Unternehmensbewertung
0115
2024
978-3-3811-1352-1
978-3-3811-1351-4
UVK Verlag
Ralf Hafner
10.24053/9783381113521
Die Bewertung ganzer Unternehmen ist eines der praxisrelevantesten Themen in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Es gibt zahlreiche Anlässe für die Bewertung von Unternehmen: Unternehmensverkäufe, Fusionen, Managemen-Buy-outs, Anteilsverkäufe, Börsengänge und andere Teilveräußerungen.
Der Autor dieses Buches geht dabei in erster Linie auf die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) sowie die Comparable Companies Analysis und Precedent Transactions Analysis, aber auch auf weitere Bewertungsverfahren ein.
Darüber hinaus behandelt das Buch das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern, Zielsetzungen von sowie Spielräumen bei Unternehmensbewertungen. Es schließt mit einem kurzen Ausflug in die ewige Frage der Ökonomie: Wert und Preis - also eine kompakte Darstellung der Theorie der Unternehmensbewertung.
Ralf Hafner Unternehmensbewertung Unternehmensbewertung Prof. Dr. Ralf Hafner lehrt International Business mit Schwerpunkt Finance and Accounting an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. In der Lehre immer am Zahn der Zeit zu sein, wird in unserer schnelllebigen Zeit immer mehr zur Herausforderung. Mit unserer neuen fachübergreifenden Reihe nuggets präsentie‐ ren wir Ihnen die aktuellen Trends, die Forschung, Lehre und Gesellschaft beschäftigen - wissenschaftlich fundiert und kompakt dargestellt. Ein besonderes Augenmerk legt die Reihe auf den didaktischen Anspruch, denn die Bände sind vor allem konzipiert als kleine Bausteine, die Sie für Ihre Lehrveranstaltung ganz unkompliziert einsetzen können. Mit unseren nuggets bekommen Sie prägnante und kompakt dar‐ gestellte Themen im handlichen Buchformat, verfasst von Expert: innen, die gezielte Information mit fundierter Analyse verbinden und damit aktuelles Wissen vermitteln, ohne den Fokus auf das Wesentliche zu verlieren. Damit sind sie für Lehre und Studium vor allem eines: Gold wert! So gezielt die Themen in den Bänden bearbeitet werden, so breit ist auch das Fachspektrum, das die nuggets abdecken: von den Wirtschaftswissenschaf‐ ten über die Geisteswissenschaften und die Naturwissenschaften bis hin zur Sozialwissenschaft - Leser: innen aller Fachbereiche können in dieser Reihe fündig werden. Ralf Hafner Unternehmensbewertung UVK Verlag · München DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783381113521 © UVK Verlag 2024 ‒ ein Unternehmen der Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Ver‐ vielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: in‐ nen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2941-2730 ISBN 978-3-381-11351-4 (Print) ISBN 978-3-381-11352-1 (ePDF) ISBN 978-3-381-11353-8 (ePub) Umschlagmotiv: © olaser • iStockphoto Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 1 7 2 13 2.1 15 2.2 18 2.2.1 21 2.2.2 26 2.2.3 31 2.2.4 40 2.2.5 44 46 3 47 3.1 49 3.2 54 3.3 55 3.4 56 58 4 59 63 5 65 5.1 65 5.2 69 5.3 71 5.4 72 5.5 75 77 Inhalt Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) . . . . . . . . . . . . . . Varianten der DCF-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Enterprise-DCF-Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmensanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Projektion künftiger freier Cashflows . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung der Kapitalkosten (WACC) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung des Terminal Value . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ermittlung der Barwerte, Ableitung einer Wertbandbreite, Sensitivitäts- und Szenarioanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Comparable Companies Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Übliche Multiplikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Suche nach vergleichbaren Unternehmen . . . . . . . . . . . Aufbereitung des Zahlenmaterials . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ableitung einer Wertbandbreite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Precedent Transactions Analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LBO-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Optionspreisbasierte Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . Asset-based Bewertungsverfahren (Substanzbewertungen) APV-Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 79 6.1 79 6.2 81 6.3 84 6.4 87 6.5 89 92 7 95 7.1 96 7.2 98 7.3 101 7.3.1 101 7.3.2 106 108 8 109 8.1 109 8.2 112 8.3 113 121 123 125 131 132 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals . . . . . . . . . . . . Liquide Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beteiligungen, Anteile anderer Gesellschafter und sonstige gesondert zu bewertende Vermögensgegenstände . . . . . . . Pensionszusagen und Rückstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Außerbilanzielle Finanzierungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . Aktienoptionen, Wandel- und Optionsanleihen . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern, Zielsetzungen von und Spielräumen bei Unternehmensbewertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftraggeber und ihre Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewerter und ihre Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spielräume bei DCF-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spielräume bei Multiplikatorenmethoden . . . . . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unternehmenswerte und Unternehmenspreise . . . . . . . . . . Intrinsische (objektive, objektivierte) und subjektive Unternehmenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionale Unternehmensbewertungstheorie . . . . . . . . . . Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antworten auf die Lernfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 1 Überblick Lernziele ■ Sie sollen Anlässe für die Bewertung von Unternehmen kennenlernen. ■ Sie sollen die Unternehmensbewertung als komplexes, interdiszipli‐ näres und umfangreiches Vorhaben begreifen, das den Einsatz des gesamten Spektrums der Betriebswirtschaftslehre erfordert. Die Bewertung ganzer Unternehmen ist eines der praxisrelevantesten The‐ men in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Es gibt zahlreiche Anlässe für die Bewertung von Unternehmen. Die im Folgenden aufgeführten Anlässe erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Kauf und Verkauf von Unternehmen (M&A) Wertorientierte Unternehmensführung Portfoliomanagement Gesetzliche Vorschriften Vertragliche und sonstige Regelungen Externe Rechnungslegung und steuerliche Zwecke Abb. 1 Kauf und Verkauf von Unternehmen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) Die Unternehmensbewertung spielt bei jedem M&A-Prozess eine zentrale Rolle. Bevor sich ein Verkäufer von einem Unternehmen trennt, wird oder besser sollte er sich fragen, was er an Kaufpreisgeboten erwarten, wie er selber seine Kaufpreisforderung mit einer Bewertung unterlegen kann und was er mindestens erzielen muss, um sich nicht schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Verkaufs. Umgekehrt werden die Bieter vor Abgabe eines Angebots eine Bewertung des Zielobjekts vornehmen, überlegen, wie sie ihre Kaufpreisgebote durch eine Bewertung untermauern können, wie sie mittels einer Unternehmensbewertung den Kauf gegenüber ihren Anteilseignern und/ oder Aufsichtsgremien rechtfertigen können und analysieren, was sie höchsten für das Unternehmen ausgeben könnten, ohne sich schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Kaufs. Gleiches gilt bei Fusionen, MBOs (Management-Buy-outs), MBIs (Ma‐ nagement-Buy-ins), beim Anteilsverkauf unter Gesellschaftern, bei IPOs (Initial Public Offerings, Börseneinführung) und anderen Teilveräußerun‐ gen. - Wertorientierte Unternehmensführung Akzeptiert man das Mantra der modernen Corporate-Finance-Theorie und -Praxis, dann ist das unternehmerische Handeln am Unternehmenswert auszurichten. Entscheidungen, die den Unternehmenswert erhöhen, sind gute Entscheidungen und sollten umgehend umgesetzt werden. Unterneh‐ mensstrategie, Investitions- und Finanzierungsentscheidungen und Unter‐ nehmenswert bedingen sich dann gegenseitig. - Portfoliomanagement Private und professionelle Anleger und deren Berater, insbesondere Akti‐ enanalysten, bewerten Unternehmen zur Unterlegung ihrer Anlageempfeh‐ lungen und/ oder -entscheidungen bei der Zusammensetzung ihres Portfo‐ lios. - Gesetzliche Vorschriften Bei bestimmten Anlässen sind in vielen Staaten gesetzlich Bewertungen von Unternehmen oder Unternehmensanteilen vorgeschrieben. Der Squeezeout, der erzwungene Auskauf von Minderheitsaktionären durch den Mehr‐ heitsaktionär, ist ein Beispiel hierfür. In Deutschland sind bei Abschluss von aktienrechtlichen Unternehmensverträgen, Verschmelzungen sowie Auf- und Abspaltungen Unternehmensbewertungen vorgesehen. 8 1 Überblick Vertragliche und sonstige Regelungen Unternehmensbewertungen finden darüber hinaus statt bei Erbauseinan‐ dersetzungen, bei Ein- oder Austritt von Gesellschaftern in eine Personenge‐ sellschaft, bei Abfindungsfällen anlässlich von Ehescheidungen und anderen familienrechtlichen Auseinandersetzungen. Externe Rechnungslegung und steuerliche Zwecke Bei der sogenannten Purchase Price Allocation (Kaufpreisallokation der An‐ schaffungskosten einer Beteiligung in der Konzernbilanz) und den anschlie‐ ßenden jährlich erforderlichen Impairment-Tests (Werthaltigkeitstests) sind Unternehmensbewertungen vorzunehmen. Auch aus Steuergesetzen erge‐ ben sich in vielen Staaten Anlässe zur Bewertung von Unternehmen. Unternehmensbewertung Historische Entwicklung: Jahresabschlüsse der letzten Jahre Unternehmensplanung Markt- und Wettbewerbsposition Wertkette: F&E, Produktdesign, Beschaffung/ Produktion, Marketing, Vertrieb, Kundendienst, Administration/ IT Risiko Abb. 2 Unternehmensbewertungen sind anspruchsvolle, umfangreiche und span‐ nende Vorhaben gleichermaßen, kommt hier doch das gesamte Spektrum der Betriebswirtschaftslehre und des unternehmerischen Managements zum Einsatz. Zur Verdeutlichung stellen wir uns ein konkretes Unternehmen vor: Boeing zum Beispiel oder Siemens, vielleicht TikTok oder auch das 1 Überblick 9 Blumengeschäft an der Ecke. Was ist zu tun, um zu einem Wert für diese Unternehmen zu kommen? Die Bestandsaufnahme setzt normalerweise auf Informationen aus den Jahresabschlüssen der Unternehmen auf. Es sind also fundierte Kenntnisse der externen und internen Rechnungslegung notwendig. Für eine Prognose der künftigen Entwicklung des zu bewertenden Unternehmens bedarf es einer umfassenden Analyse der gesamten Wertkette: Forschung & Ent‐ wicklung, Produktdesign, Beschaffung/ Produktion, Marketing, Vertrieb, Kundendienst und Administration/ IT sind zu untersuchen im Hinblick auf Wettbewerbsvorteile/ -nachteile und deren Nachhaltigkeit. Darüber hinaus gilt es, Prognosen über die Beschaffungs- und Absatzmärkte zu erstellen und die Produkte und/ oder Dienstleistungen des zu bewertenden Unternehmens im Wettbewerbsvergleich zu beurteilen. Strategie und strategisches Ma‐ nagement sind hier gefragt, verbunden mit der Fähigkeit, die Erkenntnisse daraus in Zahlen zu transformieren, in eine Prognose künftiger Umsätze, Kosten, Investitionen in Sachanlagevermögen und Working Capital und in Bilanzrelationen. Wie sieht die Gewinn- und Verlustrechnung, wie sieht die Bilanz der genannten Unternehmen in den nächsten fünf Jahren aus, wie danach? Schließlich ist zu untersuchen, wie die Prognosen immanente Thematik der Unsicherheit berücksichtigt werden soll. Wie beschreiben, wie messen wir Chancen und Risiken bei der Unternehmensbewertung und wie fließt dies in die Analyse ein - eines der anspruchsvollsten Unterfangen in Theorie und Praxis. Flugzeuge wird es in fünf Jahren sicher noch geben, aber wie wird Boeing im Vergleich zum Wettbewerb dastehen? Sind Mischkonzerne wie Siemens zukunftsfähig? Wie zukunftsträchtig ist die Dienstleistung von TikTok? Kaufen wir unsere Blumen in fünf Jahren alle im Internet und was hat dies für Auswirkungen auf den Blumenladen an der Ecke? Schwierig? Richtig, aber je anspruchsvoller die Bewertung, desto notwendiger ist sie. Coca-Cola wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch noch in 20 Jahren konsumiert werden, aber erstellen wir dann noch Clips? Ist TikTok dann schon Geschichte? Wer sich bei all diesen Unwägbarkeiten unwohl fühlt, der ist besser beraten, sich mit anderen Fragestellungen auseinander zu setzen - Risiken, Unschärfen, subjektive Einschätzungen über die künftige Entwicklung und damit verbunden eine hohe Wahrscheinlichkeit, sich diesbezüglich irren zu können, gehören zur Unternehmensbewertung dazu. Sie ist keine präzise Wissenschaft. Auch wenn sie quantitative Modelle verwendet, so sind die 10 1 Überblick ermittelten Werte weder objektiv noch präzise und erst recht nicht zeitlos. Es werden Bandbreiten ermittelt. Und die ändern sich. Täglich. Die Tiefe des Themengebiets wird auch deutlich am Umfang der verfüg‐ baren Fachliteratur zur Unternehmensbewertung. Die Anzahl der Seiten eines Buchs ist sicher kein Qualitätsmerkmal, aber es ist schon bemer‐ kenswert, dass der Transport alleine der nationalen und internationalen Standardwerke mehrere Aktenkoffer erfordert und zu langen Armen führt, ganz zu schweigen von der zahlreichen Fachaufsätzen, Promotionen und Habilitationen zum Thema. Rosenbaum/ Pearl sind mit ihrem Buch „Investment Banking“ und gut 500 Seiten beinahe noch handlich, aber Damodarans „Investment Valuation“ und Koller/ Goedhart/ Wessels „Valuation“, zwei internationale Standardwerke, kommen mit knapp 1.000 Seiten daher. Peemöllers „Praxishandbuch der Un‐ ternehmensbewertung“ toppt dies locker mit gut fast 2.000 Seiten. Auch die deutschen Standardlehrbücher sind teilweise sehr umfangreich: Matschke/ Brösel bringen es auf fast 900 Seiten, Drukarczyk/ Schüler auf immerhin noch über 600. Ballwieser/ Hachmeister, Hering, Spremann/ Ernst und Hommel/ Deh‐ mel sind vom Umfang her löbliche Ausnahmen (wenn wir hier Werke nicht erwähnt haben, so ist diese bitte nicht als Wertung zu verstehen). Jedoch hat jedes dieser Werke einen anderen Schwerpunkt, eine andere Herangehensweise, so dass man die Seitenzahlen getrost addieren kann, will man sich einen kompletten Überblick über den Stand der deutschen Lehrbuchmeinung zur Unternehmensbewertung verschaffen. Methodenvielfalt ist ein weiteres Kennzeichen der Unternehmensbewer‐ tung. Ebenso eine langjährige Auseinandersetzung zwischen Theorie und Praxis über wichtige Aspekte sowie die ausgesprochen kritische und teil‐ weise sehr distanzierte Haltung großer Teile der deutschen Literatur zur internationalen Bewertungstheorie und -praxis. Als Vertreter einer anwendungsorientierten Betriebswirtschaftslehre werden wir uns zunächst den Methoden zuwenden, die derzeit (Ende 2023) in der internationalen Bewertungspraxis am meisten verbreitet sind. Sie haben in den letzten Jahrzehnten auch in der deutschen Bewertungspraxis Fuß gefasst und ihre Bedeutung nimmt hierzulande immer mehr zu. Kapitel 2 behandelt die Discounted-Cashflow-Methode in der sogenannten „Enter‐ prise-Variante“, die sich - auch wenn diese Auffassung nicht überall hoffähig ist - inzwischen wie die Kapitalwertmethode bei Investitionsentscheidun‐ gen zur Mutter aller Unternehmensbewertungsmethoden entwickelt hat. 1 Überblick 11 Kapitel 3 und 4 beschreiben zwei weitere Verfahren, die Stand heute Be‐ standteil fast aller Unternehmensbewertungen sind, die Analyse vergleich‐ barer börsennotierter Unternehmen und die Analyse kürzlich erfolgter Akquisitionen. Wir verwenden hierfür die englischen Fachtermini, die sich auch in Deutschland einbürgern: Comparable Companies Analysis und Precedent Transactions Analysis. Kapitel 5 gibt einen Überblick über weitere Methoden, Kapitel 6 geht auf ausgewählte Spezialthemen der Unterneh‐ mensbewertung ein. In Kapitel 7 analysieren wir die Spielräume, die sich aus den notwendiger‐ weise subjektiven Einschätzungen (die sich bestenfalls objektivieren lassen, aber kaum objektiv sein können) ergeben, die in die Bewertung einfließen. Damit wollen wir den Blick schärfen für das Zusammenspiel zwischen ermitteltem Unternehmenswert und dem Zweck, den der Auftraggeber der Bewertung damit verfolgt. Kapitel 8 widmet sich der Thematik Wert und Preis und versucht, eine Brücke zu schlagen zur Theorie der Unternehmens‐ bewertung. 12 1 Überblick 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Lernziele ■ Sie sollen die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) als Anwendungsfall der Kapitalwertmethode auf die Unternehmensbe‐ wertung interpretieren. ■ Sie sollen die Enterprise-DCF-Methode und die Equity-DCF-Me‐ thode unterscheiden können. ■ Sie sollen die Termini Enterprise Value, Equity Value, zinstragende Verbindlichkeiten, liquide Mittel und Nettoverschuldung kennen‐ lernen und die Beziehungen zwischen ihnen verstehen. Die → DCF-Methode ist nichts anderes als die Anwendung des aus der Investitionsrechnung bekannten Kapitalwertkalküls auf die Unterneh‐ mensbewertung. Investitionsobjekt ist das Unternehmen, das durch seine künftigen Einzahlungsüberschüsse, die sogenannten → freien Cashflows charakterisiert wird. Wie bei der Investitionsrechnung arbeiten wir auch bei der DCF-Methode mit Zahlungsgrößen (Ein- und Auszahlungen, Cashflows) und nicht mit Erfolgsgrößen (Erträgen und Aufwendungen). Die in den künftigen Jahren t=1, 2, 3, … , n anfallenden freien Cashflows werden auf t=0 (den Bewertungsstichtag) abdiskontiert mit einem risikoadäquaten Zinssatz, den Kapitalkosten des zu bewertenden Unternehmens. Die Summe der sich so ergebenden Barwerte, der Kapitalwert, ist der Unternehmenswert. Anders als bei der Investitionsrechnung gibt es bei der DCF-Methode der Unternehmensbewertung keine Anfangsauszahlung in t=0. Dieser Betrag, die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, ist die gesuchte Größe, der Unternehmenswert. Ist er ermittelt und setzt man diesen Un‐ ternehmenswert als Anschaffungsauszahlung, also mit einem negativen Vorzeichen in t=0 ein, so ergibt sich ein Kapitalwert von 0 und ein interner Zinsfuß in Höhe des Diskontierungssatzes, also der Kapitalkosten des Unternehmens. Gelingt es einem Käufer, das Unternehmen für einen gerin‐ geren Kaufpreis zu erwerben als die Summe der abdiskontierten künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft. Der Kapitalwert seiner t=0 t=1 t=2 t=3 ... t=n t=0 ... t=n t=0 ... t=0 t=2 t=3 t=0 t=1 t=2 t=1 Unternehmenswert Freie Cashflows Abb. 3 Zahlungsreihe ist dann nämlich positiv. Zahlt er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen Cashflows, so führt dies zu einer höheren Anschaf‐ fungsauszahlung in t=0 und zu einem negativen Kapitalwert. Entsprechend der Entscheidungsregel für Kapitalwertrechnungen sollte er eine solche Investition nicht tätigen. Umgekehrtes gilt für den Verkäufer. Er verzichtet bei einem Verkauf auf die künftigen freien Cashflows. Sie gehen mit einem negativen Vorzeichen in seine Rechnung ein, der Kaufpreis in t=0 ist ein Zufluss bei ihm, eine Einzahlung. Entspricht diese dem Unternehmenswert, so ist auch der Kapi‐ talwert seiner Zahlungsreihe 0. Erhält er mehr als die Summe der Barwerte der künftigen freien Cashflows, so macht er ein gutes Geschäft (Kapitalwert > 0), gibt er sich mit weniger zufrieden, so wird der Kapitalwert seines Zahlungsstroms negativ - gemäß der Entscheidungsregel sollte er dann lieber das Unternehmen behalten und weiter fortführen, da er sich bei dieser Alternative besser stellt als beim Verkauf. 14 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) 2.1 Varianten der DCF-Methode Bei der DCF-Methode gibt es zwei Varianten: ■ Das Gesamtbewertung, Firm oder Entity Valuation oder → Enterprise- DCF-Methode genannte Verfahren ist das in der Praxis am häufigsten anzutreffende Vorgehen. Diskontiert werden freie Cashflows vor Zinsen mit den gewichteten Kapitalkosten (WACC). ■ Das Eigenkapitalbewertung, Equity Valuation oder → Equity-DCF-Me‐ thode genannte Verfahren bewertet direkt den Wert des Eigenkapitals. Diskontiert werden freie Cashflows nach Finanzierungskosten und nach Netto-Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten mit den Eigenkapitalkosten des Unternehmens. Richtig angewendet, führen beide Verfahren zum selben Ergebnis. Die Kenntnis der Unterscheidung zwischen Gesamtwert des Unterneh‐ mens und Wert des Eigenkapitals, Firm Valuation und Equity Valuation bzw. Enterprise-DCF und Equity-DCF ist wichtig für das Verständnis der Bewertung von Unternehmen. Die folgenden Ausführungen dienen der Verdeutlichung. Wir beginnen mit der buchhalterischen Sicht der Bilanz eines Unternehmens. Danach können wir Aktiv- und Passivseite der Bilanz zu Buchwerten vereinfacht wie folgt darstellen: Liquide Mittel Betriebsnotwendige Vermögensgegenstände Betriebsnotwendige Verbindlichkeiten Zinstragende Verbindlichkeiten Eigenkapital = Abb. 4 2.1 Varianten der DCF-Methode 15 Unter liquiden Mitteln wird überschüssige Liquidität verstanden, die nicht zum Betrieb des Unternehmens erforderlich ist (excess cash). Zinstragende Verbindlichkeiten sind zum Beispiel Bankdarlehen und Anleihen, also Fi‐ nanzierungstitel, für die an die Fremdkapitalgeber explizit Zinsen entrichtet werden. Nicht dazu gerechnet werden beispielsweise Lieferantenverbind‐ lichkeiten und Rückstellungen für Gewährleistungen. Sie sind Teil des Working Capitals und der Verbindlichkeiten. Das Eigenkapital in der obigen Abbildung entspricht dem buchmäßigen Eigenkapital in der Bilanz. Vereinfacht lässt sich das obige Schaubild auch wie folgt darstellen: Liquide Mittel Netto- Betriebsvermögen Zinstragende Verbindlichkeiten Eigenkapital = Abb. 5 Betrachten wir nun das Unternehmen aus finanzwirtschaftlicher Sicht. Die Aktivseite können wir dann darstellen als die Ansammlung aller bereits getätigten und aller künftigen Investitionen des Unternehmen. Dies führt normalerweise (wenn es sich nicht um ein Unternehmen in einer Krisensituation handelt) zur einer Bilanzverlängerung in Gestalt der außerbilanziellen Vermögensgegenstände. Auf der Passivseite werden dann zinstragende Verbindlichkeiten und Eigenkapital zu Marktwerten und nicht zu Buchwerten gezeigt. Der Großteil der Abweichungen zwischen Marktwert und Buchwert entfällt dabei in aller Regel auf das Eigenkapital. Bei börsennotierten Unternehmen erhält man den Marktwert durch Multi‐ plikation des Aktienkurses mit der Anzahl der sich im Umlauf befindlichen Aktien. 16 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Liquide Mittel Netto- Betriebsvermögen Zinstragende Verbindlichkeiten Eigenkapital = Außerbilanzielles Vermögen Abb. 6 Anders dargestellt ergibt sich folgende finanzwirtschaftliche Sicht der Bilanz zu Marktwerten (Damodaran, Applied Corporate Finance, 4. Aufl., 2) Liquide Mittel Gesamtunternehmenswert = Enterprise Value = Barwert aller Investitionen des Unternehmens (getätigte und künftige) Zinstragende Verbindlichkeiten Eigenkapital = Abb. 7 2.1 Varianten der DCF-Methode 17 Bei Saldierung der zinstragenden Verbindlichkeiten mit den liquiden Mitteln ergibt sich das folgende Bild, das den Unterschied zwischen Enterprise-DCF- und Equity-DCF-Methode verdeutlicht: Enterprise-DCF: Cashflows vor Finanzierungskosten werden diskontiert mit den WACC Equity-DCF: Cashflows nach Finanzierungskosten und Δ zinstragende Verbindlichkeiten werden diskontiert mit den Eigenkapitalkosten Gesamtunternehmenswert = Enterprise Value Nettoverschuldung Eigenkapital = Abb. 8 Wir konzentrieren uns im Folgenden auf das Enterprise-DCF-Verfahren. Die meisten DCF-Bewertungen in der Praxis haben es zur Grundlage. Equity- DCF-Verfahren findet man beispielsweise bei der Bewertung von Banken und Versicherungen, da hier die zinstragenden Verbindlichkeiten einen anderen Charakter haben. 2.2 Enterprise-DCF-Methode Lernziele ■ Sie sollen den allen Kapitalgebern zufließenden freien Cashflow definieren und ableiten können. ■ Sie sollen die Kapitalkosten (WACC) mit ihren einzelnen Bestandtei‐ len (risikofreier Zins, Marktrisikoprämie, Beta, Fremdkapitalkosten, Steuersatz) kennen und herleiten können. 18 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) ■ Sie sollen den Begriff „Terminal Value“ verstehen und die Methoden seiner Ermittlung kennenlernen. Bei der Enterprise-DCF-Methode werden die künftigen freien Cashflows, das sind Cashflows vor Finanzierungskosten, also die Cashflows, die allen Kapitalgebern (Eigen- und zinstragendes Fremdkapital, Equity and Debt) zur Verfügung stehen, abdiskontiert mit den gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens. Resultat ist der Enterprise Value. Ziehen wir hiervon die Nettoverschuldung ab, so erhalten wir den Wert des Eigenkapitals. Folgende „Zutaten“ benötigen wir demzufolge: ■ Die künftigen freien Cashflows sowie die ■ Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows gibt es einen Unterschied zu den aus der Investitionsrechnung bekannten Kapitalwertberechnungen. In aller Regel wird dort ein endlicher Planungszeitraum unterstellt. Bei Un‐ ternehmensbewertungen geht man hingegen, falls dem in Ausnahmefällen nicht tatsächliche Gegebenheiten entgegen stehen (auf Zeit angelegte Un‐ ternehmen), von einem unendlichem Planungszeitraum, einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens aus. Bei der Prognose der künftigen freien Cashflows behilft man sich dann mit so genannten Phasenmodellen. Dabei wird der Planungszeitraum in zwei, manchmal drei Phasen unterteilt. In der ersten (und gegebenenfalls zweiten) Phase erfolgt eine Detailplanung und -prognose. Für die letzte Phase wird ein so genannter „Terminal Value“ ermittelt, der den Wert der freien Cashflows nach Abschluss der Detailplanungsphase repräsentiert. 2.2 Enterprise-DCF-Methode 19 t=0 t=1 t=2 t=3 t=4 t=5 t=6 ff. t=0 t=4 t=5 t=3 t=3 t=4 t=0 t=0 t=2 t=3 t=2 t=3 t=0 t=0 t=2 t=1 t=2 t=1 t=5 t=6 ff. t=0 t=4 t=5 t=3 t=4 t=0 t=2 t=3 t=0 t=1 t=2 t=1 Freie Cashflows im Detailplanungszeitraum (t=1, ... , 5) Unternehmenswert Terminal Value Abb. 9 Die Länge des Detailplanungszeitraums beträgt in der Praxis in der Regel zwischen 3 und 10 Jahre. Welcher Zeitraum gewählt wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab: ■ Liegt für das Unternehmen nur eine 3-Jahresplanung vor und ist eine Fortschreibung der Daten unverhältnismäßig zeitaufwendig oder kom‐ plex, dann spricht vieles dafür, diese 3 Jahre auch als Detailplanungs‐ zeitraum zu nehmen. ■ Für die Bewertung nicht-zyklischer Unternehmen sollte der Planungs‐ zeitraum so bemessen sein, dass er die gesamte Phase des überdurch‐ schnittlichen Wachstums abbildet, an seinem Ende also die „steady state“ Phase beginnt, in der das Unternehmen mit einer gleichbleibenden Rate, beispielsweise der Wachstumsrate der Volkswirtschaft, weiter wächst, die Effizienzkennzahlen des Unternehmens für die Zukunft als statisch angesehen werden können und der ROC für neue Investitionen dem Branchendurchschnitt entspricht. Die Frage ist, wie lange der aktuelle Wettbewerbsvorteil, der das überdurchschnittliche Wachstum ermöglicht, bestehen wird. 20 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) ■ Für junge, sehr stark wachsende Unternehmen kann es angezeigt sein, den Planungszeitraum in mehrere Phasen aufzuteilen. Phase 1 für stark überdurchschnittliches Wachstum, Phase 2 für überdurchschnittliches Wachstum und Phase 3 als „steady state“ mit Wachstumsrate der Volkswirtschaft. ■ Bei zyklischen Unternehmen sollte versucht werden, einen kompletten Geschäfts-zyklus in der Detailplanungsphase abzubilden. „Steady state“ wird es hier nicht geben. Insofern wird man für die Ermittlung des Terminal Value eine Durchschnittsbetrachtung anstellen. Folgende fünf Schritte der Enterprise-DCF-Methode beschreiben wir nach‐ stehend: Abb. 10 2.2.1 Unternehmensanalyse Der erste Schritt einer jeden Unternehmensbewertung besteht darin, ein tiefes Verständnis für das Bewertungsobjekt und seine Produkte oder Dienstleistungen im Wettbewerbsvergleich zu entwickeln. Fünf Ws bieten eine mögliche Form der Strukturierung: 1. Wer ist das Unternehmen? 2. Was macht das Unternehmen? 2.2 Enterprise-DCF-Methode 21 3. Wo werden die Produkte oder Dienstleistungen verkauft? 4. Wie erstellt das Unternehmen die Produkte oder Dienstleistungen? 5. Wie viel kommt dabei heraus? - Ad 1. Wer ist das Unternehmen? Wer sind die Eigentümer, wer die Fremdkapitalgeber, wer das Manage‐ ment? Wie ist die rechtliche und steuerliche Struktur? Gibt es vertragliche Grundlagen, die Einfluss auf den Unternehmenswert haben (langfristige Lieferverträge etc.)