Zeitplan und Budgetrahmen festgelegt werden. Die Stakeholder-Persona beschreibt Zelda, die Vorstandsvorsitzende des Vereins, die die Gesamtverantwortung trägt, aber keine spezifischen Fachkenntnisse in einem bestimmten Bereich hat. Zelda sieht das Projekt als notwendig an, um den Überblick über die Vorgänge im wachsenden Verein zu behalten, einschließlich Mitgliederfluk‐ tuation, Honorierung der Mitgliederleistungen, Umgang mit Kritik und Anregungen sowie die vorausschauende Finanzplanung. Sie hat keine Erfahrung mit vergleichba‐ ren Projekten, nutzt in ihrem Handwerksbetrieb Standardsoftware und bevorzugt persönliche Kommunikation vor Videokonferenzen. Zelda möchte einen einzigen Kontakt im Projekt haben und pflegt enge Verbindungen zu ihren Mit-Vorständen. Die Anforderung ist: „Ich möchte jederzeit unsere Finanzen im Blick haben.“. Automatisierte Erstellung von Anforderungsdokumenten Die automatisierte Erstellung der Anforderungsdokumente nutzt die Möglichkeiten einer generativen KI, konkret ChatGPT 4.0, die auf dem Verständnis natürlicher Sprache mittels Large Language Models (LLMs) basiert. Der natürlichsprachliche Anforderungstext sollte nun zusammen mit der Stakeholderbeschreibung und dem Project Charter analysiert werden. Zunächst wurden aus dem sehr oberflächlichen Anforderungstext entsprechende funktionale sowie nichtfunktionale Anforderungen abgeleitet. Im nächsten Schritt wurde die resultierende Anforderungsliste unter Ver‐ wendung von Schablonen zur Formulierung präziser Anforderungen verbessert. Tabelle 4-1 stellt eine der drei funktionalen Anforderungen basierend auf dem Anforderungstext dar. Sie zeigt die Notwendigkeit, dass das System, den Nutzenden ermöglichen muss, Finanzdaten einzusehen, sobald sie erfolgreich eingeloggt sind. 4.3 Praktische Anwendungsfälle generativer KI im Projektmanagement 53 <?page no="54"?> Berechtigungen wurden an dieser Stelle offenbar nicht berücksichtigt. Die weiteren Anforderungen beziehen sich auf die Benachrichtigungen über neue Transaktionen und das Generieren von Berichten. Funktionale Anforderungen Schablone Anforderung Bedingung Sobald - der Nutzer eingeloggt ist Priorität muss Betrachtungsgegenstand System Funktion die Möglichkeit bieten Objekt Finanzdaten Verb-(gruppe) einzusehen Tabelle 4-1: Abgeleitete funktionale Anforderungen In Tabelle 4-2 werden nicht-funktionale Anforderungen bezüglich der Systemeigen‐ schaften dargestellt. Ein Schlüsselaspekt ist die Zugriffszeit, die unter 3 Sekunden liegen muss, um eine schnelle und effiziente Nutzung zu gewährleisten. Weitere hier nicht dargestellte Eigenschaften umfassen die Benutzungsfreundlichkeit der Schnitt‐ stelle und die DSGVO-konforme Umsetzung und Datensicherheit. Nichtfunktionale Anforderungen Eigenschaften Schablone Anforderung Betrachtungsgegenstand System Priorität muss Eigenschaft Zugriffszeit Vergleichsausdruck kleiner Wert 3 Sekunden Verb-(gruppe) sein Tabelle 4-2: Abgeleitete Nicht-funktionale Anforderungen: Eigenschaften Tabelle 4-3 fokussiert auf die Umgebungs- und Kontextanforderungen des Systems. Das gezeigte Ergebnis betont die Notwendigkeit einer ständigen Internetverfügbarkeit 54 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung <?page no="55"?> (24/ 7), um den Nutzenden einen durchgehenden Zugriff zu ermöglichen. Zudem wird die Wichtigkeit in einer weiteren Anforderung regelmäßiger Daten-Backups hervor‐ gehoben, um die Sicherheit und Aktualität der Finanzinformationen zu gewährleisten. Diese Anforderung ist hier aus Platzgründen nicht dargestellt. Nichtfunktionale Anforderungen Umgebung und Kontext Schablone Anforderung Betrachtungsgegenstand System Priorität muss Umgebungseinfluss Internetverfügbarkeit Vergleichsausdruck gleich Wert 24/ 7 Verb-(gruppe) verfügbar sein Tabelle 4-3: Abgeleitete Nicht-funktionale Anforderungen: Umgebung und Kontext Tabelle 4-4 befasst sich mit den Prozessanforderungen und legt fest, welche Akteure bestimmte Aktionen ausführen können. Im gezeigten Beispiel wird vom System verlangt, Finanzberichte für das Finanzteam erstellen zu können. Es wurde eine weitere Prozessanforderung erstellt, die die Möglichkeit des IT-Personals zur Durchführung von Systemwartungen betrifft, die aus Platzgründen nicht dargestellt ist. Nichtfunktionale Anforderungen Prozess Schablone Anforderung Akteur Finanzteam Priorität muss Objekt Finanzberichte Prozesswort erstellen können Tabelle 4-4: Abgeleitete Nicht-funktionale Anforderungen: Prozess Ergebnisse und Bewertung: Die Nutzung generativer KI ermöglicht eine signifikante Zeitersparnis bei der Erstellung dieser Anforderungsdokumente. Insgesamt wurden aus dem Anforderungstext „Ich möchte jederzeit unsere Finanzen im Blick haben.“ 10 präzisierte Anforderungen erzeugt. Jeweils eine aus jeder Kategorie ist in den 4.3 Praktische Anwendungsfälle generativer KI im Projektmanagement 55 <?page no="56"?> oben aufgezeigten Tabellen aufgeführt, jedoch können aus Platzgründen hier nicht alle dargestellt werden. Die präzise Formulierung funktionaler und nichtfunktionaler Anforderungen gemäß etablierten Mustern sorgt damit für Klarheit und Eindeutigkeit in der Kommunikation. Zu beachten ist in dem Zusammenhang, dass auch die genera‐ tive KI eine präzise Beschreibung dessen erfordert, was das Ergebnis sein soll. Daher wurden im verwendeten Prompt zum einen die Schablonen aus [7] beschrieben und zum anderen jeder Bestandteil der Schablone explizit als Ergebnis angefordert. Fallbeispiel 2: Visualisierung komplexer Anforderungen Visuelle Modelle sind sehr hilfreich, um komplexe Anforderungen verständlich zu machen. Generative KI kann genutzt werden, um aus textbasierten Anforderungen automatisch visuelle Darstellungen zu erstellen. Hier wurden die bereits ausformu‐ lierten Anforderungen durch die generative KI zunächst daraufhin überprüft, ob sie für eine visuelle Umsetzung geeignet sind. Dall-E erzeugte dann auf dieser Basis die in Abbildung 4-1 dargestellte Bildschirmdarstellung. Iterationen waren dazu nicht notwendig. Abbildung 4-1: Visuelle Darstellung der Anforderungen mittels Dall-E Die Verwendung generativer KI zur Visualisierung komplexer Anforderungen fördert das gemeinsame Verständnis und die Kommunikation unter allen Projektbeteiligten und unterstützt eine effektive Entscheidungsfindung. Insbesondere ermöglichen ge‐ rade die visuellen Darstellungen auch unbewusste Vorlieben oder Abneigungen zu externalisieren [8]. Die automatisierte Erstellung visueller Modelle reduziert zudem 56 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung <?page no="57"?> den Zeitaufwand und ermöglicht es Projektteams, sich auf die Lösungsentwicklung zu konzentrieren. 4.4 Herausforderungen und Lösungsansätze Die Integration generativer KI in die Anforderungsermittlung und das Projektmanage‐ ment selbst bergen zahlreiche Herausforderungen, die innovative Lösungsansätze erfordern. Diese Herausforderungen umfassen technische Limitationen, ethische Be‐ denken, Anpassung an spezifische Projektbedürfnisse und die Sicherstellung effektiver Kommunikation zwischen KI-Systemen und menschlichen Nutzenden. Im Folgenden werden diese Herausforderungen zusammen mit möglichen Lösungsansätzen detail‐ liert beschrieben. Technische Limitationen Herausforderung: Generative KI-Systeme sind stark von der Qualität und Vielfalt der Trainingsdaten abhängig. Ungenauigkeiten in den Daten können zu fehlerhaften oder ungenauen Anforderungen führen. Zudem kann die Interpretation komplexer oder mehrdeutiger Anforderungen durch KI-Systeme zu Missverständnissen führen. Lösungsansatz: Die Verwendung von hochwertigen, umfassenden Trainingsdaten‐ sätzen, die eine breite Palette von Situationen und Szenarien abdecken, kann die Genauigkeit der KI-Systeme verbessern. Weiterhin kann die Implementierung von Feedbackschleifen, in denen die generierten Anforderungen von menschlichen Ex‐ perten überprüft und korrigiert werden, die Präzision der Anforderungsermittlung erhöhen. Ethische Bedenken Herausforderung: Der Einsatz von KI in der Anforderungsermittlung wirft Fragen bezüglich Datenschutzes, Transparenz und der Verantwortlichkeit für die generierten Inhalte auf. Lösungsansatz: Die Entwicklung ethischer Richtlinien für den Einsatz generativer KI im Projektmanagement, die Datenschutz, Transparenz der KI-Entscheidungspro‐ zesse und klare Verantwortlichkeiten umfassen, ist essentiell. Datenschutzkonforme Anwendungen und die transparente Darstellung der KI-Entscheidungsfindung können Vertrauen bei den Nutzenden schaffen. 4.4 Herausforderungen und Lösungsansätze 57 <?page no="58"?> Anpassung an spezifische Projektbedürfnisse Herausforderung: Jedes Projekt ist einzigartig, und generative KI-Systeme müssen in der Lage sein, sich an unterschiedliche Anforderungen und Rahmenbedingungen anzupassen. Lösungsansatz: Die Entwicklung adaptiver KI-Modelle, die sich auf Basis von Pro‐ jektspezifikationen und Benutzerfeedback spezifischer trainieren lassen, können die Flexibilität und Anwendbarkeit der KI in verschiedenen Projektkontexten verbessern. Die Integration von Anpassungsfähigkeiten in KI-Systeme ermöglicht eine maßge‐ schneiderte Anforderungsermittlung. Effektive Kommunikation zwischen KI-Systemen und menschlichen Nutzenden Herausforderung: Die Gewährleistung einer effektiven Kommunikation zwischen generativen KI-Systemen und den Projektbeteiligten ist entscheidend, um Missver‐ ständnisse zu vermeiden und die Akzeptanz der KI-generierten Inhalte zu sichern. Lösungsansatz: Die Implementierung interaktiver Schnittstellen, die es den Nutzen‐ den ermöglichen, direkt mit dem KI-System zu interagieren, Fragen zu stellen und Anforderungen zu präzisieren, kann die Kommunikation verbessern. Schulungspro‐ gramme für Projektbeteiligte, um den Umgang mit KI-Tools zu erlernen und das Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen generativer KI zu vertiefen, sind ebenfalls wichtig [3]. 4.5 Die Zukunft der Anforderungsermittlung mit generativer KI Die Integration generativer KI in die Anforderungsermittlung und das Projektmanage‐ ment verspricht eine revolutionäre Veränderung in der Art und Weise, wie Projekte konzipiert und umgesetzt werden. Diese Technologie hat das Potenzial, nicht nur die Effizienz und Genauigkeit in der frühen Phase der Projekte zu steigern, sondern auch die Innovationskraft durch die Generierung kreativer Lösungen zu fördern. Zudem eröffnet sie Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Berufsbilder und Kompetenzen, die in der Lage sind, die Potenziale der KI voll auszuschöpfen. Potenzial für Innovation und Effizienzsteigerung Wir haben gezeigt, dass die Anwendung generativer KI den Prozess der Anforderungs‐ ermittlung erheblich beschleunigen kann. Es sind nur wenige Prompts notwendig gewesen, die noch dazu wiederverwendet werden können. Darüber hinaus kann gene‐ rative KI durch die Erzeugung innovativer Lösungsvorschläge die Kreativität anregen 58 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung <?page no="59"?> und somit einen wertvollen Beitrag zur Innovationsfähigkeit von Organisationen leisten. Entwicklung neuer Berufsbilder und Kompetenzen Mit dem Aufkommen generativer KI entstehen neue Berufsbilder und Kompetenzan‐ forderungen. Experten für generative KI, Datenwissenschaftler, KI-Ethiker und spezia‐ lisierte Projektmanager sind nur einige Beispiele für die Rollen, die in einer zunehmend von KI geprägten Projektwirtschaft erforderlich sein werden. Die Fähigkeit, generative KI-Systeme zu entwickeln, zu trainieren und ethisch verantwortungsvoll einzusetzen, wird zu einer Schlüsselkompetenz. Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Anwendungsbereiche Die zukünftige Entwicklung generativer KI-Technologien und ihre Anwendung im Projektmanagement sind vielversprechend. Dabei reicht das Spektrum möglicher Anwendungen von der Verbesserung der Entscheidungsfindung durch präzise Da‐ tenanalyse bis hin zur Entwicklung autonomer Projektmanagementassistenzen, die Routineaufgaben übernehmen. Die fortschreitende Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet wird voraussichtlich zu noch leistungsfähigeren und vielseitigeren KI-Systemen führen, die die Landschaft des Projektmanagements nachhaltig verändern werden. 4.6 Zusammenfassung und Fazit Das Fallbeispiel zeigt, dass generative KI das Potential hat, die Anforderungsermittlung maßgeblich zu verbessern. Wurden bislang -mit einem erheblichen Potential für Missverständnisse- Interviews geführt, Workshops durchgeführt oder in Fokusgrup‐ pen diskutiert, können nun schnell sehr präzise Anforderungen erstellt werden, die weiter ausgearbeitet werden können. Durch eine weitergehende Automatisierung der Erstellung von Anforderungsdokumenten und visuellen Modellen kann sowohl Zeit gespart als auch Missverständnisse reduziert werden. Wichtig ist dabei die Integration von Feedbackschleifen mit den entsprechenden Stakeholdern, um die Genauigkeit und Relevanz der generierten Inhalte sicherzustellen. Generative KI stellt somit ein mächtiges Werkzeug dar, das Projektteams dabei unterstützt, schneller und effektiver auf die Bedürfnisse ihrer Stakeholder einzugehen. Sie unterstützt die Stakeholder dabei, ihre Vorstellungen in der ihnen vertrautesten Weise zu formulieren, womit ein besseres Verständnis der Anforderungen und eine verbesserte Kommunikation erreicht werden kann. 4.6 Zusammenfassung und Fazit 59 <?page no="60"?> Literatur [1] Daniel M. Berry, Erik Kamsties, and Michael M. Krieger. 2003. From Contract Drafting to Software Specification: Linguistic Sources of Ambiguity. [2] Rick Cusolito. 2008. Symbiosis. project managers and business analysts living together. PMI® Global Congress, Orlando, FL, North America. [3] Marian Daun and Jennifer Brings. 2023. How ChatGPT Will Change Software Engineering Education. In Proceedings of the 2023 Conference on Innovation and Technology in Computer Science Education V. 1. ACM Digital Library. Association for Computing Machinery, New York,NY,United States, 110-116. DOI: https: / / doi.org/ 10.1145/ 3587102.3588815. [4] Marie-Julie De Bruyne, Eva Moens, and Mario Vanhoucke. Project Recovery: Project Failures and How to Get Rid of them. Ghent University, Belgium. Faculty of Economics and Business Administration. [5] Christof Ebert and Panos Louridas. 2023. Generative AI for Software Practitioners. IEEE Softw. 40, 4, 30-38. DOI: https: / / doi.org/ 10.1109/ MS.2023.3265877. [6] Victoria B. Haney. 2015. Collaborating with stakeholders. an agile and flexible technique for project requirements. PMI® Global Congress, Orlando, FL, North America. [7] Chris Rupp. 2021. Requirements-Engineering und -Management. Das Handbuch für An‐ forderungen in jeder Situation (7., aktualisierte und erweiterte Auflage). Hanser eLibrary. Hanser, München. [8] Nicole Schelter and Dirk Veiel. 2024. Towards an adaptive approach to a personalised design of Intelligent Learning Assistants, ILAs. (accepted for publication). In Intelligent Systems and Applications. Proceedings of the 2024 Intelligent Systems Conference (IntelliSys). Springer International Publishing; SPRINGER, Cham. 60 4 Von Worten zu Modellen: Generative KI als Brücke in der Anforderungsermittlung <?page no="61"?> 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen Elaheh Nabati, Luciana Kröseler, Frank Pfirmann, Noah Sentürk Abstract Um die Qualität von Anforderungen zu steigern und die Dokumentation von Anfor‐ derungen in Anforderungsmanagementsystemen effizienter zu gestalten, wurden für drei Use Cases KI-Lösungen entwickelt. Für eine bessere Qualität der Anforde‐ rungsbeschreibung fordern Unternehmen oft eine bestimmte Satzstruktur. Mit der ersten Lösung unterstützt eine KI bei der Einhaltung der Satzstruktur, in dem die KI die Satzstruktur überprüft. Eng verknüpft mit dem Anforderungsmanagement sind auch Test- und Defectmanagement. Für jeden dieser drei Bereiche dokumentieren Anwender zusätzlich verschiedene Attribute, wie z. B. den Anforderungstyp oder die Priorität bei Defects. Die zweite Lösung unterstützt, indem diese Felder automatisch, basierend auf der Defect-Beschreibung, vorbefüllt werden. Ein weiterer Nutzen liegt in der semantischen Analyse von Anforderungspaaren. Basierend auf der semantischen Ähnlichkeit der Anforderungen können bei der dritten Lösung dop‐ pelte Anforderungen vermieden werden bzw. Verknüpfungen erstellt werden.--Der Beitrag beschreibt die eingesetzten KI-Algorithmen, wie das System trainiert wurde und welche Herausforderungen bei der Entwicklung derartiger Lösungen beachtet werden sollten.- Stichwortliste Anforderungsmanagementsystem, Künstliche Intelligenz, Large Language Models 5.1 Einleitung Das Anforderungsmanagement (AM) ist für die Entwicklung komplexer Systeme entscheidend und ein wichtiger Bestandsteil des Projektmanagements. Es lässt sich sowohl im agilen Projektmanagement als auch im klassischen Wasserfall Modell einsetzen. Das Ziel ist, dass die definierten Anforderungen an ein Produkt oder eine Software korrekt umgesetzt werden. Es umfasst die Analyse, Dokumentation, Abstimmung und Priorisierung von Anforderungen, durch den Einsatz verschiedener Techniken und Methoden und ermöglicht es den Entwicklungsteams immer mit aktuellen und freigegebenen Anforderungen zu arbeiten. Durch Nachverfolgbarkeit von Änderungen und Kommunikation mit allen Beteiligten von Projektbeginn über den vollständigen Entwicklungszyklus hinweg, reduziert das Anforderungsmanagement Fehlentwicklungen und damit verbundene Mehrkosten und -Aufwände [1]. Eng mit dem Anforderungsmanagement verwoben sind auch die Definition und Durchführung von Tests (Testmanagement) und der Umgang mit Fehlverhalten (Defect <?page no="62"?> Management). Das sowohl durch Tests als auch durch Nutzer im laufenden Betrieb erkannte Fehlverhalten (Defect) muss dann zunächst dahingehend eingeordnet wer‐ den, ob eine fehlerhafte Anforderungsbeschreibung vorliegt oder die Anforderung fehlerhaft umgesetzt wurde und anschließend entschieden wurde, wie mit dem Defect umzugehen ist. Dazu werden die Defects in einem Defect Management Systemen dokumentiert. Je nach eingesetzter Lösung nutzen Kunden das gleiche System für die Dokumentation der Defects und Anforderungen oder es wird ein Defects- und ein Anforderungs-System eingesetzt. Problemstellung und Ziele In der Praxis zeigt sich, dass die Dokumentation von Anforderungen und die Verknüp‐ fung mit abhängigen Anforderungen oftmals anfällig für Anwenderfehler sind, mit dem Ergebnis, dass im Entwicklungsprozess Anforderungen nicht korrekt umgesetzt werden. Auch die Dokumentation von Defects ist anfällig für unzureichende oder fehlerhafte Befüllung, sowie Anlagen von Duplikaten. Zusätzlich ist das Befüllen der Attribute für den Anwender oft mit Unsicherheit bezüglich der korrekten Inhalte verbunden und wird oft als lästig empfunden. Um die Arbeit für die Nutzer zu erleichtern und die Qualität der Dokumentation zu verbessern, wurden daher drei Use Cases als Proof of Concept (PoC) umgesetzt, jeweils mit dem Ziel die Machbarkeit und den Mehrwert einer KI-Unterstützung für konkrete Teilbereiche der Anforderungsbzw. Defect-Dokumentation zu untersuchen. Ziel Use Case 1: Qualitätsprüfung von Anforderungen Das Hauptziel dieser Lösung ist die Implementierung einer automatisierten Qualitäts‐ prüfung von Anforderungen, um die Effizienz und Genauigkeit bei der Überprüfung von Anforderungsspezifikationen zu steigern. Im Rahmen dieses Use Cases liegt der Fokus auf drei Kernbereiche: 1. Zeitsparende und effektive Methode: Das übergeordnete Ziel ist die Entwick‐ lung einer Methode, die nicht nur zeitsparend, sondern auch effektiver im Vergleich zu herkömmlichen manuellen Überprüfungsverfahren ist. Die Automatisierung soll dazu beitragen, menschliche Fehler zu minimieren und die Bearbeitungszeit für die Qualitätsprüfung signifikant zu reduzieren. 2. Automatisierte Qualitätsprüfung: Durch den Einsatz fortschrittlicher KI-Algo‐ rithmen zielt die Lösung darauf ab, Anforderungen automatisiert zu klassifizieren. Ein wesentlicher Bestandteil der Lösung ist die Einteilung der Anforderungen in verschiedene Kategorien: - Funktionale Anforderungen - Nichtfunktionale Anforderungen - Information 62 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="63"?> Durch die Realisierung dieser Lösung wird eine signifikante Verbesserung in der Handhabung und Qualitätssicherung von Anforderungen erreicht. Der Einsatz eines derartigen Systems in der Praxis wird nicht nur die Effizienz steigern, sondern auch zur höheren Zufriedenheit der Stakeholder beitragen und letztendlich die Erfolgschancen von Projekten erhöhen. Ziel Use Case 2: Befüllungsvorschläge für Formularfelder bei der Defect-Anlage Wird ein neuer Defect im System angelegt, so werden zusätzlich zu einer Beschreibung des Fehlverhaltens weitere Attribute, wie beispielsweise die betroffene Komponente, der Fehlerersteller, der Schweregrad des Fehlers, die Priorität des Fehlers oder der Bezug zum Projekt oder Teilsystem, befüllt. Auch das Team, welches den Defect bearbeiten soll, muss ausgewählt werden. Da bei der Produktentwicklung oft mehrere Entwicklerteams zusammenarbeiten, muss ein gefundenes Fehlverhalten an das korrekte Team zugewiesen werden. Andernfalls wird der Defect evtl. verspätet bearbeitet und es entsteht Mehrarbeit, da das fehler‐ haft gewählte Team den Defect einschätzen und an das korrekte Team weiterleiten muss. Zusätzlich muss das Fehlverhalten hinsichtlich seines Schweregrades und der Dringlichkeit einer Behebung eingeordnet werden. Auch hier ist der Anwender oft unsicher oder vergibt eher eine höhere Priorität, da der Fehler ihn direkt betrifft. Schweregrad und Dringlichkeit werden im Rahmen dieses PoCs zu dem Attribut Priorität zusammengefasst. Das Ziel der Lösung ist es, den Benutzer bei der Befüllung von zunächst diesen beiden Attributen, Priorität und zuständiges Team, zu unterstützen. Dies geschieht, in dem mit Hilfe einer KI-Komponente ein Vorschlag basierend auf der Beschreibung und Zusammenfassung des Defects gemacht wird. Ziel Use Case 3: Verlinkungsvorhersage und Duplikaterkennung von Anforderungen Das Verlinken von Anforderungen ist ein essenzieller Teil von Anforderungsmana‐ gementsystemen. Es erlaubt, die Beziehungen zwischen Anforderungen und auch Anforderungen mit Objekten in anderen Domänen (z. B. Produktkonfiguration) zu veranschaulichen. Zum Beispiel kann die ausbleibende Lieferung eines Bauteils sich auf eine Anforderung auswirken, die die Notwendigkeit dieses Bauteils beschreibt, aber auch implizit auf eine Anforderung, die eine höhergeordnete Funktionalität des Bauteils beinhaltet. Allerdings sind diese Verlinkungen selten komplett vollständig. So werden implizite aber wichtige Beziehungen zwischen Objekten und Anforderun‐ gen möglicherweise nicht erfasst. Eine Lösung, welche fehlende Verlinkungen und damit Anforderungen findet, sorgt dafür, dass die Beziehungen näher an der Realität 5.1 Einleitung 63 <?page no="64"?> abgebildet werden. Das bedeutet, dass auch in Prozessen, die auf den Anforderungen aufsetzen, Fehler bzw. Ungenauigkeiten vermieden werden. Abbildung 5-1: Beispiel einer Anforderungsverlinkung/ -duplikat Ein weiteres Problem im Anforderungsmanagement besteht darin, dass häufig Dupli‐ kate von bereits existierenden Anforderungen erstellt werden. Abbildung 5-1 zeigt ein Beispiel dafür. Ein Anforderungsduplikat kann im weiteren Verlauf zu Fehlern führen. Zum Beispiel können zwei Benutzer an verschiedenen Anforderungen arbeiten ohne von der anderen, semantisch identischen Anforderung zu wissen. Somit werden Änderungen und Verlinkungen mal an der einen oder anderen Anforderung ausgeführt und die Gesamtdarstellung der Anforderung bleibt unvollständig. Ein automatisches Entdecken dieser Duplikate würde solche Fehler vermeiden und das weitere Manage‐ ment der Anforderungen erleichtern. 5.2 Grundlagen In diesem Kapitel werden zunächst die Grundlagen von Anforderungen und KI-Me‐ thoden erläutert. Grundlagen Anforderungsmanagementsysteme Anforderungsmanagementsysteme bestehen aus Funktionen zur Anforderungs-, Test- und Defectverwaltung und Funktionen zur Analyse und statistischen Auswertung verschiedener Fragestellungen. Im Folgenden klären wir kurz die für das Verstehen dieses Kapitels wichtigsten Begriffe im Bereich Anforderungsmanagement. Arten von Anforderungen Gemäß [2] können Anforderungen in drei verschiedene Arten unterteilt werden: funktionale Anforderungen, Qualitätsanforderungen und Rahmenbedingungen. Durch die Definition weiterer Untertypen innerhalb dieser drei Klassen können die Anforde‐ rungstypen spezifiziert und an den jeweiligen Anwendungskontext angepasst werden. Somit bietet dieses Klassifizierungsschema eine Grundlage für die Kategorisierung von 64 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="65"?> Anforderungen, dass je nach Bedarf weiter verfeinert werden kann [2]. Daher ist im Rahmen des ersten Use Cases die Definition von Anforderungsarten wie folgt: 1. Funktionale Anforderungen: Eine funktionale Anforderung definiert eine vom System bzw. von einer Systemkomponente bereitzustellende Funktion oder einen bereitzustellenden Service [2]. 2. Nichtfunktionale Anforderungen: Nichtfunktionale Anforderungen definie‐ ren Systemqualität und Entwicklungsgrenzen. Sie umfassen Qualitätsanforderun‐ gen für Systemeigenschaften und Rahmenbedingungen, die die Produktentwick‐ lung limitieren. Diese Anforderungen betreffen nicht die direkte Funktionalität, sondern prägen Qualität und Machbarkeit des Systems [2]. 3. Information: Informationen dienen dem Lieferanten ausschließlich dazu, das Lastenheft bzw. Anforderungen besser zu verstehen. Sie bedürfen keiner Bewer‐ tung hinsichtlich ihrer Erfüllbarkeit. Im Gegensatz dazu müssen Anforderungen vom Lieferanten explizit daraufhin geprüft werden, ob sie erfüllt werden können. Grundlagen KI-Methoden Im Folgenden werden zwei KI-Ansätze kurz vorgestellt, die im Rahmen der hier vorgestellten Lösungen verwendet werden. Grundlagen Klassifizierung mit K-Nearest Neighbor (KNN) KNN ist ein Algorithmus für die Klassifizierung und Regression. Anstatt ein explizites Modell zu lernen, speichert KNN alle Trainingsdaten und führt die Generalisierung erst bei der Anwendung auf neue Daten durch. Die Entscheidung erfolgt auf Grundlage der k nächstgelegenen Trainingsbeispiele, wobei k eine festgelegte Anzahl ist. Die Nähe wird mittels Distanzmetriken wie der euklidischen oder Manhattan-Distanz gemessen. Gewichtungen können eingeführt werden, um bestimmte Merkmale stärker zu berücksichtigen, was die Klassenzugehörigkeit eines neuen Objekts beeinflusst [3] [4]. Large Language Models (LLMs) LLMs sind komplexe und leistungsfähige KI-Modelle, die natürliche Sprachen verste‐ hen und generieren können. Stand 2024 sind mehrere LLMs von großen Technologie‐ unternehmen entwickelt worden, darunter OpenAI, Meta und Google [5] Für die Lösung zu Use Case 2 wurden LLMs ausgewählt, um den Text von Anforderungen und Fehlverhalten (Defects), zu verstehen und die Informationen entsprechend zu klassifi‐ zieren. Weitere Informationen zu Large Language Modells und ihrer Funktionsweise finden sich bei [6] und [7]. 5.2 Grundlagen 65 <?page no="66"?> 5.3 Anforderungsmanagement mit Hilfe KI: Implementierung der Use Cases In diesem Abschnitt wird die Umsetzung für jeden der drei Use Cases beschrieben. Use Case 1: Automatisierte Qualitätsprüfung von Anforderungen Im Rahmen dieses PoC wird eine Lösung zur automatisierten Qualitätsprüfung von Anforderungen entwickelt, welche die Klassifizierung der Anforderungen in funktio‐ nale, nichtfunktionale und informative Kategorien umfasst. Im Zuge der Projektdurchführung wird ein innovatives Konzept zur automatisierten Qualitätsprüfung von Anforderungen realisiert. Kernstück der Implementierung ist der Einsatz des Part-of-Speech (POS) Taggings mittels Apache OpenNLP, welches eine solide Grundlage für die präzise Analyse und Verarbeitung natürlicher Sprache bietet. Dies ermöglicht eine effektive Vorverarbeitung der Textdaten, die für die nachfolgende Klassifizierung essenziell ist. Der Einsatz des POS-Taggings stellt einen wichtigen Schritt dar, um mit Satzschablonen zu arbeiten und somit die gewünschte Satzstruktur zu gewährleisten. Durch die präzise Wortartenzuordnung verbessert das POS-Tagging die Genauigkeit der Textinterpretation, was direkt zur Qualitätssicherung im Projekt beiträgt. Zudem steigert es durch fokussierte Analyse die Effizienz der Datenverarbeitung, was eine schnellere und zielgerichtete Klassifizierung ermöglicht. Für die Klassifizierung selbst wird der bewährte KNN-Algorithmus angewandt. Der maßgebliche Vorteil des KNN-Algorithmus liegt in seiner flexiblen Anwendbarkeit und hohen Genauigkeit bei minimalen Annahmen über die Datenstruktur. Durch die Kombination von OpenNLP mit dem KNN-Algorithmus kann eine differenzierte Zuordnung der Anforderungen in funktionale, nicht-funktionale und informative Kategorien erreicht werden. Diese methodische Herangehensweise fördert nicht nur die Präzision der Anforderungsklassifizierung, sondern trägt auch maßgeblich zur Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung des gesamten Projektes bei. Das POS-Tagging ist ein Verfahren zur morphosyntaktischen Annotation, bei dem jedem Wort in einem Text ein Wortartenlabel (POS-Tag) zugewiesen wird (Tabelle 5-1). Diese Tags repräsentieren die Wortart eines Wortes in einem bestimmten Kontext (z. B. Nomen, Verb, Adjektiv etc.) und helfen dabei, die Struktur und Bedeutung eines Textes zu verstehen [8]. Am blauen Himmel ziehen die Wolken . APPRART ADJA NN VVFIN ART NN $ Tabelle 5-1: Beispiel für die Wortfolge mit POS-Tags Bei der Umsetzung eines Taggers stehen zwei unterschiedliche Ansätze zur Verfügung. Man kann entweder einen regelbasierten Tagger entwickeln, der auf Lexika basiert, oder stattdessen stochastische Verfahren nutzen, um mithilfe von Wahrscheinlichkei‐ 66 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="67"?> ten eine möglichst präzise Zuordnung der Wortarten zu erreichen [9]. Diese Lösung verwendet den stochastischen Tagger von Apache OpenNLP für die automatische Erkennung und Zuweisung von Wortarten, entsprechend den bewährten Methoden, die OpenNLP für eine verbesserte linguistische Datenverarbeitung vorsieht. Für das POS-Tagging basiert das verwendete Tagset auf einem standardisierten, universellen Schema, das eine einheitliche und sprachübergreifende grammatikalische Annotation bietet. Abbildung 5-2: Schematische Darstellung des Trainings- und Anwendungsprozesses eines KNN-Algo‐ rithmus zur Klassifizierung von Anforderungen. Abbildung 5-2 veranschaulicht den Prozess der Implementierung dieser Lösung. Zunächst werden funktionale und nichtfunktionale Anforderungen sowie zusätzliche Informationsdaten gesammelt. Diese Daten dienen als Grundlage für das Training und werden durch den Einsatz von OpenNLP aufgeteilt in einzelne Bestandteile (tokenisiert), wobei die Sätze manuell mit einem Suffix gekennzeichnet werden: „; 0“ für nichtfunktionale Anforderungen, „; 1“ für funktionale Anforderungen und „; 2“ für Informationsdaten. Um optimale Ergebnisse zu erzielen, ist es entscheidend, dass die Trainingsdaten ausgewogen verteilt sind, sodass jede der drei Kategorien - funktio‐ nale Anforderungen, nichtfunktionale Anforderungen und Informationsdaten - in gleichmäßiger Menge im Trainingssatz repräsentiert ist. Nach der Satz-Tokenisierung wird ein KNN-Algorithmus konfiguriert und trainiert, um die Anforderungen zu 5.3 Anforderungsmanagement mit Hilfe KI: Implementierung der Use Cases 67 <?page no="68"?> klassifizieren. Bei der Anwendung des KNN auf neue Beispiele werden diese mit einem Haken markiert (Abbildung 5-2), wenn die Übereinstimmung über 50 % liegt, oder mit einem Kreuz, falls die Klassifizierung unzureichend ist. Use Case 2: Befüllungsvorschläge für Formularfelder bei der Defect-Anlage Zur Umsetzung dieses Use Cases wird ein KI-Modell benötigt, welches natürliche Sprache als Texteingabe verarbeiten und daraus eine Vorhersage ableiten kann. Da LLMs derzeit sehr gute Ergebnisse beim Verstehen menschlicher Sprache liefern [5], wurde beschlossen, das PoC ebenfalls mit einem LLM zu implementieren. Abbildung 3 zeigt die Lösungsarchitektur mit ihren verschiedenen Komponenten. Datenaufbereitung: Aus dem Anforderungsmanagementsystem wurde ein Daten‐ satz mit 22170 Fehlerereignissen exportiert. Die Daten gehören zu Defects aus einem mittelgroßen Softwareentwicklungsprojekt und haben einen Zeitstempel innerhalb der letzten 11 Jahre. Sie enthalten die Attribute: Zusammenfassung, Beschreibung, Projektname, Projektkomponente, Priorität des Defects und das Team, dem der Defect zugeordnet wurde. Für die Trainingsdaten werden 70 % der Fehlerereignissen nach dem Zufallsverfahren ausgewählt und für den Trainingsdatensatz verwendet. Die restlichen 30-% der Fehlerereignissen werden für den Testdatensatz verwendet. Modell trainieren: Um den Trainingsaufwand möglichst gering zu halten, kommt dabei ein vor-trainiertes Open Source LLMs zum Einsatz (Abbildung 3). Die Attri‐ butvorhersage durch den KI-Algorithmus erfolgt auf Basis der Trainingsdaten, mit denen das LLM finetuned bzw. trainiert wurde. Mehrere Open-Source-LLMs wurden getestet. Am Ende wurde das Bart Sprachmodell [7] ausgewählt, da es die beste Vorhersagegenauigkeit für die Attribute Priorität und das zuständige Team lieferte. Dies ist in Abbildung 5-3 mit dem Modul „Defect-Klassifikator“ dargestellt. Für das Attribut Priorität sind 3 Klassen verfügbar: hoch, niedrig und mittel. Für das Attribut zuständiges Team stehen 5 Kategorien, Team 1 bis Team 5 zur Verfügung. Zur Bewertung der Ergebnisse wurde das entwickelte Modell mit dem Testdatensatz getestet, welchen das Modell zuvor nicht verarbeitet hatte. Die Testergebnisse zeigten ein akzeptables Niveau der Klassifizierungsgenauigkeit für beide Attribute. Interaktion mit dem Benutzer: Die KI-Komponente (Abbildung 5-3, gestrichelter Kasten) liefert Vorschläge für die Werte der Felder Priorität und des zuständigen Teams. Diese Informationen werden dem Benutzer über eine Benutzeroberfläche zur Verfügung gestellt. Der Benutzer kann dann entscheiden, ob er dem Vorschlag folgen oder einen anderen Wert angeben möchte. 68 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="69"?> Abbildung 5-3: Lösungsarchitektur: Schritte von der Datenextraction über die Datenaufbereitung und dem Modell-Training zur Defect-Klassifikator-Komponente, welche für die Vorhersagen basierend aus der Benutzereingabe zuständig ist. Use Case 3: Analyse der Anforderungsliste und Suche nach doppelten Anforderungen Um fehlende Verlinkungen zwischen Anforderungen zu finden, benutzen wir das Large Language Model BERT [10]. BERT ist ein „State of the Art“ Deep Learning Modell basierend auf der Transformer-Architektur. Da die Anforderungen in verschiedenen Sprachen dokumentiert sind, wird hier eine mehrsprachige Variante von BERT verwen‐ det. Das von uns genutzte BERT-Modell ist bereits trainiert auf einem multilingualen Datensatz. Es wird nur der Teil des Modells (Encoder) genutzt, der Wörter bzw. Sätze in eine vektorenbasierte Repräsentation (Embeddings) umwandelt. So können die semantische Ähnlichkeit der Anforderungsbeschreibungen ermittelt werden, indem sie erst in Vektoren umwandeln werden und dann der Ähnlichkeitsgrad paarweise für alle Vektoren bestimmt wird. Für Anforderungspaare deren Ähnlichkeit über einem bestimmten Schwellwert liegen, wird eine Verlinkung erstellt. Wenn diese semanti‐ sche Ähnlichkeit eine noch höheren Schwellwert übersteigt, gehen wir von einem Anforderungsduplikat aus. Der Benutzer wird daraufhin auf Anforderungsduplikate hingewiesen. 5.3 Anforderungsmanagement mit Hilfe KI: Implementierung der Use Cases 69 <?page no="70"?> 5.4 Herausforderungen Wie jedes neue Projekt birgt auch dieses Projekt einige Herausforderungen. Im Folgenden beschreiben wir die größten Hausausforderungen, die bei der Umsetzung der jeweiligen Use Cases zu lösen waren. Rechenkapazität, um KI-Modell zu trainieren: Viele LLMs sind bereits vortrai‐ niert. Wenn sie jedoch für spezielle Kontexte wie das Erfassen von Anforderungen eingesetzt werden sollen, in unserem Fall für die Entwicklung von Software in der Automobilindustrie, sollten sie mit einem Datensatz von Anforderungsbeschreibungen weiter trainiert werden. Dieses Training erfordert eine hohe Rechenleistung. Daher sollte eine geeignete Hardware und eine entsprechende Infrastruktur organisiert werden. Im Falle der hier vorgestellten Lösungen wurde zum Beispiel mit einer RTX A6000 Grafikkarte gearbeitet. Umgang mit Personenbezogenen Daten und Firmendaten: Die Beschaffung geeigneter Trainingsdaten stellte für alle drei Use Cases eine große Herausforderung dar. Zum einen sollte der Trainingsdatensatz ausreichend groß sein. Zum anderen enthalten Daten bezüglich Defects und Anforderungen oft personenbezogene oder kundenspezifische Informationen. Diese Informationen konnten nicht gelöscht wer‐ den, da dies einen Einfluss auf das Ergebnis der KI-Modell-Klassifizierung hatten. Wenn man vermeiden möchte, dass aus den Trainingsdaten und Ergebnissen Rückschlüsse auf Personen oder Firmen geschlossen werden können, sollten die Daten anonymisiert werden, bevor sie für das Training des LLMs verwendet werden. Auch kann es im Unternehmen Richtlinien dazu geben, welche Daten nur auf firmeneigener Hardware gespeichert werden und welche ggf. z. B. bei einem Cloudanbieter gespeichert werden dürfen. Im Falle der hier beschriebenen Lösungen wurde jeweils ausschließlich auf eigener Hardware trainiert. Da es keinen Standardprozess für die Anonymisierung dieser Daten gibt, ist die entsprechende Vorbereitung eines Datensatzes sehr zeit- und arbeitsaufwändig. Wenn Trainingsdaten von mehreren Firmen zur Verfügung stehen, muss geklärt werden, ob es möglich ist, firmenbezogene Daten anhand eines KI-Mo‐ dells zu ermitteln. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass das KI-Modell im produktiven Betrieb unternehmensinterne Daten, die zum Training verwendet wurden, preisgibt. Ob dies tatsächlich möglich ist und wie viele dieser Daten ermittelbar sind, hängt von der Datenmenge und dem Typ des Modells ab. So ist es zum Bespiel bei bestimmten LLMs (generatives Modell), die mit Daten eines Unternehmens trainiert wurde und dann für ein zweites Unternehmen ebenfalls verwendet werden, mit den richtigen Abfragen möglich, an solche Informationen zu gelangen. Um dieses Risiko gänzlich zu vermeiden, sollte jedes Unternehmen ein individuell mit seinen Daten trainiertes Modell verwenden. Dies verringert wiederrum die Menge an verfügbaren Daten. 70 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="71"?> 5.5 Risiken und Lessons Learned Risiken: Die entwickelten Prototypen wurden bisher nur begrenzt getestet, ihre Anwendung sollte daher anhand neuer Datensätze und in verschiedenen Software- oder Produktentwicklungsprojekten geprüft werden. Die Verwendung der aktuellen Prototypen birgt daher das Risiko, dass die KI-Modelle nicht ausreichend robust sind und nicht ohne großen Anpassungsaufwand in neuen Projekten eingesetzt werden können. Die entwickelten KI-Modelle beinhalten einige Prozentsätze an Ungenauigkeit. Um die unangenehmen Auswirkungen einer falschen Klassifizierung von Anforderungen und Defects auf die reale Projektarbeit zu vermeiden, sollten die Projektmitarbeiter die Ergebnisse daher weiterhin prüfen. Lessons Learned: Eine der Lehren aus diesen PoCs ist, dass einfache KI-Modelle manchmal genauso gut funktionieren können wie komplexe Modelle (z. B. Deep Learning oder LLMs). Daher ist es empfehlenswert, mit einfachen Modellierungsproz‐ essen zu beginnen und nur bei Bedarf die Komplexität der Modelle zu erhöhen. Es ist wichtig auch die jeweiligen organisatorischen Prozesse im Unternehmen zu Beginn eines KI-Projekts zu beachten und bekannt zu machen. Andernfalls kann es zu Verzögerungen kommen. Wir erwähnen hier den Beschaffungsprozess für Hardware und Trainingsdaten und die Datensicherheit. Die Ressourcen, wie z. B. die Hardware für die Rechenleistung, sollten gut abgeschätzt und rechtzeitig bereitgestellt werden. Außerdem sollte bereits in den ersten Phasen des Projekts betrachtet werden, ob personenbezogenen Daten betroffen sind und welche Aspekte der DSGVO zu beachten sind. 5.6 Fazit und Ausblick Mit den hier vorgestellten PoCs wurde die Verbesserung des Anforderungsmanage‐ ments mit Hilfe von KI untersucht. Das Anforderungsmanagement ist ein wesentlicher Bestandteil eines jeden Projekts und eine gute Anforderungserfassung hat einen direkten Einfluss auf den Erfolg eines Projekts. Die vorgestellten Lösungen können das Projektteam dabei unterstützen, Anforderungen besser zu erstellen, zu klassifizieren und zu ordnen. Diese Lösungen sind besonders für größere Projekte mit vielen Anforderungen hilfreich und können auch neuen Teammitgliedern, die weniger Erfahrung mit Projektinhalten haben, helfen, die Anforderungen und Defects besser zu klassifizieren und Anforderungsdokumentationen zu erstellen. Zukünftige Entwicklungen für diese KI-Lösungen werden sich mit der Testauto‐ matisierung, der Verlinkung zwischen Anforderungen, Tests und Defects, sowie der Integration der einzelnen PoC in eine Gesamtlösung befassen. 5.5 Risiken und Lessons Learned 71 <?page no="72"?> Literatur [1] IBM (2024): Wie funktioniert das Anforderungsmanagement? Online verfügbar unter htt ps: / / www.ibm.com/ de-de/ topics/ what-is-requirements-management zuletzt aktualisiert am 13.02.2024, zuletzt geprüft am 13.02.2024 [2] Pohl, K. (2008): Requirements Engineering: Grundlagen, Prinzipien, Techniken, dpunkt-Ver‐ lag [3] Jakoby, W. (2018): Das Internet der Dinge als Basis der digitalen Automation, Beiträge zu den Bachelor-und Masterseminaren 2018 im Fachbereich Technik der Hochschule Trier, BoD-Books on Demand, Online verfügbar unter https: / / buchshop.bod.de/ das-internet-der -dinge-als-basis-der-digitalen-automation-9783752886016 zuletzt aktualisiert am 18.03.2024, zuletzt geprüft am 18.03.2024 [4] Krausz, B. (2018): Methode zur Reifgradsteigerung mittels Fehlerkategorisierung von Diag‐ noseinformationen in der Fahrzeugentwicklung, Wiesbaden: Springer Vieweg [5] Kelbert, P., Siebert, D., Jöckel, L. (2023): Fraunhofer IESE. von Was sind Large Language Models? Und was ist bei der Nutzung von KI-Sprachmodellen zu beachten? Online verfügbar unter https: / / www.iese.fraunhofer.de/ blog/ large-language-models-ki-sprachmodelle/ zuletzt aktualisiert am 12.12.2023, zuletzt geprüft am 08.02.2024 [6] Hadi, M., Al tashi, Q., Qureshi, R., Shah, A., Muneer, A., Irfan, M., Zafar, A., Shaikh, M.B., Akhtar, N., Wu, J., Mirjalili, S. (2019): A Survey on Large Language Models: Applications, Challenges, Limitations, and Practical Usage, TechRxiv, doi: 10.36227/ techrxiv.23589741.v1 [7] Lewis, M., Liu, Y., Goyal, N., Ghazvininejad, M., Mohamed, A., Levy, O., Stoyanov, V., Zettle‐ moyer, L. (2019): BART: Denoising Sequence-to-Sequence Pre-training for Natural Language Generation, Translation, and Comprehension, arXiv preprint, arXiv preprint arXiv: 1910.13461 [8] Westphal, S. (2020): POS-Tagging für Transkripte gesprochener Sprache: Entwicklung einer automatisierten Wortarten-Annotation am Beispiel des Forschungs- und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch (FOLK), 83, S.-13-16: Narr Francke Attempto Verlag [9] Zänker, N., Zietzsch, C. (2011): Text Mining und dessen Implementierung, S.-13, Diplomica Verlag [10] Delvin J., Chang, M.-W., Lee, Kenton, Toutanova, K. (2018): BERT: Pre-training of Deep Bidirectional Transformers for Language Understanding, arXiv preprint arXiv: 1810.04805 72 5 KI-Einsatz in Anforderungsmanagementsystemen <?page no="73"?> 1 Vgl. zum KI-Start-up-Rückgang: „Branchenkenner: Die Hälfte der KI-Start-ups wird es bald nicht mehr geben“ von Eva-Maria Weiß https: / / www.heise.de/ news/ Branchenkenner-Die-Haelfte-der-KI -Start-ups-wird-es-bald-nicht-mehr-geben-9219155.html [1] 2 Vgl. zum Konzept KI-Start-up Überlebensrate: „Überlebensrate von KI-Start-ups überdurch‐ schnittlich hoch“ von Herausgeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, https: / / w ww.bidt.digital/ themenmonitor/ ueberlebensrate-von-ki-start-ups-ueberdurchschnittlich-hoch/ 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen Irene Teich, Peter Schnupp Abstract Die Autoren teilen hier wichtige Erfahrungen beim Gründen von Start-ups, die eine KI-Innovation anbieten. Damit soll ein Beitrag geleistet werden, dass neue Teams Fehler beim Gründen von innovativen KI-Start-ups vermeiden. Die Erfahrungen werden dann in Anforderungen an eine Softwareunterstützung für solche Projekte zusammengefasst. Software ist nicht „die“ Lösung, doch kann sie beitragen, die Ressourcen effizienter einzusetzen. Eine erste Skizze für ein solches Softwareangebot wird am Ende vorgestellt. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Innovationen, Open Source Software (OSS), OSS, Polytrope linguistic artificial intelligence (PLAI), COPLAI, Start-up, Fallstricke, Software für Projektunterstützung, Wiesbadener Sprachmodell 6.1 Projektmanagement ist der Schlüssel Ein Start-up zu gründen ist immer eine Herausforderung. Doch eine Innovation in die Welt zu bringen, erhöht die Zahl der Hürden gewaltig. Deswegen gelingt es vielen guten Ideen nicht, sich einen Markt zu erobern. Das Projektmanagement wird bei Innovationsprojekten durch hohe Unsicherheit und hohen Bedarf an Wissen aus unterschiedlichsten Richtungen und Disziplinen geprägt. Die Doppelbelastung parallel das Angebot neu zu entwickeln und einer Firma zum Leben zu verhelfen bringt die wenigen Ressourcen schnell an ihre Grenzen. Experten prognostizieren, dass die Hälfte der KI-Start-ups nicht überleben wird 1 , obwohl nur 8 % der seit 1995 gegründeten KI-Start-ups im Jahr 2022 nicht mehr auf dem Markt gewesen sein sollen 2 . Im folgenden Beitrag wird analysiert, was Start-ups, insbesondere wenn sie KI-Innovationen anbieten, bedroht. Am Ende wird ein Lösungsvorschlag vorgestellt. <?page no="74"?> 3 Vgl. zu EU-AI-Act: „REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUNCIL LAYING DOWN HARMONISED RULES ON ARTIFICIAL INTELLIGENCE (ARTIFICIAL INTELLI‐ GENCE ACT) AND AMENDING CERTAIN UNION LEGISLATIVE ACTS“ von EU-Commission htt ps: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ EN/ TXT/ ? uri=CELEX: 52021PC0206 4 Vgl. zum Konzept KI-Winter im Sinne eines deutlichen Rückgangs von Reputation und Finanzie‐ rung: „Meilensteine der Entwicklung Künstlicher Intelligenz“ von Irene Teich S.-277 (Abbildung) Aktuell starten viele Firmen mit KI-Angeboten. Der EU AI-Act 3 wird den Markt verändern. Aber auch eine erneute Enttäuschung von Anwender-Unternehmen, die wieder einmal sehr viel Geld investieren, um KI einzusetzen, und am Ende eine immer schlechter funktionierende Anwendung zur Verfügung haben, erscheint sehr wahrscheinlich. Diese Situation gab es bereits zwei Mal. 4 Und wieder wird es einige KI-Anbieter geben, die außerhalb dieses Hype-/ Flop-Zyklus weiter existieren und ihren Kunden hervorragenden Nutzen bieten. Als Innovation zählt etwas ganz Neues oder eine neue Kombination bekannter Ele‐ mente, sobald ein erster Kundenstamm davon profitiert. Vorher wird das Entstehende als Erfindung eingestuft. Erfindungen erweitern die Anzahl an Alternativen zur Lösung eines Problems. Besonders schwer haben es Innovationen weit abseits von Standard‐ lösungen. Doch ist nicht zu akzeptieren, dass solche anderen Herangehensweisen von Investoren und Forschungseinrichtungen nicht in Betracht gezogen werden. Chancen, sich an die Spitze der Forschung zu setzen beziehungsweise sich als Marktmonopolist zu platzieren, bleiben so unbeachtet im Verborgenen. Das gibt es schon lange, wie das Beispiel „Rad“ zeigt: in Südamerika kam es nur als Spielzeug-Bestandteil zum Einsatz. In Europa leistete es dagegen einen nützlichen Beitrag als Lastenbeförderungshelfer und Streitwagen-Fahrwerk. Im Zusammenhang mit KI gilt das insbesondere für Projektmanagement. Das Aus‐ blenden verfügbarer KI-Technologien behindert die Entwicklung besonders nützlicher Lösungsangebote. Rein auf Basis von Zahlen und Daten gemanagte Projekte funktio‐ nieren, wenn alles bekannt ist. Insbesondere Projekte mit innovativem Charakter sind jedoch auf die Verfügbarkeit von ungewöhnlichem Wissen und Erfahrungen aus unterschiedlichsten Disziplinen angewiesen, wovon das Projektmanagement einen Bereich darstellt. Die Technologie hierzu ist bereits verfügbar, wartet aber auf ein Start-up, das sie zur Anwendung bringt. Das folgende Kapitel liefert Start-ups Hinweise, welche Fallstricke einen Marktein‐ tritt behindern können, aber auch auf Lösungen. 6.2 KI-Start up-Hindernisse und Lösungen Vier besonders wichtige Hindernisse werden durch einen ersten Lösungsansatz in der Überschrift eingeleitet. Es folgen jeweils alternative Vorgehensweisen und deren Fallstricke. Abgeschlossen wird jedes der vier Teilthemen durch Hinweise auf erfolgs‐ versprechende Lösungen. 74 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen <?page no="75"?> Die eigentlichen Innovationen tarnen durch konkrete Anwendungen Alternativen, um Innovationen zu bewerben sind: ■ Die Innovation vorstellen und mit den Kunden gemeinsam etwas entwi‐ ckeln: Die Wahrscheinlichkeit, dass Kunden sich darauf einlassen, ist minimal. Das gelingt nur, wenn ein Entscheidungsträger eines inhabergeführten Unternehmens oder ein besonders mutiger Mensch von der Innovation überzeugt ist. Dass diese Person hierfür von der Materie in der Regel viel verstehen muss, reduziert die Wahrscheinlichkeit für diese Konstellation erheblich. ■ Ständig neue Innovationen nachschieben: Solange keine Einnahmen generiert werden, bringen auch keine neuen Ansätze etwas. Selbst bei Förderanträgen erscheint das unglaubwürdig - obwohl das Forscherteam in der Regel schon einen Lösungsansatz parat hat. ■ Auf den ersten Erfolgen ausruhen: Ein Unternehmen gilt 5 Jahre lang als Start-up. Das ist in der IT-Branche mit einem Planungshorizont von einem halben Jahr eine sehr lange Zeit. Werden innerhalb dieser Zeit neue Innovationen entwickelt, sollten diese auch in Angebote umgesetzt werden. Sonst sind die Entwickler frustriert und die Kunden nehmen eine Stagnation wahr. Wer aufhört, sich weiterzuentwickeln, kann sich nur schwer am Markt behaupten. ■ Beweise schaffen: Selbst funktionierende Softwareangebote überzeugen nicht, solange kein Unternehmen dahintersteht, dem zugetraut wird, dass eben dieses Angebot langfristig bereitgestellt und gewartet werden kann. Das ist ein Paradox: Solange kein Geld eingeht, kann eben dieses Unternehmen ja nicht aufgebaut werden. Bessere Umsetzung Innovationen lassen sich nur schwer verkaufen. Deswegen ist es besser, deren Nutzen durch genau eine konkrete Anwendung aufzuzeigen. Wer das gut findet, lässt sich leichter für weitere Funktionen oder andere Anwendungen begeistern und findet dann auch irgendwann die Innovation toll. Die eine Anwendung, die ausprobiert werden kann, bringt den Nutzenden einen deutlich erkennbaren Vorteil. Das Start-up bietet diese Anwendung an und fokussiert sich auf eine Zielgruppe so lange bis die Einnahmen eine Erweiterung des Radius zulassen. Das ist Online gut möglich. Bei reinen Online-Verkäufen können mittels un‐ terschiedlicher Landingpages recht früh bereits mehrere Zielgruppen bedient werden. Alle Forschungsaktivitäten bleiben zunächst außerhalb des Start-ups, das anfängt, auch diese zu finanzieren, sobald die Einnahmen dafür stabil genug sind. Sobald die stabilen Einnahmen von einem erfolgreichen Team nachgewiesen werden können, wird es auch einfacher, Fördermittel für eine weitere innovative Anwendung zu bekommen. Das eröffnet die Chance, bestehende Kunden wegen der Folge-Innovation erneut anzusprechen. 6.2 KI-Start up-Hindernisse und Lösungen 75 <?page no="76"?> 5 Vgl. zu Open Hiring: „Open Hiring - Stellen besetzen ohne Vorstellungsgespräch“ von Matthias Haft https: / / www.arbeitsagentur.de/ faktor-a/ mitarbeiter-finden/ open-hiring-recruiting Ein sehr relevanter Punkt ist: Sofern es irgendwie möglich ist, sollte das eigene Angebot vom Anbietenden selbst eingesetzt und diese Nutzung sichtbar gemacht werden. Andernfalls leidet die Glaubwürdigkeit des Anbietenden und das Interesse potentieller Kunden lässt nach. Auch ein konzentriertes Angebot lässt sich nur erfolgreich vermarkten, wenn die Mitwirkenden dies umsetzen. Das richtige Team aufstellen Folgende Vorgehensweisen haben sich als nicht erfolgreich erwiesen: ■ Open Hiring 5 : Den ersten zu nehmen, der sich meldet, ist sehr nützlich bei gut beschreibbaren Aufgaben. Bei der Suche nach einem Teammitglied in einem KI-Innovations-Start-up funktioniert das nicht. ■ Verteiltes Arbeiten: Ist das Team verteilt, kann das nur funktionieren, wenn jeder einzelne sehr selbstständig handelt und proaktiv mitwirkt. Diese Konstellation gibt es bei manchen Programmieraufgaben wie z. B. Spielen, bei denen es getrennte Aufgaben wie Hintergrund, Avatare, Spielabläufe etc. gibt, die von Spezialisten im Alleingang beigesteuert werden. Sobald Teilnehmende im Team sind, die eine Führung erwarten, oder die Aufgaben nicht so deutlich getrennt werden können, müssen alle Beteiligten überwiegend in einem Gebäude zusammenarbeiten. ■ Externe Dienstleistende einbeziehen: Nicht alle Aufgaben müssen intern ausgeführt werden. Für viele wichtige Themen gibt es inzwischen gute, bezahlbare Dienstleister, die online in Anspruch genommen werden sollten. Auch wenn im Unternehmerteam die Fähigkeiten vorhanden sind: am Ende fehlt die Zeit, diese Aufgaben im Team selbst zu erledigen. Bessere Umsetzung Eine höhere Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Team bietet eine schrittweise Annähe‐ rung anhand von echten Aufgaben. Hackathons sind auch deswegen so beliebt, weil die Ergebnisse und die Arbeitsweise miterlebt werden können. Um ein neues Team aufzustellen, wird ein kleines Projekt ausgedacht, das an einem Wochenende zu lösen ist. Aus den Teilnehmenden können passende dann in ein weiteres, längeres Projekt eingebunden werden. Stellt sich dabei heraus, dass gut zusammengearbeitet werden kann und gute Impulse kommen, kann über eine engere Zusammenarbeit nachgedacht werden. Für diese Zusammenarbeit kommen zwei Möglichkeiten in Frage: Festanstellung im Angestelltenverhältnis oder Honorar‐ zusammenarbeit mit Freiberuflern. 76 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen <?page no="77"?> Welche Konstellation auch gewählt wird, eine passende Organisation ist unerläss‐ lich. Eine geeignete Organisation inklusive Projektmanagement sicherstellen Inzwischen gibt es Dienstleister, die bei Aufbau und Umsetzung der Organisation un‐ terstützen. Bei Start-ups ist in der Regel hierfür aber erst einmal kein Geld vorhanden. Trotzdem muss es gelingen, in kurzer Zeit eine angemessene Organisation aufzubauen. Folgende Wege sind hierfür denkbar: ■ Software einsetzen: Die Auswahl einer geeigneten Software dauert lange, ist mühsam und zieht somit zu viel Zeit und Geld von dem eigentlichen Vorhaben ab. Außerdem sind die Programme in der Regel für größere Unternehmen ausgelegt und dann wird mit „Kanonen auf Spatzen geschossen“. Das führt wiederum zu Zeitverlusten, die sich ein Start-up nicht leisten kann. Dasselbe gilt für die notwendige Anpassung der Software an die Anforderungen von Kapitalgebenden. ■ Mitwirkende integrieren: Es gibt nur wenige Personen, die sowohl Organisa‐ tionen aufbauen als auch andere Aufgaben übernehmen können. Als Teilzeitkraft funktioniert das nur bedingt. Ideal ist eine Kombination aus Marketing/ Vertriebs‐ backoffice und Organisationsgenie. Zuerst kann die Organisation aufgebaut wer‐ den, weil noch wenig Vertriebsarbeit erforderlich ist. Sobald die Organisation aufgebaut ist, kann mehr Zeit für Vertriebsaufgaben aufgewendet werden. Diese Vorgehensweise scheitert jedoch, wenn sich die Vertriebsaufgaben schneller aus‐ weiten, als eine Grundorganisation verfügbar ist. Bessere Umsetzung Für den Vertrieb gilt es möglichst frühzeitig Standard-Dokumente bereitzuhalten wie Kaufverträge, Informationsschriften, Technische Dokumentation etc. Außerdem muss die Webseite immer aktuell sein - was heute kaum noch ein Problem ist. Es ist wichtiger, eine halbwegs ansprechende Landingpage zu haben, als das Optimum einer Webplattform herauszuarbeiten und erst viel später zu starten. Vertrauen baut sich durch längerfristigen Kontakt auf. Dazu gehört auch die Zeit der Verfügbarkeit der Webseite. Ein Start-up benötigt eine der Größe angemessene Organisation, die Standards erfüllt wie Steuersowie Berufsgenossenschaftsanforderungen und gleichzeitig den Vertrieb bestmöglich unterstützt. Auf sehr effiziente Weise sind Interessenten, Kunden und Lieferanten zu verwalten sowie Transaktionen umzusetzen. Dazu kommen Rech‐ nungsverwaltung, die direkt übergehen kann in Steuererklärungen, Mitarbeitenden- und Vertragsverwaltung. Am effizientesten ist eine weitestgehende Automatisierung dieser Aufgaben oder Auslagerung an Dienstleister. Gleichzeitig müssen die Informa‐ tions- und Zusammenarbeitsbedarfe der Kapitalgebenden sowie der übrigen Mitwir‐ 6.2 KI-Start up-Hindernisse und Lösungen 77 <?page no="78"?> kenden erfüllt werden. Das erfordert unter anderem ein Videokonferenzsystem, aber auch eine Berichtsunterstützung und ähnliches. Hier gibt es eine bisher nicht erfüllte Anforderung für einen Softwarebzw. einen Dienstleistungsanbietenden, der ein solches System skalierbar verfügbar macht und gleichzeitig einen Umstieg auf ein größeres System vorbereitet und diesen ermöglicht, sobald das sinnvoll wird. Auch in einer guten Organisation ist eine strategische Sichtweise notwendig. Gute langfristige Zeitplanung Die nicht funktionierenden Herangehensweisen sind: ■ Kurzfristige Reaktion auf Gelegenheiten: Eine kurzfristige Reaktion auf eine Gelegenheit wie einen Förderantrag hier oder einen Messebesuch da blockiert sämtliche anderen Aktivitäten über Wochen. Gleichzeitig ist die Wahrscheinlich‐ keit auf Erfolg gering. ■ Längerfristige Planung zerschlagen durch unerwartetes Ereignis: Gelingt eine längerfristige Planung und Zusammenarbeit mit Externen zur Vorbereitung eines größeren Projekts, sollte es einen Notfallplan geben für den Fall, dass etwas vollkommen unerwartetes eintritt. So hatten die Autoren das Meeting für den Projektstart eines besonders großen Projekts nach einer erfolgreichen Testzusam‐ menarbeit auf einen Termin gelegt, der zwei Tage nach dem Corona-Lock-Down kommen sollte. Das war nicht vorhersehbar. ■ Ziele nicht mit Zeitpunkten verknüpft: Ein häufiger Fehler ist es, Ziele ohne eine Untermauerung mit Zeitpunkten und Strategien zu haben. Dadurch verlieren die Ziele jegliche Wirkung. Bessere Umsetzung Es lohnt sich, zuerst mehr Zeit in ein gutes Zielsystem zu investieren. Das geht umso schneller, je besser die Informationslage ist, wobei eine KI unterstützen kann. Diese kann auch Zeitpunkte wie z. B. Messetermine oder Eröffnungstermine vorschlagen, sofern sie Zugriff auf die Informationen hat, oder zumindest auf das Fehlen und mögliche Arten von solchen Fixpunkten hinweisen. Parallel hilft ein möglichst vollständiges Modell der Organisation, zum Beispiel der PlanMan (Modell „ein Mensch“), die verschiedenen Bereiche abzuklopfen. Planung, Or‐ ganisationsdesign und Formulierung des Zielsystems gehen hierbei Hand in Hand. Die Designphase der zukünftigen Organisation wird effizient dokumentiert. Ein Projekt oder auch ein ganzes Start-up-Unternehmen kann in maximal zwei Stunden vollständig durchdacht und umfassend geplant werden. Eine Start-up-Projektmanagement-Software soll durch KI-Erweiterung zusätzlich Hinweise auf mögliche Messen, Markttrends oder besondere Einflüsse bereitstellen und so eine Langfristplanung unterstützen. Gleichzeitig kann diese Kombination eine 78 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen <?page no="79"?> allgemeine Anleitung zur Vorbereitung und Umsetzung der verschiedenen Organisati‐ onsthemen liefern. Die Technologie hierfür ist aus dem Qualitätsmanagement bekannt. Doch wird sie für Aufgaben wie Fördermittelanträge oder Messeteilnahme noch nicht eingesetzt. Förderanträge sollten nur gestellt werden, wenn ausreichend Ressourcen verfügbar sind, die diese Aufgabe mit übernehmen, oder Dienstleister unterstützen. Sonst bremst die Bearbeitung des Antrags den Vertrieb aus, was sich fatal auswirken kann, wenn keine neuen Aufträge mehr geholt werden. Die KI kann außerdem die Risikobewertung von längerfristigen Planungen unter‐ stützen. Um Maßnahmen für bekannte Risiken vorzubereiten, helfen Notfallpläne. Erste Regel im Notfall ist: Kontakt halten zu allen Beteiligten solange und so intensiv wie möglich. Eine weitere Option ist, die KI einen großen Teil der Dokumentation automatisch vorbereiten zu lassen. Für das Thema Homologation - Zulassung eines Automobil‐ angebots in einem Land - gab es schon eine Lösung, die für die Länder der Erde die Formulare vorausgefüllt hat und die notwendigen Prüfungen veranlasste und verwaltete. Eine Projektdokumentation ist eine ähnliche Aufgabe, die ebenfalls mit KI lösbar ist. 6.3 Lösungsvorschlag: KI-gestütztes Projektmanagement für Innovationsprojekte Innovations-Start-ups finden im Aufbau einer angemessenen Organisation und in der Finanzierung zwei wesentliche Hürden. Damit sich das Team auf die Finanzierung kon‐ zentrieren kann, sollte die Organisation so weit wie möglich durch ein Softwareangebot unterstützt werden. Dieses Angebot sollte bereits alle Anforderungen der Investoren berücksichtigen - was sowohl Projektplanung als auch Mittelverwendungsnachweise und Erfolgsmeldungen betrifft. Nachdem in diesem Kapitel wesentliche Anforderun‐ gen dafür aufgezeigt sind, wird eine mögliche Umsetzung eines solchen Angebots vorgestellt. Anforderungen an ein Start-up Projektmanagement Erkenntnis aus den verschiedenen Anläufen, ein Start-up am Markt zu etablieren, ist, dass die beteiligten Menschen in der Regel viel Unterstützung benötigen. Planung ist schwierig und berührt gleichzeitig sehr viele verschiedene Themen wie zum Beispiel Zeitpunkte, Zeitdauern, Vorlieben, gesetzliche Vorgaben, Wünsche, Qualität, Kosten, Nutzen, Nebeneffekte oder Unternehmensvorgaben. Sind Weisheiten, also eine sofort anwendbare und stark komprimierte Essenz aus dem Wissen, bzw. Wissen rechtzeitig verfügbar und wird deren Anwendung erleich‐ tert, erhöht das die Erfolgswahrscheinlichkeit erheblich. Diese Unterstützung muss je‐ derzeit verfügbar sein. Deswegen sollte ein Start-up-Angebot geschaffen werden, dass 6.3 Lösungsvorschlag: KI-gestütztes Projektmanagement für Innovationsprojekte 79 <?page no="80"?> Innovations-Unternehmen bei ihren mit viel Geld ausgestatteten Projekten begleitet und gleichzeitig den Geldgebern eine Rückmeldung liefert, die über reine Zahlen, Daten und Fakten hinausgeht. Schon Begründungen enthalten immer aufbereitetes Wissen. Das erfordert eine neue Art von Projektmanagement-Software, die mit natürlichen Texten ebenso umgehen kann wie mit Kosten und Zeiten. ■ Innovationen lassen sich schwer in konkrete Zahlen fassen. Deswegen sind Bewertungsäquivalente wie Story Points (eine personenunabhängige Mischung aus Komplexität und Aufwand) nützlicher. Damit muss das System umgehen können. ■ Innovationen profitieren von vorherigen Projekten. Doch können diese nicht 1: 1 als Blaupause übernommen werden. Eine KI kann Hinweise geben, woher interessante Beiträge kommen können. ■ Innovationen erfordern ständiges Dazulernen. Das sollte das System auf eine Weise unterstützen, die gleichzeitig Fortschritte dokumentiert, ähnlich wie es die EU für KI in ihrem AI-Act fordert. Zusammenfassend lässt sich folgende nicht vollständige Liste an Anforderungen aus den Erfahrungen ableiten: 1. Effizienz - Ständiges Erarbeiten und Umsetzen von aus Büchern geholten Er‐ kenntnissen dauert viel zu lange. Benötigt wird ein System, welches Vorschläge macht und als Sparringspartner hilft, Entscheidungen zu treffen. 2. Abdeckung der Start-up-Themen - Das System muss die erforderlichen Fra‐ gestellungen immer wieder vorlegen und Lösungen anbieten. Je vollständiger die Fragestellungen abgedeckt werden, desto besser. Lösungen können auch die Einbindung Externer sein wie zum Beispiel eine Steuerberatung zur Personalver‐ waltung oder ähnliches. 3. Generelle Lernunterstützung - Ein Hilfsmittel, um sich schnell in alle elektro‐ nisch zugänglichen Themen einzuarbeiten. Neben einem ersten breiten Überblick muss auch eine Bearbeitung in die Tiefe für einzelne Aspekte des Themas möglich sein. Die Ergebnisdokumentation sollte nicht den Bearbeitenden allein überlassen werden, die dafür in der Regel keine Zeit haben. 4. Integration mit anderen Systemen - Ein Start-up benötigt kein großes ERP (Enterprise Resource Planning) -System, muss aber in allen Funktionsbereichen Einkauf, Vertrieb (inkl. Social Media), Finanzen und Steuern, Produktangebot und -herstellung sowie Management unterstützt werden. Dafür kann eine Zusam‐ menarbeit mehrerer Softwareangebote nützlich sein. Das ist sie nur, wenn diese Systeme integriert zusammenarbeiten. 5. Schnelligkeit - Ergeben sich Vertriebsoptionen oder Fördermittelangebote müs‐ sen die Beteiligten schnell reagieren können, z. B. durch Vorbereitung und Vor‐ schläge aus dem System. 6. Gegencheck - Weiter kommen durch punktuellen Experteneinsatz. Dafür müssen Experten zu klaren Konditionen zugänglich sein. 80 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen <?page no="81"?> 6 Vgl. zum Konzept der Sprachspiele: Ideen von Platon (Höhlengleichnis), Ludwig Wittgenstein (Sprachspiel), „LTI“ von dem jüdischen Autor Victor Klemperer und „Wie wirklich ist die Wirklich‐ keit? “ von Paul Watzlawick. 7 Vgl. zum Konzept der Sentenz: „Lateinische Sentenzen“ von Heinrich G. Reichert. 8 Vgl. zu Graphdatenbank: Definition Graphbank von Redaktion ComputerWeekly.de 7. Wiederholung - Ein Baustein des Erfolgs ist, wiederholt in Erscheinung zu treten. Die KI kann Vorschläge machen und Social Media Einträge vorbereiten, die dann nach einem Zeitschema automatisch eingestellt werden. Dasselbe gilt für Teambesprechungen. Die KI kann nach einem eingestellten Plan Einladungen mit der Agenda versenden und zusätzlich zu aktuellen Themen passende Hinweise liefern. 8. Unterstützung von Moderationen - Effizientes Arbeiten in Start-up-Teams erfordert, dass Fragen, die in Diskussionen auftreten, sofort zufriedenstellend beantwortet werden können. 9. Nachhaltigkeit - Sowohl Hinweise zum Schutz der natürlichen Umwelt als auch Fragen zu Arbeitsbedingungen und anderen Bereichen der Nachhaltigkeit sind vom System automatisch einzustreuen - passend zu den aktuellen Diskussionen. 10. Projektpfade - Getriggert durch Ereignisse hilft das System die Varianten der Projektfortführung aufzuzeigen und die nach einer solchen Entscheidung erforderlichen Schritte zu steuern und zu begleiten. 11. Projektsprachmodell - Erforderlich ist ein sich anpassendes Sprachmodell, das neue Begriffe und Zusammenhänge integriert und vom Projektteam ggf. angepasst werden kann. Das leistet das Wiesbadener Sprachmodell aufbauend auf Sprachspielen 6 , Sentenzen 7 und Semantischen Umgebungen. 12. Dokumentation - Eine automatische Erstellung von Protokollen, Projektunter‐ lagen und ähnlichem unterstützt das Team. Die genannten Anforderungen sind mittels eines Teams in einem kombinierten Angebot aus Projektmanagement, Organisationsmodell, effizienter Objekt-Haltung und Wissens-KI zusammenzufassen. Dieses Team sollte von Beginn an bei der Ent‐ wicklung mitwirken. Dabei sollte es keine Einschränkungen geben, ob es sich dabei um Projektmanagement-Software-Anbietende, Graphdatenbank 8 -Anbietende, Softwa‐ reentwickelnde, Projektmanagement-Anwendende oder KI-Expert: innen handelt. Ein solches Vorhaben erfordert zahlreiche softwaretechnische Beiträge. Die Grund‐ lagen dafür sind verfügbar. Das Team kombiniert die geeigneten Softwareele‐ mente einschließlich eines passenden Projektmanagement-Systems mit dem Frame‐ work COPLAI, einer konstruktiv verwalteten Graph-Datenbank sowie mehreren Angeboten auf Basis generativer KI und Business Intelligence-Funktionen. Ziel ist, Pro‐ jektmanagement durch den Einsatz von KI insbesondere für KI-Innovations-Start-ups deutlich effizienter zu gestalten und gleichzeitig bezahlbar zu halten. Die Autoren freuen sich, wenn Start-ups von den vorgestellten Erfahrungen profitieren. 6.3 Lösungsvorschlag: KI-gestütztes Projektmanagement für Innovationsprojekte 81 <?page no="82"?> Literatur [1] Weiß, E.-M.: Branchenkenner: Die Hälfte der KI-Start-ups wird es bald nicht mehr geben; Online verfügbar unter https: / / www.heise.de/ news/ Branchenkenner-Die-Haelfte-der-KI-St art-ups-wird-es-bald-nicht-mehr-geben-9219155.html zuletzt aktualisiert am 18.07.2023, zu‐ letzt geprüft am 20.02.2024 [2] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (Hrsg.): Überlebensrate von KI-Start-ups überdurchschnittlich hoch; Online verfügbar unter https: / / www.bidt.digital/ themenmonit or/ ueberlebensrate-von-ki-start-ups-ueberdurchschnittlich-hoch/ plus https: / / www.de.digi tal/ DIGITAL/ Redaktion/ DE/ Digitalisierungsindex/ Publikationen/ publikation-download-kizuletzt aktualisiert 2022, zuletzt geprüft am 20.02.2024 [3] EU-Commission: REGULATION OF THE EUROPEAN PARLIAMENT AND OF THE COUN‐ CIL LAYING DOWN HARMONISED RULES ON ARTIFICIAL INTELLIGENCE (ARTIFICIAL INTELLIGENCE ACT) AND AMENDING CERTAIN UNION LEGISLATIVE ACTS; Online verfügbar unter https: / / eur-lex.europa.eu/ legal-content/ EN/ TXT/ ? uri=CELEX: 52021PC0206 zuletzt aktualisiert 21.04.2021, zuletzt geprüft am 20.02.2024 [4] Teich, I. (2020): Meilensteine der Entwicklung Künstlicher Intelligenz. Informatik Spektrum (2020) 43: 276-284. https: / / doi.org/ 10.1007/ s00287-020-01280-5 zuletzt aktualisiert 21.04.2021, zuletzt geprüft am 20.02.2024 [5] Haft, M. (2023): Open Hiring: Stellen besetzen ohne Vorstellungsgespräch; Online verfügbar unter https: / / www.arbeitsagentur.de/ faktor-a/ mitarbeiter-finden/ open-hiring-recruiting zu‐ letzt aktualisiert am 19.03.2023, zuletzt geprüft am 11.02.2024 [6] vier Werke zu Sprachspielen 1. Schleiermacher, H.: Platons Werke. Dritter Theil. Der Staat. Siebentes Buch (514); On‐ line verfügbar unter https: / / www.projekt-gutenberg.org/ platon/ platowr3/ staat07.html zuletzt geprüft am 19.03.2024 2. Wittgenstein, L.: Tractatus und Schriften ab 1920. Modern erklärt in Metzler Philoso‐ phen-Lexikon Eintrag Wittgenstein, Ludwig; Online verfügbar unter https: / / www.spek trum.de/ lexikon/ philosophen/ wittgenstein-ludwig/ 353 zuletzt geprüft am 20.02.2024 3. Klemperer, V.: LTI - Notizbuch eines Philologen. Stuttgart: Reclam 2019 4. Watzlawick, P.: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? ---Wahn, Täuschung, Verstehen; Mün‐ chen: Piper 2021 [7] Reichert, H.G.: Lateinische Sentenzen. Wiesbaden: Dieterich 1948 [8] Redaktion ComputerWeekly.de: Definition Graphdatenbank. https: / / www.computerweekly .com/ de/ definition/ Graphdatenbank zuletzt geprüft am 19.03.2024. 82 6 KI-Innovation und kein Start-up - Fehler und Fallstricke von wirklich anderen Wegen <?page no="83"?> 7 KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? Annika Günther Abstract Künstliche Intelligenz steht im Projektportfoliomanagement trotz des zunehmen‐ den Hypes noch am Anfang. Der Beitrag beleuchtet potenzielle KI-Ansatzpunkte und die aktuell technischen Möglichkeiten auf dem deutschen Markt. Chancen und Risiken werden dargestellt sowie der künstliche Intelligenzbegriff an sich diskutiert. Es werden Wünsche an und Grenzen von KI besprochen und Emp‐ fehlungen für Unternehmen abgeleitet. Es zeigt sich, dass Stand heute eine große Differenz zwischen den potenziellen Ansatzpunkten und den technischen Möglichkeiten für die Unterstützung von KI im Projektportfoliomanagement besteht. Gleichzeitig sollten Unternehmen heute bereits mit den Vorbereitungen beginnen, wenn sie in Betracht ziehen KI einzuführen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Projektportfoliomanagement, PPM-Tools 7.1 Einleitung Künstliche Intelligenz (KI) hat sich in den vergangenen Jahren in verschiedenste Lebens- und Arbeitsbereiche von uns allen integriert. Diese Entwicklung des Einzugs von KI in unser Arbeitsleben wird auf zahlreichen Fachmessen, in Vorträgen und Zei‐ tungsartikeln als wegweisend für die Zukunft von Unternehmen dargestellt. Auch vor dem Projektportfoliomanagement (PPM) macht diese Entwicklung keinen Halt. Das große Versprechen der KI liegt darin, Geschwindigkeit zu erhöhen, Arbeitsbelastung zu erleichtern und Prozesse effizienter zu gestalten. Infolgedessen sollen Marktvorteile gesichert und die Wettbewerbssowie Zukunftsfähigkeit von Unternehmen gesteigert werden. Obwohl viele Hoffnungen auf KI projiziert werden, entstehen gleichzeitig Ängste: Besteht die Möglichkeit, dass sich die Arbeit von Projekt- und Portfoliomana‐ ger: innen in den nächsten Jahren erheblich verändert? Könnten Arbeitsplatzverluste drohen? Steht dem Projektportfoliomanagement eine KI-Revolution bevor? Diesem Spannungsfeld zwischen Chancen und Risiken, Hoffnungen und Bedenken widmet sich dieser Beitrag. Die Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen, aktuelle techno‐ logische Entwicklungen sowie Empfehlungen für den Einsatz von KI im Projektport‐ foliomanagement sollen hier beleuchtet werden. <?page no="84"?> 7.2 Relevante Begriffsdefinitionen Im Kontext der Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Projektportfolioma‐ nagement ist es von grundlegender Bedeutung, zunächst die Definitionen der beiden Schlüsselbegriffe zu klären: Projektportfoliomanagement und Künstliche Intelligenz. Projektportfoliomanagement Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) definiert Projektportfolio‐ management als „… permanente Planung, Priorisierung, übergreifende Steuerung und Überwachung aller Projekte einer Organisation oder eines abgeschlossenen Teilbereichs einer Organisation.“ [1] Die übergeordneten Ziele des Projektportfolio‐ managements sind die Auswahl geeigneter Projekte für das Unternehmens- oder Bereichsportfolio sowie die Überwachung und Steuerung des Portfolios, um eine zielorientierte Umsetzung der gewählten Projekte zu erreichen. Dem Projektportfoli‐ omanagement kommt die Aufgabe zuteil, Effizienz und Effektivität der Projektarbeit im zuständigen Unternehmensbereich zu erhöhen. Durch die Auswahl der richtigen Projekte zur richtigen Zeit wird die Effektivität des Projektportfolios im Gesamten gesteigert. [1] Der KI-Begriff Eine meiner Meinung nach sehr wichtige Facette in der Diskussion über Künstliche Intelligenz ist die Vielfalt der Definitionen, die dieser zugrunde liegen. Laut dem Europäischen Parlament ist künstliche Intelligenz „die Fähigkeit einer Ma‐ schine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren.“ [2] Der Softwarekonzern Microsoft definiert künstliche Intelligenz dagegen als „Technologien, die menschliche Fähigkeiten im Sehen, Hören, Analysieren, Entschei‐ den und Handeln ergänzen und stärken.“ [3]. Dass der Begriff der künstlichen Intelligenz nicht einheitlich definiert ist, erscheint nicht verwunderlich vor dem Hintergrund, dass bislang auch menschliche Intelligenz nicht abschließend definiert werden konnte. Bereits 1977 verwies Karl Popper darauf, dass aufgrund dieses Sachverhalts kein allgemeines Verfahren existieren würde, welches den Ausprägungsgrad von Intelligenz bei Menschen oder Maschinen objektiv überprüfen könnte [4]. So sehen wir, dass der Begriff KI in den genannten Definitionen weit gefasst ist. Bei Microsoft muss die KI nicht mehr menschliche Eigenschaften „imitieren“, es reicht dort auch ein „ergänzen“. Des Weiteren fällt auf, dass in der Diskussion um KI häufig diverse Begriffe miteinander gleichgesetzt und vermischt werden - von KI und Machine Learning über Algorithmen bis hin zur Automatisierung gibt es häufig wenig Begriffsklarheit. Was bedeutet das für das Projektportfoliomanagement? Viele Tools im Projektportfo‐ liomanagement werben heute bereits mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“, doch bei genauerer Nachfrage zeigt sich oft, dass keine KI verwendet wird. Die Definitionsunsi‐ cherheit wird zu Marketingzwecken ausgenutzt. Microsoft macht es mit der eigenen 84 7 KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? <?page no="85"?> Definition vor, und auch bei den PPM-Tools reichen einfaches maschinelles Lernen oder simple Algorithmen aus, um sich selbst das Label „KI-Unterstützung“ zu geben. Daher möchte ich Unternehmen und Interessierte dazu zu ermutigen, kritisch zu hinterfragen, ob die beworbenen KI-Tools tatsächlich die fortschrittlichen Technologien nutzen, die sie versprechen. Dies bedeutet nicht, dass mathematische Modelle und Algorithmen nicht im täglichen Arbeitsalltag nützlich sein können, jedoch ist es wichtig, die tatsächlichen Fähigkeiten der als KI deklarierten Tools kritisch zu prüfen. 7.3 KI im PPM - potenzielle Ansatzpunkte vs. technische Möglichkeiten Um eine potenzielle Revolution im Projektportfoliomanagement durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen zu bewerten, werden zunächst Ansatzpunkte für den Einsatz von KI sowie die aktuellen technischen Möglichkeiten dargestellt. Ansatzpunkte für KI im PPM Abbildung 7-1 stellt die wichtigsten Aufgaben des Projektportfoliomanagements ent‐ lang des Projekt-Lebenslaufs gemäß den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement dar: Abbildung 7-1: Projektportfoliomanagement-Aufgaben [1] Um eine Aufgabe sinnvoll mit KI zu unterstützen, sollten die folgenden Eigenschaften berücksichtigt werden: Die Aufgabe sollte … ■ viele, qualitativ hochwertige Daten enthalten ■ repetitiv und aufwendig sein ■ eine sinnvoll abgrenzbare Aufgabenstellung beinhalten ■ und ein Thema mit vermutetem Mehrwert darstellen. 7.3 KI im PPM - potenzielle Ansatzpunkte vs. technische Möglichkeiten 85 <?page no="86"?> Wenn diese Kriterien herangezogen werden, können folgende, fettgedruckt gekenn‐ zeichnete Aufgaben in Abbildung 7-2 als potenzielle Einsatzorte durch KI-Unterstüt‐ zung identifiziert werden: Abbildung 7-2: PPM-Aufgaben und der potenzielle Einsatz von KI Je nach Verständnis von Künstlicher Intelligenz, den Aufgaben des Projektportfolioma‐ nagements und den genannten Eigenschaften können sich selbstverständlich weitere Ansatzpunkte ergeben. Aktuell technische Möglichkeiten Bei einer Mitte 2023 eigens durchgeführten Analyse des deutschen Marktes für Projekt‐ portfoliomanagement-Tools auf Basis einer Recherche der bekanntesten und größten Anbieter sowie entsprechenden Interviews mit den entsprechenden Vertrieblern zeigt sich ein interessantes Bild: ■ 3 Tools haben KI weder jetzt aktiv noch in absehbarer Zeit in Planung ■ 2 Tools haben aktuell keine KI aktiv, planen jedoch in nächster Zeit erste Experi‐ mente ■ 1 Tool nutzt komplexe Algorithmen ■ 1 Tool hat seit Jahren KI aktiv im Einsatz Es zeigt sich, dass mithilfe von Algorithmen auf Basis komplexer mathematischer Mo‐ delle bereits vielseitige Unterstützung möglich ist. Beispielsweise über parametrische Schätzungen, Muster- und Anomalie Erkennung sowie Sprachverarbeitung. Damit können Projektplanung, Berichtswesen, Ressourcenmanagement und Projektkommu‐ nikation bereits unterstützt werden. Das PPM-Tool, welches bereits KI aktiv nutzt, geht vom Ressourcenmanagement aus und versucht auf mehreren Ebenen einzuschätzen, wie wahrscheinlich das aktuell geplante Portfolio durchlaufen werden kann. Auf erster Ebene berechnet die KI laufend die Wahrscheinlichkeit, dass die Mitarbeitenden alle zugewiesenen Aufgaben rechtzeitig erledigen können. Bei geringer Wahrscheinlichkeit informiert die KI die Projektleitung und schlägt alternative Ressourcen vor, wobei sie durch 86 7 KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? <?page no="87"?> Feedback-Schleifen und Beziehungsmodelle lernt. Auf der nächsten Ebene bewertet die KI die Wahrscheinlichkeit des gesamten Projekts, und in der dritten Ebene bewertet sie auf Basis der vorherigen Berechnungen die Wahrscheinlichkeit des gesamten Portfolios. Dies ermöglicht die Beurteilung, ob zusätzliche Projekte geplant werden können oder ob neue Ressourcen erforderlich sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die vorangegangenen Anwendungsfelder bisher lediglich in abgegrenzten Aufgabenbereichen durch KI unterstützt werden können. Es besteht gegenwärtig eine beträchtliche Diskrepanz zwischen theoretisch möglichen Anwendungsbereichen von KI im Portfoliomanagement und den bereits technisch umsetzbaren Aspekten. 7.4 Von Risiken und Chancen, Wünschen und Grenzen Die größten Risiken und Herausforderungen bei der Einführung von KI im Projektportfoliomanagement lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: technische Herausforderungen und menschliche Herausforderungen. Technische Herausforderungen sind… ■ … mangelnde Qualität der Auswertungen und Vorschläge der KI. Die Qualität der KI-Ergebnisse könnte durch ungenauen, unzureichenden oder wenig qualitätsgesicherten Dateninput beeinträchtigt werden. Diese Gegebenheit oder allein die Befürchtung einer mangelnden Ergebnisqualität könnte dazu führen, dass die Ergebnisse einer KI in den entsprechenden Entscheidungsgremien abge‐ lehnt werden. ■ … Sicherheitsbedenken bei vertraulichen Informationen, insbesondere im Bereich des Ressourcenmanagements. ■ … zunehmende Abhängigkeit von der IT-Infrastruktur. Eine verstärkte Abhängigkeit von der IT-Infrastruktur könnte auftreten, insbesondere wenn eine vorzeitige Personalreduktion erfolgt. Menschliche Herausforderungen sind… ■ … die Akzeptanz von KI. Die Belegschaft könnte Schwierigkeiten bei der Akzeptanz von KI haben, begleitet von Ängsten bezüglich Arbeitsplatzverlust. Eine bewusste Beeinflussung der KI-Ergebnisse bspw. durch Umschreiben von Statusberichten ist ebenfalls denkbar. ■ … eine zu hohe Erwartungshaltung an die KI. Eine übermäßig hohe Erwar‐ tungshaltung an die KI könnte zu Enttäuschungen führen, insbesondere wenn die KI nicht die erwarteten Ergebnisse zeitnah liefert. Ein übermäßiges Vertrauen in die KI kann bei Fehlern zu erheblicher Enttäuschung und einem Verlust des Vertrauens in die KI führen. Zu den größten Chancen beim Einsatz von KI im Portfoliomanagement gehören erhöhte Effizienz und Geschwindigkeit durch die Beschleunigung von Prozessen, 7.4 Von Risiken und Chancen, Wünschen und Grenzen 87 <?page no="88"?> die Meldung drohender Risiken, Ressourcenengpässen, Budgetengpässen, Zeitver‐ schiebungen sowie erhöhte Transparenz durch die leistungsstarke Analyse großer Datenmengen und Mustererkennung. So könnten Entscheidungsfindungen datenba‐ siert angereichert werden, der Planungsaufwand minimiert und die Aktualität der Projektpläne maximiert sowie freie Kapazitäten von Projektleitungen und Projektport‐ foliomanagement auf weitere Projekte oder zwischenmenschliche Aufgaben erweitert werden. Im Gespräch mit Projektleitungen und Projektportfoliomanager: innen zeigt sich, dass die vermuteten Chancen häufig mit persönlichen Hoffnungen in den Einsatz von KI verbunden werden. Diese Hoffnungen betreffen vor allem die Lösung klassischer Schwierigkeiten im Projektportfoliomanagement und gehen bis hin zur Wunschvorstellung, dass mit ein paar Klicks im Tool die KI das Projekt automatisch organisiert. Demnach ist es sinnvoll, sich die Grenzen für den Einsatz von KI im PPM bewusst zu machen. Diese lassen sich in drei Bereiche kategorisieren. 1. Technisch/ prozessuale Grenzen. Diese umfassen u. a. die Flexibilität und Anpassungsfähigkeit von KI-Tools sowie die Menge und Qualität des Dateninputs. Das bedeutet, dass die KI nur für den programmierten Zweck eingesetzt werden kann und die Qualität der einfließenden Daten die Ergebnisqualität bestimmen. 2. Entscheidungsmandate. Abschließende Entscheidungen sollten von erfahrenen Projektleitungen und Portfoliomanager: innen getroffen werden. Die Interpreta‐ tion von KI-Ergebnissen erfordert ebenfalls Verständnis von erfahrenen Fachleu‐ ten, hier ist eine Kombination aus PPM und KI Know-how von Vorteil. 3. Bedingt dokumentierbare Daten. Zu dieser Kategorie gehört alles, was der KI zwanghaft entgehen muss - z. B. zwischenmenschliche Interaktionen und die politische Dimension in Projekten. Auch die bereits erwähnte Interpretation von Statusberichten kann nur von Menschen erfolgen. Im Spannungsfeld zwischen großen Erwartungen an beträchtliche Arbeitserleichte‐ rungen und der latenten Sorge, dass der Einsatz von KI möglicherweise das genaue Gegenteil mit sich bringen könnte, ist es entscheidend, die realen Grenzen zu erken‐ nen. In dieser Ambivalenz zwischen Hoffnungen und Bedenken ist eine bewusste Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Möglichkeiten und Herausforderungen von zentraler Bedeutung. Daher ist es ratsam, sich nicht allein von den großen Wünschen leiten zu lassen, sondern stets im Blick zu behalten, dass der Einsatz von KI im Projektportfoliomanagement eine ausgewogene und kritische Herangehensweise erfordert. 7.5 Empfehlungen für Unternehmen Für Unternehmen ergeben sich wesentliche Empfehlungen in Hinblick auf den Einsatz von KI im Projektportfoliomanagement. 88 7 KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? <?page no="89"?> ■ Jetzt sollten sich Unternehmen Gedanken um die zu erhebenden Daten, deren Qualität und Aufbereitung sowie über die allgemeinen Datenstrukturen machen. Ein sorgfältiges Datenmanagement legt den Grundstein für präzise und aussa‐ gekräftige KI-Ergebnisse. Außerdem ist zeitnaher Aufbau von KI-Knowhow zu empfehlen. Hierzu sind auch die Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen empfehlenswert, um von Best Practices zu lernen. Auch die Erhöhung des eigenen PPM-Reifegrads im Unternehmen ist ratsam. ■ Vor der Einführung von KI sollten Unternehmen eine Strategie und Ziele festlegen, um die KI zielgerecht einsetzen zu können. Auch die Erwartungen an die KI und deren Ergebnisse sollten definiert werden. Nur eine präzise Zielsetzung er‐ möglicht eine zielgerichtete Anwendung von KI im Projektportfoliomanagement. ■ Während der Einführung von KI ist vor allem das Changemanagement wichtig. Die Einführung von KI beeinflusst nicht nur technische Aspekte, sondern auch die Unternehmenskultur und -prozesse. Ein umfassendes Changemanagement ist daher unerlässlich, um Mitarbeiter: innen auf Veränderungen vorzubereiten, Widerstände zu minimieren und eine nahtlose Integration von KI sicherzustellen. Ratsam ist außerdem eine Einführung mit Testphasen und Pilotprojekten, um die Machbarkeit und Wirksamkeit zu evaluieren, bevor sie großflächig eingeführt wird. ■ Nach der Einführung von KI sollte eine regelmäßige Überwachung des KI-Mo‐ dells erfolgen und sorgfältig geprüft werden, ob es zu den gewünschten Ergebnis‐ sen führt und ob das Kosten-Nutzen Verhältnis weiterhin sinnvoll ist. Die Einführung von KI-Systemen ist nicht für jedes Unternehmen gleichermaßen sinnvoll. Daher ist es ratsam, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen. Unternehmen sollten evaluieren, inwieweit der Einsatz von KI im Projektportfolioma‐ nagement ihre spezifischen Anforderungen erfüllen kann, um fundierte Entscheidun‐ gen über die Investition von Ressourcen zu treffen. 7.6 Fazit und Ausblick Das Thema Künstliche Intelligenz im Projektportfoliomanagement steht noch am Anfang, und trotz diverser potenzieller Ansatzpunkte kann das breitgefächerte Aufga‐ benfeld des PPMs derzeit lediglich in kleinen, klar abgegrenzten Bereichen von KI unterstützt werden. Die häufig gestreute Sorge vor einem drohenden Jobverlust der Projekt- und Portfoliomanager: innen kann jedoch besänftigt werden, denn solange Menschen in Projekten arbeiten, bleiben menschliche Projektportfoliomanager: innen unverzichtbar. Nach der Betrachtung der Chancen, Risiken, Wünsche, Grenzen, technischen Möglichkeiten und potenziellen Anwendungsbereiche zeichnet sich vorerst keine revolutionäre Veränderung des PPMs durch KI ab. In den nächsten Jahren könnten KI-Systeme jedoch äußerst hilfreiche technische Assistenten werden. Dennoch werden 7.6 Fazit und Ausblick 89 <?page no="90"?> sie nicht sämtliche Schwierigkeiten des PPMs lösen können, weshalb die Definition der Erwartungshaltung vor der Einführung von KI in Unternehmen von entscheidender Bedeutung ist. Der derzeitige Hype um KI wird insbesondere von Technologiekonzernen und gro‐ ßen Unternehmensberatungen vorangetrieben. Meine dringende Empfehlung lautet, KI stets als Werkzeug zu betrachten und nicht als Selbstzweck. Die Technologie sollte mit klaren, messbaren Zielen eingeführt werden, die später evaluiert werden können. KI im PPM ist ein komplexes System, in dem sich viele Faktoren beeinflussen können und Fehlentscheidungen sowie unerwünschte Effekte auftreten können, ohne dass sie auf den ersten Blick sichtbar sind. Daher sind der Aufbau von KI-Know-how und die kontinuierliche Überprüfung der Ergebnisse essenziell. Der Begriff künstliche Intelligenz scheint ein Versprechen für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen zu sein. Ich vermute, dass KI in naher Zukunft zu einem bedeuten‐ den Trendthema im Projektmanagement wird, begleitet von größeren Investitionen, ähnlich wie es bei der Agilität der Fall war. Voraussetzungen für die erfolgreiche Einführung von KI in Unternehmen sind eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem eigenen Datenmanagement, die Erhöhung des Reifegrads im Projekt- und Portfoliomanagement sowie die Bereitschaft, erheblichen Aufwand und Kosten zu investieren und Prozesse grundlegend zu überdenken. Die erfolgreiche Integration von KI in Unternehmensprozesse erfordert jedoch Fähigkeiten, die KI selbst nicht besitzt: Kreativität, Empathie und vor allem Fingerspitzengefühl. Literatur [1] Seidl, J. und Baumann, D. (2016): Projektportfolioorientierung, in: Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3), Band-2, 8. Auflage, S.-1159 [2] Europäisches Parlament (2020): Was ist künstliche Intelligenz und wie wird sie genutzt? ; Online verfügbar unter https: / / www.europarl.europa.eu/ news/ de/ headlines/ so‐ ciety/ 20200827STO85804/ was-ist-kunstliche-intelligenz-und-wie-wird-sie-genutzt; zuletzt aktualisiert am 20.06.2023, zuletzt geprüft am 16.02.2024 [3] Rohnsdorf, J. (2020): Was ist künstliche Intelligenz? Definition & Funktionen von KI.; Online verfügbar unter https: / / news.microsoft.com/ de-de/ einfach-erklaert-was-ist-kuenstli‐ che-intelligenz/ ; veröffentlicht am 04.03.2020, zuletzt geprüft am 16.02.2024 [4] Popper, K. R. &, Eccles, J. C. (1977): Das Ich und sein Gehirn. Piper, München 1982, S.-257 90 7 KI-Revolution im Projektportfoliomanagement? <?page no="91"?> Teil B: Branchenspezifischer KI-Einsatz <?page no="93"?> 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus Martin Barth, Margit Sarstedt Abstract Seit dem Aufkommen der KI werden - sowohl anbieterals auch nutzerseitig - in allen Bereichen immer wieder neue Entwicklungsideen und neue Anwen‐ dungsfälle gefunden. Speziell für den Maschinen- und Anlagenbau werden in diesem Artikel drei typische Projekte in dem Feld der Projektcharakteristik verortet. Hiervon ausgehend wird der Umfang des KI-Einsatzpotenzials sowohl für Gesamtprojekte als auch für deren Teilaufgaben eruiert. Im Anschluss daran werden, anhand eines generischen Maschinen- und Anlagenbauprojektverlaufs, entlang der Phasen des Produktentwicklungsprozesses, konkrete - sowohl pha‐ senbezogene als auch kontinuierliche - KI-Einsatzbereiche aufgezeigt. Dabei ergeben sich grundsätzlich zwei Perspektiven. Zum einen werden seitens der KI-Anbieter vor allem die technischen Möglichkeiten der KI-Systeme weiterent‐ wickelt. Zum anderen werden seitens der Anwender strukturelle und prozessuale Anpassungen für die zielführende Integration von KI-Systemen notwendig. Mit diesen Erkenntnissen wird die Grundlage für eine spätere konkrete Ausarbeitung fallspezifischer Anforderungen an Prozesse und KI-Lösungen gelegt.- Stichwortliste KI-Einsatzpotenzial; Projekte im Maschinen- und Anlagenbau; Künstliche Intel‐ ligenz; Anforderungen an KI; Anforderung an Prozessgestaltung 8.1 Verortung von Maschinen- und Anlagenbauprojekten und Auswirkungen auf den KI-Einsatz Eine Einordnung des Anwendungsumfangs von KI in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus erfordert zunächst ein Verständnis der grundsätzlichen Einsatzmöglich‐ keiten von KI in Projekten allgemein. In einer früheren Schrift der Autoren [1] konnte - basierend auf der Grundeinteilung von Projekten gemäß der von Kuster vorgeschlagenen Einteilung nach der Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg einerseits sowie der sozialen Komplexität andererseits [2] - bereits die Abhängigkeit des Einsatzpotenzials von KI in Projekten von der jeweiligen Projektcharakteristik hergeleitet werden. <?page no="94"?> Abbildung 8-1: Dreiklang von Projektcharakteristik, KI-Einsatzpotenzial und Methodengruppen des Projektmanagements (aus [1], Eigene Darstellung) Gemäß des in Abbildung 8-1 dargestellten Schemas konnten die Autoren dabei zeigen, dass KI für Standardprojekte (linker unterer Bereich) als zwar vorprogrammierte, dann jedoch selbstständig agierende Einheit denkbar ist. Hiervon ausgehend ist bei steigender Unbestimmtheit von Aufgabe und Lösungsweg (Abszisse) sowie steigender sozialer Komplexität (Ordinate) der Einsatz von KI als komplexes Werkzeug in der Anwendung eines menschlichen Projektleiters nutzbar. Je weiter man sich auf den beiden Achsen nach rechts und oben bewegt, umso weniger ist das Potenzial von KI nutzbar (Grauschattierungen). KI wird für Pionierprojekte (rechter oberer Bereich) schließlich zu einem unterstützenden Hilfsmittel. Auch die Frage, wie in diesem ge‐ samtheitlichen Lösungsraum die Projektgruppen des klassischen, agilen und hybriden Projektmanagements zu verorten sind, ist zur besseren Orientierung in Abbildung 8-1 mit dargestellt. [1] 94 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus <?page no="95"?> Nach dieser allgemeinen Sicht auf die Einsatzmöglichkeiten von KI in Projekten soll nun speziell der Bereich des Maschinen- und Anlagenbaus näher beleuchtet werden, um zu grundlegenden Ableitungen für diesen typischen Bereich realer Industriepro‐ jekte zu gelangen. Maschinen- und Anlagenbauprojekte sind keinesfalls alle gleich. Vielmehr weisen sie, je nach Ausgangslage, Zielstellung, Größenordnung, Standardisierungsgrad etc., sehr unterschiedliche Charakteristika auf. Nicht alle „Spielarten“ von Maschinen- und Anlagenbauprojekten können hier diskutiert werden, jedoch sollen die typischen Un‐ terschiede anhand von drei Beispielen differenziert betrachtet und in dem vorgestellten Lösungsraum verortet werden. Abbildung 8-2: Verortung exemplarischer Maschinen- und Anlagenbauprojekte und deren mögliche Teilaufgaben innerhalb des Lösungsraums der KI-Einsatzpotenziale (Eigene Darstellung) 8.1 Verortung von Maschinen- und Anlagenbauprojekten und Auswirkungen auf den KI-Einsatz 95 <?page no="96"?> Beispiel 1: Ein Anlagenprojekt, in dem Zielstellung und Lösungsweg eher klar sind und eine mittlere soziale Komplexität vorliegt wäre typischerweise als ein klassisch organisiertes Projekt anzusehen (Punkt 1 in Abbildung 8-2). Betrachtet sei ein Auftrag im Schaltschrankbau, bei dem die zu verwendenden Einzelkomponenten standardisiert sind, jedoch für die An‐ wendung des Kunden eine spezielle technische Konstellation als Lösung zusammengestellt und ausgetestet werden muss. Die Interaktion mit mehreren Gewerken im eigenen Haus sowie die Abstimmungsnotwendigkeiten mit dem Kunden ergeben eine mittlere soziale Komplexität. Aufgrund der notwendigen zwischenmenschlichen Abstimmungen kann KI das Projekt nicht vollständig als eigenständig agierende Einheit steuern. Sie kann jedoch zum Beispiel durch geeignete Simulationsläufe des Zusammenwirkens der einzelnen elektrischen Komponenten und durch eine automatische Erstellung der Schaltpläne und der Elektrokonstruktion als komplexes Werkzeug eingesetzt werden. Hierdurch würde einerseits die menschliche Arbeitsmenge reduziert, andererseits die Qualität der angefertigten technischen Zeichnungen steigen. Beispiel 2: Bei steigender inhaltlicher Unbestimmtheit und sozialer Komplexität wird das Projekt die Charakteristika eines hybriden Projektes annehmen (Punkt 2 in Abbildung 8-2). Gleichzeitig sinkt der Grad der Einsatzmöglichkeiten der KI. Angenommen sei ein Projekt mit hohem Anteil an technologischer Basisentwicklung bei gleichzeitigem Zeit- und Marktdruck, bspw. ein Anlagenprojekt der High-Tech Industrie zur Ent‐ wicklung einer Anlage zur Oberflächenstrukturierung im Nanometerbereich, in dem auf einem extrem schnelllebigen Markt prozesstechnisches Neuland betreten wird. Hierfür ist einerseits die menschliche Intuition für innovative technische Lösungen und andererseits das menschliche Geschick im Umgang mit einem fordernden Kunden essenziell. Der Einsatz von KI als komplexes Werkzeug grenzt hier an den Bereich des Einsatzes als unterstützendes Hilfsmittel, die technischen Lösungsmöglichkeiten können systematisch erfasst und die Testresultate professionell getrackt und mit Ergebnissen aus der Literatur automatisiert verglichen werden. Auch das automatische Versenden regelmäßiger Statusreports an den Kunden ist denkbar, benötigt jedoch eine sinnvoll überlagerte menschliche Moderation und Kontrolle. Beispiel 3: Werden nun andererseits die technischen Fragestellungen zwar deutlich unklarer, die soziale Komplexität gleichzeitig aber eher geringer, dann bewegt man sich typischer‐ weise in Richtung einer agilen Vorgehensweise und gleichzeitig hin zum Zentrum des Einsatzes von KI als komplexem Werkzeug (Punkt 3 in Abbildung 8-2). Als konkrete Ausgestaltung des Beispiels sei an die Entwicklung eines kundenspezifischen, neuen Schneideverfahrens durch ein kleines, eingespieltes Team von Ingenieuren und Konstrukteuren gedacht. Auch hier kann die Vorhersagbarkeit von Qualität und Be‐ dienbarkeit durch geeignete Simulationsläufe deutlich erhöht werden. Hinzu kommt, dass auch die Überprüfung der technischen Passungen zu den übrigen technischen 96 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus <?page no="97"?> Teilen der Gesamtanlage bis zu einem gewissen Grad automatisiert werden kann, der menschliche Einsatz konzentriert sich nun auf die Rolle des genialen Ideengebers technischer Lösungen einerseits und der übergeordneten strategischen Ausrichtung des Projektes andererseits. Diese drei Beispiele sollen einen Eindruck für die Verschiedenartigkeit von Maschinen- und Anlagenbauprojekten im Lösungsraum geben und aufzeigen, wie heterogen KI-Ein‐ satzpotenziale (gerade innerhalb der Teilaufgaben) verortet sein können. In allen drei Beispielen kann es, wie in Abbildung 8-2 dargestellt, neben dem primären Nutzen der KI als komplexem Werkzeug selektiv auch Teilaufgaben geben, die vollständig an eine KI übertragbar sind (bspw. Beschaffung von Standardteilen), oder Teilaufgaben, die einen menschlichen Projektleiter erfordern, der KI als Hilfsmittel einsetzt (bspw. Beschaffung von Sonderanfertigungen). Klar wird jedenfalls, dass in allen drei Fällen sowohl eine Anpassung der unternehmensinternen Prozessabläufe als auch eine Spezialisierung der genutzten KI-Software notwendig sein wird. Dies soll im Weiteren näher aufgeschlüsselt werden. 8.2 Grundsätzliche Einsatzbereiche von KI in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus Wie dargelegt, ist das Feld der Projekte im Maschinen- und Anlagenbau äußerst heterogen. Dennoch grenzen grundsätzliche Schritte des Produktentstehungsprozesses Maschinen- und Anlagenbauprojekte von anderen generischen Projektclustern ab. In Abbildung 8-3 sind die neun grundsätzlichen Phasen eines Projekts im Maschinen- und Anlagenbau schematisch dargestellt. Die Phase Wartung und Support (10) wird innerhalb des projektorientierten Produktentstehungsprozesses nicht berücksichtigt, da diese oft erst nach Projektabschluss eingeleitet wird und den Übergang vom Projektmanagement hin zum kontinuierliche Prozessmanagement charakterisiert. Abbildung 8-3: Generischer Produktentstehungsprozess von Projekten im Maschinen- und Anlagenbau (in Anlehnung an [3] [4]) 8.2 Grundsätzliche Einsatzbereiche von KI in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus 97 <?page no="98"?> Nachfolgend sollen nun diese neun generischen Projektphasen des Produktentste‐ hungsprozesses im Maschinen- und Anlagenbau [3] [4] sowohl bezüglich ihres jewei‐ ligen spezifischen Inhalts erläutert als auch hinsichtlich der möglichen, konkreten Einsatzbereiche von KI analysiert werden. (1) Initiierung: Innerhalb der ersten Phase werden die Anforderungen / Bedürfnisse des Kunden identifiziert. Typischerweise beinhaltet die Initiierungsphase auch die Erstellung des kundenspezifischen Lastenhefts. Auf dessen Grundlage erstellt der Auftragnehmer anschließend ein Pflichtenheft, in dem er aufzeigt, wie er die Anforderungen des Kunden umzusetzen gedenkt. Innerhalb der Initiierung kann KI als komplexes Werkzeug eingesetzt werden, um auf Basis spezifischer Kundenpräferenzen und Anforderungen bereits erste Lö‐ sungsmöglichkeiten aus bestehenden großen Datensätzen zu extrahieren. Auch die Generierung eines Pflichtenhefts - auf Basis des vorliegenden Lastenhefts und eines internen Pflichtenheft-Datenpools - kann durch KI maßgeblich unterstützt werden. (2) Planung: In der Phase der Planung wird ein detaillierter Projektplan erstellt, Innerhalb dieses Planes werden i. d. R. Meilensteine, Ressourcen, Zeitrahmen und Budgets festgelegt. Ebenso kann der Projektplan je nach Erfordernis auch Risikoanalysen und mögliche Lösungsansätze für potenzielle Probleme umfassen. KI kann innerhalb der Planungsphase maßgeblich bei der Erstellung des Gesamtpro‐ jektplans und spezifischer Detailpläne eingesetzt werden. Ebenso ist die Identifikation von Risiken und das Ableiten möglicher präventiver Maßnahmen ein mögliches Einsatzgebiet von KI. Hierfür ist der Zugriff auf historische Daten von Nöten, welche dann mit weiteren Parametern (Inflation, Effizienzentwicklung etc.) für die Ableitung gegenwärtiger und zukünftiger Planwerte verrechnet werden können. (3) Konzept- und Entwurfsphase: Basierend auf den Anforderungen des Lastenhefts wird in Phase 3 ein initiales (Design-)Konzept entworfen. Hier werden Skizzen, technische Zeichnungen und Simulationen erstellt, um das Design zu überprüfen, anzupassen und zu verfeinern. In der Konzept- und Entwurfsphase kann KI die Generierung und Optimierung von Designs unterstützen. Durch maschinelles Lernen können hierfür vorhandene Daten analysiert werden, um auf deren Basis und unter Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen innovative Designmöglichkeiten zu erkennen und vorzuschlagen. (4) Engineering und Entwicklung: In dieser Phase werden die detaillierten technischen Lösungen für die spezifische An‐ lage ausgearbeitet. Ingenieure und Fachkräfte arbeiten daran, das Design umzusetzen. Mitunter werden innerhalb dieser Phase auch erste Prototypen entwickelt, um die Funktionalität und Leistung der Anlage zu testen. 98 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus <?page no="99"?> Im Schritt Engineering und Entwicklung kann KI die Ingenieure maßgeblich bei der Lösung komplexer Probleme sowie der Entwicklung neuer Anlagenmethodik un‐ terstützen. Vor allem im Bereich der Funktions- und (Bauteil-)Anordnungsoptimierung lässt der KI-Einsatz Effizienzvorteile erwarten. Hier wird sicherlich im Nahzeitraum zunächst die KI eher als unterstützendes Hilfsmittel im Vordergrund stehen, kann durch spezialisierte Algorithmen und den Einsatz von Machine Learning jedoch zu einem immer komplexeren Werkzeug ausgebaut werden. (5) Beschaffung von Materialien und Ressourcen: Ist das Engineering erfolgreich abgeschlossen und vom Kunden abgenommen erfolgt die Beschaffung aller benötigten Materialien, Komponenten und Ausrüstungen, meist auf Basis von Stücklisten, welche aus der Konstruktion abgeleitet werden. Anschlie‐ ßend werden Lieferanten - meist auf Grundlage definierter Auswahlkriterien - aus‐ gewählt und Verträge mit diesen abgeschlossen. In der Projektphase der Beschaffung von Materialen und Ressourcen sind die Anwendungsmöglichkeiten von KI vielfältig. So ist KI grundsätzlich in der Lage, fundierte Lieferantenbewertungen anhand von Leistungsdaten und Lieferverläufen zu erstellen. Weiterhin ist KI bei der vorausschauenden Mengenplanung und der Lagerbestandsoptimierungen umfangreich einsetzbar. Der Beschaffungsprozess selbst teilt sich in die Beschaffung von Standartteilen, wobei der Einsatz von KI in den Bereich der agierenden Einheit hineinreichen kann, sowie die Beschaffung von Spezialteilen oder Sonderanfertigungen, wobei eine menschliche Interaktion mit dem Lieferanten unabdingbar ist und KI zum unterstützenden Hilfsmittel wird. Kurzum, gerade in der Beschaffung hat KI ein breites Anwendungsspektrum. (6) Produktion und Fertigung: In der Phase der Produktion erfolgt die eigentliche Herstellung der Anlage gemäß den Spezifikationen. Weiterhin werden regelmäßig Qualitätskontrollen durchgeführt, um sicherzustellen, dass die Standards eingehalten werden. Im Projektabschnitt der Produktion und Fertigung erfolgen heute schon etliche Pro‐ zessschritte automatisiert, Robotik und Digitalisierung kommen seit vielen Jahren zum Einsatz. Die Grenzlinien zur KI sind dabei sicherlich schwimmend. KI-Unterstützung kann jedoch durch Rückgriff auf interne Produktionsplanwerte (bspw. Produktions‐ volumina, Bereitstellungstermine etc.) sowie aktuelle Marktdaten (bspw. durch die Verwendung aktueller Strompreise auf dem Spotmarkt) zu weiteren Verbesserungen u. a. in den Bereichen der Produktionsplanung und -steuerung führen. Auch eine Verbesserung von Qualitätskontrollen, bei der mit Sensoren und Bilderkennung Daten über feinste Probleme direkt am Entstehungsort generiert werden, ist durch den Einsatz von KI bei der Datenauswertung und Maßnahmen-Priorisierung (bspw. durch Ermittlung der Folgekosten in der Wertschöpfungskette) denkbar. 8.2 Grundsätzliche Einsatzbereiche von KI in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus 99 <?page no="100"?> (7) Tests und Validierung: Die hergestellte Anlage wird ausgiebig getestet, um sicherzustellen, dass es den Leistungsanforderungen des Kunden entspricht und die Anlage sicher und effizient funktioniert. Innerhalb der Phase Tests und Validierung kann KI bei der Auswertung von Tester‐ gebnissen helfen, um Muster oder Anomalien zu erkennen, welche möglicherweise dem menschlichen Auge entgehen würden. Dies führt zu einer genaueren Leistungs- und Funktionsanalyse der technischen Maschine/ Anlage. (8) Inbetriebnahme und Installation: Innerhalb dieser Phase wird die Anlage am Bestimmungsort installiert und in Betrieb genommen. Dieser Schritt kann auch Schulungen für das spätere Bedienungspersonal der Anlage beinhalten. Auch im Projektabschnitt der Inbetriebnahme und Installation können KI-gestützte Systeme verwendet werden, um komplexe Abläufe zu überwachen und automatisch Anpassungen vorzunehmen. Weiterhin besteht die Möglichkeit das KI individuell auf den einzelnen Monteur zugeschnittene Handlungsanweisungen und Leitfäden (in Sprache, Didaktik etc.) auf Basis bereits erfolgten Inbetriebnahmen und bspw. hinterlegten persönlichen Informationen zum Arbeitnehmer erstellt. (9) Abnahme und Freigabe: Im letzten Schritt des generischen, projektorientierten Produktentstehungsprozesses prüft der Kunde die installierte Anlage und nimmt diese ab. Wenn alle lastenheftspe‐ zifischen Anforderungen erfüllt sind, wird das Projekt offiziell abgeschlossen und freigegeben. Schlussendlich kann KI auch in diesem letzten projektspezifischen Schritt der Abnahme und Freigabe als komplexes Werkzeug eingesetzt werden. Hierbei kann KI die Konformität der Anlage mit den Spezifikationen überprüfen, indem sie große Mengen an Daten in kurzer Zeit analysiert und Abweichungen oder Fehler erkennt. Diese Ausführungen innerhalb der projektspezifischen Phasen des Anlagen- und Maschinenbaus zeigen, wie umfangreich die Anwendungsgebiete und Einsatzmöglich‐ keiten und damit die Potenziale von KI-Lösungen als komplexe Werkzeuge sind. Dies lässt zukünftig auf ein neues Level an Effizienz, Genauigkeit und Innovationskraft innerhalb industrieller Projekte schließen. Natürlich sind neben den projektphasenspezifischen Einsatzmöglichkeiten von KI auch während der gesamten Projektlaufzeit kontinuierlich mitlaufende KI-Anwendun‐ gen denkbar. So sind bspw. KI-Kundenchatbots denkbar, welche u. a. Informationen und Einschätzungen über den aktuellen Fertigungsstand in Echtzeit an den Kunden weitergeben können oder auch Änderungsanfragen des Kunden direkt entgegenneh‐ men und auf Vollständigkeit prüfen. Ganz grundsätzlich ist bei der Implementierung KI-gestützter Anwendungen im Bereich der Kundeninteraktion mit einer Reduktion der Informationsasymmetrien und damit der Effekte der Prinzipal-Agent-Theorie [5] zu rechnen. Es ist davon auszugehen, dass Auftraggeber mit hoher Marktmacht ihre 100 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus <?page no="101"?> Lieferanten zur Verwendung KI-gestützter System bspw. bezüglich der Überwachung derer Wertschöpfungs- / Fertigungsfortschritte verpflichten werden. 8.3 Herausforderungen und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit KI im Maschinen- und Anlagenbau Was bedeutet dies alles nun für die Perspektiven der KI-Anbieter einerseits und der KI-nutzenden Unternehmen andererseits? Ausgehend von der Verortung der Maschinen- und Anlagenbauprojekte in dem Feld der Projektcharakteristik wurde aufgezeigt, wie eine KI in dieser Art von Projekten unterstützen kann. Natürlich sind für die Realisierung dieser angeführten Einsatz-Möglichkeiten Voraussetzungen zu schaffen. So sind einerseits, wie in Abbildung 8-4 auf dem linken Pfad dargestellt, innerhalb der Unternehmen die Proessabläufe an den Einsatz der KI anzupassen. Beispielsweise wären hier in der Prozessabfolge Design-Stücklistenerstellung-Beschaffung die Standardteile zu definieren und aus dem menschlich betreuten Beschaffungsprozess auszulagern. Demnach offenbaren sich für Unternehmen für den zielführenden KI-Einsatz mitunter gravierende organisationale Transformationsnotwendigkeiten. Diese können, je nach angestrebten KI-Einsatzbereichen, zu prozessualem Reengineering, zu intraorganisationaler Reorgani‐ sation oder sogar zu generischer Restrukturierung eines Unternehmens führen. Abbildung 8-4: KI im Maschinen- und Anlagenbau - Untersuchungsfeld und Gang der Überlegungen (Eigene Darstellung) 8.3 Herausforderungen und Handlungsempfehlungen zum Umgang mit KI im Maschinen- und Anlagenbau 101 <?page no="102"?> Auf dem rechten Pfad in Abbildung 8-4 sind die Wünsche der Unternehmen für spezialisierte KI-Lösungen zu bündeln und den KI-Anbietern anzutragen, damit diese Lösungen für eine möglichst große Marktabdeckung schaffen können. So könnte bei‐ spielsweis eine KI geschaffen werden, die den Beschaffungsmarkt hinsichtlich weltweit zugänglicher Standardteile analysiert und in dem vorliegenden Maschinen-/ Anlagen‐ design Potenziale ermittelt, wie eine vermeintliche Speziallösung alternativ auch mit Standardteilen abgedeckt werden könnte. Natürlich sind auch vollständig an ein Unter‐ nehmen spezifisch angepasste Customized-Lösungen denkbar. Die Entwicklung dieser ist jedoch letztendlich eine kommerzielle Frage. Dabei muss eine nutzerspezifische KI nicht zwingend eine individuelle Neuentwicklung darstellen, oftmals geht es um die Adaption bestehender Systeme auf den erforderlichen, speziellen Nutzerbedarf. KI-Anbieter sollten demnach bei ihren Entwicklungen den Fokus auf kundenzentrierte Individuallösungen legen. Es ist dabei erforderlich, sowohl die Perspektive der KI-Anbieter als auch die Perspektive der KI-Nutzer (hier Unternehmen) zu analysieren. Anschließend können Weiterentwicklung und Detaillierung von KI einerseits und Prozessen andererseits für konkrete (kundenspezifische) Anwendungen vorgenommen werden. Diese weitere Detaillierung wird - sowohl für den hier betrachteten Maschinen- und Anlagenbau als auch für andere Branchen - Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein. Literatur [1] Barth, M. & Sarstedt, M. (2024). Evaluation des KI Einsatzpotenzials in Abhängigkeit der Projektcharakteristik. In: Bernert, C., Scheurer, S., Wehnes, H. (Hrsg.). KI in der Projektwirt‐ schaft. GPM/ UVK. [2] Kuster, J. (2022). Handbuch Projektmanagement: Agil - Klassisch - Hy-brid. Springer. [3] Kerber, S. (2016). Wissenschaftliche Grundlagen und Stand der Technik. Springer Fachmedien Wiesbaden. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658-14110-3_2. [4] Fischer, J. W., & Stowasser, S. (2013). Industrial Engineering und Lean Product Development. Wie sich Unternehmen für die Anforderungen der zukünftigen Produktentstehung wappnen können. Industrial Engineering. Fachzeitschrift Des REFA-Verbandes, 66(2), 20-27. [5] Steven A Ross, The Economic Theory of Agency: The Principal's Problem, in: American Economic Review 63 (2), 1973, S.-138. 102 8 Evaluation des KI-Einsatzes in Projekten des Maschinen- und Anlagenbaus <?page no="103"?> 9 Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen Martin Holland, Johannes Lützenberger, Josip Stjepandić Abstract Aufgrund ihres langen Lebenszyklus werden die Produktionsanlagen Moderni‐ sierungen und Überholungen unterzogen. Speziell bei Prozessanlagen mit Rohr‐ leitungssystemen ist ein präzises digitales, räumliches Layout als Planungsbasis Voraussetzung, damit vorhandene und neu geplante Bereiche zusammenpassen. Um den Ist-Zustand zu erfassen, werden 3D-Scanner eingesetzt. Ergebnis ist eine Punktwolke, die in ein CAD-System geladen werden kann. Dadurch wird die Basis zur manuellen Nachmodellierung des Ist-Anlagenbauzustands. Um den manuellen Aufwand zu reduzieren, wurde eine automatisierte Lösung entwickelt, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) Punktwolken analysiert und Objekte in der richtigen Position erkennt. Je nach Anwendungsfall können Maschinen, Rohrleitungskomponenten oder auch Apparate erkannt und automa‐ tisiert in 3D-Modelle überführt werden. Basierend darauf werden 3D-CAD-Mo‐ delle (z. B. echte Volumenmodelle) für typische Objekte der jeweiligen Anlage generiert oder aus Bibliotheken geladen. Dies ermöglicht die Verwendung der automatisiert generierten CAD-Modelle für den Ist-Status als Referenzgeometrie für die Änderungskonstruktion. Dadurch kann die Umplanung und Modernisie‐ rung von Bestandsanlagen durchgängig digital durchgeführt werden. Stichwortliste Projektplanung, Künstliche Intelligenz, Objekterkennung, Machine Learning, CAD, Anlagenlayout, Modernisierung, Überholung, P&ID, Fabrikplanung, Pro‐ zessindustrie 9.1 Einleitung Ausgangssituation Produktionsanlagen sind auf eine aktuelle 3D-Dokumentation angewiesen. Dies trifft besonders für die Prozessindustrie zu. Diese Dokumentation ist die Basis für effizienten Betrieb und Wartung sowie die Voraussetzung für Modernisierungsvorhaben. Auf‐ grund des hohen manuellen Aufwands werden diese Unterlagen nicht als digitale 3D Dokumentation gepflegt, so dass häufig keine ausreichende Dokumentation gegeben ist. Auch wenn Anlagen mittlerweile in 3D CAD-Systemen geplant werden, weichen diese Modelle bereits nach der Errichtung der Produktionsanlagen ab. Grund hierfür sind häufig Detailentscheidungen, die während der Errichtung vor Ort getroffen werden. Herausforderung hierbei ist die 3D-Dokumentation effizient aktuell zu halten. <?page no="104"?> Hierfür müssen die bestehenden Anlagen neu modelliert werden. Dies wird heute auf Basis von 3D-Laserscans manuell durchgeführt, was zeitintensiv und kostspielig ist. Die Erfassung bestehender Anlagen aus Punktwolken durch Software mit hohem Automatisierungsgrad ist seit Jahren zwar eine Anforderung seitens der Industrie und Gegenstand der Forschung, wurde aber bislang als Funktionalität oder Modul in einer kommerziellen Software nicht angeboten [1-3]. Relevanz des Beitrags Digitale Zwillinge bestehen aus zahlreichen Teilmodellen, die sukzessive erstellt und kontinuierlich gepflegt werden müssen [4]. Da CAD-Modelle hoher Qualität eine unabdingbare Voraussetzung für digitale Zwillinge sind, kommt deren manuelle Er‐ stellung für Bestandsanlagen jedoch aus Zeit- und Kostengründen nur für Bereiche mit entsprechendem ROI (Return on Investment) in Betracht. Erst mit einer automatisier‐ ten Lösung zur Erfassung und Erstellung des digitalen Zwillings von Bestandsanlagen lässt sich dieser Prozess erheblich beschleunigen und kostengünstig gestalten [5], wodurch sich auch neue Einsatzmöglichkeiten ergeben. Aktuelle Fortschritte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz (KI) bieten hierzu eine geeignete technologische Basis [6]. Der Automatisierungsgrad und die Qualität der Ergebnismodelle sind die bestimmenden Faktoren für eine Reihe von verbundenen Folgeaktivitäten (z. B. dem automatisierten Abgleich zwischen dem 3-D-Modell und dem Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema, P&ID). Dadurch wird die Vision einer völlig digitalisierten Industrieanlage Realität. Beispiele hierfür sind: ■ Umbau einer Fabrikhalle für diskrete Produktion ■ Virtuelles Training von Betriebspersonal ■ virtueller Betrieb von Anlagen ■ Effiziente Wartung von Prozessanlagen ■ Erweiterung von Prozessanlagen ■ Modernisierung von Prozessanlagen 9.2 Lösungskonzept Um die optimalen Voraussetzungen für Betrieb und Modernisierung komplexer Indus‐ trieanlagen zu schaffen, muss die Lücke zwischen physischer und virtueller Welt geschlossen werden. Dies kann durch das Konzept des digitalen Zwillings, der auch die Möglichkeit bietet, Nutzungsinformationen in den Entwicklungsprozess einzubezie‐ hen, erreicht werden. Allerdings muss der digitale Zwilling hinsichtlich geometrischer und räumlicher Informationen effizient und wirtschaftlich gepflegt werden. Das beschriebene Konzept zur Erzeugung des digitalen Zwillings für bestehende Anlagen 104 9 Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen <?page no="105"?> wurde für die Fertigungs- und Prozessindustrie sowie den Schiffbau entwickelt und basiert auf automatischer Objekterkennung durch maschinelles Lernen (Abb. 9-1). Abbildung 9-1: Lösungskonzept für den Digitalen Zwilling einer Produktionsanlage [7] Ziel der ursprünglichen Entwicklung war es, einen automatisierten Objekterkennungs‐ prozess durchzuführen, um Fertigungsmaschinen wie Dreh- oder Fräsmaschinen, Kräne, Flurfördersysteme, Pfeiler, Böden und Wände usw. zu erkennen [7]. Nach der Objekterkennung werden die erkannten Objekte mit einer Datenbank verglichen, die verschiedene Maschinen und deren CAD-Modelle enthält. Sobald eine bestimmte Maschine gefunden wurde, kann diese in ein Autorensystem eingebunden werden. Um die genaue Position im Raum zu finden, wurde ein sog. Bounding-Box-Ansatz implementiert. Dabei umspannt eine Bounding-Box den kleinsten möglichen Raum eines Objektes und leitet deren Position im Raum ab. Dies ermöglicht die exakte Positionierung von CAD-Modellen im Konstruktionsraum. Durch die Zusammenfüh‐ rung aller vorhandenen Fertigungsmaschinen in einem gemeinsamen Modell wird ein digitaler Zwilling der Fertigungshalle erzielt. Nachgelagerte Prozesse wie Materi‐ alflussanalysen oder Layoutoptimierungen werden dadurch möglich [8]. Für den Objekterkennungsprozess wurde eine Lösung basierend auf Machine-Lear‐ ning (ML)-Algorithmen entwickelt [8]. Hierzu werden die Daten für das Training neuronaler Netze aufbereitet und das Training durchgeführt. Darüber hinaus wurde eine Datenbank mit verfügbaren Maschinen aufgebaut und Algorithmen zur Analyse der geometrischen Informationen sowie der Position im Raum implementiert. Angerei‐ chert mit Metainformationen kann auf diese Weise im Simulationssystem der Digitale Zwilling der Produktionsanlage aufgebaut werden. Basierend auf diesen Ergebnissen wurde eine Lösung zur Objekterkennung von Rohrleitungssystemen für die Prozessindustrie entwickelt [9]. Während es sich bei den Fertigungsanlagen um Einzelobjekte handelt, ist ein Rohrleitungssystem in weiten Teilen eine Kombination nahtlos verbundener Teile. Diese Teile zu unterscheiden und 9.2 Lösungskonzept 105 <?page no="106"?> jedes einzelne Teil zu erkennen, ist im Vergleich zur ursprünglichen Anwendung von höherer Komplexität. Im Vergleich zu Fertigungsanlangen unterscheiden sich Rohr‐ systeme zudem deutlich in Hinblick auf den Formfaktor der Objekte und der nahezu unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten aus Standardbauteilen (Rohr, Rohrbogen, Flansch, etc.) sowie Bestandteile wie Pumpen, Ventile etc. Daher waren Anpassungen und Weiterentwicklungen der Algorithmen notwendig und ein entsprechendes Trai‐ ning der neuronalen Netze im Vorfeld Voraussetzung. Um CAD-Modelle aus Punktwolken abzuleiten, werden sowohl topologische als auch geometrische Informationen benötigt. Der Mittellinienverlauf der Rohrkompo‐ nenten ist dabei der rote Faden durch das System und ermöglicht eine genaue Positionierung im Raum. Darüber hinaus werden geometrische Parameter wie Durch‐ messer, Länge, Höhe und Breite abgeleitet. Basierend auf diesen Informationen können die richtigen Komponenten gemäß der angewendeten Spezifikation aus Katalogen angezogen und in Systemen wie AVEVA Marine oder CADMATIC generiert werden. 9.3 Praktische Umsetzung Voraussetzung für den Einsatz der beschriebenen Lösung sind Punktwolken in entsprechender Qualität (Punktdichte und Konsistenz). Diese werden heute mit leistungsstarken 360°-3D-Laserscannern erzeugt. Um alle Bereiche zu erfassen und Inkonsistenzen (z. B. Scanschatten) zu vermeiden, werden die Scans in der Regel von unterschiedlichen Positionen durchgeführt. Alle Einzelscans werden im Nachgang zu einer umfassenden hochdichten Punktwolke zusammengebracht und zueinander aus‐ gerichtet. Diese Punktwolke/ Laserscan ist der Input für den Objekterkennungsprozess der PROSTEP-Servicelösung 3DigitalTwin (Abb. 9-2) [10]. Abbildung 9-2: Lösungsschritte und Leistungen von 3DigitalTwin [10] 106 9 Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen <?page no="107"?> Die über eine hochsichere und hochperformante Datenaustauschlösung übermittelten Punktwolken werden in einem ersten Schritt in ihrer Punktdichte ohne Einbuße in der Qualität reduziert. Vor dem Hintergrund, dass in Autorensystemen jeder einzelne Punkt berechnet wird, lassen sich reduzierte Punktwolken sehr viel performanter in Autorensystemen nutzen. Darüber hinaus ist eine reduzierte Punktdichte ausreichend für eine zuverlässige Objekterkennung und reduziert zusätzlich die Durchlaufzeiten in den nachfolgenden Prozessschritten. Basierend auf der reduzierten Punktwolke kann die Objekterkennung, die auch Segmentierung genannt wird, in mehreren Stufen durchgeführt werden. Hierbei werden Punktwolken analysiert und die Punkte den verschiedenen Typen bzw. Klas‐ sen zugeordnet. Je nach Anwendungsfall können so Geräte, Rohrleitungen sowie Strukturelemente voneinander getrennt werden. Jede der genannten Klassen von Objekten wird als einzelne Punktwolke gespeichert und steht separat zur Verfügung (Segmentierung Klassen in Abb. 9-2). Eingeladen in Autorensysteme, können diese sichtbar und unsichtbar gemacht werden. Hierdurch entsteht eine Filterfunktion, die je nach Bedarf den Fokus auf bestimmte Bereiche, vor allem das Rohrsystem, ermöglicht oder Kontexte einblendet. Das System ist mit mehreren Anlagen bereits vortrainiert und lernt mit jedem durchgeführten Projekt dazu. Im zweiten Segmentierungsschritt wird das zuvor bestimmte Rohrsystem analysiert und nach charakteristischen Mustern durchsucht. Die ML-Algorithmen erkennen die verschiedenen Komponenten, aus denen das Rohrleitungssystem besteht: Gera‐ des Rohr, Rohrbogen, Reduzierer, T-Stück, Flansch, Ventil. Auch hier werden die verschiedenen Elementtypen in einzelnen Punktwolken gespeichert (Segmentierung Einzelteile in Abb. 2). Diese können ebenfalls in Autorensysteme eingeladen werden und ermöglichen analog eine Filterung nach Rohrkomponenten. Um einen digitalen Zwilling erzeugen zu können, sind weitergehend topologische und geometrische Parameter erforderlich. Hierzu werden zunächst alle Punkte, die eine Komponente beschreiben, zusammengefasst (Clustering). Auf dieser Basis lassen sich geometrische Parameter (wie Breite, Länge, Höhe oder Durchmesser) sowie die Lage im Raum (Mittellinienverlauf) ableiten. Aufgrund der beschreibenden Parameter können im Anschluss äquivalente Katalogteile aus Datenbanken angezogen und entsprechend im Raum positioniert werden. Diese Komponenten sind neben ihrer geometrischen Beschreibung dann auch mit weiteren Metadaten, wie bspw. Material, max. Druck oder Betriebstemperatur angereichert. Schließlich werden die Nachbarschaftsbeziehungen erkannter Objekte ausgewertet, um die Rohrsystemsegmente zu erkennen. Hierbei werden verschiedene geometrische und topologische Parameter ausgewertet. Als Ergebnis bekommt der Anwender Rohr‐ systemsegmente als vollständige Produktstruktur samt Komponenten in einer neutra‐ len Darstellung, die mittels eines Austauschformates in jedes gängige CAD-System importiert werden kann. Auf diese Weise werden die unstrukturierten Eingangsdaten im Umfang von Hunderten von Gigabytes auf ein smartes Modell reduziert. Jedes 9.3 Praktische Umsetzung 107 <?page no="108"?> der Zwischenergebnisse enthält wertvolle Informationen, die im Planungsprozess verwendet werden können. 9.4 Projektergebnisse Je nach Anwendungsfall können Anwender das gestaffelte Lösungsangebot (siehe Abb. 9-2) von der reduzierten Punktwolke, über die Segmentierung der Punktwolke nach Klassen (Equipment, Rohrsystem, Bau) oder nach Einzelteilen (Rohrsegmente, Ventile, Pumpen etc.), bis zum CAD-Modell wählen. Als Input liefern Anwender Punktwolken von einer (Teil)Anlage in einer ausreichenden (vor allem: homogenen) Qualität, die gemäß den Kundenwünschen automatisiert analysiert werden. Das Ergebnis wird dann über den Datentransferdienst zur Verfügung gestellt. Bei der Analyse einer Fertigungshalle, wird die Punktwolke nach ihrer Reduzie‐ rung der Objekterkennung durch ML-Algorithmen bereitgestellt. Jedes der erkannten Objekte/ Punktecluster wird einzeln farblich dargestellt. Hierdurch wird die visuelle Unterscheidung vereinfacht. Im Weiteren werden die erkannten Objekte mit einer CAD-Datenbank abgeglichen, die entsprechenden Modelle angezogen und passend im Raum positioniert. Das Ergebnis ist ein 3D Hallenlayout der Fertigungshalle (Abb. 9-3). Durch Überlagerung von farblichen Punktclustern und Modellen, kann die Korrektheit der positionierten Modelle überprüft werden. Das Ergebnismodell ist als eine Baugruppe im CAD-System strukturiert. Abbildung 9-3: Ergebnisse der Objekterkennung in einer Fertigungshalle [8] Bei der Anwendung für Prozessanlagen ist der Prozess, wie bereits beschrieben, komplexer. Nach der Reduzierung der Punktwolke (Abb. 4, oben links) wird zunächst zwischen den Bereichen Equipment, Rohrleitungssystem und Bau unterschieden (Abb. 9-4, oben Mitte). Anschließend wird das Rohrleitungssystem einzeln durch ML-Algo‐ rithmen tiefer analysiert. Ergebnis ist eine Punktwolke, bestehend aus den einzelnen Rohrkomponenten (Abb. 4, oben rechts). Auch hier werden die einzelnen Punktcluster 108 9 Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen <?page no="109"?> der Bereiche bzw. der Komponenten farblich voneinander unterschieden. Auf Basis der abgeleiteten geometrischen und topologischen Parameter wird anschließend das CAD-Modell des Rohrleitungssystems erzeugt. Durch Überlagerung mit der Punkt‐ wolke kann die Korrektheit visuell überprüft werden (Abb. 4, unten rechts). Abbildung 9-4: Ergebnisse der Objekterkennung in einer Prozessanlage [9] Durch die beschriebene Lösung bekommen Anlagenbetreiber ein pragmatisches Hilfs‐ mittel an die Hand, wie sie ihre Anlagen, die sich im Laufe ihres Produktlebenszyklus - oft von den Planungsunterlagen abweichend - kontinuierlich verändern, konsistent in der digitalen Welt abbilden können. Darauf basierend können sie weitere operative Prozesse unterstützen und bedienen. Die KI schließt diese Lücke wesentlich schnel‐ ler und kostengünstiger als konventionelle, rein manuelle Ansätze und ermöglicht dadurch, Anlagen effizienter zu dokumentieren und zu betreiben. So kann schneller auf neue Marktanforderungen oder gesetzliche Vorgaben reagiert werden. Wie in anderen Anwendungen des Machine Learning festgestellt, steigert sich die Treffsicherheit dieser Methode mit jedem abgeschlossenen Projekt. Die Methode wurde in verschiedenen Bereichen des Anlagenbaus verprobt und lässt sich nicht nur mit den führenden CAD-Systemen, sondern auch in ein übergeordnetes Digital Asset Management nahtlos integrieren. 9.4 Projektergebnisse 109 <?page no="110"?> 9.5 Ausblick Innovative Industrieunternehmen haben bereits nachgewiesen, dass der digitale Zwil‐ ling einen umfassenden Digitalisierungsansatz zur Bewältigung komplexer, realer Planungsprobleme darstellt. In diesem Kapitel wurde eine spezifische KI-basierende Anwendung zu einem bestimmten Planungszweck für die Produktionsanlage beschrie‐ ben. Während sich die Struktur, die Einheiten und der Input unserer Produktionsanla‐ gen oft ändern, müssen sich die digitalen Zwillinge, die auch das Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema (P&ID) enthalten, immer wieder an die geänderte physische Realität anpassen. Die Lösung für diese Herausforderung („Update des digitalen Zwil‐ lings“) liegt ebenfalls im beschriebenen Ansatz, der auch die gesetzlich vorgeschriebene lückenlose Pflege vom Rohrleitungs- und Instrumentenfließschema (P&ID) erleichtert. Bei den Betreibern von Produktionsanlagen handelt es sich häufig um global aufgestellte Unternehmen. Entlang des Produktlebenszyklus sind so eine Vielzahl an Beteiligten involviert, die über verschiedene Standorte, Organisationen, Methoden und Tools hinweg kollaborieren. Dies bringt enorme Herausforderungen hinsichtlich Kommunikation, Effizienz und Interoperabilität mit sich. Durch die synchronisierte Verfügbarkeit physischer und digitaler Produkte ist eine KI-gestützte Interoperabilität mittlerweile eine unverzichtbare Voraussetzung [9]. Da auch der digitale Zwilling seinen eigenen Lebenszyklus hat, ist seine Integration in das holistische Asset Lifecycle Management (ALM) notwendig. KI kann dabei helfen, die Reifegradmodelle für kurze Arbeitszyklen zu definieren, beispielsweise einen Vergleich mit bestehenden Modellen, wodurch der iterative Charakter der Entwicklung eingeschränkt wird. Dies sichert die digitale Reife ab und wird somit zum grundlegenden Instrument des Projektmanagements. Eine tiefe Integration bleibt nach wie vor ein herausforderndes Ziel [9]. Der digitale Zwilling stellt eine Lösung für eine durchgängige Verbindung aller digitalen Modelle über die gesamten Phasen des Produktlebenszyklus dar. Es ist ein komplexes System, das konsistent gehalten werden muss. KI kann dabei auf Aufga‐ benstellungen in der Digitalisierung, wie Konsistenzprüfung und Rückverfolgbarkeit von Daten sowie Auswirkungsanalyse von Änderungen, angewendet werden. Ferner können mithilfe von KI, die daraus resultierende Konfigurations- und Risikomanage‐ mentaspekte analysiert und bewertet werden [9]. Literatur [1] Bamberg, A., Urbas, L., Bröcker, S., Bortz, M., Kockmann, N. (2021): The Digital Twin - Your Ingenious Companion for Process Engineering and Smart Production, Chemical Engineering Technology, Vol. 44, pp. 954-961. [2] Löwen, U., El Sakka, F., Schertl, A., Fay, A. (2020) A systematic approach how to build, maintain and use an integrated plant model, Automatisierungstechnik, 68(6), pp 423-434, DOI: 10.1515/ auto-2019-0097. 110 9 Digitaler Zwilling für Produktionsanlagen <?page no="111"?> [3] Sierla, S., Azangoo, M., Rainio, K., Papakonstantinou, N., Fay, A. et al. (2022): Roadmap to semi-automatic generation of digital twins for brownfield process plants, Journal of Industrial Information Integration, 27,100282. [4] Trauer, J., Schweigert-Recksiek, S., Schenk, T., Baudisch, T., Mörtl, M., Zimmermann, M. (2022): A Digital Twin Trust Framework for Industrial Application, Proc. Of the Design Society, Vol. 2: DESIGN2022, pp. 293 - 302. [5] Sharma, A., Kosasih, E., Zhang, J., Brintrup, A., Calinescu, A. (2022): Digital Twins: State of the art theory and practice, challenges, and open research questions, Journal of Industrial Information Integration, 30,100383. [6] Goldman, C.V., Baltaxe, M., Chakraborty, D., Arinez, J., Diaz, C.E. (2023): Interpreting learning models in manufacturing processes: Towards explainable AI methods to improve trust in classifier predictions, Journal of Industrial Information Integration, Vol. 33,100439, [7] Stjepandić, J., Sommer, M., Denkena, B. (2022): DigiTwin: An Approach for Production Process Optimization in a Built Environment, Springer Switz. [8] Sommer, M., Stjepandić, J., Stobrawa, S., von Soden, M. (2023) Automated generation of digital twin for a built environment using scan and object detection as input for production planning, Journal of Industrial Information Integration, Vol. 33, 100462, DOI: 10.1016/ j.jii.2023.100462. [9] Stjepandić, J., Lützenberger, J., Kremer, P. (2024): Generation and Update of a Digital Twin in a Process Plant, Springer International Switzerland. [10] N., N. (2023): 3DigitalTwin, Online verfügbar unter https: / / 3digitaltwin.opendesc.com/ anl agenbau, zuletzt geprüft am 17.01.2024. 9.5 Ausblick 111 <?page no="113"?> 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte Miriam Sasse, Christoph Wegener, Constantin Kauffmann Abstract Dieses Buchkapitel beschreibt die fortschreitende Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die Bauprojektüberwachung und skizziert die vielversprechen‐ den Perspektiven für die Bauindustrie. Es wird erläutert, wie KI-gesteuerte Kameras nicht nur in Einfamilienhausprojekten, sondern auch in großangelegten Infrastrukturprojekten wie Straßen- und Tunnelbau eingesetzt werden können. Die Fusion von Sensordaten und KI mit Maschinen- und Bauleiterdaten eröffnet neue Möglichkeiten zur Genauigkeit und Optimierung von Bauprojektüberwa‐ chungen. Dabei wird auch die Integration von Building Information Modeling (BIM) Modellen als zukunftsweisende Entwicklung betrachtet. Die Herausforde‐ rungen im Zusammenhang mit Datenschutz, Verantwortung und potenziellem Arbeitsplatzabbau werden kritisch betrachtet. Es wird betont, wie wichtig ethi‐ sche Richtlinien für den Einsatz von KI sind. Dieses Buchkapitel bietet einen Ausblick auf die Zukunft von Bauprojekten und skizziert die damit verbundenen Herausforderungen und Chancen beim Einsatz von KI. Stichwortliste Bauprojekt, Großprojekte, Rohbau, Straßenbau, Infrastrukturprojekte Bautages‐ bericht, Sensordatenfusion, Optimierungspotential, Building Information Mode‐ ling (BIM), Datenschutz, Herausforderungen, Chancen 10.1 Aufbruch ins KI-Zeitalter der Bauindustrie Die Bauindustrie steht vor einer revolutionären Veränderung. Inmitten des digitalen Zeitalters betritt die Künstliche Intelligenz (KI) die Baustelle und verspricht, die Effizienz, Überwachung und Produktivität auf ein neues Niveau zu heben. Die Branche begegnet vielen Herausforderungen und befindet sich im ständigen Wandel. Trotz der schrittweisen Erholung von der Corona-Pandemie bleibt ein Aufschwung der Branche aufgrund anhaltender wirtschaftlicher und politischer Krisen bislang aus. Als Reaktion sind Architekten, Bauunternehmen und Regierungen gezwungen, nach innovativen Lösungen zu suchen, um eine nachhaltige und effiziente Zukunft für die Baubranche zu schaffen. Das Bundesbauministerium und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) haben zwischen 2006 und 2021 mehr als 170 Millionen Euro in über 1.200 Forschungsprojekte und 70 Modellvorhaben im Rahmen des Innovationsprogramms „Zukunft Bau“ investiert [1]. Aus bisherigen Fortschritten <?page no="114"?> und bevorstehenden Herausforderungen ergeben sich einige Trends, die die gesamte Industrie entscheidend beeinflussen werden. Dieses Kapitel gibt einen Einblick in bestehende Visionen im Bauprojektmanage‐ ment, die durch KI ermöglicht werden, sowie in die Innovationen, die einige Vorreiter bereits erfolgreich am Markt umgesetzt haben. 10.2 KI-basierte Innovationen von der Produktion abschauen Verarbeitungsmaschinen in Produktionen werden seit langem mit inhärenter Teilin‐ telligenz ausgestattet. Die Maschinen werden mit regelbasiertem Expertenwissen, Sensoren und Aktoren erweitert, einschließlich multivariater Inline-Sensoren wie Ka‐ meraapplikationen mit intelligenter Bildverarbeitung und Materialerkennungssysteme mit Nahinfrarot-Spektroskopie [2]. Alle Daten werden miteinander fusioniert und streben nach selbstoptimierenden Produktionsabläufen durch Nutzung von KI. Die Erfassung von manuellen Arbeitsschritten ist nicht über Sensoren möglich und stellt somit die größte Einschränkung dar. Um dieses Problem zu lösen, kön‐ nen Kameras eingesetzt werden, die von oben die Werkshalle erfassen und mittels intelligenter Bildverarbeitung die manuellen Aufgaben automatisiert dokumentieren. Dadurch können Instandhaltungs- und Rüstzeiten bei Werkzeugwechseln erfasst und Produktivitätskennzahlen abgeleitet werden. Auch in Bauprojekten gibt es Herausforderungen bei der automatisierten Dokumen‐ tation, da manuelle Arbeitsschritte oft nicht erfasst werden können. Die Anforderun‐ gen und Regularien an Bauprojekte steigen stetig und machen sie immer komplexer. Viele Prozesse bleiben im Projekt unsichtbar und es fehlt an Datenrückfluss. Je größer und komplexer die Projekte sind, desto schwieriger ist es für Bauleiter, alle wichtigen Details in Tagesberichten festzuhalten oder gar Produktivitätskennzahlen abzuleiten. Produktivitätskennzahlen sind von zentraler Bedeutung für die Bewertung von Bau‐ projekten. Der Mangel an präzisen Daten zu Arbeitsstunden, Prozessdurchführungen und Zeitabläufen beeinträchtigt jedoch die Genauigkeit dieser Kennzahlen erheblich. Es ist schwierig, den Erfolg eines Projekts zu messen und zukünftige Vorhaben zu planen, wenn keine klaren Einblicke in die tatsächlich aufgewendeten Ressourcen vorliegen. 10.3 Showcase oculai: Der magische Blick der Kamera am Kranturm Durch die Platzierung von Kameras an Krantürmen hat oculai eine Methode eingeführt, um den Baufortschritt im Gebäudebau in Echtzeit zu überwachen, durch die eigene oculai-KI auszuwerten [3]. Über die Web-Application kann sich der Bauleiter einen Überblick über alle Baustellen verschaffen. Die Kamera streamt kontinuierlich Daten in die Cloud, wo fortschrittliche Algorithmen den Videostream analysieren und 114 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte <?page no="115"?> Bauprozessschritte dynamisch erfassen. Diese Technologie geht über die einfache Aufzeichnung von Aktivitäten hinaus - sie ermöglicht die Identifikation von Prozessen, deren Reihenfolge und sogar die Zuordnung zu spezifischen Baubereichen. Bauleiter erhalten einen detaillierten Einblick in den zeitlichen Ablauf von Prozessen, was zu effektiveren Arbeitsabläufen und besserer Ressourcennutzung führt. Der Projektter‐ minplan wird kontinuierlich einem Soll-Ist-Vergleich unterzogen und Verzögerungen werden frühzeitig erkannt (Abbildung 10-1). Die Magie steckt im Detail: Die künstliche Intelligenz macht es möglich, dass die Projektleitung von Baupro‐ jekten zu größeren Teilen aus dem Büro oder sogar aus dem HomeOffice geleistet werden kann. Der zeitaufwendige Projektanteil der Anreisen zu den Baustellen und des Schreibens der Bautagesberichte wird drastisch verkürzt. Es bleibt nicht länger dem Bauchgefühl des Bauleiters überlassen, wie viele Mannstunden für welchen Arbeitsschritt benötigt werden, um Fortschritte abzuschätzen oder Folgeprojekte besser planen zu können. Durch maschinelles Sehen über die oculai-KI können potenzielle Fehler frühzeitig erkannt und behoben werden, was zu einer insgesamt höheren Qualität führt. Dieser Technologiewandel hat auch Auswirkungen auf die Sicherheit am Bau: Die automa‐ tisierte Überwachung durch KI-gesteuerte Kameras trägt dazu bei, potenzielle Gefah‐ rensituationen frühzeitig zu erkennen und so die Sicherheitsstandards auf Baustellen zu verbessern. Abbildung 10-1: Terminplan 10.3 Showcase oculai: Der magische Blick der Kamera am Kranturm 115 <?page no="116"?> Dynamische Personen- und Prozesserfassung Die Kamera am Kranturm, gesteuert von oculai’s fortschrittlichen Algorithmen, ermöglicht nicht nur eine statische Erfassung von Aktivitäten, sondern auch eine dynamische Personen- und Prozesserfassung. Basierend auf der Personendetektion werden Bereiche identifiziert, in denen Aktivitäten stattgefunden haben könnten. Die Integration von Künstlicher Intelligenz und Bildklassifizierung erlaubt eine schritt‐ weise Analyse, um genau herauszufinden, welcher Prozess an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hat. Erkenntnisse aus aktuellen Studien zeigen, dass diese dynamische Erfassung nicht nur die Genauigkeit der Überwachung von Bauprojekten verbessert, sondern auch unerwartete Muster und Optimierungsmöglichkeiten aufzeigt. Die Kombination von Personen- und Prozesserfassung liefert einen umfassenden Einblick in die Abläufe auf der Baustelle (Abbildung 10-2). Die exakte Erfassung von Uhrzeiten in Verbindung mit der Anzahl der beteiligten Mitarbeiter stellt sicher, dass nicht nur die Aktivitäten, sondern auch die zeitlichen und personellen Ressourcen transparent sind. Diese umfassende Datenerfassung ist der Schlüssel zur genauen Berechnung von Mannstunden, einem entscheidenden Faktor für die Bewertung der Arbeitsleistung auf der Baustelle. Abbildung 10-2: Ansicht von Prozessdaten Diese Daten können nicht nur auslastungsoptimiert, sondern auch wertstromoptimiert ausgewertet und genutzt werden. Projektleiter, die ihr Projekt nach Lean oder Agilen Ansätzen führen, erkennen rechtzeitig Engpässe und Wartezeiten und können den Fluss der Arbeitsaufgaben optimieren. Sie analysieren mithilfe der oculai-KI Laufwege 116 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte <?page no="117"?> und Aufwandswerte und identifizieren die nicht effizienten oder sicherheitsrelevanten Routen. Diese Analyse führt nicht nur zu Einsparungen bei den Arbeitsstunden, sondern auch zu einer verbesserten Ergonomie und Arbeitsqualität. Bau-Tagesberichte im Handumdrehen: Automatisierung pur Richtig effizient wird es dann, wenn einfache Routine-Aufgaben automatisiert erfolgen, wie die Erstellung der Bau-Tagesberichte. Für Bau-Tagesberichte nutzt oculai die über Kamera aufgenommen und per KI ausgewerteten Baufortschritte, Start- und Endzeiten, Bauteile, Art der ausgeführten Arbeit, Wetterdaten und weitere relevante Daten. Dem Bericht werden auf Wunsch automatisch Vorher-Nachher-Bilder hinzugefügt. Individuelle Korrekturen und Ergänzungen können manuell eingetragen werden. Dieser Schritt in Richtung Automatisierung revolutioniert nicht nur die tägliche Berichterstattung und erspart die bei Vernachlässigung drohenden Konsequenzen, sondern ebnet auch den Weg für präzise Langzeitdokumentationen von Bauprojekten. Derzeit (Februar 2024) unterscheidet oculai zwischen 60 verschiedenen Arbeiten, die im Außenbereich eines Rohbaus stattfinden können. Dazu zählen Vorgänge wie Fertig‐ teil- oder Hohlkammerwände, Mauerwerk, verschiedene Ortbetonarbeiten, Auslegen von Folien oder Abdichtungen sowie Elektriker-Arbeiten. Da oculai typischerweise auf Kranen für den Rohbau eingesetzt wird, ist die KI auf Arbeiten beschränkt, die vor allem im Rohbau stattfinden und von den Kameras von oben aufgezeichnet werden (Abbildung 10-3). Abbildung 10-3: Erkennung unterschiedlicher Gewerke 10.3 Showcase oculai: Der magische Blick der Kamera am Kranturm 117 <?page no="118"?> Doch oculai wird nicht nur im Rohbau, sondern auch bei Infrastrukturprojekten eingesetzt, auf denen mit Obendreh-Kranen gearbeitet wird. Der digitale Bautages‐ bericht kann jedoch auch über den Rohbau hinaus genutzt werden, selbst wenn die Krankameras nicht mehr in Betrieb sind - allerdings ohne die automatische Prozesserkennung. Die KI kann leicht an spezifische Anforderungen oder Änderungen in den Bauprozessen angepasst werden. 10.4 Die Kunst des Verstehens: Schulung und Integration der KI-Ergebnisse Die automatischen Funktionen der KI bieten zweifellos einen Segen für die Effizienz in der Bauindustrie. Jedoch stellt sich die Frage: Sind diese automatischen Prozesse ein Segen oder ein Fluch? Die Antwort liegt nicht nur in der Technologie selbst, sondern auch in der Fähigkeit der Nutzer, die KI-Funktionen zu verstehen und optimal zu nutzen. Erkenntnisse aus Schulungen und Anwendererfahrungen zeigen, dass eine bewusste Auseinandersetzung mit den automatischen KI-Funktionen entscheidend ist, um ihren vollen Nutzen zu entfalten. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter gezielt auf die automatisierten KI-Funktionen vorbereiten, ziehen einen deutlich höheren Mehrwert aus der Technologie. Die Kunst liegt nicht nur in der Anwendung der Technologie, sondern auch im Verständnis der automatischen Prozesse und deren Integration in den täglichen Arbeitsablauf. Bisherige Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass ein geschultes Auge in der Lage ist, relevante Informationen aus den KI-Ergebnissen zu extrahieren und in den Ge‐ samtkontext des Bauprojekts zu setzen. Zukünftige Schulungsmaßnahmen müssen die Nutzer dabei unterstützen, die Blick-relevanten Bereiche zu identifizieren und aufgrund der KI-generierten Daten eigene Entscheidungen zu treffen. 10.5 Visionäre Projekte und Zukunftsvisionen Von Einfamilienhäusern bis zum Straßen- und Tunnelbau Die Zukunftsvision reicht weit über die Überwachung von Einfamilienhausprojekten hinaus. Ein faszinierender Blick in die Zukunft zeigt, dass die KI-gesteuerten Kame‐ ras bereits in visionären Großprojekten wie kilometerlangen Straßenbau-Projekten Anwendung finden. Die Skalierbarkeit und Vielseitigkeit der Technologie eröffnen neue Dimensionen in Bauprojekten, von kleinen Bauvorhaben bis hin zu beeindru‐ ckenden Infrastrukturprojekten. Aktuell lohnt sich diese Technologie erst ab einem Rohbau-Volumen von über einer Million Euro. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt, da sich große Infrastrukturprojekte schon heute mittels KI auswerten lassen, sobald eine Vogelperspektive über die Kameras möglich ist. 118 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte <?page no="119"?> Sensordatenfusion: KI trifft auf Maschinen- und Bauleiterdaten Die Zukunft liegt in der Sensordatenfusion, bei der KI auf weitere Maschinen- und Bauleiterdaten trifft. Dieser Ansatz eröffnet die Möglichkeit, nicht nur die Daten aus KI-gesteuerten Kameras zu nutzen, sondern sie mit weiteren relevanten Informationen zu kombinieren. Möglich sind zum Beispiel Kran-Auslastungen oder intelligenten Kranhaken, die Daten über Gewicht und Bewegungen liefern. Dadurch wird nicht nur die Genauigkeit der Bauprojektüberwachung erhöht, sondern es werden auch neue Erkenntnisse zum Optimierungspotenzial aufgedeckt. Ein vielversprechender Ausblick auf die Zukunft der Bauprojektüberwachung liegt in der Integration von Building Information Modeling (BIM) Modellen. Obwohl die aktuelle Praxis noch manuelle Mengenhinterlegung erfordert, zeichnet sich eine Vision ab, in der KI-gesteuerte Kameras nahtlos mit BIM-Modellen verknüpft sind. Dies würde nicht nur eine automatisierte Datenerfassung ermöglichen, sondern auch eine präzise Zuordnung von Bauprozessen zu den entsprechenden Modellbereichen. 10.6 Herausforderungen meistern: Datenschutz und Verantwortung Die verstärkte Automatisierung von Bauprozessen durch KI könnte zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führen, insbesondere in Bereichen, die repetitive und manuelle Aufgaben umfassen. Gleichzeitig könnte ein Fachkräftemangel in Bezug auf hochspe‐ zialisierte KI-Fähigkeiten entstehen und zusätzliche Arbeitsplätze in anderen Sekto‐ ren geschaffen werden. Die Bauindustrie hat sich parallel zu jeder technologischen Revolution weiterentwickelt. Sie hat sich bei der industriellen Revolution nach der Erfindung von Strom genauso gewandelt wie jetzt bei der Nutzbarmachung künstlicher Intelligenz. Die Einführung von KI-Systemen in Bauprojekten geht Hand in Hand mit der Schulung der Mitarbeiter und der Notwendigkeit, Datenschutzbestimmungen zu wah‐ ren. Eine umfassende Schulung soll nicht nur die Akzeptanz der neuen Technologie fördern, sondern auch das Bewusstsein für den sorgfältigen Umgang mit sensiblen Daten schärfen. Gerade bei der Verwendung von Kameras auf der Baustelle müssen wir den Daten‐ schutz und die Persönlichkeitsrechte gewährleisten. Große Konzerne erhalten eine unbändige ökonomische Macht und entscheiden, welche Daten für das Trainieren der KI genutzt werden, wie trainiert und wem die KI zur Verfügung gestellt wird. Viele große Konzerne, die KIs entwickeln und anbieten, bieten seit neuestem auch Versicherungen für den Datenschutz an. Die Etablierung von Richtlinien, die den Einsatz der Technologie in Einklang mit ethischen Standards setzen, ist entscheidend, um möglichen Missbrauch zu verhindern. Bestrebungen, dass KI-Systeme nicht Mono‐ polen gehören oder sogar ein öffentliches Gut werden, werden die Zukunft maßgeblich gestalten. 10.6 Herausforderungen meistern: Datenschutz und Verantwortung 119 <?page no="120"?> 10.7 Kunden-Feedback: Mehr als nur Zahlen und Daten Kundenzentrierung erhält mit der Nutzung von KI in Bauprojekten eine ganz neue Tiefe. Der Kundenerfolg wird nicht nur durch innovative Funktionalitäten, sondern auch durch ethische Entscheidungen und verantwortungsbewusstes Handeln gewähr‐ leistet. Die Herausforderungen eröffnen nicht nur Risiken, sondern bieten auch die Möglichkeit, die Beziehung zu Kunden zu stärken und das Vertrauen in die Anwendung von KI in der Bauindustrie zu fördern. Im oculai Showcase sieht die Johannes Wegener Bauunternehmen GmbH & Co. KG als Kunde große Potentiale in der Nutzung von intelligenter Bildverarbeitung und künstlicher Intelligenz im Projektwesen. Die erste Möglichkeit der Anwendung von oculai war abhängig von einer entsprechenden Projektgröße und der Verwendung ei‐ nes Obendreherkrans zur Befestigung der Kamera. Als Kunde setzt Wegener vor allem auf die technische Nachkalkulation, um nicht weiter auf pauschalisierte Richtwerte aus der einschlägigen Literatur angewiesen zu sein. Die vorhandene Zeiterfassung ist nicht so feingliedrig, dass daraus eine technische Nachkalkulation generiert werden könnte. Die Umsetzung jeden Prozess auf den Baustellen zeitig zu erfassen, wäre auch mit einem extrem hohen Aufwand verbunden, welcher durch den Einsatz der KI komplett eliminiert wird. Der hohe Bedarf an Soll-Ist-Vergleichen bei der Überwachung des Projektfortschritts und die Optimierung von Laufwegen und Wartezeiten bietet einen großen Mehrwert. Außerdem kann die KI durch die laufende Prozessüberwachung auch Stillstands- und Wartezeiten von Material und Geräten besser auswerten als ein Bauleiter während seiner eigentlichen Arbeitszeit, was einen wirtschaftlicheren Material- und Geräteeinsatz zur Folge hat. Für die Zukunft ist die Anbindung von BIM Modellen (Building Information Modelling) anzustreben, sowie das selbständige Versenden von Materialanforderungen, wodurch eine Just-in-time-Lieferung auf der Baustelle einfacher möglich wird. Die Integration von weiteren Schnittstellen und Tool-Kooperationen kann zu einer noch validen und ganzheitlichen Sicht auf den Baufortschritt führen. Mit der Zeit wird der Einsatz der Technologien erschwinglicher und kann dann auch für kleinere Projekte eingesetzt werden. Viele der bisherigen Anbieter am Markt sind mit ihren Produkten und Plattformen für kleine Firmen zu hochpreisig. 10.8 Schlüsselerlebnisse und Ausblicke Das Experimentieren ist vorbei: Erfolgsgeschichten aus der Praxis Die Phase des Experimentierens ist Vergangenheit - oculai’s Showcase zeigt, welcher Mehrwert schon heute mit der Kombination von KI-gesteuerten Kameras und Baupro‐ jektüberwachung möglich ist. Die StartUp-Szene im Bauwesen weist einen großen Anteil an KI-Technologien auf. Durch diesen Wettbewerb entstehen kontinuierlich Weiterentwicklungen, welche die Projekte im Bauwesen zukünftig maßgeblich beein‐ flussen werden. 120 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte <?page no="121"?