? Wie ist die Historie des Unternehmens? - Ad 2. Was macht das Unternehmen? Welche Produkte oder Dienstleistungen werden erstellt? Was ist der Wert‐ beitrag, den die Kunden den Produkten oder der Dienstleistung zumessen? Worin unterscheiden sich die Produkte von Konkurrenzprodukten? Welche Strategie wird hinsichtlich der Produkte oder Dienstleistungen verfolgt (Kostenführerschaft, Differenzierung, Fokussierung)? Wer sind die Wettbe‐ werber? Was schätzen die Kunden an den Produkten der Wettbewerber? Mit welchen Strategien agieren die Wettbewerber? Wie waren Umsatz- und Ergebnisbetrag der Produkte oder Dienstleistungen in den letzten Jahren? Sind Trends erkennbar? Was ist die Ursache dafür? Welche Aussage kann hinsichtlich Produktlebenszyklus gemacht werden? Besteht die Gefahr der Substitution? - Ad 3. Wo werden die Produkte oder Dienstleistungen verkauft? Welche Märkte werden bedient? Handelt es sich um regional abgegrenzte, nationale, europäische oder internationale Märkte? Wie war die Marktent‐ wicklung in den letzten Jahren, wie wird sie prognostiziert? Können Aus‐ sagen zum Marktlebenszyklus gemacht werden? Welche Faktoren treiben den Markt, welche beschränken ihn? Wie sind die Marktanteile verteilt? Welche Bewegungen bei den Marktanteilen gab es in den letzten Jahren? Worin sind diese begründet? Welche Marktform ist gegeben? Wie ist die Wettbewerbsintensität? Sind die Märkte reguliert? Wer genau sind die Kunden? Können Aussagen zum Kundenlebenszyklus gemacht werden? Handelt es sich um einen Käufer- oder einen Verkäufermarkt? Welche 22 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Bedeutung haben Importe und Exporte? Wie intensiv ist das Ausmaß des technologischen Fortschritts? - Ad 4. Wie erstellt das Unternehmen die Produkte oder Dienstleistungen? Hier geht es um ein Grundverständnis der gesamten Wertschöpfungs‐ kette des Unternehmens: Forschung und Entwicklung, Produktdesign, Sour‐ cing/ Einkauf, Fertigungsprozess und -infrastruktur, Marketing, Vertrieb, Kundendienst, Administration/ IT. Wie ist das Unternehmen im jeweili‐ gen Teilbereich aufgestellt? Beispiel Vertrieb: Wie erfolgt der Vertrieb? Mit eigenen Vertriebsmitarbeitern, Handelsvertretern, Franchise, über den Großhandel, den Einzelhandel? Wie ist im Vergleich dazu der Wettbewerb aufgestellt? Beispiel Fertigung: Wie hoch ist die Fertigungstiefe? Welche Produktionsmittel stehen zur Verfügung? Wie werden Fertigungsspitzen gemanagt? Gibt es hier Alleinstellungsmerkmale, Wettbewerbsvorteile oder -nachteile? - Ad 5. Wie viel kommt dabei heraus? „Show me the money! “ (Rod Tidwell im Film Jerry Maguire). Was hat das Unternehmen in den letzten Jahren verdient? Wie viel Kapital (Sachanlagevermögen und Working Capital) war dafür gebunden? Welchen ROA, welchen ROC hat es erzielt? Wie hat es sich im Vergleich zum Wettbewerb geschlagen? Zur Beantwortung dieser Fragen empfiehlt es sich, Gewinn- und Verlust‐ rechnungen und Bilanzen der letzten 3 bis 5 Jahre (bei zyklischen Unterneh‐ men gegebenenfalls auch länger zurück) in einem Tabellenkalkulationspro‐ gramm zu erfassen. In einem nächsten Schritt werden sie üblicherweise umgruppiert in eine der DCF-Methode „dienliche“ Form. Die Aktivseite der Bilanz in Liquide Mittel, Sachanlagevermögen und Net Working Capital sowie gegebenenfalls gesondert zu bewertendes, nicht betriebsnotwendiges Vermögen. Die Passivseite in Eigenkapital und zinstragende Verbindlichkei‐ ten. Die Gewinn- und Verlustrechnung in Umsatzerlöse, operative Aufwen‐ dungen, Abschreibungen und Betriebsergebnis vor Steuern. Bei forschungsintensiven Unternehmen ist dann zu überlegen, ob für Bewertungszwecke eine Umgruppierung der aufgrund von Rechnungsle‐ gungsnormen in den operativen Aufwendungen enthaltenen Forschungs‐ 2.2 Enterprise-DCF-Methode 23 aufwendungen in Investitionsausgaben erfolgen, also eine Aktivierung und Abschreibung dieser Aufwendungen vorgenommen werden sollte. Beim Wettbewerbsvergleich verschiedener Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern ist zu beachten, dass hier einheitlich vorzugehen ist, sonst werden aus dem Vergleich falsche Schlüsse gezogen. Bei Unternehmen mit hohen außerbilanziellen Leasingverbindlichkei‐ ten sollten diese kapitalisiert und den zinstragenden Verbindlichkeiten zugeschlagen werden. Aus finanzwirtschaftlicher Sicht gehören sie genau dort hin. Ebenso sind die geleasten Gegenstände (oder das Nutzungsrecht daran) zu aktivieren. Das Betriebsergebnis ist entsprechend zu korrigie‐ ren (Betriebsergebnis plus im Ergebnis enthaltene Aufwendungen für operatives Leasing minus Abschreibungen auf die aktivierten Leasingge‐ genstände). Anschließend ist das Betriebsergebnis zu analysieren im Hinblick auf außerordentliche und/ oder einmalige Aufwendungen. Es erfolgt eine Ergeb‐ nisbereinigung. Ein Beispiel sind einmalige Restrukturierungsaufwendun‐ gen. Doch Vorsicht: Findet sich eine derartige Position alle drei Jahre, dann ist zu überlegen, ob man sie nicht „normalisieren“, also gleichmäßig auf die Jahre verteilen sollte, anstatt sie zu eliminieren. Bei kleinen, eigentümergeführten Unternehmen ist zum Beispiel zu fra‐ gen, ob die im Betriebsergebnis enthaltene Vergütung für die Geschäfts‐ führung angemessen ist. Außerdem ist bei derartigen Unternehmen die Trennung zwischen Betriebsvermögen und Privatvermögen „fließend“. Das ist, sofern das steuerlich korrekt gehandhabt wird, auch gar nichts Anrüchi‐ ges, wenn dies der alleinige Eigentümer so handhabt (linke Tasche, rechte Tasche), führt jedoch zu einer Beeinträchtigung des wahren Betriebsergeb‐ nisses, die es zu bereinigen gilt. Plant der allein geschäftsführende und das Unternehmen dominierende Eigentümer sein Ausscheiden aus dem Unternehmen, so wird dies in aller Regel auch Umsatz und Betriebsergebnis beeinflussen. Das kann in beide Richtungen gehen. In den meisten Fällen ist aber von einer Ergebnisminderung auszugehen, die in eine Ergebnisbe‐ reinigung einfließen kann, für die Prognose künftiger Ergebnis einfließen muss. Sind die bereinigten und umgruppierten Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen für das zu bewertende Unternehmen und Wettbewerbs‐ unternehmen erstellt, so lässt sich mit Hilfe von Tabellenkalkulationspro‐ grammen leicht die gesamte Palette der Kennzahlenanalyse anwenden: 24 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) ■ Common-size-Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen ■ ROE, ROA, ROC-Analysen (DuPont) ■ Effizienzkennzahlen ■ Profitabilitätskennzahlen ■ Verschuldungskoeffizienten ■ Liquiditätskennzahlen. Dabei geht es nicht darum, Zahlenfriedhöfe zu produzieren. Wichtig ist, ein Verständnis für die Ergebnistreiber des Bewertungsobjekts im Vergleich zu seinen Wettbewerbern zu entwickeln. Im Fokus stehen dabei normalerweise Umsatzwachstum und ROA sowie ROC. Informationsbasis für die notwendigen Daten der Unternehmensana‐ lyse sind in erster Linie das Bewertungsobjekt selber, sein Management und gegebenenfalls seine Eigentümer. Bei börsennotierten Unternehmen geben die Webseiten in aller Regel gute Auskunft. Google Finance und Yahoo Finance werden täglich besser, haben aber noch lange nicht die Informationsdichte wie kostenpflichtige Dienste (Bloomberg, Thomson Reuters, Morningstar; die Aufzählung beinhaltet keine Wertung, es gibt zahlreiche weitere Anbieter). Schwieriger ist es, Informationen über nicht börsennotierte Unternehmen zu erhalten. In Deutschland sind Jahresab‐ schlüsse online über den Bundesanzeiger oder die Handelsregister erhält‐ lich (in der Regel leider nicht aktuell und oft kondensiert), kostenpflichtig über verschiedene Anbieter, auch international. Marktdaten und Kenn‐ zahlen in einzelnen Branchen finden sich für Deutschland zum Beispiel im Statistischen Jahrbuch. Auch die Bundesbank und das Bundeskartellamt haben zahlreiche Veröffentlichungen, die für eine Unternehmens- und Wettbewerbsanalyse herangezogen werden können. Verbände sind eine weitere Anlaufstelle und last, but not least, professionelle Anbieter wie Frost & Sullivan oder die GfK. 2.2 Enterprise-DCF-Methode 25 2.2.2 Projektion künftiger freier Cashflows Der → freie Cashflow ist wie folgt definiert: - EBIT Earnings before interest and taxes (Betriebsergebnis) minus Steuern auf EBIT (marginaler Steuersatz) - EBIAT oder NOPLAT Earnings before interest after taxes oder net operating profit less adjusted taxes (Betriebs‐ ergebnis nach Steuern) plus Abschreibungen - minus Investitionen Investitionen in das Anlagevermögen minus (plus) Erhöhung (Verminde‐ rung) Working Capital Umlaufvermögen ohne liquide Mittel abzüg‐ lich kurzfristige Verbindlichkeiten und Rück‐ stellungen ohne zinstragende Verbindlichkei‐ ten - Freier Cashflow - Ausgangspunkt ist das Betriebsergebnis, das zunächst um Steuern zu ver‐ mindern ist. Steuern sind Auszahlungen und mindern den Cashflow. Bei der Enterprise-DCF-Methode werden sie auf das Betriebsergebnis vor Zinsen berechnet, da der allen Kapitalgebern zur Verfügung stehende Cashflow ermittelt und abdiskontiert wird. Der Steuerspar-Effekt aus der Abzugsfä‐ higkeit der Zinsen von der Steuerbemessungsgrundlage (Tax Shield) wird bei der Berechnung der Kapitalkosten (→ WACC) berücksichtigt. Üblich ist die Verwendung des marginalen Steuersatzes, also des Pro‐ zentsatzes, der auf die letzten 100 Euro des Ergebnisses zu leisten ist. In Deutschland sind dies bei Kapitalgesellschaften rund 30 % (Gewerbe‐ steuer, Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag). Der effektive Steuer‐ satz (Steueraufwand/ Ergebnis vor Steuern) in der Vergangenheit wird in der Regel vom marginalen Steuersatz abweichen. Ursachen sind unterschiedli‐ che Ansätze in Handels- und Steuerbilanz, steuerliche Verlustvorträge oder im Ausland zu anderen Steuersätzen versteuerte Einkünfte. Der Ansatz des marginalen Steuersatzes bei der Ermittlung der künftigen freien Cashflows unterstellt also, dass die aufgeführten Effekte in den Pla‐ nungsperioden nicht auftreten. Je weiter die Planungsperiode in der Zukunft liegt, desto realistischer sollte diese Annahme sein. Unterschiede zwischen 26 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) handels- und steuerrechtlichen Ansätzen gleichen sich im Zeitablauf aus (mit Ausnahme nicht abzugsfähiger Aufwendungen), Verlustvorträge sind endlich und beim Transfer von im Ausland erzielten Ergebnisse in das Inland erfolgt in einigen Staaten ein „Hochschleusen“ auf das heimische Steuerniveau. Trifft die Annahme nicht zu, so ist eine gegebenenfalls sehr detaillierte Steuerplanung vorzunehmen und es sind für die Planjahre die sich daraus ergebenden Steuersätze zu verwenden. Für eine derartige Steuerplanung ist indes der Input des Managements unerlässlich. Nach Abzug der Steuern auf den EBIT ergibt sich der EBIAT oder auch NOPLAT. Diese Größe ist, um zum Cashflow zu gelangen, um nicht zahlungswirksame Erträge und Aufwendungen sowie nicht ertrags- und aufwandswirksame Zahlungen zu korrigieren. Zunächst sind die Abschrei‐ bungen, die den EBIT gemindert haben, zu addieren. Sie führen nicht zu Auszahlungen. Investitionen in das Anlagevermögen hingegen sind abzuziehen, sie sind nicht als Aufwand im EBIT berücksichtigt, mindern jedoch den Cashflow, da sie zu Auszahlungen führen. Dasselbe gilt für Investitionen in das Working Capital. Die sich nach diesen Korrekturen ergebende Größe ist der freie Cashflow des Unternehmens, der Einzahlungsüberschuss, der Eigen- und Fremdkapi‐ talgebern des Unternehmens zur Verfügung steht, vor Berücksichtigung von Zinsen. Die Prognose der künftigen freien Cashflows baut in der Regel auf der Planung des Managements auf. Diese sollte jedoch nicht ungeprüft übernommen, sondern plausibilisiert werden. Grundlage sind die bei der Un‐ ternehmensanalyse gewonnenen Erkenntnisse über Markt, Wettbewerbs‐ position, Geschäftssystem und bereinigte Ergebnisse und Bilanzrelationen der Vergangenheit. Für eine derartige Plausibilisierung empfehlen sich die folgenden Schritte, die auch angewendet werden können, wenn eine Planung nicht vorliegt und demzufolge eine eigene Prognose zu erstellen ist. 1. Prognose der künftigen Umsätze 2. Prognose der Gewinn- und Verlustrechnungen bis zum EBITDA 3. Prognose der Abschreibungen und Investitionen 4. Prognose des Working Capital 5. Ergebniswachstum und Reinvestitionen 2.2 Enterprise-DCF-Methode 27 Ad 1. Prognose der künftigen Umsätze Die künftigen Umsätze sind regelmäßig die wichtigste Inputgröße für den Unternehmenswert. Grundlage für ihre Schätzung können zunächst die Wachstumsraten in der Vergangenheit sein. Bei börsennotierten Unterneh‐ men kann auch auf Analystenschätzungen zurückgegriffen werden. Für nicht börsennotierte Unternehmen auf die Schätzungen zum Umsatzwachs‐ tum vergleichbarer börsennotierter Unternehmen. Marktstudien sind eine weitere Quelle. Dabei geht es nicht darum, die Daten eins zu eins zu über‐ tragen und fortzuschreiben. Wichtig ist, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie Wachstumstempo und -dynamik aktuell wirken und die Umsätze der nächs‐ ten Jahre beeinflussen. Gesunder Menschenverstand ist dabei das beste Hilfsmittel. Wenn möglich, sollten Umsatzprognosen sowohl „top down“, also ausgehend vom Marktwachstum, als auch „bottom up“, basierend auf bestehenden Aufträgen, Kundenbeziehungen und erwartetem Neugeschäft vorgenommen und gegeneinander verprobt werden. - Ad 2. Prognose der Gewinn- und Verlustrechnung bis zum EBITDA Konzeptionell gibt es hier zwei Möglichkeiten: Entweder werden die Um‐ satzkosten (ohne Abschreibungen) und die sonstigen betrieblichen Aufwen‐ dungen einzeln prognostiziert (beim Gesamtkostenverfahren statt Umsatz‐ kosten die Materialkosten und Personalkosten) oder es erfolgt direkt eine Prognose des EBITDA. Bei der zweiten Möglichkeit reduziert sich jedoch der Spielraum im Schritt 4 zur Prognose des Working Capital, das dann in der Regel als Prozentsatz vom Umsatz geschätzt werden muss, da Angaben zu den Umsatzkosten nicht prognostiziert wurden. Bei beiden Verfahren werden die Positionen üblicherweise als Prozent‐ satz vom Umsatz auf der Grundlage der unter den Ausführungen zur Umsatzprognose erwähnten Verfahren geschätzt: Aktuelle und historische Kostenstrukturen, Analystenschätzungen und Analystenschätzungen zu vergleichbaren börsennotierten Unternehmen, Marktdaten zu Kostenstruk‐ turen von Wettbewerbern und erwartete Entwicklungen. Bei deutlichen Abweichungen (nach oben sowie nach unten) vom Marktdurchschnitt ist zu fragen, wie lange der Wettbewerbsvorteil oder -nachteil noch bestehen wird, wann eine Angleichung an den Marktdurchschnitt erfolgen wird. 28 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Ad 3. Prognose der Abschreibungen und Investitionen Gelegentlich werden diese beiden Positionen getrennt voneinander als Pro‐ zentsatz vom Umsatz und dann mit unterschiedlichen Sätzen prognostiziert. Dabei sollte der grundlegende Zusammenhang nicht übersehen werden: Erhöhen sich die Investitionen, dann werden auch die Abschreibungen steigen. Ausnahme sind hier Investitionen in Wirtschaftsgüter, die nicht regelmäßig abgeschrieben werden (Firmenwerte, Immobilien). Im Idealfall kann auf die Anlagenbuchhaltung des Unternehmens zurückgegriffen und für die künftigen Investitionen eine Aussage zu Nutzungsdauer und Ab‐ schreibungsmethode gemacht werden. Auf der Grundlage dieser Informa‐ tionen lässt sich ein Abschreibungsplan für den Detailplanungszeitraum entwickeln. Investitionen werden üblicherweise als Prozentsatz vom Umsatz ge‐ schätzt. Da bei den meisten Unternehmen Investitionen nicht gleichmäßig, sondern eher in Schüben erfolgen, ist beim Rückgriff auf historische Daten ein ausreichend langer Zeitraum zugrunde zu legen und ein Durchschnitt über zum Beispiel 5 Jahre zu ermitteln. Alternativ kann auch das Anlagevermögen als Prozentsatz vom Umsatz geschätzt werden, anschließend die Abschreibungen als Prozentsatz des Anlagevermögens. Die Investitionen ergeben sich dann als Summe aus Erhöhung des Anlagevermögens und der Abschreibungen. - Ad 4. Prognose des Working Capital Zwei Vorgehen sind hier anzutreffen, ein schnelles und ein ausführlicheres. Die Unterschiede zwischen beiden sind in der Praxis oft vernachlässigbar gering. Einerseits besteht die Möglichkeit, das Working Capital insgesamt als Prozentsatz vom Umsatz zu prognostizieren. Als Grundlage für die Ermittlung dieses Prozentsatzes dienen Vergangenheitsdaten des Unterneh‐ mens, ausgewählter Wettbewerber oder Erhebungen aus Marktstudien. Andererseits können die einzelnen Komponenten des Working Capital separat bestimmt werden. Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen werden dabei auf der Grundlage der Umsatzerlöse ermittelt, entweder direkt als Prozentsatz oder über die Forderungslaufzeit (365 × Forderungen aus Lieferungen und Leistungen/ Umsatz). Das Vorratsvermögen hingegen wird üblicherweise auf der Grundlage der Umsatzkosten oder des Materialaufwands prognos‐ 2.2 Enterprise-DCF-Methode 29 tiziert als Lagerreichweite in Tagen, da beide Größen auf Einstandspreisen beruhen (365 × Vorratsvermögen/ Umsatzkosten oder Materialaufwand). Dasselbe gilt für die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen als Kreditorenlaufzeit (365 × Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leis‐ tungen/ Umsatzkosten oder Materialaufwand). Die übrigen Positionen des Working Capital prognostiziert man normalerweise als Prozentsatz vom Umsatz. Zu beachten ist, dass nur die Veränderung des Working Capital in die Berechnung des freien Cashflows eingeht. Erhöht sich das Working Capital, so werden mehr liquide Mittel gebunden zu Lasten des freien Cashflows. Umgekehrt werden liquide Mittel freigesetzt, wenn das Working Capital sinkt. - Ad 5. Ergebniswachstum und Reinvestitionen Wachstum wird es ohne Investitionen nicht geben können. Das geht ein Jahr, vielleicht auch zwei, aber nicht dauerhaft. Die Reinvestitionen lassen sich wie folgt definieren: Reinvestitionen = Investitionen + Erhöhung Working Capital − Abschreibungen Die Reinvestitionsrate beschreibt den Teil des EBIAT oder NOPLAT, der für Zwecke des Wachstums in das Unternehmen reinvestiert wird: Reinvestitionsrate = Investitionen + Erhöhung Working Capital − Abschreibungen EBIAT Der freie Cashflow lässt sich formelmäßig dann auch schreiben als: Freier Cashflow = EBIAT ⋅ (1 − Reinvestitionsrate) Bei gegebener Reinvestitionsrate und als konstant unterstelltem Return on Capital (ROC) sollte sich das erwartete Wachstum des EBIT ergeben als: Erwartetes Ergebniswachstum EBIT = Reinvestitionsrate ⋅ ROC mit 30 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) ROC = EBIAT Eigenkapital + Nettoverschuldung Weicht der ROC deutlich vom ROC der Branche ab, so deutet dies auf einen Wettbewerbsvorteil (ROC ist höher als der Branchenschnitt) oder Wettbewerbsnachteil (ROC ist niedriger als der Branchendurchschnitt) hin. Hier ist zu hinterfragen, wie lange diese Unterschiede Bestand haben werden. Die beschriebenen Zusammenhänge lassen sich sowohl zur Plausibilisie‐ rung einer Cashflow-Prognose als auch direkt zur Herleitung künftiger freier Cashflows nutzen. Unter der Annahme, dass sich der ROC in t+1 im Vergleich zum aktuellen ROC t ändert, kann die Wachstumsrate des EBIT folgendermaßen hergeleitet werden (Damodaran, Investment Valuation, 3. Aufl., 294): Erwartetes Ergebniswachstum EBIT = Reinvestitionsrate ⋅ ROC t+1 ⋅ ROC t+1 − ROC t ROC t 2.2.3 Ermittlung der Kapitalkosten (WACC) Wie bei der Kapitalwertmethode der Investitionsrechnung benötigen wir auch bei der DCF-Methode einen Diskontierungssatz, mit dem die künftigen freien Cashflows abdiskontiert werden. Wie bei der Kapitalwertmethode soll auch hier im Diskontierungssatz das Risiko Berücksichtigung finden. Von einer risikoreicheren Investition erwarten wir eine höhere Rendite als von einer risikoarmen. Diese Grundsätze der Investitionsrechnung finden auch auf die Unternehmensbewertung Anwendung. Bei der Diskontierung der künftigen freien Cashflows von Coca-Cola werden wir einen anderen (niedrigeren) Zinssatz anwenden als bei der Diskontierung der künftigen freien Cashflows von Netflix, weil letztere als risikoreicher angesehen werden (Stand Ende 2023; 2033 mag dies anders sein). Das Risiko wird dabei gemessen durch die erwartete Standardabweichung der künftigen freien Cashflows um ihren Erwartungswert. Bildlich lässt sich dies wie folgt veranschaulichen (Damodaran, Applied Corporate Finance, 4.-Aufl., 54-56). Zunächst ein risikoloser künftiger Cashflow: 2.2 Enterprise-DCF-Methode 31 0 10 20 Wahrscheinlichkeit = 1 Cashflow Erwartungswert Abb. 11 Ein risikobehafteter (unsicherer) künftiger Cashflows lässt sich wie folgt abbilden: 0 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 0 10 20 Wahrscheinlichkeit Cashflow Erwartungswert Risiko Chance Abb. 12 Die Enterprise-DCF-Methode in der Form, in der sie in der Praxis überwie‐ gend Anwendung findet, unterstellt implizit eine Normalverteilung um den Erwartungswert. Je höher die Standardabweichung, desto höher das Risiko, desto höher der Diskontierungssatz, da die Renditeforderung ansteigt. Nachfolgend ein künftiger Cashflow mit demselben Erwartungswert und einer höheren Standardabweichung: 32 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) 0 0,02 0,04 0,06 0,08 0,1 0,12 0,14 0,16 0,18 0 10 20 Wahrscheinlichkeit Cashflow Erwartungswert Risiko Chance Abb. 13 Die Renditeerwartung und damit der Diskontierungssatz wird höher sein als beim vorangegangenen Beispiel, da das Risiko größer ist. Als Diskontierungssatz werden die mit Marktwerten gewichteten Kapi‐ talkosten herangezogen. Damit wird der Renditeerwartung sowohl der Fremdals auch der Eigenkapitalgeber Rechnung getragen. WACC = Eigenkapitalkosten ⋅ E E+D + Fremdkapitalkosten nach Steuern - ⋅ D E+D mit D = Marktwert des Fremdkapitals E = Marktwert des Eigenkapitals Die Gewichtung wird dabei festgemacht an der Zielkapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens. Gibt es hierzu keine expliziten Angaben, so behilft man sich in der Praxis in neun von zehn Fällen mit der aktuellen Kapitalstruktur (zu Marktwerten, nicht zu Buchwerten), sofern sie innerhalb der in der jeweiligen Branche üblichen Bandbreiten liegt und nicht signifi‐ kant von der Kapitalstruktur der letzten Jahre abweicht. Vergleichszahlen zu börsennotierten Unternehmen lassen sich aus den unter Abschnitt 2.1, letzter Absatz, genannten Quellen leicht beschaffen. Darüber hinaus stellt 2.2 Enterprise-DCF-Methode 33 Aswath Damodaran auf seiner Homepage (www.damodaran.com, „Updated Data“) kostenfrei entsprechende Daten zur Verfügung. Steht die Gewichtung fest, so sind 1. die Eigenkapitalkosten und 2. die Fremdkapitalkosten nach Steuern zu ermitteln. - Ad 1. Ermittlung der Eigenkapitalkosten Die Ermittlung der Eigenkapitalkosten beruht auf Erkenntnissen aus dem Capital Asset Pricing Model (CAPM). Trotz aller Kritik an den Modelprä‐ missen und einer allenfalls geringen empirischen Bestätigung hat es in der Praxis eine weite Verbreitung gefunden und große Beliebtheit erlangt. Es ist in der praktischen Anwendung einfach, verdeutlicht klar den Zusam‐ menhang zwischen Risiko und Renditeerwartung und erleichtert so in der Bewertungspraxis die Kommunikation. Alternative Modelle sind deutlich komplexer und haben sich bislang nicht durchsetzen können. Das CAPM macht sich die Existenz von Marktpreisen für unsichere künftige Cashflows zunutze. Aktienkurse können als Preise für unsichere künftige Cashflows interpretiert werden. Die Differenz zwischen dem Preis für einen sicheren künftigen Cashflow (zum Beispiel dem Kurs einer Bundesanleihe) und dem Preis für einen unsicheren künftigen Cashflow mit demselben Erwartungswert kann als Marktpreis für das Risiko angese‐ hen werden. Ist bekannt, wie sich Marktpreise von unsicheren künftigen Cashflows bilden, so lassen sich diese Erkenntnisse auf Investitionsentschei‐ dungen und Unternehmensbewertungen anwenden. Das Risiko wird dabei betrachtet aus dem Blickwinkel eines so genannten „marginalen Investors“. Dieser marginale Investor ist breit diversifiziert und sieht daher, wenn er beispielsweise TikTok oder Tesla analysiert, nicht das Gesamtrisiko der beiden Unternehmen, sondern nur das Risiko, das die Aufnahme eines oder beider Unternehmen in sein Portfolio verursacht. Anders ausgedrückt heißt das, dass Risiken, die durch Diversifikation eliminiert werden können, nicht „vergütet“ werden in Form einer höheren Rendite. 34 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Die Eigenkapitalkosten ergeben sich nach dem CAPM als: Eigenkapitalkosten = Risikoloser Zins + Beta ⋅ Marktrisikoprämie Risikoloser Zins Der risikolose Zins ist die Rendite, die ein Investor für einen künftigen Cash‐ flow erhält, dessen Eintrittswahrscheinlichkeit für den Erwartungswert 100 % beträgt. Tatsächlicher und erwarteter Cashflow entsprechen sich, die Investition ist ohne Risiko. Anleihen von Staaten mit erstklassiger Bonität sind Beispiele für derartige Investitionen. Die Rendite ist über das Internet und einschlägige Informationsdienste verfügbar. Die Deutsche Bundesbank veröffentlicht sie täglich für Bundesanleihen, https: / / www.bundesbank.de/ r esource/ blob/ 650674/ 3f50ca558ed56d3b1f082838e7dd9af3/ mL/ urwpart-data .pdf, die EZB für die Anleihen ihrer Mitgliedsländer (Achtung: nicht alle haben erstklassige Bonität) (http: / / www.ecb.europa.eu/ stats/ money/ long/ h tml/ index.en.html). Grundlage sind Anleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren, da es sich bei Unternehmenstransaktionen um langfristige Engage‐ ments handelt. Die deutschen Wirtschaftsprüfer ermitteln den Basiszins auf der Grundlage von Zinsstrukturkurven (Ergebnisse kostenfrei bei: http: / / w ww.kleeberg.de/ fileadmin/ download/ uBew/ Kleeberg_Basiszinssaetze.pdf). Marktrisikoprämie Die Marktrisikoprämie ist die Prämie, die zusätzliche Rendite, die Anleger für eine Investition in eine durchschnittlich risikoreiche Aktie oder in das Marktportfolio (alle Aktien gewichtet entsprechend ihrem Marktwert) anstelle einer Investition in eine risikolose Anlage erwarten. Hierzu gibt es historische Daten (https: / / papers.ssrn.com/ sol3/ papers.cfm? abstract_id=43 98884, 32-ff.). In entwickelten Volkswirtschaften lag die Marktrisikoprämie in der Ver‐ gangenheit zwischen 3 % und 8 % mit Schwerpunkt zwischen 4 % und 6 %. In der Literatur finden sich Diskussionen darüber, welche Zeiträume (letzte 10 Jahre, 20 Jahre usw.) anzusetzen und ob hier das arithmetische oder das geometrische Mittel zu berechnen sind. Inzwischen gehen Theorie und Praxis dazu über, implizite, in die Zukunft gerichtete Marktrisikoprämien bei der Unternehmensbewertung anzusetzen. Aus aktuellem Kurs einer Aktie, der erwarteten Dividende sowie der erwarteten Wachstumsrate lässt sich die erwartete Rendite errechnen (Summe der Dividendenrendite und 2.2 Enterprise-DCF-Methode 35 des erwarteten Dividendenwachstums). Angewendet auf alle Aktien des Marktportfolios und entsprechend der Marktwerte gewichtet ergibt sich die implizite Marktrisikoprämie. Implizite Marktrisikoprämien finden sich bei professionellen Anbietern wie Bloomberg. Aber auch Beratungsgesellschaften veröffentlichen regel‐ mäßig Daten hierzu. Damodarans Webseite enthält für die USA aktuelle und für fast alle anderen Länder der Welt einmal jährlich aktualisierte Daten. Die Webseite www.marktrisikoprämie.de ist ebenfalls zu empfehlen. Investmentbanken und große Beratungsgesellschaften geben für von ihnen erstellte Bewertungen teilweise ihren Mitarbeitern den risikolosen Zins und die Marktrisikoprämie vor, um eine gewisse Konsistenz der Bewertungen sicherzustellen. Beta Das Beta einer Aktie misst das systematische, nicht diversifizierbare Risiko. Es gibt an, wie stark die Aktie im Verhältnis zum Marktportfolio schwankt. Ein Beta von 1 sagt aus, dass die Aktie genau so stark schwankt wie das Marktportfolio, also das gleiche Risiko aufweist. Bei einen Beta von > 1 schwankt die Aktie stärker als das Marktportfolio, weist also ein höheres Risiko auf, bei einem Beta von < 1 ist es umgekehrt, die Aktie ist weniger risikoreich als eine durchschnittliche Aktie. Diese Schwankungen werden gemessen durch die Kovarianz der Renditen der Aktie und der Renditen des Marktportfolios über einen definierten Zeitraum. Teilt man diese Kovarianz durch die Varianz des Marktportfolios, so erhält man das Beta als standardisiertes Maß dieses Risikos. Je größer die Schwankungen, also die Abweichungen (positiv wie negativ) vom Erwartungswert, desto höher das Risiko, desto höher das Beta, desto höher die Renditeerwartung, die Eigenkapitalkosten, die Kapitalkosten und der Diskontierungssatz. Bei börsennotierten Unternehmen kann die Berechnung des Betas durch Vergleich der erzielten Renditen der Aktie und des Marktportfolios selber vorgenommen werden. Die Standard-Tabellenkalkulationsprogramme bie‐ ten alle dazu erforderlichen statistischen Funktionen, bei Excel Daten/ Da‐ tenanalyse/ Regression oder Streudiagramm erstellen und eine Trendlinie mit Formel hinzufügen oder (mühsamer) die Funktion RGP. Jedoch bie‐ ten inzwischen auch zahlreiche kostenfreie Dienst wie Google Finance oder Yahoo Finance Betas zu fast allen börsennotierten Unternehmen, die normalerweise nicht signifikant von denen der kostenpflichtigen Dienste 36 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) abweichen, so dass die aufwendige Datensammlung und eigene Berechnung normalerweise nicht erforderlich ist. Diese so ermittelten historischen Top-down-Betas sind jedoch mit Vor‐ sicht zu genießen, da sie in aller Regel einen hohen Standardfehler auf‐ weisen, eine Fortschreibung der historischen Daten in die Zukunft proble‐ matisch wäre. Außerdem ist nicht jedes Unternehmen börsennotiert. In der Praxis wird daher immer mehr mit Bottom-up-Betas gerechnet. Dazu werden die Betas mehrerer vergleichbarer börsennotierter Unternehmen ermittelt und daraus ein Durchschnitt gebildet (dadurch wird der Standard‐ fehler erheblich reduziert) oder Branchenbetas berechnet, die dann zur Ermittlung der Eigenkapitalkosten herangezogen werden. Beim Vergleich der Betas mehrerer Unternehmen ist jedoch zu berück‐ sichtigen, dass die Verschuldung Einfluss auf das Risiko und damit das Beta einer Aktie hat. Zur Herstellung der Vergleichbarkeit werden daher in einem ersten Schritt die Betas der vergleichbaren Unternehmen um die Verschuldung bereinigt, in schuldenfreie Betas umgerechnet: b u = b l 1 + 1 − t ⋅ D/ E mit b u = Beta ohne Verschuldung (unlevered) β 1 = Beta bei Verschuldung (levered) t = Grenzsteuersatz D = Marktwert des Fremdkapitals (Debt) E = Marktwert des Eigenkapitals (Equity) Aus den unverschuldeten Betas kann dann ein (gegebenenfalls gewichtetes) arithmetisches Mittel errechnet werden. Dieses, dann unverschuldete Beta, ist anschließend wieder in ein verschuldetes Beta umzurechnen, wobei hier die Zielkapitalstruktur des zu bewertenden Unternehmens maßgeblich ist: b l = b u ∙-(1-+ 1-t ∙-D/ E)--mit D/ E-=-Zielkapitalstruktur-(Marktwerte)-des-zu-bewertenden-Unternehmens Beispiel: Der risikolose Zins betrage 2,3 %, die Marktrisikoprämie 6 %, das durchschnittliche unverschuldete Beta vergleichbarer Unternehmen 1,0, die Zielkapitalstruktur 0,25 (20 % Fremdkapital, 80 % Eigenkapital) und der Grenzsteuersatz 30-%. Zu berechnen sind die Eigenkapitalkosten. Zunächst wird das Beta ermittelt: 2.2 Enterprise-DCF-Methode 37 b l = 1, 0 ⋅ 1 + 1 − 0, 3 ⋅ 0, 25 = 1, 175 Die Eigenkapitalkosten ergeben sich als: Eigenkapitalkosten = Risikoloser Zins + Beta ⋅ Marktrisikoprämie = 2,3 % + 1,175 ⋅ 6 % = 9,35 % Bei der Bewertung kleinerer Unternehmen, deren Eigentümer oder poten‐ zielle Erwerber nicht breit diversifiziert sind, werden die Eigenkapitalkosten tendenziell zu niedrig ausgewiesen, da das Beta nur das systematische Risiko berücksichtigt. Verkäufer und/ oder potenzieller Erwerber sind aber häufig mangels Diversifikation nicht nur dem systematischen Risiko, sondern auch dem spezifischen Unternehmensrisiko, sofern das gesamte Vermögen im Unternehmen gebunden ist, dem gesamten Risiko ausgesetzt. Dividiert man das Beta durch den Korrelationskoeffizienten, so erhält man das so genannte Total Beta, das als Maß für das Gesamtrisiko (bei null Diversifikation) herangezogen werden kann. Angenommen, im obigen Beispiel betrage der durchschnittliche Korrela‐ tionskoeffizient r der Vergleichsunternehmen 0,5. Das Bestimmtheitsmaß r 2 beliefe sich dann auf 0,25. Demzufolge wären 25 % der Schwankungen der Aktienkurse durch Schwankungen des Marktportfolios erklärt, also syste‐ matisches Risiko, während 75 % der Schwankungen durch das spezifische Unternehmensrisiko begründet sind, das im Grundsatz wegdiversifiziert werden könnte. Das Total Beta beträgt dann 1,175/ 0.5 = 2,35, die Eigenkapi‐ talkosten würden sich dann auf 16,40 % belaufen (2,3 % + 2,35 × 6 %). Bei teilweiser Diversifikation kann zwischen den Werten interpoliert werden. Die theoretische Fundierung dieser Vorgehensweise ist nicht gesichert - mangels Alternativen findet man sie gleichwohl häufig in der Bewertungs‐ praxis, weil sie intuitiv einleuchtend ist. Je weniger diversifiziert, desto höher das Risiko, desto höher das Beta, desto höher die Eigenkapitalkosten. Weiterhin wird bei Kleinstunternehmen eine Korrektur wegen mangelnder Fungibilität diskutiert. Aus empirischen Erhebungen, die indes alle nicht wirk‐ lich als repräsentativ angesehen werden können, werden Abschläge von 15 % bis 30 % auf den Unternehmenswert vorgeschlagen. Daneben sind Zuschläge zu den Eigenkapitalkosten wegen geringer Größe anzutreffen (4 % bis 5 %). Hier ist jedoch zu hinterfragen, ob Risiken nicht doppelt erfasst werden. 