> Es werden immer mehr Daten erfasst und in die Auswertung eingebunden werden. Immer mehr Bauprozesse werden automatisiert überwacht und dokumentiert werden. Der Einsatz von Baustellenrobotern und Beton-3D-Druck wird von künstlicher Intelli‐ genz profitieren. Durch den Einsatz von Predictive Analytics können Bauprojekte bes‐ ser geplant und Risiken frühzeitig identifiziert werden. Dies ermöglicht eine optimierte Ressourcennutzung und die Vermeidung von Verzögerungen. Die Entwicklung von digitalen Zwillingen von Bauprojekten mithilfe von BIM ermöglicht eine umfassende virtuelle Darstellung. KI kann in diesem Kontext für die Analyse und Optimierung der Bauprojekte eingesetzt werden. Aus vielen Baumaschinen und Fahrzeugen können Daten ausgelesen und der KI zur Verfügung gestellt werden. Dies geschieht über die Integration von 5G und Edge Computing für die Echtzeitkommunikation. Die Liefer‐ ketten können weiter optimiert und Materialengpässe vermieden werden. Bauprojekte werden nachhaltiger und energieeffizienter durch intelligente Systeme. Mehr und mehr Firmen bieten KI-Systeme für Bauprojekte an [4]: ■ 1. Die abaut-Technologieplattform ist ein digitales Ökosystem, das Hardware, Software und moderne Datenanalyse entlang der Wertschöpfungskette vernetzt. [5] ■ Versatile ergänzt weltweit Kranhaken um intelligente Hardware, die Bewegungs- und Belastungskollektive aufzeichnet und die enormen gewonnenen Datenmen‐ gen mit KI auswertet. [6] ■ Dusty Robotics ist eine hochmoderne, robotische Lösung zur Straffung des Bau‐ prozesses. [7] ■ Kwant.ai ist eine innovative Bauanalyseplattform, um die Projekteffizienz zu verbessern, die gut in populäre Branchensoftware integriert werden kann. [8] ■ Die AirWorks.io ist eine Luftdatenmanagement-Plattform, die Daten von Droh‐ nen-Hardware und Sensoren zusammenbringt und den Workflows optimiert. [9] ■ Openspace.ai ist eine KI-basierte Konstruktionsdokumentations-Plattform, die die Verwaltung und Zusammenarbeit auf der Baustelle rationalisiert und die Dokumentationszeit im Projekt stark verringert. [10] ■ Cando.de ist ein Projektmanagement-Tool. Seine Echtzeit-Updates und Benach‐ richtigungen sorgen dafür, dass Teammitglieder in Verbindung bleiben. [11] ■ Das Nyfty.ai-Tool automatisiert Geschäftsprozesse mit KI, um Arbeitszeiten zu reduzieren. [12] ■ Built Robotics sind autonome, rund um die Uhr funktionierende Baumaschinen. [13] ■ Procore Technologies ist eine branchenführende Projektmanagement-Software mit einer Cloud-basierten Plattform. [14] ■ Auch Buildstream.co ist eine hocheffiziente und innovative Bauprojektmanage‐ ment-Plattform. [15] ■ Die KI-Plattform von conxai bietet die Möglichkeit, den Datenberg von Zeich‐ nungen, Projektplänen, Transaktionen und IoT-Sensoren zu interpretieren und Schätzungen abzuleiten. [16] 10.8 Schlüsselerlebnisse und Ausblicke 121 <?page no="122"?> Die Revolution des Bauprojektwesens Die hohe Dynamik am Markt zeigt eine tiefgreifende Revolution in der Effizienz, Transparenz und Optimierung von Bauprojekten. Steigende Preise, strenger werdende Vorschriften, immer weniger Anwärter auf Handwerkerberufe, gepaart mit den neuen technologischen Fähigkeiten beschleunigen nun den Vorstoß der Digitalisierung im Baugewerbe mehr denn je. Dadurch werden die Berufe des Bauwesens noch software‐ bezogener und ermöglichen mehr Fernarbeit und Homeoffice. Das ermöglicht mehr talentierten Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkter Verfügbarkeit einen Einstieg in die Branche. Ein erhöhtes Maß an Vielfalt in der Mitarbeiterschaft ebnet den Weg für analytische und datengesteuerte Ansätze zur Problemlösung und schafft ein reicheres Umfeld für Innovationen. Literatur [1] BBSR, Forschung im Blick: https: / / www.bbsr.bund.de/ BBSR/ DE/ veroeffentlichungen/ sonde rveroeffentlichungen/ 2020/ forschung-im-blick-2019-20-dl.pdf ? __blob=publicationFile&v=1 [2] Sasse, M. (2012): Selbstoptimierende Rohrextrusionslinien, Dissertationsschrift. Shaker Verlag. [3] oculai: https: / / www.oculai.de/ [4] Roland Berger---https: / / www.rolandberger.com/ en/ Insights/ Publications/ Using-AI-to-unlo ck-major-stranded-value-in-construction.html [5] abaut-Technologieplattform: https: / / www.abaut.de/ [6] Versatile: https: / / www.versatile.ai/ solutions/ [7] Dusty Robotics: https: / / www.dustyrobotics.com/ [8] Kwant.ai: https: / / www.kwant.ai/ [9] AirWorks.io: https: / / airworks.io/ [10] Openspace.ai: https: / / www.openspace.ai/ [11] Cando.de: https: / / www.can-do.de/ [12] Nyfty.ai: https: / / www.nyfty.ai/ [13] Built Robotics: https: / / www.builtrobotics.com/ technology/ exosystem [14] Procore Technologies: https: / / www.procore.com/ de [15] Buildstream.co: https: / / www.buildstream.co/ [16] conxai.com: https: / / www.conxai.com/ 122 10 Zeitreisen am Bau: KI-basierte Rückblicke und Prognosen für effektive Bauprojekte <?page no="123"?> 11 Effizientes und modernes Software-Testing der Zukunft: Der BTC-BugBusterBot Björn Friedrich, Coline Rabsilber, Dennis Mildslaff, Irmtraud Behrens, Olga Kolov Abstract Die schnelle Entwicklung von künstlicher Intelligenz (KI) und insbesondere generativer KI stellt Unternehmen vor die Frage, wie sie mit der Entwicklung mit‐ halten und sie gewinnbringend für sich nutzen können. Zur Bearbeitung solcher Themen dient in der Regel der agile Projektmanagementansatz, der es kleinen, agilen Teams ermöglicht, sich mit dem Thema generative KI auseinander zu setzen. In diesem Artikel beschreiben die Autoren der BTC (Business Technology Consulting) AG die Entwicklung eines KI-basierten Software-Testing Tools, und wie sie dieser Herausforderung begegnet sind. Software-Testing ist von entscheidender Bedeutung für die Qualitätssicherung in der Softwareentwicklung und wird von Softwaretestern durchgeführt. Diese verfassen Testfälle manuell, was oft wiederholte und zeitaufwändige Aufgaben beinhaltet. Mit den Fortschritten bei Large Language Models (LLMs) stehen nun maschinelle Lernalgorithmen zur Verfügung, die dazu verwendet werden können, Softwaretester zu entlasten und ihre Arbeitsweise zu optimieren. Stichwortliste Generative KI, Large Language Models, Anwendung, Innovationen, agiles Pro‐ jektmanagement, Fail-Fast, KanBan, Software-Testing 11.1 Einleitung Das Testmanagement ist ein wichtiger Teil eines Softwareentwicklungsprojektes und bindet viele Ressourcen. Oft werden Mitarbeiter zum Testen herangezogen, die das Testen als Nebenaufgabe erledigen und sich ansonsten auf ihre Hauptaufgaben, wie z.-B. Programmierung oder fachliche Verantwortung, konzentrieren müssen. Mitarbeiter als Tester zu rekrutieren, die diese Aufgaben quasi nebenbei machen, bietet Chancen - schneller Einstieg in das fachliche Verständnis des Produktes, aber auch ein Spannungsfeld, das nicht immer mit internen Ressourcen bewältigt werden kann. Im Allgemeinen sind Projekte stark von der Verfügbarkeit des Personals abhängig. Oft müssen Termine für die Einführung von Produkten verschoben werden, weil Aktivitäten nicht rechtzeitig fertig geworden sind. Das gilt insbesondere auch für Testaktivitäten. Deshalb wird in diesem Artikel das Ressourcenproblem im Bezug auf <?page no="124"?> das Testen von Software betrachtet. Dieses Problem betrifft sowohl klassische, agile als auch hybride Projektvorgehensmodelle. Der Testmanager muss sich den folgenden Herausforderungen bezüglich der Anfor‐ derungsabdeckung stellen: ■ Wie können Testfälle geschrieben werden, wenn die Ressourcen begrenzt sind? ■ Wie kann der Zeitumfang zum Design von Testfällen (was soll getestet werden, wie soll getestet werde, Testschritte erfassen etc.) verringert werden? Eine mögliche Lösung für diese Herausforderungen ist die Verwendung von LLMs zur Unterstützung der Tester. Ein LLM kann auf Basis von textuellen Beschreibungen wie sie in Ticketmanagementsystemen, z. B. JIRA, zu finden sind, Testfälle inklusive der Testschritte erstellen. Der Tester erhält auf diese Weise Vorschläge für die Tests und kann diese ggf. anpassen. Auf diese Weise wird dem Tester die initiale Arbeit, Testfälle zu erstellen, abgenommen und im Falle von einfachen Tests muss er die Testvorschläge nur noch überprüfen und nicht mehr anpassen. Benefit - die Tester konzentrieren sich auf die schwierigen Fälle und können die freigewordene Zeit für kreative Arbeiten verwenden. Das Projekt BTC-BugBusterBot unterstützt durch die Nutzung eines LLM zur Testfallerstellung diese Herausforderungen. Im Folgenden wird beschrieben, wie das Testmanagement mit dem BTC-BugBusterBot aufgebaut ist, welche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen bestehen, und wie das Einführungsprojekt durchgeführt wurde. Relevanz des Software-Testings Fehler oder Bugs in einer Software können eine Vielzahl von Konsequenzen haben. Von einfachen Unannehmlichkeiten, wie ein Neustart eines Geräts, bis hin zu Perso‐ nenschaden mit Todesfolge. Im Mai 2015 wurde ein Softwarefehler in der Betriebssystemsoftware iOS für Apple iPhones bekannt. Durch das Senden einer speziellen Zeichenfolge konnte das iPhone des Empfängers zum Absturz gebracht werden. Teilweise konnte mit einem Neustart des Geräts die Funktion wieder hergestellt werden, aber es konnte auch vorkommen, dass das Gerät vollständig zurückgesetzt werden musste. Während dieser Fehler hauptsächlich benutzt wurde, um Streiche zu spielen, gibt es auch Fehler, die weitaus schwere Auswirkungen z.-B. im finanziellen Bereich haben können. Verglichen mit Unannehmlichkeiten haben Personenschäden schwerwiegende Kon‐ sequenzen. Am 25. Februar 1991 kamen 28 amerikanische Soldaten bei einem iraki‐ schen Raketenangriff auf den Stützpunkt Dharan in Saudi-Arabien ums Leben. Das eingesetzte Raketenabwehrsystem vom Typ MIM-104 Patriot hatte einen Softwarefeh‐ ler und konnte die Rakete nicht abfangen. Den Fehler verursachte eine minimale Abweichung der Systemuhr: 1/ 3 Sekunde pro 100 Stunden. 124 11 Effizientes und modernes Software-Testing der Zukunft: Der BTC-BugBusterBot <?page no="125"?> Die oben besprochenen Beispiele zeigen sehr deutlich auf, wie wichtig Qualitätssi‐ cherung in der Softwareentwicklung ist. Selbst in Bereichen, in denen es sehr strenge Vorgaben und hohe Anforderungen an die Sicherheit und Zuverlässigkeit gibt, kom‐ men Softwarefehler vor. Um die Zahl der Softwareentwicklungsfehler zu minimieren, sind umfangreiche Tests der Software unumgänglich. Um hier die Qualitätssicherung zu erhöhen und möglichst breit die potenziellen Fehler aufzudecken, müssen Tester umfangreiche Testfälle erstellen. Auf diese Weise kann das Risiko eines Fehlers und des möglichen Schadens daraus minimiert werden. 11.2 Vorgehensweise im Projekt zur Entwicklung des BTC-BugBusterBot Beim Aufsetzen des Projektes zur Entwicklung des BTC-Bug Buster Bots stellte sich die Frage nach dem geeigneten Projektmanagementvorgehen. Innovationsprojekte, wie das vorliegende Projekt, werden in der Regel nach agilen Ansätzen bearbeitet. Während im klassischen Projektmanagement der Projektleiter das Projekt führt, und das Projektteam die Umsetzung übernimmt, werden im agilen Vorgehen sowohl die Führung als auch die Umsetzung durch ein selbstorganisiertes Team übernommen. Verantwortungen liegen im klassischen Projektmanagement beim Projektleiter, beim agilen Vorgehen trägt das selbstorganisierte Team die Verantwortung für Leistungsum‐ fang, Budget und Termine. Da sich Innovationsprojekte mit schnellen technologischen Änderungen auseinandersetzen, die Umsetzung der Anforderungen also nicht mit Beginn des Projekts durchgeplant werden kann, bietet sich für diese Projekte das agile Vorgehen als Projektmanagementmethode der Wahl an. Umfang und Methode des agilen Projektmanagements sind dabei auch von der Größe des eingesetzten Teams abhängig. Teams mit fünf bis neun Personen können z. B. die Methode Scrum nutzen, kleinere Teams adaptieren die Methode oder nutzen andere agile Methoden wie z. B. ScrumBan oder KanBan. Im Projekt BTC-BugBusterBot bestand das Team aus drei Personen, die die Rollen und Aufgaben untereinander aufgeteilt hatten. Die Rollen waren so gewählt, dass es eine Rolle zur strategischen Ausrichtung gab, eine mit dem Schwerpunkt der Entwicklungsumsetzung und eine Rolle zur Evaluation der umgesetzten Konzepte. Das agile Projektmanagementvorgehen orientierte sich an der Methode KanBan. Zum einen sollten keine weiteren Rollen und Ressourcen (Scrum Master / Product Owner (PO)) eingeführt werden, zum anderen bestand der Wunsch schnell genug handeln zu können ohne festgelegte Sprintzyklen. Der Fokus des agilen Projektmana‐ gementvorgehen lag dabei auf dem Vorteil des kleinen Teams, schnell auf Änderungen reagieren zu können, die sich z. B. durch die technologischen Entwicklungen von LLMs ergeben. Das benötigte Budget wurde im Vorfeld durch das agile Team abgeschätzt und von BTC als Unternehmen zur Verfügung gestellt. Die Steuerung des Budgets wurde durch 11.2 Vorgehensweise im Projekt zur Entwicklung des BTC-BugBusterBot 125 <?page no="126"?> das agile Team übernommen. Auch die weiteren Aufgaben wie die Überwachung der Termine wurden durch das Team, selbstorganisiert durchgeführt. Außerdem konnten kurze Entwicklungszyklen von zu Beginn 2 Tagen und während der finalen Entwicklungsphase von 7 Tagen umgesetzt werden. Dazu fanden jeweils gemeinsame Besprechungen in Form von Reviews statt. Das ermöglichte entsprechend dem agilen Ansatz „Fail Fast - schnelles Scheitern“ das vorliegende Ergebnis des Entwicklungszyklus zu evaluieren, frühzeitig Probleme zu erkennen und Anpassun‐ gen vorzunehmen. Dieses Vorgehen bietet die Vorteile effizienter und mit weniger Verschwendung von Ressourcen, Zeit, Aufwand und Budget, Software zu entwickeln. Die Teambesetzung und das gewählte agile Vorgehen machte die Projekt-umsetzung sehr flexibel und führte innerhalb einer relativ kurzen Projektzeit von weniger als einem halben Jahr zum gewünschten Ziel der Entwicklung des BugBusterBot. Das wichtige dabei war, Funktionalitäten des BTC-BugBusterBots zunächst zu beschränken. Alle mit der Testfallerstellung mit LLMs zusammenhängenden Ideen wurden gesammelt und für das Folgeprojekt abgelegt. Nur so konnte gewährleistet werden, das Budget im Rahmen zu halten und ein „minimal viable product“ zu erhalten, d. h. ein minimal lauffähiges und nutzbares Produkt. Wenn Tester den Bot in Anwendungen getestet haben, wird im Folgeprojekt die Weiterentwicklung und die Optimierung vorangetrieben. 11.3 Grundlagen generativer KI Generative Künstliche Intelligenz (KI) hat in den letzten Jahren, insbesondere mit der Veröffentlichung von OpenAIs ChatGPT, enorm an Popularität gewonnen. Was einst den Wissenschaftlern und Experten vorbehalten war, ist nun für alle zugänglich und erfahrbar geworden [1]. Doch wie funktionieren diese beeindruckenden KI-Modelle, und was steckt hinter ihrer Fähigkeit, menschenähnlichen Text zu generieren? Es gibt verschiedene Arten von generativen KI-Modellen, darunter Bildgeneratoren wie Stable Diffusion [2], Midjourney [3] und DALL·E3 [4]. In diesem Artikel werden wir uns jedoch auf LLM (Large Language Models, frei übersetzt: Große Sprachmodelle) konzentrieren und ihre Funktionsweise näher betrachten. Im Kern geht es bei LLM darum, das nächste Wort in einem Text basierend auf einem vorherigen Kontext vorherzusagen. Dies geschieht, indem das Modell die Wahrscheinlichkeit für jedes mögliche nächste Wort berechnet und das Wort mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auswählt. Das Ergebnis wird als Eingabe für die nächste Vorhersage benutzt. Dieser Ansatz wird als autoregressives Modell bezeichnet. Die erstaunlichen Fähigkeiten von LLM haben viele überrascht, obwohl Experten sie bereits seit der Einführung der Attention- und Transformer-Architekturen im Jahr 2017 erwartet hatten [5]. Vorherige Modelle berücksichtigten die vorherigen Wörter starrer und gleichmäßiger, während der Attention-Mechanismus es LLM ermöglicht, vorherige Wörter im Kontextfenster flexibler zu berücksichtigen. Dies bedeutet, dass ein Wort am Anfang eines Satzes in einem anderen Satz eine entscheidende Rolle 126 11 Effizientes und modernes Software-Testing der Zukunft: Der BTC-BugBusterBot <?page no="127"?> spielen kann. Das Netzwerk verwendet keine festen Gewichte, sondern weiche oder variable Gewichtungen, die sich von Eingabe zu Eingabe unterscheiden können. Dies ermöglicht eine bessere Berücksichtigung des Kontexts und die Auswahl von Wörtern mit stärkerer Korrelation und Relevanz. Die Leistung von LLM beruht auf der Kombination riesiger Trainingsdatensätze, Attention-Mechanismen, Transformer-Architekturen und der Rechenleistung, um Modelle mit Milliarden von Parametern zu trainieren. OpenAI hat sogar menschliche Tester beschäftigt, um die Qualität von ChatGPT zu verbessern und sicherzustellen, dass die generierten Texte menschenähnlich und sinnvoll sind. Ein entscheidender Faktor für die Entwicklung von LLMs ist die Verfügbarkeit umfangreicher Trainingsdatensätze. Je größer das Modell, desto mehr Daten werden benötigt. Einer der populären Datensätze ist Common Crawl, der Text von Milliarden von Webseiten enthält [6]. Diese Daten ermöglichen es den Modellen, ein breites Spektrum von Informationen und Kontexten zu erlernen. Eine Herausforderung bei der Arbeit mit LLMs ist deren Nicht-Determinismus, d. h. die gleiche Eingabe führt zu unterschiedlichen Ergebnissen. was die automatisierte Verarbeitung erschwert. In unserem Projekt wurde das Problem dadurch gelöst, dass die Anfrage speziell strukturiert wurde, das wird auch als „Prompt Engineering“ bezeichnet. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Struktur der Ausgabe konsistent bleibt, während gleichzeitig die gewünschte Variabilität in den Antworten erhalten bleibt. 11.4 Umsetzung und Anwendung Mit den Fähigkeiten von LLMs unstrukturierten Text zu verarbeiten, lag ihr Einsatz für die automatische Erstellung von Testfällen auf der Hand. Da es aber bereits viele Anbieter gibt und auch Eigenentwicklungen denkbar sind, musste eine Evaluation der Modelle stattfinden. Um eine fundierte Entscheidung treffen zu können, wurden User Stories aus realen Projekten des Unternehmens BTC AG herangezogen. Zusätzlich wurden erfahrungs‐ basierte User Stories auf Grundlage realer Projekte erstellt, um ein möglichst breites Spektrum an Komplexität abbilden zu können. Für die realen und auch erstellten User Stories mussten einige jedoch nicht alle der unten aufgeführten Voraussetzungen erfüllt werden, um als Entscheidungsgrundlage dienen zu können. Die Voraussetzungen waren: ■ Enthalten Formatierungen im Text ■ Enthalten tabellarische Darstellungen ■ Enthalten Zahlen ■ Enthalten komplexe Beschreibungen ■ Enthalten vereinfachte Beschreibungen 11.4 Umsetzung und Anwendung 127 <?page no="128"?> Eine Einschränkung der Voraussetzungen ist z. B. es ist keine Tabelle in der User Story enthalten, somit entfällt „Enthalten tabellarische Darstellungen“. Die beiden letzteren Punkte schließen sich nicht gegenseitig aus. Eine User-Story kann mehrere Beschreibungen und Akzeptanzkriterien beinhaltet, wobei einige komplex und andere eher simpel sein können. Anhand dieser Vorgaben wurden die Antworten der LLMs analysiert. Wichtig war im ersten Durchgang, dass die Antworten plausibel und in einer logischen Reihenfolge gegeben wurden. Die Entscheidung fiel schließlich auf das den Generative Pretrained Transformer (GPT) [1] von OpenAI. Andere Modelle waren nicht in der Lage, qualifizierte und voll‐ ständige Testfälle in einer logischen Reihenfolge zu generieren. Teilweise konnten die Modelle die Testfälle auch nicht gemäß des logischen Standardformats, Testbeschrei‐ bung, Voraussetzungen und Testschritte, erstellen, was eine Grundvoraussetzung für die Entscheidung für ein LLM war. ChatGPT hingegen lieferte durchweg gute Ergebnisse. Ein weiteres Kriterium war die Vollständigkeit der Testfälle. Die Testfälle mussten die Akzeptanzkriterien der User Story vollständig abdecken. Eine positive Überraschung war auch, dass ChatGPT in der Lage war, zusätzliche Testfälle aus dem Kontext zu generieren, ohne dass diese in den Akzeptanzkriterien erwähnt wurden. Dies war der ausschlaggebende Punkt für die Wahl des OpenAI Modells. Ein konkretes Beispiel für den Einsatz in einem agilen Projekt nach Scrum, mit einer Sprintdauer von 2 Wochen, lässt sich folgendermaßen skizzieren: ■ In einem agilen Projekt nach Scrum werden üblicherweise die User Stories vom Product Owner (PO) bereitgestellt. Diese werden im Refinement spezifiziert und finalisiert. ■ Sobald die abgestimmten User Stories in den Arbeitszyklus (genannt Sprint) eingeplant werden, kann der Agile Test für diese mit Hilfe des Tools passende Testfälle zur Prüfung der Lauffähigkeit der entwickelten Software erstellen. Das Tool erstellt automatisch zu den Abnahmekriterien passende Testfälle in JIRA (Xray), die in einer eigenen Test-Task der User Story hinzugefügt werden. In diesen Tasks werden die Testfälle dann in logische Einzelschritte unterteilt, die nur noch gegengelesen werden müssen. Durch die Zeitersparnis bei der Erstellung kann der Tester frühzeitig mit dem Testen beginnen und kann mehr Zeit investieren, um Sonderfälle zu betrachten, wie z. B. Cyber Security Tests etc. und Performance Tests, die in der User Story nicht explizit erwähnt werden. ■ Sonderfälle können dann auch mit den Entwicklern oder dem PO besprochen werden, um mögliche Qualitätslücken zu schließen. Das Beispiel zeigt auch, dass der Mensch nicht durch KI ersetzt wird, sondern KI und Mensch Hand in Hand arbeiten, um insgesamt eine höhere Qualität des Produktes zu gewährleisten. 128 11 Effizientes und modernes Software-Testing der Zukunft: Der BTC-BugBusterBot <?page no="129"?> 11.5 Fazit und Ausblick Der „ChatGPT - Moment“ hat 2023 das Bild und den Zugang zu künstlicher Intelli‐ genz stark beeinflusst und die Neugier in Unternehmen geweckt. Mit dem - BTC BugBusterBot wurde ein erster Versuch zur Vereinfachung von Softwaretests, einem wesentlichen Part der Softwareentwicklung, durch den Einsatz von LLM durchgeführt. Es ist davon auszugehen, dass bei gleichbleibender Innovationskraft, nahezu alle Prozesse der Softwareentwicklung neu zu denken sind. Die Veränderungen durch den Einsatz von LLM sind hierbei nur schwer vorauszusagen. Noch stellen sich Fragen zur Testdokumentation und zum Prüfen der Plausibilität der vom Bot geschriebenen Testfälle. Bereits in sechs Monaten könnten diese Szenarien veraltet und längst überholt sein. LLMs könnten in der Lage sein, eigene Software aus Bausteinen zusammenzustellen, zu testen und diese zu integrieren. Wie beim BTC-BugBuster Bot, liegt es dann wieder in der Hand der Entwickler, Projektmanager und Tester, zu bewerten, wo die künstliche Intelligenz unterstützen kann, und wo die menschliche Leistung weiterhin erforderlich ist. Literatur [1] OpenAI, „GPT-4 Technical Report,“ arXiv, 2023. [2] R. Rombach, A. Blattmann, D. Lorenz, P. Esser und B. Ommer, „High-Resolution Image Synthesis with Latent Diffusion Models,“ arXiv, 2021. [3] Midjourney, „Midjourney“. [4] OpenAI, „DALL E3 System Card,“ 2023. [5] A. Vaswani, N. Shazeer, N. Parmar, J. Uszkoreit, L. Jones, A. N. Gomez, L. Kaiser und I. Polosukhin, „Attention Is All You Need,“ in Advances in Neu-ral Information Processing Systems, Long Beach, CA, USA, 2017. [6] Common Crawl, „Common Crawl,“ [Online]. Available: https: / / commoncrawl.org. [Zugriff am 13 02 2024]. 11.5 Fazit und Ausblick 129 <?page no="131"?> 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele, wie KI Studierende projektorientiert unterstützt und befähigt Claudia Bornemeyer, Beate Gleitsmann, Silke Schönert Abstract Die studierenden-zentrierte Hochschullehre beschreibt eine Ausrichtung der Lehre, die die Angemessenheit traditioneller Ansätze wie lehrerzentrierte und institutionenorientierte Lehre in Frage stellt. Lehrerzentrierter und institutionen‐ orientierter Unterricht tendieren dazu, die Studierenden als passive Empfänger von Wissen zu betrachten. Im Gegensatz dazu zielt studierenden-zentrierte Lehre darauf ab, die Lernenden in den Mittelpunkt zu stellen und ihnen Mitverantwor‐ tung und Gestaltungsspielräume für ihr Lernen zu übertragen. KI unterstützt in vielfältiger Hinsicht, das neue Paradigma umzusetzen. Konkret wird dies in diesem Kapitel anhand von drei Fallbeispielen aufgezeigt. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Generative KI, Large Language Models Anwendung, Inno‐ vationen, studierenden-zentrierte Lehre, projektorientierte Lehre 12.1 Einleitung Die Hochschullehre verändert sich seit einigen Jahren. Auf die Anforderungen der aktuellen Studierendengeneration und die Veränderungen in Unternehmen reagie‐ rend, wird sie studierenden-zentrierter und projektorientierter. Im Zuge der jüngsten KI-Entwicklungen stellt sich die Frage: Wie kann KI bei studierenden-zentrierter und projektorientierter Hochschullehre unterstützen? Studierendenzentriertes Lernen fokussiert auf die Lernenden im Gegensatz zu tra‐ ditionellen, lehrer- oder institutionenorientierten Ansätzen, die Macht und Entschei‐ dungen bei Lehrenden und Institutionen sehen. In traditionellen Modellen definieren Lehrende Ziele und Studierende sind oft nur passive Teilnehmende. Institutionen priorisieren finanzielle oder logistische Aspekte, wodurch das Lernen in den Hinter‐ grund rückt [1], [2]. Diese Ansätze weichen zunehmend Methoden, die Studierende ins Zentrum stellen. <?page no="132"?> Studierenden-zentrierte Lehre orientiert sich an den folgenden fünf Merkmalen [3]: ■ Der Inhalt und die Didaktik bauen auf dem auf, was die Studierenden bereits gelernt haben, und berücksichtigen, was sie gerne weiter lernen möchten. ■ Studierenden-zentriertes Lernen unterstützt die Studierenden dabei, unabhängig Wissen zu erwerben, indem die Studierenden aktiv den Lehrprozess mitgestalten. ■ Studierenden-zentrierte Lehrformate haben spezifische, motivierende und auf Fähigkeiten basierende Lernziele. ■ Die Studierenden haben Möglichkeiten, in der Gruppe zu interagieren und ihre Einschätzungen und Erkenntnisse zu teilen. ■ Studierenden-Feedback wird befördert, um sicherzustellen, dass der Unterricht studierenden-zentriert ist, und die Dozierenden berücksichtigen können, was die Studierenden gerne lernen möchten. Lernende beeinflussen Inhalte, Projekte und Bewertungen, wobei Lehrmethoden viel‐ fältige Lernwege unterstützen müssen. Konstruktives, zeitnahes Feedback ermöglicht es, den Lernprozess fortlaufend zu optimieren, fördert Selbstreflexion und verbessert Lernstrategien. Dadurch übernehmen Studierende Verantwortung für ihren Lernpro‐ zess, setzen Ziele, überwachen Fortschritte und reflektieren ihr Lernen. Diese Lernform ist zeitaufwändig und bei größeren Gruppen schwer umzusetzen. Der Einsatz generativer KI kann jedoch individuelle Unterstützung bieten und die Lehrkraft gezielt ergänzen, wie in den nächsten drei Fallbeispielen dargestellt wird. 12.2 Fallbeispiel „International Marketing“ Ziel der Lehrveranstaltung International Marketing ist es, die Studierenden dazu zu befähigen, auf strukturierte Art und Weise im unternehmerischen Umfeld die Entwicklung einer internationalen Marketingstrategie zu unterstützen. Lehrveranstaltung International Marketing Gruppengröße 10-15 Studierende Studiengang Master International Business Administration/ International Marke‐ ting and Media Management Ort / Medium Rheinische Hochschule Köln / Präsenzunterricht zeitlicher Umfang 4 SWS / 16 Wochen Lehrformen Seminaristische Lehrveranstaltung mit kurzen Fallstudien; interak‐ tive Erarbeitung der Lehrinhalte Einsatz Werkzeuge Text- und bildgenerierende KI-Werkzeuge, u. a. ChatGPT, Midjourney, Gamma; KI-basierte Chat-Systeme, u.-a. askyourpdf Tabelle 12-1: Setting Fallbeispiel „International Marketing“ 132 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele <?page no="133"?> Aufgabenstellung Fokus der Ausführungen ist die als Beratungsprojekt gestaltete Prüfungsleistung bestehend aus einer schriftlichen Ausarbeitung und Präsentationen in der Lehrveran‐ staltung. Die Studierenden werden in die Rolle eines Beraters/ eines Beratungsteams versetzt und unterstützen den (fiktiven) Kunden in einem Internationalisierungspro‐ jekt. Abbildung 12-1 zeigt die Phasen des Projektes. Abbildung 12-1: Entwicklung einer Markteintrittsstrategie Die Studierenden sind aufgefordert, KI-Werkzeuge einzusetzen, wo sie es für sinnvoll halten, und deren Einsatz kritisch zu reflektieren: ■ Für welche inhaltlichen Aufgaben im Projekt können KI-Werkzeuge sinnvoll eingesetzt werden? (z. B. Generierung von Informationen zu Zielmärkten, Bewer‐ tung von Zielmärkten und Eintrittsstrategien, Generierung von Werbematerial für verschiedene Zielmärkte) ■ Für welche Aufgaben zur Erstellung der Prüfungsleistung können KI-Werkzeuge aus Studierendenperspektive einen Beitrag leisten? (z. B. Erstellung von Texten oder Präsentationen, Unterstützung bei der Auswertung von Quellen) Vorgehensweise Aufgabe für die Studierenden ist die Entwicklung einer Markteintrittsstrategie entlang der folgenden Themenstellungen: ■ Begründete Auswahl eines Unternehmens, das international aktiv werden möchte bzw. seine internationalen Aktivitäten ausweiten möchte. ■ Kriteriengeleitete Auswahl eines Zielmarktes inkl. Abschätzung des Marktpoten‐ zials. ■ Vergleich sinnvoller Markteintrittsformen für den gewählten Zielmarkt und Ab‐ leitung einer Empfehlung für die zu wählende Markteintrittsform. ■ Empfehlung zur Ausgestaltung eines Marketing Mix Elements im Zielmarkt. Der Fokus der Prüfungsleistung liegt auf der Anwendung der in der Lehrveranstaltung erarbeiteten Konzepte und Methoden des internationalen Marketings auf ein reales Beispiel; ergänzend wird die angemessenen Nutzung von KI-Werkzeugen bei der Bearbeitung der Aufgabenstellung und die kritische Bewertung der Erfahrungen mit 12.2 Fallbeispiel „International Marketing“ 133 <?page no="134"?> der KI in die Prüfungsleistung mit einbezogen. Entsprechend des hochschuleigenen Leitfadens zum Anfertigen wissenschaftlicher Arbeiten ist der Einsatz von KI-Werk‐ zeugen kenntlich zu machen. Begleitend zur Erstellung der schriftlichen Ausarbeitung halten die Studierenden viermal im Semester eine Präsentation, um ihre Ergebnisse und besondere Herausfor‐ derungen zur Diskussion zu stellen. Die Erkenntnisse dieser Präsentation fließen in die Erstellung der schriftlichen Ausarbeitung ein. Beitrag zu studierenden-zentrierter Hochschullehre Der Einsatz von KI-Werkzeugen zur Bearbeitung der Aufgabenstellung setzt fachliche und überfachliche Vorkenntnisse voraus und baut damit auf bisher Gelerntem auf. Um die Werkzeuge sinnvoll einsetzen zu können, müssen die richtigen Fragen gestellt werden: „Die Rechenautomaten haben etwas von den Zauberern im Märchen. Sie geben einem wohl, was man sich wünscht, doch sagen sie einem nicht, was man sich wünschen soll.“ (Norbert Wiener, 1894-1964, [4]). Die Rückmeldungen der Studieren‐ den zeigen, dass sie es als kreativen Prozess erleben, Ergebnisse für Ihre Arbeiten unter Nutzung von KI-Werkzeugen zu generieren. Die Studierenden bestimmen mit, in welchen Bereichen sie Schwerpunkte im Lernprozess setzen möchten: inhaltlich, aber auch im Hinblick auf die Art des KI-Werkzeugs (Text-/ Bildgenerierung, Effizienz in der Informationssammlung, etc.) und das konkrete Werkzeug (ChatGPT, Midjourney, Gamma etc.). Der Prozess der Erstellung der Prüfungsleistung fördert selbstgesteuertes Lernen. Die ersten Ergebnisse der KI regen zu weiteren Recherchen an und geben Richtung, wie Themen weiterentwickelt werden können. Die schnelle, einfache und effiziente Generierung von Ergebnissen (bpsw. beim Einsatz von Gamma zur Erstellung von Präsentationsfolien) löst einen Antrieb aus, dieses Ergebnis selbst weiterzuentwickeln und entsprechend den eigenen Ansprüchen zu verbessern. Die Ergebnisse werden aus Sicht der Studierenden durch präziseren Input und Kontextinformationen qualitativ besser. Durch die KI-Nutzung wird ein aktiver Lernprozess angestoßen. Die Studierenden entwickeln ein Verständnis dafür, bei welchen Fragestellungen KI-Werkzeuge die eigene Leistung verbessern können und wo sie das nicht können (siehe hierzu auch [5], [6]). Zudem fördert der Einsatz von KI-Werkzeugen den Erwerb überfachlicher Kompetenzen: durch die kritische Reflexion der Ergebnisse einer generativen KI, durch das Erkennen von Schwachpunkten und durch den eigenen Antrieb, Wege zu finden, diese zu beheben. Viele der KI-Werkzeuge sind für die Studierenden Neuland. Die Teilnehmenden der Lehrveranstaltung gehören weitgehend der Generation Z an [7]. Sie sind „Digital Natives“, die mit digitalen Werkzeugen in ihrem privaten Umfeld vertraut sind, die Nutzung im professionellen Umfeld aber noch nicht intensiv erfahren haben. Die grundsätzlich vorhandene Neugier mit Blick auf KI-Werkzeuge und deren Potenzial befördert den Austausch in der Gruppe. 134 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele <?page no="135"?> Der kontinuierliche Austausch in der kleinen Lerngruppe zeigt, welche KI-Werk‐ zeuge und welche damit einhergehenden Herausforderungen für die Studierenden im Fokus stehen. Weitere Impulse, u. a. im Hinblick auf weniger bekannte Werkzeuge und Einsatzbereiche, können kontinuierlich aufgegriffen werden (bspw. zur Unter‐ stützung der Studierenden beim Einsatz von KI-Werkzeugen zum wissenschaftlichen Arbeiten / s. auch Tabelle 12-4). 12.3 Fallbeispiel „Projektmanagement und Business Information Systems“ Im Folgenden wird der übergreifende Einsatz von KI im Rahmen von zwei Vorlesungen - Projektmanagement und Business Information Systems - auf ein reales Fallbeispiel beschrieben. Lehrveranstaltung Vorlesungen Projektmanagement / Business Information Systems Gruppengröße 25 Studierende Studiengang Bachelor Wirtschaftsinformatik Ort / Medium Rheinische Hochschule Köln / Präsenzunterricht zeitlicher Umfang 4 SWS, 4 Vorlesungssitzungen Lehrformen Fachlicher/ methodischer Input im Wechsel mit Lerncoaching von Kleingruppen, Präsentationen und Feedback Einsatz Werkzeuge ChatGPT 3.5/ 4.0, Canva Magic Studio, Midjourney Tabelle 12-2: Setting Fallbeispiel „Projektmanagement und Business Information Systems“ Aufgabenstellung Die Vorlesungen Projektmanagement und Business Information Systems werden durch dieselbe Kohorte gehört. Bearbeitet wird das Beispiel eines Unternehmens, das den Weltmeistertitel im Friseurhandwerk trägt und sich auf den Launch einer Eigenmarke vorbereitet. Mit Hilfe von KI wird eine Projektplanung erstellt, das Projektmarketing aufgesetzt sowie ein auf zukünftige Projekte übertragbarer KI-basierter Projektmanagement-Assistent konfiguriert. Durch die eingesetzten KI-Werkzeugen gelingt es, einen inhaltlich weiten Bogen zu spannen und einerseits den methodischen Input der Projektmanagement-Vorlesung mit dem fachlichen Input der Vorlesung Business Information Systems zu verbinden. Zudem kann der theoretische Ansatz der Vorlesungen mit der Unternehmenspraxis verbunden werden. 12.3 Fallbeispiel „Projektmanagement und Business Information Systems“ 135 <?page no="136"?> Vorgehensweise 1. Im ersten Schritt werden die Anforderungen des Unternehmens erhoben. Im Rahmen des Projektes geht es um die Planung einer Supply Chain, eines Webshops und einer Lernumgebung für erklärungsbedürftige Produkte 2. Der zweite Schritt umfasst eine Projektplanung mit ChatGPT. nach einer zuvor vermittelten 9-Schritte Vorgehensweise durch die Studierenden. Ausgehend von der Zieldefinition werden Phasenplanung, Struktur- und Ablaufplanung angelegt sowie Termine, Ressourcen und Kosten geschätzt. Diese werden durch die Stake‐ holder- und Risikoanalyse ergänzt. 3. Die Planungsergebnisse werden im dritten Schritt durch inhaltliche Recherchen zu wahlweise Supply Chain Management, eLearning oder Webshops und Rückmel‐ dungen seitens des Unternehmens auf Plausibilität überprüft und angepasst. Die Studierenden wählen dabei selbst ihr Wissensgebiet und gestalten die Kommuni‐ kation mit dem Unternehmen eigenverantwortlich. 4. Der vierte Schritt ist der Entwurf einer Projektidentität mit Hilfe von KI und Projektmarketingmethoden. Unter Einsatz von Midjourney, Canva Magic Studio und ChatGPT 4.0 werden parallel drei unterschiedliche Projektmarketingkonzepte entwickelt. Ziel ist, die Handhabung und Ergebnisse unterschiedlicher KI-Werk‐ zeuge zu testen und zu vergleichen und dabei en passant Projektmarketing anzuwenden. 5. Im fünften Schritt werden die Ergebnisse dem Unternehmen vorgestellt und Feedback zu Anwendbarkeit und Präferenzen eingeholt. 6. Im sechsten Schritt erfolgt die Übertragung der Erkenntnisse in den Entwurf eines PM-Assistenten. Dazu wurden in ChatGPT 4.0. Konfigurationen für die Einstellungen entwickelt sowie Personas angelegt. Zukünftig soll dies in der Entwicklung eines GPTs für Unternehmensgründungen fließen. Beitrag zu studierenden-zentrierter Hochschullehre Es fand ein umfangreicher Transfer von der Theorie auf ein reales Praxisbeispiel statt. Deutlich mehr Inhalte konnten mit Hilfe von KI integriert werden als bei vergleichbaren früheren Fallbeispielen. Das Ergebnis der Prüfungen von Anwend‐ barkeit und Präferenzen war für die Studierenden spannend und führte zu selbst entwickelten Lernpfaden der jeweiligen Themengebiete (SCM, eLearning, Webshops). Die Ableitungen aus den selbst organisierten Abstimmungen führten wiederum zu neuen Recherchen und Konzepten. Im Verlauf führte die Studierendengruppe umfassende eigene Recherchen durch, um eine fundierte Entscheidung über die Fortführung des Projekts zu treffen. Wäh‐ rend dieses Zeitraums setzte sich die Gruppe intensiv mit den relevanten Themen und Fragestellungen auseinander. Die Recherchen umfassten verschiedene Quellen und Methoden. Die daraus gewonnenen Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Entscheidungsfindung. Die Gruppe wog sorgfältig die Vor- und Nachteile verschiede‐ 136 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele <?page no="137"?> ner Optionen ab und diskutierte diese. Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde gemeinsam beschlossen, wie das Projekt fortgeführt werden sollte. Die Verbesserung der Planungsfähigkeiten und Adaptionsfähigkeiten sowie die Entwicklung eines allgemeingültigen Projektmanagement-Assistenten bereiten die Studierenden auf zukünftige Projekte vor, indem sie sie mit den erforderlichen Fä‐ higkeiten und Werkzeugen ausstatten, um effektiv und flexibel in verschiedenen Projektkontexten zu agieren. Indem sie sich aktiv mit den Lerninhalten auseinander‐ setzen und diese in realen oder simulierten Projektsituationen anwenden, erhalten die Studierenden die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten weiter zu vertiefen und ihre Kompetenzen im Projektmanagement kontinuierlich zu entwickeln, was sie auf ihre zukünftigen beruflichen Herausforderungen vorbereitet. Durch die Zusammenarbeit in Kleingruppen haben die Studierenden die Gelegen‐ heit, sich intensiv mit den zu untersuchenden Themen auseinanderzusetzen und ihr Wissen und ihre Perspektiven miteinander zu teilen. Die regelmäßige Neuzu‐ sammensetzung der Kleingruppen fördert zudem den Austausch von verschiedenen Standpunkten und Erfahrungen innerhalb der gesamten Studierendengruppe. Das aktive und parallele Ausprobieren von Werkzeugen führte zu einem regen Austausch und zu einer Einschätzung von Präferenzen und der eigenen Bewertung von Ergebnissen. 12.4 Fallbeispiel „Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit“ In diesem Fallbeispiel wird der Einsatz von KI-Werkzeugen zur Förderung des studierenden-zentrierten Lernens im Rahmen des Pflichtmoduls „Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit“ im vierten Semester beschrieben. Studierende bearbeiten hier ein reales Problem mit wissenschaftlichen Methoden, die sie im Studium erlernt haben. Nach der Themenauswahl arbeitet das Team selbstständig an der Lösung, organisiert sich eigenverantwortlich, setzt Lernziele, gestaltet den Lernprozess, bildet Arbeitsgruppen und sucht kreative Lösungen. Das Team plant eigenständig Treffen und achtet auf Fristen. Lehrende greifen nur auf Wunsch beratend ein. Eine besondere Herausforderung stellt der Einsatz von KI-Tools zur Entwicklung der Lösungsansätze dar. Aufgabenstellung Im Rahmen einer Projektarbeit stellt der Auftraggeber, eine Werbeagentur, den Studie‐ renden im März 2023 die Aufgabe, das Potenzial von KI-generierten Bildinhalten für Werbekampagnen wissenschaftlich zu untersuchen und anhand von Praxisbeispielen umzusetzen. In diesem Pilotprojekt sollen geeignete generative KI-Werkzeuge zum Einsatz kommen. 12.4 Fallbeispiel „Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit“ 137 <?page no="138"?> Lehrveranstaltung Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit Gruppengröße 50 Studierende, aufgeteilt in Kleingruppen Studiengang Bachelor Media and Marketing Management Ort/ Medium Rheinische Hochschule Köln / Präsenzunterricht zeitlicher Umfang 4 SWS / 16 Wochen Lehrformen Entdeckende, selbstgesteuerte Lernform mit KI als Lerncoach Einsatz Werkzeuge Ilias, MS Teams, Zoom, KI-Tools (siehe Tabelle 4) Tabelle 12-3: Setting Fallbeispiel „Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit“ Vorgehensweise Zu Projektbeginn führt die Studierendengruppe ein Brainstorming durch, um Ansatz, Ideen, und Perspektiven zu klären und die Arbeitsschritte zu planen. Sie nutzen dabei ihre bisher erworbenen Kenntnisse. In einer Sitzung werden Schritte festgelegt, Teams gebildet und ein Zeitplan erstellt. Jedes Team bearbeitet seine Aufgaben zunächst eigenständig. Nach jedem Schritt erfolgt eine Gruppendiskussion, um Ergebnisse zu vergleichen und die nächsten Schritte zu planen. Die Teams organisieren sich selbst. In einem ersten Schritt lagert das studentische Team die Problemstellung und die Generierung von Forschungsfragen an ChatGPT aus. Zunächst stehen das Erlernen und geschickte Einsetzen von Prompts auf dem Lernprogramm. ChatGPT wird ab diesem Zeitpunkt zum ständigen Lernbegleiter und Schreibassistenten, der mit den so‐ fort generierten Antworten kontinuierlich Feedback zum Lern- und Übungsfortschritt gibt. Das „prompt engineering“ wird als eine neue Kernkompetenz in diesem Projekt begriffen. Mittels des KI-Aggregators „There is an AI for That“ wählt das Team passende KI-Werkzeuge für das Projekt aus (vgl. Tab. 12-4) Im zweiten Schritt widmet sich das Team der KI-gestützten Literaturrecherche. Das Team überprüft jede Literaturquelle mit Hilfe wissenschaftlicher Datenbanken und stellt fest, dass KI-Tools für die Literaturrecherche ungeeignet sind. Im darauffolgenden dritten Schritt wird die Literatur gelesen und strukturiert. Große Textmengen werden mit Hilfe der KI verarbeitet und zusammengefasst. Individuelle Hilfestellungen zum Verständnis liefern Copilots, so dass die Studierenden konkrete Bewertungskriterien für die Effizienz und Effektivität von KI-Bildgeneratoren festle‐ gen. Der vierte Schritt ist die praktische Umsetzung. Zunächst wird die Vorgehensweise gegliedert. Das Team generiert mit den ausgewählten KI-Bildgeneratoren Bilder für spezifische Werbekampagnen. In Gruppendiskussionen werden die generierten Bilder bewertet und Verbesserungsvorschläge diskutiert. Es wird ein Scoring-Modell erstellt, in dem die Leistung der KI-Bildgeneratoren anhand von definierten Bewertungskrite‐ rien bewertet und quantifiziert wird. 138 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele <?page no="139"?> Aufgabe KI-Werkzeuge Problemstellung / Forschungsfrage ChatGPT, Perplexity, HyperWrite Literaturrecherche & -selektion ChatGPT (+Plugins: ScholarAI, Scholarly, Litmaps), Perplexity, Semantic Scholar, Scispace, Elicit, System, InfraNodus Literaturverarbeitung und -struktu‐ rierung Perplexity, Scispace, Chatdoc, Explainpaper, Smodin, InfraNodus, Paper-digest, AskYourPDF, Glasp Gliederung und Umsetzung (KI-Bildgeneratoren) Midjourney, Dall-E, Canva, Adobe Firefly, Getimg.ai, Leonardo.ai, Nightcafe, Blue-Willow, StarryAI, Hypote‐ nuseAI, Stable Diffusion Texterfassung ChatGPT, Perplexity, HyperWrite, Chatdoc, Smodin, DeepL Write Präsentationsgenerierung Beautiful-AI, PresentationsAI, Tome, Gamma, Storyd, sliedesgo, slidesAI Tabelle 12-4: Im Rahmen der Projektarbeit eingesetzte KI-Werkzeuge Anschließend werden die Ergebnisse im fünften Schritt verschriftlich. Die Genauigkeit und Zuverlässigkeit bei der Erkennung und Korrektur von Fehlern macht die KI zu einem unverzichtbaren Werkzeug beim selbstautonomen Lernen. Für die abschließende Erstellung der Ergebnispräsentation werden in einem sechsten Schritt die KI-Tools für das Layout der Präsentation verwendet, so dass sich das Team hauptsächlich auf den Inhalt konzentrieren kann. Am Projektende dient die Gruppen‐ diskussion der Reflexion gesammelter Erfahrungen, Ergebnisse und Herausforderun‐ gen. Es werden Verbesserungsvorschläge für zukünftige Projekte mit KI-Werkzeugen erarbeitet. Beitrag zu studierenden-zentrierter Hochschullehre Der Einsatz von KI-Werkzeugen im studierenden-zentrierten Lernen bietet individuelle Lernmöglichkeiten, erfordert aber auch Beachtung spezifischer Nachteile. KI ermög‐ licht personalisiertes Lernen, bei dem Studierende in eigenem Tempo mit für sie relevanten Inhalten arbeiten. Die Vorteile umfassen sofortige, orts- und zeitunabhän‐ gige Feedbacks durch KI, die als Tutor fungiert und das Verständnis durch angepasste Erklärungen verbessert. Dies vereinfacht differenzierten Unterricht und steigert die Effizienz. Die Möglichkeit, Arbeitsschritte und KI-Tools selbst zu wählen, fördert zudem die Lernmotivation der Studierenden stark. In einigen Fällen führt die starke Abhängigkeit von KI-Werkzeugen bei Studieren‐ den zur Vernachlässigung ihrer kritischen Denk- und Problemlösungsfähigkeiten. Fehlerhafte KI-Ergebnisse und Fragen zum Urheberrecht können das Vertrauen in KI mindern. Die Integration von Gruppendiskussionen fördert jedoch die Zusammenar‐ beit und hilft, Missverständnisse aufzudecken. 12.4 Fallbeispiel „Wissenschaftliche Praxisprojektarbeit“ 139 <?page no="140"?> 12.5 Abschließendes Fazit zu den Fallbeispielen KI-Werkzeuge unterstützen eine studierenden-zentrierte Lehre, indem sie individuelles Lernen fördern und auf dem Vorwissen der Studierenden aufbauen. Um sinnvoll mit KI-Werkzeugen arbeiten zu können, sind unter anderem analytische Fähigkeiten, Flexibilität, Kreativität und eine gewisse Neugier erforderlich, um auf dieser Basis praktische Kompetenzen zum sinnvollen Einsatz von KI-Werkzeugen zu erwerben [5]. Die KI-Werkzeuge ermöglichen es den Lernenden, sich aktiv am Lehrprozess zu betei‐ ligen, ihre Kompetenzen zu erweitern und Wissenslücken zu schließen. Die KI-Tools ermöglichen flexible Lernzeiten und bieten sofortige Antworten auf geschriebene Prompts, was für die Motivation und den Lernerfolg entscheidend ist. Verbunden ■ mit fachlichem, methodischem Input vorab ■ menschlichen Interaktionen für kreatives Denken, Gruppenarbeit und kritische Diskussionen und ■ kontinuierlicher Weiterentwicklung im Umgang mit KI liegt anhand dieser Fallbeispiele die Vermutung nahe, dass mit KI-Werkzeugen sowohl inhaltlich bessere Ergebnisse generiert werden als auch der Weg dorthin noch deutlich studierenden-zentrierter gestaltet werden kann. Literatur [1] Kaplan, A.M. (2021). Higher Education at the Crossroads of Disruption: The University of the 21st Century. Emerald Publishing Limited, Bingley. [2] Wibowo, S., Grandhi, S., Chugh, R., & Sawir, E. (2016). A pilot study of an electronic exam system at an Australian university. Journal of Educational Technology Systems, 45(1), 5-33. [3] Mubarak, S., Wibowo, S., Rahamathulla, M.-A., Yang, R., & Schönert, S. (2022). Blending emerging technologies for student-centred teaching: A critical analysis. Digital Transforma‐ tion and Disruption of Higher Education, 1-22. [4] Holderstock Media GmbH (Hrsg.) (2023). human, Lernen mit KI, Ausgabe 2/ 2023, 8. [5] Meckel, M., & Steinacker, L. (2024). Alles überall auf einmal: Wie Künstliche Intelligenz unsere Welt verändert und was wir dabei gewinnen können. Rohwolt. [6] Candelon, F., Krayer, L., Rajendran, S., & Martínez, D.Z. (2023). How People Can Create -and Destroy - Value with Generative AI. BCG Henderson Institute. [7] ZEIT Campus, ZEIT Online (Hrsg.) (2022). Die Studieninteressierten von Morgen. Aktuelle Ergebnisse aus der 2. SIT Studie (2022). 140 12 KI in der studierenden-zentrierten Hochschullehre - Fallbeispiele <?page no="141"?> 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung, Effizienzsteigerung und Innovation einer Zukunftsbranche Klaus Kilvinger; Thomas Salvador Abstract Dieser Beitrag zeigt auf, wie mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) eine Optimierung und Effizienzsteigerung in Informationssicherheitsmanagementsys‐ temen (ISMS) erfolgen kann. Mit Blick auf die Cyberkriminalität, die angespannte Personallage vieler Unternehmen sowie begrenzter Verfügbarkeit von Beratern kann diese Technologie als Mittel für die schnelle und hochwertige Erstellung von Richtlinien und Notfallplänen, aber auch Ermittlung und Reduktion von Schwachstellen genutzt wurden. Dabei werden sowohl Potenziale als auch Herausforderungen der ständig in Veränderung begriffenen Cyberbedrohungen aufgezeigt. Dieser Artikel untersucht eingehend, wie Künstliche Intelligenz die Analyse, Verbesserung und Entwicklung von Managementsystemen auf dem Gebiet der Cyber- und Informationssicherheit effizienter gestalten kann. Stichwortliste Künstliche Intelligenz (KI), Generative KI, Anwendung von Large Language Mo‐ dels, Innovationen, Foundation Modelle, Cybersicherheit, Informationssicherheit, Informationssicherheitsmanagementsysteme (ISMS), Managementsysteme (MS) 13.1 Die Anwendungsmöglichkeiten von KI im Kontext des Informationssicherheitsmanagements Problemstellung Die Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie wachsen, neben in kleinen Schritten erfolgenden, weitgehend linearen und kontinuierlichen Optimierungen in konkreten und sehr abgegrenzten Anwendungsfeldern sind auch nichtlineare Entwick‐ lungen zu erkennen, die sehr breite Auswirkungen haben und das Leben vielfältig verändern, diese werden auch „Sprunginnovation“ [1] genannt, die KI zählt dazu. Im Fokus dieses Beitrags steht die innovative und effektive Umsetzung der KI-Anwendung im Bereich der Cyber- und Informationssicherheit. <?page no="142"?> Relevanz des Beitrags Von den anfänglichen Großrechnern, die einst ganze Räume füllten, um einfache Rechenoperationen auszuführen, bis hin zu den heutigen Smartphones, die mehr Rechenleistung besitzen als die Technologie, die den ersten Menschen auf den Mond brachte, hat sich unsere Fähigkeit, Daten zu verarbeiten, dramatisch entwickelt. Diese exponentielle Zunahme der Rechenleistung, gepaart mit der Verfügbarkeit von Cloud-Computing, das nahezu unbegrenzte Rechenkapazitäten auf globaler Ebene bietet, hat die Tür zu beispiellosen technologischen Fortschritten geöffnet. Gleichzeitig hat die rasante Entwicklung und breite Anwendung der Künstlichen Intelligenz (KI) nicht nur neue Möglichkeiten erschlossen, sondern auch komplexe Herausforderun‐ gen, insbesondere im Bereich der Cybersicherheit, mit sich gebracht. Diese technologischen Sprünge haben die Landschaft der Cybersicherheit grundle‐ gend verändert und stellen Unternehmen sowie Organisationen vor Herausforderun‐ gen, die weit über die bloße Implementierung technischer Sicherheitsmaßnahmen hinausgehen. Heute erfordert die Gewährleistung von Cybersicherheit ein tiefgreifen‐ des Verständnis und die Integration organisatorischer, rechtlicher und betriebswirt‐ schaftlicher Aspekte. So beschreibt es Kipker, et. Al. wie folgt: „Cyber-Sicherheit ist nicht nur interdisziplinär an der Schnittstelle zu komplexen technischen und organi‐ satorischen Anforderungen angelegt, sondern verfügt ebenfalls über Bezugspunkte zu den unterschiedlichsten Rechtsgebieten.“[2] Die Komplexität und Dynamik der Sicher‐ heitslandschaft reflektieren die Notwendigkeit, traditionelle Ansätze zu überdenken und innovative Lösungen, wie die Anwendung von KI in der Cybersicherheit, zu nutzen. Diese Technologien bieten nicht nur die Möglichkeit, auf die sich ständig weiterentwickelnden Bedrohungen zu reagieren, sondern auch, präventive Strategien zu entwickeln, die die Sicherheit digitaler Systeme auf eine Weise gewährleisten, die bisher nicht möglich war. Die Einbindung von KI in die Cybersicherheitsstrategien markiert einen Wendepunkt im Kampf gegen Cyberbedrohungen, indem sie die Effizienz und Effektivität der Sicherheitsmaßnahmen erhöht und gleichzeitig neue Wege zur Risikominderung eröffnet. Beispiele zur Anwendung von KI auf dem Gebiet der Cyber- und Informationssicherheit sind: 1. Erkennung von Phishing-Versuchen: KI kann E-Mails und andere Kommuni‐ kationsmittel analysieren, um Anzeichen von Phishing zu erkennen, wie verdäch‐ tige Links, Sprachgebrauch oder Absenderinformationen. 2. Intrusion Detection Systeme (IDS): KI-gestützte IDS können Netzwerkverkehr überwachen und ungewöhnliche Muster oder Aktivitäten erkennen, die auf einen möglichen Sicherheitsvorfall hinweisen. 3. Sicherheitsbewertung von Anwendungen: KI kann eingesetzt werden, um den Code von Anwendungen zu überprüfen und Schwachstellen oder Sicherheitslü‐ cken zu identifizieren. 142 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung <?page no="143"?> 4. Analyse von Sicherheitsprotokollen: KI kann schnell und effizient große Mengen an Logdaten analysieren, um Muster und Anomalien zu erkennen, die auf Sicherheitsverletzungen oder Bedrohungen hinweisen. 5. Vorhersage von Cyberangriffen: Durch die Analyse von Trends und Daten kann KI zukünftige Bedrohungsszenarien vorhersagen und präventive Maßnahmen vorschlagen. 6. Optimierung von Sicherheitsrichtlinien: KI kann dabei helfen, Sicherheits‐ richtlinien und -verfahren zu formulieren, indem sie branchenspezifische Best Practices und Compliance-Anforderungen berücksichtigt. 7. Entwicklung von Sicherheitstrainingsmaterialien: KI kann personalisierte Schulungsprogramme für Mitarbeiter erstellen, basierend auf deren Rolle und bisherigen Kenntnissen in der Informationssicherheit. 8. Biometrische Authentifizierungssysteme: Der Einsatz von KI dient der Ver‐ besserung der Genauigkeit und Effizienz biometrischer Systeme. 9. Automatisierte Reaktion auf Sicherheitsvorfälle: KI kann Sicherheitsvorfälle erkennen und automatisierte Reaktionen auslösen, wie das Isolieren betroffener Systeme oder das Blockieren verdächtiger IP-Adressen. 13.2 KI in der Informationssicherheit: Situationsanalyse In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf den Gesamtzusammenhang und die wichtigsten Komponenten im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Definition und Erläuterung der beiden Begriffe: ■ Cybersicherheit: Cybersicherheit umfasst den Schutz von Computersystemen, Netzwerken und Daten vor digitalen Angriffen, Schäden oder unbefugtem Zugriff. Sie beinhaltet eine Vielzahl von Praktiken, Technologien und Prozessen zur Absi‐ cherung von Computerhardware, -software und Daten. Die Bedrohungen variieren von einfachen Malware-Angriffen bis zu fortgeschrittenen Strategien der Cyber‐ kriminalität, einschließlich Phishing, Ransomware und Denial-of-Service-Angrif‐ fen. Cybersicherheitsmaßnahmen sind unerlässlich für den Schutz persönlicher und unternehmenskritischer Informationen sowie für die Aufrechterhaltung der Integrität und Verfügbarkeit von IT-Systemen. ■ Informationssicherheit: Informationssicherheit stellt ein umfassendes Konzept dar, das den Schutz aller Arten von Informationen - sowohl elektronischer als auch physischer Natur - vor unbefugtem Zugriff und anderen Bedrohungen umfasst. Sie wird durch eine Kombination aus technischen Maßnahmen, wie Verschlüsselung und Firewalls, sowie organisatorischen Maßnahmen, wie Sicherheitsrichtlinien und Zugangskontrollen, realisiert. Ziel ist es, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Informationen sicherzustellen. ■ Bedeutung der Informationssicherheit: Die Gewährleistung der Informations‐ sicherheit ist essenziell für Organisationen jeder Art, sei es im staatlichen oder 13.2 KI in der Informationssicherheit: Situationsanalyse 143 <?page no="144"?> privaten Sektor. Primäre Schutzziele sind die Wahrung der Vertraulichkeit, Ver‐ fügbarkeit und Integrität von Daten. In Zeiten zunehmender Cyberkriminalität ist die Aufrechterhaltung der Informationssicherheit ein kontinuierlicher Prozess, der über die traditionellen Mittel hinausgeht und als „Unendliches Spiel“[3] verstanden werden muss, das nicht allein staatlichen Organisationen überlassen werden kann. Obwohl die beiden Begriffe oft synonym verwendet werden, gibt es einen wesentlichen Unterschied: Cybersicherheit konzentriert sich speziell auf den digitalen Schutz, während Informationssicherheit ein breiteres Konzept ist, das den Schutz aller Formen von Informationen umfasst [4]. In der Praxis überlappen sich diese Bereiche jedoch oft, da digitale Daten einen großen Teil der heutigen Informationslandschaft ausmachen, wenngleich im allgemeinen Sprachgebraucht der Begriff der Cybersicherheit zuneh‐ mend dominiert. Umfassende Kategorisierung der Einsatzgebiete Generativer KI-Systeme auf Grundlage von Large-Language-Modellen (LLM) Die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von generativen KI-Systemen, insbesondere jenen, die auf Large-Language-Modellen basieren, können in einer detaillierten und ganzheitlichen Darstellung in die folgenden Hauptkategorien untergliedert werden: 1. Analyse: Tiefgehende Untersuchung und Auswertung großer Datenmengen, um Einsichten und Muster zu erkennen, die für Entscheidungsfindungen essenziell sind. 2. Prävention: Einsatz präventiver Strategien zur Vorbeugung von Risiken und Problemen, basierend auf erkannten Mustern und Prognosen. 3. Organisation: Strukturierung, Koordinierung und Vereinfachung komplexer Pro‐ zesse und Systeme, um Effizienz und Klarheit zu steigern. 4. Gestaltung: Kreation und Entwicklung innovativer Konzepte, Inhalte und Lösun‐ gen, die auf spezifischen Anforderungen und Zielsetzungen basieren. 5. Optimierung: Gezielte Verbesserung bestehender Prozesse, Systeme oder Inhalte, um maximale Effizienz und Effektivität zu erreichen. 6. Interaktion: Verbesserung der Mensch-Maschine-Interaktion durch Entwicklung intuitiver und benutzerfreundlicher Schnittstellen wie Chatbots oder virtuelle Assistenten. 7. Personalisierung: Anpassung von Diensten, Inhalten und Erfahrungen an indi‐ viduelle Benutzerpräferenzen und -bedürfnisse durch tiefgehende Analyse von Nutzerdaten. 8. Prognose: Vorhersage zukünftiger Trends, Ereignisse oder Verhaltensmuster durch Analyse historischer Daten, um informierte Entscheidungen zu ermögli‐ chen. 144 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung <?page no="145"?> 9. Automatisierung: Übernahme und Durchführung repetitiver oder standardisier‐ ter Aufgaben, wodurch menschliche Ressourcen für komplexere Aufgaben freige‐ setzt werden. 10. Erkennung und Klassifizierung: Einsatz von KI zur Identifizierung, Klassifizie‐ rung und Verarbeitung von Objekten, Mustern, Sprache oder Texten in verschie‐ denen Anwendungsbereichen. Diese Kategorien repräsentieren das breite und dynamische Spektrum der Anwen‐ dungsbereiche von KI-Systemen. Sie illustrieren die vielfältigen Möglichkeiten, wie KI zur Verbesserung, Effizienzsteigerung und Innovation in verschiedenen Sektoren und Industrien beitragen kann. Optimierung durch Künstliche Intelligenz Die primären Vorteile von KI liegen generell in der Geschwindigkeitssteigerung, da sich Aufgaben, die alternativ durch andere Systeme, manuell oder mit einem umfangreichen Mitarbeiterstab bearbeitet werden könnten, schneller, billiger und effizienter gestalten lassen. Innovative Ansätze in der Informationssicherheit Obwohl die Vorteile von KI-Systemen in der Informationssicherheit offensichtlich sind, bringen sie auch Herausforderungen mit sich, z. B. im Bereich von Passwörtern [5] [6]. Im Folgenden möchten wir auf einige dieser Aspekte hinweisen und sie kurz erläutern. Diese Aufstellung ist nicht als vollständig anzusehen, da sich das Gebiet der Informationssicherheit kontinuierlich weiterentwickelt. Vorteile von KI in der Informationssicherheit vgl. [7] Stichwort Erklärung Früherkennung von Angriffen - KI-Systeme sind in der Lage, große Mengen an Daten zu analysieren und Anomalien zu erkennen, die auf mögliche Sicherheitsverletzungen hinweisen können. Automatisierte Bedrohungsabwehr - KI ermöglicht es, Sicherheitssysteme zu automatisie‐ ren und schneller auf Bedrohungen zu reagieren als menschliche Spezialisten. Verbesserung der Authentifizierung - KI-gestützte biometrische Systeme bieten eine effizi‐ ente Methode zur Identifikation von Benutzern und zur Verhinderung unautorisierter Zugriffe. 13.2 KI in der Informationssicherheit: Situationsanalyse 145 <?page no="146"?> Stichwort Erklärung Datensicherheit und Verschlüsse‐ lung - KI unterstützt bei der Entwicklung fortschrittlicher Verschlüsselungstechniken zum Schutz sensibler Da‐ ten. Social-Engineering-Erkennung KI-Technologien können effektiv bei der Erkennung und Blockierung von Phishing-Angriffen und anderen Social-Engineering-Methoden eingesetzt werden. KI in Firewall-Systemen - Einsatz von KI zur Blockierung bekannter Angriffsmus‐ ter und Erkennung neuer, bisher unbekannter Bedro‐ hungen. Risikoanalyse und -bewertung - KI ermöglicht komplexe Risikoanalysen zur Identifika‐ tion von Schwachstellen und potenziellen Bedrohun‐ gen. Schutz vor Zero-Day-Exploits - KI kann helfen, Zero-Day-Exploits zu erkennen, bevor Sicherheitspatches entwickelt werden. KI in der Forensik - KI unterstützt bei der schnelleren Verarbeitung digita‐ ler Beweise und hilft, verdächtige Aktivitäten besser zu verstehen. Automatisierte Sicherheitsschulun‐ gen - KI-gestützte Lernplattformen informieren und schulen Mitarbeitende kontinuierlich über aktuelle Sicherheits‐ praktiken. Abbildung 13-1: Vorteile von KI in der Informationssicherheit Nachteile von KI in der Informationssicherheit Stichwort Erklärung KI-Fehlalarme - KI-Systeme können Fehlalarme auslösen, indem sie le‐ gitime Benutzeraktionen fälschlicherweise als verdäch‐ tig einstufen. KI-Manipulation durch Angreifer - Es besteht die Gefahr, dass Angreifer KI-gestützte Si‐ cherheitssysteme manipulieren, um Angriffe zu ver‐ schleiern oder Sicherheitskontrollen zu umgehen. Datenschutzbedenken Der Einsatz von KI erfordert oft große Datenmengen, was Datenschutzbedenken aufwerfen kann. Komplexität von KI-Systemen - Die Implementierung und Wartung von KI-basierten Sicherheitssystemen verlangen spezialisiertes Wissen und Fähigkeiten. KI als Angriffswerkzeug - Kriminelle könnten KI-Technologien nutzen, um effek‐ tivere Angriffsmethoden zu entwickeln, was zu einem Wettrüsten zwischen Angreifern und Verteidigern füh‐ ren könnte. 146 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung <?page no="147"?> Stichwort Erklärung Unbekannte KI-Algorithmen - In vielen Fällen ist nicht vollständig transparent, wie KI-Algorithmen zu ihren Schlussfolgerungen gelangen. KI als Waffe in (Cyber-) Kriegen - Staaten oder kriminelle Gruppen könnten KI-Systeme als Waffe in Kriegen einsetzen, um gezielte Angriffe durchzuführen oder Desinformation zu verbreiten. Fehlerhafte KI-Entscheidungen Die Qualität von KI-Entscheidungen hängt stark von den zugrunde liegenden Daten ab. Menschliche Abhängigkeit von KI - Ein übermäßiger Einsatz von KI in Sicherheitssystemen könnte dazu führen, dass menschliche Intuition und Fachwissen vernachlässigt werden oder zum Teil ver‐ loren gehen. Ungenügende Haftung bei KI-Feh‐ lern - Bei Fehlentscheidungen von KI-Systemen kann die Verantwortungszuweisung schwierig sein. Abbildung 13-2: Nachteile von KI in der lnformationssicherheit Zukünftige Entwicklungen und Normen Die Milderung möglicher Nachteile kann sowohl auf juristischem Weg als auch auf technischer Basis erfolgen. Es bleibt abzuwarten, wie internationale Normungsgremien darauf reagieren und ob Standards wie ISO/ IEC 27001 angepasst oder neu geschaffen werden müssen. Darüber hinaus ist zu erwarten, dass sich im Markt Best Practices etablieren werden. Die Nutzung von KI wirft rechtliche und ethische Fragen auf, die noch nicht vollständig geklärt sind und fortlaufend angepasst werden müssen. Ein Beispiel hierfür sind die auf EU-Ebene aktiven oder noch entstehenden Regularien, angefangen von NIS-2 über den Cyber Resilience Act (CRA) bis hin zur aktuellen Maschinenverordnung und dem „Artificial Intelligence Act“. Dieser verfolgt einen risikobasierten Ansatz und legt Verpflichtungen für Anbieter und Nutzer fest, die sich nach dem Risiko richten, das von dem KI-System ausgeht. Neben der Bewertung werden auch soziales Scoring und Transparenzfragen thematisiert. Auswahl aktuell relevanter Einsatzgebiete der KI im Bereich der Informationssicherheit Auf der Grundlage der aktuelle relevantesten Einsatzgebiete (siehe Aufzählung Seite 142) zur Anwendung von KI in der Cyber- und Informationssicherheit, gibt nachfolgende Tabelle eine Übersicht zu den Aufgaben und deren Nutzen im Kontext von spezifischen Anwendungsbeispielen, sowie eine exemplarische Übersicht über Lösungsanbieter am Markt. 13.2 KI in der Informationssicherheit: Situationsanalyse 147 <?page no="148"?> Aufgabe Beispiel-Anwendungen Nutzen *Beispie‐ lanbieter am Markt Erkennung von Phi‐ shing-Versu‐ chen NVIDIA Morpheus bietet eine AI-basierte Lösung zur Phi‐ shing-Erkennung mittels un‐ supervised learning, wodurch herkömmliche regelbasierte Methoden übertroffen werden. NVIDIA Morpheus ermöglicht es, Phishing-Versuche effizien‐ ter und umfassender zu erken‐ nen, indem es aus E-Mails lernt und so eine nachhaltigere Ver‐ waltung der Phishing-Erken‐ nung bietet. NVIDIA, Deloitte (in Zusammen‐ arbeit mit NVIDIA) Intrusion Detection Systeme (IDS) Die Technologie hinter KI-ba‐ sierten Intrusion Detection Systemen (IDS) unter Anwen‐ dung eines Honneypots, re‐ präsentiert einen Ansatz in der Cybersicherheit, bei dem maschinelles Lernen und Täu‐ schungstechniken kombiniert werden, um effektive und ad‐ aptive Sicherheitssysteme zu schaffen. Diese Systeme bieten Schutz vor externen Angriffen und verbessern die Netzwerksi‐ cherheit durch Provokation, Erkennung und Analyse un‐ gewöhnlicher Aktivitäten, aus denen auch aktuelle Angriffs‐ trends abgeleitet und erforscht werden können. CrowdSec, Suricata, DeepDig, Il‐ lusive Net‐ works, At‐ tivo Networks Sicherheits‐ bewertung von Anwen‐ dungen Technologien wie der Ein‐ satz von Machine Learning und Expertensystemen kön‐ nen für die Sicherheitsüber‐ prüfung von Anwendungen eingesetzt werden, z. B. mittels Decision-tree learning (DTL) und Forward/ Backward Chai‐ ning für die Codeüberprüfung. Solche Technologien ermögli‐ chen eine präzisere Erkennung von Sicherheitsbedrohungen und Schwachstellen in An‐ wendungen sowie die Bereit‐ stellung von Codierungshin‐ weisen zur Behebung dieser Schwachstellen. - Analyse von Sicherheits‐ protokollen AI-gestützte Log-Analysetools wie Coralogix, Datadog, Solar‐ Winds/ Loggly können riesige Datenmengen verarbeiten, um Anomalien und kritische In‐ formationen zu erkennen. Schnellere Datenkategorisie‐ rung, automatische Prob‐ lemerkennung, frühzeitige Anomalieerkennung und Re‐ duzierung von Falschalarmen. Coralogix, Datadog, Solar‐ Winds/ Loggly Vorhersage von Cybe‐ rangriffen AI-Technologien können ein‐ gesetzt werden, um zukünftige Cyberangriffe vorherzusagen, indem sie Muster in histori‐ schen Daten analysieren und damit präventive Maßnahmen ermöglichen. Verbesserte Erkennung von Anomalien und Vorhersage von Sicherheitsbedrohungen, effizientere Patch-Verwaltung und Risikominderung. Dell, Black‐ Berry, Sen‐ tinelOne Optimierung von Sicher‐ heitsrichtli‐ nien AI kann zur Analyse von Sicherheitsrisiken und zur Entwicklung optimierter Si‐ cherheitsrichtlinien verwen‐ det werden, insbesondere im Kontext von sich schnell än‐ dernden Cyber-Bedrohungen. Verbesserung der Reaktion auf Cyber-Bedrohungen und effi‐ zientere Anpassung von Si‐ cherheitsrichtlinien an neue Bedrohungen. Opexa, De‐ loitte 148 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung <?page no="149"?> Aufgabe Beispiel-Anwendungen Nutzen *Beispie‐ lanbieter am Markt Biometrische Authentifizierungssysteme Einsatz von KI zur Verbesse‐ rung der Genauigkeit und Ef‐ fizienz biometrischer Systeme, z.-B. durch Verhaltensanalyse und Mustererkennung. Höhere Sicherheit und Genau‐ igkeit bei der Identifizierung von Personen, bessere Erken‐ nung von Betrugsversuchen. - Automati‐ sierte Reak‐ tion auf Si‐ cherheitsvorfälle Endpoint-Protection-Systeme die auf Clients installiert wer‐ den die mit AI-gestützter Signaturenerkennung arbeiten bieten Echtzeit-Cybersicher‐ heitslösungen, die automati‐ siert auf Bedrohungen re‐ agieren und diese abwehren können. Schnellere Erkennung und Re‐ aktion auf Sicherheitsvorfälle, verbesserte Effizienz der Si‐ cherheitsoperationen. Palo Alto Networks, Sentine‐ lOne, Forti‐ net Abbildung 13-3: Getestete Einsatzmöglichkeiten *erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Autoren geben durch die Nennung ausdrücklich keine Empfehlung oder Gewichtung ab und behalten sich Ihre Unabhän‐ gigkeit vor. Fazit Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Informationssicherheit eröffnet gewaltige Potenziale. Die Entwicklungsdynamik ist beeindruckend, angetrieben durch fortlaufende Forschungsinitiativen und das Engagement führender Technologiekon‐ zerne wie Microsoft und Google, die fast unbegrenzte Ressourcen in diesen Bereich investieren. Besonders in einem aktuell volatilen Weltwirtschaftsklima erweist sich die KI für zahlreiche Industriezweige als unverzichtbarer Hoffnungsträger. Die Fortschritte in diesem Sektor vollziehen sich nicht mehr in Dekaden oder Jahren, sondern in raschen Schritten, die sich eher in Wochen messen lassen [8]. Die von der EU vorangetriebenen Rechtsbildungsprozesse im Bereich KI bergen zwar gewisse Risiken, doch zeichnen sich bereits jetzt positive Entwicklungen ab. Ein verantwortungsbewusster Einsatz von KI, der ethische Standards und menschliche Aufsicht miteinbezieht, ist essenziell, um die Sicherheitslage zu verbessern und potenzielle Risiken zu minimieren. Literatur [1] Gründerplattform: „Sprunginnovation“ Online verfügbar unter https: / / gruenderplattform.d e/ startup-gruenden/ sprunginnovation, zuletzt geprüft am 27.12.2023 [2] Kipker, Cybersecurity, Rechtshandbuch, 2. Auflage 2023., C.H.BECK. Verlag, ISBN 978-3-406-79263-2 13.2 KI in der Informationssicherheit: Situationsanalyse 149 <?page no="150"?> [3] Sinek, Simon: “THE INFINITE GAME”, Portfolio/ Penguin, 2019, ISBN 9780735213500 [4] Harich, Thomas W.: „IT-Sicherheitsmanagement, Praxiswissen für IT-Security Manager”, mitp Verlags GmbH & Co. KG, 2018, ISBN 978 - 3-95845-274-9 [5) Krüger, Antonio: „Experten warnen vor KI-generierten Passwörtern“ Online verfügbar unter Experten warnen vor KI-generierten Passwörtern | BR24 zuletzt aktualisiert am 3.4.2023, zuletzt geprüft am 27.12.2023 [6] https: / / passwords-generator.org/ online , zuletzt geprüft am 27.12.2023 [7] Wisler, Andreas: „Künstliche Intelligenz in der Informationssicherheit: Gefahr und Risiken“; Online verfügbar unter Künstliche Intelligenz in der Informationssicherheit: Gefahr und Ris iken---ISO 27001 Blog zuletzt aktualisiert am 20.07.2023, zuletzt geprüft am 07.01.2024 [8] Thomsen, Lars: „520 Wochen Zukunft -die zweite Dekade der grossen Chancen“, On‐ line verfügbar unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=sHsPyymMZ4s, zuletzt geprüft am 27.12.2023 150 13 Einsatz von KI im Informationssicherheitsmanagement - nachhaltige Verbesserung <?page no="151"?> 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern Hendrik Nolte, Philip Langer, Julian Kunkel Abstract Vom Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) wird speziell in der Gesundheitsversor‐ gung ein Paradigmenwechsel erhofft. Behandlungen sollen nicht nur günstiger, schneller, und sicherer stattfinden, sondern es sollen auch neuartige Verfahren zur Prävention möglich werden. In diesem Projekt wird eine KI zur automatisierten Auswertung von MRT-Bildern im Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie der Universitätsmedizin Göttingen eingeführt. Hier soll eine KI-Magnetresonanztomographieaufnahmen des Kopfes analysieren, um degene‐ rative Erkrankungen wie beispielsweise Demenz vorhersagen zu können. Diese Art der Datenverarbeitung ist sehr rechenintensiv, wodurch der Einsatz von Hochleistungsrechnern erforderlich ist. In diesem Beitrag wird detailliert auf ver‐ schiedene technische und regulatorische Herausforderungen eingegangen. Dazu gehören unter anderem, die sichere Verarbeitung von sensiblen Gesundheitsdaten auf Hochleistungsrechnern, welche klassischerweise, verglichen mit anderen Rechnersystemen, besonders exponiert sind, die Einbindung eines solchen Workf‐ lows in ein bestehendes klinisches Netzwerk, sowie eine Motivation bezüglich der notwendigen rechtlichen Formalien. Abschließend werden Herausforderungen aufgezeigt, die bei solchen Projekten häufig entstehen können. Stichwortliste Gesundheitsdaten, MRT-Bilder, U-Netze, High-Performance Computing, Confi‐ dential Computing 14.1 Einleitung Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der medizinischen Versorgung wird in verschiedenen Bereichen diskutiert und teilweise, wie in diesem Beitrag, auch bereits umgesetzt. Speziell in der Medizin treten hier, neben den verschiedenen technischen Herausforderungen, welche ein KI-Projekt in der Regel mit sich bringt, zusätzlich auch starke regulatorische Anforderungen in den Vordergrund, wie bspw. datenschutzrechtliche Aspekte. In diesem Beitrag wird über ein Projekt berichtet, welches Magnetresonanztomographiebilder (MRT-Bilder) von Gehirnen automatisiert mithilfe von KI-Methoden analysiert. Grundsätzlich haben MRT-Bilder des Gehirns die Eigenschaft, dass sie den gesamten Kopf abbilden und damit auch biometrisch auswertbare, also identifizierende Informationen der jeweiligen Person enthalten. Dies ermöglicht es sogar das Aussehen der betroffenen Person zu rekonstruieren. Da eine <?page no="152"?> komplette Anonymisierung nicht möglich ist, müssen die MRT-Bilder somit mit allen identifizierbaren Eigenschaften prozessiert werden. Zusätzlich ist ebenfalls eine große Rechenleistung erforderlich, sodass ein Auslagern der Berechnungen auf ein externes Rechenzentrum erforderlich ist. Problemstellung Ähnlich jeder anderen Branche der Wissenschaft wird auch in der Medizin der Einsatz von KI intensiv geprüft. Das Fachgebiet der Neuroradiologie ist mit seiner hohen Digitalisierungsrate und der Komplexität der Daten ein besonders betrachtenswertes Feld. Die Neuroradiologie erzeugt im klinischen Alltag hochdimensionale Daten, die durch ihren hohen Informationsgrad als besonders wertvoll für die Erschließung durch KI betrachtet wird. Gerade die räumlich-dreidimensionalen Bilddatensätze von Magnetresonanz- oder Computertomographen eignen sich hervorragend als Versuchs‐ objekte für die Erprobung der Einsatzfähigkeit von KI mit Hinblick auf die medizinische Bildgebung. In dem hier beschriebenen Anwendungsfall sollen parallel zum klinischen Betrieb aus den anfallenden Bilddaten quantifizierte und von ärztlichem Personal interpretierbare Informationen für eine optimierte Entscheidungsfindung bei der Diagnosestellung generiert werden. Dazu müssen diese neuen Informationen zeitnah nach der Untersuchung (<10 Minuten) zur Verfügung stehen, um vom medizinischen Personal berücksichtigt werden zu können. Durch dieses gegenwärtig und perspekti‐ visch ressourcenintensive Anforderungsprofil der Anwendung war die Erschließung externer Hardwareressourcen sowie weiterer Fachkompetenzen unabdingbar. Aus Gründen der Skalierbarkeit, Robustheit, Sicherheit und Leistungsfähigkeit werden krankenhausferne Experten in das Projekt einbezogen. Es gibt also einen Konflikt zwischen der Nutzung von besonders schützenswerten, personenbezogenen Daten auf externer Hardware mit Hinblick auf die Datensicherheit. Relevanz des Beitrags Dieser Beitrag soll einen detaillierten Einblick in die Umsetzung eines KI-Projektes in einem Krankenhaus gewähren. Die projektwirtschaftliche Relevanz soll sich dabei nicht aus dem entstandenen Produkt ableiten, sondern daraus, dass anhand eines konkreten Beispiels ein Einblick in den Umsetzungsprozess und die damit verbunde‐ nen Herausforderungen in einem Klinikumfeld aufgezeigt werden. Hierbei werden primär drei Themenfelder abgegrenzt voneinander besprochen. Zuerst wird auf die regulatorischen Anforderungen eingegangen, die sich aus der Verarbeitung von per‐ sonenbezogenen Gesundheitsdaten ergeben. Zweitens wird die technische Umsetzung innerhalb eines gesicherten Netzwerkes des Krankenhauses beschrieben, sowie der Ablauf der externen Prozessierung mit Hilfe eines High Performance Computing Clusters skizziert. Abschließend werden die gesammelten Erfahrungen speziell im Hinblick auf das Projektmanagement diskutiert. 152 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern <?page no="153"?> 14.2 Einwerbung von Fördergeldern Es besteht ein vielseitiges Förderangebot zum Erforschen von KI-Methoden in Deutsch‐ land. In diesem speziellen Projekt wurde auf ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes KI-Servicezentrum zurückgegriffen. Hierbei wird zwar kein Geld für Personal bereitgestellt, allerdings erhält das Projektteam Zugriff auf kostenlose Rechenressourcen und umfangreiche Beratungsangebote. 14.3 Regulatorische Anforderungen Die rechtlichen Grundlagen der Verarbeitung von personenbezogenen Daten beson‐ derer Kategorien, wie beispielsweise Gesundheitsdaten, liefert die Europäische Daten‐ schutzgrundverordnung (DSGVO). Nach Artikel 9.1 der DSGVO ist eine Verarbeitung solcher Daten grundsätzlich untersagt. Jedoch ermöglicht Artikel 9.2.a. eine Ausnahme dieses Verbots, durch explizite, schriftliche Zustimmung der betroffenen Person. Insgesamt basiert die rechtliche Grundlage der Verarbeitung von Gesundheitsdaten auf drei Säulen, der Patientenzustimmung, den Rechten gemäß DSGVO, sowie einem Auftragsverarbeitungsvertrag (AV-Vertrag) zum Nutzen externer Rechenressourcen. Im folgenden Kapitel wird auf diese drei Bereiche näher eingegangen. Patientenzustimmung Um die während einer Behandlung in einer Arztpraxis bzw. Krankenhauses erhobenen Gesundheitsdaten verarbeiten zu dürfen, ist eine Zustimmung des Patienten erforder‐ lich, die freiwillig und aufgeklärt erfolgen muss. Es ist erforderlich, eine rechtlich verbindliche Einwilligungserklärung und eine Datenschutzerklärung zu erstellen, die jedem Patienten vor der Untersuchung klar und unmissverständlich darlegt, was mit den Daten bei Zustimmung geschieht und welche Rechte dem Betroffenen diesbezüg‐ lich zustehen. Rechte der Betroffenen Neben Rechten wie beispielsweise dem Auskunftsrecht gemäß Artikel 15 DSGVO, Berichtigungsrecht gemäß Artikel 16 DSGVO oder Beschwerderecht gemäß Artikel 77 DSGVO steht der betreffenden Person auch das Widerrufsrecht nach Artikel 7.3 DSGVO zu. Dieses stellt Forschende vor die besondere Herausforderung, dass die wissenschaftliche Datenbasis einer potenziellen Änderungsgefahr unterliegt und damit Resultate möglicherweise nicht vollständig reproduzierbar sind. Ebenfalls stellt das Widerrufsrecht eine weitere Herausforderung dar: Die Daten müssen in jedem Fall unmissverständlich zu der widerrufenden Person zurückverfolgt werden können. Dies erfordert komplexe Systeme, die eine solche Zuordnung ermöglichen, ohne dabei die Pseudonymität der Betroffenen zu gefährden. 14.2 Einwerbung von Fördergeldern 153 <?page no="154"?> Auftragsverarbeitungsvertrag Nicht nur die explizite Verarbeitung von personenbezogenen Daten, sondern auch die Bereitstellung von Rechnerinfrastruktur zur Verarbeitung personenbezogener Daten gilt als Auftragsverarbeitung. Die hierbei stattfindende Weitergabe von personenbezo‐ genen Daten an einen Auftragsverarbeiter ist dahingehend privilegiert, als dass durch einen Vertrag zwischen Verantwortlichem, in diesem Fall der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), und dem Auftragsverarbeiter, in diesem Fall der Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung mbH Göttingen (GWDG), bereits eine ausrei‐ chende Rechtsgrundlage gebildet wird. Der Vertrag muss hierbei die in Art. 28 DSGVO formulierten Mindestanforderungen erfüllen, in dem dieser z. B. den Gegenstand, Dauer und Zweck der Verarbeitung, oder die Art der personenbezogenen Daten definiert. Ebenfalls ist eine Prüfung ausreichender technischer und organisatorischer Maßnahmen beim Auftragsverarbeiter vom Auftraggeber notwendig. Sofern dies gege‐ ben ist, ist der Auftragsverarbeiter kein „Dritter“ gemäß Art. 4 Nr 10 DSGVO. Dadurch können nach Vertragsabschluss unkompliziert die vereinbarten Verarbeitungstätigkei‐ ten durchgeführt werden. 14.4 Technische Umsetzung Im folgenden Abschnitt wird die konkrete technische Umsetzung beschrieben. Dazu werden eingangs kurz die Grundlagen für das verwendete KI-Modell, sowie für das High-Performance Computing (HPC) genannt. Anschließend, wird die systemüber‐ greifende Architektur beschrieben, bei der die MRT-Bilder aus dem MRT-Scanner auf einen gesicherten Knoten im Intranet versandt, dort entsprechend pseudonymisiert, vorprozessiert und daraufhin auf einer sicheren HPC Partition bei der GWDG verarbei‐ tet werden. Anschließend werden die generierten Informationen wieder in das Intranet übertragen, wo sie zur Nutzung vom medizinischen Personal bereitstehen. Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, gibt es grundsätzlich hohe Datenschutzanforderungen. Daher muss strikt verhindert werden, dass Dritte Zugriff auf bzw. Einsicht in die Daten bekommen. Das heißt, der gesamte Workflow muss Ende-zu-Ende gedacht und gesichert sein. Grundlagen der genutzten KI Elementarer Baustein der verwendeten KI ist die mathematische Faltung. Das Fast‐ SurferCNN [1] besteht aus drei orthogonal ausgerichteten Convolutional Neural Networks, sprich für jede räumliche Ebene ein vortrainiertes Netzwerk. Ähnlich dem Aufbau eines regulären U-Nets besteht auch das FastSurferCNN aus fein parame‐ trisierten Konvolutionen und Dekonvolutionen in Kombination mit Dense-Layers, Maxpooling Layers und Skip Connections. Besonders bemerkenswert ist der Umgang von FastSurfer im Hinblick auf die hochrestriktive Ressource Videospeicher. Statt 154 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern <?page no="155"?> des Einlesens des kompletten Datensatzes in der vollen Ausprägung wird hier ent‐ lang jeweils einer der drei Achsen der Datensatz auf sieben Schichten beschränkt, sodass etwa eine Größenordnung weniger Speicher reserviert werden muss. Die KI „durchfährt“ den Bilddatensatz des Kopfes von allen drei Achsen und generiert eine Segmentierung des Gehirns. Solch eine Segmentierung wurde früher händisch von medizinischem Fachpersonal mühevoll und zeitintensiv erstellt - die Zeitersparnis durch dieses Netzwerk ist also offensichtlich. Auf den segmentierten Bilddaten können nun allerlei weitere Algorithmen laufen. Beispielsweise FreeSurfers recon-all-Befehl, welcher eine detaillierte Analyse zur kortikalen Dicke aller Regionen im Gehirn ausgibt. Solche Informationen, quantitativ und robust reproduzierbar, sind von großem Wert für Ärzte, Patienten und Wissenschaftler gleichermaßen. Obwohl die Software noch keine Zulassung als Medizinprodukt hat und nicht für die Diagnostik genutzt werden darf, so kann sie doch allen involvierten Personengruppen wertvolle Hinweise für die weitere Behandlung liefern und kann genutzt werden, um große Datensätze für die Forschung zu erstellen. Grundlagen High Performance Computing High-Performance Computing, auch Hochleistungsrechnen genannt, befasst sich mit der parallelen Ausführung von Programmen. Diese nutzen leistungsstarke Server, die oft über verschiedene Netzwerke zu einem großen Cluster verbunden sind. Diese kumulierte Rechenleistung ermöglicht es, Probleme deutlich schneller zu lösen, als es im Vergleich zu einem Laptop möglich wäre. HPC-Systeme werden oft in Forschungs‐ einrichtungen genutzt, wo viele Wissenschaftler sich die verfügbare Rechenleistung untereinander aufteilen. Dazu nutzen sie sogenannte Jobs, die sie in eine Warteschlange einreihen. Sobald die angefragten Ressourcen zur Verfügung stehen, startet dann ein Scheduler den angefragten Job. Typischerweise haben alle Knoten mindestens zwei globale Dateisysteme eingehängt, zu denen auch alle Nutzenden Zugriff haben, um von allen Knoten aus auf ihre Daten und Softwares zugreifen zu können. Systemübergreifende Architektur Um einen vollständig automatisierten Workflow zu erhalten, müssen alle beteiligten Systeme, z. B. MRT-Scanner, Linux-Server, PACS und Workstations, aufeinander abge‐ stimmt werden. Medizinische Bilddaten unterliegen dem DICOM-Standard, welcher den Bilddaten auch ein ausgeprägtes Konglomerat an Metadaten beifügt - sowie auch den Netzwerkverkehr eben dieser Bilddaten regelt. Für eine korrekte Interaktion aller Zahnrädchen im System war es unumgänglich, diesen Standard bestmöglich zu implementieren. Von großem Vorteil ist, dass viele Programmiersprachen heutzutage umfangreiche Bibliotheken bieten, welche zumindest eine solide Basis für Weiterent‐ wicklungen liefern. Python liefert beispielsweise die bekannten Bibliotheken PyDicom und PyNetDicom, welche auch hier zum Einsatz kommen. 14.4 Technische Umsetzung 155 <?page no="156"?> Das PACS Das Picture Archiving and Communication System (PACS) ist das Herzstück einer jeden klinischen Bilddateninfrastruktur. Neben der rechtlich erforderlichen Archivie‐ rungsfunktion liefert es auch die Bilddaten an die Arbeitsplätze der Radiologen, sorgt für Ordnung zwischen den Patienten und ermöglicht die Erstellung von rudimentären Informationen - alles mit einer hohen Zuverlässigkeit und geringer Ausfallanfällig‐ keit. Das PACS akzeptiert Bilddaten nur im DICOM-Format. Daher müssen die von FastSurfer erstellten Daten zuerst in das DICOM-Format rückgewandelt und via DICOM-Netzwerkstandard eingespeist werden. Sicherer Node im PATLAN Die Netzwerkarchitektur der UMG basiert auf zwei getrennten Netzen. Eines davon, hochgesichert und nur lokal, für den Transfer von medizinischen Daten. Es gilt nun einen Server in diesem Netzsegment für die Nutzung zu installieren. Aufgrund der Internetabschottung ist es nicht möglich, Software über das übliche Linux-Repo‐ sitory zu installieren, weshalb alle Programme manuell eingespielt werden müssen. Zusätzlich wurde von diesem Server eine Verbindung in der Firewall freigegeben und via Network Address Translation (NAT) auf dem externen Supercompute-Cluster eingerichtet, damit dieser Server Zugriff auf die externen Rechenressourcen hat. Dabei sind Verbindungen nur ausgehend, aber nicht eingehend möglich, um das Intranet weiterhin abzuschotten. SecureHPC HPC-Systeme sind für maximale Leistung gebaut, nicht für maximale Sicherheit. Da sich viele verschiedene Nutzer ein einziges System teilen, muss jeder Person zu einem gewissen Grad vertraut werden. Dies bietet allerdings Angreifern ideale Bedingungen Falls dieser Zugang zum System haben, z. B. durch das Ausspähen eines Nutzenden, können diese versuchen auf dem System administrative Privilegien zu bekommen. Da dies auf einem HPC-System nicht ausgeschlossen werden kann, ist damit normalerweise die Datensicherheit nicht gewährleistet. Um dieses Risiko zu beseitigen, wird eine sichere HPC-Partition genutzt [2], die nur mithilfe eines speziellen Workflows zugänglich ist, welcher in Abbildung 14-1 dargestellt ist. 156 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern <?page no="157"?> Abbildung 14-1: Der Workflow zum Nutzen von SecureHPC (Verändert aus [2]) Die Grundlage besteht darin, dass alles Ende-zu-Ende verschlüsselt wird. Dies umfasst, die Daten, die Software und die Job Beschreibung, die in die Warteschlange des HPC-Systems gesendet wird. In Schritt 1 werden alle diese Komponenten verschlüsselt. In Schritt 2 werden die verschlüsselten Komponenten ins HPC-System hochgeladen und die zugehörigen Schlüssel werden auf einem zweiten Kommunikationsweg in das Key Management System hochgeladen. Der Job wird anschließend in Schritt 3 wie gewohnt eingerichtet und vom Ressourcen Manager auf der sicheren Partition in Schritt 4 gestartet, nachdem auf den isolierten Servern vorher der zweite Faktor der Nutzer geprüft wurde, um deren Identität sicherzustellen und zu verhindern, dass ein Angreifer mit administrativen Privilegien sich als ein anderer Nutzer ausgeben kann. Nach erfolgreicher Prüfung können in Schritt 5 die Schlüssel für die Daten und Software auf die isolierte Partition transferiert werden, um diese in Schritt 6 zu entschlüsseln und die eigentliche Verarbeitung zu starten. Die verschlüsselten Daten und die zugehörigen Schlüssel können nur zusammenführt werden, wenn die Identität sichergestellt ist, und die Partition vor jeglichen äußeren Zugriffen vollständig abgeschirmt ist. Workflow der entwickelten Lösung Der Workflow der entwickelten Lösung ist in Abb. 14-2 gezeigt. Die zwei wichtigsten Komponenten, die zusätzlich in das bestehende Netz integriert sind, sind einerseits der sichere Client, und andererseits die sichere HPC-Partition. Da der sichere Client innerhalb des Intranets der Klinik ist, kann dieser Knoten mit dem PACS kommuni‐ zieren. Dadurch können die KI-Analysen auch im PACS archiviert werden, wodurch diese durch das medizinische Personal ganz wie gewohnt abgerufen werden können. Zusätzlich wird noch eine pseudonymisierte Forschungsdatenbank aufgebaut, um neue Datensätze für zukünftige Forschungsvorhaben zu generieren. 14.4 Technische Umsetzung 157 <?page no="158"?> Abbildung 14-2: PATLAN Workflow 14.5 Herausforderungen und Lessons Learned Während der Projektdurchführung gab es verschiedene technische und organisatori‐ sche Herausforderungen. Auf einige soll nachfolgend genauer eingegangen werden. Aufsetzen einer ganzen Pipeline Oftmals wird die Umsetzung von KI-Projekten in z. B. Tutorials als relativ einfach suggeriert. Vortrainierte neuronale Netze können sehr schnell auf den bereitgestellten, vorprozessierten Daten z. B. zur Inferenz genutzt werden. Erste Ergebnisse sind so schnell vorzuzeigen. Allerdings müssen Daten in realen Projekten erst mühselig von den entsprechenden Datenquellen extrahiert und dann vorprozessiert werden, da neuronale Netze die Daten in einem strikt definierten Format erwarten. In diesem Projekt werden die erfassten Bilddaten im DICOM-Standard extrahiert, wie bei me‐ dizinisch-bildgebenden Verfahren üblich. Dabei können diese DICOM-Bilder jedoch in Größe, Auflösung, Format und verschiedenen, weiteren Parametern variieren. Die Überführung in das korrekte Datenformat ist zwar über eine Software möglich, jedoch korrigiert diese weder Auflösung noch Größe, und sorgt auch nicht für eine ausreichende Pseudonymisierung, sodass dies alles über selbstentwickelte Software geschehen muss. Dieser Prozess kann oft zeitaufwendiger sein, als zunächst angenom‐ men und die Anpassung des initialen Beispiels an einen Workflow mit eigenen Daten erweist sich ebenfalls als anspruchsvoll. Requirement Engineering Das Requirement Engineering ist grundsätzlich ein wichtiger Schritt in jedem Pro‐ jekt. In diesem Schritt werden die vielseitigen Anforderungen der verschiedenen 158 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern <?page no="159"?> Stakeholder erfasst. Der anschließende Designprozess dient dann dazu, eine Lösung zu finden, die die verschiedenen Anforderungen möglichst gut abbildet. In diesem Projekt waren verschiedene Berufs- und damit auch verschiedene Arbeitsgruppen innerhalb der Universitätsmedizin involviert. Dazu gehören, die Ärzte, sowie das wissenschaftliche Personal an der Klinik, der IT-Support in der Arbeitsgruppe selbst, sowie die IT-Infrastruktur, die die Netzwerke betreibt. Zusätzlich sind der Datenschutz, die Rechtsabteilung, sowie der externe Auftragsverarbeiter involviert. Hierbei hat sich herausgestellt, dass das Definieren weniger Schnittstellen, also das Reduzieren der beteiligten Parteien nicht möglich ist. Daher lässt sich die Datenwissenschaft in diesem Projekt nicht parallel und isoliert als eigenständiges Projekt durchführen, sondern sitzt im Zentrum. Daher ist die Fähigkeit der Projektorganisation, speziell auch mit dem Requirement Engineering, in diesem Projekt wichtiger als technische Finesse und Detailwissen zu neuronalen Netzen. Dies sollte von Anfang an, insbesondere bei der Stellenbesetzung, in ähnlichen Projekten beachtet werden. Projektmanagement und Arbeitslast Die zentrale Funktion des Projektmanagements ist in diesem Projekt auf zwei domi‐ nierende Faktoren zurückzuführen. Einerseits muss aufgrund der Anforderungen im‐ mer mit anderen Parteien zusammengearbeitet werden. Beispielsweise können keine Test-MRT Geräte und Probanden gescannt werden, um die entwickelte Architektur zu testen. Stattdessen ist eine Zusammenarbeit mit dem technischen Personal erforderlich, um den Datenexport auf den klinisch genutzten Scannern einzurichten. Diese Abspra‐ che erfordert aufgrund der hohen Arbeitslast des Personals genügend Vorlaufzeit. Andererseits sind exemplarische Rohdaten von den speziellen Scannermodellen jedoch nicht in großen Mengen öffentlich verfügbar. Dadurch lässt sich ein temporärer Ausfall von Rohdaten nicht substituieren. Dies ist nur ein motivierendes Beispiel, um die herausgestellte Rolle des Projektmanagements zu illustrieren. Es handelt sich in diesem Projekt nicht um ein Datenwissenschaftsprojekt, bei dem lange, isoliert von anderen mit viel technischem Fach- und Detailwissen optimiert werden kann, bis am Ende eine gute Lösung erarbeitet wurde. Dieses Projekt besteht aus einem großen Team, welches gut organisiert werden muss. Dazu können regelmäßige Projektmeetings mit allen Beteiligten sowie anschließende E-Mails mit einer Zusammenfassung des derzeitigen Standes und einer klaren Auflistung an Zuständigkeiten helfen. Übergang von Entwicklung zu Produktion Die Interaktion der vielen bei dem Projekt beteiligten Softwarekomponenten, die sich während der Projektlaufzeit selbst weiterentwickelten, führte dazu, dass sehr häufig die Schnittstellen innerhalb der Software angepasst werden mussten. Dies geschah teilweise wöchentlich. Durch die hohe Fluidität der verwendeten Softwares war es teils erforderlich, sich in monatlichem Turnus erneut in verschiedene Softwares einzulesen 14.5 Herausforderungen und Lessons Learned 159 <?page no="160"?> oder die Softwares teilweise komplett aus dem Projekt zu entfernen. Ähnliches gilt, wenn der Proof-of-Concept abgeschlossen ist und der entwickelte Workflow von der Entwicklungsumgebung zur Produktionsumgebung übergeht. Hier kommen unter anderem neue Anforderungen bzgl. des Monitorings hinzu. Wenn eine komplexe Kom‐ position von vielen verschiedenen Softwares und Systemen auf den Produktivbetrieb umgestellt wird, sollte ein System zum Monitoring aller Komponenten bereits ausgie‐ big getestet und implementiert sein. Das hier verwendete System besteht aus einem Mix aus Informationen, dass bei einem Fehler eine E-Mail an involvierte Administratoren sendet, sowie einer Weboberfläche, die die Verfügbarkeit aller Module darstellt, sofern sie eine solche Funktion bieten. Ebenfalls muss der Workflow auch hinreichend robust und fehlertolerant sein. Möglicherweise kommen zusätzliche Anforderungen wie ein hoher Automatisierungsgrad hinzu. Dieser Übergang kann dazu führen, dass bereits entwickelte Komponenten nochmal überarbeitet oder ggfs. sogar neu designt werden müssen. Dies sollte von Anfang an mitgedacht und eingeplant werden. Ein Beispiel dafür in diesem Projekt war, dass jedem Patienten der gleiche Dateiname zugewiesen wurde, was die Parallelverarbeitung verhinderte. Insbesondere in KI-Projekten wird oft verschiedene Hardware für Training und Inferenz genutzt. Dabei kann passieren, dass Entwickler ggfs. zu lange auf der Trainingsplattform bleiben, um die vollständige Pipeline zu entwickeln. Der Übergang der Trainingszur Inferenzhardware kann nochmal zusätzlich Zeit erfordern. Daher muss vor der produktiven Inbetriebnahme und dem Umzug vom Entwicklungssystem noch genügend Zeit zum Testen auf der finalen Hardware eingeplant werden. 14.6 Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein KI-Projekt im klinischen Umfeld an‐ spruchsvolle regulatorische und technische Herausforderungen beinhaltet. In dem vorgestellten Projekt wurden konkrete Maßnahmen aufgezeigt, wie diese konstruktiv angegangen und gelöst werden können. Während der Projektdurchführung ist dabei aufgefallen, dass die wesentliche Fähigkeit zum Umsetzen dieses Projektes im Projekt‐ management liegt und weniger im technischem Detailwissen. Das Projekt ist sehr lohnenswert, da es in verschiedenen Aspekten als Blaupause für weitere KI-Projekte im klinischen Umfeld dienen kann. Insgesamt stößt das Projekt auf sehr gute Resonanz, sowohl bei der Belegschaft als auch bei den Patienten. Literatur [1] Henschel, Leonie et al. “Fastsurfer-a fast and accurate deep learning based neuroimaging pipeline.” NeuroImage 219 (2020): 117012. [2] Nolte, Hendrik et al. “Secure HPC: A workflow providing a secure partition on an HPC system.” Future Generation Computer Systems 141 (2023): 677-691. 160 14 Automatisierte Analysen von MRT-Bildern <?page no="161"?> 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen Stefanie Mühlhausen, Felix Kegel, Till Ole Diesterhöft, Claudia Niederée, Bart Jan de Noord, Bodo Rosenhahn, Lutz Kolbe, Julian Kunkel Abstract Das „KI-Servicezentrum für Sensible und Kritische Infrastrukturen“ (KISSKI) zielt auf die Erforschung von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) und deren Bereitstellung in einem hochverfügbaren Servicezentrum ab. Besonderer Fokus liegt dabei auf den Bereichen Energie und Medizin mit ihrem hohen Potenzial für KI-gesteuerte Prozessoptimierung und Anwendungen sowie den besonders hohen Anforderungen an die zugrunde liegende Hard- und Software. Das KIS‐ SKI stellt nicht nur die entsprechende IT-Infrastruktur bereit und entwickelt KI-Dienste, es offeriert auch umfangreiche Consulting- und Schulungsangebote. Das neue Verbundprojekt aus insgesamt sieben Forschungseinrichtungen an den Standorten Göttingen, Hannover und Kassel wird seit November 2022 durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 19 Millionen Euro für zunächst drei Jahre gefördert. Im Rahmen von Pilotprojekten und zur Evaluierung der Konzepte steht das KISSKI deutschlandweit Forschungseinrichtungen und der Industrie, insbesondere KMUs und Start-Ups, offen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Servicezentrum, Beratung, Entwicklung, Schulungen, Re‐ chenressourcen, Pilotkunden 15.1 Einleitung Künstliche Intelligenz (KI, oder engl. Artificial Intelligence, AI) gehört zweifellos zu den aktuell meistdiskutierten Technologien, sowohl in Forschung und Praxis als auch ganz allgemein in der Gesellschaft. KI wird in zunehmendem Maße in einer Vielzahl von Branchen wie bspw. im Finanzwesen, Verkehr, Produktion, Bildung, Energie und Gesundheitswesen eingesetzt, um systematisch aus Daten zu lernen und mit dem so erlangten Wissen Servicequalität und Geschäftsabläufe zu verbessern, neue Geschäftsbereiche zu erschließen und die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt voranzutreiben. Ein im Januar 2024 erschienener PwC-Bericht schätzt, dass der po‐ tenzielle Beitrag der KI zur globalen Wirtschaft bis Ende des Jahrzehnts etwa 15,7 <?page no="162"?> 1 https: / / www.pwc.com/ gx/ en/ issues/ analytics/ assets/ pwc-ai-analysis-sizing-the-prize-report.pdf, zuletzt geprüft am 18.01.2024 2 https: / / www.bsi.bund.de/ dok/ kritis-kompakt, zuletzt geprüft am 22.03.2024 Billionen US-Dollar betragen könnte 1 . Daher streben immer mehr Organisationen an, KI für ihre geschäftlichen Zwecke zu nutzen. Der Energie- und der Gesundheitssektor bilden hierbei keine Ausnahme. Als kritische Infrastrukturen (KRITIS 2 ) umfassen diese Sektoren Organisationen und Einrichtungen, welche von essenzieller Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen sind. Bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung könnten nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten. Im Energiesektor dient KI einer Vielzahl von Zwecken, von der Prognose und Integration von Angebot und Nachfrage, über die Verbesserung der Leistung und Effizienz in den Betriebsabläufen der Anbieter: innen, die Förderung von Smart-Grid- und Industrie-4.0-Anwendungen, bis hin zur effizienten Integration erneuerbarer Ener‐ giequellen in das Stromnetz. Darüber hinaus muss die Branche gegenüber Cybersecu‐ rity-Bedrohungen widerstandsfähig sein, um eine kontinuierliche Energieversorgung zu gewährleisten, und gleichzeitig die von den Gesetzgebern gesteckten Ziele zur Einbeziehung erneuerbarer Energiequellen zu erfüllen. Damit Organisationen in der Energiewirtschaft ihre Wettbewerbsfähigkeit in einem komplexen und sich dynamisch weiterentwickelnden Markt erhalten können, ist der Einsatz von KI oft notwendig. Die Energieindustrie steht jedoch vor schwerwiegenden Herausforderungen bei deren Einführung. Neben fehlender praktischer Erfahrung und Fachwissen stellt die veraltete Infrastruktur ein substanzielles Problem dar, welches insbesondere für die Integration erneuerbarer Energiequellen relevant ist. Auch im Gesundheitswesen haben KI-Anwendungen stark an Bedeutung gewonnen. Dort haben sie sich von eher einfachen, regelbasierten Systemen zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung hin zu komplexen Machine- und Deep-Learning-Techniken entwickelt, die beispielsweise eine Mustererkennung in komplexen Datenstrukturen ermöglichen. Heute wird KI in zahlreichen Anwendungsfällen im Gesundheitswesen eingesetzt, die von Diagnoseaufgaben, über Behandlungsempfehlungen, Fortschritte in der Präzisionsmedizin bis hin zu zur besseren Einbindung von Patient: innen in ihre eigene Healthcare Journey reichen. Insgesamt wird erwartet, dass KI die Versorgungs‐ qualität durch erhöhte betriebliche Effizienz und die Vermeidung menschlicher Fehler erheblich verbessern kann. KI-bezogene Herausforderungen im Gesundheitswesen umfassen bspw. die Komplexität der Aufgaben und Datenstrukturen, ethische und rechtliche Aspekte sowie die Schwierigkeit, KI-Entscheidungen transparent und nach‐ vollziehbar zu machen. All dies erschwert die Integration von KI-Anwendungsfällen in alltägliche klinische Arbeitsabläufe. Die Gewährleistung von Datenschutz und Privatsphäre sowie die Sicherstellung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Prozesse stellen branchenübergreifende Herausforderungen dar. Diese Anforderungen gehen über die ethische Verantwortung gegenüber Nutzer: innen und Kund: innen hinaus und werden durch weltweit immer 162 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="163"?> strengere Datenschutzgesetze zur rechtlichen Notwendigkeit. Besonders kritisch sind diese Anforderungen in den Infrastrukturen der Energieversorgung und des Gesund‐ heitswesens, wo Datenschutz, Privatsphäre und Nachvollziehbarkeit zentrale Aspekte sind. Im Energiesektor ist etwa die Resilienz gegenüber Cybersecurity-Bedrohungen essenziell, um eine kontinuierliche und sichere Versorgung zu gewährleisten. Im Ge‐ sundheitswesen hat der Schutz sensibler Gesundheitsinformationen der Patient: innen oberste Priorität, ebenso wie die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen. Herausforderungen in der aktuellen AI-as-a-Service-Landschaft AI-as-a-Service (AIaaS) Dienstleistungen bieten Unternehmen und Forschungseinrich‐ tungen die Möglichkeit, KI zu nutzen. Durch den Zugriff auf Rechenressourcen und die Nutzung ausgewählter Dienstleistungen erhalten Kund: innen einen niederschwelligen Zugang zur technischen Infrastruktur, welche für den Einsatz von KI benötigt wird [1]. Dadurch wird die Anwendung von KI in verschiedenen Größenordnungen und Branchen ermöglicht und somit die allgemeine Zugänglichkeit zur KI liberalisiert [2, 3]. Allerdings ist selbst dann die Implementierung der KI-Anwendung eine Herausfor‐ derung, da spezifisches Wissen über die zugrundeliegenden Technologien und Prozesse auch zur Nutzung bereits bestehender technischer Infrastruktur erforderlich bleibt [4]. Insbesondere benötigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die KI-Soft‐ ware-Dienste nutzen möchten, grundlegende Kenntnisse in Programmierung, Statistik, Datenanalyse und -verarbeitung sowie ein Verständnis für maschinelles Lernen. Große Organisationen können diese Herausforderungen möglicherweise leichter bewältigen; kleinere Organisationen insbesondere aus den kritischen Infrastrukturbereichen des Gesundheits- und Energiewesens stehen hingegen oft vor Schwierigkeiten aufgrund fehlender technologischer Kenntnisse und Ressourcen [5, 6, 7]. Diese Branchen könn‐ ten erheblichen Nutzen aus der breiten Anwendung von KI ziehen, werden aber durch hohe Zugangshürden in ihrer Implementierung gehemmt. Daher erfordert der aktuelle AIaaS-Markt einen stärker kundenorientierten Ansatz, um alle Stakeholder einzubeziehen und den Nutzen von KI weiter zu verbreiten. Relevanz des Beitrags Die Relevanz dieses Beitrags für die Praxis, insbesondere im Kontext der kritischen Infrastrukturen und der Verwaltung von AIaaS, umfasst drei zentrale Aspekte: Kundenorientierung in AIaaS: Der Beitrag hebt die Notwendigkeit hervor, dass Organisationen, die AIaaS anbieten, ihre Dienstleistungen stärker an den Lebens‐ zyklen der KI-Implementierung ihrer Kund: innen ausrichten. Dies impliziert, dass Kund: innen in die AIaaS-Nutzung aktiver eingebunden werden müssen als bisher und, dass Anbieter: innen von kundenorientierten AIaaS-Diensten Strategien entwickeln 15.1 Einleitung 163 <?page no="164"?> müssen, die kundenspezifische Merkmale betonen, um den individuellen Wert ihres AIaaS-Angebots zu verbessern. Verständnis und Kooperationsbereitschaft auf Kund: innenseite: Ein Schlüs‐ selfaktor für den Erfolg von kundenorientiertem AIaaS ist das Verständnis und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit auf Kund: innenseite. AIaaS-Anbieter: innen müssen die Hindernisse und Herausforderungen verstehen, die Kund: innen bei der Einführung dieser spezialisierten Dienstleistungsbeziehungen haben könnten, um die Akquise neuer Kund: innen und die Umsetzung der Dienstleistungen zu erleichtern. Überprüfung und Anpassung des Service-Portfolios: Organisationen, die der‐ zeit AIaaS anbieten, sollten ihr aktuelles Dienstleistungsportfolio im Hinblick auf die Erweiterung des Dienstleistungsspektrums gründlich überprüfen. Dienstleistungen, die einen starken Kundenfokus haben, aber diese nicht aktiv integrieren oder anspre‐ chen, sollten für eine Neuausrichtung in Betracht gezogen werden. Die Überlegung, wie Kund: innen ohne umfassende Fachkenntnisse angezogen werden können, kann entscheidende Erfolgsfaktoren gegenüber Marktkonkurrenten bieten. Zusammenfassend betont der Beitrag die Bedeutung einer stärkeren Kundenori‐ entierung in der Bereitstellung von AIaaS, die Notwendigkeit eines besseren Kun‐ denverständnisses und die strategische Anpassung des Dienstleistungsangebots, um den Herausforderungen und Bedürfnissen verschiedener Kund: innen, insbesondere in kritischen Infrastrukturen, gerecht zu werden. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf dem Medizinsektor. In diesem Bereich ist eine dynamische Entwicklung hin zur KI-Anwendung mit einhergehendem hohem Bedarf an AIaaS zu verzeichnen, während die Akteure im Energiesektor eher konservativ agieren und verstärkt auf On-Premise Lösungen setzen. Das KI-Servicezentrum KISSKI KISSKI ist eines der vier BMBF-geförderten KI-Servicezentren in Deutschland und Teil der nationalen Strategie für Künstliche Intelligenz „AI made in Germany“. Das KI-Ser‐ vicezentrum hat zum Ziel, einen niedrigschwelligen Zugang zu KI-Diensten in kriti‐ schen Infrastrukturen zu bieten. Gleichzeitig sollen die KI-Forschung in Deutschland vorangetrieben sowie die praktische Nutzung von KI gefördert werden. Das Zentrum konzentriert sich insbesondere auf die Bereitstellung KI-basierter, nutzerzentrierter Dienstleistungen in den kritischen Infrastrukturen der Energie- und Gesundheitsbran‐ che. Die spezifischen Anforderungen dieser Branchen bilden den Rahmen für die Tätigkeit von KISSKI. KISSKI ist ein Zusammenschluss von Forschungseinrichtungen an den Standorten Göttingen, Hannover und Kassel mit Kernkompetenzen in KI-Infrastruktur und KI-Me‐ thoden, Medizin und Energie. KI-Methodenkompetenz wird vom Forschungszen‐ trum L3S der Leibniz Universität Hannover und vom Campus-Institut Data Science der Georg-August-Universität Göttingen eingebracht. Den Betrieb der KI-Infrastruk‐ tur übernimmt die Gesellschaft für wissenschaftliche Datenverarbeitung Göttingen 164 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="165"?> gemeinsam mit den Leibniz Universität IT-Services. Domänenwissen in der Medizin stellen die Universitätsmedizin Göttingen und die Medizinische Hochschule Hannover bereit. Durch das in Göttingen ansässige Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen (aQua) wird der Bezug zur Industrie hergestellt. Der Energiesektor wird durch das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energietechnik IEE in Kassel und das Leibniz Forschungszentrum Energie 2050 der Leibniz Universität Hannover bedient. Unter Einsatz der Expertise dieses Konsortiums sind die von KISSKI im Sinne des AIaaS-Konzepts angebotenen Dienstleistungen in vier Bereiche untergliedert: Bereitstellung: Angebot von Infrastruktur- und Software-Ressourcen sowie von sofort verfügbaren KI-Modellen. Die Bereitstellung erfolgt über direkt buchbare Dienste, um eine schnelle Einsatzbereitschaft bei den Kund: innen zu ermöglichen. Dazu gehören CPU- und GPU-Rechenressourcen, Hochleistungsspeichersysteme, Contai‐ ner-Hosting, fehlertolerante Inferenzdienste sowie sicheres Datenmanagement. Beratung: Beratungsdienste, die lose mit der technischen Infrastruktur verbunden sind, d. h. manche der Leistungen sind auch ohne Inanspruchnahme der Infrastruktur nutzbar. Das KI-Servicezentrum richtet sich an Kund: innen aus den Bereichen Energie und Gesundheit jeglichen Kenntnisstands. Die Beratungsdienste sollen Kund: innen mit geringen Vorerfahrungen mit KI oder anderen datengesteuerten technischen Anwendungen dabei helfen, bestehende Datenquellen zu beleuchten und potenzielle Anwendungen für KI-Modelle zu identifizieren. Dies umfasst unter anderem Einstiegs‐ beratungen, welche zur Klärung grundsätzlicher Fragen rund um KI beitragen. Aber auch weiterführende Beratungsdienste, bspw. zur Geschäftsmodellbetrachtung, zum Product-Life-Cycle Management oder zur Vermittlung von Expertenwissen für die weiterführende Modellentwicklung, werden bereitgestellt. KI-Produktentwicklung: Entwicklung neuer KI-Lösungen. Projektdurchführung und Entwicklungsdienstleistungen. Beide Dienste werden in enger Zusammenarbeit mit den Kund: innen durchgeführt. Das KI-Servicezentrum unterstützt bei der Auswahl der Daten, zentralen Informationssysteme und Softwareprodukte, bietet Beratung für die Optimierung von Projekten, assistiert bei der Vorbereitung von KI-Trainingsdaten und entwickelt Lösungen, die den gesamten Entwicklungs- und Implementierungszyk‐ lus abdecken. Schulung: Qualifizierungs- und Bildungsaktivitäten für Kund: innen mit konkreten, praxisnahen Übungen im Kontext von AIaaS. Dazu gehören Übersichten, Ausarbei‐ tungen und Lernvideos zu allgemeinen KI-Themen, wie grundsätzlich verfügbaren Modelltypen und deren Skalierbarkeit, dem Einsatz von KI in heterogenen System‐ landschaften sowie Best-Practices zu effektivem Datenmanagement. Darüber hinaus werden spezifische Schulungen für KI-bezogene Anwendungsfälle und Datenanalysen in den Bereichen Gesundheit und Energie angeboten. 15.1 Einleitung 165 <?page no="166"?> Zusätzlich zu diesen Dienstleistungen ist es das Ziel von KISSKI, eine übergreifende Community aufzubauen, um weitere Kooperationen zu fördern und die kontinuierliche Nutzung von AIaaS in den Sektoren Energie und Gesundheitswesen zu fördern. Abbildung 15-1: KISSKI Umfang und Dienstleistungen 166 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="167"?> Customer Journey Die Customer Journey lässt sich im Kontext von KISSKI als siebenstufiger Prozess darstellen. (Bedarfserkennung) Der Prozess beginnt damit, dass Kund: innen ihren Bedarf an einer potenziellen KI-Implementierung erkennen. Dies kann aus einem allgemeinen Interesse an KI oder dem Vorhandensein spezifischer Datensätze resultie‐ ren, die analysiert werden sollen. Oft fehlen den Kund: innen jedoch die Ressourcen und das Fachwissen, um KI intern zu implementieren. In diesem Fall durchlaufen die Kund: innen typischerweise die gesamte Customer Journey, wohingegen Kund: innen mit bestehender Erfahrung in der KI-Anwendung oftmals konkrete Fragestellungen mitbringen und einzelne Schritte der Customer Journey überspringen. In diesem Sinne versteht sich KISSKI als ein offenes, bedarfsorientiertes Dienstangebot, bei dem die Customer Journey als wertvoller Wegweiser dient. (Wahl des Dienstleisters) Die Kund: innen entscheiden sich daraufhin, eine/ n externe/ n Dienstleister: in zu beauftra‐ gen und führen eine grundlegende Recherche durch, um verschiedene Anbieter: innen zu vergleichen und eine Entscheidung zu treffen. (Erster Serviceantrag) Haben sich Kund: innen für KISSKI als Dienstleister entschieden, ist dies der erste Kontaktpunkt zwischen ihnen und dem KI-Servicezentrum. In einer ersten Beratungsrunde werden der grundlegende Anwendungsfall, die verfügbaren Datenquellen und vorhandene Vorkenntnisse besprochen. (Anforderungsanalyse) Spezialisierte Berater: innen von KISSKI führen anschließend eine detaillierte Anforderungsanalyse durch, die techni‐ sche und kontextspezifische Diskussionen umfasst, die für die Implementierung des Anwendungsfalls relevant sind. (Servicezuweisung) Die Berater: innen bewerten den diskutierten Anwendungsfall und wählen den geeigneten Service aus dem Dienstleis‐ tungsportfolio von KISSKI aus, der praktisch und angemessen erscheint, um den spezifischen Anwendungsfall der Kund: innen zu erfüllen. (Serviceimplementierung und -bewertung) Der ausgewählte Service wird von den Fachleuten von KISSKI realisiert, wobei eng mit den Kund: innen zusammengearbeitet wird, um sicherzustel‐ len, dass deren Bedürfnisse angemessen erfüllt werden. (Austausch, Bewertung und Anpassung) Regelmäßige Austauschformate zwischen Kund: innen und dem KI-Servicezentrum dienen dazu, den Kontakt zu den Kund: innen aufrechtzuerhalten. Nach Projektabschluss evaluieren Kund: innen und das KI-Servicezentrum, inwieweit sich die gewonnenen Erkenntnisse in ein öffentlich zugängliches White Paper oder Ähnliches überführen lassen, um Best-Practice-Beispiele angemessen zu diskutieren und einen Wissenstransfer zu gewährleisten. 15.1 Einleitung 167 <?page no="168"?> Abbildung 15-2: KISSKI Customer Journey Einsatzpotenziale im hochdynamischen Marktumfeld Gesundheitswesen Fortschritte in der Sensorik und Bildgebung, sowohl im klinischen Alltag als auch mittels Wearables wie Smartwatches im privaten Umfeld, liefern multimodale gesund‐ heitsrelevante Datenströme. Dieses können Bewegungsinformationen, physiologische Parameter (Puls, Blutdruck, Körpertemperatur etc.) oder Ernährungsgewohnheiten sein. Gleichzeitig existieren im Gesundheitswesen wesentliche Herausforderungen bedingt durch Faktoren wie die demografische Entwicklung, chronische Volkskrank‐ heiten oder die individuelle Versorgung im ländlichen Raum. Zusammen mit weiteren 168 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="169"?> 3 https: / / skinscreener.com/ , zuletzt geprüft am 19.01.2024 4 https: / / www.magrathea.eu/ , zuletzt geprüft am 19.01.2024 5 https: / / www.siemens-healthineers.com/ , zuletzt geprüft am 19.01.2024 6 de.statistica.com, zuletzt geprüft am 16.01.2024 7 https: / / www.aqua-institut.de/ en/ projekte/ ki-thrust, zuletzt geprüft am 16.01.2024 Konzepten, z. B. der Telemedizin, entsteht durch KI- und datengetriebene Ansätze die Chance, schwere Krankheitsverläufe durch frühe Diagnostik zu vermeiden, einen holistische Patientenzugang zu erlangen und Verläufe zu erfassen, um personalisierte Medizin mit maßgeschneiderten Therapien zu ermöglichen. Firmen vom Start-Up bis zum global agierenden Unternehmen bieten unterschiedlichste, KI-getriebene Produkte an, vom Hautkrebs-Screening 3 über die Krankenhausprozessoptimierung 4 , bis hin zur Bildgebung 5 , mit unzähligen weiteren Möglichkeiten KI-Technologien einzusetzen. Der Markt wird zurzeit mit ca. 31 Milliarden US-Dollar für 2025 geschätzt 6 , ein Potential, welches bei der aktuellen Entwicklungsgeschwindigkeit einen nieder‐ schwelligen Zugang unumgänglich macht, um Wettbewerbsfähig zu bleiben. Diesem enormen KI-Potential stehen hohe regulatorische Anforderungen an Daten‐ schutz und Erklärbarkeit gegenüber. KI-gestützte Anwendungen im Gesundheitswesen verarbeiten häufig große Mengen sensibler Patientendaten. Daher sind Datenschutz und Datensicherheit von besonderer Bedeutung. Die Vereinbarkeit von KI und Daten‐ schutz ist eine Kernfrage, da KI nur mithilfe von Big Data möglich ist, und darunter auch personenbezogene Daten fallen. Organisationen, die KI-gestützte Anwendungen entwickeln und betreiben, müssen daher sicherstellen, dass sie die gesetzlichen Anfor‐ derungen erfüllen und geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Daten zu gewährleisten. An dieser Stelle knüpft KISSKI mit seinen Beratungsdienstleistungen zu spezifischen, regulatorischen Anforderungen an. Da das KISSKI zugleich eine auf die Anforderungen an Datenschutz und Geheimhaltung zugeschnittene, sichere Recheninfrastruktur mit dediziertem und sicherem, Autorisierungs- und Authentifi‐ zierungsverfahren [8] zur Verfügung stellt, senkt es somit die Einstiegshürde in den Medizinsektor insbesondere für Start-Ups deutlich. Das Dateneigentum verbleibt jederzeit bei den Kund: innen des KISSKI. Im Rahmen von KISSKI werden u. a. Potenziale von KI-gestützten Vorhersagever‐ fahren auf Basis von Routinedaten der Krankenkassen untersucht 7 . Das Ziel ist es, Stärken und Schwächen von KI-Verfahren und konventionellen Verfahren miteinander zu vergleichen. Am Beispiel des Entlassungsmanagements aus dem Krankenhaus soll analysiert werden, inwieweit neue KI-Verfahren als Entscheidungshilfe zukünftig genutzt werden können. 15.2 Erfahrungen aus der Praxis Über unterschiedliche Branchen hinweg sind die Anforderungen von Organisationen und insbesondere von KMUs und Start-Ups an ein KI-Servicezentrum wie KISSKI in der Praxis sehr divers. Sie hängen stark von der Digitalisierungsstufe des Unterneh‐ 15.2 Erfahrungen aus der Praxis 169 <?page no="170"?> mens bzw. der Organisation und von der Anwendungsdomäne bzw. dem konkreten Anwendungsfall ab. Das Spektrum reicht hier von einer noch vagen, ersten Exploration möglicher Anwendungen von KI im Unternehmen bis hin zur Verbesserung bestimmter Prozessschritte, für die eventuell bereits erste KI-Lösungen vorliegen. In einigen Anwendungsfeldern wie etwa der Produktion sind zudem neben der reinen KI-Methode auch noch viele andere, eng mit der KI verbundene Herausforde‐ rungen zu lösen, wie etwa die Datenerfassung (und die zugehörige geeignete Sensorik), die Datenanalyse mit einer entsprechenden Korrelationsanalyse der Parameter oder ein Clustering der Daten, das Deployment von KI-Lösungen auf industrielle Edge-Devices oder Echtzeit-Anforderungen für die Maschinensteuerung. Weitere Randparameter betreffen die Datenqualität und die Lebensdauer der Daten, die Generalisierbarkeit der Modelle, aber auch die verfügbaren Hardware-Ressourcen für das Training und die Inferenz der Modelle. Zusätzliche Kosten in Form von Energieverbrauch oder Wartung der Modelle, bis hin zu Interpretierbarkeit und Qualitätssicherung der getroffenen KI-Entscheidungen sind weitere multikriterielle Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Schlussendlich ist ein weiterer relevanter Aspekt darin zu finden, wie versiert die Mitarbeiter: innen in den Feldern der Statistik, der Programmierung oder in den Methoden verschiedener KI-Ansätze (Boosting, Entscheidungsbäume, Support-Vec‐ tor-Machines oder Neuronale Netze) aus- und weitergebildet sind, um einen verant‐ wortungsvollen und nachhaltigen Umgang mit den Methoden sicherzustellen. Ein entsprechendes Fort- und Weiterbildungsangebot ist dementsprechend obligatorisch in KI-Services im Sinne von AIaaS einzubinden. Bei der Zusammenarbeit mit Start-Ups sind die Anforderungen an ein KI-Service‐ zentrum oft fokussierter und spezieller. Hier werden konkrete KI-basierte Lösungen und Methoden gesucht, um die Leistung des vom Start-Up angebotenen Dienstes bzw. Produkts zu verbessern. In der Praxis sind die Anforderungen an KI-Methoden dabei vielfältig: sie umfassen z. B. die KI-basierte Verbesserung der Signalübersetzung für innovative Leseverfahren, die Fehlererkennung in Motoren oder die Vorhersage von Verkaufsdaten. Für Start-Ups ist die Nutzung von Rechenleistung zum Training von Modellen, wie sie von KISSKI angeboten wird, ein attraktives Angebot. Die Erfahrung zeigt aber, dass zusätzlich auch Beratungsleistungen, z. B. für die Modellauswahl, die Evaluation des Verbesserungspotentials und für das Aufsetzen des Trainings benötigt werden, da in der Regel - wenn überhaupt - nur eine beschränkte KI-Kompetenz in den eher kleinen Start-Up Teams vorhanden ist. Häufig ist das Wissen auf eine Person beschränkt, was ein erhebliches Risiko darstellt, wenn diese Person in der (üblicher‐ weise agilen) Entwicklungsphase das Unternehmen verlässt. Dementsprechend sind eine gute Dokumentation und auch Redundanz des Erlernten fundamental. Häufig sind auch die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären, z. B. wenn Daten aus dem Internet genutzt werden, die Sicherheit der Daten garantiert werden muss, oder Daten anonymisiert oder pseudonymisiert werden müssen. Dies ist, wie bereits diskutiert, insbesondere im Fall medizinischer Daten ein kritischer Faktor. 170 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="171"?> Andererseits zeigt die Erfahrung bei den Start-Ups eine große Offenheit für die Erprobung und den Einsatz von KI-Methoden. Diese in die Praxis zu integrieren ist kein Selbstläufer und erfordert besonnenen Umgang mit Daten, Algorithmen und deren Anwendung. Trotzdem bieten sich Chancen, die für eine Firma echte Game-Changer werden können. Das Forschungszentrum L3S (Leibniz Universität Hannover) hat in der Vergangenheit z.-B. Prozessparameter für Firmen optimiert, im Bereich Predictive Maintenance Maschinenstandzeiten minimiert und dabei die Erzeugung von Produk‐ ten nachhaltig verbessert, so dass z. B. unter weniger Ausschuss, mit weniger Energie‐ verbrauch, geringerer CO2-Emission und geringerer Produktionszeit die Effizienzen um bis zu 20 % gesteigert werden konnten, bei Produktionsmengen z. B. von 10 t am Tag. Unsere Ansätze zur Anomalie-Detektion [9] sowohl in Sensordaten als auch in Zeitreihen [10] haben bereits schwere Unfälle verhindert, die Personenschäden mit sich gebracht hätten, und darüber hinaus Schäden in Millionenhöhe verursacht hätten. Derartige Erfahrungen sollen dazu motivieren, sich mit den Chancen der Technologien auseinanderzusetzen und diese zu erschließen. Darüber hinaus verdeutlichen sie noch einmal das Potential eines KI-Servicezentrums wie KISSKI, welches derartige „Hilfe‐ stellungen“ für Unternehmen systematisch und mit einem ganzheitlichen Anspruch zugänglich macht. 15.3 Fazit Das KI-Servicezentrum KISSKI hebt sich von herkömmlichen AIaaS-Angeboten ab, indem es sich nicht nur auf die technische Bereitstellung von KI-Systemen fokussiert, sondern einen ganzheitlichen und kundenorientierten Ansatz verfolgt und ein hohes Maß und ein breites Spektrum an KI-Kompetenz und Erfahrung bereitstellt. Besonders in kritischen Infrastrukturen, wo standardisierte, vorgefertigte Lösungen oft aufgrund regulatorischer Anforderungen, Sicherheitsbedenken und der Komplexität des An‐ wendungsfalls nicht anwendbar sind, bietet KISSKI umfassende und verständliche Informationen über seine Dienstleistungen und integriert Beratungsdienste in den gesamten Prozess. Diese Herangehensweise ermöglicht es, individuelle Bedürfnisse und Kontexte der Kund: innen zu berücksichtigen und maßgeschneiderte KI-Lösungen zu entwickeln, die eine tiefere und effektivere Integration von KI in den spezifischen Anwendungsbereich ermöglichen. So geht KISSKI weit über das reine Angebot techni‐ scher Ressourcen und vorgefertigter Modelle hinaus, um seinen Kund: innen wertvolle und auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen bereitzustellen. Literatur [1] Zapadka, P., Hanelt, A., Firk, S., & Oehmichen, J. (2020). Leveraging “AI-as-a-Service” - Antecedents and Consequences of Using Artificial Intelligence Boundary Resources. In ICIS Proceedings 2020 Association for Information Systems (AIS). https: / / aisel.aisnet.org/ icis202 0/ governance_is/ governance_is/ 6 15.3 Fazit 171 <?page no="172"?> [2] Lins, S., Pandl, K.D., Teigeler, H., Thiebes, S., Bayer, C., & Sunyaev, A. (2021). Artificial Intelligence as a Service. Business & Information Systems Engineering, 63, 441---456. https: / / doi.org/ 10.1007/ s12599-021-00708-w [3] Pandl, K.D., Teigeler, H., Lins, S., Thiebes, S., & Sunyaev, A. (2021). Drivers and Inhibitors for Organizations' Intention to Adopt Artificial Intelligence as a Service. Hawaii International Conference on System Sciences. https: / / doi.org/ 10.24251/ HICSS.2021.215 [4] Elger, P. & Shanaghy, E. (2020). AI As a Service: Serverless Machine Learning with AWS. Manning Publications Co. LLC. https: / / ebookcentral.proquest.com/ lib/ kxp/ detail.action? doc ID=6642590 [5] Davenport, T., & Kalakota, R. (2019). The potential for artificial intelligence in healthcare. Future healthcare journal, 6(2), 94-98. https: / / doi.org/ 10.7861/ futurehosp.6-2-94 [6] Jiang, F., Jiang, Y., Zhi, H., Dong, Y., Li, H., Ma, S., Wang, Y., Dong, Q., Shen, H., & Wang, Y. (2017). Artificial Intelligence in healthcare: Past, present and future. Stroke and Vascular Neurology, 2(4), 230-243. https: / / doi.org/ 10.1136/ svn-2017-000101 [7] Ahmad, T., Zhang, D., Huang, C., Zhang, H., Dai, N., Song, Y., & Chen, H. (2021). Artificial Intelligence in sustainable energy industry: Status quo, challenges and opportunities. Journal of Cleaner Production, 289, 125834. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jclepro.2021.125834 [8] Köhler, C., Biniaz, M. H., Bingert, S., Nolte, H., & Kunkel, J. (2022). Secure Authorization for RESTful HPC Access with FaaS Support. International Journal on Advances in Security, Vol. 15(No. 3 and 4), 119-131. https: / / hdl.handle.net/ 21.11116/ 0000-000C-C79A-6 [9] Rudolph, M., Wehrbein, T., Rosenhahn, B., & Wandt, B. (2022). Asymmetric Student-Teacher Networks for Industrial Anomaly Detection. 2023 IEEE/ CVF Winter Conference on Applica‐ tions of Computer Vision (WACV), 2591-2601. https: / / doi.org/ 10.1109/ wacv56688.2023.00262 [10] Brockmann, J. T., Rudolph, M., Rosenhahn, B., & Wandt, B. (2024). The Voraus-AD dataset for anomaly detection in robot applications. IEEE Transactions on Robotics, 40, 438-451. htt ps: / / doi.org/ 10.1109/ tro.2023.3332224 172 15 KISSKI: KI-Servicezentrum für sensible und kritische Infrastrukturen <?page no="173"?> 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie: Leistung und Effizienz, Herausforderungen und ethische Aspekte Siegfried Zürn, Karin Melzer, Senem Özdemir Abstract Diese Studie untersucht die transformativen Auswirkungen künstlicher Intelli‐ genz (KI) auf Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Automobilindustrie im Kontext des Projektmanagements (PM). Obwohl Projekte eine Schlüsselrolle für den Unternehmenserfolg haben, scheitern viele davon. Besonders in der sich stark wandelnden Automobilindustrie, ist die Integration von KI ins PM wichtig, um Herausforderungen wie autonome Fahrzeuge, Elektrifizierung und intelligente Fertigung zu bewältigen. Eine Umfrage unter F&E- und Enginee‐ ring-Experten in europäischen Automobilunternehmen zeigt, dass KI erhebliche Auswirkungen auf Leistung und Effizienz des PM hat, vor allem in der Planungs- und Überwachungsphase. Herausforderungen wie technische Komplexität, Da‐ tenschutz, Personalqualifikation und die wachsende Bedeutung ethischer Über‐ legungen werden diskutiert. Die Studienergebnisse werden im Einklang mit bestehender Literatur bewertet und bieten Ausblicke für künftige Forschungsfra‐ gen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Projektmanagement, Automobilindustrie, Umfrage, Leis‐ tung, Effizienz, Qualität, Herausforderungen, ethische Überlegungen 16.1 Kontext und Hintergrund Problemstellung Das Projektmanagement (PM) liefert einen signifikanten Beitrag zur Ausrichtung der Ressourcen eines Unternehmens im Hinblick auf die Zielerreichung und ist damit ein entscheidender Faktor für den Unternehmenserfolg. Die Bedeutung von Projekten hat in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen und 97 % der Industrieunternehmen erkennen ihre Wichtigkeit für den Geschäftserfolg an [1]. Dieser Trend ergibt sich aus der sich verändernden Struktur der Wirtschaft, in der Projekte zum Hauptinstrument für Veränderungen und Transformationen geworden sind. Darüber hinaus gibt es An‐ zeichen dafür, dass Arbeitsplätze bis 2027 mehrheitlich projektbasiert sein werden, was auch auf eine erhebliche Verlagerung hin zu projektorientierten Geschäftsmodellen hindeutet. Doch obwohl weltweit jährlich 48 Billionen US-Dollar für neue Projekte <?page no="174"?> ausgegeben werden, sind nur 35-% davon erfolgreich, was in erster Linie auf veraltete Technologien und Methodiken zurückzuführen ist [2]. Vor diesem Hintergrund verspricht KI eine Revolution, indem sie Effizienz, Ent‐ scheidungsfindung und Projektergebnisse insgesamt durch Automatisierung und da‐ tengestützte Erkenntnisse verbessert. Das Potenzial und die Bandbreite von KI für die Umgestaltung von PM-Praktiken ist enorm und reicht von der Verringerung des Verwaltungsaufwands bis hin zur Steigerung der Kreativität und Verbesserung des Projektcontrollings. Die Integration von KI in PM-Tools wie Software und Kommu‐ nikationstechnologien wird zunehmend wichtig, um effiziente Projektprozesse zu ermöglichen. Besonders für F&E-Projekte ist die Nutzung von KI ein wichtiger Erfolgs‐ faktor, da sie sich an das sich wandelnde Geschäftsumfeld anpasst, das innovative Lösungen und Flexibilität erfordert. Die erfolgreiche Integration von KI setzt jedoch ein tiefes Verständnis ihrer Fähigkeiten und die Entwicklung anspruchsvoller Methoden voraus, die auf die komplexe und multidisziplinäre Natur des PM zugeschnitten sind. Die Automobilindustrie befindet sich aktuell in einem tiefgreifenden Wandel, der durch Entwicklungen bei autonomen Fahrzeugen, Elektrifizierung und intelligenter Fertigung vorangetrieben wird. Das Engagement der Automobilindustrie in KI umfasst eine breite Palette von Anwendungen von der Herstellung und dem Design bis hin zum autonomen Fahren und dem Kundendienst, wobei der Markt 2023 einen Wert von 4,29 Mrd. USD hatte und bis 2030 voraussichtlich auf etwa 26 Mrd. USD wachsen wird [3]. Angesichts dieser transformativen Auswirkungen betont der Verband der europäischen Automobilhersteller (ACEA) die Notwendigkeit klarer und spezifischer Vorschriften in Europa, um das Potenzial der KI zur Erhöhung der Fahrzeugsicher‐ heit, der Verbesserung der Leistung und der Steigerung der Kundenzufriedenheit zu nutzen [4]. Während das ACEA-Positionspapier die Rolle der KI bei technischen und betrieblichen Aspekten ausführlich erörtert, wird der Einfluss der KI auf das Management von Projekten in der Branche nur am Rande erwähnt. Herkömmliche PM-Methoden, die in der Vergangenheit effektiv waren, reichen in diesem sich rasch entwickelnden industriellen Umfeld möglicherweise nicht mehr aus. Die Integration von KI in PM bietet die Möglichkeit, diese Einschränkungen zu überwinden und innovative Lösungen anzubieten, die sich an die dynamischen Anforderungen der Automobilindustrie anpassen und mit ihnen in Einklang bringen lassen. Forschungsschwerpunkt und Studiendesign Obwohl allgemein bekannt ist, dass KI das PM in den kommenden Jahren verändern wird, gibt es bisher kaum Daten darüber, wie KI aktuell in Projekten zum Einsatz kommt und welche Auswirkungen Projektmanager auf ihre künftige Tätigkeit sehen. Dies hat die Autoren dazu motiviert, die Lücke zu schließen und einen Beitrag zum akademischen Diskurs über den Einsatz von KI zu leisten, indem sie deren Rolle bei der Verbesserung von PM-Strategien und -Ergebnissen betrachten. Das Konzept von Industrie 5.0, das nachhaltige, auf den Menschen ausgerichtete Anwendungen 174 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="175"?> von Technologien, insbesondere von KI, beschreibt, führte zur Integration ethischer Überlegungen in die Studie. Die vorgelegte Studie soll umfassende Antworten auf zwei leitende Forschungsfra‐ gen geben. Die erste Frage zielt darauf ab, die direkten Auswirkungen der KI-Integration auf wichtige Projektmetriken in der Automobilindustrie zu untersuchen. Es geht darum, zu verstehen, wie KI traditionelle PM-Prozesse verbessern und die Effizienz und Qualität komplexer Automobilprojekte erhöhen kann. Konkret lautet die Frage: Wie beeinflusst die Integration von KI-Technologien die Leistung, Effizienz und Qualität von F&E-Projekten in der Automobilindustrie? Die zweite Forschungsfrage befasst sich mit den potenziellen Hindernissen und ethischen Konflikten, die bei der Integration von KI entstehen können. Hierbei geht es darum, die Herausforderungen zu identifizieren, denen Organisationen bei der Einführung von KI gegenüberstehen, angefangen bei technischen und datenbezogenen Herausforderungen bis hin zu ethischen Überlegungen wie Transparenz, Rechen‐ schaftspflicht und dem Gleichgewicht zwischen KI-Entscheidungen und menschlicher Kontrolle. Die Frage lautet: Was sind die wichtigsten Herausforderungen, Hindernisse und ethischen Erwägungen bei der Implementierung von KI im F&E PM der Automobilin‐ dustrie? Die der Studie zugrundeliegende Umfrage richtete sich an eine spezifische Zielgruppe, nämlich Mitarbeitende aus den Bereichen Forschung und Entwicklung sowie Technik bei Originalherstellern (OEM) und deren Zulieferern mit Schwerpunkt auf Unterneh‐ men mit Sitz in Europa. Die Struktur des Forschungsdesigns basiert dabei zuerst auf Primärdaten, die im Rahmen einer im Januar 2024 durchgeführte Umfrage unter Mitarbeitenden des Automobilsektors erhoben wurden. Sie bestand aus 20 Fragen, die verschiedene Aspekte im Zusammenhang mit der Integration von KI abdecken und denen die beiden Hauptforschungsfragen zugrunde liegen. Die ersten Fragen erheben demografische Daten über die Befragten, wie Unterneh‐ menskategorie (z. B. OEM, Automobil-Direktzulieferer), Unternehmensgröße, Jahre der Erfahrung in der Branche, Abteilung und Standort des Hauptsitzes ihrer Organisa‐ tion. Die nachfolgenden Fragen beziehen sich auf spezifische Bereiche im Zusammen‐ hang mit KI im PM, wie wahrgenommenen Auswirkungen von KI auf Leistung und Effizienz, Bereiche, die am ehesten von KI im PM profitieren, Herausforderungen bei der Integration von KI, ethische Überlegungen und persönliche Ansichten zu KI. Die Umfrage wurde in Form eines anonymen Online-Fragebogens durchgeführt. Die Information über die Studie wurde sowohl über soziale Medien und professionelle Netzwerkgruppen verbreitet als auch direkt an Führungskräfte in der Automobilindus‐ trie versandt. Darüber hinaus wurden Sekundärdaten aus der einschlägigen Literatur verwendet, um die Ergebnisse der Umfrage kritisch im Hinblick auf die Forschungs‐ fragen bewerten zu können. 16.1 Kontext und Hintergrund 175 <?page no="176"?> 16.2 Datenanalyse Da die Umfrage speziell für F&E-Projektingenieure in der Automobilbranche konzi‐ piert wurde, spiegeln die Ergebnisse auch nur die Ansichten dieser Gruppe wider. Die Meinungen von Fachleuten in anderen Rollen und Positionen innerhalb des Sektors liegen daher außerhalb des Rahmens dieser Untersuchung. Der Fragebogen wurde von insgesamt 63 Personen aus dem F&E-Bereich (48 %) und Ingenieurinnen und Ingenieuren in anderen Funktionen (52 %) des Automobilsektors ausgefüllt. Diese arbeiten bei OEMs (49 %), direkten OEM-Zulieferern (24 %) und weiteren Zulieferern (14 %); 13 % konnten sich keiner dieser Kategorien zuordnen. Die Unternehmensgröße variierte von weniger als 500 Beschäftigten (17 %) bis zu mehr als 100.000 Beschäftigten (14 %), wobei der Großteil zwischen 5.000 und 20.000 Beschäftigten (29 %) lag. Damit geben die Ergebnisse der Umfrage einen guten Überblick über verschiedene Akteure in der Branche hinweg, und die Antworten konnten auch in Bezug auf Kategorie und Größe der Unternehmen analysiert werden. Etwa 85 % der Befragten haben eine Berufserfahrung von 1 bis 10 Jahren, was für den F&E-Sektor üblich ist. Der Hauptsitz der Firmen lag hauptsächlich in Europa (81 %), wenige Teilnehmende arbeiteten bei Unternehmen mit Hauptsitz in Asien (16 %) und den USA (3-%). Um zu überprüfen, ob der Fokus der Umfrage auf den Einsatz von KI im Projekt‐ management und in der Forschung und Entwicklung auch aus Sicht der in diesen Bereichen tätigen Personen von großem Interesse ist, wurden die Befragten zuerst zu den Geschäftsbereichen gefragt, in denen sie das größte Potenzial für den Einsatz von KI sehen (Mehrfachnennungen möglich). Abbildung 16-1: Geschäftsbereiche, die aus dem Einsatz von KI einen erheblichen Vorteil ziehen können. 176 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="177"?> Neben den Kernbereichen „Datenanalyse“ und „Organisation/ Automatisierung von Geschäftsprozessen“ gehörten die Bereiche PM und F&E zu den am häufigsten genannten Antworten. Dies zeigt, dass die Fokusbereiche dieser Studie auch von den Praktikern als wichtige Bereiche im Zusammenhang mit KI angesehen werden (Abbildung 16-1). Eine große Mehrheit der Befragten ist der Ansicht, dass KI im Allgemeinen die Leistung und Effizienz von PM deutlich (35 %) oder moderat (46 %) steigert. 11 % können dazu derzeit keine Aussage treffen. Befragt nach dem direkten Einfluss von KI auf die Effizienz der eigenen Projekte, sind die Befragten zwar immer noch positiv gestimmt, jedoch etwas skeptischer und schätzen den Einfluss nicht so hoch ein wie im Allgemeinen (Abbildung 16-2). Abbildung 16-2: Auswirkungen von AI auf a) die Gesamtleistung und Effizienz von PM in der Automo‐ bilindustrie und b) auf die Projekte der befragten Personen. 75 % der Befragten stimmten einer positiven Rolle von KI bei der Entscheidungsfindung zu, was einen klaren Trend zur strategischen Integration von KI im PM zeigt. Dies unterstützt frühere Arbeiten, die eine Verlagerung hin zu stärker datengesteuerten Projektplanungs- und Projektausführungsstrategien hervorheben [5]. Hinsichtlich der Projektphase, in der F&E-Projekte in der Automobilindustrie am meisten von der KI-Integration profitieren, gaben jeweils 1/ 3 der Befragten „Planung“ und „Überwachung und Steuerung“ an (Abbildung 16-3). Dies deckt sich mit den Daten von [6] und der Verteilung der PM-Aufgaben, die das große Potenzial für eine Leistungssteigerung durch KI aufzeigen (Abbildung 16-4). Insbesondere die Ergebnisse zu „Scheduling and Timeline Management“ entsprechen den Erkenntnissen von [7]. 16.2 Datenanalyse 177 <?page no="178"?> Abbildung 16-3: PM-Phase, die am meisten von der KI-Integration profitiert Abbildung 16-4: PM-Aufgaben, die Potenzial für eine Leistungsverbesserung durch KI aufweisen (Mehrfachnennungen möglich) Eine detaillierte Analyse der Projektqualität zeigte, dass jeweils mehr als 40 % der Befragten die Aspekte „Verbesserung der kreativen Lösungen“, „Genauigkeit der 178 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="179"?> Aufgabenausführung“ und „Präzision bei der Ressourcenzuweisung“ von jeweils mehr als 40 % als wichtig erachteten, gefolgt von etwas mehr als 30 % für die „Verbesserung der Sicherheitsstandards“. Die Ergebnisse dieser Frage (Mehrfachnennungen waren möglich) bestätigen die Aussage von [8], dass KI dazu beitragen wird, Routineaufgaben im PM zu automatisieren und damit den Projektleitern zu ermöglichen, sich stärker auf strategische Ziele zu konzentrieren. Die Ergebnisse zeigen auch, dass ein signifikanter Unterschied zwischen den Aussagen aus OEM und Zulieferern besteht, wobei letztere der „Präzision der Ressourcenzuweisung“ ein höheres Gewicht beimessen. Als größte Herausforderung für die KI-Integration im F&E-PM der Automobilin‐ dustrie werden die „technische Komplexität“ (30 %), „Datenschutz- und Sicherheitsbe‐ denken“ (25 %), aber auch der „Mangel an qualifiziertem Personal“ (19 %) gesehen (Abbildung 16-5). Dass die „Veränderungsresistenz der Mitarbeiter“ weniger stark ausgeprägt ist als in anderen Studien (z. B. [9]), könnte an der Fokussierung der Studie auf F&E-Personal liegen, das zudem jünger ist (indirekt durch die Antworten zu den Berufserfahrungen) und der Digitalisierung und KI generell offener gegenübersteht. Befragte mit Arbeitgebern, die in Asien angesiedelt sind, erwähnten dabei weder „Widerstand gegen Veränderungen“ noch „hohe Anfangskosten“. Abbildung 16-5: Größte Herausforderung bei der Integration von KI in das PM der Automobilindustrie Ethische Konsequenzen wurden durch aufeinanderfolgende Fragen zu a) der allgemei‐ nen Bedeutung ethischer Überlegungen bei der Nutzung von KI, b) den wichtigsten ethischen Aspekten von KI in der Automobil-PM und c) der Bereitschaft der Automo‐ bilindustrie, diese ethischen Fragen zu behandeln, bewertet. Nur 2 % der Befragten sehen keine Bedeutung von ethischen Überlegungen im Umgang mit KI, während mehr 16.2 Datenanalyse 179 <?page no="180"?> als 70 % sie als „extrem wichtig“ (27 %) oder „sehr wichtig“ (46 %) ansehen, wie in Abbildung 16-6 dargestellt. Abbildung 16-6: Bedeutung ethischer Überlegungen im Umgang mit KI Was die verschiedenen ethischen Aspekte von KI-Anwendungen in der Automobil-PM betrifft, so ist der „Datenschutz“ für 41 % der Befragten am wichtigsten, gefolgt von „Transparenz und Erklärbarkeit“ (27 %) und „Voreingenommenheit und Fairness“ (19 %) (Abbildung 16-7). Abbildung 16-7: Die wichtigsten ethischen Aspekte der KI 180 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="181"?> Abbildung 16-8: Bereitschaft der Automobilindustrie, ethische Fragen im Zusammenhang mit KI zu behandeln Allerdings sieht etwa die Hälfte der Befragten die Automobilindustrie nicht darauf vorbereitet, mit ethischen Fragen angemessen umzugehen, nur 2 % halten die Industrie für „sehr gut vorbereitet“ (Abbildung 16-8). Die Befragten von direkten Zulieferern waren positiver eingestellt (33 % gaben an, „etwas vorbereitet“ zu sein), während die Befragten aus den Projekt- und Programmmanagementabteilungen weitgehend pessimistisch waren (40 % gaben an, „sehr unvorbereitet“ zu sein) und auch unsicherer in ihren Antworten waren (30-% „weiß nicht/ keine Meinung“). Auf die Frage, ob sie den Einsatz von KI für PM empfehlen würden, antworteten 27 %, dass sie dies umfassend tun würden, und 49 %, dass sie dies in bestimmten Bereichen tun würden. Dies zeigt, dass KI im Allgemeinen als wertvolles Werkzeug angesehen wird (Abbildung 16-9). Dies deckt sich mit der Haltung, die die Befragten in ihrem Unternehmen gegenüber KI einnehmen und deutet darauf hin, dass die PMs nicht umhinkommen, KI zu nutzen und darauf vorbereitet sind (Abbildung 16-10). Die Empfehlung könnte daher auch auf dem Gedanken beruhen, dass man selbst von geteiltem Wissen profitiert, wenn mehr Kollegen mit KI arbeiten. 16.2 Datenanalyse 181 <?page no="182"?> Abbildung 16-9: Wahrscheinlichkeit, KI für den Einsatz im PM zu empfehlen Abbildung 16-10: Einstellung der Unternehmen zum Einsatz von KI Am Ende der Umfrage wurde eine offene Frage zum „persönlichen Standpunkt zu KI“ gestellt, um die unterschiedlichen Perspektiven der Fachleute im Automobilsektor auf KI aufzuzeigen. Die Ergebnisse von 27 erhaltenen Antworten zeigen sowohl Optimismus hinsichtlich des transformativen Potenzials der KI als auch Vorsicht 182 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="183"?> hinsichtlich der damit verbundenen Risiken und ethischen Konsequenzen. Viele der Befragten gaben an, dass KI in der heutigen Automobilindustrie nicht nur als eine Option, sondern als eine Notwendigkeit angesehen wird. Während sie anerkennen, dass KI neue Möglichkeiten eröffnet, sehen nicht wenige jedoch Verbesserungsbedarf in der organisatorischen Kompetenz und bei der Lösung ethischer Fragen, was die Ergebnisse in Abbildung 16-8 widerspiegelt. Für jede einzelne Antwort wurde eine Sentiment-Analyse mit Hilfe der Text-Blob-Bi‐ bliothek durchgeführt. Mit dieser Methode wird ein Stimmungswert zugewiesen, der von -1 (am negativsten) bis 1 (am positivsten) reicht, während 0 einen neutralen Ton angibt [10]. Der aus den Antworten errechnete durchschnittliche Wert liegt bei 0,12, was auf eine ambivalente Wahrnehmung der Befragten gegenüber der KI in der Automobilindustrie hindeutet. Diese Ergebnisse reflektieren die unterschiedlichen Perspektiven von Fachleuten im Automobilsektor in Bezug auf KI. Sie umfassen sowohl Optimismus für das transformative Potenzial von KI als auch Vorsicht aufgrund der damit verbundenen Risiken und ethischen Konsequenzen. 16.3 Schlussfolgerungen und Vorschläge für weiterführende Studien Die Automobilindustrie wird vom Streben nach Innovation und Effizienz angetrieben. KI verspricht darin, die Erfolgsquoten zu erhöhen, indem die traditionellen Rollen von Projektleitern und Managern in strategischere und analytischere Rollen umgewandelt werden. Mit den technologischen Fortschritten wird die Integration von KI in verschie‐ dene Bereiche des Sektors im Allgemeinen nicht nur als Verbesserung der aktuellen Prozesse gesehen, sondern auch als Wegbereiter für zukünftige Entwicklungen. Der Automobilsektor mag bei der Adoptionsrate von KI im Vergleich zu Branchen wie dem Finanz- oder Gesundheitswesen noch Nachholbedarf aufweisen. Er gehört jedoch zur Gruppe der „New Adopter“, was auf ein beträchtliches Wachstums- und Entwick‐ lungspotenzial bei der Integration von KI in PM in naher Zukunft hinweist. Die vorliegende Studie zur Integration von KI im F&E PM der Automobilindustrie - die sich auf Leistung und Qualität, Herausforderungen und ethische Erwägungen kon‐ zentrierte - erbrachte wichtige Erkenntnisse über die Komplexität der Integration von KI in der Automobilforschung und -entwicklung. KI bringt einen bedeutenden Wandel in der Automobilindustrie mit sich, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, die von technologischen Fähigkeiten bis zu ethischen Bedenken reichen. Während der Schwerpunkt derzeit noch eher auf den technischen und operativen Aspekten liegt, könnte die strategische Integration von KI in das PM zu einem höheren Leistungs-, Effizienz- und Qualitätsniveau im Automobilsektor führen. Die starke Zustimmung zur Rolle der KI bei der strategischen Entscheidungsfindung in Verbindung mit der breiten Anerkennung ihrer operativen Vorteile zeigt eine umfassende Befürwortung der KI-Fähigkeiten im PM. Dies bestätigt die Ergebnisse von [11], die die positiven 16.3 Schlussfolgerungen und Vorschläge für weiterführende Studien 183 <?page no="184"?> Auswirkungen der KI auf strategische Entscheidungsfindung, Zuverlässigkeit, Strate‐ gie, emotionale Intelligenz und Entscheidungsprozesse betont hatten. Fasst man die Antworten zu ethischen Aspekten zusammen, wird deutlich, dass die Befragten aus der Automobilindustrie die entscheidende Bedeutung ethischer Überlegungen bei KI-Anwendungen anerkennen, wobei der Schwerpunkt auf dem Da‐ tenschutz liegt. Dies unterstreicht die Diskussionen in früheren Arbeiten, insbesondere von [12], der die dringende Notwendigkeit von Rechenschaftspflicht und Transparenz hervorhebt, sowie von [13], die die Notwendigkeit robuster Datenschutzmaßnahmen betonen, und [14], die die Risiken der Replikation bestehender Vorurteile durch KI ana‐ lysiert haben. Die Bereitschaft der Branche, mit diesen ethischen Fragen umzugehen, wurde jedoch unterschiedlich eingeschätzt. Während sich die meisten Befragten über die große Bedeutung der Ethik einig waren, variierte die Einschätzung der Bereitschaft, sich mit diesen Fragen zu befassen. Hier gibt es offensichtlich Verbesserungspotenzial in der Branche. Die wachsende Akzeptanz und die positive Einstellung gegenüber der Einführung von KI in der Branche, die aus den Antworten auf die Umfrage hervorgeht, weisen auch auf die Notwendigkeit eines kulturellen und organisatorischen Wandels hin. Dieser Wandel beinhaltet nicht nur die Anerkennung des Potenzials der KI, sondern auch die aktive Förderung eines Umfelds, das die Integration von KI in die PM-Praktiken unterstützt. Ein solches Umfeld sollte kontinuierliches Lernen, Anpassungsfähigkeit und ethische Überlegungen fördern---Aspekte, die für eine erfolgreiche Implementie‐ rung entscheidend sind. Eine zunehmende organisatorische Unterstützung für KI ist ebenfalls entscheidend für den zukünftigen Erfolg. Viele Befragten betonten das Gleichgewicht zwischen KI und menschlicher Ent‐ scheidungsfindung, insbesondere in den Bereichen Risikoanalyse, Bewertung der Teamleistung und Produktivitätsverbesserung. Weitere Forschung ist daher notwen‐ dig, insbesondere zur KI-getriebenen Digitalisierung, zur Einführung von Industrie 5.0 und zu den differenzierten Auswirkungen von KI auf bestimmte Aspekte der Projektleistung. Im weiteren Sinne geht der Einfluss der KI auf die Automobilindustrie über technologische Upgrades und Projektmanagement hinaus. [15] untersuchten, wie sich die KI-Geschäftsmodelle im Automobilsektor umgestalten. Diese Studie zeigte die Rolle der KI bei der Verbesserung von Produktion und Geschäftsabläufen durch Datenanalyse und Problemlösung. Sie unterstrich die Wichtigkeit, technologische In‐ novationen mit Geschäftsmodellen für eine fortschrittliche Wertschöpfung in Einklang zu bringen, um Kundenbeziehungen, Produktangebote und die allgemeine betriebliche Effizienz zu verbessern. Diese Aspekte wurden in der vorliegenden Studie nicht untersucht und sollten in weiteren Studien ebenfalls vertieft werden. 184 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="185"?> Literatur [1] Lee, Christina. Why Project Management Is Critical to Your Organization. [Online] Bain & Company, 11. September 2023. [Zitat vom: 11. März 2024.] https: / / www.simplilearn.com/ wh y-project-management-is-critical-to-your-organization-article. [2] Nieto-Rodriguez, A., Vargas, R.V. How AI will transform project management Harvard Business Review. Feb 2023 [Zitat vom: 11. März 2024.] https: / / hbr.org/ 2023/ 02/ how-ai-will-t ransform-project-management. [3] NextMSC. Automotive Artificial Intelligence (AI) Market by Component, by Technology, and by Application---Global Opportunity Analysis and Industry Forecast, 2024-2030. [Online] Januar 2024. [Zitat vom: 11. März 2024.] https: / / www.nextmsc.com/ report/ automotive-artifi cial-intelligence-market. [4] ACEA. Position Paper - Artificial Intelligence in the Automobile Industry. [Online] ACEA - European Automobile Manufacturers’ Association, 24. November 2020. [Zitat vom: 11. März 2024.] https: / / www.acea.auto/ publication/ position-paper-artificial-intelligence-in-the-auto‐ mobile-industry/ . [5] Somasundaram, M., Mohamed Juinad, K. A. und Mangadu, Srinivasan. Artificial Intelligence (AI) Enabled Intelligent Quality Management System (IQMS) For Personalized Learning Path. Procedia Computer Science. 2020, Bd.-172, S.-438-442, DOI: 10.1016/ j.procs.2020.05.096. [6] Prieto, Bob. Impacts of Artificial Intelligence on Management of Large Complex Projects. PM World Journal. June 2019, Bd. VIII, V (https: / / www.researchgate.net/ publication/ 334162 272_Impacts_of_Artificial_Intelligence_on_Management_of_Large_Complex_Projects). [7] Gao, Ailian, Guillao, Nolan L. und Yu, Ziping. Modern Engineering Project Management Based on Deep Artificial Intelligence Technology. Atlantis Press, 27. Dezember 2022, Pro‐ ceedings of the 2022 3rd International Conference on Modern Education and Information Management (ICMEIM 2022), S.-225-233, DOI: 10.2991/ 978-94-6463-044-2_30. [8] Belharet, Adel et al. Report on the Impact of Artificial Intelligence on Project Management. Machine Learning eJounal. 30. Juni 2020, Abrufbar: SSRN: https: / / ssrn.com/ abstract=366068 9 oder DOI: 10.2139/ ssrn.3660689. [9] Alsheiabni, Sulaiman, Cheung, Yen und Messom, Chris. Factors inhibiting the adoption of artificial intelligence at organizational-level: a preliminary investigation. [Buchverf.] M. Santana und R. Montealegre. AMCIS 2019 Proceedings: Association for Information Systems, 2019, S.-2, (https: / / aisel.aisnet.org/ amcis2019/ adoption_diffusion_IT/ adoption_diffusion_IT/ 2/ ). [10] Gujjar, J. Praveen und Kumar, H. Prasanna. Sentiment analysis: Textblob for decision making. International Journal of Scientific Research & Engineering Trends. März-April 2021, Bd.-7, 2, S.-1097-1099. [11] Sravanthi, Jakkula et al. AI-Assisted Resource Allocation in Project Management. 3rd In‐ ternational Conference on Advance Computing and Innovative Technologies in Engineering (ICACITE). Greater Noida, India-: IEEE, 2023, DOI: 10.1109/ ICACITE57410.2023.10182760. [12] Huriye, Aisha Zahid. The Ethics of Artificial Intelligence: Examining the Ethical Conside‐ rations Surrounding the Development and Use of AI. American Journal of Technology. 25. 16.3 Schlussfolgerungen und Vorschläge für weiterführende Studien 185 <?page no="186"?> April 2023, Bd.-2, 1, S.