38 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Ad 2. Ermittlung der Fremdkapitalkosten nach Steuern Die Fremdkapitalkosten entsprechen dem Zinssatz, den das Unternehmen bei einer Refinanzierung aller zinstragenden Verbindlichkeiten im Bewer‐ tungszeitpunkt zahlen müsste. In der Regel wird wie bei der Investitions‐ rechnung ein langfristiger Fremdkapitalzins zugrunde gelegt, um dem Langfristcharakter der Unternehmensbewertung Rechnung zu tragen. Im Unternehmen ist dieser Zinssatz bekannt. Hat der Bewerter keinen Zugang zum Management, so ist er zu schätzen. Am einfachsten ist das dann, wenn das Unternehmen eine Anleihe mit einer langen (10 Jahre) Restlaufzeit begeben hat, die notiert ist. Aus Kurs und Zinskupon lässt sich dann die Rendite errechnen, in den meisten Fällen ist sie direkt bei den entsprechenden Informationsdiensten ablesbar. Hat das Unternehmen ein Rating, so kann aus risikolosem Zins und dem für die Ratingklasse typischen „Spread“, dem Zuschlag, den die Kreditgeber auf den risikolosen Zins bei einer Kreditvergabe an ein Unternehmen mit vergleichbarer Bonität vornehmen, der Zinssatz geschätzt werden. Jährlich aktualisierte Werte finden sich auf der Homepage von Damodaran: http: / / p eople.stern.nyu.edu/ adamodar/ New_Home_Page/ datafile/ ratings.html. Hat das Unternehmen kein Rating, so kann man versuchen, auf der Grundlage der Interest Coverage Ratio (EBIT/ Zinsaufwand) ein Rating zu schätzen (siehe dazu ebenfalls den gerade erwähnten Link auf Damodarans Webseite). Schließlich kann auch die Rendite notierter Anleihen vergleich‐ barer Unternehmen mit vergleichbarer Bonität herangezogen werden. Die Deutsche Bundesbank veröffentlich aktuelle Fremdkapitalzinssätze für Kre‐ dite an Unternehmen, allerdings nicht nach Bonitäten gestaffelt. In der Praxis wird man sich in der Regel auf mehreren der beschriebenen Wege an die aktuellen Langfristzinsen „herantasten“. Zinsen auf Fremdkapital sind, anders als Dividenden an Eigenkapitalge‐ ber, in den meisten Ländern steuerlich relevant, mindern also die Steuerlast. Insofern sind bei der Berechnung der Fremdkapitalkosten die Zinsen nach Steuern anzusetzen. Dabei sind, nach Möglichkeit, steuerlichen Besonder‐ heiten Rechnung zu tragen. In Deutschland sind beispielsweise nur 75 % der Zinsen bei der Gewerbesteuer abzugsfähig, so dass die Steuerersparnis nicht dem in Deutschland für Kapitalgesellschaften gültigen Grenzsteuersatz von ca. 30-% entspricht, sondern nur ca. 26,5-% beträgt. 2.2 Enterprise-DCF-Methode 39 Beispiel: Die Fremdkapitalkosten (langfristiger Zins) betragen 6 % und es handelt sich um eine deutsche Kapitalgesellschaft. Die Fremdkapitalkosten nach Steuern belaufen sich dann auf 4,41-% (6-%-⋅-(1---0,265)). Bei Eigenkapitalkosten von 9,35 % (wie oben berechnet) und einer Ziel‐ kapitalstruktur von 20 % Fremdkapital und 80 % Eigenkapital ergeben sich die Kapitalkosten (WACC) des Unternehmens wie folgt: WACC = Eigenkapitalkosten ⋅ E E+D + Fremdkapitalkosten nach Steuern ⋅ D E+D = 9,35 % ⋅ 0,8 + 4,41 % ⋅ 0,2 = 8,362 % 2.2.4 Ermittlung des Terminal Value Die DCF-Methoden der Unternehmensbewertung diskontieren künftige Cashflows auf den Bewertungszeitpunkt ab. Dabei wird eine unendliche Lebensdauer des Unternehmens unterstellt. Da es nicht möglich ist, die Cashflows bis in die Unendlichkeit zu prognostizieren, teilt man, wie oben dargestellt, den Planungszeitraum in zwei (oder mehr) Phasen auf, einen De‐ tailplanungszeitraum und den Zeitraum danach (bis in die Unendlichkeit). Der → Terminal Value repräsentiert bei der DCF-Methode den Wert der freien Cashflows nach dem Detailplanungszeitraum. Er hat in der Regel den weitaus höheren Anteil am Gesamtunternehmenswert (75-% und mehr sind durchaus normal) als der Wert der abgezinsten freien Cashflows der Detailplanungsphase. Seine Ermittlung bedarf demzufolge großer Sorgfalt. Zunächst ist darauf zu achten, dass der Detailplanungszeitraum so ge‐ wählt wurde, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die weitere Entwicklung, als „steady state“ angesehen werden kann und nicht das obere oder untere Ende eines Zyklus darstellt. Bei zyklischen Unternehmen ist ein „Durchschnittsjahr“ anzusetzen. Zwei Methoden finden in der Praxis Anwendung: 1. Ewige Rente mit Wachstumsrate (Perpetuity Growth Method) 2. Multiplikatorenmethode 40 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Ad 1. Ewige Rente mit Wachstumsrate (Perpetuity Growth Method) Die Grundformel zur Berechnung lautet: Terminal Value = Freier Cashflow t+1 WACC t+1 − g mit Freier Cashflow t+1 =-Freier Cashflow im ersten Jahr nach der Detailpla‐ nungsphase =-Freier Cashflow t ⋅ (1 + g) g =-Konstante (ewige) Wachstumsrate Den größten Einfluss auf die Höhe des Terminal Value hat die konstante Wachstumsrate g. Er wird umso größer, je mehr sich die Wachstumsrate den Kapitalkosten (WACC) annähert. Die Wachstumsrate sollte bei der Berechnung des Terminal Value indes nach oben begrenzt sein durch die Wachstumsrate der Volkswirtschaft eines Landes, bei international tätigen Unternehmen durch die Wachstumsrate der Weltwirtschaft. Jeder Wert darüber würde sonst dazu führen, dass zu einem Zeitpunkt in der Zukunft das Unternehmen größer ist als die Volkswirtschaft. Bei Unternehmen in reifen Branchen ist zu überlegen, g unterhalb der Wachstumsrate der Volkswirtschaft anzusetzen. In besonderen Fällen kann g auch negativ sein. Die Kapitalkosten werden in den meisten Fällen für die Berechnung des Terminal Value unverändert gelassen (WACC t+1 entsprich WACC t ). Jedoch sollte zumindest überlegt werden, ob das Beta, das für den Detailpla‐ nungszeitraum angesetzt wurde, in dem gegebenenfalls hohes Wachstum angenommen werden kann, auch für die Phase danach, in der ein stabiles Wachstum unterstellt wird, repräsentativ ist. Auch die Kapitalstruktur kann sich ändern und damit auch die Fremdkapitalkosten - reife Unternehmen mit niedrigen stabilen Wachstumsraten habe oft eine höhere Verschuldung als junge, stark wachsende Unternehmen. Schließlich ist auch der Reinvestitionsbedarf reifer Unternehmen mit niedrigen Wachstumsraten geringer als der stark wachsender Unternehmen. Insofern macht es Sinn, obige Formel für den Terminal Value umzuschreiben in: 2.2 Enterprise-DCF-Methode 41 Terminal Value = EBIAT t+1 ⋅ 1 − Reinvestitionsrate t+1 WACC t+1 − g mit Reinvestitionsrate t+1 = Investitionen t+1 + Erhöhung Working Capital t+1 − Abschreibungen t+1 EBIAT t+1 Da, wie weiter oben unter 2.2.2, Ad 5 ausgeführt, g = Reinvestitionsrate (t+1) ∙ ROC (t+1) und Reinvestitionsrate t+1 = g ROC t+1 lässt sich der Terminal Value auch schreiben als: EBIAT t+1 ⋅ 1 − g ROCt+1 WACC t+1 − g Auch der erwartete Return on Capital fließt in die Berechnung des Terminal Value (implizit oder wie in obiger Darstellung explizit) ein. Die Frage ist, ob auch in der Phase moderaten stabilen Wachstums Überrenditen erzielt werden können. Für Unternehmen mit starken Marken wird man dies unterstellen dürfen. Wird hingegen der ROC zu WACC - soll heißen: die neuen Investitionen verdienen ihre Kapitalkosten - so wird die obige Gleichung zu Terminal Value = EBIAT t+1 ⋅ 1 − g WACC t+1 WACC t+1 − g = EBIAT t+1 ⋅ WACC t+1 − g WACC t+1 WACC t+1 − g = EBIAT t+1 WACC t+1 Was sagt uns das? In dem Fall, in dem neue Investitionen genau ihre Kapitalkosten verdienen, hat die Wachstumsrate g keinen Einfluss auf den Terminal Value. Intuitiv sollte das einleuchten - ein Wertzuwachs erfordert, dass mehr als die Kapitalkosten erwirtschaftet wird. 42 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Ad 2. Multiplikatorenmethode Bei der Berechnung des Terminal Value mit der Multiplikatorenmethode wird eine Kenngröße des letzten Jahres des Detailplanungszeitraums, nor‐ malerweise EBIT oder EBITDA (möglich sind aber auch Umsatz oder Buchwert des Eigenkapitals) mit einem Marktmultiplikator malgenommen. Dieser Marktmultiplikator, zum Beispiel 7 mal EBITDA, wird aus Multipli‐ katoren vergleichbarer börsennotierter Unternehmen und/ oder vergleich‐ barer Transaktionen der letzten Jahre gewonnen (siehe dazu die beiden folgenden Abschnitte). Man kann dies interpretieren als einen Verkauf des Unternehmens zum Ende des Detailplanungszeitraums. Dies erklärt auch die häufig anzutreffende Bezeichnung als Exit Multiple Method. Wie bei der ewigen Rente ist auch hier wichtig, dass das letzte Planjahr als repräsentativ für die (lange) Zukunft angesehen werden kann. Außerdem ist darauf zu achten, dass in den aus Vergleichsunternehmen und vergleichba‐ ren Transaktionen gewonnenen Multiplikatoren keine zyklischen Effekte enthalten sind. Bei der Verwendung der Methode sollte Klarheit darüber bestehen, dass der Großteil des Unternehmenswerts (Terminal Value) auf der Grundlage von Multiplikatoren ermittelt wird und nicht auf der Grundlage der Diskon‐ tierung künftiger freier Cashflows. Typischerweise werden bei der Analyse beide Methoden verwendet und jeweils die eine als Plausibilitätsprüfung für die andere verwendet. Wurde der Terminal Value als ewige Rente berechnet, so ergibt sich der implizite EBITDA-Multiplikator als: Impliziter EBITDA−Multiplikator = Terminal Value (Ewige Rente) EBITDA t Bei Verwendung der Multiplikatorenmethode lässt sich die implizite Wachs‐ tumsrate g berechnen als: Terminal Value Multiplikatorenmethode ⋅ WACC t+1 − Freier Cashflow t Terminal Value Multiplikatorenmethode + Freier Cashflow t 2.2 Enterprise-DCF-Methode 43 2.2.5 Ermittlung der Barwerte, Ableitung einer Wertbandbreite, Sensitivitäts- und Szenarioanalysen Der nächste Schritt ist technischer Natur: Die Barwerte der freien Cashflows der Detailplanungsphase sind zu ermitteln, ebenso der Barwert des Terminal Value. Die Summe der Barwerte ergibt den Enterprise Value, den Gesamt‐ unternehmenswert. Beträgt der Detailplanungszeitraum 5 Jahre, so ergibt sich: Enterprise Value = Freier Cashflow 1 1 + WACC 1 + Freier Cashflow 2 1 + WACC 2 + Freier Cashflow 3 1 + WACC 3 + Freier Cashflow 4 1 + WACC 4 + Freier Cashflow 5 (1 + WACC) 5 + Terminal Value (1 + WACC) 5 mit Terminal Value = Multiplikator ⋅ Bezugsgröße zum Beispiel EBITDA oder Terminal Value = Freier Cashflow 5 ⋅ 1 + g WACC ER − g und WACC ER dem gegebenfalls vom WACC abweichenden Kapitalkostensatz für die ewige Rente. Wird der Terminal Value mit der Multiplikatorenmethode ermittelt, so wird ein Zufluss am Ende des Detailplanungszeitraums, hier t=5, unterstellt (Verkauf in t=5). Bei der Perpetuity Growth Method ist der Terminal Value eine in t=6 beginnende ewige Rente und wird daher mit demselben Faktor wie der freie Cashflow in t=5 diskontiert (eine in t=1 beginnende ewige Rente ist durch die Formel für die ewige Rente bereits als Barwert für t=0 abgebildet, bei einer in t=2 beginnenden ewigen Rente ist eine Abzinsung für 1 Jahr erforderlich, um den Barwert in t=0 zu erhalten, bei einer in t=3 beginnenden ewigen Rente eine Abzinsung für 2 Jahre und so weiter). Gelegentlich wird bei der Unternehmensbewertung von der bei Investi‐ tionsrechnungen üblichen Konvention, dass alle Zahlungen am Ende einer Periode anfallen, abgewichen. Stattdessen wird angenommen, dass alle Zahlungen in der Mitte des Jahres erfolgen („mid year convention“). Aus „hoch 1“ wird dann „hoch 0,5“, aus „hoch 2“ wird „hoch 1,5“ und so weiter. Lediglich der Terminal Value bei der Multiplikatorenmethode wird als am Ende der Detailplanungsperiode zugeflossen unterstellt, in unserem Fall bliebe es dafür also bei „hoch 5“. Insgesamt führt dies zu niedrigeren 44 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) Diskontierungssätzen und damit zu einem höheren Unternehmenswert. Honi soit qui mal y pense. Der Wert des Eigenkapitals ergibt sich dann als: Wert des Eigenkapitals = Enterprise Value − Nettoverschuldung Aufgrund der zahlreichen Annahmen, die bei der Unternehmensbewertung zu treffen sind, wird der Wert üblicherweise nicht als einwertige Größe, sondern als Bandbreite ermittelt. Dazu werden, wie bei Investitionsrech‐ nungen, Sensitivitätsund/ oder Szenarioanalysen vorgenommen. Bei einer Sensitivitätsanalyse wird eine Inputgröße variiert, während die übrigen konstant gehalten werden. Übertragen auf die Unternehmensbewertung heißt dies, dass untersucht wird, wie sich der Unternehmenswert verhält, wenn die WACC variiert werden oder die Wachstumsrate oder der Multi‐ plikator bei der Berechnung des Terminal Value oder die Wachstumsrate der Umsatzerlöse oder das EBITDA oder das EBITDA als Prozentsatz der Umsatzerlöse. Die Möglichkeiten sind zahlreich, mit Hilfe von Tabellenkal‐ kulationsprogrammen relativ leicht durchzuführen und die Versuchung, Zahlenfriedhöfe zu produzieren, ist hoch. Hier gilt jedoch, dass weniger oft mehr ist. Der Fokus sollte gelegt werden auf die Werttreiber. Bei der Szenarioanalyse werden mehrere Inputvariablen gleichzeitig variiert, indem „Szenarien“ gebildet werden. Der Klassiker ist dabei der Dreiklang zwischen Base Case, Best Case und Worst Case, bei der Unterneh‐ mensbewertung oft ergänzt um ein viertes Szenario namens Management Case. Es können aber auch multiple Szenarien entwickelt werden, bei denen Annahmen über makroökonomische Faktoren oder Wettbewerbsverhalten (Konkurrenzprodukt wird entwickelt) verändert werden. Last but not least können auch Simulationen durchgeführt werden. Bei Simulationen wird auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen anstelle von Erwartungswerten für die Inputvariablen zurückgegriffen. Resultat ist dann eine Wahrscheinlichkeitsverteilung von Unternehmenswerten. Bekannt ist die Monte-Carlo-Simulation, die sich mit Software wie zum Beispiel Crystal Ball, @Risk, ModelRisk auf Excel relativ einfach umsetzen lässt. Die Ergebnisse der Sensitivitäts- und Szenarioanalysen und gegebenen‐ falls der Monte-Carlo-Simulation werden dann analysiert und in eine Band‐ breite für den Unternehmenswert umgesetzt. Dies ist, am Ende des Tages, mindestens genauso viel Kunst wie (Erfahrungs-)Wissenschaft. 2.2 Enterprise-DCF-Methode 45 Lernfragen 1. Grenzen Sie Enterprise-DCF-Methode und Equity-DCF-Methode von‐ einander ab. 2. Ein Unternehmen hat einen Eigenkapitalwert von 10, zinstragende Verbindlichkeiten von 20 und liquide Mittel von 2. Wie hoch ist der Enterprise Value? 3. Beschreiben Sie die beiden gängigen Verfahren zur Berechnung des Terminal Value. 46 2 Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) 3 Comparable Companies Analysis Lernziele ■ Sie sollen die Grundidee der Comparable Companies Analysis ver‐ stehen und sich ein eigenes Urteil über diesen „Bewertungs“ansatz bilden. ■ Sie sollen die in der Praxis gebräuchlichen Multiplikatoren kennen‐ lernen und beschreiben können. ■ Sie sollten eine Grundvorstellung davon haben, wie man praktisch „vergleichbare“ Unternehmen findet. Bei der → Comparable Companies Analysis wird der Unternehmenswert aus Marktpreisen vergleichbarer börsennotierter Unternehmen abgeleitet. Die Grundidee ist, dass in effizienten Märkten Unternehmen mit vergleich‐ barem Potenzial zur Generierung freier Cashflows, vergleichbarer Wachs‐ tumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur der künftigen freien Cashflows auch vergleichbare Marktpreise haben sollten. Da sich Aktienkurse verschiedener Unternehmen aufgrund der unter‐ schiedlichen Anzahl im Umlauf befindlicher Aktien nicht einfach verglei‐ chen lassen, ist eine Standardisierung erforderlich. Diese Standardisierung wird dadurch erreicht, dass der Wert ins Verhältnis gesetzt wird zu Größen wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Buchwert oder anderen branchenspezifischen Kennzahlen wie Anzahl der Abonnenten, Hektoliterausstoß, Verkaufsfläche in m 2 oder Streckenkilometer. Ergebnis der Standardisierung ist dann ein Multiplikator, man spricht daher auch von der Multiplikatorenmethode. Vertreter der entscheidungsorientierten Betriebwirtschaftslehre rümpfen über ein derartiges Vorgehen die Nase. Die Abneigung gegen diesen Ansatz lässt sich bei der Lektüre von so manchem guten Standardwerk schon fast mit den Händen zwischen den Zeilen greifen. Fakt ist indes, dass die Comparable Companies Analysis international und inzwischen auch in Deutschland weit verbreitet ist. Es gibt fast keine Unternehmensbewertung, in der nicht detailliert Multiplikatoren vergleichbarer Unternehmen zumin‐ dest als Plausibilisierung herangezogen werden. Jede Fairness Opinion enthält eine Comparable Companies Analysis, jeder Analystenreport. Selbst auf Entscheiderebene im Top Management sind sie gang und gäbe. Vermut‐ lich werden mehr Entscheidungen auf der Grundlage von Multiplikatoren getroffen als auf der Basis von DCF-Bewertungen. Das Vorgehen, unbekannte Dinge auf der Grundlage vergleichbarer Sach‐ verhalte zu beurteilen, ist tief in uns verankert. Wer ein Grundstück oder ein Haus erwerben oder eine Wohnung anmieten möchte, der informiert sich in der Regel auf den gängigen Immobilienportalen oder Mietspiegeln über Quadratmeterpreise und -mieten in der bevorzugten Wohngegend. Sicher, jedes Grundstück ist einzigartig, erst recht jedes Haus oder jede Wohnung. Gleichwohl dienen uns die gängigen Markt-Multiplikatoren, hier Quadratmeterpreise und -mieten, als Anker bei unserer Bewertung. Besonderheiten tragen wir durch Zu- und Abschläge Rechnung. Dasselbe gilt, wenn wir einen Gebrauchtwagen kaufen oder verkaufen wollen. Auch hier gilt, dass jedes Auto anders ist, aber aus Typ, Baujahr, Laufleistung und Ausstattung lassen sich auch hier Preise oder Bandbreiten von Preisen für vergleichbare Fahrzeuge herleiten. Genau dasselbe Prinzip liegt der Comparable Companies Analysis zu‐ grunde. Sie ist, weil den menschlichen Vorlieben näher, verständlicher und leichter zu präsentieren als eine DCF-Bewertung. Im Vergleich zu den umfangreichen Annahmen, die zur Herleitung und Diskontierung künftiger freier Cashflows erforderlich sind, ist eine Aussage wie „marktüblich sind 6 mal EBITDA“ eine gewaltige Komplexitätsreduktion, die sich zudem auch viel leichter kommunizieren lässt. Adressaten der Unternehmensbewertung sind nämlich überwiegend Personen, die kein Vertiefungsstudium der Un‐ ternehmensbewertungstheorie absolviert haben und trotzdem (oder gerade deswegen? ) sehr erfolgreich sind: Gestandene Unternehmer beispielsweise oder Top-Manager von Großkonzernen. Selbst wenn Letztere tief in der Thematik verwurzelt sein sollten, so werden auch sie wieder an Personen in ihren Aufsichtsgremien zu berichten haben, die dies nicht sind und dankbar sein für einfach zu transportierende Botschaften. Viele Diskussionsrunden zwischen Berater oder Investment Banker und Mandant, aber auch innerhalb der Beraterteams, kreisen stundenlang um Annahmen zu Umsatzwachstum, künftigen Profitabilitätsstrukturen, dem richtigen Betafaktor, der richtigen Verdichtung der ermittelte Werte zu einer Bandbreite, bis dann am Ende doch irgend jemand die Frage stellt: „Wie viel mal EBIT/ EBITDA oder Umsatz entspricht das denn jetzt? “ Wer dies als Bewerter erlebt hat, der hat zwei Möglichkeiten: 1. gebetsmühlenhaft zu wiederholen, dass es kein Unternehmen zweimal gibt und sich derartigen 48 3 Comparable Companies Analysis Analysen zu verschließen, oder 2. Multiplikatorenanalysen standardmäßig in sein Repertoire aufzunehmen, weil doch jeder danach fragt und die Analyse über die Bewertung ähnlicher Unternehmen in aller Regel auch mit einem Erkenntnisgewinn verbunden ist. Last but not least: So leicht die Comparable Companies Analysis in der Anwendung ist, so einfach ist auch ihr Missbrauch. Schon allein deshalb lohnt es, sich ein eigenes Bild davon zu machen, welche Unternehmen wirklich vergleichbar sind und wie deren Börsenbewertung zustande gekommen ist. 3.1 Übliche Multiplikatoren - PE oder KGV Der Price/ Earnings-Multiplikator oder das Kurs-Gewinn-Verhältnis ist die bekannteste Standardisierung der Ergebnismessung börsennotierter Gesell‐ schaften. Er ist definiert als: PE = Marktwert des Eigenkapitals Jahresüberschuss = Aktienkurs Ergebnis je Aktie Bei der Comparable Companies Analysis findet er in aller Regel nur ergän‐ zend Anwendung, da der Jahresüberschuss der in die Analyse einbezogenen Unternehmen aufgrund unterschiedlicher Bilanzpolitik, unterschiedlichen Steuersätzen sowie unterschiedlicher Verschuldungsgrade nur bedingt ver‐ gleichbar und damit für die Comparable Companies Analysis geeignet ist. Jahresüberschuss und Ergebnis je Aktie werden um einmalige und außerordentliche Effekte bereinigt. Neben Verschuldungsgrad und Bilanzpolitik spiegeln sich auch unter‐ schiedliche erwartete Wachstumsraten im PE-Multiplikator wider. Unter‐ nehmen mit einem höheren erwarteten Wachstum haben, ceteris paribus, ein höheres PE. Die erwarteten Wachstumsraten börsennotierter Gesell‐ schaften können bei Diensten wie Bloomberg oder Value Line abgerufen werden. Daraus lässt sich die Price/ Earnings/ Growth-Ratio (Kurs-Gewinn- Wachstums-Verhältnis) ableiten: 3.1 Übliche Multiplikatoren 49 PEG = PE Wachstum in Prozent Die durchschnittliche PEG-Ratio der vergleichbaren Unternehmen wie‐ derum kann zur Analyse des PE des zu bewertenden Unternehmens heran‐ gezogen werden, sofern es börsennotiert ist: Soll-PE =-Durchschnittliches PEG Vergleichsunternehmen ⋅ g mit g =-erwartete Wachstumsrate des zu bewertenden Unternehmens in Prozent Durch Vergleich von PE und dem aus der Analyse vergleichbarer Unterneh‐ men gewonnenem Soll-PE können erste Anhaltspunkte für eine Über- oder Unterbewertung gefunden werden. Wen die unterstellte Linearität zwischen PE und Wachstumsrate stört, der mag aus den PEs der vergleichbaren Unternehmen, ihren erwarteten Wachs‐ tumsraten und gegebenenfalls der ebenfalls aus den erwähnten Diensten abrufbaren Standardabweichung der Consensus-Prognosen der künftigen Ergebnisse mittels nicht-linearer Regression eine funktionale Beziehung herleiten und auf das zu bewertende Unternehmen anwenden. - EBITDA- und EBIT-Multiplikatoren Sie sind das Herzstück einer Comparable Companies Analysis. EBITDA und EBIT sind unbeeinflusst von Steuersätzen. Auch Unternehmen aus unterschiedlichen Steuerhoheiten lassen sich so vergleichen. Außerdem sind beide Größen vor Zinsergebnis und damit unbeeinflusst von der Fi‐ nanzierungsstruktur. EBITDA-Multiplikatoren finden häufiger Anwendun‐ gen, da sie zudem keine Effekte unterschiedlicher Abschreibungspolitik oder -zyklen enthalten. Jedoch trifft man auch EBIT-Multiplikatoren an, insbesondere wenn keine ausreichenden Informationen zu Abschreibungen erhältlich sind. EBITDA−Multiplikator = Enterprise Value EBITDA EBIT−Multiplikator = Enterprise Value EBIT 50 3 Comparable Companies Analysis Multiplikatoren können auf der Grundlage von Daten (z. B. EBITDA oder EBIT) des letzten abgeschlossenen Geschäftsjahres, von aktuellen Daten (EBITDA oder EBIT der letzten zwölf Monate oder erwartete Daten für das laufende Geschäftsjahr) und von prognostizierten Daten (EBITDA und EBIT für das nächste Geschäftsjahr oder sogar für die nächsten zwei Jahre) berechnet werden. Im Folgenden versuchen wir, den so scheinbar simpel daherkommenden EBITDA-Multiplikator etwas näher zu beleuchten. Aus unseren Analysen in Abschnitt 2.2.4 zur Ermittlung des Terminal Value kennen wir die Beziehung: Terminal Value = Freier Cashflow t+1 WACC t+1 − g Unterstellen wir nun, dass das zu bewertende Unternehmen bereits ab dem ersten Planjahr einen mit einer konstanten ewigen Wachstumsrate steigenden freien Cashflow generiert, dann wird t+1 zu t=1 und der Terminal Value wird dann zum Enterprise Value: Enterprise Value = Freier Cashflow 1 WACC−g Den freien Cashflow wiederum können wir auch schreiben als: Freier Cashflow = EBIAT − (Investitionen + Erhöhung Working Capital − Abschreibungen) = (EBITDA−Abschreibungen) ⋅ (1 − t) − Reinvestitionen = EBITDA ⋅ (1 − t) − Abschreibungen ⋅ (1 − t) − Reinvestitionen mit Reinvestitionen = Investitionen + Erhöhung Working Capital − Abschreibungen In unsere Formel oben eingesetzt ergibt sich der Enterprise Value dann als: Enterprise Value = EBITDA 1 ⋅ 1 − t − Abschreibungen 1 ⋅ 1 − t − Reinvestitionen 1 WACC − g Teilen wir beide Seiten der Gleichung durch EBITDA, dann steht auf der linken Seite der Gleichung der EBITDA-Multiplikator und auf der rechten 3.1 Übliche Multiplikatoren 51 Seite der sich aus der Enterprise-DCF-Methode bei konstant wachsendem freien Cashflow ergebende Enterprise Value geteilt durch das EBITDA: EnterpriseValue EBITDA = 1 − t − Abschreibungen EBITDA ⋅ 1 − t − Reinvestitionen EBITDA WACC − g Somit lassen sich DCF-Bewertung und EBITDA-Multiplikatoren-Bewertung ineinander überführen. Dasselbe gilt für EBIT-Multiplikatoren. Der so tumb daherkommende EBITDA-Multiplikator entpuppt sich also bei näherem Hinsehen als ziemlich aussagekräftige Größe. Bretzke hat vor vielen Jahren in diesem Zusammenhang den Terminus von der versteckten Intelligenz ei‐ ner Daumenregel geprägt (Bretzke, Risiken in der Unternehmensbewertung, zfbf 1988, 818). Aus dem Nenner sehen wir, dass der EBITDA-Multiplikator um so größer ist, je niedriger die Kapitalkosten und je höher die Wachs‐ tumsrate sind. Aus dem Zähler sehen wir, dass der Multiplikator um so größer ist, je geringer das Verhältnis von Abschreibungen zu EBITDA sowie Reinvestitionen zu EBITDA ist. Und last but not least, obwohl die Größe EBITDA vor Steuern ist, können wir eine Aussage zum Verhältnis von EBITDA-Multiplikator und Höhe des Steuersatzes machen. Je niedriger der Steuersatz, desto höher, ceteris paribus, der Multiplikator. - Umsatzmultiplikatoren Umsatzmultiplikatoren finden vor allem dann Verwendung, wenn es sich bei dem zu bewertenden Unternehmen um ein Unternehmen in der Krise oder ein Start-up-Unternehmen handelt, also Unternehmen mit niedrigen oder negativen Ergebnissen. Damit ist auch gleich die Gefahr ihrer Verwendung umschrieben: Dass alle Unternehmen irgendwann positive freie Cashflows erwirtschaften müssen, um einen positiven Wert zu haben, wird leicht im Eifer des Gefechts vergessen. Auch bei der Bewertung von reifen Unternehmen werden regelmäßig Umsatzmultiplikatoren ermittelt, da der Umsatz die Größe im Jahresab‐ schluss ist, die am wenigsten von bilanzpolitischen Maßnahmen beeinflusst ist. Der Umsatzmultiplikator ist definiert als: 52 3 Comparable Companies Analysis Umsatz−Multiplikator = Enterprise Value Umsatz Gelegentlich findet sich in der Praxis auch das Verhältnis von Equity Value zu Umsatz als Umsatz-Multiplikator, das nach herrschender Meinung jedoch als inkonsistent anzusehen ist, da es für Unternehmen mit einer hohen Verschuldung zu niedrigeren Umsatz-Multiplikatoren führt und die Aggre‐ gation von Umsatzmultiplikatoren von Unternehmen mit unterschiedlichen Verschuldungsgraden erschwert. Auch im Umsatz-Multiplikator steckt mehr, als man auf den ersten Blick annimmt. Wie wir wissen, lässt sich der Enterprise Value bei einem Unter‐ nehmen, dessen freier Cashflow mit einen mit konstanten Rate wächst, schreiben als: Enterprise Value = Freier Cashflow WACC − g = EBIAT ⋅ (1 − Reinvestitionsrate) WACC − g Teilen wir beide Seiten der Gleichung durch den Umsatz, so gibt die linke Seite unseren Umsatzmultiplikator wieder. Umsatzmultiplikator und DCF- Bewertung lassen sich also auch ineinander überführen: Enterprise Value Umsatz = EBIAT/ Umsatz ⋅ (1 − Reinvestitionsrate) WACC − g = Betriebsergebnismarge nach Steuern ⋅ (1 − Reinvestitionsrate) WACC − g Der Umsatzmultiplikator steigt mit sinkenden Kapitalkosten, steigender Wachstumsrate, steigender Betriebsergebnismarge nach Steuern und sin‐ kender Reinvestitionsrate. - Weitere Multiplikatoren Weiterhin sind anzutreffen Buchwert-Multiplikatoren, bei denen der Equity Value ins Verhältnis gesetzt wird zum Buchwert des Eigenkapitals. Daneben finden sich branchenspezifische Multiplikatoren, bei denen normalerweise der Enterprise Value ins Verhältnis gesetzt wird zu den produzierten Hek‐ tolitern eines Getränks, den produzierten Tonnen an Stahl, der Anzahl von Hits auf einer Webseite, der Anzahl der Abonnenten, um nur einige Beispiele zu nennen. 