-37-45 (https: / / gprjournals.org/ journals/ index.php/ AJT/ article/ view/ 1 42). [13] Aldoseri, Abdulaziz, Al-Khalifa, Khalifa N. und Hamouda, Abdel Magid. Re-Thinking Data Strategy and Integration for Artificial Intelligence: Concepts, Opportunities, and Challenges. Applied Sciences. 2023, Bd.-13, 12, DOI: 10.3390/ app13127082. [14] Stahl, Bernd Carsten et al. Organisational Responses to the Ethical Issues of Artificial Intelligence. AI & SOCIETY. März 2022, Bd.-37, S.-23-37, DOI: 10.1007/ s00146-021-01148-6. [15] Gryth, Emil und Rundberg, David. Am AI ready? Investigating the impacts of Artificial Intelligence on business within the automotive industry. University of Gothenburg, 2018, Masterarbeit, http: / / hdl.handle.net/ 2077/ 57242. 186 16 KI-Integration im F&E-Projektmanagement der Automobilindustrie <?page no="187"?> Teil C: Weitere praktische Anwendungsfälle von KI <?page no="189"?> 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement Miriam Sasse, Joachim Pfeffer Abstract Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Kontext von Projektmanagement ist ein zunehmend wichtiger Aspekt in einer sich dynamisch verändernden Arbeitswelt. In diesem Beitrag verdeutlichen zwei Fallstudien die Integration von KI in unterschiedlichen Projekten: Die erste Studie beschreibt die Anwen‐ dung von KI in einem Entwicklungsprojekt für Verkaufsautomaten, während die zweite sich auf ein KI-unterstütztes Marketingprojekt einer Agentur für einen Hybrid-Cloud-Anbieter konzentriert. Beide Studien betonen die Notwendigkeit agiler Ansätze, um flexibel auf die Potenziale und Herausforderungen von KI zu reagieren. Die Zusammenarbeit in und zwischen interdisziplinären Teams und die kontinuierliche Anpassung der Vorgehensweisen auf die sich ändernden Möglichkeiten der KI sind entscheidende Elemente für den erfolgreichen Einsatz von KI im Projektmanagement. Stichwortliste Agile Ansätze, Scrum, Produktentwicklung, Marketing, Dynamische Märkte, Lieferketten, Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Organisationsentwicklung 17.1 Einleitung Es sind die Projekte, die hohen Dynamiken ausgesetzt sind, die nicht langfristig planen können: Turbulenzen am Markt, im eigenen Team und in der verwendeten Technologie sorgen dafür, dass sie darauf angewiesen sind, sich in kleinen Schritten, iterativ inkrementell, ihren Zielen zu nähern. Dieses Kapitel zeigt, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in unseren Projekten reaktionsschneller macht und uns viele Möglichkeiten bietet, um robuster auf Turbulenzen zu reagieren. Gleichzeitig fordert KI uns aber auch dazu auf, uns noch mehr unberechenbaren Faktoren zu stellen. Wir werden sehen: Wenn wir KI für das Management und die Umsetzung unserer Projekte einsetzen, verstärken und vermehren sich die Abhängigkeiten von Mitarbeitenden, Lieferanten, Kunden, Technologien und Prozessen. Eine stärkere Vernetzung unterein‐ ander bedeutet immer: mehr Komplexität, weniger Transparenz, mehr Instabilität und höhere Dynamik. KI liefert deutlich schneller Ergebnisse als menschliche Arbeit und fordert, sich iterativ und inkrementell an Ergebnisse heranzutasten. Der Unterscheidung des veränderten Projektkontextes weisen wir die Begriffe „komplex“ beziehungsweise „kompliziert“ zu: ein kompliziertes Projektumfeld lässt <?page no="190"?> sich mit ausreichend Wissen beherrschen, vorhersehen und steuern. Je mehr wir über die Projektinhalte lernen, desto mehr können wir bewusst handeln und entscheiden. Ein komplexes Projektumfeld besteht aus einer Vielzahl von Überraschungen, die wir nicht vorhersehen und planen können. Dieses Umfeld kann nicht zielgerichtet gesteuert oder durch Lernen beherrscht werden. Wir benötigen Könner, die durch intuitives Agieren und Experimentieren die Probleme im Projekt lösen. In einer McKinsey Studie von 2023 [1] wird aufgezeigt, dass sich der Einsatz generativer KI insbesondere auf vier Unternehmensfunktionen auswirken kann: Kun‐ denbetreuung, Marketing und Vertrieb, Software-Engineering sowie Forschung und Entwicklung. Laut der Studie können diese etwa 75 Prozent des jährlichen Gesamtwerts von generativen KI-Anwendungsfällen ausmachen. Im Folgenden stellen wir Projekte aus zwei der aufgeführten Unternehmensfunkti‐ onen vor. Wir zeigen auf, wie diese unterschiedliche KI-nutzende Tools eingesetzt und wie sich die Organisationen dadurch verändert haben. Was beide Projekte vereint: Sie wählten im Laufe der Projektbearbeitung bewusst eine agile Arbeitsweise, um auf die Auswirkungen der KI-Nutzung zu reagieren. 17.2 KI in der Produktentwicklung Um das Zusammenspiel von KI und agiler Entwicklung zu beschreiben, schildern wir das Beispiel eines Scrum Teams in einem mittelständischen Unternehmen, das Verkaufsautomaten entwickelt. Diese Automaten sind mechatronische Systeme, die von einer eher undefinierten und ungeschulten Benutzergruppe bedient werden. Über einen großen Touch-Bildschirm kann Werbung eingespielt werden und es können weitere, zum gewählten Artikel passende Produkte beworben werden. Die Menüfüh‐ rung für Produktauswahl, Produktempfehlung und Bezahlung wird regelmäßig anhand von Nutzungsdaten angepasst. Wie wurde KI eingesetzt? Das beschriebene Scrum Team hatte bereits die Vorgängermodelle der entsprechenden Automaten-Baureihe entwickelt. Seit 2023 setzt das Team zunehmend auf den Einsatz von KI-Werkzeugen, um das Bedienkonzept zu optimieren und die Entwicklung neuer mechatronischer Module für die Produktlagerung und -ausgabe zu konzipieren und zu testen. In der Vergangenheit wurden die Daten der Automatennutzung aus dem Feld automatisch gesammelt und regelmäßig durch den Einsatz von Skripten nach bestimm‐ ten Attributen und Zusammenhängen untersucht. Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz konnte die Qualität der Auswertungen deutlich verbessert werden, denn die bisher verwendeten Skripte konnten keine Querverbindungen erkennen, die von den Programmier: innen nicht schon angedacht waren. Der wesentliche Fortschritt wurde jedoch dadurch erzielt, dass durch verschiedene KI-basierte Werkzeuge auf Basis 190 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement <?page no="191"?> der Analysen auch Vorschläge für alternative Benutzerführungen und Bildschirm-Lay‐ outs generiert werden konnten. Dazu zählten auch Vorschläge für den hinter der Benutzungsoberfläche liegenden Quellcode, für den erforderlichen Test-Code und für die Dokumentation (Ablauf- und Zustandsdiagramme). Diese Vorschläge konnten angenommen, abgelehnt und ergänzt werden, wodurch sich der Durchlauf von der Analyse der Daten bis zu einer neuen Software für die Bedienung des Automaten deutlich verkürzte. Die Verkaufsautomaten verfügen über ein modulares Konzept für die Komponenten zur Lagerung und Ausgabe der Produkte. Bei den Vorgänger-Baureihen wurde bei der Produktion eines Automaten eine bestimmte Konfiguration zusammengebaut, bei der aktuellen Baureihe kann dies auch durch Servicetechniker im Feld durchgeführt wer‐ den, wenn die Betreiber der Automaten ihr Sortiment entsprechend ändern möchten. Auf der Systemebene wurde KI zunächst eingesetzt, um Testpläne für neue Automa‐ ten-Konfigurationen zu erstellen (der Systemtest muss trotz der Automatisierung auf Software-Ebene manuell durchgeführt werden). Aktuell arbeitet das Team daran, für neue Module Vorschläge zum Lagerungs-Layout und zur Handhabung auch durch die KI generieren zu lassen. Wie mussten die Vorgehensweisen im Projekt angepasst werden? Vor dem Einsatz der KI hat das Entwicklungsteam in Scrum in einem zwei-Wochentakt gearbeitet. In diesem Takt wurden auch neue Softwarestände für den Systemtest freigegeben. Dieser Test wurde nachgelagert von der Produktion durchgeführt, so dass ein gesamter Durchlauf für eine neue Software mindestens vier Wochen bis zur endgültigen Freigabe benötigt hat. Freigegebene neue Software wurde online auf die Automaten mit der entsprechenden Service-Vereinbarung aufgespielt, so dass ab dann die Veränderungen im Nutzungsverhalten und im Umsatz untersucht werden konnten. Neue bzw. angepasste Hardware-Module wurden zwar vom Scrum-Team konzipiert, die detaillierte Konstruktion und der Musterbau wurde jedoch von einem anderen Team durchgeführt. Die Entwicklung neuer Hardware-Module benötigte mehr als 4 Wochen, wurde aber auf den Takt des Scrum-Teams angepasst, so dass in der Regel nach 8 Wochen auch neue oder modifizierte Hardware in den Test einbezogen werden konnte. Die größte Auswirkung der KI war auf der Seite der Software-Entwicklung zu spüren. Die Analyse der Daten und die Anpassung des Bedienkonzepts - was bisher nur knapp in zwei Wochen zu schaffen war - war jetzt zu einem Großteil automatisiert und mit ein paar manuellen Modifikationen an einem halben Tag zu schaffen. Die Aufgabe der Software-Expert/ innen im Team hat sich verschoben: Weg von der Software-Entwicklung, hin zur Evaluierung der von der KI generierten Vorschläge. Während bisher jeweils nur eine neue Version für ein neues Werbe- und Bedienkonzept erstellt wurde, können jetzt mühelos verschiedenen Varianten generiert werden, die dann auch auf verschiedenen Automaten im Feld mit A/ B Tests erprobt werden können. 17.2 KI in der Produktentwicklung 191 <?page no="192"?> Bezüglich des Bedienkonzepts musste das Team jetzt lediglich entscheiden, welche der generierten Varianten im Feld erprobt werden sollen. Isoliert für die Betrachtung der Varianten im Bedienkonzept wäre es so möglich gewesen, neue Software-Versionen in einem täglichen Takt zu veröffentlichen. Damit wären jedoch nicht nur die Systemtests und die Mechatronik-Entwicklung zum Nadelöhr geworden, sondern auch die Endkunden, die ggf. täglich an einem Automaten in der Nachbarschaft eine neue Menüführung vorgefunden hätten. Da das Team die Software für die Ansteuerung der Warenausgabe, wie auch jene für die Anbindung der Zahlungsabwicklung vorerst jedoch weiterhin von Hand entwickelt hat, wurde beschlossen, die Sprintlänge und den internen Release-Zyklus von zwei Wochen auf eine Woche zu verkürzen. Ohne diese noch vorherrschenden Rahmenbedingungen wäre der bewährte Scrum-Ansatz durch den Einsatz von KI an seine Grenzen gekom‐ men: Auch wenn in Scrum täglich „released“ werden kann, so wird normalerweise doch für ein bis zwei Wochen geplant. Um der neuen Geschwindigkeit bei der Software-Entwicklung Rechnung tragen zu können, wurde in Abstimmung mit der Entwicklungsleitung beschlossen, Systemtest und Mechanik-Konstruktion mit in das Scrum Team aufzunehmen. Das Team ist dadurch gewachsen, Teile der benötigten Fähigkeiten waren jedoch im Team schon vorhanden. Durch die Integration des Systemtests in das Scrum Team und die KI-ge‐ nerierten Testpläne konnte die operative Zeit für den Systemtest halbiert werden, vor allem aber konkurrierte der Test nicht mehr mit anderen Tätigkeiten in der Fertigung und konnte dadurch sofort begonnen werden. Damit konnte die „Lieferzeit“ für den Systemtest von einer Woche auf einen Tag reduziert werden. Für die schnellere Fertigung von Mustern für die mechatronischen Module war die Verfügbarkeit von Maschinen und Werkzeugen sowie das Lieferantennetz der neue Engpass. Aufgrund der Erkenntnisse durch den Einsatz von KI ist das mittelfristige Ziel des Unternehmens, die Fertigungstiefe zu erhöhen und eine schlechtere Auslastung der Infrastruktur des Musterbaus zugunsten einer höheren Geschwindigkeit zu akzeptie‐ ren. Um mit der neu erreichten Geschwindigkeit mithalten zu können, muss die Ressour‐ cenauslastung im Umfeld des Scrum Teams reduziert werden, um Warteschlangen im Unternehmen zu reduzieren. Die niedrigere Auslastung sorgt für Geschwindigkeit, kostet aber auch Geld. Hier muss je nach Branche und Prozess durch den Einsatz der KI das wirtschaftliche Optimum neu justiert werden. Welche Vorteile haben agile Elemente in diesem Umfeld gebracht? Der Einsatz der KI bei der Analyse von Daten aus dem Feld, bei der Ableitung von Änderungen, wie auch beim Software- und Hardware-Engineering hat nicht nur die Geschwindigkeit in der Produktentwicklung, sondern auch die Qualität der Anforderungen deutlich erhöht. 192 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement <?page no="193"?> Es hat sich gezeigt, dass die Arbeit mit KI in der Produktentwicklung auch deutliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und die Abläufe in der Entwicklungsorgani‐ sation und das Lieferantennetz haben. Agile Arbeitsweisen bieten eine gute Basis für die Veränderungen, die der KI-Einsatz mit sich bringt. Der agile Gedanke von crossfunktionalen Teams und kurzen Zyklen musste hierdurch weiter fokussiert werden. Im ersten Schritt wurde das Team um die fehlenden Kompetenzen erweitert, um durch die Reduzierung der Schnittstellen die neu ermöglichte Geschwindigkeit nutzen zu können. Die KI-Werkzeuge und deren Verwendung wird sich in Zukunft rasant weiterentwickeln, was wiederum eine weitere Erhöhung der Entwicklungstiefe im agilen Kontext notwendig machen wird. Da die optimale Größe eines agilen Teams naturgemäß begrenzt ist, wird dies ein enges Zusammenspiel von mehreren agilen Teams erfordern. Diese müssen nicht zwangsläufig alle über dieselbe Crossfunktiona‐ lität verfügen, das Konzept der „Team Topologies“ [2] gibt einen erprobten Rahmen, um eine wachsende Entwicklungsorganisation schnell und flexibel zu halten. Durch die Beschleunigung auf der Software- und Systemtest-Ebene sind neue Gesprächsthe‐ men in die Strategierunden des Managements eingezogen: Entwicklungsorganisation, Fertigungstiefe, Verfügbarkeit von Infrastruktur und die Ausprägung von Lieferanten‐ beziehungen. Hierfür müssen bei allen angestrebten Änderungen der Organisation die Kosten-Nutzen-Verhältnisse sorgsam abgewogen werden, da sich das Geschäftsmodell in der Branche der Verkaufsautomaten d nicht beliebig weit skalieren lässt. Das Zusammenspiel von KI und agilen Ansätzen ist für „beide Welten“ gewinn‐ bringend: Der Einsatz von KI bringt Veränderungen mit sich, die sich gut in agile Arbeitsweisen einfügen, die agilen Arbeitsweisen profitieren von neuen Dimensionen in Geschwindigkeit und Qualität. 17.3 KI-unterstütztes Marketingprojekt Bei dem betrachteten Projekt handelt es sich um ein Dienstleistungsprojekt einer Marketingagentur. Die Agentur bietet eine umfassende Palette von Marketing-Dienst‐ leistungen an, einschließlich Werbung, Public Relations, Social-Media-Marketing, Content-Erstellung, Markenentwicklung und mehr. Sie wurde als Full-Service-Marke‐ tingagentur von einem Hybrid-Cloud-Anbieter für ein zweijähriges Projekt beauftragt. Ein Jahr vor Veröffentlichung des neuen Produktes sollte eine umfangreiche Marke‐ tingkampagne geplant und umgesetzt werden. Die Marketingagentur sollte sowohl das Produkt - die neuartige Plattform für den Zugriff auf mehrere öffentliche und private Cloud Ressourcen - als auch die darauf aufbauenden angebotenen Dienstleistungen bewerben. Im ersten Schritt sollte das Unternehmen als neuer Anbieter dieser Art von Produkten am Markt bekannt gemacht werden. Das Projekt der Marketingagentur wurde mit acht Projektphasen geplant: 17.3 KI-unterstütztes Marketingprojekt 193 <?page no="194"?> ■ Planungsphase: Definieren der Ziele, Zielgruppen und Botschaften der Kampa‐ gne. Festlegung von Budgets und Zeitplänen. ■ Recherchephase: Sammeln von Daten über die Zielgruppe, den Markt und Wettbewerber, um fundierte Entscheidungen zu treffen. ■ Strategie-Entwicklungsphase: Festlegen der Marketingstrategie, einschließlich Kanälen, Botschaften und Kreativkonzepten. ■ Umsetzungsphase: Erstellung von Inhalten, Grafiken, Werbematerialien und Implementierung der Kampagne auf verschiedenen Plattformen. ■ Veröffentlichungsphase: Starten der Kampagne und Überwachung der Leistung in Echtzeit. ■ Analysephase: Auswerten von Daten und Kennzahlen, um den Erfolg der Kam‐ pagne zu messen und mögliche Anpassungen vorzunehmen. ■ Optimierungsphase: Auf Grundlage der Analyseergebnisse werden Verbesse‐ rungen vorgenommen und die Kampagne gegebenenfalls anpassen. ■ Abschlussphase: Dokumentation der Ergebnisse, Erfahrungen und Einsichten für zukünftige Projekte. Für das Projekt wurde ein gemischtes Team aus Mitarbeitern der Marketingagentur und des beauftragenden Unternehmens aufgesetzt. Für die Marketingagentur stellte das Projekt methodisch keine Herausforderung dar, jedoch war es der erste Auftrag eines Hybrid-Cloud-Anbieters in einem völlig unbekannten Marktsegment. Für die Mitarbeitenden des Auftraggebers war es ein bekanntes Produkt- und Marktumfeld, aber methodisch vollkommen neu und das erste Marketingprojekt für ihr neues Produkt. Das Projekt fand unter einmaligen Bedingungen statt und hatte klare zeitliche, finanzielle und personelle Begrenzungen, unter denen die festgelegten Marketingziele mit dem Projektteam erreicht werden sollten. Wie wurde KI eingesetzt? In wenigen Bereichen hat die Marketingagentur bereits vor dem Projekt Erfahrungen mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz gemacht. Der Einsatz von Google Analytics und IBM Watson Studio gehört für die Agentur zu bekannten Werkzeugen, auch wenn sie sich selbst kontinuierlich mit neuen Funktionalitäten vertraut machen müssen. Google Analytics verwendet künstliche Intelligenz für die Analyse von Website-Daten, um Einblicke in das Nutzerverhalten, die Interessen der Zielgruppen und die Kampag‐ nenleistung zu gewinnen. Mittels IBM Watson Studio gestalteten sie KI-Modelle für fortschrittliche Analysen und Vorhersagen im Marketingbereich. Das gemischte Projektteam entschied gemeinsam, dass es im Rahmen seines Projek‐ tes tiefer in die Nutzung von KI-Tools einsteigen will, um die Effizienz und Wirksamkeit zu steigern. Das Team erkannte, dass jedes Produkt bereits allein sehr mächtig ist, aber die wahre Magie erst passiert, wenn man sie zusammen benutzt. Durch die Recherche des Projektteams wurde klar, dass man das Marketingkonzept nicht nur 194 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement <?page no="195"?> kurzfristig umsetzen und mit einer Marketingkampagne initiieren, sondern langfristig als kontinuierliche Aktivität etablieren wollte. Durch Funktionen wie Datenanalyse, Automatisierung und Optimierung, die durch die KI einzelner Tools wesentlich effizi‐ enter gestaltet werden kann, änderte sich die Richtung des Projektes maßgeblich. In jeder der vorgesehenen Projektphasen war es möglich, KI-Unterstützung gewinn‐ bringend einzusetzen. In der Planungsphase konnte KI dabei unterstützen, die Ziel‐ gruppen und Stakeholder zu analysieren und verschaffte dem Team gute Einblicke in die Bedürfnisse der Personengruppen. Denn wer sich im Internet informiert, um seine Kaufentscheidung vorzubereiten, hinterlässt Spuren. Diese Daten werden gesammelt und für individualisierte, maßgeschneiderte Angebote und zur Hyperpersonalisierung von Websites, Landingpages, Onlineshops und Apps genutzt. Erste Botschaften zur Relevanz der Kampagne und eine individuelle Anpassung der Projektunterlagen waren möglich. In der Recherchephase konnten die Leistungen bisheriger Anzeigen überwacht und Platzierungen und Targeting ausgewertet werden. Mit Salesforce Einstein wurden erweiterbare KI-Funktionen genutzt, die mit prädiktiver und gene‐ rativer künstlicher Intelligenz Kundendaten auswerteten und das Potential für die Unternehmensziele daraus ableiteten. Mit Beginn der Recherchephase wurde sichtbar, welches Potential für das Projekt in der Anwendung von KI lag, und die Vorgehensweise wurde daraufhin angepasst. Man beschloss gemeinsam, das volle Potential der Technologien zu nutzen und bereits im frühen Stadium des Projektes marketingwirksame Aktivitäten durchzuführen, um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe zu erlangen. Durch die Nutzung von KI-Algorithmen war es möglich, das Verhalten der Zielgruppe zu analysieren, Trends vorherzusagen und Strategien daraus abzuleiten. Durch starke Dynamiken am Markt sank jedoch die Halbwertszeit dieser Ergebnisse. Der Algorithmus schlug beispielsweise in monat‐ lichen Abständen andere Marketingkanäle und Fokusthemen vor. Der Beschluss folgte, schon frühzeitig mit KI-gesteuerten Chatbots für die Kunden‐ interaktion zu arbeiten, um Anfragen zu beantworten, aber auch auswerten zu können. Dies ist mit Chatbot-Plattformen wie Dialogflow oder Microsoft Bot Framework möglich. Schon jetzt bot es sich an, wiederholende Aufgaben zu automatisieren. Hierzu gehörten Anzeigenplatzierungen (z. B. mit AdRoll), personalisierte E-Mails und Social-Media-Posts. Diese und weitere Veröffentlichungen konnten automatisch veröffentlicht und in Echtzeit überwacht werden. Dadurch konnte schnell ein Stim‐ mungsbild gewonnen werden, um die Kampagne in kurzen Iterationen zu optimieren. Das Tool Optimizely verwendet KI für die A/ B-Testoptimierung, um die Leistung unterschiedlicher Website-Elemente oder unterschiedlicher Social-Media-Aktivitäten miteinander zu vergleichen und nach ihrer Wirksamkeit zu bewerten. Das Projektteam experimentierte auch mit D365 Marketing Copilot von Microsoft, um zu schauen, welchen Grad an Hyperpersonalisierung sie auf einer Landingpage erreichen können. Dabei generiert die KI die angezeigten Inhalte auf der Landingpage in Realtime für jeden einzelnen Nutzenden auf der Homepage entsprechend seinen Daten. 17.3 KI-unterstütztes Marketingprojekt 195 <?page no="196"?> Es gibt verschiedene Tools und Softwareprogramme, die Künstliche Intelligenz in Marketingkampagnenprojekten unterstützen. Als Projektleiter des Projektes erhält man kontinuierlich Vorschläge, welche Marketinginstrumente und -anwendungen wann nützlich sein könnten. Das maschinelle Lernen von Tools wie Criteo, TensorFlow oder PyTorch bietet einen Rahmen für maßgeschneiderte KI-Modelle, die Marketing‐ projekte in völlig anderem Licht erscheinen lassen. Wie mussten die Vorgehensweisen im Projekt angepasst werden? Das Team wollte die diversen Möglichkeiten ausgiebig nutzen. Über die ersten Phasen des Projektes entwickelte sich der KI-Einsatz von einem unterstützenden Hilfsmittel zu einer agierenden Einheit, die iterativ inkrementell Daten auswertete und autonom agieren konnte. Die Technologie bewegte das Team von einer anfänglich klassischen Projektführung hin zu einer agilen Arbeitsweise. Dadurch ergab sich ein wesentlich kürzerer Zyklus von Recherche-, Analyse- und Strategieergebnissen hin zu direkt umgesetzten Inhalten, Werbematerialien, Anzeigen und Social-Media-Postings. Jeder einzelne durchgeführte Sprint (mit der Dauer von drei Wochen) enthielt User Stories, die die innerhalb des Sprints alle Phasen abbildeten: von der Recherche und Analyse bis hin zur Auswertung der Implementierung und Sentiment-Analyse. In der Senti‐ ment-Analyse, auch Stimmungsanalyse genannt, werden aus Texten mittels Natural Language Processing (NLP) Äußerungen von Meinungen und Gefühlen herausgefiltert und ein Stimmungsbild erstellt. War der Lösungsweg zu Beginn des Projektes noch bekannt, wurde er durch die Einbindung der KI-nutzenden Tools langfristig unbekannter, aber kurzfristig für den nächsten Sprint sehr viel konkreter und auch immer effektiver. Da KI-Technologien sich schnell weiterentwickeln, ermöglicht die Agilität in Dienstleistungsprojekten eine rasche Anpassung an neue Erkenntnisse, Modelle oder Technologien. Die sich ändernden Geschäftsanforderungen und neuen Erkenntnisse während des Entwick‐ lungsprozesses machten eine flexible Reaktion auf Unsicherheiten notwendig. Zusätz‐ lich sorgten die Vorgehensweisen und die Ergebnisse des Projektteams für mehr Aufmerksamkeit und mehr Beteiligungswunsch bei den Stakeholdern. Immer mehr Personen wollten gerne informiert oder sogar beteiligt werden. Viele Entscheidungen, die das Team mit KI-Unterstützung getroffen hat, wurden in Frage gestellt. Stakeholder waren der Meinung, dass die Komplexität mehr und mehr zur Blackbox wurde und eine einfache Entscheidung äußerlich vortäuschte. Das Projektteam verlor die Fähigkeit, Neues zu entscheiden. Die KI zeigte ihnen, basierend auf verfügbaren Daten, genau die Resultate, die die Person erwartete zu sehen. Den Stakeholdern fiel die Durchschnittlichkeit und die fehlende Reflexion und Unterscheidung innerhalb der Vorschläge auf. Vorschläge wurden als einfallslos, weichgezeichnet, sexistisch, entfremdet und unterkomplex bezeichnet. 196 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement <?page no="197"?> Welche Vorteile haben agile Elemente in diesem Umfeld gebracht? Der Einsatz der neuen Technologie sorgte für eine höhere Dynamik innerhalb des Teams und zu stark schwankenden Meinungen bezüglich der Technologie. Der Einsatz agiler Elemente im Projektteam war aufgrund der kurzen Arbeitszyklen zwingend erforderlich. Die Agilität förderte eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Stakeholdern, einschließlich Entwicklern, Datenwissenschaftlern und Endbenutzern. Dies ist entscheidend, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten während des gesamten Projekts auf dem gleichen Stand sind. Die iterative Natur agiler Ansätze unterstützt zusätzlich ein effektives Risikomanagement. Durch kontinuierliche Überprüfung und Anpassung konnten potenzielle Probleme frühzeitig erkannt und angegangen werden. Das Projektteam erkannte für sich, dass der Einsatz von KI nicht vergleichbar ist mit einem neuen Softwaretool für Dokumentation oder zur Arbeitsunterstützung. Dadurch, dass nächste Schritte von der KI vorgeschlagen wurden, die kurzfristig diskutiert werden mussten und mehr Ideen für kurzfristige Marketing-Maßnahmen entstanden, war eine agile Arbeitsweise notwendig. Anders als bei Softwaretools war der Wechsel zurück zu einem klassischen Projektmanagement-Ansatz nicht zu emp‐ fehlen. Die agile Arbeitsweise passte zu den Interaktionswünschen der Teammitglieder. Die KI übernahm die Routineaufgaben der Analyse und Auswertung sowie die sehr abstrakte Aufgabe der Strategieableitung. Während die Routineaufgaben kontrolliert werden mussten, musste die vorgeschlagene Strategie mit den nächsten Schritten diskutiert und interpretiert werden. Die Mitarbeitenden hatten weniger komplizierte und vorhersehbare Aufgaben, dafür aber mehr komplexe und überraschende Aufgaben zu bearbeiten. Die Ursachen für einzelne von der KI vorgeschlagene Maßnahmen waren für das Team nicht nachvollziehbar. Es wurden oft mehr Fragen neu aufgeworfen als durch die KI beantwortet. Das Team hatte den Vorteil, auf die bestehende Vorarbeit der KI aufbauen zu können und diese nicht selbst leisten zu müssen. Gleichzeitig ergab sich ein höherer Aufwand der Nachbearbeitung, Diskussion und Entscheidungsfindung. 17.4 Fazit Die Art, wie wir zukünftig Projekte abwickeln, wird maßgeblich von der eingesetzten Technologie beeinflusst werden. Zukünftige Projektleiter müssen nicht nur neue Technologien, sondern auch neue, darauf angepasste Formen der Zusammenarbeit situationsbezogen einsetzen können. KI bringt durch die Automatisierung von Routinearbeiten und der schnellen Ver‐ knüpfung von Informationen ein neues Level an Geschwindigkeit in viele Projek‐ tabläufe. Dadurch verschieben sich die im Projekt benötigten Fertigkeiten und die Teams müssen stärker entlang des Wertstroms aufgestellt werden. Die Projektaufgaben vermischen sich mit den Aufgaben des Betriebs, was in der IT als „DevOps“ bekannt ist. Es entstehen neue, unterstützende Teams, Communities und Strukturen in Orga‐ 17.4 Fazit 197 <?page no="198"?> nisationen, die ein Talent für KI-Anwendungen mitbringen und den Projektteams zur Verfügung stellen. Die Ambidextrie der Unternehmen, zeitgleich im Rahmen von Projekten neue, zukunftsweisende Bereiche zu erkunden (Explore), und im Betrieb die bestehenden Geschäftsfelder auszubauen (Exploit) verschmelzen immer weiter ineinander. In vielen Bereichen ist eine Übergabe jetzt zu ineffizient. Explore und Exploit greifen so viel stärker ineinander, dass sich eine strukturelle Trennung dadurch zum Markthindernis entwickelt. Explore-Themen, die zuvor an eigene ausgegliederte Projektteams oder an externe Dienstleister ausgelagert wurden, werden durch KI stärker in die Betriebsprozesse integriert und internalisiert. Schnellere Arbeits- und Innovationszyklen werden immer bedeutender und fordern eine höhere Fertigungs‐ tiefe, um schnell und flexibel zu werden. Ein schneller und direkter Zugang zum Kunden und den Entscheidern ist notwendig. Dies alles erfordert und unterstützt iterative, inkrementelle Arbeitsweisen mit kurzen Feedbackschleifen, wie sie agile Arbeitsmodelle anbieten. Aber selbst agile Arbeitsweisen können an ihre Grenze stoßen, wenn die Dynamik des Marktes und der KI-Technologie so weit ansteigt, dass timebox-basierte Ansätze wie Scrum nicht reaktionsfähig genug sind. In unserer komplexen Welt benötigen wir komplexe Werkzeuge, um komplexe Probleme zu lösen, auch wenn wir lieber einfache und leicht verständliche Lösungen hätten. KI ist ein komplexes Werkzeug, nicht leicht zu verstehen, aber unsere einzige Chance, eine Brücke zwischen der Komplexität der Welt und unserem begrenzten menschlichen Verständnis zu schlagen. Dabei kommt dem Projektteam die Aufgabe zu, die Ergebnisse noch kritischer zu reflektieren und Entscheidungen aus der Meta-Perspektive abzuwägen. Um die Auswirkungen von zunehmender Komplexität und einem spürbaren Einsatz von KI entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Organisation aufnehmen zu können, müssen sich Strukturen und Führung weiterentwickeln. Agile Ansätze und Denkweisen sind vor vielen Jahren bereits in diese Richtung aufgebrochen. Sie können Grundlagen und Verständnis für den Umgang mit komplexen Projektumfeldern schaffen, die eine hohe Selbstreflexion und mehrdimensionale Entscheidungsfindung fordern. Durch die Erhöhung der externen und internen Komplexität wird die Unternehmensführung über Regeln zunehmend schwierig und muss durch Selbstorganisation und das Führen mit Prinzipien ersetzt werden. KI braucht Agilität. Wir erschließen viele Synergien aus der Kombination von künstlicher Intelligenz und agilen Arbeitsweisen. Eine neue, transformative Kraft - die „AI driven Transformation“ - wird entfesselt, die unsere Organisationen in allen Bereichen novellieren wird. Literatur [1] McKinsey & Company (2023): The economic potential of generative AI: The next produc‐ tivity frontier; Online verfügbar unter https: / / www.mckinsey.de/ ~/ media/ mckinsey/ locatio ns/ europe%20and%20middle%20east/ deutschland/ news/ presse/ 2023/ 2023-06-14%20mgi%20g 198 17 KI braucht Agilität---Die transformative Kraft der künstlichen Intelligenz im Projektmanagement <?page no="199"?> enai%20report%2023/ the-economic-potential-of-generative-ai-the-next-productivity-frontie r-vf.pdf, zuletzt geprüft am 19.02.2024 [2] Skelton, M. & Pais, M. (2019). Team topologies: Organizing Business and Technology Teams for Fast Flow. IT Revolution. 17.4 Fazit 199 <?page no="201"?> 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten vor dem Hintergrund wachsender EU-weiter regulatorischer Anforderungen Michael Martin, Ann-Kathrin Strutzenberger Abstract Dieser Beitrag untersucht die Implikationen und Herausforderungen, welche sich aus dem Einsatz von KI-Werkzeugen im Zuge von wachsenden IT- und Cyber-Risiken sowie entsprechend zunehmen-den regulatorischen und gesetz‐ lichen Vorgaben ergeben. Am Bei-spiel des Finanzsektors wird die Thematik detailliert betrachtet. Der Artikel beginnt mit einer umfassenden Darstellung der aktuellen Bedrohungslage im Kontext von IT- und Cyber-Risiken, insbesondere im Zusammenhang mit der Anwendung von KI-Werkzeugen. Darüber hinaus präsentiert der Artikel einen aktuellen Überblick über die Entwicklung nationaler und internationaler regulatorischer Anforderungen im Bereich Informationstech‐ nologie. Besonderes Augenmerk liegt hierbei auf den Vorgaben des Digital Operational Resilience Act (DORA) und des AI-Acts. Weiterhin werden die erforderlichen Maß-nahmen und Anforderungen erläutert, welche im Rahmen von Projekten ergriffen werden sollten, um der aktuellen Bedrohungslage und den damit verbundenen regulatorischen Vorgaben gerecht zu werden. Der Artikel schließt mit einem Ausblick darauf, wie sich die regulatorischen Anforderungen voraussichtlich weiterentwickeln werden und welchen signifikanten Einfluss sie somit auf den gegenwärtigen und zukünftigen Einsatz von KI-Werkzeugen ausüben werden. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Generative KI, Large Language Models Anwendung, Re‐ gulatorische Anforderungen; AI-Act, DORA, Projektmanagement 18.1 Einleitung Problemstellung IT- und Cyberrisiken haben in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Zum einen ist das reale Bedrohungspotenzial in diesen Risikoarten stark gestiegen, zum anderen haben sich die regulatorischen Anforderungen für diese Risiken deut‐ lich verschärft. Die zunehmende Bedeutung von Cyberrisiken spiegelt sich in der wachsenden Bedrohungslage und den daraus resultierenden Schadensfällen der letzten Jahre wider. Im Bereich der Informationssicherheit war beispielsweise im Jahr 2022 <?page no="202"?> ein starker Anstieg der Bedrohungslage durch Cyberkriminalität zu verzeichnen. So stieg die Zahl der neuen Malware-Varianten um 116,6 Millionen. Gleichzeitig wurden dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 20.174 Sicherheitslü‐ cken in Softwareprodukten gemeldet. Das ist ein Anstieg von 10 % im Vergleich zum Vorjahr. Darüber hinaus wurden im Berichtszeitraum in Deutschland rund 15 Millionen erfolgreiche Malware-Infektionen gemeldet (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI], 2022). Ein Blick in die USA zeigt ein ähnliches Bild in Bezug auf die Cyberkriminalität. So verzeichnete der Internet Crime Report 2021 des FBI einen starken Anstieg von Cybercrime-Aktivitäten und -Angriffen, die zu entsprechenden Verlusten für Unternehmen und Organisationen führten (Federal Bureau of Investigation [FBI], 2021). Neben dem wachsenden Bedrohungsumfeld und dem vermehrten Auftreten von Risikoereignissen ist gleichzeitig eine immer stärker ansteigende nationale und internationale Regulierung von Finanzdienstleistungen zu beobachten. Relevanz des Beitrags Im Rahmen von Projekten ist neben dem Einsatz von etablierter Standardsoftware ein wachsender Anteil von KI-gestützten Anwendungen und Systemen zu beobachten. Speziell für den Finanzsektor gehen damit besondere Risiken und auch regulatorische Anforderungen einher. Dies gilt nicht nur für den Einsatz von KI-Systemen in der Linie, sondern auch im besonderen Maße in Projekten. Wichtig hierbei ist, einen Überblick über die relevanten Risiken und regulatorischen Anforderungen zu haben und darauf basierend entsprechende Maßnahmen zu etablieren. 18.2 Regulatorische Anforderungen im Bereich IT und KI-Werkzeuge Durch die stetig wachsende Bedrohungslage im Bereich der IT- und Cybersicherheit steigt auch die Relevanz für regulatorische Vorgaben. Durch die Sensibilität der Daten, die auf dem Finanzmarkt verarbeitet werden, ergeben sich hier eine Vielzahl an regulatorischen Besonderheiten. Vor allem auf europäischer Ebene werden die regulatorischen Vorgaben konstant überarbeitet und geschärft. Mit immer größer werdender Popularität der KI-Werkzeuge ergibt sich hiermit ein weiterer Punkt, welcher bei der Gesetzgebung eine wichtige Rolle spielt. Mit dem Digital Operational Resilience Act (DORA) für Finanzunternehmen sowie dem EU AI-Act für sämtliche Sektoren, die KI-Werkzeuge entwickeln oder einsetzen, werden aktuell zwei maßgeb‐ liche regulatorische Anforderungen innerhalb der EU entwickelt. 202 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten und EU-Anforderungen <?page no="203"?> Network and Information Security (NIS) Richtlinien Die NIS-Richtlinie stellt den ersten EU-weiten Rechtsakt zur Cybersicherheit dar und konzentriert sich auf die Verbesserung der nationalen Cybersicherheitsfähigkeiten, die Förderung der Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten sowie den Schutz kritischer Infrastrukturen in Schlüsselsektoren wie Energie, Verkehr, Bankwesen, Gesundheitswesen und digitale Infrastruktur. Diese trat 2018 in Kraft und wurde 2023 durch eine zweite Auflage (NIS 2) erweitert. NIS 2 erweitert den Anwendungsbereich der ursprünglichen NIS-Richtlinie, überarbei‐ tet die Klassifizierung von Unternehmen und verstärkt die vorgegebenen Richtlinien. Sie legt 10 grundlegende Cybersicherheitsmaßnahmen fest, die von allen betroffenen Organisationen umgesetzt werden müssen. Dazu gehören unter anderem die Imple‐ mentierung von Richtlinien für Risikoanalyse und Incident-Response, Verschlüsselung und Kryptografie, Schwachstellenmanagement, Cybersicherheitsschulungen sowie die Sicherheit der IKT-Lieferketten. Außerdem werden Unternehmen dazu angehalten, geeignete technische, operationale und organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die dem Grad der Risikoexposition, der Größe und der Wahrscheinlichkeit sowie Schwere von Vorfällen angemessen sind (Europäische Kommission, 2023) Digital Operational Resilience Act (DORA) Da insbesondere der Finanzsektor ein hohes Angriffspotential bietet und viele höchst relevante Daten verarbeitet, sollen für Finanzmarktteilnehmer ab 2025 verschärfte Sicherheitsvorschriften gelten, die in dem Digital Operational Resilience Act definiert sind. DORA ist ein Gesetzesvorschlag der Europäischen Union, der im Dezember 2020 von der Europäischen Kommission veröffentlicht wurde und aktuell noch finalisiert wird (Stand Januar 2024). Das Hauptziel von DORA ist es, die operationale Widerstandsfä‐ higkeit des digitalen Finanzsystems in der EU zu stärken. Er soll sicherstellen, dass Finanzdienstleister und kritische Infrastrukturen angemessen auf digitale Betriebsstö‐ rungen, einschließlich Cyberangriffen, vorbereitet sind. Die wichtigsten Aspekte von DORA umfassen: Risikomanagement und -aufsicht: DORA legt Anforderungen an die Risikoma‐ nagementverfahren von Finanzdienstleistern fest, einschließlich der Identifizierung, Bewertung und Bewältigung von digitalen Betriebsrisiken. Es stärkt auch die Auf‐ sichtsbefugnisse der nationalen Behörden und der Europäischen Aufsichtsbehörde für Wertpapiere und Märkte (ESMA) im Hinblick auf die digitale Widerstandsfähigkeit. Mindestanforderungen und Standards: DORA legt Mindestanforderungen und Standards für die digitale Widerstandsfähigkeit von Finanzdienstleistern fest, ein‐ schließlich der Anforderungen an die IT-Systeme, das Risikomanagement und die Berichterstattung über digitale Betriebsstörungen. 18.2 Regulatorische Anforderungen im Bereich IT und KI-Werkzeuge 203 <?page no="204"?> Kooperation und Informationsteilung: DORA fördert die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen Finanzdienstleistern, kritischen Infrastrukturen und Aufsichtsbehörden, um die Reaktion auf digitale Betriebsstörungen zu verbessern und die Resilienz des Finanzsystems zu stärken. Berichterstattung und Prüfung: DORA verlangt von Finanzdienstleistern, regelmä‐ ßige Berichte über ihre digitale Widerstandsfähigkeit vorzulegen und sich regelmä‐ ßigen Prüfungen durch unabhängige Prüfer zu unterziehen, um die Einhaltung der Anforderungen zu überwachen (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [BaFin], 2024). EU AI-Act Die EU veröffentlichte im April 2021 den AI-Act, einen ersten Entwurf für eine transnationale AI-Verordnung (European Union, 2021). Ziel der EU ist es, einen Goldstandard - ähnlich der Allgemeinen Datenschutzverordnung - zu schaffen, um sicherzustellen, dass KI sicher, transparent und im Einklang mit den Menschenrechten eingesetzt wird (Europäische Union, 2016). Der EU AI-Act, der Ende April 2024 vom EU-Parlament verabschiedet wird, ist der weltweit erste Regulierungsansatz auf supranationaler Ebene, der einen ganzheitlichen Rahmen für den Einsatz von KI schafft. Der risikobasierte Ansatz klassifiziert KI-An‐ wendungen in vier Risikokategorien, von minimalem Risiko (z. B. Chatbots) bis zu inakzeptablem Risiko (z. B. Social Scoring), wobei für jede Kategorie unterschiedlichen Standards entwickelt wurden. Die Verordnung gilt für alle KI-Anwendungen, die in der EU entwickelt, eingesetzt oder genutzt werden (Europäische Union, 2021). Diese Verordnung betrifft den größten Einzelmarkt der Welt mit 440 Millionen Einwohnern und setzt einen Trend zur branchenübergreifenden Regulierung, ähnlich der Sicherheitsrichtlinie NIS 2. Alle diese regulatorischen Anforderungen, sowie die generellen wachsenden re‐ gulatorischen Anforderungen haben große Auswirkungen auf die verschiedenen Organisationen. Dies fördert die verantwortungsvolle Entwicklung und den Betrieb von Technologie, insbesondere KI-Anwendungen, durch die verschiedenen Standards, die bei dem Einsatz von Technologie bedacht werden müssen. Dadurch erhalten Unternehmen einen verlässlichen rechtlichen Rahmen für ihre Tätigkeit. Allerdings sind die regulatorischen Verordnungen oft sehr umfangreich und verlangen von den Unternehmen, dass sie ihre Anwendungen, Prozesse und Geschäftsmodelle transparent evaluieren und anpassen, um sie einzuhalten (Europäische Kommission, 2024). 204 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten und EU-Anforderungen <?page no="205"?> 18.3 Aktuelle IT- und Cyberrisiken in Bezug auf den Einsatz von IT- und KI-Werkzeugen IT-Risiken im Allgemeinen beziehen sich auf potenzielle Verluste und Schäden, die durch Probleme oder Mängel in der Informationstechnologie eines Unternehmens entstehen können. Dazu gehören Hardware- und Softwareausfälle, Datenverluste, Systemausfälle und Sicherheitslücken. Cyberrisiken hingegen umfassen Gefahren, die mit dem Einsatz von Informationstechnologie und dem Internet verbunden sind, vor allem in Bezug auf die Sicherheit und den Schutz von Daten. Sie beinhalten Bedrohun‐ gen wie Cyberangriffe, Datendiebstahl, Malware, Phishing und andere Formen von Cyberkriminalität, die darauf abzielen, Informationssysteme zu kompromittieren. Der Einsatz von KI verändert und erweitert aufgrund der vielseitigen neuen Ein‐ satzmöglichkeiten nicht nur die gesamte IT-Landschaft, sondern auch potenzielle IT- und Cyberrisken. Vor allem durch die gesteigerte Komplexität von IT-Infrastrukturen wird das Risikomanagement und die Schwachstellenbehebung erheblich erschwert. Gerade für Finanzmarktakteure, die durch spezielle Anforderungen wie zum Beispiel Echtzeit-Trading sowieso oft eine komplexe IT-Infrastruktur pflegen müssen, bringt KI zusätzliche Herausforderungen. Datenmissbrauch KI wird besonders im Bereich Datenschutz oft kritisch betrachtet. Ein großes Risiko bei der Verwendung von KI-Werkzeugen sind Datenmissbrauch und Datenschutzver‐ letzungen. Es kann zu unerlaubter oder unethischer Verwendung von Daten kommen, die in KI-Systemen verarbeitet werden. Dies kann beispielsweise den Diebstahl oder das Ausspähen von persönlichen oder sensiblen Informationen umfassen. Insbesondere KI-Systeme, die auf großen Datenmengen basieren, können anfällig für Datenschutz‐ verletzungen sein, besonders wenn personenbezogene Daten verarbeitet werden. Insbesondere wenn die Daten schlecht gesichert sind oder es an Transparenz und Kontrolle bei der Datensammlung und -verarbeitung fehlt. Datenschutzverletzungen können schwerwiegende Folgen für Individuen und Unternehmen haben, einschließ‐ lich Identitätsdiebstahl, finanzieller Verluste und Reputationsschäden. Daher ist es entscheidend, strenge Datenschutzmaßnahmen und Richtlinien zur Datennutzung zu implementieren und einzuhalten. Manipulationsanfälligkeit von KI-Systemen Es besteht das Risiko, dass KI-Algorithmen durch absichtlich manipulierte Daten (Data Poisoning) beeinflusst werden, welche in den Lernprozess des Systems eingespeist werden. Dies kann zu falschen, voreingenommenen oder unethischen Entscheidungen führen. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass KI-Systeme so manipuliert werden könnten, dass sie bestimmte Aktionen ausführen oder spezifische Ziele verfolgen, die nicht im Interesse des Nutzers oder der Allgemeinheit liegen. Die Sicherung der Inte‐ 18.3 Aktuelle IT- und Cyberrisiken in Bezug auf den Einsatz von IT- und KI-Werkzeugen 205 <?page no="206"?> grität der Daten und des Lernprozesses ist daher von entscheidender Bedeutung, um die Zuverlässigkeit und Fairness von KI-Systemen zu gewährleisten. Auch mangelnde Transparenz bei der Entscheidungsfindung sind ein Problem in Bezug auf KI-Systeme. Die Unfähigkeit, Entscheidungen der KI klar zu erklären, kann das Vertrauen in diese Systeme untergraben und stellt ein Hindernis für ihre Akzeptanz dar. Es kann auch rechtliche und ethische Probleme aufwerfen, insbesondere in Bereichen, in denen Entscheidungstransparenz unerlässlich ist, wie im Gesundheits-, im Bankenwesen oder in der Justiz. Damit einhergehend ist auch die Zertifizierung von KI-Systemen ein immer wichtigeres Thema. Automatisierte Angriffe In den letzten Jahren hat die Anzahl an Cyberangriffen stark zugenommen. Durch die Verwendung von KI in Cyberangriffen kann nun die Effektivität und Geschwindigkeit von Angriffen deutlich erhöht werden, wodurch einige Angriffe deutlich skalierbarer werden, etwa bei Phishing, Malware-Verbreitung oder Social-Engineering Angriffen. Durch den Einsatz von KI in Phishing-Kampagnen können Angreifer automatisiert große Mengen an Daten verarbeiten und personalisierte Angriffe in großem Umfang durchführen, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Opfer auf die betrügerischen Nachrichten hereinfallen. Vor allem bei den spezifischeren Social Engineering Angrif‐ fen, die durch ihre Komplexität bessere Erfolgschancen haben, aber dadurch auch deutlich schlechter zu skalieren sind, kann der Einsatz von KI eine große Bedrohung bedeuten. Social Engineering-Angriffe, die KI einsetzen, können fortschrittliche Tech‐ niken nutzen, um menschliche Interaktionen zu simulieren und Vertrauen aufzubauen, mit dem Ziel, vertrauliche Informationen zu erlangen oder Personen zu manipulieren. Betrachtet man im Zuge von künstlicher Intelligenz nicht nur textbasierte generative KI, sondern auch beispielsweise KI-generierte Fake-Videos, so genannte Deepfakes, wird die daraus resultierende Bedrohung noch größer. Solche Deepfakes können für Desinformation, Manipulation und Erpressung eingesetzt werden und stellen eine ernsthafte Bedrohung für die persönliche Sicherheit und die öffentliche Meinung dar. Die Erkennung und Bekämpfung von Deepfakes ist aufgrund ihrer fortschreitenden Realitätsnähe zunehmend herausfordernd. Abhängigkeit und Ausfallrisiko von KI-Systemen Ein übermäßiges Vertrauen in automatisierte Systeme kann zu einer Verletzlichkeit führen, wenn diese Systeme ausfallen oder kompromittiert werden. Wenn KI-Systeme ausfallen oder fehlerhaft arbeiten, kann dies erhebliche Auswirkungen auf Geschäfts‐ prozesse, Dienstleistungen und Sicherheit haben. Das Ausfallrisiko von KI-Systemen besteht aufgrund von technischen Fehlern, Angriffen, Datenproblemen oder unvorher‐ gesehenen Situationen. Wenn Unternehmen zu stark von KI abhängig sind, können sie verwundbar werden, wenn diese Abhängigkeit nicht angemessen verwaltet wird. Da‐ 206 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten und EU-Anforderungen <?page no="207"?> her ist es, wie auch bei anderen IT-System, wichtig, Backup-Pläne, Überwachung und Notfallwiederherstellung für KI-Systeme zu haben, um Ausfallrisiken zu minimieren. Nach Betrachtung der Risken, die KI-Werkzeuge mit sich bringen, lässt sich sagen, dass die Integration von KI in IT-Systeme die Komplexität dieser erhöht und dadurch ein verstärktes Risikomanagement erfordert. KI kann sowohl zur Verbesserung von Sicherheitsmaßnahmen als auch zur Automatisierung von Angriffen verwendet wer‐ den. Unternehmen müssen sich bewusst sein, wie KI diese Risiken verstärken kann und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen ergreifen, um die Integrität und Sicherheit ihrer Systeme zu gewährleisten. 18.4 Maßnahmen und Anforderungen, um aktuelle Bedrohungslage und verbundener regulatorischen Vorgaben gerecht zu werden In duesm Abschnitt soll auf mögliche Maßnahmen und Anforderungen eingegangen werden, um den beschriebenen Herausforderungen gerecht zu werden. Der Betrach‐ tung von Maßnahmen und Anforderungen an den Einsatz von KI-Systemen innerhalb von Projekten in der Finanzindustrie kann sich aus verschieden Blickrichtungen genähert werden. In diesem Beitrag wird folgende Struktur zur Gliederung von Maßnahmen und Anforderungen herangezogen: ■ Verankerte IT-Strategie und IT-Governance ■ Etabliertes Risiko- und Informationssicherheitsmanagement ■ Stringente operative IT-Sicherheit ■ Ausgereiftes Benutzer- und Berechtigungsmanagement ■ Vorgaben hinsichtlich IT-Projekten und Anwendungsentwicklung ■ Kriterien für einen sicheren IT-Betrieb Ziel ist es hierbei die Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität von Daten und Informationen vor Missbrauch oder Fehlbehandlung zu schützen. Die Beschreibung der Maßnahmen und Anforderungen wird im Rahmen dieses Artikels aus Platzgründen nur überblicksweise skizziert. Verankerte IT-Strategie und IT-Governance In der IT-Strategie sollten konsistente und nachhaltige Ziele zur Nutzung der Informati‐ onstechnik beschrieben werden. Dabei ist sowohl die Aufbau- und Ablauforganisation zu beschreiben als auch die strategische Entwicklung der IT-Architektur. Die IT-Stra‐ tegie sollte dabei auf gängigen Standards und Best Practices in der Informationstechnik basieren. Daneben sind auch Themen rund um die Informationssicherheit sowie der Steuerung von Dienstleistern detaillierter zu beschreiben. Die in der IT-Strategie beschrieben Bereiche müssen mittels einer entsprechenden Governance spezifiziert werden und im Linienbetrieb sowie in den jeweiligen Projekten umgesetzt und über‐ 18.4 Maßnahmen und Anforderungen, aktuelle Bedrohungslage und regulatorische Vorgaben 207 <?page no="208"?> wacht werden. Hierfür müssen ein entsprechendes Reporting mit Kennzahlenmodell sowie Überwachungsprozesse aufgesetzt werden. Etabliertes Risiko- und Informationssicherheitsmanagement Zur Identifizierung und Bewertung von entsprechenden IT- und Cyberrisiken ist ein, im Unternehmen verzahntes, Risikomanagementsystem aufzusetzen und zu eta‐ blieren. Hier müssen kontinuierlich auf Basis entsprechender Bedrohungsanalysen IT-Risiken sowohl aus der Linie als auch aus dem Projektbetrieb identifiziert, bewertet und berichtet werden. Wichtig ist hierbei, dass alle Komponenten, die Daten und Informationen verarbeiten (u. a. Anwendungen, Infrastruktur, Individuelle Datenver‐ arbeitungsprogramme - IDV -, Prozesse, physische Daten), in der Risikoanalyse betrachtet werden. Für ein konsistentes und übergreifendes Bild sind eine Vielzahl an Risikoquellen anzubinden, aus denen IT- und Cyberrisiken entsprechend identifi‐ ziert werden können. Dafür können zum Beispiel Schwachstellenscans, Penetration Tests oder auch formale IT-Audits herangezogen werden. Das IT-Risikomanagement orientiert sich generell auf den Vorgaben der Informationssicherheit. Die Vorgaben der Informationssicherheit haben den Zweck zentrale Eigenschaften von Daten und Informationen - die Vertraulichkeit, die Verfügbarkeit und die Integrität - mittels Anforderungen an die IT und die Fachbereiche zu schützen. Die Umsetzung dieser Vorgaben in der IT und den Fachbereichen ist durch die Informationssicherheit zu überwachen. Stringente operative IT-Sicherheit Ziel der operativen Informationssicherheit ist es, die Vorgaben und Anforderungen der zentralen Informationssicherheit umzusetzen. Dabei wird die Sicherheit der Anwendungen und Systeme überwacht und regelmäßig überprüft. Für die Überwa‐ chung werden Systeme hinsichtlich SIEM (Security Incident und Event Management), Schwachstellenscans oder Patchmanagement genutzt. Darüber hinaus werden mit Hilfe von Penetration Tests Systeme bzgl. deren Sicherheit kontrolliert. Zusätzlich ist auch ein entsprechender Security Incident Management Prozess aufzusetzen, der Informationssicherheitsvorfälle erkennt, bewertet und eskaliert. Ausgereiftes Benutzerunt Berechtigungsmanagement Zentral für einen sicheren Umgang mit IT- und KI-Systemen ist ein ausgereiftes Benutzer- und Berechtigungsmanagementsystem. Berechtigungen und Benutzer sollen dabei nach dem Need-to-know bzw. dem least-privilege Prinzip vergeben werden. Die Berechtigungen und Benutzer sind in einem zentralen Benutzer- und Berechti‐ gungskonzept zu hinterlegen. Bei allen Benutzern und Berechtigungen ist auf eine Funktionstrennung zu achten. So ist zum Beispiel der Betrieb von der Entwicklung zu 208 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten und EU-Anforderungen <?page no="209"?> separieren. Der Zugang zu IT-Systemen ist regelmäßig von unabhängigen Funktionen zu überwachen und zu revalidieren. Insbesondere sollen hoch privilegierte Benutzer im Zentrum dieser Überwachungstätigkeiten stehen. Alle Zugänge und Zugriffe müssen jederzeit einer verantwortlichen Person zugeordnet werden können. Vorgaben hinsichtlich IT-Projekten und Anwendungsentwicklung Es ist ein Prozess zu etablieren, der wesentliche Änderungen an IT-Systemen sowie deren Auswirkungen daraus analysiert sowie eine formale Freigabe dieser Änderungen einfordert. Anforderungen an die Funktionalität der Anwendung müssen ebenso erhoben, bewertet, dokumentiert und genehmigt werden. Über Reviews der Quell‐ codes ist die Integrität von Anwendungen zu überprüfen. Zusätzlich ist vor dem Go-Live ein Testmanagement aufzusetzen, dass insbesondere die Anforderungen an die Funktionstrennung im Rahmen der Tests sowie die Funktionalität der Anwendun‐ gen berücksichtigt. Generell ist ein Staging-Prinzip umzusetzen, das Entwicklungs-, Test- und Produktionsumgebung konsistent voneinander abgrenzt. Die genannten Vorgaben sind auch bezüglich der individuellen Datenverarbeitung (IDV) entsprechend anzuwenden. Kriterien für einen sicheren IT-Betrieb Die Prozesse innerhalb des IT-Betriebs sollen die Vorgaben im Rahmen der IT-Strategie sowie der Informationssicherheit operationalisieren. Bestandteile der IT-Systeme und deren Beziehungen zueinander sind in geeigneter Weise zu verwalten, und die hierzu erfassten Bestandsangaben regelmäßig sowie anlassbezogen zu aktualisieren. Ände‐ rungen an diesen Komponenten sind entsprechend zu bewerten, dokumentieren und freizugeben. IT- und Informationssicherheitsvorfälle sind im Zusammenspiel mit der operativen IT-Sicherheit und der Informationssicherheit zu identifizieren, bewerten und beheben. Prozesse zur Datensicherung, -archivierung sowie zum Leistungs- und Kapazitätsbedarf von IT-Systemen sind im Unternehmen zu etablieren. 18.5 Ausblick Entwicklung regulatorischer Anforderungen Wirft man einen Blick auf die aktuell gerade etablierten und zur Beschlussfassung stehenden gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen in Bezug auf den Ein‐ satz von Informationstechnologie, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Anforderungen auch in Zukunft weiter steigen werden. Die Regulatorik spiegelt fortwährend den Stand der technologischen Entwicklung wider. Diese immer schneller voranschreitende technologische Entwicklung und Digitalisierung, die sowohl alle beruflichen Themenbereiche als auch die gesamte Gesellschaft an sich betrifft, wird den Druck auf regulatorische und gesetzliche Vorgaben weiter erhöhen. Daneben müssen Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden auch immer wieder auf IT- und Cybervorfälle 18.5 Ausblick Entwicklung regulatorischer Anforderungen 209 <?page no="210"?> reagieren. Die Vorgaben und gesetzlichen Anforderungen beziehen sich zunehmend nicht mehr auf einzelne individuelle Organisationen, sondern weiten ihren Blickwinkel auf ganze Organisationssysteme aus. Zu diesen Organisationssystemen zählen, neben dem individuellen Unternehmen, auch Dienstleister, Subdienstleister, Behörden und Kundengruppen. In einer Zeit in der Organisationssysteme immer vernetzter agieren, müssen Daten und Informationen auch über Unternehmensgrenzen hinweg geschützt werden. Literatur [1] Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik [BSI]. (2022). Die Lage der IT- Sicherheit in Deutschland 2022. Online verfügbar unter https: / / www.bsi.bund.de/ Shared-Docs/ Downl oads/ DE/ BSI/ Publikationen/ Lageberichte/ Lagebericht2022.html? nn=129410 zuletzt geprüft am 28.01.2024 [2] Federal Bureau of Investigation [FBI]. (2021). Internet Crime Report 2021. Online verfügbar unter https: / / www.ic3.gov/ Media/ PDF/ AnnualReport/ 2021_IC3Report.pdf zuletzt geprüft a m 28.01.2024 [3] Europäische Kommission. (2023). Richtlinie über Maßnahmen für ein hohes gemeinsames Cybersicherheitsniveau in der gesamten Union (NIS2-Richtlinie). Online verfügbar unter ht tps: / / digital-strategy.ec.europa.eu/ de/ policies/ nis2-directive [4] Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht [BaFin] (2024) DORA - Digital Operational Resilience Act. Online verfügbar unter Top of Form https: / / www.bafin.de/ DE/ Aufsicht/ DORA/ DORA_node.html [5] Europäische Kommission. (2024). Ein europäischer Ansatz für künstliche Intelligenz. Online verfügbar unter https: / / digital-strategy.ec.europa.eu/ de/ policies/ european-approach-artifici al-intelligence [6] RiskLens. (2021). Definitions: Cyber Risk vs. Technology Risk. What’s the Difference? Online verfügbar unter https: / / www.risklens.com/ resource-center/ blog/ definitions-cyber-risk-vs-te chnology-risk-whats-the-difference 210 18 Der Einsatz von KI-Technologien im Rahmen von Projekten und EU-Anforderungen <?page no="211"?> 1 Sog. Large Language Models, kurz LLM 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen in den Bereichen Projektmanagement und Entwicklung Thomas Schlereth, Cornelia Düran Abstract Der Text behandelt die umfassende Integration künstlicher Intelligenz (KI) in die Projektmanagement- und Entwicklungsprozesse von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen. Er beleuchtet die Vorteile von KI in der Vorhersagbarkeit von Arbeitsabläufen, Ressourcenmanagement und Qualitätskontrolle und zeigt auf, wie KI die Planung, Durchführung und Überwachung von IT-Projekten verbes‐ sert. Ebenso werden die Möglichkeiten von KI in der Spezifikation, Entwicklung und Optimierung von Software hervorgehoben. Abschließend wird ein Ausblick auf die zukünftige Entwicklung und den zunehmenden Einfluss von KI in der IT-Branche gegeben, einschließlich der Automatisierung von Routineaufgaben und der globalen Ressourcenallokation. Stichwortliste KI-Integration, IT-Projektmanagement, Algorithmen-Entwicklung, Maschinel‐ les Lernen, KI-gestützte Analyse, Prozessautomatisierung, Predictive Analy‐ tics, KI-basierte Optimierung, Agile Methoden, Scrum, KI-Workflow-Manage‐ ment, Risikomanagement, Ressourcenplanung, KI-Entscheidungsunterstützung, Datenmodellierung, KI-Testverfahren, Softwarequalität, Sprintplanung, KI-Pro‐ totyping, Anforderungsanalyse, KI-Performance-Monitoring, KI-Sicherheitsbe‐ wertung, Teamkollaboration, KI-Technologietrends, Stakeholder-Management, KI-Risikobewertung, Effizienzanalyse, KI-Projektberichterstattung. 19.1 Einleitung Künstliche Intelligenz ist in den letzten Jahren in der realen Welt der Gesellschaft angekommen. Systeme wie Apples Siri, Bilderkennung bei Smartphones und Anwen‐ dungen wie ChatGPT 1 , die natürliche Sprache verstehen, erlauben es auch Laien, von dieser Entwicklung zu profitieren. Der folgende Text beleuchtet zwei Facetten, die auf den ersten Blick wenig mitein‐ ander zu tun haben, bei einer gesamtheitlichen Sicht jedoch eng zusammenhängen. <?page no="212"?> 2 Kurz KI, engl. Artificial Intelligence, kurz AI 3 Quellen: „CHAOS Report 2020, Standish Group, www.standishgroup.com, PMI: Success Rates Rise, 2017: https: / / www.pmi.org/ -/ media/ pmi/ documents/ public/ pdf/ learning/ thought-leadership/ pulse/ pulse-of-the-profession-2017.pdf ? sc_lang_temp=en, Bitkom e. V. Heiter Scheitern im Projekt, 2021: https: / / www.bitkom.org/ sites/ main/ files/ 2021-10/ 211013_heiter-scheitern-im-projekt.pdf Zum einen die Managementperspektive, die sich auf die Planung und Verfolgung von Projekten bezieht. Sie bildet den übergeordneten Ordnungsrahmen für die eigent‐ liche Projektarbeit. Dessen Qualität und Leistungsfähigkeit ist entscheidend für den Projekterfolg. Das zweite Thema erläutert die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz 2 bei der Um‐ setzung von Projekten, also bei der eigentlichen Wertschöpfung. Es geht hier um die Entwicklung von Anwendungen, die dann durch Menschen eingesetzt werden. Es wurden bewusst diese beiden Bereiche eines Unternehmens ausgewählt, um zu zeigen, wie umfänglich KI in allen möglichen Bereichen unserer Arbeitswelt unterstützend oder auch störend Einfluss nimmt und welche Möglichkeiten sich daraus ergeben. Künstliche Intelligenz ist in ihrer Entwicklung weit vorangeschritten, auch wenn sie erst jetzt für die breite Öffentlichkeit relevant wird. Trotzdem wird die Weiter‐ entwicklung in den nächsten Jahren erheblich an Tempo gewinnen und Systeme hervorbringen, die wir heute noch für völlig utopisch halten. Dies liegt zum einen daran, dass die KI selbst bei der eigenen Weiterentwicklung hilft, zum anderen an den unabsehbaren Möglichkeiten, wenn KIs miteinander interagieren und selbstständig völlig neue KI-Modelle entwickeln. 19.2 Projektmanagement für IT-Projekte IT-Projekte gibt es viele - und alle scheitern; diesen Eindruck kann man auf jeden Fall gewinnen. IT-Projekte gelten oft als überfällig und überteuert, und sie erfüllen selten die Erwartungen. Dieses Phänomen ist nicht auf IT beschränkt, da auch Bau- und Orga‐ nisationsprojekte scheitern können. Dennoch scheint der IT-Branche ein Stigma des garantierten Misserfolgs anzuhaften. 19.3 Besonderheiten bei IT-Projekten Trotz vielfacher Analysen zu Ursachen und Lösungen für das Scheitern von Softwa‐ reentwicklungsprojekten und Rollouts sowie zahlreichen von Unternehmensberatun‐ gen erfundenen und getesteten neuen Methoden bleibt die Misserfolgsrate hoch. Je nach Studie wird von 40 % bis 80 % berichtet, welche die Projektziele nicht erreicht haben 3 . 212 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen <?page no="213"?> 4 Oder auch Planning Poker, Scrum Poker 5 Dies wird auch als Intervall bezeichnet Gründe sind vor allem die technische Komplexität und die unterschiedlichen Inter‐ essen der involvierten Akteure. Der Weg vom Entwickler zum Anwender kann sehr weit sein. Weiterhin erweckt die unzureichende und unrealistische Planung von Projekten häufig den Eindruck, dass das Projekt als gescheitert zu bewerten ist. Man könnte aber auch feststellen, dass die Planung bereits am ersten Projekttag unrealistisch und zu positiv ist. Hier ist nicht das Projekt gescheitert, sondern die Projektplanung. Für diese Themen ist künstliche Intelligenz ein vielversprechender Ansatz und kann in den Bereichen des Projektmanagements und der Softwareentwicklung Verbesserun‐ gen ermöglichen. 19.4 Vorhersehbarkeit von Arbeiten Bei jedem Projekt geht es im Wesentlichen um „Wer macht was wann? “. Die Planung basiert also auf Schätzungen von notwendigen Arbeiten, die am Ende des Projekts erledigt sein müssen. Die Arbeitspakete werden in ihrer Dauer und ihrem Aufwand von Fachleuten geschätzt und in einem digitalen Projektplan, der auch eine Abfolge von Sprints sein kann, abgebildet. Die Schätzungen basieren auf dem aktuellen Wissenstand der Person, die diese Schätzung durchführt. Weiterhin fließen die Erfahrung und persönlichen Interessen der Fachleute mit in die Schätzung ein. Natürlich können mehrere Personen unabhängig voneinander gefragt werden (Schätzklausur) oder ein Team bespricht und einigt sich (Sprintpoker 4 ). Der tatsächliche Wissensstand und die echte Schätzung sind in aber in aller Regel ein ungenauer Wert, wenn auch nur im Kopf der Person. Eigentlich kommen also nicht 18 Personentage als beispielhaftes Ergebnis heraus, sondern „irgendwas zwischen drei und vier Wochen“ 5 . Moderne Planungssysteme können mit diesen Informationen umgehen und alle denkbaren Szenarien berechnen und bewerten. Eine Ungenauigkeit aufgrund der schwierigen Vorhersehbarkeit ist in jeder Planung, die die Zukunft betrifft, enthalten. Es entstehen somit Wahrscheinlichkeiten, dass etwas innerhalb der vorgegebenen Zeitintervalle mit den geschätzten Aufwänden realisiert werden kann oder nicht. Künstliche Intelligenz kann nun die menschlichen Einflüsse auf solche Planungen analysieren und bewerten. Bei einem Arbeitspaket, das mit 10 - 20 Tagen geschätzt wurde, kann man durch Mustererkennung früherer Arbeiten, die von der Person A geschätzt und von der Person B realisiert wurden, den wahrscheinlichsten Fall besser vorhersehen. Diese Muster sind umfangreich und sehr komplex. Einflussfaktoren wie „wer arbeitet noch in dem Paket mit“, „an welcher Stelle im Projekt ist das Paket“, „welche Arbeiten haben die Personen parallel dazu“ usw. spielen immer auch eine Rolle. 19.4 Vorhersehbarkeit von Arbeiten 213 <?page no="214"?> KIs können diese großen und komplexen Datenmengen der Vergangenheit analy‐ sieren, Muster erkennen und so die Risikoeinschätzung genauer ermitteln. 19.5 Projektplanung nach dem Wasserfallmodell oder ein agiler Ansatz. Hybrid könnte die Lösung sein. Das Wasserfallmodell war über Jahrzehnte die Standardplanungsmethode in IT-Pro‐ jekten. Dabei handelt es sich um ein lineares und sequenzielles Vorgehen, wie ein solches Projekt abgewickelt wird. Häufig wurde ein Fehler gemacht, der nicht originär mit der Methode zusammen‐ hängt: Projekte wurden bis ins kleinste Detail geplant, um sicherzustellen, dass nichts übersehen wird. Dennoch führten neue Einsichten und veränderte Anforderungen dazu, dass die sorgfältigen Pläne schnell veraltet waren und der Wartungsaufwand stieg. Mittlerweile wird dieses Verfahren durch ein rollierendes Modell verbessert. Es wird Top-Down geplant, vom Groben zum Feinen. Je weiter die Planung zeitlich entfernt ist, desto grober wird geplant. Nur kurzfristige Planungen, 2-6 Wochen werden detailliert durchgeführt. Intelligente Werkzeuge, die ungenau arbeiten können, erleichtern die Planung erheblich, da die Zukunft eben nur ungenau vorhersehbar ist. Agile Planung ist ein iterativer Ansatz, der in kurzen, gleich langen Phasen erfolgt, um schnell auf Veränderungen reagieren zu können. Scrum, eine Methode der agilen Planung, ist trotz Schwächen in Ressourcenplanung und Termintreue für bestimmte IT-Projekte, wie Prototypenbau, geeignet. Moderne Planungssysteme kombinieren agile und traditionelle Methoden zu einer hybriden Planung, die durch vernetzte Softwarelösungen Teams und das Projektmanagement unterstützt. 19.6 Ressourcen und ihre Skills Die kritische Größe in jedem Projekt sind die Mitarbeiter in den Teams. Von deren Fä‐ higkeiten (Skills) und Verfügbarkeit (Zeit) hängt der Projekterfolg ab. Im Wesentlichen geht es „nur“ darum, die richtigen Leute zur richtigen Zeit einzusetzen. Dies basiert dann auf der Projektplanung. Menschen arbeiten nicht wie Maschinen und in IT-Projekten ist es üblich, dass Teammitglieder mehrere Aufgaben gleichzeitig bearbeiten und sich eigenständig organisieren, im Gegensatz zur starren Planung von Maschinen. Eine flexible Projektplanung muss die unterschiedlichen Skills der Mitarbeiter berücksichtigen. Während eine Rolle fest definiert ist, wie „Java Programmierer“, nutzt ein Mitarbeiter meist mehrere Fähigkeiten gleichzeitig. 214 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen <?page no="215"?> 6 Die Gaußsche Standardnormalverteilung ist eine spezielle Normalverteilung mit einem Mittelwert von 0 und einer Standardabweichung von 1, die die Basis für viele statistische Anwendungen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen bildet. 19.7 Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Planung und Verfolgung von IT-Projekten Für alle oben genannten Themen können künstliche Intelligenzen stark unterstützen. Solche Verfahren, entweder direkt mit künstlicher Intelligenz oder einem Zusammen‐ spiel mehrerer dynamischer Algorithmen, sind seit Jahren verfügbar und werden erfolgreich von Firmen eingesetzt. 19.8 Ungenaue Planung Ungenau geplante Projekte führen zu verschiedenen Szenarien, deren Eintrittswahr‐ scheinlichkeiten mit Methoden wie der Gauß’schen Standardnormalverteilung 6 durch KI-Systeme bewertet werden. Diese Systeme nutzen Mustererkennung, um Risiko‐ werte anzupassen und zu präziseren Planungsrisikobewertungen zu gelangen. 19.9 Ressourcenmanagement Mitarbeiter in einem Unternehmen arbeiten nicht exklusiv in Vollzeit an einer Arbeit eines Projekts. Vielmehr ist der normale Arbeitstag eines IT-Spezialisten oder Entwick‐ lers durchaus organisatorisch komplex. Neben Grundlastarbeiten, wie Mails beantworten oder an Besprechungen teilneh‐ men, müssen Arbeiten aus verschiedenen Projekten parallel abgewickelt werden. Die Projektaufgaben werden also nicht täglich linear durch den Mitarbeiter bearbeitet. Bei einer Planung von 50 % seiner Kapazität arbeitet der Mensch nicht jeden Tag genau 4 Stunden an dem Arbeitspaket. Für einen Projektplaner ist das nicht zielführend, weil er viele Menschen in seinem Projekt beschäftigt. Trotzdem dürfen die Personen nicht überlastet werden, und Termine müssen einge‐ halten werden. Die Planung durch den Projektleiter ist also zielorientiert; das bedeutet er gibt der Ressource einen Zeitraum und eine Arbeitsmenge vor. Die Ressource sollte ausgeplant, aber nicht überlastet werden. KI-gestützte Systeme simulieren die Organisationsmöglichkeit für den Mitarbeiter in Echtzeit. Es werden alle denkbaren Varianten, wie der Mitarbeiter sich die Arbeit aufteilt, durchgerechnet. Findet das System Möglichkeiten, dass der Mitarbeiter sich organisieren kann, wird kein Risiko ermittelt. Nur wenn rechnerisch keine Lösung möglich ist, wird eine Überlastung angezeigt. Ungenau geplante Projekte erfordern KI-Analysen verschiedener Szenarien nach Eintrittswahrscheinlichkeit; die KI fokussiert sich auf wahrscheinlichere Ereignisse 19.7 Einsatz künstlicher Intelligenz bei der Planung und Verfolgung von IT-Projekten 215 <?page no="216"?> und bewertet das Überlastungsrisiko, um Projektmanagern bei der Entscheidungsfin‐ dung zu assistieren. Diese kann von „Ignorieren“ bis „Sofort eingreifen“ reichen. Da das Expertensystem die gesamte Planung des Unternehmens im Zugriff hat, kann es dem Projektplaner gezielt aufzeigen, wo Handlungsbedarf zur Optimierung der Planung besteht. Die Handlungsinformationen werden also priorisiert, dies spart dem Projektmanager sehr viel Arbeit und hilft ihm, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ein Lösungsansatz für den Projektmanager, eine Ressourcenüberlastung zu beheben, ist, auf eine andere Person zurückzugreifen. Im Prinzip muss der Projektleiter nur wissen, wer diese Arbeit durchführen kann und wer zum richtigen Zeitpunkt ausrei‐ chend Kapazität hat. Der erste Punkt ist weitaus schwieriger als vermutet, gerade bei internationalen IT-Unternehmen. In IT-Projekten sind die Arbeitsergebnisse in aller Regel digital und lassen sich überall erstellen, sodass weltweiter Zugriff auf den gesamten Ressourcenpool möglich ist. Der Projektleiter muss also alle Personen im Unternehmen kennen, die diese Aufgabe auch erfüllen können. Das Skillmanagement hilft hier leider nicht weiter, da bei der Planung angegeben werden müsste, welche Skills der überlastete Mitarbeiter einsetzt. Dies ist viel zu aufwendig. Zur Lösung des Problems kommt ein neuronales Netz zum Einsatz. Der Einstieg erfolgt über eine Annäherung, welche Personen die Aufgabe auch erfüllen können. Beispielsweise, weil die anderen Personen auch in dem Projekt verplant oder in der gleichen Abteilung sind. Für die in Frage kommenden Personen wird nun die Verfügbarkeit simuliert und dem Projektplaner vorgeschlagen. Er kann den Vorschlag annehmen oder ablehnen. Wenn er den Vorschlag ablehnt, kommt ein anderer Vorschlag, über den er wieder entscheidet. Der Einsatz von Entscheidungen zur Schulung neuronaler Netze ermöglicht es der KI, in Unternehmen zu lernen, welche Mitarbeiter im Falle einer Überlastung austauschbar sind, wobei der Projektleiter von den Erfahrungen anderer profitiert, und auch unbekannte Vorschläge erhalten kann. So kann die unternehmensweite globale Ressourcenauslastung optimiert werden. 19.10 Ausblicke Künstliche Intelligenz unterstützt den gesamten Projektplanungs- und Verfolgungs‐ prozess bereits heute in einem Ausmaß, dass auch unerfahrene Projektmanager erfolgreich sein können. Methodisches Fachwissen wird immer weniger wichtig, da die Software dies in vielen Fällen erledigt oder zumindest unterstützt. Projektpläne durch Spezifikationen von LLMs wie ChatGPT vollständig erstellen zu lassen, ist heute bereits möglich. Das sog. „Staffing“, also das automatisierte Ausstatten der Arbeiten mit Ressourcen, kann ebenfalls bereits heute größtenteils durch KIs erfolgen. 216 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen <?page no="217"?> 7 Oder auch die Google Cloud AI Platform, MS Azure Machine Learning Studio, IBM Watson etc. Selbstlernende Expertensysteme mit Mustererkennung befähigen KIs zur selbststän‐ digen Planung neuer Projekte. Zwar sind die Pläne nicht perfekt, doch kann die KI wesentliche Teile erstellen, und bei Nutzung von Vorlagen und Bausteinen sogar den Plan fast komplett selbst aufbauen und das Projekt grundlegend steuern. 19.11 Künstliche Intelligenz bei der Entwicklung von Software und anderen IT-Projekten Innerhalb der Projekte werden die Arbeiten nun durch die geplanten Ressourcen entsprechend der Planung realisiert. Dies ist ein völlig anderer Bereich, in dem aber auch eine Reihe von KIs zum Einsatz kommt. Hier einige Beispiele ohne den Anspruch auf Vollständigkeit. 19.12 KI bei der Spezifikation---Datenanalysen Die Spezifikationen für ein IT-Projekt, egal ob Softwareentwicklung oder andere Themen, sind entscheidend für den Projekterfolg. Es werden selten völlig neue Systeme „auf der grünen Wiese“ entwickelt. Häufiger sind es Bestandsanwendungen, die weiterentwickelt werden; Schnittstellen zwischen Systemen oder neue existierende Produkte werden eingeführt. Alle diese Systeme sind hochintegriert und müssen in dem bestehenden IT-Umfeld so platziert werden, dass sie sicher, performant und stabil laufen. In der Spezifikation ist es häufig notwendig, bestehende Systeme und deren Daten für die Zielanwendung zu analysieren. Hier kommt häufig die Mustererkennung zum Einsatz. Die Daten werden über mehrere Datenquellen in einen Datenkorpus transferiert (oder synchronisiert). Mit Diensten wie AWS SageMaker 7 können nun Muster erkannt und analysiert werden. Daraus ergeben sich in relationalen Modellen veränderte Abfragemuster, und die Logik und Funktion der Zielanwendung wird maßgeblich beeinflusst. Besonders stark werden Redundanzen erkannt, die dann abgestellt oder berücksichtigt werden. 19.13 Userstorys mit Unterstützung durch LLMs Large Language Models (LLM) wie ChatGPT, AWS-Q oder BERT eignen sich aus‐ gezeichnet dazu, Anforderungen formulieren zu lassen. Durch den Einsatz immer raffinierterer Prompts lassen sich vollständige User-Stories, Testszenarien oder Funk‐ tionsbeschreibungen erstellen. Die Texte werden durch die Ersteller im Dialog mit der KI immer weiter verbessert, bis diese dann in die Planungswerkzeuge überführt werden. Wenngleich die Ergebnisse erfahrungsgemäß nicht fehlerfrei sind, da es 19.11 Künstliche Intelligenz bei der Entwicklung von Software und anderen IT-Projekten 217 <?page no="218"?> 8 Die so erstellen und verbesserten Dokumente werden dem LLM erneut zum Lernen zur Verfügung gestellt. sich letztendlich um ein LLM handelt, und eine Nachbearbeitung durch die Nutzer erforderlich ist, resultiert dennoch eine signifikante Zeitersparnis, und die Dokumente weisen eine höhere Vollständigkeit auf. LLMs, die mit eigenen Daten trainiert werden, beispielsweise AWS-Q, lernen im Laufe der Zeit aus den Ergebnissen und werden immer besser 8 . Das setzt voraus, dass Systeme wie JIRA, Sharepoint, Can Do etc. ihre Daten an das Modell übergeben und so ständig gelernt wird. Die Ergebnisse sind dann bessere Spezifikationen, die auch Üblichkeiten und Beson‐ derheiten des Unternehmens berücksichtigen. Je größer die firmeneigene Datenmenge ist, die der KI zur Verfügung gestellt wird, desto bessere Ergebnisse können erzielt werden. Da diese KI auch in Entwicklungsum‐ gebungen wie Visual Studio integriert werden kann, werden bestehende IT-Arbeiten, die möglicherweise in der Vergangenheit gemacht wurden oder aktuell entwickelt werden, berücksichtigt. Oftmals gibt es, gerade bei großen Unternehmen, die Lösung bereits oder es kann eine bestehende Lösung leicht erweitert werden. Die KI wirkt hier wie eine intelligente Suchmaschine, die mit den Stakeholdern im Dialog den besten Lösungsansatz auf Basis vorhandener Elemente erstellt. Künstliche Intelligenz, die auch in der Lage ist, grafische Visualisierungen vorzuneh‐ men, beispielsweise DALL-E, ergänzt Spezifikationen und Konzepte durch generierte Grafiken und Diagramme. 19.14 Coding mit LLM-Unterstützung Eine Vielzahl von KIs, bevorzugt LLMs, lassen sich nahtlos in Entwicklungsumgebun‐ gen einbinden. Beispiele sind GitHub Copilot oder TensorFlow. Durch entsprechende Prompts kann ein Code generiert werden, der in aller Regel nicht perfekt ist, aber bereits eine gute Struktur und Basisfunktionalität hat. Im Dialog wird durch den Entwickler der Code immer weiter angepasst und immer wieder, leicht verändert, neu generiert. Dies schafft in aller Regel die Basis, die dann durch den Entwickler nur noch perfektioniert werden muss. Die Vision dahinter ist natürlich, dass die Person, die die Spezifikation erstellt, von dieser KI ein fertiges Modul generieren lässt, das auch funktioniert. Diese Entwicklung könnte perspektivisch die Rolle des Entwicklers signifikant verändern oder in bestimmten Kontexten möglicherweise redundant machen. Davon ist man heute noch entfernt, vor allem bei völlig neuen Anwendungen. Was allerdings in der Praxis tatsächlich schon funktioniert, ist die Anpassung bestehender Programme durch einen Nicht-Entwickler. 218 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen <?page no="219"?> Wenn es beispielsweise um optische Dinge wie Eingabemasken, Dialoge oder Beschriftungen geht, kann das durchaus durch eine fachfremde Person durchgeführt werden. Solche Front-Ends, die in JavaScript oder auch Angular entwickelt wurden, können in diesen Bereichen durch KeyUser, die keine Programmierer sind, erweitert und angepasst werden. Der Entwickler selbst kann sich umfangreich von den KIs unterstützen lassen. Besonders bei der automatisierten Vervollständigung von Code sparen die Systeme Zeit. 19.15 Qualitätssicherung mit KI-Unterstützung KI-Systeme sind in der Lage, nicht nur syntaktische, sondern auch logische Fehler in komplexen Programmen zu identifizieren, die unter speziellen Bedingungen auftreten. KI kann Code-Optimierung effizient durchführen, wobei die Nachvollziehbarkeit für Entwickler wichtig bleibt. Entwickler lernen durch KI-Refactoring, ihre Skills zu verbessern. KI kann auch die Code-Dokumentation erstellen, was besonders bei schlecht dokumentiertem Code nützlich ist. Auch die Dokumentation für Anwender kann mit LLMs aus dem Code generiert werden, wenn auch nur als reiner Text ohne Abbildungen. Dies ist zumindest die Grundlage für eine „echte“ Dokumentation, da der Sinn der Anwendung durch die LLM oft nicht korrekt erfasst wird. LLMs können effektiv Testdaten aufbauen, etwa SQL-Befehle oder JSON-Dateien generieren, wobei für große Mengen der Entwickler die KI zur Programmformulierung mit Zufallswerten anweisen muss. KI kann Unittests automatisieren, indem sie für markierte Modulabschnitte Testpro‐ gramme generiert und mit Testdaten kombiniert, um auch die Robustheit gegenüber unzulässigen Eingaben zu prüfen. 19.16 Ausblicke Die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz wird sich in den nächsten Jahren beschleunigen, letztendlich dadurch, dass KI bei dieser Entwicklung selbst tatkräftig mithilft. Für das Projektmanagement in den Unternehmen kann davon ausgegangen werden, dass Routinetätigkeiten aller Beteiligten vollständig von Systemen mit KI übernommen werden. Das betrifft vor allem Reporting, Portfolio- und Projektoptimierung und Steuerung der Projekte. Auch die vollständige Generierung von Projektplänen aufgrund von Spezifikationen kann durch eine Kombination verschiedener KIs erfolgen. LLMs hinterlegen Spezifikationen und erzeugen verbale Projektstrukturen, die KIs in Planungswerkzeuge in Projektpläne umwandeln. Dabei identifizieren und lösen 19.15 Qualitätssicherung mit KI-Unterstützung 219 <?page no="220"?> existierende KIs Ressourcenrisiken, und die Projektkommunikation wird durch KI-ge‐ stützte, zielgerichtete Vorschläge statt allgemeinem Austausch optimiert. KI-gestützte Analysen informieren das mittlere und gehobene Management nur bei lösungsrelevanten Problemen, wodurch regelmäßige persönliche Meetings obsolet werden könnten und die Notwendigkeit dieser Managementebene infrage gestellt wird. In IT-Projekten ermöglichen digitale Arbeitsweisen und Tools wie Cloud-Lösungen und HomeOffice den globalen Zugriff auf Ressourcen, wobei KI weltweit passende Mitarbeiter für Projekte identifiziert und integriert. Der Druck auf interne Mitarbeiter durch diesen verstärkten Wettbewerb wird deut‐ lich höher, und es wird erhebliche Veränderungen in allen Bereichen der Unternehmen geben. Die besten Projektmanager zeichnen sich dann durch ihre sozialen und kommuni‐ kativen Fähigkeiten im Umgang mit den Teams und den Stakeholdern aus. Darüber hinaus müssen sie die besten KI-Projektmanagementsysteme zur Verfügung haben und mit den KIs arbeiten können. Im Bereich der IT-Dienstleistungen wie Administration, Datenschutz- und Datensi‐ cherheit sowie Stabilität sind bereits heute wesentliche Schritte in den Cloud-Welten von Amazon, Google und Microsoft gemacht. Diese administrativen Arbeiten können durch den Einsatz von KI weitgehend von den Maschinen selbst übernommen werden. KIs demokratisieren das Entwicklerwissen, indem sie es in Echtzeit auch weniger erfahrenen Entwicklern zur Verfügung stellen und den Entwicklungsprozess durch Spezifikationsunterstützung beschleunigen. Entwickler generieren zunehmend Code in Interaktion mit KIs, wobei ihre Rolle sich auf die präzise Spezifikation der Anforde‐ rungen für die KI-Generierung verschiebt. Im Front-End-Bereich werden wahrscheinlich Anwender selbst über die KI den Code anpassen und optimieren. Der gefragte Entwickler wird nicht mehr der Spezialist für eine Programmiersprache sein, sondern eine Person, welche die Anforderungen der Anwender nachvollziehen und in die Sprache der KIs übersetzen kann. Auch hier sind soziale und kommunikative Fähigkeiten wichtiger als Spezialwissen. Der Trend, der sich für Menschen aus der IT-Branche herauskristallisiert, ist eine Bewegung weg von technischem oder bürokratischem Wissen und hin zu konstrukti‐ ver sowie nachhaltiger Lösungsentwicklung für die Anwender der Systeme. Schließlich muss bei allen diesen durchaus positiven Entwicklungen die ethische Grundlage beim Einsatz von KIs, vor allem wenn diese miteinander interagieren, klar definiert sein. KIs werden eine Vielzahl von Tätigkeiten in der IT-Branche überflüssig machen. Sie werden die Arbeitswelt so stark verändern, dass immer darauf geachtet werden muss, dass die KI kein Selbstzweck ist, sondern das Leben der Menschen verbessern soll. 220 19 Künstliche Intelligenz im Praxiseinsatz von Softwareunternehmen und IT-Abteilungen <?page no="221"?> 20 MLOps in der Projektpraxis Andreas Mäder, Arindam Chakraborty Abstract Bei der Umsetzung und Einführung von KI-basierten Lösungen in den operativen Betrieb sind die Faktoren Skalierbarkeit, Geschwindigkeit, sowie Kosteneffizienz von entscheidender Bedeutung. Das MLOps-Paradigma bietet hierzu einen Ansatz basierend auf der agilen Softwareentwicklung (DevOps). MLOps bindet die Entwicklungsstufen von KI-basierten Lösungen in einen strukturierten, iterativen Prozess ein und ermöglicht die Sichtbarkeit der durch die KI-spezifischen Komponenten erzeugten technischen Schuld (technical debt). Insbesondere ist die Entwicklung von KI-basierten Lösungen in vielen Fällen eine Querschnittsaufgabe über Organisationsgrenzen hinweg und erfordert deshalb besondere Sorgfalt bei der Prozess- und Rollendefinition. KI-spezifische grundlegende Anforderungen an die Infrastruktur und Daten-Management müs‐ sen ebenso berücksichtigt werden. MLOps bietet dazu das nötige Rüstzeug, wenn es richtig umgesetzt wird. Stichwortliste Maschinelles Lernen, MLops, DevOps, industrialisierte KI 20.1 MLOps - Begriffsdefinition und Einordnung Der Begriff MLOps bescheibt eine Menge von Praktiken bzw. ein Paradigma bzgl. der Entwicklung, dem Einsatz, und der Wartung von Machine-Learning bzw. KI-Modellen. Dabei befindet sich MLOps in der Schnittmenge zwischen dem DevOps Paradigma aus Softwareentwicklung, Data Engineering, und eben machinellem Lernen. Die aus DevOps bekannten Ansätze zur Integration von Softwareentwicklung IT-Betrieb (IT Ops) und Automatisierung von Prozessen zur Erhöhung der Produktivität und Qualität von Softwareprodukten sowie der Reduktion von Produktzyklen wird dabei um die Dimension der Datenverarbeitung und des maschinellen Lernens ausgedehnt bzw. angewendet. Die grundlegenden Konzepte sind dabei zu einem Großteil aus der agilen Software-Entwicklung entlehnt bzw. adaptiert und um ML-spezifische Aspekte erweitert. Die Anwendung von MLOps ermöglicht die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Datenwissenschaftlern, Dateningenieuren und Betriebsexperten, um die Bereitstellung, Überwachung und Wartung von Modellen für maschinelles Lernen in Produktionsumgebungen zu automatisieren und zu verwalten. <?page no="222"?> Zu den Schlüsselkomponenten von MLOps gehören u. a. automatisiertes Bauen (Build) und Testen, Ende-zu-Ende Monitoring und Logging, Repository und Versions‐ kontrolle für nahtlose Nachverfolgung und Herkunft (Lineage) von KI-Modellen und Daten, automatische Skalierung von Ressourcen, sowie kontinuierliche Integration und kontinuierliche Auslieferung in Entwicklungs- Test-, und Produktivitätsumgebun‐ gen. MLOps als wichtiger Begriff in der KI-basierten Software- und Produktentwick‐ lung wurde im Jahr 2015 von Google geprägt [1][2]. Abbildung 20-1: MLOps als Schnittmenge von Entwicklungspraktiken aus maschinellem Lernen, De‐ vOps, und Datentechnik MLOps ist dabei abzugrenzen vom AIOps-Paradigma, welches sich auf die Anwendung von KI-Methoden auf den operativen IT-Betrieb bezieht. Bei MLOps geht es demge‐ genüber um die effiziente Entwicklung und Inbetriebnahme von hochqualitativen und komplexen KI-Lösungen. 20.2 Kernziele von MLOps Eines der Hauptziele der Anwendung von MLOps in Unternehmen ist es, die Skalier‐ barkeit der ML-Modellentwicklung zu erhöhen bzw. erst zu ermöglichen. Skalierbarkeit bezieht sich hierbei sowohl auf die Komplexität der KI-Modelle bzw. der KI-Lösungen als auch auf die Möglichkeit der Replikation bzw. dem Einsatz von KI-Modellen in einer Vielzahl von Anwendungsfällen und Produkten [3],[4]. In den meisten Fällen geht es hierbei um Deep-Learning-Ansätze mit komplexen Architekturen und entsprechend großen Datenmengen und Anforderungen an die Infrastruktur (Rechenleistung, Datenvorhaltung, Konnektivität) zum einen, sowie der 222 20 MLOps in der Projektpraxis <?page no="223"?> Einbettung von einem oder mehreren solchen KI-Modellen in einer komplexen Lö‐ sungsumgebung mit kooperativer Inferenz, verschiedenen Datenquellen und -pfaden und dementsprechenden logischen und operativen Abhängigkeiten. Solch gestaltete Lösungen sind demzufolge nur mittels eines hohen Grades an Automatisierung kos‐ teneffizient zu entwickeln und zu betreiben. Dementsprechend zielt die Einführung von MLops auf die folgenden Bereiche ab: ■ Verbesserung der Daten- und (KI-)Modellqualität ■ Gewährleistung von Wiederholbarkeit, Auditfähigkeit und Zuverlässigkeit ■ Hoher Grad an Automatisierung ■ Reduzierung der Time-to-Market ■ Höhere Produktivität insgesamt 20.3 MLOps aus Prozesssicht Durch den Einbezug von KI-Modellen wird im Vergleich zum agilen DevOps-Ansatz weitere iterative Stufen zum Ende-zu-Ende-Prozess hinsichtlich der Datenaufberei‐ tung und des KI-Modelldesign hinzugefügt [5]. Es gibt dabei in diesem Sinne keine normative Definition des Prozesses, da es immer auch Anpassungen an die jeweiligen Anwendungen und Verfahrensansätze geben muss [6]. Abbildung 20-2: MLOps Prozessstufen 20.3 MLOps aus Prozesssicht 223 <?page no="224"?> Die Prozessstufen lassen sich im Einzelnen wie folgt beschreiben: ■ Die Datenstufe beinhaltet Schritte zur Sammlung und Verarbeitung von Daten beliebiger Art zur Verwendung als Input für die KI-Modelle. Dazu zählen auch explorative Verfahren zur Analyse von statistischen Abhängigkeiten sowie das Labelling für supervised-learning Ansätze. Weiterhin sollten in dieser Stufe Me‐ tainformationen hinzugefügt werden, die eine effektive Versions- und Herkunfts‐ kontrolle ermöglichen. ■ In der KI-Modellentwicklungsstufe werden nach der Feature Selection, d. h. der Auswahl der Datenkolonnen, welche bei der Modellierung berücksichtigt werden, die fundamentalen Kernparameter der KI-Modelle festgelegt, z. B. hinsichtlich der Modellarchitektur (supervised, non-supervised, re-inforcement, Hyperparameter und Architektur der Neuronalen Netze, falls diese zum Einsatz kommen). Die Modelle werden anschließend trainiert und aus Gründen der Nachvollziehbarkeit gespeichert. Alle diese Schritte werden gegebenenfalls mit veränderten Parame‐ tern wiederholt, bis eine zufriedenstellende Leistung erreicht wurde. Es handelt sich also um einen iterativen Prozess der ggf. in Abhängigkeit von der Modellgröße beträchtliche Ressourcen erfordert. ■ In der KI-Lösungsentwicklungsstufe wird die Ende-zu-Ende Lösung entwickelt, das KI-Modell integriert, sowie die Leistung der gesamten Ende-zu-Ende Lösung evaluiert. Dabei können auch verschiedene KI-Modellinstanzen bzw. -architektu‐ ren verwendet werden, um die bestgeeignete Modellversion zu identifizieren. Falls sich die Leistung in dieser Stufe als ungenügend herausstellt, wird auf die Modellentwicklungsstufe mit möglichst detaillierter Rückmeldung zu den Gründen für die ungenügende Leistung zurückgesprungen. ■ Schließlich wird in der Operativen Stufe die KI-Lösung ausgerollt bzw. die KI-Mo‐ dellkomponenten in eine existierende Lösung integriert. Die Leistungsparameter der Lösung sollten dabei permanent überwacht werden, um auf einen eventuell auftretenden Leistungsabfall entsprechend reagieren zu können. Diese Reaktion kann z. B. das erneute Anfordern von Daten für ein Re-training bzw. Fine-tuning der KI-Modelle sein. Da es sich um einen datengetriebenen Prozess handelt, kann der Grund für einen Leistungsabfall extrinsisch motiviert sein, z. B. durch einen sogenannten Data Drift (d. h., die Parameter der statistischen Verteilung der Daten ändern sich) oder einen Model Drift (d. h., die statistische Verteilungsfunktion ändert sich so grundlegend, dass sie nicht mehr zum eingesetzten KI-Modell passt). Wie sich aus der Prozesssicht ergibt, handelt es sich bei MLOps um einen hochdyna‐ mischen, agilen Entwicklungsprozess mit mehreren iterativen Stufen und Abhängig‐ keiten. Daraus ergeben sich spezifische Herausforderungen an das Projektmanagement und die Projektplanung, welche im Folgenden näher erläutert werden. 224 20 MLOps in der Projektpraxis <?page no="225"?> 20.4 Planungsanforderungen Viele Unternehmen haben Schwierigkeiten, große KI-Projekte erfolgreich umzusetzen. Dies zeigt sich zum Beispiel in niedrigen Anteilen von implementierten KI-Modellen [7] und zu geringem Return-of-Investment (RoI) [8]. Die Gründe dafür sind vielfältig und hängen auch mit einem effektiven und flexiblen Projektmanagementansatz zusammen. Aus der Praxis sind die folgenden Faktoren bekannt: ■ Falsche bzw. unzureichend konkretisierte Aufgabenstellung ohne realistische Einschätzung des Aufwands und der Kosten für die erfolgreiche Entwicklung einer KI-Lösung. Nicht alle Probleme sind für KI-Lösungsansätze geeignet, insbesondere sollten die Verfügbarkeit von Daten, Ressourcen, sowie Expertise berücksichtigt werden. ■ Strukturelle Widerstände in der Organisation hinsichtlich des „neuen“ Lösungsan‐ satzes welcher jedoch auf eine domänenübergreifende Zusammenarbeit zwingend angewiesen ist. Auch ein fehlendes oder unklares Bekenntnis auf Entscheidungs‐ ebene zum Einsatz von KI erschwert die Umsetzung beträchtlich. ■ Fehlende oder ungenügende Einbeziehung von Domänenexpertise in der Defini‐ tionsbzw. Projektphase führen zu falschen Annahmen bzgl. der Lösungsansätze und der Realisierbarkeit. ■ Fehlende oder unzureichende Expertise hinsichtlich Datenanalyse, -aufbereitung und KI-Modellierung führen zu Defiziten in der KI-Modellierung. Leistungserwar‐ tungen werden nicht erfüllt, Frustration führt zur vorschnellen Ablehnung des gewählten Lösungsansatzes. ■ Fehlende grundlegende Infrastruktur bzw. operative Plattformen für Modellent‐ wicklungs und -trainingsphase führen zu Ineffizienzen und Redundanzen in den verschiedenen Entwicklungsphasen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Hard‐ ware-Infrastruktur zur Beschleunigung des Trainings von ML-Modellen sowie der Software-basierten Plattform zur Unterstützung der jeweiligen Arbeitsphasen im Prozessmodell: Letzteres beinhaltet umfangreiche Software für Hyperparame‐ teroptimierung, Tracking, Versioning von KI-Modellen. ■ Unzutreffende Annahmen über die Verfügbarkeit und Qualität von Daten lassen das Projekt scheitern. Daran scheitert insbesondere oftmals der Übergang von einem Proof of Concept zu einem skalierbaren Produkt. Aus Sicht des Projektmanagements ergeben sich daraus spezifische Anforderungen, die sowohl vor als auch während der Projektphase erfüllt sein sollten. 20.4 Planungsanforderungen 225 <?page no="226"?> Abbildung 20-3: Planungsanforderungen an KI-Projekte 20.5 Schlüsselrollen und Stakeholder Für ein agiles MLOps-Projektmanagement sind verschiedene Rollen erforderlich, die jeweils spezifische Aufgaben und Verantwortlichkeiten haben. Diese Rollen arbeiten zusammen, um die Entwicklung, Bereitstellung und Wartung von Ma‐ chine-Learning-Systemen effizient und effektiv zu gestalten. Die Rollendefinitionen in MLOps-Projekten sind dabei an denen aus der DevOps-Entwicklung angelehnt, es gibt allerdings auch Unterschiede und Ergänzungen, um den jeweiligen KI-spezifischen Aufgaben besser gerecht zu werden: ■ Die Verantwortung des Produktmanagers (product owner) ist die Aufstellung des produktspezifischen Backlogs und die Priorisierung der Aufgaben entsprechend dem Geschäftswert (business value) und entspricht damit weitestgehend dem 226 20 MLOps in der Projektpraxis <?page no="227"?> DevOps-Pendants. Die Kommunikation mit den verschiedenen Stakeholdern ist eine zentrale Aufgabe des Produktmanagers, die aufgrund des unterschiedlichen technischen Hintergrunds in KIbzw. MLOps-Projekten eine besondere Heraus‐ forderung sein kann. ■ Die Aufgabe des Dateningenieurs/ KI-Ingenieurs (data engineer/ ML-engineer) ist die Aufbereitung und Qualitätssicherung der Daten, die Entwicklung und das Training der KI-Modelle inkl. der zugrundeliegenden Architektur bzw. Ansatz, sowie im operativen Betrieb die kontinuierliche Weiterentwicklung und Verbesserung der‐ selben. Dem Dateningenieur/ KI-Ingenieur kommt damit eine zentrale Rolle im Entwicklungszyklus zu. ■ Domänenexperten (domain experts) bringen das fachliche Wissen der jeweiligen technischen Domäne in die Projektumsetzung mit ein. Domänenexperten müssen dazu eng mit den Dateningenieuren/ KI-Ingenieuren zusammenarbeiten, um die Leistung der zu entwickelnden Lösung zu gewährleisten. ■ Die Aufgabe des MLops-Ingenieurs (MLops engineer) ist die Integration der KI-Mo‐ dellentwicklung sowie der darauf aufbauenden Lösung in die MLops-Entwick‐ lungsbzw. Produktionsumgebung. Dies beinhaltet die Anpassung an die jeweilige zugrundeliegende MLOps-Toolchain mit ihren verschiedenen Komponenten, sowie Versionskontrolle, CI/ CD, Monitoring, Skalierung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Teils erhebliche Anpassungsmaßnahmen an die zugrundeliegende Softwa‐ reinfrastruktur vorgenommen werden müssen. ■ Softwarebzw. Cloudingenieure sind ebenfalls in den meisten Fällen unverzicht‐ bar für die Entwicklung moderner und skalierbarer Lösungen im KI-Bereich, da die benötigten Entwicklungs- und Produktionswerkzeuge ganz überwiegend Cloud-basierte Lösungen sind. Dabei existiert eine Vielzahl von kommerziellen Angeboten aller großen IT-Anbieter, aber auch viele spezialisierte Anbieter also auch Open-Source-Lösungen. In den meisten Fällen ist jedoch eine individuelle Anpassung bzw. Einbettung in die jeweilige Umgebung notwendig. Abgesehen von den bereits genannten Rollendefinitionen gibt es eine Vielzahl weiterer wie Scrum Master, Qualitätssicherungsingenieure, Business-Analysten, die wie auch in DevOps bzw. in der agilen Softwareentwicklung je nach Bedarf eingesetzt und an‐ gepasst werden können. Bei MLops ist insbesondere die konstruktive Zusammenarbeit der Domänenexperten mit den KI-Ingenieuren von herausragender Bedeutung. Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, fängt dies mit der Bereitstellung von hochqualitativen Daten in ausreichendem Umfang an - ohne Daten keine KI. Dies gilt jedoch für alle Stufen des MLops-Prozesses. Aus diesem Grund ist die Aufgabe des Produktma‐ nagers teilweise von den besonderen Herausforderungen geprägt, eine gemeinsames Verständnis für die Projektziele und den technische Lösungsansatz zu vermitteln. 20.5 Schlüsselrollen und Stakeholder 227 <?page no="228"?> 20.6 Anforderungen an das Projektmanagement In der Ausführungsphase eines MLOps-Projekts, ergeben sich besondere Anforderun‐ gen an das Projektmanagement, welche im Folgenden weiter erörtert werden sollen. Abbildung 20-4 illustriert den Zusammengang in einem Venn-Diagramm, in dessen Zentrum an der Schnittstelle zwischen MLops und Projektmanagement die Bereiche stehen, die für beide „Domänen“ relevant sind und die einen ganzheitlichen Ansatz erfordern. Abbildung 20-4: MLOps und Projektmanagement. Die Überschneidung zwischen MLops-Prozess und Projektmanagement ergibt sich dabei zum einen aus der verwendeten Softwarebzw. Produktionsumgebung, als auch aus der jeweiligen Stufe (siehe Abbildung 20-2) in der sich das Projekt bzw. die Lösung befindet. Der agile Ansatz ermöglicht dabei einen nahtlosen Übergang zwischen den Stufen, etwa in dem Fall, dass während der Lösungsevaluierung erkannt wurde, dass eine Neuentwicklung bzw. Verbesserung der KI-Modelle benötigt wird, was wiederum in viel Fällen die Neuaufnahme von Trainingsdaten erforderlich machen wird. Aus diesem Beispiel für iterative Verbesserung wird ersichtlich, weshalb Team-Kol‐ laboration, Datenverwaltung, Versionskontrolle, sowie Dokumentation von entschei‐ dender Bedeutung für die MLops-Projektentwicklung ist. So ist ohne eine leistungsfä‐ hige Versionskontrolle von KI-Modellen und Datensätzen eine eindeutige Zuordnung bzw. Herkunft (lineage) einer Lösungsinstanz nicht möglich. Im Projektmanagement sollte deshalb auf die zuverlässige Umsetzung dieser Prinzipien Wert gelegt werden. Ähnliches gilt für die Dokumentation, die hier sowohl die klassische Softwareentwick‐ lung, aber auch die Datensätze und die KI-Modelle beinhaltet. Für die Datensätze sollten insbesondere die Herkunft, die zugrundliegenden Annahmen bei der Erstellung, die Art 228 20 MLOps in der Projektpraxis <?page no="229"?> (z. B. Messungen oder synthetisch generierte Daten), das Format, eventuelle kurative Maßnahmen (Glättung, Kürzung, Erweiterung, …) sowie das Datum der Erstellung dokumentiert werden. Ähnliches gilt für die KI-Modelle. Die Aufnahme von Metadaten mit entsprechenden Werkzeugen ist ein probates Mittel zur Umsetzung. Neben diesen eher administrativen Aufgaben gibt es auch für klassische Projektma‐ nagementthemen spezifische Anforderungen: ■ Das Anforderungsmanagement im Sinne von Software-Requirements erfordert die Einbeziehung aller Stakeholder über Domänengrenzen hinweg. Dabei ist zwischen Anforderungen an die KI-Lösung und Anforderungen an die Produktivbzw. MLops-Entwicklungsumgebung zu unterscheiden. Letztere sollten an die zustän‐ dige Organisation bzw. Team weitergeleitet werden. Ein regelmäßiger Austausch auf Leitungsebene zwischen den Teams ist erfahrungsgemäß hilfreich. ■ Ressourcenmanagement beinhaltet nicht nur die Zuteilung von Arbeitskräften, sondern auch die Vorausplanung und Bereitstellung von Rechenressourcen bzw. -infrastruktur für das Training der KI-Modelle. ■ Ebenso muss das Risikomanagement die Verfügbarkeit der KI-Infrastruktur mit‐ einbeziehen. Weitere Risiken ergeben sich ähnlich wie in der Planungsphase (siehe Abschnitt 20-20.4) sich aus der Diversität der Stakeholder, Datenqualität und Leistungsfähigkeit der KI-Modelle, die vielen Fällen nicht zuverlässig abschätzbar ist. Insbesondere Deep Learning Ansätze sind auf iterative Ansätze angewiesen, dies ist die Grundlage des MLops-Prinzips. ■ Compliance und Governance betrifft sowohl organisationsinterne Vorgaben als auch externe Regularien. Hier ist als Beispiel der AI Act der Europäischen Union zu nennen, der je nach Einsatzgebiet der KI-Lösung eine umfangreiche Dokumenta‐ tion bzw. in einigen (hoch-Risiko) Fällen auch Zertifizierung durch Dritte erfordert. Ebenso müssen Datenschutz und Cybersicherheitsregularien eingehalten werden, in Europa entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO). Wie in jedem Projekt, ob mit oder ohne MLops, ist das Projektmanagement eine der Schlüsselkomponenten für die erfolgreiche Umsetzung. Jedoch sollten die spezifischen Anforderungen des MLops-Prozesses miteinbezogen werden, um einen reibungslosen Ablauf zu garantieren 20.7 Zusammenfassung MLops ist eine Schlüsseltechnologie für die industrielle Anwendung von KI- und ma‐ schinellem Lernen in größerem Maßstab. In diesem Kapitel haben wir die Grundlagen des noch recht jungen MLops-Paradigmas sowie den Zusammenhang zwischen dem Softwarebzw. Produktentwicklungsansatz und dem Projektmanagement erläutert. Insbesondere sind wir auf die spezifischen Herausforderungen und Anforderungen eingegangen, die in einem typischen MLops Projekt auftreten. Diese sind im All‐ gemeinen durch eine diverse Stakeholderbeteiligung geprägt, wobei die kritische 20.7 Zusammenfassung 229 <?page no="230"?> Zusammenarbeit zwischen KI- und Domänenexperten besonders herauszuheben ist. Ein weiterer Aspekt ist die Rolle der Entwicklungsbzw. Produktionsumgebung und die dazugehörige Infrastruktur, welches im Projektmanagement als kritische Ressource miteinbezogen werden sollte. In den kommenden Jahren wird es weitere Fortschritte sowohl auf technischer als auch auf Prozess- und Projektmanagementseite geben. Die Prinzipien von MLops werden weiterbestehen und weiter verfeinert werden, bzw. auf entsprechende An‐ wendungsfälle angepasst werden. Ein Beispiel für solche eine Weiterentwicklung ist LLMops - die Umsetzung von komplexen und mächtigen Lösungen basierend auf den integrierten und vernetzten Einsatz von Large Language Models (LLMs). Literatur [1] Sculley, D., Holt, G., Golovin, D., Davydov, E., Phillips, T., Ebner, D., & Dennison, D. (2015). “Hidden technical debt in machine learning systems”. Advances in neural information processing systems, 28. [2] Kreuzberger, Dominik & Kühl, Niklas & Hirschl, Sebastian. (2023). Machine Learning Operations (MLOps): Overview, Definition, and Architecture. IEEE Access. PP. 1-1. 10.1109/ ACCESS.2023.3262138. [3] Carl Osipov (2022), “MLOps Engineering at Scale”, Manning [4] McKinsey Digital (2023), “Technology Trends Outlook 2023” [5] Ritz, F. et al. (2022). Capturing Dependencies Within Machine Learning via a Formal Process Model. In: Margaria, T., Steffen, B. (eds) Leveraging Applications of Formal Methods, Verification and Validation. Adaptation and Learning. ISoLA 2022. Lecture Notes in Computer Science, vol 13703 [6] L. E. Lwakatare, I. Crnkovic and J. Bosch (2020). “DevOps for AI - Challenges in Development of AI-enabled Applications,” International Conference on Software, Telecommunications and Computer Networks (SoftCOM), Split, Croatia, 2020, pp. 1-6. [7] Rexer Analytics (2023), “Rexer Analytics Data Science Survey”, https: / / drive.google.com/ fil e/ d/ 1Mz3WmtcvUl-00gaT2XKCxdE5-pqbOOjz/ view? usp=sharing [8] IBM Institute for Business Value (2023), “Generating ROI with AI”, https: / / www.ibm.com/ t hought-leadership/ institute-business-value/ en-us/ report/ ai-capabilities 230 20 MLOps in der Projektpraxis <?page no="231"?> 21 Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten Michael Boxheimer Abstract Auf Basis von Projekterfahrungen werden in diesem Beitrag die Potentiale darge‐ stellt, die durch den Einsatz von KI basierter Software im Einkauf / Vertragswesen durch das Projektmanagement genutzt werden können. Anhand der typischen Prozessschritte in der Beschaffung werden Einsatzmöglichkeiten beschrieben und beispielhaft aktuell verfügbare Softwareprodukte genannt. Stichwortliste KI im Einkauf / Vertragswesen, Einsatzfelder, Potentiale, Beschaffung Einleitung Mit dem Begriff „Projekt“ werden vielfach zeitlich begrenzte und kooperativ ausge‐ führte Wertschöpfungsprozesse verbunden, die dazu dienen, Projektziele für interne oder externe Auftraggeber zu erreichen. Organisationen setzen dazu interne und/ oder externe Ressourcen ein. Der Anteil der eingekauften Wertschöpfung in Projekten und damit die Bedeutung der Beschaffung steigt ständig. Die Beschaffung ist i. d. R. als Linienfunktion organisiert und erbringt Leistungen für Projekte. Jedoch ist eine große Bandbreite zu beobachten - abhängig u. a. von Projektart und Projektgröße bzw. für definierte Produkte und Leistungen werden die Aufgaben überwiegend von der Linienfunktion oder vom Projekt wahrgenommen. Die weitere Betrachtung erfolgt auf Basis der Linienfunktion. Typische Prozessschritte in der Beschaffung sind: ■ Bedarfe ermitteln, Ausschreibungsunterlagen erstellen ■ potenzielle Lieferanten identifizieren ■ Informationsanfrage / Angebotsanfrage ■ Angebotsvergleiche / Ranking der Angebote ■ Verhandlung von Handels- und Rechtsklauseln ■ Vertrag und Bestellung ■ Prozess, Produktbeurteilung beim Lieferanten ■ Lieferung und Qualitätskontrolle von Produkten und Diensten ■ Akzeptanz von Produkten und Dienstleistungen ■ Rechnung / Zahlung ■ Bewertung des Lieferanten. <?page no="232"?> Die Zahl der Softwareprodukte, die auf Technologien künstlicher Intelligenz beruhen oder sie integrieren, hat in den letzten Jahren rapide zugenommen. Diese Anwendun‐ gen auf Basis von Künstlicher Intelligenz bieten Unternehmen zahlreiche zusätzliche Potentiale, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, die Effizienz von Geschäftspro‐ zessen zu steigern oder innovative neue bzw. erneuerte „smarte“ Produkte und Services zu entwickeln. Der Einsatz Künstlicher Intelligenz ist für alle Unternehmensbereiche relevant, auch für den Bereich Einkauf / Vertragswesen. KI-Software wird aktuell bereits von zahlreichen Anbietern bereitgestellt. Die Software ermöglicht es, aus zugrundeliegenden Daten die Muster für Entscheidungen aufzubauen, zu lernen und Wissen zu generieren, ohne - wie bisher - explizit programmiert zu werden. Zahlreiche Routinetätigkeiten können von KI-Anwendungen ausgeführt werden. Allerdings ist wichtig, dass die Ergebnisse der KI-Anwendungen von menschlichen Analysten und Fachleuten überprüft und validiert werden, um sicherzustellen, dass sie korrekt und relevant sind. In den folgenden Abschnitten wird für die o. g. Prozessschritte beschrie‐ ben, welche Einsatzmöglichkeiten für KI-Anwendungen im Einkauf aktuell bestehen, welche Aufgaben sie bewältigen und Beispiele, welche KI basierte Software jeweils angeboten wird. Es handelt sich dabei um eine Auswahl der aktuell (2/ 24) verfügbaren Software, zusätzliche Angebote können in der Zukunft erwartet werden. Die Auswahl und Einführung von KI-Software für eine Organisation erfolgt auf dem Hintergrund spezifischer Anforderungen und Ziele und ist jeweils als Projekt umzusetzen. Im weiteren Text werden die Begriffe KI Software, KI-Anwendungen und KI basierte Software synonym verwendet. Qualitativ gute Ergebnisse zu liefern und richtige Entscheidungen zu treffen setzt eine gute und zur Anwendung passende Datenbasis voraus. Operiert die KI mit unvollständigen oder falschen Daten, werden auch entsprechend schlechte Ergebnisse geliefert. Daher ist es wichtig, eine passende und qualitativ gute Datenbasis für das Training der KI-Anwendungen bereitzustellen und damit eine gute Voraussetzung für den Einsatz von künstlicher Intelligenz im Unternehmen zu schaffen. Damit die Daten nicht in Datensilos der Abteilungen verschwinden oder überhaupt nicht zur weiteren Bearbeitung in KI-Anwendungen verfügbar sind, müssen die Daten digitalisiert zur Verfügung gestellt und möglichst zentralisiert verarbeitet werden. Für viele Organisationen zählt die Entwicklung einer Datenkultur sowie die Verwaltung und Nutzung von Daten zu den größten Herausforderungen der nächsten Jahre. Anforderungs- und Bedarfsanalyse sowie Ausschreibungen Die Erstellung von Ausschreibungsunterlagen ist ein komplexer Prozess, der eine sorgfältige Planung, Koordination und Zusammenarbeit erfordert. Die Verwendung von Software-Tools kann bei der Automatisierung von Aufgaben und der Verbesserung der Effizienz helfen, aber letztendlich hängt der Erfolg der Ausschreibung von der Qualität der Ausschreibungsunterlagen und der Fähigkeit der Bieter ab, wettbewerbs‐ fähige Angebote einzureichen. 232 21 Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten <?page no="233"?> Software-Tools, die auf KI basieren bieten verschiedene Funktionen, um die Anfor‐ derungs- und Bedarfsanalyse zu unterstützen: ■ Datenbeschaffung für eine erste Marktsichtung bzw. Markterkundung ■ Visualisierung: Tools können Daten und Ergebnisse visuell darstellen, um die Interpretation und Kommunikation von Ergebnissen zu erleichtern. ■ Empfehlungen: Tools können auf der Grundlage von Daten und Trends Empfeh‐ lungen für Anforderungen und Bedürfnisse abgeben. Software wie Brainial, und Altura Software sind Anwendungen für das Ausschrei‐ bungsmanagement, sie können bei der Erstellung von Ausschreibungsunterlagen, der Verwaltung von Angeboten und der Bewertung von Angeboten unterstützen und Anforderungen so formulieren, dass sie verständlich, neutral, aber interpretationsfrei sind. Cloud-Computing-Plattformen, die verschiedene KI-Tools und -Dienste bieten (z. B. Maschine Learning-Modelle erstellen, gesprochene Sprache in Text umwandeln, Über‐ setzungsdienst für Texte und Websites) und bei der Anforderungs- und Bedarfsanalyse eingesetzt werden können sind z. B. Microsoft Azure, Google Cloud AI oder Amazon Web Services. Lieferanten identifizieren und bewerten Preisanfragen bzw. Anfragen für Angebote werden meist zunächst an bekannte Lieferanten gestellt, mit denen bereits in der Vergangenheit bei Projekten zusam‐ mengearbeitet wurde. In regelmäßigen Abständen werden Marktreviews ausgeführt, damit geprüft werden kann, ob das Angebot und die Konditionen marktgerecht sind. Neue Lieferanten werden auch gesucht, um neuartige Teile einzukaufen. Sollen neue Lieferanten identifiziert und qualifiziert werden, können auch KI basierte Services genutzt werden. Mit den KI-Tools können Aufgaben automatisiert und die Effizienz gesteigert werden. Zur Identifizierung potenzieller Lieferanten können verschiedene Dienste genutzt werden, die als cloudbasierter Service angeboten werden, wie TealBook, SAP Ariba, Scoutbee. Sie verwenden KI-Tools, um potenzielle Lieferanten zu finden und zu bewerten. Dazu werden Daten aus verschiedenen Quellen gesammelt, analysiert und bewertet. Die Dienste verwenden dazu verschiedene Techniken und Algorithmen: ■ Natural Language Processing (NLP): Analyse unstrukturierter Daten wie Websites, soziale Medien und anderer Online-Quellen ■ Machine Learning Algorithmen: Analyse von Daten aus verschiedenen Quellen, um Muster und Trends zu identifizieren ■ Datenanalyse: Analyse großer Datenmengen um Muster und Trends identifizieren ■ Social Media Analytics: Analyse von Daten aus sozialen Medien, um potenzielle Lieferanten zu identifizieren Einleitung 233 <?page no="234"?> Ergänzt werden die Services zum Lieferantenmanagement oft durch eine „Supplier Data Plattform“, die je nach Anforderungen intern oder von einem externen Provider betrieben wird. Dabei handelt es sich um eine spezifische Technologieplattform, die zur Unterstützung des Lieferantenmanagements eingesetzt wird, indem sie die zentrale Erfassung, Verwaltung und Analyse von Lieferantendaten ermöglicht. Darüber hinaus kann die Anreicherung und Verteilung von Lieferantendaten über alle relevanten Systeme, z.-B. ERP hinweg automatisiert werden. Informationsanfrage, Angebotsanfrage Informations- und Angebotsanfragen können durch KI.Software-Tools unterstützt werden. Sie werden bei der Erstellung als auch bei der Verwaltung von Angebotsanfra‐ gen eingesetzt. Einige dieser Tools sind: SAP Ariba, Scout RFP (Bereich von Workday), Zycus. Die Funktionen der Software umfassen Anwendungen für E-Procurement (Au‐ tomatisierung und Optimierung des Beschaffungsprozesses), Procure-to-Pay (umfasst den Prozess von der Beschaffung bis zur Zahlung) und Procurement Performance Management (Monitoring der Aktivitäten, um Verbesserungsmöglichkeiten zu finden). Angebotsvergleiche, Ranking der Angebote Auch für Angebotsvergleiche und das Ranking der Angebote bieten KI-Software-Tools wie SAP Ariba, Scout RFP, Zycus Funktionen an, die den Geschäftsprozess unter‐ stützen. Die Lösungen für Angebotsvergleiche sind auf qualitativ hochwertige und zuverlässige Daten angewiesen. Sie nutzen die Daten aus den Angeboten, wie Preise, Produktspezifikationen, Lieferbedingungen und anderen relevanten Informationen. Hilfreich für die Auswertung der Angebote ist dabei vor allem der Abgleich der Anforderungen aus der Angebotsaufforderung bzw. Anfrage mit dem Angebot. Auf Basis einer Analyse von Schlüsselwörtern kann eine Klassifizierung erfolgen. Bewer‐ tungskriterien werden für einen Vergleich der Angebote genutzt, die Ergebnisse mit z.-B. Ranglisten visuell dargestellt, um die Auswahl des Angebotes zu unterstützen. Verhandlung von Handels- und Rechtsklauseln Durch den Einsatz von KI-Software können Anwälte und Rechtsfachleute Zeit sparen, da sie sich auf die Analyse und Bewertung der von der Software bereitgestellten Informationen konzentrieren können. Dies führt zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen und einer Reduzierung der Kosten und Zeit für die Verhandlung von Handels- und Rechtsklauseln. Unternehmen können so eine bessere Verhandlungspo‐ sition erreichen, da sie schnell über umfassende Informationen und Analysen verfügen. Dies ermöglicht es ihnen, Entscheidungen fundierter zu treffen und ihre Interessen effektiver zu vertreten. 234 21 Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten <?page no="235"?> Verschiedene KI-Softwarelösungen stehen zur Verfügung, die die Verhandlung von Handels- und Rechtsklauseln unterstützen können, Beispiele dafür sind: Kira Systems, Luminance, eBrevia. Da ein Vergabeprozess in einem generellen rechtlichen Rahmen abläuft, gilt er als rechtskonform, wenn er im Einklang mit den geltenden Gesetzen, Vorschriften und Richtlinien für öffentliche Aufträge oder private Beschaffung steht. Die genauen Anforderungen variieren je nach Land und Region. Eine spezifische KI-Software für die Überprüfung der Rechtskonformität von Vergabeverfahren ist aktuell nicht bekannt. Vertrag und Bestellung Contract Express ist eine KI-Plattform, die die automatische Generierung von Ver‐ tragstexten ermöglicht. Sie verwendet Vorlagen und intelligente Texterkennung, um Verträge basierend auf den spezifischen Anforderungen und Bedingungen zu erstellen. Zu beachten ist, dass KI-Software die Arbeit von qualifizierten Rechtsfachleuten unterstützt, aber nicht ersetzt. Die endgültige Entscheidung und Verhandlung und die Formulierung der Vertragstexte sollten immer von Fachleuten getroffen werden, die das nötige Fachwissen und Verständnis haben. Für das Vertragsmanagement stehen ebenfalls KI basierte Systeme zur Verfügung. KI-Software analysiert und extrahiert automatisch wichtige Informationen aus Verträ‐ gen, wie z. B. Vertragsparteien, Vertragsbedingungen, Klauseln, Fristen und weitere Vertragsdaten. Verträge können überwacht werden und Benachrichtigungen erfolgen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind oder Fristen näher rücken. Auf dieser Grundlage können dann geeignete Maßnahmen ergriffen werden. Der Einsatz einer KI im Vertragsmanagement zielt darauf ab, den gesamten Lebens‐ zyklus von Verträgen zu optimieren, indem zeitaufwändige manuelle Aufgaben auto‐ matisiert werden und wichtige Informationen schnell zugänglich sind. Dies ermöglicht eine effizientere Verwaltung von Verträgen durch Fachleute, eine bessere Risikobewer‐ tung und eine verbesserte Compliance. Es gibt verschiedene KI basierte Services, die das Vertragsmanagement unterstützen, von Anbietern wie: Icertis, ContractPodAi, Agiloft. Verschiedene KI-Softwarelösungen unterstützen die Abwicklung und das Manage‐ ment von Bestellungen: SAP Ariba, IBM Watson Supply Chain, Oracle Procurement Cloud. Wesentliche Funktionen sind dabei automatische Bestellungsverarbeitung, Bestandsverwaltung, Lieferantenmanagement und Echtzeit-Analysen. Prozess- und Produktbeurteilung beim Lieferanten Die Prozessbeurteilung beim Lieferanten umfasst verschiedene Aufgaben, die dazu dienen, die Leistung und Qualität der Lieferantenprozesse zu bewerten und sicherzu‐ stellen, dass die Anforderungen und Standards des Auftraggebers erfüllt werden (üblich in verschiedenen Branchen): Einleitung 235 <?page no="236"?> ■ Prozessanalyse zur Untersuchung und Bewertung der Prozesse, die von den Lieferanten verwendet werden, um Produkte und Dienstleistungen herzustellen, ■ Hinweise zur Prozessoptimierung, zur Verbesserung der Prozesse, um Stabilität der Prozesse und die erforderliche Qualität der Produkte und Dienstleistungen zu erreichen ■ Risikobewertung zur Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken im Zu‐ sammenhang mit den Prozessen der Lieferanten. Dies umfasst Aspekte wie die Einhaltung von Standards, die Qualität der Prozesse und die finanzielle Stabilität der Lieferanten. KI-Softwarelösungen können die Prozessbeurteilung beim Lieferanten verbessern, indem sie objektive Bewertungen, Datenanalysen und maschinelles Lernen nutzen. Da‐ durch können Auftraggeber fundierte Entscheidungen bei der Auswahl und Bewertung von Lieferanten treffen und die Prozessqualität sowie die Lieferleistung optimieren. Diese KI-Software kann für die Aufgaben eingesetzt werden: Supplier.ai. Die Produktbeurteilung findet häufig beim Lieferanten statt. Es geht es darum, die Qualität der Produkte und Dienstleistungen eines Lieferanten zu bewerten und sicherzustellen. Wesentliche Aufgaben sind: ■ Bewertung der Qualität von bestellten Produkten und Dienstleistungen, hinsicht‐ lich der Einhaltung von Spezifikationen, Funktion, Zuverlässigkeit, Haltbarkeit, Leistungsfähigkeit ■ Bewertung der Fähigkeit der Lieferanten, Produkte und Dienstleistungen pünkt‐ lich und zuverlässig zu liefern. Aspekte sind die Lieferzeit, die Liefergenauigkeit, die Reaktionsfähigkeit auf Änderungen KI-basierte Software wie SAP Ariba, IBM Watson Supply Chain, Oracle Procurement Cloud unterstützen die Produktbeurteilung beim Lieferanten und helfen dem Auftrag‐ geber fundierte Entscheidungen zu treffen. Lieferung und Qualitätskontrolle von Produkten und Diensten Die Lieferung von Produkten und Dienstleistungen umfasst verschiedene Aufgaben, die sicherstellen, dass die Produkte und Dienstleistungen den Anforderungen und Standards des Auftraggebers gemäß der Bestellung/ dem Vertrag entsprechen, etwa die Einhaltung von vereinbarten Lieferterminen. Im Rahmen der Qualitätskontrolle werden die Einhaltung von Spezifikationen, die Zuverlässigkeit, die Haltbarkeit und die Leistung der Produkte geprüft. KI-Softwarelösungen, die die Aufgaben der Lieferung von Produkten und Diensten unterstützen können, sind z. B. Shippeo, LogiNext, Oracle Transportation Manage‐ ment, SAP Transportation Management. Sie bieten Funktionen wie Echtzeit-Tracking, Routenoptimierung und automatische Benachrichtigungen. Dadurch kann sicherge‐ stellt werden, dass Lieferanten die Lieferzeit verbessern, die Kundenzufriedenheit erhöhen und die Effizienz der Lieferprozesse steigern. 236 21 Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten <?page no="237"?> KI-Softwarelösungen unterstützen die Qualitätskontrolle von Produkten und Dienstleistungen, mit Funktionen wie automatische Inspektion, Fehlererkennung und Echtzeit-Analysen. Dadurch können Unternehmen die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen verbessern und Risiken minimieren. Der Lieferant führt meist die Qualitätskontrolle durch und informiert den Auftraggeber über das Ergebnis. Dazu werden verschiedene KI-Plattformen angeboten, wie: Inspekto (für automatische Fertigungslinien) oder SAP Quality Management. Akzeptanz von Produkten und Dienstleistungen Der Auftraggeber führt Prüfungen zur Abnahme durch und will damit sicherstellen, dass die Produkte und Dienstleistungen den in der Bestellung vereinbarten Anforde‐ rungen und Standards des Auftraggebers entsprechen. KI-Software kann die Abnahme von Produkten und Dienstleistungen verbessern, indem sie automatische Inspektion, Fehlererkennung und Echtzeit-Analysen nutzen: Inspekto (für automatische Fertigungslinien), SAP Quality Management, IBM Watson Quality Insights. Rechnung und Zahlung KI-Softwarelösungen unterstützt die Zahlung von Rechnungen, indem sie automati‐ sche Rechnungserfassung sowie Extraktion der Daten und Abgleich mit der Bestel‐ lung ausführt, dann kann sich der Genehmigungsworkflow anschließen und die elektronische Zahlung erfolgen. Dadurch können Unternehmen die Effizienz ihrer Rechnungsprozesse verbessern, Kosten senken und die Genauigkeit der Zahlungen erhöhen. Als Software kann, eingesetzt werden: BILL.com, Tipalti, SAP Ariba. Bewertung des Lieferanten Die Bewertung von Lieferanten dient dazu, die während eines Projektes gesammelten Erfahrungen zu erfassen und als Beitrag für Entscheidungen künftiger Projekte zur Verfügung zu stellen. Dabei werden Aspekte wie die Qualität der Produkte und Dienstleistungen, die Lieferleistung und die Zuverlässigkeit sowie die Flexibilität der Lieferanten bewertet und Verbesserungsmaßnahmen vorgeschlagen. Durch die Bewertung der Lieferanten können sie die Qualität ihrer Produkte und Dienstleistun‐ gen verbessern, Risiken minimieren und langfristige Partnerschaften aufbauen. Als Software können eingesetzt werden: JAGGAER, Oracle Supplier Management, SAP Ariba. Einleitung 237 <?page no="238"?> Ausblick In dieser Betrachtung zum Einkauf/ Vertragswesen in Projekten wird die Breite der Einsatzmöglichkeiten für und die Verfügbarkeit von KI basierter Software deutlich. Primäre Ziele für den Einsatz sind generell jeweils die Schnelligkeit der Abläufe zu steigern und Aufwand zu reduzieren bzw. innovative Produkte und Dienste zu entwickeln. Damit wird deutlich, dass die Intensität der Nutzung von KI-Technologien massive Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Volkswirtschaften haben wird. Über Einkauf/ Vertragswesen in Projekten hinausgedacht wird Organisa‐ tionen vorgeschlagen, sich intensiv mit der Nutzung von KI-Technologien zu befassen und dazu ein Kompetenzzentrum einzurichten, das den Aufbau erforderlicher Kompe‐ tenzen bündelt. 238 21 Operativer Einsatz von KI im Einkauf / Vertragswesen von Projekten <?page no="239"?> 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement auf Grundlage eines multimodalen Large Language Models im regulierten und lokalen Betrieb Michael Jentgens, Christian Bernert, Andre Büsgen, Bodo Kraft Abstract Das Wissen im Bereich der Projektwirtschaft verteilt sich über verschiedene Dokumentarten. Dieses Wissen steht oft nur klassisch in Form von Büchern, Artikeln sowie sonstigen Organisations- oder Unternehmensdaten zur Verfügung. Durch den Einsatz von Large Language Models (LLM) kann dieses Wissen direkt verfügbar und auswertbar gemacht werden. Innovative Chat-bots unterstützen Anwender dabei, gezielte Fragen auf Grundlage von zusätzlichem antrainiertem Fachwissen aus beliebigen Artefakten zu beantworten. Essenziell für die inhaltliche Transparenz der Erklärung durch den Chatbot gilt die Identifizierung der Informationsquelle. Durch die Vektorisierung der Informationsquellen und einem gezielten Mapping zu den Fragen wird eine eindeutige Identifizierung erreicht. Die flexible Architektur ermöglicht zusätzlich externe Online-Quellen zu nutzen, sofern die interne Datenbank keine passenden Informationen findet. Aus Datenschutz- und Urheberrechtsgründen war es wichtig, dass die herange‐ zogenen Informationsquellen technisch im Unternehmenskontext verbleiben und eine Übertragung an Dritte unterbunden wird. Die Basistechnologie des Chatbots stellen wir als Open-Source Projekt bereit. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Generative KI, Large Language Models Anwendung, Inno‐ vationen, Foundation Modelle, RAG 22.1 Einleitung und Motivation In verschiedenen Domänen verteilt sich konserviertes Wissen auf unterschiedliche Medien. Dies beinhaltet klassische Print-Medien, wie beispielsweise Fachzeitschriften oder Sachbücher, und rein digitale Medien, wie Webseiten oder PDFs. Die Recherche spezifischer Informationen kann sich für Informationssuchende entsprechend sehr aufwändig gestalten. Erschwert wird diese Problematik vor allem dann, wenn gesuchte Informationen zu Beginn einer Recherche noch nicht exakt präzisiert werden können. Eine reine Volltextsuche, wie sie heutzutage in gängigen Recherchedatenbanken an‐ <?page no="240"?> geboten wird, reicht daher häufig nicht aus, um Informationssuchende erfolgreich zum Ziel zu führen. Darüber hinaus liegt die Kontrolle über die Menge der zur Verfügung gestellten Informationsquellen immer beim jeweiligen Betreiber der Recherchedaten‐ banken. Das Projektmanagement steht repräsentativ für eine der skizzierten Domänen. Auch hier existiert derzeit keine Lösung, Informationssuchenden eine intelligente Un‐ terstützung bei der Suche von Informationen in verschiedenen Datenquellen zu bieten. Populäre Beispiele etwaiger Datenquellen sind der Individual Competence Baseline (ICB)-Standard [1] und der PM²-Standard [2]. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl einschlägiger Fachbücher und anderer Materialien unterschiedlicher Herausgeber. Innovative Ansätze fokussieren den Einsatz von Chatbots, um Nutzer: innen ge‐ suchte Informationen aus individuellen Wissensdatenbanken im Frage-Antwort Stil bereitzustellen. Mit Poe (Quora) [3] ist 2022 ein kommerzieller Anbieter an den Markt gegangen, der es Administratoren ermöglicht, eigene Chatbots mit individuellen Wis‐ sensdatenbanken zu konfigurieren und dabei im Hintergrund auf unterschiedlichen Large Language Models (LLM), wie z. B. GPT-4 (OpenAI, 2023) oder LLama [5] zurückzugreifen. Die Standardlösungen weisen allerdings einen begrenzten Konfigu‐ rationsspielraum auf. So können beispielsweise keine individuellen Zugriffsberechti‐ gungen in Bezug auf die Vertraulichkeit der Dokumente definiert werden. Außerdem weisen diese Lösungen verschiedene Schwachstellen auf. Aus Nutzersicht liegt dabei ein besonderes Augenmerk auf der fehlenden Fähigkeit, gefundene Informationen exakt zu referenzieren und der Tatsache, dass diese Lösungen häufig halluzinieren. Das bedeutet, dass sie erfundene und falsche Information als korrekt ausweisen. Dies führt dazu, dass das Vertrauen der Nutzer: innen in die generierten Ergebnisse sinkt. Organisationen wie die GPM, die vertrauliches und urheberrechtlich-geschütztes Material in die Wissensdatenbank eines solchen Chatbots aufnehmen möchten, haben darüber hinaus ein starkes Interesse daran, einen DSGVO-konformen und geschützten Betrieb zu gewährleisten. Dies setzt im Regelfall einen On-Premise- oder Private Cloud-Betrieb des Chatbots voraus. Um den skizzierten Anforderungen gerecht werden zu können und die Lücken existierender Standardlösungen zu schließen, haben wir den Companion Chatbot entwickelt, der auf einem multimodalen LLM, d. h. einem Modell, das unterschiedliche Dokumentformate verarbeiten kann, basiert. Er ermöglicht die Konfiguration individu‐ eller Wissensdatenbanken mit unterschiedlichen Vertraulichkeitsstufen und Zugriffs‐ berechtigungen. Er implementiert und erweitert den sogenannten Retrieval-Augmented Generation Workflow [6] und unterstützt damit eine genaue Referenzierung der ge‐ nutzten Informationsquellen bei der Antwortgenerierung. Die Funktionsweise des generischen Lösungsansatzes demonstrieren wir im Rahmen dieses Beitrags mit Bezug zur Domäne des Projektmanagements. 240 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement <?page no="241"?> 22.2 Überblick des Lösungsansatzes Der Companion Chatbot besteht aus verschiedenen Komponenten. Abbildung 22-1 zeigt einen Überblick des Lösungsansatzes, dessen Einzelheiten im verbleibenden Teil dieses Beitrags näher beschrieben werden. Abbildung 22-1: Aufbau der Architektur für Konfiguration und Betrieb des Chatbot Der Lösungsansatz ermöglicht die individuelle Konfiguration einer anwendungsspezi‐ fischen Wissensdatenbank. Dazu können Administratoren des Companion Chatbots interne Quellen bereitstellen, wie beispielsweise digitalisierte Fachbücher, Zeitschrif‐ tenartikel oder Material aus Weiter- und Fortbildungsprogrammen. Im Hintergrund werden diese Quellen vorverarbeitet, in sogenannte Chunks aufgeteilt und anschlie‐ ßend in vektorisierter Form, d. h. in einer mathematischen Repräsentation, in der Wissensdatenbank abgelegt. Im eigentlichen Betrieb können Nutzer: innen dem Companion-Chatbot anwen‐ dungsspezifische Fragen stellen. Dieser vektorisiert anschließend jeweils eine konkrete Frage und sucht intern in der Wissensdatenbank nach geeigneten Quellen. Der Chatbot ist zudem in der Lage, externe Quellen bei der Informationssuche einzubinden, die nicht explizit in vektorisierter Form in der Wissensdatenbank zur Verfügung stehen. Nachdem der Chatbot geeignete Informationen ermittelt hat, generiert er eine menschenlesbare Antwort, welche eindeutige Referenzen auf die Informationsquelle 22.2 Überblick des Lösungsansatzes 241 <?page no="242"?> beinhaltet, und stellt sie der Nutzerin/ dem Nutzer im Chat-Fenster bereit. Darüber hinaus minimiert dies das Risiko möglicher Halluzinationen. 22.3 Automatisierte und formatspezifische Vorverarbeitung Einen wichtigen Bestandteil des Lösungsansatzes markiert die automatisierte und formatspezifische Vorverarbeitung er Eingangsdokumente, deren Funktionsweise in Abbildung 22-1 dargestellt ist. Abbildung 22-2: Preprocessing, Chunking und Vektorisierung als Grundlage für die optimale Bereitstel‐ lung von Fachwissen Die Vorverarbeitung besteht im Wesentlichen aus den folgenden vier Schritten: 1. Dateibasiertes Preprocessing Die Eingangsdokumente können aus unterschied‐ lichen Quellen stammen und weisen daher kein standardisiertes Dokumentformat auf. So ist es beispielsweise möglich, dass Material aus Weiter- und Fortbildungs‐ programmen primär in Form von PowerPoint-Präsentationen vorliegt, während vordefinierte Templates zum Projektmanagement als Excel-Sheets verfügbar sind. Fachbücher und Journalartikel hingegen liegen im Regelfall als Word- oder 242 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement <?page no="243"?> PDF-Dokumente vor. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der konkrete Dateiinhalt nicht näher spezifiziert wird, sondern lediglich die Rohdaten manuell an den Pro‐ zess übergeben werden. Abhängig vom Dateityp werden die verschiedenen Doku‐ mente dahingehend vorverarbeitet, dass wesentliche Elemente, also beispielsweise Textpassagen, Tabellen oder Abbildungen, in eine homogene Dokumentstruktur überführt werden. Die resultierenden vorverarbeiteten Dokumente werden außer‐ dem mit bestimmten Metadaten, wie dem Dateinamen, angereichert. 2. Automatisierte Formaterkennung: Im zweiten Schritt werden die vorverarbei‐ teten Dokumente automatisiert auf ihr inhaltlich-strukturelles Format überprüft. Konkret bedeutet das, dass die Dokumente bestimmten Formatklassen zugeordnet werden. So wird ein vorverarbeitetes Dokument beispielsweise als Buch oder Formular klassifiziert. 3. Formatspezifisches Chunking: Auf Grundlage des zuvor klassifizierten Do‐ kumentformats erfolgt anschließend das formatspezifische Chunking. Hierbei werden die Dokumente in einzelne Abschnitte zerlegt, welche jeweils eine in sich geschlossene Informationseinheit darstellen. Dies können im Fall von Büchern beispielsweise Abschnitte oder Unterabschnitte sein. Das formatspezifische Chun‐ king bildet die Grundlage für eine präzise Referenzierung der Informationsquellen, welche beispielsweise aus Printmedien oder standardisierten Templates stammen können. 4. Vektorisierung: Im letzten Schritt der Vorverarbeitung werden die zuvor extra‐ hierten Chunks vektorisiert, damit sie später im eigentlichen Retrieval Augmented Generation (RAG) Workflow verarbeitet werden können. Bei der Vektorisierung werden die Zeichenketten in mathematische Repräsentationen überführt. Hierbei kommen vor allem Word-Embeddings wie SBERT [7] zum Einsatz. Die modulare Systemarchitektur des Companion-Chatbots ermöglicht den flexiblen Austausch der genutzten Vektorisierungsstrategie. Im Rahmen der Vorverarbeitung werden also die verschiedenen Eingangsdokumente so aufbereitet, dass sie in einer für den RAG-Workflow optimalen Form in der Wissensdatenbank abgelegt werden. Für die Speicherung wird eine vektorbasierte Datenbank verwendet, in unserem Fall pgvector [8]. 22.4 Erweiterter RAG-Workflow Zur Generierung von präzisen Antworten auf die von den Nutzer: innen gestellten Fragen, implementiert der Companion-Chatbot einen erweiterten RAG-Workflow, dessen Funktionsweise in Abbildung 22-3 dargestellt ist. 22.4 Erweiterter RAG-Workflow 243 <?page no="244"?> Abbildung 22-3: Erweiterter RAG-Workflow zur Umsetzung der interaktiven Nutzung im Chat-Format Zu Beginn des implementierten RAG-Workflows stellt der Benutzer dem Compa‐ nion-Chatbot eine anwendungsspezifische Frage. Im Hintergrund vektorisiert dieser die Frage und startet den Retrieval-Prozess. Dabei sucht er zunächst nach den ersten n Vektoren in der Wissensdatenbank mit der höchsten Übereinstimmung und verwendet dabei einen Cross Encoder [8]. Ein Cross-Encoder vergleicht zwei Zeichenketten miteinander und erzeugt einen Wert zwischen 0 und 1, der die Ähnlichkeit des eingegebenen Zeichenkettenpaares angibt: Jeder so gefundene Vektor der Wissens‐ datenbank entspricht dabei einem der im vorherigen Schritt erzeugten Chunks der Eingangsdokumente. Im Gegensatz zu Standardlösungen können wir beim internen Retrieval einen Rückschluss auf die ursprüngliche Quelle eines gefundenen Vektors ziehen und somit eine exakte Referenz erzeugen. Der Companion-Chatbot erlaubt eine flexible Zu- und Abschaltung externer Quel‐ len. Abhängig von der konkret gewählten Konfiguration schließt sich entsprechend nach dem internen noch ein externes Retrieval an. Hier werden vordefinierte Inter‐ netquellen, wie beispielsweise Wikipedia, DuckDuckGo oder Google, durchsucht, wobei die Frage des/ der Nutzer: in an die entsprechenden Schnittstellen der externen Quellen weitergeleitet wird. Die gefundenen Ergebnisse werden anschließend mit demselben Verfahren, also Chunking und Vektorisierung auf Relevanz untersucht wie beim internen Retrieval. 244 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement <?page no="245"?> Auf Grundlage der gefundenen internen und möglicherweise externen Ergebnisse sowie dem Kontext der Chat-Unterhaltung erzeugt ein LLM anschließend eine präzise Antwort für den/ die Nutzer: in. Mithilfe der Metainformationen aus dem Retrieval-Pro‐ zess ist es dabei in der Lage, genaue Quellenangaben zu den Informationen auszugeben. Es ist außerdem in der Lage, die dabei genannten Quellen auf ihre Existenz zu überprüfen, sodass mögliche Halluzinationen verhindert werden. Der erweiterte RAG-Prozess schafft somit eine höhere Transparenz als viele Stan‐ dardlösungen und gewährleistet einen größeren Schutz vor Halluzinationen. 22.5 Betriebskonzept Der Companion-Chatbot bringt ein flexibles Betriebskonzept mit sich, das sich im Wesentlichen auf zwei Bereiche aufteilt: Der Vektorisierung inklusive Retrieval und der eigentlichen Antwortgenerierung. Abbildung 22-4 stellt das Betriebskonzept schema‐ tisch dar. Abbildung 22-4: Betriebskonzept zur Unterscheidung der Hardware-Anforderungen Die Vektorisierung und der Retrieval-Prozess können auf Standard-Hardware ausge‐ führt werden, die keine besonderen Spezifikationen aufweisen muss. So ist es also möglich, diesen Teil des Gesamtsystems lokal auf dem Clientrechner oder in einem 22.5 Betriebskonzept 245 <?page no="246"?> einfachen Serverbetrieb, also beispielsweise On-Premise oder in einer Private Cloud, zu betreiben. Die eigentliche Antwortgenerierung hingegen wird von einem LLM durchgeführt, welches auf einem hochperformanten GPU-Cluster ausgeführt werden muss. Die flexible Systemarchitektur erlaubt dabei die Einbindung unterschiedlicher LLM, die auf unterschiedliche Weise betrieben werden können. So ist es möglich, beispiels‐ weise ein durch OpenAI online gehostetes GPT-Modell zu verwenden, sodass keine dedizierte Hardware bereitgestellt werden muss. Wird jedoch eine datenschutz- und lizenzkonforme Nutzung der Dokumente aus der Wissensdatenbank angestrebt, wird das zugrundeliegende LLM des Companion-Chatbot On-Premise oder in einer Private Cloud betrieben. Auch hierbei kann ein beliebiges LLM verwendet werden, das Open-Source zur Verfügung gestellt wird. 22.6 Benutzerzentrierte Evaluation Wir haben die Funktionsweise des Companion-Chatbots im Rahmen eines benutzer‐ zentrierten Tests evaluiert. Dabei wurde das SauerkrautLM 7B v1 [9] als zugrundelie‐ gendes LLM eingesetzt, welches auf dem Open-Source Modell Mistral 7B [10] basiert. In die Wissensdatenbank wurden 13 unterschiedliche Fachbücher, Journalartikel und andere einschlägige Medien aus der Domäne des Projektmanagements eingeladen, die exemplarisch von der GPM bereitgestellt wurden. Diese umfassen unter anderem die vollständigen Spezifikationen des ICB4- und des PM²-Standards. Abbildung 22-5: Evaluation Im Rahmen der Evaluation haben wir den Companion-Chatbot anschließend unter‐ schiedliche domänenspezifische Fragen beantworten lassen. Abbildung 22-5 zeigt das 246 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement <?page no="247"?> Ergebnis eines konkreten Beispiels, bei dem nach den Unterschieden zwischen dem ICB4- und dem PM²-Standard gefragt wurde. Während ein Test ohne die Einbindung der internen Quellen gezeigt hat, dass das zugrundeliegende LLM diese Frage mithilfe seines antrainierten Wissens nicht zufriedenstellend beantworten konnte, hat der Chatbot nach Einbindung der entsprechenden Quellen eine sehr präzise Antwort formuliert. Abbildung 22-5 ist außerdem zu entnehmen, dass der Chatbot in der Lage ist, die genutzten Quellen zur Beantwortung der Frage eindeutig zu referenzieren. Die stichprobenartige Evaluation hat neben dem konkreten Beispiel auch in anderen Fällen die Vorteile des vorgestellten Lösungsansatzes bestätigt. Diese umfassen vor allem die präzise Formulierung erwarteter Antworten, die exakte Referenzierung der Wissensquelle sowie die datenschutz- und lizenzkonforme Nutzung der Dokumente aus der Wissensdatenbank durch den On-Premise Betrieb des genutzten LLM. 22.7 Fazit und Ausblick Der Einsatz von KI in Form von Chatbots bietet ein großes Potenzial für die Wissensver‐ teilung im professionellen Projektmanagement. Die Nutzung von LLMs in Verbindung mit dem vorgestellten erweiterten RAG-Workflow eignen sich besonders, um stark verteilte Informationen in einer Wissensdatenbank zu zentrieren und Nutzer: innen ohne manuellen Rechercheaufwand zur Verfügung zu stellen. Der beschriebene Lö‐ sungsansatz stellt dabei sicher, dass die zur Antwortgenerierung genutzten Informa‐ tionsquellen eindeutig und transparent referenziert werden. Dies unterstützt eine gezielte Wissensvertiefung der Nuzer: innen auf Basis der verwendeten Primärquellen. Es ist denkbar, den Funktionsumfang des Chatbots in zukünftigen Ausbaustufen zu erweitern. So ist es möglich, neben der reinen Wissensverteilung auch Möglichkeiten zu schaffen, bereits existierendes implizites Wissen von Projektmanager: innen über den Chatbot in der Wissensdatenbank zu konservieren, das aktuell noch nicht in expliziter Form vorliegt. Den Quellcode der zentralen Systemarchitektur stellen wir Open-Source zur Verfü‐ gung [11]. Literatur [1] GPM Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement, Individual Competence Baseline für Projektmanagement. [2] Europäische Kommission, Generaldirektion Digitale Dienste, PM², Project management methodology guide: open edition, Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union, 2016. [3] TechCrunch, „Quora launches Poe, a way to talk to AI chatbots like ChatGPT,“ TechCrunch, 21 12 2022. [Online]. Available: https: / / techcrunch.com/ 2022/ 12/ 21/ quora-launches-poe-a-w ay-to-talk-to-ai-chatbots-like-chatgpt/ . [4] OpenAI, GPT-4 Technical Report, 2023. 22.7 Fazit und Ausblick 247 <?page no="248"?> [5] H. Touvron, T. Lavril, G. Izacard, X. Martinet, M.-A. Lachaux, T. Lacroix, B. Rozière, N. Goyal, E. Hambro, F. Azhar, A. Rodriguez, A. Joulin, E. Grave und G. Lample, LLaMA: Open and Efficient Foundation Language Models, 2023. [6] P. L. E. Perez und D. Kiela, „Retrieval-Augmented Generation for Knowledge-Intensive NLP Tasks,“ Neural Information Processing Systems, 2020. [7] N. Reimers und I. Gurevych, „Sentence-BERT: Sentence Embeddings using Siamese BERT-Networks,“ in Conference on Empirical Methods in Natural Language Processing and 9th International Joint Conference on Natural Language Processing, Hong Kong, China, 2019. [8] N. Reimers, MS MARCO Cross-Encoders. [9] VAGO Solutions, SauerkrautLM 7B v1. [10] A. Q. Jiang, A. Sablayrolles, A. Mensch, C. Bamford, D. S. Chaplot, D. d. l. Casas, F. Bressand, G. Lengyel, G. Lample, L. Saulnier, L. R. Lavaud, M.-A. L. P. Stock und T. L. Scao, Mistral 7B, 2023. [11] Fachhochschule Aachen, „Yoda Chatbot,“ 2024. [Online]. Available: https: / / git.fh-aachen.d e/ lbp-public/ yoda/ yoda-chatbot. [12] „Gradio,“ [Online]. Available: https: / / www.gradio.app/ . 248 22 „Companion Chatbot“: KI-basierter Chatbot zur Wissensabfrage im Projektmanagement <?page no="249"?> 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht Sibylle Schmidtke, Julia Hartenstein Abstract Dieser Beitrag vermittelt, wie ChatGPT in der Konzeption eines Workshops zum Risikomanagement eingesetzt werden kann und welche Möglichkeiten und Herausforderungen damit verbunden sind. Anhand eines konkreten Beispiels werden die Agenda und eine einführende Präsentation sowie die Durchführung eines eintägigen Workshops mit Unterstützung des Chatbots geplant. Zudem wird der Einsatz in kleinem Maßstab in einem Projekt getestet. Die umfangreiche Beschäftigung mit der Thematik wird durch Screenshots anschaulich dargestellt. Hintergrundinformationen, Learnings und Praxistipps ermöglichen einen einfa‐ chen Einstieg in die Nutzung von ChatGPT für das Projektmanagement. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Generative KI, Large Language Models Anwendung, Inno‐ vationen, Open Source Software (OSS), ChatGPT, Risikomanagement, Workshop, Teamwork, Kommunikation, Datenschutz 23.1 Einleitung Problemstellung Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ist zurzeit in aller Munde und die Spannung ist groß, wie sie die Arbeitswelt verändern wird. Während einige befürchten, dass ihr Arbeitsplatz dadurch überflüssig werden könnte, erhoffen sich andere Unterstützung bei Routineaufgaben oder sogar eine Lösung des Fachkräftemangels. Doch wie starten? Für uns führten die ersten Schritte über eine Auseinandersetzung mit der wohl bekanntesten und am einfachsten verfügbaren KI: ChatGPT. Doch wie weit reicht die Unterstützung und wo liegen die Grenzen? Relevanz des Beitrags Während der fleißige Einsatz von ChatGPT an Schulen und Universitäten die herge‐ brachten Lehrmethoden in Frage stellt, gibt es kaum vergleichbare Meldungen in der Arbeitswelt. Fragt man den Chatbot selbst, wie er konkret in unserem Arbeitsfeld - dem Projektmanagement - zum Einsatz kommen kann, so gibt er an, in allen Projektphasen <?page no="250"?> unterstützen zu können. Um seine Grenzen kennenzulernen, wagten wir den Praxistest in Form einer umfangreichen Konzeption eines Risikomanagement-Workshops sowie ein Test in einem Projekt. Um es vorwegzunehmen - unsere Erwartungen wurden vielfach enttäuscht, der Lerneffekt war jedoch enorm. Damit Sie schneller und entspannter starten können, haben wir unser Vorgehen und unsere Learnings in diesem Beitrag zusammengefasst. 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT Um in kurzer Zeit ein im Arbeitsalltag verwertbares Ergebnis zu erzielen, haben wir uns die Konzeption eines Risikomanagement-Workshops zur Aufgabe gemacht. Neben dem Vorteil, dass wir dem Chatbot vorab nicht allzu umfangreichen Informationen bereitstellen müssen, war auch die Bedeutung des Themas von Interesse. Denn das projektbegleitende Management von Risiken und Chancen ist ausschlaggebend für den Projekterfolg. Unterstützung in diesem kritischen Bereich der Projektarbeit kann daher einen großen Nutzen darstellen, sofern sie verlässlich ist - ein optimales Testfeld für ChatGPT. Der zugrundeliegende Ansatz ist es, zu konzipieren, wie der Chatbot bei der Vorbereitung und Umsetzung eines Workshops zum Risikomanagement eingesetzt werden könnte. Als Datengrundlage dient die inzwischen erfolgreich abgeschlossene Erweiterung des Werkgebiets und die Vergrößerung der Abfüllkapazität eines Mine‐ ralwasserproduzenten. Die eingesetzte Version des Chatbots ist ChatGPT 3.5, die frei verfügbar ist und ein sofortiges Testen der geschilderten Beispiele ermöglicht. Ziel des als Datengrundlage für die Ergebnisse herangezogenen Projekts war es, bis zu einem fixen Datum eine neue Abfüllanlage für Mineralwasser in Betrieb zu nehmen. Da die tatsächliche Komplexität bezüglich technischer Herausforderungen sowie struktureller und sozialer Integration der neuen Betriebsstätte die in der Planung getroffenen Annahmen überstiegen, kam es zu akutem Zeitverzug. In dieser Projekt‐ phase wurde externe Unterstützung hinzugezogen, um das Projektmanagement zu schärfen. Eine unter vielen Maßnahmen, mit denen das Projekt zum Erfolg geführt wurde, war eine umfangreiche Risikoanalyse, die mit dem Projektteam in Form eines Workshops erarbeitet wurde und zur Auswertung der Ergebnisse dient. Konkrete Unterstützung von ChatGPT soll in Form der Erstellung einer Agenda sowie der Vorbereitung von Folieninhalten zur Themeneinführung erfolgen. Darüber hinaus soll simuliert werden, dass der Chatbot während des Workshops aktiv teil‐ nimmt, die Teilnehmer unterstützt und die Dokumentation übernimmt. 250 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="251"?> Was ist ChatGPT? ChatGPT ist eine im November 2022 vom kalifornischen Unternehmen OpenAI veröffentlichte leistungsstarke KI-Plattform, die bereits im Januar 2023 mehr als 100 Millionen Nutzerinnen und Nutzer zählte. GPT steht für Generative Pre-trained Transformer. Es beschreibt die Art des Modells: eine generative, vorab trainierte Variante, die auf der Transformer-Architektur basiert. Diese ermöglicht es, Textdaten zu verstehen, zu verarbeiten und zu generieren. Trainiert wurde das Modell von Forschern und Ingenieuren auf der Basis von Texten aus Büchern, Artikeln, Websites, sozialen Medien, Anleitungen, Handbüchern und vielem mehr. Eine kostenfreie Registrierung ermöglicht es, über einen Chat natürliche und menschenähnliche Interaktionen zu generieren. Die Kommunikation erfolgt über Texteingabe von natürlicher Sprache oder Code. Das Programm antwortet in Se‐ kundenschnelle beruhend auf Wahrscheinlichkeit und auf Grundlage von Daten, deren Aktualität je nach Modell unterschiedlich ausfällt (GPT 3.5: Januar 2022, GPT 4-1106-preview: April 2023). Das Ergebnis ist eine Unterhaltung, die durch kurze Reaktionszeit, souveränen Einsatz von Sprache und meist sehr treffend erscheinende Antworten überzeugt. OpenAI bietet zusätzlich kommerzielle Lizenzen und Zugriff auf seine APIs und Plattformen für Unternehmen und Entwickler an, die KI-Modelle wie ChatGPT in ihren Anwendungen oder Diensten verwenden möchten. Wie kommuniziere ich mit ChatGPT? Der Chat mit ChatGPT funktioniert wie der mit einer echten Person. Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass der Chatbot kaum Rückfragen stellt und somit nicht signalisiert, ob ihm Angaben zur Beantwortung einer Frage fehlen oder die Frage überhaupt verstanden wurde. Daher gilt es, die Ausgangssituation und die Fragestel‐ lung so umfassend und präzise wie möglich zu schildern. Falls die Erwiderungen des Chatbots zu oberflächlich oder falsch ausfallen, hilft es, dies deutlich zu formulieren und um einen neuen Versuch zu bitten. Eine Abkürzung dafür bieten die unter dem Chat befindlichen Symbole. Mit ihnen lassen sich die Ausgaben von ChatGPT kopieren, bewerten und die Anfrage wiederholen. Hilfreiche Prompts für unterschiedlichste Themen: ■ „Erkläre mir … als wäre ich neun Jahre alt / in drei Sätzen / fünf Stichpunkten / ei‐ nem Essay mit 1200 Worten.“ ■ „Gib … in fünf Stichpunkten mit absteigender Relevanz wieder.“ ■ „Hier ist eine …: …. Schlage zehn Alternativen vor. Nenne die ungewöhnlichsten Ideen zuerst.“ ■ „Übersetze mir folgenden … ins … : ….“ ■ „Was sollte ich beachten, wenn ich …? “ 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 251 <?page no="252"?> ■ „Prüfe, ob die folgenden Ziele smart formuliert sind.“ ■ „Schreibe eine freundliche Mail über … .“ ■ „Agiere als [Rolle/ Person] mit Erfahrungen in … und breitem Wissen in … . Bitte gib mir …, damit ich …“ ■ „Stelle in einer Reihenfolge dar, mit welchen Aufgaben begonnen werden sollte und warum.“ Diese Punkte sollten Sie beachten, um relevante Antworten zu bekommen: ■ Höflich Kommunizieren, da dies auch der Chatbot „freut“ und die Qualität der Antworten steigt ■ Anfragen klar und präzise formulieren ■ komplexe und vieldeutige Eingaben vermeiden ■ spezifische Kontextinformationen angeben, auch wenn dadurch lange Eingaben entstehen (siehe unten) ■ Am Ende einer Eingabe fragen, ob alle relevanten Informationen vorhanden sind und verstanden wurden ■ Rückfragen bei Unklarheiten stellen ■ Geduldig sein und Anfragen gegebenenfalls anders formulieren ■ Je nach Anfrage bitten, nur seriöse Quellen zu berücksichtigen ■ Berücksichtigen, dass das Programm keine Gewährleistung für die Aktualität und Richtigkeit seiner Auskünfte übernimmt und keinen Datenschutz sicherstellt Kontaktaufnahme Der Chat zur Vorbereitung auf den Workshop zum Risikomanagement startet mit einer Begrüßung und der Schilderung des Anliegens sowie der Rahmenbedingungen des Projekts, die anhand von anonymisierten Daten dargestellt werden. Um dies nachvollziehbar zu machen, wird der geführte Chat in Auszügen geschildert. Da bei der Textgenerierung Zufallskomponenten einfließen, gestalte sich die Textausgabe immer unterschiedlich und lässt sich vom Leser nicht in exakt gleicher Form wiederholen. Die Texteingaben, die sogenannten Prompts, können und sollen als Vorlage dienen. Sie sind das Ergebnis mehrerer Anläufe, Schleifen und vereinzelter Sackgassen. Damit sie schneller ans Ziel kommen, kommt hier ein vorläufiger Best Practice, der in erster Linie darauf beruht, zu Beginn alle Informationen, die Einfluss auf die gewünschten Ergebnisse haben, so genau und unmissverständlich wie möglich zu schildern. 252 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="253"?> Abbildung 23-1: Kontaktaufnahme mit ChatGPT, Teil 1 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 253 <?page no="254"?> utb-L-Format, Satzspiegelbreite 13 cm utb-L-Format, Satzspiegelbreite 13 cm Abbildung 23-2: Kontaktaufnahme mit ChatGPT, Teil 2 254 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="255"?