3.1 Übliche Multiplikatoren 53 Auch diese Multiplikatoren lassen sich normalerweise überführen in die drei Komponenten, die auch die Wertermittlung durch die DCF-Methode bestimmen: Risiko (WACC), Wachstum (g) und freie Cashflows. 3.2 Die Suche nach vergleichbaren Unternehmen In vielen Fällen ist es naheliegend, welche Unternehmen vergleichbar sind. Beispiel Volkswagen: Auch wenn die großen Automobilhersteller hin‐ sichtlich Modellpalette und Präsenz in einzelnen Märkten Unterschiede aufweisen, so läge es auf der Hand, sie alle für eine Comparable Companies Analysis von Volkswagen in die Analyse einzubeziehen. Was aber, wenn wir eine Comparable Companies Analysis für ein Nischenunternehmen vornehmen wollen, beispielsweise Tesla in 2010? Oder für Hightech-Spezia‐ listen auf dem Gebiet Blockchain oder von elektronischen Preisanzeigen an Tankstellen? Dann stellt sich die Frage ob es überhaupt Unternehmen gibt, die vergleichbar sind. Die Auswahl der vergleichbaren Unternehmen spielt die zentrale Rolle bei der Comparable Companies Analysis. Welche Unternehmen einzubeziehen sind, ist an der Zielsetzung der Analyse festzumachen, der Ableitung von Marktmultiplikatoren für Unternehmen mit vergleichbarem Potenzial an freien Cashflows, vergleichbarem Wachstum und vergleichbarem Risiko. Grundlage jeder Auswahl vergleichbarer Unternehmen ist zunächst ein‐ mal ein tiefes Verständnis des zu bewertenden Unternehmens. Dazu sind die‐ selben Schritte wie in Abschnitt 2.2.1 bei der DCF-Methode zu gehen. Ohne Kenntnis der Produkte, der Marktstellung und des Geschäftssystems des zu bewertenden Unternehmens und aller potenziell als vergleichbar in Betracht kommenden Unternehmen führt die Analyse in die Irre. Der scheinbare Vorteil des geringeren Aufwands im Vergleich zur DCF-Bewertung (keine Planung künftiger freier Cashflows für das zu bewertende Unternehmen erforderlich) schwindet hier und kann sich leicht in das Gegenteil verkehren. Eine gute Comparable Companies Analysis ist genauso aufwendig wie eine DCF-Bewertung! Nur wer das Unternehmen und die vergleichbaren Unternehmen kennt und verstanden hat, kann die Multiplikatoren und Unterschiede bei den Multiplikatoren zwischen einzelnen Unternehmen erklären. Ausgangspunkt der Suche sind in der Regel die Wettbewerber. Viele Unternehmen geben diese im Geschäftsbericht an. Bei Bloomberg und auch 54 3 Comparable Companies Analysis bei Diensten wie Google Finance oder Yahoo Finance finden sich Compa‐ rable Companies (die aber selten 1 zu 1 übernommen werden können). Marktanalysen sind eine weitere dankbare Quelle. Die so gewonnene Long List wird dann Stück für Stück zu einer Short List verdichtet, in der dann Unternehmen mit vergleichbaren Produktionsmethoden, vergleichbaren Vertriebssystemen, vergleichbaren Forschungsaktivitäten und vergleichba‐ ren Endkunden aufgenommen werden. Auch Unternehmensgröße, Profita‐ bilität, Wachstumspotenzial und Risikostruktur sollten vergleichbar sein. Regressionsanalysen können bei der Beurteilung, ob ein Unternehmen wirklich „vergleichbar“ ist, helfen. Im Grundsatz kommen auch Unternehmen aus anderen Branchen in Betracht, sofern ihr Cashflow-Potenzial, ihre Wachstumsperspektiven und ihr Risikoprofil mit dem zu bewertenden Unternehmen vergleichbar sind. Darauf wird in aller Regel aber nur zurückgegriffen, wenn es aus der Branche nicht ausreichend vergleichbare Unternehmen gibt. 3.3 Aufbereitung des Zahlenmaterials Da es sich bei den zu analysierenden Unternehmen um notierte Gesellschaf‐ ten handelt, ist in aller Regel umfangreiches Zahlenmaterial zugänglich. Die Webseiten der Unternehmen sind erste Anlaufstelle, darüber hinaus die gängigen Anbieter kostenpflichtiger Informationsdienste wie zum Beispiel Bloomberg, aber auch über frei zugängliche Dienste lassen sich Daten sammeln. Benötigt werden Consensus Prognosen sowie detaillierte Jahres‐ abschlüsse und Quartalsabschlüsse der letzten Jahre. Wichtig ist, dass sich die in die Analyse einbezogenen Daten der ver‐ gleichbaren Unternehmen auf denselben Zeitraum beziehen, ansonsten wird die Ermittlung der Multiplikatoren aussagelos. Ermittelt werden in aller Regel die Daten ■ der beiden letzten abgeschlossenen Geschäftsjahre, ■ der letzten 4 Quartale (LTM oder TTM, last twelve month oder trailing twelve month), ■ für das laufende Geschäftsjahr (Vorschau) ■ für die kommenden beiden Geschäftsjahre (Consensus Prognosen). Liegen abweichende Geschäftsjahre vor, so sind die Daten gegebenenfalls durch Kalendarisierung vergleichbar zu machen. Beispiel: Bei Geschäftsjah‐ 3.3 Aufbereitung des Zahlenmaterials 55 resende 31. März nimmt man für das Kalenderjahr 3/ 12 des zum 31. März abgeschlossenen Jahres und addiert 9/ 12 des zum 31. März des Folgejahres der zu kalendarisierenden Größe. Bei sehr stark wachsenden Unternehmen kann dies entscheidend sein. Die LTM- oder TTM-Zahlen ergeben sich durch eine ähnliche Übung. Liegt beispielsweise der Abschluss zum 3. Quartal vor, so addiert man zu den bis Ende des 3. Quartals im aktuellen Geschäftsjahr aufgelaufenen Zahlen das letzte Quartal des Vorjahres hinzu. Außerordentliche und einmalige Ergebniseinflüsse sind zu bereinigen. Börsennotierte Gesellschaften geben hierüber in aller Regel im Geschäfts‐ bericht bei der Dokumentation des Ergebnisses je Aktie Auskunft. Wie bei allen Bereinigungen und Normalisierungen sollte sich der Bewerter stets ein eigenes Urteil bilden, ob die aufgeführten Tatbestände auch nach seiner Einschätzung außerordentlich oder einmalig sind. Hier gibt es in der Regel einen sehr großen Interpretationsspielraum. Ein Beispiel sind Aktienoptio‐ nen für das Management von jungen, schnell wachsenden Unternehmen. Viele junge börsennotierte Unternehmen rechnen diese Kosten bei der Berechnung des Gewinns pro Aktie heraus. Und das ist, gelinde gesagt, umstritten. 3.4 Ableitung einer Wertbandbreite Sind die Zahlen aufbereitet und steht das Universum der vergleichbaren Unternehmen fest, so ist der nächste Schritt ein rein technischer, die Berech‐ nung der Multiplikatoren. Es gibt Vorlagen im Internet (einfach googeln). Die Templates in Rosenbaum/ Pearl, Investment Banking, 3. Auflage, sind sehr umfangreich und geben einen guten Eindruck davon, was Investment‐ banken und Beratungsunternehmen verwenden. Der darauffolgende Schritt, die Ableitung einer Wertbandbreite aus den berechneten Multiplikatoren, ist wie bei der Enterprise-DCF-Methode mehr Kunst als Wissenschaft. Für jeden Multiplikator ergibt sich zunächst einmal eine Bandbreite. Beispiel EBITDA-Multiplikatoren: Bei 10 Vergleichsunternehmen ergebe sich der niedrigste (unterer Bandwert) EBITDA-Multiplikator mit 4,2 und der höchste (oberer Bandwert) mit 18,7. Mit einer solchen Bandbreite können wir wenig anfangen. Zunächst ist zu prüfen, ob es sich beim unteren und/ oder oberen Bandwert um Ausreißer handelt - sie sollten dann außen vor bleiben. Angenommen, die übrigen Multiplikatoren liegen zwischen 5,0 56 3 Comparable Companies Analysis und 8,5. Dann würden wir den oberen Bandwert eliminieren, unsere neue Bandbreite beträgt dann 4,2 bis 8,5. Als nächstes würden wir den Median und das arithmetische Mittel berechnen. Angenommen, sie betragen 6.5 und 6.4 (ohne den Ausreißer). Weiterhin sei unterstellt, die meisten der übrigen Unternehmen und die Un‐ ternehmen, die unserer Auffassung nach die größte Ähnlichkeit mit dem zu bewertenden Unternehmen aufweisen, haben alle Multiplikatoren zwischen 6,25 und 6,75, dann würden wir dies als Ergebnis unserer Analyse festhalten. Diese Bandbreite, 6,25 bis 6,75, würden wir dann auf das EBITDA des zu bewertenden Unternehmens anwenden und dort zu einer Bandbreite für den Enterprise Value auf Basis des EBITDA-Multiplikators vergleichbarer Unternehmen gelangen. Dasselbe Prinzip würden wir für alle weiteren Multiplikatoren vorneh‐ men, so dass wir am Ende für jeden Multiplikator eine Bandbreite für den Unternehmenswert erhalten. Diese verschiedenen Bandbreiten verdichten wir dann zu einer Gesamt-Bandbreite. Als Darstellungsform wird dazu normalerweise das sogenannte → Football-Field-Format verwendet. Das Football-Field-Format eignet sich auch zur Darstellung der aus unter‐ schiedlichen Bewertungsverfahren (DCF, Comparable Companies Analysis, Precedent Transactions Analysis etc.) gewonnenen Bandbreiten. Abb. 14 3.4 Ableitung einer Wertbandbreite 57 Lernfragen 1. Worin besteht der Vorteil von EBITDA-Multiplikatoren gegenüber EBIT-Multiplikatoren? 2. Inwiefern geht die Profitabilität eines Unternehmens in dessen Umsatz- Multiplikator ein? 58 3 Comparable Companies Analysis 4 Precedent Transactions Analysis Lernziele ■ Sie sollten die Precedent Transactions Analysis als Variante des Multiplikatorenansatzes auf der Grundlage abgeschlossener Trans‐ aktionen verstehen. ■ Sie sollen Vorteile, Nachteile und Besonderheiten des Ansatzes im Vergleich zur Comparable Companies Analysis beschreiben können. Die → Precedent Transactions Analysis ist genauso wie die Comparable Companies Analysis ein multiplikatorengestützter Bewertungsansatz. Die Grundidee ist dieselbe: Unternehmen mit vergleichbarem Potenzial zur Generierung freier Cashflows, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur der künftigen freien Cashflows sollten in effizienten Märkten auch vergleichbare Marktpreise haben. Als Marktpreise dienen hier jedoch nicht die Börsenkurse vergleichbarer notierter Unterneh‐ men, sondern gezahlte (oder gebotene) Preise bei Akquisitionen vergleich‐ barer Unternehmen. Die Multiplikatoren, die auf der Grundlage vergleichbarer Transaktionen ermittelt wurden, reflektieren zwei Sachverhalte, die in den Multiplikatoren, die aus den Börsenkursen vergleichbarer Unternehmen hergeleitet wurden, nicht enthalten sind: ■ Kontrollprämie ■ Synergien. Unter der Kontrollprämie versteht man den Betrag, den ein Erwerber über den Marktpreis der Aktien eines Unternehmens hinaus bereit ist zu bezahlen, um eine Mehrheit zu erhalten und damit Einfluss ausüben zu können auf Cashflow-Potenzial, Wachstum und Risiko. Der Marktpreis einer Aktie spiegelt letztlich den Marktpreis eines Minderheitsanteils wider - an der Börse werden Minderheiten gehandelt. Auch Synergien, die ein strategischer Käufer mit dem zu bewertenden Unternehmen realisieren könnte, fließen in den Börsenkurs nicht ein (es sei denn, es liegt ein aktuelles Übernahmeangebot eines derartigen Käufers vor). Sie sind aber in den gezahlten (oder gebotenen) Kaufpreisen vergleichbarer Transaktionen und den daraus abgeleiteten Multiplikatoren enthalten. Wie die Comparable Companies Analysis, so gehört heute auch die Precedent Transactions Analysis zu jeder Unternehmensbewertung dazu. Sie führt, ceteris paribus, weil sie eben Kontrollprämien und Synergien implizit berücksichtigt, normalerweise zu höheren Multiplikatoren. Wie bei der Comparable Companies Analysis, so spielt auch bei der Prece‐ dent Transactions Analysis die Auswahl der vergleichbaren Transaktionen die zentrale Rolle. Auch hier gilt, dass Transaktionen von Unternehmen mit vergleichbarem Cashflow-Potenzial, vergleichbarer Wachstumsperspektive und vergleichbarer Risikostruktur zu suchen und in die Analyse einzubezie‐ hen sind, denn nur sie führen zu belastbaren Multiplikatoren und damit Wertbandbreiten. Ohne Zugang zu kostenpflichtigen Datenbanken ist man hier schnell am Ende. Die Zeitschrift Finance veröffentlicht regelmäßig so genannte Experten-Multiples für ausgewählte Branchen (http: / / www.finance-magaz in.de/ research/ finance-multiples/ ), enthält aber (explizit) keine Analysen über konkrete Transaktionen innerhalb der Branchen. Über professionelle Anbieter (in alphabetischer Reihenfolge seien hier Bloomberg, Mergermar‐ ket, SDC und Zephyr genannt) hingegen lässt sich umfangreiches Daten‐ material zu Transaktionen weltweit beschaffen. Sektor-/ Branchenteams von Investmentbanken und Beratungsgesellschaften pflegen üblicherweise selber eine eigene Datenbank über Transaktionen in ihrer Branche (gespeist aus eigenem Research und kostenpflichtigen Diensten), so dass Transakti‐ ons-Multiplikatoren mehr oder weniger auf Knopfdruck abrufbar sind. Verfügt man nicht über diesen Luxus, sind in einem ersten Schritt die Daten aus den vergleichbaren Transaktionen aufzubereiten. Insbesondere dann, wenn das Zielunternehmen ein privat gehaltenes Unternehmen war, werden die verfügbaren Informationen in aller Regel unvollständig sein. Von den für eine Multiplikatorenanalysen erforderlichen Inputdaten wie Umsatz, EBITDA, EBIT, Jahresüberschuss und Buchwert werden nicht alle immer verfügbar sein, ebenso wenig wie Informationen über zu bereinigende Ergebniseinflüsse. War das Zielunternehmen börsennotiert, dann sollte versucht werden, die LTM-Zahlen (letzte 12 Monate vor der Transaktion) der aufgeführten Größen zu ermitteln. Zu beachten ist weiterhin, welche Größe als Transak‐ tionswert in der Datenbank angegeben wurde, Equity Value oder Enterprise Value. Zu ermitteln ist weiterhin der Wert der zinstragenden Verbindlich‐ 60 4 Precedent Transactions Analysis keiten und der liquiden Mittel zum Zeitpunkt der Transaktion. Diese Größen sind erforderlich, um Multiplikatoren abzuleiten. Das Universum der Multiplikatoren ist in Abschnitt 3.1 dargestellt. Durch Vergleich von Precedent Transactions Analysis und Comparable Companies Analysis lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, wie hoch in der jeweiligen Branche die in der Vergangenheit gezahlten Kontrollprämien waren. Teilweise werden in Veröffentlichungen über große Transaktionen auch Angaben zu den erwarteten Synergien gemacht, so dass sich die Transaktionsmultiplikatoren weiter aufgliedern lassen in Multiplikatoren mit und ohne Synergieeffekte: EBITDA−Multiplikator ohne Synergien = Enterprise Value LTM EBITDA EBITDA−Multiplikator mit Synergien = Enterprise Value LTM EBITDA + Erwartete jährliche Synergien Die möglichen Fehlerquellen bei der Datenaufbereitung sind hoch. Folgende Sachverhalte sollten geprüft werden: ■ Handelt es sich um eine mehrheitliche Übernahme? Falls nein, sollte die Transaktion gegebenenfalls nicht berücksichtigt werden, da vermutlich keine Kontrollprämie im Transaktionspreis enthalten ist. ■ Wurden 100 % der Anteile erworben? Falls nein, worauf beziehen sich die veröffentlichten Transaktionswerte oder Kaufpreise? Auf den erworbenen Anteil oder auf 100-% der Anteile? Hier ist sicherzustellen, dass eine Umrechnung auf 100-% erfolgt. ■ Wurden Teile des Kaufpreises in Aktien des Erwerbers gezahlt, so sind Umtauschverhältnis und Kurs am Tag vor der Veröffentlichung zu beschaffen. Bei der Auswahl der vergleichbaren Transaktionen beginnt man wie bei der Auswahl vergleichbarer Unternehmen in Abschnitt 3.2 mit Transaktionen in derselben Branche wie das zu bewertende Unternehmen. Auch hier gilt, dass ohne ein tiefes Verständnis des zu bewertenden Unternehmens und der Zielunternehmen bei den jeweiligen Transaktionen im Hinblick auf Produkte/ Dienstleistungen, Marktposition und Geschäftssystem die 4 Precedent Transactions Analysis 61 abgeleiteten Multiplikatoren aussagelos sein werden. Eine Precedent Trans‐ actions Analysis ist mehr als das bloße Sammeln und Zusammenstellen von Transaktionen in einer Branche mit der anschließenden Ermittlung von Durchschnittswerten. Jedes einzelne Zielunternehmen ist unter die Lupe zu nehmen und mit dem zu bewertenden Unternehmen zu vergleichen. Anschließend ist zu überlegen, ob es sich wirklich um ein hinsichtlich der erwähnten Kriterien sowie Unternehmensgröße, Risiko und Wachstums‐ potenzial vergleichbares Unternehmen handelt, welche Faktoren des zu bewertenden Unternehmens im Vergleich zu der gewählten Peer Group werterhöhend und welche wertmindernd sind und wie sich dies im Multi‐ plikator widerspiegeln sollte. Zusätzlich ist bei der Analyse vergleichbarer Transaktionen zu beachten, dass es sich um historische Daten handelt und nicht um aktuelle Börsen‐ preise wie bei der Comparable Companies Analysis. Es macht wenig Sinn, Multiplikatoren von Transaktionen zu verwenden, die aus Notverkäufen in 2009 während der Krise resultieren oder von High-Tech-Unternehmen aus der Dotcom-Blase im Jahr 2000. Das Marktumfeld, in dem die vergleichbare Transaktion stattfand, sollte mit dem aktuellen Marktumfeld vergleichbar sein. Generell gilt, dass den Transaktionen, die in den letzten zwei bis drei Jahren vor dem Bewertungsstichtag stattfanden, eine höhere Gewichtung zukommen sollte als den Transaktionen, die länger zurückliegen. Gibt es jedoch keine vergleichbaren Transaktionen in den letzten zwei bis drei Jahren, so wird man gleichwohl die älteren betrachten, da sie durchaus Trends in der Branche aufzeigen können. Darüber hinaus sind qualitative Faktoren der einzelnen Transaktionen in Betracht zu ziehen. Beauty is in the eye of the beholder oder auf Deutsch: Was dem einen sein Eul’, ist dem anderen seine Nachtigall. War der Erwerber ein Finanzinvestor, so hat er ein anderes Auge auf das Target gehabt, als wenn er ein Stratege gewesen wäre, der Synergien hätte realisieren können. Auf der anderen Seite hat es im Markt immer wieder Phasen gegeben, in denen Finanzinvestoren Strategen überboten haben, weil zum Beispiel Akquisitionsdarlehen leicht verfügbar waren. Oder weil die Akquisition als Add-on zu einem bestehenden Portfoliounternehmen passte (in dem Fall war der Finanzinvestor also in Wirklichkeit ein Stratege). Auch die Art des Verkaufsprozesses führt in der Regel zu unterschied‐ lichen Kaufpreisen und damit Multiplikatoren. Bei einer feindlichen Über‐ nahme sind in der Regel höhere Kaufpreise fällig als bei einem Merger of 62 4 Precedent Transactions Analysis Equals. Dasselbe gilt für Unternehmen, die im Rahmen einer kompetitiven weltweiten Auktion vermarktet werden. Lernfragen 1. Führen Multiplikatorenbewertungen auf der Grundlage von abgeschlos‐ senen Transaktionen tendenziell eher zu höheren oder zu niedrigeren Werten als Bewertungen auf der Grundlage von vergleichbaren börsen‐ notierten Unternehmen? Begründen Sie bitte Ihre Antwort. 2. Im Rahmen einer Recherche zu vergleichbaren Transaktionen stoßen Sie auf Daten über den Verkauf eines Anteils von 5 % an einem vergleichbaren Unternehmen. Wie verfahren Sie damit? 4 Precedent Transactions Analysis 63 5 Weitere Bewertungsverfahren Lernziele ■ Sie sollen einen Überblick über weitere in der Praxis anzutreffende Unternehmensbewertungsverfahren erhalten. ■ Sie sollen den Cashflow an die Eigenkapitalgeber definieren und herleiten und vom allen Kapitalgebern zufließenden freien Cash‐ flow abgrenzen können. In den letzten drei Abschnitten haben wir mit der DCF-Methode, der Comparable Companies Analysis und der Precedent Transactions Analysis die gebräuchlichsten Verfahren der Unternehmensbewertung beschrieben. In der Bewertungspraxis finden sich indes zahlreiche weitere Methoden, die zur Ermittlung von Unternehmenswerten herangezogen werden. Teilweise handelt es sich um Varianten der bereits beschriebenen Modelle, teilweise sind es eigenständige Ansätze. In diesem Abschnitt stellen wir mit ■ der LBO-Bewertung, ■ optionspreisbasierten Bewertungsverfahren, ■ Asset-based Bewertungsverfahren (Substanzbewertungen), ■ der APV-Bewertung und ■ dem Ertragswertverfahren eine Auswahl aus diesen Bewertungsverfahren komprimiert dar. 5.1 LBO-Bewertung LBO steht für Leveraged Buy-out, dem fremdfinanzierten Unternehmens‐ kauf, wie er üblicherweise von Finanzinvestoren (Private Equity) praktiziert wird. Apax, Apollo, Blackstone, Carlyle, CVC, KKR und TPG Capital gehören zu den größten Playern auf diesem Markt. Der Internetauftritt dieser Unter‐ nehmen gibt Auskunft über Investitionsfokus, Portfoliounternehmen und Vorgehensweise. Es gibt zahlreiche weitere große, mittelgroße und kleine Private-Equity-Häuser. Auch wenn es zwischen den Unternehmen graduelle Unterschiede gibt, lässt sich ihr Geschäftsmodell wie folgt skizzieren: ■ Es wird (überwiegend) fremdes Geld, das Geld anderer Leute, inves‐ tiert. Kapitalgeber sind die großen Kapitalsammelstellen, also Versiche‐ rungen, Pensionsfonds, Dachfonds, große Privatvermögen, Stiftungen, amerikanische Privatuniversitäten. ■ Dieses Geld wird in Fonds mit einer Laufzeit von 10 Jahren struktu‐ riert. Die Fonds investieren die Mittel dann in (mehrheitliche) Unter‐ nehmensübernahmen. Neben den bei den Investoren eingesammelten Geldern wird für diese Übernahmen auch Fremdkapital (Bankdarlehen, Mezzanine, gegebenenfalls Hochzins-Anleihen) eingesetzt. Der Fremd‐ kapitalanteil ist üblicherweise so bemessen (60 % bis 70 %), dass er beim erworbenen Portfoliounternehmen zu einer Erhöhung der Ver‐ schuldung führt. Die Verschuldungskapazität wird „ausgereizt“, daher der Name Leveraged Buy-out. ■ 3 bis 7 Jahre nach Erwerb werden die Portfoliounternehmen wieder veräußert, sei es an einen anderen Finanzinvestor, an einen strategi‐ schen Käufer oder im Rahmen eines IPO (Börsengang). Durch während der Halteperiode erfolgte Rückführungen des Fremdkapitals, durch Wachstum und wertsteigernde operative Maßnahmen liegt dann, wenn die Transaktion erfolgreich war, der Eigenkapitalanteil beim Verkauf (deutlich) über dem beim Kauf eingesetzten Eigenkapital. ■ Das Verhältnis von eingesetztem Eigenkapital und dem Eigenkapital„er‐ lös“ beim Verkauf (auch „Exit“ genannt) und die sich daraus ergebende Eigenkapitalverzinsung sind zentrale Steuerungsgrößen bei Private- Equity-Häusern und deren Investoren. Ein großer Teil der Vergütung der Fondsmanager basiert auf dieser Größe. Die Fonds erhalten in der Regel eine fixe Managementvergütung in Höhe von 1 % bis 2 % des Fondsvolumens. Die variable Vergütung besteht in einem Anteil (20 %) an der über eine Mindestverzinsung (8 %) hinausgehenden Verzinsung des eingesetzten Eigenkapitals. Sie wird „Carried Interest“ genannt und macht den Löwenanteil an der Gesamtvergütung aus (bei erfolgreichen Fondsmanagern). Die Investoren erhalten die Mindestverzinsung (8 %) zuzüglich ihrem Anteil (80 %) an der über die Mindestverzinsung hinausgehenden Verzinsung. ■ Sind die Investoren mit der Performance des Fonds zufrieden, dann werden sie auch in den nächsten Fonds des Private-Equity-Hauses 66 5 Weitere Bewertungsverfahren investieren. Aber auch nur dann. Basierend auf den Renditeerwartungen der Investoren in ihre Fonds, der Tatsache, dass einige wenige Invest‐ ments zu Verlusten bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Eigenka‐ pitals führen werden, und eigenen Renditeerwartungen hat sich bei den Private-Equity-Häusern eine „hurdle rate“, also eine Mindestverzinsung, die ein Investment bei realistischen Annahmen abwerfen sollte, von 25 % (je nach Investitionsfokus auch mehr oder weniger) herauskristallisiert. Das heißt dass jeder Unternehmenserwerb daraufhin analysiert wird, ob er unter realistischen Annahmen voraussichtlich (mindestens) diese Renditeerwartung des eingesetzten Eigenkapitals erfüllen wird. Bei der → LBO-Bewertung wird in einem iterativem Prozess analysiert, welcher Kaufpreis ■ bei gegebenen (realistischen) Prognosen über die Entwicklung des operativen Ergebnisses sowie ■ den aktuellen Fremdfinanzierungsmöglichkeiten und sich daraus erge‐ benden Restriktionen maximal gezahlt werden kann, ■ ohne die geforderte Mindestrendite von in der Regel 25 % auf das eingesetzte Eigenkapital zu verfehlen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Auch Finanzinvestoren nehmen DCF-Bewertungen, Comparable-Companies- und Precedent-Transactions- Analysen vor. Bei der Vorstellung eines Projektes bei ihren Investment Committees (Anlageausschüssen) sind die Manager jedoch auch gehalten, dezidiert nachzuweisen, wie sie bei der anstehenden Investition die Zielren‐ dite von 25 % erreichen werden oder wollen. Daher gehört inzwischen bei M&A-Transaktionen, bei denen voraussichtlich auch mit Private-Equity- Häusern verhandelt wird, die LBO-Bewertung zum Pflichtenheft. Damit soll vorab untersucht werden, in welcher Größenordnung Kaufpreisangebote von Finanzinvestoren erwartet werden können. Investmentbanken und Beratungsgesellschaften haben eigene Excel- Templates für die Durchführung einer LBO-Analyse und LBO-Bewertung. Derartige Templates sind inzwischen in guter Qualität auch im Netz frei verfügbar, beispielsweise hier: https: / / www.macabacus.com/ excel/ template s/ lbo-model-long. Rosenbaum/ Pearl liefern mit ihrem Lehrbuch ebenfalls ein sehr gutes Modell. Ausgangspunkt der Modelle ist regelmäßig die Unternehmensplanung, wie sie auch für die DCF-Bewertung als Grundlage benötigt wird. Auf die 5.1 LBO-Bewertung 67 Ausführungen in Abschnitt 2.2.2 wird verwiesen. Der Planungshorizont beträgt normalerweise zwischen 7 und 10 Jahren. Bei der Gewinn- und Verlustrechnung wird im ersten Schritt vom Umsatz bis zum EBIT geplant. Üblich ist die Erstellung verschiedener Szenarien, zum Beispiel ■ ein Management Case basierend auf der normalen Unternehmenspla‐ nung, ■ ein Base Case basierend auf den Analysen des Finanzinvestors, ■ ein Downside Case als Stress-Test und ■ ein Banking oder Sponsor Case, der als Grundlage für die Gespräche mit den finanzierenden Banken dient. Abschreibungen, Investitionen und Working Capital werden wie unter 2.2.2 beschrieben geplant und mit den Ergebnissen aus der Planung der Gewinn- und Verlustrechnung in Planbilanzen überführt. Die Positionen ‚liquide Mittel‘, ‚zinstragende Verbindlichkeiten‘ und ‚Eigenkapital‘ bleiben dabei vorerst „offen“ - sie können erst nach Abschluss des nächsten Schritts finalisiert werden. Dasselbe gilt für die Plan-Cashflowrechnung, bei der die Investitionsaktivitäten und die Veränderung des Working Capital im ersten Schritt geplant werden können, die Finanzierungsseite (Zinsen und Tilgung) aber vorerst „offen“ bleibt. Der nächste Schritt besteht dann darin, Annahmen über die Höhe des Kaufpreises und seiner Finanzierung in das Model einzuarbeiten. Begonnen wird dabei in aller Regel mit einem branchenüblichen Multiplikator auf das EBITDA - der Kaufpreis wird später variiert, um zu analysieren, bis zu wel‐ cher Grenze man gehen kann, um gerade noch die erwartete Mindestrendite auf das eingesetzte Eigenkapital zu erzielen. Außerdem sind Mittelherkunft (Eigenkapital, Fremdkapital wie Bankdarlehen, Anleihen, Mezzaninen, li‐ quide Mittel) und -verwendung (Kaufpreis, Ablösung existierender Darle‐ hen, Gebühren) bei der Finanzierung zu planen. Dabei ist eine detaillierte Kenntnis des aktuellen Finanzierungsumfelds unerlässlich. Professionelle Datenbanken wie Capital IQ LCD von S&P helfen hier zwar, aber ohne Input von Finanzierungsexperten lassen sich nur schwer belastbare Annahmen treffen, wie viel mal EBITDA zum Beispiel als Fremdfinanzierung unterstellt werden kann und welche Covenants damit in der Regel verbunden sind, also welche Werte etwa bei Kennzahlen wie der Interest Coverage Ratio (EBIT/ Zinsaufwand) eingehalten werden müssen. Eine ausführliche Diskussion des Private-Equity-Umfelds und der LBO-Modelle findet sich in den Kapiteln 4 und 5 des Lehrbuchs von Rosenbaum/ Pearl, Investment Banking, 3. Aufl. 68 5 Weitere Bewertungsverfahren Liegt die Finanzierungsstruktur vor, so können Cashflowrechnung, Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanzen komplettiert und verprobt werden. Schließlich sind Annahmen zu treffen über den zu erzielenden Kaufpreis beim Exit. Damit liegen dann alle Größen vor, um in einem nächsten Schritt durch Variation von Kaufpreis und Finanzierungsstruktur zu einem realistischen Szenario zu gelangen, das vernünftige Annahmen zur operativen Planung enthält, das „bankable“ ist, also hinsichtlich Finanzie‐ rungsstruktur und Finanzierungskennzahlen im grünen Bereich liegt, und das eine Mindestrendite auf das eingesetzte Eigenkapital von 25 % erwarten lässt. Auch hier sind Sensitivitätsanalysen üblich, bei denen Kauf- und Ver‐ kaufs-Multiplikatoren und der Verkaufszeitpunkt (in 3, 4, 5 Jahren) variiert werden. Am Ende wird auch hier eine Bandbreite des maximal möglichen Kaufpreises stehen. 5.2 Optionspreisbasierte Bewertungsverfahren Die optionspreisbasierten Bewertungsverfahren gehen letztlich zurück auf eine Kritik am Kapitalwertverfahren der Investitionsrechnung. Das Verfah‐ ren sei zu statisch, weil es Handlungsoptionen, die sich während der Laufzeit der Investition ergeben, vernachlässige. Es führe daher tendenziell zu einer Unterbewertung von Investitionsprojekten. Beispiel: Ein junges Unternehmen verfüge über ein Patent für eine neue Technologie zur Herstellung von In-vitro-Fleisch. Der diskontierte Barwert aller künftigen Cashflows bei einem Produktionsstart in einem Jahr betrage 150 Mio. Euro. Der erforderliche Investitionsbetrag heute bei einem Produktionsstart in einem Jahr betrage 200 Mio. Euro. Der Kapitalwert des Projekts ist demzufolge negativ, die Investition sollte nicht durchgeführt werden. Gleichwohl hat dieses Patent einen Wert - der Start der Investition muss nicht heute, sondern er kann auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen, wenn die Nachfrage nach dem Produkt signifikant gestiegen ist. Neben dieser Warteoption bei Investitionen werden im Schrifttum die Abbruchoption (für den Fall, dass die tatsächlichen Cashflows unter den erwarteten Cashflows bleiben) und die Erweiterungsoption (zum Beispiel der stufenweise Aufbau von Fertigungskapazitäten je nach Erfolg des Produkts oder der Eintritt in weitere attraktive Geschäftsfelder, der ohne 5.2 Optionspreisbasierte Bewertungsverfahren 69 die erste Investition nicht möglich ist) als wesentliche weitere Optionen genannt, die den Wert einer Investition erhöhen. Zur Bewertung dieser „realen“ Handlungsoptionen (man spricht vom „Realoptionsansatz“) wird auf Modelle zur Wertermittlung von Finanzop‐ tionen zurückgegriffen, von klassischen Kauf- und Verkaufsoptionen auf Aktien. Eine Option auf Aktien beinhaltet das Recht (nicht die Pflicht! ), innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu einem bestimmten Preis eine bestimmte Menge dieser Aktien zu erwerben oder zu veräußern. Hierfür lässt sich aus ■ aktuellem Marktpreis der Aktie, ■ der Volatilität der Aktie, ■ erwarteten Dividenden, ■ dem Ausübungspreis, ■ der Laufzeit der Option und ■ dem risikofreien Zins ein Wert ermitteln. Die Standardmodelle (Binomial- und Black-Scholes-Mo‐ dell) ermitteln den Wert der Option, indem sie aus Aktie und Anlage oder Kredit zum risikolosen Zins ein Portfolio nachbilden, das dieselben Eigenschaften hat wie die Option. Der Wert der Option entspricht dann dem Wert des Portfolios (aus der Aktie und der Anlage oder dem Kredit). Die Frage ist, ob diese Methodik auch auf das obige Beispiel angewendet werden kann. Marktpreis 150 Mio. Euro, Ausübungspreis 200 Mio. Euro, Laufzeit entspricht der des Patents, risikoloser Zins ist verfügbar, Volatilität und Dividenden können geschätzt werden, und schon lässt sich ein Opti‐ onspreis ermitteln. Verlockend. Doch mit diesem Wert bewegt man sich auf sehr dünnem Eis. Aktien werden täglich gehandelt, Kunstfleisch nicht. Eine Replikation der Option durch Basiswert und Anlage oder Kredit zum risiko‐ freien Zins unterstellt jedoch die Handelbarkeit des Basiswerts. Eine Option auf Aktien garantiert das Recht, die Aktien zu kaufen oder zu verkaufen. Was garantiert das Patent? Exklusivität auf Kunstfleisch? Vermutlich nur auf eine bestimmte Technologie zur Herstellung. Andere Technologien von Konkurrenten bieten wahrscheinlich ebenfalls Zugang zu diesem Markt. Eine Vergleichbarkeit zu Finanzoptionen und damit die Rechtfertigung, Finanz-Optionspreismodelle auf reale Optionen anzuwenden, ist unseres Erachtens in aller Regel nicht gegeben. Das Entscheidungsbaumverfahren ist hier eine alternative Möglichkeit, Handlungsoptionen bei Investitionen explizit zu berücksichtigen. 70 5 Weitere Bewertungsverfahren Der Kauf von Unternehmen lässt sich, wie schon ausgeführt, auch als Investition interpretieren. So gibt es im Schrifttum auch Ansätze zur Unter‐ nehmensbewertung mit dem Realoptionsansatz. In der Praxis hat sich dies (bislang) so gut wie gar nicht durchsetzen können. Zur Blütezeit der „New Economy“ gab es hier und da Versuche, die vermeintlich „strategischen“ Werte mit realen Optionen zu erklären und es kann auch nicht ausgeschlos‐ sen werden, dass sich dies in Zeiten hoher Bewertungen wiederholt. Bevor hier über Optionspreismodelle nachgedacht wird, sollte geprüft werden, ■ ob mit dem Unternehmenskauf (oder Unternehmensverkauf) überhaupt eine Option mit der für Optionen typischen asymmetrischen Auszah‐ lungsstruktur vorliegt, ■ worin sie genau besteht, was der Basiswert ist (Rohstoff, Medikament, Technologie), ■ ob es eine Laufzeit gibt, ■ ob exklusiver Zugang zum Basiswert garantiert ist (zahlreiche hohe Bewertungen während des Dotcom-Booms wurden mit dem Zugang zum E-Commerce begründet - wie sich herausstellte, war der indes nicht exklusiv und die Bewertungen nicht von langer Dauer), ■ ob der Basiswert an einer Börse gehandelt wird. Erst wenn diese Voraussetzungen alle gegeben sind (wir vermuten, dass die Voraussetzungen in 99 von 100 Fällen nicht erfüllt sind), macht der Einsatz von Optionspreismodellen Sinn. Praktische Relevanz dürfte hier allenfalls bei der Bewertung von Unternehmen mit exklusivem Zugang zu nicht genutzten Rohstoffvorkommen (Öl, Gas, Edelmetalle) bestehen. Auf der Webseite von Damodaran sind Excel-Spreadsheet zu finden, http: / / w ww.stern.nyu.edu/ ~adamodar/ New_Home_Page/ spreadsh.htm, die sich zur Bewertung in diesen Fällen nutzen lassen. 5.3 Asset-based Bewertungsverfahren (Substanzbewertungen) Bei Substanzbewertungen wird der Unternehmenswert nicht als Gesamt‐ wert auf der Grundlage künftiger Cashflows oder auf Basis der Bewertung vergleichbarer börsennotierter Unternehmen oder vergleichbarer Transak‐ tionen ermittelt, sondern als Summe der Werte der Vermögensgegenstände 5.3 Asset-based Bewertungsverfahren (Substanzbewertungen) 71 abzüglich der Schulden des Unternehmens. Es findet eine Einzelbewertung, keine Gesamtbewertung statt. Sie kommt in verschiedenen Varianten vor, als ■ Buchwert, gegebenenfalls mit Anpassungen, ■ Liquidationswert, ■ Wiederbeschaffungswert. Buchwerte spielen im Rahmen der Substanzwertermittlung vor allem bei der externen Rechnungslegung (Goodwillermittlung, Fair Value) eine Rolle. Auch bei Abfindungen von ausscheidenden Gesellschaftern kommen sie vor. Soll ein Unternehmen durch Verkauf der einzelnen Vermögensgegen‐ stände liquidiert oder durch Verkauf einzelner Vermögensgegenständen restrukturiert werden, so ist zu berücksichtigen, dass nicht alle Vermögens‐ gegenstände und Schulden in der normalen Jahresbilanz erfasst sein müssen (Marken, bei der Liquidation zu erstellende Sozialpläne), so dass diese unvollständig und dementsprechend zu ergänzen ist. Gelegentlich trifft man in der Praxis im Rahmen von Kaufpreisverhand‐ lungen auch auf Substanzwerte in Gestalt von Wiederbeschaffungswerten, insbesondere bei vermeintlich „schwierigen“ Bewertungsfällen, Unterneh‐ men, die hohe Verluste erwirtschaften. Zu bedenken ist, dass in aller Regel kein vernünftiger Käufer genau all diese (in ihrer Summe) verlustbringenden Assets wiederbeschaffen würde, sondern allenfalls Teile davon. 5.4 APV-Bewertung Das → Adjusted-Present-Value (APV)-Verfahren ist eine Variante der Enter‐ prise-DCF-Methode. Der Enterprise Value wird dabei in mehreren Schritten ermittelt. Der erste Schritt ist dabei regelmäßig die Ermittlung des Enterprise Value unter der Annahme, dass das Unternehmen schuldenfrei sei. Die freien Cashflows werden wie in Abschnitt 2.2.2 beschrieben ermittelt und sind dann nicht mit den gewichteten Kapitalkosten (WACC) zu diskontieren, sondern mit den zu schätzenden hypothetischen Kapitalkosten, die sich ergeben würden, wenn das Unternehmen keine zinstragenden Verbindlich‐ keiten hätte. Im Sonderfall von mit gleichbleibender Rate wachsender freier Cashflows gilt dann: 72 5 Weitere Bewertungsverfahren Enterprise Value u = Freier Cashflow 1 CC u − g mit Enterprise Value u = Enterprise Value bei unterstellter ausschließlicher Fi‐ nanzierung mit Eigenkapital CC u = Kapitalkosten bei unterstellter ausschließlicher Finan‐ zierung mit Eigenkapital Die Kapitalkosten unverschuldeter Unternehmen (CC u ) bestehen aus‐ schließlich aus deren Eigenkapitalkosten (die Gewichtung für das Fremd‐ kapital ist 0). Bei den Eigenkapitalkosten sind der risikolose Zins sowie die Marktrisikoprämie „gesetzt“, also unabhängig von der Finanzierungs‐ struktur des Unternehmens. Lediglich das Beta ändert sich, je höher die Verschuldung, desto höher das Beta und umgekehrt. Will man dieses Beta und damit die hypothetischen Eigenkapitalkosten schätzen, so kann man sich die in Abschnitt 2.2.3 dargestellten Beziehungen zwischen schulden‐ freien und verschuldeten Betas zunutze machen: b u = b aktuell 1 + 1 − t ⋅ D/ E b u = dem gesuchten Beta für das unverschuldete Unternehmen b aktuell = dem derzeitigen Beta für das Unternehmen bei gegebener Verschul‐ dung t = marginaler Steuersatz D = Marktwert des Fremdkapitals E = Marktwert des Eigenkapitals Die Grundidee beim APV-Ansatz besteht darin, den Unternehmenswert zu „zerlegen“ in einen Wert, der durch die operativen Tätigkeiten bestimmt wird, dies ist der gerade beschriebene erste Schritt, und einen sich durch „Financial Engineering“ ergebenden Wert, der in einem zweiten Schritt ermittelt wird. Zu diesem zweiten Schritt gehören ■ die Ermittlung des Barwerts künftiger, durch Fremdkapitalaufnahme verursachter Steuerersparnisse („Tax Shield“), ■ die Ermittlung des Barwerts der durch die Fremdkapitalaufnahme indu‐ zierten höheren Insolvenzkosten, 5.4 APV-Bewertung 73 ■ weitere Effekte, die durch die Wahl der Finanzierungsstruktur bedingt sind, zum Beispiel öffentliche Zuschüsse, Hedge-Konstruktionen oder Emissionskosten. In den meisten Fällen wird im zweiten Schritt jedoch ausschließlich der Bar‐ wert künftiger Steuerersparnisse berechnet. Dieses Vorgehen ist fragwürdig, da insbesondere bei hohen Verschuldungsgraden nicht davon ausgegangen werden kann, dass die erwarteten Insolvenzkosten vernachlässigbar niedrig sind. Die Steuerersparnisse resultieren daraus, dass Zinsen auf Fremdkapital im Gegensatz zu Dividenden steuerlich relevant sind, also von der Bemessungs‐ grundlage abgezogen werden können. Dies gilt in fast allen Steuerhoheiten. Und es gibt zahlreiche Sonderregelungen, denen Rechnung zu tragen ist. In Deutschland sind, wie in Abschnitt 2.2.3 erwähnt, bei der Gewerbesteuer nur 75-% der Zinsaufwendungen abzugsfähig. In Brasilien, um ein weiteres Beispiel zu nennen, gibt es neben Dividenden ein Instrument (juros sobre capital próprio), das als Zinszahlung auf das Nettoeigenkapital bezeichnet wird (und steuerlich abzugsfähig ist und damit den Steuervorteil von Fremdkapital gegenüber Eigenkapital verringert). Der Steuereffekt ergibt sich aus dem Steuersatz (in Deutschland bei Kapitalgesellschaften rund 26,5 %), den Kosten für das Fremdkapital (dem vereinbarten Zinssatz) und der Höhe der zinstragenden Verbindlichkeiten. Abgezinst werden diese jährlichen Steuerersparnisse üblicherweise mit den Fremdkapitalkosten (Risikoäquivalenz wird unterstellt; es gibt aber auch andere Ansätze). Im Sonderfall jährlich gleichbleibender und ewig erzielbarer Steuerersparnisse ergibt sich: Barwert der Steuerersparnisse = Steuersatz ⋅ Fremdkapitalkosten ⋅ Fremdkapital Fremdkapitalkosten - = Steuersatz ⋅ Fremdkapital - = t ⋅ D Wesentlich schwieriger ist die Berechnung der zu erwartenden Insolvenz‐ kosten, die sich aus der Verschuldung ergeben. Wie bereits erwähnt, wird dieser Schritt in den meisten APV-Bewertungen übersprungen. Damodaran gibt Beispiele, in denen er auf den Altman Z-Score (Insolvenzwahrschein‐ lichkeit) und grobe Schätzungen der direkten und indirekten Insolvenz‐ kosten (als Prozentsatz des Unternehmenswertes) verweist (Damodaran, 74 5 Weitere Bewertungsverfahren Investment Valuation, 3. Aufl., 398-422). Schließlich sollten Besonderheiten wie staatliche Subventionen in die Gleichung einbezogen werden. Der Unternehmenswert eines verschuldeten Unternehmens unter Verwendung des APV-Ansatzes beträgt dann: Enterprise Value =- Enterprise Value u + Barwert der Steuerersparnisse - Barwert der erwarteten Insolvenzkosten ± Sonstige Effekte Der APV-Ansatz hat seinen Reiz. Er weist die Quellen des Unternehmens‐ werts aus. Insbesondere bei planbaren absoluten Beträgen der zinstragenden Verbindlichkeiten (wie zum Beispiel bei LBO-Strukturen) zeigt er seine Stärke. Eine einfache Excel-Tabelle, aus der sich für jedes Jahr Kreditstand, Zinssatz, sich daraus ergebende Zinsbelastung, Steuersatz, sich daraus ergebender Steuervorteil und der Barwert desselben sowie die Summe der Barwerte ergeben, ist schnell erstellt. Beim Enterprise-DCF-Verfahren ar‐ beiten wir, wie in Abschnitt 2.2.3 gezeigt, mit sich aus den Marktwerten von Eigen- und Fremdkapital ergebenden Relationen und nicht mit absoluten Beträgen. Dort lassen sich auch schwankende Kreditstände durch jährlich schwankende WACC abbilden, jedoch bei weitem weniger benutzerfreund‐ lich. Dem APV-Ansatz wurde einst eine große Zukunft vorhergesagt. Die Erwartung war an manchen Stellen, dass er die Enterprise-DCF-Methode ablösen würde. Dies ist so nicht eingetreten. Der pragmatische Ansatz der Ermittlung der gewichteten Kapitalkosten hat sich bislang durchgesetzt, auch wenn er, vor allem bei schwankendem Fremdkapital, mit Unschärfen verbunden ist. 5.5 Ertragswertverfahren In Deutschland war lange Zeit das → Ertragswertverfahren der dominie‐ rende Ansatz. Danach bestimmt der künftige Ertrag den Wert des Unter‐ nehmens. Der Ertragsbegriff kann dabei weit gefasst werden und alle Zielbeiträge umfassen, die dem Bewertungssubjekt, also dem oder den Eigentümern oder einem potenziellem Erwerber, Nutzen versprechen. In der Bewertungspraxis hat man sich jedoch fast ausschließlich an den künftigen finanziellen Überschüssen orientiert und diese auf den Bewertungszeitpunkt 5.5 Ertragswertverfahren 75 abdiskontiert. Wie die DCF-Methode ist auch das Ertragswertverfahren ein Kapitalwertkalkül. Als bewertungsrelevante finanzielle Überschüsse gelten die den Eigentü‐ mern, also den Eigenkapitalgebern zustehenden Mittel. Insofern besteht Identität zwischen Ertragswertverfahren und Equity-DCF-Methode. Dieser Überschuss wird in der englischsprachigen Literatur Cashflow to Equity (CFE) oder Free Cashflow to Equity (FCFE) genannt und lässt sich wie folgt ermitteln: - Jahresüberschuss - plus Abschreibungen - minus Investitionen Investitionen in das Anlagevermögen minus (plus) Erhöhung (Verminde‐ rung) Working Capital Umlaufvermögen ohne liquide Mittel abzüglich kurzfristige Verbindlichkeiten und Rückstellun‐ gen ohne zinstragende Verbindlichkeiten plus Fremdkapitalaufnahme Darlehen, Anleihen und sonstige zinstragende Verbindlichkeiten minus Fremdkapitalrückzah‐ lung Darlehen, Anleihen und sonstige zinstragende Verbindlichkeiten - Freier Cashflow der Eigenkapitalgeber (FCFE oder CFE) - Das Ertragswertverfahren (gleich Equity-DCF-Verfahren) setzt wie das Enterprise-DCF-Verfahren eine vollständige Unternehmensanalyse wie in Abschnitt 2.2.1 beschrieben und eine darauf aufbauende integrierte Planung von Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und Cashflow voraus. Das in Abschnitt 2.2.2 beschriebene Vorgehen ist dabei zu ergänzen um eine Planung der zinstragenden Verbindlichkeiten sowie des Zinsergebnisses. Wie beim Equity-DCF-Verfahren werden auch beim Ertragswertverfah‐ ren die den Eigentümern zustehenden freien Cashflows (FCFE oder CFE) mit einem risikoäquivalenten Zinssatz diskontiert. Und wie bei der Equity-DCF- Methode ist der Ausgangspunkt der risikolose Zins, der um einen Zuschlag für das Risiko erhöht wird. Lediglich bei der Ermittlung dieses Zuschlags gab es unterschiedliche Vorgehensweisen. Inzwischen bedient man sich jedoch auch in der deutschen Bewertungspraxis des CAPM und ermittelt so die Eigenkapitalkosten, die als Diskontierungssatz dienen. Der Zuschlag zum 76 5 Weitere Bewertungsverfahren risikolosen Zins entspricht dann dem Beta mal der Marktrisikoprämie. Auf die Ausführungen in Abschnitt 2.2.3 in Unterpunkt 1 wird verwiesen. Der Ertragswert ergibt sich dann als: Ertragswert = t = 1 n FCFE t (1 + Eigenkapitalkosten) t + FCFE n ⋅ (1 + g) Eigenkapitalkosten ER − g mit Eigenkapitalkosten ER den gegebenenfalls von den Eigenkapitalkosten während des Detailplanungszeitraums abweichenden Eigenkapitalkosten für die ewige Rente. Der Enterprise Value ergibt sich dann wie folgt: Enterprise Value =-Ertragswert + Nettoverschuldung =-Ertragswert + zinstragende Verbindlichkeiten - liquide Mittel Die Ertragswertmethode oder der Equity-DCF-Ansatz findet Anwendung bei der Bewertung von Banken, Versicherungen und anderen Finanzdienst‐ leistern. Das Schema des Enterprise-DCF-Verfahrens stößt hier an seine Grenzen: Ergebnis vor Zinsen und Veränderungen Working Capital machen bei diesen Unternehmen wenig Sinn. Zinserträge und Zinsaufwendungen gehören dort zum operativen Geschäft, ebenso wie große Teile der zinstra‐ genden Verbindlichkeiten und die liquiden Mittel. Lernfragen 1. Wie unterscheiden sich APV-Verfahren und Enterprise-DCF-Methode? 2. Grenzen Sie Ertragswertverfahren und Equity-DCF-Verfahren vonein‐ ander ab. 5.5 Ertragswertverfahren 77 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Lernziele ■ Sie sollen verstehen, wie Positionen bei der Unternehmensbewer‐ tung behandelt werden, die sich nicht oder nicht eindeutig dem Eigenkapital, den zinstragenden Verbindlichkeiten, dem Working Capital oder dem betriebsnotwendigem Vermögen zuordnen lassen. ■ Neben bilanziellen existieren auch außerbilanzielle Sachverhalte, deren Behandlung bei Unternehmensbewertungen sie verstehen sollen. 6.1 Liquide Mittel Jedes Unternehmen benötigt zur Aufrechterhaltung seines Geschäftsbe‐ triebs einen Grundbestand an Liquidität. McDonalds und H&M kommen nicht ohne Kassenbestände aus. Und auch Unternehmen, die ausschließlich im B2B-Bereich tätig sind und ihren Zahlungsverkehr bargeldlos abwickeln, verfügen in aller Regel über einen zumindest minimalen Kassenbestand. In Anlehnung an die makroökonomische Terminologie der keynesianischen Geldnachfragetheorie wäre dies das Transaktionsmotiv der Bargeldhaltung. Da Zahlungsein- und -ausgänge nie perfekt synchronisiert werden kön‐ nen und um für unvorhergesehene Ereignisse gewappnet zu sein, rechnen die meisten Unternehmen eine Sicherheitsmarge zu ihrer Transaktionskasse hinzu - das Vorsichtsmotiv für das Halten liquider Mittel. Die genaue Höhe dieser Liquiditätsreserve hängt von der Geschäftstätigkeit des Unter‐ nehmens ab und variiert von Branche zu Branche und von Land zu Land. Diese beiden Teile der Liquidität rechnen wir dem Working Capital zu. Hat der Bewerter Zugang zum Management, so lässt sich aus der Analyse der Kassenbestände und der laufenden Bankkonten über einen repräsentativen Zeitraum ermitteln, welcher „Bodensatz“ erforderlich ist. Ist der Bewerter auf ausschließlich extern verfügbare Informationsquellen angewiesen, muss er ihn schätzen. In (mindestens) 9 von 10 Fällen wird hierbei in der Praxis ein Wert von 0 angesetzt, also alle liquiden Mittel als nicht betriebsnotwendig klassifiziert. Der Teil der Liquidität, der über diesen „Bodensatz“ hinaus geht, stellt einen zusätzlichen Wert für die Eigen- und Fremdkapitalgeber des Unterneh‐ mens dar. Er sollte gesondert ausgewiesen und gesondert bewertet werden. Bei Anwendung der Enterprise-DCF-Methode geschieht dies „automatisch“. Anknüpfungspunkt zur Ableitung des freien Cashflows ist der EBIT, also das Ergebnis vor Zinsen, vor Zinserträgen und Zinsaufwendungen. Künftige Zinserträge, die mit der Überschussliquidität erwirtschaftet werden, fließen also nicht in den freien Cashflow mit ein. Der Enterprise Value ist demzufolge ein Wert vor Überschussliquidität. Enterprise Value plus Liquide Mittel ergeben dann den Wert, der Eigen- und Fremdkapitalgebern zur Verfügung steht. Siehe dazu die Schaubilder in Abschnitt 2.1 (Hinweis: In einigen Lehrbüchern wird eine andere Definition verwendet. Dort versteht man unter Enterprise Value den Wert des operativen Geschäfts plus den Wert der liquiden Mittel, was aber in der Praxis gemeinhin als Firm Value bezeichnet wird.) Die Equity-DCF-Methode jedoch setzt bei der Herleitung des FCFE (CFE, freier Cashflow der Eigenkapitalgeber) beim Jahresüberschuss auf mit der Konsequenz, dass auch die mit der Überschussliquidität in Zukunft erwirtschafteten Zinsen mit in den zu diskontierenden FCFE einfließen. Das Problem besteht darin, dass beim Abdiskontieren die Eiguenkapitalkosten verwendet werden. Jetzt sind liquide Mittel normalerweise in Form von laufenden Bankguthaben, kurzfristigen Geldmarktpapieren und sonstigen kurzfristig liquidierbaren Finanzanlagen angelegt. Es handelt sich um ver‐ gleichsweise risikoarme Investitionen (auch hier sind leider Ausnahmen möglich), deren Erträge dann mit den Eigenkapitalkosten, die ja einen Risikozuschlag enthalten, abgezinst werden. Dieses Vorgehen ist inkonsistent. Es ist aus Vereinfachungsgründen dann nicht zu beanstanden, wenn - wie in vielen Fällen - die Überschussliquidität nur einen verschwindend geringen Prozentsatz der Bilanzsumme und des Unternehmenswerts ausmacht. Bei einem Unternehmen wie Apple mit mehr als 160 Mrd. „Cash and Cash Equivalents“ (beim Entstehen dieser Zeilen) geht das nicht mehr - hier sind ■ entweder die Erträge aus den liquiden Mitteln mit einem risikoange‐ passten Zinssatz (bei einem Beta von 0 zum Beispiel mit dem risikofreien Zins) zu diskontieren ■ oder der FCFE um Zinserträge zu bereinigen und die liquiden Mittel separat zu bewerten. 80 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Der aktuelle Marktwert ist Ausgangspunkt für die Bewertung der Über‐ schussliquidität. Anpassungen sind aber gegebenenfalls dann erforderlich, wenn die liquiden Mittel im Ausland gehalten werden und bei einer Rückführung ins Inland einer Besteuerung unterliegen. Dies ist bei US- Unternehmen regelmäßig ein Thema. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine kurzfristige Rückführung der Mittel mit der einhergehenden Besteuerung tatsächlich beabsichtigt ist oder ob sich die liquiden Mittel im Ausland für Investitionen nutzen lassen. 6.2 Beteiligungen, Anteile anderer Gesellschafter und sonstige gesondert zu bewertende Vermögensgegenstände Anteile an anderen Unternehmen sollten grundsätzlich separat bewertet werden. Dies gilt auch, wenn es sich um Mehrheitsanteile handelt, das Unternehmen also konsolidiert wird. Das konsolidierte Unternehmen kann eine völlig andere Risikostruktur aufweisen als das Mutterunternehmen, so dass eine konsolidierte Bewertung zu Fehleinschätzungen führen kann. Indes liegen in der Praxis nicht immer alle Informationen vor, die für eine getrennte Bewertung vonnöten sind. Oder es wird als zu aufwendig empfunden, weil die Anzahl der in den Konzernabschluss einbezogenen Unternehmen sehr groß ist. Daher ist es gang und gäbe, die Bewertung auf dem konsolidierten Ergebnis aufzubauen. Hält das Mutterunternehmen die Mehrheit, aber weniger als 100 % der Anteile am Tochterunternehmen, so wird das Unternehmen zu 100 % konsolidiert und der Tatsache, dass nicht alle Anteile dem Mutterunter‐ nehmen gehören, dadurch Rechnung getragen, dass auf der Passivseite der Konzernbilanz ein Ausgleichposten „Anteile anderer Gesellschafter“ ausgewiesen wird. In der Konzernergebnisrechnung wird der Ergebnisanteil dieser Gesellschafter ebenfalls ausgewiesen. Es handelt sich wirtschaftlich um einen Anteil an einer Tochtergesellschaft und nicht um einen Anteil am Mutterunternehmen oder am Konzern. Erfolgt die Bewertung, wie in der Praxis üblich, auf Basis des Konzerner‐ gebnisses und nicht auf Basis einer Einzelbewertung der Unternehmen, so ist dem Rechnung zu tragen. Aus 6.2 Beteiligungen, Anteile anderer Gesellschafter und sonstige Vermögensgegenstände 81 Enterprise Value = Eigenkapital + Nettoverschuldung wird dann Enterprise Value = - Wert des Eigenkapitals + Nettoverschuldung und Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value - Nettoverschuldung Bei der Bewertung der Anteile anderer Gesellschafter ist zu beachten, dass die in der Konzernbilanz ausgewiesenen Werte Buchwerte sind. Sie sind zu ersetzen durch die Anteile am tatsächlichen Wert des oder der in den Konzernabschluss einbezogenen Tochterunternehmen. Dies ist dann relativ leicht, wenn diese Unternehmen börsennotiert sind. Der Börsenkurs kann als relativ gute Approximation für den Wert der Minderheitenanteile herangezogen werden. Gibt es keine Börsennotierung, so ist für das Tochter‐ unternehmen eine eigene DCF-Bewertung vorzunehmen. Liegen die dafür benötigten Informationen nicht vor, dann sollte der Unternehmenswert mit Hilfe von Multiplikatoren (Comparable Companies Analysis oder Precedent Transactions Analysis) geschätzt werden. Als letzter Ausweg bleibt dann doch wieder der Buchwert. Und in den Fällen, in denen der Wert der Anteile anderer Gesellschafter verschwindend gering ist, mag man mit dieser Unschärfe auch leben wollen. Auch Minderheitsbeteiligungen sollten gesondert bewertet werden. Falls sie notiert sind, kann aus dem Börsenwert der Wert der Anteile hergeleitet werden. Sind sie nicht notiert, so ist nach Möglichkeit eine DCF-Bewertung vorzunehmen, ergänzend oder gegebenenfalls ersatzweise eine Bewertung auf der Basis von Multiplikatoren. Um Doppelzählungen zu vermeiden, ist das Ergebnis aus diesen Beteiligungen (Erträge und Aufwendungen aus Beteiligungen und Ergebnis aus Unternehmen, die nach der Equity-Methode 82 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals einbezogen werden) bei der Berechnung der freien Cashflows (oder des FCFE) außen vor zu lassen. Es gibt Produktionsunternehmen, die zur Absatzfinanzierung ihrer Pro‐ dukte eigene Finanzdienstleister als Tochtergesellschaften betreiben. Als Beispiel ist hier die Automobilindustrie zu nennen. Aufgrund der grundsätz‐ lich anderen Struktur der beiden Geschäftsfelder (Automobilherstellung und Absatzfinanzierung) empfiehlt sich auch hier eine getrennte Bewertung. Üblicherweise weisen die Konzernabschlüsse der Unternehmen die Aktivi‐ täten des Leistungs- und des Finanzbereichs getrennt aus und liefern somit die Grundlagen dafür. Neben Beteiligungen gibt es weitere Vermögensgegenstände, die im Rah‐ men von Unternehmensbewertungen gesondert bewertet werden. Dazu ge‐ hören zum Verkauf bestimmte Vermögensgegenstände und das so genannte nicht betriebsnotwendige Ver-mögen (Vermögensgegenstände, die ohne Beeinträchtigung des operativen Cashflows veräußert werden könnten). Beispiel ist hier das nicht genutzte Grundstück (Innenstadtlage in einer attraktiven Großstadt). Hier erfolgt der Ansatz mit dem voraussichtlichen Veräußerungserlös. Ist die Veräußerung nicht sofort, sondern erst in einigen Jahren möglich, so ist er abzuzinsen. Steuereffekte, die aus einer Veräuße‐ rung resultieren, sind zu berücksichtigen. Ebenso Verbindlichkeiten, die mit dem nicht betriebsnotwendigen Vermögen zusammenhängen. Die Ergeb‐ nisse aus dem gesondert bewerteten Vermögen (und gegebenenfalls damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten) sind bei der Herleitung der freien Cashflows zu eliminieren (Vermeidung von Doppelzählungen). Aus - Enterprise Value = - Wert des Eigenkapitals + liquide Mittel + zinstragende Verbindlichkeiten oben in den Schaubildern in Abschnitt 2.1 wird jetzt - Enterprise Value (operatives Geschäft) = - Wert des Eigenkapitals + liquide Mittel + zinstragende Verbindlichkeiten + Wert gesondert bewerteter Vermögensgegenstände + Anteile anderer Gesellschafter 6.2 Beteiligungen, Anteile anderer Gesellschafter und sonstige Vermögensgegenstände 83 oder Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value (operatives Ge‐ schäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Ver-mö‐ gensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten - Anteile anderer Gesellschafter 6.3 Pensionszusagen und Rückstellungen Künftige Verpflichtungen aus Pensionszusagen können einen erheblichen Anteil an der Bilanzsumme des zu bewertenden Unternehmens ausmachen. Für die Unternehmensbewertung relevant sind in erster Linie Leistungs‐ zusagen des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern (so genannte Defined Benefits). Diese Zusagen können durch den Aufbau eines eigenen Planvermögens oder durch Versicherungen „gedeckt“ sein. Dabei sind fol‐ gende Fallkonstellationen möglich: ■ Das Planvermögen ist höher als der Wert der künftigen Verpflichtungen. Es liegt eine Überdeckung vor. ■ Das Planvermögen entspricht dem Wert der künftigen Verpflichtungen. Die Pensionen sind voll gedeckt. ■ Das Planvermögen ist geringer als der Wert der künftigen Verpflichtun‐ gen. Es liegt eine Unterdeckung vor ■ Es gibt überhaupt gar kein Planvermögen. Die künftigen Verpflichtun‐ gen sind ungedeckt. International ist es überwiegend gebräuchlich, für Pensionszusagen einen separaten Kapitalstock, ein eigenes Planvermögen aufzubauen. Es sind überdeckte, gedeckte und unterdeckte, nur selten vollkommen ungedeckte Pensionen anzutreffen. In Deutschland wurde lange Zeit kein Planvermögen in den Unternehmen für die Pensionsverpflichtungen aufgebaut. Es wurde unterstellt, dass der Rückfluss aus dieser Innenfinanzierung ausreichend sei, um im Leistungsfall für die notwendige Liquidität zu sorgen. Erst in 84 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals den letzten Jahrzehnten wurde langsam mit dem Aufbau gesonderter, vom operativen Vermögen getrennter Planvermögen begonnen. Bei den DAX- Unternehmen sind inzwischen (Ende 2023) etwa 80-% der Pensionszusagen durch Planvermögen gedeckt (anders ausgedrückt: 20 % der Pensionszusa‐ gen sind ungedeckt). Bundesweit dürfte der Deckungsgrad deutlich unter denen der DAX-Konzerne liegen, so dass bei der Bewertung von Unterneh‐ men mit Pensionszusagen in Deutschland in aller Regel von einer deutlichen Unterdeckung auszugehen ist. Zur Ermittlung des Ausmaßes der Unterdeckung ist ein ausführliches versicherungsmathematisches Gutachten erforderlich. Bei den DAX-Un‐ ternehmen werden die Annahmen, die hinsichtlich Sterbetafeln, Diskon‐ tierungszinssatz, erwartete Steigerungsraten bei Gehalt und bei Renten sowie erwartete Rendite des Planvermögens (soweit vorhanden) in den Jahresabschlüssen veröffentlicht. Ebenso werden in begrenztem Umfang Auswirkungen bei Änderungen einzelner Input-Variablen angegeben. Bei nicht notierten Unternehmen ist in aller Regel Input vom Management erforderlich, um zu einer belastbaren Bewertung der Pensionen zu kommen. Der Bilanzausweis bietet aufgrund von bestehenden handelsrechtlichen Übergangsregelungen oft nur einen groben Anhaltswert. Liegt insgesamt eine Überdeckung vor, so liegt es nahe, diese gesondert zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. Jedoch ist zu prüfen, ob ein Zugriff auf diese Mittel rechtlich überhaupt möglich wäre. Außerdem sind steuer‐ liche Auswirkungen zu berücksichtigen. In manchen Steuerhoheiten sind hohe Steuersätze vorgesehen, wenn auf das Planvermögen zugegriffen wird. Eine Unterdeckung ist wirtschaftlich betrachtet der versicherungsma‐ thematische Barwert künftiger Cash-Outflows aus den eingegangenen Pensionsverpflichtungen. Man kann die Unterdeckung behandeln wie zins‐ tragende Verbindlichkeiten und sie als weitere Komponente neben den Ei‐ genkapitalkosten und den Fremdkapitalkosten bei der Ermittlung der WACC berücksichtigen. Eine andere Möglichkeit, die wir bevorzugen, besteht darin, sie als fremdkapitalähnliche Position vom Enterprise Value abzuziehen, um zum Eigenkapitalwert zu gelangen. Die Berechnung der Unterdeckung sollte nach Steuern erfolgen. Aber Achtung: Immer dann, wenn durch die Beseitigung der Unterdeckung keine Steuerersparnis entsteht, ist die Berechnung vor Steuern gleich der Berechnung nach Steuern. Es ergibt sich dann folgende Beziehung zwischen Enterprise Value und Eigenkapitalwert: 6.3 Pensionszusagen und Rückstellungen 85 Enterprise Value (operatives Geschäft) = Wert des Eigenkapitals + liquide Mittel + zinstragende Verbindlichkeiten + Wert gesondert bewerteter Ver‐ mögensgegenstände + Anteile anderer Gesellschafter + Unterdeckung Pensionszusagen Oder: Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value (operatives Geschäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Ver-mö‐ gensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten - Anteile anderer Gesellschafter - Unterdeckung Pensionszusagen Zu beachten ist, dass bei den Korrekturrechnungen keine Doppelerfassun‐ gen vorgenommen werden. Im freien Cashflow sollte, wenn der Eigenka‐ pitalwert nach der obigen Gleichung abgeleitet wird, lediglich der Dienst‐ zeitaufwand (Service Cost) berücksichtigt werden, nicht der Zinsaufwand (Interest Cost) und andere Positionen wie versicherungsmathematische Gewinne und Verluste. Neben den Pensionsrückstellungen gibt es auf der Passivseite der Bilanz weitere Positionen, die sich weder den zinstragenden Verbindlichkeiten noch dem Working Capital zuordnen lassen. Als Beispiel seien hier ein‐ malige Rückstellungen für Restrukturierungsaufwendungen genannt oder Rückstellungen für Prozessrisiken. Hierfür sollten, gegebenenfalls unter Be‐ rücksichtigung von Eintrittswahrscheinlichkeiten, Nach-Steuer-Barwerte ermittelt und diese als fremdkapitalähnliche Positionen vom Enterprise Value abgezogen werden, um zum Eigenkapitalwert zu gelangen. Latente Steuern sind daraufhin zu analysieren, ob sie zum operativen oder zum nichtoperativen Bereich gehören, wann sie voraussichtlich fällig werden und dann gegebenenfalls vom Enterprise Value abzuziehen. Steuer‐ liche Verlustvorträge stellen einen gesondert zu bewertenden Vermögens‐ 86 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals gegenstand dar und sind zum Enterprise Value hinzuzuaddieren. Die obige Gleichung wird um eine weitere Position reicher: - - = - Wert des Eigenkapitals - Enterprise Value (operatives Geschäft) + zinstragende Verbindlichkeiten + liquide Mittel + Anteile anderer Gesellschafter + Wert gesondert bewerteter Ver‐ mögensgegenstände + Unterdeckung Pensionszusagen + sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen Oder: Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value (operatives Geschäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Ver-mö‐ gensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten - Anteile anderer Gesellschafter - Unterdeckung Pensionszusagen sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen 6.4 Außerbilanzielle Finanzierungsformen Seit dem Inkrafttreten von IFRS 16 sind Leasingverbindlichkeiten (endlich) in der Bilanz zu finden. Für Unternehmen, die nicht nach IFRS oder US GAAP bilanzieren und ihre Leasingverbindlichkeiten nur im Anhang angeben, ist wie folgt vorzugehen. ■ Der Barwert der Leasingverpflichtungen ist zu schätzen und in der angepassten Bilanz als Verbindlichkeit auszuweisen. 6.4 Außerbilanzielle Finanzierungsformen 87 ■ Der Wert des Rechts, den Vermögenswert zu nutzen, ist zu schätzen und als ein Vermögenswert in der angepassten Bilanz zu erfassen. ■ Die Leasingzahlungen, die das Betriebsergebnis gemindert haben, müs‐ sen durch die Abschreibung des Vermögenswertes ersetzt werden, was in der Regel zu einem höheren Betriebsergebnis führt. Die für die Durchführung der oben genannten Schritte erforderlichen Infor‐ mationen sind in den Erläuterungen zum Jahresabschluss enthalten. Für die Berechnungen steht auf der Website von Damodaran ein benutzerfreund‐ liches Excel-Tool zur Verfügung (siehe http: / / people.stern.nyu.edu/ adamo‐ dar/ New_Home_Page/ spreadsh.htm, Datei oplease.xls; siehe auch den Web‐ cast, in dem die Einzelheiten zur Verwendung der Excel-Datei erläutert werden). Wenn das Verhältnis zwischen Eigenkapital und zinstragenden Verbindlichkeiten nicht stimmt, führt auch die Berechnung der gewichteten durchschnittlichen Kapitalkosten (WACC) zu falschen Ergebnissen. Der geschätzte Barwert der künftigen Leasingverpflichtungen erhöht die zinstragenden Verbindlichkeiten und wird bei der Berechnung des Eigenka‐ pitalwertes vom Enterprise Value abgezogen. Dasselbe gilt für vergleichbare außerbilanzielle Finanzierungsformen wie zum Beispiel das Factoring. Auch hier sollten die verkauften Forderungen aus Lieferungen und Leistungen wieder dem Working Capital zugerech‐ net werden und in gleicher Höhe die zinstragenden Verbindlichkeiten erhöht werden. Der Abschlag ist als Zinsaufwand zu interpretieren. Bei der Enterprise-DCF-Methode, die den freien Cashflow vor allen Zinsen ermittelt, spielt er keine Rolle. Bei der Enterprise-DCF-Methode ist er bei der Ermittlung des FCFE (CFE) zum Jahresüberschuss hinzuzuaddieren. Aus den obigen Beziehungen wird: - - = - Wert des Eigenkapitals - Enterprise Value (operatives Geschäft) + zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) + liquide Mittel + Anteile anderer Gesellschafter + Wert gesondert bewerteter Ver‐ mögensgegenstände + Unterdeckung Pensionszusagen + sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen 88 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals und: Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value (operatives Geschäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Ver-mö‐ gensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) - Anteile anderer Gesellschafter - Unterdeckung Pensionszusagen sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen 6.5 Aktienoptionen, Wandel- und Optionsanleihen Viele börsennotierte Unternehmen gewähren ihrem Management Aktien‐ optionen als Bestandteil der Vergütung. Diese Optionen beinhalten das Recht, innerhalb eines bestimmten Zeitraums Aktien des Unternehmens zu einem festgelegten Preis zu erwerben. Diese Optionen beeinträchtigen den Enterprise Value nicht, wohl aber den Eigenkapitalwert. Ausgeübt werden die Optionen nur, wenn der Aktienkurs über dem Bezugspreis liegt. In Höhe der Differenz erzielt der Ausübende einen Gewinn - er erwirbt beispielsweise zu einem Preis von 20 Euro eine Aktie, die für 25 Euro gehandelt wird. Gibt das Unternehmen dafür neue Aktien aus, dann kommt es zu einer Kapitalverwässerung. Der Anteil der Altaktionäre am Unternehmen sinkt, dem Marktpreis von 25 Euro steht nur ein Erlös von 20 Euro gegenüber. Das Unternehmen könnte die Aktien stattdessen auch am Markt kaufen, müsste indes 25 Euro aufwenden, erhält aber nur 20 Euro. Dies reduziert den Cashflow an die Eigenkapitalgeber. Und damit den Eigenkapitalwert. Es gibt in der Praxis verschiedene Methoden zur Berücksichtigung dieses Effekts. Immer noch weit verbreitet, weil einfach, ist die Treasury-Stock- Methode. Bei diesem Verfahren werden nur Optionen berücksichtigt, die „im Geld“ (in-the-money) sind, bei denen der Bezugs- oder Ausübungspreis 6.5 Aktienoptionen, Wandel- und Optionsanleihen 89 unter dem aktuellen Kurs liegt. Im obigen Beispiel, Bezugspreis 20 Euro und aktueller Kurs 25 Euro, wäre dies der Fall. Optionen, die „aus dem Geld“ sind (out-of-the-money), werden nicht berücksichtigt. Im nächsten Schritt wird unterstellt, dass alle Optionen sofort ausgeübt werden. In Höhe des Bezugspreises je Aktie mal der Anzahl der ausgeübten Optionen fließen dem Unternehmen liquide Mittel zu. Angenommen, im obigen Beispiel liegen 100 Optionen vor. Werden diese ausgeübt, so fließen dem Unternehmen 100 mal 20 Euro, insgesamt also 2.000 Euro zu. Im Gegenzug erhöht sich das Aktienkapital um 100 ausstehende Aktien. Der Mittelzufluss beim Unternehmen wird dazu verwendet, am Markt Aktien des eigenen Unternehmens zu erwerben. In unserem Beispiel würde dies bedeuten, dass wir für 2.000 Euro eigene Aktien kaufen. Bei einem aktuellen Kurs von 25 Euro je Aktie wären dies 80 Aktien. Als Ergebnis der gesamten Transaktion hätte das Unternehmen dann genau 20 Aktien mehr: 100 durch die Optionsausübung minus 80 aus der Verwendung der dabei zugeflossenen Mittel für den Rückkauf eigener Aktien. Addiert man diese 20 Aktien zu den ausstehenden Aktien von angenommen 10.000 Aktien hinzu, so erhält man mit 10.020 Aktien die Anzahl der ausstehenden Aktien auf voll verwässerter Basis (fully diluted outstanding shares). Setzt man nun Anzahl der ausstehenden Aktien, Anzahl der ausstehenden Aktien auf voll verwässerter Basis und Eigenkapitalwert ins Verhältnis, so erhält man den Wert der Optionen. Angenommen, der Eigenkapitalwert betrage 250.000 Euro. (Dies entspricht hier dem Marktwert von 10.000 Aktien mal dem aktuellen Kurs von 25 Euro; maßgebend ist aber der ermittelte Eigenkapitalwert, der höher oder niedriger als der Marktwert sein kann.) Teilt man die 250.000 Euro durch 10.020 und nimmt diesen Wert mit 10.000-mal, so ergibt sich ein Betrag von 249.501 Euro. Zieht man diesen Betrag von den 250.000 Euro Eigenkapitalwert ab, so ergibt sich der Wert der Optionen, hier 499 Euro, also 4.99 Euro je Option. Die 250.000 Euro Eigenkapitalwert werden also aufgeteilt in einen Betrag von 249.501 Euro, der auf die derzeitigen Anteilseigner entfällt und einen Betrag von 499 Euro, der auf die Optionen entfällt. 90 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals Es gilt: Wert der Optionen nach der Treasury−Stock − Methode = Wert des Eigenkapitals − Wert des Eigenkapitals Anzahl Aktien verwässert ⋅ Anzahl Aktien mit Anzahl Aktien verwässert = Anzahl Optionen im Geld − Bezugspreis ⋅ Anzahl Optionen im Geld aktueller Aktienkurs + Anzahl Aktien Alternativ lassen sich Optionswerte auch mit den gängigen Optionspreis‐ modellen (Black Scholes oder Cox Ross Rubinstein) ermitteln. Üblicherweise sind diese Berechnungen auch im Anhang der Jahresabschlüsse der Un‐ ternehmen zu finden. Im Internet gibt es zahlreiche Tools (einfach nach Black Scholes calulator oder Cox Russ Rubinstein calculator suchen), mit denen eigene Analysen vorgenommen werden können. Der Vorteil der Optionspreismodelle besteht darin, dass sie die Laufzeit der Optionen mit ins Kalkül einbeziehen und nicht eine sofortige Ausübung unterstellen. Ist die Gewährung von Aktienoptionen an das Management beim zu bewer‐ tenden Unternehmen „ständige Übung“, so reicht es nicht aus, lediglich die bestehenden Optionen zu bewerten. Es sind darüber hinaus auch die Optionen ins Kalkül einzubeziehen, die in Zukunft voraussichtlich noch gewährt werden. Hat der Bewerter Zugang zum Management, so lassen sich hier in aller Regel belastbare Informationen zusammenstellen. Ist das nicht der Fall, so wird man sich mit groben Schätzungen (zum Beispiel auf der Grundlage historischer Relationen von Umsatz oder EBIT und gewährten Optionen) behelfen müssen. Neben Aktienoptionen des Managements können auch Wandel- und Op‐ tionsanleihen den Eigenkapitalwert mindern, da auch sie zu einer Verwässerung der Anteile der Altaktionäre führen, wenn sie ausgeübt werden. Im Gegensatz zu den Managementoptionen werden Wandel- und Optionsanleihen jedoch an der Börse gehandelt. Der aktuelle Marktpreis ist, wenn der ermittelte Wert des Eigenkapitals nicht stark vom Marktwert des Eigenkapitals abweicht, eine hinreichend gute Approximation. Alternativ lassen sich auch hier mit Hilfe von Optionspreismodellen Werte ermitteln. Schließlich kann man hier ähnlich der Treasury-Stock-Methode bei der Bewertung von Aktienoptionen verfahren und 6.5 Aktienoptionen, Wandel- und Optionsanleihen 91 die Wandel- und Optionsanleihen, die „im Geld“ sind, für die Bewertung als umgewandelt betrachten (sogenannte „If-Converted-Methode“). Summa summarum haben wir jetzt folgende Beziehungen: - - = - Wert des Eigenkapitals - Enterprise Value (operatives Geschäft) + zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) + liquide Mittel + Anteile anderer Gesellschafter + Wert gesondert bewerteter Ver‐ mögensgegenstände + Unterdeckung Pensionszusagen + sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen + Optionswerte und: Wert des Eigenkapitals = - Enterprise Value (operatives Geschäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Ver-mö‐ gensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) - Anteile anderer Gesellschafter - Unterdeckung Pensionszusagen sonstige fremdkapitalähnliche Posi‐ tionen - Optionswerte Lernfragen 1. Worin besteht der grundlegende Unterschied zwischen der Treasury- Stock-Methode und den Optionspreismodellen bei der Ermittlung des Wertes von Aktienoptionen? 92 6 Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals 2. Diskutieren Sie die Behandlung überschüssiger liquider Mittel bei der Enterprise-DCF-Methode und der Equity-DCF-Methode. 6.5 Aktienoptionen, Wandel- und Optionsanleihen 93 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern, Zielsetzungen von und Spielräumen bei Unternehmensbewertungen Lüge, Meineid, Statistik, Unternehmensbewertung (Unbekannt) Lernziele ■ Unternehmensbewertungen werden nicht um ihrer selbst willen vorgenommen. Sie sollen versuchen, ein Gespür dafür zu entwi‐ ckeln, was Auftraggeber von Unternehmensbewertungen und Be‐ werter mit Unternehmensbewertungen bezwecken. ■ Sie sollen ein Gefühl dafür bekommen, welche Spielräume es bei Un‐ ternehmensbewertungen gibt und wie diese zielgerecht ausgenutzt werden könnten. Folgende Charakteristika zeichnen die Unternehmensbewertung aus: ■ Sie ist zukunftsgerichtet. ■ Das Bewertungsobjekt ist in aller Regel auf unbestimmte Zeit angelegt. Insofern beträgt der Planungszeitraum hier nicht wie bei anderen Investitionen nur einige Jahre, sondern er ist unendlich. ■ Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung ist in aller Regel hoch. ■ Es existiert zwar eine „common business practice“, in einigen Berufs‐ ständen gibt es Standards (bei den deutschen Wirtschaftsprüfern etwa den IdW S1), jedoch lassen sich zu vielen Einzelfragen unterschiedliche Vorgehensweisen, Auffassungen und Meinungen zwischen Theorie und Praxis, zwischen Praktikern untereinander und auch innerhalb der Unternehmensbewertungstheorie feststellen. ■ Die Personen oder Organisationen, die Unternehmensbewertungen durchführen (in dem Sinne, dass sie den Wert ermitteln), sind selten identisch mit den Prinzipalen, die den Auftrag hierzu erteilen und die am Ende die Verantwortung für die Aktionen tragen, die auf der Grundlage der Bewertungen erfolgen oder unterbleiben. Ausnahmen sind hier die professionellen Investoren (Private Equity, Warren Buffet, Carl Icahn und vergleichbare - einige greifen aber neben den eigenen Analysen auch auf externe Bewertungen zurück). ■ Für Unternehmensbewertungen existieren Angebot und Nachfrage. Es gibt einen Markt dafür. Und der ist von einer durchaus hohen Wettbewerbsintensität gekenn-zeichnet. Aus diesen Faktoren resultiert ein interessantes Spannungsfeld. Und eine gedankliche Auseinandersetzung damit lohnt sich. Sie ist genau so wichtig wie das Studium der in den letzten Abschnitten beschriebenen Methoden der Unternehmensbewertung. Die Beantwortung der Fragen ■ „Wer ist der Auftraggeber? “, ■ „Was ist seine Intention? “ ■ „Wer hat die Bewertung durchgeführt? “ ■ „Was hat er/ sie/ die Organisation dafür erhalten? “ lässt in aller Regel gute Rückschlüsse auf das Ergebnis der Bewertung zu. Ehrfurcht vor klangvollen Namen, Titeln, komplizierten Formeln, um‐ fangreichen Excel-Dateien und perfekt aussehenden Schaubildern ist nicht angezeigt. Insbesondere dann nicht, wenn es sich um „Gutachten“ handelt und/ oder Vokabeln wie „objektiv“, „objektiviert“, „theoretisch fundiert“, „praktische Übung“ etc. Verwendung finden. 7.1 Auftraggeber und ihre Zielsetzungen Auftrageber von Unternehmensbewertungen sind zum Beispiel CEOs, CFOs, Leiter von Geschäftsfeldeinheiten und andere Mitglieder des Top Managements. Erfolgt die Bewertung im Zusammenhang mit einer geplan‐ ten Übernahme eines anderen Unternehmens, können die Zielsetzungen einer Unternehmensbewertung recht vielfältig sein. ■ Zunächst geht es darum, nicht zuletzt im Sinne der Anteilseigner zu überprüfen, ob mit der geplanten Akquisition Wert geschaffen, der eigene Unternehmenswert gesteigert wird, ob das Investitionsobjekt „Akquisition“ einen positiven Kapitalwert hat, ob die Mittel dort optimal angelegt sind oder ob es bessere Investitionsalternativen gibt. Auf diese Fragestellungen konzentriert sich auch der überwiegende Teil der betriebswirtschaftlichen Fachliteratur. 96 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen ■ Darüber hinaus geht es aber auch um „Macht“. Ein Zukauf (ebenso ein unterbliebener oder verhinderter) stärkt in aller Regel die Position einzelner Mitglieder des Top Managements und schwächt die anderer, da sie zu Veränderungen der Relationen in den Verantwortungsbereichen führt. Man spricht zwar vom „Management Team“ - indes ist dies oft ein Widerspruch in sich. Macht kann sich auch beziehen auf eine stär‐ kere Position am Markt, den Zugriff auf eine neue Technologie, einen neuen Vertriebskanal oder einen neuen geografischen Absatzmarkt. Die Entscheidung über den Zukauf (oder die Verhinderung desselben) ist im Kopf oft schon gefallen. Die Bewertung dient dann als Mittel zur Durchsetzung von Interessen. Liegen dann zum Akquisitionsob‐ jekt Marktpreise oder vermeintliche Marktpreise vor, so kommt es oft zu einem von Damodaran als „Value first - valuation to follow“ beschriebenen Vorgehen (Damodaran, Investment Valuation, 3. Aufl., 2). Das Ergebnis der zu erstellenden Unternehmensbewertung wird gleich mitgeliefert („schauen Sie doch bitte einmal, ob sich ein Preis von X für uns rechnet“). ■ Absicherung ist eine weitere Zielsetzung. Es ist bekannt, dass mehr Unternehmensakquisitionen scheitern als gelingen (scheitern in dem Sinne, dass sie die Erwartungen nicht erfüllen). Für den Fall der Fälle macht sich eine Bewertung, idealerweise ein Gutachten, das den gezahl‐ ten Kaufpreis als „marktkonform“, „angemessen“, „fair“ oder ähnlich beurteilt, ganz gut im Panzerschrank. Den Stuhl wird es vermutlich nicht retten, aber die Furcht vor Schadenersatzprozessen reduzieren. ■ Last but not least mag es für Verhandlungszwecke erforderlich sein, Bewertungen zu erstellen. Das gilt insbesondere bei exklusiven Ver‐ handlungen, bei denen der Verkäufer nur mit einem (oder ganz wenigen) Interessenten spricht. Aber auch bei Auktionen wird in aller Regel erwartet, dass die bietenden Parteien ihre Angebote mit Bewertungen unterlegen, aus denen die Annahmen für die Gegenseite erkennbar sind. Die obigen Überlegungen lassen sich mehr oder weniger analog auch auf Desinvestitionen von Unternehmen oder Unternehmensteilen übertragen. Zusätzlich kommt hier gegebenenfalls die Erstellung einer Fairness Opinion ins Spiel, mit der die eigenen Aktionäre davon überzeugt werden sollen, dass der ausgehandelte Verkaufspreis „fair“ ist. Auch hier dient die Bewertung 7.1 Auftraggeber und ihre Zielsetzungen 97 letztlich der Durchsetzung von Interessen. Dasselbe gilt für Bewertungen im Rahmen von Impairment Tests. Im Verkaufsfall sind neben dem Top Management auch im Unternehmen tätige und nicht im Unternehmen tätige Eigentümer mögliche Auftraggeber von Unternehmensbewertungen. Auch hier mag es um die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit eines Verkaufs gehen oder die Ermittlung eines Preises, ab dem der Verkauf wirtschaftlich vorteilhaft ist. Jedoch gibt es auch viele Fälle, vor allem bei kleineren eigentümergeführten Unternehmen, bei denen die Entscheidung über den Verkauf im Kopf schon gefällt ist (Unternehmenssi‐ tuation, Alter des Eigentümers oder andere Gründe), bevor überhaupt eine Bewertung vorgenommen wird. Also nicht „Value first - valuation to fol‐ low“, sondern „Decision first, valuation to follow“. In solchen Fällen werden die Auftraggeber den Bewertern, die ihrem Unternehmen einen hohen Wert bescheinigen, eine besonders hohe Sympathie entgegenbringen. Dasselbe gilt auch in den Fällen, bei denen ein Verkauf gar nicht ernsthaft beabsichtigt ist, sondern die Bewertung nur eigenen Informationsbedürfnissen (oder der Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins) dient. Investmentbanken lassen durch ihre Analysten Bewertungen von bör‐ sennotierten Unternehmen erstellen. Sie haben Interesse an einem guten Aktienresearch als Grundlage für weitere Geschäfte. Gerichte und an gerichtlichen Auseinandersetzungen beteiligte Parteien geben Unternehmensbewertungen in Auftrag. Bei Letzteren steht ebenfalls die Durchsetzung eigener Interessen im Vordergrund der Auftragserteilung. Die vorangegangenen Ausführungen stellen gewiss nur einen Ausschnitt dar aus den vielfältigen Kombinationen von möglichen Auftraggebern und deren Hintergründen. Wir wollen damit unsere Studierenden dafür sensibilisieren, dass in der Praxis Unternehmensbewertungen oft nicht der Ermittlung wahrer, fairer, objektiver, objektivierter oder marktüblicher Werte dienen, sondern - auch wenn empirische Erhebungen zu anderen Ergebnissen kommen mögen, meist Instrumente zur Durchsetzung von Interessen sind. 7.2 Bewerter und ihre Zielsetzungen Bewerter können Mitarbeiter des Top Managements sein, direkte oder solche in Fachabteilungen, oder externe Berater oder Experten. Wirtschafts‐ prüfer führen zahlreiche Unternehmensbewertungen durch, ebenso Invest‐ 98 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen mentbanken, M&A-Berater und andere Unternehmensberater. Teilweise werden diese Bewertungen oder Teile daraus oder die Ergebnisse öffentlich (zum Beispiel beim Squeeze-out). Der überwiegende Teil wird indes der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht. Die externen Berater können in manchen Fallkonstellationen von Gerichten bestellt werden. Beim Brot-und- Butter-Bewertungsgeschäft jedoch erfolgt die Auftragserteilung durch das Management oder den oder die Eigentümer. Zwischen Auftraggeber und Bewerter besteht demzufolge ein mehr oder weniger stark ausgeprägtes Abhängigkeitsverhältnis. Einer bezahlt, der andere liefert. Belohnungs-Bestrafungsmechanismen sind anzutref‐ fen. Lieferst du, was ich erwarte, belohne ich dich. Aber auch nur dann. Wenn dann von Seiten des Auftraggebers noch eine Zahl in den Raum gestellt wird, so kann dies zu einer Ankerheuristik beim Bewer‐ ter führen (zur Ankerheuristik siehe die Arbeiten von Kahnemann und Tversky; zur Anwendung auf die hier relevanten Themen siehe die Ex‐ perimente von Kaustia/ Alho/ Puttonen, http: / / onlinelibrary.wiley.com/ doi/ 10.1111/ j.1755-053X.2008.00018.x/ full). Auch existierende Marktpreise kön‐ nen als derartige Anker fungieren, als selbsterfüllende Prophezeiungen. Weicht die Bewertung vom gesetzten Anker ab, wird so lange nach ver‐ meintlichen Ursachen gesucht und die Bewertung angepasst, bis man dem Anker hinreichend nahegekommen ist. Obwohl derjenige, der den Anker gesetzt hat, möglicherweise keine besseren Informationen hat als der Bewerter. Marktgerüchte oder vermeintliche Angebote anderer am zu bewertenden Unternehmen interessierter Parteien können auch als Anker dienen. Analysten bewerten Aktien, um über- oder unterbewertete Titel zu finden und Kauf- oder Verkaufsempfehlungen zu geben. Verkaufsemp‐ fehlungen werden aber möglicherweise bei den Kollegen in anderen Bereichen der Bank, die mit diesen Unternehmen in Geschäftsverbindung stehen, nicht gerne gesehen. Insgesamt übersteigt die Anzahl der Kauf‐ empfehlungen die der Verkaufsempfehlungen. Dies kann ebenfalls als Indikator für ein Vorliegen eines Belohnungs-Bestrafungsmechanismus gewertet werden. Auch ein Blick auf die Vergütungsstruktur des die Bewertung Vornehm‐ enden hilft bei der Interpretation der Ergebnisse der Unternehmensbewer‐ tung. Bei Investmentbanken ist die Bewertung, von Fairness Opinions, die aber nur einen geringen Anteil am Gesamtvolumen haben einmal abgesehen, ein Nebenprodukt. Lädt ein Eigentümer, der sein Unternehmen 7.2 Bewerter und ihre Zielsetzungen 99 zu verkaufen beabsichtigt, mehrere Investmentbanken und M&A-Berater zu einer so genannten Pitch-Präsentation (Wettbewerb um die Mandatsver‐ gabe) ein, so wird jeder der Eingeladenen auf der Grundlage der verfügbaren Informationen eine umfangreiche Bewertung erstellen. Wie oben ausgeführt, haben Verkäufer die menschlich durchaus nach‐ zuvollziehende Tendenz, den Beratern, die ihnen einen hohen Wert vor‐ rechnen, mehr Sympathie entgegenzubringen als denjenigen, die mögliche Schwierigkeiten beim Verkauf in den Vordergrund stellen. Das führt dann zu einem ähnlichen Vorgehensweise wie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge: Derjenige, der sich am meisten verrechnet (hier nach oben, bei öffentlichen Aufträgen nach unten), erhält den Auftrag. Eigentlich kein Wunder, warum in Deutschland kein großer öffentlich ausgeschriebener Bauauftrag im Zeit- und Kostenrahmen bleibt - alle Gewerke wurden an die jeweils billigsten Anbieter vergeben. Und es ist auch kein Wunder, wenn so viele Verkaufsprozesse im ersten Anlauf scheitern - dieses Scheitern ist oft erforderlich, um die durch die Pitch-Bewertungen nach oben gepushten Verkaufspreiserwartungen wieder auf ein realistisches Maß zu bringen. Bei Kaufmandaten wird der größte Teil, nicht selten das gesamte Honorar erst fällig, wenn es überhaupt zu einer Transaktion kommt. Auch hier darf man nicht davon ausgehen, dass der M&A-Berater oder Investmentbanker eine „zaghafte“ Unternehmensbewertung vorlegen wird. Bei den übrigen Beratern, die ihre Bewertungen auf Stunden- oder Festpreisbasis erstellen, wird am Ende des Tages keiner dafür „belohnt“, „gute“ Bewertungen anzufertigen (das wird einfach als gegeben unterstellt), sondern dafür, möglichst viele Bewertungen und/ oder viele Stunden zu verkaufen. Wiederholgeschäft und Weiterempfehlungen sind hier die Er‐ folgstreiber. Insgesamt halten wir folgende Annahmen wir realistisch: 1. Auftraggeber von Unternehmensbewertungen nutzen diese in erster Linie zur Durchsetzung von eigenen Interessen. 2. Die Personen oder Organisationen, die diese Bewertungen durchführen, profitieren in aller Regel davon, wenn die von ihnen ermittelten Unter‐ nehmenswerte den Auftraggebern konvenieren. 3. Die Bewerter kennen ihren Vergütungsmechanismus und richten ihr Handeln daran aus. 100 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen 7.3 Spielräume Im Folgenden geben wir, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, einen kleinen Auszug aus dem Instrumentenkasten zur Manipulation des Ergebnisses von Unternehmensbewertungen. Der Bewerter wird dabei den Einsatz der Instrumente davon abhängig machen, wer Empfänger und was die Zielsetzung der Bewertung sein wird. Bei Squeeze-out-Bewertungen ist der Einsatz limitierter als bei Kaufpreisverhandlungen zwischen zwei Parteien, die hinsichtlich ihrer Entscheidung frei sind, also bei denen keiner kaufen oder verkaufen muss. Dass es aber auch bei Squeeze-out-Bewertungen unterschiedliche Vorgehensweisen in der Praxis gibt, lässt sich hier nachle‐ sen: https: / / www.i-advise.de/ wp-content/ uploads/ 2023/ 07/ I-ADVISE-Studi e-Bewertungspraxis-9.-Auflage.pdf 7.3.1 Spielräume bei DCF-Verfahren Rufen wir uns zunächst die Formel für die Ermittlung des Enterprise Value in Erinnerung: Enterprise Value = n = 1 t Freier Cashflow n (1 + WACC) n + Freier Cashflow t ⋅ (1 + g) WACC−g (1 + WACC) t Diskontierte freie Cashflows in der Detailplanungsphase Diskontierter Terminal Value Von oben nach unten und links nach rechts ergeben sich folgende Ansatz‐ punkte zur Ergebnisbeeinflussung: 1. Freier Cashflow in der Detailplanungsphase 2. WACC 3. Terminal Value Darüber hinaus behandeln wir: 4. Weitere Spielräume. 7.3 Spielräume 101 Ad 1. Freier Cashflow in der Detailplanungsphase Auch hier beginnen wir wieder mit der Formel: - EBIT Earnings before interest and taxes (Betriebsergebnis) minus Steuern auf EBIT (marginaler Steuersatz) - EBIAT oder NOP‐ LAT Earnings before interest after taxes oder net operating profit less adjusted taxes (Betriebser‐ gebnis nach Steuern) plus Abschreibungen - minus Investitionen Investitionen in das Anlagevermögen minus (plus) Erhöhung (Verminde‐ rung) Working Capi‐ tal Umlaufvermögen ohne liquide Mittel abzüglich kurzfristige Verbindlichkeiten und Rückstellun‐ gen ohne zinstragende Verbindlichkeiten - Freier Cashflow - Aufsatzpunkt ist das prognostizierte Betriebsergebnis. Das wiederum er‐ gibt sich aus Umsatz und Betriebsergebnismarge. Die Prognose künftiger Umsätze hat mit den größten Einfluss auf den zu ermittelnden Unterneh‐ menswert. Annahmen über Wachstumsraten sollten daher immer kritisch hinterfragt werden, und zwar sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Nachhaltigkeit. Auch die Wahl der Länge des Detailplanungszeitraums kann Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben. Hier lässt sich aus Bewertersicht vieles argumentativ vertreten. Und es geschieht auch in der Praxis. Die meisten Informationsmemoranden über zum Verkauf stehende Unternehmen enthalten einen mehr oder weniger ausgeprägten „Hockey- Stick-Effekt“. Die Herleitung der künftigen EBIT-Marge beginnt normalerweise mit der Herleitung der bereinigten EBIT-Marge der letzten drei Jahre. Zunächst ist bei den Bereinigungen in aller Regel „Spielraum“ nach oben und nach unten. Und dann bei der Anpassung oder Nichtanpassung der bereinigten EBIT- Marge an den Branchendurchschnitt. Argumente lassen sich dabei meist für fast jede Position finden. Bei den Steuern kann man trefflich darüber streiten, ob der aktuelle Durchschnittssteuersatz oder der marginale Steuersatz zur Anwendung 102 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen kommen soll oder ob und wann es einen Übergang vom aktuellen zum marginalen Steuersatz geben soll. Die Planung künftiger Investitionserfordernisse beim Anlagevermögen lässt sich argumentativ in aller Regel „dehnen“. Auch beim Working Capi‐ tal gibt es Freiheitsgrade: Definition, was Teil des Working Capital ist, Verwendung von Branchendaten oder unternehmensindividuellen Daten, Bodensatz für Liquidität oder Behandlung sämtlicher liquider Mittel als „Excess Cash“, um nur einige Beispiel zu nennen. Schließlich ist auch beim Verhältnis von Ergebniswachstum, Reinvestitionsrate und ROC-Spielraum; siehe dazu auch Punkt 5 in Abschnitt 2.2.2 sowie Abschnitt 2.2.4. Langfristig dürfte sich der implizite ROC dem Branchendurchschnitt und den WACC annähern. Die Verprobung zwischen Ergebniswachstum, Reinvestitionsrate und ROC findet aber auf der Empfängerseite der Unternehmensbewertung nicht immer statt, so dass Missverhältnisse nicht auffallen. Best-Case- und Worst-Case-Szenarien bei der Prognose künftiger freier Cashflows lassen sich unter anderen Etiketten für die Zielsetzungen von Auftraggebern und/ oder Bewertern instrumentalisieren. - Ad 2. WACC Die WACC ergeben sich als: WACC = Risikoloser Zins + Beta ⋅ Marktrisikoprämie ⋅ E E+D - + Fremdkapitalkosten nach Steuern ⋅ D D+E Beim risikolosen Zins finden sich aktuelle Zinssätze sowie Durchschnitts‐ sätze der letzten Jahre, 10-Jahres-Zinssätze, 30-Jahres-Zinssätze oder Zins‐ sätze auf der Grundlage von Zinsstrukturkurven. Bei Unternehmen mit Aktivitäten in unterschiedlichen Ländern mit unterschiedlichen risikofreien Zinssätzen findet dies teilweise Berücksichtigung, teilweise nicht. Die Auf‐ zählung zeigt, dass schon bei der Ermittlung des risikofreien Zinssatzes Spielräume bestehen, die zu deutlichen Unterschieden führen können. Beim Beta können „Bottom-up“-Betas oder „Top-Down“-Betas Verwen‐ dung finden. Bei „Bottom-up“-Betas gibt es Spielräume hinsichtlich der als Vergleichsunternehmen herangezogenen Unternehmen und/ oder Branchen, wenn das Unternehmen in mehreren Geschäftsfeldern aktiv ist. Auch der Erhebungszeitraum (1, 2, 5 Jahre), das Erhebungsintervall (monatlich, wö‐ 7.3 Spielräume 103 chentlich, täglich) und der Referenzindex haben Einfluss auf die Höhe des Betas. Unlevern und Relevern der Betas kann erfolgen oder unterbleiben. Beim „Top-Down“-Beta findet gelegentlich eine Anpassung statt, die übernommen werden kann oder auch nicht. Bei Bloomberg beispielsweise berechnet sich das sogenannte Adjusted Beta als 0.67 mal das historische Beta („Raw Beta“) plus 0.33 mal 1 (das sogenannte Blume-Adjustment). Bei der Bewertung klei‐ nerer Unternehmen mit nicht vollständig diversifizierten Eigentümern kann das Total-Beta-Konzept Verwendung finden oder nicht. Daneben können Abschläge wegen mangelnder Fungibilität und/ oder geringer Unternehmens‐ größe vorgenommen werden oder unterbleiben. Bei der Marktrisikoprämie kann auf historische Daten zurückgegriffen werden oder es können implizite Marktrisikoprämien Verwendung finden. Bei historischen Daten führen unterschiedliche Zeiträume (die letzten 10, 20, 50 Jahre oder länger) und unterschiedliche Durchschnittsberechnungen (arithmetisches Mittel, geometrisches Mittel) zu unterschiedlichen Werten. Bei Unternehmen mit Aktivitäten in unterschiedlichen Ländern kann dies in Form von Zuschlägen für Länderrisiken Berücksichtigung finden oder nicht. Bei der Schätzung der Fremdkapitalkosten und des Steuersatzes gibt es regelmäßig auch Spielräume. Zeitraum, Spread, Synchronisation von Spread und geplantem Verschuldungsgrad, marginaler oder aktueller durchschnitt‐ licher Steuersatz, all dies lässt sich argumentieren. Auch bei der Gewichtung kann zwischen Buchwerten und Marktwerten von Eigen- und Fremdkapital variiert werden, um zu dem für den jeweiligen Bewertungszweck gewünschten Größenordnung für den Diskontierungs‐ zinssatz zu gelangen. Häufig zu beobachten ist die Erhöhung des Fremdkapi‐ talsanteils bei gleichzeitiger Beibehaltung der Höhe der Eigen- und Fremd‐ kapitalkosten, also das „Vergessen“, dass ein höherer Verschuldungsgrad zu höheren Fremdkapitalkosten und auch zu höheren Eigenkapitalkosten, ergo zu höheren WACC führt. - Ad 3. Terminal Value Wie schon ausgeführt, macht der Terminal Value den größten Teil am nach der DCF-Methode ermittelten Enterprise Value aus. Hier „lohnt“ sich die Kreativität des Bewerters also am meisten. Bei der Berechnung des Terminal Value besteht zunächst einmal die Auswahl zwischen der in der obigen Formel dargestellten Perpetuity Growth Method und der 104 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen Multiplikatorenmethode (siehe Abschnitt 2.2.4). Bei der Perpetuity Growth Method lässt sich der Terminal Value, wie in Abschnitt 2.2.4 beschrieben, auch wie folgt darstellen: Terminal Value = EBIAT t+1 ⋅ 1 − Reinvestitionsrate t+1 WACC t+1 − g Der EBIAT lässt sich aufteilen in den EBIT und die Steuern darauf. Auch hier sind Manipulationen in die eine oder andere Richtung denkbar, vor allem bei zyklischen Unternehmen (letztes Jahr als Boom-Jahr, Durchschnittsjahr oder Baisse-Jahr), marginaler Steuersatz oder aktueller durchschnittlicher Steuersatz. Reinvestitionsrate, Wachstumsrate, ROC und WACC geben weitere Spielräume. Bei erwünschtem hohen Unternehmenswert wird man versuchen eine Wachstumsrate oberhalb des risikofreien Zinses (und damit der langfristigen Wachstumsrate der Volkswirtschaft) anzusetzen, verbun‐ den mit einer niedrigen Reinvestitionsrate (Abschreibungen entsprechen In‐ vestitionen, Working Capital wird „vergessen“), hohem ROC und niedrigen WACC (Argument: langfristig sind alle Unternehmen „reife“ Unternehmen mit niedrigeren Kapitalkosten als Wachstumsunternehmen). Bei Anwendung eines Multiplikators für die Ermittlung des Terminal Value ergeben sich die im nächsten Abschnitt (7.3.2) beschriebenen Spiel‐ räume (Auswahl des Multiplikators, Auswahl der Vergleichsunternehmen, Auswahl des Vergleichszeitraums). - Ad 4. Weitere Spielräume Weitere Bewertungsspielräume ergeben sich regelmäßig bei der Überleitung zwischen Enterprise Value und Wert des Eigenkapitals. Aus Abschnitt 6.5 kennen wir die Beziehung: 7.3 Spielräume 105 Wert des Eigenkapitals = Enterprise Value (operatives Geschäft) + liquide Mittel + Wert gesondert bewerteter Vermögensgegenstände zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) - Anteile anderer Gesellschafter - Unterdeckung Pensionszusagen sonstige fremdkapitalähnliche Positionen - Optionswerte Bei jeder einzelnen der Überleitungspositionen gibt es Ermessensspiel‐ räume, die sich in die eine oder die andere Richtung nutzen lassen. Nach‐ folgend eine kleine Auswahl: ■ Höhe und Bewertung der „Excess Cash“, ■ voraussichtlicher Veräußerungszeitpunkt nicht betriebsnotwendiger Vermögensgegenstände, ■ Schätzung des Barwerts künftiger Leasingverpflichtungen, ■ Schätzung des Werts der Anteile anderer Gesellschafter, ■ Schätzung der erwarteten Gehaltssteigerungen und erwarteten Ren‐ tensteigerungen bei der Ermittlung des versicherungsmathematischen Barwerts der Pensionsverpflichtungen, ■ Schätzung der Höhe und der Eintrittswahrscheinlichkeit eines einmali‐ gen Prozessrisikos, ■ Berechnung von Optionswerten (Treasury-Stock-Methode, Black Scho‐ les, Cox Ross Rubinstein). Auch wenn der Effekt einer einzelnen Position nicht erheblich sein mag - die Summe macht es. 7.3.2 Spielräume bei Multiplikatorenmethoden Die Auswahl des oder der Multiplikatoren, die für die Unternehmensbewer‐ tung herangezogen werden, ist die erste „Stellgröße“, die dem Bewerter zur Verfügung steht. Ist er an einem hohen Wert interessiert, so wird er Argumente für die Multiplikatoren finden, die zu vergleichsweise höheren 106 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen Bewertungen führen. Es gibt keine DIN, die EBIT oder EBITDA oder beides vorschreibt. Umsatzmultiplikator, Enterprise Value je Nutzer, Buchwertmul‐ tiplikator, P/ E - auch das ist alles im Grundsatz möglich. Als Empfänger einer Multiplikatorenbewertung empfiehlt es sich daher, stets selber eine umfangreiche Analyse vorzunehmen, um die Intention der Gegenseite zu verstehen und gegebenenfalls kontern zu können. Die nächste Stellgröße ist die Auswahl der in die Multiplikatorenanalyse einbezogenen (oder nicht einbezogenen) Unternehmen. Klar, hier kann sich der Bewerter nicht alles erlauben (bei einer Multiplikatorenanalyse für Daimler dürfte es schwer fallen, Argumente dafür zu finden, dass BMW nicht in die Analyse einbezogen wurde), aber bei der Frage, ob die Auswahl der Vergleichsunternehmen international sein oder auf Unternehmen aus demselben Staat beschränkt sein soll, ob oder ob nicht Unternehmen aus ähnlichen Branchen einbezogen werden sollen, wie weit die Suche nach Unternehmen mit vergleichbaren Produktionsmethoden, vergleichbaren Vertriebssystemen, vergleichbaren Forschungsaktivitäten oder vergleichba‐ ren Endkunden gehen darf - hier existieren zahlreiche und sehr große Ermessensspielräume. Auch bei der Ableitung von Durchschnittswerten aus den dann in die Analyse einbezogenen Unternehmen gibt es Spielräume. Wie werden „Aus‐ reißer“ behandelt, ab wann gilt ein Unternehmen als „Ausreißer“, wird ein arithmetisches, geometrisches oder harmonisches Mittel gebildet oder wird auf den Median zurückgegriffen? Eine wunderbare Spielwiese für kreative Geister! Die Aufbereitung der Daten der einzelnen vergleichbaren Unternehmen sollte auch unter die Lupe genommen werden. Wie wurde der Marktwert des Eigenkapitals ermittelt? Anzahl ausstehender Aktien mal Kurs oder Anzahl ausstehender Aktien auf voll verwässerter Basis mal Kurs? Beides ist zu finden und hat seine Ursache in einer unterschiedlichen Behand‐ lung des Wertes von ausstehenden Optionen. Wurden außerordentliche Ergebniseffekte bei den Vergleichsunternehmen eliminiert? Wie wurden die Spielräume bei der Überleitung vom Wert des Eigenkapitals zum Enterprise Value genutzt? Der Enterprise Value ergibt sich wie folgt: 7.3 Spielräume 107 Enterprise Value (operatives Geschäft) = Wert des Eigenkapitals (Kurs mal An‐ zahl Aktien) + zinstragende Verbindlichkeiten (bilanzielle und außerbilanzielle) + Anteile anderer Gesellschafter + Unterdeckung Pensionszusagen + sonstige fremdkapitalähnliche Positio‐ nen + Optionswerte (sofern nicht mit voll verwässerten Aktien gerechnet wurde) liquide Mittel - Wert gesondert bewerteter Vermögens‐ gegenstände Bei jeder einzelnen Position gibt es Spielräume. Siehe dazu Punkt 4 in Abschnitt 7.3.1. Oft wird hier in der Praxis jedoch ausschließlich auf der Basis von Buchwerten der Marktwert des Eigenkapitals in den Enterprise Value übergeleitet. Zuletzt kann auch der zeitliche Bezug der gewählten Multiplikatoren zu unterschiedlichen Unternehmenswerten führen. LTM oder TTM, letz‐ tes abgeschlossenes Geschäftsjahr, Prognose laufendes Geschäftsjahr oder nächsten Geschäftsjahr - für alle diese Zeiträume lassen sich Multiplikato‐ ren ermitteln (sofern die Basisdaten bereitstehen). Und Argumente lassen sich für jede Größe finden. Lernfragen 1. Sie vermuten, dass Ihnen mittels einer Unternehmensbewertung ein möglichst hoher Unternehmenswert „vorgerechnet“ werden soll. Was analysieren Sie zuerst? 2. Sie haben anlässlich des geplanten Verkaufs eines Unternehmens fünf M&A-Berater/ Investmentbanken zu einem „Pitch“ (Wettbewerb um das Verkaufsmandat) eingeladen. Glauben Sie, dass die von den Beratern präsentierten Bewertungen „konservativ“ oder eher „ehrgeizig“ sind? 108 7 Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern sowie Unternehmensbewertungen 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung Lernziele ■ Sie sollen den Unterschied zwischen Wert und Preis für ein Unter‐ nehmen verstehen. ■ Sie sollen einen Eindruck von der Diskussion über „objektive“, „objektivierte“ oder „intrinsische“ Unternehmenswerte bekommen. ■ Sie sollen die Grundzüge der funktionalen Unternehmensbewer‐ tungstheorie und der Ermittlung von Entscheidungswerten begrei‐ fen. 8.1 Unternehmenswerte und Unternehmenspreise „Price is what you pay. Value is what you get.“ (Benjamin Graham, zitiert nach Warren Buffet in seinem Brief an die Aktionäre von Berkshire Hathaway 2008, 5) Es gibt einen Unterschied zwischen Wert und Preis. Das Zitat oben veran‐ schaulicht dies. Der Preis für ein Unternehmen oder einen Anteil an einem Unternehmen ist das Resultat einer Transaktion zwischen Verkäufer und Käufer. Er ist objektiv ermittelbar. Börsenkurse sind Preise, ebenso der eine Euro, den René Benko für die Anteile (für das Eigenkapital) an Karstadt gezahlt hat. Was aber sind Unternehmenswerte? Was haben wir in den ersten sieben Abschnitten dieses Kapitels wirklich behandelt? War es die Bewertung von Unternehmen? Oder war es die Ermittlung einer voraussichtlichen Kaufpreisbandbreite? Bei den Multiplikatorenmethoden in Abschnitt 3.3 und 3.4 und dem LBO-Ansatz liegt die Antwort auf der Hand: Wer eine „Bewertung“ auf der Grundlage von Aktienkursen vergleichbarer Unternehmen, gezahlten Kaufpreisen bei vergleichbaren Transaktionen oder erwarteten Kaufpreisangeboten von Finanzinvestoren vornimmt, der ermittelt eine voraussichtliche Kaufpreisbandbreite. Es steht zwar überall Bewertung drauf und die Praxis sowie teilweise auch die Fachliteratur nennen es Unternehmensbewertung. Faktisch handelt es sich jedoch um eine „Bepreisung“. Diese Erkenntnis stellt auch keine Abwertung dar, es handelt sich um eine Klarstellung. Bei den DCF-Methoden (einschließlich APV-Ansatz und Ertragswertver‐ fahren) liegt der Fall anders. Grundlage der Bewertung sind Größen, die sich (nicht ausschließlich, aber wesentlich) aus dem Unternehmen selbst ergeben - die künftigen freien Cashflows (oder FCFE, CFE). Sie determinieren den Wert des Unternehmens, der mit dem Preis übereinstimmen kann, aber nicht muss. DCF-Methoden eignen sich also im Grundsatz zur Ableitung des Unternehmenswerts. Indes wäre es zu einfach, alle DCF-Verfahren als „Bewertung“ und alle Multiplikatorenmethoden als „Bepreisung“ zu charakterisieren. Es gibt zahl‐ reiche DCF-Bewertungen, die auch der Ableitung einer voraussichtlichen Kaufpreisbandbreite dienen. Wer weiß, wie die Gegenseite rechnet, tut gut daran, dies bei der Vorbereitung von Verhandlungen zu berücksichtigen. Ist bekannt, dass die Gegenseite eine DCF-„Bewertung“ vornehmen wird, dann dient die eigene DCF-Analyse nicht der Herleitung eines Unterneh‐ menswerts, sondern der Abschätzung des voraussichtlich zu erwartenden Preisangebots oder der Preisforderung des Verhandlungspartners. Bei der Analyse der Unternehmensbewertungen in Analystenreports zu Kauf- oder Verkaufsempfehlungen von börsennotierte Unternehmen zeigt sich, dass in den meisten Fällen die Ergebnisse von DCF-Bewertung und Multiplikatorenbewertung kaum mehr als 5 % auseinander liegen. Hier dient die DCF-Methode letztlich als „Feigenblatt“ zur Untermauerung der aus den Multiplikatoren gewonnenen Preisrange. Damodaran spricht in diesem Zusammenhang in mehreren seiner Blog-Beiträge treffend von „Quasi- DCF“. Liegt der Unternehmenswert über dem Preis für das Unternehmen, so macht der Käufer ein gutes Geschäft, der Verkäufer ein schlechtes. Liegt der Preis für das Unternehmen oder für den Unternehmensanteil über seinem Wert, so macht der Verkäufer ein gutes Geschäft, der Käufer ein schlechtes. Diese Aussagen gelten unter der Annahme, dass der Wert für Käufer und Verkäufer gleich ist. Auf die Subjektivität von Werten wird noch zurückzu‐ kommen sein. Aktien nur unter ihrem (so genannten „fundamentalem“) Wert zu kaufen ist die Grundlage des von Benjamin Graham begründeten Value Investing. John Templeton und Warren Buffet gehören zu seinen 110 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung bekanntesten Schülern und erfolgreichsten Anwendern seiner Lehren in der Praxis. Value Investing indes ist nicht die einzige Möglichkeit, mit dem Kauf und dem Verkauf von Unternehmen und Unternehmensanteilen Geld zu verdienen. Preise für Unternehmen und Unternehmensanteile bilden sich an Märkten. Wer versteht und voraussehen kann, wie sich Angebot und Nach‐ frage voraussichtlich entwickeln werden, was den Preis „treibt“, der kann als Händler oder Spekulant reich werden, ohne sich groß mit Unternehmens‐ werten auseinandersetzen zu müssen. Ob Alibaba heute überbewertet ist, schert den Spekulanten nicht. Entscheidend für ihn ist alleine, ob der Kurs steigt oder nicht. Das galt in Deutschland beispielsweise auch zu Zeiten des Neuen Marktes. Fast alle Unternehmen, die dort an die Börse gingen, waren (aus heutiger Sicht ohnehin und auch auf der Grundlage von Unterneh‐ mensbewertungen zum Zeitpunkt des Börsengangs) deutlich überbewertet (der Preis lag über ihrem Wert). Trotzdem waren die Emissionen mehrfach überzeichnet, da bei fast jedem Börsengang für die Anleger Zeichnungsgew‐ inne (beim Verkauf der zugeteilten Aktien am Ausgabetag zu dem dann im Vergleich zum Ausgabepreis meist höherem Börsenkurs) anfielen. Diese zu realisieren und beizeiten aus dem dann zusammenbrechenden Markt (als sich die Preise dann den Werten wieder annäherten) auszusteigen haben jedoch nur wenige Investoren geschafft. Wir halten fest: ■ Unternehmenswert und Unternehmenspreis sind zwei unterschiedliche Dinge. ■ Viele Unternehmensbewertungen sind in Wirklichkeit Abschätzungen von voraussichtlichen Kaufpreisbandbreiten. ■ Von den hier vorgestellten Bewertungsverfahren eignet sich vor allem die DCF-Methode (und die mit ihr verwandten Methoden) zur Bewer‐ tung. ■ Value Investing (der Kauf von Unternehmen/ Aktien unter sowie der Verkauf von Unternehmen/ Aktien über ihrem Wert) ist nur eine von mehreren Möglichkeiten, mit den Kauf und Verkauf von Unterneh‐ men/ Aktien Geld zu verdienen (und zu verlieren). 8.1 Unternehmenswerte und Unternehmenspreise 111 8.2 Intrinsische (objektive, objektivierte) und subjektive Unternehmenswerte Zu der Frage, ob Werte in den Wirtschaftswissenschaften einen objektiven oder einen subjektiven Charakter haben, existieren zahlreiche Veröffentli‐ chungen. Unter anderem hat sich Karl Marx damit auseinandergesetzt, die Wiener Grenznutzenschule, Wolfram Engels, um nur einige wenige zu nennen. In der deutschen Fachliteratur zur Unternehmensbewertung hat ebenfalls eine intensive Auseinandersetzung darüber stattgefunden, ob der Unterneh‐ menswert objektiv oder zumindest objektivierbar sein kann oder ob sich aus der Definition des Begriffs „Bewertung“, der Zuordnung einer Geldgröße zu einem Bewertungsobjekt (durch jemanden (ein Bewertungssubjekt)), nicht zwangsläufig eine Subjektivität des Unternehmenswerts ergibt. Teil dieser Auseinandersetzung war ein Streit zwischen Bewertungspraxis und Bewertungstheorie sowie innerhalb der Bewertungstheorie darüber, ob der Substanzwert (als vermeintlich objektiver Wert) oder der Ertragswert (als vermeintlich subjektiver Wert) maßgebend seien für die Ermittlung des Unternehmenswerts. Im angloamerikanischen Raum hat es eine derartige Auseinandersetzung zwischen Verfechtern von Substanzwert und Ertragswert nicht gegeben. Möglicherweise ist als Folge dessen auch eine vertiefende Diskussion um objektive und subjektive Unternehmenswerte in der angloamerikani‐ schen Unternehmensbewertungs-Fachliteratur unterblieben. Auch die un‐ terschiedlichen Eigentümerstrukturen - Kapitalmarktorientierung in der angloamerikanischen Welt und Orientierung an den Interessen (meist we‐ niger und oft im Unternehmen tätiger) privater Eigentümer auf der anderen Seite - mögen ihren Teil dazu beigetragen haben. Jedenfalls findet sich in den meisten angloamerikanischen Fachbüchern zur Unternehmensbewertung zum Thema subjektive und objektive Unternehmenswerte nur wenig. Sub‐ jektive Elemente, wie beispielsweise die Bewertung möglicher Synergien werden akzeptiert, gleichzeitig aber die Existenz eines „intrinsic value“, also eines dem Unternehmen anhaftenden, intrinsischen und damit objektiven oder objektivierbaren Unternehmenswerts, zumindest implizit, unterstellt. In Damodarans Buch „Investment Valuation“ (3. Aufl.) findet sich folgende Definition für den intrinsic value (Seite 12): „ … consider it the value that would be attached to the firm by an unbiased analyst, who not only estimates the expected cash flows for the firm correctly …, but also attaches the right 112 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung discount rate to value these cash flows.“ Und zu der von Verfechtern der sub‐ jektiven Bewertungslehre gelegentlich zitierten Weisheit, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liege, findet sich im selben Buch gleich auf Seite-1 das Folgende: „There are those who are disingenuous enough to argue that value is in the eye of the beholder, … That is patently absurd. Perceptions may be all that matter when the asset is a painting or a sculpture, but investors do not (and should not) buy most assets for aesthetic or emotional reasons; financial assets are acquired for the cash flows expected on them.“ Zusammengefasst heißt das, dass es sich bei Unternehmen um „financial assets“ handelt, deren Wert sich nach ihrer Fähigkeit bestimmt, in Zukunft freie Cashflows zu erzielen. Dieser intrinsische und dem Unternehmen anhaftende Wert ergibt sich, wenn der Bewerter unvoreingenommen und vorurteilsfrei die künftigen freien Cashflows sowie die WACC „richtig“ er‐ mittelt. Diese Auffassung kann als repräsentativ für die angloamerikanische Theorie zur Unternehmensbewertung angesehen werden. Und ebenso für große Teile der internationalen und auch der deutschen Unternehmensbe‐ wertungspraxis. 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie Der Stand der deutschen Unternehmensbewertungstheorie ist ein anderer. Der Streit zwischen Vertretern der subjektiven und der objektiven Unter‐ nehmensbewertung wurde Mitte der 70er Jahre mit der → funktionalen Unternehmensbewertungstheorie beigelegt. Danach wird der Wert des Unternehmens sowie die Methode seiner Ermittlung vom Zweck der Bewer‐ tung bestimmt. Es gibt nicht den einen Unternehmenswert und auch nicht die eine Methode seiner Ermittlung. Es werden drei Hauptfunktionen, ■ die Entscheidungsfunktion (ursprünglich Beratungsfunktion genannt), ■ die Vermittlungsfunktion und ■ die Argumentationsfunktion unterschieden sowie mehrere Nebenfunktionen (Steuerbemessungsfunk‐ tion, Informationsfunktion, Vertragsgestaltungsfunktion, Steuerungsfunk‐ tion, Motivationsfunktion und andere), die hier nicht weiter behandelt werden. 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie 113 Entscheidungsfunktion Bei der Entscheidungsfunktion ist der Bewertungszweck die Unterstützung bei oder die Fundierung von Entscheidungen bei Kauf oder Verkauf von Unternehmen. Der zu ermittelnde Wert wird „Entscheidungswert“ genannt. Er spielt eine zentrale Rolle bei allen Hauptfunktionen der funktionalen Unternehmensbewertungstheorie. Der Grundtenor ist wie folgt: Ich kann dir nicht den „richtigen“, „wahren“, „objektiven“ oder „intrinsischen“ Unterneh‐ menswert nennen, weil es den nicht gibt. Ich kann dir als potenzieller Käufer eines Unternehmens aber sagen, was du maximal für das Unternehmen aus‐ geben darfst, damit du dich nicht schlechter stellst als beim Unterlassen des Kaufs und der Verfolgung deiner Investitionsalternativen. Als potenzieller Verkäufer kann ich dir sagen, was du mindestens für dein Unternehmen beim Verkauf erlösen musst, damit du dich nicht schlechter stellst als bei einer Fortführung des Unternehmens. Der Wert resultiert hier aus einer Subjekt-Objekt-Objekt-Beziehung. Subjekt ist der Käufer (Verkäufer) mit seinen Zielvorstellungen, wie auch immer sie geartet sein mögen. Beim Entscheidungswert liegt die Schön‐ heit eben sehr wohl im Auge des Betrachters. Ist der Käufer (Verkäufer) ausschließlich an freien Cashflows interessiert, bestehen hinsichtlich der Zielvorstellungen keine Unterschiede zum intrinsischen Wert. Verbindet er jedoch beispielsweise Nutzen mit seiner Stellung als Unternehmer, dann ist dies bei der Ermittlung des Entscheidungswerts zu berücksichtigen. Das erste „Objekt“ in der oben genannten Subjekt-Objekt-Objekt-Bezie‐ hung ist das Unternehmen. Zu ermitteln sind die Zielbeiträge, die der jeweilige Käufer (Verkäufer) mit dem Unternehmen erzielen kann und nicht diejenigen, die ein unvoreingenommener Analyst prognostizieren würde oder die sich bei Fortführung des Unternehmens in der bisherigen Form ergeben würden. Das zweite „Objekt“ sind die Investitionsalternativen des Käufers (Verkäufers), die er verfolgen würde, wenn er das Unternehmen nicht erwirbt (das Unternehmen verkauft). - Entscheidungswert Die Wertermittlung erfolgt schließlich durch einen Investitionsvergleich. Ausgehend von einem so genannten Basisprogramm, worunter die optimale (nutzenmaximale) Anlage der Mittel verstanden wird, wenn das Unterneh‐ men nicht gekauft (das Unternehmen verkauft) wird, wird untersucht, 114 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung welche Projekte des Basisprogramms bei einem Kauf des Unternehmens (beim Unterlassen des Verkaufs) durch das Unternehmen „verdrängt“ wer‐ den, ohne dass sich der Nutzen des Basisprogramms verringert. Der Preis der verdrängten Investitionsalternativen stellt den Grenzpreis dar, den → Entscheidungswert. Ein kurzes Beispiel zur Verdeutlichung: Ein potenzieller Käufer verfüge über 1.000 Geldeinheiten (GE). Das Unternehmen (U) verspreche ihm 1.200 Nutzeneinheiten. Folgende alternative Investitionsobjekte (IO) stehen zur Auswahl: IO Preis in GE N N/ GE 1 600 750 1,25 2 200 350 1,75 3 300 400 1,33 4 200 300 1,50 Alle Investitionsobjekte seien beliebig teilbar. Das Basisprogramm des Käufers sieht dann wie folgt aus: IO Kapitaleinsatz in GE N 2 200 350 4 200 300 3 300 400 1 (300) 300 375 - 1.000 1.425 Der Käufer würde also für den Fall, dass er auf den Erwerb verzichtet, die Investitionsobjekte 2, 4 und 3 tätigen und außerdem 300 GE in Objekt 1 investieren. Seine verfügbaren Mittel (1.000 GE) sind damit aufgebraucht. Er realisiert einen Gesamtnutzen 1.425 Nutzeneinheiten. Im folgenden so genannten Bewertungsprogramm wird das Unterneh‐ men mit den besten (im Sinne von N/ GE) Investitionsalternativen des Basisprogramms derart kombiniert, dass wieder dasselbe Nutzenniveau wie im Basisprogramm entsteht. Es ergibt sich das folgende Bild: 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie 115 IO Kapitaleinsatz in GE N 2 (128,57) 128,57 225 U ? (871,43) 1.200 - 1.000 1.425 Durch die Aufnahme des Unternehmens werden die Investitionsobjekte 1, 3 und 4 völlig und von Objekt 2 71,43 GE „verdrängt“. Dieses Bewertungspro‐ gramm hat dasselbe Nutzenniveau wie das Basisprogramm. Der Entschei‐ dungswert (Grenzpreis) ergibt sich als Summe der Preise der verdrängten Objekte. Er beträgt 871,43 GE. Das ist der Betrag, den der Käufer maximal ausgeben darf, damit er sich nicht schlechter stellt als beim Unterlassen des Erwerbs. Zahlt er mehr, kann er weniger in Investitionsobjekt 2 investieren und würde folglich ein geringeres Nutzenniveau erreichen. Zahlt er weniger, und das ist das Ziel seiner Kaufpreisverhandlungen, dann stellt er sich besser als im Basisprogramm. Das beschriebene Vorgehen dürfte aus den Vorlesungen zur Kostenrech‐ nung bekannt sein (Ermittlung des optimalen Produktionsprogramms). Es lässt sich beliebig erweitern um Finanzierungsobjekte, nicht teilbare Objekte und andere Varianten (gleichzeitige Bewertung von zwei oder mehr potenziellen Unternehmensakquisitionen) und so der Realität annähern. Der interessierte Leser sei hier auf das zweite Kapitel des Buchs „Unterneh‐ mensbewertung“ von Matschke und Brösel verwiesen. Lösen lassen sich die Modelle, sofern sie nicht zu komplex werden, relativ komfortabel mit den gängigen Tabellenkalkulationsprogrammen (beispielsweise Excel mit Solver). Der Entscheidungswert ist ein „privater“ Wert, ein Wert, der vor der Gegenseite geheim gehalten wird. Er bildet die Grundlage für die Erarbei‐ tung einer Verhandlungsstrategie und stellt die letzte Rückzugslinie dar, den maximal zahlbaren Preis. (Einer der Erfolgsfaktoren erfolgreicher Verhand‐ lungsführer im M&A-Geschäft ist, den Entscheidungswert der Gegenseite möglichst präzise abzuschätzen und darauf die eigene Verhandlungsführung aufzubauen, um am Ende den Kaufpreis möglichst nahe beim Entschei‐ dungswert der Gegenseite platzieren zu können.) Ist der Entscheidungsträger ausschließlich an künftigen Cashflows inter‐ essiert und lässt sich die Rendite seiner alternativen Investitionsobjekte hinreichend gut durch den Diskontierungszinssatz beschreiben, dann lassen 116 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung sich die DCF-Verfahren und die mit ihnen verwandten Methoden als Spe‐ zialfall des hier vorgestellten Vorgehens interpretieren. Aus Gründen der Komplexitätsreduktion werden in der Bewertungspraxis diese Annahmen regelmäßig getroffen, so dass der hier beschriebene Investitionsvergleich faktisch nicht anzutreffen ist. Das mag man bedauern - es ist indes tragbar, wenn zwei wesentliche Elemente Berücksichtigung finden: 1. Für den Entscheidungswert im Sinne des Grenzpreises als den Betrag, den ein Käufer maximal für ein Unternehmen ausgeben darf ohne sich schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Kaufs (analog: den ein Verkäufer mindestens fordern muss, um sich nicht schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Verkaufs) ist nicht entscheidend, was ein unvoreingenommener Dritter glaubt an künftigen Cashflows bei Fortführung des erzielen zu können. Entscheidend ist, was der Erwerber (oder der Verkäufer) mit dem Unternehmen macht und welche künftigen Cashflows sich daraus ergeben. 2. Es gibt immer eine Alternative zum Kauf (Verkauf). Statt den Diskonti‐ erungsfaktor im Rahmen von Sensitivitätsanalysen bis zum Exzess zu variieren, lohnt es, sich zu vergegenwärten, was sich hinter ihm verbirgt - die Rendite der verdrängten Investitionsalternativen. Ob in der Bewertungspraxis die Auftraggeber von Unternehmensbewertun‐ gen die Ermittlung von Entscheidungswerten im Sinne von Grenzpreisen überhaupt nachfragen, steht wiederum auf einem ganz anderen Blatt. Zu deren Zielsetzungen haben wir uns in Abschnitt 7.1 ausgelassen. Zu ergän‐ zen wäre, dass Belohnungs-/ Bestrafungsmechanismen („zu teuer gekauft“ oder „zu billig verkauft“) auch nicht unbedingt am Entscheidungswert anknüpfen, sondern oft an einem wie immer ermittelten „Marktpreis“. Die Bewertungspraxis behilft sich, wenn sie Zielsetzungen, Investitionsalterna‐ tiven und Pläne der Entscheidungsträger im Hinblick auf das zu bewertende Unternehmen nicht kennt, mit der Ermittlung von „intrinsischen“ Werten. Die deutschen Wirtschaftsprüfer als ein Vertreter der Bewertungspraxis in Deutschland haben dann auch die funktionale Unternehmensbewertung nicht eins zu eins übernommen. Als weitere Funktion nennen sie die des neutralen Gutachters, der einen objektivierten Wert des Unternehmens ermittelt. Was darunter zu verstehen ist, unterscheidet sich nur marginal von der Definition des intrinsischen Unternehmenswerts von Damodaran. In Anbetracht der Tatsache, dass deutlich mehr Unternehmensakquisiti‐ onen scheitern (scheitern in dem Sinne, dass sie die Erwartungen nicht 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie 117 erfüllen) als dass sie gelingen, darf die Frage gestellt werden, ob dem Ent‐ scheidungswert in der Praxis die Bedeutung zukommt, die ihm gebührt, also ob das Scheitern nicht (zumindest zum Teil) auch auf Unzulänglichkeiten bei der Bewertung (Marktwert, Marktpreis, intrinsischer oder objektivierter Wert anstelle von Entscheidungswert) zurückzuführen ist. Ob sich dies im Hinblick auf die in Kapitel 7 beschriebenen Interessenlagen und Abhängig‐ keiten von Entscheidungsträgern und Bewertern ändert wird, ist aus unserer Sicht fraglich. - Vermittlungsfunktion Bei der Vermittlungsfunktion ist der Bewertungszweck die Ermittlung eines von einem unparteiischen Gutachter ermittelten Einigungswerts (Arbitri‐ umwert genannt), der beiden Parteien (potenzieller Käufer und potenzieller Verkäufer) zumutbar ist und deren Interessen wahrt. Das wiederum setzt voraus, dass der unparteiische Gutachter die Entscheidungswerte beider Parteien kennt (selber ermittelt). Liegt der Entscheidungswert des Verkäu‐ fers unter dem des Käufers, so liegt ein positiver „Einigungsbereich“ vor. Damit sind alle Werte zwischen den beiden Entscheidungswerten gemeint. Wert Entscheidungswert des Verkäufers = Untergrenze Arbitriumwert Entscheidungswert des Käufers = Obergrenze Arbitriumwert Positiver Einigungsbereich Abb. 15 Bei jedem dieser Werte würde sich keine der beiden Parteien schlechter stellen als bei der Unterlassungsalternative. Wie dieser Einigungsbereich zwischen den Parteien „gerecht“ aufgeteilt werden kann, ist Gegenstand umfangreicher Forschung gewesen. Der interessierte Studierende kann sich hier im dritten Kapitel des Buchs von Matschke und Brösel (Unternehmens‐ bewertung: Funktionen - Methoden - Grundsätze, 4. Aufl.) zahlreiche Anregungen holen. 118 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung In der Praxis werden indes derartige Fallgestaltungen (zwei Parteien, die sich über den Preis nicht einig sind) nur selten über unabhängige Gutachter gelöst. Gelegentlich sind Gutachter anzutreffen, dann aber auf beiden Seiten und allenfalls scheinbar „unabhängig“. In der Regel baut aber eine Seite Verhandlungsmacht auf und löst auf diese Weise eine Einigung aus. Am einfachsten geschieht dies aus Verkäufersicht durch das Einholen eines belastbaren Angebots eines weiteren Bieters. Also durch Schaffung einer weiteren Alternative. Gleiches gilt im Grundsatz auch für die Käuferseite - das Spektrum weiterer Alternativen ist hier ein anderes. Es kann den Kauf eines ähnlichen Unternehmens (sofern es das geben sollte), den eigenständigen Aufbau (anstelle des Kaufs) oder das Verfolgen anderer Geschäftsmöglichkeiten beinhalten. Liegt kein positiver Einigungsbereich vor (der Entscheidungswert des Verkäufers liegt über dem des Käufers), macht eine Transaktion keinen Sinn, da eine der beiden Seiten sich gegenüber der Unterlassungsalternative (es findet keine Transaktion statt) verschlechtern würde. Bei so genannten nicht dominierten Konfliktsituationen (keine Seite kann den Eigentumswechsel erzwingen) gehen die Parteien dann getrennte Wege - es gibt keinen Verkauf. Anders sieht es bei dominierten Konfliktsituationen aus, also bei Fallgestaltungen, bei der eine Seite den Eigentumsübergang erzwingen kann (beispielsweise beim Ausschluss von Minderheitsaktionären). Hier greifen in aller Regel bezüglich der Bewertung Vorgaben seitens des Gesetzgebers und/ oder aus der Rechtsprechung, die von Rechtssystem zu Rechtssystem unterschiedlich sind und zudem auch einer (wenn auch meist „trägen“) Veränderung unterliegen. - Argumentationsfunktion Bei der Argumentationsfunktion ist der Bewertungszweck die Stärkung der Verhandlungsposition einer Partei durch die Ermittlung von Argumen‐ tationswerten. Wir haben in Kapitel 7 herausgearbeitet, dass ein Großteil aller durchgeführter Unternehmensbewertungen der Durchsetzung von Interessen dienen. Zugespitzt könnte man sagen, dass fast alle ermittelten Unternehmenswerte sich im Lichte der funktionalen Unternehmensbewer‐ tungstheorie als Argumentationswerte interpretieren lassen. Mancher mag darüber die Nase rümpfen, sehen doch viele Menschen in der Ermittlung von Unternehmenswerten so etwas wie die Königsdisziplin der Betriebswirtschaftslehre, die strengsten wissenschaftlichen Kriterien 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie 119 standzuhalten hat. Ruft man sich indes in Erinnerung, zu welchem Zweck die Wertermittlung erfolgt, so schließt sich der Kreis: In den meisten Fällen geht es um einen Eigentumsübergang an Unternehmen oder Unternehmenstei‐ len, der - abgesehen von wenigen rechtlich geregelten Ausnahmen - auf freiwilliger Basis erfolgt. Um darüber eine Einigung erzielen zu können, bedarf es der Kommunikation zwischen potenziellem Verkäufer und poten‐ ziellem Käufer, einer gemeinsamen Sprache. Unternehmensbewertungen stellen eine derartige Sprache dar. Das Problem besteht in vielen Fällen allerdings darin, dass Argumentati‐ onswerte berechnet werden, ohne zuvor den eigenen Entscheidungswert im Sinne des Grenzpreises ermittelt zu haben. Dies erweist sich dann gerne als Schuss ins eigene Knie. Wer seine eigene Grenze der Konzessi‐ onsbereitschaft nicht kennt, weil er statt ihrer Ermittlung vermeintlichen Marktwerten mehr Beachtung geschenkt hat, dem fehlt ein wesentlicher „Anker“ für die Ermittlung von Argumentationswerten. Der zweite Anker ist die vermutete Grenze der Konzessionsbereitschaft der Gegenseite. Diese beiden Größen werden benötigt, um die Argumentationsbewertung in die gewünschte Richtung zu lenken (bei positivem Einigungsbereich nahe beim vermuteten Grenzpreis der Gegenseite). - Vorteile und Defizite Die funktionale Unternehmensbewertungstheorie hat sich herausragende Verdienste erworben in der Überwindung des Streits zwischen subjektiver und objektiver Unternehmenswertlehre und der daraus folgenden Versach‐ lichung der Diskussionen. Ihr Problem ist, dass sie außerhalb des deutschen Sprachraums nicht wirklich visibel ist. Einzelaspekte ihrer Erkenntnisse finden sich weltweit. Kein Bewertungsexperte wird beispielsweise negieren, dass Wert, Bewertungsmethode und Bewertungszweck in einem Zusam‐ menhang stehen. Die geschlossene Durchdringung des gesamten Spektrums an Bewertungen und die Erkenntnisse aus der Auseinandersetzung zwi‐ schen subjektiver und objektiver Wertlehre finden sich in der Form jedoch woanders nicht wieder. Es bleibt spannend, die weitere Entwicklung in Theorie und Praxis zu verfolgen. 120 8 Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung Lernfragen 1. Was versteht man unter einem Entscheidungswert? 2. Gibt es einen objektiven Unternehmenswert? 8.3 Funktionale Unternehmensbewertungstheorie 121 Glossar Die im Text mit → markierten Begriffe verweisen auf dieses Glossar. Adjusted-Present-Value (APV)-Verfahren: Beim APV-Verfahren wird der Unternehmenswert in zwei Schritten ermittelt. Im ersten Schritt wird ein unverschuldetes Unternehmen unterstellt und bewertet, im zweiten Schritt der Wert der durch die Fremdkapitalstruktur induzierten Steuerersparnisse („Tax Shield“) ermittelt. Comparable Companies Analysis: Bewertungsverfahren, bei dem der Unterneh‐ menswert aus Marktpreisen vergleichbarer börsennotierter Unternehmen auf der Grundlage von Multiplikatoren (EBITDA, EBIT, Umsatz etc.) hergeleitet wird. DCF-Methode: DCF-Methode steht für Discounted-Cashflow-Methode. Bei der DCF-Methode wird der Unternehmenswert ermittelt, indem die künftigen freien Cashflows des Unternehmens auf den Bewertungsstichtag abgezinst werden. Enterprise-DCF-Methode: Bei der Enterprise DCF-Methode wir der Gesamtun‐ ternehmenswert als Wert des Eigenkapitals plus Wert der zinstragenden Verbind‐ lichkeiten minus liquide Mittel (Nettoverschuldung) ermittelt. Entscheidungswert: Unter Entscheidungswert versteht man bei der Unterneh‐ mensbewertung den Preis, den ein Käufer maximal für das Unternehmen zahlen kann, ohne sich schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Kaufs und Verfolgung seiner Investitionsalternativen. Für den Verkäufer ist es der Preis, den er mindestens fordern muss, ohne sich schlechter zu stellen als beim Unterlassen des Verkaufs und der Fortführung des Unternehmens. Equity-DCF-Methode: Bei der Equity-DCF-Methode wird der Wert des Eigenka‐ pitals des Unternehmens direkt ermittelt. Ertragswertverfahren: War jahrzehntelang der deutsche Bewertungsstandard. Entspricht dem Equity-DCF-Ansatz. Das Eigenkapital des Unternehmens wird direkt bewertet auf der Grundlage des freien Cashflows nach Finanzierungskos‐ ten und nach Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten. Football Field Format: In der Praxis übliche Darstellungsform von Wertbandbrei‐ ten bei der Unternehmensbewertung. Freier Cashflow: Im Kontext der Unternehmensbewertung wird üblicherweise un‐ terschieden zwischen dem freien Cashflow vor Finanzierungskosten (Enterprise- DCF-Verfahren) und dem freien Cashflow nach Finanzierungskosten und nach Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten (Equity-DCF-Verfahren). Der freie Cashflow vor Finanzierungskosten ergibt sich als EBIT minus Steuern (auf EBIT) plus Abschreibungen minus Investitionen plus/ minus Veränderung des Working Capital. Der freie Cashflow nach Finanzierungskosten und nach Verän‐ derung der zinstragenden Verbindlichkeiten ergibt sich als Jahresüberschuss plus Abschreibungen minus Investitionen plus/ minus Veränderung Working Capital plus/ minus Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten. Funktionale Unternehmensbewertungstheorie: Ursprünglich auch „Kölner Schule“ der Unternehmensbewertung genannt. Mit ihr wurde der Streit zwischen objektiver und subjektiver Bewertungslehre beigelegt. Die Rolle, die „Funktion“ des Bewerters bestimmt danach den Unternehmenswert und die Methode seiner Ermittlung. Der Wert hängt ab vom Zweck, den die Bewertung hat. LBO-Bewertung: Ermittlung des Kaufpreises, der bei Ausschöpfung gegebener Fremdfinanzierungsmöglichkeiten und daraus resultierender Restriktionen und den getroffenen Annahmen über die künftige Entwicklung des operativen Er‐ gebnisses die Erzielung einer Mindestrendite (meist 20-% bis 25-%) auf das eingesetzte Eigenkapital maximal gezahlt werden kann. Übliches Vorgehen von Finanzinvestoren bei Unternehmensakquisitionen. Precedent Transactions Analysis: Bewertungsverfahren, bei dem der Unterneh‐ menswert aus gezahlten (oder gebotenen) Kaufpreisen für vergleichbare Unter‐ nehmen auf der Grundlage von Multiplikatoren (EBITDA, EBIT, Umsatz etc.) hergeleitet wird. Terminal Value: Wert der freien Cashflows, die nach dem Detailplanungszeitraum anfallen. WACC: Gewichtete Kapitalkosten (weighted average cost of capital). Fremdkapi‐ talkosten (nach Steuern) mal Anteil Fremdkapital an der Gesamtkapitalisierung plus Eigenkapitalkosten mal Anteil Eigenkapital an der Gesamtkapitalisierung. Entspricht der Mindestverzinsung, die eine Investition erbringen muss, um die Kosten ihrer Finanzierung zu decken. 124 Glossar Antworten auf die Lernfragen - Antworten zu Kapitel 2 „Discounted Cashflow-Methode (DCF-Methode)“ Antwort 1 Grenzen Sie Enterprise-DCF-Methode und Equity-DCF-Methode voneinan‐ der ab. Enterprise Value = Equity Value plus Nettoverschuldung (zinstragende Verbindlichkeiten minus liquide Mittel). Die Enterprise-DCF-Methode er‐ mittelt den Enterprise Value (Gesamtunternehmenswert) durch Diskontie‐ rung der freien Cashflows vor Finanzierungskosten mit den Kapitalkosten (WACC). Die Equity-DCF-Methode ermittelt den Equity Value (Eigenkapi‐ talwert) durch Diskontierung der freien Cashflows nach Finanzierungskos‐ ten und nach Veränderung der zinstragenden Verbindlichkeiten mit den Eigenkapitalkosten. Antwort 2 Ein Unternehmen hat einen Eigenkapitalwert von 10, zinstragende Verbind‐ lichkeiten von 20 und liquide Mittel von 2. Wie hoch ist der Enterprise Value? 28 = 10 + (20 - 2) Beschreiben Sie die beiden gängigen Verfahren zur Berechnung des Terminal Value. Antwort 3 Bei der Perpetuity Growth Method wird unterstellt, dass der freie Cashflow im letzten Jahr der Detailplanungsphase mit einer konstanten Rate (ewig) weiter wächst. Der Terminal Value ergibt sich als Barwert dieser ewig wach‐ senden Rente. Bei der Multiplikatorenmethode wird der Terminal Value als Multiplikator auf das EBITDA oder EBIT oder andere Kenngrößen zum Ende des Detailplanungszeitraums berechnet. Die Herleitung des Multiplikators erfolgt dabei in der Regel auf der Grundlage der Bewertung vergleichbarer Unternehmen (Marktmultiplikatoren). Antworten zu Kapitel 3 „Comparable Companies Analysis“ Antwort 1 Worin besteht der Vorteil von EBITDA-Multiplikatoren gegenüber EBIT- Multiplikatoren? Abschreibungen haben keinen Einfluss auf die Höhe des Multiplikators. Unternehmen mit unterschiedlicher Abschreibungspolitik und unterschied‐ lichem Abschreibungszyklus können sinnvoller miteinander verglichen werden. Antwort 2 Inwiefern geht die Profitabilität eines Unternehmens in dessen Umsatz- Multiplikator ein? Der Umsatzmultiplikator ist definiert als Enterprise Value geteilt durch den Umsatz. Der Nenner, also der Enterprise Value, lässt sich auch schreiben als freier Cashflow geteilt durch WACC (gegebenenfalls minus g). Und in den freien Cashflow wiederum geht die Profitabilität ein (EBIAT mal (1 - Reinvestitionsrate)). - Antworten zu Kapitel 4 „Precedent Transactions Analysis“ Antwort 1 Führen Multiplikatorenbewertungen auf der Grundlage von abgeschlosse‐ nen Transaktionen tendenziell eher zu höheren oder zu niedrigeren Werten als Bewertungen auf der Grundlage von vergleichbaren börsennotierten Unternehmen? Begründen Sie bitte Ihre Antwort. Zu tendenziell höheren Bewertungen, da sie im Gegensatz zu den Bör‐ senkursen eine Kontrollprämie und/ oder einen Aufschlag für Synergien enthalten (können). Antwort 2 Im Rahmen einer Recherche zu vergleichbaren Transaktionen stoßen Sie auf Daten über den Verkauf eines Anteils von 5-% an einem vergleichbaren Unternehmen. Wie verfahren Sie damit? Da es sich nicht um eine Mehrheitsübernahme handelt, sind im gezahlten Kaufpreis vermutlich weder eine Kontrollprämie noch ein Zuschlag für Synergien enthalten. Die Information hat also eine andere Qualität als ein 126 Antworten auf die Lernfragen gezahlter Kaufpreis für eine vollständige Übernahme eines Unternehmens. Gleichwohl kann sie als Indikator dienen. - Antworten zu Kapitel 5 „Weitere Bewertungsverfahren“ Antwort 1 Wie unterscheiden sich APV-Verfahren und Enterprise-DCF-Methode? Das APV-Verfahren ist eine Variante der Enterprise-DCF-Methode. Dabei wird in einem ersten Schritt der Enterprise Value unter der Annahme ermittelt, dass das zu bewertende Unternehmen schuldenfrei ist. In einem zweiten Schritt wird dann der Barwert des Tax Shields, also der Vorteil der Fremdfinanzierung, separat ermittelt. Antwort 2 Grenzen Sie Ertragswertverfahren und Equity-DCF-Verfahren voneinander ab. Beide Verfahren ermitteln direkt den Wert des Eigenkapitals. Insofern sind sie deckungsgleich. Unterschiede gab es historisch bedingt (Ertrags‐ wertverfahren in Deutschland vorherrschend, Equity-DCF-Methode inter‐ national bekannt) in der Ermittlung des Risikozuschlags zum risikolosen Zins. International war hier schon immer ein Rückgriff auf das CAPM zu beobachten. Dies hat sich in Deutschland erst später durchgesetzt. - Antworten zu Kapitel 6 „Vom Enterprise Value zum Wert des Eigenkapitals“ Antwort 1 Worin besteht der grundlegende Unterschied zwischen der Treasury-Stock- Methode und den Optionspreismodellen bei der Ermittlung des Wertes von Aktienoptionen? Die Treasury-Stock-Methode betrachtet nur Optionen, die im Geld sind, und unterstellt eine sofortige Ausübung. Die Optionspreismodelle erlauben es, die Laufzeit der Option ins Kalkül einzubeziehen. Antwort 2 Diskutieren Sie die Behandlung überschüssiger liquider Mittel bei der Enterprise-DCF-Methode und er Equity-DCF-Methode. Die Enterprise-DCF-Methode setzt auf dem EBIT auf, berücksichtigt demzufolge weder Zinsaufwendungen noch Zinserträge. Die überschüssi‐ Antworten auf die Lernfragen 127 gen liquiden Mittel werden separat bewertet und dem Enterprise Value hinzugerechnet (das Ergebnis wird Firm Value genannt). Die Equity-DCF- Methode setzt auf dem Jahresüberschuss auf, also dem Ergebnis nach Zinsaufwendungen (kein Problem), aber auch nach Zinserträgen. Werden diese nicht korrigiert, so werden sie mit den Eigenkapitalkosten und damit in aller Regel nicht risikoadäquat diskontiert. - Antworten zu Kapitel 7 „Das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern, Zielsetzungen von und Spielräumen bei Unternehmensbewertungen“ Antwort 1 Sie vermuten, dass Ihnen mittels einer Unternehmensbewertung ein mög‐ lichst hoher Unternehmenswert „vorgerechnet“ werden soll. Was analysie‐ ren Sie zuerst? Wir würden uns zuerst mit der Prognose der künftigen Umsätze aus‐ einandersetzen, da die „Top Line“ den größten Einfluss auf den Unterneh‐ menswert hat. Die Wachstumsrate beim Terminal Value sollte auch früh Beachtung finden. Antwort 2 Sie haben anlässlich des geplanten Verkaufs eines Unternehmens fünf M&A- Berater/ Investmentbanken zu einem „Pitch“ (Wettbewerb um das Verkaufs‐ mandat) eingeladen. Glauben Sie, dass die von den Beratern präsentierten Bewertungen „konservativ“ oder eher „ehrgeizig“ sind? Da die Berater alle ein Interesse daran haben, den Auftrag zu erhalten, werden sie alle versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass sie das Beste für Sie herausholen werden. Im Grundsatz sollten Sie davon ausgehen, dass die Ihnen vorgerechneten Unternehmenswerte eher am oberen Ende einer realistischen Bandbreite liegen werden. 128 Antworten auf die Lernfragen Antworten zu Kapitel 8 „Wert und Preis - ein kurzer Exkurs in die Theorie der Unternehmensbewertung“ Antwort 1 Was versteht man unter einem Entscheidungswert? Unter einem Entscheidungswert versteht man einen Grenzpreis. Für einen potenziellen Käufer ist es der Preis, den er maximal zahlen sollte. Für einen potenziellen Verkäufer der Preis, den er mindestens fordern muss. Für beide: Um sich nicht schlechter zu stellen als bei der nächstbesten Alternative. Entscheidungsorientierte Betriebswirtschaftslehre. Antwort 2 Gibt es einen objektiven Unternehmenswert? Die Antwort zu dieser Frage hängt davon ab, welcher Denkrichtung Sie sich anschließen wollen. Sehen Sie ein Unternehmen als ein „financial asset“, dessen Bestimmung es ist, in der Zukunft freie Cashflows zu generieren, die von einem unvoreingenommenen Bewerter vorurteilsfrei genau so „richtig“ ermittelt werden können wie seine Kapitalkosten, dann werden Sie eher mit ja antworten. Sehen Sie dagegen den Prozess der Bewertung als Zuordnung einer Geldgröße zu einem Unternehmen durch jemanden (ein Subjekt), dann wird Ihre Antwort nein lauten. Antworten auf die Lernfragen 129 Literatur Internationale Standardwerke (Auswahl) Damodaran, Investment Valuation: Tools and Techniques for Determining the Value of Any Asset, 3. Aufl., 2012 Koller/ Goedhart/ Wessels, Valuation: Measuring and Managing the Value of Com‐ panies, 7. Aufl., 2020 Rosenbaum/ Pearl, Investment Banking, Valuation, Leveraged Buyouts, and Mergers & Acquisitions, 3. Aufl., 2022 Deutsche Standardwerke (Auswahl) Ballwieser/ Hachmeister, Unternehmensbewertung: Prozess, Methoden und Pro‐ bleme, 6. Aufl., 2021 Drukarczyk/ Schüler, Unternehmensbewertung, 8. Aufl., 2021 Hering, Unternehmensbewertung, 4. Aufl., 2021 Hommel/ Dehmel, Unternehmensbewertung case by case, 8. Aufl., 2021 Matschke/ Brösel, Unternehmensbewertung: Funktionen - Methoden - Grundsätze, 4. Aufl., 2012 (5. Auflage in Vorbereitung) Peemöller, Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 8. Aufl., 2023 Web (Auswahl) www.damodaran.com http: / / macabacus.com/ learn https: / / www.bloomberg.com/ markets/ stocks http: / / www.morningstar.com https: / / www.google.com/ finance https: / / finance.yahoo.com https: / / www.moodys.com https: / / www.standardandpoors.com/ en_US/ web/ guest/ home https: / / fred.stlouisfed.org https: / / www.destatis.de/ Europa/ DE/ Home/ _inhalt.html Stichwortverzeichnis Ankerheuristik-99 Arbitriumwert-118 Argumentationsfunktion-119 Asset Pricing Model (CAPM)-34 Beta- Bottom-up-37 Top-down-37 unverschuldetes-37 verschuldetes-37 Buchwert-Multiplikatoren-53 Cashflow- freier-26 Detailplanungszeitraum-20 EBITDA-Multiplikatoren-50 EBIT-Multiplikatoren-50 Enterprise Value-44 Entscheidungsfunktion-114 Entscheidungswert-114 Finanzinvestoren-65 Football-Field-Format-57 Forschungsaufwendungen-24 freier Cashflow-26 Interest Coverage Ratio-39 Investor, marginaler-34 KGV-49 konstante Wachstumsrate-41 Kontrollprämie-59 Leasingverbindlichkeiten-24 liquide Mittel-16 marginaler Investor-34 Marktrisikoprämien- implizite-36 mid year convention-44 Mittel, liquide-16 Multiplikatoren- bran-chenspezifische-53 Buchwert--53 EBIT--50 EBITDA--50 Umsatz--52 PE-49 PEG-49 Phasenmodelle-19 Planungszeitraum- endlicher-19 Prognose-27 Realoptionsansatz-71 Reinvestitionen-30 Sensitivitätsanalyse-45 Simulationen-45 Spread-39 Synergien-59 Szenarioanalyse-45 Tax Shield-73 Umsatzmultiplikatoren-52 Unternehmensbewertung-7 Verbindlichkeiten, zinstragende-16 Vermittlungsfunktion-118 Wachstumsrate, konstante-41 Wert und Preis-129 zinstragende Verbindlichkeiten-16 Stichwortverzeichnis 133 Bisher sind erschienen: Ulrich Sailer Digitalisierung im Controlling Transformation der Unternehmenssteuerung durch die Digitalisierung 2023, 104 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-10301-0 Michael von Hauff Wald und Klima Aus der Perspektive nachhaltiger Entwicklung 2023, 85 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-10311-9 Ralf Hafner Unternehmensbewertung 2024, 133 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-11351-4 Irene E. Rath / Wilhelm Schmeisser Internationale Unternehmenstätigkeit Grundlagen, Führung, Organisation 2024, 175 Seiten €[D] 17,90 ISBN 978-3-381-11231-9 nuggets Die Reihe nuggets behandelt anspruchsvolle Themen und Trends, die nicht nur Studierende beschäftigen. Expert: innen erklären und vertiefen kompakt und gleichzeitig tiefgehend Zusammenhänge und Wissenswertes zu brandneuen und speziellen Themen. Dabei spielt die richtige Balance zwischen gezielter Information und fundierter Analyse die wichtigste Rolle. Das Besondere an dieser Reihe ist, dass sie fachgebiets- und verlagsübergreifend konzipiert ist. Sowohl der Narr-Verlag als auch expert- und UVK-Autor: innen bereichern nuggets. ISBN 978-3-381-11351-4 Prof. Dr. Ralf Hafner lehrt seit 2013 International Business mit Schwerpunkt Finance and Accounting an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Davor hat er 25 Jahre als Investment Banker bei zahlreichen Transaktionen beraten und kennt somit Theorie und Praxis der Unternehmensbewertung. Die Bewertung ganzer Unternehmen ist eines der praxisrelevantesten Themen in der betriebswirtschaftlichen Ausbildung. Es gibt zahlreiche Anlässe für die Bewertung von Unternehmen: Unternehmensverkäufe, Fusionen, Managemen- Buy-outs, Anteilsverkäufe, Börsengänge und Squeeze-outs, um einige zu nennen. Der Autor dieses Buches geht dabei in erster Linie auf die Discounted-Cashflow-Methode (DCF-Methode) sowie die Comparable Companies Analysis und die Precedent Transactions Analysis, aber auch auf weitere Bewertungsverfahren ein. Darüber hinaus behandelt das Buch das Spannungsfeld zwischen Auftraggebern, Bewertern, Zielsetzungen von sowie Spielräumen bei Unternehmensbewertungen. Es schließt mit einem kurzen Ausflug in die ewige Frage der Ökonomie: Wert und Preis - also eine kompakte Darstellung der Theorie der Unternehmensbewertung.