> Der Kampf um die Agenda oder eine fruchtbare Annäherung Was in vielen Tests bereits sehr einfach geklappt hat, stellte sich zu Beginn der Konversation als absurd schwierig heraus: das Erstellen einer Agenda. Während ChatGPT sehr schnell sinnvolle Agendapunkte sowie Methoden der Vermittlung identifiziert hatte, schien es unmöglich die Punkte anzupassen. Sobald die Zeiten oder Titel geändert werden sollten, änderte der Chatbot unaufgefordert auch andere Zeiten und Inhalte oder erledigte nur einen Teil der Aufgaben, sodass zunächst kein befriedigendes Ergebnis zustande kam. Auch bei der Überführung der Inhalte in eine Tabelle gab es eine Überraschung: Die Tabelle wurde in einer Codeformatierung angezeigt. Abbildung 23-3: Chat mit Tabelle in Code-Formatierung In Folge unterschiedlich formulierter Anfragen ließ sich das übliche Tabellenformat wieder herstellen. Doch nach mehreren Anläufen zur Anpassung dieser Tabelle setzte Resignation ein. Das Zwischenfazit lautete, dass die Vorarbeit von ChatGPT hilfreich ist und die Feinarbeit im Anschluss besser selbst zu erledigen ist. Um zu prüfen, ob es nicht doch einen Ansatzpunkt gab, um ein passendes Ergebnis zu erhalten, wurde dieser Chat abgebrochen und in einem neuen Chat ein frischer Start gewagt. Direkt im Prompt nach der Begrüßung erfolgte eine Zusammenfassung aller relevanter Informationen zum Projekt sowie der Vorschläge, wie ChatGPT bei dem Workshop unterstützen könnte. Das Ergebnis: Eine Agenda, die den im vorherigen Chat angefragten Anforderungen entsprach. 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 255 <?page no="256"?> Abbildung 23-4: Chat mit Agenda in Tabellenform Von dem guten Ergebnis ermutigt, zielte der nächste Prompt auf einen Einladungs‐ text für die Teilnehmer ab. Auch hiermit konnte der Chatbot behilflich sein und beeindrucken. Denn alle erforderlichen Angaben waren im Text enthalten und auch die Ansprache der Empfänger klang angemessen - ein Umstand, für den ChatGPT nicht gerade bekannt ist. Handelte es sich etwa um einen Zufallstreffer? Ein weiterer Versuch in einem neuen Chat und mit demselben ausführlichen Prompt ergab eine sehr ähnliche Agenda. Es liegt somit nahe, dass der Chatbot aus den vorherigen Auseinandersetzungen gelernt hat. Er nähert sich den formulierten Erwartungen, als auch dem Sprachstil an, was die Zusammenarbeit deutlich erleichtert. 256 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="257"?> Eine Voraussetzung dafür, dass der Chatbot aus den Interaktionen lernen kann, ist allerdings, dass der Chat gespeichert wird. Da der Datenschutz bei ChatGPT ungeachtet der Detaileinstellung nicht gewährleistet und auch das Rückfordern von Eingaben oder Ähnliches nicht möglich ist, wurde für diesen Test entschieden, die Daten umfassend zu anonymisieren und die Chats zu speichern und zur Optimierung verwerten zu lassen. Projektmanagement-Vorlagen anstatt ChatGPT Auch bei der Vorbereitung auf den Impulsvortrag zum Risikomanagement sollte ChatGPT unterstützen. Abbildung 23-5: Chat zur Erstellung einer Präsentation, Teil 1 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 257 <?page no="258"?> utb-L-Format, Satzspiegelbreite 13 cm utb-L-Format, Satzspiegelbreite 13 cm Abbildung 23-6: Chat zur Erstellung einer Präsentation, Teil 2 258 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="259"?> Der Chatverlauf führt über eine Wiederholung der anfänglichen Anforderungen und einigen Anpassungen zu einem Ergebnis, mit dem sich sinnvoll arbeiten ließe. Der Prozess dahin erschien jedoch nicht wie eine Arbeitserleichterung, sondern vielmehr wie ein gemeinsames Diskutieren und Weiterentwickeln einer Idee. Dabei nahm der Chatbot weniger die Rolle einer Assistenz, denn viel mehr als Sparringspartner ein, was die Aufgabe verkomplizierte und in die Länge zog. Eine deutlich bessere, einfachere Lösung ist in diesem Fall auf vorhandenes Wissen und Projektmanagementvorlagen zurückzugreifen. Wenn keine solche Vorlagen existieren, wäre ChatGPT ein guter Berater für deren Entwicklung. ChatGPT im Workshop Die Agenda steht, alle unsere fiktiven Teilnehmer wurden eingeladen und sind erschienen - der Workshop kann starten. Bevor es ans Eingemachte geht, wird ein Überraschungsgast als neues Teammitglied eingeführt. Abbildung 23-7: Chat mit Vorstellung von ChatGPT Beginnend mit ChatGPT schildern daraufhin alle ihr Vorwissen zum Thema Risiko‐ management und wählen als Eisbrecher ein Tier aus, das zu ihrem Verhältnis zum Eingehen von Risiken passt. 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 259 <?page no="260"?> Abbildung 23-8: Chat mit Aktivierungsübung Die über die Eingaben bei ChatGPT erfasste Vorstellungsrunde erfüllt mehrere Aufgaben: Sie aktiviert die Teilnehmer, schafft Transparenz über unterschiedliche Wissensstände und Erfahrungen und hält diese fest. Dafür erforderlich ist, dass eine Person die Eingaben übernimmt. Da die Workshopleitung mit ihrer Präsenz, Energie und vor allem durch die Interaktion mit den Teilnehmern die Veranstaltung trägt, sollte dies unbedingt eine Assistenz übernehmen. Alternativ könnten sich die beiden Personen auch abwechseln. Auch bei der Entwicklung dieses Einstiegs war ChatGPT behilflich. Doch ebenso wie nur wenige Witze, die ChatGPT hervorbringt, beim ersten Versuch ein Lachen hervorrufen, so sind auch die Vorschläge für Aktivierungsübungen selten direkt anwendbar. Diese sollten daher vorab entwickelt werden, um ungewollte Pausen und damit einhergehende Irritation vorzubeugen. ChatGPT als Wissensvermittler, Risikoexperte und Protokollant Der aktive Austausch von Ideen, das gemeinsame Lernen sowie der Aufbau von Vertrauen und Verbindlichkeit hinsichtlich des Risikomanagements sind grundlegend für den nachhaltigen Erfolg des Workshops. Dafür bewährte Herangehensweisen, wie gemeinsames Diskutieren und Entwickeln von Ideen, schreiben, skizzieren, sich im Raum und im Verhältnis zu den anderen Teilnehmern zu bewegen, sollen durch den Einsatz des Chatbots nicht unterbunden werden. Vielmehr kann er helfen, wenn es hierbei einmal hakt. 260 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="261"?> Daher ist unser Ansatz für die Konzeption des Workshops, dass der Chatbot bei Fragen unterstützt, die in der Gruppe entstehen und über das versammelte Wissen hinausgehen. Hierfür liefert er eine schnelle vorläufige Beantwortung, die gezielt an das Vorwissen und die erforderte Detailtiefe angepasst werden kann. Da auch ChatGPT gelegentlich Fehler unterlaufen, sollten Informationen im Nachgang anhand sicherer Quellen geprüft werden - insbesondere, wenn sie in das Risikomanagement einfließen. Der Chatbot kann auch bei Denkblockaden oder Startschwierigkeiten bei der Ideenfindung Anstöße geben. Eine nützliche Vorgehensweise ist, ChatGPT eine gewisse Rolle mit spezifischem Wissen und Erfahrungswerten einnehmen und aus dieser heraus Meinungen und Ratschläge generieren zu lassen. Ebenso lassen sich einige lästige kleinteilige Aufgaben an den Chatbot delegieren, was es ermöglicht, schneller wieder in den Diskurs einzusteigen. Abbildung 23-9: Chat mit Risikoabfrage 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 261 <?page no="262"?> Die aktive Mitarbeit, die von ChatGPT erwünscht wurde, soll darüber nicht vergessen werden. Bei jedem Punkt der Agenda kann der Chatbot seine Ansichten als Teammit‐ glied ergänzen. Um jedoch in den Diskussionen und Gruppenarbeiten keine Punkte vorwegzunehmen oder in bestimmte Richtungen zu lenken, sollte dies zum Abschluss geschehen und von den Teilnehmenden kritisch bewertet werden. Sollte dies nicht als wichtige Lernerfahrung eingestuft werden, kann ChatGPT auch das Clustern der Inhalte übernehmen. Abbildung 23-10: Chat mit Risiko-Cluster 262 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="263"?> Ein vergleichbares Vorgehen kann ebenfalls bei der Ermittlung der Ursachen und Möglichkeiten zur Minderung von Risiken angewandt werden. Übernimmt eine Person die gesamte Kommunikation mit ChatGPT, so bietet es sich an, dass sie zugleich die Dokumentation damit ausführt. Denn hier können alle Diskussionen und Ergebnisse erfasst und aufbereitet werden. Abbildung 23-11: Chat mit Anfrage zur Dokumentation Abbildung 23-12: Chat mit Risiko-Übersichtstabelle 23.2 Konzeption eines Risikomanagement-Workshops mit ChatGPT 263 <?page no="264"?> Auf die Frage, ob es möglich sei aus allen genannten Risikoarten, Einzelrisiken, Ursachen sowie präventiven und kurativen Maßnahmen eine Übersicht zu erstellen, erzeugt ChatGPT eine sehr übersichtliche Tabelle, die hier aufgrund von Darstellungs‐ einschränkungen nur im Ausschnitt gezeigt werden kann. Ob die Dokumentation des Workshops mit der Hilfe von ChatGPT sinnvoll ist, entscheidet sich durch die Daten, die hierfür zu erfassen sind. Lassen sich die Daten anonymisiert nicht weiterverwenden, so sollte davon Abstand genommen werden. Eine weitere Hürde ist der Bedarf einer Person, die die Eingabe der Daten übernimmt. Sie sollte vorab darin Erfahrung gesammelt haben bzw. durch Übung eine reibungsarme Zusammenarbeit mit dem Chatbot entwickelt haben, sodass ChatGPT zuverlässig und störungsfrei unterstützen kann. Praxistest im kleinen Maßstab Das Update der Risikoliste in einem staatlichen Großbauprojekt ermöglichte einen Praxistest der erarbeiteten Ansätze. Hierzu galt es den bisherigen Projektverlauf in‐ klusive Risikomanagement zusammenzufassen und zu anonymisieren. Zudem wurden Beispielangaben getestet, um einen flüssigen Ablauf des Termins sicherzustellen. Vorab wurde ChatGPT über seine Aufgabe informiert und mit den anonymisierten Daten versorgt. Im Termin erfolgte nach einer kurzen Erläuterung zum Vorgehen, die Vorstellung des Chatbots als Experte für Risikomanagement. Abbildung 23-13: Chat mit Vorstellung von ChatGPT im Praxistest 264 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="265"?> Anders als gewohnt stellte er sich nicht als ChatGPT, sondern mit [Ihr Name] vor. Auch die übrige Vorstellung unterschied sich zu den vorherigen Tests. So beteuerte er beispielsweise schon in einer Vielzahl von Projekten ähnlicher Art gearbeitet zu haben. Im Folgenden sollte ChatGPT die besprochenen Risiken, die im Chat erfasst wur‐ den, zur Dokumentation sammeln und sortieren. Die aus den Eingaben generierte Tabelle war jedoch weder stimmig noch vollständig. Gründe dafür könnten der hohe Detaillierungsgrad der Eingaben sowie, der aufgrund des Zeitdrucks unstrukturierte Text sein. Während die Eingabe der Risiken im Termin keinen Mehrwert erzeugte, konnte ChatGPT jedoch an anderer Stelle weiterhelfen, indem der Chatbot auf Basis der anonymisierten Projektdaten vier Risiken identifizierte, die vom Projektteam als wertvolle Ergänzung wahrgenommen werden. 23.3 Fazit ChatGPT wurde als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops genutzt, um die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen des Chatbots zu erproben sowie im Idealfall die Arbeit zu erleichtern und die Ergebnisse zu verbessern. Beabsichtigt wurden die Unterstützung in der Erstellung einer Agenda, der Vorbereitung von Foli‐ eninhalten zur Themeneinführung, eine aktive Teilnahme des Chatbots am Workshop und eine Erleichterung der Dokumentation. Bereits bei der ersten Aufgabe zeigte sich, dass die Ausgaben des Chatbots den Erwartungen an Arbeitserleichterung und Ergebnisoptimierung nicht entsprachen. Zugleich stellte sich dabei das Gefühl ein, dass die Zusammenarbeit - ähnlich wie in der Zusammenarbeit mit Kollegen - zunächst eine gewisse Phase der Anpassung bedarf. Sieht man ChatGPT als Teammitglied, so ist es naheliegend, dass auch hier die Phasen des Einlernens und Eingewöhnens durchlaufen werden müssen, bevor mit einer arbeitserleichternden Unterstützung zu rechnen ist. Der Versuch, gemeinsam Folieninhalte zu erarbeiten, machte deutlich, dass es für manche Aufgaben abseits von ChatGPT bereits Best Practices gibt. Diese gelegentlich zu hinterfragen, scheint trotzdem ratsam, da sie deren Wert untermauern oder ab und an doch durch neue, effektivere oder effizientere Ansätze abgelöst werden können. Die aktive Teilnahme des Chatbots am Workshop hat sich in der Konzeption sowie im Praxistest im kleinen Maßstab als begrenzt hilfreich erwiesen. Während sie durch zusätzlichen Input, die Möglichkeit Wissenslücken zu schließen, frische Impulse bei stockenden Situationen zu liefern und die Dokumentation zu erleichtern eine deutliche Bereicherung sein kann, bewirken die Erfordernisse, eine mit dem Tool erfahrene Assistenz für die Eingabe abzustellen und die Daten zu anonymisieren, einen beträchtlichen Mehraufwand. Mit Blick auf die gesammelten Erfahrungen erscheint es grundlegend abzuwägen, ob Sie die Zeit und Geduld investieren möchten, um ein neues Teammitglied einzuarbeiten. Es ist dabei zu bedenken, dass dieses Teammitglied scheinbar unermessliches Potenzial hat, es allerdings auch schwer einzuschätzen ist, wie lange Sie mit ihm und an sich 23.3 Fazit 265 <?page no="266"?> arbeiten müssen, um Zeit einzusparen und möglicherweise auch ihre Arbeitsergebnisse zu verbessern. Aus dem Test erwachsene Empfehlungen sind daher, klein zu starten - etwa mit der Formulierung von E-Mails oder der Entwicklung amüsanter Aktivierungsübungen - und die Chancen zu nutzen, die ChatGPT durch seine Einschränkungen bietet. So ist das Prompten etwa ein gutes Training, Themen auf ihr Wesentliches herunterzubrechen und dabei eine eindeutige Sprache zu nutzen sowie ein Bewusstsein für Vieldeutigkeit und offene Punkte mit Klärungsbedarf zu schaffen. Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass folgende Punkte im Gebrauch von ChatGPT stets zu beachten sind: ■ Inhalt sowie Rechtschreibung der generierten Texte immer kritisch hinterfragen, da ChatGPT gelegentlich auch Fehler macht ■ Strategien für den Umgang mit ungeklärtem Datenschutz entwickeln (z. B. An‐ onymisierung von Daten) ■ Auf zeitraubende „Einarbeitung“ einstellen ■ Datenspeicherung in den Einstellungen deaktivieren oder gezielt einsetzen und durch Bewertung der Ergebnisse für den eigenen Einsatz optimieren ■ Experimentieren, denn die Grenzen des Tools, sind oft nur die Grenzen unserer Vorstellungskraft! 266 23 ChatGPT als Assistenz in der Konzeption eines Risikomanagement-Workshops - ein Erfahrungsbericht <?page no="267"?> Teil D: Rollenveränderung im Projektmanagement durch KI <?page no="269"?> 24 Rollenbilder und KI Andreas Nachbagauer, Gerhard Ortner Abstract Der Einsatz von KI-Systemen führt zu Veränderungen in der Arbeitsweise und in der Zusammenarbeit (zwischen Menschen, aber auch zwischen Mensch und Maschine) und damit zu einer Neudefinition von Aufgaben und Funktionen. Rollen(-beschreibungen) müssen angepasst werden, manche Rollen können ver‐ schwinden, neue Rollen entstehen. Auch die Art und Weise, wie Arbeitnehmer: innen ihre Rollen und Funktionen in einem Unternehmen ausfüllen, kann sich durch die „Mitarbeit“ von KI verändern. Dies erfordert einerseits die Anpassung des Selbstverständnisses insbesondere von Führungskräften, andererseits neue Kompetenzen im Umgang mit KI sowie eine Adaption von sozialen und Führungskompetenzen. Noch ist die Verbreitung von KI im Projektmanagement gering, allerdings gibt es viele Erfahrungen mit algorithmisierten und datenunterstützten Entscheidungs‐ systemen in anderen Professionen wie der Medizin und dem Justizwesen. In diesem Beitrag untersuchen wir die Übertragungsmöglichkeiten dieser Erkennt‐ nisse auf das Projektmanagement und geben Empfehlungen zur Neugestaltung von Rollenbildern. Davor widmen wir uns der Frage, in welchen Kontexten KI besonders gut zum Einsatz kommen kann. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Change, Organisation, HR, Projektrollen 24.1 Einleitung Problemstellung Das Rollenbild und die Verantwortlichkeiten der Projektleitung sind einem stetigen Wandel unterworfen, insbesondere im Zeitalter der technologischen Innovation. Die zunehmende Integration künstlicher Intelligenz (KI) in verschiedenen Branchen hat bereits begonnen, die Arbeitsweise von Projektmanagern: innen zu transformieren und wird dies auch weiterhin tun. Dieses Kapitel untersucht die möglichen Veränderungen im Rollenbild und den Aufgaben von Projektverantwortlichen durch den verstärkten Einsatz von KI. <?page no="270"?> Relevanz des Beitrags Die rasante Entwicklung von KI hat Unternehmen dazu veranlasst, diese Technologie in ihre Prozesse zu integrieren, um Effizienzsteigerungen und Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Projektmanagement, als essenzieller Bestandteil vieler Unternehmensaktivi‐ täten, bleibt von diesen Veränderungen nicht unberührt. Die Integration von KI in das Projektmanagement verspricht neue Arbeitsmethoden und Herausforderungen für Projektmanager: innen. 24.2 Veränderung durch KI-Einsatz im PM Traditionell war der: die Projektmanager: in für die Planung, Koordination und Über‐ wachung von Projekten sowie für das Teammanagement verantwortlich. Mit dem Einzug von KI-Tools und -Plattformen ändert sich dieses Rollenbild jedoch. Der: Die Projektmanager: in wird zunehmend zum: r Moderator: in zwischen menschlichen Teammitgliedern und intelligenten Maschinen. Die KI übernimmt dabei repetitive Aufgaben wie Datenanalyse, Risikobewertung und sogar Teile der Entscheidungsfin‐ dung. Das ermöglicht es dem: r Projektmanager: in, sich verstärkt auf strategische und zwischenmenschliche Aspekte zu konzentrieren, wie etwa die Schaffung eines optimalen Arbeitsumfelds für das Team, die Förderung von Kreativität und Innovation sowie die Anpassung von Strategien an Echtzeitdaten und -analysen. Die Integration von KI beeinflusst auch die Fähigkeiten, die ein: e Projektmanager: in benötigt. Statt sich ausschließlich auf PM-Prozesse wie Planung und Controlling zu konzentrieren, erfordert die Arbeit mit KI eine verbesserte Datenkompetenz (data literacy) und die Fähigkeit, die Ausgaben und Ergebnisse der KI-Systeme zu interpre‐ tieren und zu optimieren. Zudem wird die Fähigkeit, mit einem interdisziplinären Team zu arbeiten und die Schnittstelle zwischen menschlichen Teammitgliedern und KI-Systemen zu managen, zu einer entscheidenden Fähigkeit der Projektleitung. Kom‐ munikation, Veränderungsmanagement und die Fähigkeit, den Wert und die Grenzen von KI-basierten Empfehlungen zu verstehen und zu vermitteln, werden wichtige Aufgaben sein. Mit der Integration von KI in das Projektmanagement ergeben sich neue Herausfor‐ derungen und Chancen. Datenschutz, ethische Fragen bei der Verwendung von KI, die Angst vor Arbeitsplatzverlusten und die Notwendigkeit, die Teammitglieder auf die neue Technologie vorzubereiten, sind nur einige davon. Auf der Haben-Seite der Verwendung von KI im Projektmanagement stehen effizientere Projektumsetzungen, präzisere Entscheidungsfindung durch datengestützte Analysen und die Möglichkeit, sich auf höherwertige Aufgaben zu konzentrieren. Der Einzug von künstlicher Intelligenz verändert daher das Rollenbild und die Aufgaben der Projektleitung grundlegend. Der Wandel erfordert jedoch auch eine Anpassung der Fähigkeiten und Kompetenzen, um effektiv mit KI-Systemen arbeiten zu können. Herausforderungen und Chancen gehen Hand in Hand, und die richtige 270 24 Rollenbilder und KI <?page no="271"?> Integration von KI in das Projektmanagement wird maßgeblich darüber entscheiden, wie erfolgreich Unternehmen zukünftige Projekte umsetzen können. 24.3 Entscheidungen und KI-Unterstützung Entscheidungssituationen in Projekten sind vielfältig. An dieser Stelle ist es nützlich, sich zu fragen, in welchen Entscheidungssituation KI hilfreich zum Einsatz kommen kann und in welchen (noch) nicht. KI kann als „reiner“ Informationslieferant und Informationsverdichter genutzt werden - dies ist die traditionelle Rolle von menschli‐ chen Assistent: innen und IT-Systemen auch schon bisher. Neuere Anwendungen sehen die KI als Entscheidungsunterstützer. Zum Einsatz kommen derzeit vor allem Systeme, die auf der Basis von Mustererkennung spezifische, meist eng definierte Aufgaben übernehmen. In diesen Fällen gibt es Ähnlichkeiten zu Expertensystemen, weil beide Anwendungsfelder letztlich auf algorithmischen Berechnungen beruhen. David Snowden bietet mit seinem Cynefin-Modell einen Rahmen für Entscheidungs‐ findung unter Komplexitätsbedingungen [1; 2]. Er unterscheidet zwischen einfachen, komplizierten und komplexen Situationen und verbindet diese Bereiche mit Verhal‐ tensmustern und Empfehlungen zur Problemlösung. Während einfache und kompli‐ zierte Kontexte (mehr oder weniger) offensichtliche Ursache-Wirkungs-Beziehungen zeigen und eine faktenbasierte Problemlösung ermöglichen, sind komplexe Kontexte ungeordnet und verlangen nach Antworten auf der Grundlage von emergenten Mustern. Bei einfachen Zusammenhängen, dem Bereich der „best practices“, liegt der Schwerpunkt auf Effizienz und Konsistenz. Hier herrscht die Grundannahme vor, dass Vorhersagen machbar sind: Ursache-Wirkungs-Beziehungen sind stabil und bekannt, Muster wiederholen sich, die zur Vorhersage und Kontrolle benötigten Informationen sind verfügbar. Dies ist der Bereich der einfachen Planungs- und Entscheidungsinstru‐ mente, in dem algorithmische Systeme zum Einsatz kommen. Die spezifischen Vorteile von KI spielen kaum eine Rolle, allenfalls kann sie Entscheidungen beschleunigen und Routinen vereinfachen. In komplizierten Zusammenhängen kann es viele tausend Komponenten geben, dennoch ist die Kohärenz nachvollziehbar und die Auswirkungen zwischen den Elementen können voneinander getrennt werden. Es gibt eine richtige Interpretation der Funktionsweise des Systems, aber da sie nicht offensichtlich ist, erfordert die Analyse Zeit und Fachwissen. Entscheider: innen bevorzugen daher Experimente, Faktenorientierung und Szenarioplanung. Da Entscheidungsträger: innen in der Regel nicht über ausreichende Kenntnisse auf dem jeweiligen Gebiet verfügen, verlagert sich die Autorität weg von formalen hierarchischen Positionen hin zu Expert: innen, das umso mehr, wenn Zeit und Ressourcen knapp sind. Dies ist daher der Bereich, in dem Expertensysteme ihre Stärken ausspielen können und damit jenes Feld, in dem auch KI-gestützte System den größten Beitrag zu Problemlösungen liefern können. 24.3 Entscheidungen und KI-Unterstützung 271 <?page no="272"?> Komplexe Systeme zeichnen sich durch Unvorhersehbarkeit auf Grund dynami‐ scher und vielfältiger Beziehungen aus. Das Systemverhalten ist jedoch nicht chaotisch oder zufällig. Auch wenn die Möglichkeit, Auswirkungen zu interpretieren, begrenzt ist, so haben wir doch die Chance, einige grundlegende Funktionsweisen des Systems zu verstehen, wenn wir Zeit haben, aus Erfahrungen in einem Trial-and-Error-Ansatz zu lernen. Komplexe Sachverhalte lassen sich daher nicht „lösen“, sondern nur durch das Finden von wahrscheinlichen, aber nicht unbedingt „wahren“ Schlussfolgerungen verstehen. Unterschiedliche Szenarien, die auf den besten verfügbaren oder wahr‐ scheinlichsten Vermutungen beruhen, führen zu Mustern, die wir nutzen können, um Annahmen über das zukünftige Verhalten des Systems zu treffen. Hier reicht es nicht aus, sich auf Expert: innenmeinungen zu verlassen, die auf historisch stabilen Bedeutungsmustern beruhen. Das an Trial-and-Error orientierte Vorgehen braucht Geduld, um das System zu verstehen, ermutigt zu Dissens und Vielfalt, und ist sich der frühen und schwachen Signale von Umweltveränderungen be‐ wusst. Gerade bei Entscheidungen in turbulenten Zeiten braucht es jedoch rasche und unumstrittene Entscheidungen. In komplexen Systemen beruht die Entscheidungsfä‐ higkeit daher auf Erfahrungen und der (geistige) Flexibilität, diese Erfahrungen an die jeweilige Situation angepasst zum Einsatz zu bringen. Erfahrene Projektmanager: innen können das, was sie in verschiedenen Bereichen und Projekten gelernt haben, auf neue Herausforderungen anwenden, weil sie ein tieferes Verständnis der grundlegenden Prinzipien haben, die unabhängig von der unmittelbaren Situation sind. Algorithmische Expertensysteme sind für diese Aufgabenstellungen nicht geeignet, weil sie (zumeist) eindeutige Inputbedingungen benötigen, die sodann über eindeutig definierte Beziehungen in der Berechnung zu einem als optimal definierten Output führen. Zwar gibt es Ansätze, mit Unsicherheiten und Wahrscheinlichkeiten zu arbei‐ ten und die es erlauben sollen, Szenarien aufzuspannen. Diese sind jedoch weiterhin auf eindeutige Inputs angewiesen und meist (zu) rechenintensiv, um in der täglichen Praxis einfach angewandt zu werden. KI ist zunächst ebenfalls algorithmisch gebaut und arbeitet mit Korrelationen auf der Basis vergangener Daten. Allerdings vermag KI auf einen im Vergleich zum Menschen riesigen Datenschatz zurückzugreifen und damit auf vielfältigste Erfahrungen aus der Vergangenheit. Ferner kann KI verschiedene Varianten extrem schnell durchrechnen und deren Ergebnisse vergleichen. Die Chance der KI ist, dass Schnelligkeit und Datenmenge erfahrungsbasierte und verallgemeinerte Entscheidungsheuristiken schlagen. Die entscheidende Frage liegt jedoch in der Mobilisierung des impliziten Wissens, das von Menschen in der Konfrontation mit vielen unterschiedlichen Situation oftmals unbewusst erworben und als Erfahrung abgespeichert wird - und genau das ist in bisherigen algorithmischen Systemen sehr schwer abbildbar. Viele der jüngsten Fortschritte auch im Zusammenhang mit KI konzentrieren sich daher darauf, diese Fähigkeiten nachzubauen, wie neuronale Netze und Systemdynamik, Big Data und Simulationen, um nur einige zu nennen. Die meisten dieser Methoden beruhen auf 272 24 Rollenbilder und KI <?page no="273"?> dem Lernen und der Erkennung von latenten Mustern aus einer Vielzahl von ähnlichen Vorhaben. Jüngere Entwicklungen gehen noch einen Schritt weiter: ChatGPT beispielsweise ist generativ, d. h., es kann neue Daten erzeugen und nicht nur bestehende Daten ana‐ lysieren. Diese Fähigkeit unterscheidet ChatGPT von früheren Machine-Learning-Va‐ rianten. Ältere Ansätze sind seit vielen Jahren gut in der Mustererkennung - ob es nun um die Unterscheidung von Katzen und Hunden, die Verortung von Verbre‐ chens-Hot-Spots oder das Scannen nach Krebstumoren handelt. Neuere Ansätze wie ChatGPT dagegen erkennen nicht nur Muster, sondern nutzen sie auch, um neue Daten auf der Grundlage dieser Muster zu erstellen [3]. So wurde in einer Studie gezeigt, wie ChatGPT als Mitglied eines hybriden Innovationsteams größere Problem- und Lösungsräume ermöglicht und letztlich zu einer höheren Innovationsleistung führt [4]. Weitere Studien haben gezeigt, dass ChatGPT auf Grund seiner generativen Natur in der Lage ist, neue Ideen und Konzepte einzubringen - auch wenn es immer noch weniger originelle und wertvolle Ideen liefert als Menschen [5]. 24.4 Anwendungen von KI in professionalisierten Berufen Noch ist die Verbreitung von KI im Projektmanagement gering, allerdings gibt es viele Erfahrungen mit algorithmisierten und datenunterstützten Entscheidungssystemen in anderen Professionen wie der Medizin und dem Justizwesen. Wir geben hier einen kurzen Überblick über bereits stattfindende Anwendungen in diesen Fachgebieten. Gesundheitswesen Die Integration künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen und in der Medizin hat die Möglichkeit, die Diagnose, Behandlung und Verwaltung von Gesundheitsdienst‐ leistungen zu revolutionieren. Diagnose und Bildgebung: KI-unterstützte Systeme haben bei der Bildgebung und Diagnose große Fortschritte ermöglicht, so kann KI bei der Auswertung von medizini‐ schen Bildern wie Röntgenaufnahmen, MRT- oder CT-Scans helfen. Programme, die auf maschinellem Lernen basieren, können Anomalien identifizieren und Ärzt: innen bei der Diagnose von Krankheiten wie Krebs, Frakturen oder anderen Pathologien unterstützen [6]. In der Radiologie können mit der Anwendung von KI genauere Diagnosen gestellt und Ärzt: innen in Echtzeit unterstützen werden. Personalisierte Medizin und Behandlung: KI trägt zur personalisierten Medizin bei, indem sie große Datenmengen analysiert, um individuelle Behandlungspläne zu erstellen. Anhand von Patientendaten wie Genomsequenzierungen, Krankengeschich‐ ten und Labortests kann KI präzisere Vorhersagen über Krankheitsverläufe treffen und maßgeschneiderte Behandlungsstrategien empfehlen. Zum Beispiel ermöglicht die Anwendung von KI in der Onkologie die Identifizierung spezifischer Mutationen und das Finden maßgeschneiderter Therapien für Krebspatient: innen [7]. 24.4 Anwendungen von KI in professionalisierten Berufen 273 <?page no="274"?> Prognosen und Prävention: Durch die Analyse von Gesundheitsdaten in Echtzeit kann KI potenzielle Ausbrüche (vor allem Epidemien) von Krankheiten wie Grippe oder anderen Infektionen vorhersagen. Dies ermöglicht es Gesundheitsbehörden, rechtzeitig Präventivmaßnahmen zu ergreifen und Ressourcen effektiv zu verteilen. Verbesserung der Verwaltung im Gesundheitswesen: Neben klinischen An‐ wendungen unterstützt KI die Verbesserung der Verwaltung im Gesundheitswesen. Durch die Automatisierung von Aufgaben wie Terminplanung, Abrechnungssystemen und Patientenaktenverwaltung können Krankenhäuser und medizinische Einrichtun‐ gen effizienter arbeiten. Chatbots und virtuelle Assistenten unterstützen Patient: innen bei der Terminvereinbarung oder beantworten grundlegende medizinische Fragen (z. B. Gesundheitshotlines). Ethische Überlegungen und Herausforderungen: Trotz der Vorteile und des Potenzials von KI im Gesundheitswesen gibt es ethische und regulatorische Heraus‐ forderungen. Datenschutz, die Verwendung sensibler Gesundheitsdaten, die Gewähr‐ leistung von Transparenz in der Entscheidungsfindung und die Verantwortlichkeit bei der Verwendung von KI sind wichtige Anliegen. Darüber hinaus ist die Notwendigkeit, die KI-Systeme kontinuierlich zu validieren und zu verbessern, von entscheidender Bedeutung, um die Genauigkeit und Sicherheit der Anwendungen zu gewährleisten. Justiz und Exekutive Auch im Justizwesen und bei der Polizei sind KI-Systeme sowohl zur Prognose und Prävention wie auch zur Analyse und Verwaltung im Einsatz. Einige Länder - wie China - gehen dabei durchaus bedenklich weit. Kriminalitätsvorhersage und Prävention: Ein Bereich, in dem KI eingesetzt wird, ist die Kriminalitätsvorhersage („predictive policing“). Algorithmen analysieren historische Daten und Muster, um potenzielle kriminelle Aktivitäten - meist räumlich - vorherzusagen und die Verteilung von Polizeikräften entsprechend zu optimieren. Zum Beispiel haben einige Städte Programme eingeführt, die auf KI basieren, um Hotspots für Verbrechen zu identifizieren und Präventionsmaßnahmen zu priorisieren [8; 9]. Forensische Analyse und Beweissammlung: In der forensischen Analyse kön‐ nen KI-Systeme bei der Analyse von Fingerabdrücken, DNA-Proben oder anderen forensischen Beweisen helfen, indem sie Muster erkennen und die Ermittler: innen bei der Identifizierung von Täter: innen unterstützen. KI-basierte Tools ermöglichen eine schnellere und genauere Verarbeitung von Beweisen, was die Effizienz der Ermittlungen erhöht. Gerichtliche Entscheidungsunterstützung: Im Justizsystem unterstützt KI bei der Entscheidungsfindung, indem sie Richter: innen und Anwält: innen bei der Analyse von Fallakten und juristischen Texten hilft. Natural Language Processing (NLP) und maschinelles Lernen können die relevante Rechtsprechung und Gesetze identifizieren sowie potenzielle Unstimmigkeiten oder Muster in den Fällen aufzeigen. Dies kann dazu beitragen, objektivere und fundiertere Gerichtsentscheidungen zu treffen [10]. 274 24 Rollenbilder und KI <?page no="275"?> Überwachung von Verhaltensweisen: KI wird auch zur Überwachung von poten‐ ziell verdächtigem Verhalten eingesetzt („social credit scoring“). Beispielsweise werden solche Systeme in China eingesetzt, um anhand von Videoüberwachung verdächtige Aktivitäten zu identifizieren und so die Polizeiarbeit zu unterstützen [11]. Der Einsatz von KI in der Überwachung wirft jedoch ethische Fragen bezüglich der Privatsphäre und Fehleranfälligkeit auf. Ethische Überlegungen und Herausforderungen: Ähnlich wie im Gesundheits‐ wesen gibt es auch beim Einsatz von KI in Justiz und Polizeiarbeit bedeutende ethische und rechtliche Herausforderungen. Die Nutzung von KI kann zur Verstärkung von Vorurteilen führen, wenn die Algorithmen auf historischen Daten basieren, die systematische Ungleichheiten enthalten. Zudem müssen Datenschutz und Transparenz beim Einsatz von KI-gestützten Überwachungssystemen gewährleistet sein, um Miss‐ brauch zu vermeiden. 24.5 Erfahrungen mit KI in professionalisierten Berufen KI als Entscheidungsunterstützerin oder gar als „Entscheiderin“ berührt vielfältige Aspekte des Arbeitsalltags. Einerseits kann KI als Entlastung insbesondere von Routi‐ neaufgaben wirken. Andererseits kann der Einsatz von KI-gestützten Systemen, so wie alle Formen der technisch determinierten Strukturierung von Arbeitsabläufen und -inhalten, zu einer Verringerung der Autonomie führen („digitaler Taylorismus“) [12]. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Auswirkungen in Entscheidungssitua‐ tionen, wobei wir uns auf die Erfahrungen aus dem Gesundheitswesen, der Justiz und der Exekutive stützen. Gerade bei höherqualifiziertem Personal kann der Eindruck der Dequalifizierung entstehen, weil ja nur mehr den Vorschlägen der KI zu folgen ist. Zugleich hat man es mit mündigen Mitarbeiter: innen zu tun, die sich von einer Maschine nur ungern die Arbeit diktieren lassen [13]. Für Ärzte: innen beispielsweise stellt die Diagnose eine zentrale Fähigkeit dar, für die sie Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen, um sie zu beherrschen, und die zunehmend von KI übernommen werden kann. So können Deep-Learning-Systeme bösartige Hautläsionen so genau - oder vielleicht sogar genauer - erkennen wie ausgebildete Dermatolog: innen. Wenn Wissen und Fähigkeiten die Rolle des: der Arztes: Ärztin in Zukunft nicht mehr bestimmen, so wird ein dritter Bereich wichtiger. Chen bezeichnet diesen dritten Bereich als „praktischen Weisheit“, also der übergeordneten Fähigkeit, zu beurteilen, wann und wie Wissen anzuwenden ist, um einzelne Patient: innen auf mitfühlende Weise am besten zu helfen [14]. Angesprochen ist daher nicht mehr Expertise, sondern mehr Erfahrung mit Krankheitsbildern. Grunhut et al. [15] ergänzen dies um die Fähigkeit, die Ergebnisse der Diagnose (und die daran anschließende Behandlung) an Patient: innen zu kommunizieren - eine Aufgabe, die nicht an Maschinen delegierbar ist. Um diese Fähigkeiten zu erlernen sind die Teilnahme an Erfahrungslernangeboten, praktische Übungen und Diskussionen, 24.5 Erfahrungen mit KI in professionalisierten Berufen 275 <?page no="276"?> Selbsterfahrung und Reflexion sowie Mentor: innenschaft und Vorbildfunktion not‐ wendig. Ebenso müssen Ärzte: innen über die Mängel der KI wie Voreingenommenheit, über Transparenz und über Haftung Bescheid wissen. Das kontextuelle Einbetten der Ergebnisse wie auch die Beziehungs- und Betreuungsarbeit verbleibt beim Menschen. Diese Bereiche können nicht durch KI ersetzt werden [13]. Damit ergeben sich Fragen, welche Bereiche und Aufgaben (in der Medizin) überhaupt durch KI auto‐ matisiert werden sollen. Entgegen dem derzeit dominanten Paradigma der Machbarkeit wird im Gesundheitsbereich zunehmend der Aspekt der Begründbarkeit betont: Nicht alles, was man machen kann, ist auch im besten Interesse des: der Patient: in und des Gesundheitssystems insgesamt. Der Druck, den Empfehlungen der KI in Entscheidungssituation zu folgen steigt, je undurchsichtig der Weg zur Empfehlung ist. Bei einfachen Anweisungen durch Perso‐ nen - in der Regel Vorgesetzte - können Gründe immer noch nach- und im besten Falle auch hinterfragt werden. Bei einfachen IT-Anwendungen können sowohl der Input als auch die Bearbeitungsschritte nachvollzogen - und im Zweifel bestritten - werden. Das ist bei KI-Anwendungen in der Regel nicht mehr der Fall. Der: Die Anwender: in ist nicht mehr in der Lage, das zustande kommen eines Resultates zu hinterfragen, dieses kann nur mehr in Bausch und Bogen geglaubt oder nicht geglaubt werden [16; 17]. Selbst dann, wenn KI-gestützte Systeme systematisch Fehler produzieren, ist eine auf falschen Daten und Annahmen beruhende oder Bias-behaftete Prognose nur mit sehr großem Aufwand nachzuweisen [17]. Gerade neuere KI-Anwendungen nutzen diese Tendenz direkt aus - sie sparen einen Großteil der harten Arbeit und produziert beeindruckende Ergebnisse. Warum sich die Mühe machen, die Details genau zu prüfen, wenn das Resultat gut aussieht? Damit aber wird auch jede Begründung für ein Abweichen vom KI-Vorschlag gegenüber Vorgesetzten, Kunden oder der Öffentlichkeit deutlich erschwert. Erfahrung und das oft zitierte „Bauchgefühl“ hat in diesem Umfeld gegenüber KI-basierter „Expertise“ das Nachsehen. Damit einher gehen Fragen nach der Verantwortung. Neben (moralischer) Schuld und (organisatorischer) Verantwortlichkeit geht es letztlich auch um die rechtliche und finanzielle Haftung. Derzeit liegt im Medizinsystem die Letztverant‐ wortung für Entscheidung immer beim Anwender (Arzt: Ärztin, Gesundheitspersonal), selbst dann, wenn der Anwender die Funktionsweise - und damit mögliche Irrtümer - der Entscheidungsvorschlages des KI-Systems weder erkennen noch durchschauen kann [18]. Aus der Erfahrung mit Systemen des predictive policing ergeben sich deutliche Veränderungen des Berufsbildes: Zum einen besteht die Notwendigkeit, IT- und Da‐ tenspezialist: innen auf höherem Niveau als bisher zu beschäftigen. Zum andere muss die Fähigkeit zur Datenpflege, -verarbeitung und -analyse - kurz: ‚data literacy‘ - auch bei den „einfachen“ Anwendern der Systeme stark verbessert werden. Im Rahmen der Polizeiarbeit wird darauf häufig mit der Entwicklung neuer Berufsbilder wie Profiler und Datenanalytiker reagiert statt mit der Integration in die Routinetätigkeit [16]. Dieser Weg kann durchaus kritisch gesehen werden, da durch die notwendige Übertra‐ 276 24 Rollenbilder und KI <?page no="277"?> gung von Daten und Erkenntnissen viel an notwendigem Kontextwissen verloren geht, mit anderen Worten: Die Rollen zwischen Expertise und Erfahrung wird eher getrennt als, wie für komplexe Situationen angemessen, zusammengeführt. Die Bedeutung von implizitem Wissen wird auch im Rechtswesen betont. Menschli‐ che Experten haben im Vergleich zu KI die Fähigkeit, Erfahrung und akkumuliertes im‐ plizites Wissen zu nutzen, um Vorgehensweisen anzugeben, die auf Kontextspezifika, Mehrdeutigkeiten und die besonderen Interessen der Klienten eingehen. Allerdings gelingt es zunehmend, implizites Wissen mit Hilfe von Maschinellem Lernen und der Mustererkennung aus großen Datenmengen zu erzeugen, die für die Vorhersage der Ergebnisse von Rechtsfällen und die Identifizierung neuer Beziehungen zwischen Gerichtsurteilen und Präzedenzfällen wichtig sind. Infolgedessen wird es immer schwieriger, das implizite praktische Wissen der Menschen von den Fähigkeiten der KI-Systeme zu trennen. Statt einer Trennung von explizitem Wissen da und Anwendungserfahrung dort haben wir es zunehmend mit einer Koproduktion von explizitem und implizitem Wissen zu tun [19]. Mit der Einbeziehung von KI in kollaborative Teams verändert sich der Begriff des hybriden Arbeitens. Hybride Arbeit umfasst auch die Dualität Mensch und KI und beschränkt sich nicht mehr auf das Kontinuum von Präsenz und Virtualität [3]. Fragen, die sich dabei stellen, sind unter anderem: Wie werden die Aufgaben zwischen Mensch und KI aufgeteilt? Wer delegiert diese Aufgaben und wer koordiniert sie? Wer bewertet die Qualität der Arbeitsergebnisse? Wer verantwortet die Arbeitsergebnisse? Nur das Projektteam oder möglicherweise auch der: die Entwickler: in des KI-basierten Teammitglieds? Die Beziehungsstrukturen im professionalisierten Team ändern sich. So kann KI die Rollenverteilung zwischen professionalisierten Berufen und Hilfspersonal ver‐ ändern, wie dies für Anwält: innen berichtet wird: Während das Hilfspersonal früher für „nicht fachspezifische“ Arbeiten wie das Abtippen von Dokumenten oder die Verwaltung von Datenbanken zuständig waren, lässt sich dieses nunmehr besser als „assoziiertes Fachpersonal“ verstehen, da Personen ohne Anwaltszulassung und in einigen Fällen auch Personen ohne juristische Ausbildung, aber mit Informatik‐ kenntnissen, KI-Systeme bedienen und aktiv zur Erstellung und Bereitstellung von Beratungsleistungen für Kunden beitragen. Zwar bleibt der (rechtliche) Berufsschutz für Jurist: innen weiterhin besteht, aber die Grenzen werden durch KI zunehmend verwischt, da (technisches) Personal ohne juristische Ausbildung in der Lage ist, einige Analysen durchzuführen, die bisher Jurist: innen vorbehalten waren. 24.6 Neue Rollenbilder für Führungskräfte im Projektmanagement Der Einzug von KI in Unternehmen erfordert von Führungskräften insbesondere im Projektmanagement ein breites Spektrum an Kompetenzen, um die Potenziale dieser Technologie voll auszuschöpfen. Als Abschluss werden die wesentlichen Fähigkeiten 24.6 Neue Rollenbilder für Führungskräfte im Projektmanagement 277 <?page no="278"?> und Kenntnisse skizziert, die Führungskräfte benötigen, um effektiv mit KI umgehen zu können. Technologisches Verständnis und Data Literacy: Führungskräfte aus den Go‐ vernance-Ebenen von Projekten (oder auch aus dem PMO) müssen ein grundlegendes Verständnis für die Funktionsweise von KI-Systemen und deren Auswirkungen auf Unternehmensprozesse haben. Dies beinhaltet nicht nur das Verständnis der grund‐ legenden Prinzipien von KI, sondern auch die Fähigkeit Daten zu interpretieren und zu verstehen, wie KI-Modelle trainiert und angewendet werden. Ein Grundver‐ ständnis von Algorithmen und Analysetechniken ermöglicht es Führungskräften, fundierte Entscheidungen im Hinblick auf KI-Integration und -Einsatz zu treffen. Fähigkeit zur strategischen Integration von KI: Eine der Schlüsselkompetenzen für Führungskräfte wird die Fähigkeit sein, KI in die strategische Ausrichtung des Unternehmens zu integrieren. Dies erfordert das Erkennen von Geschäftsmöglich‐ keiten (Business Cases), bei denen KI einen Mehrwert bieten kann, sowie die Entwick‐ lung von langfristigen Plänen zur Implementierung und Nutzung von KI-Technologien. Führungskräfte müssen in der Lage sein, die Potenziale und auch Grenzen von KI zu erkennen und zu verstehen, wie diese Technologie die Unternehmensstrategie und damit auch ihr Projektgeschäft beeinflussen kann. Führung und Change-Management: Der Umgang mit KI erfordert eine Trans‐ formation in der Arbeitsweise und Unternehmenskultur. Führungskräfte, wie Pro‐ jektleiter: innen, müssen in der Lage sein, diese Veränderungen zu „führen“ und zu managen. Dies beinhaltet die Förderung einer Kultur der Innovation und des lebenslangen Lernens, um Mitarbeiter: innen auf den Umgang mit KI vorzubereiten. Die Fähigkeit, Teams zu motivieren und zu inspirieren, während sich die Arbeitsweisen durch den Einsatz von KI verändern, ist von entscheidender Bedeutung. Erfahrung ist wichtiger als Expertise: Expert: innen sind in der Regel darauf trainiert, komplizierte Probleme zu verstehen und durch die Anwendung von allge‐ meinen Regeln zu lösen - das gilt auch für algorithmische Expertensysteme. Ebenso kann Fachwissen, das in IT-gestützten Systeme gespeichert ist, bei einfachen und kom‐ plizierten Projekten nützlich sein. In Fällen von Komplexität und Neuartigkeit ist Erfahrung und damit die Fähigkeit, abstrakte Muster zu erkennen und daraus situationsangemessene Handlungen abzuleiten, wichtiger als Fachwissen. Dies ist ein Bereich, in dem auch KI-gestützte Systeme (noch) keine Lösungen anbieten, auch wenn erste Ansätze sichtbar werden. Die Erfahrung der Projektleiter: innen bleibt hier also weiter ein wichtiger Erfolgsfaktor. Ethik, Verantwortung und Risikomanagement: Der verantwortungsvolle Um‐ gang mit KI erfordert ein starkes Verständnis ethischer Fragestellungen und eine Fähigkeit zur Risikobewertung. Führungskräfte müssen in der Lage sein, ethische Richtlinien für den Einsatz von KI im Unternehmen festzulegen und sicherzustellen, dass KI-Anwendungen den gesetzlichen Vorgaben (z. B. EU-Regulatorien) und ethi‐ schen Standards (des Unternehmens) entsprechen. Das Risikomanagement im Hinblick 278 24 Rollenbilder und KI <?page no="279"?> auf Datenschutz, Fairness und Transparenz von KI-Systemen wird zu einer zentralen Aufgabe für Führungskräfte. Aus heutiger Sicht gibt es auch Bereiche, die nicht (einfach) an KI übertragbar sind, die also als genuin menschlich verbleiben und die eng mit Entscheidungen verbunden sind. Zugleich sind dies jene Aufgaben im Projektmanagement, von denen wir vermuten, dass sie auch in Zukunft einzigartige Wettbewerbsvorteile für Rollen‐ träger: innen schaffen können: Entscheidungen in komplexen Situationen: In komplexen Situationen gibt es keine eindeutiges Richtig oder Falsch, keine Lösung, die sich „ausrechnen“ ließe. In diesen Fällen kann KI deutlich besser als bisherige Systeme als Entscheidungsunter‐ stützung und als Anregung für vielfältige Möglichkeiten zum Einsatz kommen - aber sie kann bis auf weiteres keine eindeutigen Ergebnisse liefern. Dennoch muss entschieden werden. Diese Entscheidung selbst kann in solchen Situationen immer nur beim Menschen verbleiben. Dazu braucht es aber Entscheidungswillen und -kraft. Verantwortung für Entscheidungen: Eine KI entscheidet nicht. Diese Überlegung führen dazu, dass auch für KI-basierte Entscheidung letztlich immer der: die Anwen‐ der: in verantwortlich bleibt, sowohl, was die Verwendung der KI selbst betrifft als auch für die Übernahme oder Ablehnung einer KI-generierten Empfehlung. Umgekehrt können KI-Anwender: innen von Systemen verlangen, dass sie den ART-Kriterien (accountability, responsibility, transparency) entsprechen, damit diese Entscheidungs‐ unterstützung vertrauensvoll angenommen werden kann. Kommunikation von Entscheidungen: Wichtiger wird auch die Fähigkeit, KI-basierte Entscheidungen zu kommunizieren: Das beinhaltet, Grundlagen der Entscheidung darzulegen und sich nicht „hinter dem Computer“ zu verstecken. Ebenso notwendig ist es, Entscheidungen und ihre Begründungen zu „übersetzen“, also in eine für die Mitarbeiter: innen und Stakeholder: innen brauchbare Sprache und akzeptable Form zu bringen. Dabei müssen auch mögliche Einschränkungen mitbedacht werden, die die Verwendung von KI mit sich bringt. Und letztlich geht es auch darum, hinter den Entscheidungen zu stehen, selbst dann, wenn die KI-Anwendung auch für einen selbst eine Black Box bleibt. Literatur [1] Kurtz, C.F., Snowden, D.J. (2003): The new dynamics of strategy: sense-making in a complex and complicated world. IEEE Engineering Management Review, 31 (4): 110. [2] Snowden, D.J., Boone, M.E. (2007): A leader's framework for decision making. Wise executives tailor their approach to fit the complexity of the circumstances they face. Harvard business review, 85 (11), S.-68-76. [3] Dwivedi, Y.K., Kshetri, N., Hughes, L. et al. (70 more authors) (2023): “So what if ChatGPT wrote it? ” Multidisciplinary perspectives on opportunities, challenges and implications of generative conversational AI for research, practice and policy. International Journal of Information Management, 71: 102642. 24.6 Neue Rollenbilder für Führungskräfte im Projektmanagement 279 <?page no="280"?> [4] Bouschery, S.G., Blazevic, V., Piller, F.T. (2023): Augmenting human innovation teams with artificial intelligence: Exploring transformer‐based language models. Journal of Product Innovation Management, 40 (2), S.-139-153. [5] Stevenson, C., Smal, I., Baas, M., Grasman, R., van der Maas, H. (2022): Putting GPT-3's Creativity to the (Alternative Uses) Test. International Conference on Computational Crea‐ tivity (ICCC) 2022, arxiv.org/ pdf/ 2206.08932v1 [6] Yu, C., Helwig, E.J. (2022): The role of AI technology in prediction, diagnosis and treatment of colorectal cancer. Artificial Intelligence Review, 55 (1), S.-323-343. [7] Blasiak, A., Khong, J., Kee, T. (2020): CURATE.AI: Optimizing Personalized Medicine with Artificial Intelligence. SLAS Technology, 25 (2), S.-95-105. [8] Cortes, A.L.L., Silva, C.F. (2021): Artificial Intelligence Models for Crime Prediction in Urban Spaces. Machine Learning and Applications: An International Journal, 8 (1), S.-1-13. [9] Bag, A., Hadli, S.N. (2023): A Survey on the Capability of Artificial Intelligence (AI) in Crime Prediction and Prevention. In: Yadav, S., Haleem, A., Arora, P.K., Kumar, H. (Hrsg): Smart Innovation, Systems and Technologies: Proceedings of Second International Conference in Mechanical and Energy Technology. Springer Nature Singapore, Singapore, S.-259-267. [10] Cofone, I. (2021): AI and Judicial Decision-Making. In: Martin-Bariteau, F., Scassa, T. (Hrsg), Artificial intelligence and the Law in Canada. LexisNexis Canada, Toronto, Ch. 13. [11] Lee, C. (2019): Datafication, dataveillance, and the social credit system as China´s new normal. Online Information Review, 43 (6), S.-952-970. [12] Giering, O., Kirchner, S. (2021): Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz. Soziale Welt, 72 (4), S.-551-588. [13] Aquino, Y.S.J., Rogers, W.A., Braunack-Mayer, A., Frazer, H., Win, K.T., Houssami, N., Dege‐ ling, C., Semsarian, C., Carter, S. M. (2023): Utopia versus dystopia: Professional perspectives on the impact of healthcare artificial intelligence on clinical roles and skills. International Journal of Medical Informatics, 169: 104903. [14] Chen, J. (2017): Playing to our human strengths to prepare medical students for the future. Korean Journal of Medical Education, 29 (3), S.-193-197. [15] Grunhut, J., Wyatt, A.T.M., Marques, O. (2021): Educating Future Physicians in Artificial Intelligence (AI): An Integrative Review and Proposed Changes. Journal of Medical Education and Curricular Development, 8: 238212052110368. [16] Egbert, S., Krasmann, S. (2019): Predictive Policing. Eine ethnographische Studie neuer Technologien zur Vorhersage von Straftaten und ihre Folgen für die polizeiliche Praxis. Projektabschlussbericht, Universität Hamburg, Hamburg. [17] Smith, H. (2021): Clinical AI: opacity, accountability, responsibility and liability. AI & SOCIETY, 36 (2), S, 535-545. [18] Naik, N., Hameed, B.M.Z., Shetty, D.K., Swain, D., Shah, M., Paul, R., Aggarwal, K., Ibrahim, S., Patil, V., Smriti, K., Shetty, S., Rai, B.P., Chlosta, P., Somani, B.K. (2022): Legal and Ethical Consideration in Artificial Intelligence in Healthcare: Who Takes Responsibility? Frontiers in Surgery, 9: 862322. 280 24 Rollenbilder und KI <?page no="281"?> [19] Dubois, C.L.F., Faulconbridge, J., Pemer, F., Ruiner, C., Seepma, A.P., Skjølsvik, T., Spring, M. (2022): Get nothing wrong: perspectives on the functions and fallibilities of professionals and algorithmic technologies in law and justice. Paper presented at EGOS Conference 2022, Vienna. 24.6 Neue Rollenbilder für Führungskräfte im Projektmanagement 281 <?page no="283"?> 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für die Funktion und Rollenverständnis des Projektmanagers Martin Bialas Abstract Die Integration Künstlicher Intelligenz in das Projektmanagement stellt nicht nur eine operative Revolution dar, sondern konfrontiert den Projektmanager auch mit einem tiefgreifenden ethischen Paradigmenwechsel. In der operativen Sphäre fungiert KI als katalytischer Agent für Effizienz und Präzision, entbindet den Projektmanager von repetitiven Aufgaben und ermöglicht eine vertiefte strategische Weitsicht. Ethisch gesehen zeichnet sich ein neues Terrain ab, auf dem die Projektmanager als Hüter der Menschlichkeit im technologischen Fortschritt agieren, balancierend zwischen algorithmischer Effektivität und dem Wahren menschlicher Werte. Diese Dualität erfordert eine philosophische Reflexion über die Bedeutung von Verantwortung und Entscheidungsmacht im Zeitalter der KI, wo transparente und gerechte KI-Anwendungen nicht nur erwünscht, sondern imperativ sind. Somit offenbart sich die wahre Herausforderung für den Projekt‐ manager nicht nur in der Verwaltung von Projekten, sondern im Verständnis und in der Gestaltung der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, Ethik und Innovation. Stichwortliste Künstliche Intelligenz, Rollenverständnis, Projektmanager, Implementierung Künstlicher Intelligenz, Implikationen, Funktion des Projektmanagers 25.1 Einleitung Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in das Projektmanagement stellt einen grundlegenden Wandel in der Planung, Durchführung und Überwachung von Projekten dar. KI-Technologien führen nicht nur zu Effizienzsteigerungen und verbes‐ serter Entscheidungsfindung durch Datenanalyse, sondern läuten auch eine neue Ära algorithmischer Intelligenz ein. Angesichts der zunehmenden Komplexität von Projekten bieten KI-Systeme mit ihren Analyse- und Prognosefähigkeiten wichtige Lö‐ sungsansätze. Die Einführung von KI in Projektprozessen ist ein evolutionärer Schritt, der auf der Digitalisierung aufbaut und durch Technologien wie maschinelles Lernen und Predictive Analytics eine adaptive und autonome Projektsteuerung ermöglicht. Kritische Fragen wie ethische Bedenken und die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt <?page no="284"?> müssen jedoch berücksichtigt werden - und menschliche Intuition und Erfahrung bleiben unverzichtbar. 25.2 Grundlagen der Künstlichen Intelligenz im Projektmanagement Definition und Schlüsseltechnologien Künstliche Intelligenz, definiert als die Fähigkeit von Maschinen, Lernprozesse, Pro‐ blemlösungen und die Verarbeitung komplexer Daten autonom zu bewerkstelligen, revolutioniert die traditionellen Paradigmen des Projektmanagements. [1] Diese Tech‐ nologie spiegelt nicht nur die Kapazität maschinellen Lernens wider, sondern umfasst auch fortgeschrittene Algorithmen, die in der Lage sind, aus Datenmengen zu lernen, Muster zu erkennen und auf dieser Basis Entscheidungen zu treffen. Schlüsseltechnologien im Projektmanagement: Maschinelles Lernen, NLP und Robotik Maschinelles Lernen (ML) [2] ■ Maschinelles Lernen ermöglicht es Systemen, aus vergangenen Projektdaten zu lernen, um Prognosen oder Empfehlungen für laufende und zukünftige Projekte zu erstellen. ■ Es nutzt Algorithmen, die auf statistischen Methoden basieren, um Muster in den Daten zu erkennen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Fähigkeit unterstützt die Entscheidungsfindung und Optimierung von Prozessen im Projekt‐ management. Natural Language Processing (NLP) [3] ■ NLP, ein Bereich der Künstlichen Intelligenz, befasst sich mit der Interaktion zwischen Computern und menschlicher Sprache. ■ Durch die Automatisierung und Optimierung von Kommunikationsprozessen kann NLP die Effizienz von Projektteams erheblich steigern. Dies umfasst die Ge‐ nerierung automatisierter Berichte und die effizientere Bearbeitung von Anfragen und E-Mails. Robotik [4] ■ Robotik, vor allem in Form von Software-Robotern oder Bots, findet Anwendung in der Übernahme repetitiver und zeitaufwändiger Aufgaben. ■ Die Nutzung von Robotik ermöglicht es Projektmanagern, sich mehr auf strate‐ gische Aspekte zu konzentrieren, indem zeitraubende Routineaufgaben automati‐ siert werden. 284 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für Projektmanager <?page no="285"?> Insgesamt avancieren maschinelles Lernen, NLP und Robotik zu Schlüsseltechnologien im Kontext des Projektmanagements. Sie bieten innovative Lösungen zur Steigerung der Effizienz, Optimierung von Prozessen und zur Unterstützung von Entscheidungs‐ findungen durch datengetriebene Einsichten. Historische Entwicklung und gegenwärtiger Stand Historische Entwicklung der KI im Projektmanagement Die historische Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI) und ihre Integration in das Projektmanagement markieren einen bedeutenden Wandel in der Planung, Durchführung und Überwachung von Projekten. Ursprünge der KI datieren zurück bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts mit der Entwicklung erster Theorien und Modelle, die menschliche Denkprozesse nachahmen und maschinell implementieren sollten. Diese frühen Bemühungen mündeten in die Entwicklung von Algorithmen und Systemen, die komplexe Probleme lösen und Daten in einer den menschlichen Fähigkeiten überlegenen Weise analysieren können. Integration von KI in das Projektmanagement Die Einführung von KI in das Projektmanagement hat zu einer signifikanten Steigerung von Effizienz und Effektivität geführt. Instrumente wie maschinelles Lernen und prädiktive Analytik ermöglichen: ■ Präzisere Risikobewertungen ■ Verbesserte Ressourcenverteilung ■ Optimierung von Zeitplänen Diese Technologien unterstützen eine datenbasierte Entscheidungsfindung, fördern die Kommunikation innerhalb des Teams und helfen Projektmanagern, ihre Projekte strategisch auszurichten. Der Einsatz fortschrittlicher Technologien ermöglicht es, wertvolle Einsichten aus großen Datenmengen zu gewinnen, Trends vorherzusagen und Projekte mit bisher unerreichter Präzision zu steuern. Ethische, soziale und organisatorische Implikationen Neben den technologischen Fortschritten wirft die zunehmende Nutzung von KI im Projektmanagement wichtige Fragen zu ethischen, sozialen und organisatorischen Aspekten auf: ■ Datenschutz ■ Arbeitsplatzsicherheit ■ Verantwortung bei Fehlentscheidungen durch Algorithmen Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Projektmanager nicht nur über technisches Know-how verfügen, sondern auch ein tiefes Verständnis für die ethischen und sozialen Dimensionen der KI-Integration entwickeln. Die Auseinandersetzung mit diesen Themen ist essentiell, um die Technologie verantwortungsvoll und zum Wohl der Gesellschaft einzusetzen. 25.2 Grundlagen der Künstlichen Intelligenz im Projektmanagement 285 <?page no="286"?> 25.3 Die Evolution des Projektmanagers im Zeitalter der KI Von traditionellen zu KI-gestützten Projektmanagementmethoden Die Einführung der Künstlichen Intelligenz (KI) verändert das Berufsbild des Projekt‐ managers grundlegend, indem sie operative Kapazitäten erweitert und neue Anforde‐ rungen an Kompetenzen stellt. Traditionell lag der Fokus auf Planung und Kontrolle, doch mit KI verschiebt sich dieser auf technologische Innovation, wie effizientere Datenanalyse und Automatisierung von Routineaufgaben. KI-Tools ermöglichen bei‐ spielsweise durch prädiktive Analytik [5] eine verbesserte Risikobewertung und Ressourcenplanung. Projektmanager müssen nun technisches Verständnis für KI und ethische Entscheidungsfindung integrieren, um in dieser neuen Landschaft erfolgreich zu sein. Veränderte Kompetenzanforderungen an Projektmanager Transformation der Kompetenzanforderungen Mit der fortschreitenden Integration Künstlicher Intelligenz in das Projektmanage‐ ment vollzieht sich eine tiefgreifende Veränderung in den Kompetenzanforderungen an Projektmanager. Diese Entwicklung reflektiert nicht nur die technologische Evolution, sondern auch die veränderten Rahmenbedingungen in komplexen Projektlandschaf‐ ten. Es wird ein umfassendes Verständnis der zugrundeliegenden Technologien sowie eine Anpassung sozialer und ethischer Kompetenzen erforderlich, um den neuen Herausforderungen effektiv begegnen zu können. Erweiterte Kompetenzfelder Die verstärkte Nutzung von KI und digitalen Technologien im Projektmanagement erfordert von Projektmanagern erweiterte technische und soziale Kompetenzen.: ■ Technologie und Datenanalyse: Tiefgehende Kenntnisse in Datenanalyse und ein fundiertes Technologieverständnis sind zunehmend gefragt. ■ Ethische Urteilsfähigkeit: Die Fähigkeit, die ethischen Dimensionen der Techno‐ logienutzung zu beurteilen, wird immer wichtiger. ■ Soziale Kompetenz: Ausgeprägte soziale Fähigkeiten sind entscheidend, um in einem technologiegetriebenen Umfeld erfolgreich zu sein. Dazu gehört die Leitung multidisziplinärer Teams und die Fokussierung auf die menschliche Perspektive in der Projektarbeit. Bedeutung für Aus- und Weiterbildung Bildungseinrichtungen passen sich an, indem sie spezialisierte Kurse und Programme anbieten, die auf die Integration von KI in Projektmanagement vorbereiten. Neben technologischen Fähigkeiten wird auch Wert auf das Verständnis sozialer und ethischer Aspekte gelegt, um zukünftige Projektmanager umfassend auszubilden. 286 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für Projektmanager <?page no="287"?> 25.4 Operative Revolution durch KI im Projektmanagement Automatisierung repetitiver Aufgaben KI-Automatisierung transformiert das Projektmanagement durch effiziente Datenana‐ lyse, Predictive Analytics für Risikobewertung und proaktive Maßnahmen, sowie ver‐ besserte Stakeholder-Kommunikation durch Stimmungsanalyse und personalisierte Ansprache. Sie optimiert zudem Ressourcenmanagement durch geschickte Teamzu‐ ordnung und steigert so Produktivität und Zufriedenheit. Arbeitspläne werden unter Berücksichtigung individueller Präferenzen effizienter gestaltet. KI vereinfacht die Berichterstattung durch automatische Erstellung von Statusberichten, was Zeit spart, Fehler minimiert und die Projektüberwachung sowie Entscheidungsfindung verbes‐ sert. KI-gestützte Entscheidungsfindung und Risikomanagement Durch den Einsatz von maschinellem Lernen, Datenanalyse und algorithmischer Modellierung können Projektmanager fundiertere Entscheidungen treffen, die auf einer umfassenden Analyse historischer Daten, Trends und Muster basieren. Ein praxisrelevantes Beispiel für die Anwendung von KI in der Entscheidungsfin‐ dung ist das Projektportfolio-Management. Hier kann KI dazu beitragen, die Auswahl und Priorisierung von Projekten zu optimieren, indem sie die potenziellen Auswir‐ kungen verschiedener Szenarien simuliert und Empfehlungen ausspricht, die auf der Wahrscheinlichkeit des Erfolgs und der strategischen Ausrichtung basieren. [6] Im Bereich des Risikomanagements ermöglicht die KI eine dynamischere und proaktivere Herangehensweise. Traditionelle Methoden stützen sich oft auf statische Risikobewertungen, die nicht in der Lage sind, sich schnell ändernde Bedingungen und neue Informationen zu berücksichtigen. KI-basierte Systeme hingegen können konti‐ nuierlich Daten aus verschiedenen Quellen analysieren, einschließlich sozialer Medien, Nachrichtenfeeds und internen Projektberichten, um Risiken in Echtzeit zu identifizie‐ ren und zu bewerten. Des Weiteren revolutioniert die KI das Risikomanagement durch die Entwicklung von Risikominderungsstrategien. Durch die Analyse historischer Projektdaten und die Simulation verschiedener Risikoszenarien können KI-Systeme maßgeschneiderte Strategien für Risikovermeidung, -übertragung, -akzeptanz oder -minderung vorschlagen. Dies ermöglicht Projektmanagern, präventive Maßnahmen zu ergreifen und die Resilienz ihrer Projekte gegenüber unvorhergesehenen Ereignis‐ sen zu stärken. 25.4 Operative Revolution durch KI im Projektmanagement 287 <?page no="288"?> 25.5 Der ethische Paradigmenwechsel für Projektmanager Ethische Implikationen der KI-Nutzung Komplexe Fragen der ethischen Betrachtung Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) im Projektmanagement konfrontiert uns mit komplexen Fragen, die technische, operative und insbesondere moralische Dimensionen umfassen. Projektmanager stehen vor der Herausforderung, eine mo‐ ralische Verantwortung in der Anwendung von KI-Systemen zu übernehmen, die weit über die bloße Auswahl ethisch konzipierter Systeme hinausgeht. Sie müssen die gesellschaftlichen Auswirkungen dieser Technologien in Betracht ziehen und bewerten. Ethische Herausforderungen und Verantwortung Die ethische Verantwortung von Projektmanagern im Umgang mit Künstlicher Intel‐ ligenz steht vor neuen Herausforderungen, die eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Werten, Fairness und Transparenz erfordern: ■ Abgleich mit gesellschaftlichen Werten: Besondere ethische Herausforderungen ergeben sich in Bereichen, wo die Entscheidungsfähigkeit von KI mit grundlegen‐ den gesellschaftlichen Werten kollidiert, wie bei KI-gestützten Rekrutierungstools, die Effizienz versprechen, aber auch Risiken wie verstärkte Vorurteile bergen können. [7] ■ Sicherstellung von Fairness und Transparenz: Es ist die Aufgabe der Projektma‐ nager, für Fairness und Transparenz in der Anwendung von KI-Technologien zu sorgen. Maßnahmen können Ethik-Audits oder die Beteiligung von Stakeholdern umfassen, um ethische Standards zu gewährleisten. Rolle der Projektmanager Projektmanager agieren als Vermittler zwischen dem Einsatz von Technologie und der Wahrung ethischer Verantwortung. Sie sind gefordert, nicht nur technisches Wis‐ sen und Managementkompetenzen zu besitzen, sondern auch ethische Prinzipien in ihrer Arbeit umzusetzen. Die ethische Dimension ihrer Rolle erfordert eine tiefgehende Reflexion über gesellschaftliche Werte und die Implikationen ihrer Entscheidungen. Rolle des Projektmanagers als Hüter der Menschlichkeit Mit der zunehmenden Integration von KI in das Projektmanagement ergibt sich für Projektmanager eine ethische Herausforderung: die Menschlichkeit in einer techno‐ logiegetriebenen Arbeitswelt zu bewahren. Es gilt, die Effizienz von KI-Systemen mit menschlichen Werten und ethischen Prinzipien zu balancieren. Projektmanager müssen die ethischen Dimensionen der Technologie verstehen, die Auswirkungen von KI antizipieren und ethische Richtlinien etablieren. Ein Beispiel hierfür ist der Einsatz von KI in Entscheidungssystemen, die menschliche Arbeitskräfte betreffen, 288 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für Projektmanager <?page no="289"?> wie die Optimierung von Arbeitsabläufen in einem Bauprojekt, die zu Jobverlusten führen könnte. Projektmanager stehen vor der Herausforderung, über technische und ökonomische Kriterien hinaus soziale, psychologische und ethische Implikationen zu berücksichtigen und KI-Lösungen zu wählen, die menschliche Beteiligung und Entwicklung fördern. Die ethische Verantwortung beinhaltet auch die Sicherstellung von Transparenz und Fairness der KI-Systeme, die Freiheit von Vorurteilen, nachvollziehbare Entschei‐ dungen und die Berücksichtigung der Interessen aller Stakeholder. Dies erfordert kontinuierliche ethische Bildung und Sensibilisierung des Projektteams und die Inte‐ gration von Ethik-Experten in den Entwicklungsprozess von KI-Systemen, um eine gerechte und menschenzentrierte Technologienutzung zu gewährleisten. Richtlinien für ethisch verantwortungsvollen Einsatz von KI Die ethische Reflexion beim Einsatz von KI in Projekten wirft wichtige Fragen zu Moral, Verantwortung und menschlichen Werten auf, die sowohl technisches als auch philosophisches Verständnis erfordern. Transparenz in den Entscheidungsprozessen und Algorithmen ist dabei essenziell, wie am Beispiel der KI-gestützten Ressourcenallo‐ kation in Großprojekten deutlich wird, wo Entscheidungskriterien klar kommuniziert werden müssen. Die Automatisierung von Aufgaben betont die Notwendigkeit, die menschliche Rolle und den Wert menschlicher Arbeit zu berücksichtigen, indem Projektmanager emotionale Intelligenz und Kreativität in die Steuerung integrieren. Die ethische Implementierung von KI verlangt nach einer fortlaufenden Betrachtung ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen. Projektmanager haben eine Schlüsselrolle in der Verbindung von technologischem Fortschritt und menschlichen Werten, um eine positive Zukunftsgestaltung mit KI zu sichern. Durch die Einhaltung ethischer Standards und die Förderung offener Diskussionen über KI im Projektmanagement können sie verantwortungsvoll zur Integration dieser Technologie in unsere Arbeits- und Lebenswelt beitragen. ■ Entwicklung und Einsatz inklusiver KI-Systeme: KI-Systeme sollten unter Be‐ rücksichtigung der Diversität der Nutzergruppen entwickelt werden. Dies schließt die Einbeziehung von Minderheiten und die Berücksichtigung verschiedener kultureller, sozialer und sprachlicher Hintergründe in den Entwicklungsprozess mit ein, um eine gerechte und inklusive Nutzung zu gewährleisten. ■ Etablierung von Ethik-Audits für KI-Systeme: Unternehmen und Organisa‐ tionen sollten regelmäßige Ethik-Audits für ihre KI-Systeme durchführen, um die Einhaltung ethischer Standards zu überprüfen. Diese Audits können von internen Ethikkommissionen oder externen unabhängigen Gremien durchgeführt werden und sollen Transparenz, Fairness und die Vermeidung von Diskriminierung sicher‐ stellen. ■ Förderung der Transparenz durch Erklärbarkeit: KI-Systeme müssen so gestaltet sein, dass ihre Entscheidungen und Funktionsweisen für die Endnutzer 25.5 Der ethische Paradigmenwechsel für Projektmanager 289 <?page no="290"?> verständlich und nachvollziehbar sind. Dies beinhaltet die Bereitstellung von In‐ formationen über die Logik hinter Entscheidungen und die Faktoren, die zu diesen Entscheidungen geführt haben, insbesondere wenn sie direkte Auswirkungen auf Personen haben. ■ Sicherstellung der Datensicherheit und des Datenschutzes: Der Schutz der Daten, die für Training, Entwicklung und Betrieb von KI-Systemen verwendet werden, muss gewährleistet sein. Persönliche und sensible Daten sollten gemäß strengen Datenschutzrichtlinien behandelt, verschlüsselt und vor Missbrauch geschützt werden. ■ Implementierung eines verantwortungsvollen Umgangs mit KI-Fehlern: Organisationen sollten Mechanismen einrichten, um auf Fehler oder uner‐ wünschte Auswirkungen von KI-Systemen angemessen reagieren zu können. Dies schließt die Möglichkeit für Nutzer ein, Entscheidungen anzufechten, sowie die Bereitstellung von Ressourcen zur Untersuchung und Behebung von Problemen, um die Verantwortlichkeit und Korrekturfähigkeit von KI-gestützten Systemen zu gewährleisten. 25.6 Philosophische Reflexion und Verantwortung Bedeutung von Verantwortung im Kontext von KI Im Kern der Debatte steht die Überlegung, dass KI-Systeme, obwohl sie zur Entschei‐ dungsfindung fähig sind, keine moralischen Akteure darstellen. Die Verantwortung für die Konsequenzen, die aus den Aktionen einer KI resultieren, kann und darf nicht der Technologie selbst zugeschrieben werden. Vielmehr liegt sie bei den Entwicklern, Betreibern. Diese Akteure müssen eine doppelte Verantwortung tragen: einerseits die Verantwortung für die technische Integrität und Sicherheit der KI-Systeme und andererseits die Verantwortung für die ethischen Auswirkungen ihrer Anwendung. Ein konkretes Beispiel für die praktische Umsetzung dieser Verantwortung im Projektmanagement findet sich in der Entwicklung und Implementierung von KI-ge‐ stützten Gesundheitsinformationssystemen. In solchen Projekten ist der Projektmana‐ ger nicht nur dafür verantwortlich, dass das System effizient und fehlerfrei arbeitet, sondern auch dafür, dass es die Privatsphäre und die Rechte der Patienten wahrt. Dies erfordert ein tiefes Verständnis der ethischen Prinzipien des Datenschutzes und der Patientenautonomie sowie die Fähigkeit, diese Prinzipien in die Projektplanung und -ausführung zu integrieren. Die philosophische Reflexion über die Bedeutung von Verantwortung im Zeitalter der KI wirft zudem die Frage auf, wie Entscheidungen getroffen werden, die sowohl technisch fundiert als auch ethisch vertretbar sind. Im Kontext des Projektmanage‐ ments bedeutet dies, dass Projektmanager nicht nur technisches Know-how benöti‐ gen, sondern auch eine starke ethische Grundhaltung und die Fähigkeit, komplexe moralische Dilemmata zu navigieren. Dies könnte beispielsweise die Entscheidung 290 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für Projektmanager <?page no="291"?> umfassen, ob und inwieweit KI-Systeme zur Überwachung und Steuerung kritischer Infrastrukturen eingesetzt werden sollten, wobei sowohl die Effizienzsteigerung als auch potenzielle Risiken für die Privatsphäre und Autonomie der betroffenen Indivi‐ duen abgewogen werden müssen. Entscheidungsmacht und ihre Grenzen Die Delegation von Entscheidungen an KI-Systeme bietet eine objektivere und daten‐ basierte Grundlage für Projektentscheidungen und verheißt signifikante Vorteile für das Projektmanagement. Dies birgt jedoch auch grundlegende Herausforderungen und erfordert eine neue Rollendefinition des Projektmanagers, die sowohl die technischen Möglichkeiten als auch die ethischen Dimensionen umfasst. Vorteile von KI in der Entscheidungsfindung: ■ Objektivität und datenbasierte Entscheidungen: KI-Systeme ermöglichen eine ob‐ jektivere und auf umfangreichen Datenmengen basierende Entscheidungsgrund‐ lage. ■ Verbessertes Risikomanagement: KI-gestützte Tools können potenzielle Probleme früher erkennen und präziser bewerten als menschliche Projektmanager. Herausforderungen und ethische Überlegungen: ■ Balance zwischen KI und menschlicher Autonomie: Die Reflexion über die Ent‐ scheidungsmacht im Kontext von KI wirft Fragen nach der Autonomie menschli‐ cher Entscheidungsträger auf. ■ Erhaltung menschlicher Fähigkeiten: Es ist entscheidend, ein Gleichgewicht zu finden, das die Stärken der KI nutzt, ohne essenzielle menschliche Fähigkeiten wie ethische Reflexion, kritisches Denken und Empathie zu untergraben. ■ Abwägung zwischen quantitativen und qualitativen Aspekten: Die Entscheidungs‐ findung erfordert meist ein Gleichgewicht zwischen datenbasierten Analysen und qualitativen Überlegungen, einschließlich ethischer und sozialer Auswirkungen. In der Ära der KI müssen die Grenzen der Entscheidungsmacht im Projektmanagement innerhalb eines ethischen Rahmens definiert werden, der menschliche Würde und soziale Auswirkungen berücksichtigt. Die Rolle des Projektmanagers entwickelt sich zu einem Vermittler zwischen den technologischen Möglichkeiten der KI und den Werten der menschlichen Gesellschaft. Neudefinition der Entscheidungsmacht des Projektmanagers: In der heutigen KI-geprägten Realität wird die Entscheidungsmacht des Projektmana‐ gers nicht durch die bloße Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, definiert, sondern vielmehr durch die Kompetenz, den Entscheidungsraum zu gestalten, in dem Mensch und Maschine koexistieren können. Diese Rolle erfordert eine tiefgreifende philosophi‐ sche und ethische Auseinandersetzung mit den Prinzipien, die unser Verständnis von 25.6 Philosophische Reflexion und Verantwortung 291 <?page no="292"?> Verantwortung, Freiheit und dem Wesen menschlicher Urteilskraft in einer zunehmend von KI bestimmten Welt leiten. 25.7 Praktische Umsetzung Die praktische Umsetzung der Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in das Projektmanagement erfordert eine fundierte Auseinandersetzung mit philosophischen Grundlagen, strategischen Implementierungsansätzen, ethischen Überlegungen sowie der Erkundung innovativer Anwendungsbeispiele, um die Potenziale von KI voll auszuschöpfen und gleichzeitig deren Grenzen verantwortungsvoll zu navigieren. Philosophische Grundlage: ■ KI sollte menschliche Fähigkeiten erweitern, nicht ersetzen, wobei menschliche Intuition, Ethik und Kreativität im Entscheidungsprozess zentral sind. ■ Eine symbiotische Beziehung zwischen Mensch und Maschine ist anzustreben, wobei KI-Tools die Arbeit von Projektmanagern unterstützen. Strategische Implementierung: ■ Schrittweise Integration von KI, fokussiert auf Bereiche mit maximalem Nutzen, z.-B. Automatisierung von Datenanalyse und Risikomanagement. ■ Einsatz von KI zur Vorhersage von Projektverzögerungen ermöglicht proaktive Maßnahmen und effiziente Ressourcenallokation. Ethische Betrachtung: ■ KI-Implementierung muss ethischen Richtlinien für Transparenz, Fairness und Verantwortlichkeit folgen. ■ Entwicklung von Überprüfungsmechanismen für KI-Entscheidungen und Durch‐ führung von Ethik-Audits sind notwendig, um Vertrauen und Akzeptanz zu fördern. Innovative Anwendungsbeispiele: ■ Einsatz von Natural Language Processing (NLP) zur Verbesserung der Teamkom‐ munikation und Konfliktvorhersage. ■ Nutzung von maschinellem Lernen zur Optimierung von Projektportfolios durch Analyse historischer Leistungsdaten. 25.8 Zukunftsperspektiven und Ausblick Weiterentwicklung des Projektmanagements durch KI Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in das Projektmanagement stellt eine umfassende Veränderung dar, die das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine 292 25 Implikationen der Implementierung Künstlicher Intelligenz für Projektmanager <?page no="293"?> neu definiert und Effizienzsteigerungen durch Datenanalyse, Mustererkennung und Prognosen ermöglicht, wie bei Risikomanagement und Ressourcenoptimierung. Sie fordert jedoch auch eine Neuausrichtung der Rolle des Projektmanagers, weg von der Prozesssteuerung, hin zur Schaffung von KI-Rahmenbedingungen, ethischer Überwachung und Innovationsförderung. Zudem erfordert der Einsatz von KI eine philosophische und ethische Auseinandersetzung sowie interdisziplinäre Ansätze, um einen verantwortungsvollen Umgang mit KI zu gewährleisten, der menschliche Werte berücksichtigt. Literatur [1] Auth, G., Jöhnk, J., Wiecha, D.A. (2021). Künstliche Intelligenz im Projektmanagement - Ein Ordnungsrahmen zur Potenzialabschätzung und Lösungskonzeption. In: Barton, T., Müller, C. (eds) Künstliche Intelligenz in der Anwendung. Angewandte Wirtschaftsinformatik. Springer Vieweg, Wiesbaden. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658-30936-7_9 [2] Inga Döbel et al. (2018), „Maschinelles Lernen, eine Analyse zu Kompetenzen, Forschung und Anwendung“, https: / / www.bigdata-ai.fraunhofer.de/ de/ publikationen/ ml-studie.html [3] Brigitte Krenn, Johann Petrak, Center for Artificial Intelligence and Machine Learning, (2023), “Natural Language Processing, An Overview, [4] Zwingmann, Tobias and Tobias Gärtner. “Vergessen wir mal die Roboter: So gelingt Künst‐ liche-Intelligenz-Ethik in der Praxis.” (2021). [5] George Lawton, (2024), 6 top predictive analytics tools for 2024, https: / / www.techtarget.co m/ searchbusinessanalytics/ tip/ 6-top-predictive-analytics-tools [6] Robertson, A. (2022). Predicting Project Outcomes with the Association of Project Manage‐ ment. Day 3 Wed, November 02, 2022. [7] Diana Tran, (2023), https: / / www.shiftbase.com/ de/ blog/ kuenstliche-intelligenz-nutzen-im-r ekrutierungsprozess 25.8 Zukunftsperspektiven und Ausblick 293 <?page no="295"?> 26 Talentstrategien für die Zukunft von Projekten Miriam Sasse Abstract Die Implementierung von Künstlicher Intelligenz im Projektmanagement erfor‐ dert ein Umdenken im Talentmanagement. Wir müssen Talente identifizieren, entwickeln und binden, die mit den Herausforderungen der digitalen Transfor‐ mation Schritt halten können. Dieser Buchbeitrag untersucht die veränderte Bedeutung von Talentmanagement, analysiert bestehende Praktiken und Strate‐ gien und stellt neue Ansätze vor. Die Auswirkungen auf die Zusammenarbeit, die Rolle des Projektdesigns und die Schaffung von Freiräumen für Talente werden diskutiert. Ziel ist es, eine agile und flexible Talentstrategie zu entwickeln, um den Erfolg von Projekten, die intensiver KI nutzen, zu maximieren. Stichwortliste Talentmanagement, Strategien, Nachfolgeplanung, Employer Branding, Diver‐ sity-Management, Soziale Interaktion, Kommunikation, Wechselwirkungen, Feedback-Schleifen, Projektdesign, Evidence-Based Management (EBM), Mitar‐ beiterpassung, Freiräume, Informelle Umgebung, Experimente 26.1 Die Bedeutung von Talentmanagement bei KI im Projektmanagement Wenn künstliche Intelligenz im Projektmanagement eine immer stärkere Rolle ein‐ nehmen wird, dann müssen die Talente in unseren Projekten für die Veränderung gewappnet sein. Damit bekommt das Talentmanagement eine ergänzende, wichtige Aufgabe. Talentmanagement umfasst alle internen und externen Maßnahmen, Praktiken und Strategien, die sicherstellen, dass ein Unternehmen die erfolgskritischen Positionen mit den richtigen Mitarbeitern besetzt hat. Dazu zählen auch die Schlüsselpositionen in Projekten. Jedes Projekt muss selbst bestimmen, welche Art von Talenten für den jeweiligen Projektkontext gesucht werden, bevor eine Strategie für das Talentmanage‐ ment entwickelt wird. In der ersten Stufe fokussiert sich Talentmanagement meist auf Praktiken wie Talentpools (z.-B. Projektmanager-Pools), der Laufbahngestaltung (z.-B. Projektmana‐ ger-Karrierepfade), der Nachfolgeplanung und weiteren Klassikern. In der zweiten Stufe werden Aktivitäten, die auf die gleiche Talent-Gruppe abzielen bereichsübergrei‐ fend im Unternehmen gebündelt. In der dritten Stufe leistet Talentmanagement einen maßgeblichen Beitrag zum Unternehmenserfolg, indem es Talente für die Erreichung <?page no="296"?> der Unternehmensziele auswählt. Dafür braucht es Talente, die Talente für die aktuelle Marktlage und die Herausforderungen erkennen, denen sich das Unternehmen stellen muss. Hierzu gehören auch die Herausforderungen in Bezug auf die exponentielle Entwicklung von KI. Talentmanagement als Schlüsselkomponente bei der Implementierung von KI im Projektmanagement Es werden verschiedene Strategien von Unternehmen verfolgt, um KI erfolgreich zu integrieren und ihre Projekte mit KI zu optimieren. In dem vorangegangenen Band dieser Buchreihe wurden verschiedene Perspektiven und Schwerpunkte erläutert. Auch beim Talentmanagement gibt es große Unterschiede darin, welche Praktiken wie in Projekten eingesetzt werden: Identifikation von Talenten: Führungskräfte und Personalabteilungen suchen ge‐ zielt nach Talenten und benennen die Mitarbeiter, die sie als sehr talentiert für aktuelle und zukünftige Projekte erachten. Leistungsbeurteilungen, Assessment-Center, Pro‐ jektleiter-Pools sind darauf ausgerichtet. Entwicklung von Talenten: Die Förderung und Entwicklung identifizierter Talente durch gezielte Talentprogramme, Trainings, Coaching, Mentoring-Programme und Job-Rotation dienen dem Ausbau ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten - auch in Projek‐ ten. Bindung von Talenten: Maßnahmen zur langfristigen Bindung von Talenten an das Unternehmen, wie z. B. Projektleiter-Karriereleitern, flexible Arbeitsmodelle, Work-Life-Balance-Programme und attraktive Vergütungsstrukturen. Nachfolgeplanung: Die systematische Planung und Vorbereitung auf die Besetzung wichtiger Positionen in Projekten durch geeignete Nachfolger, um Kontinuität und Stabilität zu gewährleisten. Employer Branding: Die Gestaltung eines attraktiven Arbeitgeberimages, um ta‐ lentierte Mitarbeiter für die Projekte anzuziehen und langfristig zu binden, durch eine positive Projektkultur, eine klare Vision und Werte sowie ein ansprechendes Arbeitsumfeld. Diversity-Management: Die Förderung von Vielfalt und Inklusion im Projekt, um unterschiedliche Talente anzuziehen, zu fördern und zu halten, unabhängig von Geschlecht, Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Hintergrund. Lebenslanges Lernen: Die Etablierung einer Lernkultur im Projekt, die kontinuier‐ liche Weiterentwicklung und lebenslanges Lernen fördert, um Mitarbeiter kontinuier‐ lich zu befähigen, sich neuen Anforderungen anzupassen und ihre Fähigkeiten zu erweitern. 296 26 Talentstrategien für die Zukunft von Projekten <?page no="297"?> Die Identifikation und die Entwicklung von Talenten sind nicht unabhängig von Projekten zu betrachten, da Projekte die Zukunft jedes Unternehmens sicherstellen. Das beginnt bei der Auswahl von Talenten für die Leitung von Projekten. In der Vergangenheit wurden insbesondere die Personen als Projektleitende ausgewählt oder weiterentwickelt, die hohe kommunikative Fähigkeiten, einen guten Überblick über alle Anforderungen und Tätigkeiten sowie eine gute Planung und Informations‐ aufbereitung beherrschen. Auch der professionelle Umgang mit Unsicherheit und Unplanbarkeit gilt als typisches Talent von Projektleitenden. Es ist bereits erkennbar, dass einige Fähigkeiten der KI-Technologien bis zu einem gewissen Grad fehlende Fertigkeiten von Projektleitenden ausgleichen kann. Folgt daraus, dass wir im Ta‐ lentmanagement zukünftig ganz andere Profile für Projektleiter anlegen werden? Früher nahmen viele an, dass insbesondere die Kreativität bei der Ideenfindung ein Talent ist, das nicht von künstlicher Intelligenz ersetzt werden kann. Heute sind viele überrascht, dass einer der ersten Anwendungsbereiche in Projekten eben genau dieser Kreativbereich wurde. ChatGPT, Microsoft-Copilot oder Midjourney zeigen, wie leicht kreative Bilder, Videos, PowerPoint-Dateien oder Mindmaps erstellt werden. Um als Projektleiter im Rahmen der eigenen Tätigkeiten KI gewinnbringend anzu‐ wenden, muss ich kein KI-Experte sein. Das Prompting in ChatGPT wird schon bald genauso selbstverständlich werden wie die Nutzung einer Suchmaschine. Den Beruf des Prompt Engineers wird es vielleicht genauso wenig geben, wie professionelles Googlen nicht zu einem Beruf wurde. Es bedarf mehr als das Talent für die Nutzung von KI in Projekten. Talente stehen vor der Aufgabe, das Unternehmen rund um KI mitzugestalten, die Rahmen dafür in Projek‐ ten zu setzen und Strategien für die Nutzung von KI in Projekten mitzuentwickeln. Das Talentmanagement der Stufe 3 beachtet, dass sich nicht nur einzelne Arbeitsschritte, sondern ganze Wertströme im Unternehmen verändern. Es werden nicht nur manuelle Routinen automatisiert, sondern auch die Wissensarbeit mit KI unterstützt oder sogar übernommen. Die Talente, die die aktuelle Marktlage und die Herausforderungen erkennen und ihnen begegnen können, stellen sich der Brüchigkeit, Inkonsistenz und Angst in der Welt. Talente sind bereit, sich zu verändern, den fortlaufenden Veränderungsprozess mit KI mitzugehen und den Ängsten zukunftsmutig zu begegnen. Unternehmen müssen diese richtigen Talente finden und fördern, um den Einfluss von KI auf den Projekterfolg zu maximieren. Bisherige Praktiken im Talentmanagement bergen die Möglichkeit, dafür nicht auszureichen. Ausbleibender Erfolg von Talentstrategien Nicht alle Praktiken des klassischen Talentmanagements eignen sich auch im KI-Zeit‐ alter, um Talente zu entwickeln, die einen passenden Beitrag leisten können. Identifikation von Talenten: Führungskräfte tun sich schwer bei der Identifikation von Talenten für Projekte des KI-Zeitalters. Sie bewerten ihre Mitarbeitenden auf Skalen, die keine Auskunft über die Problemlösefähigkeit von Problemen der Zukunft 26.1 Die Bedeutung von Talentmanagement bei KI im Projektmanagement 297 <?page no="298"?> geben kann. Auch die Gewinner bei Assessment-Centern sind diejenigen, die gut in Assessment-Centern sind und nicht diejenigen, die diese Probleme lösen. Entwicklung von Talenten: Talentprogramme fördern die Personen, die von anderen Personen dafür vorgeschlagen werden. Coaching wird oft aufgezwungen, was nicht dabei hilft, neue Perspektiven aufgeschlossen zu reflektieren. Bindung von Talenten: Viele Programme zur Bindung sind nicht für alle Talente gleichermaßen interessant. Sie sind pauschal für alle gleich und gehen nicht auf die sehr individuellen Talente ein. Nachfolgeplanung: Es fehlt oft die Zeit oder das Geld, die Besetzung wichtiger Positionen in Projekten frühzeitig anzugehen. Lebenslanges Lernen: Zu wenige Unternehmen ordnen die Fähigkeiten der Beleg‐ schaft in den Projekten kontinuierlich neu ein, bieten individuelle Weiterbildung an und schließen die Lücke an Fähigkeiten, die entsteht. Die Liste kann beliebig fortgeführt und ergänzt werden. Viele Talententwicklungspro‐ gramme können in ihrer Wirksamkeit nur schwer gemessen werden und bedeuten hohe Investitionen mit unklarem Erfolg. Durch eine ganzheitliche Bewertung können Unternehmen ihre Programme optimieren und sicherstellen, dass sie die richtigen Talente für eine erfolgreiche Projektumsetzung entwickeln. 26.2 Ein ganzheitlicher Blick auf Talentmanagement Die Auswirkungen der KI-Integration in Projekten auf die Zusammenarbeit und Kom‐ munikation sind hoch. Die künstliche Intelligenz hat einen Einfluss auf die Menschen, die genutzten Technologien, die Prozesse in der Organisation und letztendlich auch auf die Kultur. Für das Talentmanagement zeigt dies in die Richtung eines ganzheitlichen Ansatzes, der die Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation erfolgreich bewältigt. Auswirkungen auf die Zusammenarbeit Die Einführung von KI im Projektmanagement beeinflusst nicht nur technische As‐ pekte, sondern auch die soziale Interaktion innerhalb von Teams und Organisationen. Die Soziologie bietet wertvolle Einsichten, um diese Dynamiken zu verstehen. Sie untersucht, wie sich die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Mitarbeitern und KI-Systemen verändern und wie dies das Talentmanagement beeinflusst. In interdisziplinären Teams entstehen neue Formen der Zusammenarbeit, in denen Mensch und Maschine interagieren. Statt Befehlszeilen im Computer einzugeben, teilen wir den Maschinen neuerdings unsere Absichten mit. Je eloquenter und klarer jemand seine Absichten sprachlich ausdrücken kann, desto besser erhält er maschinelle 298 26 Talentstrategien für die Zukunft von Projekten <?page no="299"?> Unterstützung. Wer an die Grenzen seiner Ausdrucksweise stößt, hat einen massiven Nachteil. Das führt schnell zu benachteiligten Personen und einem Ungleichgewicht unter den Projektmitgliedern. Die Integration von KI in die Arbeitsabläufe beeinflusst die soziale Struktur im Projektteam. Die Teammitglieder erleben neue kommunikative Grenzen, neue Rollen und Verantwortlichkeiten. Sie brauchen Zeit, um ein Gefühl füreinander, für die gemeinsame Werkschöpfung und für den Einsatz von KI zu entwickeln. Entscheidungs‐ vorlagen werden mit KI-Unterstützung erstellt und können häufiger direkt im Projekt‐ team statt in anderen Bereichen oder durch Führungskräfte entschieden werden. Die Zusammenarbeit ändert sich im Team, mit anderen Bereichen und zwischen Menschen und Maschine. Mitarbeiter reagieren sehr unterschiedlich auf die Einführung neuer Technologien und dies wirkt sich unterschiedlich auf ihre Motivation, Zufriedenheit und Leistung aus. Manche freuen sich über neue Technologien, nehmen die KI-Tools dankend an und experimentieren mit Neuem. Andere sind geschockt, uninteressiert oder ablehnend und möchten sich damit nicht beschäftigen. Die Projektmitglieder verändern ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in Beziehung zur Technologie. Komplexe Wechselwirkungen In Organisationen ist alles stark miteinander verbunden. Es ist nicht absehbar, welche Auswirkungen es haben wird, wenn nicht ein passendes Talent im Projekt sitzt, das sich den Herausforderungen mit KI stellt. Die Einführung von KI kann unvorhergesehene Effekte und Verhaltensweisen hervorrufen, die sich auf das Talentmanagement auswir‐ ken. Ein zentraler Aspekt der Systemtheorie ist die Betrachtung von Feedback-Schlei‐ fen und dem emergenten Verhalten. Die Integration von KI in Projekten hat zweifellos das Potenzial, die Arbeitsweise und die Effizienz von Teams zu verändern. Doch niemand weiß heute mit Sicherheit, wie viel „KI“ ein Projekt braucht und ob es dadurch wirklich langfristig effektiver und effizienter wird. Wir gehen von einer schnelleren Leistungserbringung aus, können aber nicht mit Gewissheit sagen, ob die Ergebnisse auch besser werden. Auch wenn die KI den größten Teil der Arbeit automatisiert vollbringen wird, kommen wir nicht drumherum, die Ergebnisse in Augenschein zu nehmen und zu überarbeiten. KI wird keine Projektteams ersetzen, aber die Teams, die mit KI arbeiten, werden die Teams ersetzen, die ohne KI arbeiten. Das Talentmanagement sollte Feedback-Schleifen nutzen, um die Auswirkungen von KI-Integration zu bewerten und die Entwicklung der Mitarbeiter kontinuierlich anzupassen. Diese Schleifen ermöglichen es, auf emergente Phänomene zu reagieren und die richtigen Maßnahmen zu ergreifen. Das Talentmanagement muss zukünftig die hohe Veränderungsgeschwindigkeit mitgehen und das kann sie nur dezentral - genau an den Stellen, wo die Talente gebraucht werden. Führungskräfte im und um das Projekt herum werden sich stärker schöpferisch an der KI-Nutzung beteiligen. 26.2 Ein ganzheitlicher Blick auf Talentmanagement 299 <?page no="300"?> Letztendlich wird die Teamentwicklung lebendiger, weil sich das Umfeld dynamischer entwickeln wird. Das Talentmanagement steht vor der Herausforderung, Talente für Projekte zu identifizieren und zu entwickeln, die mit den sich noch entwickelnden neuen Techno‐ logien und Arbeitsweisen zurechtkommen. Niemand hat Jahrzehnte lange Erfahrung in neu aufkommenden Technologien, wie im Jahr 2023 mit ChatGPT. Wenn KI sich weiter exponentiell entwickelt, wird die Erfahrungszeit weiter sinken. Deshalb ist es entscheidend, nicht nur nach bereits ausgebildeten Fachexperten zu suchen, sondern auch Talente mit dem Potenzial zur schnellen Einarbeitung und Ideenfindung zu fördern. 26.3 Neue Ansätze für das Talentmanagement im Kontext von KI Innerhalb von Projekten wird dem Talentmanagement eine größere Bedeutung zuteil. Das Organisationsdesign wird in Projekten zum Projektdesign, damit eine Struktur entsteht, in der Talente sich entfalten, experimentieren und üben können. Nur wenn Talente zum Projekt, den Herausforderungen im Projekt und den umgebenen Struktu‐ ren passen, können sie ihr Talent voll entfalten. Projektdesign: die Rolle des Führungssystems für die Entfaltung von Talenten Die Gestaltung des organisatorischen Kontexts und des Organisationsdesigns spielt eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Entfaltung von Talenten im Zeitalter der KI. Unternehmen müssen verstehen, dass der Kontext, in dem Talente arbeiten, maßgeblich ihre Leistungsfähigkeit und Entwicklung beeinflusst. Die Einführung von KI erfordert daher eine umfassende Überprüfung und Anpassung des Projektdesigns, um optimale Rahmenbedingungen für das Talentmanagement zu schaffen. Ein effektives Projektdesign legt klare Ziele fest und definiert die Rollen und Verantwortlichkeiten der Teammitglieder. Dies ermöglicht es Talenten, zu verstehen, wie sie zum Gesamterfolg des Projekts beitragen können. Das Projekt hat verständliche Spielregeln und Rahmenbedingungen, die nicht zu viel Bürokratie entstehen lassen. Sie sind so leichtgewichtig, dass sie die wertschöpfende Arbeit nicht erschweren und Anpassungen flexibel möglich bleiben. Ein gutes Projektdesign fördert die Teamdyna‐ mik und die Selbstorganisation, statt durch erhöhte Kontrolle die Talente am Erblühen zu hindern. Statt einem plumpen Belohnungsmechanismus durch Punkte oder Bonus‐ zahlungen, werden Talente dadurch motiviert, dass sie sich selbstbestimmt zu Meistern ihres Faches entwickeln können. Wenn sie den Fortschritt des Projektes und ihre eigene Weiterentwicklung wahrnehmen, werden sie herausragende Leistungen erbringen. Die Projektleitung muss die Fähigkeit entwickeln, die Struktur von Projekten konti‐ nuierlich zu analysieren und anzupassen. Dies umfasst Aspekte wie die Flexibilisierung 300 26 Talentstrategien für die Zukunft von Projekten <?page no="301"?> von Arbeitsstrukturen, die Förderung von Teamarbeit und Zusammenarbeit sowie die Schaffung einer offenen und innovationsfreundlichen Kultur. Dafür ist es essentiell, typische Instrumente des Projektmanagements zu hinterfragen: Zahlt die formale Struktur (wie z. B. die Projekt-Hierarchie oder die Manage‐ ment-Meetings) darauf ein, dass Talente gehört werden? Ermöglichen die Prozesse und Richtlinien in den Projekten, dass Talente Neues ausprobieren können? Sind die Zielvereinbarungen, Meilensteine und Projekt-Roadmaps so aufgebaut, dass sich Talente entfalten können? Oft ist die Antwort darauf, dass Projekthandbücher genau vorgeben, welcher Mix aus klassischem, agilen, lean und hybriden Ansätzen gewählt werden muss. Aber die, die wir Talente, Genies, Wunderkinder oder High Potentials nennen, lassen sich nicht gerne vorschreiben, wie sie arbeiten sollen. Das Projektmanagement hat die Aufgabe, einen verständlichen Rahmen zu gestalten, der allen vermittelt, woran der geschaffene Mehrwert gemessen, verwaltet und erhöht wird. Ansätze wie das Evidence-Based Management (EBM) setzen für die Talente den Fokus darauf, ■ wo die Projekte ihren aktuellen und potenziellen Nutzen für das Unternehmen stiften, ■ wo sie die Innovationsfähigkeit ausbauen müssen und ■ wo es wichtig ist, mit Produkten und Services schneller am Markt zu sein und die Time-to-Market Zeit zu reduzieren. Auch wenn Talente die zunehmende Nutzung von KI im Projektmanagement voran‐ treiben, achten sie durch EBM u. a. darauf, dass die Nutzung auch einen Beitrag zur Wertschöpfung leistet. Projektdesign bzw. Unternehmensentwicklung auf Projekt‐ ebene sollte für den Projektleiter eine maßgebliche Führungsaufgabe werden. Passung von Mitarbeitern zu Teams: Wichtiger als individuelle Exzellenz Die traditionelle Sichtweise, die individuelle Exzellenz über alles andere stellt, muss überdacht werden. Auch wenn einzelne Mitarbeiter außergewöhnliche Talente besit‐ zen, ist ihre Leistungsfähigkeit stark von der Passung zu ihrem Team und Arbeitsum‐ feld abhängig. Ein Mitarbeiter, der in einem Team gut funktioniert, kann in einem anderen Umfeld möglicherweise nicht sein volles Potenzial entfalten. Dann sind wahrhaftig nicht die „richtigen Schwingungen“ da, damit das Talent wirksam werden kann. Es gerät nicht in Resonanz mit dem System. Heute bedarf es in Projekten eines Blickes auf die gesamte Wertschöpfungskette. Erst im Verbund mit allen anderen Mitarbeitenden entlang der Kette wird Wirkung erzeugt und ein Wert entsteht. Darüber hinaus ist es wichtig, dass Unternehmen ihre Teams so gestalten, dass sie eine Vielzahl von Fähigkeiten und Perspektiven umfassen. Vielfalt in Teams kann dazu beitragen, kreative Lösungen zu entwickeln und innovative Ideen hervorzubringen. Unternehmen sollten daher bestrebt sein, Projektteams zu schaffen, die eine ausgewo‐ 26.3 Neue Ansätze für das Talentmanagement im Kontext von KI 301 <?page no="302"?> gene Mischung aus unterschiedlichen Talenten und Kompetenzen aufweisen und in denen die Mitarbeiter sich gegenseitig ergänzen und unterstützen können. Freiräume: Schaffung von Übungsgelegenheiten und Informalitäten Um auf die hohe Dynamik im Projekt reagieren zu können, müssen die Talente genügend Kapazität haben und ständig ihre eigenen Fähigkeiten ausprobieren und kennenlernen können. Es geht darum, genügend Ressourcen und Kompetenzen vor‐ zuhalten, um auf unvorhergesehene Situationen reagieren zu können, ohne dass die Leistungsfähigkeit des Teams beeinträchtigt wird. Ein zentraler Aspekt ist die Schaffung von Redundanzen und Pufferzonen, die es ermöglichen, Engpässe zu vermeiden und eine kontinuierliche Leistungsfähigkeit sicherzustellen. Dies kann bedeuten, dass Unternehmen zusätzliche Mitarbeiter ein‐ stellen oder vorhandene Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen einsetzen, um sicher‐ zustellen, dass sie über die erforderlichen Fähigkeiten und Ressourcen verfügen, um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können. Darüber hinaus ist das „Können“ ein entscheidender Faktor im Talentmanagement: Während Wissen zwar wichtig ist, ist es vor allem die Fähigkeit der Mitarbeiter, ihr Wissen in der Praxis anzuwenden und komplexe Probleme wirklich zu lösen, die den entscheidenden Unterschied machen. Für die Lösung komplexer Probleme im Projekt reicht Wissen allein nicht aus - es braucht Übung. Unternehmen sollten daher nicht nur darauf achten, dass ihre Mitarbeiter über das erforderliche Fachwissen verfügen, sondern auch darauf, dass sie die Fähigkeiten besitzen, dieses Wissen effektiv anzuwenden und sich neuen Herausforderungen anzupassen. Desto häufiger das Projektteam unbekannte Situationen mit dem Einsatz von KI bewältigen konnte, desto leichter fällt es den Beteiligten in der Anwendung. Häufiger braucht es für genau diese Aktivitäten und Übungen eine gewisse Informa‐ lität - eine Umgebung, wo Ausnahmen von Regeln und Standards geschaffen werden. Je nach Unternehmen und Projektkontext kann es manchmal sinnvoll sein, Talenten einen informellen Rahmen zu öffnen, als ihnen formelle Positionen, Karriereleitern oder Entscheidungsbefugnisse aufzuzwingen. 26.4 Fazit Das Talentmanagement im Zeitalter von KI stellt Projektleiter vor eine Reihe von Herausforderungen und Chancen. Die Integration von KI in Projekten erfordert nicht nur die Identifikation und Entwicklung der richtigen Talente, sondern auch eine flexible und innovative Herangehensweise. Die traditionellen Ansätze des Talentmanagements müssen überdacht und an die sich verändernden Anforderungen angepasst werden. Zahlreiche Weiterbildungsan‐ gebote zu KI sollten freiwillig und kostenfrei angeboten werden. So können interes‐ sierte Talente Geschwindigkeit und Richtung ihrer Weiterbildung selbst entscheiden. 302 26 Talentstrategien für die Zukunft von Projekten <?page no="303"?> Probleme des Projektes im Umgang mit KI müssen offengelegt werden, damit sich Mitarbeitende, die ein Talent für diese Themen verspüren, melden können. Das Projektdesign spielt eine entscheidende Rolle, um Talente zu fördern und zu entfalten. Indem Projektleiter die Rahmenbedingungen für ihre Teams optimieren und ein Umfeld schaffen, in dem Talente ihr volles Potenzial entfalten können, tragen sie maßgeblich zum Erfolg ihrer Projekte bei. Literatur [1] Bäumer, N.: Jenseits des Algorithmus: Kreativität in der Ära von KI. Mentoren-Media-Verlag. 2024 [2] Gutmann, J. & Gatzke, E.: Talentmanagement. 2015 [3] Kauffeld, S.: Kompetenzen messen, bewerten, entwickeln. Schäffer-Poeschel Verlag. 2006 [4] Lackner, M. (2013). Talent-Management Spezial: Hochbegabte, Forscher und Künstler erfolgreich führen. Springer-Verlag. [5] Jäger, W. & Körner, P.: Talent Management. Strategien, Umsetzung, Perspektiven. Luchter‐ hand Verlag, 2. Auflage, 2015 [6] Evidence-based Management Guide: https: / / www.scrum.org/ resources/ evidence-based-ma nagement. 26.4 Fazit 303 <?page no="305"?> 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI Knut Stang, Elaheh Nabati Abstract KI verwandelt immer mehr Teile eines Unternehmens in eine Blackbox, deren Ergebnisse beurteilt und dokumentiert werden können, nicht aber deren Zustan‐ dekommen. Dadurch werden immer mehr Prozesse für alle in einem Unterneh‐ men intransparent, mit zwei Folgen. Zum einen kann man ein intransparentes System kaum noch optimieren, sofern es nicht intelligent genug ist, das selbst zu tun. Zweitens resultiert die Stärke aller führenden Unternehmen weltweit (Deutschland, Skandinavien, Japan, China, USA) u. a. aus einem hohen Maß an Arbeitnehmerbeteiligung. Gewerkschaften, Betriebsräte usw. machen ein Unter‐ nehmen stärker und nicht schwächer. Doch je mehr KI in einem Unternehmen zum Einsatz kommt, desto geringer wird die Beteiligung. Das schwächt die Position der Arbeitnehmer und damit auf längere Sicht auch das Unternehmen selbst. Nachfolgend beschreiben wir Methoden zur Sicherung und Steigerung der Ar‐ beitnehmerbeteiligung in KI-Projekten. MitarbeiterInnen sollen KI als Chance und nicht als Bedrohung begreifen. Stichwortliste Künstliche Intelligenz (KI), KI-Risiko, Involvement 27.1 Involvement: Stärke oder Schwäche eines Unternehmens? Diverse traditionelle Meinungen in den Wirtschaftswissenschaften und vor allem in der gelebten Praxis diverser Unternehmen folgen der Grundannahme, die Konzentration der Entscheidungsbefugnis auf einen sehr kleinen Kreis sei Garant für den Erfolg eines Unternehmens. Die wachsende Komplexität von Unternehmensprozessen, -strukturen und -kooperationen hat diese Ansichten spätestens in der zweiten Hälfte des 20. Jahr‐ hunderts obsolet gemacht. Ein Blick auf die erfolgreichsten Unternehmen weltweit zeigt, dass zum einen eine große Zahl dieser Unternehmen Familienunternehmen [1] sind, ihre Strategie also nicht einem kurzfristigen Shareholder Value unterliegt. Zum anderen sind diese Unternehmen von einem hohen Partizipationsgrad aller Unternehmensangehörigen geprägt. Partizipation kann man unterscheiden in gesetzlich vorgeschriebene Partizipation, also Betriebsräte, Ob-Leute usw., und Involvement, also die meist nur sehr allgemein <?page no="306"?> durch Regularien festgelegte Einbindung der Betriebsangehörigen in letztlich strate‐ gische Entscheidungsprozesse. Art und Umfang von Partizipation, Aufgaben und Einfluss sind in Regelungen wie dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz und in überstaatlichen Vereinbarungen wie dem Europäischen Betriebsräte-Gesetz festgelegt. Wichtiger noch aber ist die meist allenfalls grob umrissene Einbeziehung der MitarbeiterInnen, also das eigentliche Involvement, das viel stärker auf gelebter Praxis und Tradition beruht [2]. Dies wird meist mit Redewendungen verbunden wie „wir müssen alle Beteiligten mitnehmen“, „wir müssen alle an einem Strang ziehen“ oder „wir sitzen alle in einem Boot“. In allen diesen Ausdrücken tritt ein weit gefasstes „Wir“ an die Stelle des eng gefassten „Wir“ von Vorstandsrunden und Aufsichtsräten. Das Involvement aller Angehörigen eines Unternehmens ist umso wirkungsmäch‐ tiger, je umfassender es in alle Bereiche, Prozesse, Entscheidungen usw. eindringen kann und je stringenter es von Beginn bis Ende jedes Prozesses involviert ist. Dies betrifft dann auch wieder die gesetzlich festgelegte Partizipation. Ein Betriebsrat kann nur erfolgreich sein, wenn er auf einer breiten Basis von Involvement aufruht, die den gesamten Prozess einer Entscheidungsfindung - nicht nur die Schlussabstimmung im Aufsichtsrat - begleitet hat. 27.2 Präsenz und Transparenz im Involvement Wenn Involvement umso mehr zum Erfolg eines Unternehmens beiträgt, je stringenter und persistenter es in alle Prozesse integriert ist, dann hat dies zwei Voraussetzungen: ■ Präsenz: Es müssen MitarbeiterInnen in alle Prozesse involviert sein. ■ Transparenz: Es müssen alle Prozesse transparent sein [3] Beides hängt in traditionellen Unternehmen eng zusammen. Transparenz entsteht nicht dadurch, dass Vorstände und Bereichsleiter Berichte verfassen, welche auch der Betriebsrat lesen darf. Sie entsteht dadurch, dass MitarbeiterInnen in die gelebten Prozesse vor Ort involviert sind, und zwar möglichst überall und durchgängig [4]. In der Politologie besteht Einigkeit, dass Transparenz eine wesentliche Voraus‐ setzung demokratischer Strukturen ist. Überall dort, wo die Kommunikation eine normative Dimension gewinnt, muss daher auch ihre Transparenz, Dokumentation und Nachvollziehbarkeit gegen Geheimhaltung und Verteidigung individueller Exper‐ tenrollen durchgesetzt werden [5]. 27.3 Intransparenz und KI Führungskräfte wünschen sich oft, durch KI den Umfang von Involvement zu redu‐ zieren, u. a., weil man meint, dadurch Entscheidungsprozesse zu beschleunigen und Kosten zu senken. 306 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI <?page no="307"?> KI erhöht dabei auf zwei Arten Intransparenz zum Nachteil von Involvement: ■ KI übernimmt wesentliche Rollen von MitarbeiterInnen in den Unternehmens‐ prozessen. Eine Mitsprache hinsichtlich dieser Prozesse wird dadurch erschwert, da man hier nicht partizipiert und schon nach kurzer Zeit auch gar nicht mehr wissen kann, was die aktuelle Situation, Bedarfslage usw. in diesen Prozessen ist. ■ KI generiert Prozessergebnisse in nicht oder nur rudimentär dokumentierbaren internen Prozessen: Das Prozessergebnis lässt sich nicht mehr anhand seines Zu‐ standekommens verifizieren, sondern lediglich aufgrund seiner Weiterverwend‐ barkeit in den abnehmenden Prozessen. Der eigentliche Prozess wird dadurch zur Blackbox [6]. 27.4 Folgen von Blackboxing In den meisten Unternehmen besteht eine abwartende bis ablehnende Haltung zu IT-Innovationsprojekten im Allgemeinen, zu KI-basierten Projekten im Besonderen. Das hat mehrere Gründe. ■ IT-Projekte haben in der Vergangenheit viel versprochen und wenig gehalten. ■ IT-Projekte sind mit der Erwartung betrieben worden, Prozessaufwände zu redu‐ zieren, haben sie aber fast immer erhöht. Durch ein zunehmendes Maß von IT am Arbeitsplatz ist die Arbeit nicht nur mehr, sondern auch langweiliger geworden. ■ IT-Innovationen zwingen Menschen, gewohnte und z.T. lieb gewordene Arbeits‐ weisen, Zusammenarbeitsmodelle usw. aufzugeben. ■ IT-Innovationen kommen nicht aus dem Team, sondern werden als von außen, von IT-Abteilungen und Unternehmensberatungen dem Team übergestülpt emp‐ funden. Weitere Vorbehalte betreffen v.-a. KI-Projekte: ■ KI-Projekte vernichten unsere Arbeitsplätze bzw. die zukünftigen Arbeitsplätze unserer Kinder. ■ KI-Projekte machen den Menschen vom Herrn über die Maschine zum Sklaven der Maschine, bevor er über kurz oder lang ganz überflüssig wird. Blackboxing lässt intransparente Räume entstehen, die Freiräume schaffen für Ge‐ rüchtebildung, Angstmacherei und Verschwörungstheorien. Hier geht es weniger um Science-Fiction wie „Terminator“ oder „Odyssee in Space“, sondern um handfeste Ängste wie: ■ KI-basierte Systeme kann man auch mit Hauptschulabschluss/ als Migrant/ in der Frühstückspause bedienen. ■ Statt in bessere Arbeitsplätze, Schulungen usw. geht jetzt alles Geld in die IT. 27.4 Folgen von Blackboxing 307 <?page no="308"?> ■ Hat die KI einen Bug, steht das Werk, weil man keine Ausweichmöglichkeiten mehr hat. ■ KI verbraucht sehr bald mehr Energie als der gesamte Verkehrssektor einschließ‐ lich Raumfahrt. ■ Durch diesen KI-Hype können zukünftig Indien oder China oder die USA jedes deutsche Werk sofort stilllegen. 27.5 Involvement als Voraussetzung erfolgreicher KI-Projekte Die Wichtigkeit von Involvement auch für klassische IT-Projekte ist empirisch vielfach belegt. Sie ist insbesondere für KI-Projekte unabdingbar: ■ KI-Systeme müssen zumeist auf große Mengen von Trainingsdaten zugreifen können. Je höher deren Qualität und Varianz, umso schneller und besser die Lern‐ leistung. Beides aber lässt sich nur durch einen breiten Pool an eng involvierten Teilnehmern des fachlichen Prozesses erreichen. ■ KI-Systeme müssen durch Experten im Lernprozess begleitet werden. Diese Ex‐ perten müssen aus dem Fachprozess kommen, aber sie müssen auch die kommu‐ nikative Schnittstelle zu diesem Prozess dauerhaft darstellen, da sie sonst Gefahr laufen, die KI für Prozesse zu trainieren, die es in dieser Form vielleicht schon gar nicht mehr gibt. Die Einführungswiderstände gegen KI-basierte Systeme sind aus den oben dargelegten Gründen vielfach höher als bei traditionellen IT-Einführungsprojekten. Das wichtigste Mittel zu einer erfolgreichen Einführung eines neuen Systems in einen sich dadurch wandelnden Prozess ist frühzeitiges und weitreichendes Involvement aller Prozessbe‐ teiligten. 27.6 Involvement in der Praxis An zwei Beispielen wollen wir im Folgenden Maßnahmen zur Förderung von Involve‐ ment beschreiben. Das erste Projekt ist abgeschlossen, das zweite Projekt hat erst vor kurzem seine Aktivitäten gestartet, sodass hier Lehren aus dem ersten Projekt zum Tragen kommen können. Im ersten Projekt (nachfolgend: Projekt A) war der Kunde ein Unternehmen mit KMU-Status, wo KI im Produktionsprozess eingesetzt werden sollte. Es handelt sich um ein ausschließlich in Deutschland ansässiges Familienunternehmen, das seit rund 100 Jahren besteht. Es ist lediglich an einem Standort tätig. Die Betriebsgröße beträgt ca. 50 Mitarbeiter. Das Unternehmen produziert Futtermittel für Großabnehmer im Agrarbereich, weshalb eine kontinuierlich hohe Qualität der Produkte von zentraler Bedeutung ist. Da der Automatisierungsgrad an der Produktionslinie bereits vor dem 308 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI <?page no="309"?> Projekt sehr hoch war, stellte sich die Frage, wo man mit KI-Prozesse der Produktion, aber auch der hier extrem wichtigen Qualitätssicherung weiter optimieren kann. Die hier entwickelte Lösung wurde in Form eines Modells für maschinelles Lernen und eines Systems zur Entscheidungsunterstützung entwickelt. MitarbeiterInnen kön‐ nen dadurch Vorhersagen über die Prozessparameter erhalten, die zu einer besseren Qualität des Endprodukts führen, wobei die abschließende Entscheidung in Bezug auf die Prozesseinstellung weiterhin von den jeweiligen MitarbeiterInnen selbst getroffen wird. Die entwickelten Ansätze zur Durchführung von KI-basierten IT-Projekten bringen wir in neuen Projekten zum Tragen. Involvement fördern Involvement braucht drei Leitbotschaften: ■ Wir sind alle gleichermaßen wichtig. ■ Es ist unser, nicht „deren“ System/ Tool/ Veränderung. ■ Das ist eine Chance, keine Bedrohung. Um dies zu vermitteln, ist eine Rezipienten-orientierte Kommunikation auf multiplen Kanälen natürlich ein wichtiges Hilfsmittel. Ehrlichkeit ist hierbei unabdingbar. Dabei ist mehr Information, mehr Kommunikation, mehr gemeinschaftsstiftender Small Talk einer auf die scheinbare Wesentliche eingedampfte Redeweise unbedingt vorzuziehen. Daher sollten Gespräche auch wenigstens gelegentlich im persönlichen Rahmen, in den Räumlichkeiten der Fachbereichsvertreter und mit stets den gleichen Vertretern auf Projektseite stattfinden. Wenn durch das Projekt Arbeitsplätze abgebaut werden sollen, nützt es nichts, das zu verschweigen. Wenn Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden oder zukünftig auch kurzfristig angelernte Kollegen diese Tätigkeit wahrnehmen, sollte auch das klar gesagt werden. In Projekt A erwies sich das größenbedingte Fehlen eines Betriebsrats als primärer Ansprechpartner als besondere Herausforderung. Die ProduktionsmitarbeiterInnen wurden daher von Anfang an direkt in das Projekt eingebunden. Ihnen wurde versi‐ chert, dass das Tool, das mit KI implementiert werden sollte, sie bei den Entscheidungen zur Prozesssteuerung und Qualitätssicherung unterstützt sollte, wogegen auch lang‐ fristig kein Abbau von MitarbeiterInnen vorgesehen war. Hätte man hier im Vorfeld einen Betriebsrat als Unterstützer und Multiplikator gewinnen können, wäre diese Argumentation besser in das Team transportiert worden und die entsprechenden Rückmeldungen und Anregungen strukturierter erfolgt. So aber war das Projekt abhängig von der Glaubwürdigkeit der Aussagen seitens des Managements, was aber hier nicht überprüft wurde. In Projekt B soll dies in Rücksprache mit dem Betriebsrat, der hier vorhanden ist, durch anonymisierte Befragungen sichergestellt werden. Wenn sich dauerhaft zeigen sollte, dass trotz der Statements der Führung die MitarbeiterInnen 27.6 Involvement in der Praxis 309 <?page no="310"?> einen mittelfristigen Personalabbau als eines der unausgesprochenen Ziele des Projekts vermuten, müssen entsprechende vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen werden, ehe hier ein erhebliches Projektrisiko entsteht. Auch in anderen Aspekten zur Förderung von Involvement soll im Projekt B eng mit dem Betriebsrat kooperiert werden. Eine der Lehren aus Projekt A ist, dass eine grundlegende Information, was KI ist, wo ihre Stärken und Schwächen liegen etc. unabdingbar ist, und zwar auf allen Ebenen des Unternehmens. Alle MitarbeiterInnen werden daher auch hier von Anfang an über Grundprinzipien, Stärken und Schwächen von KI informiert. Auch aktuelle Mythen rund um KI werden kritisch im Diskurs mit den MitarbeiterInnen hinterfragt. Im Anschluss wird über das KI-Projekt informiert. Dabei soll den MitarbeiterInnen vermittelt werden, dass ihr Beitrag in einem gestalte‐ rischen Diskurs zur Entwicklung der Software-Lösung unverzichtbar ist. Frühe Einbindung In der Politik wie in IT-Projekten sind Gespräche im Hinterzimmer Gift für jedes In‐ volvement und damit direkte Angriffe auf die hierauf beruhende Stärke der jeweiligen Organisation. Erfolgreiche IT-Projekte kommen aus dem Kollektiv, und wahren und pflegen durchgehend diese Bindung und Einbettung. Daher beginnt jedes Projekt mit einer breit gefassten Stakeholder-Analyse, um Knowhow-Träger auf Arbeitswie auf Management-Ebene zu finden und einen kontinuierlichen Zusammenarbeitsprozess zu gestalten. Trotz fehlendem Betriebsrat ist in Projekt A aufgrund der recht geringen Anzahl von MitarbeiterInnen eine frühzeitige Einbindung nicht nur des Managements, son‐ dern auch der MitarbeiterInnen gelungen. Dadurch wurden die aktuellen operativen Prozesse bereits frühzeitig klar und realitätsnah definiert und KI-Potenziale erarbeitet. Auch eine Stakeholder-Analyse ist gemeinsam mit den Mitarbeitern durchgeführt worden, um den Eindruck zu vermeiden, hier solle eine Art Ranking entwickelt werden. In Projekt B läuft aktuell der Aufbau einer frühzeitigen Einbindung der Beleg‐ schaft. Hierzu wurde nach zwei Kick-Off-Terminen zunächst eine kontinuierliche Kommunikation mit dem Betriebsrat aufgebaut. Dieser wird das Projekt während einer Betriebsversammlung vorstellen und einen Feedback-Prozess mit der Belegschaft starten. Management und Betriebsrat haben von Beginn an offen kommuniziert, dass ohne eine breite Zustimmung der Belegschaft dieses Projekt nicht gestartet werden wird. Treiberrolle Management KI-Projekte erfordern einen dauerhaft verfügbaren Projektpaten im Management, v. a., wenn in der Laufzeit das Unternehmen aus ganz anderen Gründen über Budgetkürzun‐ gen oder Verlagerung wichtiger Product Owner auf andere Aufgaben nachdenkt. Auch 310 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI <?page no="311"?> Änderungen der Unternehmensstrategie sollen so direkt in das Projekt hineingetragen werden können. In Projekt A war das Management der initiale Antreiber des Vorgehens. Der Geschäftsführer des Unternehmens unterstützte von Beginn an den Einsatz von KI. Sein Hauptziel war weder eine Kostensenkung noch eine Reduzierung von Belegschafts‐ zahlen, sondern eine mittelfristige Optimierung der Produktqualität. KI-Methoden erwiesen sich für dieses Ziel als geeignete Wahl. Die erweiterte Führungsebene (Vier Personen) wurde durch regelmäßige Rund‐ schreiben sowie durch vierteljährliche Präsenztermine über den Projektfortschritt informiert. Hier auftauchende Fragen und Anregungen wurden entweder unmittelbar, ansonsten im folgenden Quartalstermin aufgenommen und umgesetzt. Das in der Vorlaufphase befindliche Projekt B beruht auf einer ähnlich starken Treiberrolle des Managements. Auch hier hat der Vorstand des Unternehmens die initiale Initiative ergriffen. Durch interne Gespräche wurde bereits frühzeitig die Not‐ wendigkeit erkannt, KI-basierte Vorhaben ins Unternehmen hineinzutragen, dies aber auch mit einer konsistenten KI-Strategie zu verbinden. Daher hat das Unternehmen ein Projekt zur Definition von KI in seiner Zukunftsstrategie ins Leben gerufen und zugleich mehrere Pilotprojekte in die Vorplanung gegeben. Strategie und erste Umset‐ zungen entstehen also parallel, was nur durch starke Einbindung des Managements und intensive Kommunikation der beiden Aufgabengebiete möglich wird. Treiberrolle Belegschaft „Information is not Involvement.“ Involvement ist nicht allein dadurch zu erreichen, dass Product Owner oder spätere Anwender regelmäßig über den Stand des Projekts informiert werden. Sie müssen durchgehend eine gestaltende Funktion im Projekt übernehmen, und sie müssen als Schnittstelle zu ihren Fachabteilungen die dort aufkommenden Ideen ins Projekt transportieren, und nicht nur die Informationen des Projekts in die Fachbereiche durchreichen. Das Projekt wiederum muss bereit sein, diese Ideen anzunehmen. Dazu muss sich jeder klarmachen, dass die eigentlichen Experten nicht im Projekt und nicht im Management sitzen, sondern in den Fachbe‐ reichen. Die Kommunikationsschnittstellen, also die Product Owner oder Process Owner, müssen für das Projekt ein explizites Zeitbudget erhalten. Eine Aufgabe einfach zur bisherigen Workload hinzuzufügen, ist bestenfalls gedankenlos. Oft aber sendet das die Botschaft: „Du hast dir ja bisher einen ruhigen Tag gemacht, Zeit, dass du mal merkst, was Arbeit ist.“ Involvement sollte auch die Partizipationsgruppen im Unternehmen, also vor allem Gewerkschaften, Arbeitsnehmervertreter und Betriebsräte nicht als Feinde des Pro‐ jekts ansehen, sondern sie als Helfer und wichtige Treiber des Projekts begreifen. Auch hier ist Kommunikation wichtig, die frühzeitig, ehrlich und Rezipienten-orientiert erfolgt. 27.6 Involvement in der Praxis 311 <?page no="312"?> In Projekt A wurden alle MitarbeiterInnen bereits zu Beginn direkt eingebunden. Die Product Owner wurden ohne Eingreifen des Managements von den Fachbereichen nominiert. Dadurch empfanden die MitarbeiterInnen von Beginn an das erreichte Ergebnis als etwas gemeinsam Erarbeitetes, nicht als von außen oktroyierter Lösung. Die Product Owner mussten allerdings regelmäßig auf ihre Doppelfunktion hinge‐ wiesen werden. Sie sollten einerseits selbst gestaltend am Projekt teilnehmen, aber sie sollten auch in beide Richtungen die Kommunikation mit den Fachbereichen sicherstellen. Hier ist in verschiedenen Fällen die Information an die Fachbereiche nur unzureichend durchgeführt worden, während umgekehrt die dort geäußerten Gedanken und Anregungen nicht immer ans Projekt kommuniziert worden sind. In Projekt B wird aufgrund des größenbedingt höheren Organisationsgrads eine zwischen Personalwesen, Betriebsrat und Management vereinbarte Rolle der Product Owner erarbeitet und formal definiert. Hierbei soll jeder Product Owner vom Manage‐ ment mit einem entsprechenden Kontingent von 8 Std. pro Woche auf zunächst ein Projektjahr ausgestattet werden. Es ist im Vorfeld mit dem Betriebsrat und dem Perso‐ nalwesen sicherzustellen und den Mitarbeitern glaubhaft zu kommunizieren, dass dies keinen Einfluss auf sonstige Aspekte der Tätigkeit hat, insbesondere was Bonuszah‐ lungen, Beförderungschancen, flexible Arbeitszeitgestaltung, Home-Office-Optionen etc. betrifft. Die Entscheidung, jedem Product Owner ein definiertes Zeitbudget zuzuweisen, statt Aufwandsabschätzungen je MitarbeiterInnen für einzelne Projektphasen anzufertigen, soll eine egalitäre Teamzusammenarbeit begünstigen, statt Wertigkeiten von „wichtig“ und „weniger wichtig“ zu signalisieren. Gleichzeitig betont das Management so das Vertrauen in den verantwortungsvollen Umgang der MitarbeiterInnen mit den ihnen zur Verfügung gestellten Zeitkontingenten. Lokalisierung der verwendeten Begriffswelt Das Projekt muss in die lokale Begriffswelt eintreten. Die zu verwendende Begriffe und Bezugsobjekte sind die des Fachbereichs, nicht die der IT. Dies gilt insbesondere dort, wo - was insbesondere bei KI-Projekten häufig der Fall ist - explizit externe Lieferanten vor den Fachbereichen in Erscheinung treten. Projekte aus dem akademischen Umfeld und Start Ups werden ohnehin als Fremdkörper und Freak Shows wahrgenommen. Sie müssen daher so bald wie möglich sich die Sprachwelt der Fachbereiche aneignen [7]. Um das Problem der Divergenz zwischen der Arbeitssprache der Produktionsab‐ teilung und der IT (KI-Projektteam) zu beseitigen, konnte in Projekt A ein bereits vorhandenes Abteilungsglossar als Grundlage verwendet werden. Aufgrund der ge‐ ringen Sachkunde des Teams in den unternehmensspezifischen Themen kam den Product Ownern hier eine besondere Verantwortung, die Fachsprache zu vermitteln und immer wieder grundlegende Aspekte ins Gedächtnis zu rufen. Hier musste das Team immer wieder zu Lernbereitschaft und vor allem zur Akzeptanz entsprechender Hinweise seitens der Product Owner ermuntert werden. Dies hat sich immerhin über 312 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI <?page no="313"?> die Projektlaufzeit hinweg als erfolgreich und auch als motivierend für alle Beteiligten erwiesen, sodass auch im neuen Projekt dieser Ansatz verfolgt werden soll. Transparentes Risikomanagement Projekte haben grundsätzlich zwei Arten von Risiken: ■ Fehlschlagrisiken ■ Folge-Effekte Aufgrund ihrer erheblichen Intransparenz müssen beide Arten von Risiken von einem entsprechend sachkundigen und hinreichend ausgestatteten Risikomanagement adressiert werden. Dabei sind in KI-Projekten viel stärker als in traditionellen Projekten Non-IT-Risiken zu erörtern. Also nicht nur Risiken wie „Vielleicht reichen bei der zu erwartenden Datenlast die aktuellen CAT5-Leitungen nicht aus! “, sondern Risiken wie „Unser Personalmanagementsystem muss LGBTQ+-neutral sein. Das wird an unseren Standorten in Indonesien und Saudi-Arabien zu erheblichen Einführungswiderständen führen.“ Involvement kann beiden Risikotypen entgegenwirken. Die soziopolitische Ein‐ bettung der Belegschaft in den Sozialkontext des Unternehmens, aber auch der Gesellschaft insgesamt wird helfen, die nicht-technischen Einführungsrisiken besser zu verstehen und zu adressieren. Und auch die aus bestimmten Eigenheiten des Unternehmens resultieren Risiken für das Projekt sprechen MitarbeiterInnen häufig präziser und klarer an als das jeweils zuständige Management. In Projekt A wurde initial durch Konzeptanalysen und durch Befragungen von MitarbeiterInnen ein erster Risikohorizont erarbeitet. Dieser wurde über die Laufzeit kontinuierlich aktualisiert. Risiken wurden inhaltlich beschrieben und organisatorisch zugeordnet. Es wurden dann Maßnahmen zur Risikominderung und -abwehr sowie Reaktionsmaßnahmen bei Risikoeintritt beschrieben. Hierbei erwiesen sich die ent‐ sprechenden Detailkenntnisse der MitarbeiterInnen als wesentliche Quelle sowohl zur Risiko-Ermittlung als auch zur Entwicklung leistungsfähiger Maßnahmen. Da das Vorgehen aus Projekt A sich insgesamt bewährt hat, soll in Projekt B ähnlich vorgegangen werden. Aufgrund der größeren Zahl von MitarbeiterInnen ist aber die Möglichkeit der Führungsebene, Risiken frühzeitig zu erkennen, skeptischer zu bewerten, sodass die Wichtigkeit von Gesprächen mit den MitarbeiterInnen für die Risikoprognose steigt. Dabei sollen alle Beteiligten ausdrücklich ermutigt werden, gerade auch entgegen der sonstigen Unternehmenskultur über Dinge zu sprechen, zu denen belastbare Aussagen noch nicht möglich sind. Es muss also eine Atmosphäre geschaffen werden, wo man über diffuse Besorgnisse und Bauchgrummeln sprechen darf. 27.6 Involvement in der Praxis 313 <?page no="314"?> Disruptive Innovation und Emotional Change-Management KI-Projekte werden auf mittlere Sicht vorhandene Prozesse nicht nur verbessern. Sie werden viele heutige Aufgaben obsolet machen oder mindestens umfassend auto‐ matisieren. Daraus resultierende Ängste und Widerständemüssen adressiert werden. Hier sind auch individuelle Faktoren wie Alter, Kulturelle Prägung, Vorerfahrung oder Unternehmensbindung zu berücksichtigen. Dies kann man am Beispiel der Unternehmensbindung verdeutlichen: Zum einen entstehen hier häufig Vorbehalte gegen KI-basierte Innovationen der Form „Wir waren etwas Besonderes. KI macht alle Firmen unserer Sparte gleich.“ Dem begegnet man v. a. mit - glaubhaften - Argumentationen wie „Du bist, ihr seid, wir sind etwas Besonderes. Die KI wird das nicht nivellieren, sondern mit euch und von euch lernen. Ihr allein werdet der KI Euren unverwechselbaren Stempel aufprägen.“ Bereits in Projekt A war individuelle und kollektive Angst ein wesentliches Hemm‐ nis. Dies ist durch das Management zwar adressiert worden. Aber entscheidend war hier die kontinuierliche Einbindung der Belegschaft. Dadurch war die KI-basierte Verbesserung bei ihrer Einführung nach mehreren Jahren Projektzeit nichts Neues, Überraschendes oder Beängstigendes mehr, sondern eine gemeinsam erarbeitete Inno‐ vation, die als Fortschrittsmotor begriffen wurde. In Projekt B soll daher ähnlich vorgegangen werden. Hier kommen jedoch weitere Faktoren zum Tragen. Die größere Heterogenität der Belegschaft hinsichtlich Alter, Herkunft, Ausbildung usw. wird es deutlich schwieriger machen, statt der durchaus vorhandenen Befürchtungen im Rahmen der wachsenden Bedeutung von KI am Ar‐ beitsplatz eine dynamische, positive Haltung zu initiieren und über die Projektlaufzeit und darüber hinaus aktiv zu halten. Um dem besonderen Stellenwert eines Emotional Change-Managements hier Rech‐ nung zu tragen, soll eine Führungskraft dies als Sonderaufgabe zugewiesen bekommen. Dabei wird es nicht nur um das aktuelle KI-Projekt gehen, sondern insgesamt um die Frage, wie Unternehmensgeist und Zusammenhalt der Belegschaft auch im Kontext bevorstehender disruptiver Entwicklungen, Innovationen usw. am Leben halten oder vielleicht sogar noch verbessern kann. 27.7 Fazit Der Übergang zu KI-basierten Innovationen wird sich auf weite Strecken als dis‐ ruptiv erweisen. Er kann nur erfolgreich verlaufen, wenn die Stärke erfolgreicher Unternehmen, nämlich ein umfassendes Involvement der MitarbeiterInnen auf allen Unternehmensebenen, hier voll zum Tragen kommt. Daher nützt es nichts, Vorbehalte und Ängste zu tabuisieren, Besonderheiten zu nivellieren oder die Veränderungskraft der Fachabteilungen ungenutzt zu lassen. 314 27 MitarbeiterInnen-Partizipation und KI <?page no="315"?> Wer hingegen Involvement als einen Motor, nicht als Hindernis von KI-Projekten begreift, wird auch disruptive Innovationen zu einer kollektiv erlebten Erfolgsstory machen. Literatur [1] Dostert, E. (2019): Familienunternehmen wirtschaften erfolgreicher. Süddeutsche Zeitung, Online verfügbar unter https: / / www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/ studie-familienunternehme n-wirtschaften-erfolgreicher-1.4575413 zuletzt aktualisiert am 26.08.2019, zuletzt geprüft am 07.02.2024 [2] Nesheim, T., Kalleberg, A. L. & Olsen, K. M. (2009): Is participation good or bad for workers? Effects of autonomy, consultation and teamwork on stress among workers in Norway, Acta Sociologica, 2/ 52, S.-99-116 [3] Rahaman, A. (2023): The Case For Transparency In The Workplace, And Its Impact On Organizational Performance, Forbes Business Council, Online verfügbar unter https: / / www. forbes.com/ sites/ forbesbusinesscouncil/ 2023/ 06/ 16/ the-case-for-transparency-in-the-workp lace-and-its-impact-on-organizational-performance/ ---zuletzt aktualisiert am 16.06.2023, zuletzt geprüft am 09.02.2024 [4] Stang, K. (2005): Position und Aufgaben eines CIO im Management mittelgroßer Firmen, In: Fragmente, Aufklärung, das vereinzelte Ich. Hamburg, Books on Demand, S.-229-260 [5] Stang, K. (2005): Gespräch, Interview, kooperative Methode. In: Fragmente, Aufklärung, das vereinzelte Ich, Hamburg, Books on Demand, S.-301-339 [6] Zednik, C. (2021): Solving the black box problem: A normative framework for explainable artificial intelligence, Philosophy & technology, 2/ 34, S.-265-288 [7] Stang, K. (2001): Projektmanagement, Anforderungsanalyse und externe Qualitätssicherung, Zürich, VDF 27.7 Fazit 315 <?page no="317"?> Autoren Prof. Dr. Martin Barth hat seit 2021 die Professur für Projektma‐ nagement im Fachgebiet Management an der IU Internationale Hochschule inne. Er beschäftigt sich in seinen Forschungsarbeiten mit den Dynamiken, Methoden, Konzepten, Vorgehensweisen und Nutzenpotenzialen des modernen Projektmanagements. Irmtraud Behrens studierte Diplom-Chemieingenieurin der Fachhochschule Ostfriesland mit betriebswirtschaftlichen Zusatz‐ ausbildungen, Schwerpunkt Projektmanagement, leitet bei der BTC AG als Senior Projektleader klassische Projekte im IT-Bereich und begleitet als Agile Coach agile Teams in der Umsetzung von Entwicklungsprojekten. Christian Bernert, Direktor der Lean Programm Management Academy und Prinzipal im Bereich Projekt und Lean Programm Management. Als KI-Experte im Vertrags- und Claim Management, zukunftsweisenden Early Warning Systems, sowie ESG-SDG As‐ sessments unterstützt er den Einstieg in nachhaltige und resiliente Unternehmensführung. Martin Bialas ist Honorar-Professor für Organisationsentwick‐ lung & Innovation an der HEX-Hochschule für Exzellenz und dort unter anderem für das Thema Projektmanagement und Künstliche Intelligenz zuständig. Neben seiner Lehrtätigkeit ist er als Berater bei diventis GmbH zu Projektmanagement tätig und leitet bran‐ chenübergreifende Projekte. <?page no="318"?> Prof. Dr. Claudia Bornemeyer ist Professorin für Marketing & Service Management und Präsidentin der Rheinischen Hochschule Köln. Michael Boxheimer, Michael Boxheimer, IPMA Level B®, ist als selbstständiger Berater, Trainer und Coach tätig und unterstützt Kunden operativ und konzeptionell zu Themen im Management und Projektmanagement. In Projekten war und ist Künstliche Intelligenz oft ein Thema - KI basierte Applikationen stehen für die Unternehmensbereiche zur Verfügung und große Nutzenpotenti‐ ale können realisiert werden. Für GPM e. V. und IPMA® ist er ehrenamtlich aktiv, u. a. als Assessor und Trainer sowie Co- Autor der „IPMA® Project Excellence Baseline“ (2016). Andre Büsgen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhoch‐ schule Aachen, promoviert im Bereich NLP mit Fokus auf kon‐ textualisiertem Wissen. Er kombiniert klassische und moderne NLP-Methoden, z. B. für User-Profiling auf Schwarzmarktplatt‐ formen. Sein Projekt „Assist.me! “ zielt darauf ab, Unternehmen mit einem Chatbot und Information Retrieval-Verfahren bei der Freilegung verborgenen Wissens zu unterstützen. Arindam Chakraborty ist als Senior Project Manager verant‐ wortlich für die Einführung der Cloud-basierten MLops-Plattform in Nokia. Er hat über 20 Jahre Erfahrung in der Leitung komple‐ xer Softwareprojekte in der Telekommunikationsindustrie. Neben MLops ist sein momentaner Fokus die Einführung von neuen Werkzeugen zur Effizienzsteigerung basierend auf generativen KI-Techniken. Till Ole Diesterhöft ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr‐ stuhl für Informationsmanagement an der Georg-August-Univer‐ sität Göttingen. In seiner Forschung untersucht er strategische Unternehmensreaktionen auf Data Breaches im Gesundheitsbe‐ reich. Im Projekt KISSKI ist er als Berater tätig. 318 Autoren <?page no="319"?> Conny Düran, Leiterin der Customer Service & Support Abtei‐ lung bei Can Do, schöpft ihre umfassende Expertise aus dem Projektalltag diverser mittelständischer Unternehmen und Kon‐ zerne. Dank langjähriger Erfahrung kennt sie nicht nur aktuelle Herausforderungen des Fachkräftemangels, sondern behält auch die wandelnden Marktbedürfnisse im Fokus. Dr. rer. nat. Björn Friedrich, promovierter Informatiker von der Universität Oldenburg, arbeitet derzeit als Data Scientist bei der BTC AG. Mit akademischer Exzellenz und Expertise in Datenana‐ lyse und KI unterstützt er Unternehmen bei der Einführung von Künstlicher Intelligenz und datengetriebene Entscheidungen zu treffen. Prof. Dr. Beate Gleitsmann ist Professorin für Betriebswirt‐ schaftslehre an der Rheinischen Hochschule Köln. Sie leitet des Fachbereich Medien und den Studiengang „Media and Marketing Management“. Annika Günther arbeitete 7 Jahre als Unternehmensberaterin im Projekt- und Portfoliomanagement. Ihren Master in Sustainable Business Development schloss sie 2023 mit der Thesis „Künstliche Intelligenz im Projektportfoliomanagement“ erfolgreich ab. Julia Hartenstein ist als studierte Kunsthistorikerin erfahren in der Planung und Umsetzung von Ausstellungsprojekten und überzeugt von der branchenübergreifenden Wirksamkeit von Pro‐ jektmanagement. Zertifiziert in PRINCE2 und SCRUM, liegen ihre Schwerpunkte in Projektmanagement, Kommunikation und Technologie. Autoren 319 <?page no="320"?> Dr. Martin Holland hat Maschinenbau an der TU Clausthal studiert und promoviert. Seit 1994 ist er bei der PROSTEP AG. Seit Herbst 2015 verantwortet Martin Holland Strategie und Business Development. Hier sind es insbesondere die Themen Industrie 4.0, Künstliche Intelligenz sowie die Blockchain Technologie die von ihm vorangetrieben werden. Prof. Dr. Sabine Jaritz ist seit 2015 Professorin an der Fakultät Betriebswirtschaft der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg und zudem freiberufliche Unternehmensberaterin. Ihr Lehr- und Forschungsgebiet ist Projektmanagement und Change-Management. Prof. Jaritz verfügt über 15 Jahre Berufser‐ fahrung als Strategieberaterin. Michael Jentgens, Wissenschaftlicher Angestellter an der Fach‐ hochschule Aachen und steht unmittelbar vor dem Abschluss seiner Promotion. Er ist Softwaretechniker mit dem Schwerpunkt KI-basierter Applikationen und leitet derzeit ein Forschungspro‐ jekt im Bereich psycholinguistischer Assistenzsysteme. Zuvor hat er in über 12 Jahren in der Domäne der Energiewirtschaft und KI verschiedene Rollen ausgefüllt - vom klassischen Software‐ entwickler über den technischen Vertriebler bis hin zum Spezialisten für interne Geschäftsprozessoptimierung. Constantin Kauffmann, M. Sc. ist Gründer und Geschäftsfüh‐ rer der oculai GmbH. Während seines Maschinenbau Studiums an der FAU Erlangen-Nürnberg forschte er im Bereich Human Activity Recognition mittels Computervision. Über verschiedene Berührungspunkte mit der Bauindustrie entstand die Idee zum Einsatz von Kameras und künstlicher Intelligenz, um Produktions‐ daten für Baustellen zu generieren. An seinen Abschluss in 2021 anknüpfend, gründete er oculai mit zwei weiteren Mitgründern. 2024 beschäftigt das Unternehmen rund 25 Mitarbeitende. 320 Autoren <?page no="321"?> Felix Kegel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Informationsmanagement an der Georg-August-Universität Göt‐ tingen und im Projekt KISSKI als Berater tätig. In seiner Forschung befasst er sich Telemedizinsystemen in der Psychotherapie sowie der körperlichen Wahrnehmung von Technologien wie bspw. Wea‐ rables. Dipl.-Kfm. Klaus Kilvinger ist geschäftsführender Gesellschaf‐ ter und Berater bei der Opexa Advisory GmbH, einem auf Infor‐ mationssicherheit spezialisierten Beratungsunternehmen in Mün‐ chen. Prof. Dr. Lutz Kolbe ist Professor für Informationsmanagement an der Georg-August-Universität Göttingen und erforscht anwen‐ dungsorientiert den Einsatz und die Gestaltung von, sowie die menschliche Interaktion mit (KI-basierten) Informationssystemen. Das Team von Prof. Kolbe leitet im Projekt KISSKI die Arbeits‐ gruppe Nachhaltigkeit / Business Development und ist in unter‐ schiedliche Beratungsdienstleistungen involviert. Olga Kolov, studierte Diplom-Informatikerin (FH) der techni‐ schen Universität Omsk, führt bei der BTC AG als Senior Quality Engineer Testmanagement in Kundenprojekten durch, beschäftigt sich mit der Einführung von neuen Test- und Projektmanage‐ ment-Tools im Unternehmen und konzipiert Schulungen für das Testpersonal. Autoren 321 <?page no="322"?> Prof. Dr. Bodo Kraft: Die Gruppe von Prof. Kraft befasst sich seit über 10 Jahren mit der Verarbeitung von Sprache durch Anwendung von KI. Aktuell arbeiten sechs Promovierende an anwendungsorientierten Forschungsprojekten mit dem Fokus Sprachanalyse und -verarbeitung in unterschiedlichen Anwen‐ dungsdomänen, z. B. zur Verarbeitung juristischer Texte, zur Ana‐ lyse medizinischer Berichte, zur Automatisierung im eCommerce oder zur Forensik im öffentlichen Bereich. Prof. Dr. Kraft ist Direktor des Instituts für Digitalisierung Aachen (IDA). Zusammen mit Prof. Dr. Meinecke leitet Prof. Dr. Kraft das Unternehmen „laizee.ai - Language Analytics Made Easy“, das Produkte, Dienst‐ leistungen und Beratung im Umfeld automatisierter Sprachverarbeitung anbietet. Luciana Kröseler ist Senior IT-Beraterin bei der BHC GmbH und seit 16 Jahren im Bereich „Product Lifecycle Management (PLM) und Application Lifecycle Management (ALM)“ tätig. Sie hat parallel dazu ihre Masterarbeit im Bereich KI verfasst und arbeitet aktuell in mehreren KI-Projekten. Prof. Dr. Julian Kunkel ist Professor für High-Performance Com‐ puting mit Fokus auf Hochleistungsspeichern an der Universität Göttingen und ein stellvertretender Leiter der GWDG. Dr. Kunkel ist unter anderem Gründungsmitglied des IO500 Benchmarks, des Virtual Institute for I/ O und des HPC Certification Forums. Philip Langer studierte Informatik mit Schwerpunkt Medizinin‐ formatik an der Universität Göttingen. Als wiss. Mitarbeiter an der Universitätsmedizin Göttingen beschäftigt er sich mit der KI-basierten Auswertung medizinischer Bilddaten am Inst. für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie. 322 Autoren <?page no="323"?> Dipl. Kfm. Bernd Linder-Hofmann, Experte, Dozent und Lehr‐ beauftragter für Führungskräfte-, Organisations- und Personalent‐ wicklung, Projekt-, Change- und Transformationsmanagement, Vorstandsmitglied im Verein Integrale LebensArchitekten, Mitbe‐ gründer des systemisch-integralen Lehrsystems Innere Form, Mit‐ glied in Fachgruppen der Gesellschaft für Projektmanagement (GPM) und des Integralen Forum, Dharma-Schüler in der Gemein‐ schaft des DaiShinZEN, Mitglied und langjähriger Beirat im Verein für Gemeinwohlökonomie. Johannes Lützenberger befasst sich seit mehr als zehn Jahren mit digitalen Zwillingen. Hierzu zählen die Formalisierung von Wissen, Rückführung von Informationen aus der Nutzungsphase und deren Erzeugung mit 3D-Informationen von Bestandsanlagen, wozu er zuletzt ein Buch veröffentlichte. Dr. rer. nat. Andreas Mäder ist als Head of AI/ ML verantwortlich für die Einführung und Umsetzung von KI-basierten Methoden in der Forschung und Standardisierung für den Netzwerkausrüster Nokia. Er hat an der Julius-Echter-Universität Würzburg studiert und promoviert und hat über 20 Jahre Erfahrung in der Telekom‐ munikationsindustrie. Sein momentaner Fokus ist die kommende 6. Generation der Mobilfunknetze, in denen KI-basierte Methoden eine fundamentale Rolle spielen werden. Michael Martin, MBA ist als Director bei Deloitte Experte für Cyber Security und digitale operationale Resilienz. Er begleitet Kunden im Financial Service Sector seit Jahren im Zuge großen Transformationsprojekten im Bereich operative Resilienz. Autoren 323 <?page no="324"?> Prof. Dr. Susanne Marx lehrt seit 2024 an der TH Wildau, Fach‐ bereich Wirtschaft, Informatik, Recht. Ihre Lehr- und Forschungs‐ interessen liegen im Projekt- und Innovationsmanagement. Sie war 20 Jahre als Unternehmerin und Angestellte in den Branchen Konsumgüter, Lebensmittel und Tourismus tätig. Prof. Dr. Karin Melzer ist Professorin für Mathematik, Quanti‐ tative Methoden und Data Science an der Hochschule Esslingen. Dennis Mildslaff, Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwen‐ dungsentwicklung, ist derzeit als Quality Engineer für die BTC AG für die Testkoordination in Kundenprojekten tätig. Als Testkoordi‐ nator betreut er verschiedene Fachbereiche mit der Durchführung von Tests und schult nebenbei die Mitarbeiter in Projektmanage‐ menttools und deren Plugins. Dr. Stefanie Mühlhausen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe Computing der GWDG. Ihr Forschungsgebiet sind rechenintensive Anwendungen in den Lebenswissenschaften, insbesondere die vergleichende Genomanalyse. Sie ist Projektlei‐ terin von KISSKI. Elaheh Nabati ist KI-Beraterin bei PROSTEP AG. Sie hat mehr als 10 Jahre Forschungs- und Projekterfahrung im Bereich des maschinellen Lernens in der Produktion und Logistik. Sie hat ihre Promotion an der Universität Bremen mit dem Thema „Product Lifecycle Management (PLM)“ und „Data Analytics“ abgeschlos‐ sen. 324 Autoren <?page no="325"?> Prof. (FH) MMag. Andreas Nachbagauer studierte BWL und Soziologie. Als hauptberuflicher Lektor und stv. Studiengangsleiter der Projektmanagement-Studiengänge an der FH des BFI Wien lehrt und forscht er zu Managementthemen mit den Schwerpunk‐ ten Organisation und Strategie sowie zu Arbeit im Wandel. Dr. Claudia Niederée ist Forschungsgruppenleiterin am For‐ schungszentrum L3S (Leibniz Universität Hannover). Ihr For‐ schungsschwerpunkte sind Methoden der der künstlichen Intelli‐ genz insbesondere mit ihren Anwendungen in der Produktion und in der Inhaltsanalyse sowie Diversität und digitales Vergessen. Hendrik Nolte studierte Physik an der Universität Göttingen. Seit 2019 gehört er zum HPC-Team der GWDG. Dort beschäftigt er sich mit Datenmanagement, dem Benchmarking von Speichersys‐ temen und dem vertraulichen Prozessieren von sensiblen Daten auf gemeinsam genutzten HPC-Systemen. Bart Jan de Noord ist Produktportfolio Manager bei der aQua - Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH. Seine Forschungsinteressen umfassen verschiedene Themen des (digitalen) Marketings mit dem primären Ziel, eine Brücke zwischen Forschung und Industrie zu schlagen. Autoren 325 <?page no="326"?> Prof. (FH) Dr. Gerhard Ortner studierte Betriebs- und Wirt‐ schaftsinformatik an der TU Wien und Universität Wien. Seit 2004 ist er hauptberuflicher Lektor und Fachbereichsleiter für Projektmanagement an der FH des BFI Wien mit dem Forschungs‐ schwerpunkt Management projektorientierter Unternehmen. Senem Özdemir, Maschinenbau-Ingenieurin, MBA-Absolventin der Hochschule Esslingen Joachim Pfeffer ist Experte für agiles Systems Engineering und Autor mehrerer Fachbücher. Seit über 10 Jahren unterstützt er Un‐ ternehmen in den Bereichen Automotive, Medizintechnik, Halb‐ leiter und Maschinenbau bei der agilen Entwicklung physischer Produkte. Frank Pfirmann ist als Junior Software Engineer bei der PRO‐ STEP AG tätig. Er hat seine Masterarbeit in einem Thema des maschinellen Lernens und Softwaretechnik verfasst. Bei der PRO‐ STEP AG arbeitet er weiter an KI-Projekten. Coline Rabsilber studierte Maritimes Management und arbeitete bereits im Studium an der Anwendung moderner Technologien in der maritimen Industrie. Sie ist derzeit Business Developer für die BTC AG und verantwortet dort die Vermarktung und Wei‐ terentwicklung der Portfoliobestandteile Change Management, Projektmanagement und Generative AI. 326 Autoren <?page no="327"?> Prof. Dr.-Ing. Bodo Rosenhahn ist Professor (W3) am Institut für Informationsverarbeitung der Leibniz Universität Hannover und Direktor am L3S. Seine Forschungsschwerpunkte sind Digitale Signalverarbeitung, Multimodale Datenanalyse, Maschinelles Ler‐ nen, Bild- und Videoverarbeitung sowie Quantum Computing Dipl.-Ing. Thomas Salvador ist Sachverständiger, Gutachter für ISO-Zertifizierungsleistungen und Experte für Informationssi‐ cherheit mit Sitz in München. Als technischer Oberregierungsrat, Dezernent für IT-Sicherheit und Sicherheitsforscher ist er im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) tätig. www.thomass alvador.com Prof. Dr. Margit Sarstedt hat seit 2021 die Professur Technologie- und Projektmanagement im Fachgebiet Management an der IU Internationale Hochschule inne. Aufbauend auf ihrer langjährigen Erfahrung in der Industrie liegen ihre derzeitigen Forschungsinte‐ ressen im Projektmanagement für operative und organisatorische Veränderungssituationen. Dr.-Ing. Miriam Sasse promovierte im Maschinenbau zum Ein‐ satz von künstlicher Intelligenz in Produktionsanlagen von Kunst‐ stoffrohren, nachdem sie Wirtschaftsingenieurwesen und Psycho‐ logie studierte. Sie arbeitete zwölf Jahre als Projektmanagerin in klassischen und agilen Projekten sowie als Führungskraft, bevor sie die agile Transformation von großen Konzernen begleitete. Heute ist sie Agile Executive Coach und Beraterin für Organisati‐ onsentwicklung in der S&N CQM, einer Unternehmenseinheit der S&N Group AG. Dr. Sasse ist Regionalgruppenleiterin der GPM in Paderborn, Rednerin, Autorin diverser Fachbücher und Dozentin an Hochschulen. Autoren 327 <?page no="328"?> Dipl. Inform. Nicole Schelter: KI-Enthusiastin, Vorbildunter‐ nehmerin, Projektmanagerin und Beraterin seit über 20 Jahren. Zertifizierungen im agilen und klassischen Projektmanagement, sowie DISC, MBTI, Mediatorin. Tätigkeit in Europa, dem Nahen Osten und Afrika. Ehrenamtliches Engagement in verschiedenen Projekten und Organisationen. Dr. Moritz Schirmer, Gründer und CEO von tomatter, die führende Plattform für empfehlungsbasierte People-Analytics, Ex‐ perte für KI-gestützte Transformation, Kultur-, Organisations- und Personalentwicklung und Führungskultur, systemisches Coaching, mehrjährige Tätigkeit und fundierte Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich wissenschaftlicher Forschung zur Künstlichen Intelli‐ genz und Einsatz in verschiedenen Anwendungsgebieten. Thomas Schlereth ist Mitgründer und CEO der Can Do GmbH. Als Leiter der Entwicklung setzt er selbst erfolgreich Skills-ba‐ siertes Ressourcenmanagement mit KI im Rahmen des Hybriden Projektmanagements mit Can Do ein. Er gilt als erfahrener Experte für den Einsatz von KI beim Ressourcenmanagement und bei der Risikobewertung in Projekten. Dipl.-Ing. Marco Schlimpert, selbstständiger Unternehmens‐ berater, Experte für nachhaltige Transformation, Business Inno‐ vation, Supply Chain Management, Sales & Operations, Lean Management, systemisches Coaching, Start-Up Management, Un‐ ternehmensführung; mehr als 22 Jahre Erfahrungen im Top Ma‐ nagement von internationalen Konzernen im Maschinenbau und in der Prozessindustrie; zuletzt im Executive Management eines börsennotierten Unternehmens verantwortlich für Innovation und Technologie. Lehrbeauftragter an der TU Wien; Intuitionsforschung im Rahmen einer Dissertation an der TU Wien. 328 Autoren <?page no="329"?> Sibylle Schmidtke besitzt mit über 15 Jahren Erfahrung im Projektmanagement umfassendes Know-how in Beratung und Op‐ timierung von PM-Prozessen und Projekt-Controlling. Ausgebildet in verschiedenen Methoden und mit starken Managementkompe‐ tenzen treibt sie Programme und Projekte erfolgreich voran. Dr. Peter Schnupp: Sachverständiger für Systemsoftware und Technik der Softwareentwicklung; Physiker, der seit den 1970er Wissens-KI-Systeme entwickelt, war viele Jahre Chairman der ACM und Herausgeber des Magazins UNIX, Mitgründer von Soft‐ lab 1971 und der Interface Group 1981 sowie Entwickler von COPLAI - einem KI-Framework zum Erstellen von Wissensar‐ beits-Anwendungen. Prof. Dr. Silke Schönert ist Professorin für Business Information Systems und Projektmanagement an der Rheinischen Hochschule Köln. Sie ist Direktorin des Instituts für Projekt- und Informati‐ onsmanagement und Studiengangsleiterin Wirtschaftsinformatik (Vollzeit und dual). Noah Sentürk ist als Werkstudent bei der PROSTEP AG tätig und hat dort seine Bachelorarbeit verfasst, in der er das Konzept untersucht, welches in diesem Buch bzw. Paper vorgestellt wird. Dr. Knut Stang ist Leiter der Business Unit Volkswagen in der PROSTEP AG. Er ist Historiker und Informatiker und hat zahl‐ reiche Beiträge zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, zu Methoden der Informatik in der Geschichtswissenschaft und zur Korrelation von Klima- und Sicherheitspolitik veröffentlicht. Autoren 329 <?page no="330"?> Dr. Josip Stjepandić, Experte für virtuelle Produktentstehung, arbeitet seit fast 40 Jahren auf diesem Gebiet in unterschiedlichen Ausprägungen - zuletzt am digitalen Zwilling. Zuletzt hat er zwei Bücher darüber veröffentlicht. Peter Stirnweiß, Dipl.-Ing., Lean Six Sigma Black Belt, Leiter Engineering der mts Consulting & Engineering GmbH, Six Sigma und Robust Design Trainer Ann-Kathrin Strutzenberger, M.Sc. ist Senior Consultant bei Deloitte im Bereich Cyber Security und digitale operationale Re‐ silienz. Sie unterstützt seit mehreren Jahren Kunden bei IT- und Cyber Security Umsetzungsprojekten im Bereich regulatorischer Anforderungen. Dr. Irene Teich: Expertin für Wissenstechnologie; Studium von Physik, Wirtschaftsinformatik und Supply Chain Management, Doktorarbeit über die „Lernende Organisation“, Softwareauswahl und Grundlagen Informatik: Wissensmanagement legten das Fun‐ dament. Über 10 Jahre Mitentwicklung einer innovativen KI und parallel Begleitung von drei Start-ups, die diese KI anbieten sollten. Frank Thurner, Dipl.-Ing. (FH), Geschäftsführer der Contech Software & Engineering GmbH und mts Consulting & Engineering GmbH, Lean Six Sigma Master Black Belt, Experte für robuste Produkte und stabile Prozesse mit Digitalisierung, Methode & Engineering-KI-System. 330 Autoren <?page no="331"?> Dr.-Ing. Dirk Veiel: IT-Koordinator CATALPA, FernUniversi‐ tät Hagen. Forschung: kontextbasierte, adaptive, emergente so‐ zio-technische Systeme. Fokus: KI-Plattformen, intelligente perso‐ nalisierte Assistenzsysteme u.ä. rechtskonform betreiben. Wichtig: Interdisziplinär, praxisorientiert und -relevant. Foto: Veit Mette Christoph Wegener, M. Sc., MBA , ist Geschäftsführer u. a. bei Joh. Wegener Bauunternehmen GmbH & Co. KG. Seit über 110 Jahren entwickelt die Firma Wegener Lebens- und Arbeitsräume. Ein Fokus liegt auf LCM und BIM, die fest im Unternehmen verankert sind. Firma Wegener ist stets offen für neue, innovative Ansätze, um diese bei positivem Feedback zu implementieren. www.wegener.de. Prof. Dr. Siegfried Zürn ist Geschäftsführer u.a. bei Joh. Wegener Bauunternehmen GmbH & Co. KG. Seit über 110 Jahren entwickelt die Firma Wegener Lebens- und Arbeitsräume. Ein Fokus liegt auf LCM und BIM, die fest im Unternehmen verankert sind. Autoren 331 <?page no="332"?> EIN BAND AUS DER GPM-REIHE PROJEKTMANAGEMENT NEU DENKEN GPM TREND Layout Layout Dieser Band zeigt, wie KI die Projektwirtschaft verändert und welche Potenziale in der Projektarbeit damit gehoben werden können. Mit den Schwerpunktthemen KI-Einsatz in der PM- Forschung, im Projekt- und Projektportfoliomanagement, in der Mustererkennung und im Rollenwandel im Projektumfeld liegt der Fokus auf konkreten Anwendungen. Wie bei jeder Einführung einer neuen Technologie gilt es, zunächst die Kernfrage zu klären: Was will ich mit Hilfe von KI konkret erreichen? In der Regel muss die Unternehmensstrategie neu ausgerichtet werden. Um erfolgreich zu sein, bedarf es auch einer KI-Readiness. Auch hierfür bietet der Band wertvolle Hilfestellungen und zeigt die Bedeutung neuer Berufsbilder und Rollen auf, wie z. B. Datenanalysten für Projekte, KI-Strategen oder spezialisierte KI-Trainer. Besonders wichtig ist die Aus- und Weiterbildung, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit auf die KI-Reise zu nehmen. Als besonders innovatives Anwendungsfeld von KI in der Projektwirtschaft wird der Bereich „Early Warning Systems“ gesehen, in dem durch Mustererkennung gezieltes präventives Handeln ermöglicht und damit bessere Projektergebnisse erzielt werden können. ISBN 978-3-381-11141-1 Bernert / Scheurer / Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Christian Bernert / Ste en Scheurer / Harald Wehnes (Hrsg.) KI in der Projektwirtschaft 2 Eine neue Ära der E izienz